Der Kraichgau

Land zwischen Rhein und , Schwarzwald und

Edmund Kiehnle, Eppingen

Die Elsenz schlängelt sich durch das Eppinger terte in der Neuzeit das Abwandern oder das Gäu, um von dort in Umkehrung der ursprüng­ Pendeln in die Großstädte. lichen Laufrichtung zu versuchen, dem freund­ Gewiß sind der südostwärtige Kraichgau und lichen und fruchtbaren Hügelland des Kraich- das Zabergäu in der Landschaftsform verschie­ gaus eine, wenn auch verschobene, Nord- den, hier das gemächliche Auf und Ab der löß­ Süd-Achse zu geben. Pfinz, Walzbach, Saal­ bedeckten fruchtbaren Hügelrücken und Mu­ bach, Kraichbach, Leim- mit Waldangelbach schelkalkflächen, dort die steileren Keuperfor­ fließen nach Westen. Während der Schwarz­ men. Indessen ist das Strombergmassiv die ge­ bach quer zur Elsenz zieht, nehmen Zaber, Lein wichtigere Landmarke als der und (früher Gartach), Grundelbach und Mühlbach die Eppinger Hardt, welche die größere Land­ ihren Lauf nach Osten. So öffnet sich das wel­ schaft wieder in kleinere Bereiche unterglie­ lige Land zu den begleitenden größeren Tälern dern, ebenso wie dies die „Großen Wälder“ um des Rheins und des Neckars. Der Odenwald das Sinsheimer Becken, der Eichelberg, der steht im Norden, die nördlichen Ausläufer des Hohwald, der Forstwald und andere tun. Da­ Schwarzwaldes begrenzen nach Süden, im mit sind wir wieder bei den eingangs aufgezähl­ Südosten ergänzt durch den zur und dem ten Tälern, die im 9. und 10. Jahrhundert im mittleren Neckarbecken abschließenden Lorscher Kodex den kleineren Gauen des Ge­ Stromberg. bietes ihre Namen gaben und später in der Das 19. Jhdt. zog Eisenbahnlinien überwiegend Schulgeographie der 20er Jahre zu dem Namen in Ost-West-Richtung durch das Land, die Au­ Enz-, Pfinz- und Kraichgauer Hügelland führ­ tobahn folgte mit der Europa-Straße 12 (1968 ten. Dehnte man Ende des Mittelalters den Be­ fertig). Während die Bundesbahn, die das flache griff Kraichgau schon auf den eingangs be­ Land bedienenden Strecken stillzulegen be­ schriebenen Landschaftsrahmen oder sogar strebt ist und die Kraichgaubahn auf nur ein darüber hinaus aus, so scheint sich in der heuti­ Gleis umstellte, will sie in jüngster Zeit mit der gen, zur Großraumbildung neigenden Zeit der Schnellbahntrasse Stuttgart-Mannheim einen Name Kraichgau für die ganze Landschaft zwi­ gewaltigen Diagonalschnitt durch die bislang schen Odenwald und Schwarzwald erneut ein­ erholsam gebliebene Landschaft führen. So zubürgern. Diesen Namen erhielt die Land­ wird in das Landschaftsbild die Gunst einer schaft von der nach Nordwesten strebenden Verkehrslage eingegraben, die auch unseren Kraich (59 km lang), die wie der andere Haupt­ Vorfahren bekannt war. Führten doch schon bach, die 53 km lange Elsenz aus einem See im seit alter Zeit vorgeschichtliche Wege, Römer­ Herzen des Hügellandes entspringt. Bezogen straßen und mittelalterliche Handels-, Messe- auf den tiefsten Punkt (112 m. ü. NN) beträgt und Königsstraßen durch das Land. Diese Ver­ die Höhendifferenz 364 m, die größte Ausdeh­ kehrsgunst brachte der Bevölkerung in der Ver­ nung mißt 66 km (diagonal). gangenheit durch viele Kriegszüge aber auch Die wichtigsten Erhebungen im Innern des Hü­ unsägliches Leid und Nachteile, und erleich­ gellandes sind der Michaelsberg bei Cleebronn

319 Vom „Kopfrain“ im Eppinger Stadtwald blickt man über das Kraichgauer Hügelland bis hinüber zum Steins­ berg. Foto: E. Kiehnle, Eppingen

(393,6 m ü. N N ), der Steinsberg bei Sins­ fen, im Norden und Süden eine Muschelkalk­ heim-Weiler (333,4 m), die Heuchelberger zone. Deutlich setzt sich die Rheinebene im Warte (315,2 m) bei Leingarten-Großgartach, Westen mit der Bruchzone (Bruhrain) ab, an die der Schlierkopf (449,6 m) zwischen Häfnerhas­ sich die Langenbrückener Jura-Senke an­ lach und Zaberfeld und der Ottilienberg (310,4 schließt. m) bei Eppingen. Am Rande liegen der Letzen­ Die sehr fruchtbaren, bei Regenwetter aller­ berg (244 m) bei , der Michaelsberg (294 dings auch schmierigen Lößlehmböden des m) bei -Untergrombach, der Turm­ Kraichgaus lagern über Keuper, Kalk- und Ju ­ berg (248 m) bei -Durlach, der Burg­ rafelsen, lediglich mit dem Steinsberg wird diese berg (388 m) bei Lienzingen und der Baiseisberg Decke von Basalt durchbrochen. Infolge Fort- (476,5 m) bei Sachsenheim-Hohenhaslach. schreitens der Flurbereinigung sind sumpfige Geologisch gesehen haben wir eine einheitliche Talauen kaum mehr anzutreffen. Die Keuper­ Trias-Landschaft vor uns, in die Lößplatten berge sind meist von Mischwald bedeckt. Die eingestreut sind. Im Südosten sitzt darauf die geologische Beschaffenheit läßt sich ablesen an höhere Keuperschicht des bewaldeten Sand­ den Lehmgruben der Ziegeleien und den Sole­ steinblocks Stromberg-Heuchelberg-Eppinger quellen der Badeorte in der Randzone. Charak­ Hardt. Zum Neckar hin begrenzt ein Lößstrei­ teristisch sind die tief eingeschnittenen, von

320 dichten Hecken besäumten Hohlwege und die auch eine gesunde, verarbeitende Industrie verschiedenartig geschwungenen Rebhänge entwickelt, deren Spitzenwerke Weltruhm ge­ beiderseits der Zaber. Das Ganze ist wiederum nießen. Als einige Standorte seien genannt: Bad „ein Bild der süddeutschen Stufenlandschaft Schönborn-Mingolsheim (Baggerfabrikation), und zeigt auf engem Raume dieselben Erschei­ Bammental (Tapeten), Brackenheim (Textilin­ nungen, die im fränkisch-schwäbischen Stufen­ dustrie), (Herdfabriken), Bruchsal land weit auseinandergerückt sind“ (Metz). Das (Elektro- und Maschinenbau), liebliche, wellige und reich zertalte Hügelland (Textilien), Eppingen (hydraulische Pressen), gehört zu den klimatisch bevorzugten *) und Eschelbronn (Möbel), Oberderdingen (Elek- fruchtbaren Gebieten Deutschlands, und so troteile), Güglingen (Meßgeräte), östringen konnte sich, besiedelt von einem tüchtigen Bau­ (Kunstfaser) und (Blechwaren). Das ernstände, der innere Kraichgau zur Korn- und Brutto-Inlandprodukt im alten Sinsheimer Kartoffelkammer Badens entwickeln, und das Landkreis erarbeitete das warenproduzierende Zabergäu zu einem Weinkeller Württembergs. Gewerbe mit 55,8% Dienstleistungen zu 19%, Der Ackerbau nimmt die größte Bodenfläche Land- und Forstwirtschaft mit 12,7% und der fruchtbaren Landschaft ein, ohne den Wald Handel und Verkehr mit 12,5%. Es stand aus dem Landschaftsbild zu verdrängen. Gute (1966) mit DM 5164,-je Kopf der Wohnbevöl­ Erträge bringen der Zuckerrüben-, Getreide- kerung nur wenig unter dem des alten Land­ und Kartoffelanbau. Verschiedene Landstriche kreises von DM 5741,-, aber beide pflegen auch Sonderkulturen und Handelsge­ liegen deutlich unter dem Landesdurchschnitt. wächse, wie den Tabakanbau, Zichorienanbau, Obstanbau und ganz besonders den Weinbau. Die vielfache örtliche Besonderheiten aufwei­ Viele Pendler, die in die benachbarten Groß­ sende Mundart ist dem südrhein-fränkischen städte zur Arbeit fahren, bauen nach Feier­ zuzurechnen, wobei je weiter nach Süden, die abend zu Hause ihr eigenes „Stück“ Land an. Sprache mit schwäbischen Lauten durchsetzt Urkundlich ist der Weinbau nachzuweisen für ist, und je weiter nach Norden man pfälzische im 10. Jhdt., in Bönnigheim 793, in Wortklänge hört. Nußloch 801, in Eichelberg 1002, im 9. Jhdt. In den großen Nachbarstädten sitzen starke für Pfaffenhofen, 976 in Schwaigern und 985 in Kolonien von Ausmärkern, die unter sich oder Eppingen. 1484 gab es im Unterland soviel zu ihrer Heimatgemeinde mehr oder minder Wein, daß man es sich leisten konnte, Kalk da­ starken Kontakt halten. mit anzurühren. Groß ist die Zahl der Preise Im Dreißigjährigen Kriege verödete das Land und Medaillen, welche die Weine aus dem und manche Orte waren fast gänzlich ausge­ Kraichgau und dem Zabergäu alljährlich errin­ storben. Im badischen Teil des Kraichgaus gen. frischten Schweizer Einwanderer die Bevölke­ Gewerbebetriebe bildeten sich zunächst auf der rung auf. Später kamen im württembergischen Grundlage von Boden und Landwirtschaft aus: Kraichgauteil und im Zabergäu Waldenser und Ziegeleien, Sandsteinbrüche und Kalkwerke, Piemontesen hinzu. Am Ende des 19. Jhdt. er­ Sägewerke, Brauereien, Zigarrenfabriken, zwangen die Verhältnisse umgekehrt eine starke holzverarbeitende Industrie und Landmaschi­ Auswanderungswelle nach Übersee und Ruß­ nenbau. An den zentralen Orten hat sich jetzt land. Das Land, in dem zwischen den wichtigsten *) Die Meßwerte der Klimastation Eppingen (203 m) südwestdeutschen Großstädten „tausend Hü­ betragen für die mittlere Tagestemperatur im Januar gel grünen“ , umfaßt insgesamt eine Fläche von 0,0 Grad, im Mai 13,2 Grad, im Juli 19,7 Grad, im August 17,8 Grad und im Jahresmittel 9,3 Grad, bei 1637 qkm, auf der im Jahre 1871 210277 Ein­ einer jährlichen Niederschlagsmenge von 719,1 mm. wohner lebten. Wenn auch stellenweise örtlich

321 D er Marktplatz in Bretten. Foto: E. Kiehnle, Eppingen

die Abwanderungsverluste anhielten, (z.B . in Durch die jüngste Gemeindereform summierte Wollenberg minus 38% von 1870 bis 1961), so sich Bruchsal auf 47143 EW. Bad Rappenau ist in den Jahren 1939 bis 1961 ein starkes schaffte am 23. 5. 1973 den Sprung zur Stadt Wachstum zu beobachten, wie etwa in Brak- (13 699 EW ). Sinsheim, mit seinen Stadtteilen kenheim ( + 83%), Bretten ( + 77%), Sinsheim auf 24301 EW angewachsen, ist seit 1. Jan. 1973 ( + 67,5%), Eppingen (+61%) und Güglingen Große Kreisstadt; Bretten wurde es am 1. Jan. ( + 54,8% ). Bis zum Jahre 1970 war die Ge­ 1975 (22300 EW erreicht). Und das nun (30. 7. samtbevölkerung auf 514299 Personen ange­ 1974) 15264 EW große Eppingen ist seit 1.1. wachsen. Der Vertriebenen-Anteil beträgt in 1975 in gleicher Weise für seinen Verwaltungs­ den alten Landkreisen Bruchsal 18,5% , Heil­ raum von 20607 EW tätig. Brackenheim rückte bronn 21,5% und Sinsheim (Elsenz) 26,2%. auf 9991 EW auf, Schwaigern auf 8556 EW. Heute sind im Schnitt rund 8,5% der Wohnbe­ völkerung Ausländer. Einen gewissen Flächenrekord hält Die kleinsten Dörfer (jetzt Ortsteile) sind Has­ (12 516 EW ), dessen aus 9 Dörfern und Städt­ selbach (bei Ehrstädt) mit 277 EW, Spielberg chen entstandene Gemarkung bei 8058 ha Flä­ (am Kirbach) mit 248 EW und Sprantal (südlich che größer geworden ist als die Gemarkung von von Bretten) mit 250 EW ; die größte Stadt ist Ulm oder die von . Schmal und sehr Bruchsal mit 27295 EW (1970). Am Rande der lang erstreckt sich das neu gebildete Sachsen­ Ballungszentren hat sich die Einwohnerschaft heim (13463 EW), das vom Strombergkamm verdreifacht oder gar vervierfacht. So stieg sie in nahe sich rund 17 km weit bis in das Karlsruhe-Palmbach von 274 (im Jahre 1871) Enztal zieht. Die meisten Orte liegen in 190 bis auf 1084 (1970) an, dagegen blieb sie bei den 240 m Höhe. kleinen Orten im Binnenlande praktisch stehen, Der „homo heidelbergensis“ (etwa 500000 wie in Bahnbrücken (1870: 421 EW , 1970: 496 Jahre alt) stammt aus Mauer im nördlichen EW). Die Bevölkerungsdichte stieg in hundert Kraichgau. Keltische Bestandteile von Gelän­ Jahren von 128 EW/qkm auf 314 EW/qkm an denamen und viele Bodenfunde, z .B . auf dem und liegt damit deutlich über dem Landes­ Michaelsberg oder bei Großgartach, weisen auf durchschnitt von 250,62 EW/qkm (1970). die reiche vor- und frühgeschichtliche Vergan­

322 genheit dieses alten Siedellandes hin, in dem die mit den „Eppinger Linien“ Südwestdeutsch­ Römer saßen, und wo nach 496 die Alemannen land vor den Franzoseneinfällen zu schützen den Franken weichen mußten. Zahlreiche suchte. Kein Wunder, daß auch in den Bauern­ Burgruinen und Herrenhäuser zeugen von ein­ kriegen und im Dreißigjährigen Krieg das Land stigen reichsritterschaftlichen Adelssitzen und schwer zu leiden hatte. Die vielen Katastrophen Herrschaften, die sich mehr oder weniger der finden ihren Ausdruck unter anderem in dem Kurpfalz angeschlossen hatten oder von Würt­ Eingehen von rund 80 ehemaligen Orten (Wü­ temberg eingenommen wurden. stungen), und vor 30 Jahren in den Luftkriegs­ Durch die Landbrücke zwischen Rhein und schäden an den Brettener Eisenbahnbrücken, Neckar, Schwarzwald und Odenwald, zogen den zerbombten Trümmern Bruchsals (1. 3. die Kraftlinien der europäischen Politik, wes­ 1945) und den Kriegszerstörungen 1945 in Ep- halb ständig die Kurpfalz, das Hochstift Spey­ pingen. er, die Markgrafschaft Baden und das Haus In Gochsheim residierte noch von 1682-1715 Württemberg versuchten, möglichst große der württembergische Herzog Friedrich Au­ Teile unter ihre Botmäßigkeit zu bringen. Die gust, die markgräflich badische Festung (bis Stauferkaiser und König Rudolf I. von Habs­ 1595) Besigheim ist nie erstürmt worden, Wald­ burg hatten eine strategisch durchdachte Städ­ angelloch war bis 1803 württembergisch und tekette durch den Kraichgau gelegt. So zeigen Kürnbach bis 1905 ein badisch-hessisches Kon­ die vielen Kleinstädte neben ihrer örtlichen dominium, während allein die Grafschaft Marktfunktion den Wert, den die deutschen Neipperg, Heilbronn und Wimpfen ihre Könige und Kaiser und die Landesfürsten im Reichsunmittelbarkeit bis zu Napoleons Flur­ Mittelater diesem Durchgangsland beimaßen. bereinigung halten konnten. Kirchlich gehörte Lauffen bis zur Reformation An Siegfrieds Heldengestalt aus dem Nibelun­ zu Würzburg, Bönnigheim, Ochsenburg und genlied erinnert der Brunnen in Odenheim, und Zaberfeld zum Bistum Speyer. Ebenso wie zum berühmten Dr. Faust haben gleich drei nördlich des Heuchelberges, besaß das Kloster Orte unmittelbaren Bezug: Helmstadt, Knitt- Lorsch auch südlich davon Ländereien. Brak- lingen und Maulbronn. kenheim, Güglingen, Nordheim, Niederhofen In baute Friedrich Hotz 1825 die - um nur einige zu nennen - waren wormsisch, erste Mundharmonika. Große Staatsmänner und erst 1785 gab das Hochstift Mainz die entsprossen der Landschaft (Bundespräsident Herrschaft Bönnigheim an Württemberg. Heuß, kurpfälzischer Kanzler Hartmann, Heute denkt kaum mehr jemand daran, daß die schwedischer Vizekanzler Jakob Löffler), wie badische Städtepolitik sich bis vor die Tore mancher Minister (Kopp im badischen, Leutze Stuttgarts erstreckte; vergessen ist, daß im pfäl­ im württembergischen Teil). Neben den Na­ zisch-bayerischen Erbfolgekrieg das Herzog­ men großer Theologen (Melanchthon, Reuch- tum Württemberg im Jahre 1504 viele Orte im lin, Chyträus, Stefan Gerlach) stehen die Na­ Zabergäu niederbrannte und die Herrschaft men von Wissenschaftlern (der Physiker Karo­ Sternenfels 1749 aufkaufte. Es mutet wie ein lus, als erster Ausgräber von Pompeji Graf Anachronismus an, wenn 1483 Graf Eberhard Leopold von Neipperg, Bali-Bibelübersetzer im Bart den Wartturm auf dem Heuchelberg Adolf Vielhauer, die Geografen Ratzel und bauen ließ, um die benachbarte Reichsstadt Metz). Die Erinnerung an die Anführer des Heilbronn zu beäugen und zum Schutze gegen Bauernkrieges Joß Fritz, Hans Wunderer und den nördlichen deutschen Nachbarn den Land­ den Pfaffen Eisenhuth blieb im Volk lebendig, graben anlegte (1483-1495), während später wie später die Revolutionäre Hecker und Siegel. umgekehrt der volkstümliche „Türkenlouis“ in Berühmte Gastronomen (Aschinger, Johann J. den gleichen benachbarten Wäldern 1695-1697 Astor) vervollständigen das Bild, und man

323 könnte noch eine ganze Reihe hoher geistlicher seine Heimat als Klein-Italien bezeichnet, wäh­ Würdenträger und Hochschullehrer anfügen. rend es der Kraichgauer dem Dichter überläßt, Die auf Bürgernähe abgestellte Verwaltungsre­ „vergilisches Land“ zu entdecken oder dem form von 1970/73 nahm wenig Rücksicht auf Geographen, „diese Landschaft mit einer Tos­ die Landschaft, deren Einwohnerzahl im Ver­ kanischen zu vergleichen“ . gleich zu Stuttgart eine beachtliche Größe dar­ Erstaunlich ist der trotz der vielen Zerstörun­ stellt und fast so groß ist wie die von Karlsruhe gen erhalten gebliebene Bestand kultureller Se­ und Mannheim zusammen. Sie zerteilte das von henswürdigkeiten. Wir sind im Lande der Was­ allen Seiten begehrte Land und ließ dem ge­ serschlösser, Burgruinen und (ursprünglich) schichtsträchtigen Raum keinen zentralen Ver­ Fachwerkdörfer. Das Kloster Maulbronn, die waltungssitz mehr. Die Zuständigkeiten vertei­ alte Reichsstadt Bad Wimpfen, die Fresken im len sich auf die am Rande gelegenen Landrats­ Chorturm der Altstädter Kirche in Eppingen, ämter in Heidelberg, Karlsruhe, Pforzheim und die Renaissance-Grabmäler aus Kürnbach und Heilbronn. Was die Landschaft zu leisten ver­ Sickingen und das „Baumann’sche Haus“ in mag, möge an dem Beispiel der drei inneren Eppingen gehören zu den Spitzenkunstwerken Landstädte deutlich werden. Bretten nahm ei­ Deutschlands. Eine große Zahl anderer Bau- nen großen Aufschwung als Industriestandort; und Kunstdenkmäler eifert ihnen nach. Sinsheim (Elsenz), vom aufgelösten Landkreis Neben verschiedenen kleineren Festen der Ver­ zu einem wirksamen Verwaltungszentrum aus­ eine oder solchen aus jahreszeitlichem Anlaß gebaut, wächst trotz allgemeiner wirtschaftli­ wird in allen Orten die Kirchweih gefeiert. Be­ cher Flaute weiter, und Eppingen setzte mit sonders zu nennen sind das jährliche Peter- und dem modernen großen Bildungszentrum und Paulfest in Bretten, das Winzerfest in , seiner denkmälerreichen Altstadt Maßstäbe im der Fohlenmarkt in Sinsheim und die jedes kulturellen Bereich. Bad Rappenau überflügelte runde Jahrzehnt stattfindenden Eppinger Hei­ als Badeort manchen bekannten Namen. mattage. Der Käsritt in Leingarten, der große Lagen für Stuttgart oder gar Heilbronn das Za­ Kerwe-Umzug in Eschelbach, das Kuckuckho­ bergäu hinten, galt in Karlsruhe der innere len am Pfingstdienstag in Mühlbach, das Ku­ Kraichgau lange als der Anfang von „Badisch- chenreiten (Lichtmeß) in Oberderdingen, Berg- Sibirien“ . Schlagzeilen wie , ,Die Sage schaut ins und Weinfeste im Zabergäu und die Altwei­ Land“ oder „Römer, Reben und Fürsten“ sind bermühle Tripsdrill sind weitere volkstümliche jüngsten Datums. Denn für den Naherholungs­ Attraktionen. Tiergehege findet man in Bret­ verkehr erschließt sich der Kraichgau leichter ten, Pfaffenhofen, Unterschwarzach (bei Agla- als andere Landschaften, zumal die Entfernun­ sterhausen) und in Tripsdrill-Stromberg. gen zu den benachbarten Ballungszentren sehr Die konzentrisch auf den Mittelpunkt zueilen­ günstig sind und Tages- oder sogar Halbtages­ den Baumalleen der Chausseen und Feldwege fahrten zulassen. Um die Erntezeit breitet sich im Eppinger Gäu mußten der Neuzeit weichen, das hügelige, vom Gold der Ähren gestreifte den Hecken und Weinbergmäuerchen um den Land wie ein „bunter Teppich“ zu Füßen der Eichelberg und im Zabergäu haben die Planier­ bewaldeten Kuppen aus, im Herbst nimmt die raupen der Flurbereinigung den Garaus ge­ herrliche Farbenpracht der Rebhänge und macht. Welches sind nun die auffälligsten Ver­ Mischwälder gefangen, oft untermalt von feuri­ änderungen in diesem „dicht besiedelten Land gen Sonnenuntergängen, und im Frühjahr be­ kleinbäuerlicher Hochkultur“? Einem Gau, in sticht die erwachende Natur durch die Blüten­ dem das Symbol des tüchtigen wohlhabenden pracht der Obsthänge. So hat die Landschaft je Bauernstandes, das Pferd, vollständig ver­ nach Nutzung und Jahreszeit ihre ganz beson­ schwunden ist und statt dessen der Traktor die deren Reize. Kein Wunder, daß der Zabergäuer Feldwege zerfurcht; ein sozio-ökonomischer

