Sport

SCHWIMMEN Die Deutsche und die Diva und sind derzeit die besten Schwimmerinnen Europas. Bei der WM in wollen sie die Konkurrenz aus den USA und Australien besiegen. Ansonsten leben sie in unterschiedlichen Welten: Die Französin inszeniert sich wie ein Popstar, die Berlinerin grübelt.

ber Nacht ist es kalt geworden auf Gran Canaria. Britta Steffen steht Ümit Mütze und dicker Jacke neben dem Trainingsbecken des Wassersportclubs Natación Metropole in Las Palmas. Es ist sieben Uhr am Morgen. Ein paar Kollegen, die sich hier mit ihr auf die Weltmeister- schaft in Melbourne vorbereiten, ziehen bereits ihre Bahnen. Sie streckt die Hand in den Pool und schüttelt den Kopf. Die Wassertemperatur ist auf 24 Grad abgesackt. Das ist wenig für ein zweistün- diges Trainingsprogramm. Steffen guckt aufs Wasser und überlegt. Australische Wissenschaftler haben in einer Langzeitstudie ermittelt, was eine Erkältung kurz vor einem wichtigen Wett- kampf bei einem Leistungsschwimmer be- wirkt: Er verliert dadurch genau einen Rang. Silber statt Gold. Steffen packt ihre Tasche und geht in den Fitnessraum im Hotel. Sie steigt aufs Laufband, aufs Trimmrad, stemmt Hanteln und bearbeitet sämtliche Kraftmaschinen. Alles in allem trainiert sie fast drei Stunden lang. Ein paar Hausfrauen, die längst aufgegeben haben, gucken sie verblüfft an. So dünn und doch so kräftig. Es sind bewundernde Blicke. Steffen mag sie nicht. Sie will sich nicht bewun- dern lassen. Sie verschwindet, ohne sich den Schweiß abzutrocknen. Würden Sportler nach Trainingsleistung bezahlt, müsste Britta Steffen dreimal so viel verdienen wie ein Profi-Fußballer. Die Weltrekordhalterin über 100 Meter Freistil trainiert täglich fünf bis sechs Stunden lang. Pro Woche schwimmt sie mindestens 60 Kilometer. Sie hat im Jahr nur zwei Wochen Urlaub. Es ist ein Leben, das man nur führen kann, wenn man Erfolge hat, an denen man sich immer weiterhangeln kann bis zum nächsten Ziel. Bei Steffen ist die Kette einmal gerissen. Bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen blieb sie weit hinter ihren Erwar- tungen zurück. Sie hörte mit dem Sport auf. Doch nach acht Monaten war auch das wilde Studentenleben nicht das Rich- tige. Mit der Hilfe einer Psychologin schaff- te sie einen Neustart. Bei der Europameisterschaft voriges

Jahr in gewann die Berlinerin DPA / PICTURE-ALLIANCE/ GERO BRELOER dann überraschend vier Goldmedaillen. Schwimmerin Steffen: „Ich bin wertvoll, auch wenn ich nicht gewinne“

