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Der Stiftungsvorsitzende „Synthese von Bruno Heck Geist und Politik“ (1917 bis 1989) Jürgen Aretz

Junge Menschen zur Demokratie zu „er- Nach Abitur, Reichsarbeitsdienst und ziehen“, das war das Anliegen Bruno zwei Studienjahren in Tübingen folgte Hecks, als er 1956 – nur wenige Jahre nach 1938 der Wehrdienst. Der Kriegsdienst dem Ende des nationalsozialistischen verschlug ihn zu Beginn an die Westfront, Unrechtsregimes und vor dem Hinter- später auf den Balkan und an die Ost- grund der Auseinandersetzung mit dem front, wo er 1942 schwer verwundet sowjetischen System – den Vorsitz der wurde. „Gesellschaft für christlich-demokrati- Heck hatte in der Kriegszeit eine Fami- sche Bildungsarbeit“ übernahm. Die un- lie gegründet und stand wie viele seiner ter maßgeblicher Mitwirkung des engen Generation 1945 vor der Notwendigkeit, Adenauer-Vertrauten ge- rasch eine Ausbildung zu absolvieren. gründete Einrichtung darf als Vorstufe Mit großem Fleiß studierte er in Tübingen der späteren Konrad-Adenauer-Stiftung klassische Philologie, Germanistik und gelten. Geschichte. Zu diesem Zeitpunkt konnte Heck be- reits auf eine beachtliche politische Kar- Neuanfang und Selbstkritik riere zurückblicken. Der Sohn eines Ar- Die materielle Not, die familiären Ver- beiters wurde 1917 auf der Schwäbischen pflichtungen und die schwierigen Stu- Alb geboren, einer besonders armen Re- dienbedingungen hielten ihn nicht davon gion Württembergs. Als einer der Besten ab, sich bereits frühzeitig politisch zu en- seines Jahrganges bestand der begabte gagieren. Im Herbst 1946 wurde er zum Schüler das württembergische „Landexa- Vorsitzenden der Studentenvertretung men“ und erhielt eine Art Stipendium, so gewählt, seine erste „politische“ Funk- dass er das Gymnasium besuchen konnte. tion. Auf einem Studententag der franzö- Am Ende der Weimarer Republik, sischen Besatzungszone setzte er sich einer Zeit scharfer weltanschaulicher ebenso nachdenklich wie selbstkritisch und politischer Auseinandersetzungen, mit der Haltung seiner Generation aus- schloss sich Heck dem „Bund Neu- einander: „Wo unser Bekenntnis (gegen deutschland“ (ND) an, einer Organisation den Nationalsozialismus) hätte gefähr- katholischer Gymnasiasten und Hoch- lich werden können, … dort haben wir schüler, die später von den Nationalsozia- nicht bekannt, dort sind wir Auch-Natio- listen verboten wurde. Heck schrieb, im nalsozialisten gewesen … Auch wenn wir ND seien die „Ideale der Jugendbewegung nationalsozialistisch nicht gedacht haben mit dem lebendigen Vollzug des Glaubens – nationalistisch haben wir gedacht. zusammengedacht“ worden. Der sieb- Groß-Deutschland hat uns imponiert.“ zehnjährige Stadtgruppenführer des ND Trotz der zeitbedingten Kommunika- entging wegen regimekritischer Äuße- tionsschwierigkeiten wurde Heck mit rungen nur knapp dem Schulausschluss. dieser Rede über die französische Zone

