LenasBIATHLON heile Welt

Ihr Hobby ist Stricken, ihr Vater arbeitet bei der örtlichen Raiffeisenbank: Magdalena Neuner, Deutschlands Sportlerin des Jahres, kommt aus dem beschau- lichen Oberbayern. Nächste Woche verteidigt sie ihre WM-Titel. Aber wie alle Biathleten muss sie sich gegen den Doping- Generalverdacht wehren.

Biathletin Neuner (beim Weltcup in Antholz) KOSECKI / IMAGO KOSECKI

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ie anderen Biathletinnen sind noch Rennen, Fernsehinterview, Siegerehrung schluss geht sie von der Schule ab, zum irgendwo im Wald unterwegs, als und Pressekonferenz. Einen Moment lang Zoll, um sich ganz aufs zu kon- DStartnummer vier bereits das Sta- wirkt sie etwas erschöpft, dann drückt sie zentrieren. Zu der Zeit gewinnt sie die dion erreicht. Steil ragen die Stehränge den ihren Rücken durch, schlägt die Beine ersten ihrer sieben Junioren-Weltmeister- Hang hinauf, die Menschenmenge hier in übereinander und schaut neugierig. titel, 2004 war das. Oberhof überragt Magdalena Neuner, als Sie laufen Ihre Rennen immer mit Oh- Sie scheint aus einer heilen Welt zu kom- liefe sie an einer wabernden Bergwand ent- renstöpseln, warum? „Das ist eine wahn- men, in der Brüche nicht vorgesehen sind. lang. Die Leute hüpfen und schreien, ihr sinnige Geräuschkulisse da draußen. So Vater Paul arbeitet bei der Raiffeisenbank Gejohle eskortiert sie zum Schießstand. fühlt es sich an, als hätte ich eine Schutz- von und leitet in seiner Freizeit Neuner bremst, zupft mit den Zähnen hülle um mich herum, das gibt einem die örtliche Musikkapelle. Magdalena Neu- den Handschuh vom Abzugfinger, legt die schon so ein bisschen nervlichen Halt.“ ner hat drei Geschwister, alle in der Fami- Skistöcke ab, nimmt ihr Gewehr vom Sie brauchen eine Schutzhülle? „Ich habe lie musizieren, sie selbst spielt Harfe und Rücken, öffnet dabei Visier und Lauf, ent- gern meine Familie um mich herum, Leu- strickt, am liebsten Mützen. Sie besitzt den sichert, steckt das Magazin rein, alles sieht te, die etwas auf mich schauen.“ Kurz Motorradführerschein und schnappt sich eilig aus, aber nicht hektisch. Einmal muss blickt sie hinüber zum Pressesprecher des gelegentlich Papas alte Geländemaschine. sie jetzt noch schießen, Stehendanschlag, Biathlon-Teams, der in einer Ecke lehnt. Sie wohnt nicht mehr bei den Eltern, dafür fünf Schuss in schneller Folge, nicht zu zö- aber im Haus der Großmut- gerlich, sonst beginnen die Muskeln zu zit- ter, wo sie eine Etage für sich tern und der Puls zu hämmern. hat. Für die Oma ist nahezu Sie steht. Die Leute schreien. Neuner alles im Leben Gottes Wille, stößt ein paar Atemwölkchen in die Luft, die Enkelin sieht das ähn- um ihren Puls zu zähmen. Langsam senkt lich: „Ich mach mir keinen sie ihre Waffe auf Schusshöhe. Stress“, sagt sie und lässt die Dann ist es still. 22000 Menschen und Beine von der Metallkiste kein Laut. baumeln. „Mit der Einstel- Ein Knall, ein metallisches Klacken, eine lung kann ich locker blei- weiße Klappe fällt vor das schwarze Loch, ben.“ „hey!“, rufen die Leute, viermal geht das so, Im Dezember erkoren die nur auf den vorletzten Schuss folgt ein har- deutschen Sportjournalisten tes Pling, das Loch bleibt schwarz – „ooh!