Von Prof Dr. Hermann Jung, Mannheim

Justin Heinrich Knecht (1752-1817)

Ein oberschwäbischer Komponist im Umfeld derWiener Klassik

"Nach Erfahrung, Können, Persönlichkeit und Grund- senhausen durch das Schützenfestlied "Rund um tendenz hält das Werk natürlich mit Beethoven nicht mich her ist alles Freude". Wir kennen zudem einige entfernt einen Vergleich aus, es ist und bleibt aber Choralmelodien und Orgelstücke, vielleicht noch sei- dessen ungeachtet nach Plan und Ausführung der ne ebenfalls neu edierte Orgelschule. Knechts reich- merkwürdigste unter allen Vorläufern zur 6. Sympho- haltiges Schaffen für die Bühne, seine Opern, Sing- nie unseres großen Meisters." spiele und Melodramen, sind vorerst vergessen. Das Gleiche trifft weitgehend auch auf die geistliche Mu- Mit dieser Aussage über Justin Heinrich Knechts sik, auf das schmale, z.T. nicht erhaltene CEuvre der Symphonie Le Portrait musical de la Nature setzte der Kammermusik und der Klavierwerke und auf seine Musikhistoriker Adolf Sandberger 1924 eine Diskus- musiktheoretischen Abhandlungen zu. Franz Schlegel sion darüber in Gang, aus welchen Quellen die verfasste 1980 eine verdienstvolle kleine Monogra- großen Meister der Musik ihre ersten kompositori- phie über Knecht. Michael Ladenburger hat sich in schen Anregungen und künstlerischen Impulse bezie- seiner leider ungedruckten Dissertation von 1984 aus- hen, eine Diskussion, die oftmals der schöpferischen führlich mit Leben und Werk des Komponisten be- Idee wie im Falle Knecht nur die Funktion eines Stich- schäftigt. Von den älteren Arbeiten sind insbesondere wortes zur Weiterentwicklung und Optimierung zu- die von Emil Kauffmann (Tübingen 1892) und August billigt. Dieses Klischee wird bis in die jüngsten Beet- Bopp (Kassel 1930) zu nennen. hovenpublikationen weitergetragen. Eine andere Einschätzung erfahren wir von seinen Jugend und Ausbildung Zeitgenossen. Als "ein Mann, der in gleichem Grade als Kenner der Theorie der Tonkunst, als Componist, Justin Heinrich Knecht kam am 30. September Orgelspieler und Musiklehrer, Achtung verdiente, 1752 in Biberach zur Welt, drei Jahre nach Johann und Achtung fand", wird Knecht in einem Nekrolog Wolfgang v. Goethe (28. August 1749), vier Jahre vor der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung Wolfgang Amade Mozart (27. Januar 1756) und zwei vom 18. März 1818 charakterisiert. "Knechts Geist", Jahre nach dem Tode Johann Sebastian Bachs (28. Juli so heißt es dort weiter, "schien uns immer weniger ge- 1750). Seine Ahnenreihe, aus Bauern, Handwerkern eignet, wahrhaft Eigenthümliches zu erfinden, als und Handeltreibenden zusammengesetzt, ist, so be- schon Vorhandenes zu würdigen, sich anzueignen, merkt Franz Schlegel nicht ohne Stolz, "durch und und es nun nach eigener Art zu verarbeiten." Der durch schwäbisch". Die Mutter Anna Katharina geb. Chronist einer der angesehensten Musikzeitschriften Hiller (1732-1783) stammte aus einer alteingesesse- des 19. Jahrhunderts zeichnet in diesem Nachruf in nen Biberacher Familie; der Vater Johann Georg wenigen markanten Strichen ein Bild Knechts, seiner Knecht (1722-1773) führte als evangelischer Kantor Vielseitigkeit als Künstler und Pädagoge, der Einschät- und gelegentlicher Sänger auf dem Theater die Traditi- zung als Komponist, seiner menschlichen Persönlich- on des Anfang des 16. Jahrhunderts nach Biberach ge- keit und auch des kompositorischen Wertes seiner kommenen hochmusikalischen Knecht-Stamms weiter. Musik. Die Sätze behalten bis heute ihre volle Gültig- Mit neun Jahren erhielt der junge Justin Heinrich keit. Wissenschaft und künstlerische Praxis vermögen von seinem Vater - und Gesangunterricht. 1762, freilich Knechts Leistungen stärker zu objektivieren, mit zehn Jahren, trat er in das Alumnat in Biberach sie in das zeitliche und geographische Umfeld einzu- ein, eine kirchliche Erziehungsanstalt, in der man ne- ordnen, die Wertigkeit der Kompositionen exakter zu ben der schulisch-wissenschaftlichen Bildung beson- benennen und somit dazu beizutragen, das ein oder deren Wert auf Singen und Instrumentalspiel legte. andere Werk der Vergessenheit zu entreißen und in Knecht wurde im Alumnat mit Leopold Mozarts Ver- öffentlichen Aufführungen wie auf Tonträgern zu prä- such einer gründlichen Violinschule (1756) und mit sentieren. Carl Philipp Emanuel Bachs Versuch über die wahre Wir kennen Justin Heinrich Knecht heute wohl am Art das Clsvier zu spielen (1753) vertraut gemacht. ehesten durch seine von Sandberger erwähnte pro- Er hatte zudem bei dem katholischen Organisten Cra- grammatische Symphonie Le Portrait musical de la mer Unterricht im Orgelspiel und im Generalbass. Nature, ein seit einigen Jahren im Neudruck vorlie- Über die Wichtigkeit des Alumnats für Ausbildung gendes Werk, in Biberach und natürlich auch in Och- und Praxis äußerte sich Knecht später im Jahre 1802, 24·25

