DIE FLEDER- MAUS Operette von Johann Strauss

1 Operette

Musik von Johann Strauss Textfassung von Stefan Tilch und Swantje Schmidt-Bundschuh

nach dem von Karl Haffner und Richard Genée

MUSIKALISCHE LEITUNG Basil H. E. Coleman INSZENIERUNG Stefan Tilch BÜHNE & KOSTÜME Charles Cusick-Smith & Philip Ronald Daniels CHOREOGRAFIE Susanne Prasch CHOREINSTUDIERUNG Eleni Papakyriakou DRAMATURGIE Swantje Schmidt-Bundschuh

PREMIEREN LANDSHUT 02.10.2020 PASSAU 19.09.2020 STRAUBING 24.11.2020

Vorstellungsdauer ca. 1 Stunde 40 Minuten Keine Pause

2 BESETZUNG

Gabriel von Eisenstein Peter Tilch Rosalinde, seine Frau Henrike Henoch Frank, Gefängnisdirektor Philipp Mehr Prinz Orlofsky Reinhild Buchmayer Alfred, Sänger Jeffrey Nardone Dr. Falke, Bakteriologe und Fledermaus Kyung Chun Kim Dr. Blind, Anwalt Daniel Preis Adele, Kammerzofe Emily Fultz / Ines Vinkelau Ida, ihre Schwester Claudia Bauer Frosch, Gefängniswärter Wolfgang Maria Bauer Ivan, Hygienebeauftragter bei Orlofsky Paul Färber / Valentin Brunner Mucksenrieder, Amtsdiener im Gefängnis Paul Färber / Valentin Brunner

1. Violine Christian Scholl / Robert Balint / Violetta Koroleva 2. Violine Olga Becker / Katrin Schober / Magdalena Braun Viola Vinciane Vinckenbosch / Nebojsa Bekcic Violoncello Hartmut Caßens / Constanze Wolf Flügel Basil H. E. Coleman

Spielleitung Margit Gilch Inspizienz Ambra Zattoni Regieassistenz Silvia Langelaar Regie- hospitanz Elisabeth Schiestl Korrepetition Kyung A Jung Technische Leitung Michael Rütz Beleuchtungsmeister Egidius Nigl Veranstaltungsmeister Alexander Kriegler Leitung Schneiderei Heidi Höller Maske Maria Hirblinger Requisite Regina Stemplinger Kostüme und Bühnenbild Werkstätten des Landestheaters Niederbayern

Uraufführung: 5. April 1874,

3 4 IN KÜRZE

JOHANN STRAUSS übernahm bereits in jungen Jahren die Leitung eines Tanzorchesters, mit dem er in seiner Heimatstadt Wien sowie auf Konzertreisen durch Europa große Erfolge feierte. Der „Wal- zerkönig“ Strauss entwickelte sich zum Meister der anspruchsvollen leichten Unterhaltung. Angeregt durch Jacques Offenbachs Erfolge in Paris, begann er Operetten zu komponieren. Zu seinen heute bekanntesten Bühnenwerken gehören , Der Zigeunerbaron und . Die Fledermaus gilt als unübertroffenes Meisterwerk des Genres. Das Stück wurde sogar ins Repertoire der Wiener Staatsoper aufgenommen und ist die einzige Operette, die dort bis heute gespielt wird.

DIE FLEDERMAUS ist eine Komödie der Irrungen und Wirrungen. Den Zwängen ihres Alltags ent- fliehend, finden sich die Protagonisten inmitten eines vergnügungswütigen Tanz- und Trinkspektakels wieder. Der Adel, das Bürgertum, die Dienstboten sowie auch der Staat und seine Institutionen offenbaren deutliche Zersetzungserscheinungen. Die Fledermaus hat keinen strahlenden Helden, mit dem man sich identifizieren kann. Es handelt sich vielmehr um ein kollektives Verstellungsspiel: Niemand ist der, der er zu sein scheint, und am Ende verlieren alle das Gesicht. Die Schuld für das eigene Versagen trägt man nicht selbst, sie liegt beim Alkohol. Diesen ungehemmten Rausch fasste Strauss in eine sprühende Musik. Champagnerlaune pur!

MASKENPFLICHT herrscht nicht nur auf dem Ball von Orlofsky. Schuld daran, dass es diese Operette überhaupt gibt, ist die Rache einer Fledermaus. Der Abstand ist manierlich einzuhalten. Und auf der Repetieruhr ist bereits vorschriftsmäßig die Warn-App installiert. Doch beträgt die Inkubationszeit jetzt 5 oder doch eher 8 Tage? Und ist Adele eigentlich Mitglied in der Künstlerso- zialkasse, stehen ihr also staatliche Hilfen zu? Und wer kommt als Stargast im zweiten Akt? Ist es wirklich der berühmte Virologe, der gerade überall auftritt? Fragen über Fragen an eine Operette in außergewöhnlichen Zeiten ...