324 Raum, in dem sich die Pendlerströme nach Zusammenfassend können wir drei gewichtige Heilbronn, nach Karlsruhe und nach Mann­ Umwälzungen in der Entwicklung dieses offe­ heim/Heidelberg, auch nach Pforzheim und nen Hügellandes feststellen, das den Völkern als Stuttgart überschneiden, oder anders ausge­ Landbrücke zwischen West und Ost, Nord und drückt, ihren Anfang und ihr Ende nehmen. Süd diente. Im Jahre 1939 beschäftigte die Landwirtschaft Verglichen mit der Stadtwerdung der großen 80% der Erwerbstätigen, 1971 hält sie nur noch mittelalterlichen Machtstützpunkte am Rande einen Anteil von 11% . Beim industriellen der Landschaft (Speyer, Privilegien Kaiser Wachstum entwickelten sich die am äußeren Heinrich V. vom 14. Aug. 1111; Worms, Privi­ Rand des Gebietes in Kontakt mit den Verdich­ legien Friedrich Barbarossas 1184 über der tungsräumen gelegenen Kleinstädte sehr stark, Domtüre, und Heilbronn 1225 oppidum), er­ doch glückte es immerhin, z.B. im Gebiet des folgten die Städtegründungen im inneren ehemaligen Landkreises Sinsheim, nahezu in Kraichgau sehr früh: Bretten (civitas 1262), Ep­ jedem Dorf einen Betrieb anzusiedeln. Trotz­ pingen (1188 burgum, 1220 civitas) und Sins- dem ist die Pendlerbilanz immer noch negativ heim/Els. (1192 civis, 1220 civitas). Damit und das Gebiet saisonal oder in Zeiten wirt­ wurde bereits um die Wende des 12./13. Jhdt. schaftlicher Rezession demgemäß stark anfällig das städtische Element in das bis dahin aus­ für Arbeitslosigkeit. Die ausschließliche Ab­ schließlich bäuerlich verlaufende Leben einge­ wanderung des Bevölkerungsüberschusses in bracht. die Großstädte konnte aufgehalten werden, was Den zweiten tiefgreifenden Einschnitt stellt die eine erhebliche Wohnbautätigkeit und An­ moderne Verkehrserschließung dar, die sich in strengungen für die öffentliche Ausstattung, 2 Stufen vollzog. Der Eisenbahnbau des ausge­ selbst kleinster Orte, mit sich brachte. henden 19. Jhdt. ermöglichte erste Ansätze ei­ Grüßte früher nur der Kirchturm der Dörfer ner bescheidenen Industrie und das Pendlerwe­ aus den Talsenken, so hat sich heute infolge des sen; der Autobahnbau im 2 .Drittel des 20. Neubürgeranteils in der Bevölkerung oft ein Jahrhunderts rückte die Landschaft näher an die zweiter Kirchturm dazugesellt. Hinzu tritt sie umgebenden Großstädte. mitunter der Siloturm der landwirtschaftlichen Die dritte große Veränderung bewirkte die Um­ Genossenschaft. Die Wohnbebauung ist die strukturierung der Landwirtschaft, die noch Hänge hinaufgeklettert, so das Landschaftsbild nicht abgeschlossen ist und die Automobilisie­ merklich beeinflussend. Als Sinnbild der gro­ rung des flachen Landes. Die landwirtschaft­ ßen Anstrengungen für die Gemeinschaft und liche Nutzung beherrscht zwar weiterhin das Bildung findet man Turnhallen, und meist am Bild der Landschaft, aber aus dem reinen Bau­ Ortsrand neue Schulgebäude, die infolge der ernland ist eine Wohnlandschaft, durchsetzt jüngsten Reformen leer stehen. Standen früher von Gewerbebetrieben, geworden. einzelne Omnibusse in Dörfern ohne Bahnan­ schluß, fahren heute an den zentralen Schulor- „Ohne irgendwelche natürlichen Grenzen geht ten ganze Geschwader von Schulbussen vor, die der badische Kraichgau in die württembergi- zusammen mit dem Einkaufspendelverkehr das sche Nachbarschaft über, daher kann es auch Straßenverkehrsaufkommen in die Höhe trei­ keinen Unterschied im Bild der Dörfer und Flu­ bend. Außer den einzelnen Gutshöfen findet ren und bei den Bürgern und Bauern diesseits man heute in der freien Feldflur auch Aussied­ und jenseits der Grenze geben.“ Auch ange­ lerhöfe oder Aussiedlerhofgruppen, wobei für sichts der gegenseitigen geschichtlichen Bezüge die allerneuesten wiederum Silotürme charakte­ nördlich und südlich des Heuchelbergs wird ristisch sind. Viele Kilometer Feldwege wurden man wiederum Friedrich Metz zitieren können, asphaltiert oder betoniert. der in der Entstehungszeit des Südweststaates

325 feststellte: „D er Kraichgau war stets die Brük- berg-Baden und wird das in einem verstärkten ke, die vom Oberrhein nach Schwaben führte; Maß im Südweststaat sein. . . Dieser Mitgift er bedeutet die stärkste natürliche, kulturelle sollten sich die Bewohner des Kraichgaues wie und politische Klammer im Land Württem­ die Nachbarn stets bewußt sein“ .

Die Kleinstadt

Geborgen hinter klafterdicken Mauern, Bewacht von Türmen, die ins Weite späh’n, Steh’n Giebel, die Jahrhundert’ überdauern, Die hoch auf Märkte und in Gassen seh’n. Wie damals rauscht der Brunnen auch noch heute Sein plätschernd Lied nach alter Melodei, Wie damals tönt der Glocken traut Geläute Aus einer Zeit, die lange schon vorbei. Wie damals steh’n Madonnen mit dem Kinde, Verwittert Werk, das liebevoll geschmückt; Laut knarrend dreht der Turmhahn sich im Winde, Vom ersten Frührotscheine schon beglückt. Noch eh’ der Tag wird grau’n, und es will dämmern, Zieht schweren Schritt’s der Landmann hin zur Flur; Hell klingt vom Amboß her ein emsig Hämmern Zum frühen Schlag der alten Rathausuhr. Der Nachbar weiß noch um des Ändern Mühen, Und seines Nächsten Sorgen kennt er auch. Wenn spät die Hände ruh’n im Abendglühen, Steht plaudernd man, wie es seit je der Brauch. Und scheidet einer aus dem Erdenleben, Dann schenkt man betend ihm das letzt’ Geleit, Geweihtes Wasser will der Freund ihm geben Als Trost und Gruß am Tor der Ewigkeit.

Arthur Trautmann

326 Die Kraichgaustadt Eppingen Einst Burgum - heute modernes Schul- und Verwaltungszentrum

Edmund Kiebnle, Eppingen

Vom Bahnhof schweift der Blick des Besuchers und „das badische - neuerdings auch fränkische über die Grünanlagen der Elsenzniederung zur - Rothenburg“ (vom westlichen Landesteil her schönen Altstadtansicht hinüber, die immer gesehen). noch dem Kupferstich Matthaeus Merians äh­ nelt. Der Autofahrer, der sich von der anderen Verkehrslage Seite, von der Kraichgauautobahn kommend, Eppingen nähert, ist überrascht von der sich 12 km südlich der Ausfahrt Kraichgau (Steins- burgartig auftürmenden Kulisse der ehemals furt) der Autobahn Mannheim/Heidel­ staufischen Reichsstadt. 25 Jahre vor dem Eu­ berg-Heilbronn, liegt Eppingen am Schnitt­ ropäischen Denkmalschutzjahr hatte man hier punkt der Bundesstraße 293 mit 4 Landesstra­ begonnen, alte Fachwerkhäuser vom grauen ßen. Hier zweigt von der Bahnlinie Karlsru- Uberputz zu befreien und instand zu setzen und he-Heilbronn-Nürnberg die Seitenbahn über mittlerweile die 81. Fachwerkfreilegung durch­ Sinsheim nach Heidelberg ab. Mit dem Kraft­ geführt. fahrzeug beträgt die Wegstrecke nach Stuttgart Wer ist diese Stadt Eppingen, die genau in der 59 km, nach Mannheim 57 km, nach Karlsruhe geografischen Mitte zwischen Stuttgart und 47 km, nach Heidelberg 41 km, nach Pforzheim Mannheim liegt, die für 20526 Bürger ihres 38 km und nach Heilbronn 26 km. Diese Ver­ Verwaltungsraumes nun als Mini-Landratsamt kehrslage könnte man für Industrieansiedlung fungiert, mit 15129 Einwohnern (31.12.1974), als ausgesprochen günstig bezeichnen - wenn die zweitgrößte Stadt des Landkreises Heil­ sie bekannter wäre. bronn und die siebtgrößte Stadt der Region Franken? Wie verlief die wechselvolle Ge­ Untere Verwaltungsbehörde schichte dieses Gemeinwesens, deren Speise­ kartoffel in der Reichsmarkzeit den Gipfel an Grenzten im Bereich der Raumschaft Eppingen Beliebtheit und Berühmtheit erklommen hatte, nicht weniger als 5 Landkreise aneinander, so und deren Start nach dem Kriege mit der Hypo­ zerschnitt die Verwaltungsreform dieses ein­ thek schwerer Kriegsschäden belastet war? Ei­ heitliche Gebilde in 2 Hälften. Anstelle der er­ ner Stadt, in der im abgelaufenen Jahr wichtige hofften Anerkennung als Mittelzentrum - ob­ Betriebe neu eröffneten und das Amtsgericht wohl man in Eppingen bemüht war, aufgrund zumachte, die in Rekordzeit ein großes Bil­ des Einzugsbereiches die örtlichen Vorausset­ dungszentrum aus dem Boden stampfte und in zungen dafür zu schaffen - trat der Verlust des der auf 1500 Einwohner ein Sportplatz kommt. Amtsgerichtes und der Landwirtschaftsschul­ Wie kam sie, die im Mittelalter den kurpfälzi­ klasse ein. Indessen, auf dem Eppinger Rathaus schen Kanzler stellte und 1564/65 Universitäts­ resignierte man nicht. stadt war, zu den Attributen „Metropole des Der Optimismus und die Tatkraft von Bürger­ Kraichgaus“ (aus der Sicht der Region Franken) meister Peuckert sollte recht behalten. In lan-

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Eppingen. Stich von Matthäus Merian aus seiner Topographia Palatinatus Rheni 1645.

gen, geduldigen Verhandlungen, unterstützt ruhe), den kurzen Weg zum „Mini-Landrats­ vom Gemeinderat, wurden die Grundlagen für amt“ in Eppingen nehmen, und kommt so doch das größere Eppingen geschaffen. Frühzeitig noch in den Genuß von Verbesserungen durch wurden die Fachabteilungen der Stadtverwal­ die Verwaltungsreform. Dies wird natürlich tung so ausgebaut und organisiert, daß sie die nicht ohne Einfluß auf die Verhältnisse im Aufgaben einer unteren Verwaltungsbehörde wie in einer Großen Kreisstadt übernehmen Eppinger Gäu konnten. bleiben, der mit dem südostwärtigen Kraichgau Am 26. Juni 1974 war es dann soweit. Die Bür­ gleichzusetzenden, weiten hügeligen Mulde im germeister Beurer (), Peuckert (Eppin­ Mündungsgebiet des Hilsbaches in die Elsenz, gen) und Reiner (Gemmingen) Unterzeichneten die von dunklen Waldrücken und Rebhängen im großen Rathaussaal in Eppingen die Verein­ umsäumt wird. Den Kern dieses Landschafts­ gen, geduldigen Verhandlungen, unterstützt bereiches bildet der Raum der vereinbarten daß der Eppinger Gemeinderat am 30. Juli 1974 Verwaltungsgemeinschaft Eppingen, die stati­ den Antrag auf das Übertragen der Zuständig­ stisch betrachtet wie folgt aussieht keiten einer Großen Kreisstadt beschließen 6. 6. 30. 6. konnte. Unter dem 10. Dezember 1974 stellte die Lan­ 1961 1974 Adelshofen 904 1 037 desregierung fest, daß die vereinbarte Verwal­ tungsgemeinschaft der Stadt Eppingen mit den Elsenz 1 580 1 610 Eppingen-Stadt 5 501 7 074 Gemeinden Gemmingen und Ittlingen die ge­ 2 017 2 720 setzlichen Voraussetzungen erfüllt und sie so­ Gemmingen Ittlingen 1 600 1 718 mit ab 1. Januar Untere Verwaltungsbehörde 979 1 317 sein wird. Verständlicher ausgedrückt, ein Kleingartach Mühlbach 1 467 1 754 Landratsamt ist Untere Verwaltungsbehörde, Richen 1 054 1 233 eine Große Kreisstadt desgleichen, und die Rohrbach 1 027 1 223 Stadtverwaltung Eppingen übt seit 1. Januar Stebbach 668 908 1975 genau die gleichen Tätigkeiten aus. Der 16 896 20 594 Bürger des Verwaltungsraumes Eppingen kann also statt dem Weg zum „Großen“ Landrats­ Die Einwohnerzahlen verleugnen nicht eine amt in Heilbronn (für Sulzfeld liegt es in Karls­ Schwerpunktbildung in Eppingen-Stadt, das

328 ein langsames, aber stetiges Wachstum zeigt. Das alte Bezirksamt An die alte Stadt Eppingen grenzten unmittel­ bar 11 Nachbargemeinden. Mit der durch die Bis vor 51 Jahren war die Fachwerkstadt schon Verwaltungsreform geschaffenen Ausdehnung einmal Sitz der Unteren Verwaltungsbehörde. Eppingens hat sich die Zahl der benachbarten Im Jahre 1813 hatte der Badische Staat den Gemeinden bzw. Ortsteile auf 17 vergrößert. Amtsbezirk Eppingen geschaffen. Das Bezirks­ Das sind um Eppingen herum noch einmal amt residierte in dem Barockbau in der Brette- 22 153 Einwohner (Stand letzte Volkszählung), ner Straße, in dem heute das Landespolizeire­ für die die Stadtverwaltung selbst zwar nicht vier untergebracht ist. Deshalb heißt das Ge­ zuständig ist, die aber vermöge der kurzen bäude heute noch im Volksmund „Amtshaus“ . Wegstrecken die übrigen Eppinger zentralörtli­ Den badischen Bezirksämtern vergleichbar wa­ chen Einrichtungen benutzen können. ren in der württembergischen Nachbarschaft

Eppingen, mittel­ alterliche Altstadt mit der ,,Alten Universität“ Zeichnung v. E. Kiehnle, Eppingen

329 die Oberämter. Bis die anfangs des 19. Jahr­ ger zentralörtlicher Einrichtungen weiter, so im hunderts infolge Gebietszuwachs durchge­ Verbreitungsgebiet der alten Eppinger Zeitung führte badische Ämtereinteilung stand, hatte es oder dem Amtsgerichtsbezirk. Eine geringfü­ einige Änderungen gegeben. So war aufgrund gige Änderung der Grenzen des Zuständig­ einer bewilligten Eingabe an die großherzogli­ keitsbezirks zulasten übergroßer Amtsgerichte che Regierung Sulzfeld später dem Bezirksamt hätte niemanden wehgetan und dann hätte man Eppingen zugewiesen worden, ähnlich wie das Amtsgericht nicht aufzulösen brauchen. 1939 Zaisenhausen und Kürnbach nachträglich zum Landkreis Sinsheim gekommen waren. Die Stadtteile Zum Amtsbezirk Eppingen hatten gehört die Orte Adelshofen, Berwangen, Eichelberg, El- Adelshofen, im Jahre 1287 erstmals urkundlich senz, Eppingen, Gemmingen, Ittlingen, erwähnt, war bis 1806 reichsgräflich Neipperg’- Landshausen, Mühlbach, Richen, Rohrbach sches Gebiet. Hier bieten sich günstige Wohn- a. G., Schlüchtern, Stebbach, Sulzfeld und Tie­ möglichkeiten und die Landwirtschaft (99 Be­ fenbach, eine Zeitlang auch Hilsbach. Hier triebe mit 1110,7 Großvieheinheiten) ist immer wohnten 27283 Einwohner (im Jahre 1970). noch ein bestimmendes Element. Von Elsenz Dieser Bezirk lebte in etwa bis zuletzt in den lesen wir erstmals 1137. Tabak- und Weinbau Verflechtungsbereichen verschiedener Eppin- werden hier groß geschrieben. Die Freizeitan­ lagen am Elsenzer See sind das östliche Ende des „Naherholungsgebietes Kraichgau“ . In Klein- Die ehemalige „Ratsschänke“, ältestes Fachwerkhaus gartach, 766/1274 genannt, wird das von der des nördlichen Baden-Württemberg. Leinburg überragte Landschaftsbild vom Foto: E. Kiehnle, Eppingen Weinbau bestimmt (Heuchelberg-Lage). Bevor das kleine Städtchen an Württemberg fiel, war es schon einmal badischer und gemming’scher Besitz. Einst stand ein Kloster, das den Eppin­ ger Ottilienberg versorgte, in M ühlbach, von dem wir 1290 erstmals hören. Weithin sichtbar ist das über dem Ort im Wald stehende Ehren­ mal aus großen Sandsteinquadern. Sehr beliebt ist die zusammen mit der neuen Schule erbaute Schwimmhalle. Im Steinhauerdorf ist gerade der jüngste und größte der 3 Eppinger Seen, 12 500 cbm fassend, fertiggestellt worden. In Mühlbach, in dem man wie in Kleingartach, in der Arbeitsgemeinschaft „Erholungsgebiet Stromberg-Heuchelberg“, mitarbeitet, setzt man künftig auf sein schönes Wohngebiet und das geplante Ferienhaus-Viertel. Richen, das mit der Jahreszahl 769 zu den ältesten Nennun­ gen im Lorscher Codex gehört, hat sich zur Ar- beiterwohngemeinde gewandelt, wenngleich der Einfluß der Landwirtschaft im Ortsbild noch unverkennbar ist. Rohrbach, anläßlich dessen Heimattag 1973 die älteste Urkunde von 1252 entdeckt wurde, war einst die Hochburg

330 Das sogenannte „Baumannsche Haus“ galt bereits vor der Jahr­ hundertwende als „vaterländi­ sches Baudenkmal mit seinen wohlausgewogenen Proportionen mit den schönen Fenstergruppen(i. Foto: G. Umminger

der Pferdezucht. Heute besticht es durch seine Gemmingen und ihres Leiters Irenicus sehr be­ neuen Wohnviertel. rühmt war. In Ittlingen schenkte 773 Ruduin dem Kloster Lorsch 2 Höfe. Große stattliche Von den übrigen zur Höfe sind bis heute das Kennzeichen des Ittlin- ger Ortsbildes geblieben. Jenseits der Bahnlinie breitete sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein Verwaltungsgemeinschaft großes neues Wohngebiet aus. Zum alteingeses­ gehörenden Gemeinden bzw. Ortsteilen weist senen Kalkwerk kam die Neuansiedlung von die Urkunde von 769 Gemm ingen als die älteste Gewerbebetrieben, doch fährt die Mehrheit der aus. Hier hat sich in den letzten Jahren ein be­ Erwerbstätigen - wie in vielen Kraichgauorten - achtlicher gewerblicher Aufschwung vollzo­ nach auswärts zur Arbeit. Stebbach schließlich, gen. Gemmingen ist der Stammsitz des weit 1311 genannt, wurde in den letzten Jahren be­ verzweigten gleichnamigen Rittergeschlechtes, kannt als Musterdorf. Hier liefen Flurbereini­ besaß schon 1521 eine Lateinschule, die im Mit­ gung, Dorfsanierung und Straßenbau trotz vie­ telalter durch den Ruf ihres Gründers W olf von ler beteiligter Instanzen Hand in Hand, so daß

331 bomber und die Kämpfe der letzten Kriegstage wurden alle Brücken zerstört, der Gebäudebe­ stand zu 5,7% total zerstört, 3,5% schwer be­ schädigt, 2,95% mit mittleren Schäden und 76,5% leicht beschädigt. Baustoffzuteilungen gab es so gut wie keine. Für die Landwirtschaft war das Weiterführen der Flurbereinigung dringend notwendig, sowie die Beseitigung der ständigen Hochwassergefahr, unter der auch die tiefgelegenen Altstadtteile zu leiden hatten. Dazu trat bis 1952 das Problem der Beschäfti­ gung der vielen Arbeitslosen. Interessenten für Industrieansiedlung gab es zu dieser Zeit zwar genug, jedoch war kein geeignetes Gelände ver­ fügbar. Das Überwinden dieser Hindernisse beanspruchte alle Kräfte der kleinen Stadt und erst dann konnte eine positive Weiterentwick­ lung einsetzen. Den

Hum or

verlor man trotzdem nicht, obwohl man dem

Eckdetail des reich beschnitzten „Baumannschen Kraichgauer nachsagt, daß er zwar etwas be­ Hauses“. weglicher als der Franke sei, aber im Vergleich zu den badischen Pfälzern doch konservativ. In der guten alten Zeit ließ nach einer Nachtsitzung ein abgerundetes Ergebnis zustande kam, und der Oberamtmann (Dienstvorstand des Be­ Stebbach heute ein beliebtes Studienobjekt für zirksamtes), zusammen mit dem Realschulleh­ Fachleute aus der ganzen Welt geworden ist. rer (heute müßte man Oberstudienrat sagen) Stebbach ist seit 1.1. 1974 Ortsteil von Gem- und einigen Honoratioren die Fässer des be­ mingen. In den letzten 50 Jahren erlebte die nachbarten Handwerksmeisters eines der stei­ Amtsstadt Eppingen zwei Mal die len Vorstadtgäßchen hinunterrollen; ein Ereig­ nis, dem dieses Gäßchen seinen Straßennamen verdankt und über den die Bürger schmunzel­ Stunde Null ten, für das der städtische Schutzmann (die Im Jahre 1924 wurde der Amtsbezirk Eppingen Stadt hatte seinerzeit ihre eigene Polizei) aber mit dem Amtsbezirk Sinsheim vereinigt. Die kein Verständnis hatte. Auflösung des Bezirksamtes Eppingen mit all Lange Zeit waren die Eppinger Fastnachtsum­ ihren nachteiligen Folgen auf Struktur, Schu­ züge ein Anziehungspunkt für die ganze Um­ len, Verkehr und Geschäftswelt benachteiligte gebung. Man schreckte auch nicht davor zurück die Stadt auf Jahrzehnte. Ihrem Umland ver­ Gemeinderäten bei einer Fremdensitzung für pflichtet, trug sie die wenigen verbliebenen Ein­ ihre Verdienste (die Narren meinten Schnitzer) richtungen, z.B. Krankenhaus, Handelsschule, mit Orden auszuzeichnen. Und heute sorgt die Gewerbeschule, alleine weiter. Hexenzunft, deren Auftritte sogar zu einem Die zweite große Belastung brachte das Kriegs­ Ruf nach Bonn führten, für Belebung in der ende bis zur Währungsreform. Durch Jagd­ weniger freundlichen Jahreszeit.

332 Industrie und Gewerbe J. Dieffenbacher Söhne, Bleyle, Palmbräu, La­ gerhaus, Fertigteilbau- und Straßenbau-Hart­ An der Bundesstraße 293 sieht man zuerst das mann sind die größten Eppinger Betriebe. Industriegebiet Oststadt und das Gewerbege­ 144 Mill. DM weist die Bilanzsumme der drei biet Weststadt. In beiden ist noch genügend Eppinger Geldinstitute aus. 10 000 JDS-Pressen Platz für Neuansiedlungen. Besaß Eppingen stehen in aller Welt (auch in der UdSSR und um 1800 neben Bretten schon den stärksten USA). Der Gesamtausstoß der Palmbräu be­ Gewerbebesatz im Kraichgau, zählte man im trägt 150000 hl/Jahr. Der abseits in einer Senke Kriegsjahr 1942 nur 654 Arbeitsplätze und heu­ stehende KAMET-Shredder, die erste und te, nach Förderung der alteingesessenen und größte Anlage Süddeutschlands, kann täglich Ansiedlung neuer Betriebe, bestehen in der 320 Altautos verarbeiten. Die gemeinnützige Kernstadt 2300 Arbeitsplätze, zusammen mit Baugenossenschaft Familienheim-Kraichgau den Stadtteilen sind es rund 4100. 2080 Aus­ hat seit 1947 über 1800 Wohneinheiten errich­ pendlern stehen 2383 Einpendler gegenüber, tet. Der schöne Mühlbacher Sandstein ist im­ was einer gewissen Arbeitskraftreserve gleich­ mer noch begehrt. Die Zahl der landwirtschaft­ kommt. lichen Betriebe von 769 des Jahres 1939 ist auf

Mittelalterliche Reichsstadtromantik in der St. Pe- Pfeiferturm (13. Jh.) und Fachwerkhaus am Markt- tersgasse. platz. Foto: E. Kiehnle, Eppingen

333 118 im Jahre 1970 gesunken. Die Bedeutung der chen Weinbaustadt geworden. 125 ha Wein­ berge sind eine stattliche Größenordnung. Ba­ Landwirtschaft dische Weinbaulagen (Kraichgau-südliche Bergstraße) und württembergische Lagen läßt sich an dem 50 m hohen Silo-Turm beim (Heuchelberg-Stromberg) auf einer Gemar­ Bahngelände und den vielen Filialen des Eppin­ kung vereint, dürfte eine Einmaligkeit in unse­ ger Lagerhauses erkennen. Getreide und Zuk- rem Lande sein. Das Bild der kerrüben überwiegen im Erntegeschäft. Die Tendenz zu mittleren und größeren Betrieben Schulstadt herrscht vor. Im Jahre 1925 standen in Eppin­ gen-Stadt 241 Arbeitspferde. Sie wurden im wird heute vor allem geprägt durch das neue Zuge der Mechanisierung vollständig durch Große Bildungszentrum, das in der Südstadt in Ackerschlepper verdrängt, so daß es heute nur den Jahren 1967-1973 für 16 Millionen DM er­ noch einige Reitpferde gibt. Durch das be­ baut wurde und von der Grundschule bis zum kannte Palmbräu gilt Eppingen gemeiniglich als Gymnasium die wichtigsten Schularten verei­ Bierstadt, ist aber durch den Zuwachs an Flä­ nigt. Daneben sind noch zu nennen die Real­ chen landwirtschaftlicher Sonderkulturen schule, die älteste Landwirtschaftsschule des durch die Eingemeindungen zu einer beachtli- badischen Landesteils mit dem Landwirt­ schaftsamt, die sozialpädagogische Berufsschu­ le, das Institut für kaufmännische Fortbildung und Führungskräfte der Wirtschaft auf dem O t­

Doppelgiebel der „Alten Post“ aus den Jahren 1515 tilienberg, die Bibelschule Adelshofen und die und 1588 am Marktplatz. Kinderheimat Kleingartach. Schulen haben in Foto: E. Kiehnle, Eppingen der Fachwerkstadt eine alte Tradition und sind bereits in einerUrkunde vom 14. April 1421 ge­ nannt. Magister Engelhard, der Leiter der mit­ telalterlichen Lateinschule, brachte es nach sei­ nem Weggang 1563 zum obersten Leiter des württembergischen Erziehungswesens. Wenn man weiß, daß um diese Zeit Eppinger Bürger oder Bürgersöhne Professoren in Heidelberg waren, wundert man sich nicht mehr so sehr, daß, als in Heidelberg die Pest herrschte, 1564/65 die Heidelberger Universität hier ihr Domizil aufschlug. Aus der

Sportstadt

Eppingen kam der erste Träger des deutschen Sportabzeichens. Der VfB Eppingen ist führend in der nordbadischen ersten Amateur-Liga und sein Sieg in der DFB-Pokalrunde über den Bundesliga-Tabellenführer Hamburger SV war in aller Munde. Der kleine Schach-Club spielt in der Oberliga. In den Mauern Eppingens und seiner Stadtteile leben eine Europameisterin

334 Vor- und Frühgeschichte

Auf halber Wegstrecke zwischen Stadion und Hallenbad siedelten die Bandkeramiker; oben auf dem langgestreckten Waldrücken der Ep­ pinger Hardt liegen Gräber aus der Hallstatt- und La-Tene-Zeit. In die Eisenzeit gehört auch der Ringwall um den Ottilienberg, der aller­ dings Ende des 17. Jahrhunderts unter dem volkstümlichen „Türkenlouis“ in das System der Eppinger Linien einbezogen wurde, deren gewaltige Schanzgräben noch an vielen Stellen im Waldgelände sichtbar sind. Nördlich der Stadt wurden römische Gutshöfe festgestellt, und unmittelbar am Westrand erstreckt sich ein frühfränkisches Gräberfeld, wie auch bei Gemmingen, Ittlingen und Sulzfeld.

