Anhang 1 ______

PSYCHOMOTORIK IN FORSCHUNG UND PRAXIS - BAND 19 (Herausgeber: Prof. Dr. Peter Kaul und Prof. Dr. Klaus W. Zimmermann)

Die Faszination von Mädchen

für Pferde und Reiten

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Helga Adolph und Harald A. Euler

- Universität Gesamthochschule Kassel -

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3 ______

Wir danken Sylvia Schädlich, Silke Wittich, Barbara Weitzel, Claudia Steiner und Frank Kraus für ihre engagierte Mitarbeit.

Einstmals bist du mir im Traum erschienen als ein faszinierend dunkles Pferd, und zu lösen dir die Riemen, fand ich nahe mich bei dir, weiß gewandet und so gänzlich unbeschwert.

Plötzlich bäumtest du dich in die Höhe, und ich hing, ich weiß nicht wie, sei's kraft eignen Wunsches, sei es kraft Magie, an deinem mähnenprächt'gen Halse - schon seit langem mir geworden war.

Der Tanz, durch dich mir inspiriert, er war so wunder-wunder-wunderbar, und wärest du nicht jüngst als Mensch erschienen mir, ich hätte nie und nimmermehr den Traum beendet mit dem Pferdetier.

Eva-Maria Knapp-Tepperberg 4 ______

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Inhalt

1. Zusammenfassung 2. Einleitung 5

3. Frauen und Reiten 7

3.1 Frauen und Pferde in der Geschichte 7

3.2 Heutige Situation 12

3.2.1 Geschlechterverteilung im Turniersport 15 3.2.2 Geschlechterverteilung in den Berufen um das Pferd 17

3.3 Bisherige Erklärungsversuche 18

3.3.1 Meyer 1982: Einübung und Bewährung zwischen Puppe und Partner 19 3.3.2 Rose 1991 : Psychoanalytische Deutungen 27

3.4 Andere Erklärungsversuche

3.4.1 Bowlby 1975: Pferde als Bindungsfiguren 3.4.2 Erwartungs-Wert- und Austauschtheorie

3.5 Hypothesen

4. Die Untersuchung

4.1 Methode

4.1.1 Stichprobe 4.1.2 Fragebogen 4.1.3 Datenerhebung 4.1.4 Datenanalyse

4.2 Ergebnisse 55

4.4.1 Perspektive einer lebenszeitlichen Bindung an das Pferd 55 6 ______

4.4.2 Idealisierung des Pferdes 58 4.4.3 Einzigartigkeit und Gegenseitigkeit der Beziehung zum Pferd 4.4.4 Unersetzbarkeit des Pferdes 3.4.3 Stellung des Pferdes in der Bindungshierarchie 62 3.4.4 Hohe emotionale Wertigkeit von Pferden: Das Pferd als Angstminderer 68 3.4.5 Existenzielle Wichtigkeit des Pferdes 69 3.4.6 Psychische und räumliche Nähe 71 3.4.7 Dominanz der positiven Wertzuordnung (Kosten-Nutzen-Aufrechnung) 74 3.4.8 Dominanz des Pferdes bzw. des Reitens bei den Freizeitbeschäftigungen 79 3.4.9 Pferdenahe Berufsorientierung 95 3.4.10 Sportliche und naturverbundene Orientierung 96 3.4.11 Wichtigkeit reitsportlichen Erfolges 97

3.5 Zusammenfassung der Untersuchung 98

4. Resümee und Ausblick 102

5. Literaturverzeichnis 104

6. Anhang 108

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2.

Einleitung

Bei der Beobachtung einer Wunschstunde von Schülerinnen und Schülern im Sportunterricht machte Thies (1991) eine Entdeckung, die sie mit "Pferde wiehern in jeder Sporthalle" betitelte. In der Unterrichtsbeobachtung zeigte sich deutlich, welche Wünsche bei den Mädchen dominieren: Sie zäumten Turnpferde und Böcke zu Pferden, und der Lehrer mußte helfen, Sattelzeug aus Matten und Steigbügel aus Seilen herzustellen, damit die Mädchen Bewegungen auf ihren "Pferden" nachahmen konnten, wie sie beim Reiten beobachtet werden können.

Nicht nur im Sportunterricht beobachten wir pferdevernarrte Mädchen, auch in den Reitställen und auf Ponyhöfen sind Mädchen in Scharen zu finden. Jungen hingegen distanzieren sich eher vom Umgang mit den Pferden und dem Reitsport. Sie sind nur vereinzelt in Reitställen und auf Ponyhöfen anzutreffen und haben es dort nicht leicht, sich gegenüber den Mädchen zu behaupten.

Aus diesen Beobachtungen ergab sich das Forschungsinteresse an den Hintergründen der Faszination der Mädchen für Pferde. Warum fühlen sich Mädchen offensichtlich von Pferden und deren Umfeld magisch angezogen?

Diese Fragen werden weder von der sportwissenschaftlichen noch der sportpsychologische Forschung angemessen beantwortet. Begründete Erklärungen finden sich schwerlich und die Forschungsliteratur dazu ist mager. Auch die Frauenforschung hat sich bislang noch nicht intensiv mit dem Phänomen der weiblichkeitsspezifischen Begeisterung für den Reitsport beschäftigt. Empirische Untersuchungen dazu liegen nicht vor. Eine eigene Untersuchung schien also sinnvoll.

Zum Beginn der vorliegenden Arbeit soll in einem historischen Abriß auf die geschichtliche Bedeutung des Pferdes für die Frau kurz eingegangen werden. Im Anschluß folgt eine Literaturdarstellung, die zur Klärung des Phänomens aus Sicht der verschiedenen Autoren beitragen soll. Aus einem neuen Erklärungsansatz werden Hypothesen abgeleitet, die an einer Stichproble von pferdebegeisterten Mädchen und jungen Frauen mittels eines eigens entworfenen Fragebogens überprüft werden. Die Darstellung der Ergebnisse macht den zweiten Teil der Arbeit aus.

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3. Mädchen und Frauen im Reitsport

3.1 Frauen und Pferde in der Geschichte

Das Pferd wurde wahrscheinlich in der Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. in drei Gebieten des europäisch-asiatischen Kontinents domestiziert (BASCHE 1991, 60). Zuvor wurden bereits Hunde, Rinder, Ziegen, Schweine und Schafe gezüchtet. Fast zwei Jahrtausende zuvor war es bereits zur Domestikation des Wildesels gekommen. Es wird heute ange- nommen, daß Pferde erstmals in Nordeuropa, in der Waldsteppe am oberen Dnjestr und in der sibirischen Waldsteppe als Haustiere gehalten wurden (MEYER 1975, 22).

Welche Beweggründe zur Domestikation führten, sind heute nicht ausreichend geklärt. Durch die Pferdezucht hatte der Mensch das Pferd ständig zur Verfügung, was wirtschaftlich, aber auch kultisch-religiös von Nutzen war. Desweiteren ist davon auszugehen, daß schon allein das Zähmen und Züchten den Menschen reizte und faszinierte. Dies war in der Frühzeit wohl nicht anders als heute (BASCHE 1991, 60 ff.).

Die eigentliche Zähmung des Wildpferdes schuf die Voraussetzung für ein dauerhaftes Verhältnis zwischen dem Menschen und dem Pferd.

