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FUSSBALL Häppchen in der Baracke Rosenborg , Geheimfavorit in der Champions League und Bayern Münchens nächster Gegner, steht für den Aufschwung des norwegischen Fußballs. Am Sonntag spielt die deutsche Nationalelf in .

er Tag, an dem für verdreher klang so abschätzig, als wollte er „das Unmögliche möglich“ wurde, ein für alle Mal klarstellen: Zwerge wie Dwar der 4. Dezember 1996. die von der Packeisgrenze haben im ex- An diesem lausig kalten Mittwochabend klusiven Champions-League-Zirkel nichts gastiert der Trainer des norwegischen Fuß- verloren. ballclubs Rosenborg Trondheim mit sei- Inzwischen hat der wendige Fußball- nem Team im San Siro Stadion. Trondheim Kaiser seine Meinung korrigiert. Rosen-

Norwegische Nationalspieler (nach dem 2:1 gegen

Michael Meier, Manager der Westfalen, über die Lehrstunde. Inmitten einer Gesellschaft, in der sich die reichen Clubs jedes Jahr eine neue Welt- auswahl zusammenkaufen, wirkt Rosen- borg Trondheim wie ein Relikt aus der Gründerzeit des Europapokals. Geradezu paradox mutet an, dass der norwegische Fußball ausgerechnet in jenem Jahrzehnt erstrahlt, in dem viele Experten weisma- chen wollen, dass internationale Konkur- renzfähigkeit den Erwerb millionenteurer Stars voraussetzt. In einer Zeit, in der Bayern Münchens

M. KIENZLER / BONGARTS Vizepräsident Karl-Heinz Rummenigge Rosenborg-Stürmer Carew (r.)*: „90 Minuten Vollgas und Spaß dabei“ eine Verdopplung der TV-Gelder for- dert, „um uns in den Top Five in Euro- muss beim AC Mailand gewinnen, um die borg, in der europäischen Edelliga Ende pa halten zu können“, lehrt Trondheim, nächste Runde der Champions League zu des Monats Gruppengegner des FC Bay- dass ein Jahresbudget von rund 25 Mil- erreichen – die Buchmacher grinsen mit- ern, wird von Beckenbauer längst als „Ge- lionen Mark (FC Bayern: rund 210 Mil- leidig jeden Wettnarren an, der sein Geld heimfavorit“ geachtet. lionen Mark) für Spitzenfußball ausrei- auf die Skandinavier setzt. Doch was pas- Schließlich haben nur wenige Mann- chen kann. siert? Rosenborg siegt 2:1. schaften die zweite Runde der Champions Und das scheint andere Vereine zu beflü- „Rosenheim Trondborg“, höhnte der League so souverän erreicht wie die Nor- geln: Vizemeister Molde FK schaltete in der RTL-Sachverständige Franz Beckenbauer weger. Prominentestes Opfer ihrer offen- Qualifikation zur Champions League den damals im Fernsehstudio, und sein Wort- siven Spielkultur: der Titelträger von 1997, spanischen Spitzenclub Real Mallorca aus. Borussia Dortmund. „Die ziehen das Visier Auch die Nationalmannschaft hat sich * Im Zweikampf mit dem Dortmunder Jürgen Kohler runter, geben 90 Minuten Vollgas und ha- Respekt verschafft: Zweimal haben die beim 3:0-Sieg am 19. Oktober im Westfalenstadion. ben auch noch Spaß dabei“, schwärmt Norweger in den beiden vergangenen Jah-

300 der spiegel 45/1999 WEREK Brasilien bei der WM 1998): Überwintern auf dem mediterranen Stützpunkt

