Dieter J. Weiß Katholische Reform und Gegenreformation

Dieter J.Weiß

Katholische Reform und Gegenreformation

Wissenschaftliche Buchgesellschaft Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn

Abbildung: Ausschnitt aus: Peter Paul Rubens, „Triumph der Kirche über Unwissenheit und Verblendung“; 1627/28. Foto: akg-images,

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© 2005 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Satz: Fotosatz Janß, Pfungstadt Printed in Germany

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ISBN 3-534-15121-6 Inhalt

Inhalt Vorwort ...... 9

I. Einleitung ...... 11 Epochendiskussion ...... 11 Gegenreformation ...... 11 Katholische Reform ...... 12 Konfessionalisierung ...... 14 Konzeption des Bandes ...... 16

II. Spätmittelalterliche Reformansätze ...... 18 Die Reformdiskussion in Kirche und Reich ...... 18 Die Reformkonzilien ...... 18 Kirchliche Missstände ...... 20 Die Ordensreformen ...... 21 Die Frömmigkeitsformen ...... 22 Die Devotio moderna ...... 23 Die Erneuerung in Spanien ...... 24 Die Reformbewegung in Italien und Frankreich ...... 26 Der christliche Humanismus ...... 28

III. und katholische Abwehr im Reich bis 1555 . . . 31 Die Auswirkungen der Reformation ...... 31 Staatskirchenpolitik und Reform am Beispiel des Herzogtums Bayern ...... 32 Verfall des religiösen Lebens und konfessionelle Unsicherheiten 35 Kontroverstheologie und Ringen um einen Kompromiss . . . 37 Reformansätze in der Reichskirche ...... 42 Der Augsburger Religionsfriede ...... 43

IV. Das Konzil von Trient ...... 45 Die Vorgeschichte ...... 45 Die erste Sitzungsperiode 1545 –1547 ...... 47 Die zweite Sitzungsperiode 1551/52 ...... 49 Die dritte Sitzungsperiode 1562/63 ...... 51 Die päpstliche Bestätigung und die Publikation der Trienter Dekrete ...... 53 6 Inhalt V. Papsttum und Kirchenreform ...... 56 Reformansätze ...... 58 Das Renaissancepapsttum ...... 58 Hadrian VI...... 59 Clemens VII...... 60 Paul III...... 60 Der Durchbruch der Reform ...... 62 Julius III. und Marcellus II...... 62 Paul IV...... 62 Pius IV...... 63 Der Höhepunkt der Reform ...... 63 Pius V...... 63 Gregor XIII...... 65 Sixtus V. und seine unmittelbaren Nachfolger ...... 66 Clemens VIII...... 68 Der päpstliche Absolutismus ...... 69 Paul V...... 69 Gregor XV...... 70 Urban VIII...... 71 Innozenz X...... 72 Alexander VII...... 72

VI. Das Ordenswesen ...... 74 Die Jesuiten ...... 75 Gründung durch Ignatius von Loyola ...... 75 Konsolidierung und Ausbreitung ...... 77 Die Kapuziner ...... 79 Weitere Neugründungen ...... 80 Regularkleriker ...... 80 Frauenorden ...... 82 Säkularkongregationen ...... 84 Frauenkongregationen ...... 85 Die alten Orden ...... 86 Die Bettelorden ...... 86 Die Prälatenorden ...... 89

VII. Gegenreformationen und konfessioneller Fürstenstaat im Reich ab 1555 ...... 91 Bayern als Vormacht der Gegenreformation im Reich .... 93 Herzog Albrecht V. und die Adelsfronde ...... 93 Herzog Wilhelm V. und die Reichskirchenpolitik ...... 94 Der Kölner Krieg ...... 95 Inhalt 7 Der Südwesten ...... 96 Die habsburgischen Erblande ...... 97 Innerösterreich ...... 97 Nieder- und Oberösterreich ...... 99 Tirol und die Vorlande ...... 100 Die Länder der Böhmischen Krone ...... 101 Die Spanischen Niederlande ...... 101 Die Reichskirchenpolitik ...... 102 Die Reichskirche ...... 103 Das Kurfürstentum Köln und die norddeutschen Hoch- stifte ...... 103 Das Kurfürstentum Mainz und die mainfränkischen Hoch- stifte ...... 104 Hochstifte in Randlage zu Frankreich ...... 105 Hochstifte in Randlage zu Bayern und Österreich ..... 106 Hexen- und Zaubererverfolgung ...... 107 Die Formierung konfessioneller Sonderbündnisse ...... 110 Der böhmisch-pfälzische Krieg ...... 112 Die Rekatholisierung Böhmens, Österreichs und der Oberpfalz 114 Das Restitutionsedikt von 1629 ...... 118 Vom Prager Frieden 1635 zu den Westfälischen Friedens- schlüssen 1648 ...... 120 Ausblick auf die europäische Entwicklung ...... 122