Das Pferd wurde wahrscheinlich erst im Transportwesen eingesetzt. Zum einem wurden Lasten auf seinem Rücken gelagert, wobei aufgrund der labilen Lagerung des Transportgutes und der eingeschränkten Tragkraft des Pferdes diese Art des Transportes begrenzt blieb. Zum anderen nutzte man die Zugkraft des Pferdes, indem es vor die Schleppe oder Stangenschleife und später vor den Wagen oder vor landwirtschaftliche Geräte gespannt wurde.

Eine der ersten kriegerischen Nutzungen des Pferdes bestand in der Anspannung vor dem Streitwagen (BASCHE 1991, 63).

Als Reittier wurde das Pferd vermutlich erstmals in der Viehzucht eingesetzt, da es ohne ein Reittier unmöglich war, die Herden zusammenzuhalten. Erste Zeugnisse für die Reitnutzung des Pferdes wurden ab 1500 v. Chr. gefunden. Zuvor fand sicherlich schon eine reiterliche Lenkung von Stangenschleifen oder eines Wagens statt (BASCHE 1991, 94).

Seit der Nutzbarmachung des Pferdes durch den Menschen gewann das Pferd immer mehr an Bedeutung. Im Altertum war es Statussymbol des Mannes, da es dem Reiter und Streitwagenlenker Macht und Herrschaft verlieh. Die Frauen nutzten das Pferd dagegen eher als Transportmittel. Es gab aber auch Zeiten, in denen die Frauen ebenso wie die Männer im Reiten und Fahren zum Zwecke der Kriegsführung ausgebildet wurden. 9 ______

Die berühmtesten reitenden Frauen waren wohl die Amazonen, ein kriegerisches Jungfrauenvolk. Sie beherrschten besonders die Kriegsführung zu Pferd, wobei sie gute Erfolge verzeichnen konnten. Ihr Name hat sich bis in die heutige Zeit als Bezeichnung für reitende Frauen durchgesetzt (BASCHE 1991, 94).

Aber auch bei anderen Völkern hatte das Pferd große Bedeutung für die Frau. So vor allem für die Reitervölker wie die Kimmerer, Skythen, Sermaten, Alanen, Goten, Meder, Perser, Parther, Sessaniden, Hunnen, Numidier, Mauren, Sarazenen, Ungarn und Mongolen. Bei einigen Völkern durften die Frauen ebenso wie die Männer zu Pferd kämpfen und allein zur Jagd reiten (MEYER 1975, 61).

Im Großen und Ganzen blieb bis auf einige Ausnahmen das Pferd immer den Männern vorbehalten. So auch im Mittelalter. Die Ritterfräulein wurden zwar der besseren Körperhaltung wegen im Reiten unterrichtet, einige von ihnen lernten sogar mit dem Schwert auf Ritterpferden zu kämpfen, doch verlieh das Pferd wiederum vor allem dem Mann Macht und Ruhm (HUTTEN-CZAPSKI 1876, 227 f.).

Im 18. und 19. Jahrhundert änderte sich die Situation etwas. In dieser Zeit verbesserte sich das Ansehen einer Frau des höheren Standes, wenn sie sich mit dem Reiten beschäftigte. Es wurde großen Wert auf den Reitunterricht und somit gleichzeitig auf die Körperhaltung zu Pferd gelegt. Die Eleganz der Frau spiegelte die Eleganz der damaligen Zeit wieder. Auch die Pferde wurden gegenüber der Streitrösser der Ritter eleganter und leichter gezüchtet. Vor allem zur Zeit des Barock wurde in pompösen Kleidern geritten und das Pferd maßlos überzäumt. Der Adel beschäftigte sich insbesondere mit dem Jagdreiten. An den Jagden nahmen auch adlige Frauen teil (BASCHE 1991, 179 ff.).

Ab dem 16. Jahrhundert wurde der Seit- bzw. Damensattel entwickelt, so daß die Reitstile der Damen und der Herren immer mehr auseinanderliefen. Diese Entwicklung erreichte Anfang des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Der Damensattel wurde soweit entwickelt, daß die Frauen sogar an Jagden mit kleineren Hindernissen teilnehmen konnten. Trotz der erheblichen Verbesserungen des Damensattels blieb die Dame im Reitsport benachteiligt, da das rechte Bein für die Hilfengebung fehlte, das Gewicht der Reiterin nicht gleichmäßig auf dem Pferderücken verteilt werden konnte und die Gefahr des Hängenbleibens am Sattel bei Stürzen bestand.

Aber nicht bei allen Damen konnte sich der Damensattel durchsetzen. In Deutschland ritten z.B. viele Frauen weiterhin im Herrensattel.

Zum Beginn des 20. Jahrhunderts gaben immer mehr Frauen dem Herrensattel gegenüber dem Damensattel den Vorzug und schufen damit die Voraussetzung, den männlichen Reitern als echte Konkurrenz entgegenzutreten (TAVARD 1975, 261 ff.).

"Vermutlich hat die Angst des Mannes vor der reiterlichen Stärke der Frau dazu geführt, sie in den Seitsitz zu zwingen, wobei sittliche und gesundheitliche Bedenken nur ein Vorwand waren. Daß sich dies geändert hat, ist sicherlich nicht ausschließlich dem Pferd zuzuschreiben, sondern ist auch eine Folge der Aufklärung und Gleichberechtigung. 10 ______

Bezogen auf das Pferd ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau weitgehend vollzogen" (BAUM 1991, 218).

Mit Einzug des technischen Zeitalters verlor das Pferd zunehmend an Bedeutung. Es war als Arbeits- und Nutztier nicht mehr gefragt und wurde im Transportwesen, in der Landwirtschaft und im Kriegsdienst zunehmend durch Maschinen abgelöst. Bis auf einige Ausnahmen wurde das Pferd Freizeitpartner und Hobby des Menschen. Besonders im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts gewann die Verwendung des Pferdes im Sport ein bis zu dieser Zeit nicht gekanntes Ausmaß (MEYER 1975, 66f).

Durch die Verwendung des Pferdes im Sport oder als Freizeitpartner blieb das Pferd dem Menschen erhalten. Nach MEYERS Aussage wären ansonsten in den industriereichen Ländern die Pferde nur noch in zoologischen Gärten zu bewundern gewesen. Mit der Technisierung nahm der Pferdebestand drastisch ab und pendelte sich erst mit der vermehrten Sportpferdezucht wieder ein. Gab es 1913 noch 4.558.000 Pferde, so waren es 1970 nur noch 252.500 Tiere. Betrachtet man diese Zahlen, kann man den Befürchtungen von MEYER zustimmen. In Anbetracht der sinkenden Pferdebestandszahlen brachte die Deutsche Reiterliche Vereinigung E.V. das Motto "Das Pferd muß bleiben !" heraus (BASCHE 1991, 210 u. MEYER 1982, 117). Mit steigendem Wohlstand im Bundesgebiet stieg auch der Pferdebestand innerhalb von 20 Jahren auf 491.000 Exemplare an. Die An- zahl der Pferde hat sich somit bis heute in der Bundesrepublik (einschließlich der neuen Bundesländer) fast verdoppelt.