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hinaus bekannt. Im Oktober 1947 konnte rung: Der Neubau stehe auf „festen er vor der ersten – und für mehr als vier Grundmauern“, und jetzt gelte es, einen Jahrzehnte letzten – gesamtdeutschen „Zustand behaglicher Wohnlichkeit“ zu Kultusministerkonferenz sprechen und erreichen. für die Reorganisation des Erziehungs- Das Programm hob im Besonderen die wesens eintreten, die auf die Einheit soziale Kompetenz der Partei hervor. Die Deutschlands Rücksicht nehmen müsse. von der Bundesregierung zum Teil be- Nach den Staatsexamina und der Pro- reits verwirklichte Neuordnung des Sys- motion unterrichtete er kurze Zeit an sei- tems der sozialen Sicherheit wurde als nem früheren Gymnasium in Rottweil das Ziel der Sozialen Marktwirtschaft be- und wurde dann zum persönlichen Refe- schrieben. Für diese Politik standen die renten des Kultusministers von Württem- Verabschiedung des Lastenausgleichs-, berg-Hohenzollern berufen. Es war eine des Schwerbeschädigten-, Montan-Mit- für seinen weiteren Lebensweg entschei- bestimmungs- und des Betriebsverfas- dende Weichenstellung – er wechselte sungsgesetzes. faktisch aus dem Lehrerberuf in eine poli- Der erfolgreiche Weg der CDU und tische Tätigkeit. Hecks engagierter Einsatz werden dazu Ganz unerwartet eröffnete sich 1952 beigetragen haben, dass er das latente für Heck die Möglichkeit, eine Funktion Misstrauen Adenauers halbwegs über- in der Bundespartei zu übernehmen, die winden konnte. Im Rückblick schrieb bis dahin nur über ein Organisations- und Heck, die Zusammenarbeit mit dem Planungsbüro für Parteigremien und Bundeskanzler sei „das härteste Brot“ ge- Wahlkämpfe verfügte. Nun sollte in Bonn wesen, das er je gegessen habe. Seiner eine Zentrale errichtet werden. Kurt Ge- Loyalität Adenauer gegenüber hat das org Kiesinger, der in seiner Eigenschaft keinen Abbruch getan; auch im späten als CDU-Landesgeschäftsführer Würt- Rückblick sprach Heck mit großer Be- temberg-Hohenzollern mit dem Lands- wunderung von dem ersten Bundeskanz- mann Heck zusammengetroffen war, ler. schlug ihn erfolgreich als Bundesge- Heck kamen schon in jungen Jahren schäftsführer vor. Einsatzwille, Eloquenz und ein ausge- Heck trat sein neues Amt in schwieri- prägtes Selbstbewusstsein zugute. Dabei ger Zeit an: Der Aufbau der Partei, die erst war er offen für neue Erfahrungen. Er seit zwei Jahren eine Satzung hatte, reiste in die USA, machte sich mit dorti- musste rasch vorangebracht werden. Dies gen Methoden der Politik und der Wahl- hatte auch mit der politischen Großwet- kampfführung vertraut und lernte die terlage zu tun, die zu diesem Zeitpunkt Rolle der Medien kennen. Er hat früh ihre alles andere als günstig war. Die Verunsi- wachsende Bedeutung auch für die junge cherung durch den Korea-Krieg und die Bundesrepublik erkannt und unter ande- Diskussion um die Wiederbewaffnung rem 28 Jahre an der Spitze des Verwal- trugen zu einer Serie von für die CDU ver- tungsrates der Deutschen Welle gestan- lustreichen Landtagswahlen bei. den – ein einmaliges und wohl nicht Heck gewann persönliches Profil in wiederholbares Phänomen. der Vorbereitung des Hamburger Nicht zuletzt als Folge seines amerika- Bundesparteitages der CDU 1953. Über nischen Lern- und Erfahrungsprozesses das dort verabschiedete Parteiprogramm, suchte Heck die CDU als moderne und das in modifizierter Form für fünfzehn zugleich auf Sicherheit und Bewahrung Jahre Bestand hatte, schrieb Heck in einer bedachte Volkspartei zu profilieren. Dem für ihn und die Zeit typischen Formulie- stand das Erscheinungsbild der SPD

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„Synthese von Geist und Politik“