“ sie zur Sportlerin des Jah- Das reicht für den Sieg. Auf der Video- res, als dritte Biathletin in wand sieht man sie auf der Schlussrunde Folge. Was vor allem dafür durch den Wald gleiten, allein und mit spricht, dass Neuner eine raumgreifenden Schritten, und als sie ins eigene Note ins Spiel bringt: Ziel kommt, umtost vom Jubel, lächelt sie der Darling zu sein. Uschi und winkt mit einem schwarz-rot-golde- Disl, 2005 gewählt, hatte nen Fähnchen, während die ersten Verfol- nach ihrem WM-Sieg gesagt, gerinnen eine Minute später keuchend in „now can come what want“, den Schnee sinken. und mehr lohnt es sich über Neuner ist das neue Gesicht des Biath- sie kaum zu erwähnen. Und lon. Erst vor einem Jahr gewann sie, auch , Jahrgangs- das in Oberhof, das erste Weltcuprennen beste 2006, ist klug und ihrer Karriere. Einen Monat danach war sie schlagfertig, aber zu kantig dreifache Weltmeisterin, und wenn am für einen Liebling. kommenden Samstag im schwedischen Kati Wilhelm führt derzeit Östersund die Titelkämpfe dieses Winters im Weltcup, nicht Neuner. beginnen, wird sie erst 21 Jahre alt. Wilhelm trägt knallrot ge- Sie betreibt eine Sportart, in der es in färbte Haare und Augen- Deutschland vor Olympiasiegern, Welt- brauen, und dass sich der meistern und Weltcupgewinnern wimmelt Ton mit dem Rot ihrer Müt- – und die Einschaltquoten erreicht, dass Werbefigur Neuner: Außerdem spielt sie Harfe ze beißt, ist ihr offensicht- die ARD nicht nur echte Wettkämpfe über- lich egal. 31 Jahre ist sie alt, trägt, sondern auch samstagabends das Man braucht sie nur anzutippen, und sie und als sie einmal mit Magdalena Neuner „Star-Biathlon“, eine Unterhaltungsshow redet. Sie mag es, etwas preiszugeben, und und deren Freund ins Kino ging, „ist mir mit Jörg Pilawa. So groß ist der Unterhal- seien es ein paar Auskünfte über Leben aufgefallen, dass ich von uns die Oma tungswert des Biathlon geworden, dass und Laufbahn, beides fest verbunden mit war“, sagt sie. 2001 wurde sie erstmals Leute wie Schauspielerin Caroline Beil ihrem oberbayerischen Heimatort Wallgau. Weltmeisterin, im Jahr darauf Olympia- oder Fernsehkoch Johann Lafer, die man Mit vier stellten die Eltern sie erstmals siegerin, lange ist das nicht her. „Mittler- eher im Dschungelcamp vermutet hätte, auf Bretter, mit sechs kam sie in die Lang- weile wird man mit einem Sieg ganz anders zur besten Sendezeit in der Loipe herum- laufgruppe des Wallgauer Skiclubs. Mit wahrgenommen. Wir Alten sind schon rutschen und drauflosballern. neun sagte ihr ein Freund, er gehe mal lange dabei, und wenn dann so ’n junges Magdalena Neuner sitzt in einem Flach- beim Biathlon-Training vorbei, „ich wusste Mädel kommt, stürzen sich alle drauf. bau der Oberhofer Biathlon-Arena, „Tech- gar nicht, was das ist“, erzählt sie. „Ich Magdalena hat mehr auszuhalten als ich nikraum“ steht an der Tür, um sie herum fand das sehr aufregend und hatte einen damals.“ verschrammte Metallkisten, Kartons, Rech- Riesenspaß, das macht es mir nach wie vor, Als die Weltmeisterin Neuner zurück- ner summen leise im Schrank. Sie legt ihre nur Langlaufen wäre mir zu langweilig.“ kam ins beschauliche Wallgau, war ein Jacke zur Seite und nimmt die Strickmüt- Es kommt der Zeitpunkt, an dem sie Stück dieser Beschaulichkeit verschwun- ze ab, das brünett gefärbte Blondhaar ist sich zwischen Schule und Leistungssport den. Fremde schauten bei der Familie plattgedrückt, es ist ihre erste Pause nach entscheiden muss. Nach dem Realschulab- durchs Fenster. Die Tochter hatte einen