An die Reichsunmittelbarkeit

im frühen Mittelalter erinnert der Reichsadler, der im Stadtwappen neben dem badischen Das Eppinger Rathaus im Weinbrennerstil (1823/24). Schrägbalken steht. Der Wappenstreit aus dem Foto: E. Kiehnle, Eppingen 19. Jhdt. war am 14.2.1958 durch Ergänzen des alten Wappens beigelegt worden. und Weltrekordhalterin im Schießen, der Fuß­ Königs- und Kaiserurkunden des hl. röm. Rei­ baller des Jahres im Unterland, der nordbadi­ ches deutscher Nation der Jahre 985, 1057, sche Fußball-Pokalmeister, der Landes-Poli- 1101, 1188, 1219/20, 1234, um 1282, 1285, zeimeister im Judo, eine Landesmeisterin im 1303, 1331, 1360, 1367 und 1406 sind zunächst Rollkunstlauf und mehrere Jugendmeister ver­ Stiftungen gewidmet und belegen den Wandel schiedener Sportarten. vom Reichsdorf zur Reichsstadt. 1188 als „bur- Diese Erfolge beruhen auf einer vielfältigen gum“ und 1219/20 als „civitas“ bezeichnet, ist Breitenarbeit, aber auch darauf, daß der G ol­ Eppingen eine der Stadterhebungen Kaiser dene Plan der Deutschen Olympischen Gesell­ Friedrichs I. Die Urkunde von etwa 1282 schaft hier längst keine Theorie mehr ist. Im (Böhmer schätzte 1291) mit der Stadtverfassung Bildungszentrum stehen zwei Turnhallen und König Rudolfs I. von Habsburg ist nicht mehr ein großes Hallenbad, und nur 800 m weiter auffindbar, doch nahm K.Ludwig d .B . 1331 liegt am Waldrand ein Sportzentrum, dessen ausdrücklich darauf Bezug, nachdem K. Al- Stadion schon manches Großereignis erlebt hat. brecht I. am 12.8.1303 „alle die Rechte, Frei­ Spielplätze und ein weitmaschiges Wanderweg­ heiten, guten Gewohnheiten und Gnade, die netz schließen sich an. Hier im Kraichgausta- unsere Reichsstadt Heilbronn bisher gehabt dion wurde ein Mammut-Stoßzahn gefunden hat“ verliehen hatte. und oberhalb und stadtwärts finden wir die er­ Am Ende überwiegen allerdings die Verpfän­ sten Zeugnisse der dungen und schließlich beginnt die

335 Heimatmuseum „Alte Univer­ sitätH ier fand 1564/65 die Heidelberger Universität vor der Pest Zuflucht. Foto: G. Umminger

pfälzische Zeit, an Hans von Gemmingen verpfändet. Bereits 1521 führte W olf von Gemmingen in seinem denn nach der Schlacht von Seckenheim war Ort die Reformation ein. Der Eppinger Pfarrer Eppingen 1462 endgültig an die Kurpfalz gefal­ Anton Eisenhuth schwang sich im Bauernkrieg len. In dieser Zeit lieferten die Eppinger das zum Feldhauptmann der Aufständischen auf Eichenholz für das berühmte große Faß im Kel­ und fand am 25. 5. 1525 auf dem Schloßplatz in ler des Heidelberger Schlosses und einen Bruchsal ein rühmloses Ende. Da man die von Glanzpunkt stellen die „Privilegia“ dar, die Eppingen an der Zerstörung des Steinsbergs für Karl Theodor, Pfalzgraf bei Rhein, 1785 noch die Hauptbeteiligten hielt, mußten sie zur Wie­ einmal der Stadt erteilte. derherstellung allein 5500 Gulden bezahlen. Ansonsten dürfte diese Zeit wenig erfreulich Hatten die Ritter von Gemmingen noch für gewesen sein, denn fast jeder durch die europä­ 4000 Gulden die Stadt als Lehen bekommen, so ischen Mächte ausgelöste Krieg tobte im betrug 1693 der Schaden der Stadt durch Kraichgau und traf Land und Leute besonders Kriegslasten die unermeßliche Summe von hart. 1469 hatte Kurfürst Friedrich I. Eppingen 220971 Gulden. Markgraf Ludwig Wilhelm

336 von Baden hatte als Reichsfeldherr trotz zah­ wenngleich sie ansonsten, wie die zahlreichen lenmäßiger Unterlegenheit mit seiner auf den Privilegien beweisen, sich immer gut mit der großen Erdwerken der Eppinger Linien beru­ Obrigkeit verstanden. henden Taktik den Südwesten des Reiches eini­ 1807 hatte die großherzoglich-badische Regie­ germaßen vor den Franzosen-Einfällen schüt­ rung ein Stabsamt in der Stadt eingerichtet. Das zen können, jedoch der badische Kraichgau lag Edikt vom 24.7.1813 war mit dem Schaffen des schutzlos auf der Feindseite. Im Zuge der staat­ Bezirksamtes der Beginn einer Aufwärtsent­ lichen Umgruppierungen der napoleonischen wicklung, die in den in den Jahren 1859 bis 1903 Zeit kam Eppingen 1803 an das errichteten Sandsteinbauten des monumentalen Schul- und Behördenviertels im Rot an der Kai­ serstraße und dem Bau des neuen Krankenhau­ Land Baden ses ihren beredten Ausdruck fand. 1864, 1869 und 1878 hatte der Großherzog Das folgende Jahrhundert war zunächst auch seine Amtsstadt besucht, und die ältesten Ein­ von den Drangsalen durchziehender Truppen, wohner erinnern sich gerne der vielen Besuche Hungersnöten, Auswanderungen und Kata­ der letzten Großherzogin. strophen geprägt. Bei der badischen Revolution Die erste Blütezeit der Stadt im Mittelalter hatte 1848 mischten die Eppinger unter Führung ih­ das staufische Altstadtrund gebaut und bildete res Ratschreibers Kirsch wiederum kräftig mit, die Grundlage der zahlreichen

Maimarkt in der Eppinger Altstadt, im Hintergrund das Heimatmuseum „Alte Universität“. Foto: E. Kiehnle, Eppingen

337 Bau- und Kunstdenkmäler tinskirche ist ein beachtliches Kunstwerk. Mühlbach besticht durch solide Steinhauerar­ zu denen die Umgebung einen Kranz von Bur­ beiten und hübsche Fachwerkhäuser. Richen gen und Schlössern beisteuert. Am ältesten ist zeigt ansehnliche Bauernhäuser in der Art der der trutzige Pfeiferturm beim Marktplatz. Eppinger Modellhäuser. In Rohrbach steht Die berühmten drei Sterne Baedekers wären bei noch das ehemalige Wasserschloß und charak­ den Chorturmfresken der Altstädter Marien­ teristisch sind die Wegkreuze und Kapellen. kirche angebracht; aber er kennt sie noch nicht, Aus Gemmingen seien das Schloß und das in weil sie zugetüncht waren und erst in den sech­ Fachwerk gehaltene große Rentamtsgebäude ziger Jahren freigelegt und konserviert wurden. genannt. In Ittlingen steht mit dem Hahn’schen Ein Kleinod der Steinhauerkunst stellt die O tti­ Haus ein großer Gemming’scher Herrenhof; lienbergkapelle (1473) dar. mit seiner Elsenzpartie besitzt es auch eine land­ St. Petersgasse, Metzgergasse und Altstadtbo­ schaftliche Kostbarkeit. Von Stebbach sind die gen lassen mittelalterliche Reichsstadt-Roman­ Burgruine Streichenberg, das klassizistische tik ahnen. Zusammen mit den schönsten Fach­ Schloß Schömberg und das alte Rathaus zu nen­ werkhäusern der Landschaft, dem prunkvollen nen. „Baumann’schen Haus“ (1582/83) und der Da man sich in anerkennenswerter Weise stän­ „Alten Universität“ (15. Jh.), sowie dem älte­ dig um die Verbesserung des Ortsbildes be­ sten Holzhaus des nördlichen Landesteils, der müht, wundert es nicht, daß man Eppingen, ehemaligen „Ratsschänke“ (1388), haben sie Gemmingen, Mühlbach (sogar auf Landesebe­ die Fachwerkstadt weit über die Landesgrenzen ne) und Rohrbach in den Siegerlisten der Wett­ hinaus bekannt gemacht. Die Altstadt ist damit bewerbe zur Ortsverschönerung findet. ein Schatzkästlein südwestdeutscher Fach­ So zeigt sich am Schlüsse unserer Betrachtung werkbaukunst von der Gotik bis zum Barock. das Behörden-, Einkaufs-, Schul-, und Wirt­ Interessantes haben auch die Stadtteile und schaftszentrum des Südteils des aufgelösten Gemmingen und Ittlingen zu bieten. In Adels­ Landkreises Sinsheim von seiner besten Seite. hofen steht das interessante Halbrund der Kir­ Möge ihm diese Aufgabe, mit dem Verleihen che mit reichsgräflichen Grabsteinen. Elsenz des Status einer Unteren Verwaltungsbehörde steuert schöne Türen und zwei nebeneinander um eine Verpflichtung reicher geworden, auch stehende Kirchen bei. Die spätgotische Ausma­ im Westteil des neuen Landkreises Heilbronn lung des Langhauses der Kleingartacher Mar­ gelingen.

338 Der Kraichgau, eine ,,stadtreiche“ Landschaft

Ein Streifzug durch die Geschichte von Gochsheim, Heidelsheim, Hilsbach, Neckarbischofsheim, Rotenberg und Unteröwisheim

Engelbert Strobel, Karlsruhe

Dem mit Landstädtchen reich gesegneten Ortssiedlung, im Jahre 868 als „villa Gozbo- Kraichgau hat der bekannte verstorbene Frei­ tesheim“ erwähnt, lag samt der Mutterkirche burger Geograph Friedrich Metz schon im An­ St. Martin und der St. Katharina-Kapelle nord­ fang seiner wissenschaftlichen Laufbahn eine östlich der späteren Talmühle. spezielle Aufmerksamkeit gewidmet. Galt doch Der Ort wurde vor dem 12. Jahrhundert auf schon im Jahre 1914 eine siedlungs- und kultur­ den Hügel (Talsporn) in den Schutz einer Burg geographische Untersuchung, die eine Erweite­ der Grafen von Eberstein verlegt. Im Jahre 1220 rung seiner Dissertation darstellte, dem Kraich­ erhielt er von Kaiser Friedrich II. Marktrechte. gau. Als nun diese Arbeit im Jahre 1922 eine Nachdem Gochsheim ungefähr Ende des 13. zweite umgearbeitete Auflage erlebte, hat Metz Jahrhunderts schon erstmals Stadtrechte erhal­ darin gerade auf diese zum Teil landschaftlich ten hatte, wurde ihm am 25. August 1406 durch und historisch begründete Tatsache des beson­ König Ruprecht von der Pfalz das Stadtrecht deren Stadtreichtums mit Nachdruck hingewie­ von Bretten verliehen. sen. Gochsheim war wahrscheinlich schon in der er­ Wenn auch manche dieser Gemeinden nicht sten Hälfte des 11. Jahrhunderts im Besitz der mehr ganz der Vorstellung entsprechen, die wir Grafen von Eberstein. Die Herren von Angel­ heute mit dem Begriff „Stadt“ verbinden, so loch und Mentzingen u.a. waren hier eberstei- können sie doch immerhin auf entsprechende nische Lehensleute. Um 1339 kam Gochsheim historische Belege verweisen. Da der Verfasser an die Kurpfalz, von der jedoch die Grafen von dieser Zeilen im letzten Kraichgauheft der Badi­ Eberstein die Stadt 1358-1504 als Lehen zu­ schen Heimat vom August 1972 in kurzen hi­ rückerhielten. 1504 bekam in der bayerischen storischen Skizzen die Kraichgaustädte Bretten, Fehde Herzog Ulrich von Württemberg die Bruchsal, Eppingen, Philippsburg, Sinsheim Stadt in seine Gewalt und belehnte nun seiner­ und Waibstadt behandeln konnte, so möge seits die Grafen von Eberstein damit. 1525 diesmal die entsprechende geschichtliche Be­ sammelten sich die aufständischen Bauern des trachtung den Gemeinden Gochsheim, Hei­ Kraichgaus zu Gochsheim. Im Dreißigjährigen delsheim, Hilsbach, Neckarbischofsheim, Ro­ Krieg, vor allem in den Jahren 1634-1638 bil­ tenberg und Unteröwisheim gewidmet sein. dete die Feste Gochsheim für die umliegenden Dörfer die Zufluchtsstätte vor den kaiserlichen und bayerischen Truppen. Gochsheim Als 1660 der Mannesstamm der Ebersteiner Gochsheim liegt im Kraichgauer Hügelland auf ausstarb, vermählte sich die letzte Ebersteinerin einer Kalksteinerhebung. Der historische Kern Albertine Sophie Esther (geboren am 20. Mai ist im Süden, Norden und Osten von dem 1661 in Gochsheim und dort am 24. Mai 1725 Kraichbach umflossen. Die Siedlung begegnet gestorben) im Jahre 1679 mit dem Herzog uns erstmals im Jahre 804 unter der Bezeich­ Friedrich August von Württemberg und Teck nung „Gozbodesheim“. Die ursprüngliche (Linie Württemberg-Neuenstadt). Diesem

339 diente Gochsheim als Residenz. Nach dem zugeteilt. Die 1699 bis 1795 in Gochsheim be­ Tode der - ihren Gemahl überlebenden — Her­ findlichen Waldenser wurden der Pfarrei zogin Sophie Esther im Jahre 1725 belehnte Groß-Villars zugeordnet. Erst mit dem Anfall Württemberg zunächst die Landhofmeisterin an Baden zu Beginn des 19. Jahrhunderts wur­ von Würben mit Gochsheim, um dann 1736 bis den auch einige Katholiken in Gochsheim an­ 1806 die Stadt als Kammerschreibergut verwal­ sässig. ten zu lassen. 1806 fiel dann Gochsheim an Ba­ den. Die Stadt, bis 1813 noch Sitz eines Amtes, Heidelsheim wurde 1814 dem Amtsbezirk Bretten und am 1. Oktober 1936 dem Amtsbezirk Bruchsal zuge­ Die Ortssiedlung „Heidolfesheim“ tritt uns teilt. 770 erstmals entgegen, befindlich „in pago An- Im Spätmittelalter übten die Grafen von Eber­ glachgowe“ . Sie war damals im Besitze der Klö­ stein auch weitgehenden Einfluß auf die Ver­ ster Lorsch und Weißenburg. Im Jahre 848 wird waltung der Stadt aus. Neben dem seit 1399 Heidelsheim als „in pago Kreickowe“ liegend erstmals erwähnten herrschaftlichen Schulthei­ bezeichnet. Die geschichtliche Gemeinde Hei­ ßen und dem Rat der Stadt amtierten sicher seit delsheim am linken Ufer des Saalbachs steht dem 16. Jahrhundert zwei Gemeindebürger­ vorwiegend auf kalkhaltigem Lehm- und Löß­ meister, von denen je einer aus der Gemeinde boden. Spätere Gebietsrechte hatten hier noch und dem Gericht erwählt wurden. die Herren von Remchingen, die Grafen von An die Hochgerichtsbarkeit der Grafen von Eberstein und die Bischöfe von Speyer. Eberstein erinnern noch Gewannbezeichnun­ Mit Sicherheit bekam die Siedlung vor dem gen wie „Beim Hochgericht“ oder „Im Gal­ Jahre 1286 die Rechte einer reichsunmittelbaren gen“ . Das städtische Gericht hatte nur nieder­ Stadt. Im Jahre 1307 finden wir sie als schwäbi­ gerichtliche Befugnisse. Seine 12 Geschwore­ sche Reichsstadt bezeichnet. Da die mit dieser nen wurden 1407 erstmals genannt. Eigenschaft verbundenen Vorrechte im Laufe Als Steuer wurden die üblichen herrschaftlichen der Jahrhunderte immer mehr verloren gingen, Abgaben erhoben wie Schatzung und Rauch­ wurde der Gemeinde im Juni 1952 erneut das pfund, Besthaupt, Ungeld, Niederlaggeld, Stadtrecht verliehen. Bürger- und Einzugsgeld, Nachsteuer (bei Im Jahre 1311 wurde die reichsunmittelbare Auswanderung) und Bede. Seit 1652 mußte die Stadt mit Genehmigung des Kaisers Heinrich Stadt die Wegeunterhaltung übernehmen und V II. von dem Landvogt Konrad von Weinsberg erhielt dafür die Einnahmen aus der Bede bis auf an den Grafen Konrad von Vaihingen um 800 300 Gulden, ein Viertel des Ungeldes und das Pfund Heller verpfändet. Vor 1326 erfolgte um Niederlaggeld. 1000 Pfund Heller eine Verpfändung an den Graf Wilhelm IV. von Eberstein hatte 1556 in Markgrafen Hermann von Baden. Da Heidels­ Gochsheim die Reformation eingeführt. Der heim inzwischen zu einem beliebten Handels­ Kirchenkonvent, 1715-1806, bestehend aus objekt geworden war, erwarb 1332 die Pfalz dem Ortspfarrer, Diakon, Oberamtmann und ebenfalls Anrechte an die Stadt. Seitdem began­ drei gewöhnlichen Konventsrichtern, hatte vor nen die Pfälzer Territorialherren ein zuneh­ allem über die Ordnung in kirchlichen Dingen mendes Interesse am Besitz der Stadt zu bekun­ zu wachen und war mit entsprechender Macht­ den. So kam 1340 Heidelsheim um 2500 Pfund befugnis ausgerüstet. Gochsheim war Heller zum größten Teil an den Pfalzgrafen Ru­ 1808-1829 Spezialat; der Wohnsitz des Spezials precht I., und mit der Zahlung von weiteren befand sich jedoch bis 1822 in Münzesheim und 1500 Pfund Heller an den Kaiser Ludwig den danach bis 1829 in Unteröwisheim. 1829 wurde Bayern fiel schließlich die Stadt ganz an die das Spezialat Gochsheim der Diözese Bretten Pfalz.

340 1362 schloß der Pfalzgraf Ruprecht der Ältere lichen herrschaftlichen Abgaben erhoben. Das mit dem Markgrafen Rudolf IV. von Baden ei­ Ungeld gehörte zu % der Landesherrschaft und nen Vertrag, der im Falle der Kinderlosigkeit zu 1/3 der Stadt. An den Frevelgeldern hatte des Pfalzgrafen eine Besitznachfolge der badi­ Heidelsheim den halben Anteil. Weg- und schen Markgrafen in Heidelsheim vorsah. Dar­ Standgeld dagegen waren alleiniges Einzugs­ aus entstanden später Streitigkeiten zwischen recht der Gemeinde. den beiden Fürstenhäusern, die erst 1463 end­ Seit 1536 wurde das Abendmahl unter beiden gültig zu Gunsten der Pfalz entschieden wur­ Gestalten gereicht. 1556 führte die Landesherr­ den, als Markgraf Karl von Baden nach seiner schaft das lutherische Bekenntnis ein, das später Niederlage bei Seckenheim (1462) alle Anrechte durch die Lehre Calvins abgelöst wurde. Da im auf Heidelsheim an den Kurfürsten Friedrich I. 18. Jahrhundert auch die katholische Religion abtreten mußte. ausgeübt werden konnte, erhielten - wie in vie­ Im Bauernkrieg wurde Heidelsheim 1525 vom len Orten der Kurpfalz - im Jahre 1705 die Re­ Kraichgauer Bauernhaufen unter Anführung formierten das Langhaus und die Katholiken des Pfaffen Eisenhut geplündert. Als Strafe den Chor der Stadtkirche, die beide durch eine folgte im gleichen Jahr die Hinrichtung zweier Trennungsmauer von einander geschieden wa­ Bauernführer auf dem Marktplatz in Heidels­ ren. heim. Nachdem die Stadt im Dreißigjährigen Krieg verschiedentlich in Mitleidenschaft gezo­ Hilsbach gen worden war, folgten gegen Ende des 17. Jahrhunderts weitere Drangsale. So eroberten Hilsbach liegt am Südwestabhang eines zum 1674 die Franzosen unter Turenne die Stadt und Steinsberg hinziehenden Hochplateaus, im im Pfälzer Erbfolgekrieg wurde Heidelsheim Quellgebiet des Hilsbachs, und ist mit einer im Unglücksjahr des Oberrheins 1689 fast völ­ Höhenlage von ungefähr 253 Metern die lig von den Franzosen eingeäschert. 1803 fiel höchstgelegene Stadt des Kraichgaus. Der Bo­ schließlich die Stadt, die in ihrer kurpfälzischen den setzt sich vorwiegend aus einer Verwitte­ Zeit dem Oberamt Bretten zugeteilt war, an das rungsterrasse des Schilfsandsteins, aus Keuper damalige Kurfürstentum Baden. und Löß zusammen. Bereits im 13. und 14. Jahrhundert stand ein Als im Jahr 789 „Hilleresbach“ genannte Sied­ Schultheiß - erstmals 1283 erwähnt - an der lung war Hilsbach ein Besitztum des bekannten Spitze der Gemeinde. Die Rechte einer reichs­ Klosters Lorsch. Der schon früh befestigte Ort unmittelbaren Stadt wurden durch die Landes­ gehörte dann aber, sicher seit dem 13. Jahrhun­ herrschaft mit der Zeit sehr stark beschränkt. dert, zur Pfalzgrafschaft. Der Zeitpunkt der Im 18. Jahrhundert war der Rat der Stadt mit Stadtrechtsverleihung ist unbekannt geblieben. einem Stadt- und einem Anwaltsschultheiß, 1294 wurde Hilsbach als „oppidum“ aufge­ sechs Ratsverwandten und einem Stadtschrei­ führt. Kaiser Ludwig der Bayer verschrieb 1325 ber besetzt. die Stadt Hilsbach mit dem Steinsberg an Kraft Auch im Gerichtswesen war ein zunehmendes von Hohenlohe. Im Jahre 1369 wird aktenmä­ Eindringen der Territorialherrschaft in die städ­ ßig aufgeführt „Hilrespach die stat.“ tischen Befugnisse festzustellen. So hatte 1540 Hilsbach blieb-von der kurzen Verschreibung die Kurpfalz sowohl die Hoch- als auch die an Kraft von Hohenlohe abgesehen - bis 1803 Niedergerichtsbarkeit fest in Händen. Blutge­ im Besitz der Kurpfalz. Die Herren von Ven­ richtsurteile (Blutbann) konnten in Heidels­ ningen, von Remchingen und von Gemmingen, heim vollstreckt werden, das letzte erfolgte am die seit dem 15. Jahrhundert in Hilsbach begü­ 31. März 1702. tert waren, traten ihre Anteile bis 1517 an die In Heidelsheim wurden im allgemeinen die üb­ Pfalz ab. Ein Teil der Bürgerschaft unter Bür-