als die badische Regierung die Einrichtung aufzuhe- ben drohte: "Zugleich leuchtet auch die Notwendig- keit des Alumnats aus seiner bisher, wiewohl nur kürzlich dargestellten Bestimmung von selbst in die Augen, wenn anders neben der pünktlichen und exakten Bestellung vorbeschriebener kirchlicher Ver- richtungen ein wohlgeordneter Choralgesang und eine gut bestellte Kirchenmusik (beide wesentliche, Herz und Geist erhebende Theile der öffentlichen Gottesverehrung) auch auf die Zukunft aufrechterhal- ten und fortgepflanzt werden sollen " Ein weiterer wichtiger Ausbildungsabschnitt wa- ren die drei Jahre zwischen 1768 und 1771 im Colle- giatstift in . Durch besondere per- sönliche Förderung von Rektor Böckh konnte Knecht seine sprachlichen, wissenschaftlichen und musika- lisch-künstlerischen Studien weitertreiben. Er hörte in der Stadtkirehe eine Reihe geistlicher Werke, insbe- sondere von Carl Heinrich Graun. Im Hause von Rek- tor Böckh in Esslingen lernte er zudem dessen Schwa- ger Christian Friedrich Daniel Schubart als Klavier- spieler und Sänger kennen. Justin Heinrich Knecht. Stich des Münchner Nach dem erfolgreichen Abschluss im Esslinger Kupferstechers Gramm, 7803. Collegium stand Knecht der Weg zu einem Studium Marchtal wurde "Die Schöpfung" als eine der ersten an der Universität offen. Stattdessen nahm er mit ge- deutschen Aufführungen in Biberach vorgestellt. Das rade 19 Jahren auf Wunsch der Ratsherren in Bibe- Aufführungsmaterial ist nicht erhalten, wohl aber ein rach die Stelle eines Präzeptors an der Lateinschule detailliertes "Verzeichniß der mit musicirenden Perso- und des evangelischen Musikdirektors an - eine fol- nen", das heute im Wieland-Museum aufbewahrt genschwere Entscheidung, die ihn mit Ausnahme ei- wird. Dieses wichtige Dokument gibt zugleich Aus- nes wenig rühmlichen Intermezzos am Stuttgarter kunft über die Besetzung und Aufführungspraxis der Hoftheater von 1806 bis 1809 zeitlebens im klein- Zeit. Mit 42 Chorsängern und 59 Instrumentalisten städtischen Biberach festhielt. lag die Biberacher Aufführung zwischen den mehr kammermusikalischen und den großen repräsentati- Erste Biberacher Phase: Haydns "Die Schöpfung" ven Besetzungszahlen des Oratoriums in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In St. Martin errichtete In dieser ersten Biberacher Phase bis 1806 wirkte man im Altarbereich für den Chor eigens ein Gerüst, Knecht vorwiegend als Komponist und Interpret eige- das sonst nur am sogenannten "Schwörtag" , dem da- ner kirchenmusikalischer Werke sowie von Opern mals höchsten Festtag der Stadt, Verwendung fand. und Singspielen. Zu einem besonderen Ereignis wur- Auch ein Textbuch wurde den Hörern zum Mitlesen de 1802 die Aufführung von Joseph Haydns Orato- während des Konzertes angeboten. rium "Die Schopfung". Zwei von Knecht initiierte Dass Haydns "Schöpfung"in Biberach, der ehema- und geleitete Aufführungen fanden am 30. September ligen Freien Reichsstadt, entgegen der sonst üblichen (Knechts 50. Geburtstag!) und am 1. Oktober in der Praxis in Wien und anderswo nicht im Konzertsaal, Pfarrkirche St. Martin statt. Haydns Werk, das Knecht sondern in der Kirche stattfand, mag auch auf die kon- wohl wegen seiner tonpoetischen Gestaltung und dif- fessionelle Besonderheit der Pfarrkirche zurückzu- ferenzierten lautmalerischen Klangfülle sehr zusagte, führen sein. St. Martin wird seit 1548 von beiden war erst vier Jahre zuvor, am 30. April 1798, in Wien Konfessionen beansprucht; nach dem 30-jährigen uraufgeführt worden. Mit Beteiligung von Musikern Krieg bestätigte der Westfälische Frieden von 1649 und Sängern aus Ochsenhausen, Schussenried und dieses "Simultaneum". Beide Konfessionen nutzen Von Prof Dr. Hermann Jung, Mannheim

die Kirche seitdem in gleichberechtigter, friedlicher Operntheater zu führen? Jedenfalls mehrte sich die Partnerschaft auf vielfältige Weise und auch zum Kritik an seiner Person als Dirigent wie auch als Kom- Wohle des bürgerlichen und kirchlichen Lebens in der ponist. Trotz einer im Mai 1807 erfolgten festen An- Stadt. 1746 bis 1748, d. h. nur wenige Jahre, bevor stellung bei Hof vermochte Knecht in Stuttgart nicht Knecht in Biberach zur Welt kam, wurde der bis Fuß zu fassen, nicht zuletzt auch durch die ihm feh- dahin gotische Innenraum barockisiert. Der Künstler lende Familie, die er in Biberach zurückgelassen hatte. Iohannes Zick bekam den Auftrag, im gemeinsam ge- Als im Sommer 1807 Franz Danzi aus München nutzten dreigliedrigen Kirchenschiff Deckenbilder mit als erster Kapellmeister an den Stuttgarter Hof kam Motiven aus dem Leben Iesu und weitere Gestalten und auch die Orchesterleitung an einen anderen ver- der Bibel zu malen, die beiden Konfessionen gleich geben wurde, blieben für Knecht nur noch nachge- wichtig waren. Der "katholisch" gebliebene Chor- ordnete Tätigkeiten übrig wie Veranstaltungen von raum wurde mit Darstellungen der Gottesmutter Ma- Kirchenmusik oder Beratungen in Sachen Orgelbau. ria, einem Fresko der mit der Papsttiara gekrönten Entmutigt und tief enttäuscht kehrte er in seine Hei- Ecclesia und einem Hochaltar von 1720 ausgestattet. matstadt zurück. Der Biberacher Maler Iohann Baptist Pflug (1755- Am Hoftheater in Stuttgart 1866), der eines der wenigen Porträts des Komponis- ten schuf, lässt uns in seinen "Erinnerungen eines Die Jahre am Stuttgarter Hoftheater von 1806 bis Schwaben" über die Stuttgarter Jahre ein wenig in das 1809 zählen, wie erwähnt, zu den weniger erfreu- Seelenleben des damals Mittfünfzigers blicken. "Am lichen Zeiten im Leben Knechts.Der gute Ruf des Ende Oktober 1806 wurden wir königlich württem- Biberacher Musikdirektors war bis zum Württember- bergisch, und der Ruf, den sich Herr Knecht schon da- gischen Königshaus gedrungen. In Stuttgart sollte er mals erworben hatte, machte, dass er vom König die Direktion des Hoforchesters übernehmen. Lag es Friedrich zum Direktor der königl. Hofkapelle er- nun an der Missgunst einiger Mitglieder des Hof- nannte wurde und 1807 dahin reißte und aber anno orchesters oder an Knechts begrenzten Fähigkeiten, 1809 wieder das Amt niederlegte und nach Biberach ein so renommiertes professionelles Ensemble und das zurückkehrte. Da er ein geradeaus einfacher Mann im