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Termin nach dem anderen, Auftritte und verdacht ziehen. Sie kann sich nur immer gigen Instanz, die gar nicht erst in Versu- Interviews, bis der Vater ihr eine Pause wieder testen lassen. chung käme, etwas zu vertuschen, wenn verordnete. „Für mich war es das Wich- Vor kurzem klagte Magdalena Neuner der Sportler vielleicht doch zu prominent tigste: zu lernen, nein zu sagen“, sagt sie. darüber, dass sie im Sommer kein einziges gerät, um angeprangert zu werden. Wenn jetzt jemand nach Wallgau reise und Mal kontrolliert worden sei. Sie weiß, dass Stephan Peplies betritt die Lobby eines dort die Einwohner nach ihrer Adresse fra- Doping gerade außerhalb der Wettkampf- Frankfurter Flughafenhotels, ein etwas un- ge, „dann halten alle dicht“. Nachdem sie zeit nützt, weil dann im Training die tersetzter Mann mittleren Alters, er trägt sich von ihrem Freund, einem ehemaligen Grundlagen für die Rennen geschaffen einen dunkelgrauen Anzug und zwei Ta- Biathleten aus Österreich, getrennt hatte, werden. Also sind unangekündigte Tests schen in den Händen. Er setzt sich in einen verkündete „Bild“ das mit der Schlagzeile: sinnvoll. Doch erst im Oktober seien end- der Ledersessel, zieht eine Klarsichthülle „Gold-Lena – Liebes-Aus“. Illustriert mit lich wieder Kontrolleure bei ihr aufge- heraus und legt ein Papier auf den Tisch. vier Fotos, auf dem größten läuft sie am taucht, erzählt Neuner. „Pressemitteilung“ steht da. Und, fett ge- Strand von Fuerteventura fröhlich durch „Bei den Radsportlern war im Sommer druckt: „Vermarktung der dreifachen Bi- die Meeresbrandung. Ihre Gemütsverfas- viel los, und dann hört man oft: Im Winter athlon-Weltmeisterin Magdalena Neuner“. sung dürfte eine andere gewesen sein. sind es dann die Skilangläufer und Biath- Er ist ihr Manager, und er ist sichtbar Dabei war das für die junge Athletin leten“, sagt Neuner. „Wie sollen wir denn stolz auf das Papier, auf dem zehn Namen womöglich gar nicht einmal die unan- zeigen, dass bei uns nichts läuft, wenn nie- aufgelistet sind. Zehn Sponsoren, das ist genehmste Nachricht der letzten Zeit. mand kommt?“ viel für eine junge Biathletin. Vergangene Woche meldeten Doping- Tests sind vor allem eine Frage des „Nach ihren WM-Siegen“, sagt Peplies, Kontrolleure der Internationalen Biathlon Geldes, im Vorjahr reichte der Etat der „hatten wir rund 80 ernstzunehmende Union, dass sie eine finnische Athletin Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) Anfragen aus der Wirtschaft, ich betone: positiv getestet hatten. Kaisa Varis war von gerade für 200 Kontrollen bei 380 Skisport- ernstzunehmende Anfragen. Von Unter- den Fahndern durch eine Probe nach dem lern aus. Dieses Jahr kann die Nada häufi- nehmen mit Marktbedeutung in ihrer Massenstart-Wettbewerb von Oberhof er- ger testen, und sie wird sich auf Spitzen- Branche, mit Reputation, mit bedeuten- wischt worden – nach jenem Rennen, das sportler konzentrieren. Für die Athleten des den Marketingbudgets.