5 INHALT

ERSTER AKT ZWEITER AKT

Im Haus des Ehepaars Rosalinde und Gabriel Beim Prinzen Orlofsky von Eisenstein Der russische Oligarch Orlofsky gibt einen Mas- Alfred singt ein Ständchen für Rosalinde. Er kenball. Er liebt die Oper, aber er hasst moderne weiß, dass sie seiner Stimme nicht widerstehen Inszenierungen. Ihm ist stets langweilig. Für kann und hofft auf ein Rendezvous mit ihr. den heutigen Abend aber hat ihm Falke einen Adele hat eine Einladung von ihrer Schwester Ida „kleinen dramatischen Scherz“ zur allgemeinen zu einem Fest am Abend beim Fürsten Orlofsky Erheiterung versprochen. erhalten. Um frei zu bekommen, erfindet sie eine Adele betritt das Fest im Kleid ihrer Herrin und kranke Tante, doch Rosalinde verwehrt Adele trifft auf ihre Schwester Ida, eine Sängerin vom den Ausgang. Theater. Es stellt sich heraus, dass es nicht Ida Eisenstein zankt sich mit seinem Anwalt Dr. war, von der Adele ihre Einladung erhalten hat. Blind, den er für unfähig hält. Wegen Beamten- Falke führt Eisenstein unter dem Namen „Mar- beleidigung wurde Eisenstein zu einer Haftstrafe quis Renard“ ein. Orlofsky fordert die Gesell- verurteilt. Kurz darauf erscheint Dr. Falke. Er schaft auf, großzügig dem Alkohol zuzusprechen. überredet Eisenstein, den heutigen Abend auf Adele spielt die Entrüstete, als Eisenstein glaubt, dem Kostümfest bei Orlofsky zu verbringen. in ihr seine Angestellte zu erkennen. Seine Haftstrafe könne Eisenstein auch noch Frank wird von Falke als „Chevalier Chargrin“ am nächsten Morgen antreten. eingeführt, der gezwungenermaßen mit „Mar- Da Rosalinde die plötzliche Abwesenheit ihres quis Renard“ Französisch parliert. Mannes gar nicht ungelegen kommt – Alfred Als letzter von Falke geladener Gast trifft nun geht ihr nicht aus dem Kopf – gibt sie Adele auch Rosalinde ein, kostümiert als ungarische schließlich doch den ersehnten Ausgang. Nach Gräfin. Zu ihrem Erstaunen befindet sich nicht einem rührenden Abschied von seiner Frau ver- nur ihr Ehemann hier – den sie ja bereits im lässt Eisenstein bester Laune das Haus. Gefängnis glaubte – sondern auch Adele, der Alfred lässt nicht lange auf sich warten: Er zieht er Avancen macht. Mit einem feurigen Csárdás Eisensteins Schlafrock über und fühlt sich wie zieht Rosalinde die Aufmerksamkeit der Gesell- zu Hause. Da steht plötzlich Gefängnisdirektor schaft auf sich. Eisenstein, der nicht hinter ihre Frank in der Tür, um den prominenten Häftling Maske blicken kann, findet sofort Gefallen an der Eisenstein persönlich in den Arrest zu geleiten. ihm vermeintlich unbekannten Dame und flirtet Um Rosalinde nicht zu kompromittieren, mimt ungeniert mit ihr. Als er jedoch seinen bewährten Alfred den Hausherrn, der beim Souper mit Uhrentrick vorführen will, mit dem er für gewöhn- seiner Gattin sitzt. Frank führt den Sänger im lich Frauenherzen im Sturm erobert, nimmt „die Schlafrock ab. Gräfin“ die Uhr als Beweisstück an sich.

6 Vor dem Souper erzählt Eisenstein die Geschich- Alfred (als Eisenstein) hat unterdessen einen te, wie er vor einiger Zeit seinem Freund Dr. Falke Anwalt verlangt. Als Dr. Blind eintrifft, tauscht einen Streich gespielt hat, indem er ihn nach (der echte) Eisenstein mit ihm die Kleider, um einer durchzechten Nacht im Fledermauskostüm sich selbst ein Bild von der Situation zu machen. dem Spott der Gesellschaft ausgesetzt hatte. Bis Zu gerne möchte er wissen, wer an seiner statt heute erwartet er dessen Rache. in der Zelle sitzt. Falke stimmt mit der Gesellschaft eine Verbrü- Nun kommt auch noch Rosalinde, um Alfred aus derungsorgie an. Schlag sechs drängen Frank dem Gefängnis zu holen, bevor ihr Mann hier und Eisenstein zum Aufbruch. Beide steuern auf auftaucht, nicht ahnend, dass ebendies bereits verschiedenen Wegen das Gefängnis an. geschehen ist. Ihrem Anwalt (dem verkleideten Eisenstein) erklärt sie, dass sie die Scheidung DRITTER AKT wolle, da ihr Mann ungeniert mit fremden Frauen flirte. Rasend vor Wut legt Eisenstein Im Gefängnis seine Maske ab und gibt seiner Gattin zu ver- Alfred singt in seiner Zelle. Gefängnisaufseher stehen, dass er den Seitensprung mit Alfred Frosch sorgt für Ruhe und Ordnung. durchschaut hat. Da legt Rosalinde im Gegenzug Frank, noch sturzbetrunken, tritt seinen Dienst seine Uhr auf den Tisch. Eisenstein ist perplex: an. Kurz darauf meldet Amtsdiener Mucksenrie- Die ungarische Gräfin, die er verführen wollte, der Besuch: Zwei Damen seien hier, um einen war seine eigene Frau! gewissen „Chevalier Chargrin“ zu sprechen. Es Nun betreten Falke und Orlofsky mit der übrigen sind Adele und Ida, die Frank um einen Gefallen Festgesellschaft das Gefängnis. Falke klärt die bitten möchten. Frank lässt die beiden weg- Anwesenden auf, dass die Geschehnisse der sperren, als schon der nächste Besucher in der letzten Nacht nur eine Inszenierung gewesen Tür steht: Eisenstein betritt das Gefängnis. Die seien, nämlich „die Rache einer Fledermaus“, beiden vermeintlichen Franzosen geben einander seine Revanche für die erlittene Blamage. zu erkennen, wer sie wirklich sind. Doch zweifelt Eisenstein bleibt nichts anderes übrig, als Frank die Identität Eisensteins an, weil dieser ja Rosalinde um Verzeihung zu bitten und seine bereits seit gestern Abend in seiner Zelle sitzt. Strafe anzutreten. Die Hauptschuld trägt oh- Von ihm selbst eingelocht! Wie kann das sein? nehin der Champagner.

