Plenarprotokoll 11/16

Deutscher

Stenographischer Bericht

16. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Bundes- Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . . 958 D ministers Dr. Schneider 923 A Namentliche Abstimmungen 962 C; 963 B; 963 C Nachträgliche Überweisung des Antrags der Scheu CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 962 D Fraktion DIE GRÜNEN — Schutz vor Pflan- Ergebnis der namentlichen Abstimmungen 976A; zenbehandlungsmitteln — (Drucksache 11/276) an den Ausschuß für Umwelt, Natur- 977C; 979 A schutz und Reaktorsicherheit 923 B Tagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Absetzung des Punktes 13 b von der Tages- - ordnung 923 B brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ä nde rung des Gesetzes über die Entschädigung Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- für Strafverfolgungsmaßnahmen (Druck- nung 923 B sache 11/281) 963 D

Begrüßung des Präsidenten der irakischen Tagesordnungspunkt 4: Nationalversammlung und einer Delega- Beratung des Antrags des Bundesministers tion 942 B der Finanzen Einwilligung in die Veräuße- rung eines bundeseigenen Grundstücks in Begrüßung einer Delegation der National- München-Neuhausen gemäß § 64 Abs. 2 versammlung der Republik Elfenbein . . 950 C BHO (Drucksache 11/252) Tagesordnungspunkt 2: Weiss (München) GRÜNE 964 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- Bohl CDU/CSU 964 C rung zu Fragen der Abrüstung und Vizepräsident Frau Renger 1039 C Rüstungskontrolle Dr. Kohl, Bundeskanzler 923 D Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde betr. Verlautbarungen des Brandt SPD 928 C Bundesministers des Innern über die Initia- Dr. Dregger CDU/CSU 933 D tive „Sportler für den Frieden" Dr. Mechtersheimer GRÜNE 937 A Dr. Emmerlich SPD 980 C Ronneburger FDP 939 D Gerster (Mainz) CDU/CSU 981 C Voigt (Frankfurt) SPD 942B Brauer GRÜNE 982 C Dr. Waigel CDU/CSU 945 A Baum FDP 983 C Frau Fuchs (Verl) SPD 947 D Lambinus SPD 984 C Genscher, Bundesminister AA 950 C Fellner CDU/CSU 985 B Frau Beer GRÜNE 954 C Wüppesahl GRÜNE 986 C Horn SPD 956 D Dr. Hirsch FDP 987 B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI . 988B Dr. Blüm, Bundesminister BMA 1012 D Paterna SPD 989 C Vizepräsident Cronenberg 1009 B Dr. Olderog CDU/CSU 990 C Tagesordnungspunkt 13: Schmidt (Salzgitter) SPD 991 D Erste Beratung des von der Fraktion der SPD Schwarz CDU/CSU 992 D eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der energiewirtschaftlichen Weirich CDU/CSU 994 A Nutzung der Kernenergie und ihrer sicher- Tagesordnungspunkt 8: heitstechnischen Behandlung in der Über- Wahl der vom Bundestag vorzuschlagenden gangszeit (Kernenergieabwicklungsgesetz) Mitglieder des Verwaltungsrats der Deut- (Drucksache 11/13) schen Bundespost (Drucksachen 11/394, Dr. Hauff SPD 1015 A 11/410) 995 A Harries CDU/CSU 1017 D Tagesordnungspunkt 9: Frau Wollny GRÜNE 1020A Wahl der vom Bundestag vorzuschlagenden Baum FDP 1022 C Mitglieder des Programmbeirats der Deut- Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 1024 D schen Bundespost (Drucksache 11/400) . . 995 B Schäfer (Offenburg) SPD 1028 D Tagesordnungspunkt 10: Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär BMWi . . 1032 A Wahl der vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Kunstbeirats der Deutschen Gerstein CDU/CSU 1032 D Bundespost (Drucksache 11/401) . . . 995 B Stiegler SPD 1034 B Tagesordnungspunkt 11: Beckmann FDP 1036B Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Fellner CDU/CSU 1037 D Mitglieder des Schuldenausschusses bei der Bundesschuldenverwaltung (Drucksache Tagesordnungspunkt 5: 11/393) 995 C Beratung der Sammelübersichten 10 und 11 des Petitionsausschusses über Anträge Tagesordnungspunkt 12: zu Petitionen (Drucksachen 11/323 und Wahl der vom Bundestag zu bestimmenden 11/324) 1039 D Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt (Drucksache 11/415) . 995 C Tagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlußempfehlung des Tagesordnungspunkt 14: Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung Beratung des Antrags der Fraktion der SPD durch die Bundesregierung: Überplanmä- Krise in der Eisen- und Stahlindustrie ßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 642 01 (Drucksache 11/123) — Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz — im Haushaltsjahr 1986 (Drucksachen in Verbindung mit 10/6821, 11/329) 1039 D Zusatztagesordnungspunkt 1: Beratung der Beschlußempfehlung des Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜ- Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung NEN: Sicherung der Stahlstandorte und der durch die Bundesregierung: Überplanmä- Arbeitsplätze in der Stahlindustrie und in ßige Ausgabe bei Kapitel 27 02 Titel 642 21 den Stahlregionen (Drucksache 11/398) (Kosten aufgrund des Gesundheitsab- kommens mit der DDR und Förderung in Verbindung mit des Besuchsreiseverkehrs) (Drucksachen Zusatztagesordnungspunkt 2: 10/6766, 11/330) 1039 D Beratung des Antrags der Fraktionen der Beratung der Beschlußempfehlung des CDU/CSU und FDP: Lage der deutschen Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung Stahlindustrie (Drucksache 11/402) durch die Bundesregierung: Überplanmä- Beckmann FDP 996 A ßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 893 01 — Prämien nach dem Wohnungsbauprä- Sieler (Amberg) SPD 997 D miengesetz — im Haushaltsjahr 1986 (Druck- Dr. Lammert CDU/CSU 999 B sachen 10/6774, 11/331) 1040A Sellin GRÜNE 1002 B Beratung der Beschlußempfehlung des Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi . 1004B; Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung 1012 C durch die Bundesregierung: Überplanmä- Dr. Jens SPD 1006 D ßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Titel 656 04 — Zuschüsse zu den Beiträgen zur Renten- Dr. Jobst CDU/CSU 1008 D versicherung der in Werkstätten beschäftig- Dr. Jochimsen, Minister des Landes Nord- ten Behinderten (Drucksachen 10/6767, rhein-Westfalen 1010B; 1014 C 11/332) 1040A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 III

Beratung der Beschlußempfehlung des Tagesordnungspunkt 17: Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung Beratung des Zwischenberichts der Enquete- durch die Bundesregierung: Überplanmä- Kommission „Einschätzung und Bewertung ßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1986 bei von Technikfolgen; Gestaltung von Rah- Kapitel 14 12 Titel 632 01 — Erstattungen menbedingungen der technischen Entwick- von Verwaltungsausgaben an die Länder lung" gemäß Beschluß des Deutschen Bun- (Drucksachen 10/6778, 11/333) 1040B destages vom 14. März 1985 — Drucksachen 10/2937, 10/3022 — (Drucksache 10/6801) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung Beratung des Antrags des Abgeordneten durch die Bundesregierung: Überplanmä- Wetzel und der Frakion DIE GRÜNEN: ßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1986 bei Gestaltung der technischen Entwicklung; Kapitel 08 07 Titel 632 01 — Verwaltungs- Technikfolgen-Abschätzung und -Bewer- kostenerstattung an Länder (Drucksachen tung (Drucksache 11/220) 10/6777, 11/334) 1040B in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung Zusatztagesordnungspunkt 3: durch die Bundesregierung: Überplanmä- Beratung des Antrags der Abgeordneten ßige Ausgabe bei Kapitel 06 08 Titel 531 22 Lenzer, Maaß, Carstensen (Nordstrand), Dr. — Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Kunz (Weiden) und der Fraktion der CDU/ Aufgaben der einmaligen Erhebungen CSU sowie der Abgeordneten Dr. -Ing. Laer- (Drucksachen 11/30, 11/335) 1040B mann, Kohn, Timm, Neuhausen, Dr. Thomae und der Fraktion der FDP: Gestaltung der Tagesordnungspunkt 15: technischen Entwicklung; Technikfolgen- Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Abschätzung und -Bewertung (Drucksache Enquete-Kommission „Strukturreform der 11/403) gesetzlichen Krankenversicherung" (Druck- sache 11/310) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roth, Vosen, Heyenn, Frau Bulmahn, Caten- in Verbindung mit husen, Fischer (Homburg), Frau Ganseforth, Grunenberg, Lohmann (Witten), Nagel, Sei- Zusatztagesordnungspunkt 4: denthal, Vahlberg, Andres, Dreßler, Egert, Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜ- Haack (Extertal), Kirschner, Peter (Kassel), NEN: Enquete-Kommission „Strukturre-- Reimann, Schreiner, Frau Steinhauer, Urba- form des Gesundheitswesens" (Drucksache niak, Frau Weiler, von der Wiesche, Ibrüg- 11/414) ger, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD: Egert SPD 1040 D Gestaltung der technischen Entwicklung; Technikfolgenabschätzung und -bewertung Seehofer CDU/CSU 1041 D (Drucksache 11/311) Frau Wilms-Kegel GRÜNE 1043 C Wetzel GRÜNE 1049 C Dr. Thomae FDP 1044 B Lenzer CDU/CSU 1051 B Höpfinger, Parl. Staatssekretär BMA . . 1044 C Vahlberg SPD 1053 C Tagesordnungspunkt 7: Dr.-Ing. Laermann FDP 1056A Beratung der Beschlußempfehlungen des Tagesordnungspunkt 18: Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung: Aufhebung der Beratung des Berichts der Enquete-Kommis- Immunität von Mitgliedern des Deutschen sion „Chancen und Risiken der Gentechno- Bundestages (Drucksachen 11/347, 11/348, logie" gemäß Beschlüssen des Deutschen 11/349) 1045 D Bundestages — Drucksachen 10/1581, 10/ 1693 — (Drucksache 10/6775) Tagesordnungspunkt 16: Catenhusen SPD 1058A Erste Beratung des von den Fraktionen der Seesing CDU/CSU 1060 A CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung Frau Schmidt-Bott GRÜNE 1061 B des Abgeordnetengesetzes und des Sech- Kohn FDP 1063 C sten Gesetzes zur Änderung des Europaab- geordnetengesetzes (Drucksache 11/388) Tagesordnungspunkt 1: Frau Roitzsch (Quickborn) CDU/CSU . 1046 B Fragestunde Frau Unruh GRÜNE 1046 D — Drucksache 11/375 vom 29. Mai 1987 — Frau Seiler-Albring FDP 1047 B Übermittlung der Glückwünsche von Mini Frau Traupe SPD 1048 B sterpräsident Strauß an den südafrikani- IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 schen Präsidenten Botha in Übereinstim- Antw PStSekr Höpfinger BMA 970B mung mit dem Bundeskanzler ZusFr Frau Hillerich GRÜNE 970 C MdlAnfr 8, 82 29.05.87 Drs 11/375 ZusFr Kuhlwein SPD 971 A Verheugen SPD ZusFr Frau Weyel SPD 971 B StMin Stavenhagen BK 965 B ZusFr Verheugen SPD 965 C Entschließung des 90. Deutschen Ärztetages gegen den Export von in der Bundesrepublik Novellierung des Rabattgesetzes; Ausnah- verbotenen Medikamenten in Länder der meregelung für bestimmte Gruppen Dritten Welt; Beteiligung deutscher Pharma- MdlAnfr 39, 40 29.05.87 Drs 11/375 Unternehmen; gesetzgeberische Maßnah- Urbaniak SPD men Antw PStSekr Dr. Riedl BMWi 965 D MdlAnfr 54, 55 29.05.87 Drs 11/375 Schanz SPD ZusFr Urbaniak SPD 966 A Antw PStSekr Pfeifer BMJFFG 971 C Subventionen für das Airbus-Programm, auf- ZusFr Schanz SPD 972A geteilt nach verlorenen Zuschüssen, Darle- hen und Bürgschaften ZusFr Toetemeyer SPD 972B MdlAnfr 43 29.05.87 Drs 11/375 Rechtlicher Schutz von Bezeichnungen wie Grünbeck FDP „bio", „öko" bei Lebensmitteln und Bedarfs- Antw PStSekr Dr. Riedl BMWi 967 A gütern ZusFr Grünbeck FDP 967 B MdlAnfr 57, 58 29.05.87 Drs 11/375 Frau Weyel SPD ZusFr Müller (Pleisweiler) SPD 967 D Antw PStSekr Pfeifer BMJFFG 973 B ZusFr Fischer (Homburg) SPD 968 A ZusFr Frau Weyel SPD 973 C Verhinderung des weiteren Ausbaus des französischen Kernkraftwerks Cattenom Renovierung der Übernachtungs- und Ruhe- angesichts der in Frankreich für 1990 erwar- räume der Bundesbahn teten Überkapazität von drei bis sieben 1 300 MdlAnfr 59 29.05.87 Drs 11/375 Megawatt-Kernkraftblöcken Kohn FDP MdlAnfr 47 29.05.87 Drs 11/375 Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 974 D Schreiner SPD ZusFr Kohn FDP 975 A Antw PStSekr Dr. Riedl BMWi 968 C ZusFr Schreiner SPD 969 A Erhebung von Autobahngebühren für Auto- fahrer aus Ländern mit Straßenbenutzungs- ZusFr Müller (Wadern) CDU/CSU . . . 969B gebühren ZusFr Fischer (Homburg) SPD 969 C MdlAnfr 60 29.05.87 Drs 11/375 ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE . 969 C Dr. Abelein CDU/CSU ZusFr Weiss (München) GRÜNE 969 D Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 975 B ZusFr Dr. Abelein CDU/CSU 975 C Verstärkte Ausstattung von Schulen und Hochschulen mit Computern angesichts der Nächste Sitzung 1065 A gesundheitlichen Gefährdung durch Bild- schirmterminals Anlage MdlAnfr 50, 51 29.05.87 Drs 11/375 Frau Hillerich GRÜNE Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1066* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 923

16. Sitzung

Bonn, den 4. Juni 1987

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Jenninger: Die Sitzung ist eröffnet. Die von der Fraktion der SPD beantragte Aktuelle Stunde zum Thema „Verlautbarungen des Bundesmi- Meine Damen und Herren, der Herr Bundesmini- nisters des Innern über die Initiative ,Sportler für den ster Dr. Oscar Schneider hat gestern seinen Frieden' '" soll nach der Fragestunde um 15 Uhr aufge- 60. Geburtstag gefeiert. Ich darf ihm die besten Wün- rufen werden. Die vorgesehenen Wahlen — Punkte 8 sche des Hauses übermitteln. bis 12 der Tagesordnung — erfolgen im Anschluß an diese Aktuelle Stunde. Danach soll zunächst Punkt 14 (Beifall) vor Punkt 13 aufgerufen werden. Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich noch fol- Sind Sie mit diesen interfraktionell vorgeschlage- gende Mitteilungen zur Verlesung bringen: nen Veränderungen der Tagesordnung einverstan- den? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN betreffend beschlossen. Schutz vor Pflanzenbehandlungsmitteln auf Druck- sache 11/276 ist in der 13. Sitzung des Deutschen Nunmehr rufe ich Punkt 2 der Tagesordnung auf: Bundestages nicht — wie vorgesehen — dem Aus- Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung schuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu Fragen der Abrüstung und Rüstungskon- zur Mitberatung überwiesen worden. Sind Sie mit der trolle nachträglichen Überweisung einverstanden? — Ich Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. ihren Entschließungsantrag auf Drucksache 11/322 Ferner darf ich mitteilen, daß interfraktionell verein- zurückgezogen und statt dessen einen neuen Ent- bart worden ist, Punkt 13b — Beratung des Antrags schließungsantrag auf Drucksache 11/409 einge- der Fraktion DIE GRÜNEN betreffend Baustopp für bracht. Weiter liegen Entschließungsanträge der die Wiederaufarbeitungsanlage bei Wackersdorf, Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie der Fraktion Drucksache 11/260 — von der Tagesordnung abzu- DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/405 und setzen. 11/412 vor. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinba- Weiterhin besteht interfraktionelles Einvernehmen rung im Ältestenrat sind für die Beratung vier Stunden darüber, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. vorgesehen. — Ich sehe und höre keinen Wider- Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatz- spruch. Es ist so beschlossen. punktliste aufgeführt: Zur Abgabe der Regierungserklärung erteile ich 1. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN dem Herrn Bundeskanzler das Wort. Sicherung der Stahlstandorte und der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie und in den Stahlregionen — Drucksache 11/398 — Dr. Kohl, Bundeskanzler: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor vier Wochen 2. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP habe ich vor dem Hohen Hause im Namen der Bun- desregierung einen Zwischenbericht zum Stand der Lage der deutschen Stahlindustrie — Drucksache 11/402 — Abrüstungsgespräche zwischen den Vereinigten 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Maaß, Car- Staaten von Amerika und der Sowjetunion abgege- stensen (Nordstrand), Dr. Kunz (Weiden) und der Fraktion ben. Ich habe bei dieser Gelegenheit die Ziele der der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann, Kohn, Timm, Neuhausen, Dr. Thomae und der Fraktion der Sicherheitspolitik der Bundesregierung umfassend FDP dargelegt und dabei nochmals die wesentlichen Krite- Gestaltung der technischen Entwicklung; Technikfolgen- rien für die Haltung der Bundesregierung zu den in Abschätzung und -Bewertung — Drucksache 11/403 — Genf anstehenden Abrüstungsfragen erläutert.

4. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Wie bei dieser Gelegenheit, am 7. Mai, angekün-

Enquete - Kommission „Strukturreform des Gesundheitswe- digt, hat die Bundesregierung inzwischen ihren Ent-

sens" — Drucksache 11/414 — scheidungsprozeß nach einer dichten Abfolge von 924 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Bundeskanzler Dr. Kohl Konsultationen und begleitenden Treffen abgeschlos- digerweise Auswirkungen auf den jeweils anderen sen. Heute kann ich mit besonderer Genugtuung fest- Bereich. stellen, daß das gegenseitige Vertrauen und Ver- Gemeinsames Ziel unserer Verteidigungs- und ständnis der Bündnispartner bei diesen Beratungen Abrüstungspolitik bleibt es, die Sicherheit für unser einmal mehr eine geschlossene, eine solidarische Hal- Land und für das ganze Bündnis zu erhöhen. tung der Allianz zu den anstehenden sehr schwierigen Fragen der Abrüstung erwarten läßt. Die Fragen der Abrüstung, die uns zur Zeit — sehr zu Recht — in besonderer Weise bewegen, dürfen Unsere oberste politische Leitlinie, die uneinge- deshalb nicht isoliert betrachtet werden. schränkt vom Bündnis mitgetragen wird, ist die zuver- lässige Verhinderung eines jeden Krieges in Europa, (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) konventionell wie nuklear. Waffen und Waffensysteme müssen in allen Berei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) chen der Sicherheitspolitik immer in ihrem gesamt- strategischen Zusammenhang gesehen werden. Ich unterstreiche in diesem Zusammenhang noch- mals, daß unser Land angesichts der unvorstellbaren (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Zerstörungskraft moderner konventioneller Waffen- Abrüstung ist kein Selbstzweck. Sie darf in keinem systeme von einem konventionellen Krieg in ebenso Fall zu weniger Sicherheit führen. existentieller Weise bedroht wäre wie durch eine nu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kleare Auseinandersetzung. Einzelne Waffensysteme isoliert abzuschaffen bedeu- (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig! Das tet nicht notwendigerweise einen Gewinn für unsere wird immer übersehen!) Sicherheit. Jede deutsche Bundesregierung hat deshalb die Dieser Zusammenhang, meine Damen und Herren, Pflicht, sicherheits- und abrüstungspolitische Ent- hat die Bundesregierung im Hinblick auf die Abrü- scheidungen nicht ausschließlich unter dem Blickwin- stungsentscheidungen im Bereich der Mittelstrecken- kel des Abbaus von Nuklearwaffen zu prüfen. Ausge- flugkörper in ganz besonderer Weise beschäftigt. Die hend von dieser Erkenntnis gibt es für die vom Bünd- komplexen Wechselwirkungen zwischen Abrü- nis entwickelte Verteidigungsstrategie der flexiblen stungsschritten und Strategie machen selbstverständ- Reaktion auf absehbare Zeit keine Alternative. Sie ist lich eine gründliche Prüfung erforderlich. Dies betrifft eine Strategie der Kriegsverhinderung. Sie hat Kriege den Entscheidungsprozeß sowohl innerhalb der Bun- in Europa bisher verhindert, und sie wird dies auch in desregierung als auch — was noch wichtiger ist — Zukunft tun. innerhalb des Bündnisses. Für die praktische Umsetzung dieser Strategie heißt Meine Damen und Herren, auf die Bedeutung die- dies, daß das Bündnis auf ein ausgewogenes Potential ser Nuklearwaffen für die NATO - Strategie haben die konventioneller Streitkräfte und nuklearer Abschrek- Kollegen von der SPD in ihrer Regierungszeit, in der kungsmittel angewiesen bleibt. Regierungszeit von Bundeskanzler Lassen Sie mich mit aller Klarheit feststellen: und Verteidigungsminister Apel, in ihrem letzten Bestrebungen, die die völlige Abschaffung von Nu- Weißbuch 1979 deutlich hingewiesen. Ich zitiere: klearwaffen in Europa zum Gegenstand haben, kön- Für die NATO sind die TNF nen aus diesen Gründen von uns nicht geteilt wer- den. — Nuklearkräfte in und für Europa — wichtiges Mittel für die glaubwürdige Fähigkeit Die Nachkriegsgeschichte in Europa bestätigt, daß zur vorbedachten Eskalation im Rahmen ihrer die Idee der Abschreckung und die Existenz von Nu- Abschreckungsstrategie. klearwaffen seit 40 Jahren Krieg in Europa unmöglich gemacht haben. Dabei muß selbstverständlich die (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Damals hatten die Rolle der Nuklearwaffen auf das quantitativ und qua- noch Verstand!) litativ erforderliche, absolute Mindestmaß beschränkt Sie werden. . . sind mit dem nuklearstrategischen Lang- Garantie für unsere Sicherheit bleiben in gleicher streckenpotential der USA konzeptionell und Weise die bei uns stationierten verbündeten Truppen, strukturell eng verkoppelt. Das nukleare Kräfte- insbesondere die Soldaten der Vereinigten Staaten. verhältnis in Europa ist keine isolierte Größe und Sie sind der deutlichste Ausdruck der politischen Ver- kann nur im Gesamtzusammenhang des globalen pflichtung, füreinander einzustehen. nuklearen Kräfteverhältnisses gesehen und beur- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) teilt werden. Meine Damen und Herren, unsere Sicherheitspoli- (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Hört! Hört!) tik beinhaltet seit jeher zwei einander ergänzende Im Weißbuch heißt es weiter — ich zitiere — : Komponenten: die Sicherung der Verteidigungs - und Abschreckungsfähigkeit einerseits und andererseits Es wird darauf ankommen, zu verhindern, daß das Streben nach Rüstungskontrolle und Abrüstung Rüstungstendenzen im Osten Lücken im Eskala- in allen Bereichen mit dem Ziel, ein stabiles und aus- tionsspektrum der NATO verursachen, zu einem gewogenes Kräfteverhältnis auf möglichst niedrigem Verlust an Flexibilität führen und dadurch den Niveau herzustellen. Entscheidungen und Maßnah- Abschreckungsverbund der Allianz gefährden. men in einem dieser beiden Bereiche haben notwen- (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr klug!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 925

Bundeskanzler Dr. Kohl Das ist eine, wie der Kollege Dregger soeben im Abrüstung sichtbar vorausgeht oder ihn glaubwürdig Zwischenruf richtig sagt, kluge Beurteilung der begleitet. Lage. (Lachen bei den GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nicht Waffen für sich allein sind bedrohlich. Das Den- Das ist eine Beurteilung der Lage, die jedem deutlich ken und das Handeln der politisch Verantwortlichen macht, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht muß sich als friedlich erweisen und in konkreten abgekoppelt werden darf. Taten niederschlagen. Das kann und muß endlich (Lachen und Zurufe bei den GRÜNEN und bewiesen werden, z. B. in Afghanistan, wo seit acht der SPD) Jahren — länger als der Zweite Weltkrieg — Krieg geführt wird, und zwar von der Sowjetarmee, — Ich verstehe gar nicht, warum Sie sich aufregen. Wenn wir Sie kritisieren, regen Sie sich auf, wenn wir (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Sie loben, regen Sie sich auch auf. an den Mauern und Grenzen zwischen West und Ost, wo wir leider immer noch Woche für Woche Opfer (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Ausgelacht werden Sie!) beklagen müssen. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Die Fragen, die wir zu entscheiden hatten, berüh- ren, wie jeder weiß, Kernfragen unserer Sicherheit. Die in Genf eingebrachten sowjetischen Vor- Wir haben deshalb ausführliche und zeitaufwendige schläge bei den INF-Verhandlungen beinhalten Konsultationen mit unseren Bündnispartnern geführt. keine wirklich zufriedenstellende Lösung der Mittel- Ich habe immer wieder gesagt und sage es auch streckenproblematik aus der Sicht unserer Allianz. Im heute: Derartige existentielle Entscheidungen für Hinblick auf die Mittelstreckenflugkörper größerer unser Volk dürfen nicht unter Zeitdruck erfolgen. Reichweite sieht der sowjetische Vorschlag immer noch vor, daß jeweils 100 Sprengköpfe in den USA Die Grundlage unseres Bündnisses wird sich auch und in der Sowjetunion verbleiben. in diesen Tagen erneut und eindrucksvoll bewähren. Die Sicherheit des einen ist die Sicherheit des ande- Dieser Restbestand von 100 Sprengköpfen der ren. Es darf keine geringere Sicherheit geben, weder SS 20 im asiatischen Teil der Sowjetunion würde auf im Verhältnis der amerikanischen mit den europäi- Grund der von der Sowjetunion im Vertragsentwurf schen Bündnispartnern noch im Verhältnis der euro- beanspruchten- Mobilität dieser Systeme zu Übungs päischen Bündnispartner untereinander. und Ausbildungszwecken im europäischen Teil nach wie vor einen Unsicherheitsfaktor auch für uns Deut- Diese Betrachtung zur Rahmensituation unserer sche und Europäer darstellen. Darüber hinaus würde sicherheitspolitischen Entscheidungen der vergange- eine solche Regelung schwerwiegende Verifikations- nen Wochen wäre unvollständig ohne ein klares, probleme aufwerfen. deutliches Bekenntnis zu der zweiten Säule des Har- mel-Konzepts. Ich spreche von dem Angebot an Aus diesen Gründen bevorzugt die Bundesregie- unsere östlichen Nachbarn zu einem intensiven poli- rung gemeinsam mit ihren Partnern eine globale, tischen Dialog, zu umfassender Zusammenarbeit auf weltweite Abschaffung dieser Waffenkategorie. allen anderen Gebieten. Der Ost-West-Gegensatz (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kann nicht durch sicherheitspolitische Absprachen allein, auch nicht durch Abrüstungsvereinbarungen Wir hoffen, daß die Sowjetunion im Verlauf der Ver- allein dauerhaft entschärft und überwunden wer- handlungen in dieser Frage einlenkt. den. Nach Lösung weiterer Einzelfragen im Verifika- Wir begrüßen das Bekenntnis der Führer des War- tionsbereich ist nach Einschätzung der Bundesregie- schauer Pakts in ihrem Abschlußkommuniqué über rung eine Einigung im Bereich der Mittelstrecken- ihr Treffen in diesen Tagen in Ost-Berlin, wonach sie flugkörper längerer Reichweite in den nächsten — ich zitiere — „ihr Streben nach einem umfassenden Monaten möglich. System des internationalen Friedens und der Sicher- heit bekräftigen, das sowohl den militärischen und Damit würde erstmalig ein weitreichender Schritt politischen als auch den ökonomischen und humani- zur Abrüstung möglich. Dieser Erfolg wäre vor allem tären Bereich umfassen sollte". das Ergebnis der festen und geschlossenen Haltung der Bundesregierung wie des gesamten Bündnisses Positive Erfahrungen bei der Kooperation auf den bei der Durchführung des NATO-Doppelbeschlus- genannten Feldern werden zu einer Steigerung des ses. gegenseitigen Vertrauens zwischen Ost und West (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — führen können. Wenn das neue Denken, von dem Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) Generalsekretär Gorbatschow spricht, tatsächlich einen fairen und langfristigen Interessenausgleich Er wäre gleichzeitig ein Beweis dafür, daß konkrete zum Ziel hat, sind wir unsererseits bereit, auf das neue Abrüstungsschritte auf der Grundlage eines fairen Denken mit eigenen Schritten zur Intensivierung der Ausgleichs der Interessen beider Seiten erreichbar Zusammenarbeit zu reagieren. sind. Waffen können viel leichter abgebaut werden, Für den Bereich der Mittelstreckenflugkörper wenn politische Vertrauensbildung dem Prozeß der kürzerer Reichweite, also 500 bis 1 000 km, sieht der 926 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Bundeskanzler Dr. Kohl auch bis heute noch nicht schriftlich vorgelegte sowje- Ich will hier in aller Klarheit feststellen, daß für uns tische Vorschlag Deutsche bei Beseitigung der landgestützten Flugkör- per zwischen 500 km und 1 000 km Reichweite die (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Sorge über das Ungleichgewicht bei den Systemen eine ebenfalls auf Europa beschränkte Null-Lösung unterhalb 500 km wächst. Wir wollen und können vor. einen solchen Zustand nicht auf Dauer hinnehmen. Wir drängen deshalb nachdrücklich auf die Fortset- Meine Damen und Herren, für uns Deutsche bein- zung des Abrüstungsprozesses auch in diesem haltet diese Lösung schon auf den ersten Blick einen Bereich. schwerwiegenden Nachteil: Das erdrückende Über- gewicht der Sowjetunion im Bereich der Waffen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) unterhalb von 500 km, insbesondere in Form der 583 SCUD-Raketen, denen die NATO nichts Ver- Meine Damen und Herren, wir sind mit der Regie- gleichbares entgegenzusetzen hat, soll unberührt rung der Vereinigten Staaten und den übrigen Bünd- bleiben. nispartnern der Auffassung, daß die 72 deutschen Pershing-I- a-Raketen mit ihren amerikanischen Nicht zuletzt dieser Aspekt hat der Bundesregie- Sprengköpfen nicht in eine amerikanisch-sowjetische rung die Entscheidung über die Null-Lösung im Null-Lösung eingeschlossen werden können. Diese Bereich von 500 bis 1 000 km Reichweite nicht leicht- Flugkörper waren nie Verhandlungsgegenstand. gemacht. Dabei muß dieses Übergewicht immer wie- der auch vor dem Hintergrund einer klaren Überle- (Frau Unruh [GRÜNE]: Die kommen weg! — genheit des Warschauer Pakts im konventionellen Heiterkeit) Bereich gesehen werden. Das starke Übergewicht der Sowjetunion bei Flug- Meine Damen und Herren, diese konventionelle körpern unter 500 km Reichweite sowie der einseitige Überlegenheit des Warschauer Pakts ist ja auch keine und ersatzlose Abzug von 2 400 Atomsprengkörpern Erfindung der derzeitgen Bundesregierung. Ich der NATO zwischen 1980 und 1988 sollten es erlau- zitiere gerne erneut, das Weißbuch, das die Kollegen ben, in diesem Punkt die Verhandlungen nicht zu Schmidt und Apel zu ihrer Zeit veröffentlicht haben: komplizieren oder gar zu gefährden. In Mitteleuropa und an den europäischen Flan- Im übrigen, meine Damen und Herren, hat die ken sind die konventionellen Kräfte des War- NATO mit dem Abzug von 2 400 Atomsprengköpfen schauer Paktes, vor allem seine Landstreitkräfte, einseitig mehr Atomwaffen in Europa abgerüstet, als denen der NATO eindeutig überlegen. Das Ver- jetzt in Genf zur Verhandlung stehen und je stan- hältnis an Kampfpanzern zwischen NATO und den. Warschauer Pakt in Mitteleuropa beträgt, Ver- (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Hört! Hört!) stärkungskräfte beider Seiten eingerechnet, etwa 1 : 3. Über den Grad der Bedrohung ist damit nicht Die Verhandlungen in Genf dauern an. Mir alles gesagt. erscheint es wichtig, darauf hinzuweisen, weil viele so tun, als stünden wir bereits nach einem Verhand- (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das stimmt!) lungsabschluß. Ein Abkommen ist bisher noch nicht Es geht noch weiter im Zitat: erreicht. Der vorliegende Entwurf zeigt, daß durchaus schwierige Fragen noch zu lösen sind. Es ist eine Gleichwohl hat die numerische Panzerüberle- große Willensanstrengung beider Weltmächte not- genheit des Warschauer Paktes nicht nur hohen wendig, um zu Erfolg zu kommen. militärischen, sondern auch hohen politischen Rang. Sie ist Grund für Mißtrauen, weil Panzer- Ich will deutlich aussprechen, daß wir, die Bundes- massen klassische Angriffsmittel sind, für die regierung, und auch ich persönlich alles tun werden, schnelle Inbesitznahme fremder Territorien was in unserer Kraft steht, um zu einem solchen Erfolg beonders geeignet. Dies erklärt ihr politisches beizutragen, zu einem Erfolg, der erstmals in der Gewicht. Geschichte der Rüstungskontrolle dazu führen würde, wirklich Rüstung abzubauen. Ich habe auch diesem Zitat des Kollegen Schmidt und des Kollegen Apel nichts hinzuzufügen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Bundesregierung geht davon aus, daß eine sol- che INF-Regelung noch in diesem Jahr unterzeichnet Meine Damen und Herren, jedermann weiß — auch werden kann. Wir hoffen, daß es aus diesem Anlaß zu jeder hier im Saal weiß das — , daß seit 1979, als dieses einem dritten Gipfeltreffen zwischen Präsident Weißbuch erschienen ist, die konventionellen Streit- Reagan und Generalsekretär Gorbatschow in den kräfte der Sowjetunion weiter ausgebaut wurden. USA kommt. Ich will doch hier zum Ausdruck brin- Diese Aussage und die Realität, mit der wir uns zu gen, daß, wenn ich dies heute hier sage, wohl kaum beschäftigen haben, machen klar, daß eine bedin- mehr Widerspruch erfolgt. Auch hier im Hohen Hause gungslose Annahme des sowjetischen Null-Lösungs- hat sich die Einschätzung der Lage in den letzten Vorschlages für den Bereich von 500 bis 1 000 km für zwölf Monaten völlig geändert. Dies ist ein Erfolg der die Bundesregierung nicht in Frage kommen konnte. Politik der Bundesregierung. Das Ergebnis wäre für unser aus geographischen Gründen ohnehin exponiertes Land schwer erträg- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — lich. Lachen und Zurufe von der SPD und den (Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es!) GRÜNEN) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 927

Bundeskanzler Dr. Kohl Meine Damen und Herren, wenn wir Ihren Vorschlä- Bewegung gezeigt hat. Es ist ermutigend, daß das gen gefolgt wären, stünden wir heute vor dem Scher- Abschlußkommuniqué des Warschauer-Pakt-Gipfels benhaufen Ihrer Politik. in der vergangenen Woche in Ost-Berlin einen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Abschluß der Verhandlungen noch in diesem Jahr erneut für möglich erklärte. Wir haben konstruktiv mitgearbeitet. Wir können Wir erwarten weitere Flexibilität und ergebnis- heute mit Recht für uns in Anspruch nehmen: Die orientiertes Verhandeln auf beiden Seiten. In Anbe- Bundesrepublik Deutschland, die Koalitionsparteien tracht des erreichten Verhandlungsstandes ist dies im und diese Bundesregierung haben einen wesentli- übrigen nicht der geeignete Zeitpunkt, neuartige oder chen Beitrag zu der Möglichkeit geschaffen, daß es geographisch begrenzte Konzepte einzuführen. jetzt zu diesem Treffen kommt. (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Die Bundesrepublik Deutschland hat die Verhand- Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) lungen der Genfer Abrüstungskonferenz von Anfang Meine Damen und Herren, die Bundesregierung an energisch mitgestaltet bleibt der Auffassung, daß die Genfer Verhandlungen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — über nukleare Mittelstreckenflugkörper in einem Lachen und Widerspruch bei der SPD und umfassenden Abrüstungsprozeß eingebettet bleiben den GRÜNEN) müssen, der sich auf alle Waffensysteme erstrecken und zu weiteren Abrüstungsschritten führen muß. Ich und wird dies in der entscheidenden Schlußphase erst denke, Herr Kollege Brandt, daß wenigstens das doch recht tun. ein Punkt ist, auf den wir uns vielleicht verständigen Auch in diesem Zusammenhang muß an die beson- können. ders exponierte Lage Deutschlands und unserer besondere Bedrohung durch chemische Waffen erin- halten wir für erfor- Folgende Abrüstungsschritte nert werden. Wir erwarten deshalb von jedermann derlich und möglich: Respektierung unseres vorrangigen Interesses an Erstens. Im Abrüstungsprozeß der Großmächte einer solchen Konvention. erwarten wir eine Einigung über die 50prozentige Drittens. Logischer nächster Schritt im Abrüstungs- Reduzierung der strategischen Offensivpotentiale konzept der Bundesregierung und ihrer Verbündeten beider Seiten. Eine weitgehende Einigung auf dieser ist es, ein nachprüfbares, ein umfassendes und stabi- Basis ist bereits im Oktober letzten Jahres beim Gip- les Kräfteverhältnis konventioneller Streitkräfte auf feltreffen in Reykjavik ausgehandelt worden. niedrigerem Niveau in ganz Europa zu schaffen. Eine solche Einigung, meine Damen und Herren, (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das ist der würde die Beseitigung von insgesamt etwa Kern!) 10 000 nuklearen Sprengköpfen vorsehen. Zu den Unser Bündnis hat deshalb in Vorbereitung solcher noch offenen Problemen in diesem Bereich habe ich Verhandlungen erhebliche Vorarbeiten geleistet. In bereits am 18. März hier erklärt — ich darf das wie- Wien laufen Vorgespräche zwischen den Mitglied- derholen — : staaten der beiden Paktsysteme über ein Mandat In Genf müssen beide Verhandlungspartner einer Konferenz für konventionelle Rüstungskon- Anstrengungen unternehmen, für das Verhältnis trolle. von Offensiv- und Defensivwaffen eine die Meine Damen und Herren, es geht im Kern darum, Sicherheitsinteressen beider Seiten berücksichti- Ungleichgewichte zu unseren Lasten zu beseitigen. gende kooperative Lösung zu finden. Dies gilt Wir begrüßen deshalb die im Kommuniqúe des War- auch für die Anwendung des ABM-Vertrages. Ich schauer Pakts vom 29. Mai 1987 erklärte Bereitschaft, bin weiterhin der Auffassung, daß drastische die „entstandene Ungleichheit bei einigen Elemen- Reduzierungen der Offensivwaffen Einfluß auf ten" zu beseitigen, als Schritt in die richtige Rich- Notwendigkeit und Umfang von Defensivsyste- tung. men haben müssen. (Dr. Dregger [CDU/CSU] : Das ist gut!) Die Bundesregierung hofft, daß eine endgültige Der Bundesregierung und ihren Verbündeten geht Einigung in absehbarer Zeit zustande kommt. Ein es vor allem darum: einen stufenweisen Verhand- Abschluß im INF-Bereich könnte das beiderseitige lungsprozeß in Gang zu bringen, der die unvermin- Vertrauen für einen solchen entscheidenden Schritt derte Sicherheit aller Betroffenen in jeder Phase zum Abbau der strategischen Systeme fördern. gewährleistet; die Fähigkeit zu Überraschungsangrif- Zweitens. Wir streben so rasch wie möglich eine fen oder zur Einleitung von raumgreifend angelegten Konvention über ein weltweites Verbot chemischer Offensiven zu beseitigen; weitere Maßnahmen zur Waffen an. Die sehr komplizierten Verhandlungen Vertrauensbildung, zur Verbesserung der Offenheit der Genfer Abrüstungskonferenz sind so weit fortge- und Berechenbarkeit militärischen Verhaltens festzu- schritten, daß die noch offenen Verifikationsfragen schreiben; bei europaweiter Geltung regionalen kein entscheidendes Hindernis mehr bilden dürfen, Ungleichgewichten Rechnung zu tragen; Umgehun- diese grausame Waffenkategorie endgültig und welt- gen zuverlässig auszuschließen und letztlich wirk- weit abzuschaffen. same Überprüfungsregeln zu entwickeln, die einen detaillierten Informationsaustausch und Vor-Ort- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Inspektionen einzuschließen. Die Bundesregierung erkennt an, daß auch die Meine Damen und Herren, außerdem bleibt eine Sowjetunion in den strittigen Fragen der Verifikation zweite Etappe der Konferenz über vertrauens- und 928 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Bundeskanzler Dr. Kohl sicherheitsbildende Maßnahmen in Europa erforder- Herr Präsident, meine Damen und Herren, in mei- lich. Der Abschluß der Verhandlungen von Stockholm ner Regierungserklärung im März habe ich die Hoff- sollte für die Zukunft genutzt werden. nung ausgesprochen, daß es zu einem breiten Kon- Für die Abrüstungsverhandlungen im konventio sens in diesem Haus zu den Schlüsselfragen der nellen Bereich hat unser Bündnis noch keine endgül- Sicherheitspolitik, insonderheit zu unserer Bündnis- tigen Entscheidungen über Verhandlungsrahmen treue sowie zu Abrüstungs- und Rüstungskontrollfra- und Mandatselemente treffen können. Wir sind hier gen kommen möge. Fragen, die die Sicherheit unseres zusammen mit den britischen Kollegen nachhaltig um Volkes bis weit ins nächste Jahrhundert hinein vor prägen, eignen sich nicht für eine kurzsichtige und einen Kompromiß bemüht. kurzfristige parteipolitische Auseinandersetzung. Angesichts der von mir dargelegten besonderen (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das ist richtig!) Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland durch das konventionelle Übergewicht des Warschauer Pak- Wir sollten uns dabei vor allem nicht den guten Willen tes, das sich durch Schritte im Bereich der nuklearen in den Intentionen unserer Überlegungen in Kernfra- Abrüstung noch verschärfen würde, drängt die Bun- gen unserer Sicherheit absprechen. Wir sollten uns desregierung auf eine zügige Einigung, damit der vor Augen halten, daß ein grundlegendes Einverneh- Weg für notwendige Abrüstungsverhandlungen end- men über Parteigrenzen hinweg auch die Vertretung lich frei wird. der besonderen deutschen Interessen auf der interna- tionalen Ebene erleichtert. Die bestmögliche Vertre- (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!) tung des wohlverstandenen nationalen Interesses Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik gerade auf dem Gebiet der Sicherheit ist dabei eine Deutschland und Frankreich haben im Hinblick auf unserer vornehmsten Pflichten gegenüber nachfol- die Schritte der Großmächte zur nuklearen Abrüstung genden Generationen. in Europa ein gleichgerichtetes Interesse an größerer (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) konventioneller Stabilität auf niedrigerem Niveau. Die Bundesregierung hält deshalb Verhandlungen über konventionelle Stabilität in Europa vom Atlantik Präsident Dr. Jenninger: Ich eröffne die Ausspra- bis zum Ural — ein Begriff, den wir, wie wir wissen, che. Das Wort hat Herr Abgeordneter Brandt. Charles de Gaulle verdanken — nur mit Frankreich für vorstellbar. Brandt (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!) Herren! Das politische Leben in der Demokratie besteht gewiß nicht allein — ich denke, darin stimmen Wir verlassen uns in dieser Frage in einer besonderen wir überein — aus dem Streit der Meinungen. Zu ihm Weise auf unsere französischen Freunde. gehört auch die Fähigkeit, feststellen zu können, und - (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die Bereitschaft, feststellen zu wollen, worüber nicht oder nicht mehr gestritten werden muß. Dies ist dann Herr Präsident, meine Damen und Herren, gerade um so mehr angezeigt, wenn über Fragen lebenswich- die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, daß die sicher- tiger, überlebenswichtiger nationaler Interessen zu heitspolitische Gemeinsamkeit mit Frankreich für uns entscheiden ist. immer wichtiger wird. Die deutsch-französischen Wir Sozialdemokraten unterstützen diejenigen in Konsultationen vor zwei Wochen haben in diesem Koalition und Regierung, die für eine Geiste stattgefunden. Es geht darum, daß die deutsch- doppelte Null Lösung bei den französische Partnerschaft auch auf diesem Gebiet nuklearen Mittelstreckenraketen ohne Wenn und Aber eintreten. verstärkt zu gemeinsamem politischen Handeln reift. Es ist für mich eine große Befriedigung, daß ich bei (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten meinem gestrigen Gespräch mit den Repräsentanten der GRÜNEN) der wesentlichen Fraktionen Wir sind an der Seite derer, die es den beiden Welt- (Lachen bei den GRÜNEN) mächten nicht schwerer machen, sondern ihnen, soweit wir es können, helfen wollen, noch in diesem in der französischen Kammer in der außenpolitischen Jahr zu einer Vereinbarung zu kommen. Ein erster Kommission die Gelegenheit zu einem Meinungsaus- Vertragsentwurf für die Mittelstreckenraketen über tausch hatte, der zu einer ziemlichen Übereinstim- 1 000 km Reichweite liegt in Genf auf dem Tisch. Ich mung in dieser speziellen Frage führte. Auch die fran- beurteile auch die gemeinsame Anregung der deut- zösischen Kollegen machten deutlich, daß die Stunde schen Friedensforschungsinstitute positiv, möglichst einer engen Verbindung auch im Bereich der Sicher- bald eine dritte Null-Lösung für die nuklearen Kurz- heitspolitik mit der Bundesrepublik in Frankreich streckenwaffen anzupeilen, d. h. für die über 150 km, gekommen ist, daß wir die Chancen des Elysée-Ver- weil die anderen ja logischerweise mit der konventio- trags endlich nutzen sollten. nellen Rüstung gemeinsam zu verhandeln sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh Ich bin überzeugt, daß dies einen wichtigen Beitrag [GRÜNE]) für die Sicherheit Westeuropas insgesamt darstellen Wir sollten in der Tat, Herr Bundeskanzler, die kann. Die dadurch geförderte Entwicklung der Weltmächte dringend ersuchen, ihre Bemühungen Zusammenarbeit aller Mitgliedstaaten der WEU und um eine erstmal, sage ich, 50%ige Reduzierung der deren institutionelle Stärkung bilden nach Auffassung interkontinentalen Zerstörungsmaschinen des strate- der Bundesregierung ein wichtiges Element auch des gischen Offensivpotentials, wie der Bundeskanzler Europäischen Einigungswerkes. sagt, nicht erlahmen zu lassen, sondern auch hierüber Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 929

Brandt bald zu einem Abkommen zu gelangen, was wohl nur worden ist, das ist nicht ganz so mager wie die Regie- möglich sein wird, wenn sie sich darüber verständi- rungserklärung vom 7. Mai — das muß ich zuge- gen, welche den Weltraum betreffenden Tests erlaubt ben —; sein sollen und welche nicht. (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Vom 18. März war Wir stimmen dem Bundeskanzler zu, daß die Nu- die!) klearrüstung nicht isoliert zu sehen ist, sonden daß der weiteren Sicherung des Friedens wegen konventio- denn das war vor vier Wochen nicht mehr als das Auf- nelle Stabilität, und zwar auf möglichst niedrigem schieben einer fälligen Entscheidung, ein Aufschie- Niveau, zwischen Ost und West in Europa angestrebt ben mit der Gefahr zunehmender Isolierung und werden muß. Ich bediene mich der gängigen Aus- damit des Verzichts auf Einflußnahme auf einen Pro- drucksweise nicht ohne Unbehagen, denn die gän- zeß, der gerade für uns in Deutschland von vitaler gige Bezeichnung — das klang auch in der Regie- Bedeutung ist. rungserklärung an — „konventionell" darf ja wirklich Wir sehen es so: Durch eine europäische Null nicht verniedlichend verstanden werden. Lösung bei den Mittelstreckenraketen wäre das stra- (Beifall bei der SPD — Zustimmung des Abg. tegische Verhältnis zwischen den Weltmächten, den Rühe [CDU/CSU]) Supermächten, nicht unmittelbar berührt. Aber Selbstverständlich stimmen wir darin überein, daß die erstmals in der Geschichte der neueren Ost-West- Beziehungen würden Waffen, die mit großem Auf- deutsche und die europäische Politik jeden möglichen wand entwickelt, produziert und stationiert wurden, Einfluß geltend zu machen hat, damit die Verhand- als Ergebnis eines Abkommens wieder abgezogen lungen über eine weltweite Ächtung der chemischen und verschrottet werden. Die Politik hätte dann in Waffen bald zum Erfolg führen. einem wichtigen Bereich wieder die Oberhand Herr Bundeskanzler, bei uns rennen Sie offene gewonnen über rein militärisches Kalkül. Türen ein mit dem, was Sie eben darüber gesagt haben, daß es ein Vorteil für die Außen- und Sicher- (Beifall bei der SPD) heitspolitik ist, wenn sie sich auf ein grundlegendes Das wäre nicht weniger als ein Sieg der Vernunft Einvernehmen zwischen den sonst miteinander kon- über die Eigendynamik der Rüstung. kurrierenden Parteien stützen kann, und daß innen- politische Sonderinteressen dabei nicht überhand- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) nehmen dürfen; und nicht zuletzt, daß wir einander in der Tat den guten Willen nicht absprechen sollten. Ich Ich sprach von Gefahren der Isolierung. Diese Gefahr habe das auch schon anders gehört. mag reduziert worden sein, überwunden ist sie, fürchte ich, noch nicht. Das hängt damit zusammen, (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh- daß die Koalitionsvereinbarung vom Montag bzw. [GRÜNE] — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Bei das, was von ihr in die heutige Regierungserklärung euch! „Nicht friedensfähig" hat es gehei eingegangen ist, eben doch in Teilen einen Formel- ßen!) kompromiß darstellt, den die einen so und die anderen Was heute dazu erklärt worden ist, ist von uns nicht anders auslegen. Die — wie habe ich das gelesen? — überhört worden und wird weiterwirken können, „kakophone Dissonanz" , von der der bayerische wenn es nicht bei einer Schwalbe bleibt, die bekannt- Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende sprach, hatte lich noch keinen Sommer macht. sich in diesen Tagen ganz schön munter weiterentfal- tet. (Beifall bei der SPD) Die Freien Demokraten sagen deutlicher als andere, Es ist nicht wenig, von dem ich hier ausgegangen deutlicher jedenfalls als ein großer Teil der Kollegen bin. der größten Regierungsfraktion, sei seien für ein Ja Unser Verständnis davon, daß für uns ein Weg zur doppelten Null-Lösung. Sie sagen auch — und außerhalb des Atlantischen Bündnisses nicht akzepta- dem kann ich nur beipflichten — : Von einer Abkop- bel ist, kommt hinzu, ebenso die Überzeugung, daß es pelung von den Vereinigten Staaten könne keine eine gute deutsche Zukunft ohne oder gar gegen Rede sein. Europa nicht gibt und daß dabei die Weiterentwick- lung der deutsch-französischen Partnerschaft, der Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion dieses Hau- deutsch-französischen Entente in der Tat eine beson- ses betonte am Dienstag, von Doppel-Null könne man dere Rolle zu spielen haben wird. Ich beziehe mich nicht reden. Und in der Fraktion scheint es bei Ihnen insofern ausdrücklich auf das, was die Kollegen ganz munter zugegangen zu sein. Nun weiß ich natür- Ehmke im März und im vorigen Monat hier lich: Es stimmt nicht alles, was in der „Frankfurter von dieser Stelle aus über die Selbstbehauptung Euro- Allgemeinen " steht — das kann ich nun wirklich pas gesagt haben. selbst bestätigen —, Nun muß ich allerdings hinzufügen: Ich hätte, wir (Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Seiters hätten gewünscht, daß die Einigkeit zum konkreten [CDU/CSU]: Die Fraktion ist hervorra Thema Doppel-Null — und darum sollte es ja heute gend!) gehen — , daß die Übereinstimmung in dieser konkre- aber alles, was auf Seite eins und auf Seite zwei ten Frage größer wäre, als sie ist. gestern über Ihre Fraktionssitzung zu lesen war, kann Gewiß, was die Koalition am Montag aushandelte und ja auch nicht aus den Fingern gesogen sein. Also, es was heute als Standpunkt der Regierung vorgetragen wird schon was dran sein. 930 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Brandt Der Bundeskanzler läßt sich vor dem Hintergrund, Nun hört man schon aus Washington, Herr Bundes- den ich eben andeutete, so vorsichtig ein, wie wir es kanzler, Ihre Position zu Pershing I a diene der von ihm schon lange nicht mehr gewohnt waren. Gesichtswahrung. Sie haben in der Regierungserklä- rung heute morgen eine sehr vorsichtige Formulie- (Heiterkeit bei der SPD) rung gewählt, die Ihnen das nächste Einschwenken Die einen sagen, das Herauslassen der deutschen nicht zu schwer machen würde. Pershing-I-a-Raketen, 72 an der Zahl, könne einem (Zustimmung bei der SPD) Abkommen gar nicht im Wege stehen, weil die nu- klearen Sprengköpfe ohnehin nicht der Bundeswehr Daß man in Amerika mit einem nächsten Einschwen- gehören. Sie befinden sich, wie wir wissen, in ameri- ken der Bundesregierung schon rechnet, kann kaum kanischem Gewahrsam, und eingesetzt werden könn- überraschen. Wir hätten in diesem Fall auch nichts ten sie nur auf Befehl des Präsidenten der USA. Also: dagegen. Was aus den nuklearen Sprengköpfen wird und wie (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sie schwenken sie in ein Abkommen zwischen den Weltmächten ein- schon vorher!) bezogen werden, entscheiden die Vereinigten Staa- ten. Wenn man den Amerikanern vorführen will, was (Zustimmung bei der SPD) Eigenständigkeit bedeutet und bedeuten kann, dann machen Sie das bitte bei dazu passenden Gelegenhei- Ich fand folgendes ganz interessant: Als ich gestern ten, und an denen mangelt es nicht. Auch bitte aufpas- nachmittag nach Hause fuhr, bekam ich die Meldung sen bei einem eben doch latenten, auch in der aus dem Stuttgarter Landtag in die Hand, daß jeden- Geschichte leicht festzumachenden Antiamerikanis- falls nicht in Übereinstimmung mit dem Fraktionsvor- mus eines nicht geringen Teils der deutschen Rech- sitzenden der CDU/CSU hier, wohl aber, wie er sagte, ten. in Übereinstimmung mit dem Bundeskanzler der baden-württembergische Ministerpräsident und einer (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU im Land- der GRÜNEN) tag zu Stuttgart gesagt hat, die Null-Lösung werde Was die Restbestände, Herr Bundeskanzler, je hun- auch an den 72 deutschen Pershing-I-a-Raketen nicht dert bei den Mittelstreckenraketen größerer Reich- scheitern, weite, die, wie Sie meinen, möglicherweise verblei- (Beifall bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: Sehr benden je hundert Waffensysteme dieser Art angeht, gut!) so kann ich die Einlassung der Regierung hierzu gut verstehen, aber sie wird wohl selbst nicht geneigt sein, notfalls, so lese ich, müsse die doppelte Null-Lösung ihren Einfluß zu überschätzen, was das Verhältnis ohne Junktim vereinbart werden. zwischen den beiden Weltmächten in dieser Hinsicht - (Beifall bei der SPD) angeht. (Dr. Vogel [SPD]: Das habt ihr wohl gelernt in Ich habe von den einen gesprochen, ich komme den letzten vier Wochen!) jetzt zu den anderen: Die anderen meinen, die Bun- desregierung könne oder sogar solle dafür sorgen, daß Die SPD, für die ich spreche, hat immer gewollt, daß die eben erwähnten Atomwaffen bei einem Abkom- es zwischen Ost und West zum Rüstungsabbau über- men der beiden Großen außen vorbleiben. Sie meinen haupt und zur nuklearen Abrüstung im besonderen weiter, wenn ich es recht verstehe, die Modernisie- kommt. rung dieser Waffensysteme dürfe auf keinen Fall in (Beifall bei der SPD) Frage gestellt werden. Ich darf Ihnen im Namen mei- Die Bundesregierung hat sich ein Stück bewegt, aber ner politischen Freunde sagen — wenn ich „Freunde" mehrheitlich, wie es mir scheint, mehr aus Sorge denn sage, meine ich die Freundinnen immer mit — aus Einsicht. Ich fürchte jedoch, der Schaden, der in (Heiterkeit bei allen Fraktionen) den letzten Wochen angerichtet worden ist — ich wi ll nicht auf die Reiserei im einzelnen noch einmal ein- und im Namen vieler anderer in der deutschen Öffent- gehen — , was Einfluß und Gewicht unserer Außenpo- lichkeit, die an diesem Vorgang, wie wir wissen, stark litik angeht, ist mit der heutigen Regierungserklärung Anteil nehmen: Sollte hier eine Position aufgebaut noch nicht behoben. werden, die es den Weltmächten erschweren oder gar unmöglich machen würde, ein im übrigen zwischen Lassen Sie mich jedenfalls mit jedem möglichen ihnen mögliches Abkommen unter Dach und Fach zu Nachdruck sagen: Für alle bisherigen Bundesregie- bringen, dann würde dies unseren eindeutigen rungen hat gegolten, daß sie den Besitz oder die Ver- Widerstand hervorrufen. fügungsgewalt über Atomwaffen nicht anstreben. (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN sowie bei [GRÜNE]) Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Sollte es der Regierung darum gehen, dem Abrü- Man gab sie uns nicht, und wir wollten sie nicht, und stungsprozeß etwas hinzuzufügen, was man im Neu- dabei muß es bleiben. deutschen ein Momentum nennt, würden wir zwar (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der nicht das Verfahren, wohl aber die Sache unterstüt- FDP) zen. Um so besser, Herr Bundeskanzler — ich habe es auch (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Was meint der nicht bezweifelt — , daß auch das ein Stück gemeinsa Bundeskanzler damit?) mer Haltung ist. Besser wäre es noch, wenn wir dar- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 931

Brandt über hinaus einig wären, erstens, daß Doppel-Null aus Organisation im vergangenen Jahr von jemand in allgemeinen Gründen und wegen eines zusätzlichen Gang gesetzt worden war, starken nationalen Interesses ohne Wenn und Aber zu (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) unterstützen ist, der der Bundesregierung nicht fernsteht. Für die deut- (Rühe [CDU/CSU] : Mit Brandmauer!) schen Sozialdemokraten möchte ich die internationale und zweitens, daß eine Politik des Rüstungsabbaus Organisation der Ärzte wie ihren Kongreß beglück- zwischen Ost und West mit allen vernünftigen Mit- wünschen, und zwar zu den Ergebnissen wie zu den teln, zumal durch eigene Vorschläge und nicht nur Empfehlungen, die sie erreicht haben. durch das Reagieren auf die Vorschläge anderer, (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten durch die Bundesrepublik Deutschland zu fördern der GRÜNEN) ist. Was, meine Damen und Herren, die von mir (Beifall bei der SPD) genannten Gemeinsamkeiten begrenzter sein läßt, als Diese Überzeugung, die damit verbundene Unruhe es zu wünschen wäre, ist die Tatsache, daß wir mit hat am vergangenen Freitag eine große Zahl von Per- einer erheblichen Zahl der Kollegen aus der Mehr- sönlichkeiten des öffentlichen Lebens hier in Bonn heitsfraktion — der Fraktion der Unionsparteien — in zusammengeführt, die ich eingeladen hatte; nicht der Beurteilung der Weltlage, der europäischen Lage, zuletzt Persönlichkeiten aus dem kulturellen und wis- der realen Chancen der Friedenssicherung und senschaftlichen Leben. In dem dort gemeinsam unter- Zusammenarbeit nicht übereinstimmen. Während wir zeichneten Aufruf heißt es: weitreichende Veränderungen befriedigt, manchmal auch verwundert, gebe ich zu, zur Kenntnis nehmen, Wir sind nicht länger überzeugt von der Tragfä- stellen wir mit Bedauern fest, daß nicht wenige inner- higheit der Abschreckungstaktiken. Sie ist trüge- halb des Regierungslagers in einem, wie wir es emp- risch, die tödliche Entschlossenheit, die ihre Ver- finden, sterilen Feindbilddenken verharren. fechter vorspiegeln, unglaubwürdig. Nicht auf die Androhung des nationalen Selbstmordes dür- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) fen wir setzen, sondern auf die Vereinbarung Es ist nicht Rechthaberei, wenn ich sage, daß man- gemeinsamer und gleicher Sicherheit. che der Kollegen eben immer noch nicht nachvollzo- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten gen haben, was unsere Entspannungspolitik bedeu- der FDP) tete und was durch sie in diesem Teil der Welt verän- dert worden ist. Dies hat ja dann auch zu den bekann- Das Thema stößt auf ein wirklich sehr waches und ten Fehleinschätzungen geführt. Gewisse Vorschläge lebhaftes Interesse. Ich habe das gestern morgen wurden, wie man weiß, verbal unterstützt oder gar gemerkt, als mir 80 Listen mit 80 000 Unterschriften- mitformuliert in der stillen, aber sicheren Hoffnung, auf den Tisch kamen. Da sind örtliche Organisationen die sowjetische Führung werde sie nie annehmen. meiner Partei dabei, die Bürger zu bitten, sich auch durch ihre Unterschrift für das Doppel-Null ohne (Sehr wahr! bei der SPD) Wenn und Aber einzusetzen. Da hat man sich dann verheddert — wie bei der (Beifall bei der SPD — Rühe [CDU/CSU]: Das bekannten und im übrigen richtigen Formel eines heißt mit Brandmauer!) Generalinspekteurs, von dem ja der Satz stammt: Je kürzer die Reichweiten, um so deutscher die Wirkung. Ich bin ganz sicher, daß, wenn mein Freund Hans Das kann ja nicht bestritten werden. Jochen Vogel neben anderen auf der Kundgebung der Friedensbewegung am 13. Juni 1987 sprechen Diese Einsicht, meine verehrten Kolleginnen und wird, dann dies dort — von vielen unterstützt, nicht Kollegen, hätte der Logik entsprechend doch wohl nur interessiert verfolgt — stark zum Ausdruck kom- dazu führen müssen, daß Sie die kürzeren Reichwei- men wird. ten eher hätten wegverhandeln müssen (Beifall bei der SPD) (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Ja!) Meine Damen und Herren, es ist ja über unser Land und eher die längeren hätten behalten wollen. Das hinaus so, daß sich neben Kirchenführern nicht zuletzt Umgekehrte ist geschehen. Sie haben der Beseitigung Naturwissenschaftler und jetzt in immer mehr zuneh- der längeren zugestimmt und wollten die Beseitigung mendem Maße Ärzte engagiert haben und engagie- der kürzeren verhindern; das ergibt doch keinen ren, wenn es um das Sich-Auflehnen gegen die Atom- Sinn. gefahren geht. Der 7. Weltkongreß der „Ärzte gegen den Atomtod" hat aus der Erfahrung der Mediziner im (Beifall bei der SPD — Lebhafter Wider Osten und Westen, im Norden und Süden am vergan- spruch bei der CDU/CSU — Dr. Dregger genen Wochenende in der sowjetischen Hauptstadt [CDU/CSU]: Das ist falsch! Im Gegenteil!) getagt. Voriges Jahr waren die hier in Köln. Das Jahr Was die kurzen Reichweiten und die Gefechtsfeld- davor habe ich zu ihnen in Budapest gesprochen. waffen angeht, meine Damen und Herren, haben Sie Auch Präsident Reagan hat jenem großen internatio- es bisher nicht geschafft, deren Beseitigung wenig- nalen Ärztekongreß in Moskau ein Telegramm stens als Ziel deutlich genug zu formulieren. geschickt, das nicht bloß einen Gruß enthielt. Die Bun- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) desregierung hat nichts von sich hören lassen, ver- mutlich weil ihr die ganze Richtung nicht paßt oder Apropos Fehleinschätzungen: Ich möchte aus gege- weil sie jetzt nicht von dem abrücken will, was sehr benem Anlaß eine Bemerkung dazu machen, ob es ungerecht zur Verleumdung dieser internationalen nicht zu denken gibt, wie der perfektionistische 932 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Brandt Gigantismus der Sicherheitsapparate gelegentlich Ich kehre zur Regierungserklärung zurück, wenn vorgeführt wird, so daß die Menschen merken, der ich es darf, und sage: In gewisser Hinsicht ist das doch König im Sinne von H. C. Andersen hat wirklich eine interessante Premiere. Ich kann mich an einen manchmal keine Kleider an. vergleichbaren Vorgang nicht erinnern. Die einfache Null-Lösung war ein Ost-West-Vorschlag. Dem kann (Zustimmung bei der SPD) man also relativ leicht zustimmen. Die doppelte Null Am Wochenende las ich wie viele von uns in der Lösung ist ein Vorschlag Gorbatschows. Daß man ihn „International Herald Tribune" — es gibt manches, zu verhindern sucht, kann ich zur Not verstehen. Aber was man in der deutschen Presse nicht gleich liest; ob daß die Kolleginnen und Kollegen letztendlich einem man nun übereinstimmt oder nicht — den Artikel sowjetischen Abrüstungsvorschlag im wesentlichen eines deutschen Journalisten, der sich in Militärfragen zustimmen, und zwar zum erstenmal, das verdient auskennt. Er sprach die Warnung aus, Dinge auf Flug- festgehalten zu werden. Man darf auf die Fortsetzung zeuge zu verlegen; denn auf Flugzeuge verlagertes gespannt sein. Nuklearpotential müsse als sehr problematisch ange- Die Regierungserklärung ist — wenn ich es so offen sehen werden, weil das Gebiet des Warschauer Pakts sagen darf — nicht ganz auf der Höhe der Situation, das tödlichste Luftverteidigungsgebiet der Welt sei. Das habe ich da gelesen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN) Das traf mit der Tatsache zusammen, daß ich gerade vorher wie viele — nicht nur in diesem Saal, sondern aber ich habe wohl gehört, was dort doch interessiert in unserem Land — gelesen hatte, was dieser junge registriert worden ist, auch im Blick auf die Ost - Berli- Mann auf seinem Fünfstundenflug von Helsinki nach ner Warschauer - Pakt - Texte aus der zurückliegenden Moskau hinter sich gebracht hat. Hinzu kamen die Woche. Das ist wichtig; das verdient weiter geprüft zu Bilder von seiner kühn-gefährlichen Landung auf werden, und zwar in bezug auf den Abbau der Über- dem Roten Platz. legenheiten, die engmaschige Kontrolle, die konven- tionelle Abrüstung und die Besprechungen der Stra- Ich will nicht den Leichtsinn des jungen Landsman- tegiedoktrin — wie man drüben sagt — der beiden nes rühmen, und ich hoffe sehr, daß man ihn trotzdem Bündnisse mit dem Ziel ihrer reinen Verteidigungsfä- bald nach Hause kommen läßt. higkeit. Das muß wirklich geprüft und gründlich erör- tert werden, mit den Verbündeten und auch mit (Beifall bei allen Fraktionen) denen, von denen die Vorschläge kommen. Ich hätte Aber den Respekt vor einer etwas verrückten, aber es ja nicht für schlecht gehalten, Herr Bundeskanzler, doch imponierenden sportlichen Leistung, diesen wenn man zusätzlich auch noch auf das eingegangen wäre, was die Herren Honecker, Husak und Jaru- Respekt kann ich nicht unterdrücken; er muß- wohl auch erlaubt sein. zelski in den letzten Wochen gesagt haben. (Heiterkeit und vereinzelt Beifall) (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN) Jedenfalls, meine Damen und Herren, befriedigt Es wäre gut, wenn man auch dazu sagen könnte: Das, mich nicht, wie rasch sich aus einem solchen Anlaß die was sie in die europäische Diskussion eingeführt militärischen und zivilen Chefs beider Seiten einig haben, verdient sorgfältige und konstruktive Prü- sind, wie rasch sie sich zu Wort melden, um überein- fung. stimmend zu erzählen, was die Disziplin gebietet, daß Unregelmäßigkeiten von Übel sind und überhaupt, Wir begrüßen natürlich — wenn ich das in diesem daß nicht sein darf, was nicht in Reglements vorgese- Zusammenhang sagen darf — die Möglichkeit, daß hen ist. mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR auch persön- (Heiterkeit) lich über diese Dinge geredet werden kann, wenn er nach der Sommerpause zu uns in die Bundesrepublik Ich weiß ja auch, daß das nicht geht, was der Ma- kommt. Es ist ja weiß Gott auch und gerade un- thias Rust unternommen hat. Ich kann es wirklich ser Interesse, konventionelle Nichtangriffsfähigkeit nicht zur Nachahmung empfehlen. Aber interessant strukturell zuerst in Zentraleuropa herzustellen. ist es doch, daß es immer wieder Menschen gibt, die die Routine durchbrechen und sich nicht zum bloßen (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Anhängsel technischer Apparate machen lassen. Das der GRÜNEN) haben wir in anderen Zusammenhängen auch schon Nun kann ich mich an manches Lachen oder gesehen. Ich will jetzt dafür keine Beispiele nennen, Lächeln erinnern, das es in den vergangenen Jahren denn dann könnte man doch annehmen, ich rege zu gab, wenn vom „Korridor" die Rede war. Ich will ein- etwas an. mal sagen: Das Lachen oder Lächeln könnte man- (Heiterkeit bei der SPD) chem jetzt leicht vergehen, denn es liegt doch folgen- Ich will doch noch hinzufügen, meine Damen und des auf der Hand: Herren: Es wäre sicher eine grobe Fehleinschätzung, Erstens. Wenn sich das mit den Verhandlungen die Russen für so ungefährlich zu halten, wie es dem über eine weltweite Ächtung der chemischen Waffen Cessna-Flieger und einigen seiner Beifallspender in noch hinzieht, spricht doch alles dafür, dort anzufan- der vorigen Woche erschienen sein mag. gen, wo das verdammte Zeug liegt, nämlich in den beiden deutschen Staaten. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 933

Brandt Es spricht alles dafür, das Zeug herauszuverhandeln, Damen und Herren, Sie sollten bitte zur Kenntnis neh- und es spricht doch auch alles dafür, gerade in bezug men, daß einigen von uns der Zusammenhang zwi- auf die Raketen mit den ganz kurzen Reichweiten die- schen politischer und militärischer Entspannung vor sen Anfang zu machen, den ein atomwaffenfreier Jahr und Tag bewußt war und daß wir ihn gegen viel Korridor in unserem Teil Europas bedeuten würde. Unverstand, auch gegenüber viel Feindseligkeit, die Das wirft dann natürlich, wie die Fachleute besser ich aber nicht nachtrage, mit konzipiert haben. Es ist wissen als ich, eine Menge Fragen auf, etwa — das hat zwar leichter geworden, aber immer noch nicht wirk- sich bei den Erörterungen gezeigt — bezüglich der lich leicht. Aber es hilft nicht, wo Sicherheit nicht Doppelverwendungsfähigkeit der Haubitzen. Dann mehr gegeneinander rüstet, sondern nur noch mitein- kann man — deshalb vorhin mein Hinweis — das ander vereinbart werden kann, ist ein Umdenken not- Nukleare und das Konventionelle in diesem Bereich wendig, das mit uralten Traditionen bricht. gar nicht mehr voneinander trennen. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Jedenfalls hat die Zeit begonnen, in der wir die der GRÜNEN) Chance haben, ein neues Blatt in der Geschichte Wir haben dieses Umdenken mit angestoßen und Europas aufzuschlagen, die zweite Phase der Ent- werden zu seinen wichtigsten Trägern in der Bundes- spannungspolitik endlich zu realisieren, nämlich die republik Deutschland gehören. Gemeinsame Sicher- militärische Konfrontation durch den f riedlichen heit mit dem Ziel einer europäischen Friedensord- Wettstreit und die Zusammenarbeit zu ersetzen. Dazu nung liegt im Interesse aller Deutschen, aller Euro- braucht man deutsche Vorschläge, nicht nur das War- päer, aber auch im Interesse der Völker der Dritten ten auf sowjetische Wortlaute, Welt, denen das Wettrüsten jede Hoffnung nimmt, (Beifall bei der SPD) Verschuldung und Elend zu überwinden. die man dann zum Schluß — wenn ich insoweit auf Ich danke für die Aufmerksamkeit. den Zusammenhang zwischen dem 7. Mai und heute (Anhaltender Beifall bei der SPD — Beifall hinweisen darf — doch nicht abwartet. bei den GRÜNEN) Das Thema „Stabilität und Frieden durch Abrü- stung" darf nicht zum Monopol des Ostens werden. Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Abgeord- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten nete Dr. Dregger. der GRÜNEN) Wir müssen dahin kommen, daß der Osten wieder ein- mal auf unsere Vorschläge zu antworten hat, wie das Dr. Dregger (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine zwischen 1970 und 1972 der Fall war. Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfrak- tion stimmt der Regierungserklärung — ich möchte (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — sagen: der eindrucksvollen Regierungserklärung Widerspruch bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Das Gegenteil war der (Lachen bei der SPD und den GRÜNEN) Fall!) — Sie sollten zuhören; dann würden Sie mein Urteil Ich möchte gern, daß wir uns darüber auseinanderset- bestätigen — zu und unterstützt sie durch eine Ent- zen, wie die Vorschläge der eigenen Regierung so schließung, die sie gemeinsam mit der FDP dem gestaltet werden können, daß sie konkret, mutig und Hause vorlegt. so umfassend wie möglich sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nun ist es wohl unvermeidlich, daß die Regierung Um mich zunächst Ihnen, Herr Kollege Brandt zuzu- zeigen will, wie hübsch sie ist. Das haben Regierun- wenden: Ich sehe nicht, daß es in dem Wunsch nach gen so an sich; das weiß ich auch. Es ist eigentlich Abrüstung in diesem Hause irgendwelche Unter- immer so, daß sie sich möglichst vorteilhaft darstellen schiede gibt. wollen, daß sie zeigen wollen, wie vorausschauend, (Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Ich doch!) wie weise, wie aktiv und vor allem wie erfolgreich sie sind. Ich will auch gar nicht bestreiten, daß Sie sich Wir alle wollen das Übermaß an Waffen beseitigt nach Maßgabe Ihrer Fähigkeiten bemühen, aber sehen, nicht zuletzt in Deutschland, durch dessen befriedigen kann das alles noch nicht. Wenn es zur Mitte die Militärgrenze zwischen Ost und West ver- doppelten Null-Lösung kommt, dann nicht wegen läuft. dieser Regierung, sondern trotz dieser Regierung. Ich begrüße es, daß Sie den Wunsch des Bundeskanz- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) lers nach mehr Gemeinsamkeit am Schluß seiner Erklärung ebenfalls zum Ausdruck gebracht haben. Nun kommen Sie bei solchen Gelegenheiten immer Ich freue mich über diese Gemeinsamkeit und unter- mit dem Nachrüstungsbeschluß, als ob Sie den auch streiche sie. noch als Geburtshelfer einer neuen sowjetischen Füh- rung und Politik in Anspruch nehmen könnten. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP und zu kurz gedacht. bei Abgeordneten der SPD) Was uns unterscheidet, meine Damen und Herren (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) der Opposition, ist etwas anderes. Es ist unser Aber das würde interessante Fragen auslösen. Wunsch, Abrüstung und Sicherheit miteinander zu Lassen Sie mich nur sagen: Was immer Sie sonst verknüpfen. über uns meinen, Herr Bundeskanzler und meine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 934 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Dr. Dregger Dieser zweite, im Grunde wichtigere Gesichtspunkt Ausdrücklich beziehen möchte ich mich auch auf — der Bundeskanzler hat mit Nachdruck darauf hin- die Erklärung des Bundeskanzlers zu der Tatsache, gewiesen — findet bei Ihnen, meine Damen und Her- daß die 72 Pershing I a der Bundeswehr mit ihren ren von der Opposition, kaum einen Niederschlag. amerikanischen Sprengköpfen nicht Gegenstand der Das ist ein schwerer, nicht zu verantwortender Fehler gegenwärtigen Abrüstungsverhandlungen sind. Wir der Opposition, meine Damen und Herren. unterstützen mit dieser Aussage die Verhandlungspo- sition der USA und die Auffassung unserer Verbünde- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ten, insbesondere Großbritanniens und Frankreichs. Denn unser Ziel ist natürlich Frieden und Freiheit. Für uns Deutsche werden diese P I a der Bundeswehr Was heißt das? Frieden heißt Sicherheit vor Krieg, und ihre Bedeutung verlieren, wenn in weiteren Abrü- Freiheit heißt Sicherheit vor militärischer Erpres- stungsverhandlungen ein Gleichgewicht der Kräfte sung. auch in den Bereichen hergestellt wird, die uns in besonderer Weise bedrohen. Auf diese, wie wir hof- Gerade das letztere ist von Bedeutung. Es gibt zur fen, künftigen Abrüstungsbereiche sollten gerade wir Zeit in Europa keine Kriegsgefahr — Gott sei Dank —, deutschen Parlamentarier unsere Hauptaufmerksam- aber es darf auch keine Lage entstehen — auch durch keit richten. Abrüstung nicht — , in der eine Großmacht von uns ein bestimmtes politisches Verhalten gegen unseren Wil- (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Wo sind denn Ihre len erzwingen kann. Vorschläge dazu?) (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) — Sie kommen. Ich nenne drei Bereiche: erstens die Reykjavik hat — übrigens gegen die Erwartungen Atomraketen der SPD; ich erinnere an das Wort des Kollegen mit Reichweiten unter 500 km, auf die der Bundes- Ehmke vom schwarzen Sonntag — kanzler breit eingegangen ist. Von den bisher laufen- den Gesprächen werden sie nicht erfaßt. Es handelt (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Schwarzer sich um 1 430 atomare Waffensysteme der Sowjet- Ehmke!) union und um 160 der NATO. Diese Waffensysteme, die auch bei einer sogenannten doppelten Null- einen Abrüstungsprozeß in Gang gesetzt, den wir Lösung bleiben, reichen aus, Herr Kollege Brandt, um begrüßen. Ohne uns, ohne die Festigkeit von CDU/ unser geteiltes Land zu vernichten. Sie können zudem CSU und FDP in der Nachrüstung — Sie, meine auf Grund ihrer geringen Reichweiten nur Deutsch- Damen und Herren der Opposition, standen damals land und einige Grenzgebiete seiner Nachbarn tref gegen uns — wäre dieser Abrüstungsprozeß nicht in fen. Gang gekommen. Das ist, Herr Kollege Brandt, keine Legende, sondern eine Wahrheit, was außer- von Sie haben soeben gefordert, wir sollten der doppel- Ihnen in diesem Hause von niemandem bestritten ten Null-Lösung ohne Wenn und Aber zustimmen. wird. Wir haben daher Anlaß, Sie, Herr Bundeskanz- Das heißt aber, wir sollten diese Bedrohung unterhalb ler, zu einer Politik zu beglückwünschen, die den jetzt von 500 km Reichweite ohne Wenn und Aber hinneh- in Gang gekommenen Abrüstungsprozeß möglich men. Sie haben uns gleichzeitig den Vorwurf gemacht hat. gemacht, wir würden zwar den Null-Lösungen bei Waffensystemen mit Reichweiten über 1 000 km und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. über 500 km zustimmen, aber wir träten nicht dafür Vogel [SPD]: Das versteht außer Ihnen auch ein, daß die Waffensysteme mit Reichweiten unter keiner! — Weiterer Zuruf von der SPD: Gibt 500 km wegkommen. Diese beiden Aussagen, die Sie es solche Heuchelei?) gemacht haben, sind widersprüchlich Dieses Verdienst diese Leistung der Bundesregie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rung und der Koalition geben Ihnen, Herr Bundes- kanzler, uns und dem deutschen Volk das Recht zu und, was die Reichweiten unter 500 km angeht, auch verlangen, daß bei der Durchführung der Abrüstung völlig falsch. auch unsere legitimen deutschen Sicherheitsinteres- Unsere Anstrengungen — gerade die Anstrengun- sen beachtet werden. Ob und in welchem Umfang das gen der Fraktion, auch bei unseren Gesprächen in geschieht, kann heute noch nicht abschließend beur- ausländischen Hauptstädten — haben sich gerade teilt werden. Der Abrüstungsprozeß hat ja erst begon- darauf gerichtet, daß bei 500 km Reichweite keine nen, und sein Ende und seine Ergebnisse sind nicht Brandmauer aufgerichtet wird, wie es einige Verbün- absehbar. Das bedeutet, daß heute unter dem Sicher- dete erwogen haben, sondern daß es einmal nicht in heitsaspekt auch nur eine Zwischenbilanz gezogen Frage kommen kann, Waffensysteme mit Reichweiten werden kann. über 500 km, die weggeschafft werden, nun durch Waffensysteme mit Reichweiten unter 500 km zu Zu den beiden Mittelstreckenbereichen, die jetzt Verhandlungsgegenstand sind, hat der Bundeskanz- ersetzen. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie diese ler Aussagen gemacht, die ich ausdrücklich unterstüt- Gesichtspunkte noch einmal durchdenken würden; zen möchte. Das gilt insbesondere für seinen Hinweis, dann könnte sich unsere Gemeinsamkeit über den daß wir für beide Bereiche globale Lösungen gegen- Wunsch nach Abrüstung hinaus ausdehnen. über Lösungen bevorzugen würden, die auf Europa Der zweite Bereich, den ich nennen muß und der beschränkt sind. Das läge nicht nur im Interesse der nicht von der sogenannten doppelten Null-Lösung Völker im pazifischen Raum, sondern würde auch erfaßt wird, sind die Panzerarmeen des Warschauer Verifikationsprobleme beseitigen, die bei einer auf Pakts die uns mit mehrfacher Überlegenheit — der Europa beschränkten Lösung kaum lösbar wären. Herr Bundeskanzler hat soeben aus Weißbüchern Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 935

Dr. Dregger zitiert, die unter der Verantwortung des Verteidi- zuletzt wir, seine gewählten Vertreter — , darf sich in gungsministers Apel (SPD) verfaßt worden sind — Fragen der Sicherheit nicht zu unbegrenztem Ver- mitten in Deutschland hautnah gegenüberstehen. trauen verleiten lassen, Übrigens, Herr Kollege Brandt, ihre Aufrüstung (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!) geht weiter, wie uns die militärische Führung mitteilt. Sie ist weder während der Entspannungspolitik oder weder dem möglichen Gegner gegenüber noch den ihres Beginns noch während der gegenwärtigen Ver- Verbündeten gegenüber noch sich selbst gegen- handlungen eingestellt worden. Das müssen wir doch über. zur Kenntnis nehmen. Wir können doch nicht Selbst- (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) betrug und falsche Tatsachendarstellungen zur Grundlage unserer Überlegungen und Entscheidun- Wer Verantwortung trägt, muß sich — jedenfalls auf gen machen. diesem Felde der Politik — ein gesundes Maß an bewahren. Er muß bei jedem Schritt darauf (Beifall bei der CDU/CSU) Skepsis bedacht sein, die Risiken für unser Volk so gering wie Nur um der Abschreckung dieser sowjetischen Pan- möglich zu halten. zerarmeen willen haben wir der Aufstellung amerika- nischer Raketen auf deutschem Boden zugestimmt, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nicht sehr gerne, aber als einziges Mittel, um das Ebenso wichtig ist es, daß die Lage nicht zu pessi- Gleichgewicht auszubalancieren. mistisch und insofern falsch bewertet wird. Die USA Als dritter Bereich, der nicht von sogenannten dop- ziehen sich durch die Verwirklichung der beiden pelten Null-Lösungen erfaßt wird, ist der Bereich der Null-Lösungen nicht aus Europa zurück. Sie bleiben chemischen Waffen zu nennen, von denen die Sowjet- für die Sicherheit Europas mitverantwortlich. Sie zei- union in den letzten Jahrzehnten riesige Bestände gen das durch die Präsenz ihrer Truppen in Europa. angehäuft hat. Auch sie bedrohen unser geteiltes Sie zeigen das durch den Schutz unserer Seeverbin- Land, an der Militärgrenze von Ost und West mehr als dungen. Erinnern Sie sich an das, was zur Zeit im Per- jedes andere Land. sischen Golf mit Menschenverlusten für die Amerika- ner in einer Region geschieht, aus der wir Europäer Meine Damen und Herren, wer sich diese Tatbe- und die Japaner mehr Öl beziehen als die Vereinigten stände vor Augen führt, kann mir doch nur zustim- Staaten selbst. men, wenn ich sage, daß sich der Abrüstungsprozeß fortsetzen muß, daß er nicht auf irgendwelche Brand- (Zuruf von den GRÜNEN) mauern stoßen darf, an denen er enden soll. Was die USA abziehen werden, sind die Mittel- (Zustimmung bei der FDP sowie bei Abge- streckenraketen, deren Präsenz auf deutschem Boden ordneten der SPD — Dr. Ehmke [Bonn] den Abschreckungsverbund zwischen Europa und [SPD]: Einverstanden!) den USA in einer Weise verdichtet hatte wie nie zuvor. — Ja, wunderbar, Gemeinsamheit. — Nicht nur im Wir haben deshalb diese von Ihnen bekämpften Waf- konventionellen Bereich und im Bereich chemischer fen in der Nachrüstungsdebatte als Ankoppelungs- Waffen, sondern auch bei den atomaren Raketen mit waffen bezeichnet. Wenn die USA sie jetzt abziehen, Reichweiten unter 500 km, deren Zerstörungsgewalt haben vor allem diejenigen kein Recht auf Kritik, die ich soeben geschildert habe, muß abgerüstet wer- den damaligen großartigen Akt der Solidarität der den. Vereinigten Staaten von Amerika mit Europa nicht positiv gewürdigt, sondern mit Hohn, Spott und Haß (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD] und Voigt [Frank- beantwortet haben. furt] [SPD]: Richtig!) Ich wiederhole noch einmal: Wir lehnen es ab, Lücken Ich erinnere an das Verbrennen amerikanischer in der europäischen Verteidigung, die durch Null- Flaggen bei Demonstrationen, bei denen in Fernseh- Lösungen bei Reichweiten über 500 km entstehen, bildern auch Sie, Herr Kollege Brandt, gesehen wor- durch Aufrüstung bei Reichweiten unter 500 km aus- den sind. zugleichen. Dies ist uns Deutschen nicht zumutbar. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr traurig! — (Zustimmung bei der CDU/CSU — Dr. Zuruf von den GRÜNEN: Das ist langsam Ehmke [Bonn] [SPD] und Voigt [Frankfurt] Schnee von gestern, Herr Dregger! — Zuruf [SPD]: Richtig!) von der SPD: Mehr Niveau! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) Ich sage daher, was ich schon in der letzten Debatte ausgeführt habe: Wir Deutschen wollen Abrüstung, Wir müssen uns darauf einstellen, daß ein solches nicht Umrüstung zu unseren Lasten. Fehlverhalten auf die demokratische Öffentlichkeit unseres großen Alliierten jenseits des Atlantiks nicht (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) ohne Einfluß bleiben wird. Mancher — auch von unseren Anhängern — wird sich fragen: Warum diese Vorsicht? Warum nicht mehr (Beifall bei der CDU/CSU) Vertrauen? Hat nicht mit Gorbatschow eine neue Epo- Mir hat eine Austauschschülerin aus meinem Wahl- che begonnen? kreis, die ein Jahr auf einer amerikanischen Schule Darauf kann heute noch niemand eine schlüssige unterrichtet worden ist, erzählt, welchen Schock Fern- Antwort geben. Ich bin daher der Meinung, wer Ver- sehbilder in Amerika ausgelöst haben, auf denen antwortung für unser Volk trägt — das sind nicht gezeigt wurde, wie amerikanische Flaggen verbrannt 936 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Dr. Dregger worden sind. Meine Damen und Herren, wir können schläge Gorbatschows immer nur — leider manchmal hier nicht wie die wilden Derwische herumtoben hilflos — reagieren muß. (Sehr richtig! bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Sehr gut!) Im übrigen empfehle ich, meine Damen und Her- ren, die Abrüstungsgespräche mit unseren europäi- und gleichzeitig erwarten, daß die Amerikaner mit schen Verbündeten und mit den USA durch intensive dem letzten Risiko unsere Sicherheitsprobleme Gesprächskontakte mit der Sowjetunion zu ergän- lösen. zen. Diese hat sich bisher gerade in diesen Abrü- stungsfragen als durchaus flexibel erwiesen. In mei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nen Gesprächen mit Vertretern der Sowjetunion bin Deshalb sage ich: Es ist ganz wichtig, daß sich Ame- ich bisher auf ein bemerkenswertes Verständnis für rikaner und Europäer wieder mehr darum bemühen, die Sicherheitslage unseres Landes gestoßen. Die einander besser zu verstehen. Auch unter diesem Bundesregierung sollte daher nicht nur gegenüber Aspekt begrüße ich die Verleihung des Karlspreises unseren Verbündeten initiativ werden, sondern auch der Stadt Aachen an einen großen Amerikaner, der als gegenüber der Sowjetunion ausloten, welche Lösun- junger Mann aus Deutschland emigrieren mußte. Ich gen in Übereinstimmung mit ihr als durchführbar meine Henry Kissinger, dessen Sicherheitsanalysen erscheinen. zu lesen für alle in diesem Hause ein Gewinn wäre. Lesen Sie das doch bitte einmal, Herr Kollege Brandt Die Sowjetunion und die USA haben im Nichtver- und die Damen und Herren der Opposition. breitungsvertrag atomare Abrüstung versprochen. Beide sind diesen Verpflichtungen bis heute nicht (Lachen bei der SPD — Zuruf von der SPD: — jedenfalls nicht im notwendigen Maße — nachge- Vollzugsmeldung machen!) kommen. Durch die im Gespräch befindliche soge- Nur wenn wir Europäer in einem ständigen freund- nannte doppelte Null-Lösung werden nur ganze 3 % schaftlichen Dialog mit den Amerikanern unsere legi- des atomaren Potentials der Sowjetunion wegfallen. timen Sicherheitsinteressen rechtzeitig und möglichst gemeinsam — deswegen der Appell des Bundeskanz- (Dr. Vogel [SPD]: Aber immerhin!) lers an Gemeinsamkeit — einbringen, werden sie in den USA das von uns gewünschte Echo finden kön- Die übrigen 97 % sind nach wie vor gegen uns einsetz- nen. bar. Wenn die Sowjetunion und die USA ihren Ver- pflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag end- Meine Damen und Herren, bei aller Bedeutung der lich nachkommen wollen, müssen sie vor allem ihre USA für die Sicherheit des freien Europa: Entschei- strategischen Potentiale, mit denen sie die ganze Welt dend ist auf Dauer, was die Europäer selbst für ihre in eine Wüste verwandeln können, drastisch abrüsten, Sicherheit zu tun bereit sind. Deutsche und europäi- im ersten Schritt mindestens auf die Hälfte. Auch hier, sche Sicherheit muß durch eine engere Koordinierung Herr Bundeskanzler, Herr Brandt, zwischen Ihnen Frankreichs und Deutschlands im Streitkräftebereich und uns Gemeinsamkeit. besser aufeinander abgestimmt werden, als es bisher der Fall ist. Zum einen muß für die sogenannten prä- Auch hinsichtlich der strategischen atomaren Waffen Frankreichs bald eine Abrüstung der chemischen Waffen hat es bisher keinerlei Fortschritte gegeben. Regelung gefunden werden, die die Überlebensinter- Dabei sind die chemischen Waffen schon heute im essen des deutschen Volkes denen des französischen Hinblick auf das atomare Vernichtungspotential der gleichstellt. Zum anderen gewinnt durch die Neuord- Weltmächte für jede der beiden Seiten absolut ent- nung der Sicherheitsstrukturen der Weltmächte der behrlich, wenn sie auf beiden Seiten gleichzeitig und europäische Pfeiler der Allianz ganz wesentlich an kontrolliert beseitigt werden. Bedeutung. Frankreich ist heute mehr denn je davon überzeugt, daß seine Sicherheit von unserer Sicher- heit nicht zu trennen ist. Daß das in umgekehrter Meine Damen und Herren, das deutsche Volk hat Weise zutrifft, daran kann erst recht kein Zweifel keine Atomwaffen, keine chemischen Waffen und bestehen. Ich bin überzeugt: Nach den Präsidenten- keine biologischen Waffen und will keine. Aber es will wahlen in Frankreich werden Sicherheitsvereinba- den Verzicht auf diese Waffen nicht durch Sonderbe- rungen zwischen Deutschland und Frankreich mög- drohungen erkaufen, die vermeidbar sind. lich sein, wie sie vor fünf oder zehn Jahren noch nicht denkbar gewesen wären. Darauf sollten wir uns vor- Auf der Solidarität der Allianz, zu der wir mit der bereiten. Bundeswehr einen durch niemanden zu ersetzenden Beitrag leisten, beruht unser Leben in Sicherheit. Bei Schließlich wiederhole ich meine Forderung aus der der Neuordnung der Sicherheitsstrukturen im Zuge ersten Debatte nach Reykjavik, die bis heute noch der Abrüstung darf sich daran nichts ändern. Darüber nicht erfüllt ist, nämlich: Bonn, Paris und London soll- zu wachen ist unsere Aufgabe. Wir, die Abgeordneten ten in Abstimmung mit den anderen NATO-Verbün- der CDU/CSU, nehmen diese Aufgabe sehr ernst; das deten ein Gesamtabrüstungskonzept für die Abrü- haben in der Tat, Herr Brandt, die letzten Wochen stungsgespräche der Weltmächte erarbeiten; der gezeigt. Wir, die Abgeordneten der CDU/CSU, wer- Bundeskanzler hat dazu heute wesentliche Aussagen den uns auch in Zukunft bemühen, dieser unserer gemacht. Nur so werden die Europäer als Hauptbe- Pflicht dem deutschen Volk gegenüber gerecht zu troffene in der Lage sein, das Abrüstungsgespräch werden. durch eigene Initiativen mitzubestimmen und aus der Rolle desjenigen herauszukommen, der auf die Vor- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 937

Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat die Abgeord- Millionen Menschen schämen sich in diesem Land nete Frau Beer. Wie ich sehe, ist sie nicht im Saal. —und ich glaube, sie sind auch wütend darüber —, (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Abgeordneter daß sie in einem hochgerüsteten Land leben, dessen Mechtersheimer!) Regierung sich ihre Zustimmung zur Abrüstung abpressen lassen mußte. — An ihrer Stelle spricht der Abgeordnete Dr. Mech- tersheimer. Sie haben das Wort. (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Warum haben Sie Herrn Dregger nicht zugehört?)