Justin Heinrich Knecht nach einem Porträt Umgang mit den Menschen war, so ward ihm diese des Biberacher Malers Johann Baptist Pflug. Stelle bald zuwider, da er gar keine Hofmanier hatte und solche Complimente liebte. Denn er sagte öfters: Lieber will ich in Biberach bei meinem Bierle sitzen, als eine solche Hofluft athmen, die mich vom freien Menschen zum unfreien Menschen machte. Nur kei- ne solche eigenliebische niemals fehlen wollende Mu- sik-Menschen dirigieren zu wollen! Dagegen warf ihm die Hofkapelle vor, dass er grob gewesen, immer bei den Proben, ja sogar bei den Produktionen laut ge- rufen: was, was ist das! falsch, falsch! pfui, pfui! wo blaset ihr denn in Gottesnamen hin! Schand, Schand! kein Takt, kein Takt! Ja, Ja, so gehts, wenn man d'Sach nur halbe lernt! - Natürlich bei solchen Vorfäl- len hatte er immer Verdruß einzuärndten, und wurde ihm mancher Schabernack gespielt, der dem König Friedrich nicht unbekannt blieb, und so machte man ihn darauf aufmerksam seine Entlassung zu nehmen - ,Hands dürfe nit zweimal saga, bin gern ganga, gern ganga. I bin kein Ulmer Kuhhirth.' - Wenn er in Ge- sellschaft auf dieses Thema kam, war er sehr aufge- bracht: ,Ja, ja, hätt in Stuttgart Esel lang Ohr heissen sollen, das ist mein Sach! '" 26·27

stellen ein Kompendium des Orgelspiels und des Or- gelklangs um 1800 dar und belegen zugleich den Übergang vom Barock zur Klassik. Knecht bediente sich hier einerseits der Polyphonie eines J. S. Bach, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weit- gehend vergessen war und zu dessen Wiederent- deckung er beitrug. Andererseits führte er den klassi- schen Stil als Oberstimmensatz mit Begleitung ein, wobei auch die Orgelmusik und die Oper in Italien ei- nen nicht unerheblichen Einfluss auf ihn ausübten. hat ein Exemplar der Knecht'- sehen "Orgelschule" besessen und sich mit ihr be- schäftigt. Die Mischung aus gebundenem und freiem Stil, ein brillianter Vortrag sowie der gelungene Ver- such, orchestrale und tonpoetische Vorstellungen und Wirkungen auf die Orgel zu übertragen, sind exem- Stich von Hofkupferstecher d'Argent, aus: "Württembergisches Choralbuch. Zweiter plarisch und repräsentativ zugleich für den Stil- und Teil",Stuttgart 7876. Geschmackswandel wie für die Aufführungspraxis dieser Zeit. Zweite Biberacher Phase: Choräle und Orgelwerke Kirchenmusik und Psalmvertonungen

Die zweite Phase von Knechts Wirken nach seiner Die vier erhaltenen Psalmvertonungen gehören zu Rückkehr aus Stuttgart verlagerte den schöpferischen den wichtigsten Werken Knecht'scher Kirchenmusik, Schwerpunkt auf die Schriften zur Musiktheorie, auf wenn nicht gar seines gesamten Schaffens. Der 23. die Herausgabe von Lehrwerken und auf pädagogi- Psalm "Gott ist mein Hirte", der 6. "Herr, straf' mich sche Tätigkeiten, u. a. als Orgellehrer. Sein reichhal- nicht in deinem Zorne", der 1. "Heil dem Manne, der tiges kirchenmusikalisches Schaffen, das ihn bald über dem Rat der Frevler sich entzieht" und der lateinische die Stadt- und Landesgrenzen hinaus bekannt machte, 110. (109.) Psalm .Dixit Dominus" sind zwischen setzte bereits gegen Ende der 80er-Jahre ein. Die Rei- 1783 und 1801 entstanden. Der Organist und Kantor he von Choralbüchern und -sammlungen eröffnete Franz Raml stellte mit dem Hassler Consort alle vier das 1798 von Christmann und Knecht herausgegebe- Psalmen in einem Festkonzert am Vorabend des 250. ne "Choralbuch fiir die evangelische Kirche in Würt- Geburtstages Knechts in der Klosterkirche Ochsen- temberg" und eine "Vollständige Sammlung theils Titelblatt des Psalm drucks von 7788, Bosslet- ganz neu componirter, theils verbesserter vierstimmi- sehe Verlagsbuchhandlung Speyer. ger Choralmelodien für das neue Württembergische Landesgesangbuch "von 1799. Die Orgelwerke dienten überwiegend der gottes- dienstlichen Praxis und zu Unterrichtszwecken, wie der Titel einer Sammlung von 1794 andeutet: "Neun- zig kurze und leichte neue Orgelstücke, bestehend u;lch l\105U 1\1f.wnH~!~~II::s·Ud}<:rfl:z,mng. aus Vorspielen, angenehmen Stücken, und Verset- "irr W(·[.:lltlidlt1:! Singnimmcn, Orgel oder CI.wiccmbal und Harr.'II, ten, in der Manier des berühmten Herrn Abt Vogler ~",",... .b.o:<"r.I..J ••, Ik.!.;••••;•",,'Il.Vl()LUI[!f,11. I'.RATiCUEN.il.onOtl',I1.fl.O;f[li".11'E)_ gesetzt von Justin Heinrich Knecht, Musikdirektor in SEINEIl I-!OCHl"ÜllS'I'UCHEN ])unCHLAUCIIT Bibersch. " Zum Höhepunkt wurde zweifellos die [,RßPHlNZf,N ZU«-lIl~"SENII)Al1MSTA!rr " Vollständige Orgelschule fiir Anfänger und Geübte- re in drei Abtheilungen ", herausgegeben zwischen 1795 und 1798. Die in ihr gesammelten Kompositio- nen von Fugato-Versetten bis zu "Cantabile"-Stücken Von Prof Dr. Hermann Jung, Mannheim