7 8 WUNDERWERK FLEDERMAUS

In der Fledermaus wird das Personal auffallend derten Frequenz zurück ins spitze Fledermaus- vielen Tiervergleichen unterzogen. Dem Anwalt ohr. Anhand des so zurückgeworfenen Echos Dr. Blind wird vorgeworfen, er schwatze „wie ein erkennt die Fledermaus die exakte Position und Star“. Das Dienstmädchen Adele träumt davon, Größe ihrer Beute und kann auch im Stockdun- ein „Täubchen“ zu sein. Und Gefängnisdirektor keln zuschnappen: Was für ein ausgeklügeltes Frank preist sein Zuchthaus gleich als ein „schö- Navigationssystem! nes, großes Vogelhaus“, das darüber hinaus von Eine Fledermaus vertilgt pro Nacht mehrere tau- einem Frosch beaufsichtigt wird. Die Hauptfigur send Insekten (ca. 1000 bis 2000 Mücken). Dazu mit dem bleischweren Namen „von Eisenstein“ beschreibt sie über Freiflächen im Flug immer möchte sich in einen „Papillon“ verwandeln. wieder eine Acht und fängt so ihre Beute di- Sein Gegenspieler kostümierte sich in der Ver- rekt aus der Luft. Fledermäuse sind nachtaktive gangenheit nicht nur als Fledermaus, sondern ist Tiere. Zum Schlafen ziehen sie sich in Höhlen, ein Falke. Ein promovierter noch dazu. Überhaupt Felsspalten, Baumhöhlen oder in von Menschen will hier nicht nur fast jeder davonfliegen, son- gemachte Unterschlüpfe wie Dachböden oder dern Adelsprädikat oder Doktortitel sind eben- Mauernischen zurück. falls ein Muss. Fledermäuse tragen ein breites Spektrum an Vi- Momentan sind Fledermäuse ja etwas in Verruf ren in sich. Da sie über ein sehr widerstandsfä- geraten, weil die Tierart als möglicher Überträ- higes Immunsystem verfügen, können ihnen die ger von Sars-CoV-2 gehandelt wird. Dabei sind Viren in der Regel wenig anhaben. Die Erreger sie ganz außergewöhnliche Geschöpfe: Sie flie- befinden sich zwar in ihrem Körper, bleiben aber gen mit ihren Händen, schlafen mit dem Kopf unbemerkt, ohne eine Erkrankung auszulösen. nach unten, sie sehen sehr schlecht, hören aus- (Vergleichbar den Herpesviren beim Menschen.) gezeichnet und können sogar Ultraschallwellen Sind die Tiere Stress ausgesetzt, können Muta- wahrnehmen und aussenden. tionen auftreten, durch die ein Erreger mitunter Fledermäuse sind außerdem die einzigen Säu- auch die Artbarriere durchbrechen und vom Tier getiere, die sich in die Lüfte schwingen können. auf den Menschen „überspringen“ kann. Eingrif- Zur Jagd und um sich in der Dunkelheit zurecht fe in den Lebensraum der Tiere, das Abholzen zu finden, verwenden sie ein Echoortungssys- von Wäldern oder auch das Eingesperrtsein in tem. Sie stoßen Ultraschallwellen aus, die Käfigen auf Märkten sind Stressfaktoren, die das von Objekten als Reflexionen zurückgeworfen Immunsystem schwächen und solche zooonoti- werden. Dabei erzeugen sie über die Nase oder schen Übertragungen begünstigen. das Maul Töne im Hochfrequenzbereich. Die für Eine wissenschaftliche Theorie besagt, dass den Menschen unhörbaren Schallwellen treffen Sars-CoV-2 ursprünglich in Fledermäusen zu fin- auf den Körper der Beute, verändern beim „Auf- den war, dann eine andere Tierart befiel und über prall“ ihre Frequenz und wandern in der verän- diese den Weg zum Menschen fand.

9 FAMILIE STRAUSS

Die Wiener Familie Strauss steht beispiel- Sommerresidenz der Zaren, was ihn zu einem haft für eine Kultur anspruchsvoller Tanz- und wohlhabenden Mann machte. Unterhaltungsmusik. Johann Strauss Vater (1804-1849) arbeitete als gelernter Bratschist Auch Johann Strauss Sohn leitete zwischenzeit- zunächst im Quartett und Orchester Joseph lich die Wiener Hofbälle (1863-70), schuf als Kom- Lanners. Mit 21 Jahren gründete er sein ers- ponist rund 170 Walzer und Evergreens wie An der tes eigenes Tanzensemble, mit dem er von schönen blauen Donau (1867), Geschichten aus 1833 an umfangreiche Konzertreisen durch dem Wienerwald (1868) oder Wiener Blut (1873). Europa unternahm und dadurch dem Walzer zur Weltgeltung verhalf, ein Fundament, auf 1871 schreibt Strauss mit Indigo und die 40 Räu- dem sein Sohn später aufbauen konnte. Zwei ber seine erste Operette, ein noch recht junges Jahre später bekam er die Stelle als Hofball- Genre, das in Frankreich von Jacques Offenbach musikdirektor in Wien – auch hier ebnete er populär gemacht und in Österreich von Kompo- seinem Sohn den Weg. Johann Strauss Vater nisten wie Franz von Suppé, Carl Zeller und Carl schrieb über 250 Kompositionen, darunter 150 Millöcker aufgegriffen wurde. Walzer, 34 Quadrillen, 28 Galopps, 16 Mär- 1873 folgt die Uraufführung von Carneval in Rom, sche und 14 . Seit bekanntestes Stück 1874 Die Fledermaus, beide Male am Theater an wurde der Radetzky-Marsch. der Wien. Immer an seiner Seite ist Richard Ge- née, der auf der Grundlage von Strauss‘ Skizzen Johann Strauss Vater hatte mit seiner Frau auch an den Partituren mitarbeitet. Anna die Söhne Eduard, Johann und Josef, die alle drei ebenfalls als Komponisten aktiv 1885 erfolgt die Uraufführung des Zigeunerba- wurden. Der eigenständigste darunter war ron, sein erfolgreichstes Stück zu Lebzeiten. Im Johann (1825-1899). Zunächst war eine Be- selben Jahr nimmt Strauss die deutsche Staats- amtenlaufbahn für ihn vorgesehen, doch nach- bürgerschaft an, zieht nach Coburg und wird dem der Vater die Familie verlassen hatte, ließ Protestant, um erneut heiraten zu können. 1899 sich Johann mit Unterstützung seiner Mutter stirbt er in seiner Heimatstadt Wien. heimlich zum Musiker ausbilden. Nach dem Vorbild des Vaters (und in Konkurrenz zu ihm) Die Werke der Strauss-Familie gehören bis heute gründete er 1844 seine eigene Kapelle und zu den beliebtesten Melodien klassischer Unter- wurde der „Walzerkönig“ der vergnügungs- haltungskunst und werden jedes Jahr mit dem süchtigen k. u. k.-Gesellschaft. Von 1856 an Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker in- war Strauss jährlich Gast in Russland an der ternational gefeiert.