(GRÜNE): Meine verehrten Deshalb habe ich Verständnis für die Zweifel, die es Dr. Mechtersheimer gerade auch in der Friedensbewegung gibt, ob ein Damen und Herren! Herr Präsident! Die schon mehr- Abrüstungsvertrag überhaupt zustandekommen fach zitierte „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat heute folgendes angemerkt — es sollte vielleicht auch wird, wenn man — wie den Hund zum Jagen — die den Herrn Bundeskanzler interessieren, wenn er es Regierung zu Abrüstungsverhandlungen tragen muß. noch nicht gelesen hat — : Weil eine solche Regierung, die vermutlich klamm- heimlich hofft — nicht alle Mitglieder, aber Teile —, Müßten Regierungserklärungen im Einklang mit daß das nicht eintritt, wozu sie jetzt hat ja sagen müs- den Tatsachen stehen, zu denen sie abgegeben sen, erst recht zu einseitigen Maßnahmen unfähig ist, werden, dann könnte sich der Kanzler heute kurz bleibt natürlich auch der Friedensbewegung nichts fassen. Er brauchte nur zu sagen, daß er verge- anderes übrig, als den Druck so zu verstärken, daß waltigt worden sei, was in der Politik allemal vor- diese Bundesregierung gegen ihren Willen zu einem kommt; im Regelfalle muß das Opfer danach mitwirkenden Instrument eines Abrüstungsprozesses sogar erklären, es sei damit einverstanden gewe- der Supermächte und des Abrüstungswillens der sen. Bevölkerung wird. Ich möchte jetzt nicht den Geschmack, den die „FAZ" Es lohnt sich, der Frage nachzugehen, weshalb die — Ihr Leib- und Magenblatt ansonsten — verwendet, Supermächte offenkundig bereit sind, auf Waffen zu kommentieren. Es ist aber sicher eine richtige Beob- verzichten, die zu den modernsten und schärfsten in achtung. Weiter heißt es dort: ihren Arsenalen gehören, einer Frage, die in den Die Politiker sagen statt dessen, daß sie in voll- nächsten Monaten immer wieder aufgegriffen werden ständigem Einvernehmen mit allen stünden und wird. Das ist ja ein beachtlicher Vorgang. Ich sehe im Grund immer gewollt hätten, was geschehen zwei Ursachen, und zwar das neue Denken auf der sei. einen Seite und neue Strategien. Wie Umfragen zei- Nun, ich möchte nicht so hart urteilen wie die „FAZ" . gen, bildet sich eine Allianz des neuen Denkens zwi- Denn zu einer positiven politischen Kultur gehört schen der Bevölkerung der Bundesrepublik einerseits sicher auch, daß man Verständnis dafür hat, daß und Michail Gorbatschow heraus. Dem Mann der jemand, der seine Position ändert, sein Gesicht wahrt. mutigen Abrüstungsvorschläge vertrauen die West- Von daher habe ich auch Verständnis dafür, daß Sie deutschen deutlich mehr als dem amerikanischen Prä- den Doppelbeschluß in dieser Weise strapazieren, wie sidenten. In Washington gibt es kein neues Denken, man ihn aus meiner Sicht objektiv nicht strapazieren dafür aber eine neue Strategie. darf. Für mich aber kommt es wesentlich darauf an, Noch-Verteidigungsminister Manfred Wörner hatte daß Sie sich zu dieser — wenn auch sehr verklausu- vor dem Doppelbeschluß — er war damals noch Vor- lierten — Zustimmung zu einer doppelten Null- sitzender des Verteidigungsausschusses des Deut- Lösung durchgerungen haben. Das ist insgesamt schen Bundestages — im Januar 1978 beim sicher- bemerkenswert. heitspolitischen Forum seiner Partei in Kiel neben der Gleichzeitig aber müssen wir dazu beitragen, daß SS 20 als Grund für die Nachrüstung folgendes keine Legenden gebildet werden. Deswegen muß genannt: dreierlei klar sein — das wiederholt teilweise, was Die UdSSR muß wissen, daß sie keine Chance Herr Brandt dazu gesagt hat — : hat, die Bundesrepublik Deutschland oder gar Erstens. Es war nicht die Bundesregierung, die die ganz Westeuropa anzugreifen und den Krieg auf Bevölkerung und die Verbündeten von der Notwen- das Staatsgebiet der Angegriffenen zu beschrän- digkeit zu überzeugen versuchte, die gewaltige nu- ken. Sie muß wissen, daß sie selbst und ihr Staats- kleare Konzentration auf deutschem Boden abzu- gebiet nicht ausgeklammert bliebe, und zwar zu bauen. Es war genau umgekehrt. Die Bundesregie- keinem Zeitpunkt. rung hat dem Druck von innen und außen nachgege- ... Nur dann, ben. — immer noch Zitat Wörner — Zweitens. Erst als die Bundesregierung völlig iso- liert war, hat sie notgedrungen ihre verbale Abrü- wenn die Sowjetunion mit diesem vollen Risiko stungsabsicht erklärt. rechnen muß, wird die Abschreckung funktionie- ren. (Dr. Vogel [SPD]: So ist es gewesen! Rich- tig!) Auch in diesen Tagen — heute morgen z. B. der Gene- Drittens. Wenn es zur Abrüstung der Mittelstrek- ralinspekteur im Deutschlandfunk — wird dies von kenraketen in Europa kommt, dann gegen den Willen Regierungsseite immer wieder als Argument verwen- der Regierungsmehrheit. Das muß festgehalten wer- det. den, auch weil sich daraus sehr viele Konsequenzen Einige Monate später warnte der hier so gelobte für die nächsten Jahre ergeben. Henry Kissinger die europäischen Verbündeten in sei- 938 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Dr. Mechtersheimer ner bekannten Rede vom 1. September 1979 in Brüs- Aus diesem Grunde besteht auch überhaupt kein sel davor, ständig strategische Zusicherungen zu Kompensationsbedarf mit anderen Waffen. Wir for- erbitten, die die USA gar nicht geben könnten bzw. dern deshalb eine Kürzung des Verteidigungsetats, nicht einhalten dürften, wenn sie nicht die Zerstörung damit die mögliche nukleare Abrüstung nicht durch der Zivilisation riskieren wollten. Erst heute — den konventionelle Aufrüstung unterlaufen werden Eindruck habe ich — begreift man in der CDU/CSU, kann. daß es ein aussichtsloses Unterfangen war, mit (Beifall bei den GRÜNEN) Marschflugkörpern und Pershing-Raketen diese Wir verurteilen aufs schärfste die Absicht der objektive Krise, wie sie damals von Kissinger genannt NATO-Verteidigungsminister, wie in der vorletzten wurde, aufzuhalten. Woche geäußert, durch konventionelle Aufrüstung Die USA wollen in Europa, wie überall in der Welt, die alte Konfrontationspolitik fortsetzen zu wollen. militärisch operieren können und werden alle atoma- Wer jetzt konventionell aufrüstet, der will die positi- ren Fesseln abstreifen, die sie dabei behindern oder ven politischen Effekte einer Doppel-Null-Lösung sie gefährden könnten. Was sich als Abrüstung dar- offenkundig zerstören. stellen läßt, ist in Wirklichkeit auf der amerikanischen (Beifall bei den GRÜNEN) und westlichen Seite das Resultat eines Umrüstungs- prozesses hin zur Kriegsführungsfähigkeit. Ein kurzes Wort zu diesen politischen Aspekten und Folgen, die heute wenig berücksichtigt worden sind (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN) — das ist im Kern kein militärisches Thema, das ist ein Im Gefechtsfeld Bundesrepublik stationierte Mittel- Thema der politischen Veränderung in Europa — : streckenwaffen sind den USA für sich selbst zu Nach der neuesten Umfrage der Forschungsgruppe gefährlich, weil zu eskalationsträchtig. Das ist der Wahlen befürworten 72,9 % einen bündnisneutralen Grund für die Bereitschaft der USA, etwas zu tun, was Status der Bundesrepublik und der DDR. Bei den nun fälschlicherweise als Abrüstungsabsicht öffent- Wählern der GRÜNEN sind es — das darf ich ja wohl lich dargestellt wird. anmerken — 86,4 % und bei den Unionswählern immerhin erstaunliche zwei Drittel. Eine Zweitdrittel- Wenn aber — jetzt komme ich auf Verteidigungsmi- mehrheit der Bevölkerung scheint — ich will da nicht nister Wörner zurück — der Minister immer und um die Zahlen streiten — offenkundig eine Entwick- immer wieder die sogenannte Nachrüstung — unge- lung in dieser Richtung zu unterstützen. achtet der SS 20 — als Bedingung für die Aufrechter- haltung der Abschreckung genannt hat, dann ist es - (Frau Pack [CDU/CSU]: Das ist wie mit der völlig unerklärlich, wie er eigentlich weiter im Amt Todesstrafe!) bleiben kann, wenn ihm die Mittel für eine funktionie- —Dieses Vorurteil bezüglich der Todesstrafe ist irrig. rende Abschreckung genommen werden, ganz nach Alles, was man dazu bisher festgestellt hat, ist, daß es seiner Logik. Da müßte mal eine Erklärung kommen. nicht stimmt, daß es ein uraltes Klischee ist, das falsch Wenn Sie, Herr Minister, in den letzten zehn Jahren ist. Machen Sie die Bevölkerung nicht schlechter als gemeint haben, was Sie sagten, dann müßten Sie jetzt sie ist. Ich verstehe überhaupt nicht, wie sie eine sol- zurücktreten. che Unterstellung aus Ihrer Position der relativen (Beifall bei den GRÜNEN) Mehrheit vor sich selbst verantworten können. (Beifall bei den GRÜNEN) Die Friedensbewegung wird mit allen, die diese Waffen nie gewollt haben — daran kann man unter- Die Bevölkerung hat sich längst geistig von der Block scheiden: Hat man die Waffen gewollt oder nicht struktur verabschiedet, während die Mehrheit dieses gewollt, das ist der wesentliche Unterschied — , sicher Parlaments wieder einmal in einer zentralen Frage ein Freudenfest veranstalten, wenn es zu einem Dop- —und das berührt ja unsere Kritik am Bundestag, die pel-Null-Abkommen kommt. wir begründet fortsetzen werden — nicht die Mehr- heit des Volkes repräsentiert. (Beifall bei den GRÜNEN) Die Fraktion der GRÜNEN wird morgen den Per- Wenn dann auch noch der Rücktritt des Aufrüstungs- shing-I-a-Verband der Luftwaffe in Geilenkirchen ministers zu feiern wäre, wäre die Freude riesen- symbolisch blockieren. Am 27. Juni wird es eine ähn- groß. liche Aktion vor den anderen 36 Pershing - I - a - Rake- (Beifall bei den GRÜNEN) ten in Landsberg in Oberbayern geben. Wir wollen Ein Rücktritt hätte eine Signalwirkung: Es wäre ein damit für eine echte Doppel-Null-Lösung eintreten. Zeichen für einen Neubeginn. Wenn ein Land, wenn (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das Ganze ent ein Kontinent von einem wichtigen Teil der Völker- springt einer Blockade Ihres Verstandes!) mordinstrumente befreit wird, dann ist das ja kein Opfergang. Das ist kein Opfergang, sondern ein Sie haben Erfahrung darin. Schritt, der Millionen von Menschen neuen Lebens- (Seiters [CDU/CSU]: In Blockaden kennen mut gibt. Sie sich aus!) (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord- Ohne diese Blockade, ohne dieses Engagement der neten der SPD) Leute wäre in der Bevölkerung nie dieses Bewußtsein entstanden, das Sie gezwungen hat, anders zu han- Verkennen Sie nicht diese Dimension, die da darin- deln, als Sie wollten. steckt! (Beifall bei den GRÜNEN) (Beifall bei den GRÜNEN) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 939

Dr. Mechtersheimer Wenn Sie nicht gelernt haben, daß es die Friedens- — Das korrigiere ich gerne, zumal er etwas gesagt hat, bewegung war, die diese Bedingungen geschaffen was ich lobend erwähnen will. — Herr Mischnick hat hat, den Countdown eingeläutet. Er hat gesagt: Pershing (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: So ist es! — I a ist kein Essential im Sinne der Blockade, die Sie da Zurufe von der CDU/CSU) betreiben. Wir müßten einmal darüber diskutieren, welche Blockaden gefährlicher sind. wenn Sie nicht verstanden haben, daß es die Friedens- (Beifall bei den GRÜNEN) bewegung war, deren fast zehnjährige Arbeit dazu geführt hat, daß Herr Genscher mit 1 500 Stimmen, Ganz nach dem Muster der „ten little niggers" die er mit einer gekonnten Abrüstungspolitik her- — ich entschuldige mich, kein schöner Vergleich — übergezogen hatte, Mehrheitsverhältnisse verändern wird am Schluß die Regierung wieder gegen das, was konnte, daß zum erstenmal eingetreten ist, daß die sie vorher gesagt hat, handeln müssen. Abrüstungsfrage wahlentscheidend geworden ist, Wer die vielleicht einmalige historische Chance für dann werden Sie wieder scheitern. eine Beseitigung der Mittelstreckenraketen aus (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Hoffentlich Europa torpediert oder ihre Realisierung verwässert, werden sie scheitern! — Dr. Waigel [CDU/ wird vom Wähler eine eindeutige Lektion erfahren. CSU]: Sie sind gescheitert!) Die Friedensbewegung wird am Samstag nach Pfing- sten auf einer Großdemonstration zum Ausdruck brin- —Sie werden bei Ihrem Versuch scheitern, eine Posi- gen, daß das neue Denken stärker ist als die Politik der tion, die Sie für richtig halten, durchzuhalten. Seien Konfrontation und Aufrüstung, stärker ist als die Poli- Sie doch ehrlich. Gehen Sie doch in die Wahlkreise. tik, die Sie vertreten. Dann werden Sie mit der Erkenntnis zurückkom- men: Die Leute sind ganz wild von dem, was der Die Menschen in der Bundesrepublik und darüber Gorbatschow macht. hinaus wollen — da widerspreche ich ganz klar dem, was der Bundeskanzler in seiner einleitenden Bemer- (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu kung gesagt hat — ganz unzweideutig eine totale Ihnen gehen wir dahin!) nukleare Abrüstung, weil sie das als Synonym für — Nein. eine bessere Zukunft, eine gerechtere Welt und eine vernünftige Friedensordnung in Europa verstehen. (Dr. Rumpf [FDP]: Es geht doch um die Blok- kaden, die Sie machen!) (Beifall bei den GRÜNEN) Ich sehe die Blockade als ein wichtiges Instrument, Das ist der entscheidende Auftrag, den Sie realisieren öffentliches Interesse auf einen Typ von Rakete zu müssen. Aus diesem Grunde werden die Menschen lenken, der in der aktuellen Debatte völlig vernach- am 13. Juni demonstrieren. Ich lade Sie alle dazu ein. lässigt ist. Das sind 36 plus 36 Mittelstreckenraketen, Wenn das, was heute gesagt worden ist, wirklich so die völlig ausreichen, Mitteleuropa mehrfach nuklear gemeint ist, müßten Sie kommen. auszuradieren. Das darf man nicht verdrängen, wenn (Beifall bei den GRÜNEN) man irgendwie, wie Sie es wollen, ein Symbol behal- ten will, damit man, nach Ihrem Verständnis, nicht Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Abgeord- nackt dasteht. nete Ronneburger. Wer diese 72 Mittelstreckenraketen aus dem ange- strebten Abkommen ausklammern möchte, verstößt Ronneburger (FDP): Herr Präsident! Meine Damen gegen den Geist des Nichtweiterverbreitungsvertra- und Herren! Am 24. Ap ril dieses Jahres bin ich von ges, und Sie werden sich auf Dauer ähnlich isolie- einem Journalisten gefragt worden, ob die jüngsten ren — — Abrüstungsvorschläge des sowjetischen Parteichefs (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Waigel Michail Gorbatschow die Bonner Koalition unvermit- [CDU/CSU]: Das steht doch in dem Abkom- telt getroffen hätten. Ich habe damals geantwortet: men gar nicht drin! Aber wenn Sie Verträge nein. Das Konzept der Entspannungspolitik, dem sich nicht lesen!) der Außenminister, dem sich meine Fraktion ver- — Den „Geist" , habe ich gesagt. schrieben haben, verfolgte immer auch das Ziel der Abrüstung vor allen Dingen im hochgerüsteten Mit- (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Wo ist denn bei teleuropa. Ich habe hinzugefügt: Jemand, der sich fast Ihnen Geist?) 13 Jahre als Außenminister beharrlich für dieses Ziel Es ist beabsichtigt, daß die Atomwaffen nicht ausge- eingesetzt hat, wird natürlich nicht von einem breitet werden. — Ach, Herr Waigel, lassen Sie es gewünschten Erfolg, wie er sich jetzt abzeichnet, doch. — Wir wissen doch, was der Geist dieses Ver- unvermittelt getroffen, sondern wir haben in der trages ist. Koalition alle Veranlassung, festzustellen, daß die konsequente und klare Politik und Haltung, die wir in Wenn jetzt plötzlich Systeme, die man nie als Dritt- diesen Fragen in den vergangenen Jahren durchge- staatensysteme begriffen hat, mit diesem Argument halten haben, zu dem Erfolg beiträgt, der heute sicht- aus diesem Prozeß herausgenommen werden, ist das bar vor der Tür steht, nämlich endlich einmal nicht nur ein Beitrag dazu, eine Ausweitung zu unterstützen. von Rüstungskontrolle, sprich: Festschreibung der Mischnick hat erste Signale für den neuen Count- Rüstung auf einem einmal erreichten Niveau, zu down gegeben. reden, sondern von wirklicher Abrüstung, also Besei- (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Für Sie immer noch tigung vorhandener Waffen. der Herr Mischnick!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 940 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Ronneburger Meine Damen und Herren, diese Situation gibt mir arbeit, schrittweise gesamteuropäische Sicher- Veranlassung zu einigen Feststellungen. Der Erfolg, heitsvereinbarungen, ausgewogene Abrüstungs- den wir heute greifbar nahe haben, beruht zum einen maßnahmen und schließlich die Umwandlung auf der einheitlichen Haltung und der einheitlichen des militärischen Blocksystems in ein gesamt- Antwort der Allianz auf östliche Vorschläge. Hier europäisches Friedenssystem zu erreichen, zu kommt es entscheidend darauf an — der Kollege garantieren. Dregger hat darauf hingewiesen — , daß wir nicht etwa in bestimmten Fragen diese Einheitlichkeit der Meine Damen und Herren, dies ist eine tragfähige Antwort der Allianz unterlaufen, was z. B. in der Frage Grundlage für die Politik, die wir in dieser Koalition, der Einbeziehung der 72 Pershing I a durchaus der aber, wie ich meine, auch im Hohen Hause — jeden- Fall sein könnte. Wir haben hier eine einheitliche Hal- falls bei der Mehrheit des Hohen Hauses — gemein- tung. sam betreiben. Ich bin aus der NATO-Versammlung in Quebec mit Es hat sich heute morgen in der Regierungserklä- der Erfahrung zurückgekommen, daß es keinen einzi- rung, aber auch in den Reden, die bisher gehalten gen unserer Allianzpartner in dieser Versammlung worden sind, ein Ausmaß an Übereinstimmung in den gegeben hat, der gegen die doppelte Null-Lösung entscheidenden Grundfragen gezeigt, das ich nur aus gesprochen hätte, vollem Herzen begrüßen kann. Ich bin auch dankbar (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Ihr Eindruck war dafür, daß der Kollege Brandt auf diese Gemeinsam- völlig richtig!) keiten ganz ausdrücklich Bezug genommen hat und sondern hier gab es eine eindeutige Haltung, die nach daß wir damit die letzte und, wie ich meine, auch meiner Überzeugung eine der wesentlichen Grundla- wirklich entscheidende Voraussetzung dafür geschaf- gen für Erfolge bei den weiteren Abrüstungsverhand- fen haben, daß der Erfolg, den wir wollen, tatsächlich eintritt, nämlich die lungen darstellt. Gemeinsamkeit der Haltung des Deutschen Bundestages in der Frage Sicherung des Die Grundsätze der Allianz, niedergelegt im Har- Friedens, in der Frage Abrüstung. mel-Bericht, bilden eine weitere wichtige Vorausset- zung für den Erfolg dessen, was wir gemeinsam Ich habe natürlich, Herr Kollege Brandt, auch Ver- anstreben. Ich will das hier vor diesem Kreis nicht ständnis dafür, wenn Sie versuchen, die Bedeutung noch einmal wiederholen. Aber daß es der Allianz des Doppelbeschlusses und seiner Durchführung, darum geht, nicht nur ein reines Militärbündnis zu damals mit der Entscheidung des Deutschen Bundes- sein, sondern daß diese NATO sich im freiwilligen tages am 22. November 1983, etwas in den Hinter- Zusammenschluß freier Staaten zur Verteidigung grund zu schieben. Aber täuschen wir uns doch bitte gemeinsamer Werte zusammengefunden hat, das über einige Dinge nicht: Die Opposition hat uns an drückt sich auch in dem aus, was jetzt in den Verhand- diesem Tage, am 22. November 1983, mit einer lungen zwischen der UdSSR und den USA auf dem schweren Verantwortung allein gelassen. Ich sage aus Spiel steht. meiner persönlichen Erfahrung von diesem Tag: Nie- Es war immer — das ist die dritte wichtige Voraus- mand von uns in unserer Fraktion hat diese Entschei- setzung — , Herr Bundeskanzler, die Zielsetzung der dung damals leichten Herzens getroffen. Aber wir Bundesregierung, dieser Koalition, die Stabilität, die blieben mit dieser Verantwortung allein. Wir haben Sicherung des Friedens durch einen Abbau von Waf- diesen Beschluß damals in der Erwartung gefaßt, daß fen und nicht durch eine zusätzliche Rüstung auf der er eine tatsächliche Verminderung von Waffensy- einen oder auf der anderen Seite zu erreichen. stemen auslösen würde. Genau dies ist der Erfolg, den wir heute vor Augen haben. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Meine Damen und Herren, als Mitglied meiner (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Fraktion lassen Sie mich in aller Bescheidenheit, aber mit dem gesunden Selbstbewußtsein eines Liberalen Wir haben damals an diese Entscheidung, den Dop- in diesem Hohen Hause hinzufügen: Die FDP-Frak- pelbeschluß tatsächlich durchzuführen, keine andere tion und der Bundesaußenminister haben seit langen Bedingung geknüpft als die Null-Lösung bei Mittel- Jahren und nicht etwa erst seit zehn Jahren, Herr streckenraketen. Ich komme damit noch einmal auf Mechtersheimer, diese Linie verfolgt, die jetzt mit das zurück, Herr Kollege Brandt, was Sie auch ange- positiven Schritten in die Zukunft zu führen scheint. führt haben, als Sie von einem möglichen Monopol des Ostblocks bei Abrüstungsvorschlägen sprachen. (Beifall bei der FDP) Was ist denn eigentlich mit diesem Doppelbeschluß? Richtig ist, daß das Abkommen in Genf noch nicht Was ist denn eigentlich mit der Null-Lösung? Woher erreicht ist, aber ebenso richtig ist, daß die Chancen kommt denn dieser Vorschlag? Wer ist denn darauf für ein solches Abkommen noch nie so groß waren, gekommen nach der Aufstellung der ersten SS 20? wie sie es im Augenblick sind. Wer ist darauf gekommen, zu sagen, diese Waffenka- tegorie, die hier im Aufwachsen begriffen ist, muß Lassen Sie mich einen Beschluß meiner Partei aus wieder beseitigt werden? Null auf beiden Seiten! Dies dem Jahre 1975 zitieren. Es heißt dort: war ja nicht ein Vorschlag des Ostens, der seine Sta- Auf die Dauer kann Sicherheit und Frieden nicht tionierung von SS 20 noch eine ganze Zeitlang fortge- durch eine Balance der Höchstrüstung garantiert setzt hat, sondern dies war unsere Idee. Deswegen werden, die auch erhebliche Sicherheitsrisiken kann ich nur mit aller Entschiedenheit sagen: Wir schafft. Langfristig ist anzustreben, den Frieden wären wohl außerordentlich schlecht beraten, wenn in Europa durch blockübergreifende Zusammen- wir an diesem Punkt nicht aufgreifen würden, was Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 941

Ronneburger nun zurückkommt, vermeintlich als eigener Vor- natürlich bei zweien unserer Bündnispartner erhebli- schlag des Ostens. che Bedenken auslösen würde, zwei Bündnispart- nern, auf deren Zustimmung zur Gesamtlösung wir (Vorsitz: Vizepräsident Stücklen) dringend angewiesen sind.

Ebenso sicher aber ist, daß die zweite Null - Lösung bei den Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite Lassen Sie mich noch eines hinzufügen. Es ist in eine Ergänzung des westlichen Vorschlags durch der öffentlichen Diskussion um die Abrüstung der Gorbatschow ist. Aber auch hier geht es im Grunde Mittelstreckenraketen verschiedentlich von Beden- genommen um die Wiederherstellung eines Zustan- ken gesprochen worden, eine Realisierung dieser des, der vor der Stationierung der ersten SS 20 in Mit- Doppel-Null-Lösung gefährde die Abschreckung und teleuropa bestanden hat. Mit der Abrüstung von Mit- damit die Sicherheit des Bündnisses. Diese Bedenken telstreckenraketen größerer und kürzerer Reichweite müßten für jeden ausgeräumt sein, der die Stimmen werden zum erstenmal, wenn es wirklich dazu kommt aus Washington real und nüchtern zur Kenntnis — und wir sollten tun, was wir können, um es zu errei- genommen hat. chen — , modernste Präzisionswaffen verschrottet. (Beifall bei der FDP) Dies ist etwas völlig anderes, Herr Kollege Brandt, Wir haben so viele Zusicherungen unseres größten als die Vorstellung eines atomwaffenfreien Korridors Bündnispartners, daß seine Garantie für Westeuropa, quer durch Mitteleuropa. Denn dieser Korridor, diese seine Abschreckungsgarantie mit dieser doppelten atomwaffenfreie Zone, würde ja erst dann sinnvoll, Null-Lösung nicht in Frage gestellt wird. Wir sollten wenn alle die Waffen, die heute in dieser Zone stehen, einem Partner, der uns ja auch den Status von Berlin nicht verlagert, sondern tatsächlich beseitigt und ver- mit garantiert und das am 12. Juni wieder einmal schrottet werden. sichtbar unter Beweis stellen wird, das Vertrauen in (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten seine Aussagen nicht mutwillig entziehen. der CDU/CSU) Ich stelle darüber hinaus fest, daß die atomare Hier liegt unser eigentliches Interesse. Abschreckung zur Verhinderung eines jeden Kriegs nach wie vor gewährleistet sein muß. Es gibt dazu Wenn es denn um die zweite Null-Lösung geht, las- — ich stimme hier dem Herrn Bundeskanzler zu — sen Sie mich noch etwas hinzufügen. Wer diese zweite bisher keine Alternative. Null-Lösung nicht wollte — und ich bin deswegen für die Einigung in der Koalition außerordentlich dank- Aber ebenso deutlich muß gesagt werden, daß auch bar — , der müßte sich mit einer Nachrüstung auf hier Änderungen denkbar sind. Der Vorschlag von westlicher Seite in dieser Kategorie einverstanden Staatschef Jaruzelski, im Kommuniqué über die erklären, einer Nachrüstung, die sich dann auch aus- Tagung des Warschauer Pakts in Ost-Berlin aufgegrif- schließlich auf dem Boden der Bundesrepublik voll- fen, enthält Hinweise, in welche Richtung weiterge- ziehen würde; denn keiner unserer Partner wäre dacht werden kann. bereit, in dieser Kategorie — 500 bis 1 000 km — auf seinem eigenen Grund und Boden Nachrüstung zu Das gilt natürlich auch für die 72 Pershing I a. Sie vollziehen. Meine und unsere Überzeugung ist: Das sind nicht Gegenstand der laufenden Verhandlungen, Gebot der Stunde ist nicht Nachrüstung in dieser aber sie können durchaus Gegenstand weiterer Ver- Situation, sondern ist Abrüstung, ist Verminderung handlungen werden und können eines Tages durch- von Waffen. aus in Frage gestellt werden. (Beifall bei der FDP, bei Abgeordneten der Der Abschluß einer Vereinbarung über Mittel- CDU/CSU und bei der SPD) streckenwaffen, meine Damen und Herren, könnte der Anfang eines Siegeszuges der Vernunft sein. Ich Täuschen wir uns doch bitte nicht: Die Waffen, Mit- warne mit manchen anderen vor Euphorie und vor telstreckenraketen kürzerer Reichweite, die im Illusionen. Aber daß die Beseitigung einer modernen Bereich des Warschauer Pakts von einer solchen zwei- Waffenkategorie insgesamt ein Schritt nach vorn ist, ten Null-Lösung erfaßt würden, bedrohen ja heute der Hoffnungen erweckt und Hoffnungen berechtigt auch die Bundesrepublik. Es ist ja nicht so, daß wir nur macht, daß auch auf anderen Gebieten die Abrüstung von Waffen bis zur Reichweite von 500 km bedroht vorangehen könnte, darf doch nicht übersehen wer- werden, sondern auch diese andere Kategorie bedroht den. uns. Deswegen ist es unser dringendes Interesse, (Mischnick [FDP]: Sehr richtig!) Bedrohung abzubauen, Rüstung zu vermindern und damit dazu beizutragen, daß der Frieden sicherer Natürlich ist es richtig, was hier vorhin vom Kolle- wird. gen Brandt gesagt worden ist, daß es in unserem Sinne sinnvoll gewesen wäre, mit dem Abbau der konven- Die Pershing I a, die im Besitz der Bundeswehr sind tionellen Waffen zu beginnen und dann nach oben zu und deren atomare Sprengköpfe unter Verschluß der den größeren Einheiten taktischer und strategischer Amerikaner sind, sind schon an einigen Stellen Waffen zu gehen. Aber sollen wir, weil uns die Rei- genannt worden. Ich kann nur davor warnen, im henfolge nicht die optimale zu sein scheint, von einer Augenblick über die Forderung des Ostens hinauszu- Möglichkeit keinen Gebrauch machen, die erstmals in gehen, die übrigens auch im Abschlußkommuniqué der Nachkriegsgeschichte die Beseitigung von Waf- der Warschauer-Pakt-Tagung in Ost-Berlin jetzt nicht fen bedeutet? aufgestellt worden ist; denn wir müssen uns darüber im klaren sein, daß die Einbeziehung dieser Per- In Genf eröffnet sich die Chance zu weiteren Abrü- shing I a etwa auf unseren eigenen Vorschlag hin stungsschritten, begleitet von einem Netz der gegen- 942 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Ronneburger seitigen Kontrolle, aber auch von der Entwicklung die Akzente auf die Vorbehalte und Vorbedingungen gegenseitigen Vertrauens. Erstmals in der Geschichte zu legen, um damit deutlich zu machen, daß doch der Nachkriegszeit, meine Damen und Herren, gäbe noch ein Schlupfloch für eine künftige Nachrüstung es einen realen Kern für eine gewiß optimistische mit Pershing-I-b-Raketen bestehenbleibt. Vision — aber lassen Sie mich auch diese am Ende Wenn die Regierung wirklich so konsequent gegen meiner Ausführungen aussprechen — , nämlich daß eine künftige Modernisierung mit I-b-Raketen ist, menschliche Intelligenz, die Ressourcen dieser Erde dann kann sie ja den Beschluß des baden-württem- und die Leistungsfähigkeit der Menschheit vornehm- bergischen Landtags, der dort auf Initiative der SPD lich zur Lösung der wirklichen Probleme dieser Welt gefaßt worden ist, dem zwar der Ministerpräsident eingesetzt werden; denn das wirkliche, das entschei- zugestimmt hat, aber leider nicht alle baden-württem- dende Problem ist ja nicht der Ost-West-Gegensatz, bergischen CDU-Abgeordneten, hier wiederholen. sondern die entscheidenden Probleme sind der Aus- Wir sind dann gespannt, wie sich der baden-württem- gleich zwischen Überfluß und absoluter Armut und bergische Abgeordnete Wörner in einem solchen Fall Not sowie die Fragen der Erhaltung der Umwelt. verhalten wird, wenn die Pershing I a abgeschafft (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ werden soll. CSU, der SPD und den GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Hierfür die Mittel der Menschheit einzusetzen, dies der GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: ist eine so optimistische Vision, daß es sich nach mei- Das ist wirklich provinziell! — Dr. Waigel ner Überzeugung lohnt, dafür alles zu tun, was man [CDU/CSU]: Ist der im Landtag?) irgendwie zu tun in der Lage ist. Der Bundeskanzler hat in den letzten Wochen zwi- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der schen gegensätzlichen Polen in seiner Regierungsko- SPD) alition taktiert. Er hat eigentlich auch in seiner heuti- Es ist ein Versuch. Wir müssen ihn wagen, wir kön- gen Regierungserklärung in dem entscheidenden nen ihn wagen in der Solidarität dieses Hauses und in Punkt, der Frage der doppelten Null-Lösung, weder der Solidarität des Bündnisses. ein klares Ja noch ein klares Nein von sich gegeben. Vielen Dank. Meiner Meinung nach ist diese Unklarheit beim Reden die Folge einer mangelnden Klarheit in seiner (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) abrüstungspolitischen Konzeption, und sie ist auch Folge einer fehlenden Eindeutigkeit in der Zielset- - zung. Vizepräsident Stücklen: Auf der Ehrentribüne hat eine Delegation unter Leitung des Präsidenten der (Beifall bei der SPD) irakischen Nationalversammlung, Herrn Dr. Sadoun Das liegt daran, daß sein heutiges Ja zum Abbau der Hamadi, Platz genommen. Ich habe die Ehre, diese nuklearen Mittelstreckenwaffen nicht Ausdruck sei- Delegation und den Herrn Präsidenten im Namen des nes Mutes zur Abrüstung, sondern Ausdruck seiner ganzen Hauses willkommen zu heißen. Ich wünsche Angst vor der internationalen Isolierung ist. Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und interessante Gespräche. (Beifall bei der SPD) (Beifall) Die „Frankfurter Allgemeine" spricht in einem Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt (Frank- Bericht vom 29. Mai von einer tiefen Niedergeschla- furt). genheit in den Unionsparteien, weil sie die doppelte Null-Lösung nicht mehr verhindern können. — Also hat nicht abrüstungspolitische Einsicht die CDU zur Voigt (Frankfurt) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Änderung ihrer Haltung bewegt, sondern die wach- verehrten Damen und Herren! Wer den Reden der sende Zustimmung zur doppelten Null-Lösung im Kollegen Ronneburger und Dregger sorgfältig zuge- Ausland. Kollege Ronneburger hat das ja noch einmal hört hat, der wird festgestellt haben, daß in entschei- deutlich gemacht. denden Punkten nach wie vor Widersprüche inner- Wer dies eine bloß opportunistische Anpassung an halb des Koalitionslagers bestehen und daß sie nur ein Ja zur doppelten Null-Lösung nennt, beleidigt mühsam übertüncht worden sind durch die gemein- nicht, sondern beschreibt einen Tatbestand, so wie er same Zustimmung zur Regierungserklärung des Bun- ist. deskanzlers, die den Begriff der doppelten Null- Lösung bezeichnenderweise überhaupt nicht enthielt. Nach Auffassung der SPD entspricht die doppelte Das ist Ausdruck eines Zustandes, wo zwischen den Null-Lösung unseren abrüstungspolitischen Zielen, Gegnern und den Befürwortern einer doppelten Null- aber auch unseren sicherheitspolitischen Interessen. Lösung ein mühsamer Kompromiß erzielt werden Wir hielten die Einwände der Bundesregierung von mußte. Deshalb enthält die Regierungserklärung von Anfang an für falsch. Ich möchte auch daran erinnern, Bundeskanzler Kohl auch nur ein halbes Ja zur dop- daß der Bundeskanzler auch heute nicht gesagt hat, pelten Null-Lösung. daß Volker Rühe nicht in seinem Auftrag im Ausland Ich sehe schon voraus, daß Bundesaußenminister gegen die doppelte Null-Lösung mobil machte. Das Genscher in oder nach der heutigen Debatte versu- heißt, er hat ihn damals gewähren lassen, entweder chen wird, zielgerichtet auf einen bestimmten Teil der weil er mit ihm übereinstimmte oder weil er nicht Öffentlichkeit, dieses halbe Ja zu einem vollen Ja wagte, ihm öffentlich zu widersprechen. umzuinterpretieren, während auf der anderen Seite (Bohl [CDU/CSU]: Ist er ein freier Abgeord Herr Dregger und Herr Rühe sich bemühen werden, neter oder nicht?) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 943

Voigt (Frankfurt) Ich frage nun anknüpfend an diesen Zwischenruf, ist eine Abkehr von Ihren bisherigen Feindbildern, ob nicht die Richtlinienkompetenz des Bundeskanz- eine Abkehr, die ich begrüße, hier nicht nur ein Recht ausdrückt, sondern auch lers (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Bei mir gibt es eine Verpflichtung. Denn diese Widersprüche waren keine Feindbilder! Feindbilder haben Sie!) ja nicht nur Widersprüche zwischen Ihnen als frei gewählten Abgeordneten, sondern auch Widersprü- die aber auch deutlich zeigt, wie Sie sich in den ver- che innerhalb der Regierung selber. gangenen Monaten und Jahren verrannt hatten. In Der Bundeskanzler war in den vergangenen den vergangenen Jahren und in den vergangenen Wochen offensichtlich unfähig, seine Richtlinienkom- Wochen saßen ja die Hauptgegner der Abrüstung petenz auszufüllen. Das liegt daran, daß er selber nicht in Moskau und Washington, sondern in Bonn keine sicherheits- und abrüstungspolitische Konzep- und München. tion hat, daß er keine Konzeption hat, von der so etwas Wir haben immer eine Änderung der sowjetischen wie eine politische Richtlinie ausgehen könnte. Wer Abrüstungspolitik gefordert, aber auch für möglich sich in solchen grundlegenden Fragen der Sicher- gehalten. Wir in der SPD haben uns darüber gestrit- heits- und Abrüstungspolitik primär an parteitakti- ten, wie man unter schwierigen internationalen schen Erwägungen orientiert — da stimme ich durch- Bedingungen ein Höchstmaß an Abrüstung durchset- aus mit einem Teil der konservativen Kritik am Bun- zen könnte. Das war der Kernpunkt des Streites inner- deskanzler überein — , darf sich nicht darüber wun- halb der SPD in den letzten Jahren. Der Streit, den es dern, daß er im Ausland als konzeptionelle Null- in den vergangenen Wochen innerhalb der CDU gab, Lösung verspottet wird. war ein Streit darüber, wie man deutschen Einfluß am (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/ meisten geltend machen könnte, um mögliche Abrü- CSU] : Dann sind Sie die Null-Null- stungsvereinbarungen zwischen den beiden Groß- Lösung!) mächten zu verhindern. Es ist doch geradezu absurd, wenn Sie, die CDU, den (Sehr richtig! bei der SPD — Zurufe von der Autoritätsverfall des Staates beklagen, wo Sie und Ihr CDU/CSU: Unsinn! — Waren Sie dabei? — Verhalten eine der Ursachen für diesen Autoritätsver- Sie haben es noch nicht begriffen!) fall geworden sind. Ein Bundeskanzler, der in der zen- Wir hatten einen Konflikt über den besten Weg zur tralen Frage der Sicherheits- und Abrüstungspolitik Abrüstung. Sie hatten in den vergangenen Wochen zur internationalen Witzfigur geworden ist, einen Konflikt über die abrüstungspolitische Zielset- (Zuruf von der CDU/CSU: Schämen Sie zung. Dieser Zielkonflikt innerhalb der CDU war der sich!) alte Zielkonflikt zwischen den Gegnern und den besitzt keinerlei Glaubwürdigkeit, wenn er über den Befürwortern der Entspannungspolitik innerhalb der angeblichen Autoritätsverfall des Staates jammert. CDU, und ich habe dabei auch Töne gehört, die darauf hindeuten, daß der alte Konflikt zwischen Atlantikern (Beifall bei der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Sie und Gaullisten innerhalb der CDU wieder aufgebro- machen sich doch lächerlich!) chen ist. Diesen Mangel an einer nur durch Sachkompetenz (Dr. Hüsch [CDU/CSU]: begründbaren politischen Autorität kann der Ruf Bun- Ach, wie einfach!) desinnenminister Zimmermanns nach neuen autoritä- In Wirklichkeit hatten Sie eine falsche politische ren Gesetzen weder verschleiern noch beheben. Bedrohungsanalyse. Wenn man in Gorbatschow, wie Das Problem ist, daß die CDU in den vergangenen der Bundeskanzler es einmal getan hat, einen poten- Jahren — Herr Dregger hat heute mühsam versucht, tiellen Goebbels sieht, ist es logisch, daß man eine das leicht zu korrigieren — ihre Politik auf Feindbil- aggressionslüsterne Sowjetunion mit der frühen nu- dern beruhen ließ. Es waren Feindbilder gegenüber klearen Eskalation auf ihrem Territorium bedroht, um dem Osten in der Außenpolitik und Feindbilder ge- sie so von ihren Aggressionsabsichten abzuhalten. genüber der Friedensbewegung in der Innenpolitik. Diese falsche Bedrohungsanalyse führt zu falschen Sie haben große Schwierigkeiten, von dieser Feind- militärischen Konsequenzen. Wer so denkt, hat in bildorientierung in der Innen- und Außenpolitik abzu- Wirklichkeit auch Angst vor nuklearer Abrüstung. kommen. In Wirklichkeit haben Ihnen in den vergan- Wenn Sie sich heute zur nuklearen Abrüstung beken- genen Wochen die Hosen auch deshalb geschlottert, nen, dann müssen Sie auch Ihre politische Bedro- weil diese Feindbilder durch die neue Politik der hungsanalyse gegenüber der Sowjetunion verändern. Sowjetunion unter Generalsekretär Gorbatschow Ohne das bleibt es nur ein halber Schritt; ohne den erschüttert und in Frage gestellt wurden. Früher nächsten Schritt verrennen Sie sich auch in Zukunft haben Sie sowjetische Raketen gefürchtet; heute immer wieder in neue Zielkonflikte. fürchten Sie sowjetische Abrüstungsvorschläge. Die Abrüstungsfurcht der CDU wurde durch den (Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Jawohl, so ist es! — Abrüstungswillen der beiden Großmächte entlarvt. Zurufe von der CDU/CSU: Ach Gott! — Du Volker Rühe hat in der Akademie Loccum von der meine Güte!) großen psychologischen Bedeutung der Mittelstrek- Es ist heute das erste Mal gewesen, daß ein Spre- kenproblematik gesprochen. Ich halte diesen Hinweis cher der CDU, daß Sie, Herr Dregger, die Flexibilität auf die Psyche für berechtigt, aber in einer anderen der Sowjetunion gelobt haben und daß Sie in der Lage Weise, als er es dort wahrscheinlich gemeint hat. waren, zu sagen, man sollte mit ihr direkt sprechen, Denn die Stationierung der Mittelstreckenwaffen war weil sie — die Sowjetunion — bereit sein könnte, auch aus amerikanischer Sicht vor allen Dingen ein Instru- deutsche Sicherheitsinteressen wahrzunehmen. Das ment, um die Abrüstungs- und Entkopplungsängste 944 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Voigt (Frankfurt) der europäischen Konservativen zu beruhigen. Ich dert, die Raketen in Ost und West, und zwar nicht nur kenne nur wenige Amerikaner, die jeweils an die mili- Mittelstreckenwaffen größerer Reichweite, sondern tärische Funktion dieser Waffensysteme geglaubt auch Mittelstreckenwaffen kürzerer Reichweite, zu haben. entfernen, der fordert sie zu viel mehr und zu etwas (Zuruf von der SPD: Richtig!) viel Weiterreichenderem auf, als daß es nur die Auf- kündigung der Stationierung von Pershing II und Aber ich kenne viele, die die Stationierung für erfor- Cruise Missile wäre. derlich hielten, um die europäischen Konservativen zu beruhigen. (Zuruf von der CDU/CSU: Wie z. B. Helmut Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, gestat- ten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schmidt!) Nickels? — Schmidt war immer für den NATO-Doppelbe- schluß, um ein abrüstungspolitisches Ziel durchzuset- zen, und dieses Ziel eint auch die SPD seit 1979. Voigt (Frankfurt) (SPD): Selbstverständlich. (Zurufe von der CDU/CSU: Was? — Deswe- gen haben Sie abgelehnt! — Das ist eine Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr. Logik! — Unglaublich!) Ich glaube, daß die Konservativen in unserem Frau Nickels (GRÜNE): Du hast gesagt, Lande sich einer Illusion hingeben, wenn sie meinen, (Zurufe von der CDU/CSU) sie könnten mangelndes politisches Vertrauen gegen- diese doppelte Null-Lösung sei ein Einbruch in die über der amerikanischen Sicherheitsgarantie durch Abschreckungslogik. Ich möchte gerne wissen, ob du die Stationierung von landgestützten Raketen jeder meine Meinung teilst, daß in der Rede von Herrn Art und jeder Reichweite ersetzen. Entweder sind die Dregger ganz bemerkenswerte Hinweise darauf ent- Amerikaner bereit, ihre militärischen Risiken mit den halten waren, diese Abschreckungslogik auf die euro- europäischen zu verkoppeln — z. B. ausgedrückt päische Ebene sozusagen herunterzuholen. durch die Präsenz von konventionellen Truppen hier und durch ihre politische Sicherheitsgarantie — , oder (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Ein rot-grüner Kon sie sind nicht bereit. Aber es ist eine Illusion, zu glau- greß ist das hier!) ben, durch die Präsenz landgestützter Nuklearwaffen - Ich denke dabei an das, was er zum Nichtverbrei- in Europa würde diese Sicherheitsgarantie auch nur tungsvertrag gesagt hat. Das zeigt sich meiner Mei- einen Deut wahrscheinlicher und glaubwürdiger. nung nach auch darin, daß man auf der Pershing I a Dies ist ein Nuklearwaffenfetischismus, den ich nicht beharrt. teilen kann, der aber bei Ihnen immer noch nicht völlig beseitigt ist. Voigt (Frankfurt) (SPD): Christa, ich glaube, Mir ist in den letzten Wochen aufgefallen, daß die daß — — CDU in ihrem Stahlhelmflügel nur so lange pro-ame- (Lachen bei der CDU/CSU) rikanisch war, so lange die Amerikaner antisowje- tisch waren. Als die Amerikaner und die Sowjetunion — Wenn ich mit Du angeredet werde, antworte ich mit begannen, sich verständigen zu wollen, da begann Du. Das gehört sich so im kollegialen Umgang. Ich , von einer abrüstungspolitischen Ver- finde, wir verhalten uns sowieso häufig viel zu steif. schwörung der Weltmächte gegen deutsche und euro- Warum sollten man so etwas nicht einmal machen? päische Interessen zu reden. (Zustimmung bei der SPD — Dr. Bötsch Ich glaube, daß die doppelte Null-Lösung zwar [CDU/CSU]: Rot-grüne Verbrüderung vor nicht die Überwindung der nuklearen Abschreckung dem Fernsehen!) bedeutet — letzten Endes können wir als Europäer Ich finde, daß der Kollege Dregger versucht, so viel darüber auch gar nicht allein verfügen; darüber ver- wie möglich an Abschreckungslogik zu retten. Aber er fügen die Nuklearmächte für sich allein, aber sie kommt auch nicht darum herum, seine Haltung bedeutet einen wesentlichen Einbruch in die Logik sowohl zur Sowjetunion wie auch zur Ausgestaltung des bisherigen nuklearen Wettrüstens, und sie erhöht der westlichen Strategie zu revidieren. Das ist der tiefe die Krisenstabilität und macht den frühen Ausbruch politische Sinn, den die Vereinbarung einer doppelten eines Nuklearkrieges in Europa unwahrscheinlicher. Null-Lösung mit ihren sehr weitreichenden psycholo- gischen Konsequenzen hätte. Diese prinzipielle Bedeutung ist es, die wir Sozial- demokraten unterstützen und der wir eine Chance Wenn du jetzt schon fragst, muß ich auch sagen: Ihr verleihen wollen, die wir nicht durch Vorbehalte und hinkt mit eurem Antrag, die Stationierung von Pers- Vorbedingungen erschüttern wollen. Diese prinzi- hing II und Cruise Missiles jetzt einfach aufzukündi- pielle Bedeutung ist es, die wir nicht durch das Behar- gen, eigentlich der tatsächlichen Chance hinterher, ren auf der Pershing II blockieren wollen. Diese prin- nicht nur Cruise Missiles und Pershing II, sondern zipielle Bedeutung einer abrüstungspolitischen Mög- auch die SS 20 und Mittelstreckenwaffen kürzerer lichkeit heute ist es auch, die uns sagen läßt: Zum Reichweite in Ost und West wegzukriegen und den gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine doppelte Null- Rüstungswettlauf zu beenden. Das, glaube ich, solltet Lösung bzw. die Chance dafür viel mehr als nur die ihr euch noch einmal überlegen. Aufkündigung einer Stationierung von Pershing II Vielen Dank. und Cruise Missile. Denn wer die Regierung auffor- (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 945

Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Das muß man sich vor Augen führen, wenn man heute Abgeordnete Dr. Waigel. die Reden der SPD analysiert. (Bahr [SPD]: Wiederholung macht das auch nicht besser!) — Auch bei Wiederholung bleibt Richtiges richtig, Dr. Waigel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine und Ihr Vorwurf „Quatsch" wendet sich gegen Ihren Damen und Herren! Die heutige Debatte des Deut- eigenen Geisteszustand. schen Bundestages ist möglich geworden, weil diese Koalition im November 1983 dem von einem SPD- (Beifall bei der CDU/CSU) Bundeskanzler initiierten, aber später von der SPD Mit Nachgiebigkeit, Anbiederung und einseitigen abgelehnten Vollzug des NATO-Doppelbeschlusses Vorleistungen erzielen Sie in der Abrüstungspolitik zugestimmt und ihn durchgesetzt hat. keine Erfolge. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Zuruf von der SPD: Dorfbürgermeister!) Zuruf von der SPD: Legendenbildung!) — Ich habe gerade das Wort „Dorfbürgermeister" Ohne die klare Haltung des Westens beim NATO- gehört. Sie wären froh, wenn Sie mehr in der Bundes- Doppelbeschluß läge heute in Genf kein Vertragsent- republik Deutschland stellen würden, und ich kenne wurf vor, sehr viele kluge Leute darunter, die es intelligenzmä- (Zuruf von der CDU/CSU: Völlig richtig!) ßig und von ihrem gesunden Menschenverstand her mit jedem von Ihnen aufnehmen würden. der einen vollständigen Abbau nuklearer Mittelstrek- kenraketen in Westeuropa vorsieht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Bravo! Sehr gut! — Es ist richtig, sich daran zu erinnern, was führende Horn [SPD]: Deshalb habe ich auch gesagt: SPD-Politiker 1983 im Deutschen Bundestag gesagt Sie könnten kein Dorfbürgermeister wer- haben. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Vogel hat am den!) 21. November 1983 im Bundestag die Nachrüstung der NATO abgelehnt. — Sie sollten die Dorfbürgermeister nicht beleidi- gen. (Dr. Rumpf [FDP]: Deswegen ist er jetzt auch schon weggegangen!) (Horn [SPD]: Nein, die wären beleidigt, wenn ein Mann wie Sie Dorfbürgermeister Seine Argumente damals: Die UdSSR werde nicht ein würde!) einziges ihrer Systeme abbauen. Ich weiß, wie es im Dorf aussieht, Sie offensichtlich (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!) nicht. Sie werden dort auch nicht gewählt. Er fährt fort: Die „Spannungen zwischen den Welt- (Zustimmung bei der CDU/CSU) mächten" werden „weiter zunehmen" . — Unglaub- Der jetzt in Genf vorliegende Vertragsentwurf, auf lich die prognostischen Fähigkeiten des künftigen den sich die beiden Großmächte aller Voraussicht SPD-Vorsitzenden. — nach einigen werden, birgt Chancen, aber auch Risi- (Zuruf von der CDU/CSU: Der Futurist ken in sich. Der ehemalige US-Außenminister Kissin- Vogel! — Dr. Rumpf [FDP]: Nächste Woche ger hat in einem Interview mit der „Welt am Sonntag" wird er gewählt!) am 8. Februar 1987 die sich abzeichnende Lösung wie folgt bewertet: Die von der Entspannungspolitik „in Richtung Ost- europa ausgehenden günstigen ... liberalisierenden Die Bedrohung für Europa wird durch die Null- Wirkungen werden weiter abnehmen" . Wie weit ist Lösung nicht signifikant vermindert. Die Fähig- der Mann von der Wirklichkeit der Welt und des keit zur Vergeltung gegen die Sowjetunion vom Lebens entfernt? europäischen Boden aus wird eliminiert, und zugleich würde Amerikas Entschlossenheit zum (Zuruf von der CDU/CSU: Das war er schon atomaren Gegenschlag von den Ländern Europas immer!) abgekoppelt. Das Gegenteil ist eingetreten. Die Argumentation des Das Ziel des NATO-Doppelbeschlusses war es, die Kollegen Vogel wurde durch die tatsächliche Ent- durch die einseitige Hochrüstung der UdSSR entstan- wicklung völlig widerlegt. denen Lücken im Bereich der nuklearen Abschrek- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kung zu schließen und eine sich abzeichnende Abkoppelung Westeuropas von den USA zu verhin- In der Debatte im November 1983 haben sämtliche dern. Sprecher der Opposition die Forderung der Regie- rungskoalition nach einer Null-Lösung abgelehnt. In Hier liegen die Risiken des Genfer Vertragsent- all den Jahren seit dem Abschied von Helmut Schmidt wurfs. Wenn ich diese Risiken betone, bedeutet dies — bis zum Gipfel von Reykjavik — forderte die SPD keineswegs Mißtrauen in die Bereitschaft der Verei- die Anerkennung eines sowjetischen Monopols bei nigten Staaten, auch künftig die Sicherheit Westeuro- den Mittelstreckenraketen. pas zu garantieren. Das ergibt sich nicht zuletzt aus der Präsenz von über 200 000 Mann amerikanischer (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! — Bahr Truppen auf dem Boden der Bundesrepublik Deutsch- [SPD]: Quatsch!) land. 946 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Dr. Waigel Wir bedanken uns beim amerikanischen Botschaf- — Darüber haben Sie nicht zu befinden, Kollege ter Burt, der heute in einem Interview die Haltung der Ehmke. Sie mögen ein Lorbaß sein, aber in der Sicher- Vereinigten Staaten klargestellt hat. Das ist für uns heitspolitik liegen Sie schief. wichtig. Wir sind dankbar dafür. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nach unserer festen Überzeugung ist und bleibt die Abschreckung die Garantie dafür, eine militärische Aber es hat eine Akzentverschiebung gegeben, die Auseinandersetzung zwischen Ost und West zu ver- in diesen Sätzen Kissingers — er steht hier nicht hindern. Ohne eine glaubwürdige und überzeugende allein — zum Ausdruck kommt und die uns zwingt, Fähigkeit und Bereitschaft zur Verteidigung würden unsere Vorstellungen im Bündnis und besonders militärische Auseinandersetzungen zwischen Ost und gegenüber den Vereinigten Staaten frühzeitig und West wieder in den Bereich des Möglichen rücken. nachhaltig zu vertreten. Das dürfen und können wir nicht hinnehmen. Ein Krieg zwischen den beiden Blöcken darf weder denk- (Bahr [SPD]: Hört! Hört!) bar, kalkulierbar und führbar noch regionalisierbar Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht fest: und begrenzbar werden. Das ist ein Essential für Auch in Zukunft ist die Gewährleistung von Frieden uns. und Freiheit im Westen nur möglich auf der Grund- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lage einer wirksamen nuklearen Komponente. Solange der Warschauer Pakt im Bereich der konven- Bis heute hält die Sowjetunion am Ziel der kommu- nistischen Weltherrschaft fest, tionellen Streitkräfte ein enormes Übergewicht besitzt, muß die NATO am Konzept der nuklearen (Zuruf von den GRÜNEN) Abschreckung festhalten. wenngleich große Zweifel berechtigt sind, ob sie das Die Bemühungen einiger SPD-Abgeordneter, so vor verwirklichen könnte. Nach wie vor ist die soge- allem der Kollegen von Bülow und Scheer in der letz- nannte friedliche Koexistenz nur ein Mittel, aber kein ten Debatte, dieses konventionelle Übergewicht zu Ziel im System der marxistischen Ideologie. Normale bestreiten, sind absurd. Wäre dem nicht so, hätten alle nachbarliche Beziehungen zur Sowjetunion können SPD-Verteidigungsminister — Schmidt, Leber und wir nur pflegen, weil wir eine überzeugende Verteidi- Apel; darauf ist heute mehrfach hingewiesen wor- gungsfähigkeit aufrechterhalten. Als Deutsche sind den — mit ihren jährlichen Weißbüchern das Parla- wir besonders am Abbau jener Nuklearwaffen inter- ment falsch informiert. Ich hoffe doch, daß dem nicht essiert, die nur in Deutschland zur Wirkung kommen so gewesen ist. Erfreulicherweise räumen mittlerweile können. auch die Regierungschefs der Staaten des Warschauer (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!) Pakts diese Überlegenheit offen und ehrlich ein. Wir sind energisch gegen jene Abrüstungsmaßnah- Es ist schon merkwürdig, wenn der Kollege Brandt men, die im Ergebnis dazu führen würden, einen in einer relativ milden Rede — gegenüber Freund und bewaffneten Konflikt in Europa wieder möglich zu Feind in der eigenen Partei — für die Entspannungs- machen und gar einen Krieg auf Deutschland zu politik von damals eingetreten ist, ihre Erfolge feiert begrenzen. und zugeben muß, daß genau in der Zeit die größte (Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es!) Rüstung und Überrüstung der Sowjetunion und des Es darf keine Situation denkbar werden, in der sich Warschauer Pakts stattgefunden hat. Wenn der noch die Supermächte in Sicherheit wiegen und Deutsch- amtierende Vorsitzende der SPD die Abschaffung der land im Schwerpunkt der Zerstörung zurückbliebe. Abschreckungsstrategie verlangt, so ist dies — darü- ber muß man sich im klaren sein — gleichbedeutend (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) mit der Abschaffung der NATO oder dem Austritt der Den deutschen Interessen hätte es deshalb besser Bundesrepublik Deutschland aus der NATO. Welchen gedient — das ist mehrfach von Rednern verschie- Moralbegriff verwendet der Kollege Brandt hier dener Fraktionen heute zum Ausdruck gebracht wor- eigentlich? Er selbst hatte doch als Regierungschef den — , wenn die nukleare Abrüstung nicht bei Waf- fünf Jahre lang die Abschreckung mit getragen und fen über 1 000 km begonnen hätte, sondern bei den mit gestaltet. Er hat anschließend auch als Mitglied Nuklearwaffen mit Reichweiten unterhalb von der damaligen Koalition das unter seinem Nachfolger 150 km, bei den sogenannten Gefechtsfeldwaffen und mit getragen. bei den konventionellen Waffen. Wir hätten eine andere Reihenfolge des Abrüstungsprozesses bevor- Unsere Strategie und die damalige Strategie ent- zugt. sprechen den Grundsätzen des Völkerrechts und hal- ten moralischen Ansprüchen stand. Mit dieser neuen (Beifall bei der CDU/CSU) Begriffswelt, die ich für außerordentlich gefährlich Bei grundlegenden sicherheitspolitischen Fragen halte, nimmt im Grund späte Rache an müssen wir alle voraussehbaren Folgen und Neben- Helmut Schmidt, der immer die Abschreckung als folgen abschätzen. Das heißt, wir müssen unsere einen Eckpfeiler westlicher Sicherheit bezeichnet Entscheidungen verantwortungsethisch begründen. hat. Einer Lösung, bei der die nukleare Bedrohung nur (Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Der nimmt Rache an noch die beiden Staaten in Deutschland betrifft, kön- sich selbst! — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: nen wir nicht zustimmen. Waigel, du verstehst nichts davon!) (Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 947

Dr. Waigel Die Vertretung unserer spezifischen nationalen Inter- Ankündigungen reale Taten folgen lassen. Sie hätte essen gegenüber den Großmächten ist unsere Pflicht angesichts ihrer Überlegenheit in allen Waffenberei- und unser Recht. chen schon längst mit freiwilligen Abrüstungsmaß- (Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es!) nahmen beginnen können, ohne ihre Genfer Ver- handlungspositionen zu gefährden. Ihre Sicherheit Solange das erschreckende Übergewicht im Kurz- würde dadurch nicht beeinträchtigt, aber ihre Abrü- streckenbereich und im konventionellen Bereich stungsvorschläge würden an Glaubwürdigkeit gewin- anhält, sind für uns der Verbleib und die Einsatzfähig- nen. keit der Pershing I a unverzichtbar. Wir werden sogfältig darüber wachen, wie die (Frau Traupe [SPD]: Das ist ja überhaupt Sowjetunion ihre Versprechen, insbesondere zur kon- nicht wahr, Herr Waigel! Das müssen Sie ventionellen Abrüstung, einlöst und konkrete Schritte doch nicht glauben!) zum Abbau ihrer Panzermasse einleitet. Wir erwarten Bei einem Abbau dieses Faustpfands, wäre, wollte jetzt die Verwirklichung vertrauensbildender Maß- man das Gleichgewicht auf allen nuklearen Ebenen nahmen durch die Sowjetunion, damit es zu einem aufrecht erhalten, eine Nachrüstung des Westens im Abbau der sowjetischen Asymmetrie kommt, so wie es Kurzstreckenbereich erforderlich. Und genau das im Kommuniqué des Politisch Beratenden Ausschus- wollen wir nicht. ses des Warschauer Pakts vom 29. Mai 1987 festge- schrieben ist. (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Na!) Wer unserer Bevölkerung jetzt glauben machen In den kommenden Wochen und Monaten geht es will, mit den bevorstehenden Genfer Abmachungen darum, die weiteren Weichenstellungen richtig zu seien die Probleme zwischen West und Ost gelöst, vollziehen und dabei unseren spezifischen deutschen lenkt von den eigentlichen, den ursächlichen Pro- Interessen Geltung zu verschaffen. blemen ab. (Frau Traupe [SPD]: Das wollen wir mal (Beifall bei der CDU/CSU) sehen!) Bei den bevorstehenden Entscheidungen geht es nur Es geht vor allem darum, die Substanz und die Imple- vordergründig um Raketen. Raketen sind nicht die mentierung, die Vervollständigung der Verträge zu Ursachen der Spannungen, sondern ihr Ergebnis. analysieren und vorzubereiten. Angesichts der geo- (Beifall bei der CDU/CSU) graphischen Lage der Bundesrepublik muß es unser Der Westen würde mit Freuden abrüsten, unterstützt vorrangiges Ziel sein, die Ungleichgewichte im Kurz- von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung, streckenbereich und im konventionellen Bereich wenn es die Spannungen nicht gäbe! abzubauen. Darüber hinaus ist von entscheidender Bedeutung, zu einer deutlichen Reduzierung im stra- (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Na, na!) tegischen Raketenarsenal und zu einem weltweiten Wenn die Sowjetunion an einem neuen Klima des Verbot bei den chemischen Waffen zu gelangen. Vertrauens in Europa wirklich interessiert ist, dann Ebenso wichtig wie der Vertrag selbst ist die Kon- muß sie hier ansetzen und damit beginnen, den Völ- trolle über seine Einhaltung. Die gegenseitige Kon- kern Osteuropas mehr Selbstbestimmungsrecht und trolle und das Beharren auf Leistung und Gegenlei- mehr Menschenrechte zu gewähren. Hier liegt doch stung sind unabdingbare Voraussetzung beim Voll- der Schlüssel für den weiteren Erfolg des Abrüstungs- zug der Abrüstung. Es muß uns gelingen, auch kon- prozesses! ventionelle Abrüstungsschritte unverzüglich einzulei- Der Westen muß jetzt ein abrüstungspolitisches ten und ein gleiches, ausgewogenes Niveau zu errei- Gesamtkonzept entwickeln und es gegenüber der chen, damit wir nach dem Abbau der Mittelstrecken- Sowjetunion, aber auch gegenüber der Öffentlichkeit waffen nicht schlechter dastehen als heute. offensiv vertreten. Die Bundesrepublik Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU) muß dazu ihren Beitrag leisten und ihre Interessen mit Entschiedenheit einbringen. Das ist unsere Aufgabe, Nun liegt es an der Sowjetunion und an den Staaten und ihr stellen wir uns. des Warschauer Pakts, dem Westen durch vertrauens- Ich bedanke mich. bildende Maßnahmen und vor allem durch einen Abbau des Übergewichts im konventionellen und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kurzstrecken-Bereich — also bei jenen Waffen, von denen in erster Linie die Bundesrepublik bedroht ist — entgegenzukommen. Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat Frau Abge- ordnete Fuchs (Verl). Gorbatschow proklamiert ein neues Denken im Atomzeitalter. Und ohne Zweifel gibt es in der Sowjet- union heute einen gewissen Stilwandel, programma- tische Korrekturen und veränderte Verhaltensweisen, Frau Fuchs (Verl) (SPD): Herr Präsident! Meine aber: Wir haben bisher keine Abkehr Moskaus von Herren und Damen! 90 % der Bürger und Bürgerinnen den fundamentalen rüstungs- und abrüstungspoliti- unseres Landes wollen die doppelte Null-Lösung. Ich schen Positionen feststellen können. Nach wie vor kann mich nicht erinnern, daß der Wille der übergro- wird Rüstungskontrolle als Instrument der sowjeti- ßen Mehrheit unseres Volkes jemals so klar und ein- schen Außenpolitik eingesetzt, aber — und das ist das deutig gewesen ist. Bedauerliche — in gleichem Tempo weitergerüstet. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Die Sowjetunion muß ihren vielen Worten und der GRÜNEN) 948 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Frau Fuchs (Verl)

Doppelte Null - Lösung heißt im Verständnis der Bür- Zweischlüsselsystem oder was immer es noch gibt, ger und Bürgerinnen: Null Mittelstreckenraketen grö- was die Herren Strauß, Todenhöfer und andere seit ßerer und geringerer Reichweite im Osten und null langem gern haben möchten, unterworfen ist. solcher Raketen im Westen. (Beifall bei der SPD) Genau das ist aber nicht die Position der Bundesre- gierung; denn die Bundesregierung sagt nicht: Null Nur um diese amerikanischen Sprengköpfe geht es. Raketen im Osten und null im Westen; sie sagt: Null Die gehören natürlich auch auf den Verhandlungs- im Osten und 72 Pershing-I-Raketen im Westen. Ihr tisch in Genf. sogenannter Kompromiß, meine Herren und Damen Gefährlich ist die Begründung des Bundeskanzlers, von der Koalition, ist eine Mogelpackung mit doppel- weil er im Zusammenhang mit Atomwaffen den tem Boden. Begriff „Drittstaatensysteme" für die Bundesrepublik (Beifall bei der SPD) verwendet, Er ist der Versuch, der Öffentlichkeit zu suggerieren, (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) man sei für die doppelte Null-Lösung, obwohl man in die schon im Deutschlandvertrag von 1955 ausdrück- Wahrheit ganz massive Aufrüstungsoptionen offen- lich freiwillig auf ABC-Waffen verzichtet hat. Um die halten will. Es zeugt von einer beispiellosen Arroganz, volle Tragweite dieses Sachverhalts deutlich zu einerseits die globale Null-Lösung für Mittelstrecken- machen, will ich daran erinnern: Drittstaaten sind hier raketen kürzerer und längerer Reichweite zu fordern die Staaten, die außer den USA und der Sowjetunion und andererseits darauf zu bestehen, daß die Bundes- Atomwaffen besitzen und darüber verfügen. Die wehr eben solche Atomwaffen, nämlich 72 Pershing Anwendung dieses Begriffs auf die Bundesrepublik I a, weiter einsatzbereit halten will. läßt in der Tat ernsthafte Zweifel am politischen Wil- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) len der Bundesregierung entstehen, am nichtnuklea- ren Status der Bundesrepublik, unseres Landes, fest- Herr Strauß sagt auch ganz offen: „Es ist eine Null- zuhalten. Lösung, die sich nur auf die Amerikaner und Russen bezieht und keine Null-Lösung für uns. " (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Wie ist es denn mit Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen: will die Bun- den Franzosen und Engländern?) desregierung etwa doch eine eigene nukleare Option? — Wenn das einträte, käme die Bundesrepublik in der Tat in eine wahrhaft einzigartige Lage, Herr Waigel. (Rühe [CDU/CSU]: Abgeschmackt ist das!) Sie wäre in Zukunft das einzige Land in Europa, auf — Lesen Sie es bitte doch einmal nach, Herr Kollege; dessen Boden diese Kategorie von Atomwaffen statio- das ist nicht abgeschmackt, sondern Tatsache. niert wird. Mit solch einem atomaren Größenwahn werden wir uns weder im Osten noch im Westen Wollen sich diejenigen, wie die Herren Todenhöfer Freunde erwerben. Im Gegenteil: Man wird sich in und Strauß, die sich schon seit langem für eine euro- Ost und West erneut fragen, was um Gottes willen päische Atommacht und für den eigenständigen diese Deutschen denn eigentlich wollen. Ich kann nur Zugang der Bundesrepublik zu Atomwaffen stark hoffen, daß der amerikanische Präsident mit der For- machen, hier eine Einstiegsoption sichern? derung, die Pershing-I-Sprengköpfe in der Bundesre- (Rühe [CDU/CSU]: Das stimmt doch einfach publik zu behalten, genauso verfährt wie damals Prä- nicht, was Sie sagen!) sident Kennedy mit Franz Josef Strauß' Forderung nach deutschen Atomwaffen. Das ist meine Frage. (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Nicht zu fassen, was Die Bundesrepublik hat auch mit dem Atomwaffen- Sie hier reden!) sperrvertrag völkerrechtlich verbindlich auf den Der Bundeskanzler hat am 7. Mai 1987 sein Festhal- Besitz von Atomwaffen verzichtet. Die Regierung ten an der Pershing I a damit begründet, daß diese Brandt/Scheel — das ist auch für die FDP interes- sant — hat bei der Unterzeichnung des Atomwaffen- „Drittstaatensysteme" seien, sperrvertrages am 28. 11. 1969 erklärt — jetzt zitiere (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen das ich —: erzählt? — Gegenruf von der SPD: Strauß!) Sie „geht davon aus, daß der Vertrag der Bundes- über die zwischen den USA und der Sowjetunion in republik Deutschland gegenüber so ausgelegt Genf nicht verhandelt werden könne. Diese Behaup- wird wie gegenüber den anderen Vertragspar- tung ist ebenso falsch wie gefährlich. teien". (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Mit ihrem Gerede über deutsche Drittstaatensysteme Sie ist falsch, weil der Sprengkopf der Pershing I will die Regierung Kohl genau das Gegenteil, nicht genauso wie jeder andere Sprengkopf für ein nukle- Kontinuität, sondern einen Sonderweg. arfähiges System der Bundeswehr sich in ausschließ- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) lichem Besitz der USA befindet — Meine Herren und Damen von der FDP, Sie müssen (Frau Nickels [GRÜNE]: Genau!) sich hier klar entscheiden, was Sie wollen: entweder ich wiederhole: in ausschließlichem Besitz der USA — die Kontinuität des nichtatomaren Status der Bundes- und nicht irgendeiner Einwirkungsmöglichkeit der republik Deutschland oder eine Abenteuerpolitik, die Bundesrepublik, einem Vetorecht oder einem zu schrecklichen Vertrauenseinbußen in Ost und Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 949

Frau Fuchs (Verl) West führen und die Bundesrepublik zum Störenfried und vor diesem Hintergrund nicht auch allmählich in Europa machen muß. peinlich? Die FDP muß sich übrigens auch entscheiden, ob sie (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) dem hier vorliegenden Antrag der Koalition zustim- Wenn es historisch zum ersten Mal wirklich um men will oder Herrn Mischnick folgen möchte, der ja weniger Waffen geht, nämlich die der USA und der laut heutiger Zeitung gesagt hat, daß die Bedingung, UdSSR, müssen Sie zur Zustimmung gezwungen wer- die sich in dem Antrag der Koalition wiederfindet, daß den. Gleichzeitig — das ist das Unglaubliche — wird die Pershing I hierbleiben soll, nicht ihrer Auffassung in der Bundesrepublik an weiterer Aufrüstung entspricht. Auch um Ihnen Entscheidungsalternativen geplant. 280 Raketen mit nuklearen — — zu bieten, beantragen wir für unseren Antrag nament- (Lemmrich [CDU/CSU]: Wir denken an die liche Abstimmung. Abrüstung auf der russischen Seite! — (Beifall bei der SPD — Zuruf von der FDP: Zurufe von der SPD) Wir lehnen den Schleuderkurs der SPD — Fragen Sie mal Ihren Verteidigungsminister! Es ab!) geht um 280 Raketen mit nuklearen bzw. konventio- nellen Sprengköpfen, und dabei wird nicht mehr zu Meine größte Sorge, meine Herren und Damen, ist unterscheiden sein, welche Rakete welchen Spreng- aber, daß diejenigen, die für den Verbleib der Per- kopf trägt. shing I a streiten, damit gar nicht so sehr die Per- shing I a meinen, die aus technischen Gründen ohne- (Horn [SPD]: Das ist das Entscheidende!) hin bald abgezogen werden müssen, sondern daß hier Können Sie sich die Reaktion der anderen Seite auf eine Hintertür zur Modernisierung dieser Waffenka- dieses Teufelsspiel eigentlich vorstellen? tegorie, eine Hintertür zu einer neuen Nachrüstung mit Pershing-I-b-Raketen offengehalten werden soll. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Es drängt sich die Frage auf, ob der Bundeskanzler (Beifall bei der SPD — Voigt [Frankfurt] das eigentlich weiß. Weiß der Bundeskanzler das? [SPD]: Wer A sagt, will auch B sagen!) (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Nein! Woher soll — Wer A sagt, will auch B sagen, richtig. er das wissen?) heißt es dazu — den kann Regiert er oder der Verteidigungsminister in dieser Im Bundeswehrplan 1987 - ich ruhig zitieren, weil zumindest dieser Teil ohnehin Frage? Ich fordere dringend dazu auf, heute an dieser veröffentlicht worden ist — : „Die bündnisgemeinsa- Stelle zu diesem ungeheuren Vorgang Stellung zu men Beschlüsse stehen grundsätzlich in Übereinstim- nehmen, und schließe mich den Worten Willy Brandts mung mit der Weisung des Bundeskanzlers vom an: Wir werden jedenfalls erbitterten Widerstand lei- 4. Oktober 1983, längerfristig den Schwerpunkt bei sten, wir als SPD zusammen mit der großen Mehrheit nuklearfähigen Einsatzmitteln größerer Reichweite der Bevölkerung, zusammen mit der Friedensbewe- vorzusehen, und fordern die Modernisierung der nu- gung. Ich wage vorauszusagen, daß Sie mit diesem klearen Einsatzmittel durch ein Lance-Nachfolge- Vorhaben nicht durchkommen werden. Es darf und es system gesteigerter Reichweite (250 km), ein Nachfol- wird keine neue Nachrüstung geben, und da freue ich gesystem Pershing I a und einen Abstandsflugkörper mich, daß Herr Ronneburger in seiner Stellungnahme größerer Reichweite (400 km)" hier einer weiteren Nachrüstung eine Absage erteilt hat. (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Da liegt der Wör- Es gibt aber noch einen weiteren Anlaß zur Sorge. ner begraben!) Ich fürchte, daß Sie mit der selben Drittstaatenargu- Und Herr Strauß sagt vor drei Tagen auf die Frage mentation, die Sie auf die Pershing I anwenden, bei nach der Modernisierung der Pershing I a — ich den noch verbleibenden Gefechtsfeldwaffen verfah- zitiere — : „Die Modernisierung vorhandener Waffen- ren werden, systeme ist noch nie Gegenstand von Nachrüstungs- (Bahr [SPD]: Sehr wahr!) verhandlungen gewesen." Genau hier setzt meine nämlich bei den Lance-Raketen und der atomaren Befürchtung ein. Artillerie. Wenn Sie die auch noch zu Drittstaatensy- Herr Bundeskanzler, es ist doch so, daß zum stemen umdefinieren, ergibt sich unter der Hand ein gleichen Zeitpunkt, da Sie hier Ihren Abrüstungswil- völlig neuer Status der Bundesrepublik; dann ist dem len kundtun, Ihr Verteidigungsminister daran arbei- Versuch, sich den Status einer Atommacht zu erschlei- ten läßt, nicht nur die auslaufenden 72 Pershing-I- chen, Tür und Tor geöffnet. Raketen durch 72 neue Pershing-Raketen zu ersetzen, (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) sondern zusätzlich — dies ist ein weiterer Skandal die- ses Ministers — zusätzlich 200 Pershing-Raketen mit Ich bin allerdings fest davon überzeugt — und das ist in dieser Frage mein Trost — , daß sich kein amerika- konventionellem Sprengkopf plant, die er sicher nicht nischer Präsident, dem allein der Einsatzbefehl über Pershing nennen, sondern vermutlich umtaufen wird, da dieser Begriff sozusagen besetzt und mittlerweile amerikanische Sprengköpfe obliegt, derartig von ein Reizwort ist. Es ist doch so, Herr Bundeskanzler, Ihnen entmachten lassen wird. daß Ihr Minister plant, die 72 Pershing I a durch ca. (Rühe [CDU/CSU]: So etwas können Sie 280 neue Raketen, also das Vierfache, zu ersetzen. Ist noch nicht einmal auf einem Unterbezirks Ihnen Ihr Schlagwort vom „Frieden schaffen mit parteitag anbieten! Und das will schon eini immer weniger Waffen" in diesem Zusammenhang ges heißen!) 950 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Frau Fuchs (Verl) Meine Herren und Damen, nicht militärische Ana- menkommen werden, um für Abrüstung und für eine lyse, sondern militarisiertes Denken führt zu der For- friedliche Zukunft zu demonstrieren. derung, auf der Pershing I zu beharren. Der Wunsch (Anhaltender Beifall bei der SPD und den nach totaler Sicherheit ist Ausdruck totaler Unsicher- GRÜNEN) heit. Das ist das Syndrom der Angst, der politischen Phantasielosigkeit, der Irrationalität, die die Politik dieser Bundesregierung in dieser Frage kennzeich- Vizepräsident Stücklen: Auf der Tribüne hat eine nen. Delegation der Nationalversammlung der Republik Kant hat recht, wenn er sagt: „Der Friede ist der Elfenbeinküste unter der Leitung von Herrn Léon Imperativ der praktischen Vernunft. " In unserem Volk Amon Platz genommen. Ich begrüße die Delegation recht herzlich im Namen des Deutschen Bundestages gibt es eine tiefe Sehnsucht nach Frieden und Abrü- und wünsche einen angenehmen Aufenthalt und stung. Die Regierung aber will auf unabsehbare Zeit interessante Gespräche. an der atomaren Abschreckung festhalten und Atom- waffen behalten. (Beifall) Ich erteile dem Herrn Bundesminister des Auswär- (Lemmrich [CDU/CSU]: Ihr gebt doch in den tigen das Wort. Dingen nur Sprüche von euch!)

Es ist eine Kluft entstanden zwischen der Politik der Genscher, Bundesregierung und dem, was die Mehrheit der Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer heute mor- Bevölkerung will. Wenn dann auch noch in der Union gen die Ausführungen des Kollegen Brandt gehört hat wieder eine Gespensterdebatte über Wiedervereini- und das mit späteren Erklärungen der SPD vergleicht, gung geführt wird, kann ich nur mit dem Liederma- kann ermessen, was der Kollege Brandt noch immer cher Degenhardt sagen: „Es denken die Leute von für die SPD bedeutet. gestern wieder an morgen. " (Beifall bei der FDP — Dr. Ehmke [Bonn] (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) [SPD]: Das ist wahr!) Wir stehen, meine Damen und Herren, vor grundle- Es ist heute das Gebot praktischer Vernunft, ja zu gend neuen Entwicklungen im West-Ost-Verhältnis sagen zu der doppelten Null-Lösung, ohne Wenn und Aber, ohne Extra-Pershings. und in den Fragen von Sicherheit und Abrüstung. Es liegt im deutschen Interesse und im europäischen Es gibt im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Entwe- Interesse, daß wir die Chancen nutzen, die in dieser der die Mittelstreckenraketen gehen — alle! — Entwicklung liegen, und daß wir Risiken vermin oder der Kanzler geht ihnen voran. -dern. Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion haben (Beifall bei der SPD — Dr. Waigel [CDU/ bei der Begegnung der Außenminister Shultz und CSU]: Seien Sie froh, daß Sie ihn haben! Sie Gromyko im Januar 1985 das gemeinsame Ziel nu- hätten ja gar keinen!) klearer Abrüstung vereinbart. Im Oktober 1986 haben Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow Es ist ein Gebot der praktischen Vernunft, das Ange- in Reykjavik die Umrisse für Abkommen sowohl für bot des Warschauer Pakts aufzugreifen, über Militär- die strategische Abrüstung wie für die Mittelstrecken- doktrinen und Sicherheitsstrukturen zu reden. Wenn waffen größerer Reichweite formuliert. Beides ist jetzt in Brüssel schon wieder Bedenken geäußert werden, Gegenstand der Verhandlungen in Genf. müssen diese bislang straffrei gebliebenen politischen Straßenblockierer wissen, daß die Bevölkerung unse- Das Treffen in Reykjavik zeigt ein neues Denken res Landes das nicht mehr mitmacht, nicht mehr bereit der beiden Großmächte. Sie wollen kooperative ist, das ewige Spiel, wirkliche Abrüstung zu verhin- Lösungen für die Sicherheitspolitik. Sie wollen das dern, noch weiter zu dulden. Verhältnis zwischen den offensiven und den defensi- ven Waffen regeln, und sie wollen durch Abrüstungs- (Beifall bei der SPD) schritte bei den atomaren Waffen die Gefahr einer Vernichtung der Menschheit mindern. Das Bewußt- Die Bürger und Bürgerinnen unseres Landes lassen sein ihrer gemeinsamen Verantwortung für das Über- sich auf Dauer nicht hinters Licht führen. Sie haben leben der Menschheit hat also den Weg nicht nur für gelernt, daß diese Regierung zur Abrüstung gezwun- Abrüstungsverhandlungen geöffnet, nein, dieses gen werden muß. Bewußtsein zielt auch auf eine Verbesserung des Ver- hältnisses der beiden Großmächte zueinander. Wir können froh darüber sein, daß die Friedensbe- Vor diesem Hintergrund müssen sich die Ziele der wegung die Kraft behalten hat, über all die Jahre ihre deutschen und der europäischen Außenpolitik Aktionen durchzuhalten. bewähren. Gleichzeitig muß sich unsere Fähigkeit (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — erweisen, mit neuen Ideen und neuer Entschlossen- Zurufe von der CDU/CSU) heit die Zukunft Europas zu gestalten. Das bedeu- tet: Ich wünsche mir, meine Herren und Damen, daß es Erstens. Europäische Sicherheit kann auch in möglichst viele sind — und lade Sie ausdrücklich Zukunft nur in der Gemeinschaft der europäischen ein — , die am 13. Juni im Bonner Hofgarten zusam- und der nordamerikanischen Demokratien garantiert Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 951

Bundesminister Genscher werden. Das transatlantische Bündnis ist jetzt und in führungsstrategien darf es deshalb nie wieder Zukunft unverzichtbar. geben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zustimmung bei der SPD) Zweitens. Die Strategie des westlichen Bündnisses, die auf Kriegsverhinderung und nicht auf die Füh- Unsere Sicherheitspolitik ist frei von Illusionen. Die rung von Kriegen gerichtet ist, muß aufrechterhalten Sicherheit von heute kann sich nicht auf Rüstungs- bleiben, wenn wir das Überleben der Europäer kontrollabkommen von morgen stützen. Daher lassen sichern wollen. Kein Krieg, weder ein nuklearer noch wir keinen Zweifel an unserer Entschlossenheit, das ein konventioneller, darf in Europa je wieder führbar für die Verteidigung Notwendige zu tun. Die Soldaten werden. unserer Bundeswehr leisten einen entscheidenden Beitrag für diese Politik der Friedenssicherung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Drittens. Wir müssen alle Möglichkeiten einer Unsere Strategie der Kriegsverhinderung verlangt für Annäherung der USA und der Sowjetunion nutzen, absehbare Zeit ausgewogene nukleare und konven- um die Lage in Europa zu verbessern. Die Annähe- tionelle Streitkräfte ebenso wie die Präsenz der ver- richtet sich nicht gegen rung der beiden Großmächte bündeten Truppen, insbesondere der amerikani- uns. Sie liegt im nationalen, deutschen, und im euro- schen, in Europa. päischen Interesse. Wir wissen: Autonome Verteidigungsanstrengun- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gen allein können den Frieden auf Dauer verläßlich Wir müssen diese Entwicklung als Chance begreifen, nicht sichern. Entspannungspolitik und Rüstungskon- vereinbarte und verläßliche Strukturen der Sicherheit trolle müssen hinzukommen, so wie der Harmel- in Europa zu schaffen. Wir müssen entschlossen auf Bericht von 1967 das für unser Bündnis gefordert hat. dem in der Schlußakte von Helsinki vorgezeichneten Nach wie vor gilt auch, was die Bonner Erklärung des Weg zu einer europäischen Friedensordnung voran- NATO-Gipfels vom Juni 1982 sagt: schreiten. Militärisch bedeutsame, ausgewogene und verifi- zierbare Vereinbarungen über Rüstungskontrolle Viertens. Die Bemühungen um Verbesserung des und Abrüstung tragen zur Stärkung des Friedens West-Ost-Verhältnisses müssen einhergehen mit der bei und sind integraler Bestandteil unserer Entwicklung einer Zukunftsperspektive für das west- Sicherheitspolitik. liche Bündnis, einer Zukunftsperspektive, die sich nicht allein auf die militärische, sondern auch auf die Meine Damen und Herren, unser rüstungskontroll- ökonomische und die politische Dimension politisches Konzept ist umfassend. Es sieht die Besei- erstreckt. tigung der konventionellen Ungleichgewichte auf der Grundlage der Brüsseler Erklärung vom 12. Dezem- Fünftens. Die deutsch-französische Partnerschaft ber 1986 vor. Es fordert nach dem erfolgreichen und die Europäische Gemeinschaft müssen ausge- Abschluß der Stockholmer Konferenz weitere Maß- baut werden. nahmen zur Vertrauensbildung. Die Beseitigung der (Frau Nickels [GRÜNE]: Wohin? In welche Mittelstreckenflugkörper folgt der im NATO-Doppel- Richtung?) beschluß angelegten Politik des Bündnisses. Bei den strategischen Waffen unterstützen wir die Bemühun- — Hören Sie doch zu; ich werde Ihnen das alles noch gen der USA um drastische Reduzierung dieser erläutern. — Es geht also darum, neue Perspektiven Systeme. An den Verhandlungen über ein weltweites für das transatlantische Bündnis und für die europäi- Verbot der chemischen Waffen wirken wir seit vielen sche Einigung zu schaffen, sicherheitsbildende Abrü- Jahren durch deutsche Initiativen mit. stung zu verwirklichen und gleichzeitig die mit der Schlußakte von Helsinki eröffneten Möglichkeiten zu Sicherheitsbildende Abrüstung und Rüstungskon- nutzen. trolle müssen das gesamte militärische Kräfteverhält- nis mit seinen nuklearen, konventionellen und chemi- Die Aussichten auf den baldigen Abschluß eines schen Mitteln umfassen. Sie müssen Stabilität erhö- Abkommens über die Beseitigung der amerikani- hen und Vertrauen fördern. Sie müssen aus mehreren schen und sowjetischen Mittelstreckenraketen mit verschiedenen Schritten bestehen, von denen jeder einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern stellen für sich stabilisierend wirkt und nachprüfbar ist und einen Erfolg der beharrlichen, langfristig angelegten das gleiche Recht auf Sicherheit für alle Beteiligten und richtigen Sicherheitskonzeption des Westens dar. gewährleistet. Sie umfaßt die notwendigen Verteidigungsanstren- Diese umfassende Zielsetzung erklärt, wie notwen- gungen und das Bemühen um Abrüstung und dig es ist, jeden Schritt gewissenhaft zu bedenken, Rüstungskontrolle als unverzichtbare integrale eigene Vorstellungen zu entwickeln, aber auch jeden Bestandteile unserer Sicherheitspolitik. Unter den Vorschlag der anderen Seite sorgfältig und ernsthaft Bedingungen des nuklearen Zeitalters kann verant- zu prüfen. wortliche Sicherheitspolitik keinen anderen Zweck haben, als Kriege zu verhindern. Die militärische Aus- Bundesregierung und Koalition haben sich ihre Ent- tragung eines Konflikts würde selbst für den ver- scheidung nicht leichtgemacht. Leichtfüßigkeit wäre meintlichen Sieger, wenn es ihn dann noch gäbe, den aber auch das am wenigsten geeignete Verfahren, um eigenen Untergang bedeuten. Ein Denken in Kriegs- unserer Verantwortung gerecht zu werden. 952 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Bundesminister Genscher Am Genfer Verhandlungstisch sind Chancen eröff- Der Logik der Konzentration der Mittelstreckenver- net worden, die vielen, vielleicht allen von uns, vor handlungen auf amerikanische und sowjetische Flug- wenigen Jahren noch undenkbar erschienen. Zu die- körper folgend, sind die USA, wir selbst und unsere ser positiven Entwicklung hat die Bundesrepublik anderen Verbündeten der Auffassung, daß die Per- Deutschland entscheidend beigetragen. Die von bei- shing I a der Bundeswehr nicht zum Gegenstand der den Seiten in Aussicht genommene Beseitigung aller laufenden Verhandlungen gemacht werden. amerikanischen und aller sowjetischen landgestütz- (Frau Traupe [SPD]: Und warum?) ten Mittelstreckenflugkörper größerer Reichweite in Europa und ihre Begrenzung auf 100 Gefechtsköpfe Als die Sowjetunion bei den Gesprächen mit Außen- im asiatischen Teil der Sowjetunion bzw. in den USA minister Shultz in Moskau diese Frage nicht aufwarf, sind das Ergebnis der Verwirklichung des NATO- hat sie sicher auch ihre Überlegenheit bei den noch Doppelbeschlusses in seinen beiden Teilen. Daran ist kürzeren Reichweiten im Auge gehabt. nichts zu deuteln, meine Damen und Herren. Realistische und verantwortliche Rüstungskontroll- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) politik muß den Gesamtzusammenhang aller Ele- mente der eigenen Sicherheitspolitik wahren. Dabei Es wäre noch besser, wenn alle sowjetischen und kann und darf es nicht darum gehen, ein Junktim zwi- amerikanischen Mittelstreckenflugkörper größerer schen verschiedenen Rüstungskontrollbereichen her- Reichweite weltweit beseitigt würden. zustellen. Ziel muß es vielmehr sein, erreichbare (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ergebnisse zu ermöglichen und weitere Schritte zeit- lich und inhaltlich so aufeinander abzustimmen, daß Auch im Hinblick auf die damit verbundene Erleich- durch ausgewogene Reduzierungen die Sicherheit terung der Verifikation sollte sich die Sowjetunion aller Beteiligten gestärkt wird. entschließen, diesen zusätzlichen Schritt schon jetzt zu tun. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deshalb, meine Damen und Herren, stellt die Bundes- Der baldige Abschluß eines solchen Abkommens regierung ohne Junktim die Verhandlungen über die wäre ein markantes Zeichen für den Willen zur Abrü- bodengestützten nuklearen Systeme unterhalb von stung. Es würde weitreichende fördernde Auswirkun- 500 km in einen weiteren rüstungskontrollpolitischen gen auf andere Verhandlungsbereiche haben, und Rahmen. So halten wir es für dringlich, daß sich die von einem solchen Abrüstungsabkommen würden beiden Großmächte nach einem umfassenden Mittel- positive Impulse für das West-Ost-Verhältnis in seiner strecken-Abkommen auf die Reduzierung ihrer stra- ganzen Breite ausgehen. tegischen Potentiale um 50 % verständigen. Es entspricht dem Willen zu mehr und nicht zu Die Chancen, die sich im Bereich der nuklearen weniger Sicherheit, wenn wir neue Sicherheitsdefizite Abrüstung eröffnen, erfordern verstärkte Bemühun- durch neue Grauzonen vermeiden und wenn wir auch gen um ein stabiles Kräftegleichgewicht bei den kon- bei den Atomwaffen kürzerer Reichweite zu Reduzie- ventionellen Streitkräften. Die östliche Überlegen- rungen kommen wollen. Die Bundesregierung hält es heit in diesem Bereich muß abgebaut werden. Wir deshalb für unerläßlich, daß auch die amerikanischen wollen durch Verhandlungen auf beiden Seiten einen und sowjetischen bodengestützten nuklearen Flug- Zustand herstellen, bei dem die Streitkräfte allein am körper mit einer Reichweite von weniger als Erfordernis der Verteidigung ausgerichtet sind und 1 000 Kilometer schrittweise rüstungskontrollpolitisch keine Invasionsfähigkeit besitzen. Auf westlicher erfaßt und reduziert werden. Seite ist das schon heute der Fall. Diese Notwendigkeit war bereits Gegenstand der Das Konzept der Bundesregierung zur Herstellung Sitzung der NATO-Außenminister in Brüssel im konventioneller Stabilität ist in die Brüsseler Erklä- Dezember 1986; denn auch in diesem Bereich hat der rung der Allianz vom 12. Dezember 1986 eingegan- Osten ein erdrückendes Übergewicht. Neben den gen. Der Beginn der Verhandlungen über das kon- weiterreichenden SS 12/22 und 23 bedrohen mehrere ventionelle Kräfteverhältnis darf nicht länger durch hundert Kurzstreckenraketen Scud die Bundesrepu- Meinungsverschiedenheiten im westlichen Lager blik Deutschland, damit auch die hier stationierten über prozedurale Fragen hinausgezögert werden. verbündeten Streitkräfte und ihre Familien. Sie bedeuten aber auch eine Gefahr zumindest für unsere (Beifall bei der FDP — Zuruf von der SPD: Verbündeten in Norwegen, Dänemark, Griechenland Sehr wahr!) und der Türkei. Diskussionen über Militärdoktrinen, wie sie der Der erste Schritt zur Reduzierung der bodengestütz- Warschauer Pakt in seiner Erklärung vom 29. Mai ten sowjetischen und amerikanischen Systeme zwi- 1987 vorgeschlagen hat, entsprechen der Forderung schen 100 und 1 000 km wäre eine global geltende nach einer Verständigung über die Verteidigungsphi- Vereinbarung, die landgestützte amerikanische und losophie, wie sie in der Brüsseler Erklärung vom sowjetische Mittelstreckenflugkörper mit einer Reich- 12. Dezember enthalten ist. Dort heißt es: weite von 500 bis 1 000 km beseitigt und verbietet. Die Aufgabe von Streitkräften sollte nur darin Diese weitere amerikanisch-sowjetische Null-Lösung bestehen, Kriege zu verhindern und die Selbst- bedeutet eine einseitige Abrüstung sowjetischer verteidigung sicherzustellen. Sie sollte nicht dazu SS 12/22 und SS 23 mit einem mehrfachen Nachlade- da sein, um Aggressionen zu begehen und als bestand, dem die USA nichts Entsprechendes entge- Mittel der politischen oder militärischen Ein- genzusetzen haben. schüchterung zu dienen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 953

Bundesminister Genscher Die Erörterung dieser Philosophie im Rahmen von Eine solche Entwicklung muß einhergehen mit ent- Verhandlungen über konventionelle Rüstungskon- schlossenen Schritten zur westlichen Einheit. Das trolle muß einhergehen mit der Absicht, den defensi- Atlantische Bündnis ist und bleibt der Garant unserer ven Charakter von Streitkräften auf beiden Seiten Sicherheit und Freiheit. Eine immer engere Gemein- durch Umfang, Struktur und Stationierung zu manife- schaft der europäischen Demokratien fördert die stieren. Lebensfähigkeit, die Überzeugungskraft und die (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten Zukunftsorientierung unseres Bündnisses. Eine bes- der CDU/CSU) sere Nutzung der Westeuropäischen Union ist gebo- ten. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, haben wir mit Interesse die Erklärungen des Warschauer Den Kern europäischer Einheit müssen Frankreich Pakts zur Kenntnis genommen, in denen die Bereit- und Deutschland bilden, nicht um andere auszu- schaft zum Ausdruck kommt, Ungleichgewichte dort, schließen, sondern um einen Kristallisationspunkt für wo sie vorhanden sind, abzubauen. die europäische Einigung zu bilden. Unverändert hohe Priorität hat der baldige (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Abschluß eines Abkommens zur weltweiten Ächtung Der Elysee-Vertrag von 1963 sieht ein deutsch-fran- der chemischen Waffen. Die in den letzten Monaten zösisches Zusammengehen in den Fragen der Sicher- erzielten Fortschritte machen einen baldigen heit, der Verteidigung und der Abrüstung vor. Der Abschluß möglich, wenn alle Beteiligten bereit sind, Weg zur deutsch-französischen Sicherheitsgemein- an der Lösung der noch offenen Fragen der Verifika- schaft ist damit vorgezeichnet. tion konstruktiv mitzuwirken. (Frau Nickels [GRÜNE]: Auch nuklear?) Die Dynamik der gegenwärtigen Abrüstungsver- handlungen reicht über die konkreten Annäherungen Eine noch stärker koordinierte Außenpolitik, in den einzelnen Verhandlungsbereichen hinaus. mutige Schritte zu einer deutsch-französischen Diese Dynamik offenbart neue Denkansätze in der Sicherheitsgemeinschaft, Franzosen und Deutsche als Wahrnehmung der nuklearen Verantwortung der bei- Nukle — — den Großmächte. Sie wollen durch kooperative (Zuruf des Abg. Dr. Mechtersheimer Lösungen die Risiken reduzieren, die sich aus der Exi- [GRÜNE]) stenz der Vernichtungswaffen auf beiden Seiten erge- ben. Der Atomwaffensperrvertrag verpflichtet sie zu — Herr Kollege, haben Sie sich in Ihrem Leben noch einem solchen Verhalten. Wir Deutschen erinnern nicht versprochen? nachdrücklich an diese Verpflichtung zur atomaren (Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Aber das ist Abrüstung; denn wir sind keine Atommacht, und wir kennzeichnend!) wollen es nicht werden. Wenn Sie so unfehlbar sind, können Sie jetzt an meine (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Stelle treten, wenn aber nicht, dann sollten Sie nie- Präsident Reagan hat am 1. Juni 1987 zu Recht manden unterbrechen. Wenn Sie sich meinen Satz zu erklärt, daß wir uns wahrscheinlich an der histori- Ende anhören, dann werden Sie feststellen, daß ein schen Schwelle zu einer Verringerung der Anzahl von Mißverständnis gänzlich ausgeschlossen ist. Atomwaffen befinden, die die Menschheit bedrohen. (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Manchmal ist Im europäischen Interesse liegt es, die Abrüstungsbe- es verräterisch!) mühungen der USA und der Sowjetunion nachdrück- lich zu unterstützen. Nicht nur gemeinsame Verteidi- — — Franzosen und Deutsche als Nukleus einer enge- gungsanstrengungen, auch eine gemeinsame Abrü- ren währungspolitischen Zusammenarbeit, kühne, in stungspolitik verkoppeln Europa und Nordamerika. die Zukunft weisende technologische Projekte bis hin zur friedlichen Erschließung des Weltraums, meine (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten Damen und Herren, das sind keine Zukunftsvisionen, der CDU/CSU) das sind Aufgaben, die wir jetzt in Ang riff nehmen Hier dienen wir unseren Interessen, wenn wir müssen. Rüstungskontrolle und Abrüstung auch für die Atom- waffen kürzerer Reichweite, für die nichtatomaren Europäische Friedenspolitik will die Teilung Euro- Waffen und für die chemischen Waffen verlangen. pas überwinden. Die Schlußakte von Helsinki eröffnet Wenn sich die Möglichkeiten für eine Wende zum Perspektiven für eine europäische Friedensordnung, Besseren im West-Ost-Verhältnis abzeichnen, dann in der Staaten auch unterschiedlicher politischer und muß es zuallererst Sache der Europäer sein, durch sozialer Ordnung im friedlichen Wettbewerb mitein- weitreichende und realistische Zukunftsentwürfe zu ander leben können. Das verlangt intensiven politi- einer konstruktiven Entwicklung beizutragen. schen Dialog, und es verlangt breiteste West-Ost- Zusammenarbeit in allen Bereichen: Wirtschaft, Wis- senschaft, Technologie und Kultur. Vizepräsident Stücklen: Herr Bundesminister, Neue Formen der Zusammenarbeit sollten möglich gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- sein. Zusammenarbeit nützt allen Beteiligten, und sie neten Bahr? schafft Vertrauen. Die Chancen einer Politik der Öff- nung der Sowjetunion nach innen und außen muß von uns gesehen und genutzt werden für mehr Stabilität Genscher, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Bahr, wir sind zeitlich beschränkt. Ich würde und Zusammenarbeit in Europa. gern so zu Ende sprechen. (Beifall des Abg. Schily [GRÜNE]) 954 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Bundesminister Genscher — Schönen Dank, Herr Schily. Meine Damen und Herren, Freiheit gibt es nur dort, (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU) wo auch noch Leben ist. (Anhaltender Beifall bei der FDP und der Meine Damen und Herren, auch die inneren Entwick- CDU/CSU) lungen in den beteiligten Staaten haben Bedeutung für Sicherheit und Stabilität. Europäische Friedenspolitik liegt im nationalen Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat Frau Abge- Interesse der Deutschen. Die Grenze durch Europa ist ordnete Beer. eine Grenze mitten durch Deutschland, durch kein Land sonst. Schritte, die zur Verbesserung der Lage in Frau Beer (GRÜNE): Verehrte Kolleginnen und Kol- Europa führen, gerade auch bei der Abrüstung, nüt- legen! Herr Präsident! Liebe Friedensfreunde und zen uns Deutschen in besonderem Maße, und das in -freundinnen! Die heute vom Bundeskanzler verle- West und Ost. Friedenspolitik ist für die Bundesrepu- sene Regierungserklärung hat erneut deutlich blik Deutschland nationale und europäische Verant- gemacht, daß diese Bundesregierung bemüht ist, jeg- wortung, und sie ist Verfassungspflicht. Die Präambel liche tatsächliche Abrüstung zu vereiteln. des Grundgesetzes fordert uns auf, als gleichberech- tigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden (Zuruf von der CDU/CSU: Wieso?) der Welt zu dienen und die Einheit der Nation zu wah- Bevor ich auf diese Erklärung zu sprechen komme, ren. erlauben Sie mir vorweg zwei grundsätzliche Anmer- Das bedeutet auch in der Sicherheitspolitik, alle kungen. Deutschen und alle Europäer und ihr Recht auf Leben Punkt 1: Es müssen in die Diskussion um die Null zu sehen. Nicht Verweigerung, sondern Zusammen- Lösung auch die Sachverhalte eingebracht werden, arbeit und Abrüstung dienen der ganzen Nation und die beim vordergründigen Streit in der NATO um die dem ganzen Europa in West und Ost. Nur die Einbet- Null-Lösung ausgeklammert sind und auch im Bun- tung deutscher Interessen in die europäische Politik destag bisher kaum zur Sprache kamen. So bleiben hat eine politische Zukunftsperspektive. Deutsche bei der öffentlichen Diskussion über die Mittelstrek- Außenpolitik kann deshalb immer nur europäische kenwaffen größerer Reichweite die britischen und Friedenspolitik sein. die französischen Systeme in der Regel unberücksich- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) tigt, obwohl diese in wenigen Jahren mit über 1 400 Atomsprengköpfen bewaffnet sein werden. Des wei- Meine Damen und Herren, keine Generation vor- teren bleiben die dem NATO-Oberkommando Europa uns hat eine Verantwortung getragen, die mit der für eurostrategische Zwecke unterstellten und auf U- unseren vergleichbar wäre. Die technologische Ent- Booten stationierten zirka 480 Atomsprengköpfe von wicklung hat es uns in die Hand gegeben, unsere Welt der Null-Lösung ausgespart. humaner und besser zu gestalten. Wir können aber Alles in allem sind es nicht weniger als zirka 2 000 auch alles verspielen; alles, das heißt die natürlichen Atomsprengköpfe, die von Westeuropa aus auf die Lebensgrundlagen nicht nur für unsere Generation, Sowjetunion zielen, aber nichtsdestotrotz von der sondern für immer. Das gilt noch mehr für unsere Frie- sogenannten Null-Lösung nicht berührt werden. Auf denspolitik. Auch sie trifft Vorsorge für künftige der anderen Seite wird von Moskau verlangt, seine Generationen. laut NATO maximal 810 SS-20-Sprengköpfe, die auf Angesichts der nuklearen Vernichtungskapazitäten Westeuropa gerichtet sind, ersatzlos zu vernichten. sind wir bei allen Gegensätzen in den Systemen zu Doch damit nicht genug! Für den Fall, daß es zu einer Überlebensgemeinschaft der Menschheit einem Abkommen über die Null-Lösung kommt, hat geworden. Wenn wir im nuklearen Zeitalter den Frie- sich die NATO bereits auf eine Reihe von sogenann- den verspielen, wird es keine neue Chance des Wie- ten Kompensationsmaßnahmen, d. h. neuen Aufrü- deraufbaus geben. In dieser Perspektive der stungsmaßnahmen, festgelegt. So hat man sich darauf Zukunftsbewältigung erhält unsere Freiheits- und verständigt, den Verlust von 316 Pershing-II- und Friedensverantwortung eine neue zeitliche Dimen- Cruise-Missile-Sprengköpfen durch die Beschaffung sion. Die Achtung vor der Menschenwürde und vor von weit über 1 000 eurostrategischen Sprengköpfen, der ganzen Schöpfung, und der Wille, mehr und nicht auf Bombern und U-Booten untergebracht, zu kom- weniger Freiheit zu verwirklichen, verpflichten uns, pensieren. Des weiteren haben Frankreich und Groß- künftigen Generationen Lebensfähigkeit und die britannien bereits großzügig angekündigt, sie seien Räume zur freien Gestaltung und Entfaltung offenzu- bereit, diese angeblich entstehende Abschreckungs- halten und ihnen die Freiheit zu belassen, über ihr lücke durch die gemeinsame Produktion eines nuk- eigenes Schicksal selbst zu entscheiden. Sie verpflich- learen Marschflugkörpers zu füllen. Am Ende dieser ten uns zu einer Politik, die der Welt und Nachwelt Null-Lösung werden — wenn denn die Sowjetunion mehr hinterläßt als die Verwaltung der unheilbaren derartige Kompensationen akzeptiert — somit auf Folgen einer verfehlten Politik. westlicher Seite nicht weniger, sondern mehr euro- Das von dem Philosophen Hans Jonas formulierte strategische Waffen als heute stehen. Der große Prinzip Verantwortung für die Zukunftsbewältigung Betrug bei der Diskussion um die Null-Lösung besteht ist der kategorische Imperativ für unsere Politik der darin, so zu tun, als sollte eine ganze Kategorie von Sicherung des Friedens und der Bewahrung der Atomwaffen, nämlich alle europäischen Waffen, Schöpfung. Daran werden wir gemessen werden. Das beseitigt werden. Nach dieser Version gehören erfordert, sich größerer Verantwortung zu stellen und Frankreich, Großbritannien, die europäischen Gewäs- sich neuem Denken zu öffnen. ser und jede Atombombe, wenn sie nur auf Flugzeug- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 955

Frau Beer rädern drei Meter über dem Boden steht, einfach nicht gen, daß Sie bei der bevorstehenden Friedensdemon- mehr zu Europa. stration nicht mit roten Ohren, Wenn wir uns zu alldem die NATO-Pläne für eine (Duve [SPD]: Mit überzeugtem Herzen! weitere gigantische konventionelle Aufrüstung ver- Unsere Ohren sind neutral!) gegenwärtigen, wird deutlich, daß sich die derzeitige sondern mit ganz überzeugtem Herzen mitmarschie- Hoffnung auf reale Abrüstung zwar auf die Verände- ren. rung der Position der Sowjetunion stützen kann, nicht Lassen Sie mich nun auf den jüngsten Beschluß der aber auf eine Veränderung der Grundhaltung in der Bundesregierung eingehen, der ja in den Medien und NATO. Die aktuelle Diskussion über die Null-Lösung auch in den Stellungnahmen aus dem Ausland als kann unsere grundsätzliche Kritik an der strukturellen Durchbruch der Genscher-Linie innerhalb der Bun- Abrüstungsunfähigkeit der NATO weder abschwä- desregierung und als Bereitschaft zur Abrüstung chen noch widerlegen. gefeiert wird. Punkt 2: Das wohlklingende Konzept einer Rüstungskontrolle, das auch über dieser Debatte Frau Abgeordnete, gestat- steht, hatte in der Vergangenheit nichts als kontrol- Vizepräsident Stücklen: ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten lierte Aufrüstung zur Folge. Voigt? (Zustimmung bei Abgeordneten der GRÜ- NEN) Frau Beer (GRÜNE): Nein, tut mir leid; das ist die Unser Bedarf an verlogenen Worthülsen aber ist Aufregung. inzwischen mehr als gedeckt. Zuerst kam der Helmut- Auch das aufgeregte Geschrei des Stahlhelm in Schmidt-Schwindel mit der sogenannten Nachrü- CDU und CSU kann und soll den Eindruck erwecken, stung. Bundesregierung und NATO wollten uns glau- wir hätten es bei der jüngsten Entscheidung der Bun- ben machen, Pershing und Cruise Missiles seien ein desregierung mit einem Schritt in Richtung Abrüstung Gegengewicht zu den sowjetischen SS 20, und darum zu tun. Diese Rechtsaußenriege klammert sich nicht seien sie nötig. Heute ist bekannt, daß die SS 20 nur nur an die Pershing II wie ein kleiner Bub an ein Spiel- ein Vorwand war, um von deutschem Boden aus die zeug, sondern will mit dem aufdringlichen Gezeter Sowjetunion mit Atomraketen bedrohen zu können. insbesondere den Boden für großzügige Nachrüstun- Dann propagierten Bundesregierung und NATO gen im Falle eines Abkommens bereiten. Wir dürfen die Null-Lösung. Als Gorbatschow den Ball aufnahm, uns jetzt nicht erneut etwas vormachen lassen! wurde genau das wieder bekämpft. CDU und Bundes- Auch bei der doppelten Null-Entscheidung der regierung sattelten auf und forderten als neue Bedin- Bundesregierung kommt es nicht auf die Verpackung gung die Einbeziehung der Raketen kürzerer Reich- an, sondern auf das Kleingedruckte. Wenn wir das weite. Prompt bot Gorbatschow die Doppel-Null- Kleingedruckte lesen, können wir nur feststellen: Was Lösung an. Herr Dregger und Herr Strauß, die vorher die Bundesregierung hier vorlegt, ist keine doppelte so vehement die Einbeziehung dieser Raketen gefor- Null-Lösung, sondern null Lösung. Der Kern der dert hatten, intervenierten jetzt ebenso laut gegen Regierungserklärung lautet im Klartext: Rüstet ruhig diese doppelte Null-Lösung und beschworen die alle ab; Hauptsache, ihr rührt jetzt und in Zukunft Abkoppelung der BRD aus der NATO-Verteidigung. unsere 72 Atomraketen der Marke Pershing I a nicht Heute wird eifrig „Null" gesagt und ,,Rüstungskom- an; Hauptsache, wir dürfen diese Raketen kurz vor pensation" gedacht. Auslaufen des Atomwaffensperrvertrages auch noch umrüsten in eine Pershing II mit reduzierter Reich- (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN) weite, der sogenannten Pershing I b. Ich darf bei dieser Gelegenheit einmal fragen: Wis- (Ronneburger [FDP]: Woher wissen Sie das sen Sie denn überhaupt selbst noch, was bei Ihnen eigentlich?) Theater ist und was Ernst? Unser Bedarf ist gedeckt! Wir wollen heute nicht die Worthülsen, sondern die Franz Josef Strauß hat einfach recht, wenn er sagt, Nagelprobe, nicht das Geschwätz, sondern das von einer zweiten Null-Lösung könne keine Rede Signal, auch nicht das Starren auf Genf, sondern den sein. Es ist falsch, ja geradezu eine Lüge, von einer Abrüstungsbeginn, und zwar hier bei uns. zweiten Null-Lösung zu sprechen, weil diese Regie- rung bei den der Bundeswehr unterstellten Raketen (Beifall bei den GRÜNEN) keine Null-Lösung, sondern eine qualitative Aufrü- stung durchsetzen will. Wir fordern Sie mit unserem Antrag insbesondere auf, hier und heute den unseligen, durch einen Der Ablauf der Ereignisse beweist, daß nicht die Schwindel herbeigeführten Stationierungsbeschluß anderen NATO-Partner die BRD zu dieser Haltung von 1983 aufzuheben. gedrängt haben, sondern daß es genau anders herum war: Es waren die Obstruktionspolitik dieser Bundes- (Beifall bei den GRÜNEN) regierung und das ständige Herumnörgeln bei ihren Diese Aufforderung geht auch und ganz besonders an NATO-Verbündeten, das schließlich zur NATO- die Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Sie haben Zustimmung hinsichtlich der Exklusivausklamme- 1983 ohne das derzeitige sowjetische Angebot mit uns rung der Pershing I a geführt hat. gemeinsam gegen die sogenannte NATO-Nachrü- Noch Mitte April dieses Jahres machte der US- stung votiert. Helfen Sie heute mit, diese Entschei- Außenminister Shultz seinen NATO-Partnern in Brüs- dung rückgängig zu machen. Auch uns ist daran gele- sel klar, daß bei einer doppelten Null-Lösung die in 956 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Frau Beer der BRD befindlichen Pershing-I-a-Raketen abzu- auch im Ausland, ob vom Westen oder vom Osten, bauen seien und keine neue Waffen dieser Art auf ge- entschieden zurückgewiesen wird. stellt werden könnten. Nur einen Monat später legt (Beifall bei den GRÜNEN) auch die Sowjetunion in Genf die Forderung auf den Tisch, daß bei den doppelten Null-Lösungen auch die Die Drittwaffenambition der Bundesregierung ist Atomsprengköpfe verschwinden müssen, die die USA nicht nur für sich genommen unakzeptabel, sondern für die Pershing-Raketen der Bundeswehr unter Ver- sie gefährdet, sie torpediert darüber hinaus den schluß halten. gesamten Prozeß der Verhandlungen über eine Null- Lösung. Wie fänden Sie es denn, wenn die Sowjet- Die gewiß nicht GRÜNEN-freundliche „Frankfurter union 72 Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite Allgemeine Zeitung" nannte diese Forderung der der Nationalen Volksarmee der DDR unterstellen und Sowjetunion „nur logisch" und fuhr fort: die Ausklammerung dieser Raketen aus der doppel- Die in Bonn geäußerte Ansicht, die deutschen ten Null-Lösung zur Vorbedingung erheben würde? Pershing-Raketen könnten in Genf keine Rolle Genau diese Politik vollzieht aber die Bundesregie- spielen, weil sie weder den Amerikanern noch rung nicht gegen, sondern mit einem Außenminister den Russen gehörten, hat sich damit als das namens Genscher. erwiesen, was sie von Anfang an war: als halt- Ich fordere Sie deshalb auf, Herr Genscher, sich ent- los. weder eindeutig gegen die Pershing-I-a-Klausel aus- zusprechen oder aber endlich und endgültig die In der Tat! Wenn es die Bundesregierung mit dem Maske des Abrüstungsbefürworters abzulegen; Atomwaffensperrvertrag und der Erklärung, auf Atomwaffen verzichten zu wollen, ernst meint, dann (Zustimmung bei den GRÜNEN) ist es tatsächlich haltlos, die mit amerikanischen denn beides zusammen geht nicht. Sprengköpfen versehenen Raketen der Bundeswehr Ich bitte die Bundesregierung um klare Worte: Will aus der Verantwortung der USA herauszunehmen sie eine Atommacht, d. h. eine Drittwaffenmacht sein, und über diese Waffen als Drittstaatenwaffen, also als ja oder nein? Darauf ist keine Antwort gegeben wor- Atomwaffen der Bundesrepublik, verhandeln zu las- den. Unsere Positionen hierzu sind eindeutig: Wir for- sen. dern die Abschafffung der Pershing I a und sind (Beifall bei den GRÜNEN) gegen eine Modernisierung. Sie ist bereits im Wehr- Wir betrachten es als höchstgradig alarmierend, daß plan 1986 unter dem Posten „nukleare Teilhabe" fest- nicht nur, wie bisher, die rechten Stahlhelmer, son- geschrieben worden. Wir lehnen jede Annäherung an dern auch Herr Kohl und Herr Rühe sowie Herr Gen- einen bundesdeutschen Atomwaffenstatus strikt ab. scher und seine FDP einvernehmlich für die Per- Die schrittweise Umwidmung der der Bundeswehr shing I a den Drittstaatenstatus und damit — wie unterstellten Atomraketen zu Drittstaatenwaffen gesagt — für die BRD faktisch den Status eines Atom- bestätigt die Befürchtung all derer, die hinter den waffenstaates fordern. Mauern der Plutoniumschmieden in Hanau und Karls- ruhe und hinter der quasi-militärischen Geheimhal- Wie darüber in Kreisen der Bundeswehr gedacht tungspolitik der Bundesregierung bezüglich dieser wird, hat gestern eine Meldung des „dpa"-Korrespon- Produktionsstätten strategische statt nur zivile Pro- denten Friedrich Kuhn über die derzeit stattfindende jekte sehen. Die Aufgabe von Wackersdorf, von 29. Kommandeurstagung der Bundeswehr beleuch- Kalkar und ebenso die Schließung der Hanauer Anla- tet. Ich muß sagen, als ich diese Meldung gelesen gen ist für uns eine unverzichtbare Forderung und habe, ist mir fast die Luft weggeblieben. Bitte hören bleibt es auch weiterhin. Sie genau hin, was hohe Militärs laut „dpa" zur Kenntnis brachten — ich zitiere — : (Beifall bei den GRÜNEN) Auch der Vorbehalt der Bundesrepublik — so ein Um so schlimmer die Tatsache, daß eine Handvoll Tagungsteilnehmer — , die 72 Pershing-I-a-Rake- Sozialdemokraten zugunsten dieser Plutonium- ten der Bundeswehr behalten zu wollen, werde schmiede die hessische Koalition platzen ließ! nichts nützen, weil die Amerikaner durch den Die Bundestagsfraktion der GRÜNEN wird das Ple- Besitz der Atomsprengköpfe für diese Raketen num am morgigen Freitag vorzeitig verlassen, um praktisch über ihren Einsatz bestimmen. Die USA zusammen mit den Friedensinitiativen und Organisa- würden sich bei der neuen Lage aber ziemlich tionen vor Ort die Einfahrt zu blockieren. Wir fordern zurückhalten. alle, die Abrüstung wollen, dringend auf: Kommt auch am 13. Juni 1987 nach Bonn! Macht mit bei der Groß- Also: Die Pershing I a sind so lange wertlos, wie die demonstration unter dem Motto „Atomraketen ver- USA über ihren Einsatz bestimmen. Sie sind es beson- schrotten — den ersten Schritt tun wir" ! ders deshalb, weil sich die USA bei der Freigabe der Atombombe — so wörtlich — ziemlich zurückhalten. (Beifall bei den GRÜNEN) Ich muß fragen: Gibt es in der Bundeswehr also Kräfte, die zum atomaren Druckknopf drängen, nicht um im Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ernstfall ein Inferno aufzuhalten, sondern um es im Abgeordnete Horn. Gegenteil zu beschleunigen? Wir fordern die Bevölkerung dazu auf, in jeder Horn (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten erdenklichen Weise deutlich zu machen, daß jede Damen und Herren! Der Bundespräsident sagte auf Annäherung an einen Atomwaffenstatus der BRD der gestrigen Kommandeurstagung: „Nicht die Bun- abgelehnt wird. Wir wünschen, daß dieser Anspruch deswehr ist ein Problem, diskussionswürdig und dis- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 957

