MODERNES LEBEN

Ghetto Christ Superstar 2003 inszenierte LaChapelle in seinem Bild „Sermon“ (Predigt) eine Jesus-Figur als Heiligen der Straße Annäherung an eine leuchtende Ewigkeit LaChapelles „An Image of Some Bright Eternity“ (2002)

Starfotograf David LaChapelle über den Papst, George vor der Linse. Verraten Sie INTERVIEW uns, wer die größte Zicke in der Enter- „Madonna, diese fiese . . .“ Clooney und die größte Zicke im Schaugeschäft tainment-Branche ist? LaChapelle: Das würde ich niemals tun. FOCUS: Herr LaChapelle, Sie haben Kunstunterricht in den meisten Schulen Peace“ neben den Fotos des legendären FOCUS: Viele Ihrer Bilder sind voll von FOCUS: Ach, kommen Sie . . . sich vor diesem Gespräch zehnmal gestrichen – und wundert sich, warum Kriegsfotografen James Nachtwey. Auf subtiler Kritik an der amerikanischen LaChapelle: Okay, ist umgezogen. Es ist jetzt 15 Uhr. Wie oft die Kids durchdrehen. Dem Fall großer der einen Seite Krieg, Tod und Elend, Leitkultur. Verstehen Ihre Landsleute eine Diva. Aber eine bezaubernd nette, wechseln Sie denn durchschnittlich am Zivilisationen ging immer ein kultureller auf Ihrer Seite schreiend bunte Pop- eigentlich eine solche Botschaft? wohlgemerkt. Mariah kommt rein, ruft Tag die Garderobe? Zusammenbruch voraus. Inszenierungen. Welche Arbeiten hal- LaChapelle: Auf gar keinen Fall. Der „Darling“, küsst mich und nimmt dabei LaChapelle: Mindestens so oft wie FOCUS: In Berlin kursiert das Ge- ten Sie für wichtiger für die Abbildung Durchschnittsamerikaner erkennt nicht, nicht einmal die Sonnenbrille ab. heute (lacht). rücht, dass Ihre Muttter aus Deutsch- der Gegenwart? wenn ich seine Verfressenheit thema- Madonna hingegen ist einfach nur FOCUS: Wir sitzen in der Lounge land kommt. Ist Ihr heimliches Leibge- LaChapelle: Oh Gott, das kann ich tisiere oder mich über Schönheitschi­ eine fiese .. . eines großen Sportartikelherstellers, der richt etwa Sauerkraut? nicht beantworten. Wir besetzen die rurgie lustig mache, weil er nicht auf FOCUS: Wie bitte? heute als Ihr Sponsor geladen hat. LaChapelle: Davon habe ich schon extremsten Positionen, die man sich eine zweite Bedeutungsebene in einem LaChapelle: Eine wirklich furchtba­ Andere Künstler fänden dies ziemlich als Kind genug für ein Leben essen vorstellen kann. James dokumentiert Foto achtet. re Person. Sie foltert die Menschen, kommerziell. müssen. Meine Mum ist tatsächlich die härteste Realität, die es auf diesem FOCUS: Wie stehen Sie denn generell die für sie arbeiten, und behandelt sie LaChapelle: Ich sehe das eher prag- Deutsche, aber sie war seit dem Krieg Planeten festzuhalten gibt – und ich flie- zu Ihrem Heimatland, dessen Popkultur wie Hunde. Ich habe gehört, dass ihrer matisch-positiv: Ohne Werbekunden mit nicht mehr hier. Leider spreche ich die he mit meinen Bildern in eine überspitzte Ihre Bilder füttert? Assistentin bereits die Haare ausfallen. dicken Scheckheften könnte ich meine DAvid lachapelle Sprache nicht. Parallelrealität. LaChapelle: Ich liebe die Ideen, für Sie ist einfach nur fies. Kunst schlichtweg nicht umsetzen. Und FOCUS: Haben Sie sonst irgendwel- FOCUS: Davon zeugt Ihr neues Buch die Amerika steht. Thomas Jefferson ist FOCUS: Am Set sollen Sie ja manchmal in Amerika sind Künstler darauf ange- • Geb. 11. März 1969, Connecticut che typisch deutschen Tugenden in sich „Heaven To Hell“, eine spektakuläre mein Held. Aber heute bestimmen leider auch ganz schön zickig sein. Stört es Sie, wiesen, mit der Wirtschaft zusammen- LaChapelle studierte in New York und entdecken können? Werkschau. Wo glauben Sie, würden nicht mehr die Ideale und ein guter Wil- wenn Leute Sie eine Diva nennen? zuarbeiten, weil die staatliche Förderung wurde von entdeckt. LaChapelle: Man sagt den Deutschen Sie mehr Bekannte treffen: im Himmel le die Politik, sondern eine schiere Gier LaChapelle: Das stört mich nicht. Ich so gut wie nicht mehr existiert. Ich per- • Stars, Stars, Stars nach, dass sie hart arbeiten. Und das tue oder in der Hölle? nach Macht und Wählerstimmen. wurde in meinem Leben schon mit sämt- sönlich nehme sowieso lieber Geld von Der bekannteste Fotograf der Welt arbei- ich auch. LaChapelle: Ich befürchte das FOCUS: Sie hatten , lichen Namen bedacht, die Sie sich vor- privaten Sponsoren als von einer Behör- tete u. a. mit Naomi Campbell, Eminem, FOCUS: Ihre Bilder hängen derzeit in Schlimmste. Aber ich würde dennoch Madonna, , Eminem, Leo­ stellen können. Das hat schon in der de. Und unsere Regierung hat sogar den , Madonna, Elton John. der Berliner Ausstellung „Men, War & den Himmel wählen. nardo DiCaprio, Naomi Campbell und Schule angefangen.

