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von weiten Höhenflügen der Fantasie oder Yorker Kritiker verwendeten es prompt ge- ‘Jekyll & Hyde’ ist ein spannendes, gut ge- ausgefeilter Deutungskunst abhält. Das Er- gen ihn); für ‘Jekyll & Hyde’ hat er eine machtes Musical, kein Zweifel. Auf den gebnis könnte man mit dem Prädikat Partitur geschrieben, die sowohl seine Stär- ersten Blick untersucht die interessante zweckdienlich beschreiben. ken wie seine Schwächen klar zutage treten Komposition dramatisch und musikalisch lässt. Manchmal nämlich übertreibt er es die dunkle Seite der menschlichen Psyche; Womit wir bei den Songs von Frank Wild- einfach bei gewissen Songs und steigert die wenn es jedoch um höhere, erhabene Werte horn und Leslie Bricusse wären. Der schät- Melodie von einem schönen, einnehmenden geht, dann verliert das Stück rasch an Qua- zenswerte Bricusse hat Songtexte verfasst, Beginn ins laute, vorhersehbare Crescendo. lität und Überzeugungskraft. Das Einzige, die bestens in die Zeit und die düstere Ge- Das macht er leider viel zu oft, anstatt sein was dieses Revival wirklich vor der öden schichte passen, obwohl man hier kaum die zweifellos vorhandenes Talent anders einzu- Langeweile rettet, ist das große Charisma raffinierten Zutaten und reiche Wortgewalt setzen. Am besten sind seine Balladen, vor seiner beiden Hauptdarsteller. Sie aber soll- findet, die er so oft in anderen Stücken be- allem für die beiden Damen, etwa in den ten durchaus genügen, nicht nur die “Jek- wiesen hat. Die Musik ist noch mal eine Songs, die er für seine damalige Ehefrau kies”, die ausgewiesenen Fans der Show, andere Geschichte. Einst wurde Frank Linda Eder schrieb: “Bring on the men”, sondern auch andere Zuschauer mit der Wildhorn heftig für den Wirbel kritisiert, “Someone like you” und “A new life”, Laufzeit bis Ende Juni glücklich zu ma- den er um seine vier gleichzeitig am Broad- großartige Momente, bei denen man den chen. way laufenden Musicals machte (die New Atem anhält.

Pippin – Musik/Texte: Stephen Schwartz; Buch: Roger O. Hirson; Regie: ; Choreografie: Chet Walker; Zirkus-Einlagen: Gypsy Snyder/Les 7 doigts de la main; Bühne: Scott Pask; Kostüme: Dominique Lemieux; Licht: Kenneth Posner; Orchestrierung: Larry Hochman; Arrangements/Musical Supervision: Nadia DuGiallonardo; Musikalische Leitung: Charlie Alterman. Darsteller: u.a. (), (Leading Player), (Charles), Charlotte d'Amboise (Fastrada), (Catherine), (Berthe), Erik Altemus (Lewis). Broadway-Premiere: 23.10.1972, Imperial Theatre, New York. Broadway-Revival- Premiere: 25.04.2013, , New York. www.pippinthemusical.com

Pippin

Eine sensationelle Mega-Produktion von Didier C. Deutsch

Vor zwei Spielzeiten hatte sich Regisseurin latte für exzellente künstlerische Errungen- Es ist die allererste Neuinszenierung des Diane Paulus derart an ‘Porgy And Bess’ schaften am Broadway um einige Stufen Werkes am Broadway, das damals schon be- vergangen, dass sie damit einen erzürnten nach oben. achtliche 1.944 Vorstellungen hingelegt Kommentar von keinem Geringeren als hatte. Genau wie ‘Goodtime Charley’ oder Stephen Sondheim provozierte. Nun ent- Mit Patina Miller führt ausgerechnet der ‘Rex’ zuvor erhebt ‘Pippin’ keinerlei An- schädigt sie uns dafür mit einer großarti- Wirbelwind das tolle Ensemble an, der vor sprüche auf eine korrekte Wiedergabe sei- gen, turbulenten Megaproduktion von drei Jahren in ‘Sister Act’ einen so wunder- nes historischen Inhalts, ganz im Gegenteil; ‘Pippin’, die all das bietet, was ein Broad- baren Einstand gegeben hatte, außerdem das manchmal herrlich alberne Buch beruht way-Musical haben muss: Sie ist spannend, lässt Choreograf Chet Walker mit grandio- zwar auf der Geschichte Karls des Großen einfallsreich, unglaublich anregend, sie sem Effekt den Stil des verstorbenen Bob und seines angeblichen Erben, scheut aber dürfte in die Annalen des Genres eingehen Fosse wiederauferstehen (der für die Ori- historische Fakten und gibt dem Titelhel- als eine der größten Shows, die je auf die ginalinszenierung 1972 mehrere Tony den stattdessen ein sehr modernes Ziel: die Bühnenbretter dieser Erde kamen. Awards geholt hatte). Gemeinsam mit ih- Suche nach Selbstverwirklichung und Wis- nen hat Paulus das Musical von Hirson und sen. Während Karl und sein anderer Sohn In seinem herrlichen Buch erzählt Roger Stephen Schwartz (Musik und Texte) völlig Ludwig (im Englischen Lewis) auf einem O. Hirson die ironische Saga von Pippin, neu erfunden, das Revival dürfte ihr garan- Feldzug die Westgoten vertreiben, steht der dem mutmaßlichen Thronfolger Karls des tiert genauso viele Preise einbringen. Es ist vom Studium heimgekehrte Pippin vor ei- Großen und in Frankreich wegen seiner bereits in zahlreichen Kategorien nominiert nem ernsthaften Dilemma: Er weiß nicht so winzigen Größe nur Pépin le Bref genannt; und wird im Music Box Theatre sicher genau, was er mit dem Rest seines Lebens Paulus mischt sie nun geschickt mit den noch einige Jahre laufen – als Schlusspunkt anfangen soll, aber er weiß ganz genau, dass Zirkuskunststücken der kanadischen Trup- einer Spielzeit, die wahrhaft einige schöne er, der studierte Thronfolger, nicht in die pe Les 7 doigts de la main (“Die sieben Fin- Produktionen hervorgebracht hat, setzt Fußstapfen seines Vaters treten möchte. ger der Hand”) und hebt damit die Mess- ‘Pippin’ ihnen allen die Krone auf. Wie er in seinem ersten, hymnenartigen

