der Standard

Nr. 2•Juni 2017

Das optimierte Leben: Wie die „Genschere“ die Welt verändert

€5,90 WW P d A i D s i r l a t e s o s u s d G W. n e v u l i d o E e k PA b n r d t t e a t u e w n l LFINGER.AG r i P c i n a c h l u d a k z f u y l u u e e s n n i r t n r g e a i e e h u n l s m f i l c p e d e h a Z e n t n m IRE INDUSTRIELLEN VIERTEN ZEITALTER. e WILL . d n i I t m e e G a n V l e G t d e b e e e r r i n e g Z h t e e a u v KO t n t z k o t u b u e n n e n i l L g g , f a t MNIM MMEN w o M . d n i e r a n - f s e , r c e n H h u . e i E e n b n i e n e n u - Z n u n e s n i i c t g d a h e l H t t m e n a r e u n , i r d i n n s l s i m d n a e g m a - m r L t m , ö d s i s a t o u s u n n n I d g n s e e t e r e n r n r e ü n i n n b e t i e t n e r a t l r l l e a l i g g l s l e e i c g g n h e e t t n n s u t i w e n n n ä s d r . t i g

PALFINGER AG · 5101 Bergheim, Österreich · E-Mail h.roither@palfinger.com Rahofer. EDITORIAL

Reden wir über eine Revolution

in der Wissenschaft! Der geistige Vater von Genome-Editing ist eigentlich der Physiker Erwin s ist erst fünf Jahre her, dass eine französische und eine Schrödinger mit seinem Essay Was ist amerikanische Wissenschafterin mit einem gemeinsamen Leben?, schreibt Tanja Traxler Paper weltweites Aufsehen erregten. Die beiden Frauen, (S. 41), selbst Physikerin. Sie skizziert E mmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna, haben auch die teils verrückten Gen-Bastel- n achgewiesen, dass der zuvor in Bakterien entdeckte ideen für das Tierreich (S. 48–49). ECRISPR/Cas9-Mechanismus nachgebaut werden kann: Er ermöglicht es, wie Sie auf den nächsten Seiten lesen werden, genetische Der britische Molekularbiologe Veränderungen so schnell und so kostengünstig wie nie zuvor durchzufüh- John Parrington hat eines der ersten ren. Gene können zielsicher angesteuert und in der DNA geschnitten werden populärwissenschaftlichen Bücher über – bei Pflanzen, Tieren und bei Menschen. Das kann in Zukunft zu bahn- die „Genschere“ CRISPR/Cas9 brechenden medizinischen Anwendungen führen. Jedenfalls vergeht keine geschrieben. David Rennert hat es Woche ohne ein neues CRISPR-Paper. gelesen und den Autor Doch der Diskurs über die damit verbundene Revolution hinkt den ra- interviewt (Seiten 30–33). santen wissenschaftlichen Entwicklungen deutlich hinterher – dem wollen wir mit diesem Magazin entgegenwirken, indem wir die Technik, ihre Chan- Da auch Zeichner wie Oliver Schopf cen und die damit verbundenen Risiken beschreiben. Wir haben uns selbst mit wissenschaftlicher Akribie arbeiten ins Labor begeben, wir haben Wissenschafter getroffen, die CRISPR entwi- müssen, besteht ein gewisses Nahever- ckelt haben, und wir haben den brennendsten Fragen zum Thema breiten hältnis zur Forschung. Also haben wir Raum gegeben: Wann darf man die Technik verwenden? Und was würde ein ihn gebeten, eine Seite zu CRISPR zu Eingriff in der menschlichen Keimbahn bedeuten? gestalten (S. 61). Entstanden ist der Damit aber nicht das ganze Heft nur einem Thema gewidmet ist, kom- Cartoon Scherenschnitt 4.0. men Texte über Forschungstrends wie die Suche nach Exoplaneten und autonomes Fahren dazu. Im Ressort selbst war übrigens Tanja Traxler der Helix war der erste Roman, der sich mit organisatorische Motor, das grafische Konzept hat Armin Karner ent - CRISPR/Cas9 beschäftigt: Der aus Ös- wickelt. Die Grafiken steuerten Fatih Aydogdu und Daniela Yeoh bei. terreich stammende Science-Fiction- Wir wünschen ein spannendes Lesevergnügen! Peter Illetschko Autor Marc Elsberg hat ihn geschrie- ben. Für unser Magazin fasste er seine gesellschaftskritischen Gedanken zum Thema zusammen (S. 56–59).

Der Kulturwissenschafter Thomas M acho ärgert sich über allzu großen Pessimismus im Zusammenhang mit dem Fortschritt, plädiert aber für kritische Technikfolgenabschätzung. Ihn konnten wir für den Gastkommentar Jetzt ist aber Schluss gewinnen (S. 82).

Zahlreiche Wissenschafter haben sich Auf dem Cover ist eine schon lachend von ihm durch Labors Computersimulation der und Treppenhäuser von Instituten molekularen Struktur der DNA hetzen lassen – auf der Suche nach der zu sehen. besten Location und dem besten Licht.

Foto: Getty / Science Photo Library / Auch diesmal hat Heribert Corn Laguna Design fotografiert (unter anderem S. 44, 51, 53).

IMPRESSUM UND OFFENLEGUNG Redaktion: Peter Illetschko (Leitung) Grafisches K onzept, Layout und Produktion: Armin Karner Bildbearbeitung: Otto Beigelbeck, Lukas Friesenbichler, Heidi Seywald Info-Grafik: Fatih Aydogdu Anzeigen: Gerhard W. Stöger Herausgeber: Oscar Bronner, Dr. Alexandra Föderl-Schmid Geschäftsführung: Mag. Alexander Mitteräcker Chefredaktion: Dr. Alexandra Föderl-Schmid Stellvertretung: Mag. Rainer Schüller Eigentümerin (100 %) / M edieninhaberin, Verlagsort, Redaktions- und Verwaltungsadresse: Standard Verlagsgesellschaft m.b.H., A- 1030 Wien, Vordere Zollamtsstraße 13 Hersteller, Herstellungs- und E rscheinungsort: Leykam Druck GmbH & Co KG, 7201 Neudörfl, Bickfordstraße 21. FORSCHUNG berichtet über Wissenschaft und Forschung im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Trends, als Magazin der T ageszeitung der Standard.

Fotos: Seywald (2), Schopf, Lukas Ilgner, IFK / Jan Dreer, Corn Dreer, Jan / IFK Ilgner, Lukas Schopf, (2), Seywald Fotos: Offenlegung gem. § 25 Abs. 2 und 3 M edienG siehe: http://derStandard.at/Offenlegung

3 MAGAZIN FORSCHUNG INHALT

DAS OPTIMIERTE „Wir brauchen eine breitere Debatte“ Aus Sicht des Forschers und Autors John LEBEN Parrington hinkt die gesellschaftliche Diskussion über Genome-Editing der Was ist Genome-Editing? technischen Entwicklung hinterher. Eine neue Methode verspricht, Medizin 30 bis 33 und Landwirtschaft zu revolutionieren: Die wichtigsten Fragen und Antworten Schöne neue Landwirtschaft bezüglich der „Genschere“ CRISPR/Cas9. Das Potenzial von CRISPR/Cas9 in der 6 bis 7 Landwirtschaft ist enorm. Wie Gesetzgeber und Konsumenten darauf reagieren Biotech-Goldgräberstimmung werden, ist jedoch ungewiss. Die Geschichte eines der wichtigsten 34 bis 39 Durchbrüche im Biotech-Zeitalter hat viele Facetten – zwischen Goldgräbermentalität und vergebenen Chancen. 8 bis 11

Reportage aus dem Labor Ist CRISPR/Cas9 ein Wunderwerk der Technik? Standard-Wissenschafts- redakteur Peter Illetschko setzte sich fünf Tage ins Labor und probierte es selbst aus. Alles ist Quantenphysik 12 bis 18 Wer denkt, Genome-Editing sei eine Erfindung der Molekularbiologie, der irrt. „Es fühlt sich schon surreal an“ Denn der geistige Urgroßvater dahinter Die Französin Emmanuelle Charpentier ist heißt Erwin Schrödinger. das Mastermind hinter der „Genschere“. Seite 41 Sie erzählt im Interview, warum Aufklärung besonders wichtig ist. Was ist wo erlaubt 20 bis 23 Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Genome-Editing könnten kaum uneinheitlicher sein. Ein Überblick. 42 bis 43

„Viele Leute werden das machen“ Bioethikerin Barbara Prainsack über CRISPR/Cas9-Debatten in England und Österreich sowie Chancen und Risiken. 44 bis 46 Dystopie Designerbaby Lange Zeit galt der menschliche Embryo Seltsame Tiere als Tabuzone für Versuche. Mit Genome- Stechmücken ohne Malaria, Schweine als Editing hat sich das geändert. Doch Organspender und andere skurrile Tiere: Designerbabys sind noch in weiter Ferne. Die „Genschere“ ermöglicht 24 bis 27 maßgeschneiderte Züchtungen. 48 bis 49 Medizinische Wunderwaffe Aids, Krebs, Diabetes: Es gibt kaum eine Der Mann im Hintergrund Krankheit, bei der Mediziner nicht auf die Er war einer der Entdecker von „Genschere“ setzen. Doch teilweise sind CRISPR/Cas9, die große Karriere strebt er eMM/Klaus Pichler, Imago, IMBA, Nasa-JPL-caltech IMBA, Imago, Pichler, eMM/Klaus

C die Erwartungen zu hoch gegriffen. dennoch nicht an: Krzysztof Chylinski. 28 bis 29 50 bis 52 Fotos: Corn, Fotos:

4 MAGAZIN FORSCHUNG INHALT

„Organe aus dem Labor NATUR wären fantastisch“ Zellbiologe Jürgen Knoblich spricht UND TECHNIK über seine Arbeit und nötige Lösungen für die Probleme der Zukunft. „Migration kennt keine Moral“ 53 bis 55 Der Sozialwissenschafter Godfrey Baldacchino kritisiert im Interview die Strategie der Staatengemeinschaft mit Klimaflüchtlingen. 71 bis 73

Fahrerlos auf der Autobahn Die ersten Teststrecken für autonomes Fahren in Österreich sind genehmigt. Doch es herrscht noch großer Forschungsbedarf. Gott und die Welt 74 bis 75 Im Gastkommentar plädiert Autor Marc Elsberg für Fakten in der Gentechnikdebatte – und fordert die RAUM Forscher auf, über ihre Arbeit zu sprechen. 56 bis 59 UND ZEIT

CRISPR zwischen Buchdeckeln Suche nach Leben fern der Erde Genome-Editing erobert die Die Zahl der bekannten Exoplaneten Sachbuchliteratur: Aktuelle wächst rasant. Die Fortschritte in Neuerscheinungen in Sachen Spiel der Astronomie nähren die Hoffnung, mit der Schöpfung im Überblick. bald auf Leben im All zu stoßen. Seite 60 77 bis 81

Scherenschnitt 4.0 Oliver Schopf lässt in seinem Cartoon die Entdecker von CRISPR/Cas9 in einer Änderungsschneiderei arbeiten. Seite 61

MENSCH Zum Schluss UND MASCHINE Für einen Aufschwung kreativer Fantasie in den Wissenschaften plädiert Wie wir arbeiten werden der Kulturwissenschafter Thomas Macho Die Digitalisierung erfasst die in seinem Gastkommentar. Jobwelt. Das bietet Chancen für Seite 82 selbstbestimmtes Arbeiten, doch es droht ein wachsendes Cybertariat. 63 bis 66 Alle Neuigkeiten bezüglich „Genschere“ Produktion der Zukunft und anderer Themen Das Schlagwort Industrie 4.0 wird zwar aus der Wissenschaft von Politikern, Coaches und Medien in Echtzeit auf: propagiert. Noch ist die Vision aber derStandard.at/ weitgehend Zukunftsmusik. Wissenschaft 67 bis 69

5 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

Eine neue Technik der Molekularbiologie sorgt für Furore: Die Genschere CRISPR/Cas9 ermöglicht es Wissenschaftern, so präzise, schnell und billig wie nie zuvor das Erbgut von Lebewesen zu verändern. Von der Grundlagenforschung bis zu konkreten Anwendungen – die Methode hat das Zeug dazu, die Welt, wie wir sie kennen, zu verwandeln.

Was ist Genome-Editing?

Unter dem Begriff Genome-Editing werden molekularbiologische Verfahren zusammengefasst, die gezielte Veränderungen im Erbgut von Lebewesen ermöglichen. Durch die präzise Herbeiführung von Mutationen in bestimmten Abschnitten der DNA, dem Träger der Erbinformation, können Gene eingefügt, entfernt, ausgeschaltet, modifiziert oder repariert werden. Seit einigen Jahren steht vor allem eine Genome-Editing-Methode im Rampenlicht: CRISPR/Cas9. Die Technik, oft als Genschere bezeichnet, gilt heute als vielversprechendstes Werkzeug für präzise Eingriffe ins Genom.

So funktioniertCRISPR/Cas9

1 HERSTELLEN: Synthetische Erzeugungeines RNA-Moleküls,das 1 sichandie gewünschteStelleimErbgut bindetund so den Zielort Cas9 fürdie Genscherevorgibt.Zusammen mit dem Schneide-Enzym Cas9 bildetdiese Führungs-RNA das Werkzeug,das in dieZelle eingeschleustwird.

2 FINDEN: Die Führungs-RNA leitet den Werkzeugkomplex Führungs-RNA zumZielortimGenom.

dogdu 3 Ay SCHNEIDEN: DasEnzym Cas9schneidet den DNA-Doppelstrang an der vorgese-

tih henen Stelle. Fa nnert; Grafik: Re

4 REPARIEREN: Die natürlichenReparaturmechanismen der Zellefügen den utor: David durchtrenntenStrang wieder zusammen.Dabei können Gensequenzen eingebaut

in ;A bzw. DNA-Bausteine modifiziertoder entfernt werden. et

Quelle: MRS Bull Programmierte DNA

6 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

Was ist der Unterschied zu Was bedeutet Wie funktioniert früheren Verfahren? CRISPR/Cas9? CRISPR/Cas9 als Werkzeug?

Genome-Editing-Techniken unterscheiden Der komplizierte Name CRISPR/Cas9 setzt Entdeckt wurde die CRISPR-Sequenz im Erb- sich von früheren gentechnischen Methoden sich aus zwei Teilen zusammen: „Clustered gut von Bakterien schon 1987 – doch erst 2012 wie etwa der Transgenetik entscheidend: Ers- R egularly Interspaced Short Palindromic Re- folgte die bahnbrechende Erkenntnis: Das Sys- tens können sie bei so gut wie allen Zelltypen peats“ (CRISPR) steht für sich wiederholende tem funktioniert nicht nur in Bakterien, son- angewendet werden – ob bei Pflanzen, Bakte- Abschnitte im Genom von Bakterien, CRISPR- dern lässt sich in allen lebenden Zellen einset- rien oder Menschen. Zweitens ist die Verände- associated9 (Cas9) ist ein Enzym, das die DNA zen. CRISPR/Cas9 kann mit der passenden rung oder das An- und Abschalten von Genen schneiden kann. Daraus entwickelten Forscher Führungs-RNA auf nahezu jede beliebige Stelle damit weitaus genauer und effizienter, die ein genetisches Werkzeug, das einfacher, in der DNA angesetzt werden und diese präzise Werkzeuge dafür sind gleichzeitig viel kosten- schneller und billiger ist als andere Techniken. durchtrennen. Mithilfe der zelleigenen Repara- günstiger und einfacher in der Handhabung. turmechanismen können so DNA-Sequenzen Drittens ist das Risiko, dass auch andere Regio- entfernt, eingefügt oder verändert werden – nen des Genoms beeinflusst werden, geringer. Woher kommt dieser Vorgang läuft genau so ab wie bei der Re- die Technik? paratur spontan auftretender DNA-Brüche.

Welche Anwendungen Das System ist eigentlich Teil der Immunab- sind denkbar? wehr verschiedener Bakterien und Archaeen Wer hat’s gegen Viren. Wird ein Bakterium erstmals von erfunden? Genome-Editing verspricht neben völlig neuen einem Virus angegriffen, schneiden sogenann- Möglichkeiten in der medizinischen Grund - te Cas-Enzyme dessen DNA in kleine Stück- Darüber scheiden sich nach wie vor die Geister. lagenforschung eine Vielzahl revolutionärer chen. Diese Fremd-DNA-Stücke werden dann Die französische Mikrobiologin Emmanuelle Anwendungen, etwa bei der Behandlung von in bestimmte, sich wiederholende Abschnitte Charpentier, heute Direktorin am Max-Planck- Krebs und Erbkrankheiten oder zur Entwick- des Bakteriengenoms eingefügt, die CRISPR- Institut für Infektionsbiologie in , und die lung von dürre- und schädlingsresistenten Abschnitte. Sie dienen als eine Art Archiv: amerikanische Strukturbiologin Jennifer Doud- Nutzpflanzen in der Landwirtschaft. Auch für Kommt es später erneut zu einer Infektion na von der University of California, Berkeley, die Herstellung neuer Materialien oder Bio- durch das Virus, wird dessen DNA sofort er- haben 2012 gemeinsam die Funktionsweise von kraftstoffe gibt es großes Potenzial. kannt – und zerstört. Mithilfe dieses Systems CRISPR/Cas9 in Bakterien beschrieben. Wenig „erinnern“ sich Bakterien also an Viren, die sie später hat Feng Zhang vom Broad Institute in schon einmal angegriffen haben, und schützen Cambridge die Anwendungsmöglichkeit in Eu- Welche Gefahren und sich vor neuen Infektionen. Eine wichtige Rolle karyoten veröffentlicht, also in allen Lebewe- Bedenken gibt es? kommt dem Enzym Cas9 zu: Es verwendet sen, deren Zellen einen Zellkern haben – da- RNA-Moleküle, die aus den feindlichen DNA- runter Menschen, Tiere und Pflanzen. Im fol- Dem enormen Anwendungspotenzial dieser Stückchen transkribiert wurden, um zielgerich- genden Patentstreit bekam Zhang die Rechte Methoden stehen rechtliche und wissenschaft- tet die virale DNA zu finden und zu schneiden, für die Anwendung von CRISPR/Cas9 vom US liche Unklarheiten, gesellschaftliche Bedenken nicht aber die zelleigene DNA. RNA ist so etwas Patent and Trademark Office zugesprochen. und Ängste gegenüber: etwa wie geneditierte wie der chemische Cousin der DNA, hat jedoch Das Europäische Patentamt verkündete hin- Organismen gesetzlich einzustufen sind, wel- ganz andere Aufgaben: Sie kommt in vielen gegen, die Ansprüche der anderen Partei zuge- che ethischen Probleme und medizinischen unterschiedlichen Typen vor und ist unter an- stehen zu wollen. Der Streit berührt auch die In- R isiken aus der Anwendung am Menschen (ins- derem für die Übertragung genetischer Infor- teressen der Universität Wien, weil Charpentier besondere am Embryo) erwachsen, welche mationen zuständig. Identifiziert Cas9 eine vi- mit den Arbeiten zu CRISPR in ihrer Gruppe an Konsequenzen der vergleichsweise einfache rale DNA-Sequenz, die genau zur transkribier- den Max Perutz Labs der Uni Wien begann. Die Zugang zu Genome-Editing-Technologien ha- ten Führungs-RNA passt, wird diese erkannt Fachwelt geht davon aus, dass die endgültige ben könnte oder welche Gefahren für Umwelt und zerschnitten. Nach diesem Vorbild entwi- Entscheidung noch nicht getroffen ist, da Ein- und Nahrungsmittelsicherheit bestehen. ckelten Forscher die Genschere. sprüche angekündigt wurden.

Entdeckungsgeschichte der Genschere CRISPR/Cas9

1987: Japanische Forscher um „Clustered Regularly Interspaced fornien, Berkeley) zeigen, dass mit streit um die „Genschere“ Y oshizumi Ishino entdecken im Short Palindromic Repeats“, kurz dem CRISPR/Cas-System in einem 2015: Chinesische Forscher wen- Erbgut des Bakteriums Escherichia CRISPR Bakterium Abschnitte aus dem Erb- den das CRISPR/Cas-System erst- coli vielfach wiederholte DNA-Ele- 2007: Enthüllung der Funktion des gut geschnitten werden können. mals an lebenden menschlichen mente mit unbekannter Funktion. CRISPR/Cas-Systems als Abwehr- 2013: Feng Zhang (Broad Institute Embryonen an und lösen eine ethi- 1993–95: Entdeckung dieser Se- system gegen Viren of MIT and Harvard, Cambridge) sche Debatte aus. quenzen in weiteren Bakterien und 2012: Emmanuelle Charpentier optimiert die Methode für Zellen 2016: Erste klinische Studie mit Archaeen (damals Universität Umeå) und anderer Organismen. editierten T-Zellen bei Lungen- 2002: Einführung des Begriffs Jennifer Doudna (Universität Kali- 2014–heute: anhaltender Patent- krebspatienten startet in China.

7 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN Heiß umkämpftes Füllhorn

Die „Genschere“ verspricht, bisher unheilbare Krankheiten zu therapieren und Arten so zu verändern, dass sie Menschen nicht gefährlich sein können. Aber sind wir uns möglicher Folgen der Technologie bewusst? Die öffentliche Wahrnehmung war bisher jedenfalls vom Ringen um Ruhm und Reichtum geprägt.

ANALYSE: PETER ILLETSCHKO

ls Emmanuelle Charpentier im Frühjahr dieses Jahres in Wien war, um das neue Gebäude des Instituts für Molekulare Patho- Alogie (IMP) zu eröffnen, gab man ihr eine übergroße Schere für den feierlichen Eröffnungsakt in die Hand. Das durchzuschneidende Band hatte die Form einer DNA. Eine logische Inszenierung im Bei- sein von politischer Prominenz wie Bundesprä- sident Alexander Van der Bellen: Hatte die Französin doch gemeinsam mit der Strukturbio- login Jennifer Doudna den aus Bakterien be- kannten Mechanismus CRISPR/Cas9 als wei- terverwendbares Werkzeug für die Inaktivie- rung von Genen beschrieben. Ein Werkzeug, das als „Genschere“ bekannt ist und das, wie man heute weiß, auch in Pflanzen-, Tier- und

8 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

Menschenzellen angewandt werden kann: stand alle Passagen zu diesen Fragen lesen müss- Noch nie zuvor hatten die Life Sciences ein der- Die Doppelhelix, vom Blitz te. So ging einige Zeit ins Land, ohne wirklich art einfach zu nutzendes und effizientes Tool in g etroffen? Mit Computer- über mögliche bioethische Fragen zu Händen, das in der Öffentlichkeit reflexartig simulationen wie dieser CRISPR/Cas9 zu diskutieren. Wann dürfte man mit großen Hoffnungen und Schlagwörtern wie v ersucht man die Anwendung dieses neue Wunderwerkzeug der Genetik ver- „Heilung“ verknüpft wurde. von CRISPR/Cas9, wenden, wann nicht? Stattdessen gab es immer Es war auch deshalb eine so gelungene Insze- die Ausschaltung von wieder Grund zum erheiterten Kopfschütteln: So nierung, weil die Geschichte dieses großen wis- Genen in der DNA, publizierte der Biologe und Mathematiker Eric senschaftlichen Durchbruchs einen Prolog hat, darzustellen. Lander, einer der Gründer des B road Institute, der in Wien spielt, unweit vom IMP an den Max Anfang 2016 im Fachjournal Cell den Beitrag The F. Perutz Laboratories von Universität und Med- Heroes of CRISPR, in dem er die Rolle von Zhang, Uni Wien. Dort war Charpentier im vergangenen gewiss einer der wichtigsten Forscher am Insti- Jahrzehnt tätig. Ihr bevorzugtes Forschungsob- tut, hervorhob und die von Charpentier und jekt, das Bakterium Streptococcus pyogenes, galt Doudna explizit kleinredete. Eine peinliche Fuß- damals unter Wissenschaftern als ein echtes note oder vielleicht doch bezeichnend für die Art Außenseitermodell. Charpentier bewegte sich der Auseinandersetzung? Der Streit gilt jeden- weit weg vom Mainstream, das war zwar mutig, falls trotz zweier Entscheidungen, einer aus den die Skepsis derer, die sie fördern hätten können USA, einer vom EU-Patentamt, bis heute nicht und sollen, war ihr aber damit gewiss. Die Mik- als vollends geklärt – wurden doch in beiden Fäl- robiologin ging schließlich nach Umeå in den len von den jeweiligen Gegenparteien Einsprü- kalten schwedischen Norden und später nach che angekündigt. Deutschland. Seit gut zwei Jahren gilt sie als eine Das Füllhorn bleibt wohl heiß umkämpft, der Anwärterinnen für kommende Nobelpreise weil es dabei vor allem um viel Geld geht – auch – und fast jeder Eingeweihte in der österreichi- für die beteiligten Wissenschafter: Alle haben schen Wissenschaftscommunity meint nun zu schon Biotech-Unternehmen gegründet. Eine wissen, dass es ein natürlich vermeidbarer Feh- Firma von Charpentier, CRISPR Therapeutics, ler war, sie damals gehen zu lassen. Man hätte ihr hat sich jüngst mit dem Pharmariesen Bayer zu Talent erkennen müssen. Man hat aber nicht. einem Joint Venture zusammengefunden. Man Konjunktivreiche Erzählungen, die zeigen, wie will neue Therapeutika gegen Bluterkrankun- dringend das Land für sein Selbstvertrauen we- gen, Erblindung und erblich bedingte Herzer- nigstens diesen kleinen Anteil am ersten natur- krankungen entwickeln. Um welche Summen es wissenschaftlichen Nobelpreis seit Konrad Lo- sich dabei handelt, schrieb Bayer zum Beispiel in renz und Karl von Frisch 1973 bräuchte: eine einer Presseaussendung: Das Unternehmen Preisträgerin, die an einem österreichischen Ins- werde in den nächsten fünf Jahren mindestens titut arbeitet. 300 Millionen US-Dollar (umgerechnet 268 Mil- lionen Euro) in Forschung und Entwicklung des Patentstreit, Fortsetzung folgt Joint Venture investieren. Und weiter im Text: Im Hauptteil der Geschichte rund um „Bayer wird außerdem einen Minderheitsanteil CRISPR/Cas9 geht es aber nicht um die verge- an CRISPR Therapeutics in Höhe von 35 Millio- benen Chancen, sondern um das gnadenlose nen US-Dollar in bar erwerben.“ Ringen um ein Füllhorn – darin enthalten sind ganz und gar menschliche Ziele: Ruhm, Ehre Interessanter Nebencharakter und Geld. Die beteiligten Parteien sind Wissen- Ein Nebencharakter in dieser vielschichti- schafter, Universitäten, Forschungsinstitute, gen Geschichte ist der genannte Harvard-Gene- vor allem Patentanwälte und Biotech-Unter- tiker George Church, der aufzeigen konnte, dass nehmen, die von einer starken Goldgräbermen- man mit CRISPR/Cas9 Arten nachhaltig verän- talität getrieben sind. Drei Größen der Genetik dern könnte. Die relevante Frage dabei wird und Mikrobiologie werden in diesem Zusam- mittlerweile diskutiert: Darf man das nun als menhang immer wieder genannt: Charpentier Chance oder muss man es als Risiko werten? und Doudna sowie Feng Zhang vom Broad Ins- Oder ist es vielleicht sogar beides? Man könnte titute, der kurz nach dem besagten Paper der damit beispielsweise Malaria-Mücken so modi- beiden Wissenschafterinnen gemeinsam mit fizieren, dass sie keine Seuche mehr übertragen. Harvard-Professor George Church über die An- Welche ökologischen Folgen das haben würde, wendung von CRISPR/Cas9 in tierischen und ist unklar. menschlichen Zellen publizierte und durch ein Church ist jedenfalls am Biotech-Unterneh- Patent-Eilverfahren schnell zu seinem Recht men Editas Medicine beteiligt, einer von zwei kommen wollte. Firmen, die kürzlich kritische Briefe an das Die Klage der Damen ließ nicht lange auf Fachmagazin Nature Medicine schrieben. Die sich warten. Der darauf folgende Patentstreit andere Beschwerde kam vom Unternehmen In- füllte lange Medienberichte und verhalf tellia. Der Grund war in beiden Fällen der glei- CRISPR/Cas9 zu mehr Berühmtheit abseits der che: Das Fachblatt hatte ein Paper veröffent- Wissenschaftsberichterstattung. Die Patentan- lich, wonach es durch die Anwendung von wälte diktierten weitgehend, was über die Ausei- CRISPR/Cas9 zu unerwarteten Mutationen nandersetzung geschrieben werden durfte. kommen könnte, die Schäden seien vor allem Interviewanfragen wurden nicht nur einmal mit an der Börse erheblich gewesen. Auch Char- dem Hinweis beantwortet, dass der Rechtsbei- pentiers CRISPR Therapeutics soll davon be- → Foto: Picturedesk / Science Photo Library / Alfred Pasieka Alfred / Library Photo Science / Picturedesk Foto:

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→ troffen sein. Church meinte, dass die publizier- te Studie zurückgezogen werden sollte, wie das Magazin Technology Review des Massachusetts Institute of Technology (MIT) schreibt. Berech- tigte Kritik oder, wie Beobachter meinen, nur der vordergründige Versuch, lästige Störungen beim Schürfen nach Gold in den Life Sciences abzustellen? Wie oft hat man es schon erlebt, dass ein renommierter Wissenschafter derarti- ge Forderungen gestellt hat? Würde dieses Fak- tum allein unter Normalumständen nicht aus- reichen, um an der Relevanz besagter Studie zu zweifeln?

Eine sichere Bank George Church gilt wie Charpentier, Doud- na und Zhang als sichere Bank für einen der Emmanuelle Charpentier (links) und Jennifer nächsten Nobelpreise. Alle vier werden die Doudna (rechts) haben für die Entwicklung höchsten Würden der Wissenschaften mit Si- des CRISPR/Cas9-Systems schon eine cherheit nicht im gleichen Jahr und in der glei- V ielzahl an Auszeichnungen erhalten – chen Kategorie erhalten – das würde die bisheri- im Bild die Verleihung des spanischen gen Regeln in der Nobelpreisvergabe, wonach es P rinzessin-von-Asturien-Preises im Teatro maximal drei Gewinner pro Fach geben kann, Campoamor in Oviedo im Oktober 2015. völlig über den Haufen werfen. Im vergangenen Jahr wurden Church und Zhang als Favoriten für den Chemie-Nobelpreis gehandelt, Charpentier und Doudna waren schon 2015 für den Medizin-Nobelpreis auf der Liste. Die beiden Frauen haben bereits recht vie- le wichtige Preise erhalten – und präsentierten sich 2015 bei der Verleihung des spanischen Prin- zessin-von-Asturien-Preises als unzertrennli- ches Duo: Sie hielten einander an den Händen. Ein Auftritt wie ein Signal in Zeiten des Hick- hacks zwischen Wissenschaftern. Dass im Füllhorn CRISPR/Cas9 auch viele Foto: APA / Miguel Riopa Miguel / APA Foto: Foto: AP / Susan Walsh Susan / AP Foto: Versprechungen stecken, Hoffnungen auf Hei- Der Neurowissenschafter Feng Zhang lung bisher unheilbarer Krankheiten, erscheint vom Broad Institute in Cambridge logisch. Gegenüber den Medien sprechen die beansprucht für sich, dass er der Erste war, Wissenschafter, die an der Entwicklung der der die Anwendungsmöglichkeit von „Genschere“ beteiligt waren, vor allem davon. CRISPR/Cas9 in Eukaryoten beschrieb – also Sie sprechen von Korrekturen krankheitsverur- in Lebewesen, deren Zellen einen Zellkern sachender Gene, also einer weitgehend akzep- haben wie Menschen, Tiere und Pflanzen. tierten medizinischen Anwendung. Charpentier und Doudna wenden sich aber explizit gegen Eingriffe in die Keimbahn, wie sie in China durchgeführt wurden.