hausen vor, z. T. als Erst- oder gar Uraufführungen. Recitativen und Arien bestehet, sondern überdieses Eine Reihe weiterer Psalmvertonungen sind heute lei- das Gepräge des Aufbrausenden im Orchester, des der verschollen. feurigen Zeitmaaßes im Vortrage und des Abgestoße- Es hat den Anschein, als habe Knecht in diesen nen auf den Instrumenten nur allzudeutlich an sich Werken sein ganzes kompositorisches Können hinein- hat. Ist eine solche Kirchenmusik nicht üppig, und gelegt. In Formanlage und Besetzung sind sie Kanta- also auch zweckwidrig, weil die Andacht, welche er- ten vergleichbar mit Gesangssolisten, vierstimmigem reget werden soll, nicht nur verloren geht, sondern, Chor und Orchester, das von geringstimmiger Beglei- was noch mehr, die Zuhörer, deren Ohren bald durch tung bis zu großer symphonischer Besetzung reicht. einen Chor mit einem bedeutungslosen Geräusche Auch die vielfältige, differenziert eingesetzte Satz- angefüllet, oder bald durch eine künstliche, wollust- technik beeindruckt: Verhaltene Chorpassagen a cap- athmende und noch dazu von einer Syrenenstimme pella, zumeist im chorischen Satz eingebettete kon- gesungenen Arie so bezaubert werden, daß man dann zertant-virtuose Arienteile oder klanglich ausbalan- aus dem Tempel in's Opernhaus versetzet zu seyn sich cierte, machtvolle Fugen zeigen wiederum die Stilmi- beinahe getäuschet fühlt?" schung und die Ausdruckskraft von Kirchenmusik, Als Kern seiner Reformvorstellungen formuliert wie wir sie von den Wiener Klassikern her kennen. Knecht: "Das Wesen der Kirchenmusik bestehet Zudem kamen ihm die bilderreichen zeitgenössischen vorzüglich 1.) in einem wesentlich vier- oder mehr- Psalmübersetzungen von Johann Andreas Cramer (1., stimmigen Satze, d. i. darinnen, daß eine jede Stimme 23. Psalm), dem evangelischen Theologen und einen eigenen fließenden Gesang, eine natürliche Schriftsteller, und von Moses Mendelssohn (6. Psalm), Bewegung und einen eigenen charakteristischen einem der bedeutenden Philosophen und Literaten Gang haben muß, [...] 2.) meistens im gebundenen der Aufklärung, für seine musikalisch-rhetorischen Stile, im Contrapunct und in der Kunst, Canonen, wie tonmalerischen Vorlieben sehr entgegen. welche blos Nachahmungen, und Fugen, welche Nicht umsonst erwähnte der bereits zitierte unbe- Nachahmungen der Harmonie und Melodie sind, zu kannte Verfasser des Nekrologs gerade diese Psalm- schreiben. " kantaten: "Zu Compositionen für die Kirche eigneten Als Haupteigenschaft des Kirchenstils nennt ihn [Knecht] seine Talente und Einsichten, so wie sein Knecht "eine edle Einfalt", weiterhin "einen langsa- frommer Sinn, ganz vorzüglich: aber von seinen vie- men und majestetischen Gang" in langen Notenwer- len Leistungen dieser Art sind nur wenige öffentlich ten. "Nach Maasgabe des Inhalts des Textes muß sie erschienen, und ausser diesen nur einige noch uns be- [die Kirchenmusik] bald erhaben oder prächtig, bald kannt worden. Unter dem, was uns hieher Gehöriges ernsthaft oder sanft und lieblich, bald traurig oder zugekommen, glauben wir seine Choralbücher, und gemäßigt frölich, aber immer andachts- und empfin- seine Compositionen des Psalmen: Dixit Dominus - , dungsvoll seyn." Andacht, ehrfurchtsvolle Empfin- noch mehr aber die, des Psalmen. Gott ist mein Hirt- dungen, die Erhebung des Herzens zu Gott als Zweck- [...] rühmen zu müssen. Die einfachedIe und doch bestimmung aller Kirchenmusik verbieten zugleich kunstreiche, dem Texte vollkommen angemessene, allzu heftige sowie negative Affekte wie .Rachbegier- und sanft eindringliche Behandlung dieses Psalmen, de, Eifersucht, Spötterey" sowie "alles Niedrige und scheint uns musterhaft, und werth, Knechts Anden- Wütende". Positiv ausgedrückt, sind es die "frommen ken für immer zu erhalten." Affekte" wie "Freude, Dankbarkeit, Liebe, Sehnsucht, Knecht selbst hat sich in einer ausführlichen Ein- Traurigkeit, Mitleiden, Reue", die sogar allein durch leitung zum Druck seines 23. Psalms von 1783 mit vier Singstimmen, Orgel und allenfalls mit diesen un- dem Zustand und der Reformbedürftigkeit der Kir- tergeordneten Instrumenten hervorgebracht werden. chenmusik auseinandergesetzt. Einige Passagen da- Zum Schluss seiner ebenso geschickt wie wir- raus seien angesprochen. Zunächst werden "Römi- kungsvoll aufgebauten Abhandlung kommt Knecht sche Verhältnisse" beklagt, "... da die heutige von ih- auf die "erforderlichen Eigenschaften eines Compo- rer ursprünglichen Würde und edlen Einfalt so weit nisten der Kirchenmusik" zu sprechen. Nicht derjeni- herabgekommen ist, und nunher der theatralischen ge, der für das Theater zu trocken schreibe, sei für die Musik nur allzusehr gleichet, indem jene nicht allein, Kirche der rechte Mann. "Ein geistlicher Tonsetzer wie diese, in einer abwechselnden Reihe von Chören, muß eine, mit einer tiefen und gründlichen Theorie 28·29