Entwicklung des Pferdebestandes in der BRD

5.000.000 4.558.000 4.500.000 4.000.000

3.500.000 3.390.000 3.000.000 2.500.000 Anzahl 2.000.000 1.570.000 1.500.000 1.171.000 1.000.000 712.000 491.000 491.000 382.000 368.000 341.000

500.000 252.000 0 1913 1935 1950 1954 1960 1963 1970 1975 1980 1986 1990 Jahr Abb. 2 (nach FN Jahresbericht 1992, 212 und BASCHE 1991, 210)

Trotzdem sich der Reitsport Mitte der zwanziger Jahre überwiegend zum Sport des Militärs entwickelte, konnten sich schon damals einige Damen gegenüber ihrer männlichen Konkurrenz durchsetzen. Zu dieser Zeit sprangen einige von ihnen sogar im Damensattel und erreichten beachtliche Rekorde. Es wurden zu dieser Zeit spezielle Amazonenchampionate durchgeführt. Sie zählten zu den Höhepunkten der großen Turniere in Rom, Stresa, Paris, Genf, Luzern, Wien, Amsterdam und Aachen. Dreimal wurden sogar Nationenpreise für Damen ausgetragen.

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Besondere Erfolge konnten zu dieser Zeit Irmgard von Opel und Käthe Franke verzeichnen. Irmgard von Opel siegte im Deutschen Spring-Derby in Hamburg und gewann den Großen Preis von Berlin, sowie viele andere Prüfungen. Sie war die erste Amazone, die an einer internationalen Militaryprüfung teilnahm.

Käthe Franke bewies eine enorme Vielseitigkeit, indem sie in zahlreichen Spring-, Dressur-, Vielseitigkeits-, Eignungs- und Materialprüfungen sowie im Fahrsport siegte (BASCHE 1991, 260 u. 278).

Seit 1952 die Olympiade in Helsinki ausgetragen wurde, konnten Frauen erstmals in der Dressur bei einer Olympiade teilnehmen. Vier Jahre später bei der Olympiade in Stockholm wurden die Damen auch zu Springprüfungen zugelassen. Schließlich 1964 bei der Olympiade in Tokio waren die Amazonen auch in der Militaryprüfung zugelassen.

Gleich bei dem ersten olympischen Start konnten sich die Damen in Dressur gut behaupten. Die Dänin Lis Hartel gewann die Silbermedaille. 1956 waren bereits zwei Dressurreiterinnen an der Spitze; Lis Hartel gewann die Silbermedaille und sicherte sich Bronze. Das Damenteam der Bundesrepublik, bestehend aus Liselott Linsenhoff, Hannelore Weygand und Anneliese Küppers, gewann die Silbermedaille. Seit 1972 holten sich bis auf eine Ausnahme ausschließlich Dressurreiterinnen die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen.

Olympiasieger der Dressurreiter/innen: 1972 Liselott Linsenhoff 1976 Christine Stückelberger 1980 Elisabeth Theurer 1984 Dr. 1988 1992 Nicole Uphoff

Tab. 1 (Reitertaschenbuch 1993, 192)

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Auch im Springsport konnten sich die Amazonen immer wieder gegenüber ihren männlichen Kollegen behaupten. 1974 fand das letzte Weltchampionat der Spring- reiterinnen statt, das die Französin Janou Tissot-Lefèbvre für sich entscheiden konnte (BASCHE 1991, 268). Von nun an waren die Springreiterinnen gezwungen, gegen die Springreiter anzutreten. Dies taten sie auch recht erfolgreich, wenn auch nicht ganz so dominant wie in der Dressur. Als erste Frau überwand Pat Smythe (Großbritannien) 1956 einen olympischen Parcour (LENZ 1989, 31).

Im Springen überzeugten vor allem die Damen anderer Nationen wie, um nur einige Namen zu nennen, Ann Moore (Großbritannien), Kati Monoham (USA), Melanie Smithaus (USA) und natürlich Gail Greenough (Kanada), die ihre männlichen Mitstreiter aufgrund ihrer einfühlsamen Reitweise und ihrer Fähigkeit, sich gefühlvoll auf die fremden Pferde einzustellen, bei der Weltmeisterschaft der Springreiter/innen 1986 besiegte.

1964 nahm Helene Allaire Dupont (USA) an einer olympischen Military teil (Lenz, 1989, 31). Bei der Vielseitigkeit haben sich in der vergangenen Zeit überwiegend Britinnen behaupten können. Bei einer Auflistung der Europameisterschaftssieger wird deutlich, daß die Frauen auch aus dieser reiterlichen Disziplin nicht mehr wegzudenken sind.

Europameister der Vielseitigkeit (Military): 1969 Mary Gordon-Watson 1971 Prinzessin Anne 1973 Anatoli Jewdokimow 1975 Lucida Prior Palmer 1977 Lucida Prior Palmer 1979 Nils Haagensen 1981 H. Schmutz 1983 R. Bayliss 1985 Virginia Holgate 1987 Virginia Leng 1989 Virginia Leng 1991 Ian Stark

Tab. 2 (Reitertaschenbuch 1993, 190)

Der Reitsport ist die einzige sportliche Disziplin, in dem die Gleichberechtigung beider Geschlechter verwirklicht werden kann, da alle Wettbewerbe fast ausnahmslos ohne 13 ______

Differenzierung der Geschlechter ausgeschrieben werden, so daß Männer und Frauen gleichermaßen starten können.

2.2 Heutige Situation

In der heutigen Zeit ist es nicht zu übersehen, daß sich vor allem das weibliche Geschlecht von den Pferden angezogen fühlt. Auf Reiter- oder Ponyhöfen, in Reitvereinen und überall dort, wo Pferde zu finden sind, trifft man weitaus mehr Mädchen als Jungen.

Aber auch die Buchhandlungen sind voll von Sachbüchern und Pferderomanen, die überwiegend die lesenden Mädchen ansprechen. Ebenso hat sich der Zeitschriften-markt auf die Bedürfnisse der Mädchen eingestellt und präsentiert Journale, in denen die Probleme und Hobbys der Mädchen behandelt werden.

In den Zimmern der Mädchen sind Pferdemotive in vielfacher Art auf den verschie-densten Gegenständen sowie Pferdeposter und Pferdebücher zu finden.

Obwohl die Mädchen vor allem auf den Ponyhöfen den Jungen zahlenmäßig stark überlegen sind, ist auch in den Reitvereinen eine steigende Tendenz der weib-lichen Mitglieder deutlich erkennbar.

Im Jahresbericht der DEUTSCHEN REITERLICHEN VEREINIGUNG E.V. von 1992 zeigt die Mitgliederstatistik des organisierten Reitsports eine deutliche Domi-nanz der Amazonen. Es wurden 391.002 Reiterinnen und 229.518 Reiter registriert, d.h., es stehen 63,01% reitenden Frauen und Mädchen 36,99% männliche Reiter gegenüber (FN Jahresbericht 1992, 44).

Gliederung nach Alter und Geschlecht 1992

400.000 366.792 350.000

300.000 bis 14 Jahre 250.000 15-18 Jahre

200.000 186.965 179.827 19-21 Jahre Mitglieder

150.000 138.725

116.935 über 21 Jahre 100.000 71.245 59.839 43.758

50.000 34.401 21.790 11.406 9.357 0 Weiblich Männlich Gesamt

Abb. 3 (FN-Jahresberich 1992, 44)

Vor allem im Nachwuchsbereich macht sich die Mehrzahl der weiblichen Reiter bemerkbar. Hier wurden 1992 in der Alterklasse bis 14 Jahren 116.935 Mädchen gezählt, das sind 84,29% in dieser Altersklasse. In der Gruppe der 15- bis 18jährigen überwiegen ebenfalls 14 ______die Mädchen mit 83,99% gegenüber ihren männlichen Alters-genossen. In der Altersklasse der 19- bis 21jährigen liegt die Anzahl der weiblichen Mitglieder immerhin noch bei 78,62%, erst bei den über 21jährigen liegt die Anzahl der Reiterinnen prozentual bei 49,03% und somit etwas hinter den männlichen Mitgliedern (FN Jahresbericht 1992, 44).