Bruno Heck und auf dem 12. Bundesparteitag der CDU im März 1964. Foto: ACDP

gegenüber, die zu dieser Zeit auch pro- parlamentarier, wurde er gleich Vorsit- grammoffiziell noch das marxistische zender des Ausschusses für Kulturpolitik Erbe des neunzehnten Jahrhunderts mit- und Publizistik. Zwar scheiterte der Ver- schleppte. such, ihn 1962 zum Gründungsintendan- ten des ZDF zu bestimmen, am Wider- Der politische Aufstieg stand der SPD, aber nach der „Spiegel-Af- Bei den Bundestagswahlen 1957 wurde färe“ 1962 ernannte ihn Adenauer zum Bruno Heck als Abgeordneter des Wahl- Bundesminister für Familie und Jugend. kreises Rottweil-Tuttlingen direkt ge- , der Adenauer im Herbst wählt. Er hatte großen Anteil an der Or- 1963 ablöste, bestätigte ihn in seinem ganisation der in der Parteigeschichte bis- Amt. lang erfolgreichsten Bundestagswahlen Für Heck war das vergleichsweise gehabt: CDU und CSU errangen eine kleine Familienministerium politisch kei- deutliche absolute Mehrheit. Bis zu sei- neswegs von untergeordneter Bedeu- nem freiwilligen Verzicht 1976 hat Heck tung, auch wenn er weiter gehende per- diesen Wahlkreis viermal mit klarem sönliche Ziele nicht aufgegeben hatte. In Vorsprung verteidigt. Das Amt des der bewussten Tradition der katholi- Bundesgeschäftsführers gab er 1958 auf, schen Soziallehre sah der Vater von sechs um sich zunächst ganz seiner parlamen- Kindern die intakte Familie als Grund- tarischen Tätigkeit zu widmen. lage für ein funktionierendes Gemeinwe- Hecks Aufstieg setzte sich auch im sen. Heck stieß eine ganze Reihe von fa- fort. Unüblich für einen Neu- milienpolitischen Neuüberlegungen an,

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und die erste breite gesetzliche Ausbil- Heck zum „geschäftsführenden Mitglied dungsförderung geht auf ihn zurück. des Präsidiums“; er selbst wäre lieber Ge- Nach der Unterzeichnung des deutsch- neralsekretär geworden. In den folgen- französischen Freundschaftsvertrages den Jahren gehörte er zu jenen, die die durch Charles de Gaulle und Konrad Ade- Partei reformieren wollten, ohne ihre nauer (1963) hat Heck den Aufbau des Konturen zu verwischen. Obwohl in die- Jugendwerks vorangetrieben. Er gehörte sem Anliegen mit dem in der Partei auf- zu der Generation christlich-demokrati- strebenden einig, war er ein scher Politiker, die aus ihrer Kriegserfah- Widersacher von dessen weiterem politi- rung die europäische Verständigung als schen Aufstieg. „Wir sind fundamental eine zentrale Aufgabe sahen. Sie erkann- verschiedene Leute“, äußerte Heck. ten zugleich, dass die europäische Eini- Heck stand so lange zu Erhard, wie gung und die deutsche Frage zwei Seiten dies politisch überhaupt möglich war. einer Medaille seien – eine Politik, die un- Als es Ende 1966 nach einem FDP-inter- ter zur Wiedervereinigung nen Streit zum Bruch der CDU/CSU- Deutschlands führen konnte. FDP-Koalition kam und Erhard zurück- treten musste, schienen diese Ereignisse „68“ und der politische Wandel Heck in seinem negativen Bild der FDP Mit Sorge und wachsendem Unmut beob- zu bestätigen. Für den praktizierenden achtete Heck die „Kulturrevolution“ von Katholiken gehörten diese Liberalen „68“. Zugeständnisse an den Zeitgeist ka- weltanschaulich in das neunzehnte Jahr- men für ihn nicht infrage. Wie sein schwä- hundert, und in ihrer politischen Organi- bischer Landsmann sation