Horn kussionsbedürftig ist dagegen die Sicherheitspolitik." tiger Bemühungen ist, sollte auch die Bundesregie- Was er über Militärstrategien und -doktrinen sagte, rung nicht einseitig und als einzige an Raketen fest- war nicht nur an die Adresse der Kommandeure halten, die andere in dieser Kategorie abschaffen. gerichtet. Seine Ausführungen sind Anlaß zum Nach- (Beifall bei der SPD) denken vor allem in der Bundesregierung und auch im Parlament. Je näher die Aussicht auf eine Null-Lösung für Mit- (Beifall bei der SPD) telstreckenraketen rückte, desto intensiver sprach die Bundesregierung — hier insbesondere der Bundesmi- Es ist faszinierend zu sehen, wieviel Flexibilität die nister der Verteidigung — von Gefahren im konven- Sowjetführung im Bereich der Sicherheitspolitik in tionellen und chemischen Bereich. Das Ganze gipfelte kürzester Zeit aufgebracht hat, und zwar im Unter- dann in seiner Wortschöpfung von der Invasionsfä- schied zu Ihnen, Herr Waigel, nicht nur in Worten, higkeit der Streitkräfte des Warschauer Vertrages. sondern auch in der Praxis. Das gilt besonders für Ihre Wenn Begriffe noch irgendeine Aussagekraft haben Bereitschaft zu asymmetrischen Reduktionen. Für den sollen, dann bedeutet die dem Osten unterstellte Mittelstreckenbereich größerer Reichweite bedeutet Fähigkeit zur Invasion des Westens, daß der War- dies — Herr Bundeskanzler, diese Zahlen fehlten bei schauer Pakt nach Abwägung aller Vor- und Nach- Ihren Ausführungen heute morgen — teile eines Angriffs zu dem Ergebnis kommen kann, er könne sich eine Invasion leisten, sie sei — militärisch (Beifall bei der SPD) gesehen — rational, eben weil die Fähigkeit dazu vor- die Verschrottung von 1 335 sowjetischen Atom- handen ist. sprengköpfen gegenüber 216 Atomsprengköpfen der Herr Wörner, ein noch größeres Armutszeugnis USA. können Sie der Bundeswehr und den anderen Streit- (Frau Traupe [SPD]: So ist es!) kräften unseres Bündnisses nicht ausstellen. Warum Dieser weit über die Problematik der Mittelstrek- geben Sie jährlich über 50 Milliarden DM für unsere kenraketen hinausreichende Vorgang muß weiter Streitkräfte aus, und warum geben die anderen ermuntert werden und darf nicht durch heimliche und NATO-Partner viele Milliarden aus, wenn Sie nicht dabei engstirnige Umrüstungsabsichten gefährdet einmal in der Lage sind, der anderen Seite zu signali- werden. Die Spekulation auf die Vergeßlichkeit der sieren, daß eine Invasion ein extrem riskantes Unter- Menschen, die es schon gar nicht merken würden, nehmen wäre, das auch scheitern kann, wenn Sie es wenn die Pershing II durch Wegnahme einer Rake- zulassen, daß der Osten wie in ein Vakuum eindrin- tenstufe zur Pershing I b umgewandelt würden, darf - gen kann? Unter Helmut Schmidt, und keinen Erfolg haben. war dies jedenfalls nicht möglich. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Da wurde die Bundeswehr zu einem Faktor, mit dem Der Spruch des Bundeskanzlers „Frieden schaffen jeder militärische Führer auch des Warschauer Ver- mit immer weniger Waffen" ist richtig, und doch ist er trages rechnen mußte. Und dazu Helmut Schmidt sehr nur die halbe Wahrheit. Meine sehr verehrten Damen klar: und Herren von der Regierungsbank, es geht bei der Abrüstung nicht nur um mehr oder weniger, sondern Die Bundeswehr bildet mit den in der Bundesre- es geht auch um die ständige sogenannte „Verbesse- publik stationierten Truppen der Verbündeten rung" moderner Waffen. Der Rüstungswettlauf das Rückgrat der konventionellen Verteidigung gerade auf atomaren Gebiet ist heute wesentlich ein Europas. Sie ist in einem Stand, daß kein poten- qualitativer Wettlauf. Das wird vom Spruch des Kanz- tieller Gegner uns risikolos angreifen kann. lers nicht berücksichtigt. Die Modernisierung der Per- (Beifall bei der SPD — Frau Fuchs [Verl] shing I a, von der Militärexperten sagen, sie sei doch [SPD]: Jawohl!) längst überfällig, wäre ebenfalls eine Fortsetzung des Wettrüstens. Die SPD lehnt diese Form des Wettrü- Meine Damen und Herren, zur Invasionsfähigkeit stens ab. gehört die Gewißheit zu siegen. Diese Gewißheit (Beifall bei der SPD) konnte die andere Seite in unserer Regierungszeit zu keiner Stunde haben. Hat sich das, seitdem Sie, Herr Wir lehnen auch jede Singularisierung der Bundes- Dr. Wörner, Verteidigungsminister sind, geändert? republik Deutschland ab, die übrigens bisher jede (Zuruf von der SPD: Jawohl!) Bundesregierung tunlichst vermieden hat. Sie will nicht, daß die Pershing II zu einer Pershing I b Oder ist das alles nur wieder leeres Gerede, das gemacht wird, sie will, daß die Pershing II — ebenso demonstriert, wie wenig Sie die Leistungen unserer wie die SS-20 — beseitigt und verschrottet werden. Soldaten ernst nehmen? Wenn die in der Öffentlich- Der einzige Weg, dies auch auf Dauer sicherzustellen, keit von der Bundesregierung vorgetragenen Sorgen ist eine wirkliche beiderseitige doppelte Null- über die Kampfkraft der östlichen Streitkräfte ehrlich Lösung. sind: Warum hat dann die Bundesregierung keinen (Beifall bei der SPD) eigenen Vorschlag im Bündnis und gegenüber dem Warschauer Pakt eingebracht mit dem Ziel, konven- Die Bundesregierung sagt zu Recht, daß die Sicher- tionelle Stabilität in dieser Region zu erreichen? heit unseres Landes Maßstab für die Bewertung von Abrüstungsschritten sein muß. Dem stimme ich voll (Beifall bei der SPD) zu. Da Sicherheit aber heute nicht mehr einseitig Warum gibt es nicht einmal eine Definition der Bun garantiert werden kann, sondern Ergebnis beidersei- desregierung für konventionelle Stabilität? Es ist aus- 958 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Horn gerechnet der Osten, der auch für die konventionelle mit dem atomwaffenfreien Korridor bestellt ist, was Ebene Abrüstungsvorschläge macht und nicht etwa es auf sich hat. Es geht darum, daß durch diesen Kor- wir, die wir ein so vitales Interesse daran haben. Das ridor Atomwaffen aus der Region entfernt werden, in weckt den Verdacht, daß die Bundesregierung zumin- der allein sie militärisch einsetzbar wären. Der Korri- dest über den Weg der Abrüstung konventionelle Sta- dor ist nicht so gut wie eine beiderseitige Null-Lösung bilität gar nicht anstrebt. auch für diese Waffenkategorie. Aber solange es sie nicht gibt, bildet er eine wirksame Ergänzung zur Es ist leicht und sehr billig, an Vorschlägen anderer Null-Lösung bei Mittelstreckenwaffen. herumzukritisieren, wenn man selbst keine macht und keine hat. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Die Bundesregierung hält den Vorschlag der welt- Anstatt dem Warschauer Pakt vorzuwerfen, seine weiten Beseitigung der Mittelstreckenraketen vor Abrüstungserklärungen seien nicht neu oder nicht allem für ein Ergebnis des NATO - Doppelbeschlusses. ausreichend oder nicht gleichgewichtig, sollte doch Ich war auch ein Befürworter dieses Beschlusses. Aber die Bundesregierung endlich eigene Vorschläge auf ich bin durch ihn nicht realitätsblind geworden. Es ist den Tisch legen. Realitätsblindheit, wenn man nicht sieht oder nicht sehen will, daß die innenpolitisch motivierten Wand- (Beifall bei der SPD — Frau Fuchs [Verl] lungen in der sowjetischen Haltung den Ausschlag für [SPD]: Das wird auch einmal Zeit!) die jetzige günstigere Situation gegeben haben, Herr Verteidigungsminister Wörner mußte jedoch am Kollege Ronneburger. Oder wollen Sie etwa behaup- 29. Mai, d. h. vor wenigen Tagen, auf die Frage nach ten, Sie hätten schon zur Zeit des Doppelbeschlusses konkreten Überlegungen zu konventioneller Abrü- im Jahre 1979 gewußt, daß nach Breschnew Andro- stung zugeben: „Nein, konkrete Überlegungen pow, danach Tschernenko und dann Gorbatschow haben wir noch nicht. Das wird in den Spezialgremien kommt, der sich den Umbau seiner Gesellschaft zum besprochen." Na, prost Neujahr! Ziel gesetzt hat und neues Denken auch in der Außen- politik verwirklichen will? Das, was sich auf dem mili- (Beifall bei der SPD — Frau Fuchs [Verl] tärstrategischen Sektor vollzieht, ist nur ein Segment [SPD]: Da sind wir aber gespannt!) aus einem umfassenden Veränderungsprozeß; das Meine Damen und Herren, fehlende konkrete muß gesehen werden. Überlegungen der Bundesregierung, das gilt auch für (Zustimmung bei der SPD) die chemischen Rüstungen und für die taktischen Die Sowjetunion will einen Erfolg ebenso wie die Atomwaffen. Nur mit dem Finger darauf zeigen und amerikanische Regierung; das ist ausschlaggebend. sagen: „Das sind Probleme, die gelöst werden müs- Demgegenüber wirkt der Hinweis auf den Doppelbe- sen, bevor wir den ersten Schritt zur Abrüstung tun", schluß rechthaberisch und kleinkariert. das reicht nicht. Die Bundesregierung hatte durchaus Gelegenheit, die sehr spezifische Bedrohung in der Es ist zu hoffen, daß sich insbesondere die Vereinig- Mitte Europas durch chemische Waffen zu beseitigen. ten Staaten über die Hürden hinwegsetzen, die die Ihr wurde von der DDR und der CSSR der Vorschlag Bundesregierung — wenn auch inzwischen kleinlau- einer chemiewaffenfreien Zone unterbreitet. ter — aufgebaut hat. (Sehr richtig! bei der SPD) (Beifall der Abg. Frau Matthäus-Maier [SPD]) Er wurde arrogant mit dem Hinweis beiseite gewischt, eine globale Vernichtung der chemischen Waffen sei Für die SPD steht fest: Wir wollen die Abschaffung viel besser. Natürlich ist sie besser. Aber solange es sie von Mittelstreckenwaffen der Reichweiten von 500 bis nicht gibt, darf das Ringen um eine weltweite Ächtung 5 000 Kilometer. Wir werden keine Umrüstungen, chemischer Kampfstoffe doch nicht zum Vorwand zur keine Aufrüstungen in anderen Atomwaffenkatego- Tatenlosigkeit dort gemacht werden, wo heute schon rien dulden. die drastische Reduzierung der Risiken chemischer Vielen Dank. Rüstungen möglich ist. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)

Eine chemiewaffenfreie Zone in Europa würde die Vizepräsident Stücklen: Ich erteile das Wort dem chemischen Waffen aus dem einzigen im Ost-West- Herrn Bundesminister der Verteidigung. Verhältnis vorstellbaren Gefechtsfeld entfernen. Sich diesen Gewinn an Sicherheit entgehen zu lassen, ist (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Auch das noch! einfach vernunftwidrig. — Weitere Zurufe von den GRÜNEN und der SPD) (Beifall bei der SPD — Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Ist Dummheit!) Bundesminister der Verteidigung: Herr — Frau Kollegin Fuchs, ich kann nicht widerspre- Dr. Wörner, Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren chen. Kollegen! Unsere wichtigste Aufgabe — und das soll- Auch für die Problematik der Atomwaffen kurzer ten wir nicht aus dem Auge verlieren — bleibt es, die Reichweite und für die atomaren Gefechtsfeldwaffen Sicherheit unseres Landes, die Sicherheit unserer sind der Bundesregierung Lösungen vorgeschlagen Bürger in der Bundesrepublik Deutschland — ich worden, die sie nicht einmal geprüft hat. Sonst hätte sage: die Sicherheit aller Deutschen — , die Sicherheit sie wenigstens noch einmal nachgefragt, wie es denn aller Europäer zu verbessern. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 959

Bundesminister Dr. Wörner Und wir haben ein ganz klares Ziel. Unser Ziel heißt Sowjetunion, obwohl eine globale Null-Lösung verab- ein stabilerer Frieden. Alles, was den Frieden stabiler redet war, plötzlich 100 ihrer SS 20 behalten soll? macht, alles, was ihn sicher macht, ist gut für die Men- Wann endlich kommen Sie auf die Idee, dagegen zu schen unseres Landes, und alles, was ihn schwächt, ist demonstrieren, auch hier in der Bundesrepublik schlecht für die Menschen unseres Landes. Und es Deutschland, daß die Sowjets eben nicht bereit sind, kann doch unter vernünftigen Menschen keinen die Null-Lösung global durchzuführen, wie wir das Zweifel geben: Wenn ich Sicherheit durch Abrüstung wollen, meine Damen und Herren? herstellen kann, dann ziehe ich das der Sicherheit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — durch Aufrüstung vor, auch und gerade als Verteidi- Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Ich stimme gungsminister. Meine Damen und Herren, es mag ja Ihnen zu!) in gewissen Kreisen ein sehr populäres Klischee sein, uns oder den Verteidigungsminister als einen Atom- Statt dessen blockieren Sie die deutschen Per- waffenfanatiker oder Raketenfetischisten darzustel- shing I a. len. Frau Fuchs, wenn ich von Ihnen höre — einmal (Dr. Vogel [SPD]: Dafür sorgen Sie selber!) abgesehen von den Schreckgespenstern, die Sie da Nehmen Sie eines zur Kenntnis: Niemand weiß besser gezeichnet haben; es entspricht Ihrem Stil, Sie mußten als ich, wie schrecklich und verheerend solche Waffen sich schon mehrfach widerrufen —, sind. Und wenn ich ein Ziel habe, dann das: den Ein- (Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Nein, das ist nicht satz dieser Waffen für immer zu verhindern, meine wahr! — Jungmann [SPD]: Wo?) Damen und Herren, allerdings auch der konventionel- daß Sie die Pershing I a als eine Waffe bezeichnen, die len Waffen. zeige, daß wir auf dem Weg zum Atomstaat seien, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — dann kann ich nur sagen: Unter Ihrer Verantwortung, Zurufe von den GRÜNEN) unter der Verantwortung Ihrer Bundeskanzler und Ihrer Verteidigungsminister Wir haben keine Angst vor Abrüstung. Wir haben die Abrüstung eigentlich erst möglich gemacht. (Jungmann [SPD]: Also, Sie verdrehen doch!) (Lachen und Widerspruch bei der SPD und den GRÜNEN — Frau Vennegerts [GRÜNE]: stand die Pershing I a auch da. Sie haben sogar im Werden Sie doch wenigstens jetzt rot!) Bundessicherheitsrat mehrfach darüber diskutiert, ob und wann sie zu modernisieren sei. Dann können Sie — Ja, ich verstehe, lieber Herr Jungmann, die Lage, in doch nicht sagen, wir seien jetzt auf dem Weg zum der Sie sind. Atomstaat. Das waren Sie dann auch, meine Damen (Dr. Vogel [SPD]: Kümmern Sie sich um Ihre und Herren. eigene Lage!) (Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Haben Sie 82 neue Wären wir Ihren Ratschlägen gefolgt, hätten wir den Raketen geplant oder nicht?) Doppelbeschluß nicht vollzogen, hätten wir nicht Wir wollen keine Atommacht werden, und wir sind nachgerüstet, dann gäbe es jetzt kein Angebot zur keine. Null-Lösung, meine Damen und Herren. Ich sage noch einmal: Uns braucht man nicht zur (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Abrüstung zu drängen. Jungmann [SPD]: Herr Wörner, Sie haben (Dr. Vogel [SPD]: Nach den letzten Wochen also schon 1983 gewußt, daß Gorbatschow an anscheinend doch, mein Lieber!) die Macht kommt, ja?) Wir haben 2 400 Nuklearwaffen — mehr als im Wir haben doch lange verhandelt, wir haben an die Augenblick in Verhandlung stehen — einseitig abge- Sowjetunion appelliert — Sie doch auch —, rüstet. (Jungmann [SPD]: Na klar!) (Frau Fuchs [Verl] [SPD] meldet sich zu einer sie solle mit ihrer SS-20-Stationierung aufhören. Zwischenfrage) (Jungmann [SPD]: Richtig!) Sie hat das nicht getan. Ein Angebot zur Null-Lösung Vizepräsident Stücklen: Herr Bundesminister, kam erst auf den Tisch, als wir etwas anzubieten hat- gestatten Sie eine Zwischenfrage? ten. Sie können sich drehen und wenden: Wären wir den Demonstranten, wären wir der SPD gefolgt, dann Bundesminister der Verteidigung: hätten wir heute keine Chance zur Abrüstung. Das ist Dr. Wörner, Nein, ich habe nur wenig Zeit. unsere Chance, meine Damen und Herren. Wir haben kein Feindbild, und wir brauchen kein — (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP Feindbild. Wenn Gorbatschow die sowjetische Dr. Vogel [SPD]: So ein Unsinn!) Außenpolitik wirklich und einschneidend ändern will, Meine Damen und Herren, dann stellt sich der Herr dann kann er nicht nur unserer Sympathie, sondern Mechtersheimer hier hin — auch noch eine andere auch unserer Unterstützung sicher sein. Unsere Politik Kollegin aus dem Deutschen Bundestag — und appel- ist auf Zusammenarbeit, auf Verständigung und auf liert an die Leute draußen, sie sollten jetzt gegen die Dialog gerichtet. Konfrontation betreiben andere. Wir Pershing I a demonstrieren und die Pershing I a blok- haben der Gewalt als Mittel der Politik abgeschworen, kieren. Lieber Herr Mechtersheimer, warum eigent- alle in der Bundesrepublik Deutschland. Wir bedro- lich höre ich von Ihnen keinen Ton dazu, daß die hen niemanden. Wir wollen, daß alle Menschen und 960 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Bundesminister Dr. Wörner alle Völker in Frieden leben und sich an der Freiheit Nach wie vor enthalten die Sowjets den Völkern erfreuen können. Osteuropas und auch dem deutschen Volk das Selbst- (Abg. Dr. Mechtersheimer [GRÜNE] meldet bestimmungsrecht vor. Nach wie vor wird dort die sich zu einer Zwischenfrage) Freiheit von Menschen unterdrückt. Sehen Sie, das ist der Grund, warum wir auf unsere Verteidigung und auf unsere Strategie der Kriegsverhinderung nicht Vizepräsident Stücklen: Herr Bundesminister, geht verzichten können. Der Kollege Genscher hat das es? gesagt: Diese Strategie ist defensiv, sie ist rein auf Verteidigung abgestellt, es gibt zu ihr keine Alterna- Dr. Wörner, Bundesminister der Verteidigung: tive. Das haben alle Verbündeten einvernehmlich Nein, ich hatte bereits gesagt, daß es die Zeit nicht dargestellt. Daher ist es unser Interesse, das Interesse erlaubt. der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und der Sicherheit Europas, daß wir diese Strategie der Vizepräsident Stücklen: Das gilt generell. Kriegsverhinderung wirksam halten. Ich sage das an die Adresse derer, die das in letzter Zeit bezweifeln, auch an die Adresse von Willy Brandt: Nicht die Dr. Wörner, Bundesminister der Verteidigung: Abschreckungsdoktrin ist ins Abseits geraten, ins Wenn Gorbatschow den Weg zu einer friedlicheren Abseits geraten ist eine Politik, die Wunsch und Wirk- und freiheitlicheren Welt gehen will, wenn er dem lichkeit verwechselt. sowjetischen Expansionismus abschwört, wenn er die Sowjetunion öffnen will, dann findet er in uns Partner, (Zurufe von der SPD) die zur Zusammenarbeit auf allen Gebieten bereit Meine Damen und Herren, wir waren nie in der sind und ihm diesen Weg erleichtern. Nur, wir können Versuchung, Atomwaffen zu bagatellisieren, aber ein an gewissen Fakten nicht vorübergehen, auch wenn anderes ist eben auch wahr: Spätestens seit es diese einige darüber nicht mehr reden. Waffen gibt, hat jeder Krieg seinen Sinn verloren. War Nach wie vor rüstet die Sowjetunion auf, auch und früher Strategie die Kunst der Kriegsführung, so ist gerade unter Gorbatschow. Bis jetzt hat sie keine heute Strategie die Kunst der Kriegsverhinderung. Waffe abgeräumt; wir haben das getan. Sie hat weit mehr Waffen, als sie braucht; wir haben das Minimum (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) dessen, was wir brauchen. Nuklearwaffen sind nicht Waffen der Kriegsführung, (Oh-Rufe bei den GRÜNEN — Kleinert [Mar- Nuklearwaffen sind Waffen der Kriegsverhinderung. burg] [GRÜNE]: Sie Ärmster!) Dieser Tatsache ist es — ich glaube sogar ganz ent- Die historische und fortdauernde Ursache der scheidend — mit zu danken, daß unser Land, daß die- regionalen Nuklearbewaffnung der NATO in Europa ses Europa vierzig Jahre vom Krieg verschont blieb, — das darf man eben nicht leugnen und nicht wegre- während rings um uns 140 Kriege geführt wurden. den — ist die konventionelle Überlegenheit des War- Auch das muß man in diesen Tagen in Erinnerung schauer Paktes. Warum sagen Sie dazu nichts? Die rufen, auch wenn es viele nicht mehr hören wollen: Sowjetunion verfügt im Bereich konventioneller Waf- Die Geschichte der Staaten ist leider Gottes zu einem fen über ein erdrückendes Übergewicht. Allein in Mit- guten Teil Kriegsgeschichte. Kriege brachen aus und teleuropa bis zum heutigen Tag hat der Warschauer wurden mit oft gewaltigen Verheerungen im klassi- Pakt einen Überhang von 16 000 Panzern, von 29 000 schen Zeitalter der konventionellen Waffen geführt, gepanzerten Kampffahrzeugen, von 15 000 Geschüt- und dieses Zeitalter ging spätestens 1945 zu Ende. zen, von 1 500 Flugzeugen und 870 Kampfhubschrau- Was heißt das? Konventionelle Kräfteverhältnisse bern. Der Bundeskanzler hat das Weißbuch der SPD- allein haben Kriege nicht zu verhindern vermocht. Es Regierung zitiert. ist eine schreckliche Wirklichkeit, unter der wir alle (Dr. Vogel [SPD]: Weil Sie kein gescheites leiden. Alle Kriege wurden bei unterschiedlichen haben!) Kräfteverhältnissen zwischen konventionell bewaff- Da kann ich nur sagen: Es ist an der Zeit, daß wir neten Armeen und Flotten geführt. endlich dafür sorgen und daß Sie darauf drängen, daß Jetzt ist doch unser aller Aufgabe, eine Sicherheits- die Sowjetunion von diesem Übergewicht herunter- struktur in Europa aufzubauen, in der Kriege nicht geht und sich genau wie wir auf Verteidigung mehr geführt werden können, und zwar weder nu- beschränkt kleare noch konventionelle. (Dr. Vogel [SPD]: Dazu brauchen wir Ihre (Vosen [SPD]: Können Sie nicht friedlich Aufforderung nicht! Das machen wir ganz zusammenarbeiten?) allein, mein Herr!) und ihre Militärdoktrin wie wir ausschließlich defen- Deshalb würde eine Rüstungskontrollpolitik, die nur siv anlegt. Dann, und erst dann wäre Europa sicherer, auf eine völlige Beseitigung der Kernwaffen abzielte, meine Damen und Herren. nicht mehr Sicherheit, sondern weniger Sicherheit bewirken. Sie würde Kriege wieder führbar machen, (Jungmann [SPD]: Sie haben überhaupt und damit würde Krieg in Europa mit modernen kon- nicht zur Kenntnis genommen, was in den ventionellen Waffen als Mittel einer expansiven Poli- letzten Wochen abgelaufen ist! Sie waren in tik wieder vorstellbar. Das ist der Grundgedanke, Brüssel und haben aufgerüstet!) meine Damen und Herren, den man gerade in einer Im übrigen, wir dürfen nicht daran vorbei: Nach wie solchen Situation und in einer solchen Debatte vor- vor führen die Sowjets einen Krieg in Afghanistan. tragen muß. Der Grundgedanke unserer Abrüstungs- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 961

Bundesminister Dr. Wörner politik, unserer Sicherheitspolitik ist, Waffen auf allen Dreißig Jahre und länger — und da sollten auch Sie Ebenen zu reduzieren, auf das Minimum herunterzu- von der Opposition zustimmen — haben deutsche fahren, das wir brauchen, um den Frieden dauerhaft Regierungen, und zwar unabhängig davon, ob sie von zu sichern, um jedem zu zeigen, es macht keinen Sinn, der CDU oder der SPD geführt wurden, dafür einen Angriff zu planen, weder einen nuklearen noch gekämpft, daß niemand glauben könne, Kriege in einen konventionellen. Europa könnten geführt und auf Europa begrenzt werden. Und dabei muß es bleiben, meine Damen und Alle diejenigen, die uns dazu drängen, auf nukleare Herren. Abschreckung zu verzichten und uns von der Abschir- mung durch Kernwaffen in Europa zu entblößen, ver- Das aber ist nur so lange ausgeschlossen, wie ein kennen die Realitäten der Geographie, der Militär- potentieller Angreifer nicht davon ausgehen kann, macht, der Politik und damit des Friedens wie des daß sein Territorium verschont bleiben, also zum Krieges. Sie überschätzen die Wirkung der Worte und Sanktuarium werden könne. Es ist unser ureigenstes Friedensideale, und sie mißachten die historische Interesse — auch Ihr Interesse müßte das sein — , daß Erfahrung. Darum kann eine wirklichkeitsnahe und nicht nur Raketen oder Waffen übrigbleiben, die zukunftsträchtige Friedenspolitik auch auf bewaff- Deutsche und nur Deutsche treffen würden. nete Friedenssicherung nicht verzichten. Sie bedarf Deswegen darf die nukleare Bewaffnung der in unserer Lage noch immer ausreichender, auch nu- NATO in Europa nicht auf Gefechtsfeldwaffen klearer Abschreckungsmittel, die das Gebiet eines beschränkt werden. Schließlich ist es unser Interesse, Angreifers erreichen könnten, um sein Erfolgsrisiko- den Anreiz für die Sowjets zu erhalten, ihre konven- kalkül in der Krise zuverlässig gegen den Entschluß tionelle Überlegenheit und ihre Überlegenheit im zum Kriege beeinflussen zu können. Bereich der kürzeren Nuklearwaffen von 0 bis 500 km Wir müssen unseren Mitbürgern sagen — dazu muß Reichweite abzubauen. Wie anders wollten wir nach man den Mut aufbringen, auch heute noch —, daß der den Erfahrungen, die wir gesammelt haben, mit Aus- Friede nicht allein mit gutem Willen zu sichern ist, sicht auf Erfolg verhandeln, wenn wir nichts mehr anzubieten hätten, meine Damen und Herren? (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Nein, aber ohne Waffen!) (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Welche Erfahrungen meinen nicht allein mit der Bereitschaft zur Zusammenarbeit Sie?) — die haben wir —, nicht allein mit der Bereitschaft zur Abrüstung — die haben wir — , sondern daß dazu Daher hat es keineswegs nur formale Gründe, wenn auch eine sichere Verteidigung gehört. die deutsche Pershing I a aus den Verhandlungen der beiden Supermächte ausgeklammert bleiben soll. Das Wenn die sowjetische und allgemein die östliche ist eine amerikanische Verhandlungsposition, die Überlegenheit an konventionellen Streitkräften ein- vom Bündnis getragen wird. mal zusammen mit den chemischen Kampfmitteln zuverlässig beseitigt wären, könnten wir die Zahl der Ich sage wieder an die Adresse der GRÜNEN, die noch verbleibenden Kernwaffen in Europa auf beiden mit solcher Leidenschaft gegen diese Position des Seiten weiter verringern, allerdings auf gemeinsame Bündnisses antreten: Im Bereich unter 500 km — und niedrigste Obergrenzen. Eine atomwaffenfreie Welt, das sage ich insbesondere der Dame von den Grünen, fürchte ich, ist Illusion, eine gefährliche dazu. Das hat die gerade gesprochen hat — hat die Sowjetunion Kissinger, das hat die britische Premierministerin zu 1 365 Raketen, im Bereich zwischen 150 und 500 km recht immer wieder gesagt. hat sie 650 Raketen, denen der Westen nicht eine ein- zige gegenüberzustellen hat. Warum erregen Sie sich Ein atomwaffenfreier Korridor — und das sage ich eigentlich nicht über diese Raketen, die unser Land an die Adresse der Opposition — oder ein chemiewaf- bedrohen, und wollen nur auf die deutsche Per- fenfreier Korridor würde nicht unsere Sicherheit ver- shing I a hinaus? bessern, sondern würde unsere Sicherheit verschlech- tern. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Vogel [SPD]: Das sagt ihr so lange, bis Das zeigt doch wirklich, daß es Ihnen nicht um die ihr dann auch wieder einschränkt! Das dau- Sicherheit unserer Bürger, sondern um Illusionen und ert zwei, drei Jahre, dann seid ihr auch wie- Ideologie geht, meine Damen und Herren. der so weit! — Weiterer Zuruf von der SPD: (Dr. Vogel [SPD]: Der Kanzler hat doch Mal die Referenten wechseln! — Dr. Vogel gesagt, wir sollten uns nichts unterstellen! — [SPD]: Das habt ihr doch mit der kürzeren Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Sprechen Sie doch Reichweite auch gesagt!) mal mit Herrn Mischnick! — Dr. Vogel Alles also kommt darauf an, Sicherheitsstrukturen zu [SPD]: Mischnick, scheinbar auch einer von bauen, die die Zahl der Nuklearwaffen auf ein beider- denen!) seitiges Minimum beschränken und deren Einsatz Hören Sie doch endlich auf, blind zu sein gegenüber dauerhaft ausschließen. den eigentlichen Bedrohungen, denen unser Land Daher ist die Frage nicht die nach dem Ob der Abrü- ausgesetzt ist. Und die kommen nicht vom Westen, stung. Diese Frage ist eindeutig beantwortet. Wir alle sondern die kommen immer noch von der Sowjet- wollen beiderseitige kontrollierte Abrüstung. Die union. Frage ist: Wie muß abgerüstet werden, damit unser (Beifall bei der CDU/CSU) Land sicher bleibt und unsere Bürger davon ausgehen Eine letzte Bemerkung: Abrüstung und Rüstung können, daß ein Krieg nie wieder ausbricht? können das Problem unserer Sicherheit nicht allein 962 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Bundesminister Dr. Wörner und auch nicht grundsätzlich lösen. Reduzieren wir Damit hat er das zum Ausdruck gebracht, was Leitli- also das Ost - West - Verhältnis nicht auf Fragen der nie unserer Politik ist und bleibt: eine gesicherte Ver- Waffen und der Soldaten. Waffen und Soldaten sind teidigung, auf deren Grundlage wir die Hand zur Ver- nicht die Ursache, sie sind viel eher die Folge von söhnung, zum Ausgleich und zur Verständigung aus- Spannungen. strecken, auf der Basis von Menschenrechten und mehr Freiheit für alle Menschen. Wir wollen eine Der Kollege Waigel hat zu Recht darauf hingewie- Struktur des Friedens, aber eine Struktur des Frie- sen, und ich möchte das zum Schluß dieser Debatte dens, die auch eine Struktur der Freiheit ist. noch einmal tun: Die Spannungen rühren her von der Verletzung der Menschenrechte. Die Spannungen Schönen Dank. rühren her von der widernatürlichen Teilung Europas. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Spannungen rühren her von denen, die Mauern und Stacheldraht bauen, anstatt die Menschen zuein- Vizepräsident Stücklen: Meine Damen und Herren, ander zu führen. weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die Aussprache. Die Spannungen rühren her von der Verweigerung Der Ältestenrat wird nach den drei namentlichen des Selbstbestimmungsrechts. Daher brauchen wir Abstimmungen, die jetzt folgen werden, tagen. ein umfassendes Konzept für die Gestaltung der Ost- Wir kommen zur Abstimmung über die drei vorlie- West-Beziehungen, ein Konzept, das mehr Freiheit, genden Entschließungsanträge. Es ist in allen drei Fäl- mehr Durchlässigkeit, mehr Menschenrecht ermög- len namentliche Abstimmung beantragt worden. Wir licht, das von außenpolitischer Zurückhaltung beider stimmen zuerst über den Entschließungsantrag der Supermächte ausgeht, das die Krisenherde dieser Fraktion der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache Welt einzudämmen und nicht auszubeuten versucht 11/405 ab. Das Verfahren ist bekannt. Ich eröffne die und das friedlicher Konfliktschlichtung den Vorzug Abstimmung. vor militärischer Gewaltanwendung oder der Dro- Wünscht noch ein Mitglied des Hauses die Stimme hung mit militärischer Gewalt gibt. abzugeben? An die Adresse des sowjetischen Generalsekretärs Meine Damen und Herren, letzter Aufruf. — Ich sage ich: Herr Gorbatschow könnte Europa dauerhaft schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszäh- von Spannungen befreien, er könnte seinem eigenen lung zu beginnen.*) Land enorme Entwicklungschancen eröffnen, er Das Wort zur Abgabe einer persönlichen Erklärung könnte in einem freien und selbstbestimmten Europa nach § 31 unserer Geschäftsordnung hat Herr Abge- einen dauerhaften, freundschaftlich verbundenen ordneter Scheu zu dem Abstimmungsvorgang, der und auf Zusammenarbeit ausgerichteten Partner fin- jetzt abgeschlossen worden ist. den, wenn er bereit wäre, Freiheit und Menschen- rechte, Selbstbestimmung und freien Austausch ein- Herr Abgeordneter Scheu, bitte beginnen Sie. zuräumen und möglich zu machen. Dann, meine Damen und Herren, träte die Bedeutung der Waffen- Scheu (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen arsenale zurück. und Herren! Ich habe dem von den Koalitionsfraktio- nen eingebrachten Entschließungsantrag nach gewis- Ich schließe, nachdem Sie, lieber Herr Kollege senhafter Prüfung leider nicht zustimmen können. Horn, den Bundespräsidenten von Weizsäcker mit sei- ner Ansprache auf der Kommandeurstagung der Bun- Erstens. Entgegen einer weit verbreiteten Annahme deswehr zitiert haben, mit einem Zitat aus dieser kommt es bei den weiterreichenden Mittelstrecken- Rede, die ich angehört habe flugkörpern offenbar zu keiner weltweiten „Null"- Lösung. Noch am 15. Mai 1987 hat die Nukleare Pla- (Jungmann [SPD]: Hoffentlich nicht nur nungsgruppe der NATO — einschließlich des ameri- angehört, sondern auch verinnerlicht!) kanischen Verteidigungsministers — gefordert, „alle" Flugkörper dieser Gattung „weltweit" zu verschrot- und der ich zustimme. Da heißt es: ten. Auch die FDP hatte — so Frau Kollegin Eben deshalb dürfen und werden wir gerade Dr. Hamm-Brücher noch am 22. Mai hier im Deut- auch in Zeiten konstruktiver Ost-West-Beziehun- schen Bundestag — die „weltweite Gültigkeit" der gen unsere Verteidigung nicht vernachlässigen. Null-Lösung als „sehr wichtig" bezeichnet. Das sollte Wer sich nicht mehr verteidigen kann, ist nicht der Schlüssel sein, die Tür zu weiteren Schritten zu mehr politikfähig, sondern im besten Falle ein öffnen. einflußloses Leichtgewicht, Zweitens. Nach Berichten vom 2. Juni hat sich US- (Zuruf von der SPD: Sie bauen doch Pappka- Präsident Reagan über diesen Beschluß des Bündnis- meraden auf!) ses jedoch hinweggesetzt und den Sowjets in Genf zugestanden, 100 Flugkörper des Typs SS-20 in Asien wahrscheinlich aber über kurz oder lang ein östlich des Urals zu behalten. Wegen ihrer Reichweite Objekt für politischen Druck. Deshalb gehört zum und Mobilität wird unsere Heimat aber auch durch die disziplinierten Denken und zum verantwortli- in den Osten verlegte SS-20 bedroht. Außerdem, wie chen Handeln in unserer Freiheit sowohl ihr ein- könnten wir die Sowjets hindern, diese Raketen bei deutiger Schutz durch Wehrbereitschaft als auch Gelegenheit wieder nach Westen zu verlegen? eine ebenso unzweideutige Politik der Verständi- gung. *) Ergebnis Seite 976 A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 963

Scheu Drittens. Abgesehen davon, daß ich damit praktisch Meine Damen und Herren, wir kommen zur dritten den NATO-Doppelbeschluß vom Dezember 1979 teil- namentlichen Abstimmung. Wir stimmen nunmehr weise relativiert sehe — Anfang 1979 hatten die über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE Sowjets gerade 100 SS-20 aufgestellt — , war für mich GRÜNEN auf Drucksache 11/412 namentlich ab. ausschlaggebend, daß die auf den Kurs des Außenmi- Ich eröffne die namentliche Abstimmung: nisters eingeschwenkte Regierung (Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!) Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied im Saal, das die Absicht hat, sich an der Abstimmung zu auch darüber hinausgehende atomare Abrüstung beteiligen? — Dies ist nicht der Fall. bejaht, ohne eindeutig und unverzichtbar Vereinba- rungen zu fordern, daß die Sowjetunion vorher ihr Meine Damen und Herren, letzter Aufruf zur Betei- konventionelles Übergewicht abbaut. Die FDP lehnt ligung an der namentlichen Abstimmung. Ist noch ein ein solches Junktim ausdrücklich ab. Der Generalin- Mitglied im Hause, das sich an der Abstimmung betei- spekteur der Bundeswehr hat festgestellt, daß die ligen will? — Dies scheint nicht der Fall zu sein. Ich konventionelle Aufrüstung der Roten Armee auch schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszäh- unter Gorbatschow unverändert weitergeht. Da es lung zu beginnen. zum Marxismus/Leninismus gehören kann, gegebe- nenfalls zu täuschen, müssen wir wenigstens auf einer Wir haben eine ganze Reihe von Tagesordnungs- punkten, die noch zu behandeln sind, und auch noch Vorsorge dieser Art für den Fall bestehen, daß dem einen Geschäftsordnungsantrag, über den zu ent- Westen eine Falle gestellt werden sollte. Ich bejahe scheiden ist. — Vertrauen in — wenn auch veränderliche — Motive. Aber Vertrauen ersetzt nicht Vorsicht angesichts der (Frau Weyel [SPD]: Wir haben es nicht Welt der Fakten; eine ebenso' oft bestätigte wie ver- gehört!) drängte Lehre der Geschichte. Es geht nicht um Frei- heit o der Leben, es geht um erfülltes Leben i n Frei- — Was haben Sie nicht gehört, Frau Kollegin? heit. (Frau Weyel [SPD]: Wir beide haben es nicht Viertens. Hinzu kommt, daß nach wie vor nicht gehört, Herr Präsident!) geklärt scheint, ob und wie lange die 72 deutschen —Ja, will sich denn noch jemand an der Abstimmung Pershing I a nuklear einsatzfähig gehalten werden beteiligen? und daß Forderungen im Raume stehen, in der Bun- desrepublik zum Ausgleich zusätzliche NATO-Flug-- (Frau Weyel [SPD]: Wir beide!) körper kürzerer Reichweite aufzustellen sowie die —Warum tun Sie das nicht, ich habe doch so deutlich Bundeswehr konventionell zu verstärken. Beides gesprochen. wäre für mich im deutschen Interesse nicht annehm- bar. Deutschland darf nicht zu einer — für den Fall des (Frau Weyel [SPD]: Weil wir nicht gehört Falles gedachten — , wie der offizielle Ausdruck heißt, haben, daß Sie die Abstimmung geschlossen „Brandmauer" werden, während sich die anderen aus haben!) der atomaren Bedrohung herauszuziehen suchen. Franz Josef Strauß hat diese Bedenken klar zum Aus- — Über die Deutlichkeit meiner Aussprache hat sich druck gebracht. Sie wiegen für mich so schwer, daß es noch niemand beschwert, die ist aktenkundig. nötig war, durch mein Abstimmungsverhalten ein (Duve [SPD]: Was die Akustik angeht!) Signal zu setzen. — Auch dem Inhalt nach, Herr Abgeordneter Duve, (Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE]) nicht nur nach der Akustik bin ich immer eindeutig. Wenn es denn für die Genfer Mächte in einer für die Bundesrepublik, die hier das unmittelbarste Risiko Es gibt also hier Verstopfungserscheinungen, und trägt, hochwichtigen Frage auf meine Stimme offen- zwar an den Schränkchen, in denen die Karten sind. bar gar nicht ankommt, so sehe ich mich auch nicht Ich nehme an, daß das Haus keine Einwendungen hat, veranlaßt, mich dazu noch so oder so zu äußern. Des- wenn ich aus diesen Gründen von der Dispens halb habe ich mich, sosehr ich die Argumente der Gebrauch mache, die Abstimmung wieder eröffne Führung meiner Fraktion verstehe und achte, ent- und die drei Mitglieder des Hauses bitte, sich jetzt schieden, mich der Stimme zu enthalten. aber an die Urne zu begeben. Wenn sie schon draußen sind, geben Sie die Stimmkarten dort ab. Sie haben Ich danke Ihnen. die Zustimmung des Hauses. Aber damit ist die Abstimmung endgültig geschlossen.' ) Vizepräsident Stücklen: Wir kommen zur nächsten namentlichen Abstimmung, und zwar über den Ent- schließungsantrag der SPD auf Drucksache 11/409. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Meine Damen und Herren, da noch kein Abstim- Meine Damen und Herren, ich frage: Ist noch ein mungsergebnis vorliegt, fahren wir in der Tagesord- Mitglied des Hauses anwesend, das sich an der nung fort, und ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung Abstimmung beteiligen will? — Das scheint nicht der auf: Fall zu sein. Ich schließe die zweite namentliche Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach Abstimmung. Ich bitte, mit der Auszählung zu begin- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des nen.*)

*) Ergebnis Seite 977 C *) Ergebnis Seite 979 A 964 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Vizepräsident Stücklen Gesetzes über die Entschädigung für Strafver- chen, dieses Grundstück auf Pachtbasis zu erwerben. folgungsmaßnahmen Das ist eine der wenigen Möglichkeiten, in diesem — Drucksache 11/281 — Stadtteil Neuhausen überhaupt etwas für München zu schaffen. Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Rechtsausschuß Wenn dieses Grundstück nun wie vorgesehen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO verkauft wird, ist diese Möglichkeit genommen. Es Zunächst darf ich die Damen und Herren, die noch muß in dem Zusammenhang einfach geprüft werden, da sind, bitten, sich bequem niederzulassen, damit ich ob nicht der Bund eine andere stadtteilpolitische ungefähr weiß, wie die Abstimmungsverhältnisse Nutzung zuläßt, zumal es Papiere des Münchener sind, wenn wir jetzt Abstimmungen durchführen. Sozialreferenten gibt, die eindeutig feststellen, daß in München ein weiterer Bedarf an neuen Altenwohn- Eine Aussprache ist zu diesem Tagesordnungs- heimen derzeit nicht besteht. punkt nicht vorgesehen. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf an den Rechtsausschuß und an Aus diesem Grunde hat das Ganze schon eine den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsord- wesentliche Bedeutung für die Entwicklung des Mün- nung zu überweisen. Ist das Haus damit einverstan- chener Stadtteils Neuhausen, und ich bitte darum, daß den? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist das dann eben auch in dem dafür kompetenten Aus- so beschlossen. schuß mit geprüft wird, und das ist der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: Vizepräsident Stücklen: Es liegt also ein Zusatzan- Beratung des Antrags des Bundesministers der trag vor. Dazu der Herr Abgeordnete Bohl, bitte Finanzen Einwilligung in die Veräußerung schön. eines bundeseigenen Grundstücks in Mün-

chen - Neuhausen gemäß § 64 Abs. 2 BHO Bohl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr ver- — Drucksache 11/252 — ehrten Damen und Herren! Das ist ein so wichtiger Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Antrag, daß im Rahmen einer Sitzung der CDU/CSU- Haushaltsausschuß Fraktion darüber beraten werden muß. Ich bitte also Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ältesten- die Sitzung zu unterbrechen, um der Fraktion der rat schlägt Überweisung des Antrages an den Haus- CDU/CSU Gelegenheit zu internen Beratungen zu haltsausschuß vor. Haben Sie noch zusätzliche Wün- geben. sche? (Bohl [CDU/CSU]: Nein! — Weiss [München] Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter Bohl, [GRÜNE]: Doch!) wenn von einer Fraktion die Unterbrechung der Sit- — Bitte schön, Sie können das durch Zuruf deutlich zung gewünscht wird, wird dem im allgemeinen ent- sprochen. machen, und ich lasse dann darüber abstimmen. (Bohl [CDU/CSU]: Ich bitte darum!) (Weiss [München] [GRÜNE]: Nein, wir möchten schon begründen, warum das noch Das heißt, die Abwicklung der Tagesordnung wird in einen anderen Ausschuß gehen soll!) jetzt unterbrochen. Wann werden Sie denn bereit sein, über diese Fragen wieder zu verhandeln? — Sie möchten gern noch das Wort? Bitte schön, selbstverständlich. (Bohl [CDU/CSU]: Dann beantragen wir Bohl (CDU/CSU): Herr Präsident, das steht zunächst in Ihrem Ermessen. Ich würde vorschlagen, Unterbrechung der Sitzung! Das ist nur die daß wir das nach Beendigung der Mittagspause tun; Konsequenz!) dann haben wir Gelegenheit, während der Mittags- —Sicher, diese Konsequenz haben wir als Präzedenz- pause darüber zu beraten. fall schon einmal gehabt. Bitte sehr. Vizepräsident Stücklen: Das ist ein fairer Vorschlag, der auch zeitlich durchführbar ist. Weiss (München) (GRÜNE): Ich möchte kurz Ich unterbreche also die Sitzung auf Wunsch der begründen, warum die Vorlage nach unserer Auffas- Fraktion der CDU/CSU. Die Sitzung wird um 14 Uhr sung auch an den Ausschuß für Raumordnung, Bau- mit der Fragestunde fortgesetzt. wesen und Städtebau überwiesen werden soll. (Dr. Emmerlich [SPD]: Und anschließend die Bei dem Grundstück handelt es sich um das Colum- Aktuelle Stunde? — Frau Schoppe [GRÜNE]: Und wann kommt dieser Punkt?) bia - Hotel in München - Neuhausen. Es gibt in Mün- chen eine parteiübergreifende Initiative, eine Initia- — Automatisch nach der Fragestunde und der Aktu- tive auch im Münchener Stadtrat einschließlich CSU- ellen Stunde. Stadträte, die beabsichtigt, in diesem Columbia-Hotel Die Sitzung ist unterbrochen. u. a. ein stadtteilbezogenes Zentrum — Jugendzen- trum und ähnliches — einzurichten. Es ist vielleicht (Unterbrechung von 13.40 bis 14.00 Uhr) bekannt, daß sich auch die Stadt München um das Grundstück beworben hat, allerdings keinen so Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- hohen Preis geboten hat. Sie würde jetzt auch versu- ren! Ich eröffne die unterbrochene Sitzung. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 965

Vizepräsident Westphal Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr Fragestunde Verheugen. — Drucksache 11/375 — Verheugen (SPD): Herr Staatsminister, meine Frage Ich brauche den Geschäftsbereich des Bundesmini- war, ob es zutrifft, daß die von Herrn Ministerpräsi- sters der Finanzen nicht mehr aufzurufen, weil der dent Strauß ausgesprochenen Glückwünsche nach Fragesteller Sellin seine beiden Fragen 37 und 38 Darstellung von Herrn Bundesminister Schäuble in zurückgezogen hat. Übereinstimmung mit der Politik der Bundesregie- Es ist auch nicht notwendig, den Geschäftsbereich rung stehen. Ich würde Sie bitten, diese Frage zu des Bundesministers der Verteidigung aufzurufen, beantworten. weil die Fragen 2 und 3 des Abgeordneten Ronnebur- ger auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beant- Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, die wortet werden sollen. Die Antworten werden als Anla- Politik der Bundesregierung ist in der Regierungser- gen abgedruckt. klärung dargelegt und sagt, daß alle Kontaktmöglich- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- keiten, auch die, die der bayerische Ministerpräsident kanzlers. Zur Beantwortung der Fragen steht Staats- hat, genutzt werden sollen. Im Rahmen solcher Kon- sekretär Dr. Stavenhagen zur Verfügung. taktmöglichkeiten gibt es unterschiedliche Möglich- keiten, wie man miteinander in Verbindung tritt. Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Verheugen auf : Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr Trifft es zu, daß Bundesminister Dr. Schäuble dem bayeri- Verheugen. schen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Strauß versi- chert hat, dessen Äußerungen in seinem Glückwunschtele- gramm an den südafrikanischen Präsidenten Botha stünden im Verheugen (SPD): Darf ich Sie dann fragen, warum Rahmen der gemeinsamen Politik, wie ebenfalls unter Berufung die Bundesregierung es ihrerseits unterlassen hatte, auf Ministerpräsident Strauß am 18. Mai 1987 von der Deut- dem Präsidenten Botha zu seinem Wahlsieg zu gratu- schen Presse Agentur (dpa) gemeldet wurde? lieren. Bitte schön. Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, es war die Rede von den besonderen Kontaktmöglich- Dr. Stavenhagen, Staatsminister beim Bundeskanz- keiten des bayerischen Ministerpräsidenten, nicht ler: Herr Präsident, wenn der Fragesteller damit ein- von den Kontaktmöglichkeiten der Bundesregierung, verstanden ist, würde ich gerne die Frage 8 und die die diese übrigens zu allen Kräften in Südafrika nutzt, Frage 82 zusammen beantworten, weil sie im Zusam- wie Sie wissen. menhang stehen. Vizepräsident Westphal: Eine weitere Zusatzfrage, Vizepräsident Westphal: Keine Einwendungen? — Herr Verheugen? Dann rufe ich auch noch die Frage 82 des Abgeord- neten Verheugen auf: Verheugen (SPD): Danke schön, es hat keinen Trifft es zu, daß der vom Staatsminister im Auswärtigen Amt, Zweck. Schäfer, kritisierte Glückwunsch des CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Strauß an den südafrikani- schen Präsidenten Botha in voller Übereinstimmung mit der Vizepräsident Westphal: Dann ist der Geschäftsbe- Bundesregierung erfolgt ist, wie am Dienstag, dem 19. Mai 1987, reich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleram- unter Berufung auf den bayerischen Ministerpräsidenten u. a. in tes damit schon beendet. Ich danke dem Staatsmini- der „Süddeutschen Zeitung" und im „Bonner General-Anzei- ster für die Beantwortung der Fragen. ger" berichtet wird? Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesmini- Bitte schön. sters für Wirtschaft. Der Parlamentarische Staatsse- kretär Dr. Riedl steht zur Beantwortung zur Verfü- gung. Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklä- Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Urbaniak rung am 18. März 1987 darauf hingewiesen, daß die auf: Bundesregierung gemeinsam mit ihren europäischen Hat die Bundesregierung die Absicht, das Rabattgesetz zu Partnern und westlichen Verbündeten auch künftig novellieren? dafür eintreten werde, daß in Südafrika Apartheid Bitte schön, Herr Staatssekretär. und Rassendiskriminierung mit friedlichen Mitteln überwunden und die Menschenrechte allen Bürgern Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister dieses Landes in gleicher Weise gewährt werden. In für Wirtschaft: Herr Präsident! Die Bundesregierung diesem Zusammenhang appelliert die Bundesregie- hat in ihrer Antwort auf die Anfrage des Herrn Abge- rung an alle Beteiligten, den friedlichen Weg des Dia- ordneten Marschewski vom 12. Mai 1987 erklärt, daß logs zu gehen. Der Bundeskanzler hat dabei seine sie derzeit nicht die Möglichkeit sieht, ihre Initiative Bereitschaft erklärt, diesen Dialog nach Kräften zu för- von 1984 zu einer substantiellen Auflockerung des dern. Die Bundesregierung wird dazu alle Kontakt- Rabattverbotes wieder aufzunehmen. Ausschlagge- möglichkeiten, insbesondere auch die des bayeri- bend dafür ist der fortdauernde Widerstand vor allem schen Ministerpräsidenten zu Staatspräsident Botha, aus dem Bereich der Handelsverbände, aber auch die nutzen. Das war auch Gegenstand des Telefonge- Unsicherheit darüber, ob der Bundesrat einem derar- sprächs. tigen Gesetzentwurf zustimmen würde. 966 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr zungsproblemen führen. Hinzu kommt der Kontroll- Urbaniak. aufwand, so daß ohnehin nur eine grundsätzliche Auf- lockerung des Rabattverbots in Frage käme. Das ist Urbaniak (SPD): Herr Staatssekretär, sind Sie auch die Nische, in der wir uns bewegen können. meiner Auffassung, daß das Rabattgesetz, das ja 1932 Ich möchte allerdings auch darauf hinweisen — das vom Reichstag erörtert und dann in Kraft gesetzt wor- sagte ich schon bei der ersten Frage; Herr Abgeord- den ist, überhaupt nicht mehr den tatsächlichen wirt- neter, wenn ich das wiederholen darf — , daß es sich schaftlichen Verhältnissen und den Strukturen ent- um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz handelt, d. h. spricht, mit denen wir es heute im Einzelhandelsbe- es muß auch die Mehrheit der Länder im Bundesrat reich zu tun haben? finden. Wir gehen zur Zeit davon aus, daß eine solche Mehrheit im Augenblick nicht zu erzielen ist. Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich stimme im Grundsatz Ihrer Beurteilung des Rabattgesetzes zu. Ich stimme auch Ihrer Intention zu, Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr die aus Ihrer Frage deutlich wird. Urbaniak. Vor allen Dingen sind davon ja bestimmte Initiati- (SPD) : Herr Staatssekretär, können Sie ven im sozialen Bereich betroffen, die wir — ich gehe Urbaniak mir bestätigen, daß es eine Reihe von Initiativen gibt davon aus: miteinander — sicherlich grundsätzlich als — vor allen Dingen im Einzelhandel — , die insbeson- positiv ansehen können. Ich bitte Sie aber auch um dere Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger unterstüt- Verständnis dafür, daß die Bundesregierung ebenfalls zen möchten — was weit über die gegenwärtige beachten muß, welche Widerstände im einzelnen Rechtslage des Rabattgesetzes hinausgeht — , und ist einer Novellierung entgegenstehen und ob eine es nicht sinnvoll, ein derartiges Entgegenkommen Novellierung mehrheitsfähig ist. Ich sagte Ihnen ja, zum Vorteil dieser Personengruppen zu akzeptie- das Rabattgesetz bedarf der Zustimmung des Bundes- ren? rates. Nach unseren Erkenntnissen sind derzeit Mehr- heiten dafür nicht gegeben. Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen das Ich werde aber Ihre Anregung aufgreifen und im bestätigen. Die Bundesregierung hält derartige Bundeswirtschaftsministerium noch einmal prüfen, ob Bemühungen und Initiativen im Grundsatz auch für sich bei den derzeit ablehnenden Stellen und Verbän- eine gute Sache. den eine veränderte Stimmungslage ausmachen Die Bundesregierung kann jedoch — ich bitte Sie läßt. um Verständnis — keinen Einfluß darauf nehmen, Vizepräsident Westphal: Eine zweite Zusatzfrage, wenn die Einräumung von Sonderpreisen — z. B. an bitte. Arbeitslose — unter Berufung auf das geltende Recht — das wäre hier § 1 Abs. 2 des Rabattgesetzes — Urbaniak (SPD): Herr Staatssekretär, ist es nicht so, unterbunden wird. Derartige Vorkommnisse stärken daß der eigentliche Schutzgedanke für diesen großen allerdings Zweifel daran — hier stimme ich in den von Branchenbereich durch die tatsächlichen Marktver- Ihnen aufgestellten Grundsätzen, wie eingangs schon hältnisse, die Sie in Ihre Überlegungen ja auch ein- gesagt, mit Ihnen überein — , ob das Rabattgesetz schließen, aufgehoben worden ist und sich daraus heute noch in allen Punkten sachgerecht ist. Aber Ihre auch eine Argumentationslinie ergibt dahin gehend, Frage und die Antworten der Bundesregierung doku- mehr Wettbewerb auf diesem Felde zu entwickeln, mentieren ja, daß es zumindest Diskussionsbedarf was ja allen Gruppen zum Vorteil gereichen würde? gibt, und vielleicht darf ich auch anregen, daß die Kol- legen, die dem Wirtschaftsausschuß des Parlaments Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Sie wissen, Herr angehören, dieses Thema einmal von sich aus aufgrei- Abgeordneter, genauso wie ich, daß wir in einer frei- fen und diskutieren. heitlichen Wirtschaftsordnung leben und Eingriffe des Staates aus verfassungsrechtlichen Gründen natürlich Vizepräsident Westphal: Letzte Zusatzfrage, Herr nur in begrenztem Maße möglich sind; ich möchte Urbaniak. hier sagen: nahezu ausgeschlossen sind. Urbaniak (SPD): Das ist ja bereits geschehen, Herr Vizepräsident Westphal: Ich rufe die Frage 40 des Staatssekretär. Auch ich gehöre dem Wirtschaftsaus- Abgeordneten Urbaniak auf: schuß an. Ich kann sicherlich davon ausgehen, daß die Ist die Bundesregierung bereit, wenn die Zustimmung des Bundesregierung ihre Sondierung auf diesem Feld Einzelhandels vorliegt, eine Ausnahme des Rabattgesetzes für sehr bald zum Abschluß bringen wird. Werden Sie bestimmte Zielgruppen zuzulassen, z. B. für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger? mich dann frühzeitig unterrichten? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Wir werden das Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Grundsätzlich hält es gerne tun. Sie können ja aus dem Inhalt meiner Ant- die Bundesregierung nicht für sinnvoll, zu einem nur worten schließen, daß ich persönlich sehr viele Sym- hypothetischen Sachverhalt Stellung zu nehmen. Mit pathien für Ihr Anliegen habe. der von Ihnen — ich darf es einmal so sagen — selbst unterstellten Zustimmung des Einzelhandels ist nach Vizepräsident Westphal: Die Fragen 41 und 42 des dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht zu rechnen. Im Herrn Abgeordneten Menzel sollen auf Wunsch des übrigen würde eine Ausnahmeregelung der von Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Ant- Ihnen angesprochenen Art zu erheblichen Abgren- worten werden als Anlagen abgedruckt. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 967

Vizepräsident Westphal Ich rufe Frage 43 des Abgeordneten Grünbeck Anteil gern erhöht sehen würde. Das sind vertragliche auf : Schlüsselvereinbarungen, die in dieser Form zur Zeit In welcher Höhe sind bisher Subventionen für das Airbus nicht geändert werden können. Programm ausgezahlt, zugesagt und in Aussicht gestellt wor- Gestatten Sie mir, das hier einmal so zu sagen: den, aufgeteilt nach verlorenen Zuschüssen, Darlehen und Bürgschaften? Jedes Land sieht natürlich im Airbus einen hohen Grad an industrieller, technischer und arbeitsmarkt- Bitte schön, Herr Staatssekretär. politischer Potenz und strebt natürlich danach, mög- lichst viel an dauerhaften Arbeitsplätzen zu erreichen. Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident! Die Wir sind bei der jetzigen Kapazität von 20 000 Arbeits- Frage 43 möchte ich wie folgt beantworten: Bis Ende plätzen in der Bundesrepublik Deutschland als deut- 1986 wurden Zuschüsse für das Airbus-Programm in schem Airbus-Anteil zufrieden. Höhe von 4,233 Milliarden DM gezahlt. Diese Mittel teilen sich auf in 3,1 Milliarden DM Vizepräsident Westphal: Sie haben eine zweite verkaufsabhängig rückzahlbare Entwicklungszu- Zusatzfrage. Bitte schön. schüsse, 689 Millionen DM in den Jahren 1975 bis 1982 gezahlte verlorene Produktionshilfe, also Aus- Grünbeck (FDP): Herr Staatssekretär, würden Sie gleich von Nachteilen aus dem Dollarkurs, und in ver- mir zustimmen, daß es eigentlich verantwortungslos lorene Zuschüsse für die Absatzfinanzierung in Höhe wäre, die Forschungsmittel für die mittelständische von 444 Millionen DM. Letztere werden im Rahmen Wirtschaft, die eine positive Arbeitsplatzbilanz von einer internationalen Vereinbarung mit den USA zum mehreren 100 000 Arbeitsplätzen hat, auf dem Sockel Ausgleich höherer deutscher Hermes-Gebühren und zu belassen oder gar zu kürzen, während die Großin- des Zinsveränderungsrisikos gewährt. dustrie mit sehr finanzstarken Partnern, wie das bei Ähnlich kompensieren die anderen Airbus-Länder Airbus der Fall ist, in dieser Form begünstigt — das sind Frankreich, Großbritannien und Spanien, würde? wie Sie wissen — Nachteile gegenüber den Finanzie- rungsmöglichkeiten der amerikanischen Eximbank. Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Da kann ich Ihnen Außerdem gewährt der Bund eine Bürgschaft zur überhaupt nicht zustimmen. Ihre Grundposition ist Finanzierung der Serienkosten, die auf 3,1 Milliarden unrichtig. Der Airbus wird, wie ich schon sagte, von DM begrenzt ist. rund 20 000 Menschen gefertigt. Wir geben für die Für die Zukunft bereits in Aussicht gestellt bzw. Airbus-Fertigung Aufträge an fast 130 deutsche mit- zugesagt wurden bedingt rückzahlbare Entwick- - telständische Betriebe. Der Airbus wird mit einem mit- lungszuschüsse in einem Volumen von 599 Millionen telständischen Fertigungsprogramm gebaut. DM, ein Darlehen für die Serienfinanzierung des Pro- Herr Abgeordneter, ich kenne ja Ihre sehr kritische gramms A 320 — über dessen Höhe die Bundesregie- Einstellung zum Airbus. Wir haben uns schon öfter im rung, wie Sie wissen, gestern entschieden hat und das Airbus getroffen. Sie haben sich als Fluggast darin Parlament im Haushaltsvollzug noch entscheiden sehr wohl gefühlt. Ich bin gern bereit, diese Fragen muß; ich habe den Haushaltsausschuß gestern nach- mit Ihnen durchaus in aller Offenheit und aller Breite mittag darüber informiert — in einer Höhe von voraus- zu diskutieren. Ich habe den Eindruck, daß Sie noch sichtlich 670 Millionen DM sowie weitere Mittel für überzeugungsfähig sind. die Absatzfinanzierung, die sich im Finanzplanungs- (Grünbeck [FDP]: Herr Staatssekretär, meine zeitraum bis 1990 auf voraussichtlich 270 Millionen Disziplin vor dem Präsidenten läßt es nicht DM belaufen werden. zu, daß ich das letzte noch einmal korri Nicht enthalten in diesen Ansätzen sind die Hilfen giere!) für das Programm 330/340 und die Abtragung der Alt- lasten, zu denen die .Bundesregierung noch die Vizepräsident Westphal: Sie hatten auch leider Zustimmung des Parlaments einholen wird. keine Zusatzfrage. Ich sage „leider" , obwohl ich „lei- der" nicht sagen darf. Vizepräsident Westphal: Herr Grünbeck, bitte (Zuruf von der SPD: Leider! — Heiterkeit) schön. Herr Müller (Pleisweiler). Grünbeck (FDP): Herr Staatssekretär, stehen die bisherigen Hilfen und die gestern vom Kabinett wie- Müller (Pleisweiler) (SPD): Herr Staatssekretär, derum beschlossenen Hilfen eigentlich in einer ver- würden Sie mir in der Annahme recht geben, daß Sie nünftigen Relation zu den Hilfen, die die französische viele Industrien in Deutschland blühend machen und die englische Regierung beschlossen haben, oder könnten, wenn Sie, wie beim Airbus meines Wissens, sind die deutschen Beihilfen nicht größer, als es der mindestens 10 000 DM im Jahr zuschießen, also z. B. deutschen Beteiligung am Airbus im Verhältnis zur auch die Schuhindustrie im Raum Pirmasens oder die Beteiligung unserer ausländischen Partner ent- Textilindustrie auf der Alb oder wo sonst? spricht? (Duve [SPD]: Sehr richtig)

Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen diese Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Frage mit Ja beantworten. Herr Abgeordneter, Sie ich kann Ihnen in diesem Punkt überhaupt nicht wissen, daß es Verträge für das Airbus-Programm zustimmen. Wenn Sie sich einmal vor Augen halten, gibt. Ich verhehle hier nicht, daß ich — aber das wo der Airbus gebaut wird und wo die Arbeitsplätze machen die anderen Airbus-Länder genauso — ihren sind, werden Sie sehr rasch erkennen, daß die Arbeits- 968 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Parl. Staatssekretär Dr. Riedl plätze in außerordentlich strukturschwachen Gebie- nicht im Saal. Die Frage wird also entsprechend der ten sind, in Gebieten mit relativ hoher Arbeitslosig- Geschäftsordnung behandelt. keit. Ich darf mich an die Kollegen aus dem norddeut- Ich rufe die Frage 45 der Abgeordneten Frau Olms schen Raum wenden. In Niedersachsen, Bremen und auf. — Auch sie ist nicht da. Dann wird diese Frage Hamburg haben wir Fertigungsstätten für den Airbus wie auch die Frage 46 der Abgeordneten Frau Olms in Arbeitsamtsbezirken mit einer Arbeitslosigkeit von nach der Geschäftsordnung behandelt. zum Teil 18 % und 19 %. Gestatten Sie mir zu sagen: Das Airbus-Programm ist in diesen Regionen die beste Wir kommen zur Frage 47 des Abgeordneten Werftenhilfe. Diese Arbeitsplätze sind zum Teil von Schreiner: den Werften weg umgeschichtet worden. Das ist also Was hat die Bundesregierung bislang angesichts der neuesten eine außerordentlich sinnvolle, arbeitsmarktpolitisch Berechnungen des staatlichen Energiekonzerns „Electricité de richtige Initiative. France" (EdF), wonach bereits 1990 in Frankreich eine Überka- pazität von drei bis sieben 1 300-Megawatt-Kernkraftblöcken zu (Müller [Pleisweiler] [SPD]: Nach dem, was erwarten ist, bei der französischen Regierung unternommen, um Sie mir geantwortet haben, habe ich Sie nicht den weiteren Ausbau des grenznahen Atomkraftwerkskomple- gefragt!) xes in Cattenom zu verhindern? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Vizepräsident Westphal: Ich bin vorhin sehr großzü- gig gewesen. Aber das geht leider nicht. Zwischen- Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, nach rufe sind erlaubt. Aber jetzt ist Fragestunde. Dr. Riedl, Auffassung der Bundesregierung muß jedes Land Jetzt hat der Abgeordnete Fischer (Homburg) eine selbst beurteilen, welche Stromerzeugungskapazitä- Frage. Bitte. ten es benötigt. Wegen der langen Vorlaufzeiten von Kraftwerksinvestitionen bedarf es hierfür einer Fischer (Homburg) (SPD): Herr Staatssekretär, kön- Abschätzung der zukünftigen Bedarfsentwicklung in nen Sie bestätigen, was Wissenschaftler und auch den verschiedenen Sektoren, die nur in dem jeweili- Industrie auch immer behaupten, daß wir von den gen Land getroffen werden kann. Daß dies auch in Franzosen sowohl bei Ariane als auch bei Airbus über dem Land zu unterschiedlichen Ergebnissen führen den Tisch gezogen worden sind; daß wir finanziert kann, das Sie angesprochen haben, zeigen die kürzli- und die anderen dann das Detail eingerichtet haben? chen Äußerungen des französischen Industriemini- Sie sagen, daß so viele deutsche kleine und mittlere sters, als er die in der Frage wiedergegebenen Vor- Unternehmen an dem technischen Know-how betei- ausschätzungen unter Hinweis auf die Anstrengun- ligt waren. Ich hätte wirklich gern gewußt, welche gen in der französischen Industrie, andere Energie- deutschen Unternehmen daran beteiligt sind, wie träger in größerem Maße durch Strom zu substitu- viele und mit welchem Volumen. Vielleicht können ieren, ausdrücklich relativierte. Sie uns das mitteilen. Nach alledem kann es nicht Aufgabe der Bundesre- gierung sein, die Kraftwerksausbauplanungen ande- Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, rer Länder zu beeinflussen. Wir würden das ja umge- das teile ich Ihnen sehr gerne mit. Ich kann Ihnen kehrt, Herr Abgeordneter, auch nicht akzeptieren. sowohl die Liste der Fertigungsbetriebe als auch — Die Bundesregierung ist allerdings auch der Auffas- aufgeschlüsselt — die einzelnen Fertigungssanteile sung, daß jedes Land das Risiko ungenutzter Kapazi- konkret mitteilen. Ich werde das Ministerium im täten letztlich selbst tragen muß. Im Rahmen des euro- Anschluß an die Fragestunde auffordern, Ihnen alle päischen Stromverbundes besteht zwischen den diese Auskünfte zu geben. Wir machen das sehr beteiligten Elektrizitätsversorgungsunternehmen gerne, weil Sie daraus ersehen, welche sinnvolle, grundsätzlich die Vereinbarung, daß jeder Partner die arbeitsmarktpolitisch richtige Investition dabei statt- zur Versorgung seines Gebietes erforderliche Energie findet. aus eigenen Kraftwerken bereitstellt. Auch die Ver- Zu dem ersten Teil Ihrer Frage: Ob das, was Wis- bindungen zwischen den verschiedenen Netzen senschaftler und Industrie da behaupten, richtig ist, haben deshalb in erster Linie die Aufgabe, eine mög- vermag ich im Augenblick nicht zu beurteilen. Aus lichst hohe Versorgungszuverlässigkeit für den Fall meiner Sicht — ich bin ja auch Koordinator für die des Ausfalls von Kraftwerken und/oder Leitungen bei Luft- und Raumfahrt — würde ich es natürlich grund- möglichst geringem Aufwand zu erreichen. Dies sätzlich begrüßen, wenn im deutschen Fertigungsan- schließt zwar regelmäßige Lieferungen und Bezüge teil noch mehr technisches Know-how vorhanden über die Grenzen hinweg nicht aus, wie sie seit lan- wäre. Die Produktionsaufteilung beim Airbus ist ja gem, z. B. zwischen deutschen EVUs und EdF, im Anfang der 70er Jahre völkerrechtlich verbindlich Rahmen des jeweiligen Bedarfs praktiziert werden, durch Verträge erfolgt. Ich werde mich in den näch- beschränkt aber auch gleichzeitig die Möglichkeit, sten Jahren darum bemühen — aber da kämpfen die Strom in benachbarte Länder zu exportieren. Die Ent- anderen ja auch — , die hochtechnisierten Fertigungs- scheidung, ob ein Bedarf für zusätzliche Stromimporte anteile, die in deutscher Hand sind, möglichst noch besteht, können nur die Elektrizitätsversorgungsun- auszuweiten. Wenn das gelänge, wäre das schön. Ich ternehmen treffen. würde mich freuen, wenn Sie mir alles Gute dazu Im übrigen hat sich die Bundesregierung seit wünschen würden. Bekanntwerden der Kernkraftwerkspläne für den Standort Cattenom in enger Abstimmung mit den Vizepräsident Westphal: Wir kommen zur Frage 44 betroffenen Landesregierungen in intensiven Gesprä- des Abgeordneten Gansel. — Der Abgeordnete ist chen mit der französischen Seite mit Erfolg darum Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 969

Parl. Staatssekretär Dr. Riedl bemüht, der deutschen Bevölkerung im grenznahen in ihre Länder importieren können, um dies zu verhin- Raum einen Schutz zu gewähren, der dem Schutz in dern? der Umgebung inländischer kerntechnischer Anlagen vergleichbar ist. Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Abschließend darf ich mir erlauben, auf die wieder- ich bitte um Verständnis — ich bin erst einige wenige holten Antworten der Bundesregierung in diesem Wochen im Amt — , daß ich nicht jede Initiative der Zusammenhang im 10. Deutschen Bundestag zu ver- sehr aktiven Ministerpräsidenten von Baden-Würt- weisen. temberg und Bayern gleich unmittelbar wieder abfrage. Ich bin auch nicht sicher, ob sie mir immer Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Schrei- alle Auskünfte geben, wenn ich als — im Vergleich ner. zum Ministerpräsidenten — kleiner Parlamentari- scher Staatssekretär dort anrufe. Schreiner (SPD): Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer (Duve [SPD]: Hört! Hört! Bundesrecht bricht Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung darauf Landesrecht!) verzichtet, auf die französische Regierung mit dem Ziel einzuwirken, daß zumindest die Dimensionie- Ich werde aber den Versuch einmal machen. Viel- rung in Cattenom, angelegt auf vier Blöcke à 1 300 leicht kommt dabei etwas heraus. Dann gebe ich Megawatt, heruntergefahren wird? Ihnen Bescheid.

Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das können Sie nicht Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- annehmen. Es gibt, wenn Sie als Abgeordneter dieses neten Dr. Lippelt. Gebietes ein solches Anliegen vortragen, ein beacht- liches öffentliches Interesse und ein Interesse der dort Dr. Lippelt (Hannover) (GRÜNE): Herr Staatssekre- wohnenden Menschen. Wir werden auch dies mit der tär, würden Sie zugeben, daß ansatzweise ähnliche französischen Seite besprechen. Probleme von Stromhalden längst auch bei uns beste- hen, beispielsweise nach Inbetriebnahme des AKW Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Herr Grohnde, und daß ähnliches bei der Inbetriebnahme Schreiner. des AKW Lingen II zu erwarten ist? (SPD): Was gedenkt denn die Bundesre- Schreiner Parl. Staatssekretär: Ich lese das zwar gierung für den Fall zu tun, daß das Problem der fran- Dr. Riedl, immer wieder, ich kann es Ihnen aber nicht bestäti- zösischen Überkapazitäten im Bereich der nuklearen gen. Ich nehme eine solche Frage, auch wenn ich Stromproduktion dadurch gelöst werden soll, daß sich Ihnen im Augenblick dazu konkret nicht ja sagen die Betreibergesellschaft verstärkt darum bemüht, in kann, außerordentlich ernst. Ich werde mich darum der Bundesrepublik Deutschland Aufkäufer über den kümmern und auch Ihnen Bescheid geben. bisherigen Vertragsbestand hinaus zu finden? (Zuruf von der SPD: Das wird langsam Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Zeit!) ich kann Ihnen hierzu noch kein abschließendes Urteil geben. Ich werde mich um diese Frage kümmern und Vizepräsident Westphal: Noch eine weitere Zusatz- nach Abschluß entsprechender Gespräche Ihnen frage des Abgeordneten Weiss. gerne Bescheid geben. Weiss (München) (GRÜNE): Herr Staatssekretär, Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- halten Sie es denn für sinnvoll, daß man den Strom- neten Müller (Wadern). absatz und damit die Verwendbarkeit des Stroms erst dadurch erzeugt, daß man andere Energieträger ver- Müller (Wadern) (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, drängt? Ist das die Politik, die auch Sie für die Bun- können die eventuell befürchteten zusätzlichen desrepublik führen wollen? Stromimporte aus überschüssiger Kapazität nach Auf- fassung der Bundesregierung die Erfüllung des zwi- schen Elektrizitätswirtschaft und Kohlebergbau Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Da wir eine solche geschlossenen Jahrhundertvertrages gefährden? Politik nicht machen, halte ich das, was Sie uns unter- stellen, auch nicht für sinnvoll. Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das ist nicht das Ziel (Weiss [München] [GRÜNE]: Ich habe Sie in der Bundesregierung. Ich möchte deshalb Ihre Frage Ihrer Antwort zitiert!) mit Nein beantworten. Vizepräsident Westphal: Wir sind am Ende des Müller (Wadern) (CDU/CSU): Danke schön. Geschäftsbereichs des Bundesministers für Wirt- schaft. Ich danke dem Staatssekretär für die Beant- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- wortung der Fragen. neten Fischer (Homburg). Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesmini- Fischer (Homburg) (SPD): Herr Staatssekretär, sters für Arbeit und Sozialordnung auf. Der Parlamen- haben Sie schon Gespräche mit den Ministerpräsiden- tarische Staatssekretär Höpfinger steht zur Beantwor- ten von Baden-Württemberg und Bayern geführt, die tung zur Verfügung. ihrerseits schon Gespräche mit der französischen Die Frage 48 des Abgeordneten Kirschner wird auf Seite geführt haben, damit sie den Kernenergiestrom Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. 970 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Vizepräsident Westphal Die Frage 49 des Abgeordneten Stiegler ist auf tung der Schulen und die Unterstützung der privaten Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich zu Fördergemeinschaft „Computer und Bildung" , an der beantworten. Die Antworten werden als Anlagen das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft abgedruckt. und das Bundesministerium für Forschung und Tech- Dann kommt die Frage 50 der Abgeordneten Frau nologie nicht beteiligt sind, sowie die wirtschaftlichen Hillerich: Aktivitäten der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung als Anbieter eines Computerbe- Wie beurteilt die Bundesregierung die von Experten aus dem ganzen Bundesgebiet auf einer Fachtagung des Ausschusses für triebssystems und von Software für Schulen beurteilt Jugendarbeitsschutz beim staatlichen Gewerbeaufsichtsamt in die Bundesregierung positiv. Auf Grund der vorlie- Münster festgestellten gesundheitlichen Gefährdungen an Bild- genden wissenschaftlichen Erkenntnisse ist davon schirmarbeitsplätzen und Computern (laut Westfälische Rund- auszugehen, daß gesundheitliche Gefährdungen für schau vom 21. Mai 1987) im Hinblick auf die vom Bundesmini- ster für Bildung und Wissenschaft für notwendig gehaltene ver- Schülerinnen und Schüler nicht gegeben sind. stärkte Ausstattung von Schulen und Hochschulen mit Compu- Ich darf noch hinzufügen, daß es für die Gestaltung tern? von Bildschirmarbeit seit mehreren Jahren Sicher- heitsregeln für Bildschirmarbeitsplätze im Bürobe- Höpfinger, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- reich gibt. Es kommt darauf an, diese gesicherten wis- ster für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsident, senschaftlichen Erkenntnisse für die Gestaltung der darf ich bitten, beide Fragen gemeinsam beantworten Arbeitsmittel, der Arbeitsplätze und der Arbeitsumge- zu können? bung in der Praxis anzuwenden. Diese Erkenntnisse sind auch geeignet, beim Einsatz von Bildschirmgerä- Vizepräsident Westphal: Ist die Abgeordnete ein- ten in Schulen und Hochschulen angewendet zu wer- verstanden? — Dann haben Sie vier Fragen. Ich den. Darüber hinaus können Gewerbeaufsicht und glaube, Sie kennen unsere Regeln noch nicht. Einver- Unfallversicherungsträger sowohl beim Einsatz der standen? — Beide Fragen zusammen. Bildschirmgeräte beraten als auch die Einhaltung der Ich rufe dann auch die Frage 51 der Abgeordneten Sicherheitsregeln überprüfen. Hillerich auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die von der Fördergemein- Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Frau schaft „Computer und Bildung" (Beteiligung des Bundesmini- Abgeordnete Hillerich. steriums für Bildung und Wissenschaft und des Bundesministe- riums für Forschung und Technologie) unterstützte Ausstattung von Bildungseinrichtungen mit Computern sowie die ähnlich Frau Hillerich (GRÜNE): Ich möchte meine Zusatz- gerichteten Aktivitäten der Gesellschaft für Mathematik und frage konkret auf beschriebene Gefahren durch Bild- Datenverarbeitung (GMD) (Großforschungseinrichtung des schirmarbeitsplätze beziehen. Ist Ihr Ministerium, Bundes) im Hinblick auf den ausdrücklichen Hinweis der mögli- Herr Staatssekretär, der Frage nachgegangen, inwie- chen gesundheitlichen Gefährdung von Schülerinnen und weit die Gefährlichkeit — auch Haut- und Gesichts- Schülern, und welche Maßnahmen - Überprüfung, gegebe- nenfalls Einschränkung — gedenkt sie zu ergreifen? verunreinigungen — insbesondere durch die Luftver- Bitte schön. unreinigung hervorgerufen wird, die durch in den elektromagnetischen Feldern aufgewirbelte Staub -partikel, also durch Computer bzw. Bildschirmarbeits- Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Höpfinger, plätze, entstehen? ster für Arbeit und Sozialordnung: Frau Abgeordnete Hillerich, nach Mitteilung aus dem Ministerium für Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nord- Höpfinger, Hillerich, aus meiner Antwort können Sie entnehmen, rhein-Westfalen ist die Pressenotiz, nach der Experten daß eine Reihe umfassender Sicherheitsmaßnahmen übereinstimmend gesundheitliche Gefährdungen an sowohl geprüft wurde als auch bei jeder Neueinrich- Bildschirmarbeitsplätzen und Computern festgestellt tung neu geprüft werden können, und zwar durch die hätten, irreführend. von mir vorhin angegebenen Stellen. Richtig ist, daß einer solchen Feststellung einer Sachverständigen von anderen Experten widerspro- Frau Hillerich (GRÜNE): Eine konkretere Antwort chen wurde. Der Vertreter des staatlichen Gewerbe- auf meine Frage ist nicht möglich? arztes hat an Hand von Beispielen auf Mängel bei der Aufstellung und Organisation von Bildschirmarbeit Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, Frau hingewiesen, die jedoch nichts mit einer gesundheit- Abgeordnete Hillerich, daß die Antwort, die ich Ihnen lichen Gefährdung, z. B. durch Strahlen, zu tun gegeben habe, so umfassend ist, daß man in ihr wirk- haben. Keine der bisher auch weltweit abgeschlosse- lich jeden einzelnen Teilbereich als angesprochen nen wissenschaftlichen Untersuchungen hat gesund- und beantwortet sehen kann. heitsschädigende Auswirkungen der Bildschirmar- beit nachgewiesen. Dies ist auch das Ergebnis der bis- Vizepräsident Westphal: Sie haben noch zwei wei- her umfassendsten wissenschaftlichen Konferenz zum tere Zusatzfragen, wenn Sie wollen. Thema „Bildschirmarbeit", die 1986 in Stockholm stattgefunden hat. Frau Hillerich (GRÜNE): Entschuldigen Sie, ich Bei dieser Sachlage sieht der Bundesminister für glaube, ich bin mißverstanden worden. Es ging mir Bildung und Wissenschaft keinen Anlaß, seine Bei- nicht um so eine umfassende Beantwortung, es ging träge zum Computerinvestitionsprogramm für Hoch- mir um eine konkrete Beantwortung, weil ich nach schulen und zur qualitativen Entwicklung der infor- einer konkreten Gefährdung gefragt habe, nämlich mationstechnischen Bildung in Schulen zu überprü- der Verunreinigung der Luft und entsprechend auch fen. Die Maßnahmen der Bundesländer zur Ausstat- der Haut derjenigen, die an solchen Arbeitsplätzen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 971

Frau Hillerich arbeiten. Ich wäre erfreut, wenn Sie darauf noch ein- einzurichten. — Aber ich bin gern bereit, auch dieser mal eingehen könnten. Frage nachzugehen.

Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Um Ihnen darauf ganz konkret antworten zu können, möchte ich Sie Vizepräsident Westphal: Damit sind wir am Ende bitten, zuzustimmen, daß ich diese Zusatzfrage der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesmi- schriftlich beantworte. nisters für Arbeit. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. (Frau Hillerich [GRÜNE]: Ja, dem stimme ich zu!) Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun- desministers für Jugend, Familie, Frauen und Vizepräsident Westphal: Sie haben noch eine wei- Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht der tere Zusatzfrage, Frau Hillerich. Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer zur Verfü- gung. Frau Hillerich (GRÜNE): Die lasse ich weg. Die Frage 52 des Abgeordneten Hinsken soll schriftlich beantwortet werden. Das gilt auch für die Vizepräsident Westphal: Dann hat Herr Kuhlwein Frage 53 des Abgeordneten Dr. Hoyer. Die Antworten das Wort zu einer Zusatzfrage. werden als Anlagen abgedruckt. Kuhlwein (SPD): Herr Staatssekretär, Sie erwähnten Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Schanz vorhin, daß wissenschaftliche Erkenntnisse des auf : Arbeitsschutzes und die entsprechenden Vorschriften Wie beurteilt die Bundesregierung die Entschließung des für Büros auch für Computerarbeitsplätze, Bildschirm- 90. Deutschen Ärztetages, in der der Export von Medikamenten, arbeitsplätze in Schulen zu gelten hätten. Wie stellt die in der Bundesrepublik Deutschland vom Markt genommen wurden, in Länder der Dritten Welt als „unethisch und unmora- die Bundesregierung sicher, daß bei Ihren Bemühun- lisch" bezeichnet wird, und kann sie darüber hinaus die deut- gen um die Verbreitung von Computerarbeitsplätzen schen Firmen nennen, die den Export tätigen? in Schulen auch diese Erkenntnisse und die Vorschrif- Bitte schön, Herr Staatssekretär. ten des Arbeitsschutzes berücksichtigt werden?

Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Ich habe bereits bei Pfeifer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister meinem Zusatz darauf hingewiesen, Herr Kollege, für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit: Herr daß das durchaus möglich ist. Darüber hinaus können Präsident! Herr Kollege Schanz! Der Bundesregierung Gewerbeaufsicht und Unfallversicherungsträger sind keine Sachverhalte bekannt, die eine pauschale sowohl beim Einsatz der Bildschirmgeräte beraten als Bewertung von Aktivitäten der pharmazeutischen auch die Einhaltung der Sicherheitsregeln überprü- Industrie beim Export von Arzneimitteln als unethisch fen. Wenn in den Schulen solche Einrichtungen getä- und unmoralisch zuließen. Dies gilt auch für den tigt werden, kommt es auf die Verbindung und auf das Export in die Entwicklungsländer. Zusammentreten vom Kultusministerium und diesen Hinsichtich des Exports von Arzneimitteln hält die Stellen an, um auch diese Plätze entsprechend prüfen Bundesregierung an ihrer Auffassung fest, daß die zu können. Importländer in eigener Verantwortung die Bedin- gungen festlegen, unter denen bei ihnen Arzneimittel Vizepräsident Westphal: Bitte schön, Herr Kuhl- wein, eine weitere Zusatzfrage. in den Verkehr gebracht werden dürfen. Die Bundesregierung unterstützt sie in ihren Ent- Kuhlwein (SPD): Herr Staatssekretär, Sie sagten scheidungen, indem sie auf Anfrage alle notwendigen „können"; sie könnten einbezogen werden. Ich habe Informationen zur Verfügung stellt. Erfährt die Bun- danach gefragt, wie die Bundesregierung sicherstellt, desregierung aus den Importländern, daß die dortigen daß die Vorschriften des Arbeitsschutzes auch an Bild- Gesundheitsbehörden ein Arzneimittel als bedenklich schirmarbeitsplätzen in den Schulen berücksichtigt ansehen, so wirken die zuständigen Behörden von werden. Bund und Ländern entweder auf die Beseitigung der Arzneimittelmängel hin oder untersagen den Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Wenn solche Plätze Export. in den Schulen eingerichtet werden, gelten hierfür Die Bundesregierung meldet darüber hinaus alle dieselben Bestimmungen, die für andere Arbeits- relevanten Maßnahmen im Rahmen der Beobach- plätze gelten. Die Frage ist dann die des Zutritts zu tung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelri- den Schulen. siken der Weltgesundheitsorganisation, so daß sich alle Importländer jederzeit über alle Risiken informie- Zusatzfrage, Frau Weyel. Vizepräsident Westphal: ren können, die in der Bundesrepublik Deutschland behördlicherseits behandelt werden. Frau Weyel (SPD): Gibt es Erkenntnisse darüber, daß von den Gewerbeaufsichtsämtern solche Prüfun- Außerdem nimmt die Bundesrepublik Deutschland gen beispielsweise in Schulen vorgenommen wer- am Zertifikatsystem der Weltgesundheitsorganisation den? über die Qualität pharmazeutischer Produkte im inter- nationalen Handel teil. In diesem Zertifikat erhalten Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Danach müßte ich auch die Länder der Dritten Welt auf Anfrage darüber erst fragen. Ich nehme aber an, daß die Schulen im Auskunft, ob das jeweilige Arzneimittel zum Verkehr Interesse der Schülerinnen und Schüler Wert darauf in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen bzw. legen, auf jeden Fall sichere Bildschirmarbeitsplätze aus welchen Gründen es nicht zugelassen ist. 972 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Parl. Staatssekretär Pfeifer Darüber hinaus hat sich die Bundesrepublik men, daß ich diesen gesamten Vorgang sehr ernst Deutschland mit einem Schreiben gegenüber der nehme. In der Tat: Ich habe auch zum Ausdruck Weltgesundheitsorganisation bereit erklärt, zusätz- gebracht, daß es Einzelfälle gegeben hat, bei denen lich auf Anfrage weitere Auskünfte zu den Arzneimit- offensichtlich Mängel aufgetreten sind. Diesen Ein- teln zu geben, wie z. B. zu Anwendungsgebieten, zu zelfällen ist in der von mir geschilderten Weise nach- Risiken und zu Warnhinweisen. gegangen worden. Ich bitte um Verständnis, daß ich hier konkrete Ein- zelfälle von bemängelten Exporten nicht nennen Vizepräsident Westphal: Ich rufe die Frage 55 des möchte, zumal die der Bundesregierung bekanntge- Abgeordneten Schanz auf: wordenen Mängel inzwischen abgestellt worden sind Wann und in welcher Form gedenkt die Bundesregierung bzw. die Verfahren zur Behebung der Mängel laufen gesetzgeberische Maßnahmen einzuleiten, um in Zukunft zu verhindern, daß deutsche Pharmaunternehmen vom Markt und im übrigen für die Recherchen in den konkreten genommene Präparate in Drittländer exportieren? Fällen in erster Linie die Bundesländer zuständig sind. Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Schanz. Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die geltenden Geset- zesgrundlagen reichen aus, um den Export von Arz- Schanz (SPD): Herr Staatssekretär, würden nicht neimitteln, die in der Bundesrepublik Deutschland auch Sie es merkwürdig finden, wenn die Bundesre- vom Markt genommen wurden und deren Import in gierung nach jahrelanger Beanstandung durch die den Entwicklungsländern unerwünscht ist, zu unter- Oppositionsfraktionen in dieser Hinsicht jetzt durch binden. Dies gilt um so mehr, als seit dem 1. April 1985 einen Fachärztekongreß, der den Oppositionsparteien nach der Betriebsverordnung für pharmazeutische nicht nahesteht, darauf aufmerksam gemacht wird, Unternehmen diese verpflichtet sind, den zuständi- daß solche Produkte, die hier verboten sind, exportiert gen Behörden unverzüglich mitzuteilen, in welche werden, und sind Sie mit mir der Meinung, daß eine Staaten die zurückgerufenen Arzneimittel ausgeführt Industrienation, die auch Kulturnation sein will, hier wurden. Diese Länder werden nach der Allgemeinen mit gutem Beispiel vorangehen müßte, indem sie ver- Verwaltungsvorschrift zur Beobachtung, Sammlung hindert, daß Pharmaprodukte, die, weil sie giftig sind, und Auswertung von Arzneimittelrisiken vom 20. Juni hier verboten sind, in Länder der Dritten Welt expor- 1980 von den zuständigen obersten Bundesgesund- tiert werden? heitsbehörden unverzüglich unterrichtet. Die Bundes- länder haben die gesetzliche Grundlage, um den Pfeifer, Parl. Staatssekretär : Herr Kollege Schanz, Export der Arzneimittel zu verbieten. ich habe Ihnen hier eine breite Darstellung der Maß- Die Bundesregierung steht darüber hinaus in kon- nahmen vorgetragen, welche die Bundesregierung kreten Gesprächen mit der Weltgesundheitsorganisa- vor allem in den zurückliegenden zwei Jahren ergrif- tion, der Europäischen Gemeinschaft und dem Euro- fen hat, um den Export von Arzneimitteln dann zu parat, um auch dort zu klären, ob im Interesse der unterbinden, wenn er nicht im Interesse der entspre- Arzneimittelsicherheit für den Export von Arzneimit- chenden Importländer ist. teln weitere Maßnahmen erforderlich sind. Die Bun- desregierung wird je nach dem Ergebnis dieser Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Herr Gespräche auch weitere gesetzgeberische Maßnah- Schanz. men in Erwägung ziehen. (SPD): Herr Staatssekretär, würden Sie mir Schanz Zusatzfrage, Herr all die Maßnahmen zur Verfügung stellen, die die Vizepräsident Westphal: Schanz. Bundesregierung veranlaßt bzw. durchgeführt hat, um solche Exporte zu verhindern, und zwar im (SPD): Herr Staatssekretär, mehr als 40 % Detail? Schanz der Pharmaproduktion der Bundesrepublik Deutsch- Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich bin gerne bereit, land gehen in den Export, 20 % gehen in Länder der über die Einzelfälle, die uns vorliegen, mit Ihnen ein Dritten Welt. Wenn nun eine Nation von diesem Gespräch zu führen. Export wirtschaftlich abhängig wird, wäre es dann nicht auch nach Ihrer Meinung angebracht, daß Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- gerade die Bundesrepublik Deutschland mit gutem neten Toetemeyer. Beispiel voranginge und daß sie nicht erst mit Hinweis darauf, daß sich andere Exportländer nicht einem ent- Toetemeyer (SPD): Herr Staatssekretär, wenn dies sprechenden Verhaltenskodex unterwerfen, abwar- alles so schön ist, wie Sie es dargestellt haben, wie tet, ob diese sich da anschließen? Wird die Bundesre- erklären Sie sich die doch sehr harte Kritik des Deut- gierung bereit sein, bilateral mit den EG-Staaten Ver- schen Ärztetages, und würden Sie nicht die Bewer- handlungen zu führen, um hier eine einheitliche Linie tung „unmoralisch und ethisch nicht einwandfrei" , zu erreichen, und wird sie bereit sein, mit gutem Bei- die Sie eben ein bißchen zurückgewiesen haben, aus spiel voranzugehen und vielleicht auch die Produk- dem Munde von Ärzten gesprochen, für besonders tion von Pharmaprodukten und Arzneimitteln in den schwerwiegend halten? Entwicklungsländern zu fördern?

Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Toete- Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, was das meyer, ich glaube, aus der Antwort, die ich auf die Vorangehen mit gutem Beispiel angeht, bin ich der Eingangsfrage gegeben habe, konnten Sie entneh- Meinung, daß die Maßnahmen, die insbesondere in Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 973

Parl. Staatssekretär Pfeifer den zurückliegenden Jahren ergriffen worden sind, Rückständen oder frei von Schadstoffen seien. Diese durchaus geeignet sind, um auch für andere Länder Vorschrift kann herangezogen werden, wenn die ein gutes Beispiel zu geben. Im übrigen habe ich dar- Bezeichnung „bio" oder „öko" fälschlicherweise auf auf hingewiesen, daß wir mit der EG in Gesprächen das Nichtvorhandensein solcher Stoffe in Lebensmit- sind. Selbstverständlich führen wir auch bilaterale teln hinweist. Gespräche mit Mitgliedstaaten der EG, beispiels- Für Lebensmittel und Bedarfsgegenstände können weise erst neulich ein Gespräch mit Großbritannien. im Einzelfall im übrigen auch die allgemeinen Rechts- vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wett- Vizepräsident Westphal: Noch eine Zusatzfrage, bewerb Anwendung finden. Herr Schanz? Vizepräsident Westphal: Frau Weyel, Zusatzfrage Schanz (SPD): Danke, ich verzichte. bitte.

Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage dazu, Frau Weyel (SPD): Herr Staatssekretär, es ist ja wohl Herr Toetemeyer? — Bitte schön. bekannt, daß solche Ausdrücke wie „bio" und ähnli- ches, die auf die besondere gesundheitlich unbedenk- Toetemeyer (SPD): Herr Staatssekretär, sind Sie liche Qualität hinweisen, erst im Zuge der Bewegung sich des Widerspruchs bewußt, daß einerseits — Sie der letzten Jahre wirklich als verkaufsfördernd haben es selbst genannt, 1. Ap ril 1985 — bis Mai 1987 gewertet und entsprechend häufig angewendet wer- alles in Ordnung ist und andererseits die Ärzte, die den. Meine Frage war: Sieht angesichts dieser Ent- wohl sicher Fachkenntnis haben, darauf hinweisen, wicklung, die ja bei der Verabschiedung des Lebens- daß die gesetzlichen Bestimmungen nicht ausrei- mittel- und Bedarfsgegenständegesetzes noch nicht in chen? vollem Gange war, die Bundesregierung eine Not- wendigkeit, diese Begriffe so zu präzisieren, daß dann Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Toete- die von Ihnen angeführten Vorschriften auch tatsäch- meyer, zunächst einmal habe ich darauf hingewiesen, lich angewendet werden können? daß auch jetzt noch Verfahren laufen, deren Ergeb- nisse für uns wichtig sind. Zum zweiten bin ich im Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Weyel, Augenblick davon überzeugt, daß die vorhandenen das ist in der Tat ein sehr schwieriges Problem, denn gesetzlichen Grundlagen, die ich genannt habe, aus- die Begriffe „bio" und „ökologisch" sind komplex und reichen. Aber wenn sich aus den Gesprächen, die wir bis jetzt nicht eindeutig zu definieren, zumal der Ver- mit den internationalen Organisationen führen, erge- braucher mit diesen Beg riffen auch ganz unterschied- ben sollte, daß weitere Maßnahmen erforderlich sind, liche Erwartungen verknüpfen kann. Der in meinen dann ist die Bundesregierung gegebenenfalls auch zu Augen entscheidende Punkt ist, daß eine eindeutig weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen bereit und irreführende Verwendung dieser Beg riffe in der von entschlossen. mir geschilderten Weise nach den allgemeinen Rechtsvorschriften verboten ist. Vizepräsident Westphal: Jetzt kommt die Frage 56 des Abgeordneten Dr. Rose. Er ist aber nicht im Saal. Wenn man darüber hinaus die Beg riffe positiv Deswegen wird die Frage der Geschäftsordnung ent- schützen möchte, dann würde das entweder eine sprechend behandelt. gesetzliche Definition dieser in ihrem Sinngehalt komplexen Begriffe voraussetzen — was im Augen- Ich rufe Frage 57 der Abgeordneten Frau Weyel blick für mich ein sehr schwieriges Unterfangen auf: wäre —, oder man müßte bestimmte Anforderungen Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, Bezeichnun- an Produktionsmethoden festsetzen. Dies ist ein Ver- gen wie „bio", „öko" und ähnliche bei Lebensmitteln und fahren, das gegenwärtig in der EG vorgeschlagen und Bedarfsgegenständen rechtlich zu schützen? besprochen wird. Herr Präsident, ich möchte darauf Bitte schön, Herr Staatssekretär. gerne in der nächsten Frage noch eingehen dürfen.

Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Weyel, Vizepräsident Westphal: Sie haben noch eine das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz Zusatzfrage zur ersten Frage. Bitte schön, Frau Abge- enthält allgemeine Verbote, die den Verbraucher im ordnete Weyel. Verkehr mit Lebensmitteln und kosmetischen Mitteln vor Täuschungen schützen. Nach § 17 Abs. 1 Nr. 5 Frau Weyel (SPD): Ich darf aber noch einmal insi- dieses Gesetzes ist es verboten, Lebensmittel unter stieren: Mir scheint gerade auch im Zusammenhang irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufma- mit der Diskussion über die Fortentwicklung der chung gewerbsmäßig in den Verkehr zu bringen oder Landwirtschaft, wo ja auch diese Probleme angespro- mit irreführenden Darstellungen oder sonstigen Aus- chen werden, und andererseits im Sinne eines verbes- sagen zu werben. Für kosmetische Mittel enthält § 27 serten Verbraucherschutzes eine solche Positivdefini- dieses Gesetzes ein entsprechendes Verbot. tion dringlich. Habe ich Sie so verstanden, daß die Nach § 17 Abs. 1 Nr. 4 dieses Gesetzes ist es in Bundesregierung erst handeln will, wenn die EG bezug auf Lebensmittel darüber hinaus verboten, für gehandelt hat? Erzeugnisse, die zugelassene Zusatzstoffe oder Rück- stände von Pflanzenschutzmitteln oder pharmakolo- Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, das ist gisch wirkende Stoffe enthalten, Bezeichnungen oder ein Punkt, den ich eigentlich im Zuammenhang mit Angaben zu verwenden, die darauf hindeuten, daß der nächsten Frage behandeln müßte. Sie wissen ja, die Lebensmittel natürlich, naturrein oder frei von daß dann, wenn die EG selber in ein Regelungsver- 974 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Parl. Staatssekretär Pfeifer fahren eintritt, für die nationalen Gesetzgeber die Entwicklung einmischt und sich für eine solche bestimmte Stillhalteverpflichtungen bestehen. Mit positive Einmischung und Mitgestaltung auch selber diesen haben wir es im Augenblick hier zu tun. Gedanken macht, welches die Kriterien sein müß- ten? Vizepräsident Westphal: Dann rufe ich die nächste der von Frau Weyel gestellten Fragen auf, die Frage Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Weyel, 58: wir beteiligen uns in der Tat an diesen Beratungen. Gibt es Vorarbeiten oder abgeschlossene Überlegungen, nach Allerdings sind die Probleme, die hier auf dem Tisch welchen Kriterien die Genehmigung für solche Bezeichnungen liegen, zur Zeit deshalb noch sehr schwierig, weil wir erteilt werden soll, die beim Verbraucher die Erwartung wek- ja z. B. keine überzogenen bürokratischen Regelun- ken, daß die so bezeichneten Lebensmittel oder Bedarfsgegen- stände unbelastet und gesundheitlich und umweltfördernd gen haben wollen, auch angesichts von funktionieren- sind? den privaten Institutionen in diesen Bereichen in der Bundesrepublik. Bitte, Herr Staatssekretär. Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Frau Weyel. Pfeifer, Parl. Staatssekretär: In der Bundesrepublik Deutschland bestehen privatrechtlich organisierte Frau Weyel (SPD): Herr Staatssekretär, ist Ihnen die Erzeugergemeinschaften, die sich eigenen Richtlinien LUFA-Studie bekannt, die Lebensmittel unterschied- unterworfen haben und nach diesen Richtlinien licher Bezeichnung untersucht hat? Wenn nein, darf Lebensmittel in nicht konventioneller Anbauweise ich Sie darauf verweisen, daß Sie vielleicht Ihr Kollege gewinnen und unter bestimmten Markennamen in Landwirtschaftsminister darüber informieren könnte, den Verkehr bringen. und wären Sie bereit, die Ergebnisse dieser Studie in Vorarbeiten zur Einführung eines Genehmigungs- Ihre Überlegung einzubeziehen? verfahrens zur Verwendung der Bezeichnung „bio" oder „öko", das den Erlaß von Rechtsvorschriften vor- Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich bin gerne bereit, aussetzen würde, sind in der Bundesregierung bis darüber mit meinem Kollegen aus dem Landwirt- jetzt nicht eingeleitet worden. schaftsministerium ein Gespräch zu führen. Die EG-Kommission hat im Dezember 1986 den Entwurf eines Vorschlages für eine Richtlinie des Vizepräsident Westphal: Damit sind wir am Ende Rates über die organische Erzeugung von Nahrungs- dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Parlamenta- mitteln und die Vermarktung organisch erzeugter rischen Staatssekretär Pfeifer für die Beantwortung Nahrungsmittel vorgelegt. Nach dem Konzept des der Fragen und rufe den Geschäftsbereich des Bun- Richtlinienentwurfs sollen Lebensmittel mit dem Hin- desministers für Verkehr auf. Der Parlamentarische weis „natürlich", „biologisch", „organisch" oder Staatssekretär Dr. Schulte steht zur Beantwortung zur einer anderen Beschreibung, die vermuten läßt, daß Verfügung. die Lebensmittel unter weitgehendem Verzicht auf Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Kohn chemische Düngemittel und Pflanzenschutzmittel auf : erzeugt wurden, nur dann in den Verkehr gebracht In welchem Zeitraum wird die Deutsche Bundesbahn (DB) werden dürfen, wenn sie nach einem genehmigten sicherstellen, daß die übernachtungs- und Ruheräume der DB in Anbauverfahren gewonnen worden sind. Die Geneh- einen sozial verträglichen Zustand gebracht werden? migung soll durch die staatlichen Stellen oder durch staatlich kontrollierte Organisationen vorgenommen Bitte schön, Herr Staatssekretär. werden. Für die nach einem genehmigten Anbauver- fahren gewonnenen Lebensmittel sind nach dem Ent- Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- wurf der Richtlinie Gemeinschaftsembleme vorgese- ster für Verkehr: Herr Kollege Kohn, von 1975 bis 1983 hen. Der Entwurf dieser Richtlinie ist bislang in der hat die Deutsche Bundesbahn im Rahmen eines Kommission auf der Ebene der Regierungsexperten Sanierungsprogramms bereits 20 Millionen DM zur kontrovers beraten worden. Der Entwurf wird zur Zeit Verbesserung der Übernachtungs-, Ruhe- und Sozi- überarbeitet. alräume aufgewendet. In den Jahren 1984 und 1985 Nachdem die Europäische Gemeinschaft einen hat sie zusätzlich 1,7 Millionen DM zur Verbesserung eigenen Richtlinienvorschlag vorgelegt hat, könnte des baulichen und des Ausstattungszustandes der die Bundesregierung eigene Rechtsvorschriften nur in Übernachtungs- und Ruheräume bereitgestellt. Kraft setzen, nachdem sie die Entwürfe hierzu der EG- Zur Zeit erarbeitet eine Arbeitsgruppe der Deut- Kommission mitgeteilt und die vorgesehenen Stillhal- schen Bundesbahn ein Kosten- und Zeitprogramm zur tefristen abgewartet hätte. Schon aus diesem Grunde weiteren Modernisierung dieser Anlagen. Kern- ist es vernünftig, wenn die Bundesregierung zunächst punkte der neuen Standards sind: Einrichtung von die weiteren Entwicklungen und Beratungen in der Einbettzimmern mit fließendem warmen und kalten Europäischen Gemeinschaft abwarten will. Wasser, eine ansprechende Möblierung, Lärmschutz- maßnahmen sowie Ergänzung und Modernisierung Vizepräsident Westphal: Bitte schön, Frau Weyel, bestehender baulicher Anlagen — z. B. Teeküchen Zusatzfrage. oder Duschen oder WCs — . Da die Arbeitsgruppe ihre Bestandsaufnahme noch nicht abgeschlossen hat, Frau Weyel (SPD): Herr Staatssekretär, halten Sie es kann die Deutsche Bundesbahn über die Kosten und nicht für sinnvoll, wenn sich die Bundesregierung den Zeitpunkt des Abschlusses des Modernisierungs- schon bei der Vorbereitung einer solchen Richtlinie in programms noch keine Angaben machen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 975

Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Kohn. schen Fernstraßennetzes neu zu prüfen sein. Die Har- monisierung der Wettbewerbsbedingungen im Güter- Kohn (FDP): Herr Staatssekretär, ist der Bundesre- verkehr ist ohnehin ein Thema der europäischen Ver- gierung bekannt, daß nach einer Untersuchung der kehrspolitik. GDL etwa 45 % der Sozial-, Übernachtungs- und Ruheräume der Deutschen Bundesbahn sich in einem Zusatzfrage, Herr Dr. menschenunwürdigen Zustand befinden — wie zu Vizepräsident Westphal: Abelein. kleine Räume, ständige Geruchsbelästigung, keine Sitzgelegenheiten, Waschräume, die als Abstellräume zweckentfremdet werden — , und welche Konsequen- Dr. Abelein (CDU/CSU): Welche Möglichkeiten zen gedenkt man zur Beschleunigung der von Ihnen sieht die Bundesregierung, die von deutschen Lkw- angesprochenen Maßnahmen daraus zu ziehen? Unternehmern insbesondere im EG-Bereich gezahl- ten Straßenbenutzungsgebühren abzuschaffen? Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregie- rung sind die Veröffentlichungen bekannt. Ich habe Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, sie auch hier. Ich nehme Ihre Frage gern zum Anlaß, sollte sich die Position der Bundesregierung hinsicht- darauf zu drängen, daß die Bundesbahn so schnell wie lich der Abschaffung der Straßenbenutzungsgebüh- möglich diese Untersuchungen fortsetzt und been- ren und der Maut in den Nachbarländern nicht durch- digt. Ich werde dies auch im nächsten Leitungsge- setzen lassen, wird die Frage spezieller Abgaben für spräch mit dem Ziel vortragen, daß wir mit dem Vor- die Benutzung des deutschen Fernstraßennetzes neu stand der Deutschen Bundesbahn bei der nächsten zu prüfen sein. Dies hat der Bundesminister für Ver- Gesprächsrunde darüber reden. kehr mehrfach deutlich gemacht. Er hat dabei betont, daß gerade dieses Problem bei der Harmonisierung Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Kohn, der Wettbewerbsbedingungen im Straßengüterver- bitte. kehr eine bedeutende Rolle spielt. Ich meine sogar, daß dies das zentrale Thema der europäischen Ver- (FDP) : Herr Staatssekretär, teilt die Bundesre- Kohn kehrspolitik in diesem Jahr und in den nächsten Jah- gierung die Auffassung, daß es auf dem Weg der Ent- ren sein wird. wicklung der Deutschen Bundesbahn zu einem am Markt orientierten Verkehrsdienstleistungsunterneh- men von besonderer Bedeutung ist, daß die Mitarbei- Vizepräsident Westphal: Zu einer weiteren Zusatz- ter der Bahn optimale Arbeitsbedingungen haben und frage, Herr Abgeordneter Dr. Abelein. daß die Motivation der Mitarbeiter der Bahn gestärkt wird, um diesem Ziel genügen zu können? Dr. Abelein (CDU/CSU): Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß Autobahngebühren in anderen euro- Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon päischen Ländern die Wettbewerbsbedingungen der aus, daß wir auch in diesem Bereich Standards brau- deutschen Wirtschaft, insbesondere der Transport- chen, die nicht nur menschenwürdig sind, sondern die wirtschaft, verzerren? auch geeignet sind, die Mitarbeiter der Bahn zu moti- vieren. Es geht hier um rund 700 Übernachtungsein- richtungen. Das Projekt ist also erheblich. Aber wir Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, sind gern bereit, das, was Sie gerade wollten, zu wenn solche Gebühren von allen Benutzern in unterstützen. gleicher Weise erhoben werden, dann könnte eine Wettbewerbsverzerrung nicht eintreten. Vizepräsident Westphal: Ich rufe die Frage 60 des In einer Untersuchung der EG-Kommission vom Abgeordneten Dr. Abelein auf: 10. Dezember des letzten Jahres wird hierzu aller- Gedenkt die Bundesregierung Autobahngebühren für Auto- dings festgestellt, daß ein Teil der in Europa zur Zeit fahrer einzuführen, die aus Ländern stammen, in denen deut- erhobenen Gebühren diskriminierenden Charakter sche Autofahrer Straßengebühren bezahlen müssen? hat; dies wegen der unterschiedlichen Behandlung Bitte schön, Herr Staatssekretär. von In- und Ausländern. Für solche Fälle muß ich Ihre Frage also eindeutig mit ja beantworten. Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Abelein, die Bundesregierung hält eine allgemeine Autobahngebühr verkehrspolitisch nicht für richtig. Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- Ihr Ziel ist es vielmehr, andere Länder zu veranlassen, ren, damit ist die Fragestunde aus Gründen des Zeit- ablaufs zu Ende. Die übriggebliebenen Fragen wer- bestehende Autobahngebühren abzuschaffen bzw. solche Gebühren nicht neu einzuführen. den schriftlich beantwortet' ). Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Die Bundesregierung hat deshalb auf der Ratsta- gung der EG-Verkehrsminister am 18. und 19. Juni Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt auf- 1986 die EG-Kommission aufgefordert, geeignete rufe, und wir in die Aktuelle Stunde eintreten, möchte Vorschläge zu unterbreiten, um Fahrzeuge aus EG- ich Ihnen die von den Schriftführern ermittelten Mitgliedstaaten, die keine Autobahngebühren erhe- Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen des ben, in anderen Mitgliedstaaten von solchen Gebüh- Vormittags mitteilen. ren zu befreien. ') Bis auf die Fragen 71 und 72 der Abg. Frau Schmidt (Nürn- Sollte sich zeigen, daß diese Position der Bundesre- berg), die von der Fragestellerin zurückgezogen wurden, gierung in Europa nicht durchzusetzen ist, wird die werden die Antworten als Anlagen im Stenographischen Frage spezieller Abgaben für die Benutzung des deut- Bericht über die 17. Sitzung abgedruckt. 976 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Vizepräsident Westphal Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Frau Pack Cronenberg (Arnsberg) den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der Pesch Dr. Feldmann Petersen Frau Folz-Steinacker FDP auf Drucksache 11/405 war das folgende: Abge- Pfeifer Gallus gebene Stimmen 422, davon keine ungültig. Mit Ja Dr. Pinger Gattermann haben gestimmt 232 Abgeordnete; mit Nein haben Dr. Pohlmeier Genscher 189 Abgeordnete gestimmt. Es hat eine Enthaltung Dr. Probst Gries gegeben. Rauen Grünbeck Rawe Grüner Regenspurger Frau Dr. Hamm-Brücher Repnik Dr. Haussmann Dr. Riedl (München) Heinrich Endgültiges Ergebnis Dr. Riesenhuber Dr. Hirsch Frau Rönsch (Wiesbaden) Hoppe Abgegebene Stimmen 422; davon Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. Hoyer Dr. Rose Irmer ja: 232 Rossmanith Kleinert (Hannover) Roth (Gießen) Kohn nein: 189 Rühe Dr.-Ing. Laermann enthalten: 1 Dr. Rüttgers Lüder Ruf Mischnick Sauer (Salzgitter) Möllemann Ja Hauser (Krefeld) Sauer (Stuttga rt) Neuhausen Hedrich Sauter (Ichenhausen) Nolting CDU/CSU Freiherr Heereman von Dr. Schäuble Paintner Zuydtwyck Scharrenbroich Richter Austermann Frau Dr. Hellwig Schartz (Trier) Rind Bauer Helmrich Schemken Ronneburger Dr. Becker (Frankfurt) Dr. Hennig Schmidbauer Dr. Rumpf Frau Berger (Berlin) Herkenrath Schmitz (Baesweiler) Frau Dr. Segall Biehle Hinrichs Dr. Schneider (Nürnberg) Frau Seiler-Albring Dr. Blank Hinsken Schreiber Dr. Solms Dr. Blens Höffkes Dr. Schroeder (Freiburg) Dr. Thomae Dr. Blüm Höpfinger Schulhoff Timm Börnsen (Bönstrup) Hörster Dr. Schulte Wolfgramm (Göttingen) Dr. Bötsch Dr. Hoffacker (Schwäbisch Gmünd) Frau Würfel Bohl Frau Hoffmann (Soltau) Schwarz Zywietz Bohlsen Dr. Hornhues Dr. Schwörer Borchert Frau Hürland-Büning Seehofer Breuer Dr. Hüsch Seesing Buschbom Dr. Jahn (Münster) Seiters Carstens (Emstek) Dr. Jenninger Spilker Nein Carstensen (Nordstrand) Dr. Jobst Dr. Sprung SPD Clemens Jung (Limburg) Dr. Stark (Nürtingen) Dr. Czaja Jung (Lörrach) Dr. Stoltenberg Andres Dr. Daniels (Bonn) Dr.-Ing. Kansy Straßmeir Dr. Apel Daweke Dr. Kappes Strube Bachmaier Frau Dempwolf Kiechle Stücklen Bahr Deres Klein (München) Dr. Süssmuth Frau Bamberg Dörflinger Dr. Köhler (Wolfsburg) Tillmann Becker (Nienberge) Dr. Dollinger Dr. Kohl Dr. Uelhoff Becker-Inglau Doss Kolb Uldall Frau Dr. Dregger Kossendey Bernrath Frau Verhülsdonk Bindig Echternach Kraus Vogel (Ennepetal) Dr. Böhme (Unna) Ehrbar Krey Vogt (Düren) Börnsen (Ritterhude) Eylmann Dr. Kronenberg Dr. Voss Brandt Dr. Faltlhauser Dr. Kunz (Weiden) Dr. Waffenschmidt Feilcke Lamers Dr. Waigel Brück Dr. Fell Dr. Lammert Graf von Waldburg-Zeil Büchler (Hof) Fellner Dr. Langner Dr. Warrikoff Dr. von Billow Fischer (Hamburg) Lattmann Dr. von Wartenberg Frau Bulmahn Francke (Hamburg) Dr. Laufs Weirich Buschfort Dr. Friedmann Frau Limbach Weiß (Kaiserslautern) Catenhusen Dr. Friedrich Link (Diepholz) Werner (Ulm) Conradi Fuchtel Link (Frankfurt) Frau Will-Feld Frau Dr. Däubler-Gmelin Ganz (St. Wendel) Lintner Frau Dr. Wilms Daubertshäuser Frau Geiger Dr. Lippold (Offenbach) Wilz Diller Geis Louven Windelen Dreßler Dr. Geißler Lummer Frau Dr. Wisniewski Duve Dr. von Geldern Maaß Wissmann Egert Gerstein Frau Männle Dr. Wittmann Dr. Ehmke (Bonn) Gerster (Mainz) Magin Dr. Wörner Dr. Ehrenberg Glos Marschewski Würzbach Dr. Emmerlich Dr. Göhner Dr. Meyer zu Bentrup Zeitlmann Erler Dr. Götz Dr. Miltner Dr. Zimmermann Esters Gröbl Dr. Möller Zink Ewen Dr. Grünewald Müller (Wadern) Frau Faße Günther Müller (Wesseling) Fischer (Homburg) Dr. Häfele Nelle FDP Frau Fuchs (Köln) Harries Dr. Neuling Frau Fuchs (Verl) Frau Hasselfeldt Neumann (Bremen) Frau Dr. Adam-Schwaetzer Frau Ganseforth Haungs Dr. Olderog Baum Gansel Hauser (Esslingen) Oswald Beckmann Dr. Gautier Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 977

Vizepräsident Westphal Gerster (Worms) Frau Dr. Skarpelis-Sperk Damit war dieser Antrag angenommen. Gilges Dr. Sperling Dr. Glotz Dr. Spöri Bei der namentlichen Abstimmung über den Antrag Frau Dr. Götte Stahl (Kempen) der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/409 haben Graf Frau Steinhauer Großmann Stiegler 426 Kollegen ihre Stimmen abgegeben. Es war keine Grunenberg Dr. Struck ungültig. Mit Ja haben 163 Abgeordnete gestimmt, Dr. Haack Frau Terborg mit Nein 239. Es hat 24 Enthaltungen gegeben. Haack (Extertal) Tietjen Haar Toetemeyer Frau Hämmerle Frau Traupe Frau Dr. Hartenstein Urbaniak Hasenfratz Vahlberg Dr. Hauchler Verheugen Endgültiges Ergebnis Dr. Hauff Dr. Vogel Heimann Voigt (Frankfurt) Abgegebene Stimmen 426; davon Heistermann Vosen ja: Heyenn Waltemathe 163 Horn Wartenberg (Berlin) nein: 239 Huonker Weiermann Ibrügger Frau Weiler enthalten: 24 Jahn (Marburg) Weisskirchen (Wiesloch) Jansen Dr. Wernitz Jaunich Westphal Heyenn Dr. Jens Frau Weyel Ja Horn Jung (Düsseldorf) Dr. Wieczorek Huonker Jungmann Wieczorek (Duisburg) SPD Ibrügger Kiehm Frau Wieczorek-Zeul Jahn (Marburg) Kirschner Wiefelspütz Andres Jansen Klein (Dieburg) von der Wiesche Dr. Apel Jaunich Koschnick Wimmer (Neuötting) Bachmaier Dr. Jens Kretkowski Wischnewski Bahr Jung (Düsseldorf) Kühbacher Dr. de With Bamberg Jungmann Kuhlwein Wittich Becker (Nienberge) Kastning Leidinger Würtz Frau Becker-Inglau Kiehm Lennartz Zander Bernrath Kirschner Leonhart Zeitler Bindig Klein (Dieburg) Lohmann (Witten) Dr. Böhme (Unna) Klose Lutz - Börnsen (Ritterhude) Koschnick Frau Dr. Martiny-Glotz Brandt Kretkowski Frau Matthäus-Maier DIE GRÜNEN Brück Kühbacher Menzel Büchler (Hof) Kuhlwein Dr. Mertens (Bottrop) Dr. Daniels (Regensburg) Dr. von Bülow Leidinger Dr. Mitzscherling Ebermann Frau Bulmahn Lennartz Müller (Düsseldorf) Frau Eid Buschfort Leonhart Müller (Pleisweiler Frau Garbe Catenhusen Lohmann (Witten) Oberhofen) Frau Hillerich Conradi Lutz Müntefering Hoss Frau Dr. Däubler-Gmelin Frau Dr. Martiny-Glotz Nagel Hüser Daubertshäuser Frau Matthäus-Maier Nehm Frau Kelly Diller Menzel Frau Dr. Niehuis Kleinert (Marburg) Dreßler Dr. Mertens (Bottrop) Dr. Niese Dr. Knabe Duve Dr. Mitzscherling Niggemeier Frau Krieger Egert Müller (Düsseldorf) Dr. Nöbel Dr. Mechtersheimer Dr. Ehmke (Bonn) Müller (Pleisweiler- Frau Odendahl Frau Nickels Dr. Ehrenberg Oberhofen) Oesinghaus Frau Oesterle-Schwerin Dr. Emmerlich Müntefering Paterna Frau Olms Erler Nagel Pauli Frau Saibold Esters Nehm Pfuhl Frau Schilling Ewen Frau Dr. Niehuis Dr. Pick Schily Frau Faße Dr. Niese Porzner Frau Schmidt-Bott Fischer (Homburg) Niggemeier Poß Frau Schoppe Frau Fuchs (Köln) Dr. Nöbel Purps Sellin Frau Fuchs (Verl) Frau Odendahl Reimann Stratmann Frau Ganseforth Oesinghaus Frau Renger Frau Teubner Gansel Paterna Reschke Frau Trenz Dr. Gautier Pauli Reuter Frau Unruh Gerster (Worms) Pfuhl Rixe Frau Vennegerts Gilges Dr. Pick Roth Volmer Dr. Glotz Porzner Schäfer (Offenburg) Weiss (München) Frau Dr. Götte Poß Schanz Wetzel Graf Purps Scherrer Frau Wilms-Kegel Großmann Reimann Schluckebier Frau Wollny Grunenberg Frau Renger Frau Schmidt (Nürnberg) Wüppesahl Dr. Haack Reschke Schmidt (Salzgitter) Haack (Extertal) Reuter Dr. Schmude Haar Rixe Schreiner Frau Hämmerle Roth Schröer (Mülheim) Frau Dr. Hartenstein Schäfer (Offenburg) Schütz Enthalten Hasenfratz Schanz Seidenthal Dr. Hauchler Scherrer Frau Seuster CDU/CSU Dr. Hauff Schluckebier Sieler (Amberg) Heimann Frau Schmidt (Nürnberg) Singer Scheu Heistermann Schmidt (Salzgitter) 978 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Vizepräsident Westphal Dr. Schmude Frau Dempwolf Lummer Frau Dr. Wilms Schreiner Deres Maaß Wilz Schröer (Mülheim) Dörflinger Frau Männle Windelen Schütz Dr. Dollinger Magin Frau Dr. Wisniewski Seidenthal Doss Marschewski Wissmann Frau Seuster Dr. Dregger Dr. Meyer zu Bentrup Dr. Wittmann Sieler (Amberg) Echternach Dr. Miltner Dr. Wörner Singer Ehrbar Dr. Möller Würzbach Frau Dr. Skarpelis-Sperk Eylmann Müller (Wadern) Zeitlmann Dr. Sperling Dr. Faltlhauser Müller (Wesseling) Dr. Zimmermann Dr. Spöri Feilcke Nelle Zink Stahl (Kempen) Dr. Fell Neumann (Bremen) Frau Steinhauer Fellner Dr. Olderog Stiegler Fischer (Hamburg) Oswald FDP Dr. Struck Francke (Hamburg) Frau Pack Frau Terborg Dr. Friedmann Pesch Frau Dr. Adam-Schwaetzer Tietjen Dr. Friedrich Petersen Baum Toetemeyer Fuchtel Pfeifer Beckmann Frau Traupe Ganz (St. Wendel) Dr. Pfennig Cronenberg (Arnsberg) Urbaniak Frau Geiger Dr. Pinger Dr. Feldmann Vahlberg Geis Dr. Pohlmeier Frau Folz-Steinacker Verheugen Dr. Geißler Dr. Probst Gallus Dr. Vogel Dr. von Geldern Rauen Gattermann Voigt (Frankfurt) Gerstein Rawe Genscher Vosen Gerster (Mainz) Regenspurger Gries Waltemathe Glos Repnik Grünbeck Wartenberg (Berlin) Dr. Göhner Dr. Riedl (München) Grüner Weiermann Dr. Götz Dr. Riesenhuber Frau Dr. Hamm-Brücher Frau Weiler Gröbl Frau Rönsch (Wiesbaden) Dr. Haussmann Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Grünewald Frau Roitzsch (Quickborn) Heinrich Dr. Wernitz Günther Dr. Rose Dr. Hirsch Westphal Dr. Häfele Rossmanith Hoppe Frau Weyel Harries Roth (Gießen) Dr. Hoyer Dr. Wieczorek Frau Hasselfeldt Rühe Irmer Wieczorek (Duisburg) Haungs Dr. Rüttgers Kleinert (Hannover) Frau Wieczorek-Zeul Hauser (Esslingen) Ruf Kohn Wiefelspütz Hauser (Krefeld) Sauer (Salzgitter) Dr.-Ing. Laermann von der Wiesche Hedrich Sauer (Stuttgart) Lüder Wimmer (Neuötting) Freiherr Heereman von Sauter (Ichenhausen) Mischnick Wischnewski Zuydtwyck Dr. Schäuble Möllemann Dr. de With Frau Dr. Hellwig Scharrenbroich Neuhausen Wittich Helmrich Schartz (Trier) Nolting Würtz Dr. Hennig Schemken Paintner Zander Herkenrath Scheu Richter Zeitler Hinrichs Schmidbauer Rind Hinsken Schmitz (Baesweiler) Ronneburger Höffkes Dr. Schneider (Nürnberg) Dr. Rumpf Höpfinger Schreiber Frau Dr. Segall DIE GRÜNEN Hörster Dr. Schroeder (Freiburg) Frau Seiler-Albring Dr. Hoffacker Schulhoff Dr. Solms Frau Garbe Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Schulte Dr. Thomae Frau Saibold Dr. Hornhues (Schwäbisch Gmünd) Timm Frau Unruh Frau Hürland-Büning Schulze (Berlin) Wolfgramm (Göttingen) Wetzel Dr. Hüsch Schwarz Frau Würfel Dr. Jahn (Münster) Dr. Schwörer Zywietz Dr. Jenninger Seehofer Dr. Jobst Seesing Jung (Limburg) Seiters DIE GRÜNEN Nein Jung (Lörrach) Spilker Kalisch Dr. Sprung Dr. Daniels (Regensburg) CDU/CSU Dr.-Ing. Kansy Dr. Stark (Nürtingen) Frau Oesterle-Schwerin Dr. Kappes Dr. Stoltenberg Sellin Kiechle Straßmeir Wüppesahl Austermann Klein (München) Strube Bauer Dr. Köhler (Wolfsburg) Stücklen Dr. Becker (Frankfurt) Kolb Frau Dr. Süssmuth Frau Berger (Berlin) Kossendey Tillmann Biehle Kraus Dr. Uelhoff Enthalten Dr. Blank Krey Uldall Dr. Blens Dr. Kronenberg Frau Verhülsdonk DIE GRÜNEN Dr. Blüm Dr. Kunz (Weiden) Vogel (Ennepetal) Börnsen (Bönstrup) Lamers Vogt (Düren) Ebermann Dr. Bötsch Dr. Lammert Dr. Vondran Frau Eid Bohl Dr. Langner Dr. Voss Frau Hillerich Bohlsen Lattmann Dr. Waffenschmidt Hoss Borchert Dr. Laufs Dr. Waigel Hüser Breuer Frau Limbach Graf von Waldburg-Zeil Frau Kelly Buschbom Link (Diepholz) Dr. Warrikoff Kleinert (Marburg) Carstensen (Nordstrand) Link (Frankfurt) Dr. von Wartenberg Dr. Knabe Clemens Lintner Weirich Frau Krieger Dr. Czaja Dr. Lippold (Offenbach) Weiß (Kaiserslautern) Dr. Mechtersheimer Dr. Daniels (Bonn) Dr. h. c. Lorenz Werner (Ulm) Frau Nickels Daweke Louven Frau Will-Feld Frau Olms Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 979

Vizepräsident Westphal Frau Schilling Frau Trenz Höpfinger Schreiber Schily Frau Vennegerts Hörster Dr. Schroeder (Freiburg) Frau Schmidt-Bott Volmer Dr. Hoffacker Schulhoff Frau Schoppe Weiss (München) Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Schulte Stratmann Frau Wilms-Kegel Dr. Hornhues (Schwäbisch Gmünd) Frau Teubner Frau Wollny Frau Hürland-Büning Schulze (Berlin) Dr. Hüsch Schwarz Dr. Jahn (Münster) Dr. Schwörer Damit war dieser Antrag abgelehnt. Dr. Jenninger Seehofer Dr. Jobst Seesing Die namentliche Abstimmung über den Antrag der Jung (Limburg) Seiters Fraktion die GRÜNEN auf Drucksache 11/412 hat fol- Jung (Lörrach) Dr. Sprung gendes Ergebnis gehabt: 421 Kollegen haben abge- Kalisch Dr. Stark (Nürtingen) Dr.-Ing. Kansy Dr. Stoltenberg stimmt, keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben Dr. Kappes Straßmeir gestimmt 27 Abgeordnete, mit Nein 375. Es hat 19 Kiechle Strube Enthaltungen gegeben. Klein (München) Stücklen Dr. Köhler (Wolfsburg) Frau Dr. Süssmuth Kolb Tillmann Kossendey Dr. Uelhoff Endgültiges Ergebnis Kraus Uldall Krey Frau Verhülsdonk Abgegebene Stimmen 421; davon Dr. Kronenberg Vogel (Ennepetal) Dr. Kunz (Weiden) Vogt (Düren) ja: 27 Lamers Dr. Vondran nein: 375 Dr. Lammert Dr. Voss Dr. Langner Dr. Waffenschmidt enthalten: 19 Lattmann Dr. Waigel Dr. Laufs Graf von Waldburg-Zeil Ja Borchert Frau Limbach Dr. Warrikoff Breuer Link (Diepholz) Dr. von Wartenberg SPD Buschbom Link (Frankfurt) Weirich Carstensen (Nordstrand) Lintner Weiß (Kaiserslautern) Frau Weiler Clemens Dr. Lippold (Offenbach) Werner (Ulm) Dr. Czaja Dr. h. c. Lorenz Frau Will-Feld Dr. Daniels (Bonn) Louven Frau Dr. Wilms DIE GRÜNEN Daweke Lummer Wilz Frau Dempwolf Maaß Windelen Dr. Daniels (Regensburg) Deres Frau Männle Frau Dr. Wisniewski Ebermann Dörflinger Magin Wissmann Frau Garbe Dr. Dollinger Marschewski Dr. Wittmann Frau Hillerich Doss Dr. Meyer zu Bentrup Dr. Wörner Hoss Dr. Dregger Dr. Miltner Würzbach Hüser Echternach Dr. Möller Zeitlmann Frau Kelly Ehrbar Müller (Wadern) Dr. Zimmermann Kleinert (Marburg) Eylmann Müller (Wesseling) Zink Dr. Knabe Dr. Faltlhauser Nelle Frau Krieger Feilcke Dr. Neuling Frau Nickels Dr. Fell Neumann (Bremen) SPD Frau Oesterle-Schwerin Fellner Dr. Olderog Frau Olms Fischer (Hamburg) Oswald Andres Frau Saibold Francke (Hamburg) Frau Pack Dr. Apel Frau Schilling Dr. Friedmann Pesch Bachmaier Frau Schmidt-Bott Dr. Friedrich Petersen Bahr Sellin Fuchtel Pfeifer Bamberg Stratmann Ganz (St. Wendel) Dr. Pfennig Becker (Nienberge) Frau Teubner Frau Geiger Dr. Pinger Frau Becker-Inglau Frau Trenz Geis Dr. Pohlmeier Bernrath Volmer Dr. Geißler Dr. Probst Dr. Böhme (Unna) Weiss (München) Dr. von Geldern Rawe Börnsen (Ritterhude) Wetzel Gerstein Regenspurger Brandt Frau Wilms-Kegel Gerster (Mainz) Repnik Brück Frau Wollny Dr. Göhner Dr. Riedl (München) Büchler (Hof) Wüppesahl Dr. Götz Dr. Riesenhuber Dr. von Bülow Gröbl Frau Rönsch (Wiesbaden) Buschfort Dr. Grünewald Frau Roitzsch (Quickborn) Catenhusen Günther Dr. Rose Conradi Nein Dr. Häfele Rossmanith Daubertshäuser Harries Roth (Gießen) Diller CDU/CSU Frau Hasselfeldt Rühe Dreßler Haungs Dr. Rüttgers Duve Austermann Hauser (Esslingen) Ruf Egert Bauer Hauser (Krefeld) Sauer (Salzgitter) Dr. Ehmke (Bonn) Dr. Becker (Frankfurt) Hedrich Sauer (Stuttgart) Dr. Ehrenberg Frau Berger (Berlin) Freiherr Heereman von Sauter (Ichenhausen) Dr. Emmerlich Biehle Zuydtwyck Dr. Schäuble Erler Dr. Blank Frau Dr. Hellwig Scharrenbroich Esters Dr. Blens Helmrich Schartz (Trier) Ewen Dr. Blüm Dr. Hennig Schemken Frau Faße Börnsen (Bönstrup) Herkenrath Scheu Frau Fuchs (Köln) Dr. Bötsch Hinrichs Schmidbauer Frau Ganseforth Bohl Hinsken Schmitz (Baesweiler) Gansel Bohlsen Höffkes Dr. Schneider (Nürnberg) Dr. Gautier 980 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Vizepräsident Westphal Gerster (Worms) Stiegler Jansen DIE GRÜNEN Gilges Dr. Struck Nehm Dr. Glotz Frau Terborg Frau Dr. Niehuis Frau Eid Frau Dr. Götte Tietjen Oesinghaus Dr. Mechtersheimer Graf Toetemeyer Schütz Schily Großmann Frau Traupe Weisskirchen (Wiesloch) Frau Schoppe Grunenberg Urbaniak Wieczorek (Duisburg) Frau Unruh Dr. Haack Vahlberg Frau Wieczorek-Zeul Frau Vennegerts Haack (Extertal) Verheugen Haar Dr. Vogel Frau Hämmerle Voigt (Frankfurt) Frau Dr. Hartenstein Vosen Hasenfratz Waltemathe Damit war auch dieser Antrag abgelehnt. Dr. Hauff Wartenberg (Berlin) Heimann Weiermann Heistermann Dr. Wernitz Ich rufe nun den Zusatztagesordnungspunkt 5 Heyenn Westphal auf: Horn Frau Weyel Huonker Dr. Wieczorek Aktuelle Stunde Ibrügger Wiefelspütz Verlautbarungen des Bundesministers des Jahn (Marburg) von der Wiesche Jaunich Wimmer (Neuötting) Innern über die Initiative „Sportler für den Dr. Jens Wischnewski Frieden" Jung (Düsseldorf) Dr. de With Jungmann Wittich Kiehm Die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der An- Würtz lage V unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Kirschner Zander Klein (Dieburg) Zeitler Stunde zu diesem Thema verlangt. Klose Koschnick Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- Kretkowski ordnete Dr. Emmerlich. Kühbacher FDP Kuhlwein Leidinger Frau Dr. Adam-Schwaetzer Lennartz Baum Leonhart Beckmann Dr. Emmerlich (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Lohmann (Witten) Cronenberg (Arnsberg) geehrten Damen und Herren! Mehr als 5 000 Sportle- Lutz Dr. Feldmann - rinnen und Sportler, Sportfunktionäre, Sportwissen- Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Folz-Steinacker Frau Matthäus-Maier Gallus schaftler, Sportpädagogen und Sportjournalisten Menzel Gattermann haben sich seit 1981 in der Initiative „Sportler für den Dr. Mertens (Bottrop) Genscher Frieden — gegen Atomraketen" zusammengefunden. Dr. Mitzscherling Gries Es handelt sich bei ihnen um urteilsfähige selbstbe- Müller (Düsseldorf) Grünbeck Müller (Pleisweiler Grüner wußte Glieder unseres demokratischen Gemeinwe- Oberhofen) Frau Dr. Hamm-Brücher sens. Müntefering Dr. Haussmann Nagel Heinrich (Beifall bei der SPD) Dr. Niese Dr. Hirsch Unter ihnen sind Spitzensportler, die unser Land Niggemeier Hoppe Dr. Nöbel Dr. Hoyer international erfolgreich vertreten und dadurch sein Frau Odendahl Irmer Ansehen in der Welt erhöht haben. Paterna Kleinert (Hannover) Pauli Kohn Diese Sportler und die übrigen Mitglieder der Pfuhl Dr.-Ing. Laermann Sportlerinitiative haben in Wahrnehmung ihres Dr. Pick Lüder Grundrechts auf freie politische Betätigung gehan- Porzner Mischnick delt. Keine staatliche Instanz durfte sich ihnen dabei Poß Möllemann Purps Neuhausen in den Weg stellen, sie kontrollieren, behindern, dis- Reimann Nolting kriminieren oder sanktionieren. Frau Renger Paintner Reschke Richter (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Reuter Rind Die Sportlerinitiative will vom 12. bis 28. Juni dieses Rixe Ronneburger Roth Dr. Rumpf Jahres eine Friedensstafette durch die gesamte Bun- Schäfer (Offenburg) Frau Dr. Segall desrepublik durchführen. Im Hinblick auf diese Frie- Schanz Frau Seiler-Albring densstafette hat das Bundesamt für Verfassungs- Scherrer Dr. Solms schutz einen Bericht erstattet, in dem der Eindruck Schluckebier Dr. Thomae Frau Schmidt (Nürnberg) Timm erweckt wird, die Sportlerinitiative und die Friedens- Schmidt (Salzgitter) Frau Würfel stafette seien kommunistisch unterwandert. Dr. Schmude Zywietz (Zuruf von der SPD: Unerhört!) Schreiner Schröer (Mülheim) Führende Mitglieder der Friedensinitiative, Dr. Seidenthal Enthalten Horst Meier, Cornelia Hanisch, Ewald Lienen, Dr. Frau Seuster Franz Josef Kemper und Michael Groß haben zu die- Sieler (Amberg) SPD Singer sem Bericht zutreffend erklärt — ich zitiere — : Frau Dr. Skarpelis-Sperk Bindig Unter Fortlassung von Tatsachen und wichtigen Dr. Sperling Frau Bulmahn Dr. Spöri Fischer (Homburg) Fakten, durch falsche Darstellungen und mani- Stahl (Kempen) Frau Fuchs (Verl) pulierte Informationen erweckt der Verfassungs- Frau Steinhauer Dr. Hauchler schutzbericht den Eindruck, daß die zahlreichen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 981

Dr. Emmerlich Sportler, die in der Initiative „Sportler und Sport- grundgesetzlich garantierte politische Freiheitsrechte lerinnen für den Frieden" mitwirken, linksextre- aussprechen. mistisch beeinflußt sind. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Der Bundesinnenminister, meine sehr geehrten der GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Damen und Herren, hat die in dem Verfassungs- Sehr jämmerlich, Herr Emmerlich!) schutzbericht mitgeteilten haltlosen, ja geradezu absurden Verdächtigungen untadeliger und verdien- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Herr ter Bürgerinnen und Bürger unseres Landes nicht, wie Abgeordnete Gerster (Mainz). es seine Pflicht gewesen wäre, zurückgewiesen; im Gegenteil, er hat jede sich bietende Gelegenheit gera- dezu begierig wahrgenommen, Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ja ein belieb- (Lambinus [SPD]: Das ist ein Sportmini- tes oppositionspolitisches Spiel, einen Sachverhalt so ster!) aufzublasen und zu verfälschen, daß man ihn kaum mehr wiedererkennt. Die künstliche Aufregung und richt veröffentlicht und die damit dieser obskure Be Empörung von Ihnen — auch von Ihnen, Herr Emmer- Mitglieder der Sportlerinitiative vor aller Welt als lich — in Sachen „Friedensinitiative der Sportler" ist Handlanger der Kommunisten an den Pranger gestellt dafür ein trauriges Beispiel. Man muß es Ihnen schon wurden. lassen: Sie haben sich in den vergangenen Wochen so Offensichtlich will der Bundesinnenminister die eindrucksvoll entrüstet, daß Sie völlig den Boden der Friedensinitiative der Sportler behindern und die Realitäten verlassen haben. Durchführung der Friedensstafette stören. Der Bun- (Kuhlwein [SPD]: Er liest seine spontane Ant desinnenminister mißbraucht den Verfassungsschutz wort ab!) für politische Zwecke. Dabei hätte die Lektüre der Überschrift dieses Papiers (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) wie auch seines Inhalts voreilige Kritiker eines Besse- ren belehrt; denn das vom Bundesinnenministerium Er mißachtet die Freiheit der politischen Betätigung. u. a. dem Sportausschuß dieses Hauses zugeleitete (Zustimmung bei der SPD) Papier trägt die Überschrift: Versuche linksextremisti- - scher Einflußnahme auf die — ich kürze jetzt ab — Ich frage Sie, Herr Bundesinnenminister: Haben Sie Friedensinitiative der Sportler und auf die Vorberei- oder ein Angehöriger Ihres Ministeriums die Anferti- tung der Friedensstafette 1987. gung des Berichts über die Sportlerinitiative und die (Zuruf von der SPD: Also doch!) Friedensstafette veranlaßt? Ist die Sportlerinitiative bzw. sind Mitglieder dieser Initiative in Akten und Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat hier Dateien des Bundesamtes für Verfassungsschutz als nicht mehr und nicht weniger getan, „kommunistisch beeinflußt" registriert? Sind Informa- (Büchner [Speyer] [SPD]: Als zur Diffamie tionen über die Sportlerinitiative und ihre Mitglieder rung beizutragen!) an andere Verfassungsschutzbehörden, an andere als die Bemühungen orthodoxer Kommunisten um Sicherheitsbehörden oder an sonstige staatliche Stel- Einflußnahme auf eine Friedensinitiative darzustellen len weitergeleitet worden? und mit — wie inzwischen niemand mehr bestreiten Herr Bundesinnenminister, ich fordere Sie auf: kann — zutreffenden Tatsachen zu belegen. erstens die Beobachtung der Sportlerinitiative durch (Dr. Nöbel [SPD]: Das glaubt Ihnen kein das Bundesamt für Verfassungsschutz zu unterbin- Mensch!) den Weder war und ist die Friedensinitiative der Sportler (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Beobachtungsgegenstand des Verfassungsschutzes, der GRÜNEN) (Zuruf von der SPD: Na?) und dafür zu sorgen, daß ihre Aktivitäten in den noch hat das Bundesamt für Verfassungsschutz — wie Akten, Dateien und Berichten des Verfassungsschut- Politiker der SPD wahrheitswidrig behaupten — ein- zes nicht aufgezeichnet und, soweit das geschehen ist, zelne Sportler bespitzelt. unverzüglich gelöscht werden; (Zuruf von den GRÜNEN: Das stimmt doch nicht! — Lambinus [SPD]: Und woher dann (Beifall bei der SPD — Schäfer [Offenburg] die Erkenntnisse?) [SPD]: Und was ist mit der öffentlichen Diffa- mierung?) Eine weitere Richtigstellung ist notwendig: Es gehört zur pflichtgemäßen Aufgabenerfüllung der zweitens jede Veröffentlichung über die Sportlerin- Verfassungsschutzbehörde, die Erkenntnisse aus der itiative zukünftig zu unterlassen; drittens die Sportler- Beobachtung von Extremisten auszuwerten und initiative und ihre Mitglieder durch öffentliche sachgerecht zu speichern. Meine Damen, meine Her- Zurücknahme der gegen sie ausgesprochenen Ver- ren, dies führt nicht zur Speicherung von Daten nor- dächtigungen und dadurch zu rehabilitieren, maler Mitglieder etwa einer Friedensinitiative. Um es (Beifall bei der SPD) konkret zu sagen: Kein Demokrat hat — wie von Ihnen wahrheitswidrig auch schon behauptet daß Sie vor der deutschen Öffentlichkeit Ihr Bedauern wurde — irgend etwas mit NADIS zu tun; keine Sport- über die nicht zu entschuldigenden Eingriffe in organisation, keine Gewerkschaft, keine Kirche, kein 982 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Gerster (Mainz) anderer Verband wird vom Verfassungsschutz ausge- und das Sie letzten Endes inhaltlich ja überhaupt nicht forscht. Dafür werden wir sorgen, und dafür sorgen bestreiten können, auch die parlamentarischen Kontrollgremien. (Büchner [Speyer] [SPD]: Sie sind ein wahrer (Zuruf von der SPD: Unglaubwürdig!) Demokrat!) sondern dadurch zu verteufeln versuchen, daß Sie Es gehört allerdings zu den von der Verfassung behaupten, einzelne Sportler sollten hier diffamiert gewollten und im Verfassungschutzgesetz festge- werden. schriebenen Aufgaben des Verfassungsschutzes, Ver- suche der DKP, auf demokratische Gruppierungen Kein Sportler wird diffamiert, aber wir werden auch Einfluß zu nehmen, deutlich zu machen. in Zukunft darauf achten, ob Kommunisten und andere Linksextreme versuchen, derartige Initiativen Sehen Sie, meine Damen, meine Herren, Sie sollten zu mißbrauchen, um ihr Geschäft zu betreiben. vielleicht die ganze Diskussion einmal in Zusammen- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. hang mit Äußerungen einzelner Politiker der SPD stel- len. Es war ja gerade ein SPD-Politiker, der dieser (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Tage in einer kommunistischen Zeitung vom Frau Unruh [GRÜNE]: Paß mal bloß mit Celle „Abschied vom Antikommunismus" sprach. auf! Da hast du mehr mit zu tun, mit den Banausen! — Zuruf von der CDU/CSU: Oma, (Büchner [Speyer] [SPD]: O, jetzt kommen nicht so laut! — Frau Unruh [GRÜNE]: Das die Ablenkungsmanöver!) halte ich, wie ich will! Da soll der Zimmer mann mal drauf aufpassen!) Es ist ja die SPD in Schleswig-Holstein, die in ihrem Wahlprogramm zwar vor neofaschistischen Tenden- zen warnt, aber kein Wort zu linksextremistischen Vizepräsident Westphal: Jetzt erteile ich dem Abge- Bedrohungen sagt. Ich frage mich: Wollen Sie eigent- ordneten Brauer das Wort. lich nur auf einer Seite politisch Radikale kontrollie- ren und im Auge behalten, und sind Sie auf dem lin- Brauer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte ken Auge wirklich so blind, wie Sie hier tun? Damen und Herren! Für mich ist überhaupt nicht neu, (Kuhlwein [SPD]: Das müssen gerade Sie daß das Bundesinnenministerium in dieser friedens- politischen Situation die Friedensinitiativen überwa- sagen! — Lambinus [SPD]: Ausgerechnet Sie - müssen das sagen!) chen läßt. Neu ist aber, daß nun die Bespitzelung auf den Sport und auf viele Sportlerinnen und Sportler Meine Damen, meine Herren! Seit Bestehen dieser ausgedehnt worden ist. Bundesrepublik war es ein fester Grundkonsens zwi- (Zuruf von der SPD: Nicht so ganz neu! Ist schen allen demokratischen Parteien, daß es keine auch schon einige Jahre her!) Gemeinsamkeit und Zusammenarbeit mit Extremi- sten auf der linken oder rechten Seite geben darf. Die- Solange die Sportler um Medaillen rennen, werfen, ser Grundkonsens ist von den GRÜNEN ja nie akzep- springen und schwimmen, werden sie vom Innenmi- tiert worden. nister für besondere Leistungen mit dem silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet. (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Auch nicht (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Ein guter beim Stabhochsprung! — Frau Unruh Nationalist!) [GRÜNE]: Beim Zimmermann schon gar Wenn sie aber diesen scheinbar unpolitischen Bereich nicht!) verlassen, sich in ihrer Vorbildfunktion zu wichtigen und wird von der SPD Stück für Stück, was die Kom- Überlebensfragen, wie hier für Frieden und Abrü- munisten angeht, verlassen. Nach dem Motto: Gut ist, stung, äußern und engagieren, also selbstverständli- was links ist, che demokratische Rechte wahrnehmen, dann passen sie nicht in das von der Bundesregierung gewünschte (Zuruf von der SPD: Das stimmt doch!) Bild eines sogenannten unpolitischen Sportlers. wird die Distanz zu den kommunistischen Antidemo- (Beifall bei den GRÜNEN — Kleinert [Mar kraten verwaschen. Kurt Schumacher und Ernst Reu- burg] [GRÜNE]: Genau das ist der Punkt!) ter wären für manche in der SPD heute nur noch pri- Wenn sich wie in diesem Falle viele bekannte Spit- mitive Antikommunisten. zensportler für atomare Abrüstung in Ost und West, für einen Atomteststopp, für die doppelte Null-Lösung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — unter Einbeziehung der Pershing I a, gegen die Mili- Zuruf von der SPD: Unverschämt! — Weitere tarisierung des Weltalls einsetzen und somit Ziele ver- Zurufe von der SPD) treten, die von der Mehrheit der Bevölkerung getra- Das ist die Situation, daß Sie nicht mehr wahrhaben gen werden, jedoch nicht Regierungspolitik unterstüt- wollen, daß Teile Ihrer Partei inzwischen gemeinsame zen, dann werden sie mit den Mitteln der Registrie- Sache mit Kommunisten machen, rung, der Verdatung eingeschränkt. (Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie das (Lambinus [SPD]: Das ist genau der Hinter- Papier überhaupt gelesen, Herr Brauer?) grund! — Weitere Zurufe von der SPD) Da gegen die Meinung der Mehrheit der Bevölke- und deswegen die Aufregung über ein Papier, das im rung in Fragen der Abrüstung nicht offen angegangen Vollzug demokratischer Gesetze erstellt worden ist werden kann, wird die alte Methode des Antikommu- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 983

Brauer nismus hier benutzt. Durch Nennung von wenigen tion! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Namen wird der Eindruck erweckt, die Sportlerfrie- Das glauben wir Ihnen!) densinitiative sei kommunistisch unterwandert und Wir ermuntern alle Sportler und Sportlerinnen ferngesteuert. Das alte Feindbild Kommunismus soll — ohne Ausnahme; da schließen wir niemanden rekrutiert werden, um gegen mißliebige Gruppen vor- aus — , sich an dieser Friedensstafette zu beteiligen, zugehen. und möchten dabei nicht DKP-Mitglieder ausschlie- (Büchner [Speyer] [SPD]: Jahrzehntelange ßen, wie das von der SPD geschehen ist. Methode!) (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Was machen Angesichts der in Gang gekommenen Abrüstungs- Sie denn, wenn Nazis auftreten?) diskussion haben konservative Kreise Angst — Darüber können wir auch einmal diskutieren. (Lambinus [SPD]: Reaktionäre, nicht konser- (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Was machen vative! ) Sie dann?) — gut —, daß die Stafette der Sportler mit ihrer großen Wir fordern den Bundesinnenminister auf, das Dos- Öffentlichkeitswirksamkeit die Mehrheitsmeinung sier über die Friedensinitiative der Sportler unverzüg- der Bürger nach Abrüstung zu deutlich dokumen- lich einzuziehen, die Bespitzelung einzustellen, die tiert. Daten zu vernichten. (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord Im Grunde genommen sollte doch durch diese Ver- neten der SPD) öffentlichung des Dossiers eine Isolierung der Sport- lerinitiative erreicht werden nach dem ganz einfachen ng nicht mit Motto: Spiel nicht mit Karl Allgöwer, sp ri Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- Carlo Tränhardt, schwimm nicht mit Michael Groß. nete Baum. (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist doch wirklich dummes Zeug, was Sie hier erzäh- len!) Baum (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einer der sensibelsten Bereiche im Verfas- So vereinfacht ist es, glaube ich, gut rüberzubrin- sungsschutzbericht ist jeweils das Kapitel „Einfluß gen. der DKP auf andere Organisationen". Es war immer wichtig, hier mit großer Behutsamkeit vorzugehen; (Beifall bei den GRÜNEN — Gerster [Mainz] - [CDU/CSU]: Sie wissen genau, daß Sie die denn Anknüpfungspunkt ist allein die Tätigkeit der Unwahrheit verkünden!) DKP, deren Ziele natürlich gegen die freiheitlich- demokratische Grundordnung gerichtet sind. Das mündet in den Satz: Laß dich nicht mit Lienen ein, Es muß unterschieden werden zwischen den Aktivi- sonst bist du ein.. täten der DKP und den Aktivitäten der demokratisch (Dr. Wittmann [CDU/CSU]: Was denn?) eingestellten Mitglieder solcher Organisationen und Initiativen. — Das können Sie ja einmal selbst weiterdenken. (Sehr gut! bei der SPD) (Dr. Wittmann [CDU/CSU]: Nein, das möch- Sie dürfen nicht deshalb verdächtigt oder ins Zwie- ten wir jetzt wissen!) licht gerückt werden, weil sie es in Kauf nehmen, daß — Sie kennen doch wahrscheinlich auch das Lied. auch DKP-Mitglieder in Organisationen und Initiati- ven mitwirken, Dieser Einschüchterungsversuch, verharmlosend dargestellt mit dem Begriff positiver Verfassungs- (Büchner [Speyer] [SPD]: Genau das ist aber schutz, zeichnet ein deutliches Bild der Verfassung der Fall!) des Verfassungsschutzes und unserer Regierung. zumal dann, wenn die Ziele einer Initiative, über die man politisch natürlich streiten kann, nicht gegen die (Beifall bei den GRÜNEN) freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet Innenminister Zimmermann, der sowohl verant- sind. Es darf nicht im Ansatz der Eindruck entstehen, wortlich für die Tätigkeit des Verfassungsschutzes daß die politische Tätigkeit von Bürgern Anlaß zu zeichnet als auch für den Sport zuständig ist, muß wis- Beanstandungen des Verfassungsschutzes in diesem sen, das der Sport Diskriminierung wegen Rasse, Reli- Sinne gibt. gion und politischer Richtung ausdrücklich aus- (Büchner [Speyer] [SPD]: Der soll aber schließt. In dieser Sportlerinitiative, die sich als über- erweckt werden!) parteilich begreift, können und sollen alle diejenigen mitmachen, die sich für Abrüstung und Frieden enga- Es ist nicht zu beanstanden, daß die Öffentlichkeit gieren. Da wird nicht nach Parteizugehörigkeit über die Aktivitäten der DKP und solchen von der gefragt. Das ist im übrigen im Sport auch nicht DKP beeinflußter Initiativen informiert wird. Das ist üblich. Aufgabe des Verfassungsschutzes. Es kommt aber immer darauf an, wie das geschieht. Eine Diskriminie- Wenn der Verfassungsschutz festgestellt hat, daß u. a. rung der anderen, nicht der DKP angehörenden Mit- auch Kommunisten dabei sein sollen, so begrüßen wir glieder und Teilnehmer darf auf keinen Fall erfol- das ausdrücklich. gen. (Beifall bei den GRÜNEN — Gerster [Mainz] (Büchner [Speyer] [SPD]: Das ist aber [CDU/CSU]: Die sitzen ja auch in Ihrer Frak- gewollt!) 984 Deutscher Bundestag — 1 i. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Baum Im vorliegenden Fall hat das Innenministerium klar- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- gestellt — leider erst nach einer gewissen Zeit —, daß nete Lambinus. der Anknüpfungspunkt allein die Tätigkeit der DKP sein kann. Das Schreiben, das am 10. Ap ril 1987 dem Vorsitzenden des Sportausschusses vom BMI über- Lambinus (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und mittelt wurde, nimmt eine solche Wertung leider nicht Herren! Herr Zimmermann, als sogenannter Sportmi- vor und konnte deshalb zu Mißinterpretationen in der nister haben Sie sich einer schweren Pflichtverletzung Öffentlichkeit führen. schuldig gemacht. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten (Lambinus [SPD]: Mußte! — Brauer [GRÜNE]: Sollte!) der GRÜNEN) Sie haben es zugelassen, daß untadelige staats- und Aus ihm konnte leicht der Schluß gezogen werden, verfassungstreue Mitbürger durch ein übles Pamphlet daß alle Mitglieder dieser Initiative in einen Topf beleidigt, verdächtigt und in die Ecke von Verfas- gehören. sungsfeinden gedrängt wurden. Es handelt sich dabei Die unbezweifelbar demokratisch eingestellten um verdiente und international hochgeschätzte Sport- Mitglieder solcher Initiativen dürfen wegen einer sol- ler. Ich nenne nur die Fecht-Olympiasiegerin Cornelia chen Mitwirkung keinerlei Nachteile erleiden. Sie Hanisch, eine Lehrerin; ich nenne den Schwimm dürfen nicht Beobachtungsziel sein und dürfen nicht Olympiasieger Michael Groß oder den Leichtathleten in Dateien gespeichert werden. Carlo Tränhardt. Ich nenne nur einige; die Nichtge- nannten mögen mir dies verzeihen. (Sehr gut! bei der SPD) Die ganze Aktion ist beschämend. Deshalb ist die Das BMI hat diese Aktion als positiven Verfassungs- Empörung der Betroffenen, Herr Minister, für uns voll schutz bezeichnet. Ich habe mich schon als Innenmi- verständlich. Mehrere prominente Sportler und Mit- nister dagegen gewandt. Das erweckt nämlich den glieder dieser Friedensinitiative haben ihr Erschrek- Eindruck, als gäbe es auch einen negativen Verfas- ken über dieses verleumderische Handeln in einem sungsschutz. Es gibt keinen negativen Verfassungs- Schreiben vom 20. Mai 1987 an Sie, Herr Zimmer- schutz. mann, deutlich zum Ausdruck gebracht. (Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN — (Fischer [Osthofen] [SPD]: Das juckt ihn doch Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Es gibt ihn!) nicht!) - Es ist Aufgabe des Verfassungsschutzes, uns über Die völlig zu Unrecht verdächtigten Sportler waren aber immerhin so unbedenklich und verfassungstreu, Bestrebungen zu informieren, die gegen die Grund- daß Sie sich, Herr Minister, erstens mit ihnen für Wer- ordnung gerichtet sind. Diese Aufgabe sollte in nüch- terner Gelassenheit selbstbewußter Demokraten bezwecke der Bundesregierung gerne als Sportmini- gelöst werden. ster fotografieren lassen (Büchner [Speyer] [SPD]: Der ist nun wirklich Die Willensbildung in unserer Gesellschaft wird von keine Werbung für die Bundesregierung!) der DKP, die bei den Wahlen ausgespielt hat, nicht bestimmt, meine Damen und Herren. Geschönte und und daß Sie zweitens dem Herrn Bundespräsidenten aufgeblähte Erfolgsmeldungen der DKP sollten nicht diese Sportler für höchste Auszeichnungen vorschlu- zur Grundlage von Erkenntnissen gemacht werden. gen, die die Bundesrepublik Deutschland zu verge- ben hat, so beispielsweise — es wurde bereits gesagt (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten — für das Silberne Lorbeerblatt. Das ist die höchste der SPD) Auszeichnung der Bundesrepublik Deutschland für Auch die Erfolge der sogenannten Bündnispolitik hal- sportliche Erfolge. ten sich in engen Grenzen. Herr Minister Zimmermann, wenn Sie im Stile eines Rückzugsgefechts nun scheinheilig — das darf ich Es stimmt, meine Damen und Herren, was der nicht sagen — erklären, Innenminister jedes Jahr sagt, daß unsere freiheitlich- demokratische Grundordnung stabil ist und in Wahr- (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Nein, da hat heit eben nicht bedroht ist. Nur ein kleiner Bruchteil es auch schon einmal Ärger gegeben!) der 10 000 Veranstaltungsteilnehmer in der Dortmun- die Initiative „Sportler für den Frieden — gegen der Westfalenhalle sind Anhänger der kommunisti- Atomraketen" sei überhaupt kein Objekt für den Ver- schen Partei. fassungsschutz gewesen, so ist dies eine Schutzbe- hauptung und völlig unglaubwürdig, denn woher, Ich meine, der Verfassungsschutz braucht Ver- wenn nicht dadurch, sollen die Erkenntnisse gekom- trauen, gerade auch bei jüngeren Menschen. Er hat men sein? unsere Unterstützung. Gegen ungerechtfertigte Angriffe auf den Verfassungsschutz werden wir Es muß mit aller Deutlichkeit noch einmal gesagt immer vorgehen. Das Innenministerium und der Ver- werden: Es handelt sich hier um ein schweres Fehl- fassungsschutz sollten aber alles vermeiden, was zu verhalten und nicht um eine Lappalie, Mißdeutungen seiner Tätigkeit führen kann. (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Wo liegt das (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten denn eigentlich? Das versteht doch kein der ÇDU/CSU — Büchner [Speyer] [SPD]: Mensch!) Das war ja eine politische Hinrichtung von wie Sie, Herr Zimmermann, und Ihr Haus und das Herrn Zimmermann!) Bundesamt es in der Öffentlichkeit darzustellen ver- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 985

Lambinus suchen. Wer sich die Erklärungen und Kommentare tion solche Berichte bekommen. Aber das nur am aus der CDU/CSU zum Wirken und zu den Zielsetzun- Rande. gen dieser Bürgerinitiativen genau ansieht, der kann (Büchner [Speyer] [SPD]: Was hat denn der nur den Eindruck gewinnen: Diese Methode hat Sportbund damit zu tun? Das ist eine freie System. Initiative! — Weitere Zurufe von der SPD) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) So hat Staatssekretär Neusel vom Bundesinnenmi- Vizepräsident Westphal: Jetzt wollen wir einmal nisterium in einem Schreiben an den Vorsitzenden den Redner reden lassen. des Sportausschusses bereits am 10. Ap ril angekün- digt, daß die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesmini- Fellner (CDU/CSU): Lieber Peter Büchner, ich sehe steriums des Innern verwendet werden. Hier setzt mich in der Lage, dir anschließend das Eigentliche unsere Kritik an. Diese Bürgerinitiativen wurden dieses Verfahrens und den Sinn zu erklären. durch Sie, durch Ihr Haus, öffentlich in Mißkredit gebracht. (Zuruf von der SPD: Das ist die bayerische Methode, was ihr da macht!) (Zurufe von der CDU/CSU — Büchner [Speyer] [SPD]: Das kann die CDU nicht ver- Bisher haben Organisationen wie der Sportbund stehen, daß man sich da aufregt!) immer noch wert darauf gelegt, es zu erfahren, wenn gegen ihre Mitglieder in irgendeiner Form versucht Herr Minister, wir erwarten, daß Sie wenigstens den wird, sie auf eine politische Linie zu ziehen, die dem Mut haben, einzugestehen, daß der Ermittlungsbe- Deutschen Sportbund oder anderen Organisationen richt des Bundesamtes für Verfassungsschutz und das, nicht recht sein kann. was die Angaben ausgelöst haben, eine schwerwie- gende Verantwortungslosigkeit war. Ich würde Ihnen (Zurufe von den GRÜNEN: Was? — Sport auch empfehlen, im Interesse des deutschen Sports hilfe für die Kommunisten! — Lachen bei den GRÜNEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Zurückzutreten? Oder was? — Heiterkeit) — Ach, schreit doch nicht so! — nein —: Entschuldigen Sie sich wenigstens bei den Meine Damen und Herren, dieses Papier weist auf betroffenen Sportlern. die Versuche der DKP und ihrer Hilfsorganisationen - hin, bei der Initiative „Sportler und Sportlerinnen für (Beifall bei der SPD und bei Abgeordenten den Frieden" — ich wundere mich über die Bezeich- der GRÜNEN) nung; es scheint ein besonders emanzipierter Verein zu sein — und bei der Vorbereitung der Friedensstaf- fette '87 Einfluß zu bekommen. Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- (Zuruf von der SPD: Na und!) nete Fellner. Es geht also um die Versuche der DKP, auf irgendwel- che Organisationen Einfluß zu nehmen. Solche Berichte macht der Verfassungsschutz seit (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen Fellner eh und je. Ich darf Ihnen aus einem Be richt der Bun- und Herren! Ich betätige mich sonst sportlich. Ich desregierung zitieren, wo es heißt: brauche mich also hier nicht so aufzuführen wie der Kollege Lambinus. Aber ich muß sagen, auch diese Es gehört zum klassischen Instrumenta rium der Aktuelle Stunde ist wieder weder aktuell noch die kommunistischen Strategie und Taktik, Aufregung wert, die darum gemacht wird. (Lambinus [SPD]: Das wissen wir doch!) (Widerspruch bei den GRÜNEN) Bündnisse und Aktionsgemeinschaften mit nicht Selbst der Kollege Alfred Emmerlich konnte nicht mit kommunistischen Parteien und Organisationen dem notwendigen Ernst die Aufgeregtheit zelebrie- einzugehen. ren, die nach seinen Worten eigentlich angemessen (Zuruf von der SPD: Nichts Neues!) gewesen wäre. Der strategische Zweck der Bündnispolitik ist die (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Wärest du Förderung der kommunistischen Zielvorstellun- doch auf dem Fußballplatz geblieben!) gen, deren Verfassungsfeindlichkeit die Bundes- Es ist doch notwendig, daß wir noch einmal auf das regierung wiederholt dargetan hat. Wie darge- zurückkommen, was eigentlich der Anlaß für diese legt wurde, betreiben die DKP und ihre Nebenor- Aufregung ist. Es geht darum, daß das Innenministe- ganisationen die Bündnispolitik letztlich in der rium einen Bericht des Bundesamts für Verfassungs- Absicht, der Verwirklichung ihrer verfassungs- feindlichen Zielsetzungen näherzukommen. schutz an den Präsidenten des Deutschen Sportbun- des und an den Vorsitzenden des Sportausschusses (Büchner [Speyer] [SPD]: Das sind erstaun des Deutschen Bundestages übersandt hat. lich neue Erkenntnisse!) (Zuruf von der SPD: Und an die Journalisten! — Das ist nicht neu. Das hat die Bundesregierung — Lambinus [SPD]: Und veröffentlicht!) 1978 gesagt, als sie noch von Ihnen geführt wurde. Diese Methode ist aus früherer Zeit der SPD-Fraktion Es geht also darum, zu sehen — das muß uns im durchaus gut bekannt; denn früher hat die SPD-Frak- Interesse des Verfassungsschutzes auch als Parlament 986 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Fellner interessieren —, ob die DKP, die sonst bei den Wahlen Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜ nichts bewegen kann, mit dieser Bündnisstrategie NEN) Erfolge hat, ob es ihr gelingt, Organisationen für sich Spitzensportler sollten sich nicht für mehr vereinnah- zu vereinnahmen bzw. bei deren Zielsetzung wesent- men lassen als das, wofür sie politisch tatsächlich ste- lichen Einfluß zu gewinnen. Das ist der Sinn dieses hen. Berichts des Verfassungsschutzes. Der Bericht ist so abgefaßt wie frühere Berichte in diesem Zusammen- (Zuruf von den GRÜNEN: Sportler sind doch hang und verdient auch unser Interesse. keine Halbidioten!) (Lambinus [SPD]: Aber Unschuldige muß Daß von den orthodoxen Kommunisten zumindest man in Schutz nehmen!) versucht werden soll, unsere Sportler für DKP-Ziele einzuspannen, Wir haben uns mit der Frage, die dann noch inter- (Erneute anhaltende Zurufe von der SPD und essieren kann, daß nämlich damit automatisch den GRÜNEN) bestimmte Bürger sozusagen in das Visier des Verfas- sungsschutzes geraten, sehr intensiv in dem Untersu- hat der zur Diskussion stehende Bericht des Bundes- chungsausschuß beschäftigt. — Kollege Lambinus, du amtes für Verfassungsschutz gezeigt. warst in diesem Ausschuß nie da und hast deshalb Danke schön. auch keine Ahnung, was das eigentliche Thema (Beifall bei der [CDU/CSU] — Klein [Die war. burg] [SPD]: Diese Rede war enthüllend! — (Lambinus [SPD]: Aber immer noch! Genau Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Bayern Mün- wie du!) chen! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) Wir haben in unserem Bericht zu diesem Thema festgestellt — ich zitiere — : Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- Naturgemäß rücken durch solche Vorgänge die nete Wüppesahl. demokratischen Organisationen als Zielobjekte extremistischer Politik und Unterwanderungs- bestrebungen ins Visier des Verfassungsschut- Wüppesahl (GRÜNE): Ich denke, daß die Abfolge zes. Sie dürfen dadurch jedoch auch künftig nicht paßt; der Kontrast wird gewahrt. Eigentlich müßte zum Beobachtungsgegenstand des Verfassungs- - diese Aktuelle Stunde tatsächlich den Titel „Einfluß schutzes werden. des Kommunismus auf das Speerwerfen" oder so ähn- lich bekommen. Meine Damen und Herren, auch wenn unsere Sportler also ganz eindeutig nicht Objekte der Beob- (Beifall bei den GRÜNEN) achtung sind, möchte ich, um Mißverständnissen vor- Ich glaube, Sie haben durch Ihren Beitrag soeben zubeugen, zum Friedensengagement unserer Sportler belegt, daß Sie überhaupt noch nicht beg riffen haben, folgendes sagen: welche Katastrophe da stattgefunden hat, wenn (Büchner [Speyer] [SPD]: Jetzt kommt die bereits solche Bevölkerungsgruppen der Bespitzelung Entschuldigung!) unterliegen müssen. (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Warum sind Wir schätzen den Beitrag des Sports zur Sicherung Sie denn bei den GRÜNEN ausgetreten? War des friedlichen Zusammenlebens und der Völkerver- das die Katastrophe?) ständigung sehr hoch ein. Der Sport fördert die Begegnung von Menschen untereinander und das Ebenso wie mit dem jährlichen Machwerk Verfas- Verständnis füreinander nicht nur ganz allgemein, sungsschutzbericht erfolgt unter der Überschrift sondern er ermöglicht es darüber hinaus, daß Men- „Positiver Verfassungsschutz" auch hier der Ver- schen aller Nationalitäten zusammenkommen und such, daß Trennendes — wie Nationalität oder Gesell- (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Für wen spre schaftsordnung — überwunden wird. chen Sie hier eigentlich!) (Dr. Nöbel [SPD]: Ganz neu! — Weitere mißliebige Personen und Organisationen in der Grau- Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) zone zwischen Verdacht und übler Nachrede quasi regierungsamtlich abzuqualifizieren. Die „FAZ" Vor allem aber ist es jedem Sportler als Person über- — weiß Gott nicht uns nahestehend — kommentiert lassen, den Gedanken des Friedens in Freiheit durch das unmißverständlich so: besondere Aktivitäten zu fördern. Schaden tut den Betroffenen noch nicht die (Erneute Zurufe von der SPD und den GRÜ- Observation selbst, sondern das anschließend NEN) geplante ,Ausposaunen' zweifelhafter Erkennt- Kein Sportler aber würde diesem Ziel dienen, wenn er nisse. Friedensinitiativen unterstützt, die ihn lediglich zu Und dies hat tatsächlich, wie schon festgestellt, Propagandazwecken mißbrauchen. Methode. Die Verfassungsschutzdossiers (Dr. Nöbel [SPD]: Das macht doch keiner! — (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das sind doch Büchner [Speyer] [SPD]: Sie stempeln die keine Dossiers, junger Mann!) Sportler zu Dummköpfen! Das ist Ihr Bild werden immer häufiger gezielt lanciert, um das Anse vom Sportler, daß Sie sagen: Alles Idioten! — hen von in der Öffentlichkeit stehenden Personen her- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 987

Wüppesahl abzusetzen. Genauso ist auch bei dieser Initiative ver- unbequem oder nicht beliebt sein —, per se keine ver- fahren worden. Mit der Rechtfertigung einer angeb- fassungsfeindliche Handlung ist. lich drohenden kommunistischen Beeinflussung (Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜ — und diese Bedrohung ist nach Ihrer Diktion ja tag- NEN) täglich rund um die Uhr gegeben — werden zuneh- mend demokratische, aber eben regierungskritische Daraus ergibt sich ein Problem: Wenn der Bürger Organisationen von den Dunkelmännern aufs Korn den Eindruck bekommen muß, er werde bei einer genommen. mißliebigen, aber legitimen Tätigkeit in das Blickfeld Wir meinen allerdings, daß die Verfassung inzwi- des Verfassungsschutzes geraten, dann wird er sich schen täglich von niemand anderem so intensiv mit wahrscheinlich politisch nicht mehr offen beteiligen. Füßen getreten wird wie von der Institution, die diese Der Schutz der Verfassung, den wir bejahen und den Verfassung entsprechend ihrem Namen schützen wir haben wollen, darf nicht zur Erstickung des poli- soll. tischen Lebens führen. (Beifall bei den GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und der SPD) Eigentlich verdient dieses Bundesamt für Verfas- Das ist der Punkt. sungsschutz längst den Begriff, der seiner eigentli- chen Funktion nahekommt, nämlich: Staatsschutz. Es Ich habe den Eindruck, daß der Verfassungsschutz schützt den Staat vor den Bürgern, anstatt dafür zu sozusagen mit dem Hintern das einreißt, was er mit sorgen, daß sich eine demokratische Kultur in diesem den Händen aufzubauen behauptet. Land entwickeln kann, die diesen Namen auch tat- (Beifall bei der FDP und der SPD) sächlich verdient. Es gibt auch nicht einen positiven oder negativen Da liegt das eigentliche Problem. Verfassungsschutz, sondern der Verfassungsschutz ist Der Innenminister sagt, daß die Initiative „Sportler ein Negativum! — Das läßt sich kaum klarer als an für den Frieden" kein Beobachtungsobjekt sei. Das dem Fall herausarbeiten, der dieser Debatte zugrunde nehme ich so ab, das mag so sein. Das ist in Ordnung. liegt. Nur, die Frage ist, ob der Verfassungsschutz bei seiner (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sind Sie für Tätigkeit das richtige Maß einhält. die Abschaffung?) (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Wie wollen Sie denn den kommunistischen Einfluß fest - stellen, wenn Sie nicht beobachten!) Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Wenn man den Verfassungsschutzbericht kritisch würdigt — wir werden das im Ausschuß noch tun —, dann muß man in der Tat zu dem Ergebnis kommen, Wüppesahl (GRÜNE): Wir bleiben dabei: Die Ämter daß der Linksextremismus — zumindest die DKP, um für Verfassungsschutz müssen ersatzlos abgeschafft die es hier geht — nicht nur in den Wahlen regelmäßig werden. dezimiert ist, sondern daß auch die Sch riften der DKP, (Beifall bei den GRÜNEN) öde und langweilig, von niemandem mehr außer einem kleinen Interessentenkreis gelesen werden und daß Schriften über Tätigkeiten dieser Art eine Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- große Publizität erlangen. nete Dr. Hirsch. Ich frage mich also, wenn dieser Be richt dem Vor- sitzenden des Sportausschusses und seinem Vertreter Dr. Hirsch (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- gegeben worden ist: Warum nicht allen Mitgliedern? ehrten Damen und Herren! Wenn man sich das Dos- Wenn der Präsident des Sportbundes unterrichtet sier des Verfassungsschutzes ansieht, dann stellt man worden ist, warum dann nicht die Vorstandsmitglie- fest, daß es über weite Strecken in der Tat eine öde der dieser Initiative, Zusammenstellung von Pressemitteilungen ist, deren (Beifall bei der FDP und der SPD) Würdigung eigentlich fehlt, mit denen man sich nicht kritisch auseinandersetzt. Und es sind eine Reihe von um ihnen zu sagen: Ihr seid möglicherweise ein Informationen da rin, die sich nur ergeben können, Beeinflussungsobjekt in der Bündnispolitik der Kom- wenn man die Veranstaltung selber mit beobachtet munisten. Das ist natürlich richtig: Je geringer der hat. eigene politische Einfluß der DKP ist, um so größer ist für sie die Versuchung, sich sozusagen irgendwo (Beifall des Abg. Büchner [Speyer] [SPD]) draufzusetzen, sich irgendwo anzuhängen, um damit Das Problem, das sich daraus ergibt, liegt nicht Einfluß ausüben zu können. darin, daß es sich um Prominente handelt, sondern darin, daß es Sportler sind, von denen wir wissen, daß Unsere Reaktion aber darf nun nicht die sein, daß sie keine verfassungsfeindliche Gesinnung haben. wir daraufhin jeden solchen Versuch dokumentieren, beobachten und sonstwie auf den Prüfstein stellen, (Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜ- NEN) (Zuruf von der SPD: Das ist der Punkt!) Das noch größere Problem liegt darin, daß die Tätig- sondern der Verfassungsschutz muß sich gerade keit, um die es sich handelt, also eine Friedensstafette wegen der Stabilität unserer politischen Gesellschaft durchzuführen — das mag politisch unangenehm, und um sie zu erhalten, auf die wirklich politisch 988 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Dr. Hirsch bedeutsamen Vorgänge konzentrieren. Dazu ist er trag. Der Gegenstand des Berichts ist natürlich nicht, nötig. wie wahrheitswidrig auch gerade wieder behauptet (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten worden ist, die Sportlerinitiative selbst, und es sind der GRÜNEN) schon gar nicht die mitwirkenden Sportler. Allein der Anteil der DKP an der Organisation von Aktionen der — Frau Unruh, Sie klatschen Beifall. Ich finde das Initiative ist in die Aufmerksamkeit von Verfassungs- großartig. schutz von Bund und Ländern geraten. Wir wollen den Verfassungsschutz nicht abschaf- (Dr. Emmerlich [SPD]: Was Sie erzählen, fen. Wir wollen seine demokratisch notwendige Wirk- stimmt nicht! Sie sagen die Unwahrheit!) samkeit dadurch erhalten, daß wir ihn von Quisquilien befreien und deshalb appellieren, daß wir uns nicht Dazu brauchen keine Observationen durchgeführt zu verzetteln und den Eindruck erwecken, wir wären in werden, sondern es brauchen nur jedermann zugäng- einem Überwachungsstaat, was falsch ist. liche Quellen hergenommen zu werden. Ich habe den Eindruck, daß es Zeit wird, einmal die Es ist eine alte marxistisch-leninistische Strategie notwendige Tätigkeit des Verfassungsschutzes neu und Taktik, daß die DKP die Zusammenarbeit mit zu vermessen nicht-kommunistischen Kräften sucht, um sich eine (Zuruf von der SPD: Das ist unter Zimmer- sogenannte Massenbasis zu verschaffen mann aber nicht möglich!) (Lambinus [SPD]: Das halten wir aber aus! — und dabei auch die notwendige Abgrenzung zwi- Wüppesahl [GRÜNE]: Kümmern Sie sich mal schen der Tätigkeit der Polizei und dieses Dienstes um den Terrorismus im Verfassungs neu zu überlegen und zu überprüfen, schutz!) (Frau Unruh [GRÜNE]: Aber ein anderer um damit einen weitaus größeren politischen Einfluß Zimmermann!) zu haben, als ihr angesichts ihrer Mitgliederzahlen damit wir eine korrekte Tätigkeit beider notwendigen zusteht. Da wird langfristig gearbeitet, da wird revo- Einrichtungen bekommen und uns vor Mißdeutungen lutionäre Geduld gefordert — das ist alles in Anfüh- hüten, wie sie hier auf der Hand liegen. rungszeichen zu setzen, das sind wörtliche Zitate — da wird Gemeinsames betont, Trennendes ausge- Ich hoffe, daß uns die Behandlung des Verfassungs- klammert, und diese nach außen hin zurückhaltende schutzberichtes im Ausschuß Gelegenheit geben Vorgehensweise hat immer wieder Erfolg, wie wir wird, dieses Thema etwas vertieft zu behandeln. - auch hier sehen, wie wir sogar bei Ihnen sehen. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Lambinus [SPD]: Das sehen wir bei jeder Wahl!) Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Bundes- — Bei den Wahlen hat das keinen Erfolg, minister des Innern. (Lachen bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der SPD) Dr. Zimmermann, Bundesminister des Innern: Herr aber bei den Gutgläubigen, bei denen, die große Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Bundes- Initiativen unterstützen und gar nicht merken, daß sie regierung wie auch ihre Vorgängerregierungen set- nur getäuschte Bürger dieses Landes sind. zen bei den extremen Gegnern der freiheitlich demokratischen Grundordnung auf Überzeugungs- (Lambinus [SPD]: Das sind alles Dumm- kraft in einer geistigen und politischen Auseinander- köpfe, die sich täuschen lassen!) setzung. Es ist die Aufgabe des Verfassungsschutzes, Aber zitieren wir weiter vom 8. Parteitag. Die DKP die Regierung über die Entwicklung verfassungs- wörtlich: „ ... in den außerparlamentarischen Bewe- feindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien zu unter- gungen eine initiierende, orientierende, organisie- richten und das auch öffentlich zu machen; denn nur rende Rolle spielen. Viele politische Forderungen, die der unterrichtete Bürger erkennt propagandistische ursprünglich allein von der DKP vertreten wurden," Irreführung und Versuche extremistischer Einfluß- — so behauptet sie jetzt mit Stolz — „sind inzwischen nahme mit Gefahren und Folgen. Bestandteil der Positionen anderer Parteien, von (Zuruf von den GRÜNEN: Es wird ja immer Gewerkschaften und breiten Massenbewegungen." abenteuerlicher!) Soweit das Zitat aus dem Protokoll des DKP-Partei- Ich habe lange geglaubt, daß das auch noch für die tags. sozialdemokratische Fraktion gelte. Ich bin erstaunt, (Dr. Hirsch [FDP]: Herr Zimmermann, daß das offenbar nicht mehr so ist. Die Behörden für stimmt das denn, was da im Protokoll steht? Verfassungsschutz haben den gesetzlichen Auftrag, — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Die der Ihnen bekannt ist. Er bezieht sich auch auf Versu- Null-Lösung ist auch von der DKP übernom che der Deutschen Kommunistischen Partei und ihrer men! — Weitere Zurufe von der SPD und den Hilfsorganisationen, vor allem der Deutschen Frie- GRÜNEN) densunion, DFU, Friedensinitiativen zu unterwan- dern. Das ist ihr veröffentlichtes Ziel. Meine Damen und Herren, große Chancen für bündnispolitische Erfolge sehen Kommunisten in (Frau Unruh [GRÜNE]: Celler Loch, nicht?) ihrem zentralen Agitations- und Aktionsfeld, dem Der heftig angegriffene Bericht, insbesondere zur Friedenskampf. Sie suchen Einfluß in einer Reihe Friedensstafette 1987, hält sich streng an diesen Auf- berufsbezogener Friedensinitiativen zu gewinnen, Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 989

Bundesminister Dr. Zimmermann um sich das hohe soziale Prestige bestimmter Berufs- Mein Appell gilt aber auch der Verantwortungsbe- gruppen für ihre tagespolitischen Ziele nutzbar zu reitschaft, die die notwendige Kehrseite eines jeden machen. Zu diesen für die Kommunisten sehr interes- Engagements ist. Informieren Sie sich, mit wem sie santen und von ihnen besonders umworbenen Initia- sich engagieren, tiven gehören neben der Sportlerinitiative die Natur (Lachen bei der SPD) wissenschaftlerinitiative „Verantwortung für den Frieden" , die Initiative „Pädagogen und Pädagogin- und erwehren Sie sich derjenigen, die mit Ihrem guten nen für den Frieden", um einige Beispiele zu nen- Namen Schindluder treiben, zum Nachteil unserer nen. freiheitlichen Gesellschaftsordnung! (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Nöbel Im Aktionsbuch der Sportlerinitiative zur Friedens- [SPD]: Das darf doch nun wirklich nicht wahr stafette, das in der DKP kursiert, ist nachzulesen: „Das sein!) Organisationsbüro der Friedensstafette befindet sich am Sitz der Bundesgeschäftsstelle der DFU" , bekanntlich einer Vorfeldorganisation der DKP. Das Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- Aktionsbuch veröffentlicht die Namen der sechs Mit- nete Paterna. glieder des Organisationsausschusses für die Frie- densstafette. (Dr. Emmerlich [SPD]: Den gibt es gar nicht! Paterna (SPD): Herr Zimmermann, durch diese Das ist Ihre Erfindung!) Rede haben Sie sich sowohl als Sport- wie als Innen- Darunter befindet sich ein Sportredakteur des DKP- minister als personifizierte doppelte Null-Lösung Zentralorgans „Unsere Zeit", ein Mitglied des Kom- erwiesen. munistischen Marxistischen Studentenbundes Spar- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) takus, ein ehemaliger Kandidat einer Bündnisliste dieses Studentenverbandes an einer Hochschule und Auch wir nehmen die Mitarbeiterinnen und Mitar- ein Mitglied der Deutschen Friedensunion. beiter des Verfassungsschutzes in Schutz, aber auch vor Ihnen; (Zuruf von der SPD: Da kann man ja Angst (Beifall bei der SPD) kriegen!) denn Sie sind es, die mit Ihren Anweisungen den Ver- - DKP-nahe Kräfte stellen also die Mehrheit im Organi- fassungsschutz geradezu diskreditieren. sationausschuß. Aber das scheint Sie alles nicht (Dr. Nöbel [SPD]: So ist es!) besonders zu stören, im Gegenteil, das scheint Sie zu freuen. Ich treffe dagegen die Feststellung, daß nicht Das ist doch eines der Probleme, die Sie einmal der Verfassungsschutz, sondern die DKP die Sportler- begreifen sollten. initiative intensiv und planmäßig ausforscht. Das ist Ich weiß gar nicht, ob Sie gemerkt haben, wie sehr die Wahrheit. Sie sich selbst widersprochen haben. Sie sagen, die Funktion sei, zu beobachten und dann die Betroffe- (Wüppesahl [GRÜNE]: Jetzt mal ernsthaft, nen, die da unterwandert werden sollen — ja wohl, Herr Zimmermann: den ganzen Blödsinn weil sie zu dämlich sind, selbst zu merken, was da weg!) passiert — , zu informieren. Aber genau das tun Sie Meine Damen und Herren, dieser Be richt ist auch doch nicht, sondern Sie informieren andere, nicht schlampig recherchiert, und es sind keine mani- (Zuruf von der SPD: Denunzieren!) pulierten Informationen. Ich nehme hier die Angehö- rigen des Verfassungsschutzes, die eine schwere Auf- wobei Sie meinen, Sie könnten das probate Volks- gabe haben, ausdrücklich in Schutz; sie haben diese frontgespenst mal wieder reaktivieren. Kritik nicht verdient. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist der eigentliche Punkt. Wenn Sie ein Kerl wären — darauf legt man in Bay- Dieser Minister ist nicht nur Sportminister und hat den ern doch so großen Wert — , hätten Sie sich hier hin- Anteil für den Sport in seinem Bereich in den letzten gestellt, sich bei den Sportlerinnen und Sportlern ent- Jahren mit Hilfe des Parlaments erheblich steigern schuldigt können, er ist auch Verfassungsminister. Er muß (Beifall bei der SPD) sagen, was Sache ist. Der Verfassungsschutz interes- siert sich selbstverständlich nicht für die Sportler und und erklärt, daß mit dieser diskriminierenden Praxis für die Sportorganisationen. Aber die Sportler müssen Schluß ist. Statt dessen haben Sie sich hier heraus- wissen, wer versucht, aus ganz anderen politischen schlawinert. Deswegen kommt es mir hier auch darauf Beweggründen auf ihre Initiative und ihr Engagement an, deutlich zu machen, daß das kein isolierter Vor- Einfluß zu nehmen. Das alles hat mit politischer Gän- gang ist, sondern daß in diesem Vorgang Methode gelung überhaupt nichts zu tun, ist nur ein Appell an steckt. Die Methode läuft immer nach dem gleichen ihre politische Einsichtsfähigkeit. Ihr politisches und Strickmuster ab: Der Bundesinnenminister begründet gesellschaftliches Engagement ist erwünscht und not- nicht inhaltlich, was an einer bestimmten Aktivität wendig. möglicherweise verfassungsfeindlich sei — dazu fällt (Lambinus [SPD]: Bei der CSU?) nämlich nicht einmal ihm etwas ein —, vielmehr wer- 990 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Paterna den der Regierung mißliebige Initiativen pauschal Vielen Dank. dadurch ins Zwielicht gerückt, (Beifall bei der SPD) (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist ja wirk- lich bodenlos, was Sie da behaupten! — Dr. Nöbel [SPD]: Er hat doch recht!) Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- nete Dr. Olderog. daß die Beteiligung einer als verfassungsfeindlich ein- gestuften Organisation festgestellt wird. Die Bundes- regierung gibt vor, durch solche Art von Ermittlungen und Berichten die Verfassung zu schützen, bringt aber Dr. Olderog (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine tatsächlich vor allem inhaltliche Forderungen in Miß- sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich kann kredit, die zwar sehr wohl mit der Verfassung in Über- man, wenn man auf die Wahlergebnisse und auf die einstimmung sind, aber nicht ins ideologische Welt- Mitgliederzahl der orthodoxen Kommunisten sieht, bild einer rechten bis reaktionären Regierung pas- die Frage stellen: Müssen diese Beobachtungen durch sen. den Verfassungsschutz tatsächlich heute noch sein? (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Ich denke aber, wer so fragt, der verkennt die Gefahr, verkennt Methodik, Strategie und den Charakter der Hier wird also Schutz der Verfassung vorgegeben und Deutschen Kommunistischen Partei tatsächlich Schutz der Regierung vor unbequemen Fragen und Forderungen praktiziert. (Zuruf von der SPD: Ich denke, die haben keinen Charakter!) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) als eines von außen gesteuerten Instruments der Es ist doch auch sehr merkwürdig, Herr Minister, KPdSU und der SED. wie Sie irgend jemanden glauben machen wollen, Meine Damen und Herren, jeder von uns kann auch hier finde Unterwanderung statt — das muß ja wohl in den sozialdemokratisch regierten Ländern, in den heimlich passieren —, wenn Sie Seite um Seite die Berichten der Verfassungsschutzämter nachlesen, Selbsteinschätzung der DKP in Ihrem Verfassungs- daß die totalitäre Zielsetzung der DKP unverändert schutzbericht zitieren. Die rühmen sich ja auch, geben ist. ihre Taktiken öffentlich bekannt — doch wohl nicht (Zurufe von der SPD) zur Tarnung. Und dann erklären Sie, die, die sich da so eingeschätzt hätten, machten in dieser oder jener - daß sie für den Fall, daß sich eine Chance dazu ergibt, Initiative mit. Damit wird suggeriert, die ganze Initia- folgendes will: tive identifiziere sich mit diesen taktischen Zielen. Das (Büchner [Speyer] [SPD]: Das wissen wir ist die Methode. Diese Methode halten wir für doch! — Weitere Zurufe von der SPD) infam. Sie will die Diktatur des Proletariats, Die Sozialdemokraten werden dann wieder mal (Dr. Nöbel [SPD]: Ja und?) kommunistischer Umtriebe verdächtigt — das hat ja Tradition: Volksfrontgespenst — , und diejenigen, die sie will die revolutionäre Umwälzung, sie will die selbst mit aller Gewalt nicht in die Nähe von Kommu- revolutionäre Gewalt. nisten zu rücken sind, werden dann zu nützlichen (Lambinus [SPD]: Das wissen wir alles!) Idioten gestempelt. Meine Damen und Herren, Sie brauchen gar nicht so (Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Unverschämt- zu tun, als ob das das Selbstverständlichste von der heit!) Welt ist. (Lambinus [SPD]: Für wen ist das etwas Herr Minister, Sie haben selbst darauf hingewiesen Neues?) — ich hätte sonst auch noch einmal daran erinnert — : Es sind nicht nur die Sportler für den Frieden, es sind Ich bin ziemlich sicher, daß Sie es nicht einmal alle die Naturwissenschaftler für den Frieden, es ist die wissen. Anti-Atomkraft-Bewegung, es sind aufmüpfige (Frau Unruh [GRÜNE]: Ach, Quatsch! Dum Gewerkschaften wie die IG Druck und Papier oder die mes Zeug!) Deutsche Journalisten-Union, die alle nach der gleichen Methode hier diffamiert werden. Wissen unsere Bürger wirklich, daß die DKP 65 Mil- lionen DM im Jahr von der SED erhält? Ich will Ihnen einmal eins sagen: Wenn Ihnen alle (Zurufe von der SPD: Das steht in der Zei Argumente demokratischer Sensibilität nicht ein- tung! — Das weiß jeder!) leuchten, dann, meine ich, sollte man als letztes Mittel den Bundesrechnungshof auf den Verfassungsschutz Wissen unsere Bürger, daß die Führungskader der ansetzen; DKP in Ost-Berlin und in Moskau ausgebildet wer- (Zustimmung bei der SPD) den? denn wenn es in dieser Republik nichts Dringenderes (Dr. Emmerlich [SPD]: Ja, sie wissen es, zu tun gibt, als solche Aktivitäten zu entfalten, damit darum haben sie auch so schlechte Wahler Sicherheit, Ordnung und demokratische Zustände gebnisse! — Weitere Zurufe von der SPD) hier gewährleistet sind, dann müssen Sie eine Menge — Können Sie noch so reden, Herr Emmerlich, wenn Personal zuviel haben. Sie wissen, daß das Vorbild für die DKP das Herr- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 991

Dr. Olderog schaftssystem in der DDR und das Herrschaftssystem ten hineinzukommen, in ihnen zu bleiben und in in der Sowjetunion ist? ihnen um jeden Preis kommunistische Arbeit lei- (Lambinus [SPD]: Deshalb kriegen sie keine sten zu können. Stimmen bei uns!) Meine Damen und Herren, das gilt aber nicht nur für Vorbild ist jene DDR, in der mehrere tausend politi- die Gewerkschaften, das gilt auch für alle anderen sche Gefangene unter unmenschlichsten Bedingun- Organisationen, denen die Bündnisstrategie der Kom- gen einsitzen. munisten gilt. (Dr. Nöbel [SPD]: Herr Präsident, das ist eine Ich möchte hier einmal vorlesen, was der Bundesge- Zumutung!) schäftsführer der SPD im „Sozialdemokrat Maga- zin" 3/1985 gesagt hat, und zwar an die Adresse des Vorbild ist jene Sowjetunion, in der Bürgerrechtler Sozialdemokratischen Hochschulbundes: und andere Kritiker, Menschen, die sich für Mei- nungsfreiheit einsetzen, in sibirischen Zwangslagern (Zuruf von der SPD: Wir kennen das verschwinden, im Archipel GULag, in Gefängnis- schon!) sen. Wenn ein Verein seine Mitglieder intern aufruft, (Dr. Nöbel [SPD]: Reden Sie doch mal von in die SPD zu gehen, um deren Politik zu beein- den Leistungssportlern!) flussen, werde ich hellhörig. Hier bitte ich die Funktionäre, die es angeht: Schaut euch im Soll man das nicht ernst nehmen? Es ist doch nicht so, Bedarfsfall die Kameraden genau an! daß die Mitgliederzahl entscheidend ist, auch nicht die Wahlerfolge, sondern die Bündnisstrategie ent- Und dann: hüllt die Bedeutung und die Gefahr der Kommuni- Als Schlafmützen sollte uns jedenfalls keiner sten. erwischen. (Zuruf von den GRÜNEN: Das kann man sich Um nichts anderes geht es jetzt auch bei den deut- nicht mehr anhören!) schen Sportlern. Wir bitten Sie, keine Schlafmützen zu — Lassen Sie mich doch auch bitte einmal reden! — Es sein. wäre doch einfach, wenn die Kommunisten offen für Vielen Dank. ihre Ziele eintreten würden; aber das Gegenteil ist der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Fall: Es gehört geradezu zu den Anweisungen für die Dr. Nöbel [SPD]: Als ob ein Leistungsträger Kommunisten in Strategie und Taktik, daß sie ihre- eine Schlafmütze ist!) ideologischen Ziele zurückstellen, sogar bewußt ver- schleiern, um politischen Einfluß im Wege der Bünd- nisstrategie zu erlangen. Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- Meine Damen und Herren, ich will Ihnen einmal an nete Schmidt (Salzgitter). Hand eines Zitates von Lenin, das noch heute gilt, deutlich machen, wie man da verfährt. Schmidt (Salzgitter) (SPD): Herr Präsident! Meine (Anhaltende lebhafte Zurufe von der SPD Damen und Herren! Nach der totalen Überbewertung und den GRÜNEN) der kommunistischen Partei und ihrer vermeintlichen — Hören Sie sich das doch bitte einmal an; Zuzuhören Umtriebe durch die Vorredner der CDU/CSU und ist doch ein Stück der politischen Kultur, die Sie so mancher Nebelkerze, die hier aus dieser Ecke gewor- gerne fordern. fen worden ist, möchte ich zunächst einmal darauf zurückblenden, was denn eigentlich der Anlaß der Unterhaltung ist, die wir heute betreiben. Vizepräsident Westphal: Einen Augenblick, Herr Da steht in dem Brief des Staatssekretärs Neusel an Abgeordneter! Ich möchte Ihnen ein bißchen Ruhe den Stellvertretenden Vorsitzenden des Sportaus- verschaffen. schusses: Meine Damen und Herren, liebe Kollegen — in die- Es ist beabsichtigt, die Darstellung im Rahmen sem Falle muß ich die linke Seite hier ansprechen — der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministers Lassen Sie bitte den Redner ausreden! Gute Zwi- des Innern zu verwenden. schenrufe sind immer eine reizvolle Angelegenheit; aber dies ist zuviel, um es interessant und reizvoll sein Diese Oberflächlichkeit ist es, die uns hier auf die zu lassen. Palme gebracht hat (Beifall bei der SPD) und die uns dazu veranlaßt, zu sagen: Es ist eine pau- Dr. Olderog (CDU/CSU): Ich bedanke mich, Herr Präsident. schale Diskriminierung von Sportlern, die hier aus dem Papier hervorgeht. Zu Bemühungen um Aktionseinheit mit den Gewerkschaften bitte ich folgendes zitieren zu dürfen (Dr. Nöbel [SPD]: Das ist das eigentliche — von Lenin — : Ziel!) Man muß zu allen und jedweden Opfern ent- Die entstandene Empörung ist um so verständli- schlossen sein und sogar, wenn es sein muß, zu cher, als sich die betroffenen Sportlerinnen und Sport- allen möglichen Kniffen, Listen, illegalen Metho- ler regelrecht mißbraucht vorkommen müssen. den, zur Verschweigung, Verheimlichung der (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Fragt sich nur, Wahrheit bereit sein, um nur in die Gewerkschaf von wem?) 992 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Schmidt (Salzgitter) — Ich erkläre das jetzt genau, Herr Gerster. — Auf der immer wieder auch als Sportfreunde zu profilieren einen Seite die Lobhudeleien und Sonntagsreden der versuchen. Festredner bei Empfängen und bei der Verleihung (Baum [FDP]: Lesen Sie keine Zeitung?) des Silbernen Lorbeerblatts und die Vereinnahmung der Sportler für die politischen Zwecke dieser Bundes- Heißt denn Liberalismus der FDP, Herr Baum, auch in regierung und auf der anderen Seite die grobe Miß- dieser Frage jetzt, daß man dem Regierungspartner achtung aller ihrer persönlichen Freiheiten und pau- bei allen Einengungen persönlicher Freiheiten völlig schale Diskriminierung, wie ich sie eben geschildert freie Hand läßt? habe. (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ihr Verstand (Beifall bei der SPD) schwindet millimeterweise, nicht die Frei heit!) Haben wir nicht immer wieder gehört, daß gerade die Sportler die geborenen Botschafter des Friedens Ihre moderate Rede von vorhin hat viel zu spät einen sind und unser Ansehen auf internationalem Parkett einigermaßen klärenden Beitrag dazu geliefert. Das aufwerten? Diesen Widerspruch zu Ihrer jetzigen Duo Zimmermann/Spranger umweht ein kräftiger Bespitzelungsaktion müssen Sie bei den betroffenen Hauch McCarthy, meine Damen und Herren. Sportlerinnen und Sportlern nun aufklären, Herr Zim- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten mermann. der GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU) (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Die Sportler Sorgen Sie von der Regierungskoalition dafür, daß sind nicht bespitzelt worden! — Zurufe von sich dies nicht fortsetzt und unser Ansehen in der der SPD: Ja sicher!) Sportwelt nachhaltig Schaden nimmt! Das können Sie unter anderem dadurch, daß Sie sich an der Friedens- Dies ist Ihnen auch nicht durch Ihren weinerlichen stafette beteiligen, Rettungsbrief vom 15. Mai dieses Jahres an einige wenige dieser Sportler und durch Ihre mehr als eigen- (Heiterkeit bei der SPD) artige Antwort auf meine Anfragen vor kurzem gelun- die vom 12. bis 28. Juni von der Sportler-Friedensin- gen. itiative, die Sie hier so diskriminiert haben, durch das Ich habe aus eigenem Erleben und jahrelanger gesamte Bundesgebiet geführt wird. Zusammenarbeit mit Spitzensportlern selbst feststel- (Dr. Hirsch [FDP]: Laufen Sie denn auch len können, daß sie ihre Friedensarbeit in der ihnen mit?) eigenen lockeren Art sehr erfolgreich wahrgenom- - — Ich laufe auch mit. So fröhlich sieht das Einladungs- men haben. Dies droht jetzt in Gefahr zu geraten und plakat aus. Ich kann Sie nur bitten, daran teilzuneh- zerstört zu werden. Nachdem in den früheren Jahren men. eine ganze Reihe von unverdächtigen Personen, wie (Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/ Willi Daume, Johannes Rau, Oberbürgermeister CSU]: Das war ein Hauch Donald Duck!) Samtlebe und viele Gewerkschafter, die Sportlerfrie- densinitiative unterstützt haben, hat sich nun auch die DSB-Spitze — man höre und staune vielleicht auf Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Ihrer Seite — , allerdings unter Beachtung des selbst- ordnete Schwarz. verordneten Gebots politischer Neutralität, zu einer positiven Stellungnahme veranlaßt gesehen. Schwarz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr Wenn es uns allen, wie heute vormittag in der Abrü- geehrten Damen und Herren! Diese Debatte, wie sie stungsdebatte zum Ausdruck gebracht, tatsächlich geführt wird, ist natürlich auch eine Debatte um das um wirklich schnelle Abrüstungsschritte geht, sollten Selbstverständnis der Bundesrepublik in der Frage: wir jede Aktivität auf diesem Felde unterstützen und Wie verstehen wir unsere Demokratie, wie verstehen nicht boykottieren, Herr Zimmermann. wir unser Grundgesetz? Ich bekenne mich zu diesem Grundgesetz (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN) (Zuruf von der SPD: Wir auch!) — einverstanden — , und damit bekenne ich mich Sie hätten in Ihrem Hause zum Wohl des Sports seit auch ganz klar zu der Aufgabe, die der Verfassungs- langer Zeit wahrlich eine ganze Reihe anderer Aufga- schutz hat. Es ist gar keine Frage, das ist deutlich ben zu bewältigen, aber leider kümmern Sie sich gesagt worden — — weder um die steuerlichen Probleme des Spo rts noch um das Thema Sport und Umwelt, noch um die zügige (Abg. Kleinert [Marburg] [GRÜNE] unterhält Arbeitsaufnahme an den Olymiastützpunkten, son- sich mit dem Rücken zum Redner mit einem dern Sie befassen sich stattdessen mit dem hier von Abgeordneten der CDU/CSU) uns angeprangerten Quatsch. — Vielleicht kann der Herr Kollege mir seinen besse- ren Teil von der anderen Seite zeigen! (Zuruf von den GRÜNEN: Das kostet auch nichts!) (Heiterkeit und Zurufe) In anderem Zusammenhang wurde hier im Hause einmal die Formulierung gebraucht: Die Freiheit stirbt Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter zentimeterweise. — Dies ist ein weiterer derartiger Kleinert, der Redner legt Wert darauf, daß Sie von Vorgang. Da frage ich mich dann auch, wo denn die vorne zu besichtigen seien. vermeintlich liberalen Vertreter der FDP in den acht (Zuruf des Abg. Kleinert [Marburg] Wochen dieses Vorgangs gewesen sind, die sich ja [GRÜNE]) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 993