verbundene, vieljährige und mannigfaltig versuchte Theater zu komponieren und bei der Aufführung Praxis haben, hauptsächlich aber voll heiliger, religiö- selbst mitzuwirken. ser Empfindungen seyn." Knecht beruft sich dabei auf Die später seit 1773 entstandenen Werke Knechts den zeitgenössischen Altertumsforscher Johann Ioa- für das Musiktheater (Singspiele, "Operetten", Opern, chim Winckelmann.Das antike Griechenland, so Schauspielmusiken und Melodramen) wurden über- Winckelmann, habe "Künstler und Weltweise in einer wiegend für Biberach konzipiert und dort auch aufge- Person gehabt - daß der Weisheit und Kunst die Hand führt. Beide Knecht-Familien - Iohann Georg Knecht, gereichet, und den Figuren mehr als gemeine Seelen zwei seiner Kinder Justin Heinrich und Elisabeth Feli- eingeblasen habe".Bezogen auf "die Dichter der Ton- citas, als Schauspielerin unter ihrem Ehenamen Abt kunst" heißt dies für Knecht:"Der Componist muß recht bekannt geworden, und Sebastian Knecht mit die heiligen Bewegungen, die er in seine Musik legen seinen vier Kindern - unterstützten in diesen Jahren will, in sich selbst fühlen. Er muß Christ und Virtuose das Biberacher Theater durch ihre schauspielerischen in einer Person seyn." und sängerischen Aktivitäten. Zu nennen sind u. a. das Singspiel "Die Liebe auf dem Lande" (1773), die Bürgerliche Musikkultur in Biberach: Operette "Die treuen Köhler" (1782) oder die komi- Singspiele und Opern schen Opern "Der lahme Husar" (1788) und "Der Schulz im Dorfe" (1789). 1786 entstand zum 100- Dass die freie Reichsstadt Biberach und ihr Um- jährigen Bestehen des Theaters die Oper "Der Tempel kreis für einen aufstrebenden jungen Komponisten der Musen ", zu der Knecht auch den Text verfasste. um die Mitte des 18.Jahrhunderts gute Orientie- Für Stuttgart schrieb er 1808 die "Romantische Oper rungsmöglichkeiten und ein weites Betätigungsfeld in vier Akten""Die Aeolsharje, oder: Der Ttiumpf der bieten konnte, lag in erster Linie am unmittelbaren Musik und Liebe". Sie wurde dort jedoch wegen ihrer Zusammentreffen bürgerlicher und höfischer Musik- Länge von vier Stunden nicht angenommen. All diese kultur.Als weltliche Bildungsstätte von Rang für die und weitere Werke harren bislang in den Archiven ei- Bürger, von der auch Knecht entscheidende Anregun- ner Sichtung, Ausgrabung und Aufführung. Der Diri- gen als Musiker und Komponist erhielt, durfte das gent musizierte im Jubiläumsjahr Theater der Stadt gelten.Aus der bereits 1686 von 2002 mit dem Barockorchester Stuttgart und Ruth Vertretern beider Konfessionen gegründeten "Bürger- Ziesack als Solistin die Ouvertüre und Sopranarien aus lichen Komödiengesellschajt" entwickelte sich bis in "Die Aeolshetfe", die 60er-Jahre des 18.Jahrhunderts ein reges Theater- Blickt man auf ihre Entstehungszeiten, mit Aus- leben, das sowohl Schauspiele mit historischen, bib- nahme der .Aeolshstfe", so fallen sie in die Zeit von lischen oder mythologischen Stoffen als auch musika- Mozarts großen Wiener Werken für das Musiktheater lische Einlagen, etwa zu Komödien, oder später ganze von der "Entführung aus dem Serail" (1782) bis zur Singspiele bot. Die Freude an der schauspielerischen "Zauberflöte" (1791). Auch Knecht hat eine "Ent- Betätigung weiter Bevölkerungskreise, ein positives führung" geschrieben, auf das gleiche Textbuch wie Bildungsbewusstsein und öffentliche Unterhaltung Mozart, doch fünf Jahre nach ihm 1787. Er wird das gingen hier Hand in Hand.Eine Theaterbibliothek Mozart'sche Singspiel mit ziemlicher Sicherheit ge- versammelte ab 1730 neben Originaltexten und kannt haben. Eine Gegenüberstellung der beiden Ver- Übersetzungen auch Musikalien. Christoph Martin tonungen wäre ohne Zweifel reizvoll; man wird dabei Wieland, 1733 in Oberholzheim bei Biberach als freilich um einen bewertenden Vergleich nicht he- Sohn eines Pfarrers geboren, stand 1761 der Theater- rumkommen, bei dem, was die musikalisch-komposi- gesellschaft für ein knappes Jahr als Direktor und In- torische Qualität und die Bühnenwirksamkeit betrifft, tendant vor und führte in dieser Zeit William Shakes- Knecht wohl hinter Mozart zurückstehen würde. peares .Jhe Tempest" ("Der Sturm") erstmals auf ei- ner deutschen Bühne in eigener Übersetzung auf. Als Die Löbliche Musikgesellschaft und der Berater in der Werkauswahl und bei Proben sowie mit Musikalienhändler J. M. Kick Sprechunterricht blieb Wieland dem Theater noch ei- nige Jahre verbunden.Er verschaffte dem damals elf- Nach Kirche und Theater wird eine dritte Institu- jährigen Knecht Gelegenheit, einige Singspiele für das tion zum wichtigsten Betätigungsfeld für Knecht: das Von Prof Dr.Hermenn Iung, Mannheim