“ Er faltet seine Magdalena Neuner klar gewonnen hatte. Deutschen Skiverbands (DSV) sind mehr Hände und lehnt sich zurück. Tage zuvor wurde in den Medien speku- als 500 Kontrollen eingeplant. Außerdem Peplies betreut mit seiner Beratungsfir- liert, dass auch deutsche Biathleten hat der DSV eine Blutdatenbank angelegt, ma insgesamt neun deutsche Biathletin- Kunden eines Wiener Blutlabors gewesen in der medizinische Werte gespeichert wer- nen, Magdalena Neuner ist sein Juwel, sein sollen. den, die Sportler müssen einen Athleten- aber er gehört nicht zu den Managern, die Sie selbst kann vieles in ihrem Dasein pass führen, in dem sie alles Relevante ihre Klienten mit Haut und Haar an die beeinflussen, sie kann sich von ihrem abheften, von den Durchschlägen der Do- Sponsoren verkaufen. Neuner beansprucht Freund trennen oder nicht, sie kann viel ping-Kontrollen bis hin zu Notizen über für sich, ihren Namen nur für Produkte trainieren oder wenig, im Verborgenen le- eingenommene Nahrungsergänzungsmittel. herzugeben, die sie mag. Also hat sie dar- ben oder öffentlich – aber sie kann kaum Die Athleten wissen nun, dass ihr Blut- auf verzichtet, für viel Geld beim Energy- etwas dagegen tun, wenn andere Athletin- bild detailliert analysiert werden kann. drink-Hersteller Red Bull zu unterschrei- nen dopen und einen betrugsanfälligen Aber es ist nur ein Schritt. Denn die Daten ben, weil ihr das Getränk nicht schmeckt. Ausdauersport wie Biathlon in General- liegen beim DSV statt bei einer unabhän- Stattdessen wirbt sie für Strickgarne, ein Bankhaus, einen Schuhversandhandel, ein Pflanzentonikum, Heizgeräte, solche soli- den Sachen. Wenn alles gut läuft und sie wirklich zu einem Liebling der Deutschen wird, so wie Steffi Graf das geschafft hat, kann Neuner ihr Leben lang werben. Reklame braucht Vertrauen, Reklame braucht Authentizität und Glaubwürdig- keit. Doping zerstört all das. Ein Doper ist werbetechnisch tot. Das ist das Spannungsfeld, in dem Mag- dalena Neuner lebt. Kein deutscher Sport- ler verströmt derzeit so viel heile Welt wie Magdalena Neuner, eine unbeschwert und unverfälscht wirkende junge Frau. Ande- rerseits dopen Biathleten, zumindest eini- ge, das beweisen die Kontrollen, und Neu- ner ist nicht deshalb so erfolgreich, weil sie eine zielsichere Schützin ist, sondern weil sie schneller läuft als alle anderen. Ein reines Image zu bewahren ist schwer in Zeiten der Betrugsskandale. Magdalena Neuner hat das neulich zu spüren bekommen, als sie im Gästebuch ih- rer Fanseite einen Eintrag las: Er sei ja nur Realist, schrieb dort jemand, normal sei ihre Leistung ja nicht. „So was tut richtig weh“, sagt sie trotzig. „Da denke ich mir: Für was trainiere ich das ganze Jahr, wenn

GÜNTER SCHIFFMANN / PICTURE-ALLIANCE / DPA GÜNTER SCHIFFMANN / PICTURE-ALLIANCE mir eh keiner glaubt, dass ich sauber Publikumsmagnet Biathlon (in ): 22000 Menschen und kein Laut bin?“ Detlef Hacke

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