142 der spiegel 12/2007 Steffen war genauso erfolgreich wie die dere Leistungsschau. Schwimmer sind in Lyon. Sie tritt hier bei der Coupe de französische Wunderschwimmerin Laure Australien Helden. 20000 Zuschauer wer- an, einer Wettkampfserie, die wegen des Manaudou. Manche nannten sie schon die den bei den Wettkämpfen in der umge- frühen WM-Termins in Australien abge- neue . Nun tritt Stef- bauten Rod-Laver-Tennis-Arena täglich er- kürzt wurde. fen ein weiteres Mal an. Sie ist jetzt 23 Jah- wartet. Die Medien werden ein mächtiges Der Hallensprecher ruft ihren Finallauf re alt. Es ist also noch nicht zu spät. Dies- Spektakel veranstalten. Es ist eine ideale über 400 Meter auf. Sie lässt sich nicht aus mal kämpft sie in Melbourne um die Fort- Bühne für Selbstdarsteller. Man kann mit der Ruhe bringen. Sie tippt eine SMS an setzung ihrer verspäteten Karriere – und einem Schlag groß rauskommen. ihren Freund in ihr Handy. Erst als die Kol- darum, dass man ihr endlich glaubt. „Oder man säuft ab“, sagt die franzö- leginnen schon bereitstehen, erhebt sich Großereignisse sind für Sportler wie sische Olympiasiegerin Laure Manaudou. Manaudou. Sie ist groß und schlank. Sie eine Börse. Sie wissen danach ziemlich Sie grinst. küsst die Linse einer Fernsehkamera, eine genau, welchen Marktwert sie haben. Die Manaudou sitzt, umringt von Kameras, von vielen, die auf sie gerichtet sind, dann WM in Melbourne ist eine ganz beson- am Beckenrand im Leistungszentrum in steigt sie auf den Startblock. Gut vier Mi- nuten später kommt sie als Siegerin des Rennens zurück. Sie posiert vor den Foto- grafen, zeigt ihnen den grünen Schmetter- ling, den sie sich aufs Schulterblatt täto- wieren ließ. Man muss sich wohl keine Sorgen ma- chen um Laure Manaudou in Melbourne. Steffen und Manaudou sind derzeit die besten Schwimmerinnen Europas. Bei der WM werden sie die großen Herausforderer der Stars aus Australien und den USA sein. Ansonsten leben sie in unterschiedlichen Welten. Laure Manaudou, die als 17-Jährige in Athen Olympiasiegerin wurde, ist ein Bei- spiel dafür, was passiert, wenn sich ein Land Hals über Kopf in eine Sportlerin verliebt. Sie verdient rund eine Million Euro im Jahr nur durch Sponsorengelder. Sie bekommt Angebote von Plattenfirmen. Bei den Filmfestspielen in Cannes wurde sie in Kleidern von Dior und Gaultier ab- gelichtet. Britta Steffen hat jetzt einen Ausrüster- vertrag mit Adidas. Ansonsten ist sie vor- wiegend damit beschäftigt, darum zu kämpfen, dass ihr die Leute in Deutschland endlich vertrauen. Der Erfolg von Britta Steffen bei der EM in Budapest war eine Überraschung. Sie hatte vorher nie etwas Großes gewonnen, sie tauchte auf wie aus dem Nichts. Es war ein schlechter Zeitpunkt für ein Sportwunder. In Deutschland kursierte ge- rade der Verdacht gegen Jan Ullrich, auch so ein vermeintliches Supertalent. Immer wenn Steffen aus dem Wasser stieg, be- obachtete man sie skeptisch. So dünn und so kräftig. Geht das? Nach ihrem vierten Sieg fragte ein Reporter: „Und was haben Sie genommen?“ Es regnet auf Gran Canaria. Steffen kann wieder nur im Kraftraum trainieren. Aber es ist trotzdem ein guter Tag. Sie krempelt den Ärmel ihres rechten Arms hoch. „Hier“, sagt sie und deutet auf einen Einstich in der Armbeuge. Am Morgen war eine Frau von der Na- tionalen Anti-Doping-Agentur (Nada) aus Bonn im Hotel und bat zum Dopingtest. „Blut und Pipi“, sagt Steffen. Sie ist total aufgedreht. Doping ist für Sportler eigentlich ein unangenehmes Thema. Es macht ihnen