341 bede von je 2 Pfund Heller abzüglich 3 Schil­ ling. Als durchschnittliche Erntebede waren festgesetzt 38 Malter Korn und 28 Malter Ha­ fer. An herrschaftlichen Zinsgeldern waren auf Martini fällig 6 Pfund Heller und I 6 V2 Schil­ lingsheller. Da Pfalzgraf Ruprecht der Ältere 1367 dem Deutschritterorden den Pfarrsitz ver­ lieh, kam zeitweilig der Orden in den Genuß des großen Frucht- und Weinzehnten von der Hauptgemarkung. Von einigen Bezirken ent­ fielen später Zehntanteile an den reformierten Pfarrer, sowie den reformierten und katholi­ schen Schulmeister. Die beiden Letzteren er­ hielten daneben noch den kleinen Zehnten. Im Jahre 1519 verkaufte schließlich der Deutsch­ ritterorden seinen Zehntanteil an die Kurpfalz. Nach schon früher vorausgegangenen reforma- torischen Bestrebungen der Bevölkerung wurde im Jahre 1559 von der Landesherrschaft die re­ formierte Glaubenslehre eingeführt. Am 18. Februar 1564 fand in Hilsbach eine Religions­ unterredung zwischen dem Herzog Christoph von Württemberg und dem Kurfürsten Fried­ rich III. von der Pfalz statt. Seit 1698 wurde auch die katholische Pfarrei wieder besetzt. Romantischer Winkel aus Hilsbach. 1707 erhielten die Katholiken den Chor und 2/7 Foto: E. Kiehnle, Eppingen des Langhauses der Ortskirche zum Gottes­ dienst zugesprochen, das restliche Langhaus verblieb den Reformierten. Im Spätmittelalter germeister Christoph Haffner nahm am Bau­ bestanden an der Pfarrkirche 4 Pfründen und ernkrieg 1525 teil. Im Dreißigjährigen Krieg fiel eine Kaplanei. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts die Feste Hilsbach durch Verrat in die Hände war Patronatsherr für die beiden Religionsge­ der Truppen Tillys. Gegen Ende dieses Krieges meinschaften der Fürst von Leiningen in erfolgten mehrere Belagerungen durch umher­ Amorbach. ziehende schwedische und kaiserliche Kriegs­ An der Spitze der Stadtverwaltung stand - si­ völker. 1803 kam Hilsbach zum Fürstentum cher seit der Mitte des 14. Jahrhunderts - der Leiningen und 1806 an das neugeschaffene von der Landesherrschaft ernannte Schultheiß Großherzogtum Baden. unter Oberaufsicht des Vogtes zu Steinsberg Hilsbach war unter kurpfälzischer Landesherr­ und später des Kellers (Amtmannes) zu Hils­ schaft Sitz der gleichnamigen Kellerei, danach bach. Bürgermeister und Rat vervollständigten kurze Zeit leiningisches Rentamt. Nach dem die oberste städtische Behörde. Zu Ende des 18. Anfall an Baden gehörte es zunächst zum Amte Jahrhunderts war der Stadtrat mit einem Eppingen, seit ungefähr 1840 zum Amte Sins­ Schultheißen, einem Anwalt und 5 Ratsver­ heim. wandten besetzt. Von herrschaftlichen Abgaben waren einige Zwar bestanden vorübergehend eigene Blut- Zeit nachgewiesen eine Weihnachts- und Mai- und Halsgerichte der Stadt, doch die Entschei-

342 düngen und Urteile waren dem Oberamt Mos­ Waibstadt erhielt das damalige Bischofsheim bach Vorbehalten. Die Voruntersuchung von Wimpfener Stadtrecht. Da - wie in vielen ähnli­ Straffälligen und die gesamte bürgerliche chen Fällen - die Gemeinde im Laufe der Jahr­ Rechtsprechung oblagen dem Keller zu Hils­ hunderte ihres Stadtrechts verlustig gegangen bach. Die Nieder- und Ruggerichtsbarkeit be­ war, bekam sie es am 5. November 1950 erneut tätigten dagegen der Schultheiß und das städti­ verliehen. sche Gericht. Die Stadt (Neckar)-Bischofsheim blieb als so­ genannte Vogtsjunkerschaft bis zum Jahre 1793 im Besitze der Bischofsheimer Linie der Herren Neckarbischofsheim von Heimstatt und zählte als solche zum Ritter­ Im nördlichen Teil des Kraichgauer Hügellan­ kanton Kraichgau. Da verschiedene Mitglieder des (Elsenzgau) an dem Krebsbach auf der lin­ des von Helmstattschen Hauses in kurpfälzi­ ken Seite des Flußgebietes des Schwarzbachs sche Kriegs- und Verwaltungsdienste traten, finden wir Neckarbischofsheim. Die Siedlung übernahmen die Kurfürsten von der Pfalz, etwa ist im Süden angelehnt an die sanfte Erhebung seit dem 15. Jahrhundert, eine Art Oberherr­ des 282 Meter hohen Haubergs. Aktenmäßig schaft über das Gebiet, während das Bistum nachgewiesen wurde im Jahre 998 eine „villa Worms fast nur noch die rein kirchliche Ver­ Bisgovesheim“ . Der Boden, auf dem der Ort waltung innehatte. 1793 trat Franz Ludwig von Bischofsheim sich entwickelte, besteht im Tal Heimstatt aus der katholischen Linie Hochhau­ aus Muschelkalk und auf den Anhöhen aus sen (Oberöwisheim) in die Erbnachfolge ein. Löß. In der Nähe der sogenannten Pulvermühle 1806 fiel die Stadt Neckarbischofsheim mit dem befinden sich zwei schmale Basaltgänge. westlichen Teil des Ritterkantons Kraichgau an Der Name Ne bi sch ofsheim wurde erst das Großherzogtum Baden. 1806 bis 1819 ge­ nach dem Anfall des Städtchens an Baden im hörte Neckarbischofsheim zum Amte Waib­ Jahre 1806 zur Unterscheidung von Tauberbi­ stadt, war danach bis 1864 selbst Amtssitz und schofsheim üblich. Die Bischöfe von Worms, wurde danach dem Amte Sinsheim zugeteilt. die seit dem 10. Jahrhundert vom Reich das Die Grundherrschaft Heimstatt ernannte den Bannrecht in den Waldungen zwischen Neckar Schultheißen als Vorsitzenden der Stadtverwal­ und Elsenz besaßen, belehnten die Herren von tung und bestätigte die Wahl der 24 Rats- und Heimstatt schon frühzeitig, sicher seit Anfang Gerichtsmitglieder. Der Anwalt(schultheiß) des 13. Jahrhunderts, mit dem Ortsgebiet. Die­ war zunächst nur ein Helfer des Schultheißen, ter von Heimstatt nahm zwar 1274 das Dorf von seit dem 18. Jahrhundert aber der Sprecher der König Rudolf I. als unmittelbares Reichslehen, Gemeinde. Von den beiden späteren Bürger­ doch übten nach dem Tode des Königs die Bi­ meistern wurde einer aus dem Gericht, der an­ schöfe von Worms wieder die Rechte der Le­ dere aus der Gemeinde gewählt. hensherren aus. Der Ort selbst entstand wahr­ Die Hochgerichtsbarkeit befand sich zunächst scheinlich als ein mit Mauern und Wassergraben nur im Besitze der Grundherren von Heimstatt. umgebener fester Platz im Schutz der zu Anfang Mit zunehmendem kurpfälzischen Überge­ des 13. Jahrhunderts erbauten ältesten Wasser­ wicht wurde im 16. und 17. Jahrhundert die burg der Herren von Heimstatt. Stadt zeitweilig zur kurpfälzischen Zent Rei­ Die Stadtrechte hat die Gemeinde vermutlich in chartshausen, auch Stüber Zent genannt, einbe­ der Zeit zwischen 1358 und 1378 unter der Re­ zogen, wodurch die Stüber Zewrgrafen Einfluß gentschaft der Brüder Wiprecht I. und Raban auf Rechtsprechung und Verwaltung gewan­ III. von Heimstatt erworben. Die beiden Brü­ nen, und die Grundherrschaft Heimstatt teil­ der versahen auch die junge Stadt mit neuen Be­ weise auf niedergerichtliche Entscheidungen festigungsanlagen. Ähnlich wie Eberbach und beschränkt wurde.

343 Als Steuer wurden die herkömmlichen herr­ Nachfolger in Speyer verschiedene Besitzungen schaftlichen Abgaben eingezogen. 1329 kamen des Hochstifts nicht herausgeben wollte, er­ 2/3 des großen Zehnten von Raban von Heim­ stürmte Bischof Walram von Veldenz statt an das Stift Wimpfen. Seit 1443 stand auch (1328-1336) die Feste Rotenberg. der Vorzehnt dem Stifte zu. Bis zum Jahre 1599 Im Jahre 1338 erteilte Kaiser Ludwig der Bayer bezog der Pfarrer 73 des Kleinzehnten, dann lö­ dem Bischof Gerhard von Speyer für Rotenberg ste diesen die Gemeinde mit 100 Gulden ab. Die das Stadtrecht von Landau. Die Reichsstadt übrigen 2/3 des kleinen Zehnten besaßen die Landau befand sich nämlich von 1317 bis 1511 Herren von Heimstatt. in speyerischem Pfandbesitz. Die Pfarrei wurde seit 1329 durch das Stift Bischof Nikolaus I. von Speyer (1371-1381 Wimpfen besetzt. Lutherische Predigten seit bzw. 1390) versetzte 1384 dem Edelknecht Tri- dem Jahre 1521 führten anschließend zur Ein­ gel von Gemmingen vorübergehend Burg und führung der Reformation. 1812 kam das Patro­ Stadt Rotenberg samt einigen benachbarten natsrecht der ersten Pfarrei an den badischen Dörfern um 1500 Gulden. Bischof Raban Landesherrn, während das der zweiten Pfarrei (1396-1439) verkaufte dann 1435 dem Ritter der Grundherrschaft verblieb. Eberhard von Neipperg ebenfalls Burg und Stadt. Doch auch diesmal fiel nach einiger Zeit Rotenberg wieder an das Hochstift Speyer zu­ Rotenberg rück. Der fehdelustige pfälzische Kurfürst Vom heutigen Standpunkt gesehen ist es schon Friedrich I. beschuldigte Bischof Johann II. fast ein Witz der Geschichte, daß auch die von Speyer (1459-1464), den Feinden der Kur­ kleine Kraichgaugemeinde Rotenberg einmal pfalz Vorschub geleistet zu haben, weshalb er Stadtrechte besaß. Die Gemeinde liegt am 1462 nach der Schlacht bei Seckenheim Stadt Westrand des Kraichgauer Hügellandes, am und Burg Rotenberg in seine Gewalt brachte. Fuße des sogenannten Schloßbergs, zum größ­ Im Verlaufe des bayerisch-pfälzischen Erbfol­ ten Teil rechts des Angelbachs, eines linken Zu­ gekrieges gelang es dem Speyerer Bischof Phi­ flusses des Leimbachs. Neben Löß findet sich lipp I. von Rosenberg (1504-1513) die Stadt Ro­ hier roter Mergelboden des Keupers, dem der tenberg mit Zubehör um 12000 Gulden zu­ Ort seinen Namen verdankt. rückzukaufen. Ende April 1525 wurde Roten­ Die Siedlung entstand im Schutze einer angeb­ berg von aufständischen Bauern besetzt und lich schon im 11. Jahrhundert vorhandenen später das Schloß durch dieselben teilweise zer­ Burg. Urkundlich 1184 erstmals erwähnt als stört. Nach dem Sieg über den bruhrainischen „mons vocabulo Rotemberch“ , war die Sied­ Bauernhaufen am Letzenberg bei Malsch la­ lung damals ein Lehen des Grafen Boppo von gerte in der Nacht vom 23. auf 24. Mai 1525 das Laufen aus den Händen des Herzogs Berthold Hauptheer des Kurfürsten Ludwigs V. von der von Zähringen. Im 13. Jahrhundert wurde ein Pfalz bei Rotenberg. Rittergeschlecht der „Streife(n) von Roten­ Während des Schmalkaldischen Krieges zogen berg“ erwähnt. 1546 Württemberger und Kursachsen durch Burg und Ort Rotenberg kamen wahrscheinlich Rotenberg. Auch im Dreißigjährigen Krieg Anfang des 14. Jahrhunderts durch Kaiser wurde das Städtchen verschiedentlich heimge­ Ludwig den Bayern an das Hochstift Speyer sucht u.a. wahrscheinlich 1621 durch Mansfel- und wurden von letzterem an die Herren von dische Truppen. Mit den übrigen rechtsrheini­ Hohenart als Lehen weiter vergabt. Da der schen speyerischen Besitzungen fiel Rotenberg Speyerer Bischof Berthold von Bucheck 1803 an Baden. (1328-1329), nachdem er zugleich zum Bischof Rotenberg war sicher seit 1341 Sitz eines bi­ von Straßburg erwählt worden war, seinem schöflich speyerischen Amtmannes, der jedoch

344 mit dem Bedeutungsverlust des Städtchens seit tenberg vereinigt. Das Patronat war sicher seit dem 18. Jahrhundert im benachbarten Rauen­ 1366 in speyerischem Besitz, kam jedoch von berg amtierte. 1462 bis Anfang des 16. Jahrhunderts vorüber­ Im Mittelalter sind als Abgaben vorwiegend gehend an die Kurpfalz. Zoll und Ungeld nachweisbar, deren Einnah­ Gegen Ende des 14. Jahrhunderts setzte sich die men vermutlich zur Hälfte in die Stadtkasse „Friedensbesatzung“ der Burg Rotenberg ne­ kamen. Durch das Stadtrecht waren die Be­ ben dem Amtmann, dem aus je einem Bäcker, wohner vor allen herrschaftlichen Frondiensten Koch, Holzknecht und einer Magd bestehen­ befreit, nur zur Erntezeit konnten sie teilweise den Bedienungspersonal, noch aus zwei Burg­ zur Hilfeleistung herangezogen werden. Aller­ wächtern und zwei Torwarten zusammen. dings dürften im Laufe der Zeit mit der Minde­ rung des städtischen Charakters von Rotenberg Unteröwisheim auch diese Vorrechte nach und nach unwirksam geworden sein. Als im Jahre 1827 eine Erhe­ Unteröwisheim, ebenfalls eine Gemeinde des bung über den Zehnten, als Vorstufe der vorge­ Kraichgauer Hügellandes, links des Kraichbach sehenen Zehntablösung, angestellt wurde, er­ liegend, hat als Boden in den Höhenlagen Gips­ gaben sich für Rotenberg folgende Angaben: Es keuper, im Tale gegen Norden sumpfiges standen zu vom großen Zehnten 'Via der Lan­ Schwemmland des Kraichbachs und Löß. desherrschaft, '/i2 der Kirche; der Vorzehnt in Die Namensform des Ortes war - vor allem im dazu bestimmten Bezirken der Pfarrei allein; Spätmittelalter - sehr unterschiedlich. So finden der Novalzehnt der Staatskasse. Nach gleichen wir sie z. B. 1277 als „Owensheim inferius“, Grundsätzen war auch der Weinzehnt aufge­ 1350 als „Nidern Aweshain“ , 1401 als „Un- teilt. Vom kleinen Zehnten gehörten aus dem dern Auwesheim“ , 1403 als „Munichauwesz- gemeinschaftlichen Zehntbezirk der Pfarrei heim“ und schließlich 1551 als „Under-Euß- 6/i2 > der Staatskasse 5/i2 > der Kirche '/12. Der heim“. Letzte Form erinnert an die heutige Vorzehnt des Kleinzehnten war der Pfarrei und mundartliche Aussprache „Unnereuse“ . der des Novalzehnten der Staatskasse Vorbehal­ Unteröwisheim ist sicher bedeutend älter als ten. seine erste urkundliche Erwähnung, doch Der Gemeinde stand der herrschaftliche dürfte die 771 genannte „Auuinisheimer mar- Schultheiß vor, dessen Befugnisse jedoch ziem­ ca“ und der 784 genannte Ort „Auvinesheim“ lich eingeschränkt waren, da auf der Burg Ro­ sich sehr wahrscheinlich auf das Dorf Oberö- tenberg ein bischöflich speyerischer Amtmann wisheim beziehen. Der Ort war ursprünglich und im Städtchen selbst ein herrschaftlicher im Besitz der Kraichgaugrafen, nach 1210 der Keller wohnten. Dem Schultheiß zur Seite tra­ Grafen von Eberstein, die ihn während des 13. ten die Räte - vermutlich wie üblich 12 Mann -, Jahrhunderts vorübergehend ihren Ministeria­ die zugleich Gerichtsschöffen waren. Während len, den Herren von Oewisheim, zu Lehen ga­ die Niedergerichtsbarkeit der Stadt zustand, ben. Um 1260 waren auch das Bistum Speyer blieb die Hochgerichtsbarkeit alleiniges Vor­ und das Kloster Maulbronn in Unteröwisheim recht der Landesherrschaft. begütert. Die Ebersteiner überließen etwa ge­ Kirchlich war Rotenberg ursprünglich selb­ gen Ende des 13. Jahrhunderts Unteröwisheim ständige Pfarrei, gehörte aber sicher seit 1496 als den Markgrafen von Baden. Filiale von Mühlhausen zum Bistum Worms Der Zeitpunkt der Verleihung des Stadtrechts und damit zum Archidiakonat des Propstes zu allerdings ist ungewiß, erfolgte wahrscheinlich Wimpfen im Tal und dem Dekanat Waibstadt. aber erst unter württembergischer Herrschaft. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurden Ro­ Der älteste bis jetzt bekannte Beleg stellt eine tenberg und Mühlhausen zu einer Pfarrei Ro­ Bürgerfahne vom Jahre 1747 dar mit der Um-

345 Schrift „Insigne civium in Unteroewisheim“ . schaft der Pfleger, dem die Verwaltung der Im Jahre 1346 verkaufte Markgraf Hermann herrschaftlichen Güter und Besitzungen anver­ IX. von Baden die Hälfte von Unteröwisheim traut war. Der städtische Rat bestand wie üblich samt dem Kirchensatz um 1200 Pfund Heller an aus 12 (oft auch nur 6-8) Mitgliedern, die meist das Kloster Maulbronn, das um jene Zeit dort zugleich als Richter amtierten. schon einen Fronhof (ehemaliges Schloß) be­ Das städtische Gericht bestand aus dem Schult­ saß. Markgraf Bernhard I. von Baden veräu­ heißen und den meist zugleich als Räte tätigen ßerte 1395 dem Kloster weitere Gerechtsame in 12 Richtern. Die Hochgerichtsbarkeit war al­ Unteröwisheim. 1411 gelangte Maulbronn lerdings rein herrschaftlich. Kaiser Wenzel er­ dann in den vollständigen Besitz des Ortes, als teilte 1381 dem Kloster Maulbronn die Ge­ noch verbliebene Anrechte des badischen richtsbarkeit über Unteröwisheim. Als Kur­ Markgrafen auf einem Tag zu Heidelberg als fürst Ludwig V. von der Pfalz 1525 die aufstän­ nichtig erklärt wurden. dischen Bauern im Kraichgau niederwarf, nahm Als im Jahre 1504 im bayerischen Erbfolgekrieg er Unteröwisheim vorübergehend bis etwa 1534 Herzog Ulrich von Württemberg die Schutz­ in Besitz und beanspruchte wieder die früheren vogtei über das Kloster Maulbronn - die zuvor schirmvogteilichen Rechte seines Landes. Kurpfalz besessen hatte-sich aneignen konnte, Durch den deshalb am 4. Februar 1536 ge­ kam auch Unteröwisheim unter württembergi- schlossenen Vertrag wurde zwar die württem- sche Oberhoheit. Die dem Kloster zustehenden bergische Oberhoheit über Unteröwisheim an­ Rechte - so u. a. der Kirchensatz und die Bestel­ erkannt, doch behielt sich die Kurpfalz ver­ lung des Pflegers - blieben zunächst unter würt- schiedene Rechte vor, u. a. mußten alle peinli­ tembergischer Herrschaft noch gewahrt, mit chen Fälle dem kurpfälzischen Oberamt in der Umwandlung der Abtei in eine evangelische Bretten mitgeteilt werden. Klosterschule im Jahre 1558 kam aber diesen Bei der Stadtverwaltung nahmen - sicher seit Rechtsansprüchen nur noch rein formelle Be­ der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts - bei deutung zu. wichtigen Gemeindeangelegenheiten ein Aus­ Am 3. Februar 1657 regelten Kurfürst Karl schuß von 24 Bürgern an den Beratungen teil. Ludwig von der Pfalz und Herzog Eberhard Ein Großteil der Steuern - besonders soweit sie von Württemberg durch einen Vertrag die ver­ aus dem Patronatsrecht abgeleitet werden bliebenen kurpfälzischen Rechte in den Ge­ konnten - fielen dem Kloster Maulbronn zu. meinden Unteröwisheim, Zaisenhausen und 1442 kam der noch Ebersteinische Anteil am Bahnbrücken. Schließlich erwarb am 15. De­ Weinzehnten ebenfalls an die Abtei. Die Ver­ zember 1747 Württemberg gegen Abtretung waltung der eingehenden Gelder und Natura­ seiner Ansprüche in Zaisenhausen, Gölshausen lien oblag dem Pfleger. In die der weltlichen und Sprantal die letzten schirmvogteilichen Obrigkeit gehörigen Abgaben teilten sich Rechte der Kurpfalz in Unteröwisheim. Auch Württemberg und Kurpfalz mit verschiedent­ diese Regelung wurde dann gegenstandslos, als lich wechselnden Anteilen. man 1806 die Stadt Unteröwisheim dem Groß­ Nachdem schon seit 1531 in Unteröwisheim re- herzogtum Baden zuerkannte. formatorische Bestrebungen festzustellen wa­ Der Gemeinde Unteröwisheim stand der von ren, wurde im Jahre 1534 durch Württemberg der Bürgerschaft erwählte und durch die Herr­ die Reformation offiziell eingeführt, obwohl schaft bestätigte Schultheiß vor, unterstützt von das Bistum Speyer und die Abtei Maulbronn zwei Bürgermeistern (Gemeinderechnern), zu hiergegen noch Einspruch erhoben. Je nach der denen später noch der sogenannte Stadtanwalt militärischen Lage - etwa bei Vorhandensein hinzukam. Die Oberaufsicht führte unter von kaiserlichen Truppen - amtierten gegen maulbronnischer und württembergischer Herr­ Ende des Dreißigjährigen Krieges vorüberge­

346 hend auch wieder katholische Geistliche in dem das territoriale Bild des Kraichgaus bestimm­ Städtchen. ten. Die herrschaftlichen und religiösen Gegen­ sätze im Südwesten des Reiches und die unmit­ Betrachten wir den geschichtlichen Ablauf der telbare Nachbarschaft des zentral gelenkten Ereignisse im Zusammenhang, so erkennen Frankreich waren auch hier - wie allgemein im wir, daß vor allem das Bistum Speyer, die Kur­ Oberrheingebiet - die maßgebenden Faktoren pfalz, die Markgrafenschaft Baden-Durlach, des politischen Geschehens. Die auffallend die Grundherrenschaften des Ritterkantons bunte Gemengelage der Territorien Südwest­ Kraichgau sowie etliche kirchliche Institutio­ deutschlands in vergangenen Jahrhunderten nen wie beispielsweise das Kloster Maulbronn, spiegelte sich gerade auch im Kraichgau deut­ die Stifte Odenheim, Sinsheim und Wimpfen lich wider.

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Wettbewerb , Junge Mundart“

Zur Förderung der alemannischen Mundart führt der „Alemannische Ge- J» sprächskreis“ einen Mundartwettbewerb durch.

Teilnahmeberechtigt sind alle an der alemannischen Mundart Interessierten im Bereich des Regierungspräsidiums Freiburg bis 35 Jahre.

Der Wettbewerb gliedert sich in drei Teile:

1. Poesie (Gedichte) 2. Prosa (Kurzgeschichten) 3. Allgemeine Einsendungen (Lieder, Reden, Vorträge u.a.).

Alle Einsendungen können schriftlich oder auf Tonband, bzw. Kassetten ge­ sprochen, eingesandt werden. Sie sollen nicht länger als höchstens 3 Schreibma­ schinenseiten bzw. 15 Minuten Sprechdauer sein.