Orchester. Durch die Wandlungsprozesse in der kul- la Nature" dürfte seine erste Aufführung im Rahmen turellen Trägerschaft von Kirche und Hof wuchsen der .Liebhaberkonzerte" unter Knechts Leitung erfah- den Städten in der zweiten Jahrhunderthälfte neue ren haben. Aufgaben zu, die sich in einer so abgeschlossenen klei- nen Stadt wie Biberach in Besonderheit zeigten. Die Schloss Warthausen theatermäßige Repertoire-Erweiterung durch musika- lische Einlagen und durch Singspiele sowie eine auf- Einen gewissen Kontrast zur Abgeschlossenheit strebende selbstständige Orchestermusik zogen neue und engen Begrenzung des Kultur- und Musiklebens Organisationsformen und Ensemble-Einrichtungen in der Stadt bildete das Schloss Warthausen. Sein da- nach sich. Bereits 1768 wurde in Biberach die "Löbli- maliger Besitzer, Heinrich Friedrich Reichsgraf von che Musikgesellschsft" gegründet, die sich als Zusam- Stadion (1691-1768), zählte zu den angesehenen menschluss von Musikliebhabern zunächst von den kurmainzischen Politikern und war zudem als Liebha- Musikern des Alumnats und den sogenannten Stadt- ber der Künste, der Literatur und der Musik sowie als musikanten absetzte, später freilich in ihrer Zusam- großzügiger Mäzen bekannt. Er verkörperte somit in mensetzung des Orchesters eine Mischung aus ausge- wesentlich bescheidenerem Rahmen einen Kurfürs- bildeten Instrumentalisten und Laienmusikern auf- ten en miniature vom Schlage Carl Theodors in wies. Ähnliches geschah bekanntlich auch in anderen Mannheim. Zum Musenhof des Grafen von Stadion bürgerlichen Orchestern der Zeit, so in dem von Ignaz gehörte auch ein respektables Orchester, dessen Fränzl organisierten Nachfolge-Ensemble der Hof- Repertoire sich aus spätbarocken und zeitgenössi- kapelle Kurfürst Carl Theodors in Mannheim. schen symphonischen Werken zusammensetzte. Mit 19 Jahren wurde Knecht 1771 nebenamtlich Wieland knüpfte nach seiner Wahl zum Senator mit der Leitung der "Löblichen Musikgesellscheft" und Kanzleiverwalter in Biberach 1760 Kontakte mit betraut. Mit tatkräftiger organisatorischer und fach- dem Grafen, auf dessen Schloss er ab Sommer 1761 licher Unterstützung des Biberacher Musikalienhänd- verkehrte und dort auch mit dem Ehepaar La Roche lers Iohann Maximilian Kick, der ein erstaunlich Graf Friedrich von Stadion. Radierung von reichhaltiges Sortiment in der Stadt zum Verkauf an- J. H. Lips nach einem Ölgemälde von Johann bot, veranstaltete Knecht in der Folgezeit sogenannte Heinrich Tischbein d.A .Liebhaberkonzerte" mit dem Orchester. Sie fanden in eigener Regie und auf eigenes finanzielles Risiko auf der Grundlage eines Abonnements statt und wurden in bekannten Gasthäusern der Stadt abgehalten. Das Repertoire dieser Konzerte lässt sich leider nicht mehr exakt rekonstruieren. Aufgrund der Kick'schen No- tensammlung und verstreutem, von Michael Laden- burger erstmals zugänglich gemachtem Quellenmate- rial sind es Kompositionen aus dem Umkreis der "Mannheimer" (Johann Stamitz) und der "Berliner" Schule (u. a. die Gebrüder Graun und Benda, Carl Philipp Emanuel Bach) sowie vermutlich auch solche aus Wien (Joseph Haydn) und Italien (Giovanni Battis- ta Pergolesi). Auch eine ganze Reihe eigener Werke im Kammerstyl wurden aufgeführt, Sonaten, Klavier- konzerte oder Symphonien, die Knecht wohl auf die spezifischen Anforderungen und Realisierungsmög- lichkeiten des Orchesters hin konzipierte, freilich nicht veröffentlicht hat. Sie gelten heute allesamt als verschollen. Dazu zählen auch die mit einem Pro- gramm versehenen Symphonien. Das einzige ge- druckte Werk dieser Gattung .Le Portrait musical de 30·31

zusammentraf. Wieland war zehn Jahre zuvor mit So- phie geb. Gutermann verlobt gewesen. Der Dichter führte während der knapp zehn Jahre seines Wirkens in Biberach den jungen Knecht, von dem er große Stücke hielt, und dessen Vater im Schloss Warthausen ein. Besonders die Hofkapelle und die Bibliothek des Grafen werden das Interesse des jungen Komponisten hervorgerufen haben. Hier eröffnete sich für Knecht eine weitläufige re kulturelle Welt als in Biberach, die seine Entwicklung als Musiker und Komponist ent- scheidend prägte. Die Musik bei Hof, die Eindrücke auch der späteren literarischen Gespräche, Neuheiten des Schrifttums und nicht zuletzt der Einfluss durch Persönlichkeit und Werk Wielands lassen gewisse Rückschlüsse auf Knechts eigenes Empfinden, Den- ken und Arbeiten zu, ohne dass sie in jedem Detail nachzuweisen wären. Der Geist der Aufklärung zeig- . Ölgemälde von Friedrich Oelenhainz, 7795. te auch hier seine Wirkung. Himmel weiß, wie gerne ich Sie aus dem leidigen Bi- Christoph Martin Wieland und Knecht berach ziehen möchte. Kirchenmusik, lieber Knecht, ist freilich allein kein Mittel dazu. Eine einzige, hüb- Die engen persönlichen und fachlichen Bindungen sche Operette, in einem geist- und phantasiereichen zwischen Wieland und Knecht blieben auch nach Geschmack würde Ihnen ganz gewiß ein Relief ge- dem Weggang des Dichters aus Biberach weiterhin ben. Lassen Sie nur den Mut nicht sinken und glau- bestehen. Dies zeigt sich in einer Reihe von Briefen ben Sie an sich selbst [...l-" ebenso wie in zusätzlichen schriftlichen Äußerungen Knechts. Wie Wieland sich in seinem" Versuch über Der Mannheimer Abbe Georg Joseph Vogler das Teutsche Singspiel" von 1775 gegen den Prunk der höfisch orientierten Oper und für eine neue bür- Die Beziehung Knechts zu Abte Georg Joseph gerliche Form des Musiktheaters eingesetzt hatte, so Vogler aus Mannheim kann hier nur kurz gestreift suchte Knecht mit der Vertonung des 23. Psalms und werden. Sie bestand wohl lediglich in der Kenntnis seiner erwähnten programmatischen Einleitung An- seiner Monatsschrift "Betrachtungen der Msnnhei- stöße zu einer neuen Kirchenmusik zu geben. Er mer Tonschule "und durch Voglers zahlreiche Artikel sandte ein Druckexemplar am 15. April 1783 an Wie- in der "Deutschen Encyclopiidie", die zwischen 1778 land, "meinem verehrungswürdigen Gönner und Mit- und 1804 in Frankfurt erschien und beim Buchstaben bürger", und bat ihn in einem Begleitschreiben, "die- K abbrach, kaum aber in persönlichen Kontakten. Die ses Kirchenstück in Weimar aufführen zu lassen. [...] Widmung seines "Portrait musicel" an Vogler ent- Denn in Biberach kann ich dasselbe nicht so produ- sprang höchster Wertschätzung für den damaligen zieren, wie es sein sollte, teils aus Mangel an vielen Kaplan und alsbaldigen Kapellmeister am Mannhei- und zugleich guten Sängern, die zu diesem Stücke ge- mer Hof, die sich auch in Knechts späterer intensiver fordert werden (die ich wohl, und zwar nach der äch- Beschäftigung mit musiktheoretischen und tonwis- ten Methode der italienischen Singschule, bilden senschaftlichen Fragen zeigen wird.Nach Ladenbur- könnte, wenn Hochschätzung, Aufmunterung und ger hat Vogler als Initiator und Juror eines Komposi- Belohnung der Künste und Wissenschaften die Sache tionswettbewerbs Knecht zu einem Preis für sein des biberachischen republikanischen Staates wäre), "Magnijicat" C-Dur (1792) und auch für den 110. teils auch aus Abgang hinlänglicher sowohl als guter Psalm .Dixit dominus" verholfen. Der Sohn Knechts, Instrumentalisten" . Georg Christian, ging zu ihm in die Lehre. Doch wur- Wieland bezog sich 1784 in einem Brief vermut- de dieses scheinbar gute gegenseitige Verhältnis auch lich auf diesen 23. Psalm, wenn er schreibt:"Der durch mancherlei Überheblichkeiten Voglers gegen- VonPro! Dr.Hermann Jung, Mannheim