Schwarz (CDU/CSU): Ich meine, wenn das eine der Verfassungsschutz habe zu viele Leute saubere Hose wäre, würde ich das ja noch aushalten; (Widerspruch bei der SPD) aber so mag ich es nicht so gerne, wenn Sie mir den Hintern hinzeigen. — das können Sie im Protokoll nachlesen — , nur des- (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Ich lasse mich halb, weil der Verfassungsschutz seine Pflicht getan von Ihnen noch lange nicht beleidigen!) hat. (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Paterna hat das festgestellt!) Schwarz (CDU/CSU): Das tue ich ja gar nicht. (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das ist durch- Und dann hat er festgestellt, daß sich Sportler an einer aus angemessen!) Initiative beteiligen und daß sich die Kommunisten da hineingehangen haben. — Na gut. Es ist nicht die Frage, wie Herr Lambinus meint, ob die Sportler zu blöde oder zu dumm seien, das nicht zu Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, begreifen. Das Problem ist doch ein ganz anderes. fahren Sie bitte in Ihrer Rede fort. Jeder von uns — Peter, das weißt du ganz genau —, der sich um einen Leistungssportler kümmert, weiß, daß der von morgens bis abends und mehr als 40 Stun- Schwarz (CDU/CSU): Es geht wirklich auch um die Frage, ob die Deutsche Kommunistische Partei oder den in der Woche, wenn er noch einen Job dazumacht, andere extreme politische Gruppen wie z. B. die NPD, beschäftigt ist. Nun beteiligt er sich, subjektiv gese- weil sie bei Wahlen kaum noch Prozente kriegen, hen, an einer guten Sache, an einer Friedensinitiative. noch vom Verfassungsschutz beobachtet werden sol- Dann stellt der Verfassungsschutz fest, daß sich hier len oder nicht oder ob wir sagen, wir brauchen uns um die Kommunisten eingemischt haben und versuchen, die überhaupt nicht mehr zu kümmern; denn die das in ihre Scheune zu fahren. Da ist es doch die ver- Anteile bei politischen Wahlen, sind so uninteressant, dammte Pflicht und Schuldigkeit, das mitzuteilen. daß der Verfassungsschutz seine Aufgabe einstellen Jetzt können Sie mit mir ja noch über die Form dis- kann. Das steht ja hinter dieser ganzen Debatte. kutieren, wie das mitzuteilen ist. (Widerspruch bei der SPD) (Büchner [Speyer] [SPD]: Es wurde den Das steht deshalb hinter dieser ganzen Debatte, weil- Sportlern nicht mitgeteilt!) die Sozialdemokraten versuchen, daß Thema auf den Kopf zu stellen; Ich muß sagen, der Herr Kollege Baum hat es mir hier zu oberflächlich dargestellt. Bei allem Respekt: (Lachen und Zurufe von der SPD) So leicht würde ich es mir nicht machen. Ich glaube, denn beobachtet worden ist nicht die Friedensinitia- jeder, der in die Politik geht — auch Sportler, Spitzen- tive, beobachtet worden sind nicht die Sportler, sportler, die in die Politik gehen —, muß wissen, daß er der Kritik unterliegt. (Zuruf von der SPD: Doch!) beobachtet worden ist, die Deutsche Kommunistische (Büchner [Speyer] [SPD]: Die gehen nicht in Partei. Bei der Beobachtung der Deutschen Kommuni- die Politik, die engagieren sich für Frieden stischen Partei hat man festgestellt, und Abrüstung!) (Anhaltende Zurufe von der SPD) Der DSB hat deutlich gemacht, daß sich der Sportler daß die sich mangels Masse, mangels Basis einer angemessen politisch neutral verhalten muß. Da liegt Initiative angehangen haben — aus welchen Gründen das eigentliche Problem. Das ist nicht eine Frage der auch immer — , weil sie meinen, da können wir was Dummheit. Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe zu werden, weil sie meinen, Moskau oder der SED-Füh- sagen: Freunde, ihr macht da eine gute Sache, aber rung zu gefallen. vergeßt nicht: da hängen sich andere dran; zieht eure Grenzen in diese Richtung! (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) (Büchner [Speyer] [SPD]: Was heißt denn Das ist der eigentliche Punkt und ist der eigentliche hier „Neutralität"? Man kann sich für die Auftrag des Verfassungsschutzes. Der muß doch Raketen engagieren oder sie ablehnen!) sicherlich bleiben. Er muß deshalb bleiben, auch wenn einer meint, das ist nicht so schlimm mit der Das ist das Anliegen. Dagegen kann niemand in DKP. Es ist eben zu Recht gefragt worden: Wie sieht diesem Hause, der es gut mit dem Sport und der es gut das denn aus, wenn die Neonazis mal wieder ein biß- mit der Republik meint, etwas einzuwenden haben — chen stärker werden, vielleicht sagen wir bei 1,5 %: außer Ihrem Geschrei. Die sind parlamentarisch uninteressant, also muß man Danke schön. den Bundesrechnungshof auf den Verfassungsschutz ansetzen, um mal zu gucken, ob der zu viele Leute hat. (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Unruh Das ist ein seltsames Verständnis vom Verfassungs- [GRÜNE]: Mensch, wenn du das mit deinen schutz. Kindern machst, die machen aus dir was! (Anhaltende Zurufe von der SPD) Verdammt nochmal! Was ist denn in euch gefahren? — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: — Aber machen Sie doch keine Sachen! Es ist gesagt Was ist denn das für eine Unruh! — Weitere worden, der Bundesrechnungshof soll überprüfen, Zurufe von der CDU/CSU — Glocke des Prä (Zuruf von der SPD: Wer hat das gesagt!) sidenten) 994 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Bundesrepublik Deutschland erzielt, in solche neutra- ordnete Weirich. len und unpolitischen Organisationen einzudringen. (Dr. Nöbel [SPD]: Dann soll sich der Minister Weirich (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr bei den Sportlern entschuldigen!) verehrten Damen und Herren! Ich habe im Verlauf der Ich zitiere in diesem Zusammenhang, was der stell- Debatte meine Vorstellungskraft bemüht und mich vertretende Vorsitzende der Deutschen Kommunisti- gefragt, was denn eigentlich passiert wäre, wenn es schen Partei, Herr Gautier, gesagt hat: eine Sportlerstafette hier in der Bundesrepublik gege- ben hätte, die im Organisationsbüro von einer Mehr- Als besonderen Erfolg für die Kraft des Bündnis- heit der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands ses möchte ich anführen, daß es 1984 im Zusam- gesteuert worden wäre. menhang mit der Krefelder Initiative gelungen (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ja, genau ist, noch mehr berufsspezifische Friedensinitiati- so!) ven wie der Sportler, Ärzte und Naturwissen- schaftler zu entwickeln. Ich kann nur sagen: Man braucht nicht besonders üppig mit Phantasie ausgestattet zu sein, um voraus- Deswegen, meine Damen und Herren, stellt sich die zusagen, daß Sie denselben Verfassungsschutz Grundfrage, ob man sie überhaupt noch überwacht, beglückwünscht hätten, den manche von Ihnen grundsätzlich, oder gar nicht mehr. Darüber kann abschaffen wollen, daß Sie Brandbriefe an den Deut- man politisch diskutieren. schen Sportbund geschrieben hätten und daß Rufe (Dr. Nöbel [SPD]: Wenn man Mist macht, des Entsetzens über die schlimmen rechtsradikalen muß man sich entschuldigen!) Tausendfüßler in dieser Republik ausgebrochen wären. Wir sind der Auffassung, daß verfassungsgegnerische (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Nöbel Gruppierungen — egal, ob sie von der extrem Rechten [SPD]: Das ist eine schlimme Unterstel- oder der extrem Linken kommen — der geistigen Aus- lung!) einandersetzung wie der exakten Überprüfung bedürfen, ohne daß es dabei zur Bespitzelung, zur Wenn Sie sich selbstkritisch an die Brust fassen, konkreten Überwachung kommt, und daß es ein geben Sie mir zu: Das wäre passiert, wenn es sich um Stück konkreter Information und Verantwortung des Rechtsextremisten und nicht um Linksextremisten - Innenministers gegenüber der Öffentlichkeit ist, daß handeln würde. er den Überwachungsstaat zwar nicht durchführt und (Zurufe von der SPD) perfektioniert, aber ein Stück verantwortlicher Infor- Meine Damen und Herren, es ist mehrfach gesagt mation über solche Aktivitäten der Öffentlichkeit worden, daß es natürlich nicht darum geht, Sportler in gegenüber gibt. irgendeiner Weise zu diskreditieren. (Frau Unruh [GRÜNE]: Und daß er Schläger (Büchner [Speyer] [SPD]: Kein Wort der Ent- einschleust! — Zuruf von der SPD: Wie hält schuldigung ist hier gefallen!) die FDP das aus?) Es geht auch nicht darum, Sportler zu kritisieren, die Meine Damen und Herren, wenn es um politische eine andere Auffassung als wir in der Außen- und Auffassungen geht, dann zählen weder Lorbeerblät- Sicherheitspolitik haben. ter noch literarische Leistungen. Und deswegen rufe Hier gilt für uns der alte Grundsatz von Voltaire: Ich ich Ihnen, was die politische Auseinandersetzung hasse wie die Pest, was du vertrittst, aber ich setze angeht, ein Zitat des DSB-Generalsekretärs Karl- mich mit Nachdruck dafür ein, daß du es vertreten Heinz Gieseler darfst. Nur: Wer die Freiheit sichern will, wer die Frei- (Dr. Nöbel [SPD]: Sie verwechseln Liberalität heit schützen will, mit Disziplinlosigkeit!) (Dr. Nöbel [SPD]: Der beleidigt die Sport -ler!) gegenüber seinen Sportlern zu; wer für den kämpferischen und abwehrbereiten Staat (Zuruf von der FDP: Wieso „seinen" Sport eintritt, der muß auch bereit sein, bei verfassungsgeg- lern?) nerischen Gruppierungen, die aus Gründen des poli- er hat gesagt: Die Sportler, die meinen, noch mehr für tischen Opportunitätsprinzips zu Recht nicht verboten den Frieden tun zu müssen, sollen sich die neue Nach- werden, in der Öffentlichkeit Informationen aufzuzei- barschaft genau ansehen, ehe sie ihren Namen unter gen, wo diese verfassungsgegnerischen Gruppierun- Appelle setzen. gen überall eintreten. Herr Kollege Hirsch, ich denke oft über die Frage (Büchner [Speyer] [SPD]: Das gefällt Ihnen, nach: Wann erstickt Luft und wann nicht? Ich füge daß die Sportler vereinnahmt werden!) aber hinzu: Wenn ich Ihrer Theo rie folgen würde, Wieder gehen Listen um, künden sich Kongresse und wäre das Ergebnis für den Verfassungsschutz, daß er Demonstrationen an, die in der Propaganda einseitig überall dort die DKP nicht mehr überwachen kann, wo ausgeschlachtet werden. Als ob es nicht sowjetische sie versucht, in unpolitische und neutrale Gruppierun- Atomraketen und chemische Arsenale gäbe! gen einzudringen. Es ist doch gerade die Intention und die politische Philosophie der DKP, weil sie Ich denke, diese Mahnungen sollten in der politi- — Gott sei Dank — keine politischen Erfolge in der schen Auseinandersetzung auch beachtet werden. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 995

Weirich Ich danke Ihnen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Büchner [Speyer] [SPD]: Und wieder keine Mitglieder des Schuldenausschusses bei der Entschuldigung !) Bundesschuldenverwaltung — Drucksache 11/393 — Vizepräsident Cronenberg: Meine Damen und Her- Auch hierzu ist eine Aussprache nicht vorgesehen. ren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wer stimmt für den gemeinsamen Vorschlag der Frak- (Büchner [Speyer] [SPD]: Eine Stunde der tionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP auf Ausreden war es!) Drucksache 11/393? — Danke schön. Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Bei Enthaltung der Fraktion der GRÜNEN angenommen. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungs- (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Die GRÜNEN punkt 8: haben überhaupt keine Meinung mehr! Sie Wahl der vom Bundestag vorzuschlagenden sind meinungslos geworden!) Mitglieder des Verwaltungsrats der Deut- schen Bundespost Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den — Drucksachen 11/394, 11/410 — Tagesordnungspunkt 12 auf: Zu diesem Punkt ist eine Aussprache nicht vorgese- Wahl der vom Bundestag zu bestimmenden hen. Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bun- Zunächst einmal kommen wir zur Abstimmung desausgleichsamt über den Antrag der Fraktion der GRÜNEN. Er liegt — Drucksache 11/415 — vor auf Drucksache 11/410. Wer stimmt für diesen Antrag? — Wer stimmt dagegen? — Der Antrag ist Eine Aussprache ist auch hierzu nicht vorgesehen. gegen die Stimmen der GRÜNEN abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den FDP und der GRÜNEN auf Drucksache 11/415? —. gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Ich stelle der SPD und der FDP, der auf Drucksache 11/394 vor- fest, daß dieser Vorschlag einstimmig angenommen liegt. worden ist. Wer stimmt für diesen Antrag? — Danke schön. Wer stimmt dagegen? — Der Antrag ist gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen. Ich rufe nunmehr auf den Tagesordnungspunkt 14 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 1 und 2: Damit sind die vom Bundestag vorgeschlagenen Mitglieder des Verwaltungsrates der Deutschen Bun- Beratung des Antrags der Fraktion der SPD despost und deren Stellvertreter gewählt. Krise in der Eisen - und Stahlindustrie — Drucksache 11/123 — Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungs- Überweisungsvorschlag des Altestenrates: punkt 9: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Finanzausschuß Wahl der vom Bundestag vorzuschlagenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Mitglieder des Programmbeirats der Deut- Ausschuß für Bildung und Wissenschaft schen Bundespost Haushaltsausschuß — Drucksache 11/400 — Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Eine Aussprache ist auch hierzu nicht vorgesehen. Wer stimmt für den gemeinsamen Vorschlag der Sicherung der Stahlstandorte und der Arbeits- CDU/CSU, der SPD und der FDP auf der Drucksache plätze in der Stahlindustrie und in den Stahl- 11/400? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — regionen Bei Enthaltungen der GRÜNEN ist der Antrag ange- — Drucksache 11/398 — nommen. Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Finanzausschuß Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 10 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung auf: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß Wahl der vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Kunstbeirats der Deutschen Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Bundespost CSU und FDP — Drucksache 11/401 — Lage der deutschen Stahlindustrie Auch hierzu ist eine Aussprache nicht vorgesehen. — Drucksache 11/402 — Wer stimmt für den gemeinsamen Vorschlag der Frak- Überweisungsvorschlag: tionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP auf Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Drucksache 11/401? — Wer stimmt dagegen? — Ent- Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung haltungen? — Damit ist dieser Antrag bei Enthaltung Ausschuß für Bildung und Wissenschaft der Fraktion der GRÜNEN angenommen. Haushaltsausschuß 996 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Vizepräsident Cronenberg Die Vereinbarung im Ältestenrat sieht eine Debatte bestandskräftig bleibt und damit wir über Beihilfen von 90 Minuten Dauer vor. Widerspruch erhebt sich disziplin und Quotenabbau wieder zu geregelten im Hause offensichtlich nicht. Die Aussprache kann Marktverhältnissen zurückkehren. eröffnet werden. Als einzigem, der von den vorgese- Hier ist auch ein dringender Appell an Brüssel henen Rednern im Plenum anwesend ist, gebe ich angebracht. dem Abgeordneten Beckmann das Wort. (Zuruf von der CDU/CSU: Nein, es sind noch (Toetemeyer [SPD]: Genau! So ist es! Ernst mehr da!) machen!) Wir erwarten, daß die Kommission das Erforderliche tut, Beckmann (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren! Es ist schon ein seltenes (Toetemeyer [SPD]: Richtig!) Erlebnis für einen FDP-Abgeordneten, mit der um auch in den Partnerländern das durchzusetzen, Debatte über ein so wichtiges Thema beginnen zu was Beschlußlage ist. Das ist ein Weg, um den Kum- dürfen, und Sie können vielleicht nachempfinden, pels und den Stahlkochern in unseren Revieren zu welch große Freude ich in diesem Augenblick ver- helfen. Nur bei geregelten Marktverhältnissen haben spüre, unsere — ja wettbewerbsfähigen — Stahlunterneh- (Fellner [CDU/CSU]: Das dürfen auch nur men die Chance, mittel- und auch langfristig sichere die Guten in der FDP!) Arbeitsplätze anzubieten. auch angesichts des netten Zuhörerkreises hier, weni- Machen wir uns nichts vor: Auch das von der SPD ger allerdings angesichts des Themas, das wir hier zu vorgeschlagene nationale Stahlkonzept hätte uns an behandeln haben; denn wir können nicht verkennen, den notwendigen Kapazitätsschnitten nicht vorbeige- daß wir mit einem Problem befaßt sind, das uns noch führt. Aber über die Situation beim Stahl hätte man für lange, lange Zeit beschäftigen wird und zu dessen frühzeitig in der Konzertierten Aktion sprechen kön- Lösung erst Ansätze erkennbar sind, leider nicht nen, um Sozial- und Strukturpolitik mit den Entschei- mehr. dungen der Unternehmen besser zu koordinieren. Wir Meine Fraktion hat ihre Grundlinien der Stahlpoli- bedauern deswegen nach wie vor, daß die Gewerk- tik in dem hier vorliegenden Antrag der Koalition schaften seinerzeit einseitig die Konzertierte Aktion verlassen haben, und fordern Sie, meine Damen und dargelegt. Für uns stand dabei im Vordergrund, daß- wir die Fakten des Stahlmarktes zur Kenntnis nehmen Herren von der SPD, auf, Ihren Einfluß dahin geltend und uns nicht — wie SPD und GRÜNE — daran vor- zu machen, daß die Gewerkschaften wieder an regel- beimogeln wollen. mäßigen Gesprächen mit Regierung und Arbeitge- bern teilnehmen. Wie ich sehe, ist beim Stahl der Fest steht: In der Europäischen Gemeinschaft gibt Ansatz dazu jetzt auch vorhanden; dazu, zu wessen es Überkapazitäten beim Stahl. Ähnlich wie in ande- Lasten das letztlich geht, will ich gleich noch ein Wort ren Grundstoffindustrien bedeuten Überkapazitäten sagen. Ich meine jedenfalls, daß die Alles-oder-nichts- auf dem Markt in direkter Konsequenz Kapazitäts- Kontraststrategie, die die SPD und die Gewerkschaf- stillegungen. Wegen der technologiebedingten Anla- ten in den letzten Jahren gefahren haben, nichts ein- gengröße kommt es dabei zu abrupten Freisetzungen bringt. Sie verschärft die sozialen Konflikte und scha- von Hunderten, ja, manchmal auch von Tausenden det damit letztlich den Arbeitnehmern. von Arbeitskräften durch die Stillegung nur einer ein- zigen Anlage. Das hat übrigens als erster Ministerpräsident Rau gemerkt, daß er diesen Weg in Nordrhein - Westfalen Wir wissen, daß wir einen funktionsfähigen Stahl- nicht weitergehen kann. Wir begrüßen es, daß er sich markt mit kostendeckenden Preisen nur dann wieder künftig zu einem politisch konstruktiveren Zusam- erreichen können, wenn wir uns dem Strukturwandel menwirken von Bundes- und Landespolitik entschlie- stellen und nicht künstlich Stahlkapazitäten am ßen will. Leben erhalten, die eben zur Überproduktion und damit zur Unterpreisproduktion beitragen. (Gerstein [CDU/CSU]: Das wurde auch (Mischnick [FDP]: Genau das ist das höchste Zeit!) Problem!) — Es ist höchste Zeit, Herr Kollege Gerstein; ich kann Meine Damen und Herren, die Subventionierung Ihnen da nur zustimmen. Darum erwarten wir jetzt der Stahlkapazitäten in Europa war der Beginn der auch die konstruktiven Vorschläge des Landes Nord- ganzen Misere. Es ist dem Bundeswirtschaftsminister rhein-Westfalen in den anstehenden Beratungen im 1985 gelungen, in der Europäischen Gemeinschaft ein Bund - Länder - Planungsausschuß für die Gemein Subventionsverbot zum 1. Januar 1986 durchzuset- schaftsaufgabe. zen. Das war damals nicht selbstverständlich, das hat- Meine Damen und Herren, das Bekenntnis der FDP ten die wenigsten erwartet, und es ist sicherlich ein zum notwendigen Strukturwandel und zum Abbau Erfolg auf dem Wege zur Gesundung der gesamten entstandener Überkapazitäten in der europäischen Branche gewesen, auf einem Weg, der noch vor uns Stahlindustrie bedeutet auch, daß die FDP ihre liegt und der sehr lang sein wird. Anstrengungen vorrangig auf die Schaffung neuer (Toetemeyer [SPD]: Aber die anderen Staa- Arbeitsplätze und nicht auf die Erhaltung bestehen- ten haben sich nicht daran gehalten!) der überkommener Arbeitsplätze richtet. — Ich komme darauf, Herr Kollege! Wir sollten wirk- Wir beobachten daher auch mit einer gewissen lich alles tun, damit dieses Subventionsverbot auch Skepsis angeblich getroffene Vereinbarungen zwi- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 997

Beckmann schen der IG Metall und den Stahlarbeitgebern über Da sind Sie aber in unserer Republik auf dem Holz- den Abbau von Arbeitskräften. Uns scheint, daß hier wege. Ich kann nur sagen: Wenn sich die Stahlarbei- die Beteiligten die Rechnung ohne den Bund als Wirt, ter auf diese ökonomisch wie ökologisch krausen Vor- der hier nämlich die Zeche bezahlen soll, gemacht stellungen der GRÜNEN einlassen, dann gute Nacht haben. Ich glaube, es geht nicht an, daß sich Arbeit- Stahlregionen. geber und Arbeitnehmer allein zu Lasten des Bundes (Gerstein [CDU/CSU]: Dann sind sie verlo auf soziale Übergangslösungen für die betroffenen ren!) Arbeitnehmer verständigen. Die von der SPD und von den GRÜNEN sowie den (Zuruf von der SPD: Aber das haben Sie doch Gewerkschaften geforderte Vergesellschaftung, eben gefordert — Zusammenarbeit!) meine Damen und Herren, ist und bleibt ein Irrweg. —Daß man zusammen arbeitet, ist richtig. Aber dann Sie wird der Vielfältigkeit der Stahlproduktion und muß man auch zusammen bezahlen, Herr Kollege, auch der nachgeordneten Produktionsbereiche der und nicht einer allein muß die Tasche aufmachen. Das Stahlkonzerne nicht im mindesten gerecht. wollen wir dann einmal vernünftig ausgleichen. (Dr. Briefs [GRÜNE]: Phrase!) (Zuruf von der SPD: Das haben die Arbeit Das bedeutet nur, daß Verluste sozialisiert würden, nehmer ja wohl auch schon genügend getan aber die Bestimmung über die Unternehmen dann in — bezahlt!) den Gewerkschaftshänden läge. Eine Einheitsgesell- — Es haben bisher alle Opfer gebracht. Das wissen schaft à la Ruhrkohle ist für uns keine geeignete Sie, wenn Sie sich mit der Frage beschäftigen, Lösung für Stahlunternehmen, die an unterschiedli- genauso gut wie ich, auch der Steuerzahler, auch die chen Standorten und unterschiedlichen Produktions- Unternehmen, auch die Banken und auch andere. bedingungen arbeiten. Die einzig realistische Stahlpolitik ist die von der Es gibt jetzt Anzeichen dafür, meine Damen und FDP und von Wirtschaftsminister Dr. Bangemann ver- Herren, daß die anderen europäischen Stahlerzeuger folgte und in dem Koalitionspapier — zusammen mit länder wesentlich an durch Wettbewerbsfähigkeit dem Koalitionspartner — niedergelegte zukunftsge- den konsequenten Abbau von Stahlkapazitäten und richtete Wirtschafts- und Strukturpolitik, für die wir die Modernisierung vorhandener Anlagen gewonnen uns einsetzen werden. haben. Auch wir müssen uns also zukünftig auf dieses gehobene Wettbewerbsniveau einstellen. Ich bin aber - Vielen Dank. sicher, daß unsere moderne Stahlindustrie diese Her- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ausforderung hervorragend bestehen wird. (Gerstein [CDU/CSU]: Sie können das Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- auch!) ordnete Sieler. Wir können es uns auch nicht leisten, veraltete Anla- gen zu konservieren, um dann letztlich im Wettbe- Sieler (Amberg) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr werb hinterherzuhinken. geehrten Damen und Herren! Wenn wir uns mit der Meine Damen und Herren, wir lassen die betroffe- Stahlindustrie auseinandersetzen, dann haben wir, nen Arbeitnehmer nicht allein. Wir helfen ihnen mit wenn wir uns die Bilder vor Augen führen, die uns das sozialen Anpassungsmaßnahmen und der Förderung Fernsehen, die Presse täglich ins Haus liefern, doch neuer Arbeitsplätze. Wir wollen jedoch keine Arbeits- zunächst einmal — ich glaube, alle miteinander — die platzpolitik betreiben, die die Wettbewerbsfähigkeit Menschen im Blick um die es geht. unserer Stahlindustrie auf Dauer zu gefährden droht (Zustimmung bei der SPD) und mittel- und langfristig Massenentlassungen in größtem Ausmaß nach sich ziehen würde. Was bewegt wohl eine Familie in einem Stahlstandort der Bundesrepublik, daran zu denken, die örtliche In diesem Zusammenhang noch einige Worte zum Tageszeitung abzubestellen, das Telefon abzumel- Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN. Einmal abgesehen den, das Auto stillzulegen, die beabsichtigte Urlaubs- von einer Sprache, die von bemerkenswerter Feind- reise zu streichen, Versicherungen zu kündigen und lichkeit gegenüber den mitbestimmten Unternehmen Neuanschaffungen von dringend benötigtem Hausrat der deutschen Stahlindustrie bestimmt ist, fällt bei oder die Wohnungsrenovierung zurückzustellen? Ich dem Antrag der GRÜNEN auf, daß offensichtlich wei- frage mich immer: Was sind wohl die Hintergründe terhin massive Meinungsunterschiede in der Fraktion dafür, daß sorgfältige Lebens- und Familienplanun- über die weitere Stahlpolitik bestehen. Wie ist es sonst gen über den Haufen geworfen werden? Was veran- erklärbar, daß auf der einen Seite davon gesprochen laßt Menschen, die ihr Leben lang schwer gearbeitet wird, daß wir weniger Stahl brauchen, daß die Stahl- und gespart haben, vereinbarte Darlehenszahlungen kapazitäten nicht ausgelastet werden, daß Ersatzar- für ihre Eigentumswohnung oder für ihr Häuschen beitsplätze geschaffen werden müssen, aber auf der nicht mehr zu zahlen? anderen Seite eine gezielte Desinformationskam- Sie halten das, was ich sage, vielleicht für übertrie- pagne betrieben wurde, in dem nämlich angeblich die ben. Es ist aber leider bittere Realität, nämlich für die- Masse der indirekten Stahlsubventionen verschwie- jenigen, die unmittelbar vor ihrem Arbeitsplatzver- gen wird. Außerdem verweigern sich die GRÜNEN lust stehen. Das sind leider sehr viele Stahlarbeiter, jeder sozialpartnerschaftlichen Lösung, weil das für und davon sind dann auch deren Familien betrof- sie keine Krisenlösung darstellt. fen. (Dr. Briefs [GRÜNE]: Richtig!) (Sehr wahr! bei der SPD) 998 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Sieler (Amberg) Geschäftsleute, Gewerbetreibende, Bausparkassen- höhnung vorkommen, wenn der Minister Bangemann vertreter und Betroffene selbst haben mir diese Bei- sich dagegen ausspricht, daß staatliche Gelder zur spiele — auch aus dem oberpfälzischen Stahlstandort Rettung der Maxhütte oder anderer Stahlstandorte Maxhütte — geliefert. eingesetzt werden. Die Menschen können und wollen einfach nicht (Beifall bei der SPD) begreifen, daß ihre Region platt gemacht werden soll, daß sie die Leidtragenden einer unzureichenden Noch im vergangenen Jahr, meine Damen und Her- regionalen und sektoralen Strukturpolitik und einer ren, erklärte der Minister im Haushaltsausschuß auf seit Jahren schwelenden Stahlkrise sein sollen. meinen Hinweis auf die von der Wirtschaftsvereini- gung Eisen und Stahl öffentlich geäußerten Sorgen (Beifall bei der SPD) über die bevorstehende dramatische Entwicklung im Herr Bundeswirtschaftsminister, ich muß Sie wirk- Stahlbereich und die zu erwartenden Arbeitsplatzver- lich ernsthaft fragen: Können Sie nachfühlen, wie 300 luste, derartige Besorgnisse seien ihm nicht bekannt. Bergarbeiterfamilien in Auerbach zumute ist, deren Ich habe das noch einmal wörtlich im Protokoll nach- Männern kurzfristig die Kündigung zugestellt und gelesen, Herr Kollege Bangemann. Das war im denen der Zutritt zur Grube verwehrt worden ist? November des vergangenen Jahres. Können Sie nachfühlen, in welcher Situation sich Herr Dr. Stoltenberg, unser Bundesfinanzminister, 4 200 Familien der Stahlkoche in der Oberpfalz befin- berief sich im gleichen Zeitraum darauf, daß man die den, die im Wechselbad von Hoffnung und Zweifel Situation in der Stahlindustrie nicht dramatisch ein- das Unheil der Arbeitslosigkeit vor sich haben? schätzen müsse. Ein halbes Jahr später stehen alle Wie viele andere Stahlstandorte so weist auch der 4 500 Arbeitnehmer der Maxhütte und ihrer Familien Stahlstandort Maxhütte in der Oberpfalz — Auer- — aber nicht nur die, meine Damen und Herren, son- bach, Sulzbach-Rosenberg, Maxhütte-Haidhof — die dern auch der gesamte Mittelstand, der Handel, das typische Monostruktur auf. Eine überdurchschnittlich Gewerbe in dieser Region — vor einem möglichen hohe Arbeislosenquote — und das nicht nur in den Ruin. Wintermonaten — zerstört im Grunde jede Hoffnung Das in Konkurs geratene Unternehmen hat den auf einen Arbeitsplatz außerhalb der Hütte. Das gilt rund 1 300 „Altsozialplänern" zunächst einen monat- natürlich vor allem auch für junge Menschen. Im Mai lichen Einkommensverlust von durchschnittlich 1987 betrug die Arbeitslosenquote in Sulzbach- 600, — DM im Monat beschert. Das muß man bei Rosenberg 12,2 %. Das liegt noch über dem sowieso einem solchen Einkommen erst einmal verkraften sehr hohen Prozentsatz in diesem Arbeitsamtsbe- können. Die nach dem Konkurs gekappten Sozial- zirk. pläne haben schon jetzt einen Finanzbedarf von rund Es gibt kaum noch Arbeitnehmerinnen und Arbeit- 25 Millionen DM hervorgerufen. Hinzu kommen noch nehmer über 55 Jahre, die in einem Beschäftigungs- einmal mindestens 5 Millionen DM für die Bergleute verhältnis stehen. Die meisten gingen im Vertrauen der stillgelegten Grube Leonie. Für einen neuen So- auf ihre Maxhütte vorzeitig in den Sozialplan; vor zialplan bei nur 1 000 Arbeitsplätzen, die bei einer allem um jüngeren Arbeitnehmern die Weiterarbeit bestimmten Konzeption verlorengehen müßten, sind überhaupt zu ermöglichen. Sie alle stehen nun vor allein 16 Millionen DM erforderlich. dem Trümmerhaufen ihrer Hoffnungen, ihres Ver- trauens, eines Vertauens, das auch gegründet war auf Meine Damen, meine Herren, die Vorstellungen Versprechungen und Zusagen der Politik vor den letz- einiger Leute im bayerischen Wirtschaftsministe rium, ten Landtags- und Bundestagswahlen. aber auch hier in Bonn gehen dagegen leider von bis zu 3 000 Arbeitsplätzen aus, die dabei — man würde (Sehr wahr! bei der SPD) im Ruhrgebiet sagen — über die Wupper gehen müs- Was sagen Sie denn, Herr Bundeswirtschaftsmini- sen. Unter den besonderen Vorzeichen des Konkurses ster, einem 50jährigen Stahlkocher, der Sie mit Trä- bahnt sich in der bayerischen Maxhütte eine Katastro- nen in den Augen fragt, was denn mit ihm und seiner phe an. Die Bundesregierung hat in den letzten Familie werden soll? Wollen Sie ihm jetzt allen Ernstes Wochen und Monaten keine Gelegenheit ausgelassen die notwendige Hilfe für einen Sozialplan verweigern zu erklären, daß über den bisherigen Stand der Mög- und statt dessen auf mittel- und langfristige Struktur- lichkeiten, EGKS-Beihilfen nach Art. 56 Nr. 2 des anpassungsprogramme verweisen? Montanunion-Vertrages zu gewähren, keine weiteren Beihilfen in Frage kämen. Bei einer Beibehaltung die- (Stahl [Kempen] [SPD]: Die wenig brin- ses Standpunktes, meine Damen und Herren, obwohl gen!) Art. 4 und 5 des Subventionskodex vom 27. Novem- Haben Sie einmal errechnen lassen, wieviel mehr an ber 1985 Möglichkeiten für nationale Maßnahmen öffentlichen Mitteln erforderlich wäre, um den sozia- offenhält, müssen auch die Gemeinden und Städte len und wirtschaftlichen Flurschaden wieder zu repa- dieser Regionen die Konsequenzen tragen. Nicht nur rieren, statt die Arbeitsplätze — wenn auch nur für die zusätzlichen Ausgaben für Sozialhilfe belasten die eine bestimmte Zeit — in der Stahlindustrie zu kommunalen Haushalte, sondern auch verminderte sichern? Steuereinnahmen schränken die Investitionsfähigkeit erneut ein. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ange- sichts der Probleme in der oberpfälzischen Stahlin- Allein in der ca. 18 000 Einwohner zählenden Stadt dustrie und angesichts des Bemühens, einen großen Sulzbach-Rosenberg wird die diesjährige Entwick- Teil der Arbeitsplätze aus regionalen Gründen zu lungsplanung auf den Kopf gestellt. Sowohl die Bau- erhalten, muß es diesen Stahlkochern wie eine Ver- gebietsausweisung als auch die Bereitstellung von Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 999

Sieler (Amberg) Grundstücken für Industrieansiedlungen kann man schon seit vielen Jahren voraussehbar war, dann muß getrost in die Schublade stecken, denn sie gilt nicht ich Sie in der Tat daran erinnern, mehr und ist nichts mehr wert. (Toetemeyer [SPD]: Weil der Bangemann in Ich möchte die Bundesregierung im Falle Maxhütte, Europa nichts getan hat! Das ist der Punkt! aber auch die Bayerische Staatsregierung nachdrück- Wir haben doch die modernsten Stahl lich auffordern, erstens umgehend am Zustandekom- -werke!) men einer Nachfolgegesellschaft der Maxhütte im Konkurs mitzuwirken. Mit jedem Tag, an dem der was ich gern verhindert und vermieden hätte, daß Konkurs weiter im Schwebezustand verharrt, wächst diese krisenhafte Situation in der deutschen Stahlin- die Gefahr eines totalen Einsturzes und der Vernich- dustrie zum weit größeren Anteil der Jahre in die tung von 4 500 Arbeitsplätzen an den Standorten der Zuständigkeit Ihrer Regierungsverantwortung fällt. Maxhütte von Eschweiler bis Sulzbach-Rosenberg. Da Aber ich meine, wir tun im Augenblick niemandem, derzeit keine wirtschafts- und beschäftigungspoliti- schon gar nicht den Betroffenen, einen Dienst, wenn sche Alternative zur Verfügung steht, muß eine natio- wir diese kleinkarierte Diskussion über Zuständigkei- nale und regionale Lösung gefunden werden, die den ten in der Vergangenheit führen, statt uns mit der größten Teil der Arbeitsplätze bei diesem Unterneh- Frage konstruktiv auseinanderzusetzen, wo heute men erhält. Handlungsbedarf besteht und von wem er heute gedeckt werden kann. Auf genau diese Frage will ich Zweitens. Ich fordere die Bundesregierung auf, auf mich einlassen. eine Anpassung der EG-Richtlinie für EGKS-Beihil- fen nach Art. 56 Nr. 2 des Montanunion-Vertrages zu (Toetemeyer [SPD]: Einverstanden!) drängen, damit Übergangshilfen schon von der Voll- Wir sind uns darüber einig und wir beobachten alle endung des 50. Lebensjahres an und Abfindungshil- mit großer Aufmerksamkeit und Anteilnahme, daß fen bereits für Vierzig- bis Fünfzigjährige gezahlt wer- nicht nur die unmittelbar betroffenen Arbeitnehmer in den können. Das entbindet den Staat nicht von der den Stahlrevieren an der Ruhr, in Hattingen, in Ober- Aufgabe, mittel- und langfristig regionale und struk- hausen, in der Oberpfalz, an der Saar, in Siegen, turelle Anpassungsprogramme zur Schaffung neuer Peine, Salzgitter, Georgsmarienhütte, Maxhütte, wo auf den Weg zu bringen. Für die Lösung Arbeitsplätze überall diese Probleme im Augenblick akut werden, der aktuellen Probleme an den Stahlstandorten rei- zu Recht um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze und chen die Maßnahmen natürlich nicht aus, zu denen damit auch um die wirtschaftliche und soziale Zukunft ich auch die Verlängerung des Stahlstandortepro- ihrer Familien besorgt sind. gramms zur Förderung neuer Arbeitsplätze zähle. So notwendig die Revitalisierung von Industriebrachen Ich bestätige ausdrücklich: Dies ist eine ganz unge- sowie die Aus-, Fort- und Umschulung von Arbeitneh- wöhnliche Herausforderung, der die Politik ebenso- merinnen und Arbeitnehmern für die Zukunft der wenig ausweichen darf wie die Wirtschaft. Stahlregionen auch ist, wir brauchen jetzt eine han- delnde Bundesregierung, die unsere industriepoliti- (Beifall bei der SPD) schen Interessen stärker in Brüssel zum Tragen bringt Niemand darf seine spezifische Verantwortung auf als bisher. andere abwälzen. Deswegen erkläre ich ausdrück- (Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: lich, daß die CDU/CSU-Fraktion zur Mitwirkung an Das ist der Grund!) der Lösung der schwierigen Probleme in der Stahlin- dustrie bereit ist. Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß kommen. Wir brauchen eine Bundesregierung, die Dabei sind für uns folgende Gesichtspunkte von wirtschaftliche und soziale Begleitmaßnahmen besonderer Bedeutung: beschließt, die den Menschen an den Stahlstandorten Erstens. Oberstes Ziel bei der Krisenbewältigung ihre Existenzsorgen nimmt und nicht den Stahlkon- muß es sein, Massenentlassungen zu vermeiden, ohne zernen die Taschen füllt. den unvermeidlichen Strukturwandel aufzuhalten. Vielen Dank. Ich sage das noch einmal, weil mir beide Prinzipien (Beifall bei der SPD) gleich unaufhebbar erscheinen: Massenentlassungen vermeiden und den Strukturwandel nicht aufhalten. Solange der europäische und auch der deutsche Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Herr Stahlmarkt von erheblichen Überkapazitäten geprägt Abgeordnete Lammert. ist, (Zuruf von der SPD: Aber zahlen müssen Sie!) Dr. Lammert (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die krisenhafte Situation der ist auch bei fairen Wettbewerbsbedingungen, die deutschen Stahlindustrie ist alles andere als neu. Neu nach wie vor natürlich nicht bestehen, ist aber eine dramatische Zuspitzung, die in dieser Form nicht unbedingt erwartet und befürchtet werden (Toetemeyer [SPD]: Das ist der Punkt!) mußte, die Wiederherstellung der Rentabilität der Stahlun- (Toetemeyer [SPD]: Doch!) ternehmen und damit die dauerhafte Sicherung der daß erstmals ganze Standorte in ihrer Existenz Arbeitsplätze nicht möglich. Der weitere Abbau von bedroht sind, nicht nur die unmittelbar betroffenen. Kapazitäten auch in deutschen Stahlunternehmen ist Herr Kollege, wenn das nach Ihrer Einschätzung daher schmerzhaft, aber unvermeidlich. 1000 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Dr. Lammert Ich füge hinzu: Dieser Anpassungsprozeß kann durch Wettbewerbsverzerrungen zusätzlich vermin- nicht allein nach betriebswirtschaftlichen Gesichts- dert werden. punkten erfolgen, (Zuruf von der SPD) (Toetemeyer [SPD]: Sehr gut!) — Das tut er bislang nicht. ebensowenig wie umgekehrt politische Interventio- (Widerspruch bei der SPD) nen gegen jede wirtschaftliche Vernunft mit Aussicht auf Erfolg stattfinden können. —Nein, jeder, der sich mit den Fakten und Daten fair beschäftigt, Herr Kollege, muß einräumen, daß wir (Toetemeyer [SPD]: Auch gut!) über diese Jahre zwar erhebliche Arbeitsplatzverluste Zweitens. Die Zuständigkeit und die Verantwor- hinnehmen mußten, daß wir aber unseren Anteil an tung für die konkreten Entscheidungen, welche Kapa- der EG-Stahlproduktion gehalten haben und daß im zitäten aufrechterhalten und welche abgebaut wer- übrigen das Ausmaß der abgebauten Arbeitsplätze den müssen, liegt bei den Unternehmen und bei ihren bei uns sogar eher unterproportional war. Wir können paritätisch mitbestimmten Entscheidungsorganen. das gern in den Beratungen vertiefen, die ja nach Überweisung der Anträge heute noch erfolgen wer- (Zuruf von den GRÜNEN: So einfach ist den. das!) (Erneuter Zuruf von der SPD) Ich gehe davon aus, daß wir auf die Aufrechterhaltung — Das ist in der Tat nur ein Teil des Problems; keine genau dieses Zustandes gemeinsam großen Wert Meinungsverschiedenheit. gelegt haben. Ich finde es immer wieder einigerma- ßen bestürzend, zu sehen, mit welcher Virtuosität die Fünftens. Wir fordern die europäischen Stahlfirmen Aufrechterhaltung dieser Regelung von einer Debatte nachdrücklich auf, sich erneut um eine einvernehmli- zur anderen mit großer Leidenschaft eingeklagt wird, che Vereinbarung über die Stillegung von Kapazitä- um sie dann im nächsten Zusammenhang wieder mit ten zu bemühen, die eine ganz gewiß schlechtere großer Geste zur Disposition zu stellen. Ich sage des- administrative Vorgabe der EG-Kommission überflüs- wegen für uns: Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Kapi- sig machen könnte. Nur unter diesem Gesichtspunkt taleigner und Gewerkschaften sind auf dieser Basis ist im übrigen auch eine Verlängerung der bestehen- für Entscheidungen gleichermaßen mitverantwort- den Quotenregelungen zu rechtfertigen. lich, die die Politik ihnen nicht abnehmen kann. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) (Zuruf von den GRÜNEN: Will! — Gerstein [CDU/CSU]: Nein, das kann sie auch Sechstens. Wir treten für eine enge Kooperation nicht!) von Unternehmen, Gewerkschaften und den poli- tisch Verantwortlichen auf allen Ebenen, in den Drittens. Der Arbeitsdirektor eines bedeutenden Städten, in den betroffenen zuständigen Bundeslän- Stahlunternehmens im Ruhrgebiet hat kürzlich gesagt dern und im Bund ein, um Wirtschafts-, Struktur- und — ich zitiere — : Sozialpolitik auf diese Weise konzeptionell so zu ver- Je größer ein Unternehmen ist und je tiefer seine binden, daß der Strukturwandel in der Stahlindustrie Verankerung in der Region, um so gewichtiger stattfinden kann, aber zugleich durch geeignete wird seine Verantwortung, eine Vorsorge dafür soziale Maßnahmen abgefedert und die Schaffung zu treffen, daß bruchartige Entwicklungen ver- neuer Arbeitsplätze gefördert wird. mieden werden. (Toetemeyer [SPD]: Das ist ein Plädoyer für Wir erwarten, daß die Unternehmen diesem Anspruch die Stahlrunde!) bei ihrem tatsächlichen Vorgehen auch gerecht wer- Kooperation kann dann allerdings nicht bedeuten, den. daß Unternehmen, Gewerkschaften und Landesregie- Viertens. Wir unterstützen die Bundesregierung rungen Vorschläge erarbeiten, für deren Finanzie- ausdrücklich in ihren Anstrengungen, in der EG eine rung die Bundesregierung für zuständig erklärt strikte Beihilfedisziplin durchzusetzen und einen wird, wirksamen Außenschutz gegen Drittlandeinfuhren (Toetemeyer [SPD]: Alle zusammen!) zu Dumping-Preisen sicherzustellen. Ich sage dies sondern alle müssen hier zusammenwirken. Deswe- auch deswegen, weil gerade in den letzten Tagen von gen füge ich auch ausdrücklich hinzu, daß es dabei bedeutenden französischen Stahlmanagern angedeu- tet und öffentlich erklärt worden ist, daß man eine weder vordergründiges Besitzstandsdenken noch Denkverbote geben darf. Und ich gebe dem Kollegen Änderung des Beihilfesystems für dringend erforder- Sieler ausdrücklich recht, daß dann, wenn nur mit lich halte. Und wir wissen aus leidvollen Erfahrungen unkonventionellen Maßnahmen vieler Jahre, daß jede Ausweitung dieses Beihilfe- und mit außerge- systems am Ende nicht zugunsten, sondern zu Lasten wöhnlichen gesetzlichen Regelungen ein Ergebnis zu erreichen ist, mit dem Massenentlassungen tatsäch- deutscher Stahlunternehmen und deutscher Arbeits- plätze stattfindet. lich vermieden werden können und das Ausbluten ganzer Regionen verhindert wird, solche außerge- (Zustimmung bei der SPD) wöhnlichen Maßnahmen nicht nur zu vertreten, son- dern tatsächlich auch herbeizuführen sind. Angesichts der hohen Wettbewerbsfähigkeit der Mehrzahl der deutschen Stahlunternehmen darf der (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zurufe deutsche Anteil an der EG-Stahlproduktion nicht bei der SPD: Sehr gut!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1001

Vizepräsident Cronenberg Es reicht nach meiner festen Überzeugung gerade men Europas höher gewesen als in den privatwirt- für den Problemkreis, über den wir heute erneut dis- schaftlich geführten Stahlunternehmen der Bundesre- kutieren, auch die übliche Aufgabenverteilung zwi- publik. schen Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht mehr aus. Es reicht nicht aus, von der Wirtschaftspolitik Intelli- Vizepräsident Cronenberg: Sie gestatten eine Zwi- genz und von der Sozialpolitik Sensibilität zu erwar- schenfrage des Abgeordneten Stratmann? ten. Gerade hinsichtlich der Krisenbewältigung in der Stahlindustrie spricht manches für die umgekehrte Dr. Lammert (CDU/CSU): Bitte schön. Orientierung: Die Wirtschaftspolitik muß sensibel und die Sozialpolitik intelligent sein. Ich gehe davon aus, Stratmann (GRÜNE): Herr Kollege Lammert, eine daß beiden zuständigen Ministern diese Orientierung Vorbemerkung: Ich schätze sowohl Ihre Sensibilität nicht schwerfällt. als auch Ihre Intelligenz. Deswegen meine Frage: (Stahl [Kempen] [SPD]: Daran kann man Können Sie mir im westlichen Ausland einen Staat zweifeln!) nennen, in dem es ein vergesellschaftetes Stahlunter- nehmen nach den Maßgaben gibt, die wir GRÜNEN Siebtens. Wir begrüßen die eingebrachte Verlänge- als auch die IG Metall uns unter Vergesellschaftung rung der Kurzarbeiterregelung in der Stahlindustrie vorstellen? auf 36 Monate, die Entlassungen vermeiden hilft, (Stratmann [GRÜNE]: Euphemist!) Dr. Lammert (CDU/CSU): Nein, das Beispiel kann ich Ihnen in der Tat nicht nennen, weil sich nicht nur und wir erwarten in der Tat von der Bundesregierung in der Bundesrepublik, sondern auch außerhalb der weitere konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Bundesrepublik bisher noch keine verantwortliche sozialen Maßnahmen nach Art. 56 des EGKS-Ver- Regierung und keine verantwortliche Mehrheit in trages. Ich halte insofern eine Übereinstimmung in irgendeinem frei gewählten Parlament hat entschlie- diesem Punkt gerne fest. ßen können, derart konfuse Vorschläge zur Lösung Achtens. Wir treten ein für eine Verlängerung des der Problemlage zu machen, wie Sie sie regelmäßig Stahlstandorteprogramms und für zusätzliche Haus- im Deutschen Bundestag einbringen. haltsmittel im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der „Regionale Wirtschaftsförderung", die an den beson- SPD) ders betroffenen Standorten zu möglichst günstigen Förderbedingungen die Schaffung neuer Arbeits- Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter plätze außerhalb der Stahlindustrie erleichtert. Dr. Lammert, gestatten Sie noch eine Zwischen- Neuntens. Wir fordern die Bundesregierung auf, bei frage? nachgewiesenen Verstößen gegen das Subventions- verbot in Nachbarländern Rechtsmittel einzulegen Dr. Lammert (CDU/CSU): Ja, bitte schön. und die legitimen Interessen der deutschen Stahl- unternehmen und ihrer Beschäftigten gegenüber der Stratmann (GRÜNE): Wenn Sie das so einschätzen, Kommission und dem Ministerrat in Brüssel mit Nach- wieso beziehen Sie sich auf Beispiele aus dem westli- druck zu vertreten. chen Ausland, um damit unsere Vergesellschaftungs- forderungen zu widerlegen? Zehntens. Hier haben wir vielleicht endlich einmal einen Punkt, in dem wir nicht übereinstimmen: Wir (CDU/CSU): Ich wundere mich, Herr lehnen die Forderung nach Vergesellschaftung der Dr. Lammert Kollege Stratmann, mit welcher Selbstverständlich- Stahlunternehmen als völlig ungeeignet ab. Wir keit Sie davon ausgehen, daß ich die spezifische Aus- befinden uns hier im übrigen auch in Übereinstim- prägung der Forderung der GRÜNEN nach Vergesell- mung mit dem früheren SPD-Staatssekretär und jetzi- schaftung der Stahlindustrie zur Grundlage meiner gen Stahlmanager Karsten Rohwedder. Zurückweisung mache. Ich habe das gemeint, was die (Stratmann [GRÜNE]: Sie wollen doch keine IG Metall zur Lösung der Problemlage vorgeschlagen Denkverbote?!) hat. Für diesen Vorschlag habe ich hier vortragen wol- — Nein, eben. Aber es kann einmal vorkommen, Herr len: Wir halten den für völlig ungeeignet. Kollege Stratmann, daß man auch und gerade nach (Roth [SPD]: Dann hätte ich nicht klatschen intensivem Nachdenken zu dem Ergebnis kommt, daß dürfen! — Heiterkeit) der Vorschlag unsinnig ist, den Sie gleich wieder als —Dann möchte ich von dieser Stelle aus den Präsiden- Lösung des Problems in die Diskussion einführen wer- ten um Genehmigung bitten, daß der Kollege Roth den. seinen versehentlich nicht eingebrachten Beifall an (Stratmann [GRÜNE]: Aber die Argumente dieser Stelle nachliefern kann. fehlen!) (Roth [SPD]: Das ist nun einmal passiert!) Die Erfahrungen in den Nachbarländern zeigen Meine Damen und Herren, ich möchte aber, gerade deutlich — und Fakten sind nach meinem persönli- weil ich mich in meinem letzten Punkt kritisch mit chen Dafürhalten in der Argumentationswirkung dem Vorschlag zur Vergesellschaftung der Stahlin- besonders überzeugend — , daß mit einer Vergesell- dustrie auseinandergesetzt habe, zum Schluß einen schaftung weder den Unternehmen noch den betrof- Aspekt ansprechen, der zur Vollständigkeit der Pro- fenen Arbeitnehmern weitergeholfen ist; denn die blembeschreibung dazugehört: Die Zurückweisung Verluste, der Abbau von Kapazitäten und von Arbeits- dieses Vorschlages aus einer Reihe praktischer Erfah- plätzen ist in den vergesellschafteten Stahlunterneh- rungen und grundsätzlicher Erwägungen bedeutet 1002 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Dr. Lammert natürlich umgekehrt, daß unter den Bedingungen pri- Münze, dann bedeutet dies, daß etwa jeder fünfte vatwirtschaftlich geführter Unternehmen die Sozial- Betrieb in der Krisenbranche Stahl innerhalb der pflichtigkeit von Eigentum auch gelten muß Europäischen Gemeinschaft akut gefährdet ist. Für (Beifall bei der SPD) die Bundesrepublik Deutschland bedeutet die politi- sche Annahme dieser Ministerratsschätzung — das ist und daß sie den Betroffenen auch nachvollziehbar eine politische Schätzung und kein Nachweis — , daß bleiben muß. Deswegen will ich mich zum Schluß aus- die Stillegung ganzer Stahlstandorte auf der Tages- drücklich auf eine Bemerkung beziehen, die mich ordnung steht. sehr beeindruckt hat, eine Bemerkung des Betriebs- ratsvorsitzenden bei der Henrichshütte in Hattingen, Die Bundestagsfraktion der GRÜNEN hat sich Ende die ich in der letzten Ausgabe der „Gewerkschaftli- März dieses Jahres ein Bild von den sozialpolitischen chen Monatshefte" gefunden habe. Ich darf das mit Entwicklungen an einem Stahlstandort, nämlich in Genehmigung des Präsidenten zitieren: Hattingen, machen können, und zwar für den Fall, daß der Ernstfall eintritt, daß die Hattinger Hütte Unsere Väter ersatzlos dichtgemacht wird. Ein Drittel Arbeitslosig- — so sagt Rolf Becker — keit droht z. B. dieser Stadt, wenn sich die Wirtschafts- haben in den Jahren 1946 bis 1948 diese Hütte politik außerstande sieht, diesem Stahlstandort mit aus dem Schutt ausgebuddelt, teilweise mit blo- seiner Monostruktur keine alternativen Produktions- ßen Händen. Sie haben bei den Alliierten Werk- möglichkeiten zu eröffnen. Hier wurde vorhin seitens zeuge gestohlen, um hier aufbauen zu können. der CDU ausgeführt, daß die Wirtschaftspolitik dazu Sie haben 1948, zum Teil unter Einsatz ihres nicht in der Lage sei. Das ist ein Armutszeugnis. Ähn- Lebens, die Demontage verhindert. Sie haben liche Folgen ergeben sich für alle anderen Städte, die damit erreicht, daß in dieser Stadt Arbeitsplätze von Produktionsstillegungen betroffen sind, wie erhalten blieben. Sie müssen heute mit ansehen, Oberhausen und die Maxhütte in der Oberpfalz. wie ihre Söhne von denen in die Arbeitslosigkeit Herr Bangemann, Sie haben am 18. März 1987 im geschickt werden, deren Eigentum sie damals Bundestag erklärt, daß Sie nicht jeden Standort, auch erhalten haben. Das ist bedauerlich und unbe- nicht im Kern garantieren. Aus Ihrer politischen B rille greiflich. heraus können nur Unternehmer Standorte garantie- Ich stehe nicht an, zu sagen, daß mich das sehr ren oder schließen. Herr Bangemann, Sie sollten beeindruckt und daß ich keine Probleme habe, nach- Marktwirtschaftler genug sein, daß Sie wissen, daß zuvollziehen, welche Ir ritation dies bei Betroffenen jeder Unternehmer aus seinem Profitmotiv heraus ein auslösen muß, weit über den konkreten Anlaß hinaus, Anarchist ist. Ihn interessieren im Kern nicht die Fol- der im Augenblick ihre Arbeitsplätze gefährdet. Und gen für ganze Städte und Regionen, sondern das deswegen lege ich großen Wert auf die Gleichzeitig- Abwerfen von roten Zahlen bzw. manchmal auch nur keit dieser beiden Bemerkungen, die ich zum Thema seine zu geringen Profiterwartungen. Das Einsetzen privatwirtschaftliche Struktur der deutschen Stahlin- des verfügbaren Investitionskapitals an anderen dustrie und Zweckmäßigkeit der Änderung von Standorten und in anderen Industriezweigen ist die Eigentumstiteln zur Lösung der Problemlage vorge- Praxis von Konzernen. stellt habe. Der Thyssen-Konzern unter seinem Konzernchef Meine Bitte zum Schluß: Dieser Debatte liegen zwei Spethmann steht beispielhaft für diese Unterneh- Entschließungsanträge zugrunde, die sowohl in der menspraxis. Die „Wirtschaftswoche" vom 27. März Diktion als auch in den Maßnahmen erhebliche 1987 schildert die Situation: Der Weltkonzern Thyssen Unterschiede aufweisen, denen aber die Absicht machte 1985/86 nur noch 26,5 % seines Umsatzes im gemeinsam ist, den Betroffenen politisch zu helfen. althergebrachten Stahlbereich. 1969/70 waren es Deswegen, denke ich, wäre es ein lohnender Versuch, noch 51,7 %. In den Vereinigten Staaten allein macht wenn wir diese überwiesenen Anträge in den Aus- Thyssen heute 16 % seines Umsatzes. Das heißt mit schüssen mit dem Ziel aufgreifen würden, dem Deut- anderen Worten: In den vergangenen Jahren hat schen Bundestag einen Entschließungsantrag zu die- gerade Thyssen im Ausland überproportional inve- sem Thema zu präsentieren, der, wenn eben möglich, stiert. auch von allen Fraktionen des Hauses gemeinsam verabschiedet werden könnte. Originalton Spethmann von Thyssen im Interview der „Wirtschaftswoche" : (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD) Bei uns gehen schon jetzt mehr als 50 % unseres Weltumsatzes an Kunden außerhalb Deutsch- lands, deshalb müssen wir hier und da auch mit Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- der Investition näher zum Kunden. ordnete Sellin. In demselben Inte rview die Frage: Sellin (GRÜNE): Herr Präsident! Anfang dieser Sie wollen Standorte aufgeben? Wochte tagte der Ministerrat der Europäischen Die Antwort: Gemeinschaft zum Thema Stahlkrise. Nur in einem einzigen Punkt waren sich die EG-Minister einig: daß Das geht gar nicht anders. es in der EG-Stahlindustrie einen Überhang von ca. Herr Bangemann, die Produktdiversifizierung, die 30 Millionen Jahrestonnen Stahlkapazitäten geben der Thyssenkonzern sinnvollerweise in den vergan- soll, die abgebaut werden müssen. Nimmt man diese genen Jahren bereits vollzogen hat, die Breite der Pro- politische Schätzung von Überkapazitäten für bare duktpalette, die der Konzern über Tochterunterneh- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1003

Sellin men unternehmerisch beherrscht, ermöglichen die Das muß nachgeordnet sein, wenn man heute Ent- politische Forderung, die auch Sie als Vertreter der scheidungen herbeiführen will. Bundesregierung wirtschaftspolitisch gegenüber Thyssen vertreten sollten, daß der Konzern an Stahl- Ich bitte Sie deshalb, auch die Gliederung unseres standorten, die er mit dem Kahlschlag bedroht, ander- Antrages, der hier vorliegt, im Teil II, in den Punkten 1 weitig investieren muß. bis 5 so zu lesen, daß es sich um eine politische Rang- folge des Vorgehens handeln soll, was wir erwarten. (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) Es heißt dort: Thyssen muß gezwungen werden, in Oberhausen und 1. Kurzfristig müssen alle Stahlstandorte erhalten Hattingen in anderen Produkt- und Industriezweigen werden. zu investieren. Der Konzern hat die Investitionskraft, die es ihm ermöglicht, neue Produkte nicht im Aus- Es sollen konzerninterne „Beschäftigungsgesell- land, sondern im Inland an seinen klassischen Stand- schaften" gegründet werden. Zu den Aufgaben der orten, historischen Industriestandorten, produzieren „Beschäftigungsgesellschaften" gehören auch die zu lassen. Weiterbildung und die Umschulung der Kollegen, ohne daß sie entlassen werden, um in anderen Zwei- Die Bundesregierung sollte keine Subventionen zur gen der Produktion des Konzerns beschäftigt zu wer- Finanzierung von Entlassungen herausrücken, bevor den. Staatliche Subventionen für diese Gesellschaften der Konzern nicht standortgebundene Investitionszu- dürfen nur mit Auflagen zur Arbeitsplatzsicherung im sagen gemacht hat. Konzern und in Form von Kapitalbeteiligungen Auch die neuesten Vorschläge, die in der „Frank- gewährt werden. Die Kontrollrechte aus diesen Kapi- furter Rundschau" oder, heute, im „Handelsblatt" talbeteiligungen, die also aus staatlichen Hilfen kom- veröffentlicht sind, reichen bei weitem nicht aus, um men, müssen an die Belegschaften übertragen wer- dieser politischen Priorität genüge zu tun, diesen Kon- den. Dies würde einen Ausbau der Mitbestimmung im zern in die politische Verantwortung zu zwingen. Montanbereich bedeuten, und es wäre ein Einstieg in vergesellschaftete Eigentumsformen. Solch eine Forderung ist nur die politische Antwort auf die anarchistische Praxis von Investitionsentscheidun- Zweitens. Umbau der Stahlregion mit Hilfe regio- gen durch Unternehmen wie Thyssen. Die Unterneh- naler Entwicklungsfonds. Bund, Länder und Kommu- men wollen sich nur unter Zuhilfenahme öffentlicher nen sollen regionale Entwicklungsfonds gründen, die Gelder, die die Sozialpläne mitfinanzieren sollen, aus den notwendigen ökologischen und sozialen Umbau der sozialpolitischen Verantwortung herausstehlen. der Stahlregion koordinieren und finanziell fördern. Herr Bangemann, wenn Investitionsfreiheit An der Durchführung der konzeptionellen Arbeit sind menschliche Lebensverhältnisse untergräbt, ist der Belegschaften, Gewerkschaften, Verbraucherver- politische Eingriff geboten. bände und die Bürgerinitiativen vor Ort zu beteili- gen. Der IG-Metall-Vorsitzende Steinkühler hat in der Begründung der Ablehnung einer Stahlstiftung Ruhr Erst an dritter Stelle taucht in unserem Antragspa- am 31. März dem, was ich hier ausgeführt habe, Ver- ket die Forderung der Vergesellschaftung der Stahl- gleichbares gefordert — ich zitiere aus der „Frankfur- konzerne auf. Das Krisenmanagement auf EG-Mini- ter Rundschau" — : sterratsebene — wie am letzten Montag — hat bewie- sen — und auch die Konzerne selbst haben es gezeigt, Zusätzliche Produktions- und Beschäftigungsfel- wenn man die Vereinbarungen der Stahlkonzerne der können in den Konzernen selbst erschlossen innerhalb der EG sieht, die dort Anstrengungen unter- werden durch eine gezielte Ausweitung vorhan- nommen haben — , daß es gescheitert ist. Aus diesem dener und erfolgreicher Produktionszweige, etwa Grund erhält die Forderung aus den Stahlbelegschaf- in der Umformtechnik, in der Werkstoff- und der ten heraus und durch die Industriegewerkschaft Kunststofftechnik und im Maschinenbau für tra- Metall politisches Gewicht, die Stahlkonzerne zu ver- ditionelle Abnehmer, durch die gezielte Erschlie- gesellschaften. Die Vergesellschaftung der Stahlkon- ßung neuer Absatzfelder aus zusätzlichen öffent- zerne — nun hören Sie gut zu — ist nicht selbst die lichen Investitionen, etwa in der Verkehrstech- Lösung der Stahlkrise, aber ein notwendiges Mittel, nik, um ein Gesamtkonzept für eine soziale, ökologische und demokratische Krisenlösung entwickeln und poli- — Stichwort: öffentlicher Nahverkehr — tisch durchsetzen zu können. in der Umwelttechnik und im Anlagenbau, (Beifall des Abg. Stratmann [GRÜNE]) z. B. Blockheizkraftwerke. Diese Bedarfsfelder sind in der öffentlichen Diskussion: Altlastensanierung, Vergesellschaftung hat mit den bekannten Formen Abfallbeseitigung, Wasser- und Luftreinhaltung am der Verstaatlichung nichts gemeinsam. Staatsbüro- Entstehungsort, rationelle Energieversorgungssy- kratisch und zentralistisch gelenkte Bet riebe sind kein steme usw. Fortschritt. Anstatt eine zentralistische staatsbürokra- tische Einheitsgesellschaft zu bilden, erscheint es Erst nach der politischen Inpflichtnahme der Kon- sinnvoll, die Stahlunternehmen nach ihrer Vergesell- zerne für Investitionen an ihren alten Stahlstandorten schaftung als ökonomisch selbständige Unternehmen kann die politische Diskussion über eine regionale mit weitestgehenden Planungs- und Steuerungskon- Wirtschaftsstrukturentwicklung eröffnet werden, die zepten zu führen. Die vergesellschafteten Stahlunter- es anderen Unternehmen, also Nichtstahlunterneh- nehmen müssen sich auf Dauer wirtschaftlich selbst men, erleichtert, für ihre Produkte dort zu investieren. tragen und eine Unternehmenspolitik betreiben, die 1004 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Sellin Kriterien ökonomischer und ökologischer Effizienz kann man nicht nachher die eigenen Grenzen zuma- und sozialer Verträglichkeit genügt. chen und sagen: Nun seht zu, wie ihr diesen Stahl (Beckmann [FDP]: Das macht dann mit dann verkauft! — Vielmehr muß man diese Situation Sicherheit Herr Stratmann!) in seine eigenen Überlegungen einbeziehen, denn sonst wird man auch gegenüber seiner eigenen Ent- Das hat aber nichts mit dem zu tun, was Sie unter wicklungspolitik unehrlich. Es wäre die allerschlech- Verstaatlichung hier immer in die Debatte bringen, teste Politik, wenn man bei der Stahlpolitik zu Hause das hat etwas damit zu tun, daß das sozialistische alle möglichen Versprechungen macht, den Entwick- marktwirtschaftliche Gedanken sind, die hier einge- lungsländern Avancen macht, ihnen Stahlwerke hin- bracht werden. stellt, dies aber nicht zu einem Konzept zusammen- (Beifall des Abg. Stratmann [GRÜNE] — bringt. Deswegen: Die Produktion ist gestiegen, wir Beckmann [FDP]: Das wollte ich nur einmal haben neue Konkurrenten; Konkurrenten, die teil- hören!) weise mit niedrigeren Kosten sowohl bei den Roh- Der Deutsche Bundestag kann keine Verlustsoziali- stoffen als auch beim Strom als auch beim Faktor sierung wollen. Das wäre nämlich Verstaatlichung, Arbeit arbeiten können. wie Sie es immer meinen. Stahlunternehmen ein- Wir haben auch einen tendenziell nachgebenden schließlich ihrer gewinnbringenden Teile in Verede- Bedarf an Stahl. Der spezifische Bedarf an Stahl geht lung und Weiterverarbeitung müssen — ich komme in der ganzen Welt aus den unterschiedlichsten zum Schluß — in neue Formen des Eigentums über- Gründen zurück. führt werden. Als mögliche Eigentumsformen eignen sich Belegschaftsfonds. Regionale Vertreter von Das heißt, wir sehen uns einem doppelten Problem Umweltschutzverbänden und Vertreter der Standort- gegenüber: Das Angebot ist gewachsen, die Nach- kommunen sind an der Kontrolle der Unternehmens- frage ist gesunken, und wir selber sind, obwohl unsere politik zu beteiligen. Stahlindustrie technologisch sicherlich auf Welt- niveau arbeitet, in manchen Fällen wegen der Das sind unsere konkreten Vorstellungen. Gesamtheit der Kosten nicht mehr so wettbewerbsfä- (Beifall bei den GRÜNEN) hig, wie das früher der Fall war. Nebenbei darf ich insbesondere Ihnen sagen, weil Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Bun- Sie von der Max-Hütte gesprochen haben: Es gibt desminister für Wirtschaft, Martin Bangemann. natürlich auch innerhalb der deutschen Stahlindustrie - Unterschiede. Es gibt Unternehmen, die auch noch im letzten Jahr, die auch heute noch Gewinne machen, Dr. Bangemann, Bundesminister für Wirtschaft: die sich rechtzeitig auf diese Situation eingestellt Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und haben, die ihre Produkte an den Markt angepaßt Herren! Angesichts der verschiedenen bisherigen haben, die natürlich auch bei Arbeitsplätzen Anpas- Redebeiträge ist es vielleicht ganz nützlich, wenn man sungsmaßnahmen durchgeführt haben, die sich von sich noch einmal die Fakten vor Augen führt; denn der ausschließlichen Stahlproduktion wegentwickelt wenn wir wirklich den Menschen, die von der Krise in haben. der Stahlindustrie betroffen sind, helfen wollen, dann geht das nicht, ohne daß man Lösungen erarbeitet, die (Zuruf von den GRÜNEN: Was ist denn mit auf Tatsachen des Marktes, auf die Bedingungen, dem Kaltwalzwerk?) unter denen gearbeitet, produziert und verkauft wird, Alle diese Unternehmen stehen heute besser da. Rücksicht nehmen. Luftschlösser zu bauen, wie sie Unternehmen, die das nicht gemacht haben, haben jetzt wieder vorgeführt worden sind, hilft den Men- jetzt nicht das Recht, ihr unternehmerisches Versagen schen, die von der Krise betroffen sind, am wenigsten. auf die Politik abzuladen. Das geht nicht. Schon gar nicht hilft es ihnen, wenn man haltlose Ver- sprechungen macht, die kein Mensch einhalten kann. (Beifall bei der FDP — Sieler [Amberg] Das ist das Schlimmste, was überhaupt passieren [SPD]: Das trifft doch hier nicht zu!) kann. — Das trifft hier zu. Die Maxhütte — wenn Sie das (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) noch nicht gesehen haben sollten — ist heute in einem Wir haben ohne jeden Zweifel eine sehr unerfreuli- Konkursverfahren, das nicht die Bundesregierung che Situation auf dem Stahlmarkt, die aber durch eine verursacht hat. Das werden Sie ja wohl einräumen. Reihe von Faktoren herbeigeführt worden ist, für die weder diese noch eine andere Bundesregierung noch (Weiermann [SPD]: Aber Sie haben den Ver die deutsche Stahlindustrie verantwortlich gemacht drängungswettbewerb zugelassen!) werden kann. — Ich komme gleich auf diese Frage der Belieferung Wir haben in den Ländern, die zunächst als Ent- von außen. Das ist kein Verdrängungswettbewerb. wicklungsländer galten und in die wir selber Stahl- Die Maxhütte hat Kosten, die über den durchschnitt- technologie und Stahlunternehmen verkauft ha- lichen Kosten der Stahlindustrie in der Bundesrepu- ben, heute Konkurrenten, und zwar nicht nur auf blik liegen. Ich will das hier jetzt nicht im einzelnen ihren eigenen Märkten, die wir in der Vergangenheit darlegen. Das sind die Probleme, die jedes Unterneh- vielleicht beliefert haben, sondern auch auf dem Welt- men in einer marktwirtschaftlichen Ordnung selber zu markt und zum Teil auch bei uns. Wenn man Stahlun- verantworten hat. Wenn wir das verlassen wollen, ternehmen verkauft, wenn man Stahlunternehmen im dann ändern wir in der Tat unsere Wirtschaftsord- Rahmen der Entwicklungspolitik bezuschußt, dann nung. Das werden wir nicht tun. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1005

Bundesminister Dr. Bangemann Was können wir tun? Was kann man angesichts die- wieder andere Auswirkungen hat, nicht einfach ser Lage verantworten? Wie soll dieser Anpassungs- ablehnen. prozeß unterstützt werden? Natürlich handelt es sich (Abg. Roth [SPD] meldet sich zu einer Zwi um einen Anpassungsprozeß, den niemand aufhalten schenfrage) kann. Ich weiß nicht, ob ich auf die Vorstellungen der GRÜNEN überhaupt eingehen sollte, weil man ange- Vizepräsident Cronenberg: Herr Bundesminister, sichts der Schwere und des Ernstes des Problems lassen Sie — — immer ins Humoristische gehen muß, wenn man sie beurteilt. Sie erwarten sich ein Heil davon, daß diese sogenannten vergesellschafteten Unternehmen dann Dr. Bangemann, Bundesminister für Wirtschaft: durch eine noch stärker ausgebaute Montan-Mitbe- Nein, ich möchte jetzt im Text weitermachen. stimmung geführt werden. Immerhin haben wir eine (Roth [SPD]: Das ist verständlich, ich würde Montan-Mitbestimmung, die von allen als eine Mög- auch solche Fragen an Ihrer Stelle nicht lichkeit der Mitwirkung von Arbeitnehmern immer zulassen!) sehr gelobt wird. Die wollen Sie noch weiter aus- — Das ist richtig; im Vergleich mit Ihnen beantworte bauen. Dann sollen Umweltschutzverbände und Ver- ich lieber die Frage eines GRÜNEN, das muß ich treter der Standortkommunen — so nennen Sie es; schon sagen. das ist dann der „Standortkommunarde" — in der (Heiterkeit) Unternehmensleitung mitwirken. In diesen Unterneh- men möchte ich weder als Arbeitnehmer arbeiten, Wir haben eine ganz klare Stahlpolitik auch in der noch möchte ich für so ein Unternehmen verantwort- EG nicht nur entworfen, sondern durchgesetzt. lich sein. Das kann natürlich keine Lösung bedeu- Zunächst einmal — das hat Klaus Beckmann mit ten. Recht erwähnt — : Es gilt seit über einem Jahr ein Ver- bot stahlspezifischer Subventionen in der gesamten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Europäischen Gemeinschaft. Wenn die deutsche Zurufe von den GRÜNEN) Stahlindustrie nicht müde wird, auch heute nicht — Lesen Sie Ihren eigenen Antrag einmal durch. müde wird, immer wieder darauf hinzuweisen, daß es Dann werden Sie sehen, wie weit Sie mit solchen Vor- die Subventionen der anderen Länder waren, die ihre stellungen von jeder Wirklichkeit entfernt sind. Situation so schwierig gemacht haben, und daß sie Wenn Sie hier sagen, ein Unternehmer ist ein Anar-- nicht gegen die Finanzminister anderer Länder chist, dann fragen Sie einmal die Unternehmer, die in ankonkurrieren können, dann ist das natürlich richtig; dieser schwierigen Situation versucht haben, für ihr aber dann muß die deutsche Stahlindustrie auch ein- Unternehmen, für ihre Arbeitnehmer etwas zu schaf- mal zur Kenntnis nehmen, daß wir, und zwar diese fen, was sie mit Ihrer Hilfe mit Sicherheit nicht schaf- Bundesregierung, seit über einem Jahr erreicht fen können. haben, daß diese Subventionen in Zukunft untersagt sind. Vizepräsident Cronenberg: Herr Bundesminister, Nun sagt man: Ja, das ist nur ein Verbot, in Wahr- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten heit geschieht nach wie vor das Unzulässige und jetzt Sellin? Verbotene. Wir haben immer wieder gesagt, die Bun- desregierung — übrigens auch die Europäische Kom- Dr. Bangemann, Bundesminister für Wirtschaft: Ja, mission — wird jedem begründeten Verdacht nachge- ausnahmsweise. hen und dafür sorgen, daß solche verbotenen Subven- tionen eingestellt werden. Aber ich brauche keine Sellin (GRÜNE): Haben Sie vielleicht vorhin bei Gerüchte, sondern ich muß wenigstens im Ansatz Tat- meinen Ausführungen zur Kenntnis genommen, daß sachen haben, die ich benutzen kann, um ein solches der Thyssen-Konzern im vergangenen Jahr im EG- Verfahren in Gang zu setzen. Wir haben jetzt vier sol- Ausland, aber auch im außereuropäischen Ausland che Verdachtsverfahren. Drei davon sind gegen deut- kräftig investiert hat und daß er es vernachlässigt hat, sche Unternehmen anhängig. für seine Arbeitnehmer, die von ihm im Inland (Beckmann [FDP]: Leider wahr!) beschäftigt wurden, Perspektiven zu entwickeln und daß dieser Konzern gleichzeitig Stahlunternehmen Deswegen möchte ich die deutsche Stahlindustrie bit- — das haben Sie vorhin selber als Beispiel in Ihrer ten, vorsichtig zu sein mit solchen unqualifizierten Rede gehabt — auch ins Ausland als Anlagen expor- Vorwürfen; es macht unsere europäische Bemühung tiert und daß dies natürlich nach einer gewissen Frist nicht leichter. wie ein Bummerang auf uns zurückschlägt? Nun haben wir über dieses Subventionsverbot hin- aus beim letzten Stahlrat etwas ganz Entscheidendes Dr. Bangemann, Bundesminister für Wirtschaft: Ja, erreicht. Das ist leider überhaupt nicht aufgefallen. was wollen Sie denn eigentlich? Wollen Sie, was Sie Wir haben durchsetzen können, daß die Europäische immer wieder sagen, den Entwicklungsländern hel- Kommission den Grundgedanken von Eurofer akzep- fen, indem man ihnen technisch, technologisch Anla- tiert hat, den die europäische Stahlindustrie nicht gen zur Verfügung stellt, zum Teil ja gar nicht mal nur durchsetzen konnte, und zwar nicht, weil sich die p ri verkauft, sondern auch bezuschußt, mit denen sich -vaten Stahlunternehmen geweigert hätten, sich an diese Entwicklungsländer eine wirtschaftliche der Stillegung von Kapazitäten zu beteiligen, sondern Zukunft bauen? Das wollen doch Sie auch, und das weil in den Ländern, wo die Stahlindustrie verstaat- wollen wir auch. Dann kann man das, wenn es dann licht war, die Regierungen sich geweigert haben, not- 1006 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Bundesminister Dr. Bangemann wendige Stillegungen vorzunehmen. Das ist nämlich Arbeitsplatz haben. Und genau das macht die Bun- eigentlich der Grund, warum der Gedanke von Euro- desregierung. fer nicht verfolgt werden konnte. Die Kommission hat (Frau Weyel [SPD]: Dann tun Sie es doch sich bereit erklärt, diesen Gedanken aufzugreifen. mal!) Nur so kann es uns gelingen, das Quotensystem wenigstens teilweise weiter zu verlängern. Wir wollen Lassen Sie mich noch folgendes auch zu einem Zwi- uns für die vollständige Verlängerung einsetzen. schenruf sagen, der hier kam. Deswegen wehren wir Dazu brauchen wir Mehrheiten. Wir werden uns das GATT-widrige Einfuhren auch ab. Alles, was Dum- sehr ernsthaft vornehmen, aber wir können das natür- ping ist, alles, was in der Einfuhr nicht erlaubt ist, weil lich nicht garantieren. Wenn aber überhaupt eine Ver- es auch alte Verträge gibt, Einfuhren zu begrenzen, längerung von Quoten in Frage kommt, dann nur in wird in der Europäischen Gemeinschaft abgewehrt. Verbindung mit dem Grundgedanken von Eurofer. Was wir allerdings nicht machen, ist, gegen die Denn wenn Quoten handelbar werden, dann kann es GATT-Regeln zu verstoßen. Meine Damen und Her- für Stahlunternehmen interessant werden, Kapazitä- ren, wenn wir das nämlich anfangen, dann gerät mehr ten stillzulegen, die Quoten zu verkaufen und den ins Rutschen als Arbeitsplätze in der Stahlindustrie. erzielten Erlös für Sozialpläne einzusetzen. Diesen (Sehr richtig! bei der FDP) Grundgedanken hat die Kommission akzeptiert. Das Ich werde nicht müde, immer wieder zu wiederholen, ist Ergebnis Nummer eins. weil es offenbar immer noch unbekannt ist: Ein Drittel des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik erwirt- (Dr. Jens [SPD]: Das ist nichts Neues, das ist schaften wir aus dem Export. Jede dritte Mark, die ein ein alter Hut!) Mensch bei uns verdient, stammt aus dem Export. Wenn ich anfange, protektionistisch zu werden, dann — Aber Herr Jens, das ist kein alter Hut. Die Kommis- rutscht die Lebensgrundlage der gesamten deutschen sion hat dem Eurofer-Gedanken sehr skeptisch Wirtschaft weg, und das kann doch nicht in Ihrem gegenübergestanden. Wir haben alle Hände voll zu Interesse sein. tun gehabt, vor etwa zwei Monaten die Kommission überhaupt dazu zu bringen, der Stahlindustrie der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Gemeinschaft die Zeit zu lassen, diesen Eurofer- Deswegen, Herr Präsident, meine Damen und Her- Gedanken auszuprobieren. Es war gar nicht die Mei- ren, betreiben wir eine Stahlpolitik, die den Menschen nung der Kommission. Die Kommission stand sehr in den betroffenen Regionen endlich einmal eine Per- skeptisch diesem Gedanken gegenüber. Deswegen spektive gibt, die Rücksicht nimmt auf ihre persönli- ist das kein alter Hut. Aber das Problem ist ja immer: chen Nöte und Bedürfnisse, die aber nicht ein Luft- Sie übersehen die Nachrichten, die die Erfolge der schloß malt, das niemand realisieren kann. Regierung bestätigen. Deswegen sind Sie immer Sie wecken falsche Hoffnungen — auch mit Ihren überrascht, wenn man Ihnen das wieder sagen muß. beiden Anträgen — , die niemand einlösen kann. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Damit tun Sie für die Menschen das Falscheste, was Dr. Jens [SPD]: Sie loben sich ja selbst!) man überhaupt tun kann. Politik muß ehrlich sein, sie muß sagen, was man machen kann. Das haben wir — Ich muß mich selbst loben, weil Sie mich ja nicht gesagt, und das machen wir auch. Dabei bleibt es. loben, Herr Jens. Das ist ja mein Problem. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Stratmann [GRÜNE]: Sie wecken Ängste!) (Heiterkeit)

Der zweite Gesichtspunkt, meine Damen und Her- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- ren, ist, daß wir nicht nur die Genehmigung der Kom- ordnete Dr. Jens. mission bekommen, regionale und Stahlsonderpro- gramme durchzuführen, sondern daß die Europäische (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr verehr- Gemeinschaft eigene stahlspezifische Standortpro- Dr. Jens ten Damen und Herren! Herr Bangemann, ich habe gramme und Regionalprogramme mit eigenem Geld, auf jeden Fall mit Geld aus dem EGKS-Haushalt, auf- wirklich viele schöne Worte von Ihnen gehört. Sie legen wird. Wenn wir das zusammen mit dem Geld haben lange über die Ursachen der Krise gesprochen. betrachten, das wir aus den Quotenverkäufen bekom- Nur: Was diese Bundesregierung konkret tun will, um men und zusammen mit dem, was Norbert Blüm den Betroffenen zu helfen, habe ich nicht so richtig sicherlich gleich noch in einzelnen darlegen wird, herausgefunden. können wir sagen: Wir begleiten den Kapazitätsab- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten bau sozial und regional endlich einmal so, daß das der GRÜNEN) Grundproblem angegangen wird. Ich hoffe, daß auf diesem Gebiet von Ihnen noch ein bißchen mehr kommt. Hier hat jemand gesagt: Das ist eine Monostruktur, und daraus ergeben sich die Probleme. — Das ist rich- Man kann auch nicht nur Maßnahmen ankündigen tig. Aber wenn es so ist, dann muß man endlich einmal — die bei Ihnen, sofern sie vorhanden waren, sehr Schluß machen mit der Monostruktur. Es muß doch dünn waren — , sondern man muß auch sagen: Wie- einmal einer den Mut haben, zu sagen: Jetzt diversi- viel Geld gibt die Bundesregierung, um diese Krise zu fizieren wir, jetzt machen wir etwas anderes, jetzt hel- bewerkstelligen? fen wir den Menschen, jetzt bringen wir ihnen die Auch wir Sozialdemokraten — meine Damen und Hoffnung, daß sie einen neuen, zukunftsträchtigen Herren, das darf ich Ihnen sagen — werden alles tun, Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1007

Dr. Jens um, wie es der Kollege Lammert gesagt hat, eine ein- das Auslaufen der Stahlbeihilfen zum 31. Dezember heitliche Meinung dieses Hauses herbeizuführen. 1985 akzeptiert, so wie Sie das gemacht haben, Aber diese einheitliche Meinung muß darauf abzie- gleichzeitig aber zustimmt, daß für die Stahlindustrie len, alles zu tun, um den Betroffenen in den Regionen, in Frankreich, Italien und Belgien Beihilfen für die insbesondere in der Montanregion, zu helfen. Jahre 1986 und 1987 in Höhe von 30 Milliarden DM genehmigt werden. Da ist doch Druck im Schlauch, da (Beifall bei der SPD) muß man sich doch nicht wundern, daß die deutsche Unter dieser Zielsetzung sind wir bereit, eine einheit- Stahlindustrie jetzt in Schwierigkeiten kommt! Und liche Entschließung mit zustande zu bringen. das haben Sie mitzuverantworten, Herr Bangemann. Wir Sozialdemokraten diskutieren auf unseren (Beifall bei der SPD — Beckmann [FDP]: Das Antrag hin jetzt zum zweitenmal über den Stahl. stimmt so nicht!) Meine Fraktion war in der vorigen Woche im Ruhrge- biet und hat sich dort ausführlich mit den Problemen Lassen Sie mich einen zweiten Punkt anführen, den befaßt. wir Ihnen vorwerfen. Ich bin bestimmt kein Anhänger (Dreßler [SPD]: Auch bei der Maxhütte!) von Quotenregelungen oder von Kartellen; das kann man mir nicht unterstellen. Das sind Verstöße gegen — Auch bei der Maxhütte sind wir gewesen, die Marktwirtschaft. Aber auf dem Stahlmarkt gibt es jawohl. schon lange keine Marktwirtschaft mehr. Da meine Wir sind zutiefst — auch auf Grund dieser Analy- ich eben, es ist der Bundesregierung nicht gelungen, sen — der Ansicht: Die Menschen in diesen Regionen eine Gleichbehandlung bei den Subventionsleistun- haben entscheidend dazu beigetragen, daß die Bun- gen sicherzustellen. Deshalb haben die Stahlunter- desrepublik Deutschland wieder zu Wohlstand nehmen Anspruch auf eine anständige Quotenrege- gekommen ist. Sie haben durch ihre Arbeit entschei- lung. Wenn Sie das nicht hinbekommen, müssen Sie dend daran mitgewirkt, daß Dividende verdient wor- zusätzliche Subventionen an die Stahlunternehmen den ist, die auch in die anderen Länder geflossen ist. zahlen. Etwas anderes gibt es nicht. Sie haben ertragen müssen, daß ihre Umwelt systema- Wir Sozialdemokraten akzeptieren das Prinzip der tisch zerstört worden ist, zum Teil auch zu Lasten der Chancen- und Wettbewerbsgleichheit. Aber wir wol- Menschen, die dort leben. Ich meine, Herr Bange- len nicht akzeptieren, daß durch staatliche Wettbe- mann, sie haben jetzt Anspruch auf Solidarität durch werbsverzerrungen in anderen europäischen Ländern diese Bundesregierung. deutsche Arbeitsplätze vernichtet werden. (Bundesminister Dr. Bangemann: Das bestreitet ja niemand!) Zwei Wünsche an den Bundeskanzler: Er hat vor geraumer Zeit selbst angekündigt, daß die Stahl- Das Positionspapier der IG Metall — ich will es standorte in die Gemeinschaftsaufgabe Regionale nicht überbewerten — , das mit einigen Konzernen Strukturpolitik aufgenommen werden sollen. Es ist erarbeitet worden ist, ist ein Schritt zur Krisenvermin- auch absurd, Herr Bangemann, wenn es z. B. norma- derung. Es ist aus meiner Sicht ein positives Signal, lerweise in den Stahlstandorten der Montanregion aber es ist auch nicht mehr. Es muß eben noch durch 15 % Prämie gibt, in Hattingen nur 10 %, aber gleich- konkrete Finanzierungshilfen der Regierung ange- zeitig in vielen Orten des Zonenrandgebietes 25 % füllt werden. Prämie, die bei der Schaffung von Ersatzarbeitsplät- (Zuruf von den GRÜNEN: Was ist denn zen gezahlt werden. Dies muß man doch angesichts daran positives? 10 000 Sozialpläne!) der Gefahren, die vor uns liegen, umgestalten und dafür sorgen, daß in allen Stahlstandorten mindestens Die Ursachen für die Krise sind vielschichtig. Sie 25 % Prämie gezahlt werden! liegen sicherlich nicht nur in der Bundesrepublik, son- dern es ist ein weltweiter Entwicklungsprozeß, der (Beifall bei der SPD) uns hier Sorgen bereitet, und zwar nicht nur in der Stahlindustrie, sondern in vielen Wirtschaftszweigen. Dafür werben wir; dazu fordern wir Sie auf. Das sehen wir alles sehr genau. Mein Kollege Wolfgang Sieler hat bereits über so- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) zialpolitische Vorschläge gesprochen. Lassen Sie mich einen Punkt noch in Erinnerung rufen. Ich Aber die Verantwortung, Herr Bangemann, liegt glaube, es gibt mittlerweile in der Stahlindustrie auch auf Ihren Schultern, daß diese Krise zu einem Schwierigkeiten, wenn es um sogenannte Freisetzun- anständigen Ende kommt. Ich behaupte mit dem Kol- gen geht; ich höre das Wort nicht so furchtbar gerne, legen Vondran zusammen: Sie haben die Interessen denn mit „frei" hat es wirklich wenig zu tun. der deutschen Stahlindustrie in Brüssel nicht gut ver- treten, Herr Bangemann. (Beckmann [FDP]: Ich finde es auch nicht (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ gut!) CSU: Das ist unseriös!) Aber ich meine, wir müßten für bestimmte Sonder- Offenbar sieht man in der Bundesregierung mittler- fälle die Möglichkeit schaffen, daß einige, insbeson- weile selbst ein, daß öffentliche Abrißprämien in dere die, die jahrelang in erster und zweiter Hitze anderen Ländern zu Erhaltungssubventionen entar- gearbeitet haben, und die zum Teil körperlich kaputt ten. Es gibt eine Fülle von Umgehungsmöglichkeiten sind, spätestens mit 50 Jahren in Pension gehen kön- für den sogenannten Subventionskodex. Auf alle Fälle nen. Das sollte dann auch nicht nur für die Stahlin- ist es eine Mißachtung unserer Interessen, wenn man dustrie möglich sein, denn solche Fälle gibt es auch 1008 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Dr. Jens bei den Schmieden, bei den Gießereien und bei den Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter Röhrenproduzenten. Stratmann, Sie hatten an sich nur eine Zwischenfrage, Ich meine, meine Damen und Herren, die Unter- nicht zwei. nehmen im Ruhrrevier insbesondere — ich weiß nicht so genau, wie es bei der Maxhütte ist — haben zum Dr. Jens (SPD): Ich nehme gern alles zur Kenntnis; Teil selbst dafür gesorgt, daß nicht rechtzeitig, vor nur wage ich zu bezweifeln, ob das, was Sie da vor- Jahren neue Indust rien angesiedelt worden sind. schlagen, sinnvoll ist. Mir geht es insbesondere (Beckmann [FDP]: Das ist unser Problem!) darum, daß Sie in Ihrem Antrag auch die Schaffung neuer Eigentumsverhältnisse vorgesehen haben. Sie hatten Angst vor der Konkurrenz, und sie hatten Angst vor möglicher zusätzlicher Nachfrage auf dem (Stratmann [GRÜNE]: Selbstverständlich!) Arbeitsmarkt. Vor allem deshalb sind sie verpflichtet, Dies halte ich nun für verrückt. Die jetzigen Eigentü- jetzt zusätzlich etwas zu tun, damit die Montanregio- mer müssen mit daran teilnehmen, daß diese Krise nen nicht verkommen, damit dort neue Arbeitsplätze gelöst wird. Sie sind entscheidend schuld daran, daß entstehen. wir diese Krise haben, und deshalb will ich sie nicht aus der Verantwortung entlassen. (Hinsken [CDU/CSU]: Was hat denn Ihre Landesregierung unternommen, Herr (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Dr. Jens?) der CDU/CSU) — Herr Hinsken, auf Grund Ihres Zwischenrufs Sie sind ja offenbar auch bereit, zusätzlich etwas zu behaupte ich: Diese Politik, regionale Strukturpolitik tun. und insbesondere sektorale Strukturpolitik, ist keine Wir fordern von der Bundesregierung, daß sie sofort Aufgabe der Landesregierung, sondern — auch auf ein „Zukunftsprogramm Montanregionen" in Angriff Grund der geltenden Gesetze — eine Aufgabe der nimmt. Dazu gehören Hilfen zur Umstellung, die wir Bundesregierung, und dieser Bundesminister ist auf- in unserem Antrag ausführlich beschrieben haben. Es gefordert, auf diesem Felde etwas mehr zu tun. gibt im übrigen in diesen Regionen eine Fülle von (Beifall bei der SPD — Hinsken [CDU/CSU]: Feldern, auf denen Investitionen dringend in Angriff Regionale Strukturpolitik ist eine Gemein- genommen werden müssen. Die Sanierung der Altla- schaftsaufgabe! — Dr. Jobst [CDU/CSU]: sten brennt den Kommunen unter den Nägeln! Früher waren Sie anderer Meinung, Herr Meine Damen und Herren, ich meine, in den Mon- Jens!) - tanregionen leben fleißige, strebsame und einfallsrei- Ein Wort noch zu dem Antrag der GRÜNEN: Auch che Menschen. ihn werden wir sicherlich in die Prüfung einbeziehen, (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) aber aus meiner Sicht — ich sage ausdrücklich: aus Sie oder ihre Väter und Mütter haben am Wiederauf- meiner Sicht — ist es doch geradezu absurd, jetzt stieg der Bundesrepublik Deutschland entscheiden- darüber nachzudenken, die Eigentumsverhältnisse in des Verdienst. Es gibt mittlerweile in diesen Gebieten der Stahlindustrie konkret zu verändern. Ich be- etliche wissenschaftliche Hochschulen, die einen haupte: Die jetzigen Eigentümer tragen Mitverant- zusätzlichen wichtigen Kern für eine effektive wortung an der Krise, und wir müssen alles tun, um sie Umstrukturierung bilden. Wir Sozialdemokraten sind in dieser Verantwortung zu belassen. deshalb der Auffassung: Wenn Unternehmen, Bund, (Dr. Jobst [CDU/CSU]: Auch die Gewerk- Länder und EG ihre Verantwortung wahrnehmen, schaften!) haben diese Montanregionen eine Zukunft, und dies Nein, es ergibt keinen Sinn, hier neue Eigentumsfor- ist eine wichtige Botschaft für die dort lebenden Men- men zu schaffen. schen. Ich bin sogar der Ansicht: Geben Sie uns zehn Jahre Zeit, nehmen Sie diese Verantwortung wahr, dann wird Oberhausen, dann werden Hattingen, Vizepräsident Cronenberg: Der Abgeordnete Strat- Duisburg und Dortmund wieder eine wichtige mann möchte eine Zwischenfrage stellen. Ich werde Zukunftsregion in diesem Lande werden. es nicht anrechnen, wenn es nicht zu lange dauert. — Schönen Dank. Bitte sehr, Herr Abgeordneter Stratmann. (Beifall bei der SPD)

Stratmann (GRÜNE): Herr Kollege Jens, sind Sie Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Herr bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir in unserem Abgeordnete Dr. Jobst. Antrag die Forderung der IG Metall nach Einführung einer konzerninternen Beschäftigungsgesellschaft Dr. Jobst (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr oder konzerninterner Beschäftigungsgesellschaften verehrten Damen und Herren! Ich muß einen Vorwurf als einen ganz konkreten Schritt unterstützen, und des Kollegen Sieler aufgreifen und mit allem Nach- zwar mit einer Ausgestaltung, bei der wir konkret druck zurückweisen. Er hat behauptet, daß im bayeri- einen Schritt in Richtung Vergesellschaftung gehen schen Landtagswahlkampf und im Bundestagswahl- können, und sind Sie zweitens bereit, zur Kenntnis zu kampf den Menschen in der mittleren Oberpfalz leere nehmen, daß die Belegschaft der Thyssen-Werke Versprechungen gemacht worden seien. Oberhausen eine Petition an den Landtag von Nord- rhein-Westfalen gerichtet hat, konkret nach Art. 27 (Dreßler [SPD]: Noch leerer als leer!) der Landesverfassung NRW die Vergesellschaftung Herr Kollege Sieler, Sie wissen genau, daß es die Max einzuleiten? hütte schon längst nicht mehr gäbe, wenn nicht die Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1009

Dr. Jobst Bundesregierung und die Bayerische Staatsregierung So, Herr Abgeordneter Dr. Jobst, Sie können fort- in den letzten Jahren entscheidend geholfen hätten. fahren. Kein bayerisches Unternehmen hat die Staatsregie- rung so oft beschäftigt wie die Maxhütte, und kein Unternehmen in Bayern hat mehr öffentliche Hilfe in Dr. Jobst (CDU/CSU): Meine sehr verehrten Form von steuerlichen Zulagen und Investitionszu- Damen und Herren, die deutsche Stahlindustrie schüssen sowie zur Durchführung von Sozialplänen braucht gleiche und faire Wettbewerbsvoraussetzun- erhalten als die Maxhütte. Ich erinnere nur an die gen gegen massive Subventionen ihrer Mitbewerber 187 Millionen DM in den letzten vier Jahren. Da muß in der EG und gegen die Einfuhr zu Dumpingpreisen. ich Sie fragen, Herr Sieler: Wo blieb die konstruktive Die weitere Modernisierung und die Sicherung der Mitarbeit der SPD? Wettbewerbsfähigkeit sind wesentliche Aufgabe der Unternehmer — da stimme ich mit dem Herrn Jens (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) überein —, aber auch der Stahlpolitik, damit eine Ich kann nur eines feststellen: Die SPD hat dieses größtmögliche Zahl von Arbeitsplätzen gesichert wer- Thema Maxhütte in einer demagogischen Weise in den kann. Die weitere Umstrukturierung der europäi- den Landtags- und in den Bundestagswahlkampf schen Stahlindustrie muß aktiv politisch begleitet gezogen, und das war nicht hilfreich. werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Max- Mit Ihnen, Herr Jens, stimme ich auch überein, daß hütte ist ein Teilproblem — in der Region der mittle- verstaubte Klassenkampfparolen, wie sie heute hier ren Oberpfalz ein sehr, sehr ernstes Problem — im vorgetragen worden sind, nicht weiterhelfen. Reicht Rahmen der Schwierigkeiten im Bereich der Stahlin- Ihnen nicht die Riesenpleite beim quasi vergesell- dustrie. Es ist eine gemeinsame Kraftanstrengung not- schafteten Konzern Neue Heimat? wendig, um die ernsten und dringlichen Probleme im Bereich der Stahlindustrie zu meistern. (Zuruf von der SPD: Das ist aber Klassen kampf von oben!) Der Strukturwandel in der Stahlindustrie muß bewältigt werden. Wir können ihn nicht aufhalten, Reichen Ihnen nicht die Erfahrungen in den Ländern, aber die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müs- in denen die Stahlindustrie verstaatlicht ist? Dort sen so gestaltet sein, daß sich dieser Strukturwandel haben wir eine erheblich größere Verminderung der für die Menschen, aber auch für die Wirtschaft in einer Arbeitsplätze in der Stahlindustrie als in der Bundes- sozial verträglichen Weise vollziehen kann. republik Deutschland: in Großbritannien 76 %, in - Frankreich 54 %, in der Bundesrepublik 36 %. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese ernsten Probleme der Stahlindustrie berühren uns Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter alle. Hier geht es um Arbeitsplätze; hier geht es um Dr. Jobst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- die Zukunft der Menschen; hier geht es um Arbeit- ordneten Dreßler? nehmer und deren Familien. Es geht aber auch um mittelständische Existenzen in diesen Regionen, und Dr. Jobst (CDU/CSU): Bitte, ja. es geht um die Zukunft von ganzen Regionen. Durch den Konkurs der Maxhütte sind 4 500 Dreßler (SPD): Herr Kollege, ist Ihnen in Sachen Arbeitsplätze direkt und eine erhebliche Anzahl von Maxhütte die These des dortigen Betriebsratsvorsit- weiteren Arbeitsplätzen indirekt gefährdet. Die Stille- zenden Kick bekannt, und wie bewerten Sie sie gung der Maxhütte würde zu einer Arbeitslosigkeit in — Zitat —: unverantwortlicher Höhe führen, denn die wirtschaft- Der bayerische Ministerpräsident steht so lange liche Existenz Tausender von Familien und Zehntau- vor und hinter der Maxhütte, bis nichts mehr von sender von Menschen hängt von diesem Unterneh- ihr da ist? men ab. Auf die Arbeitsplätze dieses Unternehmens in diesem Gebiet kann nicht verzichtet werden. Eine (Fellner [CDU/CSU]: Du Zyniker, du dum- passive Sanierung durch Abwanderung der Bevölke- mer!) rung muß unter allen Umständen verhindert wer- den. Dr. Jobst (CDU/CSU): Ich glaube gar nicht, daß der Herr Kick von der Maxhütte eine solche Äußerung Die Region braucht deshalb besondere Hilfen zur gemacht hat. Wenn er sie gemacht haben sollte, dann Bildung einer Auffanggesellschaft und zur Fortfüh- ist es eine völlig danebenliegende und verunglim- rung des Unternehmens. Die Devise muß sein, so viel pfende Äußerung. Es gibt keinen Menschen, der sich Arbeitsplätze wie nur möglich zu sichern. Wir wissen, so für die Maxhütte eingesetzt hat wie der bayerische daß mit Dauersubventionen die Maxhütte nicht über Ministerpräsident Franz Josef Strauß. Wasser gehalten werden kann. Deshalb brauchen wir als erstes ein schlüssiges und zuverlässiges Unterneh- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) menskonzept. Gefordert sind die Anteilseigner, und gefordert sind nach meinem Dafürhalten auch die Vizepräsident Cronenberg: Bevor Sie fortfahren, Gewerkschaften. möchte ich dem Abgeordneten Fellner wegen seines Wir brauchen eine bessere soziale Abfederung für Zwischenrufs „Zyniker" selbstverständlich einen die Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, aber Ordnungsruf erteilen. noch nicht in Rente gehen können. Sozialplanhilfen (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: müssen wirksam verbessert werden. Hier ist es mit der „Dummer" hat er noch gesagt!) Erhöhung der Mittel alleine nicht getan. Insbesondere 1010 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Dr. Jobst muß die Altersgrenze im Falle der Gewährung der es in manchen Orten zum regional wirtschaftlichen Übergangshilfe vom 55. auf das 50. Lebensjahr herab- Kollaps kommt. gesetzt werden. Denn die Arbeitnehmer vom 50. bis Wir brauchen die klare und verläßliche Absprache zum 55. Lebensjahr sind am stärksten betroffen. der Beteiligten darüber, wie den betroffenen Standor- Ältere Arbeitnehmer gibt es heute kaum mehr in der ten und Regionen eine Zukunftsperspektive gegeben Montanindustrie. werden soll. Deshalb hoffe ich, daß bei der geplanten Wir wissen: Sozialpläne sind schön, aber keine Fortsetzung dieser Stahlrunde auch die Landesregie- Lösung auf Dauer. Was wir brauchen — hier kann ich rung beteiligt wird. dem Bundeswirtschaftsminister nur nachhaltig (Zustimmung bei der SPD) zustimmen —, sind neue Arbeitsplätze, Zukunftsar- beitsplätze in diesen Regionen. Die Menschen in den Stahlstandorten konnten Ver- (Zurufe von der SPD: Dolle Erkenntnis!) trauen fassen, als der Bundeskanzler bei Hoesch in Dortmund kurz vor der Bundestagswahl die Siche- Dazu brauchen wir natürlich auch, Herr Bundeswirt- rung einer nationalen Grundausstattung bei Kohle schaftsminister, eine massive öffentliche Hilfe. Die und Stahl zusagte. Dieselben Menschen müssen sich Bundesregierung hat den Werften dankenswerter- jedoch genarrt fühlen, wenn der zuständige Bundes- weise eine Sonderhilfe von 420 Millionen DM zur Ver- minister unmittelbar nach der Stahlrunde beim Bun- fügung geteilt. Für die Sonderbelastung und für die deskanzler im Deutschen Bundestag am 1. April 1987 Entwicklung des Raumes Gorleben werden vom Bund wörtlich erklärt: Die Bundesregierung kann keine an das Land Niedersachsen Ausgleichszahlungen von Grundausstattung der deutschen Stahlindustrie 300 Millionen DM geleistet. garantieren. In der mittleren Oberpfalz, meine ich, haben wir Ich frage die Bundesregierung: Was gilt denn nun, durch den Konkurs der Maxhütte eine ähnliche Situa- daß Wort des Bundeskanzlers oder das des verant- tion, die eine Gleichbehandlung gebietet. Deshalb ist wortlichen Ministers? Ich fordere den Bundeskanzler eine Sonderhilfe für die mittlere Oberpfalz gerecht- und seinen Wirtschaftsminister auf: Sorgen Sie end- fertigt und dringend notwendig. lich für Klarheit und Zuverlässigkeit in der Stahlpoli- Es geht jetzt darum — das ist mein Appell an die tik! Bundesregierung — , daß diese schwere K rise, in die (Beifall bei der SPD) die mittlere Oberpfalz durch den Konkurs der Max- hütte geraten ist, durchgestanden wird, daß diese Hören Sie auf, von Sterbehilfen zu reden und Verwir- Durststrecke gemeistert wird. Dazu sind Mut und Ent- rung zu stiften! Nutzen Sie die Bereitschaft zu helfen, schlossenheit notwendig. Geboten sind aber auch die in allen politischen Parteien vorhanden ist! Das ist Vernunft und soziale Verantwortung. Wenn es uns ja in dieser Debatte dankenswerterweise auch zum gelingt, Herr Kollege Sieler — jetzt meine ich nicht Sie Ausdruck gekommen. Hier liegt eine politische Auf- persönlich —, das politische Klima dort vor Ort wieder gabe vor Ihnen, die Sie nicht auf die Landesregierun- zu verbessern, wieder ein Klima herzustellen, das es gen, nicht auf die Regionen und Städte und auch nicht zuläßt, daß sich Betriebe ausweiten, daß sich neue allein nach Brüssel schieben können. Betriebe ansiedeln, dann bin ich der festen Überzeu- (Sehr wahr! bei der SPD) gung, daß unsere mittlere Oberpfalz trotz der schwe- ren Sorgen, die wir derzeit haben, gute Entwicklungs- Überhaupt, Brüssel: Die Wirtschaftsminister aller chancen hat. Denn die Infrastruktur konnte in den Bundesländer waren am 26. und 27. Mai in Brüssel letzten Jahren dank der Verkehrspolitik der Bundes- und haben gemeinsam eine EG-Konzeption zur regierung erheblich verbessert werden. Es ist in der Lösung der aktuellen Krise angemahnt. Die Antwort Vergangenheit auch gelungen, neue Arbeitsplätze in war die gleiche, die jetzt der Stahlministerrat am diesem Raum zu schaffen. 1. Juni gegeben hat: kein Konzept, alles unklar, Ver- tagung. Aber, meine Damen und Herren, die Pro- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bleme werden nicht vertagt. Sie werden immer drän- gender, und eine Lösung wird immer schwieriger. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Wirt- Deshalb ist es notwendig, daß die deutschen Stahl- schaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen Pro- interessen in Bonn klar und deutlich formuliert und in fessor Jochimsen. Brüssel entschieden vertreten und durchgesetzt wer- den. Grundlage dazu ist eine industriepolitische Aus- Minister Dr. Jochimsen (Nordrhein-Westfalen): sage über die nationale Grundausstattung in Umfang Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und und Struktur. Nur Subventionen in anderen Mitglied- Herren! Die aktuelle Stahlkrise und die Sorgen der staaten verhindern zu wollen reicht als Konzept nicht Montanregionen sind Sorgen, die die ganze Bundes- aus. Unverzichtbar sind aus meiner Sicht: vorerst keine weitere Liberalisierung des europäischen Stahl- republik als Industriestandort angehen. Die Siche- rung der deutschen Stahlbasis ist ein nationales Pro- markts, Weiterführung des Quotensystems zur Abstützung des Kapazitätsabbaus und Preisdiziplin, blem. Deshalb begrüße ich, daß der Bundeskanzler endlich der auch von Nordrhein-Westfalen erhobenen Einhaltung des Subventionskodex, wirksamer Außen- Forderung nachgekommen ist und eine nationale schutz gegen Dumping. Dies alles ist weiter nötig, Stahlrunde einberufen hat; denn wir brauchen unver- aber wir müssen dabei sehen, wie defensiv diese deut- züglich Klarheit darüber, wie wir den angekündigten sche Haltung in und gegenüber Brüssel eigentlich Abbau von mehr als 20 000 Stahlarbeitsplätzen allein ist. an Rhein, Ruhr und Sieg auffangen können, ohne daß (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1011