hielt er sie für überflüssig. Er ver- formulierte, wusste Heck „eine scharfe wies darauf, dass mit und Klinge zu schlagen gegen die Verhun- Walther Schreiber prominente Liberale zung unserer Demokratie, die unter dem zu den Gründern der Union gehört hat- harmlos klingenden Namen der Demo- ten. Die Zeit attestierte ihm, sein „kühl ab- kratisierung“ von den Gegnern des frei- wägendes Urteil“ verlasse ihn, wenn es heitlichen Rechtsstaates betrieben werde. um die FDP gehe. Für „progressive“ Kräfte war Heck mit Heck zog in dieser Situation die Sozial- seinen unmissverständlichen Ansichten demokraten als Partner vor. Weltan- über den Zusammenhang von Rechten schaulich und politisch hat er sich stets und Pflichten, über Familie und Moral klar von der SPD abgegrenzt, aber das Symbol einer Zeit und eines Systems, das hinderte ihn nicht an der sachlich not- es zu überwinden galt. Tatsächlich wurde wendigen Zusammenarbeit. Er hat die dieses Urteil weder seiner Rolle in der unter Kiesinger gebildete Große Koalition Programmdiskussion der CDU noch gar von CDU/CSU und SPD nachhaltig, frei- seiner Persönlichkeit gerecht. Freilich hat lich ohne Enthusiasmus befürwortet. Vor Heck dieses Missverständnis durch seine allem die Notstandsgesetzgebung, der er Diktion mitausgelöst beziehungsweise innen- und außenpolitisch große Bedeu- seinen Gegnern die entsprechenden Vor- tung beimaß, und die Einführung des wände geliefert. Im Rückblick sah er diese Mehrheitswahlrechtes wollte er in die- Zeit differenzierter, ohne dass er Anlass sem Bündnis verwirklicht sehen. Später gehabt hätte, seine grundsätzliche Beur- konstatierte Heck, man sei der SPD und teilung revidieren zu müssen. im Besonderen „auf den Als Ludwig Erhard die Nachfolge Leim gegangen“, der die Union mit dem Adenauers auch als Parteivorsitzender Mehrheitswahlrecht geködert, sein Wort antrat, wählte die CDU-Bundespartei aber bedenkenlos gebrochen habe, als

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sich die Chance einer Regierungsüber- die mit Abstand stärkste Partei, aber SPD nahme mit der FDP bot. und FDP erreichten eine denkbar knappe Im Mai 1967 wurde Heck schließlich Mehrheit im Deutschen Bundestag. Trotz zum ersten Generalsekretär der CDU äußerster Versuche gelang es der CDU- Deutschlands bestimmt. Angesichts des Führung nicht, die FDP von dieser Koali- „präsidialen“ Führungsstils Kiesingers tion abzuhalten. lag die Parteiführung damit faktisch in Vor diesem Hintergrund stellte sich Hecks Händen. Seine Bemühungen ziel- auch die Frage des CDU-Vorsitzes neu. ten auf den Zusammenhalt und das Als 1971 Rainer Barzel und Helmut Kohl Selbstverständnis der CDU als Volkspar- um den Parteivorsitz konkurrierten, ge- tei, deren politische Zukunftsfähigkeit er hörte Heck, der sich als erster prominen- angesichts der unübersehbaren gesell- ter Bundespolitiker für Kohl ausgespro- schaftlichen und politischen Umbrüche chen hatte, zum Lager der Unterlegenen. sichern wollte. In der Großen Koalition Um das Amt des Generalsekretärs hatte stellte er sich im Besonderen massiv ge- er sich von vornherein nicht mehr bewor- gen den engsten Berater von Außenmi- ben. nister , . Dessen In der Ära Barzel konnte ihm keine ent- These vom „Wandel durch Annäherung“ scheidende Rolle zufallen. Als Parlamen- sei, so Heck, durch die sowjetische Inva- tarier