10 11 Trinke, Liebchen, trinke schnell! Trinken macht die Augen hell. Sind die schönen Äuglein klar, siehst du alles licht und wahr.

Siehst, wie heiße Lieb ein Traum, der uns äffet sehr. Siehst, wie ew‘ge Treue Schaum, so was gibt‘s nicht mehr!

Flieht auch manche Illusion, die dir einst dein Herz erfreut, gibt der Wein dir Tröstung schon durch Vergessenheit!

Glücklich ist, wer vergißt, was doch nicht zu ändern ist!

12 Im Feuerstrom der Reben, tralalalalalalala, sprüht ein himmlisch Leben, tralalalalalalala. Die Könige, die Kaiser, sie lieben Lorbeerreiser. Doch lieben sie daneben den süßen Saft der Reben.

Stoßt an, stoßt an und huldigt im Vereine dem König aller Weine, dem König aller Weine! Stoßt an, stoßt an!

Die Majestät wird anerkannt, anerkannt rings im Land, jubelnd wird „Champagner der Erste“ sie genannt.

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11 14 OPERETTE IN KRISENZEITEN Rund um die Fledermaus

KRISENSTIMMUNG Und worüber konnte man in dieser Situation Im Frühjahr 1873 war die Stimmung in Wien auf überhaupt noch lachen? dem Tiefpunkt: Es regnete ohne Unterlass, das Thermometer kletterte gerade so eben über den EINE WIENER BOULEVARDKOMÖDIE Gefrierpunkt. Das miese Wetter zog sich bis Mitten in jenem turbulenten Frühsommer sa- in den Juli hinein. Am 1. Mai war mit großem ßen Johann Strauss und sein Librettist Richard Tamtam die Weltausstellung eröffnet worden. Genée in Wien und arbeiteten mit Feuereifer an Die Begeisterung der Wiener Bevölkerung hielt einem Stoff, der einmal die berühmteste Ope- sich allerdings in Grenzen. Denn in Folge der in- rette der Welt werden würde. Und wie sich am ternationalen Leistungsschau waren Mieten und Beispiel der Fledermaus erweisen sollte, war das Lebensmittelpreise in die Höhe geschossen. Wer Bedürfnis nach Zerstreuung und gemeinschaftli- es sich leisten konnte, war schon im Vorfeld aus cher Selbstvergessenheit in der Krisenzeit größer dem inneren Bezirk der Stadt aufs Land geflohen. denn je. Die Uraufführung fand am 5. April 1874 im Theater an der Wien statt und war ein respek- Indes blieb der befürchtete Besucheransturm tabler Erfolg. auf Wien aus. Unterm Strich war die Weltaus- stellung sogar ein Verlustgeschäft. Neben dem Um ein Haar wäre die Fledermaus allerdings nie schlechten Wetter war die katastrophale Wirt- komponiert worden – das Sujet erschien den schaftslage dafür verantwortlich. Denn bereits Verantwortlichen lange Zeit als nicht geeignet wenige Tage nach der feierlichen Eröffnung er- für die Wiener Bühne. Die Entstehungsgeschich- eignete sich der Schwarze Freitag. Am 9. Mai te ist verworren, denn die Vorlage ging durch platzte an der Wiener Börse eine Spekulations- unzählige Hände, bis daraus die fertige Operette blase, womit der wirtschaftliche Boom der Grün- wurde: 1872 war in Paris das Vaudeville Le Ré- derzeit ein jähes Ende fand. Viele Firmen muss- veillon von Henri Meilhac und Ludovic Halevy ten Insolvenz anmelden, zahlreiche Unternehmen (den beiden Hauptlibrettisten Jacques Offen- stürzten in den Ruin mit verheerenden Folgen für bachs) uraufgeführt worden. Seitdem lief dieses die Gesellschaft. Denn nicht nur windige Speku- Schauspiel mit Musik in Frankreich ununterbro- lanten waren betroffen, sondern Anleger aus al- chen mit überwältigendem Publikumserfolg. Auf len Schichten: Adel, Militär, Bürgertum und sogar der Suche nach einem Kassenschlager für das das Dienstpersonal hatte sein hart erarbeitetes Theater an der Wien wurde der Direktor Maxi- Geld in Aktien gesteckt. Die Vermögen schmol- milian Steiner von dem Verleger Gustav Lewy zen in Windeseile dahin, Existenzen wurden ver- auf das französische Erfolgsstück aufmerksam nichtet, die Selbstmorde häuften sich. Auch die gemacht: Er sicherte sich noch im selben Jahr Theater litten unter der Krise. Viele Menschen die Rechte. Obgleich Meilhac und Halévy ur- konnten sich einen Besuch nicht mehr leisten. sprünglich auf eine deutschsprachige Vorlage zu-