Minister Dr. Jochimsen (Nordrhein-Westfalen) Die Landesregierung unterstützt alle Bemühungen, schaftspolitik, der Qualifikationspolitik und der Tech- drohende Massenentlassungen zu vermeiden; des- nologieförderung insgesamt 25 000 Arbeitsplätze neu halb begrüßen wir auch die Zielsetzung der Gesprä- geschaffen werden konnten und daß wir dafür che der Stahlunternehmen und der IG Metall, an 700 Millionen DM zur Verfügung gestellt haben. Das denen das Bundesarbeitsministerium und zuletzt Land steht also zu seiner regionalen Verantwortung. auch Vertreter von Düsseldorfer Ministerien beteiligt Um so bitterer ist es für die Menschen in den beson- waren. Ich erwarte, daß die Bundesregierung ihre ders betroffenen Montanregionen, daß sie erfahren Ankündigungen, die sozialen Hilfen zu verbessern, müssen, daß die notwendige Solidarität des Bundes möglichst bald konkretisiert. Ich appelliere an Sie, bisher noch nicht erkennbar ist. Herr Bundesarbeitsminister, daß Sie sich auch in Ihrer In Bonn liegt seit langem unsere Forderung auf dem neuen Funktion für eine wirksame Verbesserung ein- Tisch, die Arbeitsmarktregionen Duisburg-Oberhau- setzen. sen und Bochum mit Hattingen voll in die Förderung Wir wollen keine Massenentlassungen, wir wollen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regio- neue Arbeitsplätze in den Stahlregionen. Deshalb nalen Wirtschaftsstruktur" aufzunehmen. Das heißt begrüßen wir aus den bisherigen Gesprächen vor konkret: Bundesmittel auch für Investitionszuschüsse, allem die Vorschläge, neue Qualifizierungs - und die bisher vom Land allein getragen werden, und För- Beschäftigungsmöglichkeiten für Stahlarbeiter zu derhöchstsätze für die besonders betroffenen Schwer- entwickeln. Leider sind gerade die Aussagen zu die- punktorte. Ein eingeschränktes und zeitlich befriste- sen beiden Komplexen noch unbefriedigend. tes Förderinstrumentarium eines Sonderprogramms reicht hier nicht aus. (Dreßler [SPD]: So ist es!) (Zustimmung bei der SPD — Hinsken [CDU/ Die Qualifizierungsaufgaben werden nur sehr all- CSU]: Nordrhein-Westfalen braucht eine gemein abgehandelt. Aus der Sicht des Landes muß bessere Regierung!) aber gerade die Qualifizierung sowohl der betroffe- nen Stahlarbeitnehmer als auch der jungen Menschen Die Bundesregierung hat zu unserem Antrag immer in den Stahlstandorten ein zentraler Bestand einer noch nicht ja gesagt. Am 20. Mai 1987 wurde eine zukunftsorientierten Beschäftigungsstrategie sein. Entscheidung des Planungsausschusses erneut ver- Das Land wird sich daran aktiv beteiligen. tagt. Nordrhein-Westfalen erwartet nicht mehr und nicht weniger, als daß die Bundesregierung unver- Sie sehen, meine Damen und Herren, daß sich die züglich die zugesagte Gleichbehandlung mit den Landesregierung nicht gegen wirtschaftlich notwen- norddeutschen Werftstandorten einlöst. Der Bund dige Anpassungsprozesse stellt. Wir haben nie gegen muß seiner Mitverantwortung für die regionalen den Strukturwandel ansubventioniert, auch wenn der Strukturprobleme endlich gerecht werden. Bundeswirtschaftsminister gelegentlich eine solche Behauptung auf parteipolitischen Veranstaltungen Ich sage hier ganz eindeutig, der Landtag von Nord- — auch noch in meinem Heimatland — erhebt. Er hat rhein-Westfalen hat einstimmig auf Vorschlag Ihrer meinen Brief dazu immer noch nicht beantwortet. Fraktion, Herr Kollege Bangemann, festgestellt, daß es auf die vorhersehbaren Arbeitsmarktprobleme (Dreßler [SPD]: Unerhört!) ankommt, wenn man regionale Fördergebiete aus- Im Gegenteil: Meine Damen und Herren, wir haben weist. Sie haben im Planungsausschuß noch genau seit zwei Jahrzehnten umfassend die Umstrukturie- umgekehrt argumentiert und gesagt, es sei ja gar rung gefordert und unterstützt. Wir haben in den nicht nötig, daß jetzt das Stahlstandorteprogramm Regionen, in denen sich der Strukturwandel auch jetzt zum 1. Januar 1987 aufgenommen wird, weil die Ent- wieder konzentriert, gute Bedingungen für neue Inve- lassungen erst noch vor uns stehen. stitionen und neue Arbeitsplätze geschaffen. Ich nenne den Grundstücksfonds, ich nenne den Aufbau Vizepräsident Cronenberg: Herr Minister, gestatten und Ausbau der zahlreichen Hochschulen in Duis- Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten burg, Bochum, Essen, Dortmund, Hagen und Siegen. Dr. Lammert? Ich nenne die Errichtung neuer Forschungseinrich- tungen. Das aktuelle Beispiel ist die Gründung des Minister Dr. Jochimsen (Nordrhein-Westfalen): Instituts Arbeit und Technik in Gelsenkirchen. Aber bitte schön. (Gerstein [CDU/CSU]: Kein gutes Beispiel!) Wir sind bei den konkreten Hilfen für die Errichtung Vizepräsident Cronenberg: Bitte schön. neuer Arbeitsplätze bis an die Grenzen der finanziel- len Leistungsfähigkeit des Landes gegangen. Ich Dr. Lammert (CDU/CSU): Herr Minister Jochimsen, nenne hier beispielhaft das Stahlstandorte-Sonder- wären Sie freundlicherweise bereit, mit vorzutragen, programm, das wir, meine Damen und Herren, als ein- daß die von Ihnen als wünschenswert, von mir im übri- ziges Bundesland bisher alleine finanziert haben, gen gerne bestätigte Einbeziehung aller Stahlstand- orte in die Regelförderung der Gemeinschaftsaufgabe (Beifall bei der SPD) natürlich nicht kostenlos zu haben ist, weil sie insbe- weil uns der Bund entgegen dem Geist und dem Wort- sondere unter Berücksichtigung der Auflagen, welche laut des Grundgesetzes bisher im Stich gelassen hat die Europäische Kommission für das Volumen der und das auch heute noch tut. Ich komme darauf noch deutschen Förderkulisse aus ebenfalls plausiblen zurück. Gründen vorgetragen hat, nur bei gleichzeitigem Zusammenfassend darf ich feststellen, daß in den Streichen anderer Fördergebiete zu erreichen wäre letzten fünf Jahren mit unseren Maßnahmen der Wirt- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) 1012 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Dr. Lammert und daß dies insofern nicht eine beliebige, willkürli- mann, die Industrie wie auch die Gewerkschaften und che Entscheidung der Bundesregierung sein kann, die Kommunen. Auch die Wirtschaftsminister der sondern, wenn überhaupt, dann nur im Konsens aller Bundesländer haben dies erkannt und in einem ein- Bundesländer erfolgen kann? stimmigen Beschluß der Wirtschaftsministerkonfe- (Zuruf von der CDU/CSU: Wen nehmen Sie renz im März 1987 zum Ausdruck gebracht. Auch die aus Nordrhein-Westfalen raus?) Parlamentarier im Europaparlament haben das erkannt und in einer Entschließung gemeinsame Vor- schläge gemacht, die von allen großen Parteien getra- (Nordrhein-Westfalen): Das Minister Dr. Jochimsen gen werden. ist ein anderes Thema, zu dem eine Menge zu sagen wäre. Wir haben in Brüssel darüber als Wirtschaftsmi- Aus der Sicht Nordrhein-Westfalens wäre es ein nister doch auch gehandelt. Bayern, Baden-Württem- guter Erfolg der heutigen Debatte, wenn auch im berg und Nordrhein-Westfalen haben schwerste Deutschen Bundestag eine breite Gemeinsamkeit für Bedenken gegen den ausgehandelten Kompromiß die Lösung der gegenwärtigen Stahlkrise gefunden artikuliert. Bayern, Baden-Württemberg und Nord- werden könnte. rhein-Westfalen, aber auch andere Bundesländer! Herzlichen Dank. Herr Kollege Lammert, ich bin bereit, die Frage (Beifall bei der SPD) Sonderprogramm oder Regelförderung dann bei- seite zu schieben, wenn das Sonderprogramm de facto wie die Regelförderung ausgestattet ist. Vielen Dank Vizepräsident Cronenberg: Zu einer kurzen Erwi- im übrigen für Ihre Unterstützung unseres Antrages in derung gebe ich dem Bundesminister für Wirtschaft, dieser Frage. Auch hier ist ja der Landtag von Nord- Herrn Minister Bangemann, das Wort. rhein-Westfalen einstimmig. Meine Damen und Herren, es geht darum, die dau- Dr. Bangemann, Bundesminister für Wirtschaft: erhafte Lebensfähigkeit der betroffenen Standorte zu Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und sichern. Dazu genügt eine soziale Flankierung des Herren! Ich muß eine Behauptung richtigstellen, die Arbeitsplatzabbaus nicht. Dazu gehört die Schaffung der Herr Kollege Jochimsen hier fälschlicherweise neuer zukunftssicherer Arbeitsplätze sowohl für die aufgestellt hat. Ich bedauere sehr, daß er das gemacht nicht vom Vorruhestand erfaßten Stahlarbeitnehmer hat, weil es nämlich unserem gemeinsamen Anliegen einschließlich derer aus der Zulieferindustrie, die ja nicht dient. Er weiß ganz genau, daß sich alle Länder - meist in diesem ganzen Bild vergessen werden, als und der Bund in der letzten Sitzung des Planungsaus- auch für die jungen Menschen, für die jungen Frauen schusses darüber einig waren, daß zwei Vorausset- und Männer in diesen Regionen. Anderenfalls droht zungen vorliegen müssen, bevor wir konkrete Ent- passive Sanierung mit all ihren negativen Folgen für scheidungen über Stahlstandorteprogramme treffen die Regionen, Kommunen und die betroffene Bevöl- können. kerung. Erstens. Wir müssen unsere allgemeine Regionalpo- Die Landesregierung hält eine regional-politische litik von der Europäischen Kommission genehmigt Gesamtstrategie für erforderlich, in der wir, wie es in bekommen. Zweitens. Wir müssen in diesem Zusam- der gemeinsamen Entschließung des Landtages heißt, menhang Sicherheit haben, daß die Kommission Maßnahmen der Wirtschaftsförderung sowie des Aus- Stahlstandorteprogramme genehmigt. Nur deswegen baus und der Modernisierung der Infrastruktur zu- haben der Bund und die Mehrheit der Länder darauf sammenfassen. An einem solchen „Zukunftspro- verzichtet, diese konkreten Entscheidungen zu tref- gramm Montanregionen" müssen neben der Landes- fen. Hätten wir sie getroffen, hätten wir die Genehmi- regierung der Bund, die Regionen und Kommunen gung der Kommission mit Sicherheit nicht bekom- und auch die Europäischen Gemeinschaften mitwir- men. ken. In seinem Zusammenhang können auch die Vor- (Minister Dr. Jochimsen [Nordrhein-Westfa schläge von Unternehmen und der IG Metall zur Wie- len]: Das habe ich vorgetragen!) deraufarbeitung von Industrieflächen und zur Qualifi- zierung ihren vernünftigen Platz finden. Das, was Sie hier gesagt haben, entspricht nicht der Wahrheit. — Das haben Sie nicht vorgetragen. Sie (Beifall bei der SPD) haben dem Bund den Vorwurf gemacht, er hätte Ihre Die Landesregierung wird noch vor der für den Vorstellungen im Planungsausschuß nicht akzeptiert. 16. Juni einberufenen zweiten Gesprächsrunde beim Das, was Sie hier vorgetragen haben — ich wieder- Bundeskanzler ein umfassendes Konzept zur Zu- hole es — , entspricht nicht der Wahrheit, entspricht kunftssicherung unserer Montanregionen vorlegen, nicht der Solidarität, die gerade zwischen dem Land in dem wir auch die notwendige Unterstützung des Nordrhein-Westfalen und dem Bund herrschen sollte. Bundes durch Hilfen nach Art. 104 a des Grundgeset- Sie haben der Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen zes und der Gemeinschaftsaufgabe einfordern wer- damit einen schlechten Dienst erwiesen. den. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Die Probleme in den betroffenen Regionen sind so groß und die Existenz so vieler Men- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Bun- schen ist betroffen, daß wir zur Lösung alle an einem desminister für Arbeit und Sozialordnung. Strang ziehen müssen. Wir in Nordrhein-Westfalen Herr Bundesminister, die Technik hier ist zusam- haben das erkannt: die Parteien ebenso wie auch die mengebrochen. Mit anderen Worten: Sie können Kirchen, ja, auch Ihre Fraktion, Herr Kollege Bange- nicht ablesen, welche Zeit Sie in Anspruch nehmen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1013

Vizepräsident Cronenberg Ich würde Ihnen daher empfehlen, Ihre Armbanduhr — Also, zunächst einmal, meine Damen und Herren: zu Hilfe zu nehmen. Wir sollten uns jetzt nicht von dem Versuch abbringen (Heiterkeit) lassen, hier Übereinstimmungen herzustellen. Sollte Ihnen eine solche fehlen, bin ich gerne bereit, Die Probleme der Stahlarbeiter sind bekannt, die Ihnen dieselbe zur Verfügung zu stellen, oder Sie brauchen Sie nicht lange zu beschreiben: neue Pro- könnten einen Blick auf die Uhr da oben werfen. dukte, neue Stoffe, neue Anbieter. Strukturwandel: ja — er ist Voraussetzung für unseren Wohlstand — , nur, Strukturbruch: dazu sage ich ein klares Nein. Des- Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- halb: Strukturwandel ohne Massenentlassungen — nung: Herr Präsident, jedes geeignete Produkt aus das ist mein Fixstern für diese Diskussion. Hier helfen Stahl werde ich in Anspruch nehmen, um die Uhrzeit keine ideologischen Veranstaltungen von Vergesell- abzulesen, auch das, das an der Stirnseite dieses Saa- schaftung und Nichtvergesellschaftung. Es kann nur les hängt. Ich bedanke mich für Ihren Hinweis. das produziert werden, was gebraucht wird. Und keine Unternehmensform bringt es zustande, daß auch nur ein Kilo Stahl mehr verkauft wird, wenn es Vizepräsident Cronenberg: Dann, Herr Minister, nicht gebraucht wird. gebe ich Ihnen ganz beruhigt das Wort. (Zuruf von den GRÜNEN: Das ist doch bil lig!) Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- Deshalb geht es darum, mit Strukturwandel sich den nung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich Bedürfnissen anzupassen; deshalb Marktwirtschaft — bin für Zusammenarbeit. Ich bin dafür, daß alle an freilich mit einem geordneten Übergang zur Liberali- einem Strang ziehen. Je mehr an dem Strang in die sierung. Dafür hat Martin Bangemann hier gespro- gleiche Richtung ziehen, desto besser. Nur, ich bin chen. gegen die Arbeitsteilung, Herr Kollege Jochimsen: Wir sind doch nicht abstrakte Anhänger einer Nordrhein-Westfalen stellt die Forderungen, und Marktwirtschaft, sondern Anhänger einer Marktwirt- Bonn erfüllt sie. Gegen diese Arbeitsteilung bin ich! schaft in konkreten Situationen. Es geht immer (Zustimmung bei der CDU/CSU) darum, den Menschen zu helfen. Es geht nicht um Mit Erstaunen habe ich von Ihnen gehört, daß die irgendwelche Dogmen in der ganzen Diskussion. nordrhein-westfälische Landesregierung ihr „Zu-- Ich füge allerdings hinzu: soziale Marktwirtschaft. kunftskonzept Montanregionen" noch vor dem Das ist kein schmückendes Beiwort. Für mich haben 16. Juni vorlegt. Heute, am 4. Juni, haben Sie es die Unternehmer in der sozialen Marktwirtschaft jedenfalls streng vertraulich behandelt. Und Sie wer- soziale Verantwortung, und zwar nicht nur für ihre fen der Bundesregierung vor, nichts zu tun! Sie waren Bilanzen, sondern für die Menschen. Deshalb müssen in den zehn Minuten, die Sie geprochen haben, offen- jene Konzerne, die im Stahlbereich lange Jahre gut bar nicht in der Lage, auch nur eine Minute für Ihren verdient haben, die jetzt in anderen Bereichen gut Beitrag zur Lösung der Stahlmisere an Rhein und Ruhr verdienen, jetzt ihr Geld nehmen, um die Treue ihrer zu verwenden. Arbeitnehmer zu honorieren. Das gehört zur sozialen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Verpflichtung der Arbeitgeber. des Abg. Stratmann [GRÜNE] — Wider- (Beifall bei der CDU/CSU) spruch bei der SPD) Ich zähle dazu ausdrücklich auch den Staat. Herr —Ja, wenn Sie das bis zum 16. Juni vortragen wollen: Kollege Jochimsen, Sie können es doch nicht so dar- Heute haben wir den 4. Juni. Es hätte mir gelangt, stellen, als habe die Bundesregierung die Stahlkocher wenn Sie eine Minute vorgetragen hätten, was Nord- im Stich gelassen. 5 Milliarden DM haben wir seit rhein-Westfalen will: jetzt, hier, konkret. Wissen Sie, 1983 zusammen mit den Ländern dem Stahlbereich zur Vergangenheit habe ich auch viel vorzutragen. zur Verfügung gestellt, 2,6 Milliarden DM allein vom Nur, die Stahlkocher in Hattingen, in der Oberpfalz, in Bund. Wann gab es eine Bundesregierung, die für den Osnabrück, an der Saar wollen nicht Vergangenheits- Stahlbereich mehr Geld aufgebracht hat? Bei Ihrem bewältigung, sondern sie wollen wissen, wie ihre Kanzler Helmut Schmidt hatte jedenfalls der Wirt- Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder aussieht. schaftsminister Jochimsen mit seinen Vorschlägen (Zuruf von der SPD: Dann sagen Sie doch weniger Erfolg gehabt als bei der jetzigen Bundesre- etwas dazu! — Weitere Zurufe von der gierung. SPD) Jetzt komme ich zum sozialpolitischen Bereich. Ich — Ich komme gleich dazu. wiederhole: Es geht darum, den Arbeitnehmern zu (Roth [SPD]: Das ist für Kasperle-Theater helfen. Die Montanunionshilfen sind ausgebaut wor- doch zu wichtig!) den: 404 Millionen DM haben wir für diesen Bereich zur Verfügung gestellt. Wissen Sie, wieviel es in — Das ist für Kasperle-Theater zu wichtig, und des- 13 SPD-Jahren waren: 77 Millionen DM. Jeder kann halb trage ich hier konkrete Vorstellungen vor. ausrechnen, was mehr ist. (Zuruf von der SPD: Das hat Minister Jochim- (Zuruf von der SPD: Unmöglich!) sen auch gemacht! Sie haben nicht zugehört! — Gegenruf des Abg. Gerstein [CDU/CSU]: Ich komme zum Ausbau dieser Montanunionshil- Welche denn? Davon habe ich nichts gehört! fen. Ich habe in der letzten Debatte hier in diesem — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Haus vorgetragen, daß wir das Wartegeld verbessern 1014 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Bundesminister Dr. Blüm wollen. Wie Sie wissen, ist das Wartegeld nicht an eine hat jedenfalls ihren konkreten Beitrag, nicht nur in Altersgrenze gebunden. Wir wollen es in Analogie zu Ankündigung, sondern in konkreter Politik gelei- den Beschlüssen verbessern, die wir morgen hier zur stet. Verlängerung des Arbeitslosengeldes fassen werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Ich habe davon gesprochen, daß wir die Übergangs- Zuruf von der SPD: Sie müssen auch in Brüs hilfe , die Einkommenshöchstgrenzen verbessern wol- sel Politik machen!) len. Ich habe davon gesprochen, daß die Umschu- lungsbeihilfen angehoben werden. Das war nicht eine Politik der Überschriften, sondern ganz konkrete Hilfe. Vizepräsident Cronenberg: Der Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat um das Wort zu Wir verhandeln über diese sozialpolitischen Vorha- einer kurzen Erwiderung gebeten. Herr Wirtschafts- ben mit großer Energie mit Brüssel. Es ist eine gute minister, Sie haben das Wort. Gelegenheit: Heute nachmittag, 4. Juni 1987, 14.40 Uhr, teilt die Kommission in Brüssel mit:

Da die Änderungen die Natur der bestehenden Minister Dr. Jochimsen (Nordrhein-Westfalen): Ich Sozialleistungen nicht verändern, geben sie unter kann an das anknüpfen, was Herr Kollege Blüm dem Gesichtspunkt des Beihilfekodex für die gerade gesagt hat. Ich habe nicht zwischen Stand- Stahlindustrie keinen Anlaß zu Vorbehalten sei- orten differenziert. Nur hat der Bundeswirtschaftsmi- tens der Kommission. nister nicht den Mut, die richtigen Fördergebiete aus- zuwählen. Mit anderen Worten: Ich teile Ihnen mit, daß damit die (Beifall bei der SPD) sozialpolitischen Vorhaben, die wir angekündigt Wir haben am 4. Juli 1986 die Aufnahme von Duis- haben, seit heute nachmittag von Brüssel genehmigt burg und von Bochum beantragt, auf Grund damals sind. So konkret hätte ich es gerne von Ihnen, meine noch positiverer Zahlen, als sie jetzt da sind. Jetzt will Damen und Herren. die Bundesregierung erst zum 1. Januar 1988 über ein befristetes Sonderprogramm und seine Ausstattung (Beifall von der CDU/CSU und der FDP) nachdenken. Da habe ich nicht die Unwahrheit gesagt. Die ganze heiße Luft der Überschriften hilft keinem - einzigen Stahlarbeiter. Es muß konkret geholfen wer- (Bundesminister Dr. Bangemann: Das haben den. Sie!) — Nein, das habe ich nicht. Im Gegenteil, die EG- (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Da haben Sie Kommission hat uns im Juli 1986 ausdrücklich gesagt: recht!) Duisburg und Bochum gehören natürlich bei jeder vernünftigen Abgrenzung zu den Fördergebieten in Wir werden das Kurzarbeitergeld morgen, wie ich der Bundesrepublik Deutschland. hoffe, in diesem Hause für die Stahlarbeiter um ein Jahr auf drei Jahre verlängern. Das ist konkrete Poli- (Bundesminister Dr. Bangemann: Darum tik. Denn Strukturwandel, glaube ich, braucht in der geht's doch gar nicht! — Beckmann [FDP]: Stahlindustrie auch Zeit. Wir müssen die Zeitschiene Darum geht es nicht! — Zuruf von der CDU/ erweitern, wenn wir Massenentlassungen verhindern CSU: Der kapiert das nicht!) wollen. Das heißt nicht, daß wir den Strukturwandel Die Bundesregierung und die Mehrheit der Länder verneinen, sondern wir wollen ihn sozial abfedern. verhindern die Aufnahme. Ich sage: Die Bundesregie- Insofern bleibe ich bei meiner Behauptung: Wir reden rung stellt sich als ein Notar der divergierenden Län- nicht, wir handeln. derinteressen dar, aber sie nimmt ihre Funktion, hier gesamtstaatlich zu führen, nicht wahr. Ich will auch hinzufügen, daß es uns sehr darauf ankommt, daß Arbeitgeber, Gewerkschaften und (Beifall bei der SPD) Regierungen an einem Strang ziehen, von dem Sie, Damit kriegen Sie auch das Problem der Regionalkon- Herr Jochimsen, gesprochen haben, und zwar nicht in trolle für die EG nicht weg , Herr Kollege Bangemann. unterschiedlicher Richtung: Je mehr Zusammenar- Es ist eine Illusion, zu glauben, daß man da ein Junk- beit, um so besser. tim schnüren kann.

Lassen Sie mich noch eine Erkenntnis aus der (Beifall bei der SPD — Dr. Jens [SPD]: Das Debatte heute nachmittag ziehen: Unterliegen wir begreift der aber nicht!) nicht dem Versuch, einen Standort gegen den ande- ren auszuspielen. Mir sind die Stahlarbeiter in der Oberpfalz genauso lieb und teuer wie die in Nord- Vizepräsident Cronenberg: Ich kann nunmehr die rhein-Westfalen; und mir sind die Stahlarbeiter in Aussprache schließen. Es wird vorgeschlagen, die Nordrhein-Westfalen genauso lieb wie die in Nieder- Vorlagen auf den Drucksachen 11/123, 11/398 und sachsen; und die in Niedersachsen sind mir genauso 11/402 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- lieb und teuer wie die an der Saar. Ich finde, das Pro- schüsse zu überweisen. — Sie sind damit einverstan- blem kann nicht durch „Rette sich, wer kann", es kann den, sehe ich. Damit ist die Überweisung beschlos- nur in einer großen solidarischen Anstrengung gelöst sen. werden, und dazu lade ich ein. Die Bundesregierung (Vorsitz: Präsident Dr. Jenninger) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1015

Präsident Dr. Jenninger: Meine Damen und Herren, absolute Sicherheit. Keiner der tatsächlich eingetrete- ich rufe den Tagesordnungspunkt 13a auf: nen großen Schadensfälle entsprach den in den Reak- torsicherheitsstudien für möglich gehaltenen Scha- Erste Beratung des von der Fraktion der SPD densabläufen. Und die Propagandaaktion der Atom- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur lobby „Unsere Kernkraftwerke sind sicher" ist eine Beendigung der energiewirtschaftlichen Nut- schlimme Roßtäuscherei. zung der Kernenergie und ihrer sicherheits- technischen Behandlung in der Übergangszeit (Dr. Laufs [CDU/CSU]: So? — Gerstein (Kernenergieabwicklungsgesetz) [CDU/CSU]: Dann waren Sie aber mal der — Drucksache 11/13 größte Roßtäuscher!) —Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Nach Harrisburg und Tschernobyl gibt es viele Fragen Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und wenig gesicherte Antworten. (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Der zweite Grund: ein weltweiter Ausbau der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Atomkraft führt zur Gefahr der Weiterverbreitung Ausschuß für Forschung und Technologie von Atomwaffen. Das frühere Dogma von der klaren Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO und eindeutigen Unterscheidung zwischen ziviler und Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die militärischer Nutzung ist angesichts der weltweiten Beratung zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe kei- tatsächlichen Entwicklung nicht mehr haltbar. Wer nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. die zivile Nutzung der Kernenergie beherrscht, kann sie für militärische Zwecke mißbrauchen. Brasilien Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr und Pakistan sind jüngste Beispiele für solche Ent- Abgeordneter Hauff. wicklungen.

Dr. Hauff (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehr- Der dritte Grund: Wir belasten, Herr Gerstein, ten Damen und Herren! Lange vor Tschernobyl, im unsere Kinder und Enkel mit den Risiken und Gefah- Jahre 1984, hat die Sozialdemokratische Partei ren der Kernenergienutzung. Die noch nicht gebore- beschlossen, daß sie die Kernenergie nur für eine nen Menschen haben keinen Stimmzettel, die können Übergangszeit für verantwortbar hält. Diese Entschei- heute nicht abstimmen. Deswegen tragen wir Verant- dung 1984 — das war die Weichenstellung — ist uns wortung dafür, daß wir mit unseren Entscheidungen in der SPD nicht leicht gefallen. Wir haben sie nach nicht ihre Handlungsmöglichkeiten einschränken. einer langen, mit großem Ernst und auch mit viel Lei-- Die Beseitigung des Atommülls ist ungelöst. Die denschaftlichkeit kontrovers geführten, offenen und Versprechungen, die wir immer wieder erhalten freien Debatte gefällt. Dies war der Schluß einer Ent- haben, sind nicht eingehalten worden. In keinem wicklung. Begonnen hat es 1956, wo wir alle voller Land der Welt ist dieses Problem gelöst. Hoffnung und ohne Fragen für die Kernenergie waren. Es gab damals bei allen Beteiligten den Traum (Zuruf von der CDU/CSU: Wie wollen Sie die von der billigen, unerschöpflichen, umweltfreundli- Energielücke schließen?) chen Atomenergie. Wir Sozialdemokraten haben Die jüngsten Entwicklungen und Probleme um den damals sogar einen Atomplan verabschiedet. Schacht in Gorleben zeigen, daß von einer gesicher- Nur ist dieser Traum in den letzten Jahren, insbe- ten Entsorgung überhaupt keine Rede sein kann. sondere im letzten Jahrzehnt, zum Alptraum gewor- den. Das hat einerseits zu tun mit den immer deutli- (Gerstein [CDU/CSU]: Was hat denn Gorle cher hervortretenden Risiken und Gefahren, auch mit ben damit zu tun?) der Kostenexplosion, und mit den bis heute ungelö- — Es ist unverantwortlich, dieses ungelöste Problem sten Problemen im Zusammenhang mit der Kernener- des Atommülls, Herr Gerstein, laufend zu vergröß- gie. Diese Entwicklung hat aber auch zu tun mit der ern. immer massiver werdenden Kritik aus den Reihen der (Beifall bei der SPD) Wissenschaft, aus den Kirchen, aus den Gewerkschaf- ten, teilweise auch aus der Wirtschaft. Viele, viele ein- Das ist eine ungedeckte Hypothek auf die Zukunft. zelne Menschen haben in den letzten Jahren ihre Der vierte Grund: Die Kernenergie ist nicht sozial Einstellung zur Kernenergie geändert. Olof Palme, verträglich. Carl Friedrich von Weizsäcker hält die der frühere schwedische Ministerpräsident, ist einer, Kriegs- und Terrorismusgefahr für das unlösbare und Carl Friedrich von Weizsäcker bei uns hier in der Bun- nach seiner Meinung verdrängte Problem der zivilen desrepublik ein anderer. Und viele, viele sind skepti- Atomenergienutzung. Er steht mit dieser Meinung scher geworden. Ich nenne nur einige davon. David auch nicht allein. Er wird von vielen bekannten inter- Lilienthal, der erste Leiter der Atomenergiekommis- nationalen Wissenschaftlern unterstützt. sion der Vereinigten Staaten, Alvin Weinberg aus den USA, Kardinal Höffner bei uns, Professor Huber, der Carl Friedrich von Weizsäcker ist mit dieser Haltung Präsident des Evangelischen Kirchentages, Horst- so wenig technikfeindlich wie wir Sozialdemokraten, Eberhard Richter, Ernst Breit, Hans Jonas gehören zu wenn wir aus der Atomkraft rauswollen. Technik- dieser Gruppe. feindlich ist der, der meint, wir könnten auf keinen Für uns Sozialdemokraten sind vier Gründe für den Fall auf die Atomenergie verzichten. Ausstieg aus der Kernenergie maßgebend. (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das gleiche gilt auch Der erste Grund ist das Risiko. Es gibt bei techni- für alle anderen Techniken! Dann können schen Systemen, auch bei der Kernenergie, keine Sie die Chemie auch gleich stillegen!) 1016 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Dr. Hauff Wir wissen heute: Es gibt Alternativen. Wirklichen ohne der Kohle eine konkrete Perspektive zu technischen Fortschritt hat nur der durchgesetzt, der geben. bereit war, zu tatsächlich neuen Ufern aufzubre- Wir sagen Ihnen in allem Ernst: Wir sind dagegen, chen. daß neue Kernkraftwerke ans Netz gehen. Wir haben (Zuruf von der CDU/CSU: Wir warten auf heute bereits genügend Überkapazitäten. Es muß Ihre Vorschläge!) endlich mit der Verdrängung der Kohle durch die Kernenergie Schluß sein, die bereits stattgefunden hat Neue Energietechniken werden das Gesicht der und in unserem Land weiter stattfindet. zukünftigen Industriegesellschaft prägen. Einspar- techniken — sie sind noch lange nicht ausgeschöpft (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) — , umweltfreundliche Kohletechniken mit voller Ent- Mindestens ist erforderlich, daß mit dem Ausstieg jetzt schwefelung und Entstickung, regenerative Energie- begonnen wird. Wenn Sie dennoch neue Kernkraft- techniken werden langfristig Hauptträger der Ener- werke ans Netz bringen, dann müssen Sie mindestens gieversorgung sein müssen. Ich teile die Meinung von in gleichem Umfang veraltete Kernkraftwerke stille- Ludwig Bölkow und dem Vorstandsvorsitzenden der gen. Alles andere heißt, daß Sie eine Politik betreiben Nixdorf AG, die gesagt haben, daß die Solartechno- — und es kündigt sich an — : Vorrang für die Kern- logie nach ihrer Meinung heute die am meisten unter- energie und Einsatz der Kohle für den Restbedarf. schätzte Technologie sei. (Gerstein [CDU/CSU]: Für die Mittellast!) Der Bundespräsident hat vor kurzem, meines Wenn Ihre Energiepolitik fortgesetzt wird, haben wir Erachtens zu Recht gesagt: Das Energieproblem in absehbarer Zukunft in der Bundesrepublik keine gehört zum Kern der Überlebensfrage. — Im Hinblick Zechen mehr, aber dafür das größtmögliche Risikopo- auf Tschernobyl hat er angemerkt: Der wichtigste tential an Kernkraftwerken. Sinn, den wir Menschen Katastrophen abgewinnen Auch in der Energiewirtschaft mehren sich die können, ist das Innehalten und die Selbstprüfung. — Stimmen der Personen, die aus der Brüterei und aus Es gab nach Tschernobyl zunächst einige hoffnungs- der Wiederaufarbeitung herauswollen. Sie wissen das volle Zeichen, auch aus den Reihen der Regierungs- doch alle. Selbst vom Sachverständigenrat zur Begut- koalition. Herr Biedenkopf hat davon gesprochen, achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung indem er sagte, wir könnten aus der Kernenergie in 20 kann man neuerdings im letzten Gutachten kritische bis 30 Jahren raus. Herr Lambsdorff, der leider nicht Stimmen zum Versorgungsrisiko der Kernenergie hier ist, hat öffentlich gesagt, das gehe in 50 bis hören. Es lohnt sich, das nachzulesen. Ich sage Ihnen 70 Jahren. Herr Genscher hat davon gesprochen, daß aus unserer Sicht und mit aller Klarheit und Deutlich- wir so schnell wie möglich raus müßten. Und der Bun- keit: Ein energiepolitischer Konsens, so Sie ihn über- deskanzler sprach von einer Übergangstechnologie — haupt wollen, ist nur denkbar, wenn die These: Kern- jedenfalls vor der Katholischen Landjugend. energie als Übergangstechnologie wirklich ernst Meine Damen und Herren, wenn diese Aussagen gemeint ist. wirklich ernst gemeint sind, dann muß das auch eine (Baum [FDP]: Das ist sie!) Reihe von klaren und harten Konsequenzen haben. Unser Gesetzentwurf bietet dafür eine Grundlage. Dann müßten Sie Teilen unseres Gesetzentwurfes Das ist der erste Schritt. zustimmen. Wer die Kernenergie für eine Übergangs- technologie hält — und sei es für 50 Jahre, was ich für Der zweite Schritt ist eine wesentliche Reform des falsch halte — , der kann nicht für die Inbetriebnahme gesamten Energiewirtschaftsrechtes, und das wird des Schnellen Brüters eintreten — das macht dann auch noch folgen. keinen Sinn —, Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerstein [CDU/CSU]: Länger als 50 Jahre Stratmann? würde der auch nicht laufen!) der kann nicht für die Wiederaufarbeitung eintreten, Dr. Hauff (SPD): Wenn es nicht angerechnet wird, der müßte die energiepolitische Priorität Nr. 1 auf die selbstverständlich, Herr Stratmann. rationelle Energieverwendung legen, der müßte eine umweltfreundliche Kohlepolitik, eine wirkliche Koh- Stratmann [GRÜNE]: Herr Hauff, wie erklären Sie levorrangpolitik betreiben, sich, wenn Sie von der Kernenergie als Übergangs- (Stratmann [GRÜNE]: Was ist das für ein technologie sprechen, daß die Landesregierung in Quatsch!) Nordrhein-Westfalen alles tut — das wissen Sie und auch Herr Jochimsen, der jetzt leider nicht mehr da der müßte dafür sorgen, daß die energiepolitischen ist — , um in die Hochtemperaturreaktortechnologie Alternativen ernsthaft vorangetrieben werden. Aber weiter einzusteigen, und daß Herr Jochimsen im nichts von alledem entspricht der Politik der Bundes- Dezember 1986 im Wahlkampf erklärte, daß wir, regierung. Das Gegenteil geschieht: Statt dessen ver- sprich: die Bundesrepublik, auf die Hochtemperatur- sucht mindestens der Bundeswirtschaftminister, die reaktortechnologie nicht verzichten können und sol- Kohleländer zu erpressen, die Bergleute als Geiseln len? zu nehmen, um den Versuch zu machen, die SPD auf die Kernenergielinie zurückzuzwingen, Dr. Hauff (SPD): Also, Herr Stratmann, ich muß (Gerstein [CDU/CSU]: Dummes Zeug! Noch Ihnen ehrlich sagen: Sie behaupten hier etwas wider nie etwas vom Jahrhundertvertrag gehört?) besseres Wissen. Ich kenne Ihre Position, die Sie in Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1017

Dr. Hauff Ihrem Antrag hier zur Debatte gestellt haben: sofort Exportmärkte bei Umweltschutztechnologien, bei Schluß und raus und aufhören mit dem Hochtempera- Energiespartechniken und bei der Solartechnologie. turreaktor, die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion Es ist immer wieder das alte Lied. Wenn es um mili- kündigen und den Unternehmen das untersagen. Das tärische Techniken und um die Raumfahrt geht, wenn ist Ihre Konzeption. Sie haben nie einen Hehl daraus es um immer tödlichere Waffen und gar um die Wahn- gemacht, daß Sie sagen: Gesetze interessieren mich vorstellung geht, die Unverletzbarkeit durch Waffen gar nicht; ich will raus, und zwar sofort. im Weltraum sicherzustellen, dann ist alles möglich, (Stratmann [GRÜNE]: Nehmen Sie doch zu dann ist kein Betrag zu niedrig, um das voranzubrin- Jochimsen Stellung!) gen, dann nimmt man unbedenk lich Steuergelder in Sie drücken sich aber in Ihrem Antrag um die schwie- die Hand und verlangt Höchstleistungen von Inge- rigen Fragen, die dann gestellt sind, wenn man wirk- nieuren und Wissenschaftlern. lich geordnet aussteigen will, z. B. um die Entschädi- (Gerstein [CDU/CSU]: Was haben Sie denn gungsfrage, wenn Sie eine sofortige Stillegung verfü- als Forschungsminister gemacht?) gen wollen. — Wenn Sie mich danach fragen, Herr Gerstein, wi ll (Stratmann [GRÜNE]: Nehmen Sie doch zu ich Ihnen einmal etwas sagen. Als wir im Jahre 1982 Jochimsen Stellung!) aufgehört haben, waren die Aufwendungen für nicht- Deswegen sage ich Ihnen, Herr Stratmann: Ich halte nukleare Energieforschung und Technologie erheb es für unehrlich und für unaufrichtig, wenn Sie glau- lich höher, als sie jetzt unter Ihrer Regierung sind. ben, Hoffnungen wecken zu können, von denen Sie (Beifall bei der SPD) wissen, daß sie in dieser Form überhaupt nicht einge- Das z. B. verstehe ich unter falscher Prioritätenset- halten werden können. zung, um konkret zu werden und nicht um den heißen (Stratmann [GRÜNE]: Sie kneifen!) Brei herumzureden. Solange wir regiert haben, gab es eine wirkliche Kohlevorrangpolitik. Seit Sie dran sind, wird die Kohle verdrängt. In der letzten Debatte Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, habe ich Ihnen gesagt: Es gibt diese Verdrängung. Sie gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn haben damals den Zwischenruf gemacht, das sei nicht Abgeordneten Göhner? wahr. (Stratmann [GRÜNE]: Die Grundlage für die Dr. Hauff (SPD): Nein, ich möchte jetzt gerne fort- Verdrängung haben Sie gelegt!) - fahren. Mittlerweile ist es wahr. Die Kernenergie verdrängt (Beckmann [FDP]: Das kann ich verstehen! die Kohle. Das ist die Wirklichkeit, die stattfindet. — Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt wird er (Beifall bei der SPD) unsicher!) Wir vertrauen auf den Erfindergeist und auf die — Nein, überhaupt nicht. Ihre Koalition aus technischen Fähigkeiten unseres Volkes, neue, zivile listen beein- schwarzen und grünen Fundamenta Techniken zu entwickeln und zu nutzen, um eine druckt mich doch nicht. Die einen sagen: Man muß gefahrlose und umweltfreundliche Energieversor- sich entscheiden und sofort raus, und die anderen gung auf die Dauer möglich machen. Diesem Ziel sagen: Weiter so, alles kann weitergehen. Diese A rt dient unser Gesetzentwurf. des Umgangs mit einem großen Risiko beeindruckt mich überhaupt nicht. (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU — Stratmann [GRÜNE]: Ich habe nach Jochimsen Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Abgeord- gefragt!) nete Harries. Wir brauchen neue Techniken, wir brauchen neue Geräte, wir brauchen andere Anlagen, die die Energie besser nutzen und die neue Energiequellen erschlie- Harries (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr ßen. Wir setzen auf den Erfindungsgeist und die Tat- verehrten Damen und Herren! Noch in der vergange- kraft von Technikern und Ingenieuren in Forschung nen Woche habe ich in meinem Wahlkreis Lüchow und Entwicklung. Wir setzen auf den hohen Ausbil- Dannenberg, in dem auch Gorleben liegt, ein interes- dungsstand und die Leistungsfähigkeit unserer Arbei- santes Gespräch mit Einwohnern dieses Kreises ter. Wir setzen auf das Organisationstalent der Kauf- geführt, Herr Kollege Hauff, die dort nicht erst seit leute. Wir setzen auch auf den Weitblick in den Vor- einigen Jahren ansässig sind, sondern schon seit standsetagen einer wachsenden Zahl von Unterneh- Generationen wohnen. Die haben mir gesagt: Sie men. müssen einmal Ihren neuen Kollegen Hauff fragen, warum er noch in seinen Tagen als Bundesfor- Wir wollen tatsächlich zu neuen Ufern, zu einer schungsminister bei uns im Kreis Lüchow-Dannen- sicheren Energieversorgung ohne Atomkraft aufbre- berg mit großem Nachdruck der regierenden CDU chen. — die den Kreistag damals und heute überzeugend (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Werden Sie einmal beherrscht — nachdrücklich nahegelegt hat, doch ja etwas konkreter, bitte!) zum Zwischenlager, zum Endlager, zu Gorleben zu Nur eine neue Energiepolitik ist Industriepolitik, sagen. — Das ist auch eine Frage der Glaubwürdig- schafft und sichert Arbeitsplätze, die in die Hundert keit, mit der man sicher fertig werden muß. tausende gehen. Sie erschließt Wachstums- und (Beifall bei der CDU/CSU) 1018 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, Elektrizitätsunternehmen in unserem Land muß auch gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten einmal von dieser Stelle Dank gesagt werden Dr. Hauff? (Lachen und Zurufe von den GRÜNEN) für das intensive Nachdenken und auch für das kriti- Harries (CDU/CSU): Herr Kollege Hauff, da ich Sie sche Fragestellen dort: Ist die Kernenergie zu verant- sicher noch ein- oder zweimal zitieren werde, möchte worten? Man ist nach diesem Nachdenken in allen ich vorschlagen, daß Sie dann antworten. verantwortlichen Bereichen zu dem Ergebnis gekom- (Dr. Hauff [SPD]: Sie haben etwas zur Glaub men, daß sie für unser Land, für die Welt nötig ist und würdigkeit behauptet!) daß ein Ausstieg nicht erforderlich ist. — Ja, Sie kommen sicher noch zu Wort, denn ich (Widerspruch bei den GRÜNEN) werde Sie noch einmal zitieren. Meine Damen und Herren, unsere Bevölkerung hat (Dr. Hauff [SPD]: Das ist unglaub lich!) einen Anspruch darauf, daß in diesem Hause auch politisch die Aussprache nüchtern, fair, Präsident Dr. Jenninger: Der Redner läßt jetzt keine (Zuruf von der SPD: Fair?) Zwischenfragen zu, heißt das. Herr Kollege Hauff, offen und ohne Polemik geführt wird. dann können Sie Platz nehmen. Herr Kollege Hauff, ich darf Sie jetzt zum zweiten mal zitieren. Wenn Sie vorhin in Ihrer Einbringungs- Harries (CDU/CSU): Die Opposition hat die jahre- rede das Schachtunglück in Gorleben zitiert haben lange gemeinsame Energiepolitik aufgekündigt. Ein- und daraus sofort heute und hier den Schluß ziehen, vernehmen besteht nicht mehr. Sie legt zum dritten das Entsorgungskonzept für unser Land stimme nicht, mal einen Gesetzentwurf vor, mit dem nun auch nach dann ist das eben auch vorschnell, dann ist das auch außen dokumentiert und bestätigt werden soll, zu früh, (Dr. Hauff [SPD]: Unglaublich!) (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) daß die Kernenergie für dieses Land nicht mehr gel- dann wird eben an dieser Stelle nicht die Wahrheit ten soll. gesagt, daß es sich nämlich noch nicht um Arbeiten im (Dr. Hauff [SPD]: Warum müssen Sie mit Salzstock handelt, unwahren Behauptungen arbeiten?) (Zurufe von den GRÜNEN) Die Opposition wird aber auch dieses Mal keinen- daß die Frage, ob Gorleben als Endlager geeignet ist, Erfolg haben, weil sie keinen Erfolg. haben darf. heute noch gar nicht beantwortet wird, sondern daß (Lachen bei der SPD und den GRÜNEN — diese Frage noch zu prüfen ist und daß darüber in Schäfer [Offenburg] [SPD]: Was nicht sein einigen Jahren endgültig die Entscheidung kommt. kann und was nicht sein darf!) (Zuruf von den GRÜNEN) Das liegt im Interesse unseres Volkes, unserer Wirt- schaft, unserer Indust rie und unseres Landes. Man kann nicht das jetzige Bergwerksunglück ver- gleichen und in Beziehung setzen zur Geeignetheit (Beifall bei der CDU/CSU) des Salzstocks. Mit der Aufhebung des bisher vorhanden gewese- nen Grundkonsenses hat sich die Opposition, wie ich meine, schwere Verantwortung aufgeladen; denn sie Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, hat Teile unseres Volkes verunsichert, sie hat Teile gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeord- auch der Wirtschaft und der Indust rie verunsichert. neten Hauff? Zur Begründung beruft man sich weitgehend auf Tschernobyl und die Folgen und tut so, als hätten — man kann das wiederholt in den Leitartikeln der Harries (CDU/CSU): Ja, ich habe Sie zum zweiten „Zeit" nachlesen — eigentlich nur die Gegner der mal zitiert, gerne. Kernkraftwerke nach Tschernobyl nachgedacht. Meine Damen und Herren, nachgedacht haben wir alle; nachgedacht über Für und Wider der Kernener- Dr. Hauff (SPD): Herr Kollege, würden Sie — im gie haben alle, die in diesem Lande Verantwortung Zusammenhang mit der Gorleben-Diskussion — zur tragen. Das erste Zeichen dieses intensiven und ver- Kenntnis nehmen, daß die sozialliberale Bundesregie- antwortungsvollen Nachdenkens hat der Bundes- rung die niedersächsische Landesregierung aufgefor- kanzler gleich nach Tschernobyl bewiesen, dert hat, an drei Standorten Probebohrungen zu (Zurufe von der SPD) machen um festzustellen, welcher Standort am geeig- netsten ist, und dann eine ruhige, sachliche Abwä- indem er die internationale Konferenz in Wien gefor- gung vorzunehmen, daß die niedersächsische Lan- dert hat, die dann auch zusammengetreten ist. desregierung unter Herrn Albrecht das aber abge- Meine Damen und Herren, was ich auch als ganz lehnt hat und nur an einem Standort Probebohrungen wichtig ansehe, ist, daß auch unsere Elektrizitätsun- hat durchführen lassen und daß sich diese Entschei- ternehmen, nachgedacht haben, die Werke, von dung heute als Sackgasse herausstellt und zu einer denen immer wieder gesagt wird, sie dächten nur an schweren Hypothek geführt hat, weil überhaupt keine Profit und hätten nur ganz eigennütziges Interesse an Alternative zu Gorleben da ist? Und würden Sie zur dieser oder an der Energie überhaupt. Ich glaube, den Kenntnis nehmen — — Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1019

Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter Hauff, gend nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in der ich würde vorschlagen, daß Sie zwei Zwischenfragen Welt der Auffassung ist, stellen. (Frau Schoppe [GRÜNE]: Es gibt kaum Wis senschaftler, die für die Atomenergie sind!) Dr. Hauff (SPD): Im Zusammenhang mit Gorle- daß Kernenergie machbar ist, daß insbesondere die ben. Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland sicher sind und daß ein katastrophales Unglück, wie wir es mit Tschernobyl erleben mußten, bei uns nicht Präsident Dr. Jenninger: Ja, ja, gut; aber die Fragen zu erwarten ist. müssen kurz und bestimmt sein. Nicht fünf Fragen auf einmal! Die erste Aussage, von der ich meine, daß sie eigentlich konsensfähig sein müßte oder daß sie wie- der zu einem Konsens führen muß, ist, daß ein Dr. Hauff (SPD): Zweitens, Herr Kollege, was ist an Abschalten der 18 deutschen Kernkraftwerke über- dem Satz zu beanstanden, daß im Zusammenhang mit haupt nicht mehr Sicherheit bringt. Das sehen Sie, den Problemen in Gorleben von einem gesicherten wenn Sie die Zahlen einander gegenüberstellen, Entsorgungsweg überhaupt keine Rede sein kann? nämlich die 18 Kernkraftwerke bei uns und die (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist total unsach- 180 Kernkraftwerke in der europäischen Umgebung lich und falsch!) und die mehreren hundert Kernkraftwerke in der Welt. Herr Kollege Hauff, ich darf Sie — entschuldigen Harries (CDU/CSU): Herr Kollege Hauff, ich habe Sie — zum drittenmal zitieren. In einem Vorwort zu zu Ihrer Bemerkung Stellung genommen, daß das der Sicherheitsstudie, das Sie damals noch als Bun- Unglück im Bergwerksbereich, im oberen Bereich, in desforschungsminister geschrieben haben, haben Sie Gorleben jetzt bereits den Schluß zulasse, daß zum Ausdruck gebracht, daß natürlich die Gefahr Gorleben als Endlager ausscheide und das sehe ich nicht gebremst werden kann, daß radioaktive Wolken als — — über die Grenzen hinweggehen. Es war vielleicht eine (Dr. Hauff [SPD]: Wer hat das gesagt?) weise Vorhersicht dessen, was dann in Tschernobyl — Das haben Sie gesagt, daß Gorleben als Endlager geschehen ist. nicht in Frage komme. (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Was wollen Sie (Widerspruch bei der SPD — Dr. Hauff - damit sagen?) [SPD]: Lächerlich!) — Damit will ich sagen, daß das Abschalten der 18 Meine Damen und Herren, im Grunde erwartet deutschen Kernkraftwerke überhaupt nicht mehr unser Volk auch heute noch von den staatstragenden Sicherheit bringt, weil, wie wir alle wissen, in der gan- Parteien in diesem Hause ein einvernehmliches Kon- zen Welt Kernkraftwerke arbeiten und geplant sind. zept für die Energieversorgung und für die Sicher- Das leitet zu meiner zweiten These über, die ich für stellung der Energieversorgung in den nächsten Jah- konsensfähig halte. Ihr neues Konzept, Ihr Signal, das ren. Das erwartet nicht nur unser Volk, das erwarten Sie geben wollen, bedeutet überhaupt keine Ver- auch unsere Wirtschaft und unsere Industrie. Gerade pflichtung für die anderen Länder, für die Welt, für diese müssen wissen, wohin die Reise geht. Sie müs- Europa, für die Betreiber von Kernkraftwerken. Es sen langfristig planen und können ihre Entscheidung wird sie nicht dazu bringen, dem zu folgen, was Sie nicht von irgendwelchen ganz kurzfristigen gesell- hier für uns vorschlagen und dessen Realisierung Sie schaftspolitischen Strömungen, die heute mal dieses sicher weltweit anstreben. Woanders denkt man eben Ausmaß haben und morgen jenes Ausmaß haben, nicht daran, aus der Kernenergie auszusteigen. Es abhängig machen. wäre ein deutscher Sonderweg. Meine Damen und Herren, von daher sind wir, wie Die dritte These, meine Damen und Herren, lautet: ich meine, alle aufgerufen, auch in den nächsten Jah- Der Ausstieg aus der Kernenergie bedeutet nicht nur ren — denn wir werden ja Zeit dazu haben, weil Ihr eine neue Energiepolitik, sondern bedeutet auch eine Gesetz hier sicher nicht angenommen wird — gemein- neue Industriepolitik. sam darüber nachzudenken, wie wir den energiepoli- (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Weiter so!) tischen Konsens in unserem Volk wiederherstellen Sie verunsichern, wie ich gesagt habe, mögliche Inve- und in diesem Hause auch nach außen hin erklären. storen, die es sich überlegen werden, zukünftig mit (Frau Schoppe [GRÜNE]: Den können Sie ihren Investitionen noch in die Bundesrepublik zu nicht so herstellen, wie Sie sich das vorstel- kommen. len!) Meine Damen und Herren, ich möchte mit einigen Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, Ihre Thesen und einigen Fakten, die ich gleich vortrage, Redezeit, die für Sie gemeldet worden ist, ist abgelau- den Versuch unternehmen, zu zeigen, daß es eigent- fen. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. lich schon heute Bereiche geben muß, die konsensfä- hig sein müßten. Dabei gehe ich im Prinzip davon aus — ich zitiere nun keine Wissenschaftler, wie Sie von Harries (CDU/CSU): Ich bitte um Entschuldigung. der anderen Seite es getan haben; es hilft auch nicht Meine Damen und Herren, der Weg kann kein weiter, wenn der eine jene Namen vorbringt, der deutscher Sonderweg sein, sondern nur der Weg, in andere diese — , daß die Wissenschaft ganz überwie- Verpflichtung gegenüber den Entwicklungsländern 1020 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Harries und den Schwellenländern Energie vorzuhalten, die berg sagt, vom „intrigierten Entsorgungszentrum" mit fossile Rohstoffe spart. WAA und Endlager im Salzstock Gorleben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Bindig [SPD]: Wie haben Sie vor 25 Jahren Schäfer [Offenburg] [SPD]: Herr Baum gibt darüber gedacht?) dieser Rede Beifall!) — Sie haben recht, vor 25 Jahren habe ich auch noch gedacht: die Kernenergie ist das Nonplusultra. Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat die Abgeord- nete Frau Wollny. (Zuruf von der SPD: Schönen Dank, na eben!) Bloß habe ich früher angefangen, darüber nachzuden- Frau Wollny (GRÜNE): Das finde ich ja nun richtig ken, daß das möglicherweise nicht so sein könnte. schön: In mir sehen Sie die Vertreterin der anderen Hälfte der Lüchow-Dannenberger. (Frau Schoppe [GRÜNE]: Und das war gut!) (Dr. Laufs [CDU/CSU]: „Hälfte" ist übertrie- ben! — Gerstein [CDU/CSU]: 35 %!) Nun, nach dem Desaster in Tschernobyl, will die — Ganz sicherlich; darauf können Sie sich verlassen. SPD plötzlich aussteigen. Das finde ich wirklich sehr Im Unterschied zu den Leuten, mit denen Herr Har ries schön. spricht — als ehemaliger Oberkreisdirektor bewegt er (Bindig [SPD]: Das wollten wir schon vor sich unter seinesgleichen — , kann ich Ihnen sagen, Tschernobyl!) wie die Bevölkerung rund um Gorleben denkt. Und das ist immerhin doch auch etwas wert. Aber, um es mit Goethe zu sagen: Die Botschaft hör' (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das sieht man an den ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Wahlergebnissen; wer hat Sie denn (Schmidbauer [CDU/CSU]: Die wollen näm gewählt?) lich gar nicht!) —Mich hat man immerhin mit 14 % gewählt. Da kann Ihre Willensbekundungen sind zu halbherzig. Bei die FDP nicht mitspielen. allem, was Sie beschließen, lassen Sie sich immer ein (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der Hintertürchen offen. Aussteigen ja, aber bitte erst in CDU/CSU: Sie sind aber trotzdem nicht ganz - zehn Jahren. Aussteigen ja, aber nur, wenn der gesell- die Hälfte! — Zuruf von den GRÜNEN: Wie schaftliche Konsens hergestellt ist. Was heißt denn steht's mit Herrn Baum? — Baum [FDP]: Aber das? ich sitze trotzdem hier!) (Schmidbauer [CDU/CSU]: Da hoffen sie auf Jetzt will ich aber offiziell anfangen, so wie es sich uns!) gehört: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! (Dr. Hauff [SPD]: Wo sind die lieben Freun- Auch bei Ihnen muß man schon gehört haben, daß dinnen?) heute niemand mehr bestreitet, daß es vermutlich innerhalb von jeweils zehn Jahren einen Kern- — Liebe Freundinnen und Freunde! schmelzunfall geben kann. Das könnte morgen sein. (Heiterkeit) Und es könnte beim nächsten Mal nicht 2 000 Kilome- ter entfernt, sondern vor unserer Haustür sein. Wollen Beim Lesen des Gesetzentwurfs der SPD kam bei mir Sie das mitverantworten? richtig Freude auf. Da war unsere Mühe ja doch nicht ganz umsonst. Endlich haben sie, meine Damen und Da möchte ich es einmal ausnahmsweise mit dem Herren, begriffen, wovon die Anti-AKW-Bewegung Vorsitzenden der Vereinigung Deutscher Elektri- und die GRÜNEN seit Jahren reden. zitätswerke, Herrn Professor Heidinger, halten (Bindig [SPD]: Wir sind ja auch Vater und — Zitat — : Entweder ist die Kernenergie für uns Mutter! — Widerspruch bei den GRÜNEN) sicher genug, dann können wir mit ihr leben, bis wir etwas anderes, Besseres haben; oder sie ist nicht Daß Sie dabei Thesen fast wörtlich übernehmen, freut sicher und nicht vertretbar, dann müssen wir sofort uns. Dafür haben wir sie aufgestellt. Wir erheben kei- verzichten, koste es, was es wolle. nen Anspruch auf Urheberschutz. Es ist wirklich eine Kehrtwendung, die Sie vollzo- (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Hauff [SPD]: gen haben. Immerhin war es ja die SPD, die während Also schwarz oder weiß!) ihrer Regierungszeit das Atomprogramm mit aller Aber wollen Sie denn wenigstens in zehn Jahren Macht und Gewalt vorangetrieben hat. wirklich aussteigen? Wie steht denn die Führung Ihrer (Zuruf von der SPD: Mit Gewalt nicht!) Partei zu Ihrem eigenen Parteitagsbeschluß? — Auch mit Gewalt, ja. (Schmidbauer [CDU/CSU]: Jetzt sind Sie (Zuruf von der CDU/CSU: Schlimme zum drittenmal erwischt worden!) Jungs!) Wenn man sich die Aussagen von Herrn Rau anhört, Ihr verdanken wir die meisten Atomkraftwerke, die die er vor der wirtschaftspublizistischen Vereinigung heute in Betrieb sind und noch gebaut werden. Die gemacht hat, dann sind Zweifel erlaubt. Dort sagt er SPD hatte die Superidee vom integrierten Entsor- nämlich — ich zitiere das „Handelsblatt" vom gungszentrum oder, wie man uns in Lüchow-Dannen- 6. November 1986 — : Ich habe noch nie gesagt, daß Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1021

Frau Wollny wir in zehn Jahren aus der Kernenergie herauskom- Wer soll denn Ihre Absichtserklärungen noch ernst men. nehmen? Was Sie hier tun, ist unehrlich, ist Verdum- mungspolitik. Sie wollen die Ängste der Menschen (Zuruf von der CDU/CSU: Aha, so ist das!) ausnutzen, sie wollen Profit aus der Tatsache schla- Und er fügte hinzu, es gebe auch keinen solchen gen, daß immer noch über 80 % der Bevölkerung aus Beschluß in der SPD. der Kernenergie aussteigen wollen. (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Hört! Hört!) (Zuruf von der SPD: Sie reden wie Jutta Dit Gibt es nun einen Beschluß, oder gibt es keinen? furth!) (Dr. Hauff [SPD]: Es gibt einen Beschluß! — Mit einem solchen Schritt können Sie sich aber nicht Heiterkeit bei den GRÜNEN und der CDU/ aus der Verantwortung stehlen. CSU) Wie wenig ernst Sie den Ausstieg nehmen, beweist — Dann erzählen sie das einmal Herrn Rau. Wenn es Ihr Verhalten zu Gorleben. Dort ist mit dem Schacht keinen gibt, dann ist Ihr Gesetzentwurf reine Augen- das ganze Entsorgungskonzept der Bundesregie- wischerei. rung, das ja von Ihnen erfunden worden ist, zusam- mengebrochen. Wo sind denn die Fortschritte in der Frau Fuchs übrigens, Ihre neue Geschäftsführerin, Entsorgung, die nach den Grundsätzen zur Entsor- sagt sogar, die SPD sei mit der Fristsetzung von zehn gungsvorsorge vom 19. März 1980 Grundlage für den Jahren unehrlich gewesen. Betrieb von Atomkraftwerken sein sollen? Wenn Sie (Zuruf von der CDU/CSU: Die Frau hat wirklich aussteigen wollen, meine Damen und Herren recht!) von der SPD: Da gibt es die Gelegenheit! Und da war, so glaube ich, Frau Fuchs ehrlich. (Stratmann [GRÜNE]: Richtig! — Dr. Hauff [SPD]: Wo gibt es die Gelegenheit? — Strat Meine Herren und Damen von der SPD, wie halten mann [GRÜNE]: Der Entsorgungsvorsorge Sie es denn in den Ländern, in denen Sie etwas zu nachweis fehlt, Herr Hauff!) sagen haben oder hatten? Wie war das denn mit Hes- sen? Dort hat die SPD jahrelang den Bet rieb einer Plu- Und was tun Sie statt dessen? Herr Hauff, was Ihnen toniumfabrik geduldet, obgleich das eindeutig illegal einfällt, ist die Wiederholung der alten Forderung war. Sie konnten sich nicht einmal dann entschließen, nach Untersuchung alternativer Lagerstätten. „Alter- nativ" heißt: andere neben Gorleben, also weiterhin den Betrieb zu verbieten, als die Staatsanwaltschaft- bereits ermittelte. Ganz im Gegenteil, Sie ließen sogar Millionen in ein Loch ohne Boden schütten und in der die Koalition platzen und riskierten damit den Regie- Zwischenzeit weiter Müll produzieren, von dem nie- rungsverlust. mand weiß, wo er letzten Endes bleiben soll. (Schmidbauer [CDU/CSU]: Und der Fischer (Beifall bei den GRÜNEN) hat Biblis angeschlossen!) Ich appelliere an Sie — das gilt auch für die Frak- Tut Ihnen eigentlich das nicht weh, was unser ehema- tionen der FDP und der CDU/CSU —: Geben Sie zu, liger oberster Umweltschützer da jetzt anrichtet? daß Sie in eine Sackgasse geraten sind! Warten Sie nicht, bis uns der Müll über den Kopf wächst! Hören Zweites Beispiel: NRW. Es gehörte schon eine Sie auf, weiter dieses Teufelszeug zu produzieren! unglaubliche Ignoranz und ein Wahnsinnszynismus dazu, ausgerechnet in den Tagen von Tschernobyl (Beifall bei den GRÜNEN) den Hochtemperaturreaktor in Hamm in Betrieb Auch das Konzept der direkten Endlagerung hilft da gehen zu lassen. nicht weiter. Erst wenn alle Atomanlagen stillstehen, (Frau Schoppe [GRÜNE]: Das kann man können wir uns in Ruhe — ohne Entsorgungszwang, wohl sagen!) ohne wirtschaftlichen Druck — gemeinsam Gedan- ken darüber machen, wie wir diese Erblast durch die In diesen Tagen wird der gleiche Reaktor trotz aller beste aller schlechten Lösungen beseitigen können. Pannen ans Netz gehen, Wenn Sie anders verfahren, werden Sie gezwungen (Gerstein [CDU/CSU]: Eben!) sein, diesen Dreck irgendwann irgendwo zu verbud- obgleich die hochfliegenden Träume von Kohlever- deln — nach dem Motto „Nach uns die Sintflut" —, flüssigung usw., die einmal mit diesem Reaktortyp oder es wird sich unsere Befürchtung bewahrheiten, verknüpft waren, längst im Papierkorb gelandet daß die Zwischenlager zu Endlagern werden und daß sind. wir die Probleme den nach uns kommenden Genera- tionen überlassen. Aber jetzt ergeben sich ja große Möglichkeiten! Exportchancen bieten sich an, Chancen des Exports in (Zustimmung bei den GRÜNEN) die Sowjetunion und in die Dritte Welt. Wer könnte Was wir heute als Altlasten — unter denen wir stöh- sich so etwas entgehen lassen? Vielleicht wird gerade nen — bezeichnen, wird ein Kinderspiel im Vergleich jetzt, in dieser Minute, die Betriebsgenehmigung zu dem sein, was wir unseren Kindern hinterlassen! erteilt. Während Sie hier ein Gesetz zum Ausstieg vor- legen, wird in einem von Ihnen regierten Land die (Beifall bei den GRÜNEN) Ausbreitung der Gefahren, die Sie doch offenbar Mit Ihrem Ausstiegskonzept gibt die SPD ihre alte erkannt haben, über die ganze Welt vorbereitet. Politik nicht auf und unterstützt, ob sie will oder nicht, (Beifall bei den GRÜNEN) die Politik der Bundesregierung — mit einem Unter- 1022 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Frau Wollny schied: Während die Regierung nach Tschernobyl Glauben Sie wirklich, daß über 40 % nukleare Über- nicht einmal das Nachdenken gelernt hat, kapazitäten einer rationellen Energieverwendung und regenerativen Energiequellen eine Chance las- (Zustimmung bei den GRÜNEN) sen? Die EVUs haben kein Interesse an einer Energie- behauptet die SPD von sich immerhin, sie habe nach- versorgung, die zudem auch noch dezentral organi- gedacht. siert sein müßte. Die Möglichkeit bestünde. Aber Sie Die Regierung hat nach Tschernobyl nur haben nicht den Mut, die mächtigen EVUs zu ent- beschwichtigt und verharmlost, und das alles mit machten. einer zynischen Doppelmoral. Einerseits mußte sie (Stratmann [GRÜNE]: Die sitzen doch zugeben — wie der ehemalige Beschwichtigungsmi- drin!) nister Wallmann in einem „Spiegel"-Gespräch —, Unseren Vorschlag für eine Änderung des Energie- (Beckmann [FDP]: Das war nicht nett! — wirtschaftsgesetzes haben auch Sie abgelehnt. Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das war unfreund- (Beifall bei den GRÜNEN) lich!) Auch das zeigt die Verlogenheit Ihrer Sachzwangar- daß es selbstverständlich zu einer Kernschmelze auch gumentation. in Deutschland kommen könne. Weil wir keinen Super-GAU wollen, wollen wir den Andererseits wird ständig das Motto vom vertretba- sofortigen Ausstieg. ren Restrisiko in die Köpfe gehämmert. Was heißt (Beifall bei den GRÜNEN) denn das eigentlich? Das heißt permanente Angst vor einem möglichen Super-GAU. Im Falle eines Falles: wieviel Tote, wieviel Strahlenkranke, wieviel Erb- Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Abgeord- schäden? Das ist eine permanente Gewaltandrohung, nete Baum. meine Herren; das ist Gewalt. (Beifall bei den GRÜNEN) Baum (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und Sie, meine Herrschaften von der Regierung, auch Herren! Frau Wollny, Sie haben hier eine sehr konse- Sie von der SPD, reden in der letzten Zeit so gern von quente Position eingenommen, die wir nicht teilen. Ich Gewalt. Sie reden nicht nur, nein, Ihre Reaktion auf habe mit einigen Feststellungen und Analysen im Tschernobyl ist und war Gewalt: niederknüppeln, Hinblick auf unterschiedliche Äußerungen von SPD- verteufeln, diffamieren, kriminalisieren in Brokdorf, Politikern, die Sie getroffen haben, übereinge- im Hamburger Kessel, in Wackersdorf oder Gorle- stimmt. ben. (Beifall bei den GRÜNEN) Ich stimme aber überhaupt nicht — es ist keine Zeit, das hier jetzt auszuführen — mit Ihrem Gewaltbegriff Haben Sie überhaupt schon einmal überlegt, wieviel überein. Sie haben den Begriff struktureller Gewalt Gewalt Sie den Menschen mit Ihrem Atomprogramm hier eingeführt. Wir müßten wirklich länger Zeit antun, haben, um darüber zu reden. (Beifall bei den GRÜNEN) (Frau Wollny [GRÜNE]: Herzlich gern rede wieviel Schaden, ganz abgesehen von Strahlenschä- ich mit Ihnen darüber!) den, Sie damit den Menschen sowohl psychisch als auch physisch antun, wieviel Ängste Eltern um ihre Das kann ich so nicht akzeptieren. Kinder ausstehen, weil sie nicht wissen, welche Schä- Die FDP lehnt diesen Gesetzentwurf der SPD ab. digungen eintreten können, weil sie nicht wissen, Herr Hauff, die Stillegung aller Atomanlagen bis spä- welche Nahrung sie ihren Kindern und sich selbst testens Ende 1996 ist aus unserer Sicht unrealisier- geben können, ohne ihnen zu schaden? bar. (Frau Schoppe [GRÜNE]: Warum?) (Frau Schoppe [GRÜNE]: Das wollen die nicht hören!) Die vorgeschlagenen Alternativen zur Kernenergie sind unverantwortbar. Sie denken nicht an die Dieses Spiel macht die SPD mit, weil sie nicht den Begrenztheit der fossilen Ressourcen, die dann einge- sofortigen Ausstieg will, sondern mit ihrem Zehnjah- setzt werden müssen. Sie denken nicht an die Bela- reskonzept den Leuten Sand in die Augen streut und stungen der Umwelt, die die Folge solcher fossilen keinen ernsthaften Versuch zum Ausstieg unter- Alternativen wären. Ich nenne nur die Stichworte nimmt. Sie ist die Partei, die den erklärten Willen der Waldsterben, Klimaveränderung usw. Mehrheit der Bevölkerung zum Ausstieg in die Bah- nen lenkt, die der Atomindustrie keine Hindernisse in (Stratmann [GRÜNE]: Pure Ignoranz!) den Weg legen. — Nein, Herr Stratmann, wir teilen nicht Ihre merk- Wenn das nicht so sein sollte, dann ist nicht zu ver- würdigen Berechnungen. Sie setzen ja eine Energie- stehen, warum die SPD nicht gemeinsam mit der Öko- einsparung in Ihren Szenarien voraus, die völlig un- logiebewegung und den GRÜNEN für einen soforti- realistisch ist. Ihre Szenarien sind nicht realistisch. gen Ausstieg kämpft. Wenn die SPD wirklich eine Das ist unsere Meinung. Sie setzen einen Energiever- Energiewende will, dann kann sie nicht darauf war- brauch voraus, den es nicht gibt, den es nicht geben ten, bis eine neue Energieversorgungsstruktur da ist. kann. Nur so geht ja Ihre Rechnung auf. Sie muß heute aussteigen, um eine Voraussetzung für (Zuruf von den GRÜNEN: Das macht das die Energiewende zu schaffen. RWE auch!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1023

Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, für den letzteren geschehen. Wir wollen diese neuen gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Energien mit Nachdruck erforschen. Stratmann? Ich bin der Meinung, das müßte auch im Rahmen Baum (FDP) : Ich habe nur eine kurze Redezeit, aber eines internationalen Konzepts geschehen. Warum bitte. — frage ich — stimmen sich die Industriestaaten nicht auf Weltwirtschaftskonferenzen ab und nehmen sich Stratmann (GRÜNE): Nicht nur zum Stichwort in einer Art Arbeitsteilung solche Energieforschung Energieeinsparung, sondern auch zu Stromeinspa- vor? Sie sind alle betroffen. rungsmöglichkeiten: Wie kommentieren Sie in die- Für uns ist jedenfalls die Kernenergie nicht die sem Fall das Vorbild Japan, das es bei einem doppelt letzte Antwort auf die Energieprobleme. Nur sagen so hohen Strompreis durch Energie- und Stromeinspa- wir nicht: in zehn oder zwanzig Jahren, sondern wir rung in den letzten zehn Jahren fertigbrachte, den sagen, welche Anstrengungen wir machen wollen. Stromverbrauch trotz erheblicher Wachstumsraten Wir haben strenge Bedingungen an die Nutzung der — die Bundesrepublik würde sich die Finger danach Kernenergie geknüpft. Als die FDP die Innenminister lecken — konstant zu halten? stellte, haben wir das getan, d. h. in der früheren Koalition. Das hat die neue Koalition fortgesetzt. Baum (FDP): Herr Kollege, ich komme gleich auf diesen Punkt zu sprechen. Ich bin auch der Meinung, Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit. Die Nachrü- daß die Energieeinsparung ein Schlüssel ist, daß wir stung der Kernkraftwerke ist kein Zeichen von das Potential noch nicht ausgeschöpft haben. Ich bin Schwäche, sondern das ist die Anwendung neuer wis- auch der Meinung, daß wir Wirtschaftswachstum und senschaftlicher Erkenntnisse auf die Reaktoren. Energiewachstum entkoppeln müssen. Das ist auch schon geschehen. Da sind wir gar nicht unterschiedli- Wir legen auch Wert auf internationale Koopera- cher Meinung. Aber daß das zu Ihrem Szenario führt, tion. Nach Tschernobyl ist da ja ein bißchen bewegt sehe ich nicht ein. Dieser Meinung bin ich nicht. worden. Sie ist nach wie vor unzureichend. Wir haben andere Konsequenzen aus dem Reaktor- Wir setzen auf Entsorgungsvorsorge. unglück gezogen. Wir haben die Risiken der Kern- energie auch erneut überdacht und bewertet. Es sind Wir setzen darauf, daß der Katastrophenschutz in natürlich Risiken von anderer Qualität, als wir sie in unserem Lande verbessert wird. Er war ja nach den 50er und 60er Jahren gesehen haben. Das ist klar.- Tschernobyl die eigentliche Schwachstelle. Der Ober- Der alte Konsens der 60er Jahre besteht so nicht mehr. kreisdirektor in X wußte ja nicht, was in Y passiert und Wir sind alle nachdenklicher geworden. Wir haben umgekehrt. die Ergebnisse der Enquete-Kommission, die dieses (Frau Schoppe [GRÜNE]: Sie glauben doch Haus eingesetzt hat, auch zur Kenntnis genommen. nicht, daß das irgend etwas hilft! Katastro Ihre Ergebnisse sind, meine ich, unterschätzt worden. phenschutz — daß ich nicht lache!) Da steckt eine Menge drin. Nach Tschernobyl hat meine Partei bestätigt, daß Kernenergie für uns Über- Ein Schlüsselproblem ist für uns nach wie vor die gangsenergie ist. sparsame und rationelle Energieverwendung. Wir Was uns unterscheidet, ist das Szenario eines auf wollen, daß die Forschung im Bereich anderer Ener- zehn Jahre befristeten Ausstiegs. Das ist unreali- gieformen drastisch verstärkt wird. Wir stellen fest, stisch. Das kriegen Sie nicht hin. Das ist auch inkon- daß der alte Konsens der fünfziger und sechziger sequent. Da ist die Position der GRÜNEN viel konse- Jahre im Hinblick auf die f riedliche Nutzung der quenter. Wenn das so ist, müßten Sie heute abschalten Atomenergie so nicht mehr besteht. Wir sind nach- und nicht in zehn Jahren. denklicher und risikobewußter geworden, (Stratmann [GRÜNE]: Sagen Sie doch mal Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter Baum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten was zum Schnellen Nichtbrüter!) Hauff? — Bitte sehr. und wir bedauern, daß der neue Konsens, den wir, Herr Kollege Hauff, damals, im Jahre 1979, zwischen Dr. Hauff (SPD): Herr Kollege Baum, wenn Sie die SPD, CDU/CSU und FDP gefunden haben und der zehn Jahre für unrealistisch halten, was halten Sie für auch ein ausgearbeitetes Entsorgungskonzept ent- realistisch? hält, von Ihnen hier jetzt aufgekündigt wird. Das bedauern wir sehr. Ich bin fest davon überzeugt, daß Baum (FDP): Ich kann überhaupt kein Datum nen- die Mehrheit der Bevölkerung — das sagen auch die nen. Ich weiß, daß viele Bürger im Lande dieser Mei- Umfragen — Ihnen nicht folgt, und ich sehe mit Inter- nung sind. Sie können von uns als Politiker kein ver- esse die Diskussion in Ihrer eigenen Partei. Ich habe bindliches Datum erwarten; denn es hängt davon ab, gerade ein Interview von Herrn Stobbe gelesen. Im ob es uns gelingt, alternative, regenerierbare Ener- Seeheimer Kreis gibt es ja auch Zweifel, ob es reali- gien an die Stelle der Kernenergie zu setzen. Meine stisch ist, der Bevölkerung hier ein solches Szenario Partei ist der Meinung, daß hier drastisch verstärkte vorzumachen. Anstrengungen stattfinden müssen. Wir sind der Mei- nung, daß die Anteile der Forschung einerseits im Meine Damen und Herren, wir wollen an der fried- Bereich der Kernenergie und andererseits im Bereich lichen Nutzung der Kernenergie so lange festhalten, regenerierbarer Energien im Bundeshaushalt auch in wie sie nicht durch andere, umweltfreundlichere diesem Jahr ungleichgewichtig sind. Es müßte mehr Energiegewinnungsformen ersetzt werden kann. Wir 1024 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Baum halten sie also unter Sicherheitsgesichtspunkten für Wir sind für eine Verstärkung der ökologischen verantwortbar. Das sage ich hier mit Nachdruck. Gesichtspunkte in der Energiepolitik. Deshalb sind wir für eine Fortsetzung der Politik der Energieeinspa- (Stratmann [GRÜNE]: Sagen Sie mal was zu rung. Die Koalition hat im April festgelegt, daß wir die Kalkar und zu Herrn Töpfer!) Förderung und Erforschung von Möglichkeiten des — Ich komme doch gleich darauf zu sprechen. Ich sparsameren Energieverbrauchs in privaten Haus- habe hier kaum einen Satz gesagt, da fragen Sie mich halten und in der Indust rie verstärken. Wir meinen, schon, was ich von anderen Punkten halte. Ich komme daß in diesen Bereichen die Möglichkeiten zur Ener- ja noch darauf. Das kommt ja gleich, Herr Strat- gieeinsparung nicht ausgeschöpft sind. Wir denken mann. an eine verstärkte Abwärmenutzung, an die Kraft- Wärme-Koppelung, an den Ausbau eines Netzes von Wir unterstützen die Bundesregierung in ihrem dezentralen Anlagen der Kraft-Wärme-Koppelung Nachrüstungsprogramm zum weiteren internen Not- und an die Stärkung der kommunalen Eigenständig- fallschutz, bei der Festsetzung von Dosis- und Konta- keit in der Energiepolitik. minationswerten nach strengsten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Aus ökologischen Gründen halten wir eine Modifi- zierung des Energiewirtschaftsrechts für notwendig. Wir wünschen Ihnen, Herr Bundesminister Töpfer, Eine Überprüfung dieses Gesetzes ist in der Koalition daß Sie in Brüssel Erfolg bei der Durchsetzung unserer vereinbart. Wir wollen u. a. die Tarifgestaltung und Werte haben. Wenn das nicht der Fall sein sollte, die gesetzliche Zielsetzung überprüfen. Wir begrü- begrüßen wir Ihre Absicht, dann hier nach unseren ßen, daß der Bundeswirtschaftsminister hier eine erste Erkenntnissen in der Bundesrepublik unsere Maß- Vereinbarung mit der Elektrizitätswirtschaft getroffen stäbe zur Grundlage zu machen. hat. Diese Politik wird und muß fortgesetzt werden. Wir unterstützen die Bundesregierung bei dem Auf- Wir lehnen den Gesetzentwurf der SPD auch in bau eines Meßsystems. Wir unterstützen sie beim inte- anderen Einzelpunkten ab. Die Deckungsvorsorge grierten Entsorgungskonzept und bei der Verbesse- haben wir gerade erhöht. Herr Hauff, wir fragen auch, rung der Reaktorsicherheit auf internationaler wie die Betriebsräte — das steht ja in Ihrem Gesetz- Ebene. entwurf — beteiligt werden sollen, wenn über ihren (Zuruf von den GRÜNEN: Also doch für Kopf hinweg eine solche Entscheidung bereits gef al- Wackersdorf!) len sein sollte. Wir verlangen allerdings eine ernsthafte Prüfung, Wir fragen die SPD auch nach dem Hochtempera- ob im Rahmen einer beschlossenen Entsorgungskette turreaktor in Nordrhein-Westfalen. Wir sehen keine eine Konditionierung abgebrannter Brennelemente moralische Verpflichtung zur Kernenergie, wie Herr zur direkten Endlagerung an die Stelle der Wieder- Wallmann das hier zum Ausdruck gebracht hat. Wir aufarbeitung treten kann. Die entsprechenden Pilot- halten Kernenergie unter Sicherheitsgesichtspunkten projekte werden ja fortgeführt. Wir haben das in aber für verantwortbar. Wir werden alles tun, um sie der Koalitionsvereinbarung aufgeführt. Wenn sich eines Tages durch andere Energieformen zu erset- erweist, daß eine direkte Endlagerung unter Sicher- zen. heits- und Kostengesichtspunkten den Vorzug ver- (Zuruf von den GRÜNEN) dient, ist, so meinen wir, die Entsorgungsstrategie der Es wäre aber ganz und gar unrealistisch, den Bür- Bundesrepublik Deutschland zu ändern. gern vorzumachen, dies könne in der Frist geschehen, die Sie fordern: die GRÜNEN sofort, die SPD in zehn Der Schnelle Brüter in Kalkar ist nach unserer Mei- nung für die Energieversorgung nicht erforderlich. Jahren. Aus diesem Grunde lehnen wir diese Gesetz- Seine kommerzielle Nutzung lehnt die FDP nach wie entwürfe ab. vor ab. Bei ihm steht der forschungspolitische Aspekt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) im Vordergrund. Der Reaktorunfall in Tschernobyl gibt erneut Anlaß, die Frage zu stellen, welchen for- schungs- und industriepolitischen Stellenwert der Schnelle Brüter haben soll. Präsident Dr. Jenninger: Ich erteile dem Herrn Bun- desminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- (Stratmann [GRÜNE]: Wie sieht Ihre Antwort cherheit das Wort. aus?) Dazu werden jetzt erneut Untersuchungen angestellt, die wir in der Koalition vereinbart haben. Im Geneh- Dr. Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Natur- migungsverfahren zum Schnellen Brüter dürfen nach schutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine unserer Meinung jetzt keine Entscheidungen getrof- sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende fen werden, die eine endgültige Entscheidung über Entwurf eines Kernenergieabwicklungsgesetzes ist die Inbetriebnahme präjudizieren. Wir lassen uns innerhalb weniger Monate dreimal unverändert ein- nicht drängen, Herr Stratmann. gebracht worden, zweimal hier und einmal im Bun- (Stratmann [GRÜNE]: Wie lange wollen Sie desrat vor wenigen Tagen von der Freien und Hanse- noch nachdenken? Sie denken seit 15 Jah- stadt Hamburg. ren!) (Gerstein [CDU/CSU]: Kurz vor der Wahl!) Sie haben ja auf alles ganz schnelle, fixe Antworten. Dies nährt etwas den Verdacht, daß dieses Gesetz Wir denken nach und prüfen. auch etwas mit Wahlterminen und mit parteitakti- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1025

Bundesminister Dr. Töpfer schen Überlegungen zu tun hat. Es nährt den Ver- Dr. Hauff (SPD): Herr Bundesminister, auf die Rede- dacht! zeit der Regierung wird grundsätzlich nichts ange- (Toetemeyer [SPD]: Ist das nicht legitim? — rechnet, wenn ich Ihnen das sagen darf. Sie können in Stratmann [GRÜNE]: Das spricht nicht diesem Haus so lange reden, wie Sie wollen. Das ist gegen das Gesetz!) die Geschäftsordnung. Ich möchte gleich am Anfang ganz deutlich sagen, (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Irrtum! Das stimmt Herr Abgeordneter Hauff: Eine Politik auf diesem nicht!) Feld kann nicht von Wahldatum zu Wahldatum oder Herr Bundesminister, ich möchte Sie gern fragen, aus Parteiauseinandersetzungen heraus bet rieben nachdem Sie mich falsch zitiert haben, was Sie zu dem werden, sondern immer nur in der Verantwortung Satz sagen, den ich wirklich gesagt habe: auch für die zukünftigen Generationen, Ein energiepolitischer Konsens ist nur denkbar, (Dr. Hauff [SPD]: Richtig! — Zustimmung bei wenn die These „Kernenergie als Übergangs- der SPD) technologie " wirklich ernstgemeint ist. — ich wollte Sie nur ausklatschen lassen, damit Sie die letzte Hälfte auch noch hören und weiterklat- schen — , damit aber auch aus verpflichtender Suche Dr. Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Natur- nach Gemeinsamkeit. schutz und Reaktorsicherheit: Ja, exakt das habe ich (Toetemeyer [SPD]: Ja!) sinngemäß so zitiert. Sie haben vorhin gesagt — da möchte ich gerne (Widerspruch bei der SPD und den GRÜ ansetzen — , Gemeinsamkeit könne erst wieder ent- NEN) stehen, wenn man die Zeit bis zum Ausstieg angibt. — Absolut. Ihr Kollege hat nachhaltig darauf hinge- (Toetemeyer [SPD]: Richtig! — Abg. Dr. wiesen, daß dem so sei. Meine Damen und Herren, es Hauff [SPD] meldet sich zu einer Zusatz- ist bedauerlich — Frau Abgeordnete Wollny hat das ja frage) wohl auch mit großem Genuß hier vorgetragen — , daß Herr Kollege Jochimsen beim vorigen Tagesord- — Einer sagt sogar schon „Richtig". Dann können Sie nungspunkt noch hier war und jetzt nicht mehr da noch eine Sekunde warten, Herr Hauff. Ich sage ist. Ihnen: Gemeinsamkeit kann erst entstehen, wenn (Zuruf von den GRÜNEN: Der wußte, warum jeder, der für eine bef ristete Zeit, wie sie auch immer- er Leine gezogen hat!) sei, zunächst sagt: Kernenergie ist sicher. Nur wenn Sie sagen, Kernenergie sei sicher, können Sie auch Es wäre eigentlich ganz interessant gewesen. weiter argumentieren, daß Sie Kernenergie noch wei- Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete ter nutzen können. Hauff hat hier etwas Grundsätzliches mit eingebracht. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist logisch!) Deswegen möchte ich darauf gern eingehen. Der Gesetzentwurf ist Ausdruck einer ganz spezifischen Jede Begrenzung ist ein Eingeständnis von Unsicher- geistigen Position. Das muß man ja deutlich heit. machen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Wahr- heit!) (Zuruf von der SPD: Warum nicht?) Das ist die Voraussetzung, Herr Hauff, für Konsens. Was ist das hier? Natürlich — unstrittig — , Kern- Wenn Sie über Konsens sprechen, dann nicht über energie fordert wie kaum ein anderes technisches Fristen, sondern über Sicherheit der Nutzung dieser System zum Nachdenken über das Verhältnis des Energiequelle. Das ist der erste Punkt. Menschen zur Technik heraus. Sie haben Kardinal Höffner zitiert. Ich sage Ihnen das Zitat dazu. Er hat (Beifall bei der SPD) gesagt es sei die Frage, ob die für das technische Zeit- alter charakteristische Art und Weise der Beherr- schung der Natur im Grunde auf einem gestörten Ver- Präsident Dr. Jenninger: Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- hältnis zur Natur beruhe. Alles dies ist weiß Gott neten Dr. Hauff? bedenkenswert. Die Kerntechnik hat in besonderem Maße — — (Schäfer [Offenburg] [SPD]: 999,9 % Sicher Dr. Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Natur- heit reichen nicht aus!) schutz und Reaktorsicherheit: Mit ganz besonderer Freude. Ich hoffe, daß es nicht auf die Redezeit ange- — Sehen Sie, Herr Abgeordneter Schäfer, das unter- rechnet wird. scheidet möglicherweise den Kardinal Höffner von Ihnen. Der hat mehr als nur ein Zitat, das sich lohnt, vorgetragen zu werden. Präsident Dr. Jenninger: Wir rechnen überhaupt (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Dr. Hauff nichts an. [SPD]: Jungfernrede!) — Entschuldigen Sie bitte, ich habe hier ein Zitat von Dr. Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Natur- Kardinal Höffner vorgetragen, das in diesem Zusam- schutz und Reaktorsicherheit: Es ist meine Jungfern- menhang gefallen ist. Er hat ihn nur genannt. Er hat rede. Deswegen darf ich das noch einmal nachfra- überhaupt kein Zitat vorgetragen. Das muß ich deut- gen. lich dazu sagen. 1026 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Bundesminister Dr. Töpfer Meine Damen und Herren, daß auf eine solche tech- Meine Damen und Herren, Ihre Ausstiegsforderung nische Systemfrage in der Bevölkerung auch mit ist inkonsequent, weil Sie bei einer behaupteten Angst reagiert wird, ist verständlich, und diese Angst Unverantwortlichkeit der weiteren f riedlichen Nut- ist weiß Gott ernst zu nehmen. Es ist leider aber auch zung der Kernenergie festzustellen, daß diese individuell durchaus ver- (Frau Schoppe [GRÜNE]: Es gibt überhaupt ständliche Sorge und Angst vor einer nicht mehr keine friedliche Nutzung!) durchschaubaren Technologie mißbraucht wird, daß immer wieder versucht wird, daraus politisches Kapi- auch eine Übergangsfrist von zehn Jahren nicht dul- tal zu schlagen. Und wenn hier über Angst gespro- den dürften. chen wird, meine Damen und Herren, dann muß ich (Zuruf von den GRÜNEN: Das ist richtig!) auch darauf hinweisen, daß das Aktualisieren von Hypothesen auch Angst erzeugt und daß das psychi- Meine Damen und Herren, dies ist nicht eine Frage sche Körperverletzung ist. nach Fundamentalisten, von Grün und Rot, sondern das ist eine Frage von Logik, meine Damen und Her- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — ren — von Logik, nichts anderem! Frau Schoppe [GRÜNE]: Das kennen wir: Diejenigen sind schuld, die auf die Krisen (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und den hinweisen! Das ist ja wohl das letzte! — Wei- GRÜNEN — Stratmann [GRÜNE]: Ein Licht tere Zurufe von den GRÜNEN) blick Ihrer Logik!) Und dann ist es weiß Gott sehr interessant, darüber Und wenn Logik zu Fundamentalismus führt, dann nachzudenken, ob es denn richtig ist, wenn der Abge- bin ich gerne ein Fundamentalist. Dagegen kann ich ordnete Hauff fragt, ob die mangelnde soziale Akzep- nichts sagen, tut mir herzlich leid. tanz der Kernenergie Ursache oder Wirkung eines (Stratmann [GRÜNE]: Und weil Sie kein solchen Verhaltens in der öffentlichen Darstellung ist. Fundamentalist sind, sind Sie auch unlo Das scheint mir in besonderer Weise nachfragbar und gisch! — Heiterkeit bei den GRÜNEN und diskutabel zu sein. der SPD) (Frau Schoppe [GRÜNE]: Das können Sie — Herr Stratmann, wenn ich Sie nicht auch schon bei nach Tschernobyl doch nicht ernsthaft meiner ersten Rede kennen würde, dann würde ich behaupten! Da braucht man überhaupt das fast schon als Kompliment ansehen. Aber so nichts zu sagen, das hat für sich gesprochen! - haben Sie es nicht gemeint, und deswegen werde ich — Weitere Zurufe von den GRÜNEN) es besser nicht tun. — Meine Damen und Herren, wir sind der Überzeu- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) gung, daß es Verpflichtung zu politischem Handeln, zur Bewältigung auch noch so großer Probleme der Daß die SPD davon überzeugt sein muß, daß Kern- Zukunft gibt, daß man sie eben in Ang riff nimmt: nicht energie sicher ist, ersehe ich doch allein daraus, daß durch Ausstieg, sondern mit der Suche nach der bes- wohl niemand glaubt, daß in SPD-regierten Bundes- seren, nach der sichereren Technik. ländern unsichere Kernkraftwerke genehmigt und betrieben werden. Das kann ich doch beim allerbe- (Frau Unruh [GRÜNE]: Gibt's nicht!) sten Willen nicht unterstellen. Ein Ausstiegsgesetz, meine Damen und Herren, hat (Zuruf von der SPD: Das ist aber dünn!) Probleme noch nie beseitigt, sondern immer nur in die Ich meine, es wäre im hohen Maße un richtig, das den alten Probleme zurückgeführt, von denen man vorher Kollegen in diesen Ländern zu unterstellen. geglaubt hatte, sie beseitigt zu haben. Und Ihre Ausstiegsforderung ist nicht folgerichtig, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) da vom aktualisierten Risiko der Anlage in Tscherno- Und deswegen ist die Frage, die hier dahintersteht, byl nicht auf das Restrisiko der Anlagen in der Bun- eine Frage nach der geistigen Haltung: Was wollen desrepublik Deutschland geschlossen werden kann. wir denn wirklich? Das hat die IAEO - Expertenkonferenz genauso bestä- tigt wie die RSK. Tschernobyl ist eben nicht überall. (Dr. Hauff [SPD]: Aufbruch! — Gerstein Auch das muß noch einmal deutlich gesagt werden. [CDU/CSU]: Den Ausstieg wollen die!) (Dr. Probst [CDU/CSU]: Tschernobyl ist in — Ja, den Aufbruch machen Sie eben nach hinten, der Ukraine!) meine Damen und Herren. Das ist der zentrale Punkt. Und Ihre Ausstiegsforderung ist für die von uns ver- folgte Erhöhung der Strahlenschutzsicherheit in der (Dr. Probst [CDU/CSU]: Hauff bricht ein! — Bundesrepublik Deutschland auch nicht hilfreich, Frau Schoppe [GRÜNE]: Welche Interessen geschweige denn weltweit. Ein einseitiger Ausstieg vertreten Sie denn? — Weitere Zurufe von der Bundesrepublik würde im Gegensatz zu den den GRÜNEN) Intentionen der Gesetzesinitiatoren dazu führen, daß Und dies ist eine grundsätzlich andere Position als die Bundesrepublik keinerlei Einfluß auf die weitere Ihre teils ehrliche, teils politisch kalkulierte Resigna- Entwicklung der kerntechnischen Sicherheit auf tion vor Zukunft. Das ist der Unterschied, auf den es internationaler Ebene hätte. Es ist eine wichtige Lehre hier wesentlich ankommt. aus Tschernobyl — und ich mache hier eine Anleihe aus einem anderen Bereich — , daß es so etwas wie die (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Verpflichtung zu einer internationalen Sicherheits- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1027

Bundesminister Dr. Töpfer partnerschaft gibt. Wenn es sie irgendwo gibt, dann ren Weg mehr Sicherheit erreicht werden kann. Das bei der Kernenergie. ist für uns schon sehr bedeutsam. Das war unsere Reaktion auf Tschernobyl, von der Meine Damen und Herren, wir haben diese Über- der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung im prüfung, wie Sie wissen, ja auch nicht nur für uns Mai 1986 bereits gesprochen hat: internationale Har- gemacht, sondern wir haben sie für die internationale monisierung von Sicherheitsstandards, internationale Beurteilung generell offen gemacht. Die OSART- Harmonisierung von Informationspflichten, interna- Kommission hat dies getan. Ich wünschte mir, andere tionale Harmonisierung von Katastrophenschutz und kernenergiebetreibende Länder täten das auch. -hilfe. Das ist eine sachgerechte Reaktion auf solche Herr Abgeordneter Hauff, Sie müßten doch eigent- Dinge, wie sie in Tschernobyl passiert sind. lich volles Verständnis haben. Denn wenn ich das den Meine Damen und Herren, dies ist auch bei Ihnen Medien richtig entnommen habe, haben Sie sich hier wohl ganz offenbar immer der Fall. Ich erinnere mich mit der Kommunistischen Partei der Tschechoslowa- an viele Diskussionen über Cattenom mit meinem kei getroffen. Es ist ein Kommuniqué herausgekom- damaligen Kollegen Leinen oder mit Herrn Lafon- men. Darin stand, man habe sich in allem geeinigt, nur taine. Sie alle haben immer gefordert: Wir wollen nicht in der Beurteilung der Kernenergie; denn die Tschechoslowaken haben gesagt, sie wollen mehr deutsche Sicherheitsnormen in Cattenom. Wenn wir ausgestiegen wären, was für eine Meßlatte hätten wir Kernkraftwerke bauen mit der Begründung, die Luft daran anzulegen gehabt? Offenbar muß es doch eine entlasten zu wollen. Man höre und staune! großartige Sache sein, deutsche Sicherheitsnormen auch international einzufordern; exakt das, was wir Vizepräsident Frau Renger: Gestatten Sie eine Zwi- nicht mehr tun können, wenn wir aus der Verpflich- schenfrage? tung herausgehen, in mehr Sicherheit für Kernenergie zu investieren. Dr. Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Natur- (Frau Schoppe [GRÜNE]: Herr Töpfer, wie- schutz und Reaktorsicherheit: Aber sehr gerne. viel Störfälle gibt es denn wohl in unseren Atomkraftwerken? — Dr. Hauff [SPD]: Haben Sie es denn erreicht?) Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter Stahl, bitte sehr. —Herr Hauff, ich freue mich über Ihren Zwischenruf. Damit bestätigen Sie in der Tat meine Ausführun-- gen. Stahl (Kempen) (SPD): Herr Bundesminister, wir haben am Mittwochmorgen im Ausschuß über die (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Hauff [SPD]: Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke und auch Völlig richtig!) der französischen in einem Zusammenhang gespro- Meine Damen und Herren, wir haben auf nationaler chen. Ich habe an Ihren Herrn Staatssekretär die Ebene natürlich deutliche Fortschritte erreicht. Ich Frage gestellt, habe mich darüber gefreut, daß Herr Abgeordneter (Schäfer [Offenburg] [SPD]: An einen von Baum das noch einmal aufgegriffen hat. Es ist unstrit- den beiden!) tig, daß es eine der wirklich üblen Argumentations- ob er denn bestätigen könne, daß ein französisches dialektiken ist, wenn man die Bereitschaft zur Sicher- Kernkraftwerk vom Typ Cattenom, wenn es derzeitig als Beleg für Unsicherheit nimmt. heitsnachrüstung in der Bundesrepublik gebaut werden würde, unter Ich halte das für eine der wirklich ärgerlichen Argu- den jetzigen Voraussetzungen in dieser Form keine mentationsdialektiken, die in der Bevölkerung wie- Genehmigung erhielte, wie nach dem Beispiel Mühl- derum nichts anderes bewirkt als unbegründete heim-Kärlich. Angst. (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Mühsam-kläg (Stratmann [GRÜNE]: Was ist denn daran lich!) falsch?) Können Sie mir einmal sagen und dem Hause darstel- — Es ist deswegen falsch, weil jeder Sicherheitsstan- len, warum einer Ihrer Staatssekretäre vor einem Par- dard immer nur dynamisch verstanden werden lamentsausschuß darauf keine klare Antwort gibt? kann, (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So ist es!) Dr. Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Natur- in jeder technischen Anlage immer wieder auf den schutz und Reaktorsicherheit: Herr Abgeordneter Prüfstand gestellt werden muß. Das ist unser Ver- Stahl, ich kann Ihnen sagen — ich soll es ja in diesem ständnis von Technik. Hohen Hause erläutern — , daß es seit langem, schon (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Garbe unter sozialliberaler Koalition, richtigerweise eine [GRÜNE]: Durch die Störfälle hat man erst deutsch-französische Kommission zur Beurteilung der gelernt!) Kernkraftwerke diesseits und jenseits der deutsch- französischen Grenze gibt. — Nein, nein. Wir sind, anders als Sie das glauben, gegenüber Technik viel, viel skeptischer. Weil wir (Frau Wollny [GRÜNE]: Wer ist da drin?) gegenüber der Technik skeptisch sind, müssen wir Dort sind Sicherheitsuntersuchungen gemacht wor- uns immer wieder den Mut nehmen, Technik vorbe- den, Vergleiche zwischen Fessenheim und Philipps- haltlos zu überprüfen und zu fragen, ob sie nicht burg I und zwischen Cattenom und Philippsburg II. sicherer gemacht werden kann oder auf einem ande- Ihr damaliger Parlamentarischer Staatssekretär und 1028 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Bundesminister Dr. Töpfer zwischenzeitlicher Kandidat für den Innenminister in liche Basis für eine vernünftige Beurteilung mehr Rheinland-Pfalz, ist. (Frau Wollny [GRÜNE]: Wie heißt er (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist etwas denn?) anderes!) Wenn Sie hinzugefügt hätten, Herr Abgeordneter von Schoeler, hat damals an diesem Pult, also am Pult Schäfer, daß mit dem 30 Millirem-Konzept weltweit des Deutschen Bundestages, gesagt, daß diese Kom- eine Vorsorgepolitik betrieben wird, daß wir uns in mission zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der Europa mit einem 500 Millirem-Konzept auseinander- Sicherheitsstandard zwischen Fessenheim und Phi- setzen müssen, dann wäre das ein Ziel gewesen, das lippsburg vergleichbar ist, aber auf unterschiedlichem hier wirklich der Sache und nicht nur der Suggestion Wege erreicht worden ist. Exakt dieselbe Aussage hat gedient hätte. die Reaktorsicherheitskommission und die Groupe Permanente der Franzosen, die das zusammen für (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Cattenom und Philippsburg II gemacht haben, auch Lassen Sie mich abschließen, meine Damen und getroffen. Dies ist exakt die Kontinuität von Politik in Herren: Notwendig ist und bleibt die Erkenntnis, daß diesem Hohen Hause, und ich kann mich darüber nur menschliches Leben, Herr Abgeordneter Hauff, nie- freuen. Herr Abgeordneter Stahl, wir werden sicher mals ohne Risiko möglich war und wohl auch niemals Gelegenheit haben, das im Ausschuß noch sehr inten- sein wird. siv durchzusprechen. (Stratmann [GRÜNE]: Alles Leben endet im (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) Tode, das wissen wir! Das ist doch die Logik! Ich freue mich außerordentlich auf diese Auseinan- — Weitere Zurufe von der SPD und den dersetzung; denn Sie können sich vorstellen, daß ich GRÜNEN) mich gerade auf diesem Gebiet schon relativ gut — Ich meine das gar nicht, sondern der Punkt ist: durch die Akten gewühlt habe, weil ich die mitge- Wenn man über den Hinweis auf bestehendes Risiko bracht habe. Angst erzeugt, dann ist das für mich genauso Gewalt- Ich komme zu dem zurück, was ich sagen wollte: anwendung, wie hier an anderer Stelle über Gewalt Meine Damen und Herren, mich bedrückt, daß dieses gesprochen worden ist; denn immer, bei jeder Tech- Gesetz an vielen Stellen Suggestion an die Stelle von nik, bei jedem Lebensvorgang ist Risiko mit im Spiel. Argumentation setzt. Das ist nicht sauber. Wenn die Unsere Verantwortung ist, uns auch zum Risiko in die- als notwendig herausgestellte Überprüfung aller ser Form zu bekennen und deutlich zu machen, was Kernkraftwerke angeführt wird, dann wird suggeriert, wir getan haben, um Risiko beherrschbar werden zu als würde das nicht gemacht. Wenn darin steht lassen. Das ist unsere Vorstellung von Kernenergie. „Sicherheit muß vor Wirtschaftlichkeit gehen", dann Recht herzlichen Dank. wird suggeriert, daß dies jetzt anders wäre. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Baum [FDP]: So ist es!) Stratmann [GRÜNE]: Herr Töpfer, Sie sind Da wird gesagt, das Gesetz müsse jetzt das 30 Milli- doch nicht besser als Wallmann!) rem-Konzept gesetzlich festschreiben, als würde das jetzt nicht gemacht. Vizepräsidentin Frau Renger: Das Wort hat der Herr (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Im Gesetz nicht! Abgeordnete Schäfer (Offenburg). Nichts Falsches sagen! — Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt wehren sich die, die schlampig formuliert haben!) Schäfer (Offenburg) (SPD): Frau Präsident! Meine — Aber ich bitte Sie doch ganz herzlich, Sie können sehr geehrten Damen und Herren! doch wirklich nicht den Eindruck erwecken — — (Dr. Probst [CDU/CSU]: Sie müssen sich jetzt (Glocke des Präsidenten) treu bleiben!) — Ich weiß, ich muß zum Ende kommen. Ich will zuerst auf zwei, drei Anmerkungen von Ihnen, Herr Minister Töpfer, eingehen und, wenn dann die (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sie müssen alle Zeit noch reicht, vielleicht auf das vorbereitete zum Ende kommen! Sie müssen bei der Manuskript zurückkommen. Wahrheit bleiben! Laufs gibt Ihnen von sei- ner Redezeit ab!) Sie wiesen zu Recht darauf hin, daß wir unser Kern- energieabwicklungsgesetz innerhalb weniger Mona- — Ich habe das nur mit Blick auf das Licht hier te dreimal eingebracht hätten, einmal im alten, dem gesagt. 10. Deutschen Bundestag, vor der Wahl, jetzt, unmit- Herr Schäfer, ich wollte Ihnen das abschließend telbar nach der Wahl, und außerdem über das Land sehr gern beantworten. Ich sage Ihnen ganz, ganz Hamburg. Da schwang ein Vorwurf mit. Ich sage: Es nachhaltig: Es wird in diesem Gesetz immer sugge- ist unsere Pflicht, dem Wähler klarzumachen, daß wir riert und nicht mehr argumentiert. Es kommt keine das, was wir vor der Wahl als sozialdemokratische Begründung, sondern es kommt eine Behauptung. Energiepolitik angekündigt haben, auch nach der Dies ist für meine Beg riffe nicht sauber. Wenn Sie Wahl zum Maßstab unserer parlamentarisch-politi- sagen, nur die Strahlenschutzverordnung enthält das schen Arbeit machen. 30 Millirem-Konzept, dann frage ich mich, welche (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ Rechtsvorstellungen ich habe, wenn das keine recht- CSU und den GRÜNEN) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1029