gehörte er zu den Kritikern der Ost- sion der Tschechoslowakei im August politik Brandts, weil er das Prinzip von 1968 „sichtbar“ widerlegt worden. Leistung und Gegenleistung missachtet Heck schied im Herbst 1968 nicht ohne sah. Im Unterschied zu anderen Unions- innerparteiliche Misstöne aus seinem Mi- politikern lehnte Heck angesichts verän- nisteramt aus und konzentrierte sich auf derter Realitäten die Anerkennung der das „Berliner Programm“, das die CDU im Oder-Neiße-Grenze nicht prinzipiell ab, selben Jahr beschloss. Helmut Kohl stellte hielt es aber für geboten, diese Frage mit später fest, es sei „wesentlich von Bruno der Überwindung der deutschen Teilung Heck initiiert, vorbereitet und vorange- zu verknüpfen. Obwohl der von ihm trieben worden“. Eine zentrale inhaltliche unterstützte Helmut Kohl nach dem Modifikation kam in dem Satz zum Aus- Scheitern Barzels 1973 zum Parteivorsit- druck: „Die Christlich-Demokratische zenden gewählt wurde, hat Heck keine Union Deutschlands orientiert sich am neuen Funktionen in Partei oder Fraktion christlichen Glauben und Denken.“ Mit übernommen. dieser Formulierung vollzog die CDU in In die parlamentarische Auseinander- einer sich wandelnden Gesellschaft die setzung griff er noch einmal unüberhör- Öffnung auch für Nichtgläubige, ohne die bar ein, als die so genannte Reform des christlichen Grundlagen ihres Denkens Paragrafen 218 Strafgesetzbuch auf der und Handelns infrage zu stellen. Tagesordnung stand, der die Abtreibung Heck hatte entscheidend zur pro- unter Strafe stellte. Die sozial-liberale Re- grammatischen Modernisierung der gierung setzte eine – später von Karlsruhe CDU beigetragen, und als Generalsekre- für grundgesetzwidrig erklärte – Rege- tär führte er 1969 einen entschlossenen lung durch, die den Schutz des ungebore- Wahlkampf, in dem sich die Partei auf nen Lebens in den ersten drei Schwanger- den bisherigen Koalitionspartner SPD als schaftsmonaten faktisch preisgab. Sie ar- Hauptgegner festlegte. Die CDU erlebte gumentierte unter anderem mit der eine bis dahin nicht gekannte Wahl- „sozialen Indikation“, die Heck aus der kampfmobilisierung. Sie wurde bei den Haut fahren ließ. Es gebe, so seine un- Bundestagswahlen im September 1969 missverständliche Haltung, nichts „Aso-

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zialeres als eine Mutter, die ihrem Kind lich-Demokratische Politik“ (ACDP) hin- das Leben verweigert“. zu, das auf Anregungen von Heinrich Bei den Bundestagswahlen 1976 kandi- Krone und Helmut Kohl zurückging. Mit- dierte Heck nicht wieder; er hielt die frü- auslöser war die Diskussion um die Ost- here Zusage ein, seinen Wahlkreis einem verträge und entsprechende Legenden- Jüngeren zu überlassen. Mit 59 Jahren zog bildungen: Die Regierungsübernahme er sich aus dem politischen Tagesgeschäft durch die sozial-liberale Koalition wurde zurück. von interessierter Seite als eine „Stunde null“ westdeutscher Ostpolitik interpre- Der Stiftungsvorsitzende tiert. Die Bemühungen früherer, CDU-ge- Heck sah sich deswegen noch lange nicht führter Bundesregierungen um den Dia- als „politischer Pensionär“. Bereits seit log und die Kooperation mit den Staaten 1968 stand er als Nachfolger von Alfred Mittel- und Osteuropas und auch um Müller-Armack und Franz Thedieck, die Kontaktversuche mit der DDR waren