ren Brasilien bezwungen. Und vor wenigen sche Fußball-Bund Mitglieder zählt (6,2 Rosenborg Trondheim hat sich trotz al- Wochen qualifizierte sich das Team ohne Millionen), doch die Ressourcen werden ler Zugeständnisse an den Zeitgeist – im erkennbare Mühe zum ersten Mal für eine optimal genutzt. Wie wohl in keinem an- nächsten Jahr wird das Lerkendal-Stadion Europameisterschaft. deren Land wurde die Ausbildung für Fuß- für 100 Millionen Mark in eine reine Fuß- Da kommt das Freundschaftsspiel am baller in den letzten zehn Jahren verbes- ballarena umgebaut – Erdnähe bewahrt. Sonntag gegen Titelverteidiger Deutsch- sert. Der Verband engagierte mehr als Die Geschäftsstelle ist in einer einstöckigen land gerade recht. , jahre- ein Dutzend hauptberuflicher Trainer, die Baracke untergebracht, die von den deut- lang Abwehrchef bei Werder Bremen und sich zwischen Oslo und Hammerfest aus- schen Besatzern im Zweiten Weltkrieg als seit 1994 Manager von Rosenborg Trond- schließlich um die Förderung von Talen- Proviantlager errichtet worden war. heim, orakelt: „Ich wäre überrascht, wenn ten kümmern. Rune Bratseth schenkt Kaffee aus einer die Deutschen in Oslo gewinnen.“ Der Plan geht auf. Von landesweit Thermoskanne nach und bedient sich am Zwar leben in Norwegen deutlich weni- 300000 Spielern sind mehr als zwei Drittel Büfett. Gereicht werden Roastbeefhäpp- ger Menschen (4,4 Millionen), als der Deut- unter 15 Jahre alt. Selbst nördlich des chen und Obstsalat, übrig geblieben vom Polarkreises können die Kicker das ganze Vorabend beim Champions-League-Spiel Jahr trainieren – Norwegen leistet sich gegen Boavista Porto. Der Manager hat mittlerweile mehr als 60 Großfeldhallen sich an einem großen Tisch im Gemein- mit Kunstrasen. schaftsraum niedergelassen, dem Wohn- Um den langen Wintern zu entfliehen, zimmer des Vereins. Morgens um halb sie- hat sich der Fußballverband gar einen me- ben wird der „husrom“ aufgeschlossen, ge- diterranen Stützpunkt errichtet. In La gen Mitternacht sperrt ihn der Hausmeister Manga bei Alicante entstand eines der wieder zu. größten und modernsten Trainingszentren Hier hocken sie und reden über Fußball: Europas. Alle norwegischen Erstligisten Spieler, Vereinsbosse, Autogrammjäger, können die Anlage nutzen. Auch ausländi- Schulkinder, Rentner und Journalisten. sche Gäste sind gern gesehen. Alex Fergu- Bratseth deutet auf die Grüppchen. „Ro- son, der Coach von Champions-League- senborg-Denken“, sagt er knapp. Was er

A. HASSENSTEIN / BONGARTS A. HASSENSTEIN Gewinner Manchester United, zeigte sich damit meint: sieben Tage in der Woche ein Rosenborg-Manager Bratseth, Trainer Eggen nach einem Trainingslager beeindruckt: offenes Haus zu haben. Und sieben Tage Ministeramt abgelehnt „Wir kommen wieder.“ in der Woche auf dem Boden zu blei-

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Eggen gilt als Sturkopf. Manager Bratseth flachst, der Trainer diskutiere nicht, son- dern er beiße, was ihn auf den Bei- namen „Pit Bull“ brachte. Doch Bratseths Sarkasmus wirkt leicht gekünstelt. Denn die wichtigsten Prinzipien Eggens vertritt der Manager wie seine eigenen. So wird das Vollprofitum in Trondheim als Irrweg der Evolution betrachtet. Ein Drittel ihrer freien Zeit sollen die Spieler ihren Studien oder erlernten Berufen nach- gehen. „Fußballer“, nölt Eggen, „werfen sich doch sonst nach dem Training nur aufs Sofa und schauen schlechte Filme.“ Die Mehrheit der Mannschaft hält sich an den Ukas. Kapitän betätigt sich nebenher als Sozialarbeiter, Mittel- feldspieler Fredrik Winsnes studiert Medi- zin, und Stürmer schafft bei einer TV-Produktionsgesellschaft. Noch auffälliger als die Teilzeitarbeit markiert den Trondheimer Sonderweg al- lerdings der weitgehende Verzicht auf Aus- länder. 22 Spieler stehen momentan im Ro- senborg-Kader – bis auf den isländischen