Schäfer (Offenburg) Wer sich anders verhält, meine Damen und Herren, Jetzt will ich einmal zu Ihnen etwas sagen: Sie wie- setzt sich leicht dem Verdacht der Wählertäuschung gen sich in der Illusion, Herr Stratmann, auch Sie, Frau aus. Wollny (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Und so eilt ihr von (Abg. Dr. Göhner [CDU/CSU] meldet sich zu Wahlziel zu Wahlziel!) einer Zwischenfrage — Stratmann [GRÜNE]: Ich will noch einen Satz hinzufügen — Herr Töpfer, Das geht nicht, wenn Sie erst die Frage nicht das ist Ihnen vielleicht entgangen — : Den Kern des- zulassen!) sen, was unser Kernenergieabwicklungsgesetz ent- — dann sage ich es dem Abgeordneten Kleinert -, als hält, können Sie sogar schon in einer Bundestags- ob Sie von heute auf morgen die Kernenergie abschal- drucksache vom 22. Mai 1984 finden, also zwei ten könnten. Wir sind unter breitem gesellschaftlichen Jahre — — und politischen Konsens, getragen auch von einem (Stratmann [GRÜNE]: Ich dachte, 1974!) Teil der Vorfahren der GRÜNEN, rechtsstaatlich in die Kernenergie eingestiegen. Und es ist unsere Auf- — Herr Stratmann, wenn Sie ein bißchen von Ihrer Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit herunter- gabe, die Kernenergie auch rechtsstaatlich abzulösen. kämen, würde Ihnen das gut anstehen. Dazu bedarf es gesetzlicher Änderungen. Ich will auf meine letzte Bemerkung zurückkom- men: Am 22. Mai 1984, Herr Kollege Töpfer, zwei Vizepräsident Frau Renger: Gestatten Sie eine Zwi- Jahre vor Tschernobyl, hat meine Fraktion in der schenfrage des Abgeordneten Göhner? Drucksache 10/1476 ihren Antrag „Sicherung umweltfreundlicher Energieversorgung" einge- bracht. Darin heißt es wörtlich: Schäfer (Offenburg) (SPD): Nein. Vielleicht später, Kollege Göhner. Die Nutzung der Kernenergie ist nur für eine Übergangszeit zu verantworten. Ziel der Energie- (Stratmann [GRÜNE]: Herr Göhner, heute politik ist es, nach dieser Übergangsphase nicht!) sichere, preiswerte und umweltverträgliche Sie, Herr Kollege Töpfer, sagen: Kernenergie ist Energieversorgung ohne Kernenergie zu sicher. Wenn sie wirklich unsicher wäre, müßten wir gewährleisten. gleich abschalten. — Jetzt will ich Ihren Sicherheits- Zwei Jahre vor Tschernobyl ist das im Deutschen Bun- begriff hinterfragen. Ich halte ihn für oberflächlich, destag eingebracht worden. fast fahrlässig, jedenfalls nicht zu Ende gedacht. Wir haben dann — und wir hätten unsere Pflicht (Dr. Probst [CDU/CSU]: Jetzt kommt es!) verletzt, wenn wir es nicht getan hätten — nach der Warum haben wir uns denn in der Reaktorsicherheits- Nuklearkatastrophe von Tschernobyl unsere energie- technik und, was hinzukommt, in der Risikophiloso- politischen Vorschläge konkretisiert — in Nürnberg. phie über Jahre hinweg dieser besonderen Technolo- Unser Kernenergieabwicklungsgesetz ist der erste gie so intensiv angenommen? wichtige Schritt zur parlamentarischen Umsetzung. (Dr. Probst [CDU/CSU]: Weil es gefährlich (Beifall bei der SPD) ist!) Jetzt erleben wir hier ein ganz seltsames Spiel. — — Nicht nur, weil es gefährlich ist, Herr Töpfer, daß Sie das sagen, wundert mich etwas, weil ich Ihre Konzentrationsfähigkeit bislang höher (Dr. Probst [CDU/CSU]: Natürlich!) eingeschätzt hatte. — Wir erleben jetzt, wie gleichzei- sondern weil wir sagen: Es bleibt ein Rest von Unsi- tig von den GRÜNEN und von der Union Kritik an cherheit, der prinzipiell nicht beherrschbar ist. unserer Position, daß wir nicht von heute auf morgen (Dr. Probst [CDU/CSU]: Überall!) aus der Kernenergie rauskönnen, sondern daß das zehn Jahre dauert, geübt wird. Sie von der Union Das leugnen Sie, das verschweigen Sie. kommen dann zu der Schlußfolgerung: Weiter so. (Dr. Probst [CDU/CSU]: Nein! Sie haben Kernenergie ist sicher. — Dazu werde ich noch etwas nicht zugehört!) sagen. — Und Sie von den GRÜNEN sagen: Sofort — Haben Sie heute getan, Herr Töpfer. Ich habe Ihrer abschalten. Rede zugehört. Sie haben gesagt, Kernenergie sei sicher, und das sei die Grundvoraussetzung für einen Vizepräsident Frau Renger: Gestatten Sie eine Zwi- Konsens. schenfrage des Herrn Abgeordneten Stratmann? (Dr. Hauff [SPD]: So ist es!) Und wir sagen: Wer dem Bürger sagt, es gebe eine Schäfer (Offenburg) (SPD): Jetzt nicht und vom Kol- absolute Sicherheit bei Kernkraftwerken, lügt ihn an, legen Stratmann heute sowieso nicht, erst wieder mor- täuscht ihm Sicherheit vor, wo es keine letzte Sicher- gen. heit gibt. (Lachen bei der SPD) (Beifall bei der SPD — Dr. Probst [CDU/ Beide, GRÜNE wie CDU/CSU, meine Damen und CSU]: Das ist nicht einmal dialektisch!) Herren, verweigern sich einer notwendigen intellek- Was ist denn der Risikobegriff, verehrter Herr tuellen Argumentation, daß auch hier absolute Lösun- Umweltminister? Wir haben diesen Risikobegriff der gen nicht möglich sind. Versicherungswirtschaft entlehnt. Risiko ist die Pro- (Beifall bei der SPD — Dr. Probst [CDU/ duktformel aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Scha- CSU]: Jetzt übertreiben Sie!) densfolgen. Die Kernkraftwerke weltweit sind gegen 1030 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Schäfer (Offenburg) Schadensauswirkungen nur insoweit ausgelegt, im — Warum regen Sie sich denn so auf? „Quatsch" ist Klartext: gesichert, wie die Eintrittswahrscheinlich- völlig unpärlamentarisch. — Wir sagen: Wir werden keit für gering angesehen wird. von uns aus alles tun, damit wir innerhalb eines Zeit- raums von zehn Jahren ohne Kernenergie auskom- (Dr. Probst [CDU/CSU]: Richtig!) men. Fachleute reden von Probabilistik. Und der Herr Probst sagt: „Richtig". Er hat es gestern gelesen. Meine Damen und Herren, ich will einen zweiten Punkt nennen und einmal deutlich machen, Herr Kol- Also noch einmal: Nur insoweit, als die Eintritts- lege Töpfer, was es mit Ihrem Anspruch — nicht als wahrscheinlichkeit für gering angesehen wird, wird Person, sondern als Regierungskoalition — und mit auf die Sicherheitsvorkehrungen verzichtet. der Wirklichkeit Ihrer Politik auf sich hat. Ich will als Wir sagen mit Kardinal Höffner und mit vielen ein Beispiel die Entsorgung nennen. Da gibt es doch anderen: Angesichts einer Technologie, bei deren die Entsorgungsrichtlinien, 1979/80 gemeinsam Versagen im Extremfall über Zeiten und Räume hin- bestätigt. weg menschliches Leben und Überleben nicht mög- (Baum [FDP]: Richtig!) lich ist, darf man nicht sagen: Die Technologie ist — Herr Kollege Baum beschwört immer, wenn ihm die sicher. Da muß man alles unternehmen, um so schnell Argumente ausgehen, den Konsens. — In diesen Ent- wie möglich diese gefährliche Technologie durch ver- sorgungsrichtlinien steht ausdrücklich drin, daß der träglichere Technologien abzulösen. Das ist der Betrieb und der Neubau von Kernkraftwerken von Punkt. entsprechenden Entsorgungsfortschritten abhängig (Beifall bei der SPD — Stratmann [GRÜNE]: gemacht werden. Schauen wir es uns an, wie es heute Machen Sie das doch!) aussieht: Wir stehen auch beim Endlagern der radio- Jetzt sagen wir zu Ihnen: Es geht nicht von heute auf aktiven Abfälle in einer gefährlichen Sackgasse. Es morgen. war ein riesiger Fehler, daß sich Niedersachsen geweigert hat — das haben wir damals noch gemein- (Stratmann [GRÜNE] : Begründung! — sam mit der FDP immer wieder gefordert — , alterna- Dr. Daniels [Regensburg] meldet sich zu tive Standorte zu Gorleben zu untersuchen. einer Zwischenfrage) (Zustimmung bei der SPD) — Ich habe Ihnen eben eine formale Begründung genannt, beispielsweise die Änderung des Atomge- Es war ein Fehler, daß man sich nur auf die geologi- setzes. Es kommt etwas hinzu. Ich nehme jetzt Ihre sche Formation Salz beschränkt und Basalt und Granit Studien: Sie schreiben dort auf, was an Energieein- nicht untersucht hat. Dieses Versäumnis rächt sich sparpotentialen möglich ist. Ich nehme einmal den jetzt bitter, denn ob und wann die Eignung Gorlebens Bereich: Strom im privaten Haushalt. Da wird ein geklärt ist, steht in den Sternen. Durch das Bergwerk- Stromeinsparpotential zwischen 10 % und 30 unglück in Gorleben ist man von einer Klärung weiter geschätzt. Jetzt tun Sie so, als ob dieses Stromeinspar- entfernt als noch vor einem halben Jahr. Sie betreiben potential in der Wirklichkeit der Politik und auch in keine Vorsorge, Herr Umweltminister. Sie schreiben der Wirklichkeit des Lebens von heute auf morgen zwar in Ihre Umweltrichtlinien hinein: Vorsorge ist realisiert werden könnte. oberstes Gebot, aber in Ihrer Politik bleibt es lediglich beim Prinzip der Vorsorge bei der Endlagerung radio- (Stratmann [GRÜNE]: Quatsch! Haben Sie aktiver Abfälle, statt jetzt unverzüglich, praktisch die nicht gelesen: 15 % in fünf Jahren!) Suche nach alternativen Standorten und alternativen Das dauert zehn bis zwölf Jahre, bis die Hausfrau den geologischen Formationen aufzunehmen. Kühlschrank, der mehr Strom verbraucht, durch einen weniger Strom verbrauchenden Kühlschrank (Beifall bei der SPD) ersetzt. Oder wollen Sie etwa warten, bis sich Gorleben als ungeeignet herausstellt? Wollen Sie dann etwa den hochradioaktiven Müll exportieren? Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? (Dr. Hauff [SPD]: Schwarzwald!) Oder wollen Sie unter Mißachtung der entsprechen- den Sicherheitsanforderungen Gorleben, koste es, Schäfer (Offenburg) (SPD): Nein, ich gestatte keine was es wolle, durchsetzen und wie bisher sicherheits- Frage. technisch gesundbeten? Kurzum, meine Damen und Herren, wir bleiben Wie können Sie es eigentlich, Herr Baum, und Sie, dabei: Die einzig verantwortbare Position ist die, die Herr Töpfer, angesichts dieser völlig ungeklärten Ent- klarmacht: Wir wollen diese gefährliche Technologie sorgungslage überhaupt verantworten, neue Kern- überwinden. Wir wollen es aber so tun, daß es mehr- kraftwerke in Betrieb zu nehmen, geschweige denn, heitsfähig und realisierbar ist und auch unter Abwä- alle Kernkraftwerke in Betrieb zu halten? Was sind gung anderer Risiken, ökonomischer Risiken und öko- denn — jetzt komme ich zu Ihnen — Ihre immer wie- logischer Risiken. Nach unserem Konzept, Herr Töp- der vorgetragenen Beteuerungen, die Entsorgung fer, nehmen die Umweltbelastungen an Stickoxiden müsse sicher sein, um die Inbetriebnahme weiterer und Kohlendioxid ab und nicht zu. Bei den GRÜNEN Kernkraftwerke zu genehmigen, angesichts der pre- sieht es anders aus. kären und ungelösten Entsorgungsgrundlagen tat- (Stratmann [GRÜNE]: Das ist doch Quatsch! sächlich wert? Kein Wort davon in Ihrer Rede. Herr — Weitere Zurufe von den GRÜNEN) Töpfer, wenn Sie jetzt den Eindruck erwecken, Sie Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1031

Schäfer (Offenburg) würden nicht verstehen, was ich hier sage, werde ich man sich, ob man Milliardenbeträge in die Hand nachher mit Ihnen hinunter in die Cafeteria gehen nimmt, um in Solarenergie und Wasserstoffgewin- und versuchen, es Ihnen klarzumachen. nung zu investieren. Wo ist denn bei Ihnen die vielbe- schworene Technikfreundlichkeit und Zukunfts- (Widerspruch bei der CDU/CSU) freundlichkeit, wenn Sie statt Geld in die Hand zu Es gab bei Ihnen, Herr Kollege Töpfer, heute nur nehmen, um in großem Umfang Solartechnologie zu wenige Ansätze von Argumentationsstärke. Sie sagen fördern, auf veraltete Technologien wie Schneller — dem stimme ich zu — : Angst ist ein schlechter Rat- Brüter und Wiederaufarbeitung setzen? Das ist mir ein geber für Politik. schöner Umweltminister, der auf die Techniken von (Frau Unruh [GRÜNE]: Der kriegt selbst gestern setzt und dies als Fortschritt von heute Angst!) anpreist. (Beifall bei der SPD) Wir sagen: Man muß die Ängste aufnehmen, in die Politik mit einbeziehen, muß nach den Ursachen der Ängste der Menschen fragen. Sie sagen, die Sozialde- Vizepräsident Frau Renger: Gestatten Sie eine Zwi- schenfrage des Abgeordneten Dr. Probst? mokraten wollten mit der Kernenergie nur Angst erzeugen, Schäfer (Offenburg) (SPD): Nein, ich lasse heute (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) keine Zwischenfragen zu. und erzeugen gleichzeitig Angst, indem Sie immer wieder das CO2-Problem, den Treibhauseffekt, das Vizepräsident Frau Renger: Wollen Sie überhaupt Ozonloch beschwören. keine zulassen? Dann kann ich mir dies ersparen. (Dr. Probst [CDU/CSU]: Das ist doch Wirk- lichkeit!) Schäfer (Offenburg) (SPD): Ich lasse keine zu, es sei Wir wollen das Problem CO2 überhaupt nicht ver- denn, es wäre eine Ausnahme. drängen. Wir nehmen es ernst, sehr ernst sogar. Nur, (Heiterkeit) wer es wirklich ernst nimmt, der muß unser Angebot Meine Damen und Herren, es wird unserer annehmen, jetzt gemeinsam eine Energieeinsparpo- Kern- energiepolitik oft vorgeworfen, sie würde Arbeits- litik zu betreiben, die diesen Namen tatsächlich ver- dient. Das wäre ein Konsens, Herr Kollege Baum, der plätze vernichten. diesen Namen verdient, (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Zutreffend!) (Beifall bei der SPD) — Jetzt kommt so ein Zwischenruf von Laufs, das habe ich mir gedacht. — Volkswirtschaftlich ist das Gegen- weil die Energieeinsparpolitik weltweit die wirksam- teil richtig. Das wissen auch Sie. Jede Investition in ste Maßnahme ist, die CO2-Problematik zu verrin- Wärme-Kraft-Kopplung, jede Investition in Fern- gern. Wir müßten im Konsens daran arbeiten, das wärme, jede Investition in Wärmedämmung und Iso- Brandroden von tropischen Wäldern international zu lierung von Häusern, in moderne Kohletechnologie, in stoppen, weil dieser riesige CO2-Schub in den letzten allgemeines Energie- und Stromsparen schafft mehr Jahren immer mehr angeschwollen ist. Wir müßten, Arbeitsplätze als Atomkraftinvestitionen. wie in Schweden und in den Vereinigten Staaten, Flu- orkohlenwasserstoffe als Treibgase in Spraydosen (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) verbieten und sich nicht wie Sie, Herr Minister Töpfer, Wer dies leugnet, nimmt Tatsachen nicht zur Kennt- auf die freiwilligen Zusagen verlassen, die erst im nis. Jahre 1990 greifen. (Dr. Probst [CDU/CSU]: Jawohl, Herr Ober Wenn das CO2-Problem tatsächlich ein so großes-studienrat!) Problem ist — dem stimme ich zu —, dann müssen Sie Die Bundesanstalt für Arbeit hat bereits 1984 den handeln und nicht nur davon reden, dann müßten Sie Zuwachs an Arbeitsplätzen allein durch Energieein- als Umweltminister der Minister sein, der beim Wirt- sparmaßnahmen auf 200 000 bis 400 000 Beschäftigte schaftsminister, beim Finanzminister, beim Städte- geschätzt. Dies gilt auch heute noch. Was wir jetzt an bauminister tagtäglich auf der Matte steht und sagt: Mitteln für Energieeinsparungen, für mehr Umwelt- Diese Energieeinsparprogramme brauchen wir. — schutz, für neue Energietechniken einsetzen, senkt Dann, Herr Kollege Töpfer, könnte man ein großes die zukünftigen Energiekosten und ist ein Stück Stück Konsens in der Energiepolitik wiederfinden; Zukunftssicherung. Unser Kernenergieabwicklungs- (Beifall bei der SPD) gesetz, von Ihnen Ausstiegsgesetz genannt, ist inso- weit ein Gesetz zur Förderung des Einstiegs in nicht aber mit Ihrem Angebot: Kernkraftwerke sind umweltfreundliche, exportorientierte, arbeitsplatz- sicher, deswegen weiter so, Deutschland. schaffende und zukunftssichernde Technologien. Wie sieht denn — da sitzt der Herr Probst, ich freue Wir müssen, denke ich — und da weise ich, viel- mich, Sie zu sehen — die Praxis Ihrer Förderungspo- leicht nur zum Nachlesen, auf das Buch von Ulrich litik aus? Es ist doch so, daß Sie seit 1982 bis heute Beck „Risikogesellschaft" hin — , dafür sorgen — das fünfmal so viel Geld für Kernenergie als für regenera- wäre eine Aufgabe, die sich im Konsens stellt, meine tive Energiequellen ausgeben. Wo ist denn hier, Herr Damen und Herren — , daß es im industriellen Zeital- Kollege Töpfer, die Einsicht, daß man regenerative ter nicht nur noch um die ungerechte Verteilung von Energiequellen fördern muß? Wo ist denn hier die Ein- Lebensrisiken geht. Energie- und Umweltpolitiker sicht, die in der Industrie Platz greift? Dort überlegt werden mit darüber entscheiden, ob wir die Schöp- 1032 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Schäfer (Offenburg) fung bewahren. Dazu müssen wir umsteuern. Dazu dieser späten Stunde gegebenenfalls noch zu taugt kein „Weiter so! ". Ein erster Schritt zur notwen- ärgern. digen Umsteuerung und Umstrukturierung ist die Wir halten es für nicht vertretbar, der Kernenergie Verabschiedung unseres Kernenergieabwicklungs- eine Absage zu erteilen, ohne über eine bessere Ver- gesetzes. sorgungsalternative in bezug auf Sicherheit, Umwelt- Ich bedanke mich bei Ihnen für die lebhafte Anteil- freundlichkeit und Wirtschaftlichkeit zu verfügen. Wir nahme. haben im Energiebericht eingehend dargelegt, (Beifall bei der SPD — Dr. Probst [CDU/ warum weder verstärkte Energieeinsparung noch der CSU]: Niemand war von dieser Rede so Bereich der regenerativen Energien bei aller Unter- begeistert wie Sie selbst!) stützung, die die Bundesregierung beiden Bereichen gewährt, in absehbarer Zeit brauchbare Alternativen Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Parla- zur Nutzung der Kernenergie darstellen und warum mentarische Staatssekretär Dr. Riedl. die Alternative des massiven Einsatzes fossiler Ener- gien für uns nicht akzeptabel ist. Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Auch für die Bundesregierung ist Kernenergie nicht für Wirtschaft: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten das letzte Wort. Damen und Herren! Ich möchte in der gebotenen (Lachen bei der SPD und den GRÜNEN) Kürze einige Anmerkungen zu den energiepoliti- schen Aspekten dieses Kernenergieabwicklungsge- Wir haben das wiederholt erklärt. Wir unterstützen setzes machen. Die Bundesregierung und der Deut- die Entwicklung aller aussichtsreichen Alternativen sche Bundestag haben sich auf der Grundlage des zur Kernenergie. Solange aber niemand verläßlich Energieberichts der Bundesregierung ausführlich mit voraussagen kann, wie lange wir für unsere Energie- dem Reaktorunfall von Tschernobyl auseinanderge- versorgung auf Kernenergie angewiesen sind, halten setzt und insbesondere mit der Frage, ob sich aus die- wir es für falsch, am grünen Tisch den Ausstieg aus sem Unfall sicherheitsmäßige und energiepolitische der Kernenergie zu einem fixen Datum zu dekretie- Konsequenzen für die Bundesrepublik Deutschland ren. ergeben. (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So ist es!) Heute gilt — und wir halten unverändert daran Wir sehen daher keine Veranlassung zu einer Abkehr fest — , daß auf den Einsatz der Kernenergie in abseh- von unserer bewährten energiepolitischen Konzep- barer Zukunft aus energiepolitischen Gründen nicht tion. Die Bundesregierung befindet sich mit dieser verzichtet werden kann. Position im übrigen auch international im Konsens. In keinem einzigen Land hat der Reaktorunfall von Ich will die wirtschaftlichen und ökologischen Vor- Tschernobyl zu einem Ausstieg aus der Kernenergie weiteren teile der Nutzung der Kernenergie aus zeit- geführt. Die überwältigende Mehrheit der Kernener- lichen Gründen hier nur stichwortartig nennen: gie nutzenden Länder in West und Ost hält unverän- Umweltentlastung, Schonung der begrenzt vorhande- dert an Kernenergie als integriertem Bestandteil ihrer nen fossilen Ressourcen auch und vor allem im Inter- Energiepolitik fest. Die Forderungen nach Ausstieg esse der Entwicklungsländer, Verminderung von Kli- aus der Kernenergie gefährden die energiepolitischen marisiken, kostengünstige Stromerzeugung im Inter- Zielsetzungen der Bundesregierung. Die Bundesre- esse von Wachstum und Beschäftigung und die Nut- gierung lehnt deshalb den Gesetzentwurf der Frak- zung der Kernenergie als moderne Technologie. tion der SPD ab. Kernenergie trägt heute zu etwa einem Drittel zur Stromerzeugung bei. Sie leistet als quasi heimischer Meine Damen und Herren, ich habe mich sehr Energieträger einen wichtigen Beitrag zur Versor- bemüht, deshalb kurz zu reden, weil ich auf die Kol- gungssicherheit unserer Energieversorgung. Sie ist legen der Fraktion Rücksicht nehmen wollte, damit es durch ihre niedrigen Erzeugungskosten ein wichtiger nicht immer heißt, die Regierung nähme dem Parla- Faktor in der Sicherung eines wettbewerbsfähigen ment zuviel Redezeit weg. Energiepreisniveaus Vielen Dank. (Zuruf von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und nicht zuletzt: Sie schafft durch ihren Kostenvorteil die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Ver- stromung heimischer Kohle und ist damit eine unent- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Abge- ordnete Gerstein. behrliche Flankierung des Jahrhundertvertrags mit seiner Abnahmegarantie für die heimische Kohle. (Abg. Dr. Daniels [Regensburg] [GRÜNE]: Gerstein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine meldet sich zu einer Zwischenfrage) Damen und Herren! Als gelernter Bergmann möchte ich einleitend eine Bemerkung zu dem bedauerns- Vizepräsident Frau Renger: Gestatten Sie eine Zwi- werten Schachtunglück in Gorleben machen und schenfrage, Herr Staatssekretär? noch einmal feststellen, daß es völlig verfehlt ist, wenn man aus diesem Unglück, das vor Erreichen des Salz- Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- stockes, vor Erreichen der Lagerstätte passiert ist, ster für Wirtschaft: Nein, ich lasse keine Zwischenfra- Schlüsse auf die Qualität des Salzstockes für eine End- gen zu. Ich bin gebeten worden, mich ganz kurz zu lagerung zieht. halten. Herr Kollege, ich will Sie auch nicht in die Wenn in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts Verlegenheit bringen, sich über meine Antworten in die Bergleute beim Schachtabteufen im Ruhrgebiet Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1033

Gerstein auf Grund der ersten großen Wassereinbrüche gesagt nicht der Fall. Wir wollen durch die Kernenergienut- hätten „Die Lagerstätte taugt nichts", dann brauchten zung bei uns und in den Industrieländern erreichen, wir uns heute über das Ruhrgebiet und die Kohle daß beispielsweise das 01 für die Länder der Dritten überhaupt nicht zu unterhalten. Es ist typisch, daß Sie Welt, die damit gut umgehen könnten, wenn sie es ein Ereignis, das mit der Kernenergie und der Qualität denn bezahlen könnten, zur Verfügung steht und sie des Endlagers gar nicht im Zusammenhang steht, als so auf das Abholzen der Wälder verzichten können. willkommenen Anlaß benutzen, um Ihre Energien Zweitens. Die fossilen Energieträger tragen heute darauf zu konzentrieren, die Kernenergie abzuleh- über 80 % zur Weltenergieversorgung bei. Diese Vor- nen. räte sind — das wissen Sie alle — begrenzt. Ich betone Meine Damen und Herren, wir diskutieren ja nicht schon, daß auch die Kohlendioxidproblematik auf zum erstenmal hier in diesem Bundestag über die Dauer neue Beschränkungen für den Einsatz fossiler Frage der Kernenergie und darüber, ob sie zu verant- Energieträger notwendig machen kann. worten ist oder nicht. (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Zum letzten- Vizepräsident Frau Renger: Gestatten Sie eine Zwi- mal auch nicht!) schenfrage des Herrn Abgeordneten Hauff? Ich erinnere gerade die Vorredner aus der sozialde- mokratischen Fraktion an die großen Debatten, die wir hier in den 70er Jahren geführt haben. Wenn ich Gerstein (CDU/CSU) : Nein. Mit Rücksicht auf die mich recht erinnere, waren wir uns damals jedenfalls insgesamt vorgegebene Zeit möchte ich heute darauf wesentlich einiger über die Verantwortbarkeit der verzichten. Kernenergie, Der dritte Grund: Die Sicherheit unserer Mineral- (Dr. Hauff [SPD]: Kohlevorrang!) ölversorgung wird durch wachsende Spannungszu- stände — die Zwischenfälle im Persischen Golf sind obwohl Sie damals in der Regierung und wir in der dafür kennzeichnend — wieder stärker beeinträch- Opposition waren. tigt. In einer Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stif- Man muß eben fragen, ob nicht ein großer Teil Ihres tung wird sehr deutlich darauf hingewiesen, daß wei- veränderten Verhaltens auch aus Ihrer veränderten tere dramatische Ölpreisexplosionen wahrscheinlich Situation im Deutschen Bundestag abzuleiten ist. sind, und zwar um so wahrscheinlicher, als die Bemü- hungen um eine Marktstabilisierung — zu einer sol- (Dr. Hauff [SPD]: Kohlevorrangpolitik!) chen Marktstabilisierung hat die Nutzung von Kern- — Ich komme darauf noch, Herr Hauff. energie beigetragen — kurzfristig bleiben. Oder umgekehrt formuliert: Wenn es tatsächlich einen Aus- Mir kommt es aber darauf an, hier noch einmal fest- stieg aus der Kernenergie gäbe — und wenn er auch zuhalten, daß wir damals, wie ich glaube, fast alle nur in der Bundesrepublik stattfinden würde — , dann Sicherheitsaspekte sehr intensiv diskutiert haben. Ich wäre dieses Element der Marktstabilisierung des meine, daß gerade diese Diskussion damals ein ganz Weltenergiemarktes und auch des Mineralölmarktes wichtiger Beitrag dazu war, daß die Sicherheit unserer natürlich zerstört, und die Gefahren, die in dieser Stu- Kernkraftwerke im Gegensatz zu Tschernobyl so ist, die beschrieben werden, würden tatsächlich rele- daß wir uns heute darauf verlassen können. vant. Ich möchte in meinem Beitrag noch einige energie- Die vierte Begründung ist schon angesprochen wor- politische Fragen ansprechen, die wir gerade auch den: Wir sind der Auffassung, daß uns außer den durch die nach Tschernobyl verstärkt stattgefundene heute bekannten und genutzten Energieträgern in Diskussion heute noch deutlicher beantworten kön- den kommenden Jahrzehnten eben keine neuen nen. Im Gegensatz zu Ihrer Meinung, Herr Hauff, und Energieträger so zur Verfügung stehen, daß wir sie der Meinung Ihrer Fraktion zeigen nach unserer Auf- bereits jetzt als Ersatz für andere ernsthaft in Betracht fassung die Antworten auf diese Fragen, daß wir eben ziehen könnten. auf die Kernenergie nicht verzichten können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte in der Zusammenfassung noch einmal vier entscheidende Gründe — Sie haben ja auch vier Gerade nach Tschernobyl hat die nochmalige entscheidende Gründe für den Ausstieg genannt — Beschäftigung und die verstärkte Suche nach Alter- für den weiteren Einsatz der Kernenergie nennen. nativen zur Kernenergie diese Erkenntnis gesichert. Dabei mache ich darauf aufmerksam, daß wir für diese Ich verweise hier insbesondere auf die kürzlich Begründung in den Unterlagen, die in der Brundt- erfolgte Befragung von 60 Experten aus Wissenschaft land-Kommission zusammengestellt worden sind, und Wirtschaft durch das Forschungsministerium, die eine wertvolle Hilfe hatten. gerade diese Erkenntnis bekräftigt hat. Auch das Zitieren und Erwähnen von Herrn Bölkow mit seinen Erster Grund: Der Weltenergiebedarf steigt, weil sicherlich technisch sehr zukunftsweisenden Gedan- die Weltbevölkerung zunimmt. Der Energiebedarf der ken hilft hier nicht weiter, denn auch Herr Bölkow Länder der Dritten Welt muß endlich auf andere — wenn man es genau liest — denkt eben nicht in Weise als durch Waldvernichtung gedeckt werden. einem Jahrzehnt, sondern in Jahrzehnten, wenn nicht Der Weltwaldverlust hat bereits jetzt mit 60 ha je in mehreren Generationen. Minute ein erschreckendes Ausmaß erreicht. (Zuruf von der SPD: Aber er verweist auf die Ich weiß, daß hier der Einwand kommt: Ihr wollt Wasserstoffnutzung! — Dr. Laufs [CDU/ Kernkraftwerke in der Dritten Welt bauen. — Das ist CSU]: In 70 bis 90 Jahren schätzt er!) 1034 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Gerstein — Ja, das kann ja einmal sein, und niemand ver- wir politische Verantwortung mitgetragen und mitzu- schließt sich dem. Aber dies ist eine Aufgabe von tragen. Wir sagen: Jetzt muß in einem rechtlich geord- Generationen und ist überhaupt kein Anlaß, heute neten Verfahren der Rückwärtsgang eingeschaltet über den Ausstieg aus der Kernenergie zu beschlie- werden, und darum ist es notwendig, dieses Kern- ßen. energieabwicklungsgesetz zu machen. Der Grund- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) satz dabei ist: Das alte Atomgesetz hatte den Förder- Ein letztes Argument, das ich noch im Zusammen- zweck und stellte die Kernenergie über alles; hang mit anderen Energieträgern vortragen muß, (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!) bezieht sich auf die Behauptung, man könne die ver- jetzt bekommt das Atomgesetz den Auftrag, die Schä- sorgungssichere nationale Kernenergie beispiels- den der Vergangenheit zu beseitigen und den Über- weise durch Importkohle ersetzen, die in der Tat im gang in eine sichere Energieversorgung ohne Kern- Moment reichlich vorhanden ist. Da muß man natür- kraft zu gewährleisten. lich sehr vorsichtig sein. Wir müssen uns dagegen wehren, denn mit derselben Begründung, wenn es (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Förderzweck und denn stimmen würde, daß Importkohle langfristig Schutzzweck standen immer nebeneinan reichlich und preiswert zur Verfügung stehen würde, der!) könnte man auch auf den Versorgungsbeitrag deut- Das geht eben nur in bestimmten Zeithorizonten. Wir scher Steinkohle verzichten und statt dessen bei- sind in einer langen Zeit hineingegangen und werden spielsweise ferner Kernenergiestrom aus Frankreich auch nicht über Nacht hinausgehen. importieren. Beides wollen wir nicht. (Widerspruch bei den GRÜNEN) Aus alledem folgt, meine Damen und Herren, daß es — Wenn Sie z. B. in Hessen nicht unfähig gewesen eben nach wie vor nicht zu verantworten ist, aus der wären, auch Kompromisse zu machen, würde dort Kernenergie auszusteigen, und daß gerade Tscherno- jetzt nicht einer regieren, der Kernkraft in alle Ewig- byl dazu beigetragen hat, daß wir, weil wir alles noch keit will, sondern dann hätten wir eine reelle Chance, einmal untersucht und durchgeprüft haben, in dieser in einer bestimmten Zeit herauszukommen. unserer Auffassung bestätigt worden sind. (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei den Lassen Sie mich zum Schluß darauf hinweisen GRÜNEN) — ich bin Frau Wollny sehr dankbar, weil ich jetzt nicht mehr Frau Fuchs und Herrn Rau zitieren muß —, Das ist das Ergebnis der Politik der Fundamentalisten auf beiden Seiten! Sie wollen nicht kapieren, daß in daß Sie durch das Beharren auf diesem Kernenergie-- abwicklungsgesetz leider auch die Möglichkeiten, zu einem Rechtsstaat nicht das „fiat justitia, pereat mun- einem Grundkonsens in der Energiepolitik zurück- dus" -Prinzip, wie die Union und Sie es in gleicher zukommen, verschütten, einem Konsens, der inzwi- Weise wollen, gelten kann, sondern daß wir uns nach schen von einigen Ihrer wichtigen Freunde — es gibt den Möglichkeiten strecken müssen und daß die Aussagen in dieser Richtung von Rau und dem Vorsit- Nutzung der Kernkraft eben in einem rechtlich geord- zenden der IG Bergbau und Energie — angedeutet neten Verfahren beendet werden muß. — Bitte wird. Sie erschweren diese sehr schwierige parlamen- schön! tarische Arbeit außerordentlich. Ich will als letzten Satz sagen: Es wäre gut, wenn Vizepräsident Frau Renger: Der Herr Abgeordnete wir — wir werden das Gesetz zwar ablehnen, natür- Kleinert zu einer Zwischenfrage. lich, wegen der Gründe, die wir haben — bei den Beratungen vielleicht doch an der einen oder anderen (Marburg) (GRÜNE): Herr Kollege Stiegler, Stelle einen Weg suchen könnten, den Grundkonsens Kleinert sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Starr- unserer Energiepolitik, sowohl für die gesamte Volks- sinn des hessischen Ministerpräsidenten Holger Bör- wirtschaft nötig als auch für den Steinkohlebergbau ner und seiner engsten politischen Freunde die Ursa- nötig, in Kohle und Kernenergie wiederzufinden. che war, Vielleicht gibt es hier eine Chance. (Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist doch nicht Herzlichen Dank. richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und sind Sie weiterhin bereit, zur Kenntnis zu neh- men, daß dieser Starrsinn politisch in eindeutigem Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr Widerspruch zur Beschlußlage des hessischen Lan- Abgeordnete Stiegler. desverbandes der SPD wie der Bundes-SPD stand, was letzten Endes dazu geführt hat, daß das Bündnis in Hessen zerbrochen ist und daß in Konsequenz des- Stiegler (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und sen Herr Wallmann Ministerpräsident von Hessen Herren! Der letzte Beitrag hat etwas versöhnlich geworden ist? geendet und darauf hingezielt, daß man wieder einen Konsens sucht. Er bringt damit das Bemühen zum Ausdruck, nicht nur immer auf dem Justament-Stand- Stiegler (SPD): Ich bin nicht bereit, Ihre Legenden punkt zu beharren. zur Kenntnis zu nehmen, sondern weiß, daß Ihre Unfä- Zu unserem Kernenergieabwicklungsgesetz higkeit, in Hessen Politik zu machen, dazu geführt möchte ich zunächst klarmachen, daß wir Konsens hat, daß Sie, die Sie alles wollten, nichts bekommen insofern haben, als der Staat unsere Gesellschaft in haben. Das ist die Situation! die Atomwirtschaft hineingeführt hat. Da haben auch (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1035

Stiegler Das ist eben der Unterschied: Sie haben immer auf Sie haben sich geirrt, weil wir uns eben in der Ober- eine Art und Weise, die auf die Unkenntnis der Bevöl- pfalz nicht alles gefallen lassen. kerung zielt, Was haben Sie denn dort an Sozialverträglichkeit (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das glauben bewiesen? Schnüffeleien in allen Versammlungen, Sie doch selber nicht, Herr Stiegler!) ständig Polizei in Versammlungen; das Demonstra- so getan, als könnte ein Bundesland allein ausstei- tionsrecht muß ständig vor den Verwaltungsgerichten gen. erkämpft werden. Die bayerische Staatsregierung hat doch mehrfach erleben müssen, daß sie Grundrechte (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Sie glauben anderer, nämlich das Demonstrationsrecht, massiv sich selbst kein Wort!) gebrochen hat und erst über die Verwaltungsgerichte Wir sagen mit unserem Kernenergieabwicklungsge- wieder dazu gekommen ist, daß sie das anerkennen setz vor der Bundestagswahl und nach der Bundes- mußte. Was haben Sie geschafft? Daß Leute, die bis- tagswahl ganz deutlich: Der Schlüssel liegt in Bonn, her sozusagen als brav und harmlos galten, unter dem und wer in den Ländern sagt, die Länder allein könn- Druck der Atomlobby der bayerischen Staatsregie- ten etwas anders machen, der belügt die Bevölke- rung zu Mitteln gegriffen haben, die wir nicht billigen. rung. Aber verantwortlich für diese Entwicklung sind Sie, (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Das ist die Situation, und deshalb müssen Sie sich Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Verharmlo endlich einmal daran gewöhnen, daß in einem Rechts- ser!) staat mit bundesstaatlicher Verfassung in einem kor- die Sie die Wiederaufarbeitung durchpeitschen wol- rekten Verfahren die richtigen Stellen angesprochen len, obwohl Ihnen die Studie „Andere Entsorgungs- werden müssen. Sie dürfen den Bürgern nicht vorgau- techniken" vorliegt, die sagt, daß die direkte Endlage- keln, daß man in den Bundesländern etwas anders rung sicherer und billiger ist. Das steht dort in der machen könnte. Zusammenfassung wie im Volltext. Gleichwohl haben (Beifall bei der SPD — Kleinert [Marburg] Sie gedacht, Sie müßten mit dem Kopf durch die Wand [GRÜNE]: Und wieso wurde dann Steger und müßten der Oberpfälzer Bevölkerung dieses auf- angezeigt?) brummen. Frau Präsidentin, funktioniert die Maschine, die das Herr Abgeordneter, Ende der Redezeit anzeigt, wieder oder nicht? Muß Vizepräsident Frau Renger: lassen Sie eine Zwischenfrage zu? ich mich selber erkundigen? - Stiegler (SPD): Bitte schön. Vizepräsident Frau Renger: Sie läuft, und bei der Gelegenheit kann ich Ihnen mitteilen, daß wir minde- Vizepräsident Frau Renger: Herr Sellin, bitte. stens noch drei Stunden Beratungszeit haben. Sie haben noch fünf Minuten Redezeit. Sellin (GRÜNE): Stimmen Sie nach den schönen Schilderungen von Ihren Erlebnissen in der Oberpfalz mit mir überein, daß der Rechtsstaat durch das Stiegler (SPD): Fünf Minuten? Dann ist es ja gut. Es Gewaltmonopol des Staates auch ab und zu einmal hieß nämlich, der Apparat funktioniere nicht. okkupiert wird? Meine Damen und Herren, einen zweiten Punkt (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das diskutiert ihr möchte ich hier mit ansprechen: Es gab in der doch bei euch genug!) Enquete-Kommission Kernenergie Konsens darüber, daß Sozialverträglichkeit als oberster Grundsatz zu Stiegler (SPD): Ich habe zwar nicht verstanden, was beachten ist. Diesen Grundsatz hat die Union in der es heißt, daß der Rechtsstaat okkupiert wird. Der Sinn Enquete-Kommission Kernenergie mitgetragen. Die- dieses Satzes entgeht mir. Okkupation heißt besetzen, sen Konsens in Sachen Sozialverträglichkeit hat die aber ich verstehe das nicht. Wenn Sie mir das deutli- Union verlassen. Sie sollten nicht immer uns vorwer- cher machen können, dann will ich Ihnen gerne ant- fen, daß wir, was die Nutzung der Kernenergie worten. betrifft, klüger geworden sind, sondern sollten zuge- ben und sich vielleicht auch darauf zurückbesinnen, Sellin (GRÜNE): Ich kann es auch mit anderen Wor- daß auch Sie einmal gesagt haben: Die Nutzung der ten ausdrücken. Sinngemäß heißt das, daß der Rechts- Kernkraft kann nur dann statthaben, wenn sie sozial- staat durch die Ausübung der Polizeigewalt bei verträglich ist. Demonstrationen mißbraucht werden kann. Der Daß sie nicht sozialverträglich ist, das zeigt uns das Rechtsstaat wird in dem Moment okkupiert, in dem Stichwort Wiederaufarbeitung am Beispiel Wackers- das Gewaltmonopol des Staates eingesetzt wird, und dorf. Was hier entstanden ist — — zwar mißbräuchlich. (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Entstanden? Ihr Stiegler (SPD): Der Rechtsstaat besteht da rin, daß habt die Leute verrückt gemacht!) die Polizei nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit — Nicht wir haben die Leute verrückt gemacht, son- und der Verhältnismäßigkeit vorgeht. Wenn sie das dern Sie haben die Leute für dumm erklärt und nicht tut, handelt sie rechtsstaatswidrig und muß gesagt: Wenn ich es einem aufbrummen kann, dann durch die Ge richte korrigiert werden; das ist über- den Oberpfälzern. haupt keine Frage. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) 1036 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Stiegler Das, was die bayerische Staatsregierung gerade in haben sich gegen eine absolute Mehrheit der SPD mit Wackersdorf öfter demonstriert hat, ist ein klarer Ver- allen Konsequenzen stoß gegen das Rechtsstaatsprinzip, nämlich gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel, das (Dr. Vogel [SPD]: Und der CDU erst recht!) auch gerade bei Polizeieinsätzen immer wieder beachtet werden muß. und für eine Koalition, Herr Kollege Dr. Vogel, von (Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Das ist ja SPD und FDP ausgesprochen. Wir betreiben heute ungeheuerlich! — Ein ungeheuerlicher Vor- also eine ziemlich unfruchtbare Vergangenheitsbe- wurf!) wältigung. Wenn es ein Beispiel dafür gibt, daß Kernkraftnut- Ich kann Ihnen auch zusichern, daß es solche zung nicht sozial verträglich ist, dann sind es die Vor- unausgegorenen Gesetzentwürfe aus Hamburg in gänge in der grundsoliden Oberpfalz. Selbst der Zukunft unter Mitwirkung der FDP nicht mehr geben bayerische Ministerpräsident macht jetzt sogar ein wird. Argument daraus, eine Ausrede für sein Versagen in der Regionalpolitik. Wenn er gefragt wird: Wieso (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU) kommt denn nichts in die Oberpfalz?, dann sagt er: Ja, da sind die revolutionären Oberpfälzer, und da gehen Auch aus Nordrhein-Westfalen hört man ja, daß die Unternehmer lieber zu den braven Niederbay- sich die dort regierenden Sozialdemokraten nicht ern. mehr länger zum Musterländle des Nürnberger Pro- Wenn ich sozusagen noch einen Kronzeugen brau- gramms der SPD machen lassen wollen. che, daß diese Kernkraftpolitik nicht sozialverträg- lich ist, dann habe ich da einen in der Staatskanzlei (Huonker [SPD]: Was heißt denn Ländle! — sitzen und muß also feststellen, daß selbst der es Dr. Vogel [SPD]: Hamburg als Ländle?) inzwischen zumindest als Ausrede gebraucht — ich glaub ja nicht, daß er ernsthaft daran glaubt — , daß — Nein, ich spreche gerade von Nordrhein-Westfalen, die Auseinandersetzung um die Wiederaufarbei- Herr Kollege Dr. Vogel. — Die Umsetzung der SPD- tungsanlage den sozialen Frieden gewaltig stört. Da Beschlüsse wird zu teuer und ist, wie wir von Frau sind Störer nicht die, die ihr Demonstationsrecht die Tage erfahren haben, ökonomisch wahrnehmen, sondern diejenigen, die ohne Not einer überhaupt auch sehr fragwürdig. Ich begrüße es sehr, Region diese Anlage überstülpen wollen. daß in der SPD eine Bewegung aufkommt, diese Dinge zu überdenken. Das halte ich für vernünftig. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Das ist realistisch. Das eröffnet Ihnen eine Perspektive Wenn unser Gesetzentwurf eine Mehrheit be- für die Zukunft. kommt, hat die Endlagerung Vorrang vor der Wieder- aufarbeitung. Die Kernkraftwirtschaft wartet auf die- Ich glaube, daß sich in Nordrhein-Westfalen die ses Signal. Wenn sie aus dem Zwang zur Wiederauf- Gesinnung hinsichtlich der Kernenergie bald ändern arbeitung aussteigen könnte, täte sie es lieber heute wird. Die weitere Genehmigung des Betriebs des als morgen. So ist die Situation. Thorium-Hochtemperaturreaktors in Hamm-Uentrop (Zustimmung bei der SPD) durch Herrn Jochimsen bis zum Jahre 1991 deutet auch in diese Richtung. Ich finde, so falsch waren die Lassen Sie uns bei den Beratungen darüber reden, Vorhaltungen auch nicht, die Frau Kollegin Wollny damit zumindest dieser Vorrang der Wiederaufarbei- Ihnen, Herr Hauff, eben gemacht hat. tung rückgängig gemacht wird, d. h. die Verschwen- dung von Milliarden an Mitteln gestoppt wird. Pro Ich begrüße diese Entwicklung also; denn die totale Kilowattstunde werden 2 Pfennige eingesammelt. Blockade des Landes Nordrhein-Westfalen hat der Stellen Sie sich vor, wir verwendeten dieses Geld für Wirtschaft des Bundeslandes, aus dem ich komme, eine alternative Energieversorgung ohne Atomkraft. nicht genützt. Sie hat ihr vielmehr geschadet. Wir ste- Das wäre die Grundlage für einen neuen Konsens. Da hen jetzt vor dem Scherbenhaufen einer jahrelangen sind vor allem auch die Liberalen gefordert, nicht nur verfehlten Strukturpolitik im Ruhrgebiet. Angesichts auf Parteitagen vor Bundestagswahlen bunte Luftbal- der Finanzlage des Landes Nordrhein-Westfalen kann lons aufsteigen zu lassen, sondern auch hier zu han- das ja wohl nur heißen, daß der Bund die Scherben deln. jetzt aufsammeln soll. Wir werden uns sehr gut über- Vielen Dank. legen, wie das zu geschehen hat. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Ich hoffe, was diesen Antrag anbetrifft, daß dem- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Abge- nächst auch wieder in Hamburg die Vernunft stärker ordnete Beckmann. mitregiert. Der geplante Ausstieg aus den Kernkraft- kapazitäten der HEW z. B. findet ja selbst bei den Beckmann (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr ver- Arbeitnehmern dieses Energieunternehmens keinen ehrten Damen und Herren! Eigentlich haben wir die Beifall. Sie sollten sich gerade als Sozialdemokraten, politische Situation, in der der vorliegende Gesetzent- meine ich, endlich mehr auf die Interessen der Arbeit- wurf der Freien und Hansestadt Hamburg entstanden nehmer zurückbesinnen und nicht ständig Ihren ideo- ist, längst überwunden. Der Wahlkampf ist vorbei. In logischen Vorreitern und den GRÜNEN hinterherlau- Hamburg ist gewählt worden. Die Hamburger Wähler fen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1037

Beckmann Die FDP hat in Sachen Kernenergie und Sicher- sehr aufgeschlossen zeigen. Ich erinnere nur an den heitsdiskussion absolut keinen Nachholbedarf. ersten bundesdeutschen Windenergiepark im Kreis Dithmarschen, wo mit 30 Windmühlen alternative (Roth [SPD]: Können Sie Ihre Rede nicht neu Stromerzeugung demonstriert und erforscht wird, und schreiben? Sie tragen doch die vom letzten an andere Beispiele mehr. Herbst vor!) Auch bei den Einspeisungsbedingungen für fremd- — Herr Kollege Roth, das unterscheidet uns von erzeugten Strom haben jetzt die EVU die Zeichen der Ihnen: Natürlich trage ich unsere Konzeption in einem Zeit, wie ich glaube, allmählich erkannt. Hier könnte ähnlichen Gedankengang wie schon im vorigen Jahr jedoch noch etwas mehr geschehen; das will ich nicht vor, weil wir bei unserer Meinung geblieben sind. Sie verhehlen. hingegen ändern ständig Ihre Position in der Energie- politik. Wir Freien Demokraten sind davon überzeugt, daß (Beifall bei der FDP) deutsche Kernkraftwerke sicher arbeiten. Wir haben durch die jahrelange öffentliche Diskussion in unse- Wir haben uns schon 1977 in Kiel und auf allen fol- rem Land die Sensibilität der Genehmigungsbehör- genden Bundesparteitagen mit der friedlichen Nut- den, der technischen Überwachungsorgane und nicht zung der Kernenergie beschäftigt und diese an sehr zuletzt der Errichterfirmen und auch der Betreiber so strenge Bedingungen geknüpft. Ich will sie noch ein- sehr erhöht, daß ein Unfall wie in Tschernobyl in mal nennen: erstens hohe Sicherheitsstandards, die Deutschland mit Recht als ausgeschlossen gilt. Ver- immer wieder überprüft werden müssen; zweitens gessen wir nicht, welche Schwierigkeiten der sowjeti- wirksame Entsorgungsvorsorge; drittens internatio- sche Generalsekretär Gorbatschow intern mit der nale Kooperation — daß wir damit richtig liegen, zei- Durchsetzung seines Kurses in der Wirtschaftspolitik gen ja jetzt die Schritte, die in Richtung Sowjetunion hat, welche Schwierigkeiten sich ihm mit Filz, unternommen werden, und die Abmachungen, die in Schlamperei und Verantwortungslosigkeit in der diesem Zusammenhang getroffen werden sollen —; sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung viertens Katastrophenschutz und fünftens sparsame entgegenstellen! Die Sowjetunion wird noch Jahre und rationelle Energieverwendung. Mit diesen Bedin- brauchen, bis sie intern zu geordneten Bedingungen gungen war eine Verlängerung der Genehmigungs- gefunden hat. Wir können dagegen darauf vertrauen, und Bauzeiten und auch eine Verteuerung der Anla- daß in unserer Wirtschaftsordnung, in der Leistung gen verbunden, für die wir, die Freien Demokraten, und auch Verantwortung groß geschrieben werden, damals oft auch von sozialdemokratischer Seite kriti- solche Schlampereien wie in Tschernobyl nicht vor- siert worden sind. kommen. Meine Damen und Herren, die FDP hat sich nicht In diesem Sinne kann der SPD-Antrag für uns nicht wie die SPD auf einen Termin in zehn Jahren in Frage kommen. Wir werden dies bei den Beratun- gen in den Bundestagsausschüssen deutlich zum Aus- (Dr. Rumpf [FDP]: Neun Jahre!) druck bringen. — jetzt sind es nur noch neun Jahre — für das Vielen Dank. Abschalten der Reaktoren festgelegt, der doch von vornherein als unrealistisch gelten muß. Wir haben (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) aber beschlossen, so lange an der f riedlichen Nutzung der Kernenergie festzuhalten, wie diese nicht durch Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Abge- andere, umweltfreundlichere Energiegewinnungsfor- ordnete Fellner. men ersetzt werden kann. Dabei stellen wir auch einige Forderungen an die Fellner (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr Politik in den Vordergrund: verehrten Damen und Herren! Wegen der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Redezeit wi ll ich das, Erstens: Energie so sparsam und rationell wie mög- was ich zu dem Gesetzentwurf der SPD zu sagen lich nutzen, damit auch der Zuwachs beim Stromver- habe, in aller Kürze wie folgt auf den Punkt bringen: brauch verringert wird. Kollege Schäfer, wer aussteigen will, der muß nach- Zweitens: die Stromtarifgestaltung so vorzuneh- weisen, daß er dort, wohin er steigt, festen Boden men, daß Anreize zum Stromsparen gesetzt werden. unter den Füßen hat. Das ist der Mangel, an dem Ihr Ausstiegsgesetz auch bei wohlwollender Betrachtung Drittens: das Einsparen und Durchleiten von elek- inhaltlich unheilbar leidet. Darum sind wir der Mei- trischer Energie zu erleichtern, damit indust rielle nung, daß Ihre Vorstellungen nichts taugen. Eigenerzeugung und auch der privat erzeugte Strom Herr Schäfer, Sie haben da heute auch keine wei- genutzt werden können. tere Klarheit schaffen können. Sie haben eigentlich Viertens: die Nutzung aller umweltfreundlich und den Ungereimtheiten nur eine weitere sehr interes- wirtschaftlich erzeugbaren Energie aus regenerativen sante Ungereimtheit hinzugefügt, indem Sie die Quellen. Suche nach alternativen Endlagerstätten ins Gespräch gebracht haben. Ich habe gesehen, wie der Fünftens: die weitere Erforschung und Förderung Kollege Stiegler, der auf dem Oberpfälzer Granit auf- von Solar- und Wasserstoff- und Fusionsenergie. gewachsen ist, doch etwas schmerzhaft das Gesicht Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, an verzogen hat. Er ahnt es nämlich, daß er, nachdem er dieser Stelle muß auch einmal ein positives Wort über schon in Wackersdorf etwas Reizgas in die Augen die Anstrengungen der Elektrizitätsunternehmen bekommen hat, demnächst noch von einem Bohrloch gesagt werden, die sich auf diesem Feld in letzter Zeit abgeschleppt werden muß. Sie sollten also mit der 1038 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Fellner Stiftung weiterer Verwirrung über Endlagerstätten Fellner (CDU/CSU): Der Kollege Schäfer hat nur in vorsichtig sein. Ausnahmefällen Zwischenfragen gestattet. (Weiss [München] [GRÜNE]: Aber Sie haben doch auch keine!) Vizepräsident Frau Renger: Aber hier ist es der Kol- Ich möchte in allem Ernst auch ein paar Sätze zu lege Weiss. dem sagen, was der Kollege Stiegler dargestellt hat: wir hätten den Konsens in der Kernenergiepolitik verlassen. Wie die Realität ist, weiß wohl jeder. Die Fellner (CDU/CSU): Ich sehe leider keine Ausnah- SPD hat den Konsens verlassen, indem sie alles, was meerscheinung. man früher hier gemeinsam getragen hat, in Frage (Heiterkeit bei der CDU/CSU) gestellt und sich aus opportunistischen Gründen abgeseilt hat und von all dem nichts mehr wissen will. Ich möchte wegen der Kürze der Zeit meine Position Sie hat dann nicht nur gesagt, man sei anderer Mei- hier vortragen. nung, sondern hat weiter unsere Meinung verteufelt (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Sie sind eine und speziell in der Oberpfalz die Wiederaufarbei- Ausnahmeerscheinung!) tungsanlage als ein Teufelswerk hingestellt. Auch bei der Suche nach alternativen Energiequel- Deshalb liegt es wahrlich in der Verantwortung der len werden trotz des Einsatzes von noch so vielen SPD, wenn in der Oberpfalz derzeit Verwirrung finanziellen Mitteln in nächster Zeit wenig Fort- herrscht, wenn Besorgnis und auch Enttäuschung schritte gemacht werden. Ich selber setze beispiels- herrschen. Ich muß wirklich sagen, Sie haben das zu weise durchaus auf die Nutzung von Biomasse. Ich bin verantworten. aber der Überzeugung, daß wir damit bestenfalls Sie haben zugleich auch die GRÜNEN salonfähig agrarpolitische Probleme lösen können, was für die gemacht. Das müssen Sie selber jetzt bei den Wahler- Landwirtschaft durchaus gut ist, was aber anderer- gebnissen ausbaden. Es gibt viele, die sagen, wenn seits nur einen sehr geringen Beitrag zur Energiever- das alles richtig ist, dann können wir ja gleich DIE sorgung leisten kann, so daß auch unter diesem GRÜNEN wählen. Ich hoffe, daß Sie daraus auch ler- Gesichtspunkt Ihr Weg in den Ausstieg nicht vernünf- nen. tig erscheint. Meine Damen und Herren, wer sich nach allerlei Dann bleibt das, was DIE GRÜNEN vorrangig tun Denkpausen wieder aufrafft, rational zu denken, muß - und was auch die SPD zum Teil vorschlägt, nämlich ein Zurück zu mehr sich in Klarheit und Eindringlichkeit einige Grundtat- fossilen Energieträgern. Ich halte sachen unserer heutigen Energiesituation, aber auch das gerade nach den Erkenntnissen, die wir immer der künftigen Möglichkeiten vor Augen halten, die mehr gewinnen, für unverantwortlich, weil unsere ich kurz darstellen möchte. Umwelt, die Luft und die Atmosphäre, zunehmend vergiftet und wertvolle Ressourcen verschwendet Ich bin der Meinung, jetzt und in absehbarer Zeit werden. gibt es keine Energiequelle, die den Beitrag der Kern- (Weiss [München] [GRÜNE]: Nehmen Sie energie zur Energieversorgung ablösen könnte. Wer doch einmal sinnvolle Konzepte, die wir erar von Übergangsenergie spricht, mag damit subjektiv beitet haben, zur Kenntnis!) zum Ausdruck bringen, daß er bereit ist, auch eine andere Energie zu nutzen. Wohin der Übergang aber An dieser Stelle möchte ich gerade zu dem Verhal- gehen soll, das kann ehrlicherweise wohl keiner ten der GRÜNEN eines sagen. Ich bin der Meinung, sagen. daß ein beschleunigtes Verprassen von fossiler Ener- gie, beispielsweise von Kohle, ein äußerst unmorali- Ich möchte weiter feststellen: Die Möglichkeiten sches und unverantwortbares Vorgehen ist. DIE GRÜ- weiterer Energieeinsparung sind begrenzt. Ich NEN verweigern sich neuer Technik aus purer meine, im Bereich der elektrischen Energie sind allen- Bequemlichkeit. falls Einsparungen von 5 % möglich. (Zuruf von den GRÜNEN: Ist nicht wahr! (Widerspruch bei den GRÜNEN) Unsinn!) Additive Energien wie Windkraft, Biogas und Solar- Andererseits verprassen Sie unverantwortlich das, energie können bis zur Jahrtausendwende allenfalls was in Jahrmillionen gewachsen ist, worauf künftige wenige Prozent des gesamten Energiebedarfs dek- Generationen, worauf eine zehnte Generation nach ken. Von den alternativen Energien bieten sich für uns noch angewiesen sein wird. Das verprassen sie, einen im nächsten Jahrhundert anstehenden Ersatz ohne sagen zu können, was dann ist. Wer Energiepo- der Kernenergie aus heutiger wissenschaftlicher Sicht litik so betreibt, der handelt äußerst unverantwortlich nur zwei Möglichkeiten an, die Kernfusion und die und unmoralisch. Wasserstofftechnik auf der Basis der Solarenergie. Beide Alternativen werden erst im nächsten Jahrtau- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — send zur Verfügung stehen. Widerspruch bei den GRÜNEN) Und wenn der von uns befürchtete Treibhauseffekt durch mehr CO2 in der Atmosphäre, das bei der Ver- brennung entsteht, hinsichtlich seiner Gefährlichkeit Vizepräsident Frau Renger: Herr Kollege, gestatten jetzt erstaunlicherweise so geringgeschätzt wird, Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten dann kann ich als Bayer in aller Gelassenheit nur Weiss? sagen: Wenn die Wasserspiegel der Weltmeere Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1039

Fellner ansteigen, dann ist das nicht vorrangig ein bayeri- Zu Tagesordnungspunkt 13 a schlägt der Ältesten- sches Problem. rat Überweisung der Vorlage an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vor. (Lachen und Zurufe von den GRÜNEN und der SPD — Lenzer [CDU/CSU]: Ihr zieht (Dr. Bötsch [CDU/CSU] : Mit Bedenken!) euch in die Alpenfestung zurück!) Gibt es dazu Bemerkungen? — Das ist nicht der Fall. Wenn's die Leute in der Norddeutschen Tiefebene Dann sind Sie damit einverstanden, und es ist so nicht stört, mich stört es schon gar nicht. beschlossen. Zusammenfassend, meine Kolleginnen und Kolle- Meine Damen und Herren, wir nehmen nunmehr gen, möchte ich auf die möglicherweise zentrale die vor der Mittagspause unterbrochene Beratung zu Frage, ob wir nach Tschernobyl an der Nutzung der Tagesordnungspunkt 4 wieder auf. Der Ältestenrat Kernenergie weiter festhalten können, die meines schlägt Überweisung des Antrags des Bundesmini- Erachtens einzig ehrliche Antwort geben und sagen: sters der Finanzen zur Veräußerung eines bundesei- Es gibt zur Zeit keine Alternative zur Kernenergie, genen Grundstücks an den Haushaltsausschuß vor. und ich meine die Kernenergie mit allen Komponen- Gibt es Widerspruch dagegen? — Das ist nicht der ten des Kernenergiekreislaufs. Denn wer sie betreibt, Fall. Dann ist so beschlossen. muß sich natürlich auch um die Entsorgung küm- Dann gibt es dazu noch einen zusätzlichen Über- mern weisungsantrag. Die Fraktion DIE GRÜNEN hatte vor (Weiss [München] [GRÜNE]: Und wo haben der Mittagspause beantragt, die Vorlage zusätzlich Sie das Endlager?) zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, und auch bei der Entsorgung Lösungen suchen, die Bauwesen und Städtebau zu überweisen. Wer stimmt verantwortbar und vertretbar sind, und eine Lösung diesem Antrag auf zusätzliche Befassung zu? — bringen. Gegenprobe! — Einverstanden. Großer Sieg, Herr Kleinert. (Weiss [München] [GRÜNE]: Sie dürfen den Müll eben vorher nicht produzieren, wenn Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf: die Entsorgung nicht sichergestellt ist!) a) Beratung der Sammelübersicht 10 des Peti- Und wenn ich sage, wir halten an der Kernenergie tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge fest, dann meine ich auch, daß wir an Kalkar festhal- zu Petitionen ten. — Drucksache 11/323 — (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Vorsicht! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜ- b) Beratung der Sammelübersicht 11 des Peti- NEN) tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen — An Kalkar. — Drucksache 11/324 — Natürlich kann man aussteigen, Herr Kollege Schä- fer. Aber ein Ausstieg aus der Kernenergie wäre mit Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. größten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen, aber Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschluß- auch politischen Risiken verbunden empfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen (Weiss [München] [GRÜNE]: Bringt aber wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — eine Menge ökologischer Vorteile! — Wei- Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthal- tere Zurufe von den GRÜNEN und der tungen ist das angenommen. SPD) Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: und hätte einen so hohen Preis, a) Beratung der Beschlußfassung des Haushalts- (Anhaltende Zurufe von den GRÜNEN und ausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrich- der SPD) tung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 den kein Mensch — auch Sie nicht, die Sie alle jetzt so Titel 642 01 — Wohngeld nach dem Wohngeld- schreien — bezahlen würde. Deswegen meine ich, gesetz — im Haushaltsjahr 1986 daß wir ehrlich sein und niemandem vormachen soll- — Drucksachen 10/6821, 11/329 — ten, daß auf absehbare Zeit etwas anderes als die Kernenergie für unsere Energieversorgung zur Verfü- Berichterstatter: gung steht. Abgeordnete Nehm Dr. Schroeder (Freiburg) (Erneute Zurufe von den GRÜNEN) Frau Rust Ich bedanke mich fürs Zuhören. b) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 27 02 Titel 642 21 (Kosten aufgrund des Gesund- heitsabkommens mit der DDR und Förderung Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Her- ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich des Besuchsreiseverkehrs) schließe die Aussprache. — Drucksachen 10/6766, 11/330 — 1040 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Vizepräsident Frau Renger Berichterstatter: Berichterstatter: Abgeordnete Nehm Abgeordnete Kühbacher Hoppe Hoppe Dr. Lorenz Deres Frau Vennegerts Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. c) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- Wir kommen zur Abstimmung. haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Getrennt!) Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 — Wir stimmen zunächst über die Tagesordnungs- Titel 893 01 — Prämien nach dem Wohnungs- punkte 6 a bis 6 d ab. Der Haushaltsausschuß emp- bauprämiengesetz — im Haushaltsjahr 1986 fiehlt, von den Unterrichtungen Kenntnis zu nehmen. Wer diesen Beschlußempfehlungen zuzustimmen — Drucksachen 10/6774, 11/331 — wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Berichterstatter: Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen. Abgeordnete Nehm Damit hat der Bundestag von den Unterrichtungen Dr. Schroeder (Freiburg) Kenntnis genommen. Frau Rust Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die d) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- unter den Tagesordnungspunkten 6 e bis g. Wer richtung durch die Bundesregierung stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Bei Gegenstimmen angenommen. Der Ausschuß Titel 656 04 — Zuschüsse zu den Beiträgen zur empfiehlt, von den Unterrichtungen Kenntnis zu neh- Rentenversicherung der in Werkstätten be- men. Dies ist hiermit geschehen. schäftigten Behinderten Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 und den — Drucksachen 10/6767, 11/332 — Zusatztagesordnungspunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Berichterstatter: Abgeordnete Sieler (Amberg) Enquete-Kommission „Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung" Hoppe Strube — Drucksache 11/310 — Frau Rust Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜ- e) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- NEN haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- Enquete-Kommission „Strukturreform des richtung durch die Bundesregierung Gesundheitswesens" Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr — Drucksache 11/414 — 1986 bei Kapitel 14 12 Titel 632 01 — Erstattun- Im Altestenrat ist für die Beratung ein Redebeitrag gen von Verwaltungsausgaben an die Länder bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart wor- — Drucksachen 10/6778, 11/333 — den. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Berichterstatter: Abgeordnete Dr. F riedmann Meine Damen und Herren, dann eröffne ich die Kühbacher Aussprache. Hoppe Das Wort hat der Abgeordnete Egert. Bitte schön. f) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung Egert (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr Herren! Angesichts des kostbaren Zeitbudgets von 1986 bei Kapitel 08 07 Titel 632 01 — Verwal- fünf Minuten möchte ich noch zehn Sekunden haben, tungskostenerstattung an Länder um auf einen Druckfehler hinzuweisen; dies ist die einleitende Bemerkung zur der Debatte. In dem — Drucksachen 10/6777, 11/334 — Antrag auf Drucksache 11/310 muß es auf Seite 2 Berichterstatter: unter III nämlich heißen: „Unter Berücksichtigung der Abgeordnete Roth (Gießen) Ergebnisse der in II.1. bis 11.9. festgelegten Aufgaben" Hoppe und nicht „11.8.". Das ist einfach logisch. Dies müssen Frau Simonis wir vorweg regeln. Wenn das nämlich nicht korrigiert wird, haben wir hinterher einen inkorrekten Beschluß g) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- gefaßt. haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- Zur Sache selbst darf ich in der Kürze der Zeit ein richtung durch die Bundesregierung paar Bemerkungen machen, was ein bißchen proble- Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 08 matisch ist, weil wir hier bei der Enquete-Kommission Titel 531 22 — Unterrichtung der Öffentlichkeit zur Strukturreform in der Krankenversicherung über über die Aufgaben der einmaligen Erhebun- ein Budget von 120 Milliarden DM reden. 120 Milliar- gen den DM zu fünf Minuten Redebeitrag über diese — Drucksachen 11/30, 11/335 — Enquete-Kommission, das ist eine Relation, die dem, Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1041

Egert was wir dort an Geld ausgeben, was wir dafür an Lei- ser Legislaturperiode eine Strukturrefrom im Gesund- stung bekommen, nicht angemessen ist. heitswesen zustande bringen, aber wir wollen keine schlagseitige Verwerfung, die die Anbieter der Einer der Gründe, warum wir meinen, daß wir eine Gesundheitsleistungen aus der Überlegung heraus Enquete-Kommission zur Strukturrefom in der gesetz- läßt und einseitig und schlagseitig die Versicherten lichen Krankenversicherung einsetzen sollten, hat und Beitragszahler belastet. Darüber müssen wir damit zu tun, daß wir damit rechnen müssen, daß hin- dann schon miteinander reden. ter verschlossenen Türen in Koalitionsgesprächen nicht ausreichend über die Bedürfnisse der Menschen (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh in diesem Gesundheitswesen geredet werden wird, [GRÜNE]) sondern daß der parteitaktische Kompromiß die Dann haben wir es noch mit der Besonderheit des Strukturreform sozusagen stückweit auf dem Wege verehrungswürdigen Leiters der Abteilung Kranken- verliert. Wenn wir dies öffnen und in einer Enquete- versicherung beim Bundesarbeitsminister zu tun. Kommission darüber reden, haben wir vielleicht eine bessere Chance, die gemeinsame Absicht, zur Struk- (Seehofer [CDU/CSU]: Der ist sehr gut!) turreform im Gesundheitswesen zu kommen, in die — Der ist sehr gut, den schätze ich auch; der war Tat umsetzen, als wenn wir uns darauf verlassen müs- schon in der Abteilung tätig, als ich noch Staatssekre- sen, daß das hinter verschlossenen Türen passiert. tär war. Ich schätze dessen Durchsetzungsvermögen. Wenn der mit den Fragen der Strukturrefom im Nun habe ich in den letzten Tagen eine Menge Gesundheitswesen und mit uns zusammen ganz allein darüber gehört, warum das alles eine Verzögerung bliebe, dann, meine ich, würden wir uns vergleichen sein soll. Dies ist ja nun das Pferd beim Schwanz auf- können. zäumen. Wir hatten in der letzten Legislaturperiode (Beifall bei der SPD) Zeit, Strukturreform durch gesetzgeberische Aktivitä- ten der Bundesregierung voranzubringen, vier Jahre Der hat die Funktion des Minenhundes: der läuft Zeit. Die vier Jahre sind nicht genutzt worden. Nun durch das Gelände zu einer Veranstaltung, nennt dort kommen wir und sagen: Wir wollen, um einen ordent- 10 Punkte, dann geht er zur nächsten Veranstaltung lichen Versuch zur Strukturreform zu wagen, die — ich habe jetzt gerade wieder ein neues Modell Enquete-Kommission einsetzen. Nun sind wir die Ver- gekriegt — mit anderen 10 Punkten, und ich denke, zögerer. da könnte etwas sein, wo wir in die merkwürdige Rolle kommen, der Regierung zu helfen, wenn sie es Was mich besonders mißtrauisch macht, ist, daß auf denn mit einer Strukturreform ernst meint, notfalls der einen Seite die Interessenvertreter im Gesund- sogar gegen die sie unterstützende Fraktion. Dazu heitswesen jetzt plötzlich anfangen, Krokodilstränen wären wir bereit, und deswegen bitten wir, daß wir zu weinen und zu sagen: Es wird ja nun acht Jahre möglichst zügig die Enquete-Kommission zur Struk- dauern, bis wir zu den notwendigen strukturellen turreform in der Krankenversicherung einsetzen. Konsequenzen kommen. Wenn die Ärzteschaft, die Pharmaindustrie, die Zahnärzte bis nach Bonn hinein Ich denke, daß die Interessenvertreter im Gesund- unisono uns mit Sorge begleiten, dann werde ich miß- heitswesen aus unserem Beitrag verstehen sollten, trauisch. So merkwürdig bin ich gestrickt. Ich glaube daß wir uns nicht als ein Verschiebebahnhof in ihrem nicht an diese ehrliche Sorge. Interesse mißbrauchen lassen. (Beifall bei der SPD) Nun ist der zweite Punkt, daß die Regierungsfrak- tionen sagen: Wir sind aber doch willens, uns mög- Dies wollen wir nicht, dies werden wir nicht unterstüt- lichst schnell zu einigen. Das verstehe ich. Was uns zen. Wir wollen in der Enquete-Kommission seriös eint, ist die Grundabsicht, zu einer wirksamen Struk- und sorgfältig mit dem Problem im Gesundheitswesen turreform zu kommen. Unser Zweifel ist nur — und tatsächlich strukturell und nicht nur kurzatmig das machen die Vorankündigungen deutlich — , daß kostendämpfend zügig fertig werden. Deswegen bit- das eine schlagseitige Strukturreform wird. Wenn ich ten wir, unseren Antrag auf Einsetzung der Enquete- auf einem Podium sitze und von dem Vertreter der Kommission zu unterstützen. CSU, Dr. Faltlhauser, höre: Ach, wissen Sie, das mit Ich bedanke mich für Ihre Geduld und hoffe auf Ihre der Strukturreform, Herr Egert, ist nicht ganz so ernst Unterstützung. gemeint, wir wollen kostendämpfende Strukturele- mente verändern; dann ist dies eine Verkürzung, zu (Beifall bei der SPD) der ich sage: Was sind denn dann diese kostendämp- fenden Strukturelemente, die verändert werden sol- len? Dann höre ich, daß Herr Dr. Thomae von der FDP, Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr ganz frisch im Parlament und ganz kräftig sagt, die Abgeordnete Seehofer. Versicherten sollen mit maximal 500 DM — zwischen 300 und 500 DM, da ist der Beliebigkeit keine Grenze gesetzt — über Selbstbeteiligung zur Kasse gebeten Seehofer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr werden, so daß sozusagen der dreizehnte Kranken-- verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Egert, versicherungsmonatsbeitrag eingeführt wird, und wenn Sie heute Klage darüber führen, daß wir ange- zwar nicht für die Gesunden, sondern für die Kranken, sichts von 120 Milliarden DM Kosten in der gesetzli- was besonderen Charme hat. Das ist dann eine zweite chen Krankenversicherung hier nur fünf Minuten dis- Ankündigung. Dazwischen ist die CDU, die sagt: Wir kutieren, dann möchte ich Ihnen sagen: Wir diskutie- wollen den Zeitplan einhalten. Ich sage: Gut, den ren heute nicht über diese 120 Milliarden DM, son- Zeitplan wollen wir auch einhalten. Wir wollen in die- dern über die Qualität Ihres Antrages, und da sind 1042 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Seehofer eigentlich fünf Minuten noch viel zuviel, lieber Herr Vor wenigen Tagen hat diese Kommission, die die Kollege Egert. Koalition gebildet hat, damit begonnen, die Reform im Detail vorzubereiten. (Beifall bei der CDU/CSU — Egert [SPD]: Das ist doch wirklich zu billig, Herr Seeho- (Egert [SPD]: Gestern abend!) fer!) In der Regierungserklärung steht ganz klar, daß wir Herr Kollege Egert, wie ist denn die Sachlage? Wir bis Ende dieses Jahres den Entwurf des Reformgeset- diskutieren jetzt seit mehr als 10 Jahren über unser zes vorlegen werden Gesundheitswesen unter den Stichworten Kosten- (Egert [SPD]: Reformgesetz?) dämpfung, Kostenexplosion. Die jüngsten Alarmsi- gnale gab es Anfang dieses Jahres: Da haben die mei- und daß dieses Gesetz zum 1. Januar 1989 in Kraft sten Krankenkassen in der Bundesrepublik Deutsch- treten wird. Die Koalition, Herr Kollege Egert, wird land ihre Beiträge wieder erhöht. sich in diesen Zeitvorstellungen durch kein Störma- növer der Opposition beirren lassen. (Egert [SPD]: Eben!) (Kirschner [SPD]: Das hat mit Störmanöver Das ist deshalb ein Alarmsignal, weil bei einigen nichts zu tun!) Krankenkassen mittlerweile der Schwellenwert von 15 % durchstoßen ist. Diese Enquete-Kommission, die Sie jetzt beantra- gen, soll nach ihrer Aufgabenstellung — und über die (Egert [SPD]: Vier Jahre Versäumnisse Ihrer haben Sie eigentlich überhaupt nichts gesagt — in Regierung! Vier Jahre Nichtstun! Appelle!) erster Linie das Krankenversicherungssystem analy- Die Tendenz ist weiterhin steigend, wie Sie wissen. sieren und die Schwächen und Mängel aufzeigen. Auch im ersten Quartal 1987 sind die Ausgaben in der (Frau Traupe [SPD]: Um diese Abendzeit gesetzlichen Krankenversicherung wesentlich stär- macht man keine Polemik! Da macht man ker gestiegen als die Grundlöhne. Sache!) Lieber Herr Kollege Egert, jetzt kann doch nicht der Ein solches Gremium brauchen wir zur Vorbereitung geringste Zweifel daran bestehen, daß bei dieser der Strukturreform nicht mehr. Wir haben in den letz- Sachlage eine Reform des Gesundheitswesens die ten Jahren kaum einen anderen gesellschaftspoliti- vordringlichste Aufgabe ist, schen Bereich so durchleuchtet wie das Gesundheits- wesen. (Egert [SPD]: Richtig!) (Lachen des Abg. Egert [SPD]) und entscheidend ist, daß wir rasch handeln, Es gibt serienweise Gutachten, Stellungnahmen, Vor- (Egert [SPD]: Entscheidend ist, daß wir seriös schläge. handeln!) Sie wissen, daß seit 1977 die Konzertierte Aktion weil wir sonst als Gesetzgeber den Wettlauf mit den tagt, und zwar zweimal jährlich. Sie hat im März die- steigenden Beiträgen nicht gewinnen. ses Jahres ihre zwanzigste Sitzung abgehalten. Die Erkenntnisse kann man nachlesen. Sie wissen, daß im (Egert [SPD]: Das ist kurzatmig!) Frühjahr dieses Jahres die Sachverständigenkommis- Wenn Sie uns jetzt vorhalten, wir hätten vier Jahre sion für die Konzertierte Aktion ein erstes Gutachten nicht gehandelt, zu wichtigen Teilbereichen des Gesundheitswesens vorgelegt hat. (Egert [SPD]: Richtig, das stimmt!) Es fehlt also ganz gewiß nicht an ausreichenden dann wissen Sie, daß wir mit den ersten Spargesetzen Informationen. Bei der Fülle des bereits eingebrach- nach 1982 sehr wohl kostendämpfende Maßnahmen ten Sachverstandes erwarten wir von einer Enquete ergriffen haben, Kommission auch keine neuen Erkenntnisse. (Egert [SPD]: Was denn?) (Egert [SPD]: Er will lieber dumm sterben!) und Sie wissen sehr wohl, daß wir die ersten vier Jahre Nach unserer festen Überzeugung kann es jetzt nicht gebraucht haben, um im Bundeshaushalt, darum gehen, wieder von vorne zu beginnen, den vor- handenen Analysen neue hinzuzufügen. Entschei- (Jaunich [SPD]: Was hat denn der Bundes- dend ist jetzt, meine Damen und Herren, die politische haushalt damit zu tun? — Egert [SPD]: Hilf- Bereitschaft, aus den bereits vorhandenen Analysen lose Ausrede!) die gesetzgeberischen Konsequenzen zu ziehen. in der Arbeitslosenversicherung, in der Rentenversi- (Jaunich [SPD]: Skizzieren Sie die doch cherung und in der Krankenversicherung die Finan- mal!) zen in Ordnung zu bringen, die Sie uns hinterlassen haben, Herr Kollege Egert. Mit Ihrem oberflächlichen Antrag, Herr Kollege Egert, Wir sind fest entschlossen — da können Sie hinein- - interpretieren, was Sie wollen — , gemeinsam mit der (Egert [SPD]: Jetzt kommen die Eck FDP die Strukturreform jetzt anzugehen, und wir -punkte!) haben dies in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, wollen Sie im Grunde auch nicht mehr Informationen, die Eckpunkte, die Zielvorstellungen. dieser Antrag ist allein politisch motiviert. (Egert [SPD]: Welche denn?) (Kirschner [SPD]: Ist doch nicht wahr!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1043

Seehofer Es ist eine sehr leicht durchschaubare Taktik. Würden Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat Frau wir diese Kommission einsetzen und ernsthaft mit ihr Abgeordnete Wilms-Kegel. arbeiten, würde das bedeuten, daß der Beginn dieses Gesetzgebungsvorhabens mindestens bis ins Jahr 1989 verschoben würde. Frau Wilms-Kegel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der heute von der SPD (Egert [SPD]: Ist nicht wahr!) vorgelegte Antrag ist ein letzter, aber, wie wir denken, Damit wäre ernstlich in Frage gestellt, daß diese untauglicher Versuch, sich in der gesundheitspoliti- Strukturreform überhaupt noch in dieser Legislatur- schen Debatte Gehör zu verschaffen. Bisher hat es die periode durchgeführt werden könnte. SPD nicht verstanden, ihre gesundheitspolitischen (Egert [SPD]: Erzählen Sie doch nicht so Vorstellungen überzeugend darzustellen, weder ihre einen Unfug!) kurzfristigen noch ihre langfristigen. Das wollen Sie nämlich. Sie wollen in der wahlwirk- (Kirschner [SPD]: Da warten wir auf Sie!) samen Zeit 1990 dieser Bundesregierung vorwerfen Und nun soll nach dem Willen der SPD eine Enquete können, daß sie in diesem wichtigen Feld der Struk- Kommission diese Lücken schließen, die da offen- turreform im Gesundheitswesen handlungsunfähig sichtlich vorhanden sind. gewesen sei. Das ist die eigentliche Absicht Ihres (Jaunich [SPD]: Gibt es da von Ihnen nicht Antrags. auch einen Antrag?) (Egert [SPD]: Sehr richtig: handlungsunfä- Die Regierungsfraktionen verfolgen dies natürlich hig! Das muß man doch nicht vorwerfen! — lächelnd, wissen sie doch schon längst, daß in den Glocke des Präsidenten) Schubladen des Bundesarbeitsministers Blüm schon — Frau Präsidentin, ich bin schon am Ende. Entwürfe für sehr einschneidende Maßnahmen lie- (Egert [SPD]: Das stimmt!) gen, die nach den Landtagswahlen den Bürgerinnen und Bürgern dann Stück für Stück mitgeteilt wer- Dieses Doppelspiel ist viel zu durchsichtig, als daß den. man darauf hereinfallen könnte. Schon jetzt haben wir aus dem Ministerium einiges Wir lassen uns auch in der Zukunft nicht von dem vernehmen können, was uns entsetzt: Da soll der Lei- Doppelspiel blenden, das Sie schon seit einigen stungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung Monaten praktizieren. Auf der einen Seite gibt es die eingeschränkt werden; da soll eine Teilarbeitsfähig- Abteilung in der SPD, die sagt: Wir wollen eine breite keit möglich sein. Das bedeutet dann im Ernstfall, daß Gemeinsamkeit im Parlament. — Auf der anderen jemand schon ziemlich krank sein muß, also über Seite gibt es die Abteilung in der SPD, die uns ständig 40 Grad Fieber, Teillähmungen, einen Herzinfarkt vorwirft, daß wir in der Gesundheitsreform nicht vor- oder ähnliches haben muß, sonst wird er in Zukunft wärts kämen und alles verschliefen. schon nach kurzer Zeit wieder teilarbeitsfähig Wir stellen fest, daß es natürlich das Recht der geschrieben. Das bedeutet für ihn, daß er einfach eine Opposition ist, von der Geschäftsordnung des Deut- Arbeit in seinem Betrieb zugewiesen bekommt, der er schen Bundestages Gebrauch zu machen. Es ist ein stundenweise nachgehen muß, anstatt in Ruhe Minderheitenrecht, einen Antrag auf Einsetzung gesund zu werden. Damit soll er dann den großen Bei- einer Enquete-Kommission zu stellen. Wir können trag zur Entlastung der gesetzlichen Krankenversi- dies nicht verhindern. Aber wir bekräftigen, daß wir cherung leisten. damit lediglich der Geschäftsordnung entsprechen. Weiteres ist bekanntgeworden: Da wird behauptet, Die Einsetzung einer solchen Kommission entspricht daß die Solidargemeinschaft viele Leistungen keinem Beratungsbedürfnis der Koalition. Sie ist erbringt, die der einzelne durchaus selbst erbringen allein das Anliegen von SPD und GRÜNEN, die das könnte. In Zukunft soll dann wohl jeder, der mehr als bereits vorliegende Informationsmaterial einfach 30 000 DM im Jahr verdient, bis zu 500 DM an seinen ignorieren und sich unwissend stellen. Arzneikosten selbst übernehmen unter dem Stich- (Glocke des Präsidenten) wort: Eigenverantwortung und Anreizschaffung. Die Regierungskoalition — und dies ist mein letzter Damit der Krankenschein weniger in Anspruch Satz —... genommen wird, werden Leistungen aus der gesetzli- chen Krankenversicherung ausgegliedert. Da gibt es dieses Wort von dem Krankenschein als Einkaufs- Vizepräsident Frau Renger: Das muß auch sein. schein für Luxusgüter. Dies, meine Damen und Herren, sind nun wirklich nicht die Vorstellungen der GRÜNEN. Sie werden Seehofer (CDU/CSU): ... wird ihren zeitlichen aber auf uns zukommen, und das wir auch eine Fahrplan konsequent einhalten und die Strukturre- Enquete-Kommission nicht verhindern. Wir können form gründlich und zügig durchführen. uns weder mit den Vorstellungen der Regierungspar- (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das war der - teien noch mit den kaum erkennbaren gesundheitspo- letzte Satz!) litischen Vorstellungen der SPD identifizieren. Wir sind uns aber sicher, daß, wenn entsprechend dem Jetzt sind nicht zusätzliche Theo rien gefordert, jetzt ist SPD-Antrag im September 1988 die Enquete-Kom- Mut zum praktischen Handeln gefordert, und die mission erste Ergebnisse vorlegt, die Vorstellungen Koalition wird diesen Mut haben. von Arbeitsminister Blüm schon längst in die Wirk- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lichkeit umgesetzt sein werden. 1044 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Frau Wilms-Kegel Meine Damen und Herren, wir denken, daß es über- Wir lassen uns aber durch die Kommission nicht von haupt nicht darum gehen kann, ein so marodes dem zügigen Ablauf abhalten. Die Vorschläge aller System, wie es die gesetzliche Krankenversicherung Beteiligten liegen auf dem Tisch. Jetzt muß politisch darstellt, halbwegs zu sanieren, und das womöglich gehandelt werden. Jede Verzögerung ist verantwor- noch auf dem Gesundheitsrücken der Bürgerinnen tungslos, vor allen Dingen jede Verzögerung, die und Bürger, sondern es kann nach unserer Auffassung durch eine solche Partei, die Sozialdemokratie, nur ein total erneuertes Gesundheitswesen in allen bewirkt wird. Ich meine, daß es im parlamentarischen Bereichen, wie wir das in unserem Antrag dargelegt Beratungsprozeß auch für Sie genügend Möglichkei- haben, dazu führen, daß dann schließlich auch die ten gibt, an der Strukturreform mitzuarbeiten. Eine gesetzliche Krankenversicherung eine gesunde Enquete-Kommission wäre dazu nicht notwendig Sache wird. gewesen. Die konzeptionellen Unterschiede lassen Wir behaupten nicht, daß unser heutiger Antrag, sich durch eine Enquete-Kommission nicht wegdisku- der schon durch die Überschrift zeigt, daß es uns um tieren. Eines müßten wir feststellen: Ein Konsens um weit mehr geht, als nur die Krankenkassen zu sanie- den Preis der Gefährdung des freiheitlichen Gesund- ren, das Nonplusultra ist. Wir aber sind stolz darauf, heitssystems Herr Jaunich, sagen zu können, daß wir tatsächlich (Widerspruch bei der SPD) Ziele haben, die kurzfristig umsetzbar sind, die aber ist für uns Liberale auf jeden Fall nicht denkbar. auch langfristig Perspektiven eröffnen, wie wir unser Gesundheitswesen umgestalten können, und zwar so, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — damit es auf den Patienten ausgerichtet ist, damit die Heyenn [SPD]: Mehr ist Ihnen nicht eingefal Anbieterseite kein Übergewicht kriegt, damit es len?) demokratisch und regional strukturiert wird. Eine sol- che Enquete-Kommission ist tatsächlich sinnvoll, weil Vizepräsident Frau Renger: Herr Parlamentarischer sie die Perspektiven erstellen kann, die wir für die Staatssekretär Höpfinger, bitte schön. Zukunft unseres Gesundheitswesens brauchen. Dann ist auch klar: Sollten unsere Vorstellungen, die mittel- fristigen wie die langfristigen, angefangen von der Höpfinger, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Einbeziehung der Ernährungsberatung und der Prä- ster für Arbeit und Sozialordnung: Frau Präsidentin! vention bis zur Demokratisierung des Gesundheits- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst, wesens, wirklich Platz greifen, wird das finanzielle Herr Kollege Egert, darf ich darauf hinweisen: In der Problem der gesetzlichen Krankenversicherung nie- letzten Legislaturperiode ist natürlich im Gesund- mals mehr Gegenstand einer Debatte im Deutschen heitsbereich schon einiges geschehen. Ich erinnere Bundestag sein; denn dann gibt es wirklich ein im nur an das Krankenhausfinanzierungsgesetz. Sie wis- doppelten Sinne gesundes Gesundheitswesen: ein sen selber, wie lange solche Debatten dauern. Gesundheitswesen, das finanziell gesund ist, sich (Egert [SPD]: Provozieren Sie mich nicht, aber auch ausschließlich an der Gesundheit der Men- Herr Staatssekretär, dazu etwas zu sagen!) schen orientiert. Ich erinnere auch an die Neugestaltung der Bundes- Deswegen denken wir, daß es die einzig wirkliche pflegesatzverordnung, und ich denke auch an die Konsequenz ist, einen Antrag zu stellen auf Einset- Gebührenordnung der Ärzte, um nur drei Beispiele zu zung einer Enquete-Kommission zur Strukturreform nennen. des Gesundheitswesens. (Heyenn [SPD]: Und wie sind die Auswir Danke schön. kungen, Herr Höpfinger?) (Beifall bei den GRÜNEN) Dann darf ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, darauf hinweisen, daß wir in der Bundesrepu- blik Deutschland an und für sich eine gute gesund- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Abge- heitliche Versorgung haben. Aber das Gesundheits- ordnete Dr. Thomae. wesen muß finanzierbar bleiben. (Heyenn [SPD]: Jetzt kommt der oberste (Sehr wahr! bei der SPD) Selbstbeteiliger der Koalition!) Die gesetzliche Krankenversicherung und das deut- sche Gesundheitswesen haben Kostenprobleme. Die Ausgaben steigen schneller als die Beitragseinnah- Dr. Thomae (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen men. Es ist richtig, wenn die Kollegen Egert und See- und Herren! Wenn wir nur einen Schimmer Hoffnung hofer darauf hingewiesen haben, daß die Gesamtaus- hätten, daß durch die Enquete-Kommission die SPD gaben allein der gesetzlichen Krankenversicherung von ihrer ordnungspolitischen, falschen Gesundheits- im Jahr 1986 auf 120 Milliarden DM angestiegen sind politik wegkommen könnte, würden wir sicherlich und daß in den letzten drei Jahren die gesetzlichen dreimal mit Freude ja sagen. Krankenversicherungen Defizite in Milliardenhöhe eingefahren haben. Der Beitragssatz hat in den letzten (Zuruf von der SPD: Einmal reicht!) - beiden Jahren zu wandern begonnen. Wir sind jetzt Nur: Wir haben diesen Glauben nicht. Wir müssen bei 12,5 %. und werden die Kommission akzeptieren; wir werden Wir brauchen eine umfassende Reform. Ich meine, auch konstruktiv mitarbeiten. die Zeit drängt. Die Vorbereitungsarbeiten für die (Heyenn [SPD]: Sie wollen die Rechte der Strukturreform haben meines Erachtens aber längst Minderheiten akzeptieren!) begonnen. Ich erinnere an die zehn Grundsätze für Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1045

Parl. Staatssekretär Höpfinger die Neuordnung des Gesundheitswesens, die Bundes- Dies würde einen enormen Zeitaufwand erfordern minister Dr. Blüm im März 1985 bekanntgegeben und möglicherweise eine umfassende Strukturreform hat. verhindern. (Zuruf von der SPD: Was haben die (Heyenn [SPD]: Das sind doch nur Halb- gebracht?) wahrheiten!) Ich erinnere an die Berufung eines Sachverständigen- Zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN möchte ich rates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswe- bemerken, daß die Fristsetzung Ende 1987 akzeptabel sen im Dezember 1985. Ich erinnere an das erste Gut- wäre. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß der unter achten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Teil 2 umschriebene Aufgabenbereich, der weit über Aktion im Gesundheitswesen vom Februar 1987 mit die Strukturreform im Gesundheitswesen hinausgeht einer ausgiebigen Bestandsaufnahme und mit Stel- — wenn wir uns das von der Frau Vorrednerin lungnahmen zur Arzneimittelversorgung, zur statio- Gesagte zu Gemüte führen, dann wissen wir erst, was nären Versorgung und zur zahnmedizinischen Ver- hier gemeint ist — , in diesem Zeitraum von einer sorgung. Kommission bearbeitet werden kann. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen Vizepräsident Frau Renger: Herr Staatssekretär, gehen nicht erst an den Start, sie sind bereits auf dem gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- Weg zur Strukturreform im Gesundheitswesen. neten Heyenn? (Zuruf von der SPD: Und bereits wieder her untergefallen!) Höpfinger, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Der bereits eingeschlagene Weg der Bundesregie- ster für Arbeit und Sozialordnung: Sie wird mir zeit- rung führt schneller zum Ziel. lich nicht angerechnet? Meine Damen und Herren, wie immer sich der Arbeitsablauf der Enquete-Kommission vollziehen Vizepräsident Frau Renger: Nein. Aber wir sind mag, sicher werden wir unseren Beitrag mit einbrin- schon spät. gen; aber wir werden uns bei der Einhaltung unseres eigenen Fahrplans zur Reform im Gesundheitswesen Höpfinger, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- nicht irritieren lassen. Wir werden den vorgesehenen ster für Arbeit und Sozialordnung: Kollege Heyenn, Zeitplan ohne Verzögerung einhalten, weil dies unse- wir haben noch genügend Gelegenheit. Dann darf ich rem Gesundheitswesen und der Beitragsstabilität am das jetzt vortragen. Wir kommen sicher bei anderer meisten dient. Gelegenheit zur Beantwortung von Fragen. Danke schön. Ich erwähne weiter die Regierungserklärung von (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bundeskanzler Dr. Kohl vom 18. März 1987, in der es wörtlich heißt: „Eine umfassende Strukturreform im Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Her- Gesundheitswesen wird unverzüglich eingeleitet. " ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich Das ist auch geschehen. Die Bildung der Vorberei- schließe die Aussprache. tungskommission ist erfolgt. Die Konstituierung war Der Deutsche Bundestag ist gemäß § 56 der gestern abend. Entsprechend der Regierungserklä- Geschäftsordnung zur Einsetzung einer Enquete rung wird der Gesetzentwurf für die Strukturreform Kommission verpflichtet, wenn der Einsetzungsantrag noch in diesem Jahr vorgelegt werden. von einem Viertel der Mitglieder gestellt wird. Das Die Diskussion, Herr Kollege Egert, findet also nicht war bei dem Antrag der Fraktion der SPD der Fall. — im stillen Kämmerlein statt. Wir sind der Meinung: Je Wieso müssen wir eigentlich noch abstimmen, wenn früher ein Gesetzentwurf kommt, um so länger und so der Antrag eines Viertels der Mitglieder schon aus- ausgiebiger kann im Parlament darüber diskutiert reicht? — Also gut, kommen wir zur Abstimmung. Wer werden. diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich Aber die Reform verträgt keine Verzögerung. um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun- Selbst wenn keine Verzögerung beabsichtigt ist, Herr gen? — Kollege Egert — das unterstelle ich — , ist sie bei der Damit ist die Kommission eingesetzt. Zahl der zu untersuchenden Bereiche nicht zu vermei- Nun kommen wir zur Abstimmung über den Antrag den. Die Vorlage der SPD nennt etwa neun Aufgaben- der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/414, bereiche und einen Zeitraum von einem Jahr. Die die allein nicht die ausreichende Mehrheit hat. Wer Vorschläge für eine Strukturreform sollen bis zum diesem Einsetzungsantrag zustimmt, den bitte ich um 30. September 1988 vorliegen. Das heißt, der Gesetz- ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? entwurf würde etwa Ende 1988 kommen. Da muß ich — Dies ist abgelehnt. sagen: Das geht nicht; da ist ein Jahr verloren, und das können wir der Reform nicht zumuten. Ich rufe noch den Tagesordnungspunkt 7 auf, den (Heyenn [SPD]: Können Sie das einmal - ich vorhin noch nicht aufgerufen hatte: erklären?) Beratung der Beschlußempfehlungen des Aus- Es wurde erwähnt, daß Teilbereiche zur parlamen- schusses für Wahlprüfung, Immunität und tarischen Bearbeitung vorzuziehen wären. Davor Geschäftsordnung (1. Ausschuß) kann ich nur warnen. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern (Heyenn [SPD]: Wann soll denn Ihr Gesetz in des Deutschen Bundestages Kraft treten?) — Drucksachen 11/347, 11/348, 11/349 — 1046 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Vizepräsident Frau Renger Berichterstatter: Damen, meine Herren, war die Null-Diät bei den Diä- Abgeordnete Wiefelspütz ten. Eylmann (Zuruf des Abg. Schreiner [SPD]) Hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfeh- — Das war die Null-Diät, Herr Kollege Schreiner. lungen des Ausschusses. Wer diesen Beschlußemp- Auch heute noch halten wir bei den Diäten Diät; fehlungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein denn auf Grund der Entwicklung bei den allgemeinen Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einkommen seit 1977 besteht ein Einkommensrück- Dies ist einstimmig so beschlossen. stand bei den Abgeordneten in Höhe von ca. 30 %. Ich möchte einmal an Hand meines Wahlkreises Pinneberg vorrechnen, was ein Bundestagsabgeord- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: neter den Steuerzahler kostet. Wir hören ja als Abge- Erste Beratung des von den Fraktionen der ordnete sehr oft den Vorwurf, wenn man sich über uns CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Ent- geärgert hat: „Ihr lebt von unseren Geldern! Wir wurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des bezahlen euch! " Im Wahlkreis Pinneberg gab es bei Abgeordnetengesetzes und des Sechsten der letzten Bundestagswahl 205 146 wahlberechtigte Gesetzes zur Änderung des Europaabgeord- Bürger. Wissen Sie, was es auf dieser Basis den Bürger netengesetzes kostet, sich einen Bundestagsabgeordneten „zu hal- — Drucksache 11/388 ten"? — 79 Pfennig im Jahr. Das entspricht genau 6,5 Pfennig im Monat. Wenn wir jetzt diese maßvolle —Überweisungsvorschlag: Anhebung beschließen, dann sind es statt 79 Pfennig Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- 81 Pfennig im Jahr, und statt 6,5 Pfennig im Monat nung (federführend) Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO sind es 6,7 Pfennig pro Wahlberechtigten, nicht pro Bürger. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Daß Sie sich Fraktion vereinbart worden. — Es erhebt sich kein so billig machen! So billig würde ich mich Widerspruch; es ist so beschlossen. nicht machen!) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Ich meine, das sollte jedem Wahlberechtigten und Abgeordnete Roitzsch. jedem Bürger in der Bundesrepublik Deutschland für die Demokratie nicht zu teuer sein. Deshalb stimmt die CDU/CSU der Empfehlung des Bundestagspräsi- Frau Roitzsch (Quickborn) (CDU/CSU): Frau Präsi- denten zu und bittet um Überweisung des gemeinsa- dentin! Meine Damen! Meine Herren! Im Namen der men Gesetzentwurfs von CDU/CSU, SPD und FDP zur CDU/CSU danke ich dem Bundestagspräsidenten für weiteren Beratung an die Ausschüsse. den Bericht, den er gemäß § 30 des Abgeordnetenge- Ich danke. setzes fristgemäß am 21. Mai dieses Jahres abgege- ben hat. Dieser Bericht entspricht dem Urteil des Bun- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) desverfassungsgerichts aus dem Jahre 1975. Wir fol- gen mit unserem heutigen gemeinsamen Gesetzent- wurf von CDU/CSU, SPD und FDP der Empfehlung Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat Frau des Präsidenten, die Entschädigung der Abgeordne- Abgeordnete Unruh. ten um 3,25 % und die Kostenpauschale um 1,5 % anzuheben. Damit liegen wir auch in diesem Jahr niedriger als die allgemeine Einkommensentwick- lung in der Bundesrepublik Deutschland. So haben Frau Unruh (GRÜNE): Eigentlich, Frau Präsidentin, z. B. die Tarifpartner im Metall- und Druckgewerbe liebe Volksvertreterinnen und Volksvertreter, ist es ja die Löhne und Gehälter um 3,7 % erhöht, und auch nur eine Schau, die hier abgezogen wird. der öffentliche Dienst liegt mit einer Steigerung um (Zuruf von den GRÜNEN: Eine schlechte!) 3,4 % über der Anhebung der Diäten. Daß eine Anhe- bung der Diäten der Abgeordneten alles anderes als CDU/CSU, FDP und SPD sind sich ja einig. populär ist, liegt an dem Rahmen, den das Gesetz und (Catenhusen [SPD]: Klammheimlich viele das Bundesverfassungsgericht uns auferlegt haben. von Ihnen auch!) (Frau Traupe [SPD]: Richtig!) Was tun wir eigentlich noch an diesem Schaupult? In keinem anderen Einkommensbereich werden Löhne und Gehälter so öffentlich diskutiert und auch (Dr. Probst [CDU/CSU]: Sie ziehen die Schau beschlossen. ab!) Gerade weil die Mitglieder des Bundestages gesetz- — Nein, das ist ganz was anderes. Der Selbstbedie- lich gehalten sind, über eine Anhebung der Diäten nungsladen reizt mich. Was meinen Sie wohl, wie die öffentlich zu beraten und zu beschließen, ist der oft Menschen draußen ihre Löhne, Gehälter usw. in die gehörte Vorwurf, der Bundestag sei ein Selbstbedie- Höhe puschen würden, wenn sie selbst darüber ver- nungsladen, schlicht falsch. Ich darf noch einmal fügen könnten! daran erinnern, daß in den Jahren 1977 bis 1983 die Ist Ihnen eigentlich entfallen, daß es einmal in Diäten nicht erhöht worden sind. Dieses, meine Erwägung gezogen worden ist, jemand anders damit Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1047