bis dahin die Konrad-Adenauer-Stiftung weithin unbekannt oder wurden bewusst geleitet hatten, an deren Spitze. Ange- unterschlagen. Sie gingen bis in die Ade- sichts der bundespolitischen Verpflich- nauer-Zeit zurück und waren unter den tungen Hecks hatte der junge Bundes- Bundeskanzlern Erhard und Kiesinger tagsabgeordnete Manfred Wörner für ei- intensiviert worden. nige Jahre den geschäftsführenden Vor- Ein besonderes Gewicht kam in der sitz übernommen. Stiftungsarbeit auch dem internationalen Die Stiftung bestand zu dieser Zeit aus Bereich zu. Hecks Förderung dieses Auf- vier Instituten, die sich der politischen gabenbereiches hing damit zusammen, Bildungsarbeit, entwicklungspolitischen dass die CDU bis zur Regierungsüber- Aufgaben, der Studienförderung und der nahme im Oktober 1982 auf den Gebieten Sozialforschung widmeten. Unter Hecks Außen- und Entwicklungspolitik kaum Vorsitz wurden die Institute in der Folge tätig werden konnte. Das Auswärtige kontinuierlich ausgebaut; 1972 kam ein Amt war seit 1966 nicht mehr von einem Institut für Kommunalwissenschaften CDU-Politiker geführt worden, und über hinzu, und 1976 zog die Stiftung in einen die üblichen parlamentarischen Kontakte unter Hecks Leitung geplanten Neubau hinaus gab es für die Partei auf diesen Fel- nach Sankt Augustin bei Bonn um. Sie be- dern nur geringe Wirkungsmöglichkei- schäftigte schließlich etwa 600 Mitarbei- ten. Heck selbst hatte bis dahin in den ge- ter. nannten Bereichen keine nennenswerten Der Ausbau der Stiftung erfolgte auch Erfahrungen sammeln können, aber er unter dem Aspekt einer „Denkfabrik“ für wandte sich ihnen mit großem Interesse die Christlich-Demokratische Union. und Engagement zu. Der über Sechzig- Gleichwohl legte Heck aus rechtlichen jährige lernte noch einmal Fremdspra- wie aus inhaltlichen Gründen Wert auf chen, um seinen Aufgaben besser gerecht Unabhängigkeit von der Partei. So konnte werden zu können. er überzeugend und erfolgreich Anfang Ohne Frage war Hecks außen- und si- der achtziger Jahre Presseverdächtigun- cherheitspolitisches Denken maßgeblich gen entgegentreten, die politischen Stif- durch den Ost-West-Konflikt der fünfzi- tungen seien „Geldwaschanlagen“ für ger und sechziger Jahre geprägt worden. die Parteien. Auf seinen Studienreisen und in zahlrei- Eine weitere und für die inhaltliche Ar- chen Gesprächskontakten, auch in der beit der Stiftung zentrale Einrichtung Stiftungszentrale selbst, lernte er die viel- kam 1976 durch das „Archiv für Christ- schichtige Problematik der so genannten

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Dritten Welt kennen – und ebenso, dass Die Konrad-Adenauer-Stiftung sah sich die früheren Politikmuster sie nicht er- wegen ihres Engagements einer öffent- schöpfend erklären konnten. lichen Kampagne des internationalen Besonders enge Beziehungen entwi- Netzwerkes linker und linksextremer ckelte Heck nach Lateinamerika, einem Gruppierungen ausgesetzt, die zum Teil politischen Schwerpunkt der Stiftung. von östlichen Geheimdiensten instru- Dort hatte die „KAS“ in den siebziger und mentalisiert wurden. Selbst aus demokra- achtziger Jahren die Demokratieförde- tischen Parteien der Bundesrepublik und rung in das Zentrum ihrer Arbeit gestellt. kirchlichen Kreisen erhielt dieses Netz- Sie suchte damit Gegengewichte aufzu- werk