Wie bereits erwähnt, waren 1992 391.002 Mädchen und Frauen in Reitvereinen organisiert, wogegen im Vorjahr 373.931 weibliche Mitglieder registriert wurden. Hieraus ergibt sich ein Mitgliederanstieg bei den Reiterinnen von 17071 Frauen und Mädchen, das sind 4,37% mehr als 1991. Im Vergleich dazu stieg die Gesamtmitgliederzahl nur um 3,01%, das ist in Zahlen ein Anstieg von 601.815 auf 620.520. Die weiblichen Mitglieder sind also den männlichen Reitern zahlenmäßig nicht nur überlegen, sondern nehmen einen ständig größer werdenden Anteil an der Gesamtmitgliederzahl einnehmen (FN Jahresbericht 1992, 44).

Mitgliederzuwachs bei den über 21jährigen

180.000 160.000 140.000 120.000 100.000 80.000 60.000 40.000 20.000 männlich 0

weiblich 1980 1990

Abb. 4 (nach Zahlen der FN Jahresberichte 1980, 37 und 1990, 35)

Die Mitgliederzahl der über 21jährigen Reiterinnen hat sich zwischen 1980 und 1990 fast verdoppelt, sie stieg von 86.877 auf 155.508. Ritten in dieser Altersklasse 1980 36,72% Frauen, so waren es 1990 bereits 46,61% (FN Jahresbericht 1980, 37 u. FN Jahresbericht 1990, 35). Es scheint, als wäre es eine Frage der Zeit, wann auch in dieser Altersklasse überwiegend Frauen reiten.

Die steigende Tendenz der weiblichen Mitglieder in Reitvereinen beschrieb die Reiterliche Vereinigung (FN) folgendermaßen:

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"Die Mädchen und Frauen haben im deutschen Pferdesport die Zügel fest in den Händen! Im Vergleich zu den Jungen und Männern bilden sie nicht nur die zahlenmäßig eindeutig größere Gruppe. Auch was die Zuwachsraten angeht, genießen sie deutlich Oberhand" (FN- Aktuell 11/1991).

So verwundert es nicht, daß die DEUTSCHE REITERLICHE VEREINIGUNG e.V. 1989 als einziger Sportverband in der Bundesrepublik ein Förderprogramm für den männlichen Nachwuchs entworfen hat, der auf einer zuvor gestarteten Umfrage für Jungen basiert und die feststellbare defizitätre Situation bei den männlichen Nachwuchsreitern verbessern soll (FN-Auswertung der Umfrage für clevere Jungen im Alter von 8-14 Jahren 1989).

2.2.1 Geschlechterverteilung im Turniersport

Bei einem Vergleich der Anzahl der beantragten Reitausweise aus 1990 läßt sich erkennen, daß sich Männer und Frauen in den reitsportlichen Disziplinen Springen und Dressur unterschiedlich beteiligen (vgl. Abb. 5 und 6).

In den niedrigeren Leistungsklassen des Spring- und Dressursports (D6 bzw. S6 sind jeweils die niedrigsten Leistungsklassen) dominieren die Frauen eindeutig. Mit steigendem Schwierigkeitsgrad nimmt die Beteiligung der Frauen im Verhältnis zu den Männern ab.

Besonders deutlich ist diese Tendenz im Springsport, wo bereits in der Leistungs-klasse S3 die Männer mit 69,46% die Frauen deutlich überholt haben. Bei den niedrigsten Springprüfungen starteten 83,4% Frauen und nur 16,6% männliche Reiter. In der höchsten Leistungsklasse beträgt der Anteil der Amazonen nur noch 7,44% gegenüber 92,56% bei den Männern. (In der Klasse S5 starteten 69,66%, in S4 51,2%, in S3 30,54% und in S2 17,74% Frauen).

Geschlechterverteilung im Springsport

30000 28263

25000

20000 männlich 15000

12308 weiblich 10000 8314 ausgestellteAusweise 5548 5287 5000 3048 1655 1340 700 151 112 0 9 S1 S2 S3 S4 S5 S6 Leistungsklassen

16 ______

Abb. 5 (nach Daten der FN vom 28.1.1991)

Die Dressur ist dagegen eher als Frauensport zu bezeichnen, da hier erst in der höchsten Klasse D1 die Reiter mit 51,26% geringfügig gegenüber den Frauen mit 48,74% überwiegen. In der Leistungsklasse D2 überwiegen die Damen bereits wieder mit 55,99%. Die steigende Tendenz setzt sich in allen niedrigeren Leistungsklassen fort. (In der Klasse D3 haben 57,69%, in D4 64,45%, in D5 62,07% und in D6 83,45% Frauen einen Reitausweis beantragt).

Das folgende Diagramm soll die Tendenz im Dressursport verdeutlichen:

Geschlechterverteilung im Dressursport

30000 27617

25000

20000

16874 männlich 15000 weiblich 10000 8344 ausgestellte Ausweise 5934 5000 3273 1655 1275 935 397 312 61 0 58 D1 D2 D3 D4 D5 D6 Leistungsklassen

Abb. 6 (nach Daten der FN vom 28.1.1991)

Nicht nur die zahlenmäßige Beteiligung der Reiterinnen, sondern auch ihre Erfolge können sich sehen lassen. Die Ergebnisse der Deutschen Meisterschaft 1992 der Junioren und Jungen Reiter in Dressur und Springen zeigen, daß auf den vorderen Plätzen der Dressurprüfung zwei Reiter vier Reiterinnen gegenüberstehen. Im "Männersport" Springen belegten bei den Junioren sowie bei den Jungen Reitern ausschließlich Reiter die ersten drei Plätze. In der Vielseitigkeit hatten dagegen interessanterweise die Mädchen den Sieg fest in der Hand. Nur ein Junge hatte Chancen, sich gegenüber den Amazonen zu behaupten (Ponyreiter ausgenommen) (Jahresbericht der FN 1992, 180).

Die Dominanz der Frauen im Dressursport zeigte sich besonders bei den olympischen Spielen 1992 in Barcelona, bei denen sich die Siegermannschaft der BRD aus Nicole Uphoff, , Monika Theodorescu und - dem einzigen Mann - Klaus Balkenhol zusammensetzte.

17 ______

2.2.2 Geschlechterverteilung in den Berufen um das Pferd

Bei der Ausbildung zum Pferdewirt mit dem Schwerpunkt Reiten überwogen in den letzten Jahren ebenfalls die Frauen. Nach einer Aufstellung der Deutschen Reiter-lichen Vereinigung beteiligten sich im Jahr 1989 57,67% Frauen und 42,32% Männer an der Prüfung zum Pferdewirt. 1990 waren es 62,3% weibliche und 37,7% männ-liche Teilnehmer. 1991 legten nochmals mehr Frauen, 65,7% gegenüber 34,3% Männer, die Prüfung ab (nach Zahlen der FN Stand 31.12.91).