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Rachel Bay Jones (Catherine) und Matthew James Thomas (Pippin) Andrea Martin (Berthe) und Matthew James Thomas (Pippin) Fotos: onMarcus Joan

Terrence Mann (Charles) und Charlotte d'Amboise Patina Miller (Leading Player) und Matthew James Terrence Mann (Charles) und Matthew James (Fastrada) Thomas (Pippin) Thomas (Pippin)

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vorne v.l.n.r. Rachel Bay Jones, Andrea Martin, Patina Miller, Terrence Mann und Charlotte d'Amboise Joan Marcus Fotos:

Matthew James Thomas (Pippin; Mitte) Patina Miller (Leading Player)

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Song “Corner of the sky” singt, will er sich Der Nächste, den man erwähnen muss ist vergangenen Jahren in ‘Chicago’ und ‘A auf die Suche nach dem unmöglichen Broadway-Veteran Terrence Mann, der als Chorus Line’. Traum begeben. Karl der Große eine willkommene Rück- kehr feiert, obwohl die Rolle deutlich we- Schließlich gehört auch noch Rachel Bay Die Suche nach Selbsterfüllung bringt ihn niger Ansprüche an ihn stellt als seine bis- Jones zu den Hauptdarstellern, die zuletzt dann ins Haus (und ins Bett) einer aristo- herigen Partien. Dennoch glänzt er mit der im ‘’-Revival und in ‘Women On The kratischen Witwe, wo er mit einer gewissen ganzen Erfahrung, die er in all den Jahren Verge Of A Nervous Breakdown’ zu sehen Enttäuschung herausfindet, dass alles, was in zahlreichen Musicals gesammelt hat. war, wo sie kleinere Rollen spielte. Hier er gesucht hat, schon immer zum Greifen zeigt sie ihr großes Können als Catherine, nahe lag. So weit zur historischen Authen- Andrea Martin, deren beste Auftritte wir in in die sich Pippin am Ende verliebt, und tizität … Jeder Vergleich zum wirklichen ‘’ und ‘’ gese- stoppt in ihrer Solonummer “Kind of wo- Leben dürfte in dieser raffiniert neu erfun- hen haben, hat hier als Pippins Großmutter man” mühelos die Show. denen Legende ein Zufall sein oder ein Berthe nur eine kleinere Rolle, in der sie Trick, um das Publikum noch mehr zu hübsch senil herumtapert – bis sie dann ihr Wenn es der Platz zuließe, dann müsste amüsieren. Kostüm lüftet und darunter eine höchst at- man all die zahlreichen Akrobaten, Luftar- traktive Frau im engen Outfit enthüllt. Sie tisten und Zirkuskünstler einzeln erwäh- Und Erheiterung ist auch der ganze Sub- stürzt sich in eine pseudo-erotische Trapez- nen, denn ihre schillernden, spannenden text dieses Musicals, das keinen anderen nummer mit einem muskulösen Partner, Auftritte tragen so viel zum Glanz dieses Ansatz hat als die pure Unterhaltung. Die- die jene berühmte Kronleuchter-Szene ver- Abends bei. Jeder von ihnen ist ein erst- sen großen Erfolg verdankt es vor allem gessen lässt, mit der vor zwei klassiger Entertainer, aber um ihrer jeweili- dem einfallsreichen Buch von Roger O. Jahren in ‘Nice Work If You Can Get It’ gen und gemeinsamen Leistung wirklich Hirson, das seine Geschichte in der Form mächtig Furore machte. Martin wurde vor gerecht zu werden, muss man die Show ei- einer Parabel erzählt (samt sorgfältig abge- vielen Jahren durch ihre vielen Rollen in gentlich mehrere Male sehen. Unter der teilten Kapiteln!) und das die Dialoge mit der kanadischen Fernsehserie ‘SCTV’ be- Leitung von Gypsy Snider, Mitbegründer Pointen würzt, mit beiseite gesprochenen kannt, sie hat kein bisschen Witz und von Les 7 doigts de la main und hier auf Kommentaren fürs Publikum, überdrehter Charme verloren und ist mit ihrer ruhigen, der Besetzungsliste für die Zirkuseinlagen Unlogik, burlesken Ideen und dem ganzen sicheren Präsenz ein Gewinn für jedes Mu- verantwortlich, verwandeln sie ein wunder- heiteren Material der Vaudeville-Shows. In sical. bares Musical in einen spektakulären Szene gesetzt und angeleitet