SYLVIE LANCRENON / H&K SYLVIE Angst, selbst wenn sie sich nichts vorzu- Model Manaudou: Küsse für die Kameras werfen haben. Britta Steffen hat kein Pro-

der spiegel 12/2007 143 Sport blem, darüber zu reden. Auch das gehört Manaudou sitzt neben ihm und platzt Steffen hat darüber oft mit ihrer Psy- zu ihrem Karriereplan. fast vor Lachen. Sie bringt die Aufnahme- chologin gesprochen. Es kam heraus: Sie Als Steffen nach der EM in Budapest geräte der Journalisten besser in Position, kämpft noch mit sich. Prominenz kann für nach Hause kam und jeder nur nach Do- damit nichts von der Rede ihres Trainers einen sensiblen Menschen die Hölle sein. ping fragte, reagierte sie wütend. Ihre Ma- verlorengeht. Es ist eine tolle Show. „Und ich bin nah am Wasser gebaut“, sagt nagerin Regine Eichhorn erklärte ihr dann, Manaudou und Lucas geben seit Jahren Steffen. Sie ist nicht der Typ, der sich in- dass dies keinen Sinn mache in Zeiten des Rätsel auf. Sie verließ mit 14 Jahren das szeniert, sie ist nicht so extrovertiert wie Generalverdachts. Haus ihrer Eltern nahe Lyon und zog zu Manaudou. Sie grübelt. Steffen startete eine Gegenoffensive. Sie ihrem Coach nach Melun bei Paris. Er, so „Ich merke, dass ich schon ein wenig gab Blut ab für ein DNA-Profil, sie ließ heißt es, benehme sich bisweilen wie ein von meiner Unbefangenheit verloren Blut einfrieren, damit auch nach dem Ende rüder Dompteur. habe“, sagt sie. „Ich erzähle manchmal gar ihrer Karriere Proben zur Verfügung ste- Es gibt in Frankreich eine große Sehn- nichts mehr von mir, aus Angst, die Leute hen, die mit neuesten Testverfahren un- sucht nach geheimnisvollen Sporthelden. könnten etwas falsch verstehen und dann tersucht werden können. Sie bemühte sich Jahrelang hing man der 400-Meter-Olym- denken, ich sei arrogant.“ bei einschlägigen Kontrolllaboren um pri- piasiegerin Marie-José Pérec nach, deren Franziska van Almsick, ihrer einstigen vate Tests, was die hiesigen Regularien je- Karriere unter mysteriösen Umständen bei Trainingspartnerin bei der SG Neukölln doch untersagen. Ständig lag sie der Nada den Olympischen Spielen 2000 in Sydney , erging es am Anfang ihrer Karriere in den Ohren, man solle sie bitte häufiger endete. Sie reiste kurz vor dem ersten Ren- ähnlich. Als der öffentliche Druck dann zu kontrollieren. nen einfach ab und verschwand. Nun er- groß wurde, versuchte sie auszubrechen Steffen kann jetzt behaupten, zu den am freut man sich an den Mätzchen von Laure und begann zu rauchen und zuzunehmen. besten überwachten Sportlern in Deutsch- Manaudou. Steffen sagt, ihr werde so was nicht pas- land zu zählen. In den vergangenen vier Neulich schaffte sie es in die französi- sieren. Sie liest Motivationsbücher. „Ich Monaten wurde sie sechsmal auf Doping schen Gesellschaftsmagazine, nur weil sie habe gelernt, mich abzukoppeln, ich weiß, getestet. Manchmal wirkt ihre Offenheit mit einer Badekappe der italienischen Na- dass ich ein wertvoller Mensch bin, auch skurril. Steffen rutscht auf dem Stuhl nach tionalmannschaft startete. Es war ein Gruß wenn ich nicht gewinne.“ vorn und sagt: „Ich habe übrigens starke Akne.“ Dann erklärt sie, dass die Hautkrankheit unter Do- pingexperten als Indiz für Ana- bolikamissbrauch gilt. „Habe ich jetzt wieder ein Problem?