15 rückgegriffen hatten – in dem biedermeierlichen rie Geistinger und Caroline Charles-Hirsch zwei Lustspiel Das Gefängnis von Roderich Benedix Wiener Publikumslieblinge auf der Bühne stan- (1851) war die Verhaftung des Liebhabers in der den. Als Johann Strauss das fertige Buch in Hän- Rolle des Hausherrn bereits das zentrale Hand- den hielt, war er von der Adaption begeistert. lungsmotiv gewesen – wurde jetzt beim Durch- Das mondäne Trugspiel mit seinen Verwechslun- lesen des Buches deutlich, dass der Stoff stark gen, Verkleidungen und Verwicklungen sowie mit auf Frankreich zugeschnitten war. Die verwickel- den pointierten Spielszenen und typisierten Figu- te Situationsposse Pariser Art ließ sich schwer ren würde sich hervorragend vertonen lassen! auf die Wiener Verhältnisse übertragen. Bereits der Titel deutet dies an: Réveillon bezeichnet ein Der Hauptteil der Komposition, an der Genée ausgelassenes Fest, mit dem die Franzosen tra- ebenfalls mitwirkte (er orchestrierte einen Groß- ditionell den Weihnachtsabend begehen – mit teil der Musik), entstand innerhalb weniger Wo- Souper, Maskenball und Feuerwerk (bei uns vor chen zwischen August und Oktober 1873. Die allem bekannt durch La Bohème). Direktion des Theaters an der Wien unter Stei- Steiner reichte das Buch weiter an seinen Kol- ner und Geistinger forcierte die Uraufführung im legen Alfred Jauner vom Carltheater, der es Frühjahr 1874, um die hereinbrechende finanziel- wiederum seinem Hausdichter Karl Haffner zur le Krise des Theaters an der Wien mit einem Ti- Übersetzung gab. Nach erfolgter Arbeit gelangte tel des Starkomponisten Strauss abzufedern. Der man hier ebenfalls zu dem Schluss, der Stoff eig- Erfolg gab ihnen recht, der Jubel war groß; die ne sich nicht für Wien und sandte es an Steiner Operette schien einen Nerv zu treffen und war zurück. Nachdem ihm nun ein Theaterfachmann alsbald auch international erfolgreich. Noch im nach dem anderen die Untauglichkeit des Sujets selben Jahr folgten gefeierte Erstaufführungen bestätigt hatte, war jener ratlos, was er mit den in Berlin und New York. erworbenen Rechten anfangen sollte. Der Volksschauspieler und Operettenliebling Alexander Girardi begründete 1878 mit seinem Es war Lewy, der auf die Idee verfiel, aus dem umjubelten Komiker-Auftritt als Frosch die Tra- Stoff kein Volksschauspiel, sondern eine Wiener dition, die Szene zu Beginn des dritten Aktes Operette von Johann Strauss zu machen, der weitgehend frei und an Ort und Zeit angepasst durch seine musikalische Adaption das Stück zu gestalten. bestimmt zu einem Publikumserfolg führen wür- de. Richard Genée, Kapellmeister im Theater an MODERNE KOSTÜME! der Wien, machte sich sogleich an die Arbeit und Die Fledermaus wurzelt in der Tradition des Wie- ihm gelang das Kunststück: Er brachte ein durch ner Volkstheaters. Und ähnlich wie in der Offen- und durch wienerisches Textbuch zu Papier, das bachiade verbindet sich hier eine Mischung aus die musikalischen Möglichkeiten des Theater- eingängiger Musik mit ironischer Gesellschafts- stücks geschickt nutzte. Die Veränderungen Ge- kritik. Allerdings rückten Strauss und Genée das nées betrafen vor allem den zweiten Akt, wo das Geschehen – anders als die französische Operet- weihnachtliche Mitternachtssouper zum großen te – nicht in eine mythologische Ferne, sondern Maskenball des Prinzen Orlofsky umgestaltet hielten ihrer eigenen Zeit den Spiegel vor, was wurde. Aufgewertet wurden überdies die Rollen durchaus ein Risiko barg. Nicht nur das Publikum, Rosalindes und Adeles, auch weil hier mit Ma- auch das Personal war ein zeitgenössisches in