Unterstützung. Die Aktionen kul- bauen gegen die gleichermaßen von lin- minierten in dem Vorwurf, die Stiftung ken wie rechten Extremisten gefährdeten habe sich in den Dienst der CIA gestellt Staaten: Marxistisch-leninistische Bewe- und Gelder aus dieser Quelle nach Zen- gungen auf der einen Seite und die rechts- tralamerika weitergeleitet. Ziel der Kam- extreme „Doktrin der nationalen Sicher- pagne war es, die Förderwürdigkeit der heit“ auf der anderen Seite bedrohten die Stiftung in Deutschland infrage zu stellen Menschen in ihren elementaren Rechten und ihre Glaubwürdigkeit vor Ort zu zer- und zugleich die Entwicklung dieser Län- stören. Heck hat das sehr getroffen, und er der. Die Stiftung ging in ihrer Konzeption ist diesen unaufrichtigen Manövern mit davon aus, dass Freiheit und Demokratie großem persönlichen Einsatz entgegenge- dauerhaft nur gesichert werden konnten, treten. wenn auch die sozialen und ökonomi- Schon früh hatte Heck den Blick auch schen Bedingungen für die Menschen nach Mittel- und Osteuropa gerichtet. verbessert werden würden. Im Besonderen über die Deutsche Bi- Heck hat solche konzeptionellen An- schofskonferenz knüpfte er Kontakte sätze der Stiftung unterstützt und auch nach Polen, und die Verbindung zu den die entsprechenden Programme, selbst dortigen demokratischen Kräften ermög- wenn er nicht in jedem Fall mit den An- lichte schon 1989 die Gründung einer sichten seiner Gesprächspartner vor Ort Außenstelle in Warschau. übereinstimmte. Viele von ihnen sahen Mit einer Vielzahl hoher Auszeichnun- sich zwar als christliche Demokraten, gen, die er auch als Würdigung der Stif- standen aber inhaltlich weit „links“ von tungsarbeit verstand, ist Hecks interna- der deutschen CDU. Besondere Probleme tionales Engagement belohnt worden. hatte er mit der auch unter christlich-de- mokratischen Politikern Lateinamerikas „Wagemut und Bürgersinn“ verbreiteten, ihm persönlich ganz frem- Zu Hecks humanistischem Bildungsideal den USA-feindlichen Rhetorik. gehörte, dass er begeistert Sport trieb. Das Mitte der achtziger Jahre spitzte sich die „Goldene Sportabzeichen“, das er noch Situation zu, als in der Bundesrepublik als Minister erwarb, erfüllte ihn mit grö- eine heftige Zentralamerika-Debatte ent- ßerem Stolz als mancher seiner zahlrei- brannte. Die Stiftung hatte sich bemüht, chen Orden. Die Liebe zur schwäbischen ihren christlich-demokratischen Partner- Heimat und seine sportliche Neigung organisationen beizustehen, die in den verband er in ausgedehnten Wanderun- Bürgerkriegsstaaten El Salvador und Ni- gen im Familien- und Freundeskreis. caragua von gegensätzlichen politischen Es hat den ehemaligen Studienrat Kräften bedroht wurden. Eine Reihe von Bruno Heck mit besonderem Stolz erfüllt, Mitarbeitern dieser Organisationen war dass ihm der baden-württembergische Anschlägen zum Opfer gefallen. Ministerpräsident Lothar Späth anlässlich