Einsendeschluß ist der 1. November 1975

Für jede Gruppe sind jeweils folgende Preise ausgesetzt:

1. Preis 1 0 00,— D M 2. Preis 500,— DM 3. Preis 250,— DM 4. Preis 100,— DM und weitere Sachpreise.

Das Preisgericht setzt sich aus 7 Vertretern des Alemannischen Gesprächskreises zusammen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Einsendungen mit Angabe des Alters sind zu richten an das Regierungspräsi­ dium Freiburg, 78 Freiburg i.Br., Kaiser-Joseph-Straße 167.

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348 Aus der Vergangenheit Walldorfs

Engelbert Strobel, Karlsruhe

Selten ist eine Stadt so sehr mit einer Person in pfändete. Doch einige Zeit danach wurde Wall­ Verbindung gebracht worden wie Walldorf mit dorf von der Pfalz erneut eingelöst. Am seinem großen Sohn, dem späteren nordameri­ 18.März 1462 in der Fehde gegen Kurfürst kanischen Großkaufmann J ohann J akob Astor. Friedrich I. verbrannten württembergischeund Astor, der bekanntlich am 17. Juli 1763 in Wall­ markgräflich-badische Truppen die Dörfer dorf geboren wurde und am 30. März 1848 in Walldorf, Nußloch, Sandhausen und St. Jlgen. New York starb, war der Prototyp des erfolg­ Während des Dreißigjährigen Krieges hatte der reichen nordamerikanischen Geschäftsmannes O rt mehrfach unter den Ausfällen der Besat­ deutscher Herkunft. Im Gedenken an ihn zungen der Festung Philippsburg zu leiden. wurde bereits 1854 in Walldorf von der Astor- Auch im Orleansschen Kriege wurde Walldorf stiftung ein Alters- und Versorgungsheim er­ schwer heimgesucht, so legten u.a. 1691 die öffnet. Hierbei wird allerdings oft vergessen, Franzosen das Dorf teilweise in Brand und be­ daß Astor nicht der einzige nennenswerte Wall- setzten es vorübergehend im Jahre 1694. Auch dorfer ist, der um die Wende des 18. zum 19. im folgenden 18.Jahrhundert war Walldorf Jahrhundert lebte. Hingewiesen sei deshalb ständig Gegenstand militärischer Operationen. auch auf den Hofprediger und pfalzgräflichen So fand 1704 ein Durchmarsch kaiserlicher Hofmeister Joseph Anton Franz Maria Sambu- Truppen statt und Mitte Juni 1707 errichteten ga, der am 9. Juni 1752 ebenfalls in Walldorf das die Franzosen in und bei Walldorf ein Truppen­ Licht der Weit erblickte und am 5. Januar 1815 lager. In den späteren Feldzügen am Oberrhein in München das Zeitliche segnete. waren weitere Einquartierungen, Kontribu­ Walldorf liegt in der oberrheinischen Tiefebene tionslieferungen und Durchmärsche zu melden; zwischen dem Flußgebiet des Leimbachs und so während des Polnischen Erbfolgekriegs und des Kraichbachs auf dem Sand- und Kiesboden des österreichischen Erbfolgekriegs. Im Letz­ der Rheinebene. Die Gegend war schon früh­ teren zogen u.a. im Jahre 1744 österreichische zeitig besiedelt. Die Siedlung Walldorf selbst und ungarische Heeresverbände durch Wall­ gehörte zum Lobdengau und wurde bereits im dorf. Ende September 1795 marschierten kai­ 8.Jahrhundert wiederholt in Urkunden des serliche Truppen durch den O rt zur Belagerung Klosters Lorsch, das dort reich begütert war, der von den Franzosen besetzten Stadt Mann­ genannt. König Heinrich schenkte im Jahre heim. Im Verlaufe des Jahres 1799 - beim 1230 das D orf dem Pfalzgrafen Otto I. Kampfe um die Reichsfestung Philippsburg - Pfalzgraf Ludwig II. löste 1268 mehrere Güter quartierten sich abwechselnd Franzosen und in Walldorf, die den Herren von Sternfels ver­ Kaiserliche in Walldorf ein. pfändet worden waren, wieder ein. Derselbe 1803 kam Walldorf mit den übrigen rechtsrhei­ vermachte am 7. Januar 1288 seiner Gemahlin nischen Besitzungen der Kurpfalz an Baden. In Mechthild verschiedene Besitzungen u.a. auch der kurpfälzischen Zeit gehörte Walldorf zum in Walldorf. Nach 1294 erhielt diese den Ort Oberamt Heidelberg, Zent Kirchheim. Unter zum späteren Witwensitz angewiesen, den sie badischer Landesherrschaft kam der O rt bis 1323 zugleich im Namen ihres Sohnes Adolf an 1829 zum Amt Heidelberg, von da bis 1936 zum den Grafen Eberhard von Württemberg ver­ Amt Wiesloch, das schließlich in diesem Jahr

349 mit dem Amtsbezirk (später Landkreis) Hei­ Anfang des 18. Jahrhunderts erneut bestehende delberg vereinigt wurde. Die Erhebung Wall­ lutherische Kirchengemeinde wurde damals dorfs zur Stadt erfolgte erst zu Beginn unseres von Wiesloch aus pastoriert. Jahrhunderts und zwar durch die Großherzog­ Ein Spiegelbild der religiösen Spaltung bot auch lich Badische Staatsministerialentschließung seit dem 16. Jahrhundert das örtliche Schulwe­ vom 2. September 1901. sen. So finden wir eine reformierte Schule seit An der Spitze der Gemeinde Walldorf stand seit 1573 genannt; seit 1702 bestand eine katholische dem ausgehenden Mittelalter der herrschaftli­ und seit 1715 eine lutherische Volksschule. che Schultheiß, den ein später hinzukommen­ Durch die Union 1821 wurden die lutherische der Anwalt und 1-2 Bürgermeister (Gemeinde­ und die reformierte Schule vereinigt, bis 1877 rechner) in seinen amtlichen Obliegenheiten das gesamte Volksschulwesen in einer Simul­ unterstützten. Daneben wirkten die Gerichts­ tanschule zusammengeschlossen wurde. schöffen, welche wahrscheinlich zugleich als Sehr verwickelt durch die verschiedenartigen Räte amtierten. Im 18. Jahrhundert mußte der Rechtsansprüche war in Walldorf das Zehntwe­ Schultheiß dem katholischen Glaubensbe­ sen des Ortes. So waren gegen Ende des Mittel­ kenntnis angehören, obwohl die Katholiken in­ alters bis zur Säkularisation 1803 in Walldorf nerhalb der Gemeinde eine Minderheit darstell­ zehntberechtigt: Vom großen Fruchtzehnten ten. das Domkapitel Worms mit 4/10, die geistliche Das Ortsgericht setzte sich aus dem Schulthei­ Verwaltung des Klosters Schönau bei Heidel­ ßen, dem Anwalt, den Schöffen und einem Ge­ berg mit 3/io (darunter 7io des ehemaligen Stif­ richtsschreiber zusammen. Es entschied im all­ tes Sinsheim), die Nonnen über Hasenpfuhl in gemeinen nur über bestimmte niedergerichtli­ Speyer mit 7io, der katholische Schulmeister che und bürgerliche Angelegenheiten. Die mit »/io- Vom kleinen Zehnten erhielt die katho­ Hochgerichtsbarkeit unterstand dem Gericht lische Pfarrei 3/b, die geistliche Verwaltung 1/6, der KirchheimerZerat bzw. dem Oberamt Hei­ die Nonnen über Hasenpfuhl x/6, die katholi­ delberg. Sicher seit dem 17. Jahrhundert trat sche Schule 1/6. außerdem bei wichtigen Gemeindeberatungen Von 1803 bis zur allgemeinen Zehntablösung ein Bürgerausschuß von 24 Mitgliedern zu­ nach 1831 bezog die badische Landesherrschaft sammen. vom großen Zehnten die Anteile des Domkapi­ Im Mittelalter gehörte Walldorf kirchlich zum tels Worms und der Nonnen über Hasenpfuhl Bistum Worms und innerhalb desselben zum (zusammen 7io), sowie vom kleinen Zehnten Archidiakonat des Propstes von Neuhausen ebenfalls den Anteil der Nonnen (Vs)- Der so­ und dem Landdekanat Heidelberg. Schon 1197 genannte St. Leoner Zehnt bis 1803 vom Dom­ hatten die Bischöfe von Worms den Pfarrsatz kapitel Speyer erhoben, ging danach gleichfalls inne, der 1294 an das Domkapitel Worms über­ an die badische Landesherrschaft über. In den ging. Bis 1302 war das Patronatsrecht mitunter sogenannten Mainzer Zehnten teilten sich die auch an verschiedene Adelsfamilien verpfändet. katholische Pfarrei Walldorf und das Domini­ 1556 wurde auch in Walldorf das lutherische kanerkloster Heidelberg; nach 1803 bezog ihn und 1560 das reformierte Glaubensbekenntnis die katholische Pfarrei allein. eingeführt. Nach einer Aufstellung der Domänenverwal­ In Ausführung der kurpfälzischen Religionsde­ tung Heidelberg vom Jahre 1830 erhielten fer­ klaration vom 21. November 1705 fiel die ner: den gesamten Zehnten des Alt-Noval Ak- Pfarrkirche der sich neu bildenden katholischen kerlandes der großherzogliche Fiskus; den gro­ Kirchengemeinde zu. Die reformierte Kirchen­ ßen Zehnten des Neu-Noval Ackerlandes das gemeinde kam 1707 zur Pfarrei Reilingen, seit großherzogliche Aerar; den kleinen Zehnten 1748 zur Pfarrei Nußloch. Die ebenfalls seit desselben Bezirks je zur Hälfte der großherzog­

350 liehe Fiskus und die katholische Pfarrei Wall­ Weniger eigentlich historische Belange als der dorf. Die Abgaben des sogenannten Ringel­ aufstrebende Vieh-, Hopfen-, Tabak- und Lan­ zehnt- und des Wiesenzehntdistrikts standen desproduktenhandel (Spargel) und die Zigar­ der katholischen Pfarrei zu; ebenso war der renindustrie waren maßgebend, der sich der Blutzehnt Bestandteil der Besoldung der katho­ Zahl von 4000 Einwohnern nähernden Ge­ lischen Ortsgeistlichen. meinde im Jahre 1901 das Stadtrecht zu verlei­ Man kann sich vorstellen, daß eine derart aufge­ hen. Eine seit 1902 bestehende Straßenbahn­ splitterte Abgabenordnung den zuständigen verbindung zum Bahnhof Wiesloch-Walldorf Beamten bei der Zehntablösung mancherlei wurde 1906 auf elektrischen Betrieb umgestellt. Kopfzerbrechen bereitete.

351 Gemach

Gemach, o Herz, gemach! Dir hilft kein zornig Schlagt was heute deine Schmach, ist morgen zu ertragen. Wie immer mit Bedacht dein Pochen stets gewesen, so wirst du über Nacht auch dieser Not genesen. Du ahnst die Ewigkeit im stillen, steten Ticken, so fühl mit jedem Leid, erquick dich im Erquicken.

Hubert Baum Die letzten fürstlichen Besitzer und Bewohner der Gochsheimer Schlösser 1679-1728

Rudolf Herzer, Freiburg i. Brg.

Gochsheim i. Kraichgau - heute 7527 Stadt 3. Sophie Dorothea * Neuenstadt 26. 9. 1658 Kraichtal - war uralter Besitz der ehem. Grafen t 13. 7. 1681 od 16. 9. 1680 mit Ludwig von Eberstein, die nach einer sagenhaften U r­ Christian Graf zu Stollberg. kunde schon im Jahr 635, unter König Dago­ Herzog Friedrich August reiste nach vollende­ bert I. (623-639) hier eine Burg gebaut haben ter häuslicher Erziehung mit seinem Bruder sollen. Diese Burg wird ab 1220-1520 weiterhin Ferdinand 1672, unter Begleitung Stoffels und urkundlich erwähnt. Reste von ihr, samt eines Friedrichs von Weiler, eines vielgereisten, meh­ ehem. Bergfrieds, stecken in den Substruktio- rerer neuen Sprachen wohlkundigen Edelman­ nen des Flauses Hagenbucher-Weigel Nr. 87, nes, nach Genf, wohin es damals der Ruf des im Vorhof des vorderen Schlosses. Vor 1521 Publizisten Philipps Andreas Oldenburger begannen die Grafen Bernhard und Wilhelm mehrere Fürstensöhne zog. Beide Prinzen hör­ von Eberstein mit dem Bau von zwei neuen ten bei diesem Manne Vorlesungen über Politik Schlössern, die vermutlich unter Graf Philipp und Geschichte und legten sich dabei eifrig auf von Eberstein (1523-1589) vollendet worden die französische Sprache und auf Leibesübun­ sind. gen. Im September und Oktober 1673 machten Mit dem Tod des Grafen Casimir von Eberstein sie eine Reise nach Südfrankreich, konnten aber (1639-1660) starb dieses berühmte Geschlecht ihren Vorsatz, auch Paris zu besuchen, nicht im Mannesstamm aus. Dessen einzige Tochter: ausführen, weil ihr Vater sie wegen des zwi­ Albertine Sophie Esther von Eberstein, Frau­ schen Frankreich und dem Kaiser ausgebroche­ enburg, Forbach und Werthenstein, heiratete nen Krieges nach Hause zurückrief (1674). Die­ am 9. 2. 1679 in Neuenstadt a.d. Linde den ser Krieg verschaffte beiden Brüdern Gelegen­ Fierzog Friedrich August von Württemberg heit, ihre kriegerische Laufbahn zu eröffnen. und Teck, Graf zu Mömpelgart, Flerr zu Hei- Friedrich August ging im Sommer 1674 ins El­ denheim (1654—1716). Er war der Sohn des saß und trat als Rittmeister in ein Braunschwei- Herzogs Friedrich von Württemberg-Neuen- gisch-Lüneburgisches Reiterregiment ein. Mit stadt und der Klara Augusta von Braunschweig diesem focht er in der Schlacht bei Ensisheim in Wolfenbüttel. am 24. 9. 1674, wo er sich sehr auszeichnete und an der rechten Hand verwundet wurde. Er Die Geschwister des Herzogs Friedrich August achtete anfangs diese Wunde nicht und blieb waren: beim Heer, bis ihre Verschlimmerung ihn 1. Ferdinand Wilhelm * Neuenstadt 12. 9. zwang, nach Straßburg zu gehen. Bald aber 1659, t Sluis/Flandern 7. 6. 1701, an einer schloß er sich dem Heer wieder an und zog mit Wunde über dem Auge, die er in Ungarn er­ ihm nach Breisach. Die vielen Strapazen und die halten hatte, schlechte Witterung griffen ihn aber so sehr an, 2. Karl Rudolf * Neuenstadt 29. 5. 1667, daß er ein heftiges Nervenfieber bekam. Er ließ i Neuenstadt 17. 11. 1742, beide berühmte sich deswegen nach Stuttgart bringen, wo ihn Heerführer, Herzog Wilhelm Ludwig sehr sorgsam pflegen

353 Herzog Friedrich August von Württemberg. * 12. 3. 1634 in Neuenstadt a.d. Linde, t 6, 8. 1716 in Gochsheim

ließ und wo er nun auch gegen Erwarten bald Hand gefangen nahm. Seinem Bruder, der sich wieder genas. Jetzt eilte er sogleich wieder zum stets im Getümmel befand, wurden damals drei deutschen Heer, welches den Rhein überschritt Pferde unter dem Leib erschossen und eine Ku­ und bei dem er auch seinen Bruder Ferdinand gel durchlöcherte ihm seine Uniform, ohne ihn Wilhelm fand. Dieser nämlich hatte, mit Er­ zu verletzen. Herzog Friedrich August, indes­ laubnis seines Vaters, den Braunschweigisch- sen zum Braunschweigisch-Lüneburgischen Lüneburgischen General-Feldmarschall Jo­ Oberstwachtmeister ernannt, machte anschlie­ hann Adolf von Holstein-Ploen im Winter­ ßend die folgenden Feldzüge mit und zeichnete quartier in Geislingen besucht und es bei ihm sich besonders im Treffen bei Saarbrücken und durch seine Bitten dahin gebracht, daß er das bei der Belagerung von Stade aus. Kurz vor dem Heer als Freiwilliger begleiten durfte. Beide Abschluß des Nimweger Friedens mußte er Brüder machten nun die Schlacht bei Trier am seine kriegerische Laufbahn beschließen, denn 1 1 .8 . 1675 gegen den französischen Marschall sein Vater wollte seinen ältesten Sohn und künf­ de Gregui mit, in welcher Ferdinand Wilhelm tigen Regierungsnachfolger nicht länger den die ersten Proben seines Heldenmutes ablegte Gefahren des Krieges aussetzen und berief ihn und einen französischen Offizier mit eigener daher zu sich nach Neuenstadt zurück.

354 Albertina Sophia Esther geb. von Eberstein, Herzogin von Württemberg. * 20. 5. 1661 in Gochsheim, f 24. 5. 1728 in Gochsheim

Hier vermählte sich Herzog Friedrich August Rose, sie führt so scharfen Dorn, ich kenne am 9. 2. 1679 mit Albertine Sophie Esther, der wohl den Eber, er hat so grimmigen Zorn!“ . einzigen, erst nach des Vaters Tode geborenen Aber drei Jahrhunderte sind eine lange Zeit, Tochter des letzten Sprößlings eines uralten auch für den grimmigsten Zorn und als der tap­ Adelsgeschlechts, des Grafen Casimir von fere Enkel des Greiners um die ,,letzte Rose von Eberstein, die er vermutlich auf Durchreisen Eberstein“ freite, wurde sie ihm nicht versagt. nach Genf und Einquartierungen während der Im März 1682 folgte Friedrich August seinem damaligen Kriege kennengelernt hatte. Sie Vater nach und nahm seinen Sitz in Gochsheim, brachte ihm das Städtchen Gochsheim im das damit Residenz des Herzogs v. Württem­ Kraichgau mit den beiden Schlössern, den hal­ berg-Neuenstadt wurde. Als die Franzosen im ben Anteil des ehem. Ebersteinischen Besitzes Jahr 1688 wiederholt in den Kraichgau einfielen Gernsbach und etliche Güter von Werdenstein und Gochsheim plünderten, verlegte er seine an der Grenze von Lothringen, ein. Residenz wieder nach Neuenstadt an der Linde. Der Herzog war ein Enkel des berühmten Als im gleichen Jahr der Herzog zu Bezeugung Greiners, von dem Uhland im „Überfall zu vieles Guten und Abwendung großen Schadens Wildbad“ sagen läßt: „Ich kenne wohl die bei der französischen Generalität zu Heilbronn

355 Friederike von Württemberg * 27. 7. 1699 in Gochsheim, I 8. 5. 1751 Neuenstadt

gewesen und in dem Deutschen Haus Abschied schonten sie nicht und erbrachen in letzterer so­ nehmen wollte, ist er durch einen Mißtritt viele gar die gräflich-«bersteinische Familiengruft, in Stufen die Treppe hinuntergefallen und hat eine der die Eltern der Herzogin ruhten. Beide Ge­ so tiefe Wunde in der Stirne bekommen, daß bäulichkeiten ließ der Herzog mit vielen Kosten man ihn für tot weg in den württembergischen wieder hersteilen und unterstützte auch die Pfleghof trug, wo er aber bald wieder zu sich Einwohner des Städtchens so großmütig, daß kam. Für die wunderbare Rettung hat er Gott sich dasselbe bald wieder - in besserem Zustand inbrünstig gedankt und den Tag des Falles - als vorher - erhob. nämlich den 3. 11. 1688 - alle Jahre mit Beten Mit seinen Brüdern, die als Heerführer sehr be­ und Fasten zelebriert, auch ein besonderes Al­ rühmt geworden sind, stand er stets in Brief­ mosen den Hausarmen gestiftet. wechsel. Sie kamen auch öfters zu ihm auf Be­ Am 2. 8. 1689 wurde Gochsheim von den such nach Gochsheim, wo sie durch die Bevöl­ Franzosen abermals ausgeplündert und bis auf kerung begeistert begrüßt wurden. ein Haus (vermutlich das alte Schafhaus ge­ Karl Rudolf focht mit dem Herzog Marlbo- genüber dem heutigen) gänzlich niederge­ rough - ein Verwandter des späteren Premier­ brannt. Selbst die Schlösser und die Kirche ministers C H U R C H ILL in England - , Prinz

356 Eugen von Savoyen und Markgraf Ludwig von Albertine Sophie Esther, geborene Gräfin von Baden gegen ein bayerisch-französisches Heer, Eberstein, war am 20. 5. 1661 in Gochsheim in der Schlacht bei Höchstett (13. 8. 1704) und geboren. Ihre Eltern waren: Casimir Graf von in der Schlacht bei Ramillies (23. 5. 1706), wo­ Eberstein, Herr zu Frauenburg, Forbach und für er durch Marlborough und den König von Wertenstein, * Gernsbach 19. 4. 1639 + Hei­ Dänemark, sowie die englische und holländi­ delberg 22. 12. 1660 an der Pest; Maria Eleo- sche Regierung gelobt wird. Der Zar von Ruß­ nora Gräfin von Nassau-Saarbrücken * 12. 8. land teilte ihm 1716 den Tod seines ältesten 1636 + Gochsheim 16. 12. 1678. Beide beige­ Bruders in Gochsheim mit. Im gleichen Jahr setzt in der Sakristei der St.-Martins-Kirche in kehrt Karl Rudolf nach Neuenstadt zurück. Gochsheim. 1734 ist er Reichsgeneralfeldmarschall und hat Aus ihrer Ehe gingen 14 Kinder hervor, wovon die Aufsicht über die Festungen Freiburg 1 Prinz und 3 Prinzessinnen tot zur Welt ka- i.Brg., Breisach und Kehl. Sein älterer Bruder men. Die übrigen waren: Ferdinand Wilhelm hat eine noch größere Hee­ 1. Friedrich Casimir reslaufbahn. 1675 focht er am Rhein, Däne­ * 7. 10. 1680, + 9. 10. 1680 mark, Feldzug Schonen. 1677 wird er in Wien 2. Ludwig Friedrich vom Kaiser begrüßt. 1681 im schwedisch-däni­ * 1. 10. 1681, + 9. 10. 1681 schen Krieg. König Christian V. verleiht ihm 3. Friedrich Samuel den goldenen Degen und den Elefantenorden * 1 1 . 5. 1684, + 13. 5. 1684 und ernennt ihn zum Generalleutnant. 4. August Friedrich In den Feldzügen gegen die Türken in Ungarn * 4. 4. 1687, +21. 7. 1687 wird er am 10. 7. 1685 bei Neuhäusel durch ei­ 5. Karl nen Schuß von einem Janitscharen über dem 26. 12. 1688, + 19. 3. 1689 linken Auge in die Stirne verwundet. Trotz die­ 6. Adam ser schweren Verwundung zieht er 14 Tage spä­ * 30. 5. 1690, + 1. 7. 1690 ter mit verbundenem Kopf hoch zu Roß wieder 7. Auguste Sophie in die Schlacht. Diese Verwundung führte spä­ * 24. 9. 1691, + 1. 3. 1743 ter zum Tod. Am 3. 10. 1691 wird Ferdinand Neuenstadt Wilhelm vom König von England in einem c d 5. 12. 1709 mit Friedrich Eberhard, Triumphzug durch London geführt. König Graf von Hohenlohe-Kirchberg. Wilhelm von Holland ernennt ihn zum Gene­ Ehe kinderlos. ral. 1695 wird er Gouverneur von Breda. Nach 8. Eleonore Wilhelmine Charlotte dem Frieden empfängt ihn der König von Frankreich in Ehren als französischen Prinzen Kanonissin in Gandersheim von Geblüt. Ein französischer General, der ihn * 24. 6.1694,111. 8.1751 9. Friederike beleidigte, mußte Abbitte leisten. Äbtissin in Walloe/Dänemark 27. 7.1699, +8. 5.1781 In den letzten Jahren seines Lebens litt Herzog 10. Friedrich Friedrich August in Gochsheim sehr an Eng­ * 6. 7. 1701, +21. 10. 1701 brüstigkeit. Er suchte deswegen mehrere Jahre mit gutem Erfolg den Zaisenhauser Sauerbrun­ Eine Reihe dieser Kinder wurden in der fürstli­ nen auf. Als er von einer solchen Kur zurück­ chen Gruft in Neuenstadt a. d. Linde beigesetzt. kam, überfiel ihn eine heftige Ruhr mit hohem Hier ruhen auch die Eltern und die berühmten Fieber, an der er am 6. 8.1716 starb und in einer Brüder des Herzogs Friedrich August, unter Gruft in der Kirche zu Gochsheim beigesetzt deren Schutz sich auch die beiden ledigen Töch­ wurde. ter des Herzogs begaben.