Bei der Prüfung zum Pferdewirtschaftsmeister im Teilbereich Reitausbildung überwogen 1991 noch die Männer. Von insgesamt 58 Teilnehmenden waren 37 Männer und 21 Frauen, das sind 63,79% männlicher gegenüber 36,21% weiblicher Teilnehmer/innen. Nach Angaben der Reiterlichen Vereinigung haben in den letzten Jahren auch bei dieser Berufsprüfung mehr Frauen einen Abschluß erlangt, als in den Jahren zuvor (FN-Statistik über Ergebnisse der Pferdewirtschaftsmeisterprüfung 1991).

Auch aus dem Rennsport sind die Frauen nicht mehr wegzudenken. Schon 1939 gab es weibliche Jockeys. Es war den Damen zu dieser Zeit jedoch verwehrt, gegen männliche Konkurrenz zu starten, sie durften nur gegen ihresgleichen antreten. Die Anerkennung der Frau als Jockey oder Trainerin dauerte sehr lange, da Frauen in der vergangenen Zeit nur als Pferdebesitzer geschätzt wurden (FURLER/KLEIN 1976, 55). Heute haben die Frauen auch die Rennbahnen erobert. Bei den Prüfungen des Jahres 1990 waren die Frauen mit 75% stark vertreten. Daß man trotzdem meist nur männliche Jockeys in den Rennen sieht, liegt wohl an der immer noch bestehenden Meinung vieler Pferdebesitzer, Frauen seien zu schwach und nicht energisch genug für ein Rennen. Hinzu kommen die Befürchtungen, daß auf ein von einer Frau gerittenem Pferd weniger Wetten gesetzt werden könnten (EMMA 5/1991, 13 ff.).

Bei all den zuvor genannten Zahlen darf man nicht vergessen, daß ein großer Teil der Reiter/innen nicht in Reitvereinen organisiert ist. Viele Pferdefreunde/innen wollen ihren Sport unabhängig von einer Vereinsbindung und den Vereinsrichtlinien bzw. unabhängig von einer strengen konventionellen Reitlehre ausüben. Nach einer Statistik des Deutschen Sportbundes aus dem Jahr 1978 kommen auf jeden Vereinsreiter/innen drei nicht ver- einsgebundene Reiter/innen. Eindeutige Zahlen der Personen, die Reitsport betreiben, zu erhalten, ist nicht möglich, da abgegrenzt werden müßte, ab welcher Häufigkeit des Reitens von einem "Reiter/in" gesprochen werden kann (MEYER 1982, 88).

2.3 Bisherige Erklärungsversuche

Derzeit existieren nur wenige Arbeiten über das Thema der Frau im Pferdesport. Nur eine einzige umfassende sozialpsychologische Reitsportstudie (MEYER 1982) beschäftigt sich mit den Motiven, die zum Reiten führen. Diese Studie behandelt die Faszination von Mädchen und Frauen für den Reitsport nur am Rande. In der letzten Zeit erschienen einige kleinere Veröffentlichungen, die dieses Phänomen ansprachen und teils auch zu erklären versuchten, aber nicht hinreichend belegen konnten. Die wesentlichsten Veröffentlichungen und insbesondere die Reitsportstudie von MEYER sollen hier kurz dargestellt werden, um 18 ______die derzeitigen Erklärungsversuche zum Phänomen der weiblichen Faszination für den Reitsport aufzuzeigen.

2.3.1 Heinz Meyer 1982

HEINZ MEYER untersucht in seiner 1982 veröffentlichten Arbeit "Das Erlebnis Reiten" die psychischen Aspekte der Beschäftigung mit dem Pferd und des Reitens. Gleichzeitig fragt er nach den Motiven, die zum Reiten führen. MEYER vermutet, daß das Pferd in der technischen Welt nach dem Verlust seiner militärischen, landwirtschaftlichen und transportwirtschaftlichen Aufgaben im psychischen Bereich eine neue Bedeutung gewonnen hat (MEYER 1982, 11).

Im Gegensatz zur technischen Welt mit ihren Maschinen stellt das Pferd einen Rest Natur dar. Es ist zum einen durch seine Größe, Kraft und seinem Fluchtinstinkt ein unberechenbares Wesen, das nicht nur den Zuspruch, sondern auch einen handfesten Zugriff benötigt. Das Pferd fordert somit von seinem Reiter/seiner Reiterin Mut und Risikobereitschaft. Zum anderen ist das Pferd dadurch ein Stück Natur, da man es nicht wie eine tote, kalte Maschine in die Ecke stellen kann, sondern es muß gepflegt, gefüttert und bewegt werden (MEYER 1982, 73).

Nach MEYER sehen viele Menschen im Tier einen Partner, jedoch kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Beziehung zum Tier als Ersatzhandlung zu sehen ist. Die partnerschaftliche Beziehung zum Tier muß nicht gleichzeitig einen gestörten Kontakt zu anderen Menschen zur Folge haben (MEYER 1982, 56), da meist in Gesellschaft oder in einer Gruppe geritten wird. Immerhin läßt Reiten eine Individu-alisierung zu. Besonders Menschen, die nur schwer zu anderen Menschen Kontakt finden oder keinen Kontakt suchen, können sich in dieser Sportart entfalten, vorausgesetzt, daß sie den notwendigen Kontakt mit dem Pferd knüpfen können (MEYER 1982, 84).

Auch MEYER erkennt das Phänomen, daß Reiten in den Altersgruppen bis zu 18 Jahren ein weiblicher Sport ist. Ebenso bemerkt er die Abwanderung der Mädchen vor dem 18. Lebensjahr aus den Reitvereinen und demzufolge auch von dem Reitsport. Er fordert eine Interpretation dieses Phänomens, die unabhängig von dem Umstand ist, daß der Reitsport für diese Mädchen den Reiz verloren hat oder davon, daß sie ein Stadium erreicht haben, "das ihnen aus emotionalen, leistungssportlichen, finanziellen oder anderen Gründen keine neue Entfaltungsmöglichkeit mehr verspricht" (MEYER 1982, 95).

MEYER geht in seinem Buch auch auf die vielfach aufgestellten Behauptungen ein, Reiten könne man in Verbindung mit der Sexualität sehen.

Nach FREUD (1916, 17/158) stellt das Reiten im Traum symbolisch den Geschlechtsverkehr dar. Weiterhin sah FREUD (1920, 33) in der beim Reiten auftre-tenden mechanischen Erschütterung und der Reibung auf dem Sattel die Ursache für Sexualerregung.

MEYER schränkt diese Vermutungen ein. Er sieht vielmehr eine indirekte Förderung der Sexualität durch das Reiten aufgrund der Erschütterung, des körperlichen Kontakts mit dem 19 ______

Pferd, der Bewegung in der frischen Luft, sowie aufgrund der generellen Betonung der Körperlichkeit im Sport (MEYER 1982, 61 f.).

MEYER sieht als Ursache für die Faszination des Reitsports vielmehr die "touch feeling qualities", wie er sie nennt. Die Berührung und der Austausch mit dem großen, warmen, weichen Leben, "dem man sich zuordnet, das man berührt, streichelt und liebkost, an das man sich anschmiegt, mit dem man schmust, das man küßt - das große, warme, weiche Leben, von dem man sich berühren und bereiben, zupfen, beißen und belecken läßt" (MEYER 1982, 74).