“ Laure Manaudou redet nicht so viel über Doping. Sie erklärte vor einiger Zeit einmal, ein Blutge- rinnungsfaktor sei bei ihr extrem hoch, sie könne deshalb gar nicht dopen, das wäre in ihrem Fall nämlich lebensgefährlich. Nun fragt niemand mehr. Es gibt auch sonst genug zu besprechen. Nach dem ersten Wettkampf- tag in Lyon sitzt Manaudou im MARIE DORIGNY / H&K MARIE überfüllten Pressezimmer vor PERENYI LACI zwei Dutzend Journalisten. Es ist Europameisterin Steffen, Olympiasiegerin Manaudou (mit Trainer Lucas): Verlust der Unbefangenheit stickig und heiß. Die erste Frage lautet: „Laure, wen fürchtest du in Austra- an ihren Freund, den Schwimmer Luca Am Sonntag beginnen in Melbourne die lien am meisten?“ Sie sagt: „Die Haie.“ Marin aus Sizilien. Wettkämpfe. Manaudou und Steffen wer- Alle lachen. Britta Steffen hat in den vergangenen den nur in der Staffel direkte Konkur- Neben Manaudou sitzt ihr Trainer Phi- Monaten auch ein paar Ausflüge abseits rentinnen sein, weil sie unterschiedliche lippe Lucas. Er ist ein großer Fan von des Schwimmbads unternommen. Sie ge- Strecken schwimmen. Sie sagen, die WM Johnny Hallyday. Er hat lange blond-graue wann an der Seite von Reinhold Beckmann sei nur eine Durchgangsstation zu den Haare, trägt ein knallrotes Tank-Top mit 50000 Euro in der Promi-Rate-Show von Olympischen Spielen kommendes Jahr in der Aufschrift „Warning“, an jedem Hand- Jörg Pilawa, und sie hatte einen Auftritt Peking. gelenk klimpern ein Dutzend Silberreifen. bei „Wetten, dass …?“. Sie musste ein Auto Aber sie wollen dennoch ihre Titel. Er könnte auch der Präsident einer Harley- auf die Bühne fahren. Aber das Fernsehen Manaudou, weil sie gewohnt ist zu gewin- Clique sein. ist „nicht meine Welt“, sagt sie. nen. Steffen, damit ihre Geschichte erst Lucas und Manaudou sind ein seltsames Sie stellt sich nicht gern aus. Sie fühle mal irgendwie weitergeht. Team. Während sie spricht, rollt er mit den sich dabei immer irgendwie ausgeliefert. Denn es gibt Seiten an ihrem neuen Le- Augen und zieht die ganze Zeit Grimassen, „Ich weiß ja nicht, was in den Leuten vor- ben, die ihr langsam gefallen. Neulich war es sieht aus wie bei Jack Nicholson. Nach geht, die mich sehen, ich kann nicht rea- sie bei einem Fotoshooting für die Zeit- einer Viertelstunde meldet sich Lucas zu gieren, wenn sie mich falsch einschätzen. schrift „Vanity Fair“. Es war interessant. Wort. Ich bin da also im Nachteil“, sagt sie. Man betrachtete sie nicht nur als Sport- Er sagt, dass die bisherigen Leistungen Steffen fühlt sich dort am wohlsten, wo lerin, sondern als Frau. Es gibt jetzt schö- seiner Sportlerin bei dem Wettkampf in sie sich auskennt: „Im Schwimmbecken.“ ne Bilder von ihr. Sie ist stolz. Lyon „Schrott“ gewesen seien. Er sagt, Ihretwegen müsste sich nichts ändern. Sie Das Beste an dem Termin aber war, dass dass sie in dieser Form erst gar nicht nach wohnt immer noch in ihrer Einraum- ihr alle Komplimente machten. „Die dach- Australien fahren brauche. Dann schimpft wohnung im Sport-Internat in Berlin-Ho- ten zuerst: Mann, da kommt jetzt so ein Lucas noch über die französische Sport- henschönhausen. Schrank.“ Aber es passten sogar die Mo- förderung und das Wetter. Will sie überhaupt ein Star werden? del-Kleider. Gerhard Pfeil

144 der spiegel 12/2007