Frau Unruh zu beauftragen, der letztlich über unsere Diäten ent- sehr unterschiedliche, notwendigerweise individuell scheidet? subjektive Urteile. Die persönlichen Lebensumstände (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Lesen Sie mal das der Abgeordneten passen nun mal nicht in ein Urteil des Verfassungsgerichts, bevor Sie sol- genormtes Raster. chen Unsinn reden!) Die Kriterien, die uns das Bundesverfassungsge- — Hören Sie doch mit Ihrem Verfassungsgericht auf! richt hier vorgegeben hat, sind deshalb 'nach wie vor Denken Sie doch mal an die Moral! Ihre Moral ist so eine wesentliche Entscheidungshilfe. Zum einen die mißbraucht — das sage ich auch (zur SPD) hierhin —, Belastung durch das Amt, zum zweiten die Verant- daß der Herr Präsident dieses Hauses es wagt, zum wortung, die mit dem Mandat verbunden ist, und drit- Vergleich sogar Sozialhilfeempfänger anzuführen, tens schließlich die Position der Abgeordneten im Ver- weil auch bei denen fassungsgefüge. (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) Die Diätendiskussion würde für uns leichter zu füh- —lesen Sie es doch bitte nach —, aber nicht bei allen ren sein, wenn wir mit mehr Selbstbewußtsein darauf in der Bundesrepublik, sondern vermutlich in Nord- bestünden, daß Abgeordnete, die ihr Mandat und die rhein-Westfalen, die Sozialhilfe um 3 % erhöht wird. damit verbundenen Aufgaben pflichtbewußt aus- Ja, wo leben wir denn eigentlich? Wissen Sie über- üben, ein Anrecht darauf haben, daß ihre finanzielle haupt, was Sozialhilfe ist? 390 Mark! Ausstattung auch in der Öffentlichkeit an diesen drei Kriterien objektiv gemessen wird. Wir GRÜNEN lehnen das natürlich ab. Ich kann Ihnen auch sagen, warum: weil wir längst schon min- Nach dem Bericht gemäß § 30 des Abgeordneten- destens 5 000 DM im Monat für soziale Projekte in der gesetzes kommt der Präsident des Deutschen Bundes- Bundesrepublik Deutschland abführen. tages zu der Feststellung, daß sich der in den Jahren (Zurufe von der CDU/CSU: Ja, ja! — Mogeln 1977 bis 1983 entstandene Abstand zwischen der Sie doch nicht!) Abgeordnetenentschädigung und der allgemeinen Einkommensentwicklung auch unter Berücksichti- Deshalb empfehle ich Ihnen einmal, Volksvertreter gung der erfolgten Anpassungen in den Jahren 1983 und Volksvertreterinnen, ich stelle mich gerne als bis 1986 nicht wesentlich verändert hat. Verwaltungschefin zur Verfügung: Geben sie mal 5 000 DM jeden Monat her, und dann schaffen wir da Der Vorschlag des Präsidenten, die Entschädigung mal alternative Arbeitsplätze! Sie haben ja wohl auch um 3,25 % und die Kostenpauschale um 1,5 % zu erhö- schon etwas von Massenarbeitslosigkeit gehört. Dann hen, ist angesichts der Anhebungen im öffentlichen machen wir einmal mit dem Geld, mit dem wir selbst Bereich, im Tarifbereich und im Rentenbereich maß- verfügend erhöhend wirken etwas Soziales, was voll und angemessen. Selbstverwaltetes und was Selbstorganisiertes. Dann In den vergangenen Jahren, meine lieben Kolle- könnten Sie nämlich heute nacht ruhig schlafen. So gen. aber wünsche ich Ihnen eine sehr unangenehme Nacht. (Zuruf der Abg. Frau Unruh [GRÜNE]) (Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei der — Frau Unruh, ich komme jetzt zu Ihnen —, hatte CDU/CSU) mein Kollege Wolfgramm an dieser Stelle Veranlas- sung, sich mit dem Verhalten der Fraktion der GRÜ- NEN auseinanderzusetzen, das mit dem Beispiel „von Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat Frau Wasser predigen und Wein trinken" nur sehr schmei- Abgeordnete Seiler-Albring. chelhaft beschrieben wurde. Dies könnte man natür- lich getrost, wie üblich, unter dem Stichwort doppelte Frau Seiler-Albring (FDP): Frau Präsidentin! Meine Moral zu dem übrigen legen, wäre in der Öffentlich- Damen und Herren! Guten Morgen, Frau Unruh! keit nicht gern der Eindruck verbreitet worden, daß es Abgeordnete mit besonders hoch entwickelter Moral (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU) bei gleichzeitig unterentwickelten finanziellen Be- Zunächst eine Vorbemerkung. Ich verhehle über- dürfnissen gebe. Die Beispiele dafür, wie kommod es haupt nicht, daß ich persönlich — ich glaube, das gilt sich im Schatten dieses hehren Anspruches leben läßt, für viele unserer Kollegen — der jährlichen Diskus- meine lieben Damen und Herren von den GRÜNEN, sion um die Änderung des Abgeordnetengesetzes mit sind zahlreich; ich muß sie hier nicht wiederholen. einem gewissen Unbehagen entgegensehe; dieses nicht aus inhaltlichen, sondern aus prozeduralen (Frau Unruh [GRÜNE]: Was soll das? — Klei Gründen. Ich persönlich wünschte mir, daß wir eine nert [Marburg] [GRÜNE]: Seien Sie vorsich Alternative dazu hätten, selbst über unsere finanzielle tig!) Ausstattung entscheiden zu müssen, nicht nur Anwalt — Liebe Frau Unruh, jetzt hören Sie bitte mal zu und in eigener Sache zu sein, sondern auch Richter sein zu machen Sie Ihrem Namen nicht so viel Ehre. müssen. (Frau Unruh [GRÜNE]: Warum denn - Nun, die Rechtslage, bestimmt durch das Bundes- nicht?) verfassungsgericht, ist eindeutig. Wir haben uns mit dem Bericht des Herrn Präsidenten gemäß § 30 des — Hören Sie einmal zu! Abgeordnetengesetzes auseinanderzusetzen. Die Fraktion der GRÜNEN im baden-württembergi- Über die Frage, was angemessen ist, meine Damen schen Landtag hat offensichtlich endlich von dieser und Herren, meine lieben Kollegen, gibt es natürlich Fiktion Abschied genommen und anerkannt, daß frei 1048 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Frau Seiler-Albring gewählte Abgeordnete um ihrer persönlichen Unab- und vergleichbare Beschäftigte in der Wirtschaft hängigkeit willen einen Anspruch darauf haben, erheblich höhere Bezüge erhalten als die Mitglieder (Frau Unruh [GRÜNE]: Wir sind doch hier des Bundestages. nicht im Landtag von Baden-Württemberg!) Die Frau Kollegin Seiler-Albring und ich, aber auch finanziell angemessen ausgestattet zu werden. Ihre die Frau Kollegin Roitzsch im Verteidigungsausschuß Kollegen im baden-württembergischen Landtag ha- — wir anderen im Haushaltsausschuß — prüfen über ben nämlich viele Jahre verantwortlich, in vielen Sitzungen — das wird der Kollege Kleinert bestätigen können — und (Frau Unruh [GRÜNE]: Wir sind jetzt hier!) sehr intensiv die Ausgaben des Bundes und stellen an der Planung und am Entwurf zur Erhöhung der dabei immer wieder fest, daß allein im Verteidigungs- Diäten der Abgeordneten im baden-württembergi- bereich, Frau Kollegin Seiler, mehr als 1 000 Ministe- schen Landtag Anteil genommen und werden diesem rialbeamte und Generäle mehr verdienen als ein deut- Antrag zustimmen. scher Bundestagsabgeordneter. Ich halte dies von (Frau Unruh [GRÜNE]: Was hat denn das ihrer Aufgabe und ihrer Verantwortung her für ange- damit zu tun?) messen, aber ich meine, wenn wir unter den Abgeord- neten Kompetenz erreichen und erhalten wollen, Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich dieser vernünfti- müssen wir den Vergleich mit ähnlich verantwortli- gen Entwicklung anzuschließen. chen qualifizierten Berufen im Auge behalten. Ich hoffe, daß wir diesen Gesetzentwurf in zweiter (Frau Unruh [GRÜNE]: Dann müßt ihr zu und dritter Lesung endgültig verabschieden wer- Mindestverdiensten und zu Mindestrenten den. kommen!) Ich bedanke mich. Meine Damen und Herren, da wir einen Blick auch (Beifall bei der FDP — Zurufe von den GRÜ- darauf werfen müssen, wie inzwischen die Landtags- NEN: Wo ist der Wein hier bei uns? — Wieder abgeordneten ausgestattet sind, wage ich die Frage nichts als Phrasen!) zu stellen, wie wir im Vergleich zu jenen Kolleginnen und Kollegen dastehen, die in der Regel die Chance haben, nicht — wie wir — mehrere Wochen und Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat die Frau Monate im Jahr außerhalb ihres Wahlkreises leben zu Abgeordnete Traupe. müssen. (Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Das halbe Jahr!) Frau Traupe (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen — Richtig, es wird zunehmend mehr, wenn man es und Herren! Vielleicht ist es ein Zeichen von Emanzi- ernst nimmt, Frau Kollegin Fuchs. Die baden-würt pation, daß zu einem solchen Thema heute erstmals tembergischen Abgeordneten haben gerade auf vier Frauen reden. Vielleicht ist es aber auch ein Zei- 5 485 DM erhöht, die Berliner auf 4 300 DM, die Hes chen dafür, daß Männer sich um dieses Thema ein sen auf 5 950 DM — übrigens auch mit den Stimmen bißchen drücken. der GRÜNEN — , die Nordrhein-Westfalen auf (Zustimmung der Abg. Frau Unruh 6 300 DM, die Saarländer auf 5 350 DM und die [GRÜNE]) Schleswig-Holsteiner auf 5 400 DM für 1987. Wenn Meine Damen und Herren, die CDU/CSU, die SPD wir ehrlich sind, Frau Kollegin Unruh — und ich und die FDP haben in der Tat am 1. Juni 1987 den denke, wir werden am Ende der Legislaturperiode Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des offener darüber reden können — , haben die meisten Abgeordnetengesetzes und des Sechsten Gesetzes von uns Abgeordneten, wenn sie ihre Verpflichtun- zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes vor- gen wahrnehmen, eine mehr als 14stündige Arbeits- gelegt, nachdem der Präsident — wie es rechtlich zeit und müssen im Gegensatz zu anderen in ihrem seine Aufgabe ist, Frau Unruh — seinen Be richt nach Bundestagswahlkreis die Wochenenden bestreiten § 30 des Abgeordnetengesetzes vorgelegt hatte. und den Bürgern zur Verfügung stehen. Ich bedaure an sich, Frau Kollegin Unruh, daß Sie Ich kann Ihnen sagen: Nach zehnjähriger Tätigkeit nach so kurzer Zugehörigkeit zum Deutschen Bun- habe ich erfahren, daß meine Wähler akzeptieren, daß destag Ihr Urteil perfekt haben und uns als Selbstbe- eine Abgeordnete, die ihre Arbeit leistet, auch dies dienungsladen bezeichnen. Geld dafür bekommt. (Frau Unruh [GRÜNE]: Das kommt aus dem Ich möchte deshalb für die SPD-Fraktion beantra- Volk!) gen, daß wir diesem Gesetz auch alle unsere Zustim- mung geben. Zu dieser Frage möchte ich Ihnen ganz klar das sagen, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der was auch Frau Roitzsch erklärt hat: Ich gehöre seit 1976 dem Deutschen Bundestag an und behaupte von FDP) mir, daß meine Bürger in all den Jahren akzeptiert haben, daß ihre arbeitende Wahlkreisabgeordnete Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Her- dafür auch ein anständiges Salär bekommt. Im - ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich Gegenteil, sie haben in vielen Jahren festgestellt, daß schließe die Aussprache. dieses Salär eigentlich nicht mehr angemessen ist, Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des weil sie sehen, daß heute die Bürgermeister, die Ober- Gesetzentwurfs an die in der Tagesordnung aufge- kreisdirektoren, die Ministerialbeamten führten Ausschüsse vor. Ist das Haus damit einver- (Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig!) standen? — Dann ist das so beschlossen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1049

Vizepräsident Frau Renger Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie den Überweisungsvorschlag: Zusatztagesordnungspunkt 3 auf. Ausschuß für Forschung und Technologie (federführend) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- 17. a) Beratung des Zwischenberichts der nung Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Enquete-Kommission Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit „Einschätzung und Bewertung von Tech- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- nikfolgen; Gestaltung von Rahmenbedin- heit gungen der technischen Entwicklung" Interfraktionell sind eine gemeinsame Beratung gemäß Beschluß des Deutschen Bundesta- dieser Tagesordnungspunkte und ein Beitrag bis zu ges vom 14. März 1985 — Drucksachen zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist 10/2937, 10/3022 das Haus damit einverstanden? — Dann ist das so beschlossen. — Drucksache 10/6801 — Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: ordnet Wetzel. Ausschuß für Forschung und Technologie (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Wetzel (GRÜNE) : Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich vor vier Monaten meine Arbeit als 17. b) Beratung des Antrags des Abgeordneten neuer Abgeordneter des Deutschen Bundestages auf- Wetzel und der Fraktion DIE GRÜNEN genommen habe, war eine der erfreulichsten Feststel- Gestaltung der technischen Entwicklung; lungen für mich, daß es hinsichtlich der Notwendig- Technikfolgen-Abschätzung und -Bewer- keit von Technikfolgenabschätzung und -bewertung tung eine klar und präzis formulierte Übereinkunft aller — Drucksache 11/220 — Parteien gab. Ich meine damit die im Frühjahr 1985 von allen Fraktionen unterzeichnete Beschlußemp- Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: fehlung, die zur Einsetzung der Enquete-Kommission Ausschuß für Forschung und Technologie (federfüh- in der vergangenen Legislaturperiode geführt hat. rend) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- Das Kernstück dieser Empfehlung bildete die Aus- nung sage, daß das Parlament derzeit über keine hinrei- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung chenden Möglichkeiten verfügt, sich — ich zitiere — Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- „umfassend, rechtzeitig und unabhängig über tech- heit nologische Entwicklungen und ihre möglichen Aus- wirkungen auf Wirtschaft, Umwelt und Lebensbedin- Zusatztagesordnungspunkt 3: gungen der Bürger zu unterrichten und zu bera- Beratung des Antrags der Abgeordneten Len- ten" . zer, Maaß, Carstensen (Nordstrand), Dr. Kunz Die Empfehlung kommt zu dem Schluß — ich zitiere (Weiden) und der Fraktion der CDU/CSU sowie noch einmal — : der Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann, Kohn, Die Veränderungen und raschen Entwicklungen Timm, Neuhausen, Dr. Thomae und der Frak- in Wissenschaft, Forschung und Technik sind in tion der FDP ihren Folgen so weitreichend und tiefgreifend, Gestaltung der technischen Entwicklung; daß eine Verbesserung der parlamentarischen Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung Beratung in diesem Bereich immer dringlicher — Drucksache 11/403 — geworden ist. Wenn ich mir heute vor dem Hintergrund dieser — Überweisungsvorschlag: wie gesagt — interfraktionell herbeigeführten Über- Ausschuß für Forschung und Technologie (federführend) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- einkunft den Antrag der Regierungskoalition ansehe, nung dann kann ich nur sagen: Das ist ein Rückfall hinter Ausschuß für Wirtschaft alle Einsichten, zu denen sich Ihre Parteien vor zwei Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Jahren schon einmal durchgerungen hatten. Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) 1'7. c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sicherlich, auch die Regierungskoalition will eine Roth, Vosen, Heyenn, Frau Bulmahn, Caten- Enquete-Kommission; das ist überhaupt nicht bestrit- husen, Fischer (Homburg), Frau Ganseforth, ten. Die Aufgaben, die sie dieser Kommission zuweist, Grunenberg, Lohmann (Witten), Nagel, Sei- sind durchaus vernünftig; auch das bestreite ich denthal, Vahlberg, Andres, Dreßler, Egert, nicht. Haack (Extertal), Kirschner, Peter (Kassel), (Zuruf von der CDU/CSU: So gut sind wir!) Reimann, Schreiner, Frau Steinhauer, Urba- niak, Frau Weiler, von der Wiesche, Ibrüg- In ihrem Antrag meint sie ja, daß diese Kommission ger, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD — ich zitiere — „insbesondere Auswirkungen techni- Gestaltung der technischen Entwicklung; scher Entwicklungen auf Struktur und Weiterent- Technikfolgenabschätzung und -bewer- wicklung der deutschen Wirtschaft unter Berücksich- tung tigung der Folgen für die natürliche Umwelt, der Beschäftigung, der Arbeitsplätze und der Arbeitswelt — Drucksache 11/311 — zu beraten habe". Das alles — wie gesagt — könnten 1050 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Wetzel wir unterschreiben, bliebe es nicht reine Rhetorik, nologien umsetzen, können wir praktisch nicht mehr denn — jetzt kommt der Pferdefuß — dieser von Ihnen prüfen. selber formulierte umfassende Anspruch soll erstens faktisch innerhalb von nur neun Monaten eingelöst Ich denke, da besteht ein hoher Beratungsbedarf, werden. Zweitens soll all dies geschehen mit einer der uns dazu nötigt, Ausschau zu halten nach entspre- gegenüber der bisherigen Kommission verringerten chenden geeigneten Einrichtungen, damit wir Abge- Zahl von Abgeordneten und Sachverständigen. ordnete nicht länger in der Situation verbleiben, über Dinge entscheiden zu müssen, deren Wirkungen wir Was Sie uns hier also anbieten, meine Damen und nicht überprüfen können. Herren von CDU/CSU und FDP, ist eine Schrumpf- kommission mit einem zeitlich dermaßen beschränk- Den augenblicklichen Entwicklungen, die eine ten Arbeitsauftrag, daß wir auch gleich ganz auf sie schleichende Gefahr nicht nur für Umwelt, nicht nur verzichten könnten. Im ersten Teil Ihres Antrags lie- für die Lebensverhältnisse der Menschen im einzel- fern Sie eine gute Begründung für einen vernünftigen nen, sondern auch für unsere Demokratie darstellen, Handlungsauftrag, den Sie dann im zweiten Teil muß entgegengewirkt werden. Technik muß demo- höchst drittklassig zu Grabe tragen. kratisch gestaltet und kontrolliert werden. Was hat sich eigentlich — so frage ich — in diesen (Dr. Probst [CDU/CSU]: Vernünftig muß sie zwei Jahren seit unserer interfraktionellen Überein- eingesetzt werden!) kunft so sehr verändert, daß es Ihren Meinungsum- schwung erklären könnte? Sind die Probleme, die wir — Aber, Herr Kollege, wer entscheidet bitte schön mit der Beherrschbarkeit der Folgen unüberlegter darüber, was vernünftig ist? Machen Sie sich doch von Technikentwicklung haben, in diesen beiden Jahren diesem objektivistischen Vernunftbegriff los und etwa geringer geworden? Doch sicherlich nicht. seien Sie nicht länger der Meinung, eine bestimmte, Gerade das Jahr 1986 war ja nun wirklich ein Jahr erlesene Crew von Sachverständigen und Regie- — ich habe solche Ausdrücke nicht gerne, aber — rungsbeamten könne entscheiden, was Vernunft sei. technischer Katastrophen, angefangen vom Challen- (Dr. Probst [CDU/CSU]: Sie haben völlig ger-Unglück über Bophal, Tschernobyl bis hin zu den recht! Da sind wir einig!) Rhein-Unglücken. Lassen Sie den demokratischen Prozeß Eingang fin- Niemals zuvor ist so deutlich geworden, daß unsere den in solche Entscheidungen durch Betroffene, durch Lebensverhältnisse durch nichts so weitreichend und Sachverständige. Dann kommen wir auch zu vernünf- oft unwiderruflich verändert werden wie durch die tigeren Ergebnissen. technische Entwicklung. Diese Entwicklung nach Maßgabe der Ansprüche, die wir an eine demokrati- (Beifall bei den GRÜNEN — Zustimmung bei sche Gesellschaft stellen, beherrschbar zu machen der CDU/CSU) — darauf muß auch und gerade das Parlament eine Antwort finden. Die Regierungsparteien weigern sich — Jetzt ist allgemeines Nicken auf der Rechten. Wie — das zeigt ihr Antrag — , diese Herausforderung kommen Sie dann dazu — wenn ich um Auskunft bit- ernst zu nehmen und sich ihr wirklich zu stellen. ten dürfte — , in Ihrem Antrag zur Wiedereinsetzung einer Enquete-Kommission zu fordern, daß sie ihren (Dr. Probst [CDU/CSU]: Das ist übertrie- umfassenden Auftrag binnen neun Monaten zu erle- ben!) digen haben? — Selbst die Übertreibung wäre gemessen an dem, (Dr. Probst [CDU/CSU]: Damit sie endlich was notwendig ist, immer noch keine sehr harte Fest- arbeitet!) stellung. Heute morgen hat der Herr Außenminister aus- —Einen Moment. Ihre Begründung habe ich ja einer drücklich auf das Prinzip Verantwortung des auch von CDU/CSU-Presseerklärung vor drei Wochen entneh- mir geschätzten Hans Jonas hingewiesen. Dieser Ver- men können. Wissen Sie, was da gesagt worden ist? antwortung werden Sie nicht gerecht, wenn Sie die Ihr entscheidendes Argument für die Befristung lief einfachsten, allgemein bekannten Sachverhalte wei- darauf hinaus: Anders könnten die wissenschaftli- ter ignorieren. Dazu gehört, daß in der Bundesrepu- chen Sachverständigen nicht zum Arbeiten angehal- ten werden. Wenn eine dauerhafte Einrichtung blik jährlich fast 50 Milliarden DM für Forschung und geschaffen werde, säßen darin nur Faulenzer. Das war Technologie ausgegeben werden Ihre Begründung. Was hat das denn mit der Proble- (Dr. Probst [CDU/CSU]: Über 50 Milliarden matik, um die es hier im Kern geht, zu tun, wenn Sie so DM!) argumentieren? Ich empfinde Ihr Nicken als etwas unredlich; das ist mein Eindruck. Sie haben ja nachher —in diesem Jahr 53 Milliarden DM — , und zwar ohne die Möglichkeit, hier ausgiebiger auf meine Argu- nennenswerte Einflußnahme der Parlamente. Selbst mente einzugehen. die materiellen Entscheidungen, die mit der Zustim- mung zu derartigen Haushaltstiteln verbunden sind Daß alle diese vorgeschobenen Begründungen — im Augenblick sind es jährlich 13 Milliarden DM, —rundheraus gesagt — nichts taugen, wissen wir aus die wir hier absegnen — , können wir kaum überprü- den Erfahrungen fortgeschrittener Industrieländer fen. Wir segnen nur einen Haushaltstitel ab. Die sozia- —ich denke an die Niederlande, Schweden, Japan, len, ökologischen etc. Konsequenzen dessen, was USA, um diese Länder einmal als Beispiel anzufüh- dann geschehen wird, wenn sich diese Mittel in Tech- ren — , die dauerhaft institutionalisierte Beratungs- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1051

Wetzel einrichtungen für Technikfolgenabschätzung und mit dem nötigen Ernst, aber auch mit der nötigen -bewertung in ihren Parlamenten haben. Sachkompetenz machen werden, denn es ist ja nicht (Dr.-Ing. Laermann [FDP]: Bürokratie! Aber das erste Mal, daß sich dieses Haus mit der Thematik die wollten Sie doch auch nicht, haben Sie Politikberatung und Technikfolgenabschätzung, Be- gerade gesagt!) wertung des technischen Fortschritts, Chancen und Risiken des technischen Fortschritts beschäftigt. — Ich sprach bisher nicht von Bürokratie, ich sprach über das, was vernünftig sei, davon, daß Vernunft (Zuruf von der SPD: Das ist wohl war!) nicht auf Grund der einsamen, singulären Entschei- Sie wissen ja auch, daß dies nicht die erste Enquete- dung interessierter Sachverständiger und von Beam- Kommission ist, die technikbezogen eine Thematik tenpersonal erzeugt werden kann. Aber das hat mit bearbeitet. dauerhafter Institutionalisierung — — (Zurufe von der CDU/CSU) Ich möchte auch nicht versäumen, in diesem Zusammenhang für die Arbeit zu danken, die zu die- Meine Herren, ich lasse mich gerne auf die Debatte — sem Thema von der Enquete-Kommission in der letz- ein, selbst, Frau Präsidentin — — ten Legislaturperiode geleistet worden ist, und ich möchte stellvertretend für andere unserem ehemali- Vizepräsident Frau Renger: Nein, das geht leider gen Kollegen und Freund, Dr. Josef Bugl, als dem Vor- nicht. Ihre zehn Minuten sind gleich um, Herr Kollege. sitzenden dieser Kommission Anerkennung und Wenn Sie bitte zum Schluß kommen würden. Respekt für diese Arbeit aussprechen. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der Wetzel (GRÜNE): Gestatten Sie mir, daß ich die SPD — Roth [SPD]: Der Dank des Vaterlan Debatte abbreche. des ist ihm gewiß, nur der der CDU nicht! Die Ich möchte noch etwas sagen, was ich eh' ganz an hat ihn nicht mehr aufgestellt!) den Schluß meiner Rede gesetzt hätte. Ich glaube, daß Wenn ich die einzelnen Anträge zunächst einmal wir einmal Abschied von der Vorstellung vom Status vergleiche, dann können wir, glaube ich, feststellen, und von der Funktionsweise von Abgeordneten neh- daß allen der Wille gemeinsam ist, die Arbeit, die men müssen, wie sie in den Anfängen unserer bürger- diese Enquete-Kommission geleistet hat, in bezug auf lichen Demokratie entwickelt wurde. In jenen Zeiten einzelne konkrete Themen erst einmal zu einem war die im praktischen Alltagsleben erworbene Abschluß zu bringen. Ich glaube, dafür werden, wenn Lebensklugheit und Lebenserfahrung durchaus hin- ich jetzt einmal die Sommerpause mit der entspre- reichend, um ein parlamentarisches Mandat ausüben chenden Verzögerung abziehe, noch 9 Monate übrig- zu können. Solches Wissen allein reicht heute nicht bleiben. Lassen Sie mich scherzhaft einwerfen: Nach mehr aus. Wir müssen uns — auch als Abgeordnete — 9 Monaten hat schon manches das Licht der Welt in Lernprozesse begeben, und wir dürfen uns dafür erblickt, was Hand und Fuß hatte. nicht zu schade sein. Wir haben das P rivileg, uns ent- sprechende Möglichkeiten zu schaffen. (Bohl [CDU/CSU]: Sehr gut! — Wetzel [GRÜNE]: Gestatten Sie mir den Einwand: (Glocke des Präsidenten) Biologismus! — Zurufe von der SPD) — Frau Präsidentin, ich komme zum letzten Satz. — Herr Roth, Sie wollen doch nicht die Leute Wenn ein Herr von Münch — Herr von Münch von ärgern. der FDP aus Hamburg — , den ich abschließend zitie- ren will, in Fragen Atomenergie erklärt: „Ich habe Nun ein zweites. In einigen dieser Anträge, z. B. in überhaupt nichts gegen Kernkraftwerke; ich hoffe, ich Ihrem Antrag oder auch in dem SPD-Antrag, wird dar- glaube sie sind sicher, das ist mein Gefühl. ", dann auf hingewiesen, daß über ein zusätzliches Thema als erschrecke ich bei einem solchen Selbstverständnis Untersuchungsgegenstand gearbeitet werden so ll. eines Politikers in einer modernen Industriegesell- Darüber läßt sich reden. Wir werden uns sicherlich schaft. Damit muß es ein Ende haben. verständigen können, welches Thema das sein kann. (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der Es gibt Themen genug. Sie sehen ja, daß wir im CDU/CSU: Die GRÜNEN leben doch vom Moment dabei sind, fünf Enquete-Kommissionen ein- Gefühl!) zusetzen. Dazu sage ich gleich noch etwas in einem anderen Zusammenhang. Ein drittes möchte ich bei einem Vergleich der ein- Vizepräsident Frau Renger: Jetzt hat der Herr Abgeordnete Lenzer das Wort. zelnen Anträge ganz kurz beleuchten. Auch von der neuen Enquete-Kommission soll die Institutionendis- kussion weitergeführt werden. Es gibt zur Institutio- Lenzer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine nalisierung an Beratungskapazität einen Bericht. Ich Damen und Herren! Herr Kollege Wetzel, zunächst bin bei allem Respekt vor der Arbeit dieser Enquete- einmal möchte ich mich bei Ihnen ausdrücklich für- Kommission nicht der Auffassung, daß das das letzte den sachlichen Ton bedanken, mit dem Sie diese Wort ist und sein kann, was bisher als Dokument vor- Debatte hier eingeleitet haben. Wir werden bei den liegt. Ich weiß, daß es zumindest in meiner eigenen Ausschußberatungen sicherlich noch viel Zeit haben, Fraktion, auch in der Fraktion der SPD, wie ich aus über die verschiedenen Anträge und über die Unter- Gesprächen mit Kollegen weiß, und in der Fraktion schiede mit uns ins Reine zu kommen und darüber zu der FDP durchaus keine einheitliche Meinung in die- diskutieren. Sie können ganz sicher sein, daß wir das ser Angelegenheit gibt. 1052 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Lenzer Schließlich der vierte Punkt, der in unserem Antrag Nun, was verlangen wir von einem solchen Gre- steht, abweichend von Ihrem Antrag. Wir wollten uns mium, von einer solchen Institution? Wir verlangen bemühen, die Zahl der Mitglieder dieser Kommissio- Politikberatung. Wir streiten uns nicht um das Ziel. nen etwas zu verringern, weil wir es für unvertretbar Deswegen will ich das nicht wiederholen, was Sie hier halten, daß die Damen und Herren dieses Hauses von gesagt haben. Ich unterschreibe das. Wir stimmen einem Gremium in das andere gescheucht werden dem zu. Aber wir streiten uns — das ist jedoch normal und schon nicht mehr genau wissen, wie sie die Prä- in einer parlamentarischen Auseinandersetzung — senz noch sichern sollen, geschweige denn die ganzen um die Instrumente, um den Weg, der dahin führt. umfangreichen Akten lesen sollen. Was wir brauchen, ist Politikberatung, ist die Formu- lierung von Entscheidungsalternativen, sind die (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zuruf von Optionen, von denen man heute immer spricht. Aber der SPD: Da ist Ihnen aber eine Begründung die Entscheidung muß bei uns bleiben. eingefallen!) (Dr. Probst [CDU/CSU]: So ist es! Die kann Ich stimme Ihnen zu: Sie haben mit Recht darauf uns niemand abnehmen!) verwiesen, daß seit geraumer Zeit darüber diskutiert wird. Ich kann das wirklich beurteilen; glauben Sie Wir sind dazu da, diese Entscheidung zu fällen. Sie mir das; das soll überhaupt nicht überheblich klingen. kann uns niemand abnehmen. Ich habe am 8. Mai 1973 zum erstenmal drüben am (Jawohl! bei der CDU/CSU) Rednerpult gestanden und über dieses Thema, über Wir sind aber auch dann gerne bereit — das ist unsere einen solchen Antrag, den wir damals eingebracht Verpflichtung —, gegenüber der Öffentlichkeit, ge- hatten, geredet. genüber dem Bürger für das geradezustehen, was wir In der letzten Zeit haben tatsächlich die naturwis- hier entschieden haben. senschaftlich-technischen Probleme, die hier zur Dis- Ich sage auch ein anderes. Vor einiger Zeit bei einer kussion anstehen, drastisch zugenommen. Wir sind Diskussion mit einem Ihrer Kollegen — er war uns der Tatsache bewußt — da gibt es überhaupt kei- dabei — habe ich das auch zum Ausdruck gebracht. nen Dissens — , daß das Parlament nicht die nötige Ich glaube, ich bin sogar fest davon überzeugt, daß wir Sachkompetenz hat, um diese teilweise schwierigen niemals durch noch so viele Diskussionen und noch so Entscheidungen zu treffen. Aber — das unterscheidet viele Enquete-Kommissionen an einen Punkt kom- uns vielleicht von manchen anderen externen Gre- men können, wo wir an irgendeiner Technik — ich mien — wir kommen um eine Entscheidung nicht gebe das Beispiel Kernenergie; darüber haben wir herum. Sie wird uns abverlangt. Das einzige, was wir eben ein paar Stunden diskutiert — tun können — zu dieser Verantwortung bekenne ich (Zuruf von den GRÜNEN) mich ganz klar, auch für meine gesamte Fraktion — : Wir wollen versuchen, diese Entscheidungen so sach- zu einem Konsens kommen. Das muß streitig durch- lich begründet und so kompetent, wie wir das über- gefochten werden. Der Bürger muß wissen, woran er haupt können, zu fällen. Das wollen wir erreichen, ist, und dann muß er danach seine Entscheidung fal- indem wir uns dort Rat holen, wo er zur Verfügung len. gestellt werden kann: bei der Wissenschaft, bei der (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Rich Wirtschaft, durchaus auch beim BMFT mit seinem tig, jawohl! — Weitere Zurufe von der CDU/ Apparat, bei den Großforschungseinrichtungen oder CSU) bei anderen Institutionen. Ich sage auch bewußt „bei der Wirtschaft" , obwohl ich weiß, daß wir in diesem Nun, warum hat es bisher kein Ergebnis gegeben? Zusammenhang immer wieder auch auf Interessen- Es hat bisher deswegen kein Ergebnis gegeben, weil konflikte stoßen werden. Das ist nichts Illegitimes. man sich in dieser Institutionen-Frage nicht einigen Wichtig ist nur, daß man weiß, welcher Vertreter, wel- konnte. Das muß man einmal ganz deutlich sagen. cher Experte wo steht, wofür er spricht und was seine (Zuruf von der SPD: Das stimmt doch Position ist. nicht!) (Wetzel [GRÜNE]: Und die Betroffenen? — — Doch, das ist richtig. — Zuruf von den GRÜNEN: Und die Gewerk- (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: schaften?) Natürlich!) —Warum nicht! Selbstverständlich! Sie sind doch ein Lassen Sie mich deswegen jetzt einmal — wir haben entscheidender Faktor in unserem gesellschaftlichen ja später noch viel Zeit, uns im Ausschuß damit aus- Leben und in unserer Diskussion. Aber, verehrter einanderzusetzen — einige Kriterien formulieren, die Herr Kollege, Sie dürfen ihnen kein allgemeines poli- an eine solche Einrichtung zu stellen wären. tisches Mandat zubilligen. Das bestreite ich dann Nach meinem Dafürhalten muß sie sich zunächst allerdings ganz energisch. einmal durch ein Minimum an Bürokratie auszeich- (Zuruf von den GRÜNEN: Das die Wirtschaft nen. hat!) - (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sehr —Das hat niemand außer denen, die hier sitzen, auch gut!) Sie, weil wir alle hier in freien, geheimen usw. — Sie Von Anfang an ist uns nämlich im Zusammenhang mit wissen das — Wahlen gewählt worden sind und uns dem amerikanischen Office of Technology Assess- dafür auch vor der Bürgerschaft rechtfertigen müs- ment immer wieder der Vorwurf der Bürokratie mit sen. der Gefahr der Verselbständigung gemacht worden. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1053

Lenzer Das ist ein Vorwurf, den man nicht so mit leichter auch nicht gut — , sondern es ist etwas, was schließlich Hand wegwischen kann; der besteht nach wie vor. zu einer Lösung führt, bezüglich deren jeder nach sei- (Maaß [CDU/CSU]: Sehr richtig!) nem politischen Standort und seiner politischen Ver- antwortung als Abgeordneter eine Entscheidung tref- Ein weiterer Punkt ist, an eine solche Institution den fen kann. Anspruch zu stellen, daß sie zu den Themen, die uns Vielen Dank. parlamentsbezogen interessieren, externen Sachver- stand pragmatisch und ad hoc mobilisiert und Fragen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. stellt, die die Experten beantworten sollen. Probst [CDU/CSU]: Das war gut! — Bohl [CDU/CSU]: P rima!) Ein anderer Punkt ist — ich glaube, das kann man gar nicht oft genug betonen — : Der P rimat der Politik muß gewahrt bleiben. Die Entscheidung, die letzte Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Abge- Entscheidung darf nicht in ein Gremium verlagert ordnete Vahlberg. werden, das eine Art Mixtum compositum aus Politi- kern und Experten ist, sondern die Entscheidung muß hier im Parlament bleiben, dort, wo sie hingehört. Vahlberg (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lenzer, Sie haben die richtige Fest- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — stellung getroffen, Zuruf von der SPD) (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: — Wenn das unbestritten ist, habe ich die gute Hoff- Macht der immer!) nung, daß wir uns einigen werden. Ich nehme das mit daß sich der Deutsche Bundestag mit der Frage der Freuden zur Kenntnis. — Technologiefolgenabschätzung nicht zum erstenmal Meine Damen und Herren, in dem Zusammenhang beschäftigt. Und es ist auch nicht Ihre erste Rede hier zum Schluß noch ein ganz konkreter Hinweis. Nach zu diesem Thema gewesen. Ich muß allerdings sagen: mir spricht sicherlich der Vertreter der SPD-Fraktion. Es war die Rede mit dem geringsten Engagement, mit Ich weiß zwar nicht genau, wer es sein wird, einem Null-Engagement, (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Nach (Catenhusen [SPD]: Doppel-Null!) dir kann gar nichts ordentliches mehr wenn ich es mit dem vergleiche, was Sie in früheren kommen!) Ausführungen gesagt haben. aber wenn ich es richtig einschätze, der Kollege (Bohl [CDU/CSU]: Sie machen jetzt Doppel Catenhusen. Null!) (Catenhusen [SPD]: Nein!) Ich habe mir Ihre Rede aus Anlaß dieser Debatte noch — Auch wenn Sie es nicht sind, Herr Kollege Caten- einmal zu Gemüte geführt, husen, wende ich mich dennoch an Sie. Sie waren (Dr. Probst [CDU/CSU]: Das ist sehr gut, Herr Vorsitzender der Enquete-Kommission „Chancen und Kollege!) Risiken der Gentechnologie". Sie selbst haben in dem und ich werde dann auch aus einer Rede von Ihnen Abschnitt F Ihres Berichts — ich bitte Sie, das alles zitieren. einmal in Ruhe nachzulesen — eine Fülle von konkre- ten Empfehlungen zur Arbeit technologieorientierter Für mich ist es das dritte Mal, daß ich zu diesem Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages Thema hier Stellung nehme. Leider kann ich nicht gegeben. Ich halte das, was dort geschrieben ist, für sagen — in dem Fall jedenfalls — , daß aller guten sehr vernünftig und sehr verdienstvoll. Ich brauche Dinge drei sind. Das liegt nicht an mir als Redner, das jetzt nicht zu zitieren. (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Doch, (Abg. Catenhusen [SPD] meldet sich zu einer das liegt an dir!) Zwischenfrage) sondern das liegt an den Umständen, und es liegt vor — Ich bitte Sie um Verständnis, daß ich bei dieser allen Dingen an dem Antrag, den Sie vorgelegt kurzen Redezeit keine Zwischenfrage zulasse. haben. (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie können das über Pfingsten nachlesen! — können nur besser werden, Herr Vahl berg!) Frau Traupe [SPD]: Sie sollten sich an die Spielregeln halten!) Ich habe das dunkle Gefühl, Herr Carstensen, daß wir heute, begleitet von den besten Wünschen für die Meine Redezeit ist gleich auch abgelaufen. Hier vorne Gesundheit, eine Leiche beerdigen. Mit der Leiche blinkt bereits das rote Licht auf. — Meine Damen und meine ich die Institutionalisierung, nicht, daß wir hier Herren, ich bitte Sie, daß wir uns nach der Überwei- nicht zu einer Enquete-Kommission kommen, selbst- sung in den zuständigen Ausschüssen in aller Ruhe verständlich. Dazu sage ich noch etwas. Das Wort und Sachlichkeit zusammensetzen und beraten. „Institutionalisierung" taucht aber in Ihrem Antrag (Bohl [CDU/CSU]: Genau!) - überhaupt nicht mehr auf. Ich bin sicher, daß dann etwas Vernünftiges heraus- Wir haben vor zweieinhalb Jahren eine Enquete- kommt. Das ist dann nicht etwas, was es allen recht Kommission eingesetzt. Wir waren uns damals einig, macht — davon gehe ich gar nicht aus, das ist gar nicht wie wichtig es ist, den Bundestag in die Lage zu ver- unser Ziel —, das einen falschen Konsens auf dem setzen, Chancen und Risiken neuer Technologien kleinsten gemeinsamen Nenner herstellt — das wäre früher zu erkennen, um darauf reagieren zu können. 1054 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Vahlberg Die CDU/CSU hat damals sogar mit den GRÜNEN ren. Deshalb geht es hier, wie gesagt, nicht darum, ein gemeinsam einen Antrag eingebracht. So aktioni- Technikverhinderungsinstrument zu schaffen. Die stisch, so euphorisch waren Sie damals. Folgewirkungen aber, auch die negativen, müssen natürlich auch vom Parlament rechtzeitig gesehen Wenn man sich die vollmundigen Reden von damals vergegenwärtigt und sich Ihren Antrag von werden. heute anschaut, dann muß man dem Kollegen Wetzel (Dr. Probst [CDU/CSU]: Frühwarnsystem!) zustimmen, daß das wirklich eine windige Angele- genheit ist. — Frühwarnsystem, völlig richtig. — (Catenhusen [SPD]: Das ist eine Kümmer- Das war einmal auch Ihre Auffassung, meine Herren form!) von der Union. — Das ist eine Kümmerform. Sie führen da aus: Ich darf vielleicht den jetzigen Bundesforschungs- Die Enquete-Kommission hat die Aufgabe, den minister zitieren. Der hat 1977 gesagt: Alle Fraktionen Informations- und Wissenstand des Deutschen und die Bundesregierung waren sich darüber einig, Bundestages über wesentliche technische Ent- daß die entscheidende Frage der kommenden Jahr- wicklungslinien zu verbessern, für die in Zukunft zehnte sein wird, ob wir imstande sind, aus politi- ein politischer Entscheidungs- und Beratungsbe- schem Willen die Entwicklung der Technologie zu darf besteht. beherrschen und damit die Zukunft zu gestalten, oder Verwaschener kann man es wirklich nicht ausdrük- ob wir vor angeblich unvermeidlichen Eigengesetz- ken. lichkeiten der Technik kapitulieren. Das Parlament und sein Ausschuß für Forschung und Technologie (Zuruf von der CDU/CSU: Dann drücken Sie sind dem Herrschaftswissen der Exekutive nahezu es einmal gut aus!) waffenlos ausgeliefert. Dann geben Sie dieser Enquete-Kommission einen (Dr.-Ing. Laermann [FDP]: Aber nicht nur Zeitraum für die Arbeit bis Ende 1988. Wenn man dieser Ausschuß! Begreifen Sie das doch ein davon ausgeht, daß diese Enquete-Kommission erst mal!) im Herbst zur Arbeit kommt, (Lenzer [CDU/CSU]: Doch nur für die The- Das war eine Position! men, die schon angefangen sind!) Ich zitierte weiter Riesenhuber: Die Kontrolle der dann bleibt ein halbes Jahr für die Arbeit. Regierung findet hier im wesentlichen nicht statt. Das bedeutet zugleich, daß das Parlament nicht aus eige- Das Ganze ist eine Beerdigung, und zwar — so sehe ner Erkenntnis imstande ist, Position zu beziehen. Wir ich es jedenfalls — ein Armenbegräbnis. Die Mängel haben die Aufgabe, Politik aus der technisch gepräg- dieses Antrags sind einfach offensichtlich, und dies, ten Welt in die Heimstatt zurückzuholen, die ihr nach obwohl wir seit der Zeit der Einsetzung der ersten unserer Verfassung gegeben ist. Der Minister äußert Enquete-Kommission eine ganze Reihe von Folgewir- sich seit geraumer Zeit im Parlament nicht mehr zum kungen von Technologie erlebt haben — darauf ist Thema Technologiefolgenabschätzung. schon hingewiesen worden — : Tschernobyl, Luft-, Wasser-, Bodenverunreinigung von existentiellem (Lenzer [CDU/CSU]: Er hat vor kurzem eine Ausmaß, Klimakatastrophe, aber auch die Auswir- Pressekonferenz gemacht, lieber Freund! — kungen der Informations- und Kommunikationstech- Dr. Probst [CDU/CSU]: Das kann er auch nologien auf die Lebens- und vor allen Dingen auf die nicht!) Arbeitswelt der Bürger. — Wieso kann er das nicht? Walter Wallmann, als er noch Umweltminister war, hat anläßlich der Rheinkatastrophe gesagt: (Dr. Probst [CDU/CSU]: Das ist doch nicht Es ist leider so, daß man erst durch Unglücke sein Verfassungsauftrag! Das muß das Parla besonders sensibel wird. ment selber machen!) Langfristige Vorausschau und Vorbeugung sei, so Das kann er sehr wohl. Er hat dies hier einmal vehe- Wallmann, statt dessen vonnöten. Die Sensibilität ist ment befördert, als er noch einfacher Abgeordneter Ihnen jedenfalls offensichtlich abhanden gekommen. war, und ich würde von ihm erwarten, daß er dazu Dieser Antrag hat nicht einmal das Format eines Fei- heute noch steht. genblatts. (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Er hat Nun verstehen wir Sozialdemokraten ein Technolo- klar Stellung genommen!) gieprognoseinstrument nicht als eine Technikbehin- derungs- und -verhinderungseinrichtung, sondern Sie Herr Lenzer, haben vor zwei Jahren — nicht wir nehmen es auch als eine Chance, neue Technik- hier, sondern im alten Haus — ausgeführt: Wer könnte entwicklungen frühzeitig aufzugreifen, z. B. Mem- schon als einzelner Abgeordneter, selbst als Fraktion brantechnik, Supraleittechnik oder Solarwasserstoff- - mit einem minimalen Stab gegen den geballten Sach- technologie, frühzeitig Förderungsmaßnahmen für verstand der Ministerien, gegen die Hundertschaften solche Technologien anzuregen. Auch das wäre eine von Experten antreten usw.? Ich will nicht zuviel zitie- Aufgabe, die ein Institut zur Technologiefolgenab- ren; ich könnte mit den Zitaten fortfahren. Jedenfalls schätzung wahrnehmen könnte. Ohne moderne Tech- ist von diesem Engagement, das auf Ihrer Seite einmal nologien kann unsere Volkswirtschaft nicht existie- vorhanden war, nichts mehr zu spüren. Ich stelle Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1055

Vahlberg Ihnen Ihre eigenen Reden gern als Pfingstlektüre zur tung, die darauf spezialisiert ist, Technologien recht- Verfügung. zeitig und frühzeitig zu erkennen. (Lenzer [CDU/CSU]: Das habe ich doch sel- Auch die anderen Argumente, die einer solchen ber! Ich sammele die doch!) Institution entgegengehalten werden, kann man zer- — Die haben Sie selber. Lesen Sie diese Reden noch pflücken. Beim Bürokratieargument muß man halt einmal durch! mal springen und sagen: Wenn man will, daß nur Technologieauswirkungen bewertet werden sollen, (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wer dann muß man dafür auch Wissenschaftler, Wissen- hat eigentlich so verzögert?) schaftlerinnen bereitstellen, die diese Arbeit ausfüllen Nun wäre es nicht fair, wenn ich verschweigen sollen. wollte, daß es über die Union hinaus weiteren Wider- Lassen Sie mich noch eines sagen — zum Abschluß, stand hier im Hause gibt. Der Haushaltsausschuß z. B. weil hier auch schon wieder das rote Licht blinkt —; hat mit einer großen Lässigkeit die zweijährige Arbeit der Enquete-Kommission weggewischt. Das ist schon (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Nicht wirklich souverän, wie er damit umgegangen ist. immer hält das rote Licht ...!) Nicht immer hält das rote Licht . . . Vizepräsident Frau Renger: Gestatten Sie eine Zwi- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) schenfrage des Abgeordneten Carstensen? Ich lasse den zweiten Teil mal weg, Herr Carsten- sen. Vahlberg (SPD): Aber sicher. (Erneute Heiterkeit bei der CDU/CSU — Peter [Kassel] [SPD]: Jetzt haben sie dich Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Herr Kollege aber durcheinandergebracht!) Vahlberg, wenn Sie jetzt aufzählen, wer sonst noch — ... was es dem Wandersmann verspricht. verzögert hat, werden Sie sicherlich auch Ihre Frak- (Zuruf von der CDU/CSU) tion und die Aktivitäten bzw. Nicht-Aktivitäten Ihrer Fraktion nicht vergessen, zu einer Entscheidung zu — Genau. kommen. Nein, (Peter [Kassel] [SPD]: Wie denn nun: ja oder Vahlberg (SPD) : Das kann ich so nicht sehen. Es gibt nein?) eine ganze Reihe von Entscheidungen in der Fraktion, im Sommer letzten Jahres hat der BDI mit einem B rief im Vorstand der Fraktion, die eindeutig eine Institu- an Ihren Fraktionsvorsitzenden eine Umkehr bei tionalisierung von Technologiefolgenabschätzung Ihnen bewirkt. Bitte haben Sie Sensibilität in bezug beim Bundestag will. Deshalb ist von uns und hier von auf das, was jetzt von der Industrie gesagt wird, etwa mir persönlich in einer der letzten Sitzungen der alten von Herrn Kaske, Siemens, oder vom Vorstandsvorsit- Legislaturperiode auch angekündigt worden, zer der Firma Daimler Benz, Breitschwerdt. Ich kann (Bohl [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, stimmt ihn hier zitieren. Er sagt: das?) Der Bundestag braucht eine solche Institution. daß wir die Arbeit fortsetzen wollen, daß wir den Das würde der Technikentwicklung nur dienlich Antrag in der 11. Legislaturperiode einbringen wer- sein. Die erste Gewalt muß auch mit einem ent- den. Da liegen Sie also falsch. Wir stehen nach wie vor sprechenden Sachverstand ausgestattet sein. zu dem, was wir immer gesagt haben: Wir wollen eine (Lenzer [CDU/CSU]: Da hat er auch recht!) Institutionalisierung beim Deutschen Bundestag. — Bitte, dann folgen Sie dem, und bügeln Sie jetzt (Dr.-Ing. Laermann [FDP]: Das löst aber das nicht eine solche Institution weg, obwohl wir uns zwei Problem nicht!) Jahre im Ausschuß mit den Argumenten auseinander- Nun haben Sie, Herr Lenzer, auf die Arbeit von gesetzt haben. Enquete-Kommissionen hingewiesen und haben vor Herr Lenzer, meine Herren von der Union, .. . allen Dingen den Kollegen Catenhusen angespro- chen. Die sicherlich gelungene Arbeit der Enquete Herr Kollege! Kommission „Gentechnologie" macht aber auch deut- Vizepräsident Frau Renger: lich, daß dieses Thema vom Bundestag erst behandelt worden ist, nachdem es zehn Jahre lang oder länger Vahlberg (SPD) : wir geben die Hoffnung nicht auf, ein Thema hätte sein können. (Lenzer [CDU/CSU]: Das können Sie wirk- lich nicht sagen!) Vizepräsident Frau Renger: Er macht schon zwei — Natürlich. Hier dringt doch erst etwas durch die Minuten mehr. Tagesroutine, wenn es wirklich virulent ist. - (Dr. Probst [CDU/CSU]: Ein Kind können Sie Vahlberg (SPD):... daß Sie wieder ihre alte Linie erst füttern, wenn es auf der Welt ist!) finden und bereit sind, einer Institutionalisierung der Technologiefolgenabschätzung beim Bundestag das Erst wenn es virulent ist, dringt es hier durch die Wort zu reden. Tagesroutine. Das ist der Nachteil einer Enquete Kommission, die jeweils aus der Taufe gehoben wer- Recht herzlichen Dank. den muß, gegenüber einer ständig tagenden Einrich (Beifall bei der SPD) 1056 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat Herr Pro- blem des F- und T-Ausschusses allein. Das ist der fal- fessor Dr. Laermann. sche Ansatz. Was wir machen müssen, ist folgendes: Lassen Sie Dr.-Ing. Laermann (FDP) : Frau Präsident! Meine uns doch den Versuch unternehmen, die ressortorien- sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin etwas tierte Arbeitsweise des Parlaments zu überwinden. überrascht und auch betroffen von dem Ablauf der Hier schotten wir uns gegenüber anderen Problembe- Diskussion, weil man in dieser Runde offenbar dem reichen ab. Wir haben es doch gestern wieder im Aus- Glauben anhängt — das hat mich insbesondere bei schuß erfahren. Das kann doch angesichts der Kom- Ihnen, Herr Wetzel, etwas schockiert —, daß man mit plexität der politischen und der gesellschaftlichen einer Organisation oder Institutionalisierung der Entwicklung nicht richtig sein. Bürokratie, in welcher Form auch immer, das eigent- liche Problem, dem wir uns hier zuzuwenden haben, Ich meine auch, daß in bezug auf die Sachverstän- erledigen könnte. digen das Parlament mit Nachdruck auf Objektivität, Unabhängigkeit und ausgewiesene Kompetenz der (Wetzel [GRÜNE]: Ich bitte um alternative zu Beratungen hinzugezogenen Experten bestehen Vorschläge!) muß. Da ist vieles, was wir an bisherigen Erfahrungen Ich befasse mich mit diesem Thema in diesem gesammelt haben, als negativ zu bezeichnen. Hohen Hause nun seit 14 Jahren. Ich möchte fast (Zuruf von der SPD: Herr Laermann, über sagen: Es ist wie ein Ritual. Sie können ein dickes nehmen Sie doch den Vorsitz!) Kompendium von Ausführungen von mir zu diesem Thema hier nachlesen. Ich muß Ihnen hier gestehen: Es treiben mich einige Ich will aber versuchen, etwas kritisch zu dem Stel- Fragen um. Ist es denn tatsächlich möglich, daß wir lung zu nehmen, was die Enquete-Kommission in der Objektivität der Sachverständigen erwarten können? vergangenen Legislaturperiode vorgelegt hat. Dazu Werden nicht die Experten in Kommissionen, auch ist wenig gesagt worden. Es ist auf Anträge verwiesen Enquete-Kommissionen, zu Anhörungen und sonsti- worden, die aber nicht das Entscheidende sind. Es gen Veranstaltungen des Parlaments nach dem Par- kommt vielmehr darauf an, wie wir die weitere Arbeit, teienproporz, nach den Vorstellungen oder — lassen unsere Aufgabe in diesem Bereich gestalten. Sie es mich deutlicher sagen — nach den Vorurteilen der vorschlagenden Gruppen bzw. Fraktionen ausge- Angesichts der rasanten Entwicklungen und des wählt? Können nicht auch auf diese Art und Weise gewaltigen Erkenntniszugewinns in Naturwissen- Experten politisiert werden? Ich habe so meine Erfah- schaft und Technik und des dadurch initierten rungen in den Enquete-Kommissionen. Führen nicht raschen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wan- widersprüchliche Aussagen von Experten in reinen dels kann es für die demokratischen Institutionen Sach- und Fachfragen auf den verschiedensten keine Frage sein, ob Technikfolgenbewertung und Gebieten, nicht nur in der Technik, die oft auch diffus -abschätzung eine politische Notwendigkeit ist. Was und vorurteilsbehaftet sein können, eher zur Verunsi- wir hier zu diskutieren haben und schon seit langem cherung und Verwirrung der Politiker als zu deren diskutieren, ist die Frage, wie wir dieser Notwendig- Erleuchtung? Da sagt der eine Experte: ja, der andere keit entsprechen. Ich möchte zu dieser Frage des Wie Experte sagt: nein; wir stehen da und müssen ent- doch einige Überlegungen anstellen, auch einige Fra- scheiden. Entscheiden wir nach der Farbe der Kra- gen formulieren. watte, die passender zum Anzug ist als die eines ande- (Abg. Schreiner [SPD] meldet sich zu einer ren? Zwischenfrage) (Frau Garbe [GRÜNE]: Nach Inhalten!) — Entschuldigen Sie, Herr Kollege Schreiner, lassen Sie mich meine Ausführungen machen. Ich habe — Eben! Genau das ist nämlich der Punkt: ja und begrenzte Zeit. nein. Dann kommt die Empfehlung: Die beiden Aus- Ich bin der Auffassung, daß der Versuch, diese sagen haben sich neutralisiert, vergessen wir doch Frage organisatorisch zu lösen, scheitern muß. beide Aussagen, denn wir müssen schließlich die Ent- scheidung treffen. Dies ist ein Problem. Erstens möchte ich feststellen: Die Frage der Tech- nologiefolgenbewertung muß als ein permanenter Wie lassen sich schließlich parteipolitische Orientie- Prozeß begriffen werden. Es kann nicht richtig sein, rungen und Voreingenommenheiten der entschei- dies durch die einmalige Befassung mit einem kon- denden Organe hier verhindern und überwinden? kreten Problem erledigen zu wollen. Hier zählen doch im demokratischen Prozeß die Mehrheiten, und hier gibt es vorgefaßte Meinungen. Zweitens denke ich, das ganze Unternehmen muß Werden wir die durch Experten alleine überwinden auch als eine Querschnittsaufgabe begriffen werden, können? Ich fürchte: nein; denn nicht selten haben in die alle Politikbereiche einbezogen werden müs- eindeutige Fakten in politischen Auseinandersetzun- sen. Nun haben hier wieder nur Forschungspolitiker gen wenig zentrales Gewicht. Auch dies ist eine gesprochen. Das kann doch nicht die Lösung des Pro- Erfahrung, die ich hier einmal vermitteln möchte. blems sein. Es kommt doch darauf an, daß wir wirklich - alle Politikfelder rechtzeitig sensibilisieren und darauf Werden alle Fragen des Ihnen vorliegenden Zwi- hinweisen, was denn an Entwicklungen, notwendi- schenberichts der Enquete-Kommission TA geklärt? gen Maßnahmen und Entscheidungsalternativen in Sind sie aufgegriffen worden, und werden sie von der anderen Politikbereichen infolge technischer Ent- dort vorgeschlagenen Organisationsstruktur beant- wicklungen entstehen kann. Das ist doch das Pro- wortet werden? Auch hier habe ich meine Bedenken. blem, das wir hier lösen müssen. Es ist nicht ein Pro- Ich fürchte: nein.Es ist nicht eine Frage der Organisa- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1057

Dr.-Ing. Laermann tion, sondern es ist eine Frage unserer Einstellung anderen transportiert werden. Ich frage nur, ob dies dazu, der Einstellung des Parlaments, als Gesamtpar- eine Möglichkeit sein könnte. Es geht nicht um eine lament zu diesen Fragen Stellung zu nehmen. Institution, eine Organisation oder eine Bürokratie. Wie groß müßte die denn sein? Wenn ich das Office of Ich wiederhole: Ich habe meine Zweifel, ob die ent- Technology Assessment mit 200 Mitarbeitern und wickelten Modellvorstellungen den fraktionsspezifi- einem Jahresetat von 5 Millionen Dollar sehe, so stellt schen Wertmustern, gleich, welcher Fraktion, und den sich die Frage : Können wir uns dies leisten? Wird uns Entscheidungsstrukturen entsprechen und entspre- eine solche Einrichtung die Möglichkeit liefern, dieser chen können. Aufgabe, der wir uns stellen müssen, tatsächlich Die Enquete-Kommission Technikfolgenbewertung gerecht zu werden? Ich sehe mir an, was in den USA in der 10. Legislaturperiode hat sich — das möchte ich abgelaufen ist und wie es abläuft. Solche Organisatio- mit Nachdruck herausstellen — auf hohem sachlichen nen haben die Tendenz, sich zu verselbständigen, und Niveau bemüht, mit einem hohen Maß an fachlicher am Ende, fürchte ich, steht für viele Politiker die Nei- Kompetenz dem Anspruch zu genügen, den wir bei gung, diese Organisation mit Alibifunktionen zu bele- der Einsetzung dies& Kommission an ihre Arbeit gen, sich der eigentlichen Aufgabe und — hier ist geknüpft haben, in der Erwartung, daß wir nunmehr heute schon wiederholt Jonas zitiert worden — der nach fast 14jähriger Diskussion im Parlament endlich verpflichtenden Verantwortung zu entziehen. Eine zu einer vom gesamten Parlament getragenen Lösung solche Arbeit, eine solche Aufgabe müssen wir leisten. kommen. Für diese Arbeit möchte ich dieser Kommis- Die können wir nicht einer Bürokratie überlassen. sion, ihrem Vorsitzenden, den Kollegen Abgeordne- Ich denke und hoffe, daß wir bei den anstehenden ten, den Experten wie auch dem Stab ganz herzlich Beratungen in den Ausschüssen über diese Frage danken. wirklich einmal nachdenken und uns anschließend (Wetzel [GRÜNE]: Aber Ihr Antrag ist kein orientieren, wie wir die konkreten Arbeitsformulie- guter Dank!) rungen für die nachfolgende Enquete-Kommission gemeinsam finden. Wir haben in der Vergangenheit Aber kann denn erwartet werden, daß mit dem nun- ein gutes Stück Gemeinsamkeit gefunden. Ich hoffe mehr vorliegenden Vorschlag im Zwischenbericht nicht, daß die SPD-Fraktion dann wieder aussteigt. unsere Probleme wirk lich gelöst werden? Ich möchte Dies, glaube ich, sollten wir diesmal vermeiden. Ich dies noch einmal mit einem Fragezeichen versehen. hoffe — ich jedenfalls werde mich darum bemü- Der Eindruck ist nicht zu vermeiden, daß sich der hen — , daß diese Fragen in die Ausschußberatungen organisatorische Vorschlag stark an den Bedürfnissen aufgenommen werden. des Forschungsausschusses orientiert, daß er den Ich bedanke mich. Kontrollgedanken zugunsten der Verbesserung von Gestaltungsmöglichkeiten zurücknimmt und nur ten- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — dentiell die Chancen zur unabhängigen Beratung Zuruf von der SPD: Herr Laermann, Sie über erhöht. nehmen den Vorsitz!) Gewiß haben alle Politikbereiche ein erhebliches Vizepräsident Frau Renger: Weitere Wortmeldun- Bedürfnis an objektiver Beratung. Ich sage hier nicht gen liegen nicht vor. zum erstenmal, daß wir dem gewaltigen Apparat der Exekutive mit ihrem geballten, tatsächlichen oder Ich schließe die Aussprache. scheinbaren Sachverstand manchmal hilflos gegen- Zu den Tagesordnungspunkten 17 a bis 17 c und über stehen. Aber glauben wir denn wirk lich, daß wir Zusatztagesordnungspunkt 3 wird vorgeschlagen, die dieses Defizit mit einer Kommission, wie sie hier vor- Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten geschlagen ist, allein werden überwinden können? Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einver- Ich fürchte, nein. Deswegen müssen wir uns darum standen? — Das ist der Fa ll. Dann ist so beschlos- kümmern und uns darum sorgen, nach welchen struk- sen. turellen Vorstellungen wir der eigentlichen politi- schen Aufgabe gerecht werden können. Ich wieder- Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: hole es: Das kann nicht eine Aufgabe des Forschungs- und Technologieausschusses allein sein, sondern es Beratung des Berichts der Enquete-Kommis- ist eine der Grundvoraussetzungen, die wir nun ein- sion „Chancen und Risiken der Gentechnolo- mal schaffen müssen und die wir erfüllen müssen: daß gie" gemäß Beschlüssen des Deutschen Bun- wir der Notwendigkeit der Interdisziplinarität ent- destages — Drucksachen 10/1581, 10/1693 sprechen. Eine solche Lösung — auch dies ist eine — Drucksache 10/6775 — Forderung, die ich hier zum wiederholten Male vor- Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: trage — der Frage, der wir uns hier zuwenden, mit der Ausschuß für Forschung und Technologie (federführend) wir uns schon seit langem beschäftigen, muß die Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß Funktion eines Frühwarnsystems erfüllen. Das bedeu- Rechtsausschuß tet Interdisziplinarität. - Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ich könnte mir vorstellen — ich sage das ganz unge- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung schützt — , daß man vielleicht einmal dem Gedanken Verteidigungsausschuß nachfolgt, daß es in regelmäßigen Abständen gemein- Ausschuß für Jugend, Fami lie, Frauen und Gesundheit same Sitzungen aller Ausschußvorsitzenden geben Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit könnte, damit die grundlegenden Probleme in der Tat Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auch einmal aus dem einen Politikbereich in den Haushaltsausschuß 1058 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Vizepräsident Frau Renger Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu wir es uns noch vor drei Jahren gedacht hatten. Ich zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — will das an zwei Beispielen verdeutlichen. Auch darüber herrscht Einigkeit. Dann ist das so beschlossen. Die Benda-Kommission der Bundesregierung glaubte etwa bei der Genomanalyse, bei der Technik, Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- menschliche Erbanlagen zu analysieren, noch keinen ordnete Catenhusen. Handlungsbedarf zu sehen. Wir wissen heute, daß durch die Entwicklung von Analysemaschinen unter Catenhusen (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen Nutzung der Mikroelektronik die Hoffnung verflogen und Herren! Als der Bundestag vor fast drei Jahren die ist, die Entschlüsselung eines bedeutenden Teils der Einsetzung einer Enquete-Kommission Chancen und menschlichen Erbanlagen ließe wenigstens bis zum Risiken der Gentechnologie auf der Grundlage eines Ende dieses Jahrtausends auf sich warten. In Amerika Antrages der SPD-Bundestagsfraktion beschloß, kom- spricht man vom großen Manhattan-Projekt, um mentierte mancher auch in diesem Hause unser Vor- innerhalb von zehn Jahren das menschliche Genom haben mit Skepsis, etwa: Kommt ihr nicht wie bei der entschlüsselt auf Karten festhalten zu können. Und Kernenergie wieder um viele Jahre zu spät? Auf ande- galt, meine Damen und Herren, die Erörterung mög- ren Seiten war zu hören: Typisch deutsch; die Welt licher Risiken bei einer gezielten Freisetzung gen- investiert, und wir Deutschen haben nichts besseres technisch manipulierter Lebewesen für unser Ökosy- zu tun, als zu diskutieren. stem 1984 noch als hypothetische Erörterung weit in der Zukunft liegender Anwendungsmöglichkeiten, so Ich meine, nach drei Jahren intensiver Arbeit von ist dieser Weg in den letzten Monaten in den USA Abgeordneten aller Fraktionen und der wich tigen bereits eingeschlagen worden. Ich befürchte, daß die Mitarbeit vieler Sachverständiger hat die Enquete- Möglichkeit, gentechnisch manipulierte Bakterien Kommission einen Bericht vorgelegt, der eine wich- und nun auch gentechnisch manipulierte Pflanzen tige Orientierungs- und Entscheidungshilfe für das und Bakterien patentieren zu können, eine neue Stufe Parlament, aber auch für die Öffentlichkeit darstellt. des Biobooms im Bereich der Tier- und Pflanzenzucht (Beifall bei der SPD) mit all den schlimmen Verwerfungen und mit all den Ich meine, diese Arbeit hat sich gelohnt. Ich möchte Versuchungen auslösen wird, die damit für menschli- dies mit einigen wenigen Gesichtspunkten noch ein- ches Handeln verbunden sind. Die Idee der Nutzung mal verdeutlichen. von Tieren als Produktionsanlage für medizinische Stoffe bestimmt heute schon die Investitionsplanung Ich meine, es ist wichtig, daß wir in die Beratungen europäischer und deutscher Chemie- und Pharma- in den Ausschüssen mit der gemeinsamen Erkenntnis konzerne. hineingehen, daß wir mit einer realis tischen Einstel- lung an die Bewe rtung von Chancen und Risiken der Eine Enquete-Kommission, meine Damen und Her- Gentechnologie herangehen sollten. Die Gentechnik ren, ist immer gut beraten, sich darauf zu konzentrie- ist nicht der Schlüssel zur Lösung wich tiger gesell- ren, daß sie die Entscheidung des Deutschen Bundes- schaftlicher Probleme, wird medizinische und Hun- tages vorzubereiten hat. Das ist ihre Aufgabe. Ich gerprobleme der Welt nicht lösen. Aber es ist keine denke, wir sind diesem Auftrag mit konkreten Emp- Frage, daß sie uns eine wich tige Hilfe in vielen Berei- fehlungen nachgekommen. Ich will das an einigen chen liefern kann, vor allem im Bereich der Bekämp- Beispielen verdeutlichen. fung und Erkennung von Krankheiten. Wenn die GRÜNEN auf ihrem Bundesparteitag mit dem absolu- Ich glaube, es ist sehr wichtig, festzuhalten, daß wir ten Nein zur Gentechnologie versucht haben, auf uns gemeinsam einig waren in der Forderung nach einer Welle von Sorgen der Bevölkerung zu schwim- einem klaren Verbot des Eingriffs in die menschli- men, dann müssen sie intern zugeben, daß spätestens chen Erbanlagen. Es ist sehr wichtig, daß wir uns einig bei der Frage, ob wir nicht zur Erkennung und besse- waren in dem Vorschlag einer Gefährdungshaftung ren Bekämpfung von AIDS auf die Methode der Gen- für den Umgang mit der Gentechnologie in Forschung technologie zwingend angewiesen sind, ihre Politik und Industrie. Es ist wichtig, daß wir uns gemeinsam des absoluten Neins der Sache nicht angemessen darauf verständigt hatten, die bestehenden Sicher- ist. heitsvorschriften für den Umgang mit der Gentechno- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten logie auf eine rechtlich verbindliche Grundlage zu der CDU/CSU) stellen. Gegen diese Forderung haben der Verband der chemischen Industrie und die Deutsche For- Wir haben gemeinsam festgestellt, daß es einen tat- schungsgemeinschaft vorsichtige Kritik geäußert. sächlichen Handlungsbedarf der Gesellschaft in die- sem Bereich gibt. Die Gentechnik ist eine universal Meine Damen und Herren, ich meine, daß diese Kri- einsetzbare Schlüsseltechnologie, die in vielen Berei- tik unberechtigt und unbegründet ist. Die Kommission chen unsere gesellschaftlichen Strukturen, ja unser war sich darin einig, daß es auch in Zukunft gesichert Wertesystem beeinflussen und verändern kann. Die bleiben muß, daß die Sicherheitsvorschriften für den Frage, wie wir mit dieser Technik umgehen sollen, Umgang mit der Gentechnologie flexibel und rasch sollte nicht allein von der Wissenschaft und der Indu- auf den jeweiligen Erkenntnisfortschritt angepaßt strie, sondern von der gesamten Gesellschaft und werden können; denn unsere heutige Einschätzung in damit auch vom Gesetzgeber beantwortet werden. der Frage, was gefährlich und was ungefährlich ist, Wir haben in den drei Jahren doch festgestellt, daß kann sich in kurzer Zeit im Guten wie im Schlechten der Zeitdruck auf politische Entscheidungen, wie wir ändern. Es war nicht die Absicht der Kommission, die- mit der Technik umgehen sollen, viel stärker war, als ses zu erschweren. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1059

Catenhusen Es muß aber im Interesse der Forschung und der Auswirkungen mit dem Einstieg in die synthetische chemischen Industrie sein, daß sich alle, die mit der Biologie verbunden sind; denn dann wird es darum Gentechnik umgehen, auch alle Industriezweige, gehen, daß nicht mehr nur bekannte Erbinformatio- gleichen Sicherheitsauflagen unterwerfen müssen. nen mit bekannten Eigenschaften gemischt werden, Kleine Genboutiquen können heute schalten und wal- sondern es könnte darum gehen, daß auf dem Reiß- ten, wie sie wollen. Wenn Verstöße gegen freiwillige brett neue Bausteine des Lebens mit unbekannten Sicherheitsrichtlinien bekannt sind, denke ich, ist es Eigenschaften konstruiert werden. Ich kann nur eine Pflicht des Gesetzgebers, hier für alle gleiche sagen: Nach dem, was ich heute weiß, würde ich eine Bedingungen zu schaffen. solche Anwendung mit dieser Technik auf Pflanzen, Tiere und Menschen strikt ablehnen. Wenn die Deutsche Forschungsgemeinschaft von einer Tendenz zur Überschätzung von Risiken spricht, Wir müssen im Bundestag auch die Frage, wie wir die mit der Gentechnologie verbunden sind, so halte weiter mit dem patentrechtlichen Bereich der Gen- ich dem entgegen, daß angesichts bestehender Sor- technologie umgehen, eingehend diskutieren. Ich gen in der Öffentlichkeit die Kommission gut beraten glaube, daß wir nicht gut beraten sind, die Patentie- war, auch hypothetische Besorgnisse gegenüber der rung von Lebewesen auf die leichte Schulter zu neh- Gentechnologie auf den Prüfstand des in der Kommis- men, denn sie wird unter der Hand auch das Verhält- sion versammelten Sachverstandes zu legen. Ich stelle nis von uns zu Lebewesen auf die Ebene der Verfüg- mit Befriedigung fest, daß bisher niemand gegenüber barkeit über technische Apparate reduzieren. den Ergebnissen der Kommission den Vorwurf erho- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — ben hat, daß dadurch vor allem die weitere Entwick- Dr. Probst [CDU/CSU]: Ein bißchen sehr ein lung der Forschung vor unüberwindbare Hürden fach!) gestellt wird. Meine Damen und Herren, es gibt noch einen letz- Ich stelle auch mit Bef riedigung fest, daß wir im ten Gesichtspunkt, den ich anschneiden möchte. Die Bereich der möglichen Gefährdung der Umwelt durch Freiheit der Wissenschaft ist auch im Bereich der Gen- gentechnische Expe rimente das Prinzip verfolgt technologie zum Problem geworden. Wo industrielles, haben, den Schwerpunkt in den nächsten Jahren auf bisweilen auch militärisches Interesse bis in den die Erforschung denkbarer möglicher Auswirkungen Bereich der Grundlagenforschung spürbar ist und wo auf die Umwelt zu legen und nicht ohne ausreichen- aus interessenfreier, dem reinen Erkenntnisinteresse des Wissen einfach in die Umwelt mit nicht wieder verpflichteter Grundlagenforschung unversehens rückholbaren Folgen hinein zu experimentieren. produktorientierte Grundlagenforschung geworden Es ist sehr bedauerlich, daß die GRÜNEN in der ist, stellt sich doch die Frage, ob sich nicht auch die Enquete-Kommission auf der einen Seite Opfer ihrer Gesellschaft in die Zielbestimmung dieser Forschung Rotation geworden sind. Eine Kommission, die ver- einmischen sollte und ob die Stoßrichtung des sucht, in einem gemeinsamen Lernprozeß zu Ergeb- Schutzes der Wissenschaft, nämlich der Schutz vor nissen zu kommen, die eben nicht auf der Ebene des uns, noch der richtige ist. kleinsten gemeinsamen Nenners angesiedelt sind, hat Wir brauchen in den künftigen Jahren eine konti- natürlich große Schwierigkeiten, einen solchen Dia- nuierliche Begleitung der weiteren Entwicklung der log sozusagen mittendrin zu unterbrechen und ihn für Gentechnologie durch Technikfolgenabschätzung. einen Teil der Kommission noch einmal von vorn Das Beispiel unserer Enquete-Kommission zeigt, daß anzufangen. wir jetzt, da wir unsere Arbeit abgeschlossen haben, Ich möchte die GRÜNEN und die Vertreter der gut beraten wären, wenn wir nun eine wissenschaftli- GRÜNEN in den Ausschüssen ausdrücklich auffor- che Einheit beim Bundestag hätten, die die weitere dern, sich — anders als in der Kommission — an der Entwicklung verfolgen und uns dabei helfen würde. gemeinsamen Diskussion zu beteiligen, welches die (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Maßstäbe eines verantwortlichen Umgangs mit der Gentechnik sind. Ich meine, es muß das Interesse des Der unbefangene öffentliche Beobachter könnte gesamten Parlaments sein, rechtzeitig die Regelun- den Eindruck haben, daß das Parlament über gen zu treffen, die eine verantwortbare Nutzung von Zukunftsfragen wie dieses Thema am liebsten mög- Chancen dieser Technik ermöglichen, die dort, wo lichst spät und möglichst unter Ausschluß der Öffent- Gefahren nicht auszuschließen sind, Sicherheitsvor- lichkeit in möglichst kurzer Zeit reden möchte. Die kehrungen vorsehen. Kommission hat aber diesem Eindruck vorgebeugt. Wir haben Vorkehrungen getroffen, daß 13 Aus- Dort, wo wir mit nicht rückholbaren Gefährdungen schüsse des Deutschen Bundestages, d. h. die große der Umwelt rechnen müssen, dort, wo der Weg zu Mehrzahl der Kollegen, sich mit unseren Empfehlun- einer Züchtung der Menschen eingeschlagen wird, gen auseinandersetzen werden. Wir können alle dazu müssen wir als Deutscher Bundestag den Mut haben beitragen, daß wir dann ein gemeinsames Ergebnis zu sagen: Diese Entwicklung wollen wir nicht, auf die finden, das eine verantwortliche Gestaltung einer Anwendung dieser neuen Technologien wollen wir technischen Entwicklung ermöglicht. verzichten. - Am Schluß meiner Rede möchte ich mich für die (Beifall bei SPD) hervorragende konstruktive Zusammenarbeit mit Der Bericht der Enquete-Kommission ist weder im allen Kolleginnen und Kollegen in der Enquete-Kom- Deutschen Bundestag noch in der Öffentlichkeit mission bedanken und in meinen Dank vor allem die Abschluß der Debatte. Wir müssen uns in den näch- Sachverständigen aus der Wissenschaft und aus den sten Jahren verstärkt um die Frage kümmern, welche Gewerkschaften einschließen, die sich in vorbildlicher 1060 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Catenhusen Weise in der Sache engagiert und maßgeblich zum Ich will dazu jetzt nicht weiter Stellung nehmen, Erfolg unserer Arbeit beigetragen haben. aber ich meine, jeder, der sich hier in Kritik üben will, Schönen Dank. sollte den Be richt der Enquete-Kommission sehr ein- gehend lesen. Ich will vielmehr einige Grundfragen (Beifall bei der SPD) ansprechen, die nach meiner Auffassung auch bei der Beratung der Chancen und Risiken der Gentechnolo- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Abge- gie bedacht werden müssen. ordnete Seesing. Es ist nicht in der Ordnung, daß schon heute in der Gentechnologie unverrückbar erscheinende Positio- nen bezogen werden, da wir uns wesentlich erst im Seesing (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als wir vor etwa drei Jahren hier Forschungsstadium, manchmal noch nicht einmal zum ersten Mal über die Gentechnologie diskutierten, darin befinden. Die eine Position beinhaltet z. B. die hat uns Frau Präsidentin Renger gefragt, ob der Bür- völlige Ablehnung dieser neuen Technik, die andere ger draußen im Lande das wohl verstehen würde, glaubt, einer Anwendung ohne Grenzen das Wort worüber wir hier sprechen. Die Sprache, die benötigt reden zu können. So einfach kann man jedoch nicht Position beziehen. wird, um den Sachverhalt wissenschaftlich eindeutig darzulegen, scheint für den Umgang im Alltag doch Wer glaubt, ein moralisch hochstehender Mensch zu schwierig zu sein. Es wäre eigentlich richtig, wenn zu sein, weil er die Gentechnologie ablehnt, der ist man jetzt versuchte, in deutscher Sprache zu erklären, genauso auf einem Irrweg wie einer, der jegliche was Gentechnologie eigentlich ist; aber ich will mir Anwendung einer Technologie gutheißt, ohne nach das wegen der fortgeschrittenen Zeit ersparen. Folgen und Auswirkungen auf Mensch, Umwelt und Es geht darum, daß wir ein sehr weites Anwen- Zukunft zu fragen. dungsspektrum der Gentechnologie haben; dieses Ich weiß, daß sich hier grundsätzliche Überlegun- weite Anwendungsspektrum verbietet es geradezu, gen auftun. Es geht um die Frage, ob man nur durch generelle Aussagen über Nutzen oder Schädlichkeit Handeln schuldig werden kann, nicht aber durch dieser Technologie zu machen. Man muß schon jeden Unterlassen. Eine Ethik, die davon ausgeht, daß man Anwendungsbereich für sich betrachten. nur durch Handeln, nicht aber durch Unterlassen Wer sich mit dem Be richt der Enquete-Kommission schuldig werden kann, übersieht auf der anderen Gentechnologie auseinandersetzt, der wird auf eine Seite die Verpflichtung, Leid und Krankheit zu lindern Vielzahl von Chancen, aber auch von Risiken stoßen. oder gar zu verhindern, Hunger zu stillen und das Rund 180 Empfehlungen hat die Kommission dazu Leben humaner zu gestalten. formuliert. Jede einzelne dieser 180 Empfehlungen Nur durch Wissenschaft und Technik haben die muß für sich einzeln betrachtet und bewertet wer- Menschen im Laufe der Entwicklung ihre Lebensbe- den. dingungen wesentlich verbessert. Gerade in den letz- Der Bericht ist das Resultat einer Reihe von Kompro- ten hundert Jahren haben Wissenschaft und Technik missen. Auch mir ist die Zustimmung zu einzelnen die Mittel geschaffen, um die Erde mit ihren Men- Teilen des Berichtes, besonders zu den Bewertungen schen zu vernichten. Sie haben aber auch u. a. dazu und Empfehlungen, nicht immer leicht gefallen. Wir beigetragen, das menschliche Wissen zu erweitern waren in der Schlußphase der Beratungen der und zu vertiefen, Krankheiten zu bekämpfen und zu Enquete-Kommission auf einen möglichst großen lindern und ganz auszurotten, Belastungen der Natur Konsens angelegt. Manchen Leuten hat das nicht zu vermindern, Einkommen und Arbeitsplätze zu gefallen. Dennoch halte ich gerade dieses Ergebnis schaffen und zu sichern, die Arbeitswelt auf verschie- für außerordentlich bemerkenswert. Ich weiß auch, dene Weise humaner zu gestalten und Hunger und daß besonders die Sachverständigen, die in der Kom- Not in vielen Ländern der Erde zu bekämpfen. mission mitarbeiteten, unter harten Ang riffen zu lei- Unter diesen Gesichtspunkten möchte ich, daß auch den haben, weil sie zu diesem Konsens beitrugen. Ich die Chancen und Risiken der Gentechnologie geprüft meine, es geschieht ihnen unrecht. Keiner hat in die- werden. Wir müssen fragen: Dient das alles dem Men- ser Arbeit sein Gesicht verloren. Ich weiß auch nicht, schen und der Welt, in der wir leben? was für ein Be richt herausgekommen wäre, wenn über alles und jedes strittig abgestimmt worden wäre. Techniken sind kein Selbstzweck. Entscheidend, ob Natürlich hat es auch solche Einzelabstimmungen eine Technik sich gut oder schlecht auswirkt, ist aus- gegeben. Ich meine aber, daß jeder sich in der großen schließlich das Verhalten derjenigen, die eine Tech- Linie wiederfinden konnte und kann. Leider gilt das nik anwenden. Nach meiner Auffassung muß Technik nicht für die GRÜNEN, die sich eigentlich sehr lange den Menschen helfen, die Welt menschenwürdig zu aktiv an der Arbeit beteiligt haben, aber in der letzten gestalten. Minute eine eigene Lehre zu Papier und in die Kom- Deswegen ist es ein grober Verstoß, wenn man die mission einbrachten. Möglichkeiten der Gentechnologie pauschal behan- Es wird sich zeigen, daß eine ganze Anzahl von delt und nicht die so unterschiedlichen Anwendungs- Punkten in den kommenden Ausschußberatungen bereiche differenziert betrachtet. Die Enquete-Kom- wahrscheinlich wieder kontrovers diskutiert wird. Ich mission hat in ihrem Bericht sechs verschiedene denke etwa an die Einschätzung der Sicherheitsrisi- Anwendungsbereiche sehr eingehend dargestellt, hat ken, an die Frage, ob die sogenannten Genrichtlinien Bewertungen vorgenommen und Empfehlungen aus- gesetzlich zu verankern sind, oder an die Vorschläge, gesprochen. Ich nenne diese Bereiche: erstens biolo- in Teilbereichen nicht zu forschen. gische Stoffumwandlung und Rohstoffversorgung, Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1061

Seesing zweitens Pflanzenproduktion, drittens Tierproduk- ges kostenlos verschickten Exemplare des Berichts tion, viertens Umwelt, fünftens Gesundheit und sech- vergriffen. stens Gentechnologie am Menschen/Humangenetik. (Catenhusen [SPD]: Wissen Sie, daß es Im letztgenannten Bereich gibt es wiederum zwei 40 000 waren?) große Anwendungsgebiete, die Genomanalyse und die gentechnischen Eingriffe in das Erbgut menschli- Vizepräsident Frau Renger: Frau Kollegin, gestat- cher Zellen, wobei wieder danach unterschieden ten Sie eine Zwischenfrage? wird, ob genetische Informationen in Körperzellen oder in Keimbahnzellen übertragen werden sollen. Es Frau Schmidt-Bott (GRÜNE): Wenn es nicht von der ergeben sich hier kritische Fragen, die auch von der Zeit abgeht! Kommission gestellt und zum Teil mit der Forderung nach einem Verbot beantwortet werden. Alles das Vizepräsident Frau Renger: Nein. — Bitte schön. wird uns genauso beschäftigen müssen wie das Fra- gen nach dem Sicherheits- und Freisetzungsaspekt. Catenhusen (SPD) : Wissen Sie, daß es mittlerweile Es wartet also viel Arbeit auf uns. Zum erstenmal insgesamt 40 000 sind, und könnten wir uns vielleicht kann sich ein Parlament in dieser Breite mit einer darauf verständigen, daß wir gemeinsam das Präsi- neuen Technologie befassen. Ich hoffe, daß am Ende dium des Bundestages auffordern, dafür zu sorgen, unserer Arbeit die Erkenntnis steht, daß uns mit der daß noch in diesem Jahr eine weitere Auflage dieses Gentechnologie ein Instrument gegeben wurde, des- Berichts erscheint? sen Anwendung in weiten Bereichen verantwortet werden kann. Aber nicht alles, was machbar ist, darf Frau Schmidt-Bott (GRÜNE): Ich kann das im getan werden. Fortschritt bedeutet auch, aus Moral Moment nicht überprüfen, denn diese Information ist vernünftig zu sein. mir neu, aber ich möchte Ihnen gern mit einer Gegen- frage antworten: Wie können Sie mir dann erklären, Forschung und Entwicklung sind die Umsetzung daß eine Neuauflage, wie es hieß, nicht vorgesehen des inneren Triebes des Menschen, immer tiefer in war? Grund: zu hohe Kosten. Das war übrigens zu den großen Zusammenhang von Mensch und Schöp- einem Zeitpunkt, zu dem die Bundesregierung gerade fung einzudringen. Ich weiß, daß das Bibelwort aus 46 Millionen DM für ihre Volkszählungs-Propaganda- Genesis, Kapitel 1, Vers 28 „Breitet euch über die schau lockermachte. Erde aus und nehmt sie in Besitz" nicht Forschung ohne Schranken und nicht Ausbeutung heißt, sondern Gestatten Sie noch eine die Anwendung der uns von Gott gegebenen Ver- Vizepräsident Frau Renger: Zwischenfrage des Abgeordneten Catenhusen? nunft. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Frau Schmidt-Bott (GRÜNE): Ich würde jetzt gern FDP) erst einmal weiterreden. Die Kommissionsmehrheit hat — Herr Catenhusen Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat die Frau hat das hier vorhin gerade wiederholt — den Vertre- Abgeordnete Schmidt-Bott. terinnen der GRÜNEN vorgeworfen, sich der Beteili- gung am Diskussionsprozeß zu verweigern. Tatsäch- lich aber ist es genau umgekehrt gewesen: Verwei- Frau Schmidt-Bott (GRÜNE): Die Qualität des gert haben sich die anderen Kommissionsmitglieder. Berichts der Enquete-Kommission steht in keinem (Dr. Probst [CDU/CSU]: Ja, alle anderen Verhältnis zu den Lobliedern auf die Arbeit der waren schlecht und moralisch minderwer Enquete-Kommission, die inzwischen gesungen wor- tig!) den sind, und auch in keinem Verhältnis zu der Selbst- Sie haben sich der Diskussion um zentrale Grundsatz- zufriedenheit, die Sie, Herr Catenhusen, eben doku- fragen entzogen, die nicht nur von den GRÜNEN, son- mentiert haben. Ich will mich damit beschäftigen, was dern von Menschen in allen Parteien, Gewerkschaf- diese Kommission nicht geleistet hat und auch gar ten, Kirchen, Frauenorganisationen, Umweltgruppen nicht leisten wollte. usw. geführt werden. Statt sich ernsthaft mit den Die Mehrheit dieser Kommission hat eine breite gesellschaftlichen Konsequenzen und Gefahren einer öffentliche Debatte über die durch die Gentechnolo- Technologie zu beschäftigen, die jedes Leben verfüg- gie aufgeworfenen Grundfragen eher verhindert als bar, formbar und manipulierbar macht, wurden ein- unterstützt. Vor lauter Sorgen über die gesellschaftli- seitig und tendenziös die angeblichen Chancen gen- che Polarisierung um die Gentechnologie — so die technischer Forschungsprojekte — Herr Catenhusen damaligen Worte des Kommissionsvorsitzenden hat auch das heute wiederholt — lang und breit dar- Catenhusen — hat sie immer wieder beschlossen, die gestellt. Dazu paßt, daß auf einen ernstzunehmenden unliebsame Öffentlichkeit auszuschließen, denn da Vergleich des vielbeschworenen Nutzens der Gen- hätten ja unbequeme Fragen kommen können. Kon- technologie mit anderen technischen, ökonomischen, sequenz: Von mehr als 50 Sitzungen waren ganze vier - insbesondere aber sozialen Alternativen zur Lösung Sitzungen öffentlich. von Problemen in verschiedensten Anwendungsbe- Dazu paßt auch folgendes: Einige Journalisten und reichen völlig verzichtet wurde. viele nachdenkliche und kritische Bürger und Bürge- In den Anhörungen der Kommission, bei der Ver- rinnen wollten mehr über die Ergebnisse der Kommis- gabe von Gutachten und bei den Diskussionen wur- sionsarbeit wissen. Innerhalb von wenigen Wochen den alternative, eher auf Prävention — ein Stichwort, waren die gerade 2 000 vom Presseamt des Bundesta- das bei Ihnen heute nicht vorkam, Herr Catenhu- 1062 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Frau Schmidt-Bott sen — ausgerichtete Strategien fast völlig ignoriert. Sie zeugen vor allem von dem Versuch der Konsens- Dies gilt z. B. für umwelt- und sozialverträgliche Maß- bildung einer großen Koalition der Gentechnologie- nahmen in der Landwirtschaft, um nur ein Beispiel zu befürworter. nehmen. (Dr. Probst [CDU/CSU]: Das ist Täuschung, Geradezu grotesk ist es, daß die Kommission na klar!) zunächst die Finanzierung zahlreicher gentechni- scher Forschungsprojekte fordert, um dann in einer Die beschwichtigenden Worte vom Verbot der letzten Empfehlung der Bundesregierung vorzuschla- Menschenzüchtung erweisen sich beim näheren Hin- gen, sie möge das Leistungsvermögen des alternati- sehen als Augenwischerei. ven Landbaus überprüfen. Jahrzehntelange Erfolge (Dr. Probst [CDU/CSU]: Eine Täuschung ist des biologischen Anbaus haben die Bundesregierung das!) immer noch nicht von der Förderwürdigkeit über- zeugt. Von einem Verbot gentechnischer Eingriffe an Kör- (Dr. Probst [CDU/CSU]: Anbau geht ja nur perzellen des Menschen war ohnehin nie die Rede. biologisch! Wie wollen Sie eine Pflanze (Catenhusen [SPD]: Das hat mit Züchtung unbiologisch anbauen?) nichts zu tun!) Die bloßen Versprechungen von gentechnischen — Richtig, Herr Catenhusen. Wunderpflanzen und Superschweinen dagegen rei- chen aus, um Forschungsmillionen für Bayer oder Das angekündigte Verbot soll sich auf gentechni- BASF fließen zu lassen. sche Veränderungen von Keim- oder keimbaren Zel- Der Vorsitzende läßt die Empfehlungen der len beziehen, bei denen die Veränderung an die Enquete-Kommission in der Presse als Bollwerk Nachkommen weitergegeben wird. Die Kommission gegen Mißbrauch der Gentechnologie feiern. Doch versucht uns weiszumachen, daß die Gefahr der Men- die Lektüre der Originaltexte räumt mit diesem Mär- schenzüchtung erst bei der sogenannten Keimbahn- chen auf. Der Kommissionsmehrheit ging es nicht um therapie beginne, während die Körperzellenmanipu- den Schutz der Menschen und der Umwelt vor den lation nicht problematischer sei als Organtransplanta- Risiken der Gentechnologie; tionen oder Spritzen von fehlenden Hormonen. (Dr. Probst [CDU/CSU]: Wir waren ja ganz (Dr. Probst [CDU/CSU]: Das ist nicht so!) teuflisch! — Catenhusen [SPD]: Sie müssen Diese Unterscheidung ist weder technisch noch es ja wissen!) gesellschaftlich haltbar, technisch deshalb nicht, weil es ging ihr um den Schutz der Interessen von For- es bei der Keimzellentherapie leicht passieren kann, schung und Industriemanagern gegen jegliche Ein- daß Keimzellen mit verändert werden — das wird nie- schränkung ihrer gentechnischen Forschung und mand von Ihnen ernsthaft bestreiten wollen —, ihrer profitträchtigen Umsetzung. (Dr. Probst [CDU/CSU]: Darüber ist jetzt (Dr. Probst [CDU/CSU]: Natürlich, das mar- nicht die Rede! Sie schmeißen die Beg riffe xistisch-kapitalistische Weltbild muß doch durcheinander!) stimmen!) und gesellschaftlich nicht, weil beide Formen der Nicht die unkontrollierte Ausbreitung von gentech- Manipulation — und das ist das Gefährliche und das nisch verändertem Leben wird befürchtet, sondern Erschreckende daran — eine gemeinsame Vorausset- eine unkontrollierbare Welle des Protests und eine zung haben, nämlich eine prinzipielle eugenische breite gesellschaftliche Diskussion. Nicht etwa die Entscheidung darüber, welches Leben für reparatur- Stigmatisierung von Menschen durch Gentests und bedürftig gehalten wird, welche Gene als krank und Geneingriffe wird befürchtet, nein, befürchtet wird welche als gesund gelten. eine — ich zitiere — „ungerechtfertigte Stigmatisie- rung der gesamten Gentechnologie" ; so wörtlich die (Dr. Probst [CDU/CSU]: Wenn Sie schwer Deutsche Forschungsgemeinschaft. Die Deutsche zuckerkrank sind und geheilt werden kön Forschungsgemeinschaft ist zur Zeit — Herr Catenhu- nen, werden Sie dankbar sein!) sen wird mir da sicher zustimmen, auch wenn er da ein anderes Vokabular nehmen würde — gemeinsam mit Um diese Eingriffe erproben und entwickeln zu kön- anderen Lobbyisten schon kräftig am wühlen, um die nen — hören Sie erstmal noch bis zum Ende zu —, Umsetzung selbst so verwässerter und halbherziger werden in jedem Fall Versuche an Menschen, an Kommissionsempfehlungen zu verhindern. Erwachsenen und Neugeborenen, notwendig sein. Damit stehen in Zukunft — darüber helfen keine Ver- (Dr. Probst [CDU/CSU]: Die wollen die Welt niedlichungen hinweg — verbrauchende Menschen- vernichten, daran arbeiten die!) versuche ins Haus. Wer die Empfehlungen der Kommission im Origi- - (Dr. Probst [CDU/CSU]: Wie heißt es noch naltext gelesen hat — ich bezweifle, daß Sie alle das einmal?) getan haben — und nicht nur die achtseitige Kurzzu- sammenfassung, wird sehr schnell gemerkt haben: Die Menschenzüchtung ist nicht mehr bloß irrationale Diese Empfehlungen werden nicht einmal dem bös- Horrorvision einiger Überängstlicher, sondern kon- willigen Mißbrauch, noch viel weniger aber die ver- krete Planung. Das ist der Gehalt der meisten der heerenden unvermeidbaren Entgleisungen im Routi- Kommissionsempfehlungen. Denn der Einstieg in die negebrauch der Gentechnologie wirksam verhindern. Menschenzüchtung beginnt nicht erst bei der Keim- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1063

Frau Schmidt-Bott Bahntherapie — das noch einmal —, sondern fängt Wir akzeptieren nicht das atomare Restrisiko, wir bereits mit der Körperzellenmanipulation an. akzeptieren nicht das biologische Restrisiko. (Catenhusen [SPD]: Von keiner Kenntnis (Dr. Probst [CDU/CSU]: Sie leben doch!) getrübt, diese Kritik!) Herr Catenhusen, wir wollen keine Normalisierung unseres Umgangs mit der Gentechnologie, wie Sie Außerdem hat, Herr Catenhusen — auch das wer- sich das wünschen, oder, wie Sie heute sagten, ver- den Sie nicht bestreiten können —, eine Kommis- antwortliche Gestaltung. Wir wollen keinen Umgang sionsminderheit — noch ist es eine Minderheit, aber mit Gentechnologie. wie schnell sich so etwas ändern kann, haben wir in (Beifall bei den GRÜNEN) diesem Hause schon oft erlebt — in Übereinstimmung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft erklärt, daß sie diese Eingriffe nur „gegenwärtig" unterbin- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr den wolle. Sei diese Technik erst perfektioniert — so Abgeordnete Kohn. das Argument — , bestehe sogar eine „moralische Verpflichtung", Korrekturen an der Keimbahn vorzu- Kohn (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehr- nehmen. Mit solchen Argumenten wurde von der ten Damen und Herren! Jede Generation sieht sich mit Kommission das Tor zur eugenischen Manipulation Problemen konfrontiert, die eine besondere Heraus- am Menschen aufgestoßen. Da überzeugt Ihr hilflos forderung für die intellektuellen, die moralischen und rechtfertigender Verweis auf AIDS überhaupt nicht, die politischen Kräfte des Menschen darstellen. Eines Herr Catenhusen. jener Kernfragen menschlicher Existenz und mensch- licher Würde berührenden Probleme ist die Gentech- (Bohl [CDU/CSU]: Wo ist die Fundstelle?) nologie. Auch in anderen Bereichen der humangenetischen Um ihre ebenso schwerwiegenden wie weitreichen- Anwendung der Gentechnologie haben die Empfeh- den Konsequenzen in Forschung und Anwendung zu lungen der Enquete-Kommission nur propagandisti- untersuchen, hat der Bundestag im Sommer 1984 eine schen Wert. Angesichts der steigenden Zahl der Mög- Enquete - Kommission „Chancen und Risiken der lichkeiten der genetischen Ausforschung ist es wirk- G entechnologie" eingesetzt. Bundestagsabgeord- lich nur noch zynisch, wenn die Kommission z. B. die nete und Sachverständige verschiedener Disziplinen Versicherungsunternehmen bittet, Zurückhaltung bei haben in einem zweieinhalbjährigen Lern-, Diskus- der Anwendung genetischer Analysen von Versiche- sions- und Arbeitsprozeß den Versuch unternommen, rungsnehmern zu üben. ein ungeschminktes Bild der Gentechnologie zu ent- werfen: ihrer faszinierenden Zukunftsperspektiven (Dr. Probst [CDU/CSU]: Gibt es denn für Sie im Interesse der Menschen ebenso wie ihrer unakzep- nur böse Menschen?) tablen Mißbrauchsmöglichkeiten. Ob uns das mit dem Das ist wirklich nur noch zynisch. Bericht gelungen ist, den wir am 19. Januar 1987 dem Herrn Bundestagspräsidenten überreicht haben, wird Gegen die Anwendung von Gentests zur Identifi- man erst im gehörigen zeitlichen Abstand beurteilen zierung von Straftätern — und ich füge hinzu: damit können. Immerhin sind wir das erste Parlament, das auch von bloß Verdächtigen — hatte die Kommission sich mit solcher Intensität dem Thema genähert hat. keinerlei Bedenken. Der Anfertigung von sogenann- Um so bedauerlicher ist es, daß die Diskussion über ten genetischen Fingerabdrücken hat die Kommis- die Ergebnisse dieser Enquete-Kommission zu nacht- sion bereits ihren Segen erteilt. In diesem Zusammen- schlafender Zeit unter Ausschluß der Öffentlichkeit hang ist die Empfehlung, daß sich Datenschutzbeauf- stattfindet tragte dieser Problematik annehmen mögen, wirklich (Zustimmung bei der SPD) nur noch erbärmlich. mit Redezeiten von 10 Minuten pro Fraktion. Das Gro- Ich komme noch kurz zur militärischen Nutzung teske dieser Situation wird besonders daran deutlich, der Gentechnologie. Auch für ihr angebliches Verbot daß wir uns bei der Diskussion über die Einsetzung der militärischen Nutzung von Gentechnologie ließ dieser Enquete-Kommission mehr Zeit genommen sich die Kommission feiern. Dieses Verbot ist prak- haben, als das jetzt der Fall ist, da wir die Ergebnisse tisch wirkungslos, weil es die wehrmedizinische For- dieser Kommissionsarbeit diskutieren. Das kann man schung mit Gentechnologien nach wie vor erlaubt. Da niemandem vermitteln. wird überhaupt keine Einschränkung gemacht. Sie (Zustimmung bei der SPD) müssen wissen — ich behaupte: Sie wußten es auch —, Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser (Frau Traupe [SPD]: Das ist überhaupt nicht Stelle den Kollegen, aber auch den Fachleuten in der wahr!) Enquete-Kommission für die, trotz aller unvermeidba- ren Konflikte, Herr Catenhusen, doch fruchtbare daß diese Erlaubnis nur Sinn im Zusammenhang mit Zusammenarbeit danken, die auch zu einem erfreu- Kriegs-, mit militärischer Planung und Forschung lich breiten Konsens geführt hat. Auf die ideologisch macht. bedingte Außenseiterrolle der GRÜNEN will ich hier nicht weiter eingehen. Abschließend: Klare Kampfansage von uns an die Technokraten jeglicher Couleur. Wir akzeptieren kein Es liegt mir aber ganz besonders am Herzen, heute Restrisiko. vor dem Deutschen Bundestag einer Liberalen dank- bar Respekt zu bekunden, die mit sehr viel Sachver- (Catenhusen [SPD]: Was wollen Sie denn?) stand und Leidenschaft unsere Arbeit in der Enquete- 1064 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Kohn Kommission wesentlich gefördert hat, nämlich Frau Annahme verleiten, wir hätten das Thema damit Professor Dr. Gisela Nass-Hennig, die im Dezember schon im G riff. Einer der wichtigen Sozialphilosophen 1986 plötzlich und unerwartet verstarb. der Gegenwart, Professor Hans Albert, hat einmal Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei die- gesagt — ich zitiere — : ser ersten Beratung des Abschlußberichtes der Wer die Fehlbarkeit menschlicher Vernunft für Enquete-Kommission kann es schon aus Zeitgründen alle Bereiche der Praxis von der Wissenschaft bis nicht darum gehen, Einzelheiten zu erörtern. Dazu zur Moral und Politik anerkennt, muß nicht nur wird in den Ausschüssen hinreichend Gelegenheit die Idee einer Wahrheitsgarantie für die Lösung sein. So will ich mich zunächst darauf beschränken, von Erkenntnisproblemen, sondern auch die die Grundsätze darzulegen, von denen wir Liberale einer perfekten Ordnung für die Lösung gesell- uns haben leiten lassen. Alsdann will ich einige der schaftlicher Probleme zurückweisen. Kernfragen, mit denen uns die Gentechnologie kon- Die Auseinandersetzung mit der Gentechnologie frontiert, zumindest ansprechen. führt vor diesem Hintergrund unweigerlich zu der Für uns Liberale war es wichtig, weder der Faszina- grundsätzlichen Frage nach den Normen, nach den tion dieser neuen Technologie zu erliegen, noch sich ethischen Maßstäben, an denen sich unser Handeln in Technikfeindlichkeit zu verlieren. Vier Grundsätze orientiert. Die Unsicherheit, die Skepsis gegenüber haben sich deshalb bei sorgfältig wägender Beurtei- neuen Technologien spiegelt den Zweifel wider, ob lung der Gentechnologie in Forschung und Anwen- wir in der Lage sind, Ethiken zu entwickeln, die in dung herauskristallisiert: zeitlicher und räumlicher Hinsicht die Nah-Ethik ablösen können, die der Mensch bisher hervorge- Erstens. Die Gentechnologie muß in vollem Umfang bracht hat. Es stellt sich die Frage nach der Rolle, die den ethischen Maßstäben unterworfen bleiben, die wir dem Menschen in der Welt zuordnen. Sind wir in sich aus dem Menschenbild unseres Grundgesetzes der Lage, aus Einsicht menschliches Handeln in der ergeben, d. h. Schutz des Lebens, seiner Würde und Weise zu begrenzen, daß wir unsere eigene Existenz, deshalb Verbot der Menschenzüchtung. unsere Identität nicht gefährden, auch wenn wir das Zweitens. Die Gentechnologie muß wie bisher anthropozentrische Weltbild nicht preisgeben wol- strengsten Sicherheitsrichtlinien unterworfen wer- len? den, um jede Gefährdung von Mensch und Umwelt Was hat es mit der Cultural-lag-Theo rie auf sich, der auszuschließen, d. h. dauernde Anpassung an den je Auffassung also, daß menschliches Wissen und daraus neuesten Stand der Technik. folgende technische Fertigkeiten so schnell wachsen, Drittens. Die Gentechnologie muß fortwährend auf daß unser Bewußtsein damit nicht Schritt zu halten die ökonomischen, sozialen und ökologischen Konse- vermag? Wie steht es überhaupt mit der Beherrsch- quenzen ihrer Anwendung hin überprüft werden. Das barkeit der Dynamik des technologischen Entwick- bedeutet kontinuierliche Technikfolgenabschätzung. lungsprozesses? Sind wir diesem Prozeß einfach als Objekte ausgeliefert? Viertens. Die Gentechnologie muß im Rahmen die- ser Grundsätze nachdrücklich gefördert werden, und Schließlich die Frage nach der Steuerungskapazität zwar vor allem im Interesse der Gesundheit, im Inter- unseres politischen Systems gegenüber technischen esse der Welternährung und im Interesse des Umwelt- Entwicklungen: Wie kann die offene Gesellschaft schutzes. Das bedeutet staatliche Unterstützung der einer freiheitlichen Demokratie Mechanismen hervor- Grundlagenforschung. bringen, welche die Antriebskräfte der Wißbegierde mit dem politischen Überlebensprinzip gesellschaftli- Diese Grundsätze kommen im Abschlußbericht der cher Verantwortbarkeit versöhnen? Welcher Stellen- Enquete-Kommission zum Tragen. Damit ist, so denke wert kommt also der Technikfolgenabschätzung und ich, eine wichtige Voraussetzung für die weitere poli- Technikbewertung in unserer politischen Ordnung tische Behandlung dieses Themas geschaffen. zu? Diese Fragen aufwerfen heißt: Es gibt keine Die Enquete-Kommission hat eine ganze Anzahl patentierten Anworten. Es heißt auch, bescheidener von konkreten Empfehlungen an den Deutschen Bun- in den Erwartungen und Ansprüchen an menschliches destag erarbeitet, die teilweise auch gesetzgeberische Handeln, an politisches Handeln zu werden. Maßnahmen erfordern werden. Wir wollen jetzt einen Das Ziel ist klar. Es gilt, einen Konsens auszubilden, breit angelegten Diskurs mit der politisch interessier- der die sich abzeichnenden Chancen der Gentechno- ten Öffentlichkeit führen, um die notwendigen politi- logie verwirklichen hilft, möglichen Fehlentwicklun- schen und rechtlichen Konsequenzen ziehen zu kön- gen aber entgegenwirkt. Ob es unserer Gesellschaft nen. Besonders dringlich scheinen mir dabei die gelingt, diesen Weg verantwortungsbewußt zu gehen, gesetzliche Verankerung der Sicherheitsrichtlinien, ist offen. So wird die Gentechnologie zum Prüfstein um diese für alle Forscher und Anwender verbindlich gesellschaftlicher Vernunft. zu machen, sowie die Beratung und Verabschiedung des Embryonen- Schutzgesetzes, das Justizminister (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Engelhard vorgelegt hat. SPD) In der weiteren Ausschußberatung wird es dann darum gehen, die zahlreichen Empfehlungen unserer Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Her- Kommission zu weiterem politischen und gesetzgebe- ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich rischen Handeln zu überprüfen. schließe die Aussprache. Dies alles, meine sehr verehrten Damen und Her- Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorla- ren, sollte uns aber nicht zu der trügerischen gen an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987 1065

Vizepräsident Frau Renger schösse vor. — Das Haus ist damit einverstanden. Damit ist das so beschlossen. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages- ordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf morgen, den 5. Juni 1987, 8.30 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluß der Sitzung: 22.27 Uhr) 1066' Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1987

Anlage zum Stenographischen Bericht

Anlage Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich

Liste der entschuldigten Abgeordneten Dr. Müller * 5. 6. Niegel * 5. 6. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Pack * 5. 6. Frau Adler 4. 6. Penner 5. 6. Dr. Ahrens * 5. 6. Pfeffermann 5. 6. Amling 5. 6. Reddemann * 5. 6. Antretter * 5. 6. Reuschenbach 5. 6. Frau Beck-Oberdorf 5. 6. Dr. Rumpf * 5. 6. Dr. Biedenkopf 5. 6. Frau Rust 5. 6. Frau Blunck * 5. 6. Schäfer (Mainz) 5. 6. Böhm (Melsungen) * 5. 6. Dr. Scheer * 5. 6. Bühler (Bruchsal) * 4. 6. Schmidt (München) * 5. 6. Frau Conrad 5. 6. Schmitz (Baesweiler) * 5. 6. Eimer (Fürth) 5. 6. von Schmude * 5. 6. Engelhard 5. 6. Dr. Schwarz-Schilling 5. 6. Engelsberger 5. 6. Frau Simonis 5. 6. Dr. Feldmann * 5. 6. Dr. Soell * 5. 6. Frau Fischer * 4. 6. Dr. Sprung 5. 6. Frau Dr. Hartenstein 5. 6. Dr. Stercken 4. 6. Dr. Hauchler 5. 6. Stobbe 5. 6. Frau Hensel 5. 6. Dr. Unland * 5. 6. Hiller (Lübeck) 5. 6. Dr. Voigt (Northeim) 5. 6. Dr. Holtz * 5. 6. Dr. Weng (Gerlingen) 4. 6. Irmer * 5. 6. Wilz 4. 6. Frau Karwatzki 4. 6. Wimmer (Neuss) 5. 6. Kittelmann * 5. 6. Zierer * 5. 6. Dr. Klejdzinski 4. 6. Zumkley 4. 6. Kolbow 5. 6. Frau Zutt 5. 6. Kreuzeder 5. 6. Zywietz * 5. 6. Lemmrich * 5. 6. Lenzer * 5. 6. Frau Luuk * 5. 6. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union