16 modischem Abendkleid und Frack. Gleichwohl zerhand zu geadelten Franzosen, Rosalinde zur einem heutigen Zuschauer die Fledermaus als ungarischen Gräfin. Das Dienstmädchen Adele charmant-gewitztes Walzerstück erscheint, so hat keine Scheu, seinem Boss die Leviten zu le- war es für damalige Verhältnisse untypisch und sen: In dem charmanten Walzer „Mein Herr Mar- fast schockierend, wie unverblümt die Doppel- quis“ lacht sie ihm mit einer affektierten Kolora- moral einer Gesellschaft offengelegt wurde. Erst tur direkt ins Gesicht und meistert souverän die das Anstößige der Geschichte sorgte für den Kunst der Verstellung. Die Eisensteins erliegen wohligen Schauder, der den Erfolg ausmachte. beide der Versuchung fremdzugehen – Rosalinde mit Alfred, Eisenstein mit seiner eigenen Frau. VON DER WOHNSTUBE IN DEN KERKER Während sich die Schauplätze in der Fledermaus Nachdem er alle Spielfiguren in Position gebracht von Akt zu Akt ändern, durchmischen sich die hat, läuft Falkes Komödie wie von selbst. Er gesellschaftlichen Schichten immer stärker. Das stimmt den Kanon der allgemeinen Verbrüderung großbürgerliche Wohnzimmer der Eisensteins im Finale II an, als sich die Gästeschar bereits wird gegen ein opulentes Gelage in adeligen kollektiv im Delirium befindet und selig im Wal- Kreisen eingetauscht, und zum Ende hin finden zertakt schunkelt („Brüderlein-Schwesterlein“). sich alle Protagonisten dort wieder, wo norma- In einer Gesellschaft, wo sich selbst Ehepartner lerweise nur Verbrecher und Gesinde zu Hause siezen, ist man auf einmal auf Du(i) und Du(i). Die sind: im Zuchthaus. Gesetze von Raum und Zeit sind aufgehoben, die Die Ereignisse spielen sich in weniger als 24 Uhren ticken anders. Stunden ab, angefangen bei Adeles Brieflektüre Der dritte Akt schließlich ist eine Abfolge von über das Zentrum des Maskenballs bis hin zum Erkennungsszenen und Demaskierungen, mit großen Showdown im Knast. denen Falkes Intrige aufgeklärt wird. Die Schuld- frage kann abschließend nicht geklärt werden, KÜNSTLER UND ANDERE HOCHSTAPLER keiner geht unbelastet aus dem Spiel der nächtli- Die Hosenrolle feiert in Gestalt des mysteriösen chen Eskapaden und Maskeraden hervor. Gastgebers Prinz Orlofsky ein Comeback. Er ist einer der wenigen in diesem Ränkespiel, der Für die Zuordnung bestimmter Stimmfächer inte- keine fremde Identität annimmt, doch sitzt laut ressierte sich Strauss nicht. Alle Rollen in der Fle- Rollenprofil der Geschlechtertausch. Die - übri dermaus sind gleichermaßen im Violinschlüssel gen Hauptfiguren tauchen auf dem Fest fast alle notiert. Auch auf dieser Ebene herrscht also eine unter anderem Namen in eine fremde Welt ein; gewisse Austauschbarkeit. Viele Solonummern das genussvolle Spiel der Verwechslungen, bei münden in mehrstimmige Ensemblegesänge. Es dem die Protagonisten selbst den Überblick zu geht nicht um die Profilierung des einzelnen, son- verlieren scheinen, wer hier gerade wer ist, ge- dern um die Verworfenheit einer Gesellschaft. hört zum Standard-Repertoire einer guten Komö- Die Figuren laden auch nicht zum Mitfühlen oder die. Der Rollentausch ist jedoch außerordentlich zur Identifikation ein. vielseitig gestaltet, er findet auf der Ebene der Nationalität, des Standes und Berufes statt. Man DER TANZMEISTER genießt die Flucht aus dem Korsett der Verhal- Das Wechselspiel der Identitäten setzt sich auf der tensnormen. Eisenstein und Frank werden kur- Ebene der Musik fort, die eine Abfolge von Tanzmu-

17 sik, Strophenlied, Melodram und großer Opernges- bleiben“). Daraus, dass beide Ehepartner es so te ist: Mit Walzer, , Cancan, Galopp, Csárdás ernst nicht meinen mit ihrer Trauer, machen sie waren die europäischen Modetänze vertreten. Die keinen Hehl: Das wehmütige Abschiedsandante Fledermaus ist eine unsentimentale Musikposse in c-Moll bekommt einen schmissigen Polkarefrain mit viel Situationskomik. Vor Liebes- oder Welt- in C-Dur: „O je, o je wie rührt mich dies“. Solche schmerz triefende Melodien sucht man hier vergeb- Stimmungswechsel von kalt zu heiß ereignen sich lich. Mit der Fledermaus bewies Strauss, dass er zu permanent. Das Tempo zieht an, die Laune hellt mehr in der Lage war, als nur brillante Walzerfolgen sich auf, das Tanzbein wird geschwungen. zu komponieren, dass er nämlich auch ein exzellen- tes musikdramatisches Gespür besaß. Alle Figuren sind treffend charakterisiert: Anwalt Die Operettenseligkeit bekommt mehrfach einen Dr. Blind durch Buffogeplapper und Zungenakro- doppelten Boden; die Musik kommentiert, kari- batik, der schwärmerische Gesangslehrer Alfred kiert und antizipiert das Gesagte. Das wird schon mit seinem Ständchen im 6/8-Takt „Trinke Lieb- in der Ouvertüre deutlich, welche durch ein Mo- chen“, Fürst Orlofsky durch das forsche Auftritts- tiv eröffnet wird, das erst im finalen Terzett seine couplet „Ich lade gern mir Gäste ein“, Rosalinde Bedeutung offenlegt: „Ja, ich bin’s, den ihr betro- beweist im Csárdás „Klänge der Heimat“ ihr gen“, bekennt Eisenstein. feuriges Temperament. Adele weiß in jeder Si- Wenn Rosalinde und Eisenstein im Terzett vonein- tuation, sich bestmöglich in Szene zu setzen, wie ander Abschied nehmen, trägt Rosalinde in ihrem bereits ihre mit Koloraturen gespickte „Briefarie“ Bedauern darüber etwas zu dick auf, (weil sie sich deutlich macht. Und Falke schwärmt zu Beginn in Wahrheit auf Alfred freut). Über der Seufzer- über einem charmanten Polkathema vom Souper motivik im Orchester erhebt sich ihr Klagegesang und stimmt als Klammer auch die Aufklärungs- im Stil eines Seria-Lamentos („So muss allein ich polka („O Fledermaus“) am Schluss an.