über Knecht getrübt, etwa durch kritische Bemerkun- sind bekannt, gelten jedoch als verschollen: ein" Trau- gen zu dessen 1. Psalm oder durch die Anmaßung, ei- ergesang in Form einer Sinfonie auf den Tod des Her- nen von Knecht verfassten Artikel in der "Musika- zogs von Brsunschweig" (1785), die "Erlebnisse des lischen Reslzeitung" selbst geschrieben zu haben. Don Ouixote in Form einer Sinfonie" (1787) und ein Mozart, der mit Vogler während seines dritten Auf- .Jrsuergeseng in Form einer Sinfonie auf den Tod enthaltes in Mannheim 1777/78 zusammentraf, fäll- Kaiser loseph des Zweiten" (1792). .Ergötzung des te ein vernichtendes Urteil über ihn: "der H: vice-ka- Ohres und Rührung des Herzens" sind für Knecht Ma- pellmeister Vogler der neulich das Ammt machte, ist ximen seiner inhaltsbezogenen Werke, ja seines Korn- ein eder [öder] Musickalischer spaß-emachet ein ponierens überhaupt. Dies dürfte in besonderem Mensch, der sich recht viell einbildet und nicht viell Maße auch für .Le portreit musical de la Nature", der kann. das ganze orchestre mag ihn nicht." (Brief Mo- einzig erhaltenen Symphonie dieses Genres bei zarts vom 4. November 1777 an seinen Vater aus Knecht, gelten. Mannheim.) Knechts "Portrait musical" und

Symphonies ä programmes Beethovens "Pastorale"

Nach Singspiel und Kirchenmusik wird in Knechts Die ersten Hinweise auf eine Beziehung von gesellschaftlichem Umfeld die Symphonie zum ent- Knechts "Portrait" und Beethovens 6. Symphonie scheidenden Medium seiner Tätigkeit in Biberach. "Pastorale" findet sich in Francois Ioseph Fetis' "Bio- Theater und öffentliches Konzert sind die beiden Insti- graphie universelle" und dann in der "Revue et gazet- tutionen, in denen jetzt ein aufstrebendes Bürgertum te musicele" vom 28. Oktober 1866. Ludwig Bi- als Zuschauer, als Zuhörer und aktive Mitspieler am schoffs kurzer Aufsatz "Die Pastoral-Sinfonien von Kulturleben einer Stadt teilhaben. Dabei kamen dem Justin Heinrich Knecht (1784) und Ludwig van Orchester der "Löblichen Musikgesellschsft" beson- Beethoven (1808)" aus dem gleichen Jahr basiert auf dere Eigenschaften zu: Laien und professionelle Musi- Petis, gibt freilich den entscheidenden Hinweis auf ker wirkten zusammen. Bürger und Aristokraten ver- den Verleger Philipp Boßler in Speyer, der Knechts ständigen sich jenseits von Standesgrenzen in einer Symphonie und Beethovens .Kurfiirstensonsten" musikalischen Empfindungssprache. Diese neue (WoO 47) sowie die Klaviertrios op. 1 herausbrachte. Sprachlichkeit stellt zugleich Forderungen an die Über Verlagsanzeigen und Katalog, so ist mit einiger Komponisten einer solchen "Gefühlskultur": Die Mu- Sicherheit anzunehmen, wurde Beethoven mit .Le sik soll leicht fasslich und verständlich sein, man miss- portreit musicel" und seinem ausführlichen Pro- traut zunächst reinen Instrumentalwerken als soge- gramm bekannt. Ob Beethoven noch während seiner nannter "begriffsloser Musik". Bonner Zeit Knechts Symphonie im Hoforchester mit- Die Entwicklung der Symphonie, die sich aus den spielte oder vielleicht später in Wien hörte, muss vor- gattungsmäßigen Bindungen höfischer Musizierpraxis erst ebenso Hypothese bleiben wie ein Gespräch über löste und mit Haydns Spätwerken bereits zum Haupt- Knecht während zweier Begegnungen zwischen programmpunkt eines Konzertabends wurde, bringt Beethoven und Abbe Vogler in den Jahren 1803 und auch den sogenannten Laienorchestern im letzten 1805. Drittel des 18. Jahrhunderts Erweiterungen ihres Re- Über eine direkte Beziehung zwischen Beethoven pertoires. Zudem erhält die Gattung neue Impulse und Knecht ist ebenfalls nichts bekannt. Dies erstaunt durch einen programmatischen Typus, die .charakte- ein wenig, wenn man bedenkt, dass der Biberacher rischen Symphonien" oder .Symphonies ä program- Komponist sich stets für Neuheiten in Mannheim, mes". Wien und anderswo interessierte. Die Uraufführung Es hat in Biberach den Anschein, als ließe sich von Beethovens "Pastorale" in Wien am 22. Dezem- Knecht weniger vom konkreten Vorbild programmati- ber 1808 und die erste Anzeige der gedruckten Stim- schen Komponierens im 18. Jahrhundert leiten, als men im April 1809 bei Breitkopf & Härtel fallen frei- vielmehr von musikalischen Topoi und insbesondere lich mit Knechts Abschied am Stuttgarter Hof und ei- von Theateraufführungen zu symphonischen Werken ner schwierigen Phase der Neuorientierung in der al- inspirieren. Drei solcher "Charakter"-Symphonien ten Heimat zusammen. 32·33

l.