FOTOS: A. HASSENSTEIN / BONGARTS A. HASSENSTEIN FOTOS: Ersatztorhüter stammen alle aus Norwe- Trondheimer Profis: Schuhe putzen und sich dazu bekennen gen. Zum Vergleich: Glasgow Rangers lief vorige Woche in Mün- ben. Wer für Rosenborg stürmt, putzt sei- chen mit nur einem ne Fußballschuhe selber und bekennt sich schottischen Profi auf, dazu wie Torjäger : „Sonst Chelsea London trat ge- würde ich sie nicht tragen.“ gen Hertha BSC mit Die Autos, die die Spieler vor der Ba- zwei Engländern an. racke abgestellt haben, könnten auch auf Eggen hebt seine dem Personalparkplatz der Hafenpolizei Schultern, als bitte er von Trondheim stehen: Golf, Passat,Vectra. um Verständnis: keine Zwar zahlt kein Fußballverein in Nor- andere Wahl. „Auslän- wegen so gut wie Rosenborg, die Spie- der, die uns voranbrin- ler kassieren im Schnitt ein Grundgehalt gen“, sagt er, „kommen von 200000 Mark. Aber das entspricht in nicht nach Norwegen.“ Deutschland der Gage von manchem Dritt- Sein bedachter Blick auf ligakicker. „Gibt es einen vernünftigen den Nachwuchs im eige- Grund“, fragt Nils Arne Eggen spitz, „war- nen Land ist deshalb so um ein Fußballer doppelt so viel erhält wie Rosenborg-Clubheim: Sieben Tage ein offenes Haus etwas wie der Sieg der der Ministerpräsident?“ Vernunft in einem Ge- Da kommt der Trainer in seinem kaum des früheren Premiers Thorbjörn Jagland, werbe, in dem sich Manager vermehrt über zehn Quadratmeter großen Büro so richtig ein Ministeramt zu übernehmen, hat ihn die „Söldnermentalität“ ihrer Profis be- in Rage. Er senkt seinen Kopf, so dass sein fortlocken können. klagen. Kinn eine dicke Falte wirft, und schaut her- Es ist diese Kontinuität, die den Stil und So lamentiert der Dortmunder Michael ausfordernd über den Rand seiner Lese- die Spielweise des Vereins geprägt haben. Meier: „Die Identifikation mit dem Verein brille. Ein „sozialer Demokrat“ sei er, Eggen ist ein Pedant. Beim täglichen Trai- hat gelitten.“ Und das habe Folgen: Die bekräftigt Eggen, und so ist es ihm ein ning triezt er seine Kicker mit einstudier- Mentalität sei entscheidend dafür, „ob Gräuel, wenn Vereine die Spieler mit Geld ten Angriffsvarianten wie ein Lateinlehrer man ganz großen Erfolg hat oder mittel- zuschmeißen. seine Klasse mit dem Konjugieren unre- mäßigen“. Ronaldo in Mailand? David Beckham in gelmäßiger Verben. Rosenborg hat ein anderes Problem. Manchester? Nicolas Anelka in Madrid? „Schattentraining“ nennt er das.Auf die Denn immer wieder werden die Leis- „Nein danke“, brummelt Eggen, „die ha- Idee hat ihn einst Hennes Weisweiler ge- tungsträger von ausländischen Vereinen ab- ben doch die Motivation verloren, sich zu bracht. In den siebziger Jahren reiste Eggen geworben. Seit Anfang 1997 verließen sie- bewegen.“ zu Bildungszwecken nach Deutschland, um ben der wichtigsten Spieler den Club. Kürzlich klingelte bei ihm das Telefon. an Vorlesungen des Trainergurus teilzu- Einer verabschiedete sich, typisch für Der FC Liverpool war dran. Eggen hörte nehmen. Und weil er von dessen Traktat Trondheimer Umgangsformen, mit ei- sich die Offerte an und lehnte dankend ab „Der Fußball“ so angetan war, übersetzte ner noblen Geste. Obwohl sein Wechsel – er ist nicht kompatibel. Denn er verach- er es ins Norwegische, genauso wie die zu Celtic Glasgow beschlossene Sa- tet Clubs, die eine Mannschaft zusam- Schrift „Neue Fußball-Lehre“. Im Okto- che war, verlängerte sei- menkaufen. Er will eine Mannschaft zu- ber hat Eggen ein eigenes Buch herausge- nen Vertrag bei Rosenborg noch einmal sammenbauen. bracht: „Auf gutem Fuß“ erzählt die Er- um fünf Jahre. Der Stürmer verzichtete Mit zwei kurzen Unterbrechungen ar- folgsstory von Rosenborg. 25 000 Exem- auf ein Handgeld der Schotten – dafür er- beitet Eggen deshalb seit 1978 bei Rosen- plare seien schon verkauft, erwähnt er hielt Trondheim sechs Millionen Mark borg Trondheim – nicht mal das Angebot beiläufig, mithin ein Bestseller. Ablöse. Michael Wulzinger

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