wird das Abend. Ganze von der Hauptperson des Abends, Eine weitere Rückkehr an den Broadway einem Conférencier, der als Erster Schau- feiert Charlotte d'Amboise mit einem spritzi- Dennoch bleibt am Ende Diane Paulus die spieler auf dem Besetzungszettel steht, dem gen, verblüffenden Auftritt als herrliche Gesamtverantwortliche für Konzept und Gastgeber des gesamten Abends sozusagen Schönheit Fastrada. Pippins Stiefmutter hat Inszenierung dieses Abends, die sich hier – die Rolle wurde damals in der Original- ein einziges Ziel im Leben, ihren Sohn endlich als eine große, innovative Regisseu- produktion für Ben Vereen geschrieben. Ludwig (Erik Altemus) auf dem Thron zu rin erweist und dem Broadway ihre ganz sehen, wenn Karl der Große schließlich ab- eigene Art von Kreativität schenkt – mit Wie bereits erwähnt, ist sie hier mit Patina tritt. In mehreren Szenen, zu denen Kos- sensationellem Ergebnis. Wenn andere Mu- Miller besetzt, direkt nach ihrem Riesener- tümwechsel von geradezu magischer sicals gekommen und längst wieder gegan- folg in ‘Sister Act’. Damals hatte sie den Schnelligkeit gehören, erweist sich die gen sind, wird ihr ‘Pippin’ noch immer ein wohlverdienten Tony Award noch an Schauspielerin und Tänzerin als wunderbare Abend sein, über den jeder spricht. Catherine Zeta-Jones in ‘A Little Night Zutat dieser Aufführung, genau wie in den Music’ verloren (was sie wohl der Tatsache zu verdanken hatte, dass ihre Rivalin eine quasi unerreichbare Filmgöttin war), jetzt aber hat sie die Anerkennung für ihren brillanten Beitrag zu dieser Produktion ga- Reaktionen der amerikanischen Presse rantiert sicher. Mit feinem, unermüdlichem Talk about going out with a bang! Broad- the mysterious players and zooms up the Charme porträtiert sie den ungewöhnlichen way's ending its season with a sensational physicality of the story. Conférencier in reizender Komplizenschaft, revival of ‘Pippin’ – a thrilling piece of Mark Kennedy, Associated Press stets mit einem Augenzwinkern zum Pub- eye-popping razzle dazzle filled with likum. Die Darstellerin von statuengleicher daredevil acrobatics. Paulus has had the inspired idea of ma- Schönheit spielt einfach wunderbar und Elisabeth Vincentelli, New York Post king the company a troupe of circus präsentiert hier wirklich alle ihre Talente performers, who execute a profusion of als perfekte Entertainerin. The brilliant new production of ‘Pippin’, wondrous acrobatics, many of which a 1972 coming-of-age tale, boasts every- Paulus smartly integrates into the story. Neben ihr wirkt Matthew James Thomas, der thing you could dream of in a musical – The eye-popping action thus propels the zuletzt in ‘Spider-Man: Turn Off The Dark’ including Stephen Schwartz’s terrifically show forward. zu sehen war, genauso unschuldig und jun- tuneful songs – and a few things you Erik Haagensen, Backstage genhaft, wie es seine relativ zurückhaltende couldn't even imagine. und farblose Rolle erfordert; Pippin hebt Joe Dziemianowicz, New York Daily News Diane Paulus' Broadway revival of the sich dadurch von all dem Glitter und Glit- 1972 musical is massively, almost over- zer um ihn herum ab. Mit schönem Effekt Paulus has transformed the players into a whelmingly entertaining, even if its präsentiert er seine Stimme in den vielen troupe of circus performers, and it's a audacious razzle-dazzle doesn’t mask the Solonummern, vor allem im bekannten stroke of genius. It allows for a Big Top limitations of its book. Still, fans of this “Corner of the sky”. theme – think fire jugglers, teeterboards, much-loved show couldn’t ask for a more knife throwing and contortionists – but energized production. also teases out the wandering nature of David Rooney, The Hollywood Reporter

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