VIII. Die Umsetzung der kirchlichen Reformbestimmungen .... 126 Persönlichkeiten als Muster der Reform ...... 126 Teresa von Ávila ...... 126 Karl Borromäus ...... 127 Franz von Sales ...... 129 Vinzenz von Paul ...... 129 Instrumente der kirchlichen Reform ...... 130 Die Visitationen ...... 130 Die Congregatio Germanica ...... 131 Die Nuntiaturen ...... 132 Das jesuitische Bildungswesen ...... 134 Die römischen Kollegien und die Priesterausbildung .... 135 Die katholischen Universitäten im Reich ...... 137 Varianten der kirchlichen Reform ...... 140 Untridentinische Reformen ...... 140 Konfessionelle Mischformen ...... 141 Reformhindernisse ...... 143 Die katholische Konfessionalisierung im Reich ...... 145 8 Inhalt Bayern als Muster eines geschlossenen Konfessionsstaates . 145 Die geistlichen Territorien der Kirchenprovinz Salzburg . . 147 Die habsburgischen Erblande ...... 148 Die Kirchenprovinz Mainz ...... 152 Die Kirchenprovinz Köln ...... 156 Die Kirchenprovinz Trier ...... 158 Der Nordosten ...... 159 Die Entwicklung außerhalb des Heiligen Römischen Reiches 159 Die Weltmission ...... 160

IX. Der Barockkatholizismus ...... 163 Die Kunst als Manifestation von Glauben und Kirche .... 163 Architektur und bildende Kunst ...... 163 Literatur und Theater ...... 166 Musik ...... 169 Formen der Frömmigkeit von Klerikern und Laien ...... 170 Die Sakramentenspendung ...... 170 Verehrung der Eucharistie ...... 171 Marienverehrung ...... 172 Herz-Jesu-Verehrung ...... 173 Bruderschaften und Kongregationen ...... 174 Heiligenverehrung und Reliquienkult ...... 175 Prozessionen und Wallfahrten ...... 177 Mystik ...... 178 Katechese und Predigt ...... 179 Dynastische Frömmigkeit ...... 180 Zusammenfassung und Ausblick: Katholische Reform und Barockkultur ...... 180