IMPRESSUM

Bildnachweise Titelbild & Probenfotos Peter Litvai

Bildlegende S.4: Peter Tilch (Eisenstein), Philipp Mehr (Frank), Reinhild Buchmayer (Orlofsky); S.8: Peter Tilch (Eisenstein), Henrike Henoch (Rosalinde), Daniel Preis (Blind); S.11 oben: Henrike Henoch (Rosalinde), Jeffrey Nardone (Alfred); S.11 unten: Kyung Chun Kim (Falke), Peter Tilch (Eisenstein), Reinhild Buchmayer (Orlofsky), Emily Fultz (Adele), Claudia Bauer (Ida); S.14 oben: Emily Fultz (Adele), Peter Tilch (Eisenstein), Chor; S.14 unten: Claudia Bauer (Adele), Philipp Mehr (Frank), Emily Fultz (Adele), Reinhild Buchmayer (Orlofsky), Kyung Chun Kim (Falke), Henrike Henoch (Rosalinde), Peter Tilch (Eisenstein); S.19: Emily Fultz (Adele), Henrike Henoch (Rosalinde), Peter Tilch (Eisenstein), Chor; Rückseite: Peter Tilch (Eisenstein).

Textnachweise Originaltexte von Swantje Schmidt-Bundschuh.

Spielzeit 2020/2021 Herausgeber Landestheater Niederbayern Landshut Passau Straubing Niedermayerstr. 101, 84036 Landshut, Telefon: 0871 / 922 08 0 Intendant Stefan Tilch Redaktion Swantje Schmidt-Bundschuh Gestaltung Swantje Schmidt-Bundschuh Layout Peter Litvai

Das Landestheater Niederbayern wird durch den Freistaat Bayern gefördert.

18 19 DER KÖNIG ALLER WEINE

Der Korken ploppt, feiner Nebel entweicht, wein. Um die Frische des Weins zu erhalten, schnurgerade steigen die Perlen empor: Cham- hatte man damals damit begonnen, ihn für den pagner ist Ausdruck von Sinnenfreude und Transport in Flaschen zu lagern. Die Flaschengä- Verschwendung, er ist verflüssigte Euphorie. rung führte durch Zufall zur „Perlage“, weil die Frei nach Orlofsky: „Im Feuerstrom der Reben Kohlensäure – anders als in Holzfässern – nicht sprüht ein himmlisch Leben.“ Es gibt wohl kaum mehr entweichen konnte. eine Operette, in der so viel Alkohol getrunken wird wie in der Fledermaus. Alfred gibt bereits Es dauerte aber noch viele Jahre, bis Frankreichs am frühen Morgen stets sein „Trinke, Liebchen, Kellermeister den Prozess der Flaschengärung trinke schnell“ zum Besten. Orlofsky droht in durch die kontrollierte Zugabe von Zucker und seinem Couplet „Wer mir beim Trinken nicht Hefe in den Griff bekamen. Auch die Glaspro- pariert, sich zieret wie ein Tropf, dem werfe ich duktion musste Fortschritte machen, ehe die ganz ungeniert die Flasche an den Kopf“. Und Flaschen dem enormen Druck der Kohlensäure nicht dem Kaiser Franz Joseph I. huldigt die standhielten, die bei der Umwandlung von Zu- Menge im Finale II, sondern hochleben lässt cker in Alkohol entsteht, denn nicht selten „ex- man den Champagner: „Die Majestät wird an- plodierten“ die Flaschen. erkannt! Es lebe Champagner der Erste.“ Frosch Der Benediktinermönch Dom Perignon (1638- ist zu Beginn des dritten Aktes sternhagelvoll, 1715) führte zahlreiche Experimente durch, um die anderen Gefängnisbesucher trudeln mit den Herstellungsprozess kontrollierbar und re- ordentlich Restalkohol im Blut ein. So trinkt produzierbar zu machen. Auf ihn geht auch die sich eine feucht-fröhlich-frivole Gesellschaft Agraffe zurück, ein geflochtenes Drahtgestell, von einem Tag zum nächsten. Das Fazit lautet: das den Korken unter hohem Druck in Position „Champagner hat‘s verschuldet.“ hält und zur Ausstattung einer jeden Champag- nerflasche gehört. Zeit also, um Seine Majestät, die Hauptfigur der Operette, etwas besser kennenzulernen: Den Kurz nach einem königlichen Erlass Ludwig XV., Namen hat der Champagner bekanntlich von der der den Transport in Flaschen offiziell genehmigte nordfranzösischen Region mit seinen Weinan- – sofern sie sicher verschlossen waren – begann baugebieten (von lat. „campania“= offenes Feld). der internationale Siegeszug des Champagners: Bereits die Römer pflanzten hier Reben. Der von 1729 wurde das älteste heute noch bestehende ihnen produzierte Wein war allerdings noch nicht Champagner-Haus von Nicolas Ruinart gegrün- prickelnd, sondern still. det. Andere führende Marken wurden in den Erst im 17. Jahrhundert ereignete sich, mehr Jahrzehnten danach international etabliert, so durch einen Zufall, die Herstellung von Schaum- Moët & Chandon, Bollinger und Heidsieck.

20 An den europäischen Höfen, vor allem in Frank- Pommery“ brachte im Uraufführungsjahr der Fle- reich, England und Russland erfreute sich das dermaus 1874 den ersten „Champagner brut“ auf sprudelnde Getränk bald großer Beliebtheit. Im den Markt, eine herbe Sorte mit weniger Süße, 19. Jahrhundert stieg der Champagner weltweit die den Zeitgeist traf. zum beliebten Luxusgetränk auf. Reiche Bürger Seit 1936 ist die Bezeichnung „Champagner“ eiferten dem Adel nach und entdeckten das Ge- geschützt. Nur was aus der Champagne kommt, tränk als Statussymbol. Parallel dazu wurden darf sich auch so nennen, nämlich ein Schaum- französische Kochkunst und Tischkultur in weiten wein, der aus Trauben hergestellt wird, die nach Teilen Europas stilprägend. Mit der Einführung streng festgelegten Regeln in dem Weinanbau- von Flaschenetiketten etablierten sich die ver- gebiet Champagne gelesen werden. Schaum- schiedenen Marken mit individuell gestalteten weine aus Deutschland heißen Sekt, aus Spani- Aufdrucken von hohem Wiedererkennungswert. en Cava, aus Italien Spumante.