357 Die Herzogin-Witwe blieb als Richterin und Eppinger Geschlecht, Kepnerdruck Eppingen Regentin in den Schlössern ihrer Väter und die 1967), die bis zu ihrem Tod im hinteren Schloß 12jährige Regierung der vielgeprüften Frau war das Wohnrecht hatte. Die Herzogin starb am für Gochsheim noch eine gute Zeit. Die letzte 24. 5. 1728 in Gochsheim. „Rose von Eberstein“ war eine gute Landes­ Die Ölbilder der gräflichen und fürstlichen mutter, wie der verstorbene Herzog sehr Gochsheimer Herrschaften hängen heute in den fromm, wohltätig, leutselig und allem nach eine Schlössern Weikersheim und Neuenstein als sehr natürliche und anspruchslose Frau. An ih­ Fürstl. Hohenlohe-Öhringen’sche Stiftung. rer Seite blieb noch der kleinere Hofstaat, wie er Fotokopien befinden sich im Schloß Gochs­ namentlich im Gochsheimer Geschichts- und heim. Sippenbuch aufgeführt ist, insbesondere ihre langjährige Kammerfrau Sophie Margarete Heinrich, * 20. 2. 1676, + 17. 8. 1757, Tochter Quellen: des Stadtschreibers Johann Jakob HEINRICH Karl Pfaff, Esslingen: Württb. Heldenbuch, 1840. und Anna Elisabeth Dieffenbacher aus Eppin­ Leichenpredigten des Herzogs Friedr. August und gen (Adolf Neureuter: Dieffenbacher, ein altes Gemahlin, Stuttgart 1728.

358 Vor 450 Jahren: Bauernkrieg auch im Kraichgau

Peter Assion, Freiburg i. Br.

Zum 450. Mal jährt sich in diesem Jahr der deut­ büchern zu Ortsjubiläen liest man’s auch heute sche Bauernkrieg, und nicht gering an Zahl sind noch gelegentlich so, wie sich Pfarrer Anton die Anstrengungen, diesem Ereignis Braun 1914 in seiner kleinen „Geschichte der rückschauend Gerechtigkeit werden zu lassen: Stadt Eppingen“ ausdrückte: „wildes Trei­ mit Festveranstaltungen, Ausstellungen und ben. .. rohe sinnliche Vergehen“ , anscheinend Publikationen. Man mag in diesem Eifer mehr grundlos begangen, denn von den Ursachen des sehen als eine pflichtschuldige Verneigung vor Bauernkrieges erfährt man nichts, während der Geschichte: Wiedergutmachung an einem dann das Vorgehen des pfälzischen Kurfürsten historischen Phänomen, das oft genug in seiner um so verständlicher erscheint, der „mit starker Bedeutung für die geschichtliche Gesamtent­ Hand“ endlich durchgriff und „strenges Ge­ wicklung verkannt und als Zusammenrottung richt“ über die Übeltäter hielt. Dabei hatte gottvergessener Meuterer, die die verdiente schon Alexander von Humboldt - woran zum Strafe traf, abgewertet worden ist. In Heimat­ diesjährigen Jubiläum immer wieder erinnert

Vor 450 Jahren erhob sich der kleine Mann gegen seine Herren. Der zeitgenössische Holzschnitt vom sog. Pe­ trarca-Meister zeigt, wie Bauern einen Adeligen gefangennehmen.

359 wird - überraschend einsichtig geäußert: „Der band sich dazu mit einer starken antikirchlichen große Fehler in der deutschen Geschichte ist, Stimmung und war für die Ideen offen, die von daß der Bauernkrieg nicht durchgedrungen Kirchenkritikern wie Wiclif und Hus ausgegan­ ist“ . Katastrophen, von denen selbst Humboldt gen waren und die auch von Luther aus Witten­ noch nichts ahnen konnte, waren denn auch berg zu kommen schienen, ehe dieser klarstell­ noch nötig, den Deutschen die Möglichkeit zu te, daß es ihm nur um das Heil der Seele, nicht geben, ihre politische Ordnung in freier Selbst­ um das des Leibes ging, der weltliche Herr­ bestimmung regeln zu können. Eine demokra­ schaft zu leiden habe. tische Gesellschaft aber kann, wie Bundespräsi­ Ein wichtiger Schauplatz der damaligen Ereig­ dent Gustav Heinemann 1970 bei seiner be­ nisse war auch der Kraichgau. Die entscheiden­ rühmten Rede auf der Bremer Schaffermahlzeit den Schlachten wurden hier zwar nicht geschla­ der Geschichtsschreibung ins Stammbuch gen, doch traten im Kraichgau wiederholt Frei­ schrieb, „nichts daran hindern, in der Ge­ heitskämpfer auf, deren Vorstellungen in be­ schichte unseres Volkes nach jenen Kräften zu sonderem Maße auf die Zeitereignisse einwirk­ spüren und ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu ten und dazu - als fortschrittlich im angedeute­ lassen, die dafür gelebt und gekämpft haben, ten Sinne - überzeitliches Interesse verdienen. daß das deutsche Volk politisch mündig und Was jedoch allgemein für den Bauernkrieg gilt, moralisch verantwortlich sein Leben und seine das gilt erst recht von diesen Männern: histori­ Ordnung selbst gestalten kann“ . sche Gerechtigkeit ist man ihnen z.T. noch Als sich 1525 vom Bodensee bis nach Thüringen schuldig geblieben. Umso mehr ist die histori­ Bauern und Städter gegen die Feudalherren, ge­ sche Würdigung zu begrüßen, die Ludwig Vö- gen geistliche und weltliche Fürsten erhoben, gely (Karlsruhe) in dem nachfolgenden Beitrag ging es dabei tatsächlich um mehr, als um die den Kraichgauer Revolutionären zuteil werden Verminderung von Zehntabgaben und die Lok- läßt. kerung des herrschaftlichen Regimentes, örtli­ Als „Mythos der Revolution“ ragt - so Gün­ che Konfliktfälle verschiedener Art, wirtschaft­ ther Franz in seinem einschlägigen Buch - Joß liche Not, Beeinträchtigungen alten geltenden Fritz aus Untergrombach in die Geschichte des Rechtes mochten Zündstoff angehäuft haben: Bauernkrieges. Als junger Bauer hatte er sich als dieser explodierte, gab er den Blick frei auf schon seit Jahrhundertanfang im Zeichen des größere Ziele. Von der „Verkehrung aller Stän­ Bundschuhes dem Umsturz verschrieben. Be­ de“ war die Rede, von der Beseitigung der redsam, willensstark und organisatorisch be­ Herrschaft von Menschen über Menschen. Al­ gabt, hatte er es verstanden, 1501 in seinem lenfalls ein Kaiser sollte an der Spitze des Rei­ Heimatdorf und Umgebung, aber auch in der ches noch geduldet werden, doch auch von der Stadt Bruchsal Anhänger um sich zu scharen reinen Bauernrepublik konnte man hören, und und im Namen der „göttlichen Gerechtigkeit“ den vielen kleinen und großen Herren im be­ gegen den Bischof von Speyer zu führen. Aus sitzrechtlich zerrissenen Deutschland scholl es Flugschriften der Zeit wie der sog. „Reforma­ entgegen: „Als Adam grub und Eva spann, wo tion des Kaisers Siegmund“ , die eine scharfe war denn da der Edelmann?“ Die Bibel und ihre Trennung zwischen geistlicher und weltlicher Verheißung von der Gleichheit aller Menschen Herrschaft propagierte, nahm er dazu die lieferte hier erstmals ein sozialrevolutionäres Rechtfertigung, und als sich seine Anhänger­ Konzept (so wie auch der Sozialismus ohne das schaft über das bischöfliche Territorium hinaus Christentum nicht gedacht werden kann), das ausdehnte - man sprach von 20 000 Anhängern sich beträchtliche Volksteile zu eigen machten - , dachte Joß Fritz an eine allgemeine Erhebung und auch zu verwirklichen trachteten. Ein Be­ des Bauernstandes. Nachdem das Schloß Ober­ dürfnis nach echter, gelebter Frömmigkeit ver­ grombach eingenommen war, sollte die Stadt

360 Bruchsal besetzt werden, dann die übrigen Mitte bis Ende April 1525 war sie hier in Gang Amtssitze, schließlich die bischöfliche Haupt­ gekommen. stadt. Und von dort sollte die Revolution über Anton Eisenhut hielt als Führer der Kraich- die Landesgrenzen hinausgetragen werden. gauer Aufständischen Fühlung mit dem Bau­ Verrat und rasches Durchgreifen der Obrigkeit ernheer, das sich in Württemberg zusammenge­ aber machte den hohen Plänen ein schnelles rottet hatte, und stand als Unterhauptmann zu­ Ende. Joß Fritz mußte fliehen, seine Anhänger nächst unter dem Kommando von Matern Feu­ wurden verhaftet, auseinandergetrieben, hinge­ erbach, dem württembergischen Bauern­ richtet. hauptmann. Eine andere Gruppe war der Bruh- Als Feldhüterin Lehen bei Freiburg tauchte Joß rainer Haufe, der am 2 3 .April Bruchsal be­ Fritz 1513 wieder auf. Erneut warb er dort für setzte und - unterstützt von Bruchsaler Bürgern seine Ideen und gewann neuen Anhang, und - die bischöfliche Residenz Udenheim bedroh­ wieder wurde ein geplanter Aufstand durch zu te. Er löste sich wieder auf, nachdem der Bi­ frühes Bekanntwerden schon im Keim erstickt. schof in Verhandlungen eingetreten war und Aber Joß Fritz gab nicht auf. Im gesamten sich zu Einschränkungen kirchlicher Besitz­ Oberrheingebiet agitierte er gegen die Obrig­ rechte und Herrschaftsansprüche herbeigelas­ keit, bezog fahrendes Volk ebenso wie Stadt­ sen hatte. Fast gleichzeitig aber organisierte Ei­ bürger in seine Verschwörung ein: der Adel senhut - nachdem er sich von den Württember- sollte verjagt und keine Obrigkeit mehr aner­ gern getrennt hatte - eine neue Kampfgruppe, kannt werden. Doch ein drittes Mal ereignete die sich durch besonders hartes Vorgehen her­ sich Verrat, und wieder tauchte Joß Fritz unter. vortat. Nachdem Eisenhut in Gochsheim die Als sich dann 1525 die Bauern im Südschwarz­ Bauern gesammelt hatte, wurde unter seiner wald erhoben, war er noch beratend dabei und Führung das Schloß in Menzingen und die Stadt erklärte als nun schon graubärtiger Greis: „E r Heidelsheim geplündert. Von hier ging es nach könne oder möge nicht sterben, der Bundschuh Sinsheim, wo das Stift zerstört wurde, und wei­ habe denn seinen Fortgang genommen“ . ter zum Steinsberg, wo das Schloß des Hans von Venningen niedergebrannt wurde. Eisenhut In der Geburtsheimat von Joß Fritz war der war konsequent gegen Ritter und Pfaffen einge­ Bauernsache inzwischen ein neuer führender nommen, ja stellte auch die Herrschaft des Kur­ Kopf erwachsen, der Eppinger Pfarrer Anton fürsten in Frage und wollte eine reine Bauernre­ Eisenhut, der als Sozialrevolutionär mit Tho­ gierung. Kein Haufe in der Nachbarschaft ging mas Münzer, dem bedeutendsten Ideologen des in seinen Forderungen so weit, und auch seine Bauernkrieges, verglichen wird. Er führte eine Mitkämpfer folgten Eisenhuts Gedankengän­ Bewegung an, die nun ungleich heftiger und all­ gen nur zum Teil. Dies nützte der Kurfürst aus. gemeiner in Gang gekommen war und auch bes­ Er machte den Bauern einige vertragliche Zuge­ sere Aussicht auf Erfolg hatte als die kleinen, ständnisse, so daß sie sich fürs erste zufrieden lokal begrenzten Aufstände der vorangegange­ gaben und sich ebenfalls wieder auflösten. nen Jahre. Vom Südschwarzwald, vom Elsaß, An diesem Beispiel zeigt sich das Dilemma, das vom Bodensee und dem Allgäu über Württem­ den Bauernkrieg insgesamt charakterisiert: berg bis weit ins Fränkische hinein hatte sich trotz profilierter Führer kam es zu keinen ein­ binnen weniger Wochen der kleine Mann gegen heitlichen Zielsetzungen und zu organisatorisch seine Unterdrücker erhoben und seinen An­ umfassendem Vorgehen. Die einzelnen Grup­ spruch auf politische Mitsprache angemeldet. pen ließen sich mit Verträgen hinhalten und Im Kraichgau richtete sich diese Bewegung auseinanderdividieren, bis sie einzeln von der hauptsächlich gegen den Bischof von Speyer überlegenen Feudalmacht - militärisch erfahren und gegen den Kurfürsten von der Pfalz. Von und vor allem beritten - geschlagen wurden.

361 Den einzelnen Kampfgruppen stellten die Feu­ senhut gefangen. An den Kurfürsten ausgelie­ dalherren ein weitläufig operierendes gemein­ fert, wurde er zusammen mit einem Dutzend sames Heer entgegen: das Heer des „Schwäbi­ weiterer Anführer auf dem Hof des bischöfli­ schen Bundes“ unter dem Kommando von Ge­ chen Schlosses in Bruchsal enthauptet. Der org Truchseß von Waldburg, der als „Bauern­ Stadt und den anderen Orten wurde die unge­ schlächter“ unrühmlich in die Geschichte ein­ heure Buße von 40000 Goldgulden auferlegt. gegangen ist. Der „Schwäbische Bund“ war Dazu mußte Bruchsal seine Befestigungswerke 1487 zur Wahrung des Landfriedens gegründet durch Niederreißen der Tore unwirksam ma­ worden, aber längst über Schwaben hinausge­ chen, und hier und in den Orten der Ämter wachsen. Auch Baiern, Kurmainz, Kurpfalz, Udenheim-Philippsburg, Rotenberg, Kislau Vorderösterreich und eine Reihe weiterer grö­ und Grombach wurden alle Waffen eingesam­ ßerer und kleinerer Herrschaften gehörten ihm melt. Am 26. Mai Unterzeichneten alle fünf Äm­ an. Mit vertraglich festgelegten Beiträgen und ter einen Unterwerfungsvertrag. Mannschaftsaufgeboten rüstete er sein Heer Besonders hart war Eppingen hergenommen aus. Der Handelskonzern Fugger schoß be­ worden: Eisenhuts Stadt. Beschuldigt, das trächtliche Summen zu, um seine Handelsmo­ Schloß Steinsberg zerstört zu haben, mußten nopole zu sichern. die Eppinger zu dessen Wiedererbauung 5 500 Zug um Zug entschied nun Georg von Wald­ Gulden abliefern. Außerdem wurde die Stadt burg den Bauernkrieg gegen den kleinen Mann. geplündert und allen sonstigen Gutes beraubt. Nachdem er die Allgäuer und die Seebauern U .a. wurden 1300 Schafe fortgetrieben. Unvor­ ebenfalls mit einem Vertrag - demjenigen von stellbares Elend kehrte in die Behausungen ein. Weingarten - auf spätere schiedsgerichtliche Nachdem der Kurfürst und der Truchseß in Lösungen vertröstet hatte, ging er gegen die Bruchsal zusammengetroffen waren, beschlos­ Schwaben und Franken vor. Eine der entschei­ sen sie, ihre Heere zu vereinigen und gemein­ dendsten Schlachten schlug er am 12.Mai bei sam gegen das Frankenland zu führen, wo jetzt Böblingen. Zwei- bis dreitausend Bauern sind fast allein noch der Aufruhr lebendig war. Im dabei erstochen worden, und Württemberg - Elsaß hatten sich 18 000 Bauern, die in Zabern fast ganz in den Händen der Aufständischen - lagen, schon am 17. Mai dem Herzog von Lo­ fiel zurück an seine alten Herren. thringen ergeben müssen: gegen freien Abzug Auf die Nachricht von diesen Erfolgen hin ohne Waffen - und waren wehrlos allesamt nie­ setzte sich auch Kurfürst Ludwig V. von der dergemetzelt worden, die schauerlichste Pfalz in Bewegung. Von Heidelberg aus, wohin Schlächterei des Bauernkrieges. Aber auch die auch der Bischof von Speyer geflohen war, Tragödie von Königshofen, wo am 2. Juni von brach er am 23. Mai mit einem stattlichen Heer der verstärkten Macht des Truchsessen das auf und unterwarf zunächst den Bruhrain. Die fränkische Bauernheer geschlagen wurde und geschlossenen Verträge bewiesen nun ihre 3000 Bauern ihr Leben verloren, und das noch Wertlosigkeit: sie wurden aufgekündigt mit der ärgere Gemetzel von Sulzfeld zwei Tage später, Begründung, daß sie von den Bauern ihrerseits wo der Rest dieses Heeres (5000 Mann) nieder­ gebrochen worden seien. Nach heftigem Wi­ gemacht wurde, stehen an Grausamkeit den E r­ derstand wurde Malsch eingenommen und als eignissen in anderen Gebieten nicht nach. Mit Hauptsitz der Aufständischen niedergebrannt. den beiden zuletzt genannten Schlachten war Rotenberg und Kislau wurden zurückerobert. das Ende des Bauernkrieges im wesentlichen Bruchsal mußte sich am Himmelfahrtstag auf besiegelt. Vereinzelt gärte es zwar noch bis zum Gnade und Ungnade ergeben. Vom Neckar her Frühjahr 1526 weiter, doch konnten auch diese fiel gleichzeitig der Truchseß im Kraichgau ein. kleineren Aufstände alle rasch erstickt werden. Er besetzte Eppingen und nahm dort Anton Ei­ Damit war das Bauern- und Bürgertum für

362 Jahrhunderte in den Bereich politischer Un­ Adolf Waas, Die Bauern im Kampf um Gerechtigkeit mündigkeit verwiesen: mit allen verhängnisvol­ 1300-1525, München 1964. len Folgen, die sich daraus für die deutsche Ge­ Friedrich Engels, Der Deutsche Bauernkrieg, schichte ergeben sollten. Den Nutzen aus der 11. Aufl. Berlin 1946.

Erhebung zog das Feudalsystem, das mit seinen G. Bossert, Zur Geschichte des Bauernkrieges im heu­ restriktiven Maßnahmen noch weit hinter das tigen Baden, in: Zeitschrift für die Geschichte des zurückging, was vor der Erhebung Recht gewe­ Oberrheins 65, 1911, S. 250—266. sen war. Carlheinz Gräter, Der Bauernkrieg in Franken, Würzburg 1975. Literatur: Rainer Wohlfeil (Hrsg.), Der Bauernkrieg Günther Franz, Der Deutsche Bauernkrieg, 8. Aufl. 1524-1526. Bauernkrieg und Reformation (=Nym- Darmstadt 1969. phenburger Texte zur Wissenschaft 21), 1975.

363 Spätherbsttag

Ein Herbsttag mit dem letzten Blühen Der satten wunderbaren Pracht, In der die Rosen still verglühen, Hat uns den Abschied froh gemacht. Wie voller Sonne ist das Schweigen, Wie endlos blau das weite Zelt, Noch einmal leuchtet auf der Reigen Und zau bert Schönheit in die Welt. Herb weht ein Odem aus dem Sterben Schon durch den gold’nen Sonnenschein, Bald wird das Laub sich fahler färben, Dann schlummert sanft das Leben ein.

Arthur Trautmann Joß Fritz und Anton Eisenhut, die Anführer des Bauernkrieges im Kraichgau

Ludwig Vögely, Karlsruhe

Bundschuh und Bauernkrieg, zwei für unsere Blüte des Handels, der Übergang von Natural- Heimat bedeutende geschichtliche Ereignisse, zur Geldwirtschaft, die Flüssigkeit und sin­ die im Bewußtsein der Bevölkerung immer kende Kaufkraft des Geldes, der unvermindert noch erstaunlich gegenwärtig sind. Mögen auch günstige Besitzstand der Kirche, die straffere Ursachen und politisches Wollen der schweren Verwaltung der Landesfürstentümer wirkten Unruhen nicht mehr klar in der Erinnerung lie­ insgesamt darauf ein, das niedere Volk immer gen, die zwei Männer, in deren Gestalten die mehr in den Zustand der Benachteiligten zu Ereignisse geradezu Person angenommen ha­ bringen. Im öffentlichen Leben mochte gesche­ ben, sind unvergessen: Joß Fritz und Anton Ei­ hen, was da wollte: der einfache Mann, insbe­ senhut. Sie sind es, die den Gang der Ereignisse sondere der Bauer, hatte in der Regel den Scha­ bestimmten, ihnen Richtung und Zielsetzung den davon, stand abseits der breiten Glücks­ gaben, und die deshalb in der Überlieferung le­ straße.“ (1/6) bendig geblieben sind. Es kann nicht der Zweck der folgenden Abhandlung sein, alle Kompo­ In der Folge ist zu untersuchen, warum die nenten, welche zusammen die Ursachen der Bundschuh-Empörung im Jahre 1502 gerade in Aufstände ergeben, aufzuzeigen. Die Untersu­ der Gegend von Bruchsal zum Ausbruch kam. chung muß sich notwendigerweise auf den Die Gründe dafür lassen sich in folgende Kraichgau und den Bruhrain mit dem Zentrum Hauptpunkte zusammenfassen: Bruchsal beschränken. 1. Das Aufstandsgebiet gehörte zum Bistum Wenn Bauern auf Umsturz sinnen, muß schon Speyer. Die Geldansprüche des bischöflichen eine lange Zeit steigender Bedrückung vorange­ Hofes standen in keinem Verhältnis zu der Lei­ gangen sein. Geht aber die ländliche Unbotmä­ stungsfähigkeit des verhältnismäßig kleinen ßigkeit über das eigene Territorium hinaus und Gebietes. Bischof Ludwig von Helmstadt solidarisiert sich mit der Not der Standesgenos­ übernahm von seinem Vorgänger eine schwere sen „fremder Länder“ , hat der Druck seinen Schuldenlast, die hart verzinst werden mußte. Höhepunkt erreicht. In diesem Solidaritätsbe­ Nach anfänglicher Verringerung der Schulden wußtsein wurzelt der Bundschuh. Von hier aus mußte er aber ab 1487 neue Summen aufnehmen erfolgte der Sprung ins Radikale, der sonst den zum Bauern fern liegt. Der allzu schroffe Unter­ 2. Ankauf neuer Güter und Schlösser, zur Er­ schied zwischen Armen und Reichen und eine richtung kostspieliger Bauten ohne Rücksicht allgemeine Verwirrung des Rechtsgefühls sind auf den Stand der Landeskasse. So wurde z.B . dazu die Vorbedingungen der radikalen Um­ in Bruchsal der Sitz des Weihbischofs um ein sturzversuche. ,,In der Tat zeigt das ausgehende Stockwerk erhöht, der Garten mit einer Mauer Mittelalter eine schier unüberbrückbare Kluft umgeben. In Obergrombach setzte man einen zwischen dem ganzen übrigen Volk und jenen Helm auf das Burgtor und baute eine Badstube gekennzeichneten ,armen Leuten“. Der Gegen­ und einen Marstall. Es ist nicht verwunderlich, satz wurde sogar eher schroffer als milder. Die daß gerade die Orte, wo derartige Bauten viel

365 Geld verschlangen, zum Hauptsitz der Ver­ Bruchsal die jährliche Grundsteuer von 1000 schwörung wurden. Gulden und legte die Last durch das Ungelt auf 3. Viel Geld kostete die Fehde mit dem Schwä­ die schwächeren Schultern der Kleinbürger, bischen Bund, nachdem dieser Genugtuung Handwerker und Landleute. Die Effizienz der forderte, weil Hans Lindenschmid das Schloß Maßnahme hing aber von dem guten Willen und Neibsheim des Eitelschelm von Bergen überfal­ der Ehrlichkeit der Amtleute und Bürger ab, len hatte. Das Geld wurde auf die Gemeinden und bald stellte es sich heraus, daß das Ungelt umgelegt, und so hatte z. B. Jöhlingen 100 Gul­ eine verfehlte Einrichtung war. Alles aber den zu zahlen. wirkte zusammen, um die Geduld der armen 4. In 23 Jahren der Herrschaft des Bischofs Leute zu erschöpfen, und der Kampf gegen die summierte sich die Unzufriedenheit des Volkes. Schulden brachte den Bischof zudem in immer Durch die steigende Schuldenlast wurde die bi­ größere Geldnot. schöfliche Verwaltung genauer, rücksichtslo­ 8. Im Jahre 1501 herrschte in Südwestdeutsch­ ser, hart und kleinlich. So wurde z.B . die land eine große Teuerung, und in vielen Ge­ Waldordnung verschärft. Harte Strafen hatte meinden zog schwere Not ein. Die Gesuche der zu gewärtigen, der sein Vieh in den Wald häuften sich, welche um Herabsetzung, Stun­ trieb oder der sich bei der Holzabfuhr so lange dung oder Erlassung der Getreidelieferungen darin aufhielt, daß das Vieh zu fressen anfing. flehten. Andere baten um Korn oder Geld. Die 5. Weit überzogen war die Verordnung, daß Art, wie die geistliche Behörde diese Gesuche zur Schonung des bischöflichen Weidelandes behandelte, mußte empören. Viele Bitten wur­ der bäuerliche Viehbestand verringert werden den abschlägig beschieden. Man verlangte volle mußte. Dies mußte die Bauernhöfe tief treffen. kaufmännische Sicherheiten, wo die Leute Hier wurde der Wohlstand der Bauern mit Ab­ Gnadengeschenke oder Leihgaben erwartet sicht klein gehalten, damit die bischöflichen hatten. Die bittere Enttäuschung und der Un­ Einkünfte nicht geschmälert wurden. wille waren umso größer, weil man es bei der 6. Daraus ist ersichtlich, daß der herrschaftli­ Behörde mit Geistlichen zu tun hatte, also „mit che Standpunkt in der Verwaltung überspannt Angehörigen des Standes, der die meisten Vor­ wurde. Noch war im Volke die Erinnerung an rechte genoß und zu öffentlichen Leistungen den altgermanischen Zustand nicht erloschen, am wenigsten beitrug. Die Verfügung über das daß Holz und Wild des Waldes, die Fische im Ungelt ließ sie von allen Abgaben frei, die der Wasser und das Gras auf der Weide Eigentum Bürger für Fleisch, Wein und Mehl auch beim der Volksgemeinde waren. An der verletzen­ Hausgebrauch zu entrichten hatte. Wollten sie den, kleinlichen Art der Obrigkeit mußte sich Korn zur Mühle schicken, so bekamen sie zum der Unmut des Volkes entzünden. Mahlen Freischeine und hatten hierin sogar vor 7. Verhängnisvoll wurde der Finanzierungs­ den Adligen den Vorzug, die nur für Wein und versuch, welcher der verschuldeten Stadt Fleisch abgabenfrei waren.“ (1/170) Da auch Bruchsal helfen sollte. Es handelte sich dabei eine zunehmende Verweltlichung der Geistli­ um die Einführung des Ungelts. Das Ungelt chen festzustellen war, wurden sie zu einer war eine Verbrauchssteuer, eine Verbraucher­ Klasse, unter deren Willkür und Untauglichkeit abgabe, die namentlich die niederen Volks­ alles Volk zu leiden hatte. So war die Geistlich­ schichten traf. Man erließ eine Unzahl Anwei­ keit selber schuld, daß der Pfaffenhaß, ein we­ sungen, und jede Übertretung wurde scharf be­ sentliches Element des Bundschuhs von 1502, straft. Drückend wurde diese indirekte Steuer immer größer wurde. besonders bei den Lebensmitteln; sie wurde auf 9. Ein Blick auf die Rechtsprechung zeigt, daß alles gelegt, von den Nüssen bis zum Stock­ die bäuerlichen Beschwerden oft an das Rott­ fisch. Der Bischof erließ den Besitzenden von weiler Hofgericht verschleppt wurden. Welche

366 Titelblatt des ,,Narrenschiffs vom B u n d sch u h ein e r 1514 in Basel bei Michael Furter gedruckten Schrift, Jacob Ikufer Joftfrirj mit der Joß Fritz und die ändern Anführer des ,,Bundschuhes“ verhöhnt werden sollten.