Auswahlbibliographie ...... 185

Register ...... 201 Vorwort

Vorwort Katholische Reform und Gegenreformation waren innovative Ereignisse der abendländischen Geschichte, die von einer theologischen Problemstel- lung ausgehend alle Lebensbereiche erfassten. Sie bilden einen Ausschnitt aus dem Reformprozess der Kirche, prägten aber in nennenswertem Um- fang nur noch den romanischen Kulturbereich, die katholischen Gebiete des Heiligen Römischen Reiches sowie einige östlich benachbarte Länder. Das Festhalten an dem von Hubert Jedin geprägten Begriffspaar katho- lische Reform und Gegenreformation betont die historische Kontinuität der Reform seit dem Spätmittelalter wie ihre europäische Dimension stär- ker als das besonders in der deutschen Forschung entwickelte Konfessiona- lisierungskonzept. Unter Reform wird die im Spätmittelalter einsetzende Selbsterneuerung der Kirche verstanden, der das Konzil von Trient die prägnante Form ver- lieh. In diesem Zusammenhang werden Ansätze zur Reform besonders in Spanien und Italien, die Entwicklung der neuen Orden, die Geschichte des Tridentinums und das Reformpapsttum vorgestellt. Die doktrinelle Aus- einandersetzung mit dem Protestantismus, aber auch der Einsatz kirch- licher und staatlicher Zwangsmittel gehören zum Bereich der Gegenrefor- mation. In vielen Fällen ging die kirchliche Reform ein enges Bündnis mit dem erstarkenden fürstlichen Absolutismus ein, wie besonders in Bayern und mit zeitlicher Versetzung in den österreichischen Ländern. Die politi- sche Entwicklung des Reiches unter dem Leitfaden konfessioneller Inter- essen wird bis zum Jahr 1648 knapp dargestellt. Für die katholische Reform aber stellt das Ende des Dreißigjährigen Krieges keine Epochengrenze dar. Die Durchsetzung der tridentinischen Reformbestimmungen erfolgte meist erst in der anschließenden Friedenszeit. Das abschließende Kapitel ist dem Barockkatholizismus vorbehalten, um die prägende Kraft der er- neuerten Kirche und den Einfluss ihrer Vorstellungen auf Kunst und Kultur zu verdeutlichen. Der Band bietet eine Zusammenschau der Entwicklungslinien der katho- lischen Reform und Gegenreformation im europäischen Raum. Gleichzei- tig stellt er die Ergebnisse der jüngeren Forschung zu den territorialstaat- lichen Gegenreformationen im Reich und zur allmählichen Umsetzung der katholischen Reform vor. Die besonders in Deutschland übliche Fixierung auf das Konfessionalisierungskonzept wird unter Einbeziehung der inter- nationalen, insbesondere angelsächsischen und italienischen Forschung 10 Vorwort durch eine größere europäische Perspektive relativiert. Der Band hat den Charakter einer einführenden Überblicksdarstellung, der Leser erhält durch das ausführliche kommentierte Quellen- und Literaturverzeichnis die Möglichkeit zur weitergehenden Beschäftigung mit speziellen Proble- men. Neben den Forschern, auf deren Quelleneditionen und Darstellungen diese Einführung beruht, gilt besonderer Dank Herrn Prof. Dr. für seine wertvollen Anregungen und Ratschläge. Teile des Manuskripts haben die Herren Prof. Dr. Thomas Betzwieser, Priv.-Doz. Dr. Christian Hecht, Dr. Nikolas Jaspert, Prof. Dr. Christoph Kampmann und Prof. Dr. Peter Segl kritisch gelesen und wichtige Ergänzungen gegeben, wofür ihnen ebenfalls herzlich gedankt sei. Verpflichtet bin ich auch Herrn Daniel Zimmermann von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für seine kenntnisreiche und sorgfältige redaktionelle Betreuung.