Der Austausch der verschiedenen touch feeling qualities geht zwar hauptsächlich vom Menschen aus, doch gestattet das Pferd mit seiner seelischen Verschlossenheit (MEYER setzt dabei sein Wesen dem einer Katze gleich) unterschiedliche Interpretationen des Verhaltens und Empfindens. Das Pferd kann emotionale Fehlinterpretationen, Übertragungen und vor allem Überinterpretationen der tierischen Antwort auf das menschliche Verhalten zulassen. Es toleriert in der Regel ein falsches Verständnis des Menschen. Seine Kontaktbereitschaft kann auf seinen Charakter als Herdentier zurückgeführt werden.

Dennoch ist das Pferd eine Wirklichkeit, die man berühren und streicheln, jedoch auch anpacken und beherrschen kann (MEYER 1982,117). "Das Pferd gestattet den handfesten Zugriff des Reiters weitgehend", dennoch müssen im Zuge der Reitaus-bildung auch dosierte Hilfen gelernt werden (MEYER, 1982, 73). Erfordert das Zureiten junger Pferde gelegentlich auch den "brachialen Einsatz", so ist das harmo-nische Bild eines gut ausgebildeten Pferdes, das von einem erfahrenen, einfühlsamen Reiter/in geritten wird, mit einem Kunstwerk zu vergleichen. Reiten verbindet auf diese Weise Kunst und Handwerk.

"Möglicherweise liegt ein besonderer Reiz des Reitens darin, daß es den Menschen in recht verschiedenen Bereichen beansprucht" (MEYER 1982, 80).

MEYER sieht die Faszination der Reitsports für Mädchen unter anderem darin begründet, daß Reiten gesellschaftlich sanktioniert ist und von den Eltern daher, insofern es ihre finanziellen Mittel zulassen, gerne als Freizeitbeschäftigung unterstützt wird. Der Reitsport wird somit häufig besser ermöglicht, als andere Freizeitwünsche der Kinder.

Reiten bedeutet nach MEYER gleichzeitig die Pflege und die Verantwortung für ein Tier und entspricht dem Mädchen- bzw. Frauenbild, das von der Gesellschaft vorgegeben wird. Es ist nicht zu übersehen, daß die Sozialisation geschlechts-spezifisch ist und die Pflege und Fürsorge speziell den Aufgaben der Frau zuge-sprochen wird.

MEYER sieht in der Pferdepflege die Fortsetzung dessen, was die Mädchen bereits an Puppen gelernt haben. Später wird das Gelernte dann auf das Zusammenleben mit einem heterosexuellen Partner und Kindern übertragen. Das Pferd stellt somit ein Zwischenglied zwischen der Puppe und dem Partner bzw. Kindern dar. MEYER glaubt aufgrund dieser Interpretation, daß sich das Pferd durch einen Partner oder ein Kind ersetzen läßt (MEYER 1982, 95).

20 ______

Die Pflege eines Pferdes ermöglicht gleichzeitig körperlichen Kontakt und speziell Zärtlichkeit. Das Pferd wird somit zum geliebten Freund, dem man die Zärtlichkeit zukommen lassen kann, die zuvor "den Eltern, anderen menschlichen Bezugs-personen oder den Puppen galt" (MEYER 1982, 95). MEYER sieht dadurch in der Entwicklungsphase der erotisch sexuellen Orientierung und der erotisch sexuellen Selbstfindung bzw. Partnererfahrung eine große Unterstützung durch das Pferd. "Es läßt die erotisch-sexuell ak- zentuierte Zärtlichkeit problemlos ausprobieren; der Kontakt mit ihm vermindert im Vergleich zum Versuch beim menschlichen Partner das Wagnis" (MEYER 1982, 95-96). Das Pferd enttäuscht seine Reiterin nicht, es bleibt treu, ist immer für sie da und erträgt alle Zärtlichkeiten, die zudem noch von der Gesellschaft und sogar von den Eltern toleriert und gefördert werden. Hat das Mädchen früh einen Freund, erfährt es diese Toleranz und Unter- stützung in der Regel nicht.

Das Pferd erwidert die erhaltene Zärtlichkeit nur im geringen Maße, so daß sich viele Mädchen auf Dauer nach einem menschlichen Partner sehnen; zumal ihre sexuellen Ansprüche im Laufe der Entwicklung steigen. MEYER vermutet eine Wandlung der Zuneigung vom Pferd zum Partner. Der Partner gewinnt dadurch an Wichtigkeit und das Pferd wird in den Hintergrund gedrängt.

Desweiteren symbolisiert das Pferd häufig Geld und Reichtum und wird daher als Luxus verstanden, wodurch das Ansehen seines Besitzers/seiner Besitzerin gesteigert wird. Sogar in der Werbung erscheinen das Pferd oder Sattel und Zaumzeug im Zusammenhang mit Prestige oder um Freiheit und Natur zu signalisieren (z.B. in der Zigarettenwerbung) (MEYER 1982,76 f.).

Nach MEYER ist Reiten bei den jungen Mädchen auch deshalb beliebt, da es für diese chic ist und ihnen einen guten Ruf verleiht (MEYER 1982, 95).

Die Pflege eines Pferdes bedeutet für ein Mädchen eine Herausforderung, die es ihr ermöglicht, sich ernster zu nehmen. Durch die notwendige Kompetenzerweiterung steigt das Selbstbewußtsein des Mädchens und kompensiert häufig mögliche geschlechtsspezifische Vorteile der Jungen. Beim Reitsport sind Mädchen den Jungen vielfach überlegen (MEYER 1982, 96).

MEYER versucht die Motive für das Reitinteresse anhand des von W. SALBER entwickelten morphologischen Ansatzes folgendermaßen zu erklären:

1. Begegnung mit der Wirklichkeit

Das Reiten und die Beschäftigung mit dem Pferd wird als eine Begegnung mit der Wirklichkeit angesehen. Die Wirklichkeit besteht sowohl aus dem Fasziniertwerden und dem Zupacken, aber auch aus dem Abgestoßen und Bedrohtwerden. Das Pferd mit seiner Kraft, Dynamik und Unberechenbarkeit kann somit Anziehen und Angsteinflößen zugleich (MEYER 1982, 117). Der Reitanfänger/die Reitanfängerin sieht z.B. meist eine deutliche Überlegenheit des Pferdes (MEYER 1982, 82).

21 ______

Das Pferd bietet eine Wirklichkeit, die die Natur näher bringt. Es zeigt seine Kraft genauso, wie es den vertrauensvollen Partner darstellt. "Das Pferd ist eine Wirklichkeit, der man sich nähert und die man anspricht, es ist das Leben, das man berührt und streichelt, das man liebkost und dem man sich anschmiegt, die Natur die man anpackt und beherrscht, der man sich bemächtigt" (MEYER 1982, 117).

Die Wirklichkeit und die Natur können hautnah erfahren werden. Im Umgang mit dem Pferd wird der Reiter/die Reiterin mit Schmutz, Staub, Schweiß und Mist konfrontiert. Gleichzeitig begegnet er/sie aber der Natur beim Reiten durch Wälder, Wiesen und Felder. Die meisten Reiter/innen sehen das eigentliche Naturerlebnis im Ausritt, wenn sie durch Wälder und über Wiesen galoppieren. Auch eine Reithalle ist mehr Natur als z.B. eine Turnhalle, da sie meist außerhalb der Städte, dichten Wohnsilos und in der Regel in unmittelbarer Nähe von Weiden liegt (MEYER 1982, 77 u. 117 ff.).