Schwierigkeiten sich da auftaten, wird schon bei zählten die zwei Soldaten des Schlosses Ober­ der Betrachtung der Entfernung deutlich. grombach zu seinen Bekannten. Aber Joß Fritz All den Unzufriedenen und Notleidenden er­ war sicher eine Persönlichkeit, deren Interesse wuchs nun in Joß Fritz ein Führer überdurch­ über die nähere Fleimat hinausging. Es ist an­ schnittlichen Formates. Er stammte aus Unter­ zunehmen, daß er von dem Kampf des Kaisers grombach, das bei seiner Geburt etwa 700 bis mit den Ständen um die Reichsverfassung wuß­ 800 Seelen zählte. Wie alt er 1502 war, läßt sich te, der Wormser Reichstag fand nahe genug nicht sicher feststellen. Da er 1524 mit einem statt. Vor allem aber wird ihn der Freiheits­ grauen Bart gesehen wurde, war er zur Zeit des kampf der Schweizer begeistert haben, denn es Aufstandes wohl etwa 30 Jahre alt. Damit war ist die große Sehnsucht des gemeinen Mannes er alt genug, um Tatkraft und Umsicht zu besit­ jener Zeit geworden, frei zu sein wie ein zen, und jung genug, um Leiden und Verfol­ Schweizer. Sicher kannte er auch den Bund­ gung ertragen zu können. Er hat in Untergrom­ schuhaufstand im Elsaß (Schlettstadt) vom bach sicher mit wachen Sinnen das Geschehen Jahre 1493. Es ist ziemlich wahrscheinlich, daß der Zeit miterlebt: Mißernten und Notstand, Zusammenhänge bestanden, denn nach Anlage die Willkür der bischöflichen Verwaltung, und und Vorbereitung scheint jener Aufstand für sicher kannte er auch gut die Stimmung in den Fritz Vorbild gewesen zu sein. Auf Joß Fritz - umliegenden Orten. Nachgewiesenermaßen und das ist das Kennzeichen seines Pfaffenhas­

367 ses - geht sicher auch die Losung seines Bund­ den anzupassen. Von einmal gefaßten Ent­ schuhs zurück: „Was ist das für ein Wesen?“ schlüssen war er nicht mehr abzubringen. Seine ,, Wir mögen an den Pfaffen nicht genesen.“ Die kühle Entschlossenheit und entschlossene Tat­ Aufnahme in den Bund war merkwürdig wei­ kraft ließen ihn dabei nie im Stich. Was ihn aber hevoll. Der Mann mußte knieend fünf Vater- weit über seine Freunde erhob, war die Fähig­ Unser und das Ave Maria beten. Sicher hat in keit, die großen Zusammenhänge zu sehen und dieser Zeremonie der Pfeifer von Niklashausen schwierige Aufgaben zu planen. nachgewirkt. „Ähnlich verhält es sich mit dem Über den Aufstandsplan und seine Ziele gibt die Schlagwort von der göttlichen Gerechtigkeit. Niederschrift von Gefangenenaussagen Auf­ Auch dies taucht erstmals bei Joß Fritz auf, die schluß, die durch die Aussage des Verräters elsässischen Bauern kannten es noch nicht. Rapp ergänzt werden können. Es handelt sich Aber auch hier dürfte der Ursprung nicht bei dabei um 14 Artikel, in welche die Aussagen zu­ dem Grombacher Bauernführer liegen, sondern sammengefaßt wurden. Aus dem bisher Erör­ in einer früheren Bewegung, deren Nachwehen terten ist ohne weiteres ersichtlich, daß sich der dann auf Joß Fritz eingewirkt haben. Es ist Bundschuh in erster Linie gegen die Pfarrer und nämlich merkwürdig, daß 1502 nur nebenher erst dann gegen die Adelsherrschaft richtete. der Gedanke ausgesprochen wurde, die Ver­ Der Klerus sollte seiner Güter beraubt werden, schworenen wollten der ,gerechtigkeit bistand man wollte also gegen den Bischof und die tun’, daß dagegen 1513 die ganze Bewegung un­ „Pfaffen“ vorgehen und sie aus ihrem Besitz­ ter dem leitenden Gesichtspunkt stand: Nichts stand vertreiben. Man wollte ebenso die Zahl denn die Gerechtigkeit Gottes! Erst allmählich der Priester einschränken wie man deren hat sich also der Kampfruf, der nachher im Bau­ Selbstbewußtsein dämpfen wollte. Vor allem ernkrieg eine so große Rolle spielen sollte, in aber wollte man die drückenden Abgaben los­ den Gemütern der Bauern - und wohl auch bei werden und forderte die Freiheit vom Zehnten, Joß Fritz selber - eingebürgert.“ (1/183, 184) Steuern und Zöllen. Damit geht Hand in Hand Es ist jedenfalls ersichtlich, daß Joß Fritz „die das Verlangen nach Freigabe der Jagd, des geplante Umgestaltung der ländlichen Verhält­ Fischfanges, der Weiden und Wälder. Interes­ nisse unter den Gesichtspunkt rückte: der von sant aber ist die Feststellung, daß bei der Aus­ Gott gewollte Zustand müsse wieder hergestellt weitung des Bundes und seinem Übergreifen und jeder Widerstrebende ,als ein Gegner der über das speyrische Gebiet hinaus, auch die Gerechtigkeit Gottes“ unbarmherzig niederge­ Forderungen gesteigert wurden. macht werden.“ (1/184.185) Sie gingen bis zur völligen Befreiung aller Un­ Das Wesen von Joß Fritz muß der Garantseiner tertanen. Es war besonders der Kampf des Joß Erfolge als Aufwiegler gewesen sein. Die Ob­ Fritz für die göttliche Gerechtigkeit, welche die rigkeit, der er so viel zu schaffen machte, nannte Bewegung entschlossener und zielbewußter ihn listig, verschlagen und durchtrieben, „einen machte. Sie wies schließlich auf einen umfas­ Führer und Verführer durch und durch, mit sü­ senden Bauernkrieg hin. ßer Rede angetan, wohl wissend, wo den armen Es ist fraglich, ob Joß Fritz selber als Lands­ Mann der Schuh drücket.“ (1/186) Auf jeden knecht gedient hatte und so Kriegserfahrung Fall konnte er mit Seinesgleichen gut umgehen. sammeln konnte. Kriegerische Pläne konnte er Seine Uberredungskraft war nur „aus argen in­ jedenfalls schmieden. Es ist bezeichnend, daß er sprechen des tuffels“ zu erklären. (1/187) Das viel Energie auf die Beschaffung eines Fähnleins heißt mit anderen Worten, daß er einen beinahe aufwendete. Er wußte um die Kraft, die von dämonischen Einfluß auszuüben vermochte. dem Zeichen des Bundschuhs ausging. Der Fritz war immer in der Lage, sich mit einer un­ Bundschuh war der derbe, mit Riemen gebun­ ermüdlichen Zähigkeit den jeweiligen Umstän­ dene Schuh des gemeinen Mannes, der Gegen­

368 satz des Ritterstiefels. Schon im 13. Jahrhun­ und Maulbronn ziehen, wo ebenfalls bischöfli­ dert galt er als Sinnbild des Bauerntums und der che Amtsleute saßen. Man sieht klar die Kon­ Volkstümlichkeit. Es liegt nahe, daß der Bund­ zeption des Planes. Zuerst sollte die Erhebung schuh früheren bäuerlichen Verschwörungen die eigene Landschaft treffen und die Befreiung als Losung gedient hat! So trat auch das elsässi- vom eigenen Joch bringen. Zu Ostern 1502 sche Volk den Armagnaken im Zeichen des fühlten sich die Bauern zum Losschlagen gerü­ Bundschuhs entgegen. „Als dann an der Jahr­ stet. Eine monatelange, subtile Vorbereitung hundertwende ein Auflehnungsversuch nach war abgeschlossen. Und doch scheiterte dieser dem anderen die Lande um den Oberrhein er­ Bundschub wie jener im Elsaß 1493 durch Ver­ schütterte, wählten die Männer, die sich zu- rat. sammentatten, wiederum den Bundschuh als „Zu wissen: als man zalt von Cristi unseres lie­ Sinnbild ihrer Gemeinschaft, wie denn das Volk ben Hern Gepurt 1502 Jare, in der Wochen immer ausdrucksvoller Zeichen und Worte be­ nach dem Suntag Quasimodogeniti (3. April) ist darf, um seinen Hoffnungen Gestalt zu leihen.“ zu dem hocherwirdigen, in Gott Fürsten und (7/9) So wurde auch für Joß Fritz der Bund­ Hern, Hern Ludwigen Bischoven zu Spier, al- schuh zum Zeichen bäuerlicher Kraft, zum her gen Udenheim komen ein Fußknecht us der Feldzeichen der bedrückten Untertanen, von Marggrafschaft Baden burtig, genannt Lux dem ein geheimnisvoller Zauber ausging. Zwei Rapp, selbander. Der sagt S. G. und dem H of­ Anführer standen an der Spitze der Bewegung. meister Hartman Fuchsen von Dornheim in ge­ Einer war Joß Fritz, der Name des anderen heime, das ine het angelangt, wie sich ein Ge­ blieb unbekannt. Von großer Wichtigkeit war sellschaft, die Buntschuwer genannt, zusam­ das Werben um die Standesgenossen, sollte das menverpflicht. Darin solten sein vil von Bruch­ Vorhaben glücken. Zum Losschlagen brauchte sal, vil von Obern- und Undern-Grunbach, von man eine große Anzahl sofort bereiter Männer. Jölingen, von Wingarten, von Pfortzen vil und Zu Werber mußten die zuverlässigsten, aber von ändern Orten und Enden darumb. Die het- auch die überzeugungskräftigsten Eingeweih­ ten inen furgesetzt, Bruchsal, Grunbach, ten bestimmt werden. Die geringste Unvorsich­ Udenheim, Brettheim, Heydesheim und Mul- tigkeit konnte die Katastrophe auslösen. Lux bron inzunemen; und so das gescheen were, Rapp will von 40 dieser Bundschuhwerber ge­ hofften sie, so solten alle Burger und Buher zu wußt haben. Hauptort der Verschwörung war inen slahen. Dann wolten sie Pfaffen und Edel­ Untergrombach, wo beinahe das ganze Dorf luten Gesetz geben, sich selbs frihen und, wer der Verschwörung beitrat, ähnlich war es in ine widerwertig were, dieselben zu Döt slagen. Jöhlingen. Zuerst wollte man sich einen festen Das ward erstmals nit vast von Wert, sunder für Stützpunkt schaffen und dazu das Schloß Erdichts geacht. Uber wenig Tag kam Lux her­ Obergrombach überrumpeln, die beiden wider und bad, das man seine Warnung nit ver­ Schloßknechte waren ja Freunde des Joß Fritz. achtet, und gab Anzeig uf einen jungen Buhern Dann aber sollte der Hauptschlag gegen Bruch­ zu Undern Grunbach, Fritz genannt, der solt sal geführt werden. Man hoffte, 400 Bruchsaler davon Wissens haben.“ (2/70) So schrieb der bi­ auf seiner Seite zu haben, und diese mußten die schöfliche Landschreiber Georg Brenz, der den Tore öffnen. Der Plan sah kein Verweilen an ei­ Bericht über die Vorgänge aufzeichnete. Inter­ nem Ort vor, eine kluge Maßnahme des Anfüh­ essantist, daß man dem Verräter zunächst nicht rers, und deshalb galt es nach dem Falle Bruch­ einmal glauben wollte, und der Bischof han­ sals, den nächsten Sitz der bischöflichen Macht delte erst, nachdem ihm der Aufruhr durch ei­ zu erobern: Udenheim, das heutige Philipps­ nen Udenheimer Bürger bestätigt wurde. Der burg. Dann aber wollte man kräftig ausgreifen bischöfliche Vogt über den Bruhrain, Peter Na­ und ostwärts über Heidelsheim nach Bretten gel von Dirmstein, wandte sich zunächst gegen

369 das Schloß Obergrombach, wo einer der einge- Mitte September sollte losgeschlagen werden, weihten Schloßknechte aber entweichen und aber wieder riß der Schleier des Geheimnisses Joß Fritz noch rechtzeitig warnen, so daß dieser einen Monat zu früh, und wieder konnte die unauffindbar verschwinden konnte. In Windes­ Obrigkeit den Aufstand verhindern. Joß Fritz eile verbreitete sich die Kunde des Verrates, aber glückte es, zum dritten Male zu entrinnen. und so konnte sich wenigstens ein Teil der Seinen Weg weiter zu verfolgen, ist fast unmög­ Bundschuher in Sicherheit bringen. Trotzdem lich. Er erlebte noch den Beginn des Bauern­ wurden über hundert Beteiligte gefangen ge­ krieges. Als die Bauern des südlichen Schwarz­ setzt. Sie erlebten böse Zeiten: Folterungen und waldes sich erhoben, tauchte der zum Graubart peinliche Verhöre erpreßten Geständnisse. gewordene Joß Fritz im Hegau wieder auf. „Zehn wurden enthauptet, ihre Leichname ge­ Dann geht seine Spur unter in den Flammen des vierteilt und an den Landstraßen aufgehängt. Aufruhrs. Eine größere Zahl wurde als Mitwisser bestraft; Der zeitliche Sprung zu den Bauernkriegen ist einigen davon hackte man die Schwurfinger ab nicht groß. Die Beschwerdeschriften der Bau­ und verwies sie des Landes.“ (7/33,34) Die har­ ern geben den besten Einblick in die ursprüng­ ten Maßnahmen der Obrigkeit erstickten den lichen politischen und sozialen Ziele, um deren Bundschuh, der Kampf für die göttliche Ge­ Erfüllung sie jetzt willens waren zu kämpfen. rechtigkeit fand als Hochverrat schwere Strafe. Im Grunde sind es die alten Forderungen ge­ Eine Lehre zogen die Herren aus den Ereignis­ blieben: das Verlangen nach persönlicher Frei­ sen nicht, es blieb alles beim alten. heit (nicht Gleichheit, denn die ständische Für Joß Fritz aber begann ein Jahrzehnt ent­ Gliederung sollte unangetastet bleiben) und die behrungsreichen Wanderlebens. Schließlich Bewahrung und Ausweitung der innerdörfli­ wurde er in Lehen bei Freiburg seßhaft, nach­ chen Autonomie. „Beides steht in enger Ver­ dem er eine Bauerntochter aus Nenzingen bei quickung, weil der Raum des Dorfes, um des­ Stockach geheiratet hatte. Im Innern war er sen Autonomie es geht, zugleich der Platz ist, noch radikaler geworden. Er nahm die alte Ver­ an dem sich der Wert der einzelnen Person in schwörertätigkeit wieder auf und rief nach lan­ den konkreten Lebensbezügen auswirkt.“ ger und sorgfältiger Vorbereitung 1513 den (3/16) „D ie gründlichen und rechten Hauptar­ Bundschuh zu Lehen aus. Aber auch dieser tikel aller Baurschaft und Hindersessen der wurde durch Verrat zu früh aufgedeckt. Und gaistlichen und weltlichen Oberkaiten, von wieder wurde Joß Fritz gewarnt und entkam in wölchen sie sich beschwert vermeinen“ , die be­ die Schweiz. Von dort aus unterhielt er die Be­ kannten 12 Artikel also, geben dem bäuerlichen ziehungen zu den zurückgebliebenen Genos­ Wollen Ausdruck, wenn darin u. a. gefordert sen. Die Vorspiele zum Bauernkrieg häuften wird: das Recht der Gemeinde auf freie Wahl sich: 1514, der Arme Konrad, Aufruhr in der und Absetzung des Pfarrers, das Verlangen, daß Bühler Gegend, Erhebungen in Kärnten, Krain der große Zehnt, der der Geistliche kraft seines und Steiermark. In dieser Zeit, im Jahre 1517, Standes den Bauern abverlangt, von einer Ab­ begann die letzte Bundschuhverschwörung des gabe zu einer bloßen Bezahlung wird, ferner die Joß Fritz. Ruhelos war er durch das Land ge­ Forderung auf Aufhebung der Leibeigenschaft, wandert, tauchte bald im Schwarzwald, bald im denn Leibeigenschaft bedeutet eine Deklassie­ Kraichgau, bald im Elsaß auf. Dieser letzte Em­ rung der Menschen. Natürlich wird auch die pörungsversuch war der größte. Er ergriff beide Freigabe von Wild, Vögel, Fisch und Wald für Seiten des Oberrheines. Von den Tälern des die bäuerliche Nutzung gefordert. Diese Forde­ Schwarzwaldes liefen die Fäden bis Weißen­ rung hat einen wesentlichen sozialen Symbol­ burg, nördlich bis in die Nähe von Bretten, im wert, denn Wild und Fisch sind die Speise der Württembergischen bis Horb und Ehingen. Reichen, aber sie dient auch der dörflichen Au­

370 tonomie. Dem Streben nach persönlicher Auf­ deshalb schloß er sich bei Beginn der Bauern­ wertung bis zur Partnerschaft zwischen Bauer kriege zunächst Matern Feuerbacher an, dem und Herr gibt der Artikel sieben Ausdruck. Führer des Hellen Haufens. Eisenhut gewann „Benötigt der Herr Mehrleistungen, so sind rasch Vertrauen, und wurde bereits im Lager zu diese dem Bauern nur eine moralische Ver­ Degerloch Feuerbachers Rat. Uber den Ver­ pflichtung; die Arbeitsleistung erfolgt nur zu such Herzogs Ulrich von Württemberg, mit einer für den Bauern nicht nachteiligen Zeit und Hilfe der aufständischen Bauern wieder zu sei­ gegen Bezahlung.“ (3/18) Auf diese Weise wird nem Land zu kommen, gab es Streit, und Ei­ aus der Fronarbeit eine „Bittarbeit.“ Im 9. Ar­ senhut zog sich nach Eppingen zurück. „Hier tikel wird auch die Rechtsprechung angespro­ hat er allem Anschein nach den Aufruf verfaßt, chen: „Zuom neunten seien wir beschwert der den er in den Dörfern und auf den Straßen großen Frefel, so ma stetz neu Satzung macht; durch vertraute Anhänger bekanntgab. Als Tag nit daz man uns straft nach Gestalt der Sach, der Veröffentlichung wird der 7. Mai ange­ sunder zuo Zeiten aus großem Neid, und zuo nommen. Er wendet sich in den verlesenen Ein­ Zeiten aus großem Gunst. Ist unser Mainung, ladungen an die lieben Brüder in Christo, stellt uns bei alter geschribner Straf strafen, darnach in heftigen Worten alles zusammen, was die die Sach gehandelt ist, und nit nach Gunst.“ Bürger und Bauern von weltlichen und geistli­ (2/178) Die Bewegung in der Markgrafschaft, chen Herren seit langer Zeit unrechtmäßig zu d.h. im Landesteil des Markgrafen Philipp, im erdulden hatten, und fordert seine näheren Bistum Speyer und in der Kurpfalz, die im Bau­ Landsleute auf, jetzt aufzustehen und fest zu­ ernkrieg losbricht, steht vom äußeren Verlauf sammenzuhalten. Dieses Ansinnen begründet her gesehen an der Schwelle zur überterritoria­ er mit religiösen und sozialen Motiven, welche len Aufstandsbewegung. In großer Streulage recht geschickt noch in die Worte zusammenge­ schoben sich die drei Territorien ineinander, faßt wurden: ,Damit das Evangelium und die und trotzdem handelten die Bauern oft gemein­ Gerechtigkeit einen Fortgang nehmen.“ Und sam. Im Rahmen dieses Aufsatzes interessiert damit sie ja nicht meinen, in einem kurzen An­ besonders der Kraichgauer Haufen mit seinem lauf und einem lauten Geschrei werde das Ziel Führer Anton Eisenhut. erreicht, wünscht er ihnen , Geduld und demü­ Anton Eisenhut ist uns zunächst als bischöflich tige Beständigkeit unseres Seligmachers in allen speyerischer Priester in Weiler a. d. Zaber, anliegenden Nöten.’ (8/45-56) Eisenhut denkt Oberamt Brackenheim, bekannt. In seinem an alles, so z.B . an die Mitnahme von Wagen Dienstort war er starken Einflüssen der Refor­ zum Transport der Lebensmittel und Beförde­ mation ausgesetzt: Im nahen Brackenheim rung von Verwundeten und Kranken. Auch wirkte um 1520 der lutherisch gesinnte Prediger deutet er an, daß er die Bauern holen wolle, Konrad Sam. Der Grundherr Wilhelm von wenn sie nicht freiwillig kämen. Ihm ist es bitter Sternenfels führte schon 1522 die Reformation ernst, nachdem er von der Notwendigkeit des in seinen Dörfern ein. Burkard Göler von Ra­ Unternehmens fest überzeugt ist. vensburg war in gleicher Richtung tätig. Kurz Mit diesem Aufruf machte sich Anton Eisenhut vor Ausbruch des Bauernkrieges kam Eisenhut zum Anführer und Hauptmann des Kraich­ als Geistlicher nach Eppingen. Er hatte vermut­ gauer Haufens. Zum Versammlungsort be­ lich Verwandte und Bekannte in der Gegend stimmte er das Städtchen Gochsheim a. d. und wurde rasch heimisch. So hat er wohl die Kraich, in der Nähe Bruchsals gelegen. Hier Not des gemeinen Mannes gekannt und Luthers ordnete er den Haufen und schulte die Bauern Eintreten für die Bauern auch. Er hatte Fühlung für den Einsatz. In kurzer Zeit fanden sich 1200 mit seiner Zeit und verstand deren Geist und Männer zusammen, manche davon stammten Zug. Ihn jammerte die Not des Volkes, und aus dem Bruhrain und aus Württemberg. Der