Bayreuth, August 2004 D.W. I. Einleitung

Epochendiskussion

Gegenreformation

EpochendiskussionEinleitung Wer die Grenzen eines Zeitalters festlegt, bestimmt seine charakteristi- schen Züge. Epochen sind keine der Geschichte immanenten, unverrück- baren Größen, sondern von Schulmeistern und Historikern willkürlich ge- setzte Einteilungen, um den Fluss der Zeit zu gliedern. Der Begriff Gegen- reformation – ursprünglich im Plural verwendet – kam im 18. Jahrhundert auf, zunächst 1776 bei dem Göttinger Staatsrechtslehrer Johann Stephan Pütter (1725 –1807). Er setzte sich mit dem Gebrauch durch den preußi- schen Historiker Leopold von Ranke (1795 –1886) durch. Dieser verstand darunter die gewaltsame Rückführung eines protestantisch gewordenen Gebietes zur altgläubigen Religionsausübung, den katholischen Gegenan- griff auf die Reformation unter Führung des Papsttums. Später verwendete er den Begriff generell für das kämpferische Vorgehen der katholischen Kirche und katholischer Fürsten gegen die evangelische Reformation. Ge- genreformation galt als kirchlich inspirierte militant-politische Unterneh- mung. Moriz Ritter (1840 –1923) kennzeichnete damit die Reichsgeschich- te zwischen dem Augsburger Religionsfrieden 1555 und den Westfälischen Friedensschlüssen 1648. Auch außerhalb Deutschlands fand dieser Begriff nun Verwendung (contre-réforme, counter-reformation, contra-riforma), wenn er von der katholischen Historiographie auch abgelehnt wurde. Der Terminus Gegenreformation bildet eine Antithese und setzt eine Reformation voraus. Protestantische Autoren verstanden die Reformation Martin Luthers (1483 –1546) als wahre Rückkehr zum ursprünglichen Christentum und interpretierten die Erneuerung der katholischen Kirche nur als eine Antwort darauf. Der Begriff „reformatio“ begegnet in der An- tike bei Seneca und Plinius im Sinne einer moralischen oder politischen Veränderung des gegenwärtigen Zustandes durch Rückkehr zu vergange- nen Zeiten. Der Apostel Paulus benutzte das Verb „reformare“ (Röm 12, 2; Phil 3, 21), um die Veränderung des Menschen zum Ebenbild Gottes zu fordern. Bei den Kirchenvätern finden sich beide Aspekte, die Rückkehr zum Urzustand vor dem Sündenfall und Reform als Fortsetzung der Schöpfung. Das Mittelalter verstand Reform dagegen als Rückkehr zu einem verlorenen Idealzustand („bona et antiqua consuetudo“). Die Be- 12 Einleitung zeichnungen Reform und Reformation wurden unterschiedslos gebraucht. Im allgemeinen Bewusstsein wird heute unter Reformation die Ausbildung der evangelisch-lutherischen und reformierten Konfessionen im Anschluss an verstanden. Berndt Hamm beschreibt die Entwicklung von der spätmittelalterlichen „reformatio“ zur Reformation als Prozess normativer Zentrierung von Religion und Gesellschaft in Deutschland. Er betont den systemsprengenden Charakter der Reformation Luthers, die nicht mehr „als eine ausgefallene Position innerhalb der Variationsbreite kirchlich tolerierter mittelalterlicher Theologien, Frömmigkeitsformen und Reformmodelle und ihres deutenden Umgangs mit der Hl. Schrift er- klärbar ist“. Ihr Ergebnis bildete eine neue Konfession, die sich von der bestehenden Kirche abgrenzte. Für diese Entwicklung hat sich als Epo- chenbezeichnung der deutschen Geschichte seit dem 18. Jahrhundert der Begriff Reformation eingebürgert, der durch Ranke für die Zeit zwischen 1517 und 1555 festgeschrieben wurde. Der Gebrauch von Reformation und Gegenreformation als Epochenbe- zeichnungen außerhalb der Kirchengeschichte ist nicht unproblematisch, weil in diesem Zeitalter auch zahlreiche andere prägende historische Ent- wicklungen wie die europäischen Hegemonialkämpfe, der innere Staats- ausbau, die Ständekriege oder der Aufbau der Kolonialreiche stattfanden. Obwohl Ernst Walter Zeeden seine Epochendarstellung unter den Titel „Das Zeitalter der Gegenreformation“ stellte, relativierte er diesen Begriff durch den Verweis auf die vergleichbare Bedeutung des Calvinismus, des militanten Protestantismus oder des konfessionellen Fürstentums sowie auf die kulturellen Leistungen der Zeit zwischen 1555 und 1648. Er defi- nierte: „Konfessionelle Politik, wenn sie von katholischen Mächten getrie- ben wurde, nennen wir Gegenreformation.“ Noch Heinrich Lutz hat in seinem Band für die Reihe Grundriss der Geschichte die Zeit zwischen Luthers Reformation und dem Westfälischen Frieden unter den Titel „Re- formation und Gegenreformation“ gestellt.

