Jörn Düwel, Niels Gutschow. und Nationalsozialismus: Demonstration von Macht in Europa 1940–1943. Die Ausstellung von Rudolf Wolters. Berlin: DOM-Publishers, 2015. 480 S. broschiert, ISBN 978-3-86922-026-0.

Reviewed by Alexander Schmidt

Published on H-Soz-u-Kult (December, 2016)

Auf den ersten Blick scheint eine detaillierte Ausstellungsunternehmens „Neue Deutsche Bau‐ Studie zu einer Ausstellung über die „Baukunst“ kunst“ war. Zu Rudolf Wolters vgl. bisher zahlrei‐ des Nationalsozialismus nur für wirkliche Spezia‐ che Angaben bei Werner Durth, Deutsche Archi‐ listen interessant zu sein. Der von zwei ausgewie‐ tekten. Biografsche Verfechtungen 1900–1970, senen Experten für NS-Architektur und ihre Re‐ Braunschweig 1986; sowie André Dechan, Rudolf zeption erarbeitete Band bietet jedoch, über et‐ Wolters – der Mann hinter Speer, in: Wolfgang waige Spezialinteressen hinausgehend, eine wich‐ Benz / Peter Eckel / Andreas Nachama (Hrsg.), tige Studie zur Entstehung nationalsozialistischer Kunst im NS-Staat. Ideologie, Ästhetik, Protagonis‐ Bauideologie und deren Verbreitung in der Publi‐ ten, Berlin 2015, S. 319–331. zistik – ausgehend von einem großen europawei‐ Der Band bietet nicht nur eine historische ten Ausstellungsprojekt des NS-Generalbauin‐ Analyse jener Ausstellung, sondern auch eine Do‐ spekteurs . kumentation wesentlicher historischer Quellen. Der einleitende Abschnitt „Annäherungen“ Zunächst werden „Wortmeldungen“ verschiede‐ benennt zunächst den Ausgangspunkt für die Un‐ ner Autoren (von Walter Gropius über Oswald tersuchung, die Ausstellung „Neue Deutsche Bau‐ Spengler und bis hin zu Aldous Hux‐ kunst“, welche von 1940 an durch neun europäi‐ ley und Fritz Schumacher) aus der Zeit von 1913 sche Länder tourte, und versammelt anschlie‐ bis 1939 dokumentiert, welche die Sehnsucht ßend auf gut 20 Seiten verschiedene Recherchen nach einer neuen Baukunst und nach Ordnung in zur Ideologie des nationalsozialistischen Bauens Stadt und Gesellschaft gemeinsam haben – eine und zu den beteiligten Akteuren samt ihrer Nach‐ Sehnsucht, welche die „Neue Deutsche Baukunst“ kriegskarrieren. Dieser Teil des Buches wirkt al‐ der nationalsozialistischen Architekten zu befrie‐ lerdings eher wie eine gegliederte Materialsamm‐ digen suchte. Dem folgt eine Darstellung der Bio‐ lung, welche dennoch viele neue Erkenntnisse be‐ grafe von Rudolf Wolters und dessen Rolle beim reithält, etwa zur Rolle von Juristen wie Gerhard Generalbauinspekteur bis 1943. Die anschließen‐ Fränk im Ministerium des Generalbauinspekteurs de Sammlung von Texten zur „Neuen Deutschen Speer. Deutlich wird bereits hier auf den ersten Baukunst“ dokumentiert die Entstehung dieser Seiten, dass diese Studie auch in umfassender nationalsozialistischen Bauideologie, die keines‐ Weise über den engen Mitarbeiter Speers Rudolf wegs von Anfang an in ihren Ausprägungen fest‐ Wolters berichtet, der als „Ausstellungskommis‐ stand. Zentraler Impulsgeber war hier Adolf Hit‐ sar“ zentraler Organisator und Vermittler des ler selbst, der vor allem in seinen „Kulturreden“ H-Net Reviews auf den Nürnberger Reichsparteitagen zur Rolle Langmaak, ein Mitarbeiter des Amtes für Arbeits‐ und Form des Bauens Stellung nahm. führung und Berufserziehung der Deutschen Ar‐ Der Darstellung von Idee, Realisierung und beitsfront. Die angeführten Textdokumente zei‐ Akteuren der Ausstellung „Neue Deutsche Bau‐ gen deutlich, dass man zwar auf ein schon vor kunst“ folgt eine Analyse der Rolle, die Rudolf 1933 weit verbreitetes Bedürfnis nach Ordnung Wolters nach Ende des Ausstellungsprojekts als und Klarheit im Bauen und auf eine ebenfalls Propagandist der und „Leiter weit verbreitete Kritik an der Großstadt reagierte, des Arbeitsstabs Wiederaufbau zerstörter Städte“ dass es aber erst vergleichsweise spät – ab Ende ab 1944 einnahm. Ein umfangreicher Dokumente‐ der 1930er-Jahre – zur Übernahme des Leitbe‐ nanhang versammelt nicht nur Abdrucke der grifs „Neue Deutsche Baukunst“ bei den zentra‐ Ausstellungsbegleitbände in deutscher sowie in len Akteuren des Bauens um Albert Speer kam neun weiteren europäischen Sprachen, sondern und dies dann in Ausstellungen, Zeitschriften und auch Wolters’ Tagebucheinträge bei seinen Reisen Buchpublikationen entsprechend verbreitet wur‐ für die Ausstellung unter anderem auf dem Bal‐ de. Neben Wolters spielte hier Gerdy Troost, die kan, in Portugal, Spanien, Frankreich und der Witwe des Architekten Paul Ludwig Trost, in der Türkei sowie die „Kulturreden“ Hitlers in Nürn‐ Architekturpropaganda eine wichtige Rolle. berg von 1934 bis 1938. Die verschiedenen Wortmeldungen führten Eine Stärke des Bandes liegt darin, dass die schließlich zur Propagierung einer Architektur, zentrale Rolle von Rudolf Wolters, der Zeit seines die „klassizistisch und soldatisch-ernst“ (S. 160) in Lebens eher im Hintergrund bleiben wollte und erster Linie bei monumentalen Bauten des Staates den Albert Speer in seinen „Erinnerungen“ nicht zur Geltung kommen sollte. Dies folgte genau dem erwähnt, beim Bauen im Nationalsozialismus und Konzept, das Hitler bei seinen Reichsparteitagsre‐ vor allem bei der propagandistischen Verbreitung den oder bei der Eröfnung der Deutschen Archi‐ nationalsozialistischer Bauideologie deutlich tektur- und Kunsthandwerkausstellung 1938 in wird. Wolters hatte in den Jahren des Ausstel‐ München („Wort aus Stein“) formuliert hatte. Ein lungsprojekts, so scheint es, seine große Zeit. Jörn erheblicher Teil der in Baumodellen oder Modell‐ Düwel und Niels Gutschow haben dies – und auch fotos in der Ausstellung „Neue Deutsche Bau‐ Wolters’ überhebliche Haltung gegenüber ande‐ kunst“ vorgestellten Bauten blieben Vision und ren Ländern und Kulturen – umfangreich mit Ma‐ erlebten nie den Baubeginn. Die Umsetzung der terial aus dessen Nachlass im Bundesarchiv Ko‐ Bauprojekte in Berlin, Nürnberg und vielen ande‐ blenz, der Reiseberichte aus verschiedenen euro‐ ren Städten machte der Kriegsverlauf zunichte. päischen Ländern umfasst, dokumentiert. Man hat den Eindruck, dass man von Seiten der beteiligten Architekten nicht nur die eigenen Leis‐ Ebenfalls sehr verdienstvoll ist es, dass in un‐ tungen zur Schau stellen und deutsche Baukultur gewöhnlich materialreicher Dichte die Entste‐ als vorbildlich den anderen Ländern vorführen hung und Ausformung des ideologischen Kon‐ wollte, sondern dass man mit dem Ausstellungs‐ strukts „Neue Deutsche Baukunst“ dargestellt projekt den Anspruch gegenüber der Öfentlich‐ wird. Die „Wege zur nationalsozialistischen Archi‐ keit am Leben erhalten wollte, nach Kriegsende tektur“ (ab S. 124) waren in diesem Fall keines‐ sofort auf diese Bauprojekte zurückzukommen. falls eindeutig: Akteure wie Paul Schmitthenner blieben, trotz ideologischer Angepasstheit, weitge‐ Über Jahre hinweg beschäftigte sich Rudolf hend außen vor. Der wohl Erste, der den Begrif Wolters mit Propaganda in Presse, Büchern und „Neue deutsche Baukunst“ propagierte, war 1935 Ausstellungsprojekten für das Bauen im National‐ der auch Fachleuten bisher unbekannte Gerhard sozialismus, insbesondere für die Bauten Speers.