Abb. 7: Foto K. Vössing

Die optischen Sinne, der Geruch und direkte Hautreize spielen bei der Begegnung mit der Wirklichkeit eine entscheidende Rolle (Begreifen und Begriffen-Werden).

Die Auseinandersetzung mit dem Pferd erfordert immer ein gewisses psychisches Engagement, sei es bei der ersten Begegnung, neuen Situationen oder im Leistungssport. Das Pferd läßt den Menschen zeitweise seinen Widerstand spüren, mit dem sich der Reiter/die Reiterin auseinendersetzen muß. "Der unmittelbare Kontakt reicht vom zarten Streicheln und Küssen bis zum energischen Schlag mit der Hand, von der weichen Verbindung zum kräftigen Stoß mit dem Schenkel, zum rüden Schlag mit der Gerte" (MEYER 1982, 117 ff.).

Die Wirklichkeitsbegegnung und -aneignung kann sich nach MEYER auch ohne den direkten Kontakt des Pferdes vollziehen, wie z.B. beim Lesen von Büchern oder beim Erleben von Filmen (MEYER 1982, 119). 22 ______

2. Ein anderes Leben wagen

Die Auseinandersetzung mit dem Pferd und dem Reitsport bedeutet gleichzeitig das Zugeständnis, ein neues Leben wagen zu wollen. Der Reiter muß das Risiko zum Neuen und den Verzicht des Bewährten wollen. "Das Pferd stellt [...] generell eine Alternative zum gewöhnlichen Leben und speziell eine Alternative zur Maschinenwelt dar" (MEYER 1982, 112). Auch die mit dem Reiten verbundene Natur stellt eine Alternative zur technischen Welt dar.

Weiterhin gehört zu diesem Ansatz auch die Faszination, getragen zu werden, die als eine der ursprünglichsten Faszinationen angesehen wird.

Reiten erfordert Durchsetzungsbereitschaft und entschlossenes Zugreifen, was entgegen Anforderungen, die der Alltag manchmal bietet, erst gelernt werden muß. Diese Eigenschaften werden beim Umgang mit dem Pferd gefordert, da das Tier ständig Entscheidungen und Handlungen abverlangt und Unentschlossenheit nicht zuläßt.

3. Überlegen werden

Wie bereits geschildert, wird das Pferd häufig mit Prestige und Image in Verbindung gebracht. Durch den Reitsport übt der Reiter/die Reiterin einerseits seine/ihre Überlegenheit über das Pferd aus, gleichzeitig aber wächst seine/ihre Überlegenheit über andere Menschen.

"Das menschliche Selbstbewußtsein wächst, wenn es gelingt, die Kraft und Dynamik des Pferdes zu beherrschen. Mit dem Selbstbewußtsein nimmt auch der Anspruch zu, angesichts dieses Könnens anerkannt und respektiert zu werden. Die beherrschende Kraft und Dynamik des Tieres bleibt nämlich nicht die fremde, außenstehende und autarke Potenz, die sie ursprünglich war; der Reiter verbindet sich mit ihr, eignet sie sich an, identifiziert sich mit ihr, empfindet sie als seine eigene und stellt sie auch als solche dar" (MEYER 1982, 126).

4. Sich an sichernde Inhalte und Formen anschließen

In der Verbindung mit dem Pferd wird ein Anschließen an sichernde Inhalte und Formen gesehen, wenn ein kameradschaftliches, freundschaftliches und liebevolles Verhältnis zum Tier besteht. Der Mensch muß sich dem Tier anschließen, ihm vertrauen und es umsorgen. Ein wirklicher Anschluß erfolgt nur, wenn das Anliegen besteht, das Pferd wirklich kennen und verstehen zu lernen und zu einem partnerschaftlichen Verhältnis übergegangen werden kann. Sich an das Pferd anzuordnen und es als sichernden Inhalt zu erleben, kann auch in einer Prägung und Formung durch das Pferd bestehen. Dies kann mit anderen Worten bedeuten, daß man lernt, immer gerecht zu sein und nie seinen Zorn am Pferd auszulassen (MEYER 1982, 135). 23 ______

Sich an Inhalte und Formen anzuschließen, kann aber auch das Genießen und Auskosten der Natur und des Lebendigen bedeuten, da es beim Reiten durch Wälder, Wiesen und Felder möglich ist, sich vom Künstlichen und Leblosen abzuwenden und zu einer inneren Ausgeglichenheit zu finden (MEYER 1982, 136).

5. Leben und sich entfalten

In der Verbindung mit dem Pferd wird die Möglichkeit gesehen, sich mit diesem zu identifizieren und sich zu entfalten. Das Pferd animiert zu spontanen Handlungen, wie Laufen, Spielen etc., so daß es leicht ist, in eine gemeinsame Lebensform "mit" dem Pferd zu gelangen.

Eine besondere Entfaltungsmöglichkeit sieht MEYER auch im Getragenwerden. Diese ursprüngliche, vom Kindesalter her durch die Eltern praktizierte Fortbewegungsform, ist für den Menschen generell lustvoll. Der Getragene spürt hierbei das Lebewesen direkt. "So läßt sich der Gedanke nicht ausschließen, im Reiten finde der Mensch zurück in ein kindliches Stadium, in dem es nicht allein ums Getragenwerden geht; die warme Nähe, die Liebe und der Schutz durch den mächtigen und zugleich sorgenden Anderen könnten sogar ausschlaggebend sein. Das Pferd wird in dieser Sicht zu einer Art von Vater- und Mutterersatz" (MEYER 1982, 140).

Leben kann aber auch bedeuten, daß sich der Reiter/die Reiterin diese Sportart finanziell und auch zeitlich leistet (MEYER 1982, 141).

6. Sich für bestimmte Ziele einsetzen

Sich für bestimmte Ziele einsetzen und diese zu verwirklichen bedeutet gleichzeitig die Bewältigung von Problemen. Das Pferd läßt sich nicht selbstverständlich beherrschen, sondern es stellt dem Reiter/der Reiterin eine Aufgabe dar, die dieser/diese schrittweise anpacken und zu lösen versuchen muß. Zur Lösung der Probleme bedarf es häufig die Entwicklung von mehreren Teilzielen, die jeweils erst erreicht werden müssen. Beim Reitanfänger/bei der Reitanfängerin sind die Ziele noch deutlich sichtbar. So wünscht er/sie sich z. B. zunächst nur, nicht vom Pferd herunterzufallen. Später hat er/sie dann vielleicht das Ziel, seinen ersten Galopp zu reiten u.s.w.. In der Regel hat der Reiter/die Reiterin immer bestimmte Ziele vor Augen, die bei dem einen stärker und bei dem anderen schwächer ausgeprägt sind (MEYER 1982, 145 ff.).

"Man wird nicht als Reiter geboren", es sind vielmehr einige Anstrengungen aufzubringen, um erste Erfolge zu sehen. Die Fähigkeit ein Pferd zu reiten oder allein mit diesem umzugehen, muß erst erworben, meist mühevoll erlernt werden. Reiten ist somit als eine Leistung zu sehen. Es gibt bei der Auseinandersetzung mit dem Pferd immer Höhen und Tiefen, nicht nur beim Anfänger/bei der Anfängerin, sondern auch beim fortgeschrittenen Reiter/bei der fortzgeschrittenen Reiterin. Beim Spazierritt kann es reizen, über einen Baumstamm zu springen oder durch einen Bach zu reiten. Da solche Leistungen nicht 24 ______selbstverständlich von einem Pferd erbracht werden, bedarf es des reiterlichen Einsatzes. "Reiten ist insofern immer auch eine Auseinandersetzung mit dem Pferd, und zwar Auseinandersetzung, die beim Reiter Einsatz- und Leistungsbereitschaft impliziert" (MEYER 1982, 79).