Katholische Reform

Bereits Leopold von Ranke erfasste, dass der Grund für das neuerliche Erstarken des Katholizismus seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in seiner inneren Erneuerung lag. Den Begriff katholische Reformation prägte der protestantische Historiker Wilhelm Maurenbrecher (1838 – 1892) mit seiner 1880 erschienenen gleichnamigen Darstellung. Katho- lische Autoren nahmen dies auf, um die Erneuerung der römisch-katho- lischen Kirche im 16. Jahrhundert aus eigener Kraft zu betonen. Ludwig Frhr. von Pastor (1854 –1928) gebrauchte in seiner monumentalen Papstge- Epochendiskussion 13 schichte die Epochenbezeichnungen katholische Reformation und Restau- ration ab dem Pontifikat Julius’ III. (1550 –1559). Er setzte ihren Beginn ohne Beeinflussung durch die von Martin Luther ausgelöste Bewegung mit der Gründung des römischen Oratorio del Divino amore in den letzten Re- gierungsjahren Papst Leos X. (1513 –1521) an. Damit hatte die katholische Reformation den Charakter einer Antwort auf die Luthers verloren und war zu einer eigenständigen Bewegung geworden. In seiner Tradition ver- wendeten katholische Historiker den Begriff katholische Restauration statt Gegenreformation. Abhängig vom konfessionellen Standpunkt der Autoren wurden den Begriffen Gegenreformation und katholische Reformation bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts konträre Inhalte beigemessen. Grundlegend für die Begriffsklärung wurde der Beitrag des katholischen Kirchenhistori- kers Hubert Jedin (1900 –1980) „Katholische Reformation oder Gegenre- formation?“ aus dem Jahr 1946. Mit einer prägnanten Formulierung schuf er Klarheit: „Die katholische Reform ist die Selbstbesinnung der Kirche auf das katholische Lebensideal durch innere Erneuerung, die Gegenrefor- mation ist die Selbstbehauptung der Kirche im Kampf gegen den Protes- tantismus.“ Die Vorstellung einer zeitlichen Abfolge von Reformation und katholischer Reform respektive Gegenreformation als Reaktion darauf ist damit überholt. Die Bewegungen liefen nicht zwangsläufig nacheinander, sondern oft parallel. Damit ging eine neue Wertung auch der Reformation aus katholischer Sicht in den Werken von Joseph Lortz (1887–1975) und Jedin einher. Freilich droht damit der Epochencharakter von Reformation und Gegenreformation verloren zu gehen. Verstärkt wurde nun der Akzent in der Forschung auf die innerkirchli- che katholische Erneuerung gelegt. Reformbemühungen gab es in mehre- ren Wellen bereits im Mittelalter. Im 16. Jahrhundert verdichteten sie sich zu einem breiten Strom, gespeist besonders aus Spanien, Italien, der Bewe- gung der Devotio moderna in den Niederlanden und dem christlichen Hu- manismus. Das Konzil von Trient bedeutete die dogmatische Festigung der kirchlichen Lehre und gleichzeitig einen Neuaufbruch. Maßgeblich zu sei- ner Umsetzung trugen das erstarkende Papsttum, die reformierte Kurie mit ihren Kongregationen und Nuntiaturen sowie die Reformorden bei. In ihrer Gesamtheit sorgten sie in den katholischen Gebieten in einem länge- ren Prozess, der bis ins 18. Jahrhundert dauerte, für die Durchdringung des gesamten Lebens mit den kirchlichen Vorstellungen. 14 Einleitung Konfessionalisierung

Der österreichische Kirchenhistoriker Karl Eder (1889 –1961) führte den Begriff des konfessionellen Absolutismus als Epochenbezeichnung ein, um für den Zeitraum von 1555 bis 1648 das enge Bündnis der Religion mit dem frühmodernen, zum Absolutismus tendierenden Staat zu betonen, der die Konfessionshoheit usurpiert hatte. In der Forschung der letzten Jahre hat sich statt der verschiedenen mit Reform gebildeten Wortschöp- fungen das Modell der Konfessionalisierung weitgehend durchgesetzt, da es den Prozesscharakter der Ausbildung der Konfessionen in den Mittel- punkt rückt. Ernst Walter Zeeden hielt auf dem Historikertag 1956 in Ulm einen Vortrag über „Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter der Glaubenskämpfe“, aus dem sein Werk über die „Entstehung der Konfessionen“ hervorging. Er versteht unter Konfes- sionsbildung „die geistige und organisatorische Verfestigung der seit der Glaubensspaltung auseinander strebenden christlichen Bekenntnisse zu einem halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und reli- giös-sittlicher Lebensform“. Für die Geschichtswissenschaft der Frühneuzeit entwickelte sich die Konfessionalisierung zu einem Forschungsschwerpunkt. Kirchen- und Pro- fangeschichte, Verfassungs-, Sozial- und Kulturgeschichte wie der Menta- litätenwandel können damit unter einer gemeinsamen Fragestellung unter- sucht werden. Für Deutschland erwies sich dieser Ansatz als besonders fruchtbar, weil er die Verknüpfung von Reichs- und Landesgeschichte er- möglicht. Wolfgang Reinhard überwand die Gegenüberstellung von Refor- mation und Gegenreformation als aufeinander folgende Epochen und ver- steht den Zeitraum ab den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts über die alte Epochenscheide 1555 hinweg bis nach der Mitte des 17. Jahrhunderts als „konfessionelles Zeitalter“. Der Prozess der Konfessionalisierung wird dabei als Modernisierung begriffen, und zwar nicht nur in der Tradition Max Webers für den Calvinismus, sondern auch für das Luthertum und den tridentinisch erneuerten Katholizismus. Heinz Schilling versteht Konfes- sionalisierung als gesellschaftlichen Fundamentalvorgang, der parallel zur Ausbildung des frühmodernen Staates mit der Formierung einer neuzeit- lich disziplinierten Untertanengesellschaft verlief. Die Verwendung des Begriffs „Konfessionelles Zeitalter“ für die Reichsgeschichte, etwa durch Harm Klueting für die Epoche zwischen 1525 und 1648, erscheint sinnvoller als andere Periodisierungsversuche wie Zeitalter der Glaubenskämpfe oder die Abfolge von Reformation und Gegenreformation. Besonders die Debatte um die Sozialdisziplinierung der Untertanen durch den frühmodernen Staat und den Modernisierungs- schub, den auch der katholisch ausgerichtete Staat leistete, lassen die be- Epochendiskussion 15 grenzte Anwendung des Konfessionalisierungsbegriffs als weiterführend erscheinen. Dieser Terminus ermöglicht die Untersuchung vergleichbarer Methoden bei diesen Vorgängen. Klueting betont einen weiteren Komplex in dieser Debatte, indem er auf die Wechselwirkung von Konfessionalisierung und Säkularisierung hin- weist. Ein anschauliches Beispiel bietet das Frankreich der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Hier erzwang der Staat mit seinen Machtmitteln den Frieden zwischen den konfessionellen Streitparteien. Die Intensivierung der Forschungen zum konfessionellen Zeitalter fand ihren Niederschlag vor allem in dem auf sieben Bände angewachsenen Sammelwerk von An- ton Schindling und Walter Ziegler „Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung“. Für die Geschichte der Reichsstände im konfessionellen Zeitalter, für weiterführende Literatur und Forschungsdesiderata sei auf diese Reihe verwiesen. Wenn im Folgenden der Begriff katholische Konfessionalisierung ver- wendet wird, so dient er zur Kennzeichnung der Verfestigung des Dogmas und der durch das tridentinische Glaubensbekenntnis neuerlich gewonne- nen Sicherheit der katholischen Kirche. Er charakterisiert aber auch die Intensivierung der Erfassung und Kontrolle aller Bevölkerungsschichten mit religiösen Vorschriften und Normen. Wolfgang Reinhard versteht die katholische Konfessionalisierung als ein tendenziell konservatives Ein- schmelzen von unvermeidlichen Innovationen in ein gegebenes System. Irenische Strömungen und humanistische Traditionen wurden in diesem Zusammenhang in den Hintergrund gerückt. Allerdings verdrängt das Konzept der Konfessionalisierung die Frage nach der theologischen Wahrheit. Spiritualität und gelebte Frömmigkeit können damit nicht erfasst werden, oder – in der Formulierung Anton Schindlings – „es werden nur Außenschalen wahrgenommen, nicht der Kern, das innere kirchliche Leben, nicht die Erlebnisse, Wahrnehmungen und Deutungen der handelnden und betroffenen Menschen“. Die radikal zugespitzte Konfessionalisierungsthese, nach der aus der mittelalterlichen gemeinsamen abendländischen Christenheit durch die Reformation und ihre Folgen im 16. Jahrhundert drei völlig neue, durch spezifische Lehrge- bäude und Lebenshaltungen festgefügte Konfessionen entstanden seien, die funktional äquivalent und kompatibel seien, ist sowohl empirisch als auch systematisch nicht belegbar und deshalb wenig überzeugend. Walter Ziegler vertritt demgegenüber die These, dass die katholischen Territorien im konfessionellen Zeitalter weitgehend unverändert altgläubig geblieben seien. Ein Bruch in Dogma und Struktur, in Sakraments- und Amtsver- ständnis der katholischen Kirche vom Mittelalter in die Neuzeit sei nicht erfolgt. Sie habe die Kontinuität der Lehre, der Hierarchie, des sakramen- tal geweihten Priestertums und des kanonischen Rechts gewahrt, die von