182 FOCUS 50/2006 FOCUS 50/2006 Fotos aus: David La Chapelle „Heaven to Hell“ 2006 (2), Corbis 183 MODERNES LEBEN

FOCUS: Damals in Connecticut. putzen. Das wäre ein tolles Foto. FOCUS: Was ist denn das Langweiligs- LaChapelle: Ich habe die Schule ge- FOCUS: Herr LaChapelle, wann ist ein te, was im phantastischen Leben des hasst, weil ich anders war. Ich wuss- Bild Ihrer Meinung nach schlecht? David LaChapelle passiert? te schon immer, dass ich Künstler wer- LaChapelle: Wenn es langweilt oder LaChapelle: Allein nach Hause zu den würde. Nur, das interessiert nun sich der Idee eines anderen bedient. kommen. So wie gestern Abend, als ich mal niemanden in Connecticut. Als ich Mich langweilt die heutige Fashion-Fo- plötzlich ganz allein in meinem Hotel- das kapiert habe, zog ich mich in mei- tografie: immer dasselbe, keine eigenen zimmer in Berlin stand. Das war gar nicht ne eigene Welt zurück und zeichnete Ideen, keine Geschichten im Hinter- so phantastisch. den ganzen Tag. Eigentlich fing mein grund. Es scheint beinahe so, als wür- FOCUS: Wovor fürchten Sie sich mehr: Leben erst wirklich an, als ich nach den sich die Fotografen von heute ein- davor, alt zu werden, zu sterben oder New York kam. fach eine alte „Vogue“ schnappen und vergessen zu werden? FOCUS: Was würde wohl der junge Da- ein damals geniales Foto zum 20. Mal LaChapelle: Das spielt keine Rolle, vid, der gerade aus dem Bus an der Port nachstellen. weil es genau in dieser Reihenfolge pas- Authority von Manhattan gestiegen ist, FOCUS: Das klingt ja beinahe so, als sieren wird. zu seinem heutigen Alter Ego sagen. langweile Sie Ihr Job. FOCUS: Sie lesen gern Biografien und LaChapelle: Eine tolle Frage – aber ich LaChapelle: Na ja, ich muss mich nicht Geschichtsbücher. Was hätten Sie denn fürchte, er würde gar nichts gern, das die Menschen sagen können und mit of- in 50 Jahren über David fenem Mund dastehen. LaChapelle lesen? FOCUS: Wie haben Sie LaChapelle: In 50 Jahren denn die ersten Jahre in gibt es keine Menschen New York überlebt? Konn- mehr. So lange bleibt uns ten Sie von Anfang an von nicht. Die Welt steht mei- der Kunst leben? ner Meinung nach kurz vor LaChapelle: Nein! Ich habe dem Tipping-Point zu einer alles getan für Geld. Und Umweltkatastrophe. das meine ich wörtlich. FOCUS: So stand es zu- Das können Sie auf meiner mindest in Ihrem Hausblatt MySpace-Seite unter dem „Vanity Fair“ zu lesen. Punkt „Kunst und Prostitu- LaChapelle: Bedauerli- tion“ nachlesen. cherweise konnte ich die- FOCUS: Damit war dann se Ausgabe nicht ertragen, Schluss, als Andy Warhol weil George Clooney