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seines siebzigsten Geburtstages den Pro- Für seine Kritiker war Heck ein „kon- fessorentitel verlieh. Der damalige CDU- servativer Moralist“ (Die Zeit), für seine Generalsekretär Heiner Geißler, mithin Freunde „gläubig tätig auf festem einer der Nachfolger Hecks, schrieb ihm Grund“, so Heinrich-Basilius Streithofen. zu diesem Geburtstag, in seiner Stiftungs- In einem Nachruf beschrieb er die private arbeit verkörpere er „eine Synthese von Seite Bruno Hecks, für die Familie und die Geist und Politik, die nicht im Grundsätz- Freunde sei er „wie ein Patriarch gewe- lichen verharrt, sondern beharrlich für die sen“. Streithofen unterschlug aber nicht, konkrete Tat eintritt“. dass Heck in seiner ausgeprägten Für- Im Frühjahr 1989 gab Bruno Heck nach sorglichkeit „leicht autoritär“ gewesen mehr als zwanzig Jahren den Vorsitz der sei. Konrad-Adenauer-Stiftung an den ehe- Wohl zu allen Zeiten hatten Wallfahr- maligen rheinland-pfälzischen Minister- ten eine religiöse und eine gesellschaftli- präsidenten weiter. Die che Funktion, und in diese Tradition Konrad-Adenauer-Stiftung ernannte ihn stellte sich auch Bruno Heck. Begleitet zu ihrem Ehrenvorsitzenden. von Freunden, wanderte er in mehreren Bruno Heck war für die Mitarbeiter Jahresetappen nach Rom und an das Grab der Stiftung keineswegs ein immer ein- des heiligen Jacob nach Santiago de Com- facher Vorgesetzter; er stellte hohe An- postela. Die letzte Wallfahrt führte über forderungen an sich und andere, und er Griechenland und das Mittelmeer nach gehörte auch nicht zu dem „austausch- Haifa; von dort erreichte er zu Fuß Jeru- baren“ Politikertypus, der heute verbrei- salem. Über „viele Rosenkränze“, die auf tet scheint. Er war hochbelesen, streitbar den Wallfahrten gebetet worden seien, und, was den Widerspruch nicht gerade berichteten seine Freunde, aber auch da- erleichterte, von geschliffener Rhetorik. rüber, dass in abendlicher Runde der gute „Politischer Wagemut und Bürgersinn Tropfen nicht zu kurz gekommen sei. des Gebildeten“ wurden ihm zuge- Eugen Gerstenmaier, der große Protes- schrieben (Alois Rummel), aber auch die tant, beschrieb Hecks persönliches Ver- für seine schwäbische Landsmannschaft hältnis zur katholischen Kirche so, dass nicht untypische Hartnäckigkeit mit „die Dankbarkeit für die Orientierung Ecken und Kanten, an denen sich die seines Lebens“, die er erfahren habe, Menschen rieben. Konsequent beharrte „noch vor dem Respekt und Gehorsam er auf seinem Standpunkt, wenn es ihm gegen ihre Gebote“ gestanden habe. Seine sachlich oder moralisch geboten schien. traditionelle, aber nicht traditionalisti- So stand er, der als junger Mann die Rolle sche Frömmigkeit verband Heck mit ho- seiner Generation im so genannten Drit- her theologischer Bildung. Aus seiner be- ten Reich kritisch hinterfragt hatte, fest wussten Katholizität ergab sich für ihn an der Seite des baden-württembergi- eine im Alltag immer wieder bewährte schen Ministerpräsidenten Hans Filbin- ökumenische Offenheit. ger, als dieser 1978 wegen seiner Tätig- Ein halbes Jahr nachdem er den Stif- keit als Marinestabsrichter im Zweiten tungsvorsitz abgegeben hatte, starb Weltkrieg Zielscheibe öffentlicher Kritik Bruno Heck am 16. September 1989 plötz- wurde. Heck war davon überzeugt, dass lich und unerwartet auf einer Wanderung sich diese Kampagne gegen die Kriegs- durch seine schwäbische Heimat. Nur generation insgesamt richtete, und das wenige Wochen später fiel die Berliner konnte für ihn aus intellektuellen und Mauer, und die deutsche und europä- moralischen Gründen nicht infrage kom- ische Einigung, die ihm so sehr am Her- men. zen lag, konnte vollendet werden.

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