3.3.2 Andere Erklärungsversuche:

Psychoanalytische Deutungen

Weitere Arbeiten, die das Phänomen des weiblichen Interesses an Pferden und Reiten untersuchen und mit

eigenen empirischen Arbeiten untermauern, sind uns nicht bekannt. Einige Journalistinnen haben sich des Themas angenommen. So erschien in der Zeitschrift STERN in Heft 50/1991 ein Artikel von Brigitte Blobel mit dem Titel "Das Glück dieser Erde", und Angelika König veröffentlichte in der Zeitschrift "Frauen und Schule" 1987 einen Aufsatz über "Mädchen und Ponies". Diese Arbeiten fußen überwiegend auf den Erkenntnissen von Meyer (1982), angereichert durch eigene Inter- pretationen und anekdotische Beobachtungen.

Erwähnenswert erscheint uns die Arbeit von Lotte Rose (1991), in der versucht wird, eine Verbindung zwischen dem Ansatz von Meyer und psychoanalytischer Theorie herzustellen. Rose führte keine eigenständige 25 ______

empirische Forschung aus, doch deutet sie das

Phänomen der Begeisterung junger Mädchen fürs Reiten konsequent mit den nach wie vor populären

psychoanalytischen Erklärungsmodellen. Psychoanalytisch orientierte Autoren haben das Thema

Frau und Reiten als erste angesprochen (Freud, 1916/17; Bettelheim, 1977; Plack, 1967).

Von psychoanalytischer Seite sind uns keine empirischen Arbeiten bekannt, die über persönliche

Erfahrungen aus Fallbeobachtungen hinausgehen. Psychoanalytische Theorien können aber einen Aus- gangspunkt für empirisch überprüfbare Hypothesen darstellen. Deswegen wollen wir die Argumente von Rose (1991), insbesondere in ihren psychoanalytischen Schwerpunkten, wiedergeben.

Rose beschreibt vier Aspekte des Reitens, die für das Verständnis der Reitleidenschaft junger Mädchen von Be- deutung sind: Der Aspekt der Sinnlichkeit beim Reiten, die Rolle des Pferdes als "Übergangsobjekt", die Polarität von mütterlicher Liebe und väterlicher Strenge, und das Reiten als abenteuerliche Bewährungsprobe. 26 ______

Unter den Aspekt der Sinnlichkeit beim Reiten stellt

Rose eine Reihe unterschiedlichster psychischer Phänomene. Zuerst sieht sie dabei, wie auch Meyer,

taktile und olfaktorische Empfindungen. Sinnlichkeit heißt hier, das Pferd fühlen zu können und dürfen und

seinen Geruch wahrzunehmen und als angenehm zu empfinden. Weiter meint Rose mit Sinnlichkeit den

Aspekt der sog. Regression, also nach psychoanalytischer Entwicklungstheorie den Rückfall in frühere Stufen der

psychosexuellen Entwicklung, "in einen Zustand primär- narzistischen Daseins". Die Regression leitet Rose aus der Ähnlichkeit zwischen dem Getragen-Werden durch das Pferd und dem kindlichen Getragen-Worden-Sein durch die Eltern ab. Während Meyer (1982) hier nur die phänomenologische Ähnlichkeit darstellt, bringt Rose diesen Aspekt in einen psychoanalytischen Ursachen- zusammenhang. Als drittes Beispiel für die Sinnlichkeit des Reitens führt Rose folgendes aus: Frauenkörper seien "in ihrer Geschichte noch weitaus rigider diszipliniert, entsinnlicht und entkörperlicht" worden als

Männerkörper (S. 9). Mädchen würden "strenger als der Junge zur Sauberkeit angehalten", es müsse "seine Körperausscheidungen früher unter Kontrolle haben" als Jungen, und es müsse "immer hübsch sein". Das 27 ______

Mädchen finde nun im Pferdestall, wo andere Sitten

gelten, die Möglichkeit des Ausbruchs sowohl aus der modernen Zivilisation als auch aus der weiblichen Welt.

Die Deutung des Pferdes als "Übergangsobjekt" kommt unserem Verständnis des Pferdes als

Bindungsfigur, wie wir unter Punkt $ darlegen, recht nahe. Rose bleibt allerdings im psychoanalytischen

Interpetationsrahmen. Die Beziehung zum Pferd trage "Züge einer narzistischen Symbiose mit dramatischen

Auswüchsen". In der Adoleszenz würden, so psycho- analytische Entwicklungstheorie, durch die "Abwendung von den primären elterlichen Liebesobjekten Gefühle freigesetzt, die nun heftig nach neuen Objekten suchen" (S. 11), und die bald darauf mit der wachsenden Selbst- Stabilisierung wieder an Bedeutung verlieren. Auch deswegen, so Rose, üben Pferde und der Reitsport eine starke Anziehungskraft auf Jugendliche aus.

Die ganz besondere, um nicht zu sagen überwältigende Anziehungskraft auf weibliche Jugendliche erklärt Rose durch ein anderes Argument. Der Umgang mit Pferden fordere, im Unterschied zum kindlichen Puppen- und Mutter-und-Kind-Spielen, eine Kompetenzerweiterung um Wissen, Verantwortung und 28 ______

Verbindlichkeit. Auf dem Tätigkeitsfeld des Pflegens und

Versorgens könnten sich Mädchen eher als Jungen besonders erfolgreich zeigen, weil "in der Mädchenso-

zialisation bekanntermaßen von früh an" die Beziehungsfähigkeit und -orientiertheit gefördert werde.

Somit könne das Reiten zu einer "Quelle narzistischer Bestätigung" werden.

Den dritten Aspekt des Reitens bezieht Rose auf die Polarität zwischen mütterlicher Liebe und väterlicher

Strenge. Das Reiten erlaube die Möglichkeit des Auslebens gegensätzlicher Triebimpulse: Es darf nicht nur geliebt und sich bescheiden gegeben werden, wie es ein Mädchen tun soll, sondern auch befohlen und beherrscht werden, wie es ein Junge darf. Beim Reiten finde so eine "Verschiebung männlich-aggressiver Triebanteile" statt. Außerdem erscheine das Reiten als "Sublimierungsmöglichkeit, über die das Mädchen seine inneren Spannungen meistern" kann. Das Reiten zeige also in diesem Zusammenhang "deutliche Züge der Abwehr" (S. 15).

Schließlich könne, so Rose, das Reiten als abenteuerliche Bewährungsprobe verstanden werden. Risiko- und Abenteuerlust seien für Jugendliche 29 ______

bedeutsam. In dieser Beziehung leide das Mädchen unter

Sozialisationsdefiziten. Erfahrungen von Omnipotenz würden in der weiblichen Alltagswelt "systematisch ver-

stellt und sanktioniert" (S. 17).

3.4 Andere Erklärungsversuche

3.4.1 Die Bindungstheorie als Alternative zu bisherigen Erklärungsversuchen

Wir haben zwei Ansätze vorgestellt, welche die Pferdeschwärmerei jugendlicher Mädchen beschreiben und erklären. Meyer führt in seiner Monographie eine Reihe