auf Sie entdeckte. Heute steht dem Cover ist. Ein Neo-Grü- die A-Liga der Entertain- ner, der einen Privatjet ver- ment-Welt bei Ihnen Schlan- „Protest“ Platin-Rapper Kanye West als Model (2006) langt! Zuerst dreht er me- ge, und wer einen Termin dienwirksam einen netten bekommt, kann sich auf et- Indie-Film, und dann ver- was gefasst machen. Würden Sie sich mehr bestätigen und entdecke gera- langt er vom englischen Verleih seiner eigentlich so fotografieren lassen, wie de das Vergnügen, meinen Garten auf Low-Budget-Produktion, dass sie ihm ein Sie einige Ihrer Kunden inszenieren? Hawaii zu pflegen und mehr Biografien eigenes Flugzeug stellen. Die Verleih- LaChapelle: Auf gar keinen Fall. Aber zu lesen. Ich versuche momentan weni- firma hatte gerüchteweise angeboten, die wenn ich ein Rockstar wäre, würde ger zu reisen, um das Leben zu genießen. gesamte erste Klasse der British Airways ich auch darauf bestehen, dass David Ich hoffe, so eine neue Richtung zu fin- zu buchen, und Clooney hat abgelehnt LaChapelle mein Porträt schießt. den, die mich als Künstler weiterbringt. und auf einem Jet bestanden. Wie grün FOCUS: Angenommen, Osama bin La- Geld interessiert mich nicht mehr. ist das denn? den käme auf die grandiose Idee, sein FOCUS: Wollen Sie anstatt der Foto- Oder denken Sie an Cameron Diaz: In Image in Amerika aufbessern zu wol- grafie mehr Musikvideos oder Filme L. A. kurvt sie stolz mit ihrem Bio-Die- len. Was wäre da geeigneter als ein Bild drehen? sel-Auto rum, und im Vertrag fordert sie von Ihnen – haben Sie eine spontane LaChapelle: Nein, wenn ich wählen den Privatjet. Was soll das? Das ist ein- Idee, wie Sie den Terrorfürsten ablich- müsste, würde ich immer die Fotografie fach nur heuchlerisch.  ten würden? vorziehen. Das andere sind spannende LaChapelle: Osama bin Laden? Der Nebenprodukte. Interview: Jörg Rohleder hat wahrscheinlich nicht genug Zeit, um FOCUS: Schicken Ihnen die Studios von sich von mir fotografieren zu lassen. Und Hollywood seit dem Erfolg Ihres Filmes außerdem hätte ich viel zu viel Angst „Rize“ nicht ein Dutzend Angebote pro „Heaven To Hell“ davor, dass die mich umbringen, wenn Woche? Im Oktober ist der ihnen das Bild nicht gefällt. LaChapelle: Doch, aber die Drehbücher dritte Band von FOCUS: Wie würden Sie denn den Papst sind allesamt Müll. Ich lese die ersten LaChapelles Trilogie fotografieren? zehn Seiten und langweile mich. Eine erschienen (Taschen LaChapelle: Vielleicht beim Zähne- reine Papierverschwendung. Verlag, 320 Seiten)

184 Foto aus: David La Chapelle „Heaven to Hell“ Taschen 2006 FOCUS 50/2006