371 Kraichgauer Haufen unterschied sich in man­ für die der Kurfürst den Geleitschutz über­ cher Weise von ähnlichen Zusammenschlüssen. nommen hatte. Eine verlockende Beute für die Außer Eisenhut übten noch mit Veltlin von Bauern! ,,... da bekam der ambtmann bot- Massenbach und Leonhard Beys von Lauda schaft, wie der häuf, der zu Gochtzen lag, deren zwei weitere Geistliche ihren Einfluß auf die hauptman ein pfaf, herr Johann Eisenhut.. . in Unternehmung aus, an deren Spitze also Män­ willens weren, dieselbig nacht die statt Bret- ner mit Bildung standen. Auch die am Aufstand heim zu überfallen und zu stürmen, und hetten teilnehmenden Bauern waren sich im klaren, sich mit etlichen wagen, mit laidern und ändern was sie unternahmen und was sie wollten. notdurft dazu gerüst, und wo die von Bretheim Wirkliche Radikale und zwielichtige Gestalten sich wereten, und ihnen einen Mann umbrach­ hatten sich schon längst Jäcklein Rohrbach an­ ten, wolten sie erwürgen, was sie in der stadt geschlossen, welcher die eigentlich revolutio­ funden.“ (5/251) Aber der Angriff erfolgte näre Gruppe repräsentierte. Bald konnte aufge­ nicht, und der Kurfürst konnte 200 Mann Be­ brochen werden, der Kraichgauer Haufen satzung in die bedrohte Stadt legen. Aber er setzte sich in Bewegung. wollte die lagernden Waren auch weiterleiten Am 9. Mai wandte man sich zunächst dem pfäl­ und schickte deshalb ein Fähnlein Lands­ zischen Heidelsheim zu, dessen Bewohner man knechte von Heidelberg nach Bretten. „Als zum Anschluß zwang. Dann war Schloß Men- aber die Brureinischen bawren das gewar wur­ zingen an der Reihe, das aber nicht zerstört den, versambleten sich, was in eyll zusammen wurde. Schon am 10. Mai stand man vor Eppin­ möcht, bis in 3000 bawren. die legerten sich gen, dessen Bewohner dem Zuge freundlich ge­ oberhalb Undereyßheim (Unteröwisheim) in genüberstanden und die Tore öffneten. Hils­ dem loch hinter der hofgarten an der Straßen. bach war das nächste Ziel. Hier führte der Bür­ Nun hett mein gnedigster herr selbigen knech­ germeister Haffner seine Bürger selbst Eisenhut ten, waren mehrerteils Niederlender, uf vier zu, nachdem er sie vorher schon für die Sache und zwanzig pferdt zugehen, die sie führen soll­ des gemeinen Mannes begeistert hatte. Der kur­ ten, unter denen war Wolf Ulrich von Flehin- fürstliche Keller wurde geöffnet, und die feinen gen hauptmann; und als sie von den lantzknech­ Weine rannen durch die durstigen Bauernkeh­ ten zu Undereußheim durchkamen, unwissent, len, ließen die Männer sich als Sieger fühlen. So das sich die bawren dahin gelegen hatten, trafen zog man denn mit frischem Mut weiter nach sie sie unversehens an, die hetten sich in die Sinsheim, nunmehr auf über 2000 Mann ange­ Schlachtordnung zum besten gesteh.“ (5/256) wachsen. Selbstverständlich ließen die Bauern Die Überlegenheit der Bauern war so groß, daß auch das „Stift“ und den Stiftsherren ihre Ulrich von Flehingen zur Umkehr nach Hei­ Macht fühlen. Man war nun am entferntesten delberg gezwungen wurde. Aber auch Bretten Ort des Gaues angelangt und ging auf dem öffnete seine Tore nicht, und die Bauern muß­ Rückweg die Feste Steinsberg an, welche dem ten abziehen. Immerhin war der obere Kraich­ Freiherrn Hans Hippolyt v. Venningen gehör­ gau in ihrem Besitz, nun sollte der Bruhrain ge­ te. Da der Vogt gerade abwesend war, öffnete wonnen werden, von dem schon viele Männer die Besatzung die Burg ohne Widerstand. Die beim Haufen Eisenhuts standen. Jetzt war der Bauern zündeten die Gebäude an und entfach­ kurfürstlich pfälzische Besitz ernsthaft be­ ten - wie ein Chronist schreibt - ein „weithin droht. sichtbares Lustfeuerlein.“ Der Kompaß des Durch die raschen Erfolge der Bauern waren Kraichgaues stand in Flammen. Bretten war das aber die Fürsten aufgeschreckt worden und be­ nächste Ziel. In der Stadt lagerten 32 geladene gannen nun ihrerseits zu handeln. Kurfürst Wagen mit Kaufmannsgütern im Werte von Ludwig v. d. Pfalz übernahm die Initiative, und 200000 Gulden, die von Frankfurt kamen, und mit ihm trafen sich sein Bruder Georg, Bischof

372 von Speyer, die Bischöfe von Worms und gen zurück. Viele seiner Anhänger wandten Würzburg, der Deutschordensmeister Dietrich sich enttäuscht dem Bruhrain zu, um dort wei­ von Cleen in Heidelberg. Man zog zur Bera­ ter zu kämpfen. Der Kurfürst aber rüstete ein tung noch Bernhard Göler von Ravensburg Heer gegen die Bauern, deren Zahl von Tag zu hinzu, da dieser Eisenhut persönlich kannte. Tag kleiner wurde. Er verließ bald darauf Hei­ Obwohl die Bauern die blutige Auseinander­ delberg mit ansehnlichem Geschütz. Bei setzung von Böblingen am 21. Mai inzwischen Malsch zeigte sich der erste Widerstand. Dieses verloren hatten - es war eine entscheidende Dorf wurde als die Wiege des Aufstandes im Niederlage - nahmen die Herren die Zustände Bruhrain angesehen. Es wurde gestürmt und im Kraichgau doch ernst. Die Sicherheit auf den verbrannt. Rotenberg, Rauenberg, Mühlhau­ Straßen mußte unbedingt wieder hergestellt sen folgten. Auch Kislau, wo die Empörer noch werden und der Friede wieder einziehen. Man hausten und sogar ihren Henker bei sich hatten, einigte sich auf die altbewährte Taktik, mit der wurde genommen. Die Gefangenen fielen wie man auch anderswo den Bauern entgegentrat: gemeine Verbrecher durch ihren eigenen Hen­ „Die Tagung beschloß, mit Eisenhut in Unter­ ker. Dann bewegte sich das Heer gegen Bruch­ handlung zu treten, ihn unter günstigen Bedin­ sal, nahm die Stadt ein und machte viele Gefan­ gungen zu friedlichem Einvernehmen zu bewe­ gene, die man in einen engen Turm legte, wo sie gen, zugleich sich aber auf einen Zusammen­ kaum atmen konnten. Inzwischen war auch stoß bereithalten.“ (8/45-56) Das heißt nichts Georg Truchseß von Waldburg, der Führer des anderes, als daß man Eisenhut veranlassen woll­ Schwäbischen Bundes mit seiner Streitmacht in te, nach einer Übereinkunft, von der er den den Kraichgau gekommen. Ihm fiel in Eppin­ Eindruck hatte, daß man sie halten wolle, seine gen Anton Eisenhut mit weiteren drei Anfüh­ Bauern nach Hause zu schicken, um sie dann rern des Kraichgauer Haufens in die Hände. desto sicherer schlagen und bestrafen zu kön­ Der Truchseß schickte sie als „Beutepfennig zu nen. In diesem Sinne war auch das Schreiben einer Verehrung“ an Kurfürst Ludwig nach abgefaßt, das Eisenhut erhielt. Als Bedingung Bruchsal. Am Himmelfahrtstag endete Anton des Verhandelns forderte dieser möglichste Eisenhut sein Leben unter dem Beile des Hen­ Schonung der aufständischen Bauern und Ein­ kers auf dem Schloßhof. Seine Berufung auf den berufung eines Landtages zur Abstellung der geschlossenen Vertrag war nutzlos und konnte Mißstände, welche zu der Empörung geführt sein Leben nicht retten. Auch die Eingekerker­ hatten. Schließlich fand eine Verhandlung statt, ten sollte das gleiche Schicksal treffen. Der an der zehn Ritter unter der Führung Philipps Scharfrichter begann seine blutige Arbeit. Dann von Nassau und Eisenhut mit ebenso vielen Ge­ aber legten die anwesenden Herren Fürbitte treuen teilnahmen. Durch die bedächtige Ver­ beim Kurfürsten ein, und so kam doch eine An­ handlungsführung des Nassauers wurden die zahl der Verschwörer mit dem Leben davon. Bauern mißtrauisch, drängten herbei, und die Der Bauernkrieg im Kraichgau und Bruhrain Abgesandten standen die ganze Nacht hindurch aber war mit diesem Strafgericht beendet. in der Gefahr, ihr Leben zu verlieren. Aber Ei­ „Anton Eisenhut hat für seine Überzeugung senhut und weitere besonnene Führer wollten das Leben gelassen. Sein Kampf und kriegeri­ den Frieden und forderten die Einstellung der scher Erfolg war gleichwohl ein vergeblicher Feindseligkeiten gegen die Bauernscharen im gewesen. Was er anstrebte, hat eine spätere Zeit Bruhrain. Die Unterhändler gaben scheinbar erreicht, deren Vorläufer er war. Seine Gestalt nach, um selbst außer Gefahr zu kommen. Jetzt war eine besondere Erscheinung jener schweren konnte der Vertrag von beiden Seiten unter­ Tage; sein Bild ist freundlicher als man unter schrieben werden. Eisenhut hielt Wort, er ent­ den Männern des Bauernkrieges zu sehen ge­ ließ seine Leute und zog sich selbst nach Eppin­ wohnt war. Deshalb verdient er auch, daß wir

373 sein Gedächtnis wieder erneuern.“ (8/56) In Benützte Literatur unserer Heimat wurde Eisenhut nicht verges­ Rosenkranz, Albert: Der Bundschuh, die Erhebun­ sen. Ein besuchter Aussichtspunkt ist jener gen des südwestdeutschen Bauernstandes in den Jah­ Hügel, den man „Eisenhut“ nennt, gelegen an ren 1493-1517, Bd I Darstellung, Bd II Quellen, Schriften des Wissenschaftlichen Instituts der Elsaß- der Grenze der Gemarkungen Bruchsals und Lothringer im Reich, Heidelberg 1927. Unteröwisheims, an jenem Punkt, wo die Bau­ Franz, Günther (Hg): Quellen zur Geschichte des ern mit Ulrich von Flehingen zusammengetrof­ Bauernkrieges, Oldenbourg-Verl. München, 1963. fen waren. Wie ein Teppich ausgebreitet liegt zu Buszello, Horst: Der deutsche Bauernkrieg von 1525 Füßen des Hügels die Rheinebene. Weiter im als politische Bewegung, Berlin 1969. Wohlfeil, Rainer (H g): Der Bauernkrieg 1524—1526, Westen grüßt der Speyrer Dom herüber, und Bauernkrieg und Reformation, Nymphenburger die Hardtberge, deutlich hervortretend, be­ Texte zur Wissenschaft 1975. grenzen den Horizont. Im Osten liegt mit sei­ Stadt Bretten (Hg): Urkunden und Chroniken zur nen sanften Hügeln und lieblichen Tälern der Geschichte der Stadt Bretten, bearbeitet von Dr. Al­ fons Schäfer, Bretten 1967. Kraichgau. Hier genießt der Wanderer die Fecht, Karl Gustav: Geschichte der Stadt Durlach, Schönheit der Heimat. Fällt jedoch der Blick Sonderdruck, Karlsruhe, 1969. auf den Gedenkstein Anton Eisenhuts, dann Andreas, Willy: Der Bundschuh, Köln 1936. kommt ihm wohl das Schicksal des seltsamen Wttbg. Lehrerunterstützungsverein (H g): Geschich­ Mannes in den Sinn, und er erblickt um sich das ten aus schwerer Zeit, Teil 1, Anton Eisenhut, nach Löfflers ungedruckten Denkwürdigkeiten von Wei­ Land, für das jener kämpfte und für die berech­ ler, Stuttgart 1909. tigten Forderungen des gemeinen Mannes in Theiss, Konrad, und Baumhauer, Hermann (Hg): den Tod ging. Der Kreis Sinsheim, Stuttgart 1964. Vögely, Ludwig: Der Eisenhut bei Bruchsal, in: So weit der Turmberg grüßt, 12. Jahrg. Nr. 4, April 1960.

374 Die Rosenkranz-Bruderschaft in Philippsburg In den Wirren des Dreißigjährigen Krieges entstanden

Jo s e f M. Fieser, Philippsburg

Aufgrund der geschichtlichen Vergangenheit H . Nopp in seiner „Geschichte Philippsburgs“ Philippsburgs als bischöflich/speyerische auf Seite 143: „In jener Zeit der Drangsal, d. h. Amtsstadt, als langjährige Residenz der Fürst­ in die 1630er Jahre, wo Gebet und Gottver­ bischöfe von Speyer und als bedeutende Reichs­ trauen der einzige Trost der Bewohner von Phi­ und Grenzfestung des 17. und 18. Jahrhunderts lippsburg gewesen sein mögen, fällt die Errich­ werden im hiesigen Pfarrarchiv neben den bis in tung der Erzbruderschaft vom hl. Rosenkranz, die Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg zurück­ welche sich mit verschiedenen Unterbrechun­ reichenden Standesbüchern auch eine Anzahl gen bis heute fort erhalten hat.“ alter Schriften und interessanter Chroniken Wer die Gründer der Bruderschaft gewesen aufbewahrt. Darunter befindet sich ein altes, in sind, ist aus der Chronik nicht ersichtlich. Die schwarzes Leder gebundenes Buch mit Gold­ Vermutung liegt jedoch nahe, daß es Insassen schnitt, auf der Vorderseite mit einem religiösen des im Jahre 1625 vom linksrheinischen Hördt Emblem geschmückt. Auf der ersten Seite lesen nach Philippsburg verlegten Klosters sein wir in großer Buchstabenschrift: Catalogus könnten, weil gerade in den Ordensgemein­ Nominum Fratorum et Sororum Archi-Con- schaften der damaligen Zeit die Verehrung Ma­ fraternitatis Sakratissimi Rosarii in hoc Famoso riens durch den Rosenkranz besonders gepflegt Fortalitio Philippsburgensi - Erectae et Institu- wurden. Da Philipp von Sötern zur gleichen tae Circa Annum Domini 1630. Auf Deutsch: Zeit die hiesige Stadtkirche zur Stiftskirche des Verzeichnis der Namen von Brüdern und Klosters erhob und hier zusätzlich ein Seminar Schwestern der Erzbruderschaft des heiligen zur Bildung und Förderung des geistlichen Rosenkranzes in der berühmten Festung Phi­ Nachwuchses errichtete, mag auch dies zur lippsburg - Errichtet und eingeführt um das Gründung der Bruderschaft in unserer Stadt Jahr 1630. beigetragen haben. Diese Vermutung wird un­ Den Schutz der Gottesmutter hatten die Phi­ terstützt durch die Vielzahl von Namen von lippsburger zu Zeiten des Dreißigjährigen Krie­ Geistlichen und Alumnen (Studierende des ges doppelt nötig; denn ihre Stadt „Udenheim“ Priesterseminars), die wir auf den ersten Seiten - wie sie ehedem benannt war - wurde 1615 in des Mitgliederverzeichnisses finden. Sötern, eine Festung umgewandelt und nach dem Vor­ der sich sehr um die religiöse Erneuerung in sei­ namen des Landesherren Philipp von Sötern in nen Landen bemühte, war es auch, der 1614 „Philippsburg“ umgetauft. Obwohl der Lan­ zwei Kapuziner aus der rheinischen Provinz des desfürst seinen Gebieten mit dem Bau des Fe­ Ordens nach Waghäusel berief und damit das stungswerkes Schutz und Rückhalt in den be­ Marienheiligtum des Bruhrains bis zum heuti­ ginnenden Wirren des Dreißigjährigen Krieges gen Tag in die Obhut dieses Ordens gab. geben wollte, zog die Festung wie ein Magnet Den Reigen des Bruderschaftsregisters eröffnet die Kriegsvölker aller Flerren Länder an und für der damalige Dekan und Stadtpfarrer von Phi­ die Bevölkerung des Bruhrains begann eine Zeit lippsburg Hermann Burggraf. Ihm folgen eine unvorstellbaren Elendes. Dazu schreibt große Zahl Namen von Pfarrern und Theolo­

375 giestudenten. Trotzdem sind diese Namen in hann Georg Würmer, „Amtskeller“ von der Minderheit; denn die Mitglieder der Bru­ Bruchsal, Johann Blesinger, Schaffner zu derschaft setzen sich aus allen Ständen und Hördt, Gerhard Frantz Bentz, Sekretär zu Schichten der damaligen Bevölkerung zusam­ Bruchsal, mit seiner Frau und vier Töchtern, men. Sie waren alle von der gleichen N ot be­ sowie Mathias Stern, Schultheiß zu Deides­ drängt. So lesen wir im Verzeichnis die Namen heim. der Garnisonsoffiziere und ihrer Frauen, allen Natürlich sind auch die Bürger der Stadt in den voran der erste Kommandant der Festung, O b­ ersten Seiten der Einträge zu finden, und es zei­ ristleutnant Kaspar Bamberger (Anm. der gen sich Namen von Familien, die heute, nach Name wird öfters auch als Baumberger ange­ 340 Jahren hier ansässig sind wie Braun, Belle, führt!). Bamberger zeichnete sich durch großen Fieser, Grimm, Heiser, Herr, Fank, Futterer, Mut, hervorragende Tapferkeit und unver­ Jung, Milch, Ott, Schneider, Schön, Walter brüchliche Treue zum Kaiser aus. Auch des und Woll. Auch aus den umliegenden Amtsor­ Kommandanten Frau „die sehr ehrenwerte ten ließen sich Personen beiderlei Geschlechtes Frau Anna Baumbergerin geb. von Hundt von in die Mitgliederliste eintragen; hauptsächlich Saulheim“ folgt im Verzeichnis. Ebenso Herr aus Rheinsheim, Huttenheim (Knaudenheim), Johannes Philipp Zimmermann, Coronett, der Rheinhausen, Oberhausen, Wiesental, Kirr- Sekretär des Festungskommandanten, die Ka­ lach, aus Stettfeld, Langenbrücken, Neuthard, pitäne Stephan Müller, Mathias Stern und Don Odenheim und Bruchsal. Der erste Rheinhäu­ Pietro Suaretz de Aedo. Weiter finden sich die ser wurde 1630 aufgenommen und hieß Ma- Namen der Hofbeamten und der Landfautei, thäus Winholl. Von Oberhausen wurden im einer Behörde, die in etwa dem heutigen Land­ gleichen Jahr eingetragen Hans Jakob Seuth ratsamt vergleichbar wäre, als da sind: Hofrat und Hans Jakob Erhardt. Auch aus weit ent­ Dr. Bender, Hofmeister Philibert von Hohen­ fernten Gegenden ließen sich Menschen in die eck, Joh. Eberhard von Eltz und seine Ge­ Bruderschaft aufnehmen z.B. aus Mannheim, mahlin Agnes Katharina geb. von Hoheneck, Freiburg, Rheinzabern, Lauterburg. Wir sehen die adeligen Fräuleins Maria Barbara Leisser daran, in welch hohem Ansehen die „Erzbru­ von Lambsheim und Katharina M. von Spon­ derschaft des hl. Rosenkranzes in der berühm­ heim, der fürstl. speyerische Zollschreiber Jo­ ten Festung Philippsburg“ zu jener Zeit stand! hann Weingartner, der Landfaut Jakob Zandt Auf den letzten Seiten der altehrwürdigen von Morl, seine Gattin Appolonia Kunigunde Chronik sind sogar die gesamten Modalitäten von Mörl gen. Faustin von Stromberg, der des kirchlichen Aufnahmeverfahrens mit den hochstiftliche Richter Hubert Roratt, der vorgeschriebenen Weihegebeten und Riten Münzschreiber Christoph Hornherr, der Stadt­ festgehalten. Es sind die gleichen markanten schreiber Johann Wendelin Hößer, der Kantor Schriftzüge, die schon das Titelblatt gestaltet Johann Friedrich Hermann, der Hühnerfaut haben. Selbstverständlich sind in der Mitglie­ Ruprecht Steiger und selbst der Hofkoch Lo­ derbewegung der Bruderschaft durch die Jahr­ renz Seitz, der Hofgärtner Reinhard Dietrich, hunderte hindurch auch Schwankungen fest­ der Hofbäcker Hans Georg Zinbarth, der Bo­ stellbar. Die erste Unterbrechung erlitt die Ge­ tenmeister Johann Andreas Bürger und der meinschaft - wie im Bruderschaftsbuch festge­ „Kanzelist“ Michael Bäurer sind der Bruder­ halten - wegen Zerstörung der Pfarrkirche wäh­ schaft beigetreten. Auch eine Reihe bischöf- rend der Belagerung durch die Schweden; dage­ lich-speyerer Beamte aus dem Hochstift sind in gen fand in den Jahren 1642 bis 1644 ein neuer den ersten Jahren verzeichnet u. a. Johann Phi­ ansehnlicher Zugang von Mitgliedern statt. Auf lipp Panthaleon, Schultheiß von Knaudenheim Zeiten starken Andranges folgen solche mit (heute Huttenheim) und seine Frau Maria, Jo ­ rückläufiger Tendenz. So zählen wir 1648 nur

376 einen Zugang, 1652 drei, 1656 zehn, 1663 drei, fahrtskirche beigesetzt.) Um die Jahre 1762 und 1672 zwei Zugänge. Überhaupt werden zum 1832 setzen die Eintragungen eine Zeitlang aus. Ende des 17. Jahrhunderts die Einträge sehr Doch erloschen ist die Rosenkranzbruderschaft lückenhaft. Das Jahr 1701 bringt mit einem in den rund 345 Jahren ihres Bestehens bis heute Schlage 292 Neuaufnahmen. Eine fast unglaub­ nicht. lich große Anzahl! Dieser Neubeginn ist auch im Bruderschaftsbuch deutlich erkennbar. Die Nach einer größeren Lücke hat sich im Jahre Initiatoren hierzu waren Johann Georg Stäu­ 1870 Stadtpfarrer Joh. Adam Bender mit gro­ ber, Dekan und Stadtpfarrer in Philippsburg, ßem Erfolg um die Reorganisierung der Bruder­ der Prediger und Kapuzinerpater Ezechiel von schaft angenommen. Jetzt wird aus der Bruder­ Bingen, sowie der berühmte Kanzelredner und schaft der „Rosenkranzverein“ . Mit dem Jahre Volksschriftsteller Pater Martin von Cochem, 1890 schließen die Eintragungen in der alten beide aus dem benachbarten Kloster Waghäu- Chronik. 1903 werden Mitgliederlisten ange­ sel. Weiter gehören dazu der Stadtschultheiß legt, die gleichzeitig zum Einsammeln der Bei­ Anselm Casimir Wilhelm und Maria Walburga träge verwendet werden. 1928 unter Stadtpfar­ Schnebelin, die Frau des kaiserlichen Vize­ rer Josef Katz zählt die neue Vereinigung 390 kommandanten der Reichsfestung. 1709 steht Mitglieder. Am 8. November 1930 beging die an der Spitze von weiteren 80 Neuaufnahmen Kirchengemeinde in feierlicher Weise und in der persönliche Namenseintrag von Pater Mar­ Gegenwart des unvergessenen Abtes Adalbert tin von Cochem, dem es sein missionarischer von Neipperg vom Stift Neuburg b. Heidel­ Eifer gebot, der Erzbruderschaft möglichst berg das 300jährige Jubiläum der Rosenkranz­ viele neue Mitglieder zuzuführen. (Am 10. Sep­ bruderschaft. Auch heute noch ist der Rosen­ tember 1712 beschloß Pater Martin in Waghäu- kranzverein ein fester Bestandteil der Gemeinde sel sein mühevolles Leben und wurde in der und damit ein Beispiel ungebrochener Gläubig­ damaligen Kapuzinergruft unter der Wall­ keit durch drei Jahrhunderte.

377 Herbstobe

I lueg so übers Dörfli hi, uf Hüser, Feld un Matte; no glänze Berg im Sunneschii, im Tal lit scho dr Schatte. Wie schön het doch dr Schöpfer gmacht mi Dorf in Waldesgründe; das Bild, die satti Farbepracht, kei Moler chas ergründe. Ne blaue Dunst lit in dr Luft wie fini Schleier drüber; me spürt am Herbst si herbe Duft, dr Summer isch vorüber. Was lebensfroh dr Früehlig gweckt, un was dr Summer süttig in sine Arme baiht un gstreckt, das macht dr Herbst gar zitig. Die Felder werde langsam leer un Bäum verliere d’Laste, dr Laubwald gälet mehr un mehr, es rüst d’ Natur zuem Raste. No öb se si zuem Schlofe leit, schenkt si no üppig Gnieße un duet im farberiichste Chleid üs no zuem Abschied grüeße.

Ernst Niefenthaler