Une belle Coneee DU le SoW! lui~ l

-:---... -..•. :t! ;. •• f!:. ~ ~ .•. Flauti 1 I I" *qok. f ~ n"'i"r Oboi I J . ~-----... .4.--::---"" ~ J ~J ,in ~~..1. l Fagotti .- *d.lu r. _I r I f p I !? Corni in se.r/c I•• ~ I _-6- 11 :11 .... ~ -.:r .... n- ~ ~f- F~ Violino I ~ *d.~ ~ f~' dolce -

Violino II [j:t- I.•••• Iit- I.••• ~ :=- ~ ~ ~ IG~ Viola *d~--=:::::::::~~ ..-.-- --....,. ~ ----., ....;:=::::: f,_,...p- Violoncello ... e Contrabasso l' f r

J. H. Knecht, Le portrait musical de la nature, 1784, Beginn des 1.Satzes.

L. van Beethoven, VI. Symphonie "Pastorale", 1808, Beginn des 1. Satzes. Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande-

Allegro ma non truppo (,J . sc) '" Flauti "" Wielands Idealstoff für ein Singspiel, Obot "" die "poetische Schäferwelt als ein la- Clarinetti ill[~i. "" chendes Gemählde von Ruhe, Un- Fagotti r.-. schuld, Liebe und Glückseligkeit", trans- Corni in ~a formiert Knecht hier auf die imaginäre ~v Allegro ma non troppo (,J" 66) Bühne eines Konzertereignisses. Die im .-'"" Violino I Stimmendruck bei Boßler wiedergegebe- p~ .. ~ liV. - - nen Erläuterungen zu den einzelnen Ab- Violino Il :

heulen, der Donner grollt und das Gewitter nähert Wegbereiter zukünftiger musikalischer sich langsam. Entwicklungen 3. Das Gewitter, begleitet von sausenden Winden und mächtigen Regengüssen, die Wipfel der Bäume rau- Hier setzt nun die neue Aktualität des Komponis- schen und der Bergstrom wälzt seine Wasser mit ten Justin Heinrich Knecht in unserer Zeit ein, die entsetzlichem Lärm. auch über das Jubiläumsjahr seines 250. Geburtstages 4. Das Gewitter verzieht sich langsam, die Wolken hinaus Bestand hat. Er ist kein bloßer Stichwortgeber zerstreuen sich und der Himmel hellt sich auf. für die sogenannten "Großen Meister" gewesen. 5. Die Natur ist von Freude erfüllt, erhebt ihre Stim- Trotz der geographischen Begrenztheit seines Wir- me gen Himmel und dankt dem Schöpfer mit lieb- kens suchte er im Nachdenken über Musik und in der lichen angenehmen Gesängen. kompositorischen Praxis stets Anschluss an die neuen Strömungen zu gewinnen, aktiv teilzuhaben und mit- In fünf Sätzen, die ineinander übergehen, führt der zugestalten am Stilwandel zwischen Barock und Klas- Komponist sein Publikum durch ein musikalisches sik. Knecht war in vielem ein Traditionalist, der einen Spektakel in Bildern und Szenen. Das idealisierte, vorgezeichneten Weg weiterging und ihn mit eigenen weitgehend statische Idyll kommt durch das Herein- Ideen zu bereichern wusste. Dies ist insbesondere in brechen realer Naturgewalten, durch ein aufziehen- seinen Orgelwerken und in der gerade wieder neu des Gewitter in Bewegung, erhält "transitorischen" entdeckten Kirchenmusik zu spüren. "Die wahre Tra- Charakter. Das kompositorische Wechselspiel zwi- dition", so schreibt Igor Strawinsky in seiner" musika- schen malerischen Eindrücken und Ausdruck von lischen Poetik", "ist nicht Zeuge einer abgeschlosse- Empfindungen in Analogie zum Bildcharakter und nen Vergangenheit; sie ist eine lebendige Kraft, wel- zum dichterischen Naturverständnis der Zeit erreicht che die Gegenwart anregt und belehrt." seinen Höhepunkt im Schlussteil. Die ganze Natur, Knecht darf auch als Wegbereiter zukünftiger Ent- Geschaffenes und Schaffendes, stimmt in Anlehnung wicklungen gelten. Das symphonische "Portrait musi- an einen geistlichen Hymnus in ein Dankgebet an den cal de la Nature"beginnt sich von barocker Program- Schöpfer ein.Solostimmen und Chor werden als Ima- matik, von der reinen Nachahmung ideal-idyllischer gination der Menschheit in den klassischen Orches- Naturzustände zu lösen. Ein "mehr Ausdruck der tersatz fiktiv miteinbezogen. Empfindung als Malerei", das Beethoven für seine Einige überraschende Parallelen stützen die Ver- "Pastorale" beansprucht, scheint bei Knecht bereits mutung, dass Beethoven das Knecht'sche Werk ge- angelegt. Insbesondere der Schlussteil sucht die Ge- kannt haben muss: Die programmatischen Satzüber- fühlsreaktion des Menschen nach überstandenen Na- schriften bei Beethoven entsprechen bis in Einzelhei- turgewalten in Tönen auszudrücken, nicht als objekti- ten dem von Knecht formulierten Handlungsablauf: vierende musikalische Abschilderung, sondern bereits 1. Heitere Empfindungen bei der Ankunft als subjektiver kompositorischer Reflex menschlichen auf dem Lande Empfindungsvermögens. Von Knechts Impulsen zu ei- 2. Szene am Bach ner Musik als "Sprache der Empfindung" wird neben 3. Lustiges Beisammensein der Landleute Beethoven, neben Hector Berlioz und Franz Liszt das 4. Gewitter, Sturm 19. Jahrhundert insgesamt profitieren. 5. Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm. Auch bei Beethoven gehen die letzten drei der Dieser Beitrag ist die leicht überarbeitete Fassung des Festvor- trags, die der Verfasser zum 250. Geburtstag des Komponisten wiederum fünf Sätze ineinander über. Das komposito- am 28. September 2002 im Bibliothekssaal des Klosters Ochsen- rische Prinzip der Reihung, des Variierens, der Wie- hausen (Landesakademie) gehalten hat. derholung auf immer neuen harmonischen Ebenen überwiegt in beiden Werken gegenüber einer kompo- Bildnachweis sitorischen Arbeit mit Motiven und Themen. Schließ- S. 25, 26 Aus: Justinus Heinrich Knecht, Biberacher Studien, lich weist der Übergang zum fünften Satz auf ein Band 3. Hrsg. Stadtarchiv Biberach, 1980. S.27 Aus: Biberacher Choral buch. choralartiges Dankgebet, das dann wie bei Knecht in S. 30 Aus: Christoph Martin Wieland - Leben und Wirken in den rein instrumental vermittelten .Hirtengesang" Oberschwaben, Hrsg. Anton H. Konrad Verlag, 1983. und in "frohe und dankbare Gefühle" mündet. S.27, 31,33 Abbildungen vom Autor.