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Es gelang ihm gemeinsam mit dem Architekten und späteren Bundespräsidenten Heinrich Lübke aus dem Kriegsgeschehen abzutauchen und sich schließlich am Wiederaufbau Deutschlands in sei‐ ner Heimatstadt Coesfeld zu beteiligen. Wolters’ Rolle in der Nachkriegszeit ist logischerweise nicht mehr Thema des Bandes, aber auch hier blieb seine zentrale Rolle – noch immer in Diens‐ ten Speers – lange Zeit unentdeckt. Vgl. hierzu u.a. das Interview mit dem Sohn Friedrich Wolters, in: Heinrich Breloer, Unterwegs zur Familie Speer. Begegnungen, Gespräche, Interviews, Berlin 2005, S. 390–409. Festzuhalten bleibt: Jörn Düwel und Niels Gutschow haben einen materialreichen, hochwer‐ tig bebilderten Analyse- und Quellenband vorge‐ legt, der erstmals in dieser Breite und Genauigkeit die Entstehung nationalsozialistischer Bauideolo‐ gie und ihre Propagierung als „Neue Deutsche Baukunst“ beschreibt und viele neue Aspekte und Quellen zutage fördert.

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Citation: Alexander Schmidt. Review of Düwel, Jörn; Gutschow, Niels. und Nationalsozialismus: Demonstration von Macht in Europa 1940–1943. Die Ausstellung von Rudolf Wolters. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. December, 2016.

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