Und noch eine Neuerung revolutionierte den Experten empfehlen übrigens das schräge Ein- „König aller Weine“: Als Napoleon 1804 auf schenken von gut gekühltem Champagner in eine seine Kaiserwürde mit Champagner angestoßen Sektflöte (statt in eine Schale). Dann steigen hatte, wies das Getränk noch eine trübe Färbung die Bläschen langsam auf und der Geschmack auf, die durch die Hefezellen verursacht wurde, kann sich ideal entfalten. Die kleinen Perlen welche in der Flasche verblieben. Die Witwe funktionieren nämlich wie ein Fahrstuhl für Aro- Clicquot führte 1816 schließlich das Rüttelpult mastoffe, welcher die feinen Substanzen an die ein, um den im Flaschenhals angestauten He- Oberfläche des Getränks bringt und dort die Ge- ferücksatz zu sammeln und anschließend aus ruchs- und Geschmackssensoren stimuliert. der Flasche zu entfernen (das sogenannte „de- Wissenschaftler der Universität Reims fanden gorgieren“). Voilà: Der Champagner hatte sein unlängst die ideale Größe von Champagner- kristallklares Aussehen erhalten! Veuve Clicquot Bläschen heraus: Ein Durchschnitt von 3,4 Mil- erfand außerdem den ersten Rosé. Eine andere limetern sorge für die ideale Freisetzung von prominente Witwe, die Winzersfrau „Madame Aerosolen in der Luft über dem Glas.

21 „HAARSTRÄUBENDE GESCHMACKLOSIGKEITEN“ Über die Oper von Gaetano Donizetti

Im Theater an der Wien ging Sonntag Johann entsteht, lieber in Nichts verhallt, ehe er derlei Strauß‘ Operette Die Fledermaus in Szene. Der Plattitüden sich anschmiegt. Zu diesem Stück, Erfolg war ungewöhnlich groß. Wie viel davon dessen Lebensnerv die verbrauchteste aller dem Guten der Operette und wie viel der Be- Theaterschablonen: das Quidproquo, hat Johann liebtheit des Komponisten sowie dem sich stark Strauß Töne gesetzt. Der Musiker warf duftende äußernden Lokalpatriotismus, der einem Wiener Blumen auf die Sünden der Librettisten. Produkt gegenüberstand, zuzuschreiben ist, dar- Nennt man den Namen einer Strauß’schen Ope- über wird noch des Ausführlicheren gesprochen rette, so ist damit bereits gesagt, dass in der- werden. Was an dem Compositeur lag, musikali- selben eine Fülle reizender Walzer und Polkas sche Reichtümer zu häufen, das hat er in fast ver- enthalten ist, dieselbe eigentlich nur aus einer schwenderischer Weise getan. Der Walzer domi- Kette anmutiger Tänze besteht. Ist der Tanz nierte und zündete. Der Applaus war stürmisch. nicht der Urquell aller Musik, zu dem wir immer Die Presse, 7. April 1874 zurückkehren müssen, so oft wir erlauschen wollen, wie ein Volk in Tönen fühlt und denkt? Was nur gegen die jämmerlichen Libretti unserer Wo anders pulsiert denn zur Stunde Gemüt und Zeit gesagt und geschrieben wurde, ist vollgültig Gemütlichkeit des Wieners, weht jene laue für Johann Strauß‘ neuestes Bühnenwerk. Situa- Wiener Luft, die ehedem so viele schöne Lieder tionen, die man zur Not nur musikalische nennen zum Blühen brachte, wo anders als in einem kann, sind hier durch einen Dialog voll haarsträu- Strauß’schen Walzer? Strauß verleiht seinen bender Geschmacklosigkeiten aneinanderge- Tänzen eine eigentümliche Poesie: , reiht, und schlechte Witze und schlechter Kalau- das verschriene Wiener Blut, quirlt in seinen er jagen sich wie Ungeziefer am unreinlichen Ort. Weisen, ganz gewiss; wie oft aber trifft er den Auf Schritt und Tritt wird man von Reimen ge- Ton wärmster Empfindung, inniger Reflexion, ohrfeigt, wie: Komm‘ mit zum Souper/Es ist ganz wie oft weiß er, unbeirrt durch den drängenden in der Näh. Oder: Wie, du kannst noch leugnen Rhythmus träumerische sinnende, gemütvolle Mann!/Hast doch meinen Schlafrock an! Klänge anzuschlagen! Ein Tanz so guter Art, von Eine Fledermaus-Episode, welche im Verlauf des so ausdrucksfähiger Melodik hat auch ein An- Stückes erzählt wird, steht zu der Handlung in recht auf die Bühne. Und wie gesagt, bei Strauß keinerlei Bezug. Die ganze Theater-Literatur be- ist es nun einmal anders nicht möglich: sein Blut sitzt schwerlich ein Opus, das seinen Titel we- rollt im Walzer-Rhythmus durch die Adern, seine niger verdiente, als der Operntext der Herren C. Gedanken trippeln polkalustig im Zweiviertel- Haffner und Richard Genée. Texte durch den Kopf, da es ist ganz begreiflich, Ein unlösbares Rätsel bleibt es uns, dass man für dass einem solchen Menschen auch jede drama- solche Worte Musik haben kann, dass nicht der tische Situation zum Tanze wird. Tongedanke, welcher im Kopf des Komponisten Neue Freie Presse, 8. April 1874

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