Trost den Apokalyptikern Doch selbst wenn es einmal sogar hierzulan- de möglich sein sollte, derartige Anwendungen der „Genschere“ auszuführen: Da menschliche Eigenschaften nicht auf ein Gen reduziert wer- den können, kann man den Apokalyptikern schon jetzt sagen: Ein hyperintelligentes Desig- nerbaby, wie es in Dystopien beschrieben wird, einen Supersoldier, der wie eine unsterbliche, ewig junge Comicfigur in die Schlacht geht, kann es auch dank CRISPR/Cas9 nicht geben. Die Fantasien dazu, die von der Einfachheit der An- wendung befeuert werden, bleiben das, was sie sind: die Basis für möglicherweise gut geschrie- bene Science-Fiction-Romane. Niemand wird also folgenden Satz sagen können: „Dann pro- grammier ich mir ein Kind so, wie ich es haben möchte.“ Dafür sind wir zu komplex. Anderer-

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seits sind wir aber auch unperfekte Wesen. Erst alseinmalsagte,ihrsehnlichsterWunschwärees im vergangenen Jahr haben Wissenschafter be- Der Genome-Editing-Komplex angesichts des Rummels um ihre Person undder rechnet, dass die Lebenserwartung zwar enorm CRISPR/Cas9 im Bakterium Hoffnungenaufeinenmedizinischerfolgreichen gestiegen ist, aber mit etwa 120 Jahren den Zenit Streptococcus pyogenes. Einsatz von CRISPR/Cas9, wiedermehr im La- erreicht hat. Mehr geht eben nicht. bor zu stehen. Es liegt noch etwas anderes in der Natur des Forscher warnen übrigens davor, die „Gen- Menschen: Nach der Entwicklung einer neuen schere“ einmal zur Sicherheit abzulehnen und Technologie, die bahnbrechende Anwendun- die Technologie mit ihrem natürlich möglichen gen möglich macht, braucht es wohl immer län- Missbrauchgleichzusetzen.Gentechnikistnicht gereZeit,biserdarüberdiskutiert,wasdieTech- schlecht, weil der Konzern Monsanto unethisch nologie wirklich bedeutet und wie sehr sie sein gehandelt hat, sagt Jürgen Knoblich, Vizedirek- Leben verändern kann. In dieser Zeit blühen die tor des Instituts für Molekulare Biotechnologie GerüchteüberMöglichkeiten,ChancenundGe- (IMBA). Diesel ist nicht böse, weil man bei VW fahren, schon glaubt man schicksalsergeben, mit dieser Technologie betrogen hat. ausdemFüllhornkönnteeineBüchsederPando- Sicher kann auch ein nur halbwegs talentier- ra werden. ter Biologiestudent, sollte er zum Beispiel Hum- meln hassen, die Art so stark verändern, dass sie Mehr Aufklärung einfordern einesTagesausstirbt.EinAktvon„Ökovandalis- Dabei müsste er eigentlich nur von denen, mus“, wie es der Epigenetiker Christoph Bock die es wissen sollten, die die Technologie vom Forschungszentrum für Molekulare Medi- (mit)entwickelt haben, mehr Aufklärung einfor- zin (CeMM) der österreichischen Akademie der dern. Es gäbe natürlich zahlreiche Ausreden, es Wissenschaften (ÖAW) nennt. nicht zu tun und es sich im Unwissen bequem zu Um solche Angriffe zu verhindern, wird man machen. Man könnte den Wissenschaftern eine vielleicht einmal Biosecurity-Experten so drin- AbkehrvonBerufsidealenvorwerfen,wennman gend brauchen, wie man heute ohne Cybersecu- ihren Streit, ihr Gerangel um Ruhm und Reich- rity nicht mehr auskommt. Die Gesellschaft tum mitverfolgt. Das wäre aber zu einfach. braucht neue Regeln für die Anwendung neuer IntegritätunddenWunsch,zueinerbesseren Technologien. Angst ist der falsche Ratgeber, Weltbeitragenzukönnen,kannmanProtagonis- meinen Experten, zu viele Sorgen vor der Zu- tinnenwieEmmanuelleCharpentiersichernicht kunft unbegründet, denn man könnte sie mitge- absprechen. EinerWissenschafterin, die mehr stalten. Foto: Picturedesk

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www.technikum-wien.at DAS OPTIMIERTE LEBEN

Bitte die Sicherheitsvorschriften beachten und immer brav den L abormantel anziehen – und auch zuknöpfen. Auch das zählt zum Alltag der Wissenschafter, also auch jener, die mit CRISPR/Cas9 arbeiten – hier am CeMM in Wien-Alsergrund. Foto: Heribert Corn Heribert Foto:

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Diese Tage im Labormantel

Noch nie soll es so einfach gewesen sein, Gene auszuschalten, wie mit der „Genschere“. Wir baten also ein Forschungszentrum in Wien um die Gelegenheit, an einem Experiment teilzunehmen. Um wirklich zu tun, wovon alle Biologen schwärmen. Ein persönlicher Erfahrungsbericht aus dem Labor.

REPORTAGE: PETER ILLETSCHKO

ipettieren“, sagt Paul Datlinger, „ist nicht schwer.“ Da hat einer leicht reden – macht der Wissen- schafter diese Handgriffe doch Pschon seit Jahren, nimmt die pas- sende Pipette für die gewünschte Mikrolitermenge, vergisst nie die Spitze, die man zum Aufziehen von Flüssigkeiten braucht, ord- net und beschriftet Minibehälter so, dass er nie übersehen kann, was er wo schon dazugegeben hat. Automatismen geben ihm eben Sicherheit. Datlinger (29) ist Doktoratsstudent in der Grup- pe des Epigenetikers Christoph Bock am For- →

13 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

→ schungszentrum für Molekulare Medizin über aus der Zeitung die Augenbrauen verwun- (CeMM) der Österreichischen Akademie der Ausschnitt einer dert hochzieht. Die beiden Gene sind für eine Wissenschaften (ÖAW). Er lädt mich Ende April C omputerillustration, die epigenetische Modifikation der Zelle verant- 2017 zum Pipettier-Training als Start eines Expe- die molekulare Struktur des wortlich, die schon im Embryonalstadium pas- riments ein, in dem wir CRISPR/Cas9 anwen- Cas9-Enzyms zeigt, das im siert. Und das heißt nichts anderes als: So entwi- den wollen. Schon im November 2016 hat das ein M echanismus der „Genschere“ ckeln sich aus derselben Erbinformation unter- Wissenschaftsjournalist versucht, er ist im eine zentrale Rolle spielt. schiedlichste Zelltypen, ob es nun Nerven-, Gegensatz zu mir Biologe, sein Text erschien im Blut-, Haut- oder Leberzellen sind. Wie viele Zel- Fachmagazin Science und nahm im Titel das Er- len ein erwachsener Mensch insgesamt hat, gebnis des Experiments vorweg: „One of our re- wäre vielleicht so eine Frage, mit der man bei der porters tried to do CRISPR. He failed miserably“. nächsten Party unglaublich auftrumpfen kann. Im März probierte es ein Journalist der Neuen Man stellt sie und denkt sich, kaum dass die Fra- Zürcher Zeitung mit einem „Do it yourself Bacte- ge ausgesprochen ist: Abgezählt hat sie wohl rial Gene Engineering CRISPR Kit“, das er um noch niemand. Die freundliche Antwort kommt erschwingliche 150 Dollar (134 Euro) beim US- dennoch: Es sollen etwa 40 Billionen Zellen sein. Unternehmen Odin online bestellte. Wir aber wollten es ähnlich wie der Redak- Verwirrende Webseiten teur von Science machen – also ins Labor gehen Nun müssen wir die Struktur jener Gene stu- und dort unter Anleitung eines ständig präsen- dieren, die wir in der DNA schneiden wollen. ten Wissenschafters schauen, ob sich „to do Diese Details lassen sich mittlerweile alle über CRISPR“ machen lässt und wie sich das anfühlt: Informationsplattformen im Web eruieren. Für dieses Editieren von Genen, das von Übertrei- den Laien sind diese Seiten höchst verwirrend. bungskünstlern gern als Gottspielen bezeichnet Datlingers Umgang damit wirkt wirklich sehr wird. Dafür brauchte ich einen XL-Gastlabor- routiniert: Wie bei jedem Schritt des Experi- mantel, der Trägern schnell eine würdig-profes- ments können aber auch hier durch fehlende sorale Note gibt, und Gummihandschuhe. Sie Konzentration unnötige Fehler passieren. Es stehen in den Labors in allen verfügbaren Grö- geht jetzt vor allem darum, Stellen innerhalb der ßen in kleinen handlichen Kartonboxen. Die Gene zu finden, an denen mit CRISPR effizient Kleidungsvorschriften sollte man stets ernst geschnitten werden kann. In der DNA sind übri- nehmen. Es heißt hier im Laborbereich besser gens immer A und T (Adenin und Thymin) sowie vorsichtig sein, keine Kontamination der Unter- G und C (Guanin und Cytosin) ein Basenpaar. suchungsgegenstände mit von außen mitge- Und mit dieser Information und dem Wissen brachten Keimen riskieren und auch sich selbst über die exakte Buchstabenfolge können wir bei nicht vermeidbaren Gefahren aussetzen. einem Zulieferunternehmen für Laborarbeit eine kurze DNA-Sequenz bestellen, die genau zu Immerhin fehlerloses Pipettiertraining den Stellen passt, die wir schneiden wollen. Etwa In den kommenden Tagen wollen wir zwei fünf Euro kostet das pro Gen. Ein Schnäppchen. Gene in der DNA menschlicher T-Zellen schnei- Warum wir das nicht selbst machen, wenn den. Das sind Zellen, die, wenn sie gesund sind, wir schon Pipettieren trainiert haben? Datlinger für die Immunabwehr eine zentrale Rolle spie- „Warum baut man eine erklärt: „Natürlich könnten wir im Labor auch len. Dabei werden wir wohl sehen, ob diese DNA-Sequenz bauen.“ Im Forscheralltag CRISPR/Cas9 wirklich das Wunderwerkzeug kurze DNA-Sequenz nicht ist man aber längst dazu übergegangen, Routine- ist, als das es oft beschrieben wird. Es kann ja so arbeiten auszulagern, die allzu sehr aufhalten schnell wie keine andere vorher verwendete Me- selbst? Im Forscheralltag und Technologien brauchten, die sich nicht je- thode (Zinkfingerproteine, TALENs) Gene inak- des Labor leisten will. Daher besser eine E-Mail tivieren und weckt dadurch unter anderem enor- ist man längst dazu mit der Bestellung: Zwei Tage später wird die me Hoffnungen auf medizinische Anwendun- DNA-Probe geliefert. gen für bisher unheilbar geltende Krankheiten. übergegangen, Stellt sich für den Moment also nur noch eine Wie wird es sich anfühlen, als Laie erstmals mit Frage: Warum braucht man eine DNA mit einer dieser Technik zu arbeiten? Das Pipettieren ist Routinearbeiten Sequenz, die zum Ziel des Experiments, den Ge- übrigens ohne größeren Fehler gelungen, der auszulagern, die allzu nen, die geschnitten werden, komplementär ist? CRISPR-Lehrmeister hat das eine oder andere Die Antwort kommt aus den Untiefen biologi- Mal doch offenkundig schmunzeln müssen – sehr aufhalten und schen Grundlagenwissens: Die bestellte DNA vermutlich deshalb, weil ich die Pipetten wohl so dient später als Vorlage der für CRISPR/Cas9 re- angegriffen habe, als wären sie aus Porzellan. Technologien brauchten, levanten „Guide RNA“ (Führungs-RNA). Diese Aber gut, macht nichts: Es kann losgehen. kurze RNA ist die Schiene, die wir brauchen, um Zunächst aber gibt es ein kleines Einfüh- die sich nicht jedes mit dem Enzym Cas9 zu den Zielgenen zu kom- rungsseminar: Am PC erklärt Datlinger, was die men, damit es ebendort seiner Bestimmung folgt ersten Schritte sind. Zuerst bestimmen wir, wel- Labor leisten will.“ und schneidet. Datlinger gerät ins Schwärmen: che Gene wir inaktivieren – aus keinem besonde- einer der vielen „magischen Momente“ der Na- ren Anlass, sondern nur um zu schauen, ob und tur, die wir uns beim Experiment zunutze ma- wie es gelingt. Datlinger schlägt zwei Ziele vor: chen. Und er wiederholt, damit ich es auch wirk- ein Enzym, das die DNA mit Methylgruppen lich begreife: Von der zugefügten DNA werden markieren kann, und ein Protein, das eben diese die Zellen später viele Kopien der „Guide RNA“ Modifikation lesen kann. Was das wieder bedeu- abschreiben, die dem Enzym Cas9 zeigen, wo es tet, erklärt er gleich, als er sieht, dass das Gegen- zu schneiden hat. Foto: Picturedesk/Sciience Photo Library/Pasieka Photo Picturedesk/Sciience Foto:

14 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

PhD-Student Paul Datlinger zeigt in diesen Tagen jeweils mit einführenden Worten über die Arbeitsschritte, wie man CRISPR/Cas9 verwenden kann. Dabei werden menschliche Zellen verwendet, die, um überleben zu können, im Inkubator liegen.

→ Fotos: Heribert Corn

MODELLORGANE FÜRDIE MEDIZIN VONMORGEN

Organoide aus 2013hat Jürgen Knoblich vom Potenzial für diemoderneMedizin Substanzen und Therapien können Institut fürMolekulare Biotechno- gemeinsam: Krankheiten können so sehrviel schneller an mensch- Stammzellen helfen logie (IMBA) der Österreichischen erforschtund neue Medikamente lichemMaterial getestetwerden Krankheiten zu Akademie der Wissenschaften entwickeltwerden.Esist sogar und zumEinsatz kommen. erstmals solcheGehirn-Organoide möglich,gezieltOrganoide aus erforschen und aus menschlichen Stammzellen Zellenvon Patientenmit Medikamente zu im Labor hergestellt. Sein neurologischenKrankheiten Kollege, IMBA-Gruppenleiter herzustellen. „DieUrsachen vieler entwickeln. SashaMendjan, hat sich zum neurologischer Krankheitsbilder, Zielgesetzt,Herz-Organoidezu wieEpilepsie oderSchizophrenie, Weltweit arbeitenForscher an entwickeln.Damit bearbeitet sind nochweitgehendungeklärt. derEntwicklung vonaus Stamm- er einGebietmit besonderer Wir hoffen so Erkenntnisse zu zellengezüchtetenOrganoiden. Relevanz, sinddochHerz-Kreis- bekommen um zielgerichtete MBA Diesesehrkleinen, oft nurwenige lauf-Erkrankungen die häufigste Therapien mitentwickeln zu :I TO

Millimetergroßen,dreidimen- TodesursacheinEuropa. können“,meint Organoid-Pionier FO sionalenModelle könnendas Knoblich. Hier könntedanndie Bereits 2013 wurde das erste Gehirn- Verhalten und dieFunktion AllenOrganoiden, ob Herz, Leber, pharmazeutischeIndustrie modell aus Stammzellen in Jürgen menschlicherOrgane nachahmen. Niere, istaber ihr gewaltiges ansetzen. Aberauch neuartige Knoblichs Labor gezüchtet.

15 MAGAZIN ENTGELTLICHEEINSCHALTUNG FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

→ Wir brauchen aber noch ein Transportmittel, Gefühlsmäßig gibt es dauernd Flüssigkeiten, die das auf dieser Schiene fährt – fast so wie im Le- von A nach B müssen und dann zur besseren ben außerhalb des Labors. Ein Gleis ohne Zug Durchmischung zentrifugiert werden. Dauernd ist sinnlos. Dafür verwendet Datlinger etwas, macht es Klick, Klick. Pipetten werden herge- das er mir auch erst erklären muss: ein Plasmid, richtet, wieder weggelegt, kleine Plastik-Tubes ein kreisrundes DNA-Molekül, in welches das werden befüllt. Dazwischen wird immer wieder bestellte DNA-Stück eingefügt werden soll. Als gerechnet, Ergebnisse von Messungen werden Klonierwerkzeug werden Bakterien verwendet. aufgeschrieben – zum Beispiel, wie viel DNA in Datlinger sagt über sie anerkennend: „Das sind hergestellten Proben enthalten ist. Der Einfach- richtige Kopiermaschinen.“ heit halber gleich mit einem wasserfesten Filz- Später soll das Plasmid in künstliche Virus- stift auf dem linken Plastikhandschuh. So ver- Partikel verpackt werden. Die Frage „Warum ein liert man die Messdaten nicht so leicht und kann Virus?“ ist relativ einfach zu beantworten. Es hat sie am PC ein paar Schritte weiter gleich übertra- die lästige Eigenschaft, in Zellen eindringen zu gen. Blöd wäre nur, wenn man – die Macht der können und sein Genom ebendort einzubauen. Gewohnheit kann auch ein Problem werden – vor Ein von Wissenschaftern gut verstandener und der Rückkehr an den Schreibtisch den Hand- daher hochgeschätzter Transporter ist ein Lenti- schuh abstreift und zum restlichen Kunststoff- virus, das wir uns zunutze machen werden, um müll aus dem Laboralltag dazuwirft. Aber das unsere Guide-RNA-Vorlage in die Zellen zu passiert eigentlich nur Anfängern. transportieren. Für diesen nächsten Schritt wechseln wir zur Forscherland USA Sicherheit in eine etwas höhere Risikostufe der Paul Datlinger ist das ja schon lange nicht Laborarbeit. Äußeres Zeichen: Der Mantel, den mehr. Er arbeitet seit fünf Jahren am CeMM. Da- wir tragen, ist nun blau, nicht weiß. Der Zweck: vor war der Molekularbiologe an den Max F. Pe- Wer vergisst, ihn beim Verlassen dieses Bereichs rutz Labs in Wien und am Imperial College in auszuziehen und damit in die übrigen Räume London. Langsam muss er sich überlegen, was geht, bekommt, wenn er erwischt wird, eine Er- der nächste Schritt in seiner Wissenschafterkar- mahnung zu hören, denn theoretisch könnte der riere sein könnte, und Anträge und Bewerbun- Vergessliche ein Virus aus der höheren Risiko- gen schreiben. Nächstes Jahr werden andere zone mitbringen. Theoretisch – denn passiert ist PhD-Studenten am CeMM inmitten des Cam- das noch niemandem. Mit den besagten Viren pus des Wiener AKH sitzen und ihre Forschungs- oder dem, was von ihnen übrig ist, wird selbst- arbeiten durchführen. Eine Stelle in den USA verständlich wieder mit Plastikhandschuhen ge- wäre schon interessant, gesteht Datlinger in der arbeitet – diesmal aber unter einer sogenannten Mittagspause eines unserer Arbeitstage. Dort sei Labor-Hood, einer Sicherheits- und Laborwerk- noch immer trotz der Kürzungen der Trump-Ad- bank. Das ist – vereinfacht gesprochen – eine Art ministration für Grundlagenforschung der Gar- Vitrine, die sich öffnen lässt und unter lautstar- ten Eden der Biowissenschaften. Eine Arbeit, die ker Luftzirkulation verhindern soll, dass Erreger er Anfang des Jahres als Erstautor im Fachmaga- nach außen dringen können. Bevor man hier als zin Nature Methods publizieren konnte, dürfte Forscher „reingeht“, wie Datlinger erzählt, wird „Für diesen nächsten als Beweis für seine Talente gelten: Ihm und an- einmal durchgeputzt. Das ultraviolette Licht deren Wissenschaftern aus der Bock-Gruppe ge- sollte sein Übriges tun, eventuelle Keimbildun- Schritt wechseln wir in lang es, CRISPR/Cas9 mit der RNA-Sequenzie- gen gar nicht erst aufkommen zu lassen. rung einzelner Zellen zu verknüpfen, was bisher eine höhere Sicherheits- unerreichte Einblicke in die genetische Steue- Der „Kehrmeister“ spricht rung von menschlichen Zellen ermöglicht. Paul Datlinger lädt mich wieder einmal ein, stufe. Äußeres Zeichen: Datlinger entwickelte für diese Studie eine selbst Hand anzulegen, einige Arbeitsschritte neue Technik, die die Art der genetischen Verän- durchzuführen, die zur Herstellung des Virus Der Mantel, den wir derung in Einzelzellen sichtbar macht. Schließ- führen. Einer seiner Kollegen kommentiert: lich wird die Aktivität der Gene analysiert – mit „Ein Angebot, das man fast nicht ablehnen t ragen, ist nun blau, nicht ausreichendem Durchsatz, um den Effekt von kann.“ Man könne sagen, einen Virus gebaut zu weiß. Wer vergisst, Veränderungen des Erbguts in Tausenden ein- haben. Wie sich das anhört? Eher merkwürdig. zelner Zellen charakterisieren zu können. Ich versuche es also, und obwohl ich, wie Datlin- ihn beim Verlassen des So weit also die mögliche Zukunft des „Lehr- ger kritisch anmerkt, „einiges niederpipettiert“ meisters“. Sein gegenwärtiger Laboralltag mit habe, gelingt die Operation, wie er am kommen- Bereichs auszuziehen mir wirkt dagegen vergleichsweise normal. Man den Tag per SMS mit Foto von der Petrischale könnte zur Sicherheit rekapitulieren: Wir haben b estätigt. Forschungsgruppenleiter Christoph und damit in die übrigen die DNA, von der die „Guide RNA“ abgeschrie- Bock schaut vorbei und amüsiert sich über die ben wird – verpackt in ein Lentivirus. Beides wird Antwort-SMS, in der die automatische Recht- R äume geht, nun zu den menschlichen T-Zellen gefügt, die schreibkorrektur aus einem „Lehrmeister“ Datlinger zuvor „aufgeweckt“ hat, indem er sie einen „Kehrmeister“ gemacht hat. Er grinst. bekommt eine kurz aus dem Stickstofftank holte und anregte. „Stimmt ja auch, einer muss am Ende zusam- E rmahnung zu hören.“ Am nächsten Arbeitstag ein mehrfaches Will- menräumen!“ kommen, das vertraut macht: Der Portier meint Die ersten Schritte sind also gelungen. Aber nur noch: „Sie wissen eh schon, in welchem wir pipettieren, mischen natürlich auch in den Stock er arbeitet?“ Und auch die anderen Wis- nächsten Tagen weiter – das liegt auf der Hand. senschafter aus Bocks Labor nicken freundlich.

16 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

Auch der Redakteur des Standard saß an der Sicherheits- und Laborwerkbank „Hood“. Das Virus wurde dabei gebaut: erfolgreich, trotz heftigen „Niederpipettierens“.

→ Fotos: Corn, Datlinger

Wettbewerbsvorteile zusammenfassen, visualisieren, Data Scientist. Gemeinsam mit dem Wahlfachkatalog im Rahmen der verstehen, säubern und aufbereiten Know-Center,einem der führenden drei Informatik-Masterstudien durch Big Data und sie so verwertbar machen. Forschungs- und Ausbildungszen- wählen können. Das alles stärkt Sie müssen interdisziplinär tren für Data Science in Europa, Graz als Hotspot für Data Science Data Science isteines der denken und das Know-howineinem bildet die TU Graz junge Talente noch weiter. brennendsten Themen unserer Fachbereich mit anderen Bereichen gemeinsam mit Expertinnen und Zeit. Schon heute liegt die weltweit vernetzen. Sie sind Profis in Ana- Experten an der Schnittstelle erzeugte digitale Datenmenge bei lyse, IT und Businessgenauso wie zwischen Wissenschaft und rund 2,5 Quintillionen Bytes täglich. ManagerInnen und TechnikerInnen. Wirtschaft aus. Mit dem Big Data DATA SCIENCE Würde man sämtliche Daten, die „Data Science revolutioniertalle Lab unterstützt das Know-Center AN DER TU GRAZ im Vorjahrgesammeltwurden, auf Disziplinen –von Maschinenbau bis Unternehmen auch dabei, Daten für DVDs brennen, könnte man diese zur biomedizinischen Technik“,sagt Innovation und neue Geschäftsmo- einmal vonder Erde bis zum Mond Harald Kainz, Rektor der TU Graz. delle zu nutzen. und zurück stapeln. Das Potenzial www.tugraz.at/go/masterstudien vonBig Data erkennen auch immer Noch im Juni wird an der TU Graz mehr Unternehmen, wollen so ihre Die TU Graz bietet ein ideales das neue Institut für „Interaktive Wettbewerbsfähigkeit erhöhen Umfeld für die Ausbildung zum Systeme &DataScience“,für das und wissen, dassDaten künftig die Institute „Informationssysteme genauso wertvoll sein werden wie und Computer Medien“ und Produkte und Dienstleistungen. „Wissenstechnologien“ zusam- Gleichzeitig kann laut dem mengelegt wurden, eröffnet. Ziel ist Marktforschungsinstitut Internatio- es, die interdisziplinäre Forschung nal Data Corporation bisher nur ein zu fördern, ihr Sichtbarkeit zu Prozent analysiertwerden. verleihen und Raum fürExperi- mente zu bieten. Mit der neuen www.know-center.tugraz.at Stiftungsprofessur Data Science

Spezialistinnen und Spezialisten in OLIA WEISSBLICK mit Fokus auf Data Management ab OT

Data Science sind am Arbeitsmarkt :F dem Wintersemester 2018 werden TO

daher sehr gefragt und der Bedarf FO Studierende außerdem zum steigt weiter.Sie sind es, die Daten Zukunftsthema Data Science bereits bestehenden einen zweiten

17 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

Beim Pipettieren gilt es, die Konzentration zu bewahren. Minibehälter werden beschriftet und in der Kassette umgesetzt, wenn sie gefüllt sind. An der Zentrifuge (Bild rechts, zu sehen sind auch die Hände von Datlinger und vom Journalisten) braucht es Gleichgewicht. Fotos: Heribert Corn Heribert Fotos:

In ihren Gesichtern ist das „Dich-kennen-wir- würde. Die Nachricht erfreut mich auch deshalb, jetzt-auch-schon“-Lächeln. Ein aufregender weil ich nun weiß, dass wir das meiste richtig ge- Tag: Heute wird das Virus zugeführt – das über- macht haben: Lehrmeister und Hilfslaborant. nimmt Datlinger selbst, das dürfte ich aus Si- Der Gentransfer war erfolgreich. Jetzt passiert cherheitsgründen gar nicht versuchen. Er klei- „CRISPR herzustellen das, was man an Zellen schon bewundern darf. det sich dabei wieder mit einem anderen Mantel Sie kopieren, was zu kopieren ist, sie führen Din- und zieht zwei Paar Gummihandschuhe über die d ürfte schon erlernbar ge zusammen, die biologisch zusammengehö- Hände, damit er eines im Hood jederzeit abstrei- sein. Das dürfen aber ren: Das ist das Wunderwerk, von dem die Welt fen kann. Die Haut zwischen Mantel und Hand- noch mehr sprechen sollte. schuhen wird verklebt, nachdem Datlinger kon - weiterhin die trolliert hat, ob er auf ihnen einen offenen Haut- Erfolgreich geschnitten kratzer hat. All diese Schritte sagen nur: Wir sind Wissenschafter machen, Die beiden Zielgene werden schließlich er- wieder in einer höheren Risikostufe. Auch hier folgreich editiert: Nur eine Woche nach den bis kann eigentlich nichts passieren. Datlinger sagt, die für die Wunder der dahin letzten Schritten des Experiments wissen er wolle sein Glück nie herausfordern – und wir, dass die Arbeit erfolgreich war. Die Informa- arbeitet mit der von ihm schon gewohnten Fin- Biologie brennen. Wir tion kam durch die Analyse und Sequenzierung gerfertigkeit. Pipettentechnisch flink, wie der der entsprechenden Genabschnitte. Es ist also Fotograf später erzählen wird. Datlinger berich- Journalisten brennen für geschafft. „To do CRISPR“ oder wie der Kollege tet, manchmal im Virenraum auch Musik zu hö- die kritische Beschreibung aus der Redaktion witzelt, „crispern“, ist kein ren – im Rhythmus könne er sich bestens kon- Hexenwerk, die Kosten sind überschaubar, der zentrieren. Die Ergebnisse seiner Arbeit sollten ihrer Arbeit.“ Zeitaufwand ebenfalls, die Teile des Werkzeugs schließlich in einer neuen Zentrifuge gemischt für Experten wie Datlinger einfach herzustellen. werden. Die in ihr verteilten Proben sollten bis Kein Wunder also, dass es kaum noch Labors auf kleinste Mengen identische Gewichte ha- gibt, die nicht damit arbeiten. Und wie fühlt sich ben, denn ansonsten scheppert das Gerät wie das an? Es war ein Ausflug in eine ungewohnte eine alte Trockenzentrifuge im Waschsalon. Arbeitswelt. Aber wahrscheinlich wäre er nicht anders verlaufen, hätten wir es mit einem ande- Und wieder ein SMS ren Experiment versucht, das weit weg von Datlinger schreibt am kommenden Tag wie- Durchbrüchen wie CRISPR ist. der ein SMS. „Die Transduktion mit den Lenti- CRISPR herzustellen dürfte jedenfalls er- viren sollte geklappt haben!“ Ich hätte nie ge- lernbar sein. Das dürfen aber weiterhin die Wis- dacht, dass ich mich über eine solche Nachricht senschafter machen, die für die Wunder der Bio- irgendwann einmal freuen und wie ein Tennis- logie brennen. Wir Journalisten brennen für die spieler nach dem Satzgewinn die Faust ballen kritische Beschreibung ihrer Arbeit.

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Als still und zurückhaltend b ezeichnet sich die Molekular - biologin Emmanuelle Charpentier. Dieses Foto ist am Rande eines Vortrags von ihr an der Akademie der Wissenschaften in Wien auf Einladung des Forschungszen- trums für Molekulare Medizin (CeMM) entstanden. Foto: CeMM/ Klaus Pichler Klaus CeMM/ Foto:

20 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN „Es fühlt sich schon surreal an“

Die Entwicklung des molekularen Werkzeugs CRISPR/Cas9 hat die französische Molekularbiologin Emmanuelle Charpentier 2012 auf einen Schlag berühmt gemacht. Oftmalige Umzüge und Frustrationen in der Forschung halten die Kandidatin für den M edizinnobelpreis aber auf dem Boden der Realität.

INTERVIEW: PETER ILLETSCHKO

Seit Sie 2012 mit Jennifer Doudna Ihre Arbeit zum CRISPR/Cas9-System publiziert haben, herrscht ein ziemlicher Rummel um Ihre Per- son. Ist es schwierig, als Starwissenschafterin am Boden zu bleiben und weiterzuarbeiten? Charpentier: Ich habe jedenfalls kein Problem damit. Wahrscheinlich hilft mir dabei die Mobi- lität. Ich bin in den vergangenen sieben Jahren dreimal umgezogen. Von Wien nach Umeå in Schweden, von Umeå nach Braunschweig und von Braunschweig nach Berlin. Jedes Mal stand ein wirklich großer logistischer Aufwand dahin- ter, da hat man keine Zeit abzuheben.

Viele Ihrer Kollegen sehen in Ihnen und in Doudna die nächsten Medizinnobelpreisträ- gerinnen. Wie fühlt sich das an? Charpentier: An diesen Spekulationen möchte ich mich nicht beteiligen. Es gibt viele Wissen- →

21 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

→ schafter, die diesen Preis verdienen. Das ist die terien entstehen, zu verstehen. Wir fragten uns eine Antwort, die ich geben möchte. Die andere: zum Beispiel: Unter welchen Bedingungen sind Diese Aussagen sind eine große Ehre. Sie zeigen, Diese Computerillustration Streptokokken für Menschen gefährlich? Später dass die Bedeutung der Technologie erkannt zeigt die molekulare Struktur hatte ich die Idee, zwei Systeme zu verknüpfen: wurde, dass man sieht, wie rasch reine Grund - des CRISPR/Cas9-Komplexes, CRISPR/Cas9 – das war schon bekannt – und ein lagenforschung zu Anwendungen führen kann. mit dessen Hilfe DNA gezielt RNA-Molekül, das zusammen mit einer weiteren editiert werden kann. RNA an CRISPR/Cas9 andockt. Genau diese In Österreich bedauert man auch deshalb, dass Kombination ist in der Lage, genetische Verände- Sie aus Wien weggegangen sind. Warum haben rungen vorzunehmen. Das war eine Entdeckung, Sie die Max F. Perutz Labs 2009 in Richtung mit der wenige gerechnet hatten. Umeå in Schweden verlassen? Charpentier: Das Biocenter ist ein groß- Damit würde nicht nur die Arbeit im Labor er- artiger Platz für die Wissenschaft, speziell für leichtert. Man erhofft sich auch, Gendefekte Forschung an der RNA – vielleicht nicht so sehr und die daraus entstehenden Krankheiten zu für Forschung an Bakterien. In Umeå gibt es ge- heilen. Teilen Sie diese Erwartungen? nau das: eine kritische Masse an Wissenschaf- Charpentier: Es ist gewiss ein Werkzeug, um die tern, die in diesem Bereich arbeiten. Abgesehen Arbeit im Labor zu vereinfachen. Wissenschaf- davon waren meine Zukunftsperspektiven nicht ter können viel schneller, effizienter und billiger ganz klar. Man konnte mir nicht sagen, wie es mit arbeiten als vorher. Ich glaube auch, dass mir weitergehen könnte. Dann kam dazu, dass CRISPR/Cas9 ein hohes Potenzial in der medi- ich eine mobile, gesamteuropäisch denkende zinischen Forschung und Anwendung hat. Es ist Wissenschafterin bin. Das ist mein Charakter. nur die Frage, was genau man sich wann erwar- tet: einen indirekten Einfluss auf die Behand- Als Sie in Wien waren, haben nur wenige Wis- lung von Krankheiten oder einen direkten? senschafter in Ihrem Gebiet geforscht. Jetzt wurde daraus ein Boom. Wie fühlt sich das an? Was ist Ihre Antwort aus heutiger Sicht? Charpentier: Es fühlt sich schon recht surreal an. Charpentier: CRISPR/Cas9 kann sicher bereits Ich hätte nie erwartet, dass diese Arbeit so einen heute helfen, unterschiedliche Fragen bei der Einfluss haben würde. Das übersteigt selbstver- Entstehung von genetisch bedingten Krankhei- ständlich alle meine Vorstellungen. ten zu beantworten und gibt der Biotech-Indus - trie sicher Möglichkeiten, neue Medikamente zu Hat man Ihre Arbeit in Wien missverstanden, entwickeln. Man kann damit zum Beispiel Gen- weil man Sie gehen ließ? In einem Porträt über mutationen, die zu Krankheiten führen, repro- Sie im Fachblatt „Nature“ ist zu lesen, Sie hät- duzieren – im Tiermodell, in Pflanzen oder in Or- ten sich in Wien nie wirklich zu Hause gefühlt. „CRISPR/Cas9 ist eine ganoiden wie jenem Minihirn, das am Institut für Charpentier: Steht das so drin? Ich habe mich in Technologie, mit der man Molekulare Biotechnologie (IMBA) entwickelt Wien schon wohlgefühlt. Gerade am Vienna Bio- wurde. Es gibt aber auch Wissenschafter, klini- center. Wien ist sehr schön, einerseits eine Stadt bestimmte Krankheiten sche Forscher und Biotechnologiefirmen, die der Vergangenheit, eine sehr konservative Stadt, CRISPR/Cas9 als Wunderwaffe direkt im das habe ich vielleicht stärker empfunden als an- womöglich einmal heilen menschlichen Körper anwenden wollen, um dere. Andererseits ist Wien eine kreative Stadt, ein schwere Krankheiten zu heilen. Dieser Anwen- Ort der Kultur, wo man jederzeit viele unterschied- kann. Wenn das gelänge, dungsbereich ist sicherlich deutlich komplexer. liche Musikstile hören kann, von der Orchester- bis zur Tanzmusik. Das vermisse ich schon. wäre ich glücklich, diesen Es gibt auch Wissenschafter, die über Design- babys mittels CRISPR/Cas9 nachdenken. Sie Im selben Porträt werden Sie als stille Revolu- Mechanismus entdeckt zu waren immer dagegen ... tionärin bezeichnet. Sehen Sie sich auch so? haben. CRISPR/Cas9 ist Charpentier: ... und ich bin es heute noch. Daran Charpentier: In diesem Text wurde ich als still hat sich nichts geändert. und zurückhaltend bezeichnet, das stimmt. Im nicht entwickelt worden, wissenschaftlichen Umfeld, im Labor bin ich Sollte der Eingriff in die Keimbahn weltweit dennoch dynamisch. Da kann ich gesprächig um Embryonen genetisch verboten werden? sein. Aber: Ich bin jemand, der etwas fühlt und Charpentier: Aus meiner Sicht ja. CRISPR/Cas9 denkt, es aber nicht gleich ausdrückt. Ich sage zu manipulieren.“ ist eine Technologie, mit der man viel bewirken meine Meinung erst, wenn die Zeit dafür gekom- kann, mit der man bestimmte Krankheiten wo- men ist. Das erweckt vielleicht den Eindruck, Emmanuelle Charpentier möglich einmal heilen kann. Wenn das gelänge, dass ich reserviert bin. Möglicherweise wirke ich wäre ich glücklich, einen Mechanismus entdeckt manchmal autistisch, obwohl ich es nicht bin. zu haben, der dafür wichtig ist. CRISPR/Cas9 ist nicht entwickelt worden, um an Embryonen ge- Wann begannen Sie mit den Arbeiten am mole- netische Manipulationen vorzunehmen. kularen System CRISPR/Cas9? Waren Sie da- mals noch an den Max F. Perutz Laboratories Es gibt unterschiedlichste Zugänge zu dieser am Biocenter in Wien? Frage. In Österreich ist das verboten, in China Charpentier: Ich war schon auf dem Weg nach wurde diese Manipulation schon vollzogen. Schweden, als ich mit diesen Arbeiten begann. An Macht Ihnen das Sorgen? den Max F. Perutz Labs hatten wir versucht, den Charpentier: Ich bin strikt gegen derartige Ein- genauen Ablauf von Krankheiten, die durch Bak- griffe. In Europa werden wir zum Glück durch Foto: Picturedesk Foto:

22 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

Gesetze vor solchen Experimenten geschützt. War auch eine wirklich unnötige Frage dabei? Ich kann dazu nur ganz deutlich nein sagen. Die Charpentier: In diesem Zusammenhang kann es Chinesische Akademie der Wissenschaften hat keine dummen Fragen geben. Man liest sehr viel immerhinGuidelinesverabschiedet,diedasver- über CRISPR/Cas9 und ist natürlich über die hindernsollten.Diekannmanaberauchsointer- Anwendungsmöglichkeiten verunsichert. Die pretieren, dass eine genetische Manipulation Menschenmüssensichersein,dassdiesesWerk- sehrwohlmöglichist.ÜberdieethischenFragen zeugnichtfalschverwendetwird.Unddeswegen zu diesem Thema wird in Europa viel diskutiert. erkläreichgern,wofürCRISPR/Cas9eingesetzt Ichdenke,dassesklarereRichtliniengebensoll- werden sollte und wofür nicht –zum Beispiel für te, was erlaubt ist und was nicht. den Eingriff in die Keimbahn, um Menschen nach Maß, nach Bauplan zu entwickeln. Können Sie derartige Versuche verhindern? Wie schützen Sie Ihr geistiges Eigentum? Woran arbeiten Sie eigentlich zurzeit? Charpentier:Esmachtmichjaglücklich,dassdie Charpentier: Michinteressieren zwar mögliche Wissenschafter dieses Werkzeug so angenom- Anwendungen von CRISPR/Cas9, aber ich bin men haben. Die Technologie ist jetzt bekannt, nichtalleindafür Wissenschafterin geworden. wir haben darüber publiziert, also steht es der Ichversuchenun,wiederGrundlagenforschung Scientific Community frei, damit zu arbeiten. zu machen, Projektefortzuführen, die ich in Das ist so in der Wissenschaft. Man muss aber Wien begonnen habe, um die ich mich aber in darauf achten, was genau damit passiert –und Emmanuelle Charpentier, geboren 1968 in den vergangenenJahrenzuwenig kümmern das Patent schützen. Die Verwertungsrechte Juvisy-sur-Orge, Frankreich, ist eine vielfach konnte. Dabei gehteswiederumGenregulation müssen in den Händen der Wissenschafter blei- ausgezeichnete Molekularbiologin. Sie lernte in Bakterien. Es wird wohl diesmal keinDurch- ben, die CRISPR/Cas9 entwickelt haben. Ich Piano, studierte an der Université Pierre et bruch werden,ich bin froh, wenn ich irgend- kenne meine Rechte, ich weiß, was geistiges Marie Curie in Paris. 2002 ging sie nach Wien, wann zu einem brauchbarenErgebnis komme. Eigentum ist –und um das zu schützen, habe ich wo sie Gruppenleiterin an den Max F. Perutz Derzeit ist dieArbeit aber frustrierend.Das ist zwei Unternehmen gegründet. Laboratories der Universität Wien war. Danach ein weitererGrund, warum es mir gelingt, am wechselte sie an die Universität Umeå in Bodenzubleiben:weil ichauchFrustrationer- Vermutlich hat niemand öfter als Sie über Schweden. 2012 ging sie ans Helmholtz-Zen- lebe. CRISPR/Cas9gesprochen–habenSieeineIdee, trum für Infektionsforschung in Braunschweig. Dieses Interview ist eine Zusammenfassung aus drei Gesprä- wie viele Fragen Sie dazu beantwortet haben? Seit Oktober 2015 ist sie Direktorin am Berliner chen, die der Autor zwischen 2015 und 2017 mit Emmanuelle Charpentier: Puh, gute Frage, eine Menge ... Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie. Charpentier führte.

120 Firmen hat der Professionelle Beratung, die Audiokomponenten-Hersteller dungsprogramm in den Science entsprechende Infrastruktur von„USound“. Park eingegliedertwurde. Die in Graz beheimatete sowie Finanzierung in der frühen Schaltzentrale bleibt wie bisher Science Park seit Phase vorder Unternehmens- in Graz, am neuen Standortin gründung werden im Science der Stremayrgasse –und istda- seiner Gründung Park zur Verfügung gestellt. Die „Während in der Industrie mit gut gewählt: Die Steiermark hervorgebracht, nun international erfolgreichen Solar- Qualität und Preis ausschlag- trägt den Titel „Forschungs- Rucksack-Pioniere vonSunnybag gebend sind, müssen Start-ups kaiser“ in Österreich und landet, will er das Zentrum sind hier ebenso herangereift vorallem schnell sein und in wasden kostenmäßigen Anteil für Jungunternehmer wie die auf Strömungssimula- möglichstkurzer Zeit Ergebnisse vonUnternehmen an Innovati- tionen spezialisierten „bionic liefern“,nennt Martin Mössler, onen betrifft, europaweit sogar in Europa werden. surface technologies“ oder die Geschäftsführer des Science auf Rang zwei. Park, einen entscheidenden Die Zahlen sprechen eine klare Faktor für den Erfolg von Sprache: 1000 Arbeitsplätze für Start-up-Unternehmen. Dieses die Steiermark hat der Science Know-howversucht Mössler SCIENCE PARK GRAZ Park Graz seit seiner Gründung auch an die aktuell 18 vom im Jahr 2002 geschaffen, 120 Science Park unterstützten Firmen sind seitdem entstanden. Unternehmen weiterzugeben, Seine Aufgabe erfülltder Wissen- darunter potenzielle Marktführer

schaftspark vorbildlich: Aus den RK GRAZ der Zukunft. „Wir wollen die universitären Forschungen der PA stärkste Start-up-Schmiede in Technischen Universität und der Mittel- und Osteuropa werden”, sciencepark.at CIENCE

Medizinischen Universität sowie :S betont Martin Mössler.Ein erster TO der Universität Graz entstehen FO Schrittwurde im November Unternehmen, die Arbeitsplätze Martin Mössler,Geschäftsführer des gesetzt, als die Weltraumagentur und Wertschöpfung generieren. Science Park Graz ESAmit einem eigenen Grün-

23 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

Menschliche Embryonen galten lange Zeit als Tabuzone für w issenschaftliche Experimente. Doch im Frühjahr 2015 präsentierten chinesische Forscher ihre Versuche am Erbgut eines Embryos.

Unbegründete Angst vor dem Designerbaby

Der Mensch nach Maß gilt als eine Horrorvision. Bei der Vision wird es bis auf weiteres auch bleiben. Denn das genetische „Designerbaby“, vor dem vielfach gewarnt wird, hat vor allem eines nicht: Design.

Fotos: APA / AFP / Didier Pallages, Picturedesk Pallages, Didier / AFP / APA Fotos: TEXT: ROBERT CZEPEL

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or zwei Jahren führten chinesi- Erbgut tragen. In den USA wird dieses Verfahren sche Forscher ein Experiment bereits bei fünf Prozent aller künstlichen Be- durch, das man unter normalen fruchtungen durchgeführt; in Großbritannien ist Umständen wohl als „Welt- es erlaubt, 250 erblich bedingte Krankheiten auf Vpremiere“ bezeichnet hätte. diese Weise auszuschließen; auch in Österreich Doch das Experiment löste, des ist das Verfahren zur Behebung erblich beding- speziellen Untersuchungsobjekts wegen, eher ter Unfruchtbarkeit zulässig. Alarm denn Jubel aus. Die Fachblätter Nature Allerdings ließe sich das Verfahren im Prin- und Science hatten die Studie zuvor wegen ethi- zip auch umkehren: Technisch wäre es kein gro- scher Bedenken abgelehnt. Als sie schließlich im ßer Schritt, jene Embryonen auszuwählen, die Journal Protein & Cell veröffentlicht wurde, gin- erwünschte erbliche Eigenschaften besitzen. Er- gen die medialen Wogen hoch. Hier sei eine Ta- laubt ist das gegenwärtig nicht. Und es gibt auch buzone betreten worden, lautete der Tenor vie- noch ein paar methodische Hürden, die dem ent- ler Kommentatoren. Das Untersuchungsobjekt gegenstehen, betont Henry Greely von der Stan- war: ein menschlicher Embryo. ford University. Die Gewinnung von Eizellen, so Junjiu Huang und seine Mitarbeiter von der amerikanische Bioethiker, sei für Frauen im- der Sun-Yat-sen-Universität in Guangzhou hat- mer noch „unangenehm und riskant“, mit der ten mithilfe der neuartigen „Genschere“ Weiterentwicklung der Fortpflanzungsmedizin CRISPR/Cas9 erstmals in das Erbgut eines werde PID wohl in absehbarer Zeit sicherer, ein- menschlichen Embryos eingegriffen. Ziel des facher und billiger. Versuchs war, Gene für Erbkrankheiten durch gesunde zu ersetzen. Mit der Methode Genetische Menükarte CRISPR/Cas9 kann man zwar – im Prinzip – be- Greelys Prognose: In 20 bis 40 Jahren wer- liebige Sequenzen aus der DNA schneiden und den Paare aus den Industrieländern aus einer Art neue einfügen. Im Versuch der chinesischen genetischer Menükarte wählen können, bevor Forscher funktionierte das allerdings nicht son- sie ihre Kinder per In-vitro-Fertilisation auf die derlich überzeugend. Der Genersatz gelang nur Welt bringen. Ähnlich sieht das der Harvard-Ge- in vier von 54 Versuchen – viel zu wenig, um auch netiker George Church: „Wir werden an einen nur an eine Gentherapie beim Menschen zu den- Punkt kommen, wo die Veränderung menschli- ken. Das sieht auch Studienleiter Junjiu Huang cher Gene so alltäglich ist wie Schönheitsopera- so: Wollte man das Verfahren dereinst in der Me- tionen.“ Befinden sich die Industriegesellschaf- dizin anwenden, „müsste die Trefferquote 100 ten auf dem besten Weg zu einer technologi- Prozent betragen. Die Methode ist noch nicht schen Dystopie à la Brave New World? ausgereift.“ Ulrich Körtner, Theologe und Bioethiker an Huang wird auch nicht müde zu betonen, der Universität Wien, stimmt Greely in einem dass es sich bei den Embryonen keineswegs um Punkt zu: „Wir haben durch die PID sicher schon normale, entwicklungsfähige gehandelt habe. einige Schritte auf dem Weg zum Designerbaby Ein Mensch hätte daraus niemals entstehen kön- in unseren Alltag internalisiert. Die Methoden nen – gleichwohl sehen viele Forscher den Ver- nähern sich der Wunsch erfüllenden Medizin.“ such kritisch. George Daley, prominenter Anlass, in Alarmstimmung zu verfallen, sieht er Stammzellenforscher der Harvard Medical indes nicht. „Ich bin für eine Entdramatisierung. School in Boston, betrachtet ihn etwa als „ern- Hinweise auf Aldous Huxleys Brave New World stes Warnsignal“. Das Center for Genetics and haben oft die Gestalt von Totschlagargumenten. Society in Berkeley forderte gar einen Stopp der- Man sollte den Leidensdruck von Menschen, die artiger Versuche. ohne medizinische Hilfe keine gesunden Kinder bekommen können, ernst nehmen.“ Künstliche Befruchtung So wird in der Diskussion über die Reproduk- Der Grund dafür ist grundsätzlicher Art: Zu tionsmedizin jene Ambivalenz sichtbar, die welchem Zweck würde man die Technologie in schon die Gentechnikdebatte vergangener Jah- Zukunft einsetzen, wenn sie denn sicher wäre? re bestimmt hat. Technik hat keine Moral. Ob sie Kritiker glauben, dass genetische Versuche am zum Wohle des Menschen eingesetzt oder miss- menschlichen Embryo einer Schreckensvision braucht wird, obliegt der Gesellschaft und den Vorschub leisten: dem genetisch maßgeschnei- Gesetzgebern. In Österreich ist man diesbezüg- derten Menschen. lich eher säumig. Tatsächlich ist die Wissenschaft dieser Mög- Zwar wurde das Fortpflanzungsmedizin - lichkeit in einem anderen Forschungsbereich gesetz 2015 novelliert. Doch die Europäische bereits viel näher gerückt – und zwar im Bereich Biomedizinkonvention, in der etwa der Embryo- der sogenannten Präimplantationsdiagnostik Beim Genome-Editing- nenschutz präziser geregelt ist, wurde hierzulan- (PID). Die PID ist eine Standardmethode, die bei Verfahren mit der „Genschere“ de noch immer nicht ratifiziert. Und die Bio- der künstlichen Befruchtung zum Einsatz CRISPR/Cas9 wird eine ethikkommission, die sich mit solchen Fragen zu kommt. Sie greift nicht in das Erbgut von Embry- Guide-RNA (rot) genutzt, befassen hätte, agiert derzeit quasi im luftleeren onen ein – sie dient vielmehr dazu, herauszufin- um die DNA (blau) an einer Raum. Ihre Funktionsperiode lief vergangenes den, ob ein Embryo in die Gebärmutter einge- bestimmten Stelle (gelb) Jahr aus. Dass Bioethik und Biopolitik in Wahl- setzt werden soll oder nicht. Ausgewählt werden zu schneiden. kampfzeiten noch Thema im Parlament werden, dann jene, die über normale Chromosomen ver- ist gelinde gesagt unwahrscheinlich. So heißt es fügen und auch sonst keine Auffälligkeiten im nolens volens: Bitte warten. →

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→ Foto: Apa / Ralf Hirschberger Ralf / Apa Foto:

Bei der künstlichen Befruchtung ist es derzeit e rlaubt, Embryonen zu scannen, um jene mit Erb- krankheiten nicht in die Gebärmutter einzusetzen. Technisch wäre es kein großer Schritt, noch weiter zu gehen und Embryonen mit gewünschten g enetischen Eigenschaften auszuwählen.

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AuchwenndiePIDnurindirekt–überdieSe- An der Entwicklung und Funktion des Groß- lektion von Embryonen –über erwünschte hirns sind schätzungsweise 10.000 verschiede- Eigenschaften von Embryonen verfügen könn- ne Gene beteiligt. Sie zu Hochintelligenz zu kon- te, hat sie mit der Gentechnik eines gemein: figurieren mag zwar der Natur selten und zufäl- Auch sie wäre dazu geeignet, das Erbmaterial zu lig gelingen. Sie per „Gendesign“ dazu zu zwin- optimieren. Vorausgesetzt, man könnte an den gen scheint mit gegenwärtigem Stand der For- Genenablesen,welcherMenschsichdarausent- schung illusorisch. wickeln wird. Die genetische Basis der Intelligenz ist Das mag bei der Haar- oder Augenfarbe der schlicht zu breit im Genom verteilt, sie ist zu Fall sein. Deutlich schwieriger wird es schon bei kompliziert und kaum zielgerichtet zu kontrol- körperlichen Konstitutionen wie der Körper- lieren.DasgenialeKindaufWunschbleibteinst- größe. Und vollends unüberschaubar wird die weilen noch ein Topos der Literatur und der Sci- SachlagebeiCharaktereigenschaften,Musikali- ence-Fiction. tät oder Intelligenz. Das liegt zum einen daran, dass die beteiligten Gene schlichtweg unbe- Zu 13 Prozent unter den besten zehn kannt sind –zum anderen daran, dass die Wir- DasweißfreilichauchHenryGreely.Wieder kung der Gene keineswegs so simpel ist, wie es amerikanische Bioethiker kürzlich gegenüber vielfach suggeriert wird. dem britischen Guardian sagte, würden Eltern mit Kinderwunsch auf dem genetischen Menü- Gene für Intelligenz plan der Zukunft –soesihn einmal geben sollte – Wasdasbedeutet,zeigteineStudie,dieEnde nur recht allgemeine Sätze lesen können. Etwa Mai im Fachblatt Nature Genetics erschienen ist. der Art: Dieser Embryo „hat eine 60-prozentige Darin berichtete ein internationales Forscher- Chance, in der Schule unter den besten 50 Pro- team von der Entdeckung 40 bislang unbekann- zent zu landen. Und eine 13-prozentige Chance ter „Intelligenzgene“. für die besten zehn Prozent.“ Das mag beeindruckend klingen. Tatsäch- Das mag für viele immer noch befremdlich lich können die Forscher damit bloß 4,8 Prozent klingen. Doch dem Menschen nach Maß schei- der beobachtbaren Intelligenzunterschiede er- nen die Regeln der Genetik einen Riegel vorzu- klären. Und das, obwohl Intelligenz zu jenen schieben. Zumindest im Wortsinn: Das Maß Eigenschaftengehört,dieeinestarkegenetische bleibt bis auf weiteres so ungenau, sodass es die- Basis haben. sen Namen nicht verdient.

AUSSTELLUNG IM RESEARCH PAVILION / VENEDIG BIENNALE HAUNTOPIA /WHATIF IM RESEARCH PAVILION IN VENEDIG Zum Anlassdes 325-Jahr- Research Pavilion im Rahmen Jubiläums der Akademie der Venedig Biennale. Die Ausstellung: EARN-Konferenz der bildenden Künste Wien beiden Professorinnen leiten das 8.9.–15.10.2017 8.9. und 9.9.2017 kuratieren Anette Baldauf und PhD-in-Practice-Programm der Renate Lorenz die Ausstellung Akademie und präsentieren Ar- „HAUNTOPIA /What If“ im beiten künstlerisch-forschender Doktorand_innen. Begleitend findet eine internationale Konferenz des European Artistic Research Networks zum selben Thema statt.

Der vonder Universityofthe Arts Helsinki initiierte und betriebene Research Pavilion wird gemeinsam mit dem Norwegian Artistic Research AS Programme und der Swedish AD Detail-Programm: www.akbild.ac.at/hauntopia-what-if

SF ArtUniversities’collaboration DA KonstexinKooperation mit der Ort: Research Pavilion, Sala del Camino, Campo S. Cosmo,

ÍLVIA Giudecca 621, Venedig.

:S Akademie der bildenden Künste

TO Wien und der Zürcher Hochschule Öffnungszeiten Di bis So 10–18 Uhr.Der Eintritt istfrei. FO für Künste realisiert. www.researchpavilion.com Sílvia das Fadas, from: The Book of #researchpavilion #artisticresearch #caminoevents Natural Magic, 16mm film, 2011 PhD in Practice Courtesy Sílvia das Fadas www.akbild.ac.at/phdinpractice

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Präzisionswaffe gegen Krebs und Co

Leukämie, Lungenkrebs, Aids, Alzheimer, Diabetes – die Liste der Krankheiten, die eines Tages mittels Genome-Editing geheilt werden könnten, wächst beständig. Doch teilweise sind die Hoffnungen zu hoch gegriffen – zumindest derzeit.

TEXT: TANJA TRAXLER

m Jahr 2009 startete der erste klinische Mediziner daran, ob es ethisch vertretbar ist, di- Wann Genome-Editing-Methoden so weit Test, in dem versucht wurde, Men- rekt an menschlichen Embryonen das Gen - entwickelt sind, um Krebs und andere Krankhei- schen mittels Genome-Editing zu the- skalpell anzulegen – mit möglicherweise unab- ten standardmäßig effektiv therapieren zu kön- rapieren. Damals ging es um HIV (siehe sehbaren Auswirkungen, die an nachfolgende nen, darüber ist sich die Fachwelt ebenfalls un- IText rechts unten, Anm.). Mittlerweile Generationen weitervererbt werden könnten. eins. Die Schätzungen reichen von einigen Jah- laufen rund 20 klinische Studien mit Es stellt sich aber auch die umgekehrte Frage: Ist ren bis zu Jahrzehnten. Ein wesentliches Pro- Genome-Editing weltweit – die meisten davon in es ethisch vertretbar, das Leid zigtausender blem dabei sind sogenannte Off-Target-Effekte, China. Vielfach sind diese in der Fachwelt ob Menschen in Kauf zu nehmen, an genetischen also Nebeneffekte der genetischen Therapie. ethischer Bedenken umstritten. Als das Krankheiten zu leiden, obwohl man das Werk- Wie Forscher Ende Mai im Fachblatt Nature CRISPR/Cas9-System vor fünf Jahren als bis- zeug hätte, diese zu eliminieren – sich aber nur M ethods berichteten, führt CRISPR/Cas9 bei lang beste Methode zum Modifizieren von Ge- nicht durchgerungen hat, es zu nutzen? Mäusen zu deutlich mehr Mutationen als zuvor nen entwickelt worden ist, geschah das vor allem angenommen: Sie fanden rund 1500 kleine mit der Absicht, ein effektives Werkzeug gegen Versuche im Körper Punktmutationen – und das in Regionen, die bis- Krebs zu schaffen. Inzwischen gibt es aber eine Auch ist dabei zu bedenken, dass sobald es her als nicht gefährdet eingestuft worden waren. Vielzahl von Krankheiten, an deren Therapie mit ein Land auf der Welt gibt, das bestimmte An- Insgesamt ist die Behandlung mittels Geno- Genome-Editing gearbeitet wird. wendungen von Genome-Editing erlaubt, ein me-Editing vor allem bei Krebs – und dabei in Dabei dreht sich einer der größten Streit- Patiententourismus, um sich dort heilen zu las- Kombination mit anderen Krebstherapien sowie punkte der medizinischen Forscher weltweit sen, die wahrscheinliche Folge wäre. Im Mo- Erbkrankheiten wie der Muskeldystrophie des momentan darum, in welchem Stadium und an ment positioniert sich China dabei als Vorreiter. Typs Duchenne am aussichtsreichsten (siehe welcher Art von Zellen eingegriffen wird: Bei Dort soll im Juli auch die erste klinische Studie rechte Seite, Anm.). Gentherapien werden einzelne Zellen von Pa- anlaufen, bei der Zellen direkt im menschlichen Bei Krankheiten wie Diabetes, Herzerkran- tienten entnommen, die an einem bekannten ge- Körper verändert werden. Bisher wurden Zell- kungen oder psychischen Störungen liegt die netischen Defekt leiden, und therapiert. Die so proben entnommen, bearbeitet und anschlie- Vermutung nahe, dass Umwelteinflüsse dabei durchgeführten Veränderungen werden nicht ßend wieder eingesetzt. eine wesentliche Rolle spielen – die Behandlung weitervererbt. Will man Krankheiten allerdings Bei der ersten klinischen Anwendung von auf rein genetischer Ebene mittels Genome- präventiv ausschalten, wäre es notwendig, gene- Genome-Editing im menschlichen Körper geht Editing könnte sich daher womöglich als weni- tische Veränderungen an den Stammzellen es um Gebärmutterhalskrebs. CRISPR/Cas9 ger aussichtsreich herausstellen, als vielfach ge- menschlicher Embryonen vorzunehmen. Wäh- soll dafür eingesetzt werden, Humane Papillo- hofft wird. Auch bei Lungenkrebs wird Nicht - rend die erste Therapiemöglichkeit recht unum- maviren (HPV) aufzuspüren und zu zerstören, rauchen so schnell nicht von Genome-Editing stritten ist, entzündete sich der große Streit der die mitunter zum Tumorwachstum führen. als beste Vorsorgemaßnahme abgelöst werden.

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Hoffnungsträger gegen Krebs Gendefekt, der Muskeln zerstört In den westlichen Ländern liegt die Die Duchenne-Muskeldystrophie ist die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens häufigste und schwerste Muskelerkrankung. Krebs zu bekommen, bei rund 50 Prozent. Da sie durch einen Gendefekt am Frühdiagnosen und Therapiemöglichkeiten X -Chromosom bedingt ist, leiden fast nur verbessern sich stetig – die Methode Buben daran: Eines von 3600 männlichen CRISPR/Cas9 verspricht bahnbrechende Babys ist von der Krankheit betroffen. Durch Erfolge für alle Formen von Krebs. Dabei gibt den Gendefekt wird in den Muskelzellen kein es zwei Ansätze: Genome-Editing kann direkt Dystrophin produziert – jenes Eiweiß, das die gegen Krebs eingesetzt werden, indem das Muskeln stabilisiert, was auch Atem- und System unliebsame Zellmutationen entfernt. Herzmuskulatur betrifft. So beträgt die Lebens- Oder die Technologie kann begleitend zur erwartung von Duchenne-Patienten nur etwa Unterstützung bereits existierender 25 bis 30 Jahre. Während sich eine frühere Krebstherapien eingesetzt werden. Letzteres Gentherapie als wirkungslos herausstellte, geschah im Fall von Layla Richards. Ende 2015 konnte der Gendefekt bei Mäusen durch wurde die damals einjährige Blutkrebs- CRISPR/Cas9 bis Ende 2015 bereits in vier patientin in London mit genetisch veränderten unabhängigen Studien korrigiert werden. Immunzellen behandelt – als erster Person Die Hoffnungen sind daher groß, dass die weltweit rettete Genome-Editing ihr das Leben. Therapie auch bei Menschen greift.

Heilungschance für das Gehirn Abwehr von HIV Die Huntington-Krankheit gilt bislang als Die ersten klinischen Tests, um Genome- unheilbare erbliche Erkrankung des Gehirns. Editing therapeutisch einzusetzen, betreffen Doch es besteht Grund zur Hoffnung, dass sich HIV-Patienten. Das Ziel dabei ist, ihre das durch Genome-Editing ändern könnte. Die Immunzellen derart zu verändern, damit es Betroffenen leiden aufgrund eines Gendefekts nicht zum Ausbruch von Aids kommt. Im an Störungen der Muskelsteuerung, der Mimik, Zentrum steht dabei ein Gen, das sich auf der des Gefühlslebens und der Hirnfunktion Oberfläche der weißen Blutzellen befindet und insgesamt. Da dieser Defekt nur ein einziges das Protein CCR5 hervorbringt. Menschen, Gen betrifft, liegt der Verdacht nahe, dass die denen dieses Gen fehlt, sind von Natur aus Huntington-Krankheit therapiert werden kann, resistent gegen HIV. 2015 präsentierte das indem man dieses Gen entsprechend kalifornische Biotech-Unternehmen Sangamo verändert. Da bei dieser Krankheit aber eine BioSciences Daten einer klinischen Studie mit schadhafte Kopie des Gens eine Verwüstung HIV-Patienten, in der gezeigt wurde, dass im Körper anrichten kann, ist laut dem Wissen- durch die Ausschaltung des CCR5-Gens mittels schaftsautor und Biologen Jim Kozubek Genome-Editing der Verlauf der Krankheit fraglich, ob Genome-Editing dagegen helfen gestoppt und sogar umgekehrt werden kann. kann, solange nicht alle 37,2 Billionen Zellen im Zudem gibt es noch weitere Ansätze, HIV mit Körper verändert worden sind. CRISPR/Cas9 zu bekämpfen.

Mikroskopische Aufnahme einer T-Zelle, die der Immunabwehr dient, auf einer Krebszelle. Fotos: Picturedesk / Steve Gschmeissner Steve / Picturedesk Fotos:

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„Wir brauchen ein

Künstlerische Darstellung von DNA-Molekülen. Fotos: Picturedesk/Science Photo Library, privat Library, Photo Picturedesk/Science Fotos:

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e breitere Debatte“

Der britische Molekularbiologe John Parrington hat eines der ersten populärwissenschaftlichen Bücher über CRISPR/Cas9 geschrieben. Er sieht in der Technologie einen Meilenstein, doch die gesellschaftliche Diskussion darüber hinke der wissenschaftlichen Entwicklung hinterher.

INTERVIEW: DAVID RENNERT

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→ Der Untertitel Ihres Buchs „Redesigning Life“ sie langsamer braun werden. Glauben Sie, sol- lautet auf Deutsch übersetzt: „Wie Genome- che Entwicklungen werden sich durchsetzen? Editing die Welt verwandeln wird“. Hat die Parrington: Viele Konsumenten haben große Verwandlung schon begonnen? Vorbehalte gegen genetische Eingriffe an Nah- Parrington: In gewisser Weise ja – wie wir biowis- rungspflanzen oder Nutztieren, von ihrer Akzep- senschaftliche Forschung betreiben, hat sich de- tanz wird der Erfolg letztlich auch abhängen. finitiv bereits verändert. Es gab in den vergange- Aber der große Unterschied von CRISPR/Cas9 nen Jahrzehnten wichtige Meilensteine in die- zur Gentechnik ist, dass sich feinere Verände- sem Bereich: Erst wurde es möglich, das voll- rungen vornehmen lassen. Am Ergebnis ist oft ständige Erbgut von Lebewesen zu entschlüs- nicht ersichtlich, ob es sich um eine natürliche seln, inzwischen geht das sogar unglaublich Veränderung handelt oder um eine künstlich schnell. Jetzt haben wir die Möglichkeit, es sehr herbeigeführte. Es wurden schon etliche Varia- präzise zu verändern. Studenten in meinem La- tionen erzeugt, die mit herkömmlichen Metho- bor arbeiten heute an Projekten, die noch vor ein den auch möglich gewesen wären, nur viel län- paar Jahren undenkbar gewesen wären. ger gebraucht hätten.

Wo sehen Sie wichtige künftige Anwendungsbe- Besteht nicht die Gefahr, dass vor allem Kon- reiche von Techniken wie CRISPR/Cas9? zerne von solchen Entwicklungen profitieren? Parrington: Das größte Potenzial sehe ich in der Parrington: Das ist eine berechtigte Sorge, die Medizin und in der Landwirtschaft. In der Medi- unbedingt diskutiert werden muss. Aber gerade zin vor allem in der Grundlagenforschung: Mit diese Technologie könnte auch lokalen Produ- Genome-Editing können wir bislang unbekann- zenten, Kleinbauern oder der Biolandwirtschaft te Prozesse untersuchen, die für den Körper nützen: Sie könnte eine genauere Anpassung an wichtig sind. Ich selbst forsche zu Unfruchtbar- lokale Gegebenheiten oder Konsumentenwün- keit, mithilfe von CRISPR/Cas9 können wir zum sche ermöglichen. Genome-Editing kann durch- Beispiel an Mäusen die Rolle einzelner Gene im aus zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Reproduktionsprozess untersuchen und heraus- finden, wie sich Defekte in Genen auf die Frucht- Was wären sinnvolle Anwendungsbereiche in barkeit auswirken. der Landwirtschaft? Parrington: Man kann zum Beispiel versuchen, Wie steht es um therapeutische Anwendungen höhere Erträge und Nährstoffgehalte zu erzielen zur Behandlung von Krankheiten? oder Nahrungspflanzen gegen den Klimawan- Parrington: Denkbare Nutzungsmöglichkeiten del und Krankheiten resistent zu machen. Es gibt gibt es viele – von Krebs bis zu Erbkrankheiten –, schon viele Erfolge: So wurde etwa eine Kartof- aber bis zur sicheren Anwendung gilt es noch felsorte hergestellt, die resistent gegen Kartof- große Hürden zu überwinden. Die ersten Thera- felmehltau ist, einen weitverbreiteten Pilz, der pien wird es für schwerkranke Patienten geben, die Pflanzen absterben lässt. Bisher werden im die ohnehin nicht mehr lange zu leben haben. In Kartoffelanbau Unmengen an Fungiziden ein- China werden bereits klinische Studien an Lun- gesetzt, das könnte man sich sparen. Aus ökolo- genkrebspatienten durchgeführt. Das Potenzial gischer Perspektive wäre das wünschenswert. ist da, aber wir dürfen kranken Menschen keine voreiligen Hoffnungen machen – bis solche The- Was ist mit den Gefahren und Risiken einer An- rapien sicher sind und erfolgreich eingesetzt wendung in der Natur? werden können, wird es noch dauern. Parrington: Es gibt sehr unterschiedliche Risi- ken. Stechmücken so zu manipulieren, dass sie Welche Probleme müssen noch gelöst werden, Malaria nicht mehr übertragen oder überhaupt ehe sich CRISPR/Cas9 in der medizinischen aussterben, erscheint attraktiv, wenn man an die Praxis etablieren könnte? Millionen Menschen denkt, die jedes Jahr an der Parrington: Die größte Schwierigkeit ist im Mo- Krankheit sterben. Aber welche anderen Konse- ment, dieses Werkzeug in einen lebenden Or - quenzen das haben könnte, wissen wir nicht. Das ganismus einzubringen. Wenn man mit Zell- gilt natürlich auch für die Landwirtschaft: kulturen im Labor arbeitet, ist das kein Problem. Krankheitsresistente Pflanzen scheinen eine Das vergleichsweise große CRISPR/Cas-Sys- gute Idee zu sein, aber wie verändern sich da- tem aber in Säugetierzellen nach dem Embryo- durch Pathogene? Eine große Frage wirft auch nalstadium einzuschleusen ist sehr viel kompli- die Anwendung am Menschen auf, etwa die Ver- zierter. Es gibt jedoch immer mehr Fortschritte änderung menschlicher Embryonen. Wie wir in diesem Bereich. Ein anderes offenes Problem damit umgehen, dass das heute möglich ist, und ist das Risiko sogenannter „off-target effects“, welche Gefahren das impliziert, sind enorm also dass zusätzlich zur gewünschten Verände- wichtige Fragen, die nicht nur wissenschaftlich rung weitere unkontrollierte Mutationen mit un- erforscht, sondern dringend auch in der Gesell- klaren Folgen entstehen. schaft stärker diskutiert werden müssen.

In der Landwirtschaft gibt es bereits An- Die Technologie ist billig und vergleichsweise wendungen: In den USA wurden etwa einfach in der Verwendung. Könnte sie terro- C hampignons zugelassen, die mithilfe des ristisch eingesetzt oder zur Herstellung neu- CRISPR/Cas-Systems so verändert sind, dass artiger Waffen verwendet werden?

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Parrington: Ich denke, diesbezüglich sollte man InderLandwirtschafthalteicheinenverantwor- das Potenzial von Genome-Editing nicht über- tungsvollen Einsatz für sinnvoll. Klar ist aber: schätzen. Es gibt bereits so viele Waffen, die Wir brauchen dringend eine viel breitere Debat- weitaus effektiver sind als sämtliche je entwi- te darüber. ckelten biologischen Waffen. Und auch wenn CRISPR/Cas9 leichter zugänglich ist als andere Wie lässt sich eine seriöse gesellschaftliche Dis- Methoden, braucht man immer noch ein Labor kussion darüber in Schwung bringen? und eine molekularbiologische Ausbildung da- Parrington: Wichtig ist, dass jeder eine Stimme für.Aberja:Natürlichkönntejemandversuchen, hat, Experten, Umweltschützer, Ethiker, Land- einVirusodereinBakteriumnochschädlicherzu wirte, die allgemeine Bevölkerung: Alle sind da- machen. Dass Technologien zu illegalen Zwe- von betroffen, daher brauchen wir ein großes cken eingesetzt werden, ist immer möglich. Ich John Parrington, geboren 1964, ist Professor Forum.TechnologienwieCRISPR/Cas9wirken glaube, es ist unmöglich und sinnlos, zu versu- für Molekulare Pharmakologie am Worcester auf viele Menschen abstrakt und beängstigend. chen,dieTechnologieaufzuhalten.Alsomüssen College der Universität Oxford und Autor Es liegt an den Wissenschaftern, diese Metho- wir uns auf einen Rahmen einigen, wie wir sie mehrerer Bücher über Genetik. Seine jüngste den durch transparente Wissensvermittlung zu- verwenden wollen. Veröffentlichung behandelt Genome-Editing gänglichzumachen. Eskannnurdanneinesinn- aus populärwissenschaftlicher Perspektive. volleDebattegeben,wenndieMenschenverste- Gesetzlich ist CRISPR/Cas9 noch weitgehend hen, wie das funktioniert und welche Chancen ungeregelt. Für welche Regeln plädieren Sie? und Risiken es gibt. Parrington: Ideal wäre eine weltweite Gesetzge- bung, aber das ist leider sehr unrealistisch. Es Kommt die Scientific Community dieser Auf- gibt höchst unterschiedliche Ansichten auf der gabe ausreichend nach? Welt,wasethischakzeptabelistundwasnicht.In Parrington: Meiner Meinung nach sollten sich China hat man beispielsweise ganz andere An- Wissenschafter noch viel stärker in die Diskus- sichtenalsinEuropa.Ichfinde,diemedizinische sion einbringen, auch in ethischen Fragen. Die Grundlagenforschung sollte die Freiheit haben, meisten haben dazu ja sicherlich auch eine Mei- ungehindert zu forschen. Für die Modifizierung nung, beteiligen sich aber kaum an der Debatte. menschlicher Embryonen zu therapeutischen Aber Wissenschafter haben natürlich ein ande- Zwecken gibt es meiner Meinung nach derzeit res Hauptinteresse: neue Technologien mög- „Redesigning Life –How Genome Editing Will Transform aberkeineRechtfertigung.DasRisiko,Fehlerim The World“, €22,99 /368 Seiten, Oxford University Press, lichst weit voranzutreiben und die Grenzen des Genomzuverursachen,isteinfachnochzugroß. Oxford 2016 Wissens zu verschieben.

Eine der größten sie es werden. Bis 2020 sollen arbeitet eine interdisziplinäre bereits über 50 Milliarden mit Gruppe vonzehn Forschenden seit Eine neue Spezialisierung bietet die Herausforderungen Kleinstcomputern ausgestattete 2016 daran, die Risiken des neuen TU Graz ab Herbstan. In Form eines unserer Zeit Gegenstände miteinander Meganetzes zu minimieren. Unter „Major Internet of Things“ werden kommunizieren. Ihre Komplexität idealen Rahmenbedingungen und Studierende im englischsprachigen Selbstfahrende Autos, intelligente und immer kleinere Komponenten mit dem Ziel, ein internationales Masterstudium „Information and Pflanzen, welche mitteilen, wenn machen die Systeme dabei Leuchtturmprojektaufzubauen, Computer Engineering“ auf die sie gegossen werden wollen, zunehmend verwundbarer,etwa betont Projektleiter Kay Römer. Herausforderungen vorbereitet, vernetzte Produkte und Maschi- durch Cyberattacken, unentdeckte erlernen die Grundlagen und nen, eine automatisch gesteuerte Fehler oder extreme Umgebungs- Stark im Fokus stehen dabei werden in die aktuelle Forschung Energieversorgung –teils sind all bedingungen. Themen, die unsere Zukunft eingebunden. Weitestgehend bieten diese online verbundenen Geräte, massiv verändern werden. „Smart die Forscher des Leadprojektes die zusammengefasst unter dem Be- Doch gerade in sensiblen Bereichen Cars“ etwa,automatisch fahrende Lehre an, koordinieren diese und griff „Internet der Dinge“ („Internet wie Gesundheit, Verkehr und und miteinander kommunizierende fungieren auch als Mentorinnen of Things“), bereits Realität, teils Produktion müssen sie zu jeder Fahrzeuge, werden aus dem Stra- und Mentoren. wird noch daran gearbeitet, dass Zeit einwandfrei funktionieren. Ein ßenbild nicht mehr wegzudenken Ausfall des Internet of Things hätte sein, müssen dazu aber verlässlich in wenigen Jahren mindestens so funktionieren. Vonmindestens schwerwiegende Folgen, wie es ebenso großer Bedeutung istdie IOTANDER TU GRAZ heute ein Störfall in der Stromver- Zuverlässigkeit bei Kraftwerks- sorgung hätte. Seine Zuverlässig- steuerungen, die hochgradig keit zähltdaher zu den größten automatisiertund vernetzt die www.tugraz.at/go/masterstudien Herausforderungen unserer Zeit. Effizienz steigern sollen. Um hier gute Lösungen zu finden, sind die TU Graz und die Forschenden im www.dependablethings.tugraz.at Leadprojekteng mit dem indus-

OLIA SHAWN HEMPEL Im ersten Leadprojektder TU Graz, triellen Umfeld verbunden, allen OT

:F „Dependable Internet of Things in voranmit der Automobilbranche, TO

FO Adverse Environments“ („Verläss- aber auch mit der Clean-Tech- und Forschung am Internet der Dinge lichkeit im Internet der Dinge“), der Elektronikindustrie.

33 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN Schönes neues Feld

Der Weizen der Zukunft könnte weniger Pestizide benötigen, klimaresistenter sein, mehr Nährstoffe und weniger Allergene beinhalten. An Entwicklungen wie diesen wird bereits weltweit gearbeitet. Foto: imago Foto:

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Die Technik CRISPR/Cas9 verspricht eine Revolution in der Landwirtschaft: Die Ziele denkbarer Anwendungen reichen von Ertragssteigerung über Umweltschutz bis zur Ernährungssicherheit. Wie Gesetzgeber und Konsumenten damit umgehen, ist aber ungewiss.

TEXT: DAVID RENNERT

35 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

→ ürreresistenter Mais, Weizen zulegen. Eine Entscheidung ist freilich äußerst ohne Allergene, Rinder ohne Molekulare Struktur des folgenreich: Organismen, die als gentechnisch Hörner oder Schweine ohne CRISPR/Cas9-Komplexes in verändert definiert werden, unterliegen strengs- Krankheiten: Gerade einmal einer Computersimulation. ten Auflagen. Techniken wie CRISPR/Cas9 stel- Dfünf Jahre nachdem das viel- len Gesetzgeber aber vor eine völlig neue Situa- versprechende Genome-Edit- tion, denn Genome-Editing unterscheidet sich ing-Werkzeug CRISPR/Cas9 entdeckt wurde, in wesentlichen Punkten von jener Gentechnik, gibt es heute kaum noch einen Teilbereich der für die bereits Regelungen geschaffen wurden. Landwirtschaft, für den nicht schon längst kon- Bei klassischen Gentechnik-Methoden wer- krete Anwendungen der „Genschere“ in Arbeit den neue Gene in einen Organismus einge- sind. Die Methode erlaubt, Erbgut so schnell, bracht. Wird dabei artfremdes Erbmaterial ver- präzise und kostengünstig zu verändern wie wendet, entsteht ein sogenannter „transgener noch nie zuvor – und das in allen lebenden Zel- Organismus“ – zum Beispiel Mais, der mithilfe len. Bis es zugelassene medizinische Therapien bakterieller Gene resistenter gegen Schädlinge gibt, wird es wohl noch dauern. Anders in der gemacht wurde. Wohin genau im Erbgut eines Landwirtschaft: Die Liste der Pflanzenzüchtun- Organismus solche künstlich eingebrachten gen, die mithilfe von Genome-Editing entwi- Gene gelangen und welche unerwünschten Ef- ckelt wurden, wächst stetig. In einigen Ländern fekte dort auftreten könnten, ist jedoch schwer liegen bereits erste Zulassungen vor. vorherzusagen. Dementsprechend aufwendig, Schon heute gibt es etwa virusresistente Gur- teuer und langwierig sind die Herstellungs- und ken, Sojabohnen, bei deren Verarbeitung weni- Zulassungsverfahren für gentechnisch verän- ger Transfettsäuren entstehen, oder Champig- derte Organismen. nons, die langsamer braun werden und dadurch länger haltbar sind – und die vor allem länger an- Punktgenaue Präzision sprechend aussehen. Die Pilze wurden im Vor- Die Kritik von Gentechnikgegnern bezieht jahr in den USA als erstes mit CRISPR/Cas9 ver- sich hauptsächlich darauf, dass fremde Gene in ändertes Nahrungsmittel zum Anbau und Ver- einen Organismus geschleust werden und damit kauf freigegeben – ohne spezielle Auflagen: Da unkalkulierbare Risiken für Umwelt und Ver- die minimalen genetischen Veränderungen braucher eingegangen würden. Bei Genome- ohne den Einbau artfremder Gene auskommen „Es ist schwer Editing-Techniken werden aber häufig keine und folglich theoretisch auch, wenngleich weit- neuen Gene in den Organismus eingebracht. Vor aus aufwendiger und kostspieliger, mit her- nachvollziehbar, warum allem CRISPR/Cas9 zeichnet sich zudem durch kömmlichen Zuchtmethoden erreicht werden eine hohe Präzision aus: Mithilfe der Technik ist könnten, entschied das US-Landwirtschaftsmi- Produkte, die auch durch es möglich, einzelne vorhandene Gene zielge- nisterium, sie wie konventionelle Pflanzen ein- richtet zu verändern, an- oder abzuschalten. zustufen. klassische Züchtung oder Das Risiko, dass dabei unabsichtlich auch natürliche Mutationen andere Regionen des Genoms verändert wer- Regelung gesucht den, ist wesentlich geringer als bei klassischen Von einem klaren Regelwerk für Genome- hätten entstehen können, Verfahren. Wird mit dem CRISPR-Cas-System Editing in der Landwirtschaft ist man aber nahe- also ein Pflanzengenom ohne Fremd-DNA ver- zu überall noch weit entfernt. Während sich die in Bezug auf Risiken ändert, ist am Ende gar nicht nachweisbar, ob es Technologie rasant weiterentwickelt, hinkt die sich um eine natürliche Mutation handelt, um Gesetzgebung hinterher. Aktuell liegen erst in und Gefahren das Ergebnis einer Züchtung mit herkömmli- vier Ländern Entscheidungen über den Umgang chen Methoden oder ob mit Genome-Editing mit Pflanzen vor, die mit Techniken wie anders eingeschätzt nachgeholfen wurde. Damit fallen nicht nur we- CRISPR/Cas9 verändert wurden (siehe Karte sentliche Kritikpunkte weg, auch eine Kontrolle Seite 43). In den USA wurde bisher von Fall zu Fall werden sollten. “ ist kaum durchführbar. entschieden. Neben den Champignons wurden Wie soll eine solche Pflanze also reguliert seit 2012 auch veränderter Mais, Sojabohnen, Eva Stöger werden? „Genome-Editing stellt für die Land- Reis und Weizen als „non regulated“ klassifi- Universität für Bodenkultur Wien wirtschaft eine moderne Züchtungstechnik dar, ziert, sprich: Für sie gelten dieselben Auflagen die weltweit jetzt schon breiten Einsatz findet“, wie für herkömmliche Züchtungen. sagt Eva Stöger. Für die Leiterin des Depart- Einen generellen rechtlichen Rahmen schuf ments für Angewandte Genetik und Zellbiologie 2015 Argentinien: Das Land entschied, dass mo- der Universität für Bodenkultur Wien ist eine ge- difizierte Pflanzen, die keine artfremden Gene nerelle Gleichstellung mit Gentechnik nicht enthalten, nicht unter die Gentechnik-Richtli- haltbar: „Produkte, die Veränderungen im Ge- nien fallen. Ebenfalls 2015 stellte auch Schweden nom tragen, die auch durch klassische Züch- fest, dass die EU-Definition von gentechnisch tungstechniken und natürliche Mutationen ent- veränderten Organismen modifizierte Pflanzen stehen hätten können und von diesen nicht ohne Fremdgene nicht einschließt. Einzig in unterscheidbar sind, sollen meiner Meinung Neuseeland wurde ein restriktiver Beschluss ge- nach auch gleich reguliert werden“, so Stöger. fasst: Laut einem Erlass von 2016 gelten für alle Nachsatz: „Es ist schwer nachvollziehbar, Pflanzen, deren Erbgut editiert wurde, die Richt- warum sie in Bezug auf Risiken und Gefahren linien für Gentechnik – egal, ob artfremde Gene unterschiedlich eingeschätzt werden sollten. eingeschleust wurden oder nicht. Die EU-Kom- Produkte klassischer Züchtung unterliegen ja → mission zögert seit Jahren, sich in der Sache fest- klar definierten Prüfungen und Regulierungen, Foto: Picturedesk Foto:

36 MAGAZIN FORSCHUNG DADASSO OPTIMIERTEPTIMIERTE LEBEN Foto: Picturedesk Kartoffelpflanzen könnten mit CRISPR/Cas9 gegen Pilzkrankheiten resistent gemacht werden und weniger Pflanzenschutzmittel benötigen, argumentieren Forscher. Kritiker warnen vor ungeahnten Folgen für die Umwelt.

WIE SIEHT DIE MOBILITÄT DER ZUKUNFT AUS?

Im VIRTUALVEHICLE an der Entwicklung zukünftiger wie zum Beispiel Fahrerassistenz, digitale Mobilität mit sich bringt: Straßen- und Schienenfahrzeuge. umfassend abgesichertwerden. Die Schlüsselwörter Komplexität, Research Center Im Fokus stehen Fahrzeuge, die Das Ziel istes, das ganze Fahrzeug Konnektivität und Autonomie spielen in Graz werden nicht nur umweltfreundlich und bereits in der Virtuellen Welt testen eine wichtige Rolle, Fahrzeuge der sicher,sondern auch immer stär- und absichern zu können. Zukunft sollen den Anforderungen Technologien ker, als Teil des Internet of Things, an autonomes Fahren, Sicherheit für sichere und mit ihrer Umgebung vernetzt sein Zehntes Graz Symposium und umfassendes Energiemanage- werden. Die international-gefragte VIRTUAL VEHICLE ment gerecht werden. Keynote umweltfreundliche Expertise des Forschungszent- Bereits zum zehnten Mal veranstal- Speaker der Veranstaltung sind u.a. Fahrzeuge von rums, das Teil des österreichischen tet VIRTUAL VEHICLE, in Koope- Dr.Jan Becker (FaradayFuture) und COMET K2-Programms ist, liegt ration mit der TU Graz, das Grazer Prof.NorbertSchaub (Daimler AG). morgen entwickelt. in der Verknüpfung vonComputer- Symposium Virtuelles Fahrzeug. Im Simulation und realem Experiment. Mittelpunktstehen die Herausfor- Megatrends wie Vernetzung, So können komplexe Systeme, derungen und Veränderungen, die Urbanisierung und Globalisierung verändern die Mobilität der Zukunft. Neue Geschäftsmodelle und Tech- nologien sowie „Automatisiertes 10th Graz Symposium Fahren“ entwickeln sich zu Game VIRTUAL VEHICLE Changern. Wann werden wir mit 27.und 28. Juni 2017 selbstfahrenden Autos unterwegs sein? Wasist entscheidend für die Programm: www.gsvf.at Mobilitätsanbieter der Zukunft? Wie Kontaktund Anmeldung: kann die Sicherheit aller Verkehrs- Julia D’Orazio teilnehmer,aber auch die unserer [email protected] Daten garantiertwerden? IRTUAL VEHICLE

Rund 200 Forscherinnen und :V TO

Forscher arbeiten im VIRTUAL FO VEHICLE Research Center in Graz Megatrends wie „Automatisiertes Fahren“ verändern die Mobilität der Zukunft.

37 MAGAZIN ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

→ und diese sollten hier Anwendung finden.“ Für „Der Bogen spannt sich bei Genome-Editing Pflanzen, bei denen Genome-Editing dafür ver- in der Landwirtschaft von Krankheitsresisten- wendet wird, fremdes Erbmaterial an einer spe- zen bis zu Verarbeitungseigenschaften und zifischen Stelle im Genom einzusetzen, hänge schließt auch für den Konsumenten wahrnehm- die Risikoeinschätzung hauptsächlich vom je- bare Eigenschaften ein“, sagt Zellbiologin Stö- weiligen Gen ab, das eingebracht wird, so Stöger. ger. Die Zielsetzungen neuer Produkte reichen In diesen Fällen solle denn auch die Regulierung dementsprechend von der Erhöhung der Erträ- für gentechnisch veränderte Pflanzen angewen- ge über Umweltschutz bis hin zur Verbesserung det werden. der Welternährung. Als es dem Biologen Yinong Viele Forscher sehen in CRISPR/Cas9 auf- Yang von der Pennsylvania State University 2015 grund seiner Präzision sogar die biologisch ver- gelang, ein Gen im weißen Zuchtchampignon träglichste Methode der Pflanzenzucht – Agaricus bisporus auszuschalten, das an der schließlich stellen auch herkömmliche Züch- Bräunung beteiligt ist, reichte seine Universität tungsmethoden rabiate Eingriffe in das Erbgut vorsorglich ein Patent ein. Immerhin handelt es dar. Mutationen in der DNA kommen in der Na- sich bei A. bisporus um den meistangebauten tur zwar ständig vor und treiben die Evolution Speisepilz der Welt, es könnte also um sehr viel voran, doch keine heutige Nutzpflanze würde Geld gehen. ohne massive Nachhilfe so aussehen, wie wir sie kennen. Bei jeder Zucht durch Kreuzung können Chancen für den Biolandbau riesige DNA-Sequenzen ausgetauscht werden, Rudi Appels von der Murdoch University im die neben erwünschten Eigenschaften auch australischen Perth denkt in eine andere Rich- schädliche Mutationen einführen können. Von tung: wie man in neuen Weizenzüchtungen ge- der Behandlung mit Chemikalien oder Röntgen- zielt Gene beeinflussen könnte, die an Zöliakie strahlen, die ebenfalls zu den konventionellen und Glutensensitivität beteiligt sind. Dank der Methoden zählt, ganz zu schweigen. Veröffentlichung der vollständigen Genomse- Aber auch wenn CRISPR/Cas9 präziser ist quenz der Pflanze sei es künftig vielleicht mög- als seine Vorgänger, vollkommen verlässlich ist lich, diese Gene aufzuspüren, zu erforschen – auch dieses Werkzeug nicht. Das Risiko soge- und gezielt zu verändern. Ihm schwebt eine Zu- nannter Off-Target-Effects, also dass zusätzlich kunft vor, in der Pflanzenanbau generell viel zur beabsichtigten Änderung auch andere Stel- „Ich sehe generell keine stärker auf individuelle Bedürfnisse und lokale len im Genom modifiziert werden, kann nicht Gegebenheiten ausgerichtet ist. ganz ausgeschlossen werden. Für die Anwen- Zukunft ohne Genome- Die Landwirte sollen für ihre Böden und die dung am Menschen gilt das als Hindernis, Kriti- lokalen Klimaverhältnisse spezifisch angepasste ker sehen darin auch in der Landwirtschaft eine Editing. Ich komme aus Sorten auswählen können, Bäcker wiederum auf Gefahr für Mensch und Umwelt. Befürchtungen konkrete Kundenbedürfnisse eingehen können. sind auch, wie sich etwa Krankheitserreger in Australien, und wenn wir „Ich sehe generell keine Zukunft ohne Genome- Zukunft entwickeln, wenn Pflanzen durch Ge- Pflanzen nicht besser an Editing“, sagt Appels. „Ich komme aus Austra- nome-Editing gegen Infektionen resistent ge- lien, und wenn wir Pflanzen nicht besser an die macht wurden. die immer extremeren immer extremeren Umweltbedingungen anpas- sen, haben wir bald ein Problem – nicht nur auf Vielfältige Zielsetzungen Umweltbedingungen dem fünften Kontinent.“ Für Kellye Eversole, die Vorsitzende des Der Pflanzengenetiker Howard-Yana Shapi- Internationalen Weizen-Genom-Sequenzie- anpassen, haben wir ro, Chef-Agrarwissenschafter des Nahrungs- rungs-Konsortiums (IWGSC), ist eine Zukunft mittelkonzerns Mars Incorporated, arbeitet da- der Landwirtschaft ohne Genome-Editing bald ein Problem – ran, genau das in einem anderen Rahmen mög- schlicht undenkbar: „Das Prinzip ist ja nicht neu: lich zu machen: In einer wissenschaftlichen Pflanzenzucht beruht von jeher auf genetischer nicht nur auf dem Großunternehmung will er mit einem Konsor- Veränderung. Aber mit dem CRISPR-Cas-Sys- fünften Kontinent.“ tium das Erbgut von 100 afrikanischen Nah- tem wissen wir erstmals genau, was dabei pas- rungspflanzen entschlüsseln und kostenlos ver- siert, und können es gezielt steuern.“ Die US- öffentlichen, um den Anbau in Zeiten des Klima- amerikanische Wissenschafterin und ihre Kolle- Rudi Appels, wandels zu verbessern und höhere Nährstoffge- gen stehen kurz vor der Veröffentlichung der Murdoch University halte zu erzielen. So könnte etwa versucht wer- kompletten Genomsequenz des Brotweizens – den, die Verfügbarkeit von Zink, Eisen oder Vi- ein Megaprojekt, das schon vor mehr als einem tamin A zu erhöhen. Jahrzehnt seinen Anfang nahm. Es geht dabei vor allem um Pflanzen, die lo- Einen ersten Entwurf haben sie bereits 2014 kal bedeutend sind, von der Agrarindustrie aber im Fachblatt Science vorgelegt und damit erst- vernachlässigt und daher kaum weiterentwi- mals ermöglicht, spezifische Weizengene ckelt wurden – zum Beispiel die Yamswurzel, schnell und zuverlässig zu finden. Das Weizen- der Brotfruchtbaum oder die Helmbohne. genom ist mit 17 Milliarden Bausteinen etwa „CRISPR/Cas9 ist in meiner Lebenszeit der fünfmal so groß wie das des Menschen, die voll- Durchbruch aller Durchbrüche. Das Anwen- ständige „Kartierung“ soll nun die Zucht neuer dungspotenzial für die Landwirtschaft ist Sorten, die etwa ertragreicher und resistenter enorm, der Zugang dazu gleichzeitig verhältnis- gegen Krankheiten oder klimatische Verände- mäßig einfach. Was wir in der Genetik und in der rungen sind, entschieden voranbringen. Ein Pflanzenzucht erleben, ist eine Demokratisie- zentrales Werkzeug dafür: CRISPR/Cas9. rung: Früher gab es ein paar Gruppen, die mit den Foto: Picturedesk Foto:

38 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN Foto: Picturedesk Foto: Champignons, die länger frisch und ansehnlich bleiben? Einem US-Forscher ist genau das mittels Genome-Editing gelungen. Im Vorjahr wurde der modifizierte besten Technologien forschen und arbeiten Zuchtpilz ohne spezielle Auflagen halt zum Beispiel.“ Ob Bio- oder konventionelle konnten, aber das hat sich geändert.“ zum Anbau und Verkauf Landwirtschaft: Neben der noch unklaren ge- Auch wenn biotechnologische Verfahren in den USA zugelassen. setzlichen Regelung wird der Erfolg von wie Genome-Editing nicht in die romantischen CRISPR/Cas9 vor allem davon abhängen, wie Bauernhofbilder vieler Konsumenten passen, Konsumenten auf Produkte reagieren, die damit erscheinen manche Anwendungen gerade für verändert wurden. Ob etwa die haltbaren Cham- die Biolandwirtschaft interessant. Ein ungelös- pignons in den USA ein Verkaufshit werden, lässt tes Problem ist etwa der Falsche Mehltau, eine sich noch nicht sagen. In Europa werden derarti- gefürchtete Pilzkrankheit, deren Bekämpfung ge Produkte derzeit noch nicht angeboten. mit Pflanzenschutzmitteln durch Bio-Richtli- „Zu einem guten Teil hängt das wohl auch nien stark begrenzt ist. „Mit Genome-Editing davon ab, wie die Medien mit dem Thema umge- könnte man durchaus wünschenswerte Eigen- hen“, glaubt Stöger. „Konsumenten sind in der schaften für den Biolandbau realisieren“, sagt Regel nicht sehr umfassend über Züchtung und Eva Stöger. „Durch Resistenzen könnte man Nahrungsmittelproduktion informiert. Da gibt wahrscheinlich auf manche Spritzmittel verzich- es viele Mythen, die mit der Realität oft wenig ge- ten, aber auch qualitative Eigenschaften könn- meinsam haben. Mehr Information und neutra- ten verbessert werden – der Antioxidantien-Ge- le Aufklärung wäre sicherlich ein Vorteil.“

39 MAGAZIN FORSCHUNG SOS-Kinderdorf bedankt sich für die kostenlose Einschaltung! DAS OPTIMIERTE LEBEN GLOSSE Eine Erfindung der Quantenphysik

Mit seinem Buch „Was ist Leben?“ wagte der Quantenphysiker Erwin Schrödinger in den 1940er-Jahren einen Ausritt in die Biologie. Er regte damit die Entdeckung der Doppelhelix an und kann damit als Urgroßvater des Genome-Editing angesehen werden.

TANJA TRAXLER

Der damals 18-jährige Student James Watson (links) stieß 1946 in der „New York Times Book Review“ auf ein Buch von Erwin S chrödinger (rechts), das ihn nachhaltig be- eindruckte. Jahrelang suchte er nach den Antworten auf die F ragen, die darin a ufgeworfen wurden – 1953 entdeckte er schließlich mit Francis Crick (Mitte) die D oppelhelix. Fotos: Picturedesk / Science Photo Library, Erwin-Schrödinger-Institut Library, Photo Science / Picturedesk Fotos:

öllig klar: Alle Chemiker ner- lich in der Quantenphysik liegen, hat einen bana- Schrödinger bei der Annäherung an dieses The- ven, die sagen, dass alles Leben leren Grund: Es war der Quantenphysiker Erwin ma an den Tage legte, ließ ihn quasi nebenbei zur Chemie ist, genauso wie Psy- Schrödinger, der der Molekularbiologie mit Spekulation hinreißen, dass es so etwas wie einen chologen, die sich darauf beru- einem schmalen Büchlein zu einem zentralen genetischen Code geben könnte, der als physika- Vfen, dass es zur Beantwortung Erfolg verhalf und damit auch den Weg für die lische Struktur fassbar sein sollte. Schrödinger gleich welcher Frage der Psy- Genschere ebnete. schwebte dabei eine bestimmte Art von Kristal- chologie bedarf. Dennoch kommt eine Physike- Schrödinger, geboren 1887 in Wien, war zu len vor, die es noch zu entdecken gelte. rin, wenn es um die „Genschere“ geht, nicht einer Zeit in der Wissenschaft tätig, als es sich Im Mai 1946 wurde das Buch in der New York umhin, Folgendes klarzustellen: Genome-Edi - Physiker noch erlauben durften, über die engen Times Book Review diskutiert, wodurch auch ein ting ist eine Erfindung der Quantenphysik! Grenzen ihres Fachgebiets hinauszublicken. 18-jähriger Student darauf aufmerksam wurde. Doch weder hat das damit zu tun, dass man Der Held unserer Geschichte kam dem etwa Die Lektüre sollte ihn derart beeindrucken, dass sich bei der gezielten Veränderung von Erbgut nach, indem er unter dem Titel Meine Weltan- er jahrelang nach einer Antwort auf die Frage nicht selten zwischen Leben und Tod befindet – sicht eine bestens informierte Analyse indischer suchte, die Schrödinger in seinem Buch aufwarf. eine Parallele, die Genome-Editing mit Schrö- heiliger Schriften publizierte oder – und nun nä- Sieben Jahre später entdeckte James Watson ge- dingers Katze aufweist –, noch damit, dass beide hern wir uns Genome-Editing mit Riesenschrit- meinsam mit Francis Crick schließlich die Struk- Forschungsfelder uralte Träume der Mensch- ten – unter der Frage Was ist Leben? einen Exkurs tur der DNA – die berühmte Doppelhelix. heit teilen – im Falle von Genome-Editing geht es über die Grundlagen des Lebens unternahm. Wenn also Emmanuelle Charpentier, Jenni- um die Perfektion des Menschen, die Quanten- Freilich darf man von dem 160-Seiten-Bänd- fer Doudna und andere heute mit der Genschere physik dagegen verspricht Erkenntnisse dar- chen aus dem Jahr 1944 nicht erwarten, dass hantieren, sind sie damit schlicht dem Weg ge- über, was die Welt im Innersten zusammenhält. es letztlich und umfassend aufklärte, was Leben folgt, den Schrödingers spekulativer Ausritt in Warum die Ursprünge von Genome-Editing letzt- ist. Doch der physikalische Hausverstand, den die Biologie vorbereitet hat.

41 MAGAZIN FORSCHUNG Genome-Editing an Menschen u

RechtlicheVorgabenfür Genome-Editin an menschlichen Embryonen

Bei der Anwendung vonGenome-Editing an Mensch undPflanzen: Wo waserlaub Fotos: Corn, Getty / Science Photo Library / Laguna Design machen“ das „V die nach zehn Jahren in London nach Wien zurückkehrt, Wien nach London in Jahren zehn nach die international renommierte Expertin für bioethische und bioethische für Expertin renommierte international werden Die Politikwissenschafterin Die über Unterschiede der Bioethikdebatte in England und England in Bioethikdebatte der Unterschiede über biopolitische Fragen. Ein Gespräch mit der Forscherin, der mit Gespräch Ein Fragen. biopolitische iele Leute Leute iele Österreich, Chancen und Risiken von CRISPR/Cas9 von Risiken und Chancen Österreich, und die Probleme privater Genomdatenbanken. privater Probleme die und INTERVIEW: DAS OPTIMIERTE LEBEN FORSCHUNG K MAGAZIN LAUS

44

Barbara Prainsack i Barbara

TA SCHWER st eine st DAS OPTIMIERTE LEBEN

Sie haben mehr als zehn Jahre lang als Sozial- SiesindMitgliedderösterreichischenBioethik- wissenschafterin und Bioethikexpertin in Lon- kommission. Was sind die größten Unterschie- don geforscht und kehren nun nach Wien zu- Diese Computerillustration de zu britischen Kommissionen wie der Ethik- rück. In Großbritannien hat man eine deutlich zeigt die molekulare kommissiondernationalenforensischenDNA- liberalere Haltung etwa hinsichtlich des Ein- Struktur d Datenbank, für die Sie auch tätig sind? satzesderCRISPR/Cas9-MethodealsinÖster- Prainsack: In Großbritannien gibt es nicht die reich. Woran liegt das? eine Bioethikkommission wieinÖsterreich. Das Prainsack: Die Unterschiede beginnen bereits Nuffield Council on Bioethics kommt dieser beim Denken in diesen beiden Kategorien libe- noch am nächsten, ist aber keine staatliche Or- ral versus konservativ. Der britischen Selbst- ganisation. Man muss sich dort auch bewerben, wahrnehmung entspricht das im wissenschaftli- um Mitglied zu werden. Das ist stark meritokra- chenKontextnämlichgarnicht.Esgibtinderbri- tisch organisiert und weniger nach Fachberei- tischenWissenschafteinesehrlangeempirische chen. Deshalb sind im Nuffield Council auch re- Tradition, die Auswirkungen darauf hat, wie lativvieleGeistes-undSozialwissenschafterver- man mit wissenschaftlicher, medizinischer und treten. Was dort zählt, ist allein die inhaltliche technologischer Innovation umgeht: nämlich Expertise. mit viel Pragmatismus. In Großbritannien hat man im Vorjahr ent- WiezeigtsichdasindenöffentlichenDebatten? schieden, dass eine Forscherin des neuen Fran- Prainsack: Zum einen gibt es in Großbritannien cis Crick Institute mittels CRISPR/Cas9 ge- mehr und breitere öffentliche Diskussionen zu zielt DNA-Sequenzen menschlicher Embryo- diesen Themen, zum anderen werden diese De- nen verändern darf. Wie hat man diese Ent- batten einfach viel pragmatischer geführt. Man scheidung kommentiert? fragt sich meist, wie man etwas sinnvoll anwen- Prainsack:DieseEntscheidungwirdzwarvonei- denkönnteundwelcheFolgendasfürdieGesell- nigen Leuten als problematisch angesehen – schafthat.ImdeutschsprachigenFeuilletonhin- aber mehrheitlich verweist man darauf, dass die gegen geht man eher von Prinzipienfragen aus Genehmigung ja nur zu Forschungszwecken wie: „Darf man Gott spielen?“ ausgesprochen wurde und es nicht darum geht, die Embryonen in den Uterus einer Frau zu im- Apropos: Welche Rolle spielen die Religion und plantieren. Man vertraut darauf, dass die Zulas- die Kirche in den britischen Debatten? sung allein Forschungen dient, die im konkreten Prainsack: Es gibt jedenfalls keine vergleichbar Fall die Erfolge bei der künstlichen Befruchtung starke katholische Tradition und keine einfluss- erhöhen sollen. Und das wird von den meisten reichekatholisch-theologischeBioethik,dieden als ein legitimes Ziel gesehen. Embryoalsabsolutunantastbarerachtet.Natür- lich gibt es immer wieder auch religiöse Argu- Etwas genereller gefragt: Wie regulierbar sind mente von Gruppierungen, die versuchen, Ein- Eingriffe durch CRISPR/Cas9 überhaupt? fluss zu nehmen, aber im Unterschied zu Öster- Prainsack: Gute Frage. Das Problem bei den reich sind Theologen weniger stark in den briti- neuen Möglichkeiten des Genome-Editing ist ja schen Kommissionen vertreten. Zuletzt hat sich gerade, dass es so niedrigschwellig ist. Sprich: ein Experte in so einem Gremium immer wieder Relativ viele Leute werden das machen können. aufdieBibelbezogen.Daswirdgarnichtgernge- EinKollegevonmir,ChristophBock,hatdeshalb sehen und gilt als unpassend. die Risiken, die von CRISPR/Cas9 ausgehen →

Universität für Bodenkultur Wien University of Natural Resources and Life Sciences, Vienna

FORSCHUNG UND LEHRE FÜR DIE GESELLSCHAFT

45 MAGAZIAZ N FORSCHCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

→ könnten, mit der Gefahr durch Computerviren chen. Wie sieht es damit im Bereich der „grünen verglichen, was meines Erachtens keine Gentechnik“ aus? schlechte Analogie ist: Computerviren zu schrei- Prainsack: Für viele Menschen sind die Anwen- ben und in Umlauf zu bringen ist verboten. Aber dungen in der Humanbiologie natürlich sehr einige Leute können und machen es trotzdem. wichtig. Aber wenn man beginnt, die Ökosyste- me und das Klima etwa mit durch CRISPR mani- Das klingt jetzt nicht allzu optimistisch. pulierte Organismen zu verändern, dann kann Prainsack: Umso wichtiger sind öffentliche Dis- das schwerwiegende Folgen haben: für die Um- kussionen, warum man das nicht machen soll, welt und – beispielsweise über die Nahrungsket- um sich von vornherein möglicher Folgen be- te – dann doch auch wieder für die menschliche wusst zu sein. Man wird aber auch sehr viel stär- Biologie. Wenn man diese Risiken eindämmen ker im Auge haben müssen, was außerhalb der will, müsste man der Freisetzung von Organis- Universitäten und öffentlichen Forschungsein- men, die mit CRISPR/Cas9 verändert wurden, richtungen passieren könnte: Ein großes Pro- möglichst Einhalt gebieten. blem sind sicher Anwendungen im militärischen Bereich und natürlich im Zusammenhang mit Das heißt, Sie wären dafür, Genome-Editing im Bioterrorismus. landwirtschaftlichen Bereich so zu regulieren wie die bisherigen gentechnischen Verfahren? Sehen wir einmal von den missbräuchlichen Prainsack: Nicht unbedingt. Im Unterschied zu Anwendungen ab: Wo könnte denn CRISPR/ vielen anderen gentechnischen Verfahren fügt Cas9 in Sachen Humanbiologie etwas zum man dem Organismus durch Genome-Editing ja B esseren verändern? keine fremde DNA hinzu. Wir sollten alle mögli- Prainsack: Einige meiner Studierenden und Kol- chen Risiken offen diskutieren, diese aber bis zu legen in London argumentieren, dass wir gleich- einem bestimmten Maß in Kauf nehmen. Ich sam eine Pflicht hätten, diese Technologie anzu- glaube, dass Genome-Editing in der Landwirt- wenden. Denn dadurch könnten unsere Kinder schaft insgesamt sehr viele positive Effekte ha- nicht nur gesünder, sondern auch intelligenter ben wird. Ein gefächerter Zugang, der für Le- und glücklicher werden. Mit anderen Worten: bensmittel strengere Regeln vorsieht als für an- Könnte man womöglich ein individuelles und dere Produkte – wie zum Beispiel Wolle –, wäre kollektives Recht ableiten, von diesem wissen- meiner Meinung nach der richtige Weg. schaftlichen Fortschritt zu profitieren? Auch geht es manchen Ethikern im Zusammenhang Sie haben sich in Ihren Forschungen auch inten- mit CRISPR/Cas9 weniger um die Frage Keim- siv mit Biobanken befasst, die für eine andere, bahn oder Nichtkeimbahn, sondern um die Fra- von der Technologie angetriebene Innovation ge Wiederherstellung oder Neuerfindung. in der Biomedizin stehen. Sehen Sie bei solchen Anbietern von Gentests Probleme? Können Sie dafür ein Beispiel nennen? Prainsack: Eine der größten Firmen ist das kali- Prainsack: Wenn es bei einer Person oder in einer fornische Unternehmen 23andMe, das von Anne Familie zu einer Mutation kommt, dann könnte Wojcicki mitgegründet wurde, der Ex-Frau von diese Mutation künftig per Genome-Editing ent- Google-Gründer Sergey Brin. Diese Firma hat fernt und damit der ursprüngliche Zustand wie- mehr als zwei Millionen analysierte Genome in derhergestellt werden. Das wäre etwas anderes, ihrer Datenbank. Damit verfügt 23andMe auch als etwa ein neues mutiertes Gen einzubauen, im über eine der größten DNA-Datenbanken welt- Sinne einer Neuerfindung. Das würde freilich weit. Da muss man sich schon fragen, warum einen völligen Paradigmenwechsel bedeuten: eine private Firma, die noch dazu immer noch Dadurch würde sich die ethisch-politische Dis- eng mit Google verbunden ist, über so viele kussion zum Thema CRISPR/Cas9 von der Daten verfügen kann. Und als private Firma ist D iskussion um die Em b ryonen lösen. 23andMe auch nicht rechenschaftspflichtig gegenüber demokratisch legitimierten Institu- In China scheint man diesbezüglich noch libe- tionen, obwohl sie öffentliche Gelder erhält. raler zu sein als in Großbritannien. Prainsack: Dieses Argument der genetischen Was wäre die Alternative? Verbesserung wird in China und anderen Welt- Prainsack: Bessere Genomdatenbanken in öf- regionen jedenfalls sehr viel bedenkenloser ver- fentlichem Eigentum. Bei den meisten privaten wendet als bei uns. Das hat sicher auch damit zu Barbara Prainsack (41) studierte Politik - Biobanken verliert man die Rechte auf die eige- tun, dass es dort keine Verstrickungen von Gene- wissenschaft in Wien und forscht seit mehr als nen Daten und damit das Mitspracherecht, was tikern und Medizinern in den organisierten Mas- zehn Jahren in England. Zurzeit ist sie Professo- mit ihnen geschieht. Wenn ich mein Genom senmord gibt wie im nationalsozialistischen rin für Soziologie am King’s College in London, etwa bei 23andMe analysieren lasse, helfe ich bei Deutschland. Es würde vielen Leuten gar nicht in ab Herbst wird sie Professorin für Politikwissen- der Wertschöpfung dieser Firma und muss auch den Sinn kommen, das als eugenische Entschei- schaft an der Uni Wien. Prainsack ist Mitglied der noch dafür bezahlen. Insofern macht man viel- dung zu sehen, sondern als eine, die man aus Sor- Ethikkommission für neue Technologien, welche leicht lieber bei einer öffentlich geförderten Bio- ge um das Wohl des Kindes trifft – nicht viel an- die Europäische Kommission berät. Das bislang bank mit, die keine kommerziellen Interessen ders als die Wahl einer möglichst guten Schule. letzte Buch der Autorin von mehr als 60 fach - verfolgt und deren Daten auch anderen zugute- begutachteten Artikeln ist die Studie Das Solida- kommen. Das „100.000 Genomes“-Projekt Wir haben bis jetzt über die Anwendungen von ritätsprinzip (mit A. Buyx), im Herbst erscheint oder die „All of Us“-Initiative in den Vereinigten CRISPR im biomedizinischen Bereich gespro- ihr neues Buch über personalisierte Medizin. Staaten sind positive Beispiele.

46 MAGAZIN FORSCHUNG Die Fachhochschule St.Pölten entwickelttechnische Assistenzsysteme für das digitale Gesundheitswesen der Zukunft –von Apps für die Reanimation bis zu intelligenten Sohlen.

Informations- und Kommunikati- beim Gehen hörbar machen und Leiter des Departments Gesund- Behandlungsqualität begegnen onstechnologie spieltimGesund- in der Rehabilitation unterstützen, heit der FH St.Pölten. zu können. Die Verbindung von heitswesen eine immer größere oder verbessern die Analyse patientinnen- und patienten- Rolle.Die FH St.Pölten hat daher undVisualisierung vonGesund- zentriertem Gesundheitswissen in den letzten Jahreninnovative heitsdaten, um Therapeuten und mit Technologien eröffnet neue Forschung an der Schnittstelle Therapeutinnen in ihrer Diag- Studierende des Studiums Digital Anwendungsfelder“,sagt Jakob vonGesundheit und Technik noseerstellung zu unterstützen. Healthcare bauen interaktiveInfor- Doppler,Leiter des Studiengangs aufgebaut. „Forscherinnen und Ansätze wie patientenzentriertes mationssysteme für Patientinnen Digital Healthcare. Forscher an unserer FH entwi- Design gehören zu den neuen und Patienten, um diesen die Angst ckeln unter anderem intelligente Innovationstreibern im Gesund- vor einer Strahlentherapie zu WeitereInfos: Schuhsohlen, die Fehlbelastungen heitswesen“,sagt Jürgen Pripfl, nehmen, oder entwerfen Apps, die carma.fhstp.ac.at Menschen bei der Reanimation und Ersten Hilfe anleiten. Ein Student entwickeltinKooperation mit dem Universitätsklinikum St.Pölten VERANSTALTUNG eine Schmerzdokumentations- App, ein anderer schreibt seine Masterarbeit am St.Anna Kinder- spital zu Datenaufbereitung und -visualisierung zur Regenerations- phase nach dem Übertragen von Stammzellen. „Interdisziplinäre Forschung in Digital Healthcare ist

ARTIN LIFKA eine Grundvoraussetzung, um den

:M Herausforderungen im Gesund- TO buildwellbeing.fhstp.ac.at

FO heitswesen bei zunehmendem Informationstechnologie istimGesundheitswesen nicht mehr wegzudenken. Kostendruck und gleichbleibender

Das Josef Ressel das Zentrum um ein neues For- Neuer Partner istzudem die das Zentrum vomBundesministe- schungsmodul erweitertund der Firma CyberTrap, eine Ausgrün- rium für Wissenschaft, Forschung Zentrumder FH Umfang der existierenden Module dung des bisherigen Partners und Wirtschaft (BMWFW) sowie St.Pölten für wird ausgebaut. Das Budget für die SECConsult Unternehmens- den Firmenpartnern. fünfjährige Laufzeit des Zentrums beratung GmbH. Dritter Firmen- die konsolidierte steigt damit vonca. 1,3 Millionen partner istdie IKARUS Security Weitere Infos: Erkennung auf ca. 1,8 Millionen Euro. Software GmbH. Finanziertwird www.jrz-target.at gezielter Angriffe im IT-Bereich auf Dasneue Forschungsmodul, das vonder Wiener SBAResearch FORSCHUNG AN DER Unternehmen als externem Partner zusammen FH ST.PÖLTEN mit dem Softwareunternehmen (TARGET) wird LG Nexera bearbeitetwird, erweitert. untersucht sogenannte Contai- nervirtualisierungen, eine Technik Das Josef Ressel Zentrumfür der IT-Branche, bei der auf einem konsolidierte Erkennung gezielter physischen Serverund Betriebs- Angriffe (TARGET) der FH St. system mehrere Serverdienste Pölten erforscht seit 2015 die Si- parallel laufen. „Mit dem neuen cherheit bei gezielten IT-Attacken Modul erforschen wir,wie man gegen Unternehmen. Mit nach- sicherheitsrelevante Dienste mit

gestellten Angriffen auf Server Hilfe vonressourcenschonenden ARTIN LIFKA entwickeln Forscher Verfahren, Containern betreiben kann“,sagt :M TO mit denen in Zukunft Unternehmen Sebastian Schrittwieser,Leiter des FO www.fhstp.ac.at/forschung geschützt werden sollen. Nun wird Zentrums an der FH St.Pölten. FH St.Pölten

ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN Maßgeschneiderte Gene für das Tierreich

Die Methoden von Genome-Editing können nicht nur dazu genutzt werden, Kühe ohne Hörner zu züchten oder ausgestorbene Arten wieder zum Leben zu erwecken. Genetisch designte Tiere könnten auch für medizinische Zwecke herangezogen werden. So manche theoretisch mögliche Manipulation ist in der Praxis aber höchst umstritten. Ein Überblick.

TEXT: TANJA TRAXLER

Kühe ohne Hörner Millionen von Kühen werden weltweit jährlich in einer schmerzvollen Prozedur enthornt. Der Hintergrund: Kühe mit Hörnern müssen einen größeren Abstand zueinander halten und brauchen daher größere Ställe, ergo steigen die Kosten für den Rinderhalter. Das Unternehmen Recombinetics in Minnesota nahm diesen Umstand zum Anlass, eine genetische Modifikation bei Kühen zu entwickeln, wodurch diesen erst gar keine Hörner wachsen. Selbiges könnte auch durch konventionelle Zucht erreicht werden – wenn auch mit höherem Zeitaufwand.

Leuchtende Eier Malariafreie Stechmücken Da nur Hennen für die Eierindustrie Durch die Methode Gene-Drive kann die herangezogen werden können, ist es derzeit Ausbreitung von bestimmten Genen in einer Usus, den männlichen Hühnernachwuchs nach Population beschleunigt werden. Mit dieser dem Schlüpfen zu töten. Mittels Genome- Technik können etwa Stechmücken derart Editing konnten Forscher Hühner derart genetisch verändert werden, dass sie resistent manipulieren, dass die männlichen gegenüber einem Parasiten sind, der für die Embryonen in den Eiern leuchten, wenn sie Übertragung von Malaria verantwortlich ist. von UV-Licht angestrahlt werden. Diese Eier In ersten Labortests an der University of könnten künftig aussortiert und etwa für die California San Diego wurde die Resistenz an Impfstoffherstellung herangezogen werden – 99,5 Prozent des Nachwuchses vererbt. Fotos: Dpa / Horst Ossinger, Picturedesk / Science Photo Library / Pasieka / Library Photo Science / Picturedesk Ossinger, Horst / Dpa Fotos: so würden nur weibliche Küken schlüpfen.

48 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

Muskulöse Hunde Optimierte Haustiere Das Protein Myostatin stellt in Körpern von Genome-Editing kann auch dazu eingesetzt Tieren und Menschen sicher, dass Muskeln werden, Haustiere noch stärker an die nicht unkontrolliert wachsen. Mutationen Bedürfnisse ihrer Halter anzupassen: Forscher oder das Ausschalten dieses Gens können arbeiten nicht nur daran, die Gene von daher das Muskelwachstum steigern. Auf Hunden, Katzen oder Hamstern in Bezug auf natürlichem Weg gibt es so eine Mutation etwa ihr Aussehen, ihr Verhalten oder ihren beim niederländischen Texelschaf Körperbau zu analysieren, um sie oder bei der Rinderrasse Weißblauer Belgier. entsprechend zu modifizieren. Auch die unter Mittels Genome-Editing konnten Züchtern beliebte Karpfenart Koi soll mit dem Forscher bereits Schweine und Hunde neuen Werkzeug gezielt in Farbe und Muster zu Muskelpaketen machen – Erstere designt werden. Zudem entpuppte sich ein von könnten als effektive Zuchttiere dienen, chinesischen Forschern mit CRISPR Letztere als kräftige Begleiter für Polizisten gezüchtetes Minischwein, das umgerechnet für und Sicherheitskräfte. rund 1500 Euro erhältlich ist, als Verkaufsschlager. Kranke Affen Nicht alle Eingriffe von Genome-Editing an Ausgestorbene Mammuts Tieren sind deren Gesundheitszustand Menschen haben vielfach zur Ausrottung zuträglich. Als Modellorganismen für anderer Arten beigetragen. Durch CRISPR und medizinische Studien werden etwa Co haben Forscher nun aber die Werkzeuge in verschiedene Affenarten von Forschern gezielt der Hand, mit denen möglicherweise das krankgemacht. Dabei reichen die Gegenteil erreicht werden kann: Krankheitsbilder von Immunschwäche, ausgestorbene Arten wieder zum Leben zu Adipositas, Krebs, Muskeldystrophie erwecken. So arbeiten Wissenschafter der Duchenne bis hin zu neuronalen Störungen – Harvard University derzeit daran, das Elefan- alles zum Wohle der Menschen, die an solchen tenerbgut derart zu verändern, um dadurch Krankheiten leiden, was das Leid der Affen Wollhaarmammuts zu erschaffen – oder freilich nicht schmälert. zumindest kälteresistente Elefanten.

Schweine als Bioreaktoren Einhörner und andere Fabelwesen Ein weiteres Anwendungsfeld der medizi- Wenn CRISPR dazu verwendet werden kann, nischen Forschung sind genetisch Kühe derart zu manipulieren, dass ihnen keine veränderte Schweine. Indem diese Hörner wachsen, wäre es dann nicht auch genetisch „humanisiert“ werden, könnten sie möglich, in das Erbgut von Pferden künftig gewissermaßen als Bioreaktoren entsprechend einzugreifen, damit ihnen ein herangezogen werden, in denen etwa Horn wächst? Laut der Molekularbiologin und menschliche Proteine für therapeutische CRISPR-Pionierin Jennifer Doudna ist das Zwecke produziert werden könnten, deren keine vollkommen abwegige Vorstellung. Synthese im Reagenzglas zu komplex wäre. Sie verweist auf Experimente an der Berkeley Erste Zulassungsverfahren laufen bereits. University, in denen an Krebstieren bizarre Manche Mediziner wollen sogar noch genetische Veränderungen vorgenommen weitergehen und die vermenschlichten wurden – etwa Krallen, die zu Beinen umfunk- Schweine zur Quelle für Organe tioniert wurden. Nach selbigem Schema machen – Wartelisten könnten auch allerlei Fabelwesen kreiert für Spendero rgane könnten werden – wenn auch mit großem

Fotos: Getty Fotos: dann der Vergangenheit Aufwand. angehören.

49 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN Der Mann im Hintergrund

An den zentralen Arbeiten zur „Genschere“ war auch ein junger Dissertant beteiligt: Krzysztof Chylinski. Er arbeitet nun in den Vienna Biocenter Core Facilities, um anderen Laboren dieses Werkzeug bereitzustellen. Ein gewollter Schritt in die zweite Reihe der öffentlichen Wahrnehmung.

PORTRÄT: PETER ILLETSCHKO

it der Popularität in der Forschung ist das so eine Sache. Einerseits will ja j eder Wissenschafter An- Merkennung für seine Arbeit, andererseits kann die Öffentlichkeit so viel Zeit in Anspruch neh- men, dass weitere Forschungsarbeiten kaum möglich werden: Die Französin Emmanuelle Charpentier weiß ein Lied davon zu singen. Sie hat 2012 gemeinsam mit der amerikanischen Strukturbiologin Jennifer Doudna und ihren je- weiligen Teams die „Genschere“ CRISPR/Cas9 beschrieben. Nicht nur einmal sagte sie seither, die aktuell größte Herausforderung sei, neue Forschungen trotz vieler Interviews und Vor- träge nicht aus den Augen zu verlieren. Der Preis des Ruhms also. Wahrscheinlich ist Charpentier im Laufe nur weniger Jahre eines der aktuell bekanntesten Gesichter der Wissenschaft geworden. Diesen Weg ist ihr Dissertant aus jener Zeit an den Max

50 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

Der Pole Krzysztof Chylinski, eine zentrale Figur bei der E ntschlüsselung von CRISPR/Cas9 im Labor der V ienna Biocenter Core Facilities: Er ist in Wien geblieben, weil die L ebensqualität und Arbeits- bedingungen für ihn gut passen.

→ Foto: Heribert Corn Heribert Foto:

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→ Perutz Labs der Uni Wien, der Pole Krzysztof Die DNA (orange) kann vom Chylinski ist, das sagt er mehrmals deutlich, Chylinski aus Łódź, nicht gegangen. Die Chance CRISPR/Cas9-Komplex (türkis) „aus privaten Gründen“ in Wien geblieben und hätte er wohl gehabt, da er einer der beiden Wis- gezielt durchtrennt werden. betont, dass ihm die Stadt gefällt. Die Lebens- senschafter war, die entscheidende technische qualität sei sehr hoch, auch die Arbeitsbedingun- Arbeiten für die Studie durchführten. Der ande- gen im Biocenter ließen keine Wünsche offen. re: der tschechische Biochemiker Martin Jinek, „Warum sollte ich also weggehen?“, fragt er und damals Postdoc bei Doudna. Von ihm weiß man, macht deutlich, dass er von häufigen Ortswech- dass er mittlerweile eine Gruppe an der Uni Zü- seln nichts hält. „CRISPR ist entschlüsselt, ent- rich leitet. Doch was macht Krzysztof Chylinski? deckt und wird vielfach verwendet. Die Konkur- „Chris“, wie er genannt wird, ist mittlerweile renz ist groß. Da ist es besser, an der Weiterent- 33 Jahre alt geworden. Er finalisierte die Doktor- wicklung des Systems zu arbeiten.“ arbeit über RNA-bindende Proteine im Bakte- rium Streptococcus pyogenes. Betreuerinnen wa- „Superhappy“ im Interview ren Charpentier und Wittgenstein-Preisträgerin Chylinski wurde für die Entwicklungen am Renée Schroeder. Und er nahm 2014 eine Stelle CRISPR-System immerhin mit dem Bank Aus - an den Vienna Biocenter Core Facilities in tria Research Award, mit dem Award of Excel- W ien-Landstraße an. Der Hintergrund: Das lence, dem VBC PhD Award und dem Theodor- CRISPR/Cas9-System, das gerade zu einer Revo- Körner-Preis ausgezeichnet. Auf Charpentiers lution in der Wissenschaft führte, weil es schnel- Award-Liste stehen gut 25 Preise, unter anderem ler und effizienter als vergleichbare Methoden ist, der Louis-Jeantet- und der Breakthrough-Preis. sollte für Labore auf dem und außerhalb des Cam- Für den Nobelpreis gilt sie schon seit zwei Jahren pus produziert und angewandt werden – und zwar als Favoritin. Selbst wenn man dem Polen glau- von dem Mann, der es mitentschlüsselt hat. ben darf, dass Neid für ihn kein Thema sei: Chylin ski baute also in der Abteilung „Protein Manchmal könnte auch er ein wenig mehr An- Technologies“ von Peggy Stolt-Bergner eine Art erkennung vertragen, manchmal ist es ihm wohl Produktionsstätte für CRISPR auf. auch egal. In jedem Fall ist er „superhappy“, Mittlerweile werden seine Dienste und die wenn er über seine Forschungen sprechen kann seines Teams recht häufig angefragt. „Wir sind – soll heißen: nur über die Forschung. Die beiden gut beschäftigt.“ Die Forscher arbeiten regelmä- Haken in der sonst so geradlinigen CRISPR-Er- ßig mit etwa 50 Gruppen zusammen, sagt er im folgsgeschichte will er nicht bereden: Ob man an Interview. Da die Anforderungen an das zu lie- den Max Perutz Labs hätte erkennen müssen, fernde System von Fall zu Fall unterschiedlich welches Potenzial in den Forschungen von Em- sind, ist der Arbeitsalltag auch sehr varianten- manuelle Charpentier steckt – was kümmert es reich. Einige Kunden wünschen sich auch nur ihn? „Das sind alles Tratschgeschichten. Das hat Beratung, manche schicken Doktoratsstuden- nichts mit mir zu tun.“ Kein Gerücht ist, dass die ten, damit sie lernen, wie die Herstellung von Uni Wien dank Chylinskis damaliger Anbindung CRISPR funktioniert. Wieder andere geben die an die Perutz Labs auch am Streit um das gesamte Editierung in die Hände von Chylinski CRISPR-Patent zwischen Jennifer Doudna und und seinem Team. In jedem Fall arbeitet man Emmanuelle Charpentier auf der einen und dem hier mit Zellen, niemals am Tiermodell. Neurowissenschafter Feng Zhang vom Bostoner Broad Institute auf der anderen Seite beteiligt ist. Keine großen Worte Mehr kann Chylinski auch dazu nicht sagen. Ein Chylinski ist beim Beschreiben dieser Fak- allzu heikles Thema. „Bitte um Verständnis, da ten wahrlich kein Mann von großen Worten. Er müssten Sie mit den Patentanwälten sprechen.“ zeigt die Labors, erklärt freundlich, was wo pas- Wird er denn auch langfristig in Wien blei- siert, scheint sich aber auch zu wundern, warum ben? „Ich habe keine Ahnung, was kommen all das für Journalisten interessant sein kann: wird“, gibt Chylinski zur Antwort. „Vielleicht Das Arbeitsumfeld ist doch eigentlich ganz nor- wird es ja einmal eine Technologie geben, die mal, oder? Natürlich ist ihm bewusst, was er da CRISPR ablöst.“ Was aber mit Sicherheit so blei- mit CRISPR/Cas9 mitentwickelt hat, dass damit ben wird, ist seine Einstellung zu seiner Arbeit: ein defektes Gen aus der DNA schnell entfernt Chylinski ist, wie man so sagt, durch und durch werden kann. Die Fantasien der Öffentlichkeit Wissenschafter, obwohl er sich weit über die Ver- schlagen Kapriolen in Richtung Heilung von wendung der „Genschere“ hinausgehende Ge- Krankheiten, die bisher als unheilbar galten. Ob danken macht. Die Möglichkeit, sie zu nutzen, er bei den Forschungen von Charpentier und um Arten für immer zu verändern und möglicher- Doudna eine zentrale Rolle gespielt hat, will er weise auszurotten, bereite ihm Sorgen. Grund- dennoch nicht sagen. „Das müssen andere be- sätzlich bleibt er aber der faktenorientierte Prag- werten, ich war aber sicher ein Teil von dieser matiker: „Ich bin weder Bioethiker noch Philo- großen Geschichte.“ Konsequenterweise wirkt soph.“ Auch auf religiöse Anspielungen lässt sich er fast beschämt von Erzählungen, dass Wissen- der Wissenschafter nicht ein. Niemand von den schafter Formulierungen wie „Stolz, dass er im- Biologen, die CRISPR/Cas9 anwenden, würde mer noch hier arbeitet“ fallen lassen. Vielleicht Gott eines Irrtums überführen wollen. Aus seiner kommt da noch ein „Das ist sehr nett“ über Sicht seien das problematische Überlegungen, Doudnas seitenlange Lobeshymne auf seine und denn sie wären ein Bekenntnis zur Existenz Got- Martin Jineks Arbeit in ihrem Buch A Crack in tes. Deutlicher kann man den Zugang zur Wis- Creation (Rezension Seite 60) – mehr aber nicht. senschaft kaum machen. Foto: Picturedesk/Science Photo Library/ Alfred Pasieka Alfred Library/ Photo Picturedesk/Science Foto:

52 MAGAZIN FORSCHUNG „Organe aus dem Labor wären fantastisch“

Zellbiologe Jürgen Knoblich ist für Arbeiten mit Fruchtfliegen bekannt. Besonderes Aufsehen erregte er, als in seinem Labor die bahnbrechende Züchtung eines Hirnorganoids glückte. Nun spricht er über ethische Fragen seiner Forschung.

INTERVIEW: PETER ILLETSCHKO

Waren Sie überrascht, als 2013 der Versuch Ihrer damaligen Postdoktorandin Madeline Lancaster glückte, ein Gehirnorganoid zu ent- wickeln? Knoblich: Man muss ehrlicherweise sagen: Das war schon einer dieser Glücksmomente, wo ein- fach viel zusammengepasst hat. Da wir gewöhnt waren, mit der Fruchtfliege zu arbeiten, sind wir naiv an die Sache herangegangen. Wir kannten übliche Ansätze nicht, haben nicht genau nach- gelesen, was in der Richtung schon gemacht worden war – und haben es anders versucht, wes- halb es wohl auch besser funktionierte.

→ Foto: Heribert Corn Heribert Foto:

53 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

Beim Genome–Editing-Verfah- → Wie reagieren Sie auf eventuelle Sorgen der Öf- ren nutzt das Cas9-Protein steht manches einfach nicht. Wenn man es glo- fentlichkeit, hier könnte eine Art menschlicher (weiß) eine Guide-RNA (pink), bal betrachtet, nimmt die Politik die Wissen- Bioreaktor laufen? um eine DNA-Sequenz (grün) schaft nicht so wichtig, aber zum Glück gibt es Knoblich: Ich finde es schade, wenn in unserem zu schneiden. Wissenschafter, die den Mund aufmachen. Und Kulturkreis, in Deutschland übrigens genauso zum Glück gibt es Schüler. Die sind sehr positiv wie in Österreich, zuerst an die potenziellen gegenüber der Wissenschaft eingestellt und wol- Probleme gedacht wird. Das ist die Reaktion, len genau wissen, wie man die Welt vielleicht ein wenn jemand etwas vollkommen Neues macht. Stück weit besser machen kann. Wenn man so über das Auto als Erfindung den- ken würde, dann hätte man es schon längst ver- Ist die Öffentlichkeit mit der Schnelligkeit der bieten müssen. Jedes Jahr sterben tausende Technologieentwicklungen überfordert, oder Menschen im Straßenverkehr. Man muss zuerst wird es ihr nicht gut erklärt? einmal sehen, welche einmaligen Chancen wir Knoblich: In der Öffentlichkeit besteht große damit haben. Wir können Krankheiten auf mole- Angst vor der ferneren Zukunft. Es gibt ja Tech- kularbiologischer Basis studieren und damit nologien wie CRISPR/Cas9, die wir in den Orga- auch besser verstehen – womit diese Arbeit eine noiden verwenden, um Gene aus- oder einzu- hohe gesellschaftliche Relevanz hat. Ich habe schalten. CRISPR ermöglicht Dinge sehr schnell mich aber auf die Interaktionen mit der Öffent- und effizient, die wir jetzt ethisch noch nicht be- lichkeit und den Medien vorbereitet, versuche, werten können. Wenn es gelänge, Menschen Befürchtungen ernst zu nehmen, zu verstehen g enetisch zu verändern, wäre das schon ein und auszuräumen. Ein bisschen bin ich stolz, Dammbruch. Das machen wir hier am Institut dass von den gut tausend Berichten über unsere nicht, haben es auch sicher nicht vor. Ich glaube Arbeit damals nur ein einziger negativ war. auch nicht, dass das in den nächsten zehn Jahren passieren wird. Aber es könnte in ferner Zukunft Warum ist diese von Ihnen beschriebene Skep- passieren, und da muss man sich jetzt Gedanken sis ausgerechnet in Deutschland und Österreich machen. Eine Diskussion darüber ist also gut so stark ausgeprägt? und nützlich. Von der deutschen Akademie der Knoblich: Wahrscheinlich ist in den Kulturen Wissenschaften gab es Richtlinien, in den USA beider Länder eine Skepsis gegenüber Verspre- hat die National Academy Richtlinien veröffent- chungen tief verwurzelt. Es hat mit einer Angst licht, die Wissenschaftern ein Rahmenwerk zur vor Genetik, vor Menschenoptimierungen zu Verfügung stellen, wodurch sie sehen können, tun. Jedes Weltuntergangsszenario, Fantasien, was die Gesellschaft toleriert. wir würden Gehirne bauen, die dann autonom Entscheidungen treffen, würde ich aber ent- Was sind die ethischen Probleme bei CRISPR/ schieden zurückweisen, weil wir mit den Hirnor- Cas9? ganoiden weder irgendetwas versprechen noch Knoblich: Die zentrale Frage ist, ob und, wenn ja, Menschen optimieren wollen. Das dient aus- wie man Lebewesen genetisch verändern kann. schließlich der Forschung – um zum Beispiel die Es ist durch CRISPR möglich, dass wirklich alle molekularbiologischen Vorgänge hinter der Epi- Nachkommen dieser Lebewesen diese Verände- lepsie besser zu verstehen. So konnte man diese rungen in sich tragen. Das nennt man Gene - Erkrankung noch nie studieren. Ich muss auch Drive. Technisch ist das möglich, wird auch sagen: Selbst wenn es Wissenschafter gäbe, die unter enormen Sicherheitsvorkehrungen ver- damit Allmachtsfantasien verfolgen, was ich so suchsweise gemacht, die Frage ist, ob man das gut wie ausschließen möchte: Jedes Experiment will – und welche Folgen das auf das Ökosystem dieser Art muss nach strengen Richtlinien vor - haben kann. Ein Beispiel: Wir würden niemals bereitet und durchgeführt werden. Man braucht alle Gelsen so verändern, dass sie uns nicht mehr die Zustimmung von Patienten, die Zellen für die stechen. Da wäre uns das Umweltrisiko zu groß. Forschung spenden, man muss es ihnen erklä- Würden wir aber in einem Land leben, in dem ren, und man muss es ihnen gut erklären. Das j edes Jahr tausend Kinder an Malaria sterben, kontrolliert eine Ethikkommission, die nicht nur würden wir vielleicht anders darüber denken. aus Wissenschaftern, sondern auch aus Theolo- Das kann kein Staat für sich allein regeln, da gen und Laien besteht. braucht man Regeln für die ganze Welt. Und da- mit ist noch nicht einmal die größte bioethische Ist Österreich ein besonderer Fall von Zukunfts- Frage aufgeworfen: Darf man mit CRISPR in das vergessenheit? menschliche Erbgut eingreifen? Knoblich: Es ist schon so, dass die Wissenschaft hierzulande, solange sie kein Geld bringt, nicht Wie denken Sie darüber? unbedingt oben auf der Agenda steht – das halte Knoblich: Ich sehe kurzfristig keine Notwendig- ich für problematisch. Der Trend ist auch in den keit dafür. Es gibt Erbkrankheiten, die man nur USA, in Frankreich und England spürbar. Über- so behandeln könnte, es sind aber sehr wenige – all wird gekürzt. Hier wird noch nicht gekürzt, und wir sind uns derzeit über potenzielle Neben- aber im Vergleich zu den Anforderungen viel zu wirkungen und die gleichzeitig möglichen schäd- wenig erhöht. Man denkt kurzfristiger und ver- lichen Mutationen nicht im Klaren. Wenn wir Fotos: Picturedesk/ Science Photo Library/ Molekuul Library/ Photo Science Picturedesk/ Fotos:

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aberandieWeltin50Jahrendenken,dannistdas artigeUnternehmen.Mankannihnenverbieten, anders. Dann möchte ich meine Kritik an der Bauern in ein Abhängigkeitsverhältnis zu brin- zentraleuropäischen Einstellung, besser alles so gen. Leider könnte eine solche Vermischung zu belassen, wie es ist, wiederholen: Diese Ein- wieder passieren. Die Leute könnten sagen: Kei- stellungistfalsch,denndieMenschheit,dieErde ne Organe aus Stammzellen, da verdienen nur verändernsich.DieBevölkerungwächst,gleich- die Pharmafirmen. Und deswegen wollen wir zeitig ist die Zahl der Kinder in den vergangenen kein funktionsfähiges Organ, das wir zum Über- zehn Jahren konstant geblieben. Die Gesell- leben brauchen? Die Pharmafirmen brauchen schaft wird älter. Man weiß, dass Krankheiten Regeln, stimmt. Aber deswegen sollte man die wie Alzheimer und Parkinson im Jahr 2050 so Technologie nicht verteufeln. viel kosten, dass sie jedes Gesundheitssystem kaputtmachen werden. Wir brauchen für die Die Nutzung embryonaler Stammzellen ist Probleme, die auf uns zukommen, vielleicht ein- strengen Gesetzen unterworfen. Können Sie mal bahnbrechende Lösungen.Ich lehne heute das als Wissenschafter gut nachvollziehen? diegenetischeVeränderungeinesMenschenab, Knoblich: Natürlich. In hauptsächlich katholi- aberichkönntemirvorstellen,dassmeineEnkel schen Ländern wie Österreich habe ich dafür einmal anders denken werden. auch großes Verständnis. Wir müssen die Stammzellendahereinführen,hierselbstdürfen Gibt es auch relevante ethische Bedenken beim keine produziert werden. Ich glaube aber, dass Thema Organzüchtung? die Diskussion relativ abgeflaut ist. Und die Ein- Knoblich: Organzüchtungen, wie wir sie für For- stellung der Menschen gegen die Nutzung von schungszwecke im Ansatz testen, sind ethisch embryonalen Stammzellen wird vielleicht bald selbstverständlich anders zu bewerten als nichtmehrsostrengsein.InSkandinavienundin CRISPR. Wenn wir irgendwann einmal dazu in den USA starten klinische Versuche mit embry- der Lage sind, fertige Nieren im Labor zu züch- onalen Stammzellen bei Parkinson-Patienten. ten, dann wäre das ein riesengroßer Durch- In Japan macht man es mit induzierten pluri- bruch. Das wäre ganz fantastisch für viele Leute, potenten Stammzellen, das sind Haut- und Blut- die dringend auf ein Spenderorgan warten und zellen, die man in den Urzustand zurückführen dabei verzweifeln. Komplette Organe im Labor kann.WenndasklapptunddieMenschensehen, zu machen ist ja noch nicht möglich. Nur für die dass damit jene Nervenzellen erneuert werden Haut geht das. Eine Leber oder eine Niere ist zu können,diebeiParkinsonzerstörtwerden,dann komplex in der Dreidimensionalität, da sind die sollte sich doch einiges im Umgang mit der Fra- Wissenschafter noch ein großes Stück entfernt. ge ändern. Ich glaube nicht, dass man die Nut- Es werden oft auf einer anderen Ebene Dinge JÜRGEN KNOBLICH (53) aus Memmingen in zung solcher Stammzellen für die Forschung miteinander verknüpft, die nicht zusammenge- Deutschland arbeitet seit 2004 am Institut für dann noch ernsthaft ablehnen kann. Wenn man hören. Das Wirtschaftsgebaren von Firmen wie Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Akade- esdennochmacht,solltemanaberehrlicherwei- Monsanto, die sicherlich Dinge gemacht haben, mie der Wissenschaften (ÖAW), seit 2005 ist er se auch die Therapie im Krankheitsfall nicht an- die moralisch nicht in Ordnung waren, wird mit dort stellvertretender Direktor. Er studierte in wenden. Es ist ja jedem freigestellt zu sagen: der von der Firma angewandten Technologie Tübingen und London Biochemie, an der Uni- Nein,ichwillmichnichtmitdiesenStammzellen vermischt. Man muss Regeln aufstellen für der- versity of California war er Postdoc. behandeln lassen.

Forschung auf internationalem Niveau

Die JOANNEUM RESEARCHForschungsgesellschaft mbH entwickelt Lösungenund Technologien fürWirtschaft und Industrie in einembreiten Branchenspektrum und betreibt Spitzenforschung auf internationalem Niveau. Die größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung Südösterreichsist spezialisiert auf dieSchlüsseltechnologien der Schwerpunkte MATERIALS,HEALTH, DIGITAL,POLICIES, ROBOTICSund LIFE. Mit den klügsten Köpfen stellen wir uns den Herausforderungen der Zeit und sind mit innovativen Antworten den Fragen der Wirtschaft und Gesellschaft weit voraus.

55 MAGAZIN FORSCHUNG „DAS OPTIMIERTE LEBEN Was, wenn Gott sich geirrt hat?

Ein Gastkommentar von Marc Elsberg

56 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

iesenbuchstaben an einer Wand „Um gentechnisch d agegen etwa Befürworter von Golden Rice den im Wintergarten des Instituts Anbaugegnern vor – die gentechnisch veränder- für Molekularbiologie veränderte Organismen te Sorte soll Vitamin-A-Mangel in Entwicklungs- (IMBA), eine Arbeit des Künst- entbrannte vielleicht gebieten beheben. Auf beiden Seiten werden Rlers Lukas Troberg, stellen diese die erste postfaktische Studien gefälscht oder falsch zitiert, Argumente provokante Frage: „What if God verdreht oder ignoriert, Inhalte auf Slogans und was wrong?“ Damit trifft sie für viele ins Herz Debatte überhaupt. Parolen reduziert. einer Diskussion, die seit Jahrzehnten so e r- Denn „Fake-News“ bittert wie wenige andere geführt wird. Pharisäerhafte Debatten Die Debatte um Gentechnik und gentech- werden sowohl von den Gern werden auch zwei Dinge (absichtlich?) nisch veränderte Organismen (GVOs) war viel- Befürwortern wie auch von miteinander vermengt oder gleichgesetzt, die leicht die erste „postfaktische“ überhaupt. Seit man auseinanderhalten müsste: Geschäftsprak- Jahrzehnten beflegeln sich Gegner und Befür- den Gegnern seit jeher ins tiken und (Gen-)Technologie. Konzernabhängi- worter höchst emotional mit übelsten Be- Treffen gebracht. ge Bauern sind nicht der Gentechnologie zuzu- schimpfungen und Unterstellungen, hantieren schreiben, sondern den Geschäftspraktiken mit „alternativen Fakten“ und „Fake-News“ – Dabei geht es auch um mancher Unternehmen – auch wenn diese unter lange vor Erfindung dieser Neusprechbegriffe das Verhältnis von Natur anderem mittels GVOs durchgesetzt werden. für Lügen. „Frankenfood“ oder „Gen-Scheiß“, und Kultur – und nicht Andererseits verdirbt laut Studien ein Drittel der brüllen die einen, „hunderttausendfachen Nahrungsmittel gerade in Entwicklungsländern Mord“, gar einen „stillen Holocaust“ werfen zuletzt um Gott.“ durch falsche Lagerung und Transport. Verbes- → Foto: Lukas Ilgner Lukas Foto:

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→ serungen bei diesen würden oft schon Nah- „Polemik“, werden nun manche rufen. Ge- rungsmittelsicherheit herstellen, da braucht es Mit der Guide-RNA(pink) meint sei, dass Gentechnologie keine natürliche nicht immer GVOs. kann die DNA (grün) mittels Entwicklung sei. Dass „natürliche“ Entwicklun- Dabei beschränkt sich diese hitzig geführte Cas9-Protein (weiß) gezielt gen in Zeitdimensionen verliefen, die „den Men- Debatte in unserer Öffentlichkeit im Wesentli- durchtrennt werden. schen“ oder „der Natur“ eine Anpassung erlau- chen auf Anwendungen in der Landwirtschaft. be usw. Der Ursprung dieser Argumentations- Und selbst da mit einer gewissen Pharisäerhaf- linien liegt wohl in einer Haltung, die a) „Natur“ tigkeit: Achtzig Prozent der weltweiten Baum- und „Kultur/Zivilisation“ (inklusive Technolo- wollernte stammen von gentechnisch veränder- gien) als Gegensatzpaare definiert und b) „Na- ten Pflanzen, also auch der Großteil der Klei- tur“ als grundsätzlich positiv sieht, während dung in unseren Geschäften. Die Verkaufszah- „Kultur“ die „Natur“ zu verderben drohe. Und len legen nahe, dass auch die meisten Gegner die c) befindet, dass „Natur“ keiner Entwicklung von Gentechnik in der Landwirtschaft eben- unterliege, sondern statisch sei, sich nicht irre diese gern an ihre Haut lassen, wenn sie schön und daher auch vom Menschen nicht verändert billig ist. Und weit weg. Gentechnik meinetwe- werden dürfe – da wird sie dann dem unfehlba- gen, but not in my backyard! Wobei mir anderer- ren Gott gleichgesetzt. seits jemand erklären muss, warum wir in Euro- Natürlich ändert sich „die Natur“ laufend, pas Überschuss produzierender Landwirtschaft gern sogar ausgesprochen sprunghaft und alles Gentechnik einsetzen sollten. Um noch mehr andere als immer menschen- oder lebens- Überproduktion gesponsert in Entwicklungslän- freundlich. Springflut, Erdbeben, Kometen? der zu exportieren und die dortigen Märkte zu Oder mal eben eine kleine Virenmutation, durch ruinieren? die der Erreger Menschen infizieren kann, und Eine Ursache für das Unbehagen vieler liegt schon bringt „die Natur“ Abermillionen ums Le- aber wohl tiefer, wie Trobergs Kunstwerk deut- ben, die leider nicht ausreichend Zeit zur Anpas- lich macht. Keine andere Technologie kann so sung hatten, mit Pest, Cholera, Pocken, Spani- unmittelbar in das eingreifen, was wir Leben und scher Grippe, HIV und anderem. Während die Natur nennen. Und sie kann es immer stärker. Kultur zum Beispiel mittels Hygiene, Medika- Das beunruhigt viele Menschen. Eigentlich ist es menten und Impfungen Millionen Menschenle- ja faszinierend: Gerade einmal zwei Dutzend ben rettet. Und trotz diverser desaströser Fehl- Bausteine (Nukleotide, Aminosäuren) bilden entwicklungen wie Asbest, DDT, Contergan die Grundlage für praktisch alles Leben auf die- oder Kernkraftkatastrophen, die in der Diskus- sem Planeten. Je nach genetischer Codierung sion gern als Beispiele für die Gefahren moder- schaffen sie eine Alge oder eine menschliche Ge- Marc Elsberg, geboren 1967 in Wien, heißt ner Technologien angeführt werden, leben dank hirnzelle. Leben als die Codierung von Materie eigentlich Marcus Rafelsberger. Mit dem der überwiegend hilfreichen Entwicklungen zu betrachten bedeutet für viele aber nicht zu- Schreiben begann er als Grafiker und Kreativ - heute Milliarden Menschen besser, länger und letzt eine tiefe Kränkung – ähnlich wie damals, direktor für Werbung in Wien und . gesünder als jeder König vor hundert Jahren als Kopernikus uns aus dem Mittelpunkt des Uni- Zwischenzeitlich war er auch als Kolumnist für (und einige Milliarden nach wie vor nicht – weil versums vertrieb oder Darwin uns zu Nachkom- den Standard tätig. Sein literarisches Debüt sie keinen oder zu wenig Zugang zu diesen mo- men von Affen machte. Und jetzt sollen wir erfolgte 2000 mit dem satirischen Roman dernen Entwicklungen und sozialen Errungen- plötzlich nicht mehr sein als elaborierte Lego- Saubermann. Den Durchbruch schaffte er mit schaften haben). steine, die man irgendwann nach Belieben zu- dem Thriller Blackout im Jahr 2012. Inzwischen Hier gälte es also zu hinterfragen, ob a) „Na- sammen- oder umbauen kann? sind sieben Bücher von ihm erschienen, zuletzt tur“ und „Kultur“ tatsächlich Gegensätze sind Wir dürfen nicht „Gott spielen“! Gott irrt 2016 der vielfach beachtete Roman Helix, in und – wenn man darauf besteht – b) „die Natur“ nicht. Oder? Wir Menschen wurden als Eben- dem er sich mit dem Thema Genetik befasst. tatsächlich „der Kultur“ vorzuziehen ist. bilder des Schöpfers geschaffen, sind folglich Eigentlich aber steht es um das Ansehen der selber Schöpfer, argumentiert auch so mancher Biotechnologie ohnehin nicht so schlecht. Theologe. W ährend laut Umfragen weiterhin eine Mehr- heit der Europäer (und eine noch größere der Natur und Technik Ö sterreicher) Gentechnik in der Landwirtschaft Auch wenn wir Gott aus dem Spiel lassen, ablehnt, befürwortet eine Mehrheit industrielle bleibt in Laiendiskussionen eines der beliebtes- oder medizinische Anwendungen. ten Argumente, Gentechnologie sei „nicht na- türlich“. Wer so argumentiert, müsste konse- Manipulative Propaganda quenterweise auf sämtliche Entwicklungen der Kein Wunder, gehört Biotechnologie doch Zivilisation verzichten, von Kleidung über Brille, eigentlich schon seit einer Generation zu un- Fernseher, Handy, Fahrrad oder Auto bis zu Me- serem Alltag und hat in dieser Zeit beachtliche dikamenten oder Herzschrittmachern, denn sie Fortschritte gebracht. Man denke nur, wie alle wachsen so nicht auf Bäumen. Auch prak- viel einfacher und günstiger Diabetiker heute tisch alle Lebensmittel, die wir heute zu uns neh- zu Insulin kommen, seit dieses von gentech- men, stammen von Kulturpflanzen und Zucht- nisch veränderten Organismen hergestellt tieren, die nur mehr wenig mit ihren „natürli- w erden kann. Dank neuer Technologien wie chen“ Vorfahren oder „wilden“ Verwandten zu CRISPR/Cas9 oder gewaltig gestiegener Com- tun haben. Sie gälte es als Vertreter des „Nicht puterrechenleistungen dürfen wir in den kom- natürlich“-Arguments daher in Zukunft eben- menden Jahren zahlreiches Neues erwarten. falls tunlichst zu vermeiden. Viel Vergnügen in Doch aus Sorge, in Schützengrabendiskussionen der Vorsteinzeit! wie bei der grünen Gentechnik zu geraten, ar- Foto: Picturedesk/ Science Photo Library/ Molekuul Library/ Photo Science Picturedesk/ Foto:

58 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

beiten viele Forschende heute lieber im Stillen. Dadurch aber kommen wir in einen Teufels- kreis: Die Angst vor Unbekanntem, gleichgültig ob vor Nützlichem oder Schädlichem, ist eines UnserUnternehmen der stärksten Motive für Ablehnung bei vielen Menschen. Ablehnung führt zu Nichtwissen- wollen. Nichtwissenwollen zu noch mehr Un- ist gesund, weil wir wissenheit. Ich glaube, besonders die Forschenden soll- es wiedersind. ten den Bonus, den man der Biotechnologie in vielen Bereichen gibt, mutiger und begeisterter zur Information der breiten Öffentlichkeit nüt- zen. Sie sollten auch wagen, selbstbewusster ebenso über Misserfolge zu sprechen wie über ihre Erfolge, um sich von der oft einseitigen und manipulativen Jubelpropaganda kommerzieller Unternehmen zu unterscheiden. Und natürlich müssen sie sich auch kritischen Fragen stellen. Etwa jenen nach den Motiven und Zielen ihrer Forschung. So wie sie selbst es ohnehin täglich tun, wenn sie etwa im Treppenhaus des IMBA an einem weiteren Kunstwerk vorbei- kommen, Kay Walkowiaks Installation Please leave quietly: darin lässt er einen Hometrainer kopfüber von der Decke hängen und themati- siert damit den „Drang, das Unmögliche zu ver- suchen“. Manche Entwicklungen ändern die Dis- kussionsvoraussetzungen schließlich gerade grundlegend: Die relativ junge Geneditierungs- methode CRISPR/Cas9 etwa hinterlässt in da- mit veränderten Organismen keine Spuren. Ist das jetzt „Genmais“ auf dem Feld oder nicht? Kaum mehr nachweisbar. Und wenn man mit CRISPR/Cas9 lediglich ein Gen „ausschaltet“, ohne artfremde Gene einzuführen, zum Beispiel damit ein Champignon nicht mehr braun wird, g ist wennmanihndrückt–istdasErgebniseinGVO? Beratun Die US-Behörde FDA urteilte: Nein. Aber bevor reiwillig f lich sich jemand empört: Zu welchen Champignons vertrau greifen Sie? Die überwiegende Mehrheit der os kostenl Konsumenten wählt die weißen. Und bringt so die Lebensmittelindustrie erst auf die Idee zum „genweißen“ Champignon. Gleichzeitig macht CRISPR/Cas9 dank sei- Körperlicheundpsychische Belastungen von ner Präzision vieles erst möglich (und nebenbei MitarbeiterInnen führen zu Krankenständen und das gern verwendete Gegenargument gefährli- Abwesenheitszeiten. berät Unternehmen bei cher Ungenauigkeit oft arbeitslos). der Erhaltung und Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit Letztlich reden wir von einer Technologie. ihrer MitarbeiterInnen. Frühzeitiges Ausscheiden des Diese kann man zum Schlechten und zum Bes- Personals wirddadurch verhinderrt und entsprechendes ten einsetzen. Aber nur, wenn wir möglichst viel Knowhow bleibt im Unternehmen. führrt zu einer darüberwissen,sovielwiemöglichforschenund nachhaltigen Verbesserung derArbeitsfähigkeit und somit entwickeln, können wir informiert Risiken zur Steigerung der Produktivität. Denn ein Unternehmen gegen Chancen abwägen, können wir diese Risi- ist nur so gesund wie seine MitarbeiterInnen. kenminimierenunddieVorteileoptimalnützen.

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Das Spiel mit der Schöpfung

Da es sich bei Genome-Editing um ein noch junges Forschungsfeld handelt, gibt es dazu erst wenige populärwissenschaftliche Bücher. Aktuelle Neuerscheinungen zum Thema vermitteln die Grundzüge der neuen Technologie und thematisieren ethische Fragen.

BERICHT EINER ERFINDERIN ÜBER DAS LEBEN ERZÄHLEN UTOPIEN UND DYSTOPIEN Hinter den Kulissen der Genschere Genforschung als Gratwanderung Titanen der Genetik

„Dieses Buch ist meine Geschichte. Aber auch Naturwissenschafter, die die Kunst des Erzäh- Gemäß der griechischen Mythologie hat der Ti- Ihre. Denn es wird nicht lange dauern, bis die lens beherrschen, sind rar. Forscher, die ihre tanengott Prometheus den Menschen das Feu- Auswirkungen dieser Technologie auch Ihre Fachdisziplin auch Laien vermitteln können, er gebracht, wie auch die Künste, die Technik, Türschwelle erreichen.“ Dieser Satz findet sich auch. In Siddhartha Mukherjee verbinden sich Wissenschaft und Medizin – was ihn gleichsam im Prolog des ersten populärwissenschaft - viele Talente. Er arbeitet als Arzt mit Spezialge- zum Urheber der Zivilisation macht. Das macht lichen Buches von Jennifer Doudna. Darin legt biet Onkologie, forscht an einem der renom- Prometheus zum idealen Titelgeber für Jim Ko- die Ko-Entdeckerin der Genschere miertesten Stammzelllabors in Harvard und ist zubeks Buch über eine der herausragendsten CRISPR/Cas9 einen sehr persönlichen Bericht seit Der König der Krankheiten auch Bestseller- Technologien der Gegenwart: CRISPR/Cas9. vor, wie die bedeutsame molekularbiologische autor. In seinem neuen Buch setzt er sich mit je- Der studierte Genetiker, der sowohl in der com- Methode von ihr und anderen entdeckt worden nen Technologien auseinander, die das Leben putergestützten Biologie wie auch als Wissen- ist. Aus erster Hand erfährt man dabei, wie die der Menschen in Zukunft verändern werden. schaftsjournalist beispielsweise für The Atlantic Professorin an der Universität Kalifornien in Wie kein anderer versteht er es, viele Welten und den Scientific American tätig ist, hat für sein Berkeley zum ersten Mal das Wort CRISPR hör- miteinander zu verbinden. Er erzählt die Ge- Buch über Jahre rund 40 Wissenschafter inter- te oder wie sie die Molekularbiologin Emma- schichte der Familie Mukherjee aus Kalkutta, viewt, die im Bereich von Genome-Editing füh- nuelle Charpentier bei einem Spaziergang stellt die Genforscher von ihren Anfängen bis rend sind. Kleinere inhaltliche Unschärfen ver- durch die Altstadt von San Juan in Puerto Rico heute vor. Darüber hinaus versammelt er alle zeiht man Kozubek gerne ob des gut verständli- dazu überredete, mit ihr am CRISPR-System zu relevanten Studien zum Thema und schlägt chen Tenors seiner Ausführungen. Als Außen- arbeiten, was schließlich zum Durchbruch i mmer wieder den Bogen zu den gesellschaft- stehender, der nicht unmittelbar an der Ent- führte. Vor allem geht es Doudna in dem Buch, lichen Auswirkungen: von der Euthanasie über wicklung der Technologie beteiligt ist, kann das sie gemeinsam mit ihrem ehemaligen Dis- das „Schwulen-Gen“ bis hin zu Gentherapie sich Kozubek außergewöhnliche Perspektiven sertanten Samuel Sternberg geschrieben hat, und Reproduktionsmedizin. Wer Mukherjee auf das Forschungsfeld erlauben: Besonders auch darum, wie die neue Technologie genutzt gelesen hat, wird in sämtlichen Diskussionen anregend ist etwa die feministische Perspekti- wird – und wie nicht. Gefahren und Chancen mitreden können. Nie war die Partizipation ve, mit der er den Patentstreit zwischen Emma- von CRISPR/Cas9 aufzu- j edes Einzelnen in der nuelle Charpentier und wiegen sei „ein Test wie Z ukunftsgestaltung so Jennifer Doudna auf der kein anderer. Wir müssen wichtig wie heute, sagt einen Seite und Feng ihn bestehen. Es gibt keine der Autor. Deshalb habe Zhang auf der anderen Sei- Alternative.“ (trat) er ja auch dieses Buch te analysiert. (trat)

g eschrieben. (pok)

Jennifer Doudna und Samuel Jim Kozubek, „Modern Prome- Sternberg, „A Crack in Creation – Siddhartha Mukherjee, „Das theus – Editing the Human Geno- The New Power to Control Evolu- Gen. Eine sehr persönliche Ge- me with CRISPR-Cas9“. € 27,99 / tion“. € 14,99 / 304 Seiten. The schichte“. € 26,80 / 768 Seiten. 395 Seiten. Cambridge University Bodley Head, London 2017 S. Fischer, Frankfurt am Main 2017 Press, Cambridge 2016 Foto: iStockphoto Foto:

60 MAGAZIN FORSCHUNG DAS OPTIMIERTE LEBEN

61 MAGAZIN FORSCHUNG Im Supermarkt dernahen Zukunft

DasEinkaufenimLebensmittelgeschäft wirdzunehmend automatisiert. Amazonhat in den USAerste Geschäfteohne Kasseneröffnet. MehrereUnternehmenexperimentieren mit der Zustellung vonWare MENSCH UND MASCHINE

Digitale Nomaden im Jobdschungel

Wie werden wir in Zukunft arbeiten – und was? Die flächendeckende Digitalisierung bietet Chancen für vernetztes, selbstbestimmtes Arbeiten, birgt aber auch die Gefahr eines wachsenden Cybertariats. Ein Überblick über die wichtigsten Trends.

TEXT: KARIN KRICHMAYR

→ Foto: iStockphoto Foto:

63 MAGAZIN FORSCHUNG MENSCH UND MASCHINE

→ ie Macht der Informationen, sein“, sagt Tanja Sinozic vom Institut für Tech- sie wird verkörpert durch nikfolgenabschätzung (ITA) der Österreichi- einen unüberschaubaren Bü- schen Akademie der Wissenschaften. „Neue robunker, komplett überbüro- Arbeitswelt und Digitalisierung“ lautete auch Dkratisiert und voll sinnentleer- das Thema der Jahreskonferenz des ITA, die vor ter Technologie. Ein kleiner einigen Tagen in Wien abgehalten wurde. Fehler im Informationsministerium führt zu Wenn von Digitalisierung und Automatisie- einer folgenschweren Verwechslung, ein unbe- rung die Rede ist, wird schnell die Sorge um stei- scholtener Bürger wird zum Terroristen abge- gende Arbeitslosenzahlen laut. Seit die vielzi- stempelt: Das ist die düstere Vision von Terry tierte „Oxford-Studie“ von Carl Benedikt Frey Gilliams Film Brazil aus dem Jahr 1985. und Michael Osborne 2013 ein Schreckensszena- Aktueller ist die britische Serie Black Mirror, rio heraufbeschwor, das davon ausgeht, dass in die seit 2011 schon heute spürbare Entwicklun- den USA 47 Prozent der Arbeitsplätze automati- gen auf die Spitze treibt und uns damit ein äu- sierbar seien, wird eher abgewiegelt. Eine ßerst verstörendes Spiegelbild vorhält: Da be- OECD-Studie von 2016 zeigt, dass im OECD- steht die Arbeit der Menschen darin, sich auf Schnitt neun und in Österreich zwölf Prozent der dem Ergometer abzustrampeln, um sich eine vir- Arbeitsplätze potenziell ersetzt werden können. tuelle Währung zu verdienen, die sie nicht nur „Es wird zu deutlichen Verschiebungen am für ihren Lebensunterhalt in ihren voll digitali- Arbeitsmarkt kommen, aber netto werden die sierten Zellen brauchen, sondern auch, um die Jobverluste nicht dramatisch sein“, sagt Annika Werbung ausblenden zu können, die die all- Schönauer, die im aktuellen Sozialbericht die gegenwärtigen Bildschirmwände zumüllt. In Auswirkungen von Arbeit 4.0 beschreibt. einer anderen Folge arbeiten die Menschen nur Während in Handel, Logistik und Verwal- daran, möglichst gut von anderen bewertet zu tung deutlichere Rückgänge an Jobs absehbar werden – schließlich hängt das gesamte gesell- sind, wird es etwa im Bereich Softwareentwick- schaftliche Leben vom jeweiligen Ranking ab. lung und im Gesundheitsbereich weiter Zu- Doch wie wird sich unser Arbeitsleben in Zei- wächse geben. „Überall, wo es wiederkehrende ten flächendeckender Digitalisierung wirklich Geschäftsfälle gibt, wo Entscheidungen auf- gestalten? Werden wir uns irgendwann in einer grund von klar definierten Daten gefällt werden dystopischen Gesellschaft wiederfinden, wie oder Muster erkannt werden müssen, gibt es ein manche Filme sie skizzieren? Oder gibt es doch hohes Potenzial für Automatisierung“, sagt noch Chancen auf die Erfüllung von Utopien à la Bernhard Dachs vom Austrian Institute of Tech- Thomas Morus und Francis Bacon, in denen die nology (AIT). gerechte Verteilung von Arbeit sowie Forschung „Mit der Weiterentwicklung von künstlicher und Technik ein besseres Leben ermöglichen? Intelligenz und maschinellem Lernen können „In dem heutigen Diskurs um die Digitalisie- aber auch immer mehr kognitiv anspruchsvolle- rung der Arbeit, auch Arbeit 4.0 genannt, wird re Aufgaben durch Technologie ersetzt wer- sehr viel unter-, aber auch überschätzt“, sagt An- den.“ Einschneidende Veränderungen erwarten nika Schönauer. Die Arbeitssoziologin von der uns nicht nur dabei, was wir in Zukunft arbeiten, Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt sondern vor allem dabei, wie wir arbeiten. Das (Forba) beschäftigt sich seit langem mit den Aus- sind die wichtigsten Trends, Tendenzen und wirkungen der Digitalisierung. Perspektiven: „Unterschätzt deshalb, weil die wahre Revo- lution digitaler Technologien unbemerkt statt- I. Virtuelle Akkordarbeit findet. Softwaretools wie Blockchain-Daten- Sie heißen „Clickworker“, „Upwork“ oder banken, die auch die Basis für die Internetwäh- „Amazon Mechanical Turk“ – Onlineplattfor- rung Bitcoin sind, werden derzeit eher im krimi- men, die digitale Akkordarbeit vermitteln, auch nellen Bereich genutzt, könnten aber auch ganz Crowdwork genannt, erleben derzeit eine Blüte. neue soziale Innovationen ermöglichen, indem Damit werden Arbeiten wie die Kategorisierung sie Informationen schnell in die Breite bringen“, von Bildern und Videos oder andere Datenein- so Schönauer. Überschätzt werde dagegen die Die zunehmende Verschmelzung gabetätigkeiten an eine anonyme Masse von Roboterisierung, insbesondere im Sozialbe- von Arbeits- und Privatleben schlägt „Microworkern“ ausgelagert, die pro einzelne reich. „Wir sind noch weit davon entfernt, dass sich mitunter in den Designs von Verrichtung mit Bruchteilen von Cents entlohnt Roboter den Pflegenotstand lösen.“ B üros nieder – mit Pflanzen, werden. Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2015 Dennoch: Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Musikräumen und Erholungsinseln. hat gezeigt, dass überwiegend junge, hochgebil- die mobile Vernetzung, virtuelle Plattformen, dete Menschen solche rechtlich völlig ungesi- künstliche Intelligenz und schier endlose Daten- cherten Jobs übernehmen, um sich nebenbei et- speicher zu Umwälzungen auf dem Arbeits- was dazuzuverdienen. markt führen. Neue Arbeits- und Organisations- formen wie Crowdworking und Share Economy II. Die Masse macht’s brechen traditionelle Strukturen auf, Big Data Ebenfalls durch Onlineplattformen vermit- ermöglicht vollkommen neue Geschäftsfelder. telt und deswegen nur eine andere Spielart von „Nach Moore’s Law erhöht sich die Rechenleis- Crowdwork ist die Auslagerung digitaler Pro- tung exponentiell. Im Unterschied zu früheren jektarbeit etwa im Bereich Grafik- und Webde- technologischen Neuerungen werden die Fol- sign, die meist anspruchsvollere und umfangrei- gen der Digitalisierung viel schneller zu spüren chere Aufgaben umfasst als reine Clickwork.

64 MAGAZIN FORSCHUNG MENSCH UND MASCHINE

Unterschieden wird zwischen der Vergabe über gen, Musikräumen und Erholungsinseln. Auf ein Ausschreibungsverfahren, bei dem der Best- der anderen Seite gibt es einen Gegentrend: For- bieter den Zuschlag bekommt und dann erst den derungen nach strikteren Trennlinien zwischen Auftrag erfüllt, und der Vergabe im Wettbe- Work und Life , um wieder in die Balance zu kom- werbsverfahren (Pitch) – bei dem aus mehreren men und Burnout-Syndrome zu verhindern, Einreichungen ein Gewinner hervorgeht. „Das f inden immer mehr Gehör. betrifft auch hochkomplexe wissenschaftliche Fragestellungen, wo derjenige, der sie am VI. Brüchige Karriereleitern schnellsten löst, eine hohe Summe bekommt – Neue Arbeitsformen bringen es mit sich, oder auch nur den Ruhm“, sagt Tanja Sinozic. dass die Grenzen zwischen Anstellungsverhält- nissen und (Schein-)Selbstständigkeit ver- III. Digital teilen und herrschen schwimmen und Karrieren brüchiger werden. Auch bei Share Economy handelt es sich um „Arbeitslosen- und Teilzeitphasen werden zu- die Vermittlung von Dienstleistungen über On- nehmen“, sagt Schönauer. „Das wirkt sich natür- lineplattformen, im Unterschied zu den rein vir- lich auch auf die Pensionsansprüche aus.“ Die tuellen Anbietern sind diese aber ortsgebunden Prämisse, dass höhere Bildung automatisch zu – so wie Airbnb für Zimmer, Uber für Taxis, My- mehr Jobsicherheit führt, wird sich weiter in der Hammer für Handwerker und Book a tiger für dünnen digitalen Luft auflösen, sind Experten Reinigungskräfte. Experten sehen den Begriff überzeugt. „Die soziale Leiter ist schon jetzt viel kritisch, denn: „Was wird denn wirklich geteilt? länger als früher, und es ist viel leichter, dass man Wer hat den Gewinn?“, wie Sinozic anmerkt. Die ganz herunterfällt“, sagt auch Technikfolgen- Vermittlerfirmen, die keinerlei Verantwortung Expertin Tanja Sinozic. Ständige Weiterbildung für Arbeitnehmer übernehmen, bringen schon und die flexible Aneignung neuer Wissensgebie- jetzt ganze Branchen unter Druck. „Mittlerweile te werden in Zukunft zum notwendigen Rüst- gibt es in Dänemark und Frankreich aber Rege- zeug im Jobdschungel gehören. lungen, dass Uber-Fahrer gewisse Standards einhalten müssen. Auch Airbnb hat einen politi- VII. Digitale Schwarmorganisation schen Diskurs ausgelöst, wie man die Kommer- Ausgefeilte Softwaretools können eine lo- zialisierung des Modells verhindern kann.“ ckere Vernetzung zwischen gleichberechtigten Arbeitenden ermöglichen, hierarchische Struk- IV. Das neue Cybertariat turen würden überflüssig. Je mehr lästige admi- Die Arbeitsvermittlung im Netz schwebt nistrative Tätigkeiten digital gesteuert werden, nach wie vor weitgehend im rechtsfreien Raum. desto mehr Handlungsspielräume werden für Arbeitsverträge gibt es keine, ebenso wenig wie Mitarbeiter frei. Ein Paradebeispiel dafür ist die Sozialversicherungsbeiträge und Arbeitneh- niederländische Pflege-NGO Buurtzorg, in der merschutz. Die Erodierung sozialer Normen und sich die Mitarbeiter über eine userfreundliche neue Ausbeutungsverhältnisse sind die logische Plattform selbst organisieren und interaktiv aus- Folge. „Das deutet darauf hin, dass sich eine tauschen – zur Zufriedenheit aller Beteiligten. Kluft bildet: Auf der einen Seite wird es immer Doch Annika Schönauer warnt vor Verallgemei- mehr Crowdworker geben, die global vernetzt nerungen: Im Gegensatz zum Trend zur und hoch überwacht standardisierte und Schwarmorganisation gibt es auch eine Entwick- schlecht bezahlte Arbeiten durchführen“, sagt lung in Richtung „polarisierter Organisation“, Annika Schönauer, „auf der anderen Seite wer- wo es eine klare Trennung gibt zwischen Hoch- den Höherqualifizierte anspruchsvolle Arbeiten qualifizierten mit Entscheidungsbefugnissen machen, die vernetztes, interdisziplinäres Den- und abgewerteten Ausführenden, die auf Basis ken und hohe technische Kompetenzen erfor- automatisierter Befehle handeln. dern.“ Die Arbeit von besser Ausgebildeten wird schwieriger und anstrengender, während den VIII. Arbeiten, um zu konsumieren weniger gut Gebildeten die Herausforderungen Warum jemanden anstellen, wenn doch der abhandenkommen. Noch ist unklar, wie sich ein Konsument selbst die Arbeit erledigt? Sei es die globales Cybertariat, wie es die renommierte Steuererklärung, Online-Banking oder der Klei- Arbeitsforscherin Ursula Huws bezeichnet hat, derkauf – durch die Digitalisierung übernehmen zukünftig organisieren könnte. wir ganz umsonst Tätigkeiten, die früher bezahlt waren. Werden wir es in Zukunft nur mehr mit V. Nomaden zwischen Work und Life Avataren und automatisierten Systemen zu tun Immer online, jederzeit bereit auf Abruf – die haben? „Die Frage ist, ob der Kunde das akzep- Verschmelzung von Arbeits- und Privatleben ist tiert“, sagt Bernhard Dachs vom AIT. schon jetzt für viele ein Problem. Das könnte sich Schließlich gibt es schon lange Selbstbedie- in Zukunft verstärken, aber auch in einem posi- nungskassen und Tests mit automatischer Preis- tiven Sinn: Digitale Nomaden, die überall und auszeichnung in Supermärkten – durchgesetzt jederzeit ihren Laptop herausholen oder sich in hat sich das aber noch nicht. Nicht immer ist uns Coworking-Spaces zusammentun, profitieren aber überhaupt bewusst, welche Arbeit wir von der erhöhten Flexibilität. Große Internet- nebenbei leisten: Wenn man etwa über den konzerne versuchen das zu imitieren, indem sie Dienst reCaptcha schwer lesbare Straßenschil- ihre durchdesignten Büros wie große Spielplätze der entziffert, um zu beweisen, dass der Zugriff gestalten – mit dschungelartigen Bepflanzun- auf Webseiten von einem Menschen und nicht →

65 MAGAZIN FORSCHUNG MENSCH UND MASCHINE

→ durch ein Programm erfolgt, hilft man dabei Google Earth bei der Digitalisierung seiner Auf- nahmen. sgenial. IX. Der Algorithmus als Arbeitgeber Krem Big Data eröffnet nicht nur neue Arbeitsfel- der, sondern verändert auch die Art der Rekru- tierung und der Mitarbeiterbewertung. Bekannt ist, dass sich aufgrund von Facebook-Likes ge- nauePersonenprofileerstellenlassen.InAssess- ment-Centern werden Tonfall, Wortschatz und Emotionalität analysiert, um Wahrscheinlich- keiten für Depressionen und andere physische Erkrankungen zu berechnen. Experten befürch- Die Masterstudiengänge ten, dass sich durch Big-Data-Anwendungen Vorurteile verstärken und bestehende Diskrimi- der IMC FH Krems. nierungenbeiEinstellungenzementiertwerden.

Doch was bedeuten diese Tendenzen? Wer- Internationaler Fokus, in 40% der Studiengäng den wir unsinZukunft als digitale Tagelöhner über Wasser halten, ständig bewertet und über- wacht? Oder werden wir doch eher selbstbe- stimmt eine Vielzahl von Aufgaben erledigen, unterstützt durch smarte Softwaretools? Der technologischeWandelbrichtnichtüberunshe- rein, sondern muss gestaltet werden, sind sich Wissenschafter einig. Nur so könne das positive Potenzial der Digitalisierung voll ausgeschöpft werden: „Intelligente soziotechnische Systeme könnten ergonomisch problematische Arbeit übernehmen und den Beschäftigten als Werk- zeugedienen,diesiedazubefähigen,selbstorga- nisiert gesündere Arbeit zu leisten“, sagt Forba- Expertin Annika Schönauer. „Die Menschen könntendadurchsolidarischermiteinanderum- gehen und sich leichter austauschen.“ Bleibt noch die Frage nach der Zukunft des Sozialsystems: Werden die Arbeitsplätze durch die Automatisierung insgesamt weniger, steht auchderWohlfahrtsstaataufdemSpiel.Eineall- gemeine Arbeitszeitverkürzung, um mehr Jobs zu schaffen, ist für Schönauer daher unumgäng- lich. „Realistisch ist ein Jahreszeitmodell, bei dem es zusätzliche Urlaubswochen gibt –auch wenneine Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit aus gesundheitlichen Gründen sinn- voller wäre bzw. kürzere Arbeitstage aus Grün- den der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.“ Zusätzlich müsse die Finanzierung des So- zialsystems auf neue Beine gestellt werden: „WenndieProduktivitätsteigt,aberdieZahlder Beschäftigten sinkt, ist eine Pro-Kopf-Besteue- rung nicht mehr zielführend“, sagt Schönauer und plädiert für eine Besteuerung der Wert- schöpfungskette, Stichwort: Maschinensteuer. Die zusätzlichen Einnahmen könnten zum www.fh-krems.ac.at Lohnausgleich für Schlechterverdienende ge- nutzt werden, die bei einer verkürzten Arbeits- zeit deutlich weniger verdienen würden. AIT-Forscher Bernhard Dachs hingegen sieht wenig Chancen für eine Arbeitszeitverkür- zung in der näheren Zukunft. Er ist jedoch über- zeugt: „Unsere Fantasie reicht nicht dafür aus, wiedieJobsderZukunftaussehenwerden. Aber: Technologie entsteht immer erst durch Inter- aktion von Menschen.“ MENSCH UND MASCHINE

Großvaters Maschinen nachrüsten

Unter dem Schlagwort Industrie 4.0 wird seit einigen Jahren eine grundlegende Veränderung der Fertigung vorange- trieben. Politik, Medien, Unternehmensberater und auch die Forschung befeuern den Trend. Doch die ursprüngliche Vision liegt noch in weiter Ferne.

TEXT: ALOIS PUMHÖSEL

→ Fotos: Getty/Science Photo Library Photo Getty/Science Fotos:

67 MAGAZIN FORSCHUNG MENSCH UND MASCHINE

aschinen, vollgepackt mit vernetzter Sensorik. Ferti- gungsanlagen, die die Be- schaffenheit ihrer Werk- Mstücke erkennen. Indus - trieanlagen, in denen trotz enormer Kapazitäten jedes Werkstück eine Spe- zialanfertigung ist. Die Versprechungen, die unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ die Digi- talisierung maschineller Fertigungsprozesse zu- sammenfasst, sind vielfältig. Eine sich selbst or- ganisierende Produktion, geschaffen nach den Grundsätzen der Informatik, soll intelligente Maschinen, Logistik, Mitarbeiter und Kunden nahtlos kommunizieren lassen, um smarte P rodukte effizient in kleinsten Losgrößen zu fer- tigen. Seit das Schlagwort vor einigen Jahren im Rahmen einer Hightechstrategie der deutschen Bundesregierung geprägt wurde, stellen zahl - lose Forschungsaktivitäten einen Bezug zur I ndustrie 4.0 her. Der Trend wird von Politik, Medien, Unternehmensberatern befeuert. Die Fertigung in Europa müsse sich grundlegend verändern, um global konkurrenzfähig zu blei- ben, so das Credo. Doch wie kann der Weg aus den Labors in die Praxis der digitalisierten Ferti- gung in Österreich tatsächlich aussehen? „Es gibt keine Lösung, die für alle passt“, stellt Oliver Som, der sich am Management Cen- ter Innsbruck (MCI) mit Innovationsmanage- ment beschäftigt, klar. „In jedem Unternehmen muss man sich selbst die Frage stellen, welche Potenziale bereits vorhanden sind und worin die nächsten Ziele liegen können.“ Warum kaufen Kunden unser Produkt? Sind die technischen Anlagen bereit für ein Upgrade? Welche Anfor- derungen punkto digitaler Schnittstellen, Pro- dukte, Services kommen von außen? Fragen, die sich laut Som jedes Klein- und Mittelunterneh- men (KMU) in Österreich stellen sollte.

Sensoren nachrüsten Bei vielen Fertigungsanlagen handelt es sich um organisch gewachsene Infrastrukturen. Jahr- zehntealte Maschinen stehen neben Neuan- schaffungen. „Es gibt KMUs, die fertigen auf Ma- schinen, die der Großvater selbst entwickelt hat. Teilweise ist auch genau das der Wettbewerbs- vorteil“, sagt Som. Nicht immer sei es klug, die a lten Anlagen durch neue zu ersetzen. Doch auch diese können smarter werden. „Wenn mit nach- gerüsteten Sensoren überwacht wird, welches Bauteil wann in welcher Maschine ist, ist das schon ein Riesenschritt hin zu einem bestandsop- timierten Prozess.“ In individuellen Fällen kön- ne auch die Erkenntnis, dass die Konzepte der In- Die potenzielle Effizienzsteige- dustrie 4.0 für das eigene Unternehmen noch rung ist oft der Anreiz für Maschi- nicht zielführend sind, durchaus zulässig sein. nenbauer, Produktionsprozesse Doch zumeist lockt das Potenzial zur neuen zu automatisieren. Effizienzsteigerung. Der in Niederösterreich a nsässige Maschinenbauer Salvagnini hat sich beispielsweise mit dem Forschungsinstitut Linz

68 MAGAZIN FORSCHUNG MENSCH UND MASCHINE

Center of Mechatronics (LCM) zusammenge- Ein Beispiel für variantenreiche Produktion tan,dasimRahmeneinesK2-ZentrumsvomVer- ist die Assemblierung von Industrie-PCs. Die kehrs- und Wissenschaftsministerium unter- Computer werden kundenspezifisch laut Anga- stützt wird. Gemeinsam hat man neuartige Bie- ben auf einem Monitor mit den jeweils richtigen geautomaten entwickelt, die Bleche für Schalt- Platinen konfiguriert –kaum ein Gerät gleicht schränke oder Leuchtmittelfassungen formen. dem anderen. „Die Bildschirme können durch Bisher war mit Ausschussteilen zu rechnen, be- andere bildgebende Verfahren ersetzt werden. vordieMaschinenaufeineneueSerieeingestellt Man könnte Inhalte etwa direkt auf die Produk- waren.Dochdashatsichgeändert:„DieMaschi- tionsflächeprojizieren“,gibtFroschauereinBei- nemisstjetztwährendderProduktiondieBlech- spiel.FürLern-undÜbungsprozessesindDaten- qualität und überbiegt das Material so weit, dass brillen geeignet, die das Blickfeld mit virtuellen esexaktbiszurrichtigenPositionzurückfedert“, Inhalten überblenden. sagt Johann Hoffelner, wissenschaftlicher Ge- Das Montagematerial könnte dem Men- schäftsführer des LCM. schen im richtigen Moment durch einen Robo- Grundlage der Technologie ist ein virtuelles „Es gibt KMUs, terarm gereicht werden. Wichtig dabei ist, dass Abbild der Maschine. „Das Datenmodell der Hilfssysteme von den Mitarbeitern akzeptiert Maschine wird mit Echtzeitdaten aus der Pro- die auf Maschinen fer- werden,sagtderForscher.„Vielesindskeptisch. duktion gefüttert, damit die richtige Ent- Dabei sollen die Systeme nicht den Menschen scheidung getroffen werden kann“, ergänzt tigen, die der Großvater ersetzen, sondern ihn optimal in den Produk- LCM-Geschäftsführer Gerald Schatz. Die Auto- tionsablauf integrieren helfen.“ matisierung ermögliche individuelle Fertigun- entwickelt hat. Teilweise Die Versatzstücke einer digitalisierten Pro- gen. Energie und Rohstoffe würden eingespart. ist genau das der Wett- duktion, die nach und nach in die Praxis gelan- gen, sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ausschuss reduzieren bewerbsvorteil. Wenn die ursprüngliche Vision der Industrie 4.0 noch Eine offene Frage bleibt, wie maschinelle in weiter Ferne liegt. In einem Whitepaper der und menschliche Arbeit künftig ineinandergrei- hier mit nachgerüsteten deutschen Plattform Industrie 4.0 steuert man fen. Ein Ansatz sind neuartige Assistenzsyste- eine „neue Stufe der Organisation und Steue- me, die den menschlichen Arbeitskräften einen Sensoren überwacht wird, rung der gesamten Wertschöpfungskette über Überblick über die komplexer werdenden Pro- den Lebenszyklus von Produkten“ an. Der Zeit- duktionsvorgaben geben sollen. Forscher der ist das ein Riesenschritt.“ planfürassoziierteForschungsthemenreichtbis Fachhochschule Oberösterreich entwickeln in die 2030er-Jahre hinein. „Der derzeitige Sta- derartige Assistenten im Projekt HCW4i (Hu- Oliver Som, tus quo wird oft überschätzt, der noch vorhan- man Centered Workplace 4Industry), das im Hochschullektor dene Forschungsbedarf unterschätzt“, warnt Rahmen des Coin-Programms der Förderagen- Klaus-Dieter Schewe, wissenschaftlicher Leiter tur FFG vom Wissenschaftsministerium geför- des Software-Competence-Centers Hagenberg. dertwird.„MitarbeitermüssennichtalleVarian- Ein Beispiel: „Der Bereich des Systems-Engi- teneinerProduktionauswendigkennen.Undfür neering, also einer durchgängigen Entwicklung das Unternehmen reduziert sich der Anteil der von Produkten von der Idee bis zur Umsetzung Ausschussware“, fasst Projektleiter Roman mithilfevirtuellerModellierungen,istnurinwe- Froschauer die erhofften Vorteile zusammen. nigen Unternehmen etabliert.“

DieUniversitätInnsbruck stehtfür internationale Spitzenforschung im Herzen der Alpen. HochwertigePublikationen, die Teilnahmeaninternationalen Konfer

Wir bauen Brücken in die Zukunft 69 MAGAZIN www.uibk.ac.at FORSCHUNG NATUR UND TECHNIK

Der Klimawandel stellt die Menschheit vor Herausforderungen, deren Bewältigung für künftige Generationen entscheidend sein wird. Wie wir in Zukunft leben und uns fortbewegen werden, spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Wissenschaft arbeitet an unterschiedlichsten Lösungen, neue Technologien sind ein Teil davon.

Szenarien urbanerMobilität

Verkehr und Transport stehenmit der absehbaren Einführungautonomer Elektrofahrzeugevor einer Revolution.Einerseits könnten diese den Verkehr in Städten sauberer und billiger machen, andererseits ohneCarsharing zu mehrVerkehrsstaus, rapide steigendem Energieverbrauch undZersiedelung führen.US-Forscher haben dreimöglicheSzenarien fürdie urbane MobilitätimJahr 2050 berechnet. 1 2 3

Weiter wie gewohnt: Wir nutzen weiterhin Wir wenden uns vermehrt der Techno- Neben derElektrifizierung und Automatisie- Benzin-und Dieselautos–im Jahr2050 auf- logie zu: In den 2030ern werden rung wirdCarsharing weitverbreitet: Fahr- grund dergewachsenenBevölkerungnoch Elektroautosgang und gäbe sein.Im gemeinschaften werden in den2030ern mehrals heute.Carsharing und öffentliche Verlaufder 2040er-Jahrewerden üblich–inkl. Verfügbarkeit bei Bedarf.Eine Verkehrsmittelverzeichnenkeine großen autonomeElektrofahrzeugedominie- füröffentlicheVerkehrsmittel,Gehen und Zuwachsraten. ren. Die Alleinnutzung vonAutos Radfahren verstärkteInfrastruktur trägtzur bleibt jedoch weitverbreitet. maximalen Energieausbeutebei.

Anzahl derFahrzeuge im Jahr 2050

2,12,1 0,5 dogdu Ay tih Fa Milliarden Milliarden Milliarden oh; Grafik:

CO2-EmissionenimJahr2050 Ye

1.700700 utorin: Daniela ;A rg 4.600 .o

Megatonnen Megatonnen Megatonnen Quelle: www.itdp

70 MAGAZIN FORSCHUNG NATUR UND TECHNIK „Migration kennt keine Moral“

Bis zu vierhundert Millionen Menschen sind durch den Klimawandel in Gefahr. Doch als Flüchtlinge stehen sie vor versperrten Toren – im Gegensatz zu wohlhabenden Migranten. Sozialwissenschafter Godfrey Baldacchino kritisiert die Strategie der Staatengemeinschaft.

INTERVIEW: ROBERT CZEPEL

Ein Viertel bis ein Drittel der Menschen, die vom Klima- wandel bedroht sind, leben in Bangladesch – im Bild ein Mann im Bezirk Bhola, wo einst sein Haus gestanden ist. Fotos: AP / Shahria Sharmin, privat Sharmin, Shahria / AP Fotos: →

71 MAGAZIN FORSCHUNG NATUR UND TECHNIK

→ Im Jahr 2015 ging der Fall des 39-jährigen Kiri- Die internationale Staatengemeinschaft hat batiers Ioane Teitiota durch die Medien. Er den Klimawandel als drängendes Problem an- wollte der erste weltweit anerkannte Klima- erkannt. Doch wenn es um die sozialen Folgen flüchtling werden. Doch er wurde von Neusee- des Klimawandels geht, schließt sie die Augen. land abgeschoben. Wissen Sie etwas über sein Ist das nicht paradox? Schicksal? Baldacchino: Das ist Teil einer Strategie. Diese Baldacchino: Nein. Aber es ist sehr unwahr- Strategie lautet wie folgt: Die Staatengemein- scheinlich, dass er jemals als Klimaflüchtling an- schaft macht den Klimawandel als Problem erkannt wird. Wäre das so, würden sich die sichtbar. Was sie ebenso sichtbar macht, sind die Schleusen öffnen – denn es gibt Millionen Men- Strategien, mit denen die Menschen ihrer An- schen, die jetzt oder in naher Zukunft einen ähn- sicht nach darauf reagieren sollten, nämlich lichen Anspruch geltend machen könnten. Wel- durch Anpassung und Milderung. Milderung be- che Regierung würde das anerkennen? deutet, die Ursachen zu bekämpfen, also etwa die Reduzierung von Emissionen und Luftver- Was ist der genaue legale Status dieser poten- schmutzung. Anpassung bedeutet etwa die ziellen Klimaflüchtlinge? Pflanzung von Mangroven oder die Förderung Baldacchino: Es gibt keinen. von Recycling. Das Problem daran ist: Beide Strategien setzen voraus, dass die Menschen Und das wird sich nicht ändern? dort bleiben, wo sie sind. Historisch betrachtet Baldacchino: Ich kann die Zukunft nicht voraus- bestand die Lösung solch schwerwiegender sagen. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass Probleme darin, das Land zu verlassen. Doch das die Umwelt jemals ein entscheidender Faktor will niemand. bei der Anerkennung von Flüchtlingen sein wird. Die wissenschaftliche Faktenlage ist allerdings Gibt es Studien, die die genaue Zahl der Men- eindeutig. Der blutige Darfur-Konflikt 2003 schen erhoben haben, die ihr Land wegen des begann mit einer Dürre und der Erosion des Bo- Klimawandels verlassen würden? dens im Westsudan. Das führte zu Konflikten, Baldacchino: Natürlich, das ist eine recht einfa- Krieg und einer Völkerwanderung. Warum ist che mathematische Aufgabe. Was man dafür be- die Stimme der Wissenschaft in diesem Fall nötigt, sind Voraussagen über den Anstieg des nicht überzeugend? Meeresspiegels. 60 Prozent der Weltbevölke- Baldacchino: Das kann ich leider nicht beant- rung leben in der Nähe einer Küste. Historisch worten. Es gibt vier Länder, in denen solche Es- betrachtet war es eine gute Wahl, sich dort nie- kalationen für möglich erachtet werden. Eines derzulassen. Doch das trifft heute nicht mehr zu. davon ist Nigeria, wo die Bevölkerung so schnell wächst wie kaum anderswo auf der Welt. Nige- Wie viele sind davon weltweit betroffen? ria wird in ein paar Jahrzehnten mehr Einwohner Baldacchino: Drei- bis vierhundert Millionen. haben als Indien. Die offizielle Lösung des Kli- Hundert Millionen stammen aus nur einem mawandelproblems lautet wie gesagt, dass die Land – aus Bangladesch. Menschen aus diesen Ländern vor Ort eine nach- haltige Lebensgrundlage entwickeln sollen. Was Und diese hundert Millionen Bangladescher aber viele vergessen, ist: In Zentralafrika werden sind schon in Bewegung – oder potenziell ge- die Temperaturen durch den Klimawandel um fährdet? drei Grad steigen. Das macht viele der Nachhal- Baldacchino: Sie sind potenziell in Gefahr. Und tigkeitsstrategien in diesem Teil der Welt mehr wenn sie versuchen, ihr Land zu verlassen, dann oder minder nutzlos. bekommen sie Probleme. Indien, das Bangla- desch mehr oder weniger umgibt, ist diesen Leu- Wer ist für diese, wie Sie sagen, „nutzlosen ten gegenüber nicht unbedingt einladend ge- Strategien“ verantwortlich? stimmt. Indien hat jetzt schon ein Bevölkerungs- Baldacchino: Alle Nationalstaaten mit dieser problem und braucht nichts weniger als Millionen GODFREY BALDACCHINO (56) forscht an der Agenda: Norwegen, Schweden, die USA, Kana- Menschen, die über die Landesgrenze kommen. U niversität Malta und ist Unesco-Co-Chair in da, China, Japan, vermutlich auch Österreich – I sland Studies & Sustainability an der Univer- alle großen Player sind der Ansicht, dass man Wie gehen westliche Staaten mit diesem Wider- sity of Prince Edward Island, Kanada. eine globale Migrationskrise nur durch Nachhal- spruch in der Praxis um? Kürzlich war er auf Einladung der tigkeit in den betroffenen Ländern verhindern Baldacchino: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich bin Österreichischen A kademie der Wissen- kann. mit der Air Malta nach Wien geflogen. Im Flug- schaften zu Gast in Wien. zeugmagazin von Air Malta wird ganz offen für Wie beurteilen Sie die Klimapolitik von Trump Menschen geworben, die eine zweite Heimat su- und Putin? Wie es scheint, versuchen beide, den chen. Diese Werbung richtet sich an eine Elite, Klimawandel als Problem zu verniedlichen. an wohlhabende Menschen. Wer Geld hat oder Baldacchino: Politiker müssen immer ihre Wäh- bereit ist, zu investieren, kann in westlichen Län- ler und Wählerinnen im Auge behalten. Klima- dern ohne Probleme einen Pass bekommen. Das wandel ist ein mittel- bis langfristiges Thema, gilt auch für Österreich. Migration kennt keine das Politiker daher mitunter auf dem Altar der Moral. Diese „Invasoren“ sind willkommen. Wählbarkeit opfern. Aus dieser Sicht gibt es

72 MAGAZIN FORSCHUNG drängendereProbleme: Trump hat die Arbeits- plätze im Auge, industrielle Interessen sind für viele Politiker wichtig, Putin inklusive.Wir werden sehen, ob ihr Spiel erfolgreich ist oder nicht.

Wenn das zutrifft, müsste die Politik bei lang- fristigen Problemen prinzipiell versagen. Baldacchino: Da möchte ich widersprechen. Politik bedeutet nicht nur, auf die Umfragen zu schielen. Politik bedeutet auch, Führung zu übernehmen. Es gibt sehr wohl Fälle, wo Politi- ker einen Trend erkannt und etwas anderes ge- tan haben, als ihre Wähler es erwartet hätten. Doch dafür braucht es Führungspersönlichkeit, Charisma und den Willen zum Risiko.

Wer hätte das Charisma, wer hätte die Füh- rungspersönlichkeit? Baldacchino: Ich weiß es nicht.

Welche Folgen erwarten Sie vom Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen? Baldacchino:1997hatderUS-amerikanischeSe- nat mit 95 zu null Stimmen gegen das Kioto-Pro- tokoll gestimmt. So gesehen ist das keine große Sache. Die USA haben Entscheidungen in Um- weltfragen immer verschleppt. Die Regierung unter Obama war nur eine kurzzeitige Verände- rung.

Wenn die Amerikaner aussteigen –warum soll- tensichdanndieChinesenzumPariserAbkom- men bekennen? Baldacchino:DahabenSierecht,dochXiJinping hat einige Male, vor allem kürzlich in Davos, in- teressante Aussagen gemacht. Es könnte sein, dassChinainKlimafragendieFührungüberneh- men wird. Momentan herrscht in dieser Frage ein politisches Vakuum –und diese Möglichkeit ist für China verlockend.

ImForschungsnetzwerk die Temperatur der Batterie auf andererseits Kälteund Wärme si- Innovation sind die ACR-Institute einem bestimmten Temperatur- multan speichern und bei Bedarf an das Forschungs- und Technologie- ACR–Austrian niveau zu halten. die elektrische Batterie abgeben. Mit netzwerk mit dem höchsten Nutzen CooperativeResearch ihrem bedarfsgerechten Angebot für KMUs. Sie erwirtschafteten im Bereich der anwendungsorien- 2016 einen Gesamtumsatz von61,4 werden derzeit tierten Forschung, Entwicklung und Millionen Euro. intelligente thermische Der Entwicklung einer solchen Lösung widmet sich das Tes4seT- Energiespeicher- Projektvon AEE INTEC, eines For- systeme entwickelt. schungsinstituts der ACR–Austrian CooperativeResearch. Noch bis Die ideale Temperatur für Auto- Herbst2018 forscht das Team um batterien liegt zwischen 20 bis 30 Projektkoordinator Wim vanHelden °C.Wird die Batterie kälter oder an der thermischen Konditionierung wärmer,fälltdie Lebensdauer vonAutobatterien basierend auf des Energiespeichers dramatisch einem Feststoff-Sorptionsspeicher. CK PHOT0, OMADA STO ab. Besonders für Elektro- und Einerseits kann dieses System :I www.acr.ac.at TO

Hybridfahrzeuge isteswichtig, durch Abwärme geladen werden, FO

73 MAGAZIN FORSCHUNG NATUR UND TECHNIK CChauffeur für die Autobahn

Kalifornien, Deutschland, Schweden: Selbststeuernde Fahrzeuge werden mittlerweile auf dem gesamten Globus getestet. In Österreich wurde die dafür erforderliche Verordnung vergangenen Dezember geschaffen. Doch während die ersten autonomen Fahrzeuge bereits auf offener Straße unterwegs sind, bestehen noch einige Defizite und Forschungsbedarf.

TEXT: ALOIS PUMHÖSEL

ehn Kilometer östlich der Stadt Salzburgliegtdieidyllischekleine Gemeinde Koppl. Der Salzburg- Ring und die Seen des Salzkam- Zmerguts sind nur ein paar grüne Flachgauer Felder entfernt. Seit ein paar Monaten ist der Ort um eine weitere At- traktion reicher. Denn zwischen Gemeindeamt Koppl und der nahegelegenen Bundesstraße liegt die Teststrecke für Österreichs ersten selbstfahrenden Bus. Teststrecke –das heißt, dass das kleine Ge- fährt mit den abgerundeten Ecken des französi- schen Herstellers Navya nicht regelmäßig fährt, sondern Probefahrten nur nach Vereinbarung hahria Sharmin

/S oder zu bestimmten Gelegenheiten erlaubt. Dann bringt der Digibus, wie man ihn hier ge- nannthat,seinePassagiereundeinenzurSicher- Fotos: AP

74 MAGAZIN FORSCHUNG heit anwesenden Fahrermit einer Geschwindig- ständig, Fußgänger und Radfahrer zu erkennen. keit von 20 Stundenkilometern ans andere Ende Mithilfe sogenannter Deep-Learning-Metho- der 1400 Meter langen, zwischen Siedlungen denwerdenderkünstlichenFahrzeugintelligenz und Feldern gelegenen Strecke. nun die richtigen Verhaltensweisen für jede er- Kalifornien, Deutschland, Schweden: Pro- denkliche Situation im Straßenverkehr antrai- jektezurErprobungselbststeuernderFahrzeuge niert und in Simulationen und Tests validiert. gibt es mittlerweile auf dem ganzen Globus. Seit „Das ist eine zeitintensive Aktivität“, betont Da- vergangenen Dezember mit einer entsprechen- niel Watzenig, der sich bei Virtual Vehicle und den Verordnung des Verkehrsministeriums die am Institut für Elektrische Messtechnik und gesetzlichen Grundlagen geschaffen wurden, Messsignalverarbeitung der Technischen Uni nehmen die Roboterautos auch in Österreich Graz mit Sensorik und elektronischen Regelsys- Fahrt auf. Neben der Salzburger Testumgebung temen in Fahrzeugen beschäftigt. „Mit dem kommen auch in der Steiermark bald erste Pro- Ford Mondeo haben wir bereits Fahrten im Aus- befahrten auf der Straße. maß von mehr als 10.000 Kilometer simuliert.“ „Der Minibus kann Strecken abfahren, die Von der simulierten Umgebung wird dann manihmdavorgelehrthat“,sagtKarlRehrl,Lei- auf den richtigen Asphalt gewechselt. Vorerst ter des Forschungsschwerpunkts intelligente findendieAußentestsmitdemFordMondeoam Mobilität bei Salzburg Research. Das System Campus des Forschungsinstituts und auf Test- lernt, indem eine Strecke mit manueller Steue- geländen der Projektpartner Magna und AVL rung per Joystick abgefahren wird und dabei statt.SpätergehtesdannaufdieAutobahn.„Seit Umgebungsdaten aufgezeichnet werden. In einigen Wochen haben wir die offizielle Testge- einem aufwendigen Nachbearbeitungsprozess nehmigung aus dem Verkehrsministerium“, be- werden die Steuerungsalgorithmen etwa an richtetWatzenig.„WirtesteninKürzeaufderA2 Kreuzungen und Haltestellen angepasst. Trifft zwischen Lassnitzhöhe und Graz-West.“ Virtual der Digibus auf ein unvorhergesehenes Hinder- Vehicle nutzt dabei die Test-Infrastruktur nis, bleibt er stehen. Weitere selbstständige Alp.Lab (Austrian Lightvehicle Proving Region Fahrmanöver sollen erst nach Weiterentwick- for Automated Driving) des steirischen Auto- lungen in den kommenden Jahren möglich sein. clusters, die vom Verkehrsministerium mit 5,6 Millionen Euro unterstützt wird. Autonomer Zubringer In der ersten Ausbaustufe der Außentests Die Erfahrungen und Protokolle, die in der mit dem Ford Mondeo stehen „klassische Auto- bis November laufenden Testphase gesammelt bahnszenarien“ im Vordergrund, so Watzenig: werden,sollennichtnurtechnischeErfordernis- Überholmanöver, Abstandhalten zum vorderen se für einen möglichen Regelbetrieb mit einem Fahrzeug. „Ein ,Highway-Chauffeur‘-System, derartigen Fahrzeug klarstellen. Die Salzburger dasaufAutobahnenautonomsteuert,sodassder möchten auch herausfinden, wie sich der Robo- menschliche Fahrer nur noch auf die Autobahn terbus in ein zukünftiges Mobilitätskonzept ein- auf- und abfahren muss, könnte als eine der ers- fügen kann. Für Rehrl sind die 1400 Meter nach tenAssistenzfunktioneninSeriegehen.“Sämtli- Koppl eine „Last Mile“ –die Lückezwischen che Daten von Kamera, Radar und anderen Sen- Wohnort und bestehendem öffentlichen Ver- soren im Wagen der jeweils letzten 30 Sekunden kehrsnetz. Der Digibus wäre hier ein Zubringer einer Fahrt müssen übrigens im Speicher gehal- zum Postbus zwischen Salzburg und Bad Ischl, ten werden –ähnlich einerBlackbox im Flug- der auf der Bundesstraße verkehrt: „Die Strecke zeug. Auf diese Art sollen kritische Vorfälle und wäre sehr gut für den Regelbetrieb geeignet.“ Unfälle einfach rekonstruiert werden können. Doch bis es so weit ist, ist sowohl technisch als In Salzburg, wo man bereits auf erste Stra- auch rechtlich ein weiter Weg zu überwinden. ßenerfahrungenmitdemDigibuszurückblicken Schauplatzwechsel nach Graz. Dort bereiten kann, wird Zwiespältiges berichtet. „Es gibt ein- Entwickler am Grazer K2-Zentrum Virtual Ve- deutig Defizite und weiteren Forschungsbe- hicle einen Ford Mondeo auf die ersten Einsätze darf“,sagtRehrletwa.„Wirhattengedacht,dass auf offener Straße vor –keinengewöhnlichen die Technik bereits weiter ist.“ Eine der Unsi- Ford Mondeo. Das Fahrzeug ist eine offene For- cherheiten liege in der Interaktion mit anderen schungsplattform für das autonome Fahren, Verkehrsteilnehmern. Ihnen ist oft nicht klar, ob vollgepacktmitKamera-undRadarsensoren.Im sie vom Fahrzeugsystem erkannt wurden und Gegensatz zum Salzburger Bus soll sich das Sys- was dieses bei Überholmanövern oder Kreu- tem nicht nur auf einer vordefinierten Strecke, zungssituationen tatsächlich machen wird. sondern theoretisch auf allen Autobahnen, spä- Viel positiver sind die Erfahrungen mit den ter auf jeder Straße zurechtfinden können. Fahrgästen und ihrem Vertrauen in das Fahr- Mit dem US-Hardwarehersteller Nvidia, der zeug.320Personenwurdenbereitstransportiert, für seine leistungsfähige Grafiktechnologie be- etwadieHälftedavonhateinenFragebogenaus- kannt ist, sind die Grazer eine strategische Part- gefüllt. „Weit mehr als 90 Prozent fühlen sich nerschaft eingegangen. Die Nvidia-Chips über- demnach in dem Fahrzeug sicher“, berichtet nehmen im Fahrzeug die Echtzeitberechnung Rehrl. „Da herrscht eher die Frage vor: Wann einesUmgebungsmodellsaufBasisderKamera- wird der Bus fix fahren?“ bilder. Eine eigene Kamera des vor kurzem vom Am 27. und 28. Juni widmet sich ein Symposium des K2- Chipentwickler Intel übernommenen Kamera- Zentrums Virtual Vehicle in der Seifenfabrik Graz zukünf- spezialisten Mobileye ist zudem nur dafür zu- tigen Trends von autonomen Fahrzeugen: www.gsvf.at.

75 MAGAZIN ORSCHUNG RAUMUND ZEIT

Die Fortschritte in der Astronomie erweitern unser Wissen über das Universum in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Aktuelle Durchbrüche der Forschung reichen von spektakulären Entdeckungen über technische Errungenschaften bis zur Planung ambitionierter Missionen zu fernen Himmelskörpern.

Rekordaugen im All und aufder Erde Die Zahl der bekannten Planetenaußerhalb des Sonnensystems wächst rasant –mehr als 3600 Exoplanetenhaben Astronomen bereits entdeckt.Damit steigen auch dieChancen, Leben im All zu finden. In den kommenden Jahrenversprechen gleichzweiProjekte, den Blickauf ferneWelten zu revolutionieren. JamesWebbSpace Telescope 1

1

2018 soll mitdem Hauptspiegel James Webb Space Durchmesser: 6,5 m Telescope [JWST] 18 entfaltbarehexagonale das bisherleistungs- Moduleaus Beryllium mit stärksteWeltraum- Goldbeschichtung teleskop ins All Spiegelfläche: 25 m2 starten. Dasetwa 8,7MilliardenEuro schwereProjektder US-Raumfahrtsbe- hörde Nasa,der Europäischen Weiteste geplanteDestination Weltraumorganisati- Lagrange-2-Punkt, on Esa undder rund 1,5Millionen Kilometer Kanadischen vonder Erde entfernt Weltraumagentur CSA sollvor allem Infrarotastronomie betreiben. dogdu Ay tih Fa

2 nnert; Grafik:

Aufder Erde soll Re 2024 dasgrößte optische Teleskop

Hauptspiegel r: David allerZeiten in Durchmesser: 39,3 m Betrieb gehen:Das Auto ExtremelyLarge 798 hexagonaleTeilstücke Telescope [ELT] Spiegelfläche: 978 m2 wird derzeit in der chilenischen Beobachtungsdesign Atacamawüste

Neben dem Hauptspiegel besteht orthrop Grumman; errichtet.Die dasELT-System ausvier weiteren ,N Konstruktion des Spiegeln, deren Zusammenspiel Projekts der

fürbisherunerreichteBildqualität alçada

Europäischen E .C e sorgensoll.Zudem soll das Südsternwarte x 2 Teleskop über mehrereKameras

p SO/L [ESO] istmit 1,1 tr o em sc und Spektrografen verfügen und :E MilliardenEuro el ele seine Ausrichtung binnen kurzer veranschlagt. y Large T Zeit verändernkönnen. Bilder

Die Suche nach Leben fern der Erde

Die Entdeckung sieben erdähnlicher Planeten katapultierte die Exoplanetenforschung im Februar in die irdischen Schlagzeilen. Die rasanten Erfolge der Astronomie nähren die Hoffnung, außerirdisches Leben zu finden.

TEXT: DAVID RENNERT, TANJA TRAXLER

→ Fotos: Nasa/JPL-Caltech Fotos:

77 MAGAZIN FORSCHUNG RAUM UND ZEIT

Diese Darstellung zeigt die s ieben nahezu erdgroßen E xoplaneten um den Stern T rappist-1. Auf allen könnte es – theoretisch – flüssiges Wasser g eben.

78 MAGAZIN FORSCHUNG RAUM UND ZEIT

→ as Jahr 2017 war gerade erst wird vor allem der Start des James-Webb-Welt- wenige Wochen alt, da hatte es raumteleskops, das als Nachfolger des Hubble- bereits seine erste astrono - Teleskops im kommenden Jahr ins All starten mische Sensation. Wie Ende soll, eine große Rolle spielen. Triaud: „Damit DFebruar bekannt wurde, exis- können wir gezielt nach Molekülen suchen, etwa tiert keine vierzig Lichtjahre von Sauerstoff oder von Methan, aber auch von von uns entfernt ein Planetensystem, das allen anderen Treibhausgasen, die Aufschlüsse über Grund zur Aufregung gibt: Um den kühlen die Bedingungen auf den Planeten oder gar über Zwergstern Trappist-1 im Sternbild Wasser- dortige biologische Aktivitäten geben könnten.“ mann kreisen mindestens sieben Planeten, die Doch auch wenn Trappist-1 in galaktischen theoretisch lebensfreundliche Bedingungen Maßstäben in unserer Nachbarschaft liegt, gibt bieten könnten. Forscher um Michaël Gillon es noch viel nähere Exoplaneten: So wurde 2016 (Universität Lüttich) und Amaury Triaud (Cam- rund um Proxima Centauri, den unserer Sonne bridge University) berichteten in Nature, alle sie- am nächsten gelegenen Stern, ein Planet ent- ben Planeten seien in etwa so groß wie die Erde, deckt, der ebenfalls flüssiges Wasser beherber- zumindest sechs von ihnen dürften auch Ge- gen könnte. Die Proxima b genannte Welt ist der steinsplaneten sein und könnten Oberflächen- Erde zehnmal näher als das Trappist-1-System - temperaturen aufweisen, bei denen flüssiges warum also weiter in die Ferne schweifen? „Das Wasser denkbar ist. Problem mit diesem System ist, dass Proxima b Was die Entdeckung dieser Welten beson- aus unserer Perspektive nicht vor seinem Stern ders interessant macht, ist ihre Konstellation: Sie vorüberzieht“, sagt Triaud. Seine Atmosphäre erlaubt es den Astronomen, bereits mit heutigen zu untersuchen sei daher viel schwieriger und Beobachtungsmethoden viele wichtige Details werde wohl erst mithilfe zukünftiger technologi- zu erforschen. Alle sieben Planeten konnten von scher Entwicklungen möglich werden. der Erde aus entdeckt werden, da sie aus unserer Perspektive vor ihrem Stern vorbeiziehen und Kein Tag ohne Exoplanetenfund dabei Helligkeitsschwankungen verursachen. So sensationell die Entdeckung der sieben Die Forscher konnten aus diesen Daten auf den Planeten um Trappist-1 ob ihrer Konstellation ist, Radius und die Masse der Planeten sowie auf so alltäglich sind mittlerweile neue Funde einzel- ihre Distanz zum Mutterstern schließen und be- ner Exoplaneten. Auf der Website exoplanet.eu/ rechnen, wie viel Energie sie von diesem erhal- catalog, die alle bekannten Exoplaneten anführt, ten. Vor allem kann während des Transits auch sind aktuell mehr als 3600 Planeten gelistet – fast die Planetenatmosphäre untersucht werden: täglich kommen weitere dazu. Das ist umso über- Während ein Planet vor dem Stern vorbeiläuft, raschender, als die Exoplanetenforschung ein re- wird seine Atmosphäre vom Sternenlicht durch- lativ junges Forschungsfeld ist: Es ist keine 25 Jah- schienen. Dabei lassen sich Informationen über re her, dass die erste Welt außerhalb unseres Son- deren Zusammensetzung gewinnen. nensystems gefunden worden ist. „Trappist-1 bietet uns die Gelegenheit, erst- Zwei Jahrzehnte an Exoplanetenforschung mals die Atmosphären von terrestrischen Exo- brachten nicht nur tausende Funde, sondern planeten genauer zu analysieren“, sagt Triaud auch einige Überraschungen zutage. So weiß zum Standard. Der junge Astrophysiker war man mittlerweile, dass die meisten Exoplaneten schon an der Entdeckung von mehr als hundert einen Durchmesser haben, der zwischen jenem Exoplaneten beteiligt, doch die jüngsten Funde der Erde und jenem von Neptun liegt – und damit sind so etwas wie ein kleiner Jackpot. „Wir wis- in einer Größenordnung, die in unserem Son- sen nicht, ob dort tatsächlich Leben entstehen nensystem gar nicht vertreten ist. Weiters waren kann, aber es ist bisher das einzige bekannte Sys- Astronomen überrascht, eine Vielzahl an Plane- tem, in dem wir danach suchen können.“ Dabei ten zu entdecken, die, ohne an einen Zentral- →

79 MAGAZIN FORSCHUNG RAUM UND ZEIT

→ stern gebunden zu sein, frei durchs All reisen. habe eine Wette mit einem Kollegen laufen, ob Freilich handelt es sich dabei um keine lebens- wir zuerst Leben auf dem Mars entdecken werden freundlichen Welten. Hochrechnungen zufolge oder auf einem anderen Stern“, erzählt Hertz. könnte es derer ebenso viele geben wie Planeten, Sein Tipp lautet, dass wir außerirdisches Leben die um einen Stern kreisen. eher außerhalb unseres Sonnensystems finden Unerwartet war auch die Entdeckung von als auf dem Mars. „Aber ich weiß nicht, wie lange kleinen Gasplaneten, die im Gegensatz zur Erde das dauern wird. Möglicherweise gelingt es bald, vor allem aus leichten Elementen wie Wasser- vielleicht erst in einigen Jahrzehnten.“ stoff und Helium bestehen und kaum Gestein und Metalle beinhalten. Dank der Kepler-Mis- Von der Erde lernen sion wissen Forscher heute außerdem, dass zu- Warum Hertz eher auf Exoplaneten und mindest die Hälfte der Sterne von Planeten um- nicht auf den Mars setzt, liegt an einer simplen kreist wird. „Immer wenn man am Himmel Ster- Wahrscheinlichkeitsüberlegung: „Es gibt vieles, ne sieht, weiß man, dass die Wahrscheinlichkeit was wir von der Erde gelernt haben, zum Bei- groß ist, dass diese auch Planeten beherbergen“, spiel, dass Leben hier sehr schnell entstanden ist. sagt Paul Hertz, Astrophysikdirektor der US- Auch wissen wir, dass es überall Leben auf der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa, im Erde gibt – auf den Gipfeln der Berge und auf dem Gespräch mit dem Standard. Grund des Ozeans“, so der Astrophysiker. „All Trotz der vielen Erfolge in der Exoplaneten- das scheint zu implizieren, dass Leben natürli- forschung ist der große Triumph bisher ausge- cherweise entsteht, wenn die Bedingungen da- blieben: die Entdeckung außerirdischen Le- für erfüllt sind.“ bens. Um diesem Ziel näherzukommen, definie- Die Unbekannte in dieser Rechnung ist, wie ren Forscher die sogenannte habitable Zone, in hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass auf einem der Exoplaneten prinzipiell bewohnbar wären. lebensfreundlichen Planeten auch tatsächlich Eine entscheidende Voraussetzung dafür ist, Leben entsteht. „Vielleicht ist es eins zu einer dass die Existenz von flüssigem Wasser theore- Million, vielleicht sind es hundert Prozent – tisch möglich wäre – sprich dass sich der Exopla- wahrscheinlich ist es ein Wert dazwischen“, sagt net weder in zu großer noch in zu geringer Dis- Hertz. Jedenfalls ist die Wahrscheinlichkeit tanz zu seinem Mutterstern befindet. umso höher, Leben zu finden, wenn man sich Um die Bewohnbarkeit eines Planeten ma- mehrere Planeten ansieht, nicht nur den Mars. thematisch zu erfassen, wurde der sogenannte Innerhalb unseres Sonnensystems konzen- Earth Similarity Index (ESI) definiert. Der ESI- triert sich die Suche nach extraterrestrischem Wert wird aus der Größe des Planeten und sei- Leben neben dem Mars auch auf einen Jupiter- nen Bahndaten berechnet und gibt mit einem mond, von dem man weiß, dass ein salzreicher Wert zwischen 1 und 0 an, wie ähnlich ein Planet Ozean unter seiner Oberfläche liegt. „Das ist die der Erde ist. Mit einem ESI-Wert von 0,64 ist der Art von Bedingungen, unter denen Leben entste- Mars der erdähnlichste Planet unseres Sonnen- hen könnte“, sagt Hertz. systems und damit der wahrscheinlichste Kandi- Für die Suche außerhalb unseres Sonnensys- dat, um dort extraterrestrisches Leben zu finden. tems verspricht das James-Webb-Space-Tele- Je nachdem, wie streng man das Kriterium der skop, das größte Teleskop, das je ins All ge- Habitabilität definiert, bleiben von den rund schickt worden ist und dessen Start für 2018 ge- 3600 heute bekannten Exoplaneten gerade ein- plant ist, den nächsten Durchbruch. Damit soll mal ein paar Dutzend oder sogar nur 15 Planeten es möglich werden, die Atmosphäre von Plane- als potenziell bewohnbar übrig. ten besser zu analysieren, als es bisher der Fall Doch wo ist es am wahrscheinlichsten, außer- ist. Methan oder Kohlenstoffdioxid könnten irdisches Leben zu finden? Über diese Frage sind Hinweise für Leben sein, ob sie gar als Beweise selbst die Spitzen der Astrophysik uneins. „Ich gelten, ist derzeit allerdings noch unklar. „Das

80 MAGAZIN FORSCHUNG RAUMAU UNDND ZEIT

sind die harten Fragen, vor denen wir stehen, stattfindet:„DieArtderFragen,diewirunsinder wenn wir außerirdisches Leben suchen“, sagt Astrophysik ansehen, etwa wie das Universum Hertz.DennobSpurensolcherGaseinderAtmo- entstand und ob wir allein im Universum sind – sphäre zwangsläufig von biologischen Prozes- das sind Fragen, die die Menschheit jahrtausen- sen stammen, ist bisher nicht gesichert. delang beschäftigt haben. Bisher konnten wir Auf der Erde wird indes am größten opti- nur darüber spekulieren, aber jetzt sind wir erst- schen Teleskop aller Zeiten gebaut, dem Extre- mals in der Lage, diese Fragen wissenschaftlich mely Large Telescope der Europäischen Süd- zu beantworten.“ sternwarte. Ab 2024 erhoffen sich Forscher da- Ähnlich formuliert es auch Triaud für die mit von der chilenischen Atacamawüste aus Be- jüngsteEntdeckung:„Trappist-1isteingroßarti- obachtungen in bisher unerreichter Qualität. ges Experiment, über das wir uns in der Theorie Hertz ist es auch wichtig, den großen Kontext schon lange den Kopf zerbrechen und das wir zu betonen, in dem die Exoplanetenforschung nun endlich durchführen können.“

PLATZFÜR SEPPS ARTIFICIAL INTELLIGENCE.

Prof.Sepp Hochreiter und sein Team an der Johannes KeplerUniversitätbringen Computern das Lernen bei. Das AI LAB des Linz InstituteofTechnology (LIT) läutet ein neues Zeitalter ein: in der Forschung und Anwendung vonKünstlicher Intelligenz. jku.at inz, Juni 2017 tL pler Universitä Ke 81 MAGAZIN Driving the FutureofComputing FORSCHUNG ohannes ©J GASTKOMMENTAR JETZT IST ABER SCHLUSS! Kritik ohne Hoffnung ist leer

Obwohl es der Menschheit noch nie so gut ging, erleben wir eine Inflation der dunklen Weltbilder. Es gibt nichts, was uns keine Sorgen macht – auch was Entwicklungen wie Robotik und Gentechnik betrifft. Da braucht es ein Nachdenken über einen guten Ausgang der Geschichte.

THOMAS MACHO

egenwärtig leben wir in einem Ähnliches gilt für die Seuchen. Noch an der Zeitalter düsterer Weltbilder. Spanischen Grippe von 1918 starben während „Die Welt steht auf dem weniger Monate zwischen fünfzig und hundert Kopf“, heißt es an Stamm- Millionen Menschen, deutlich mehr als während Gtischen oder in Talkshows. des gesamten Ersten Weltkriegs. Manche Seu- Fünfhundert Jahre nach dem chen wurden inzwischen ganz ausgerottet, an- Erstdruck der Utopia von Thomas Morus domi- dere werden rasch und erfolgreich bekämpft. nieren Ängste und Untergangserwartungen. 2002 fürchtete man, die Sars-Epidemie werde Utopien werden rasch als Dystopien kritisiert zur neuen Pest aufsteigen; tatsächlich forderte und verworfen. Solche Haltungen werden ge- sie etwa 1000 Opfer. Selbst die westafrikanische rade gegenüber wissenschaftlich-technischen Ebola-Epidemie von 2014, die inzwischen für be- Fortschrittshoffnungen eingenommen: Die endet erklärt wurde, bewegt sich – mit 30.000 In- Gentechnik wird – nicht nur in der Landwirt- fektionen und 11.000 Toten – eher im untersten schaft, sondern auch in der Medizin – mit mons - Bereich historischer Seuchenstatistik. Und Aids? trösen Züchtungsprogrammen und Menschen- Die Medizin, so argumentiert Harari, brauchte experimenten assoziiert. Das Internet wird zu- gerade einmal zwei Jahre, um die Seuche und die nehmend als Plattform des Hasses, des organi- Verbreitungswege des Virus zu verstehen, den sierten Verbrechens, der Kontrolle, Überwa- Krankheitsverlauf zu verlangsamen und zuletzt Dreer Jan / IFK Foto: chung und Unbildung wahrgenommen. Der das Todesurteil in chronisches Leiden zu ver- Der Kulturwissen- wachsende Einsatz von Industrie- und Pflege- wandeln. Was wäre passiert, wenn Aids im Mit- schafter Thomas robotern wird vorrangig als Vernichtung von telalter aufgetreten wäre? Macho ist Direktor Arbeitsplätzen kommentiert, als hätten nicht Warum fällt es so schwer, diese Entwicklun- am Internationalen Generationen von Denkenden in früheren Epo- gen positiv zu bewerten? Warum erstarren wir in Forschungszentrum chen das Ende der Plackerei, ein Leben in Muße, einer Art von Angst, die sich gern als Kritik ver- Kulturwissenschaften als höchstes Ziel erträumt. Kaum rückt das Mo- kleidet, um doch dabei zu vergessen, dass die Be- (IFK) der Kunstuni dell eines Grundeinkommens in historisch greif- griffe der Krise und Kritik aus dem medizini- Linz. bare Nähe, wird schon das „Recht auf Faulheit“, schen Wortschatz stammen und ehemals die das Paul Lafargue bereits 1880 proklamiert hat- Unentscheidbarkeit einer aktuellen Lage be- te, verteufelt und diskreditiert. zeichneten, die sowohl zum Guten (der Gene- Dabei steht die Inflation der Ängste in denk- sung) als auch zum Schlechten (dem Tod) aus- bar schärfstem Kontrast zu den Fortschritten der schlagen kann? Wer weiß, vielleicht werden wir letzten Jahrzehnte, die der Universalhistoriker einmal die Gründung einer europäischen Re- Yuval Noah Harari in seinem Buch Homo Deus. publik feiern. Vielleicht werden wir schon in we- Eine Geschichte von Morgen (2017) geradezu als nigen Jahren den Prozess der Digitalisierung und Sieg über die apokalyptischen Reiter der Vergan- der Ausbreitung medialer Netzwerke als zweite genheit charakterisiert hat. Unter Berufung auf „Alphabetisierung“, als den menschheitsge- aktuelle Statistiken argumentiert er etwa, dass schichtlich beispiellosen Schritt zur „Noosphä- der Hunger inzwischen weltweit zurückge- re“ Teilhard de Chardins kommentieren? Und drängt, wenngleich noch nicht überwunden vielleicht werden wir auch die Überwindung bis- wurde. Doch im 21. Jahrhundert sterben signifi- her unheilbarer Krankheiten erleben. kant mehr Menschen daran, dass sie zu viel ge- Wohlgemerkt, ich plädiere nicht für „positi- gessen haben, als an Hunger und Unterernäh- ves Denken“ oder einen haltlosen Optimismus, rung. Laut Erhebungen von 2014 kämpfen heute sondern für einen Aufschwung kreativer Fanta- etwa 2,1 Milliarden Menschen mit Übergewicht, sie, gerade in den Wissenschaften. Und dazu ge- während 850 Millionen an Hunger und Unter- hört, dass wir auch das Nachdenken über einen ernährung leiden; 2010 starb eine Million Men- guten Ausgang der Geschichte verteidigen. schen an Hunger und Unterernährung, drei Mil- Denn Hoffnung ohne Kritik ist blind, doch Kritik lionen hingegen starben an Fettleibigkeit. ohne Hoffnung ist leer.

82 MAGAZIN FORSCHUNG FORSCHUNGSPEZIAL JedenMittwochblickt derStandard auf dieHintergründevon Wissenschaftund Forschung. WastreibtAstrophysiker bei derErforschung vonExoplaneten an? Welche neuenAnsätze gibt es zur Behandlung vonKrebs?WelcheChancen hatdie Gesellschaft durchRobotik und autonomesFahren? Mitwelchen Methoden lassen sich gesellschaftliche Entwicklungendarstellen? In Berichten, Reportagen,Interviewsund Analysen werden diese undandereFragen wöchentlichauf achtSeiten erklärt. So funktioniert Wissensvermittlung. FORSCHUNGSPEZIAL istdamit das ideale Umfeld fürheimische Forschungsinstitutealler Art.

der Weltklimarat IPCC (Inter- governmental Panel on Climate Change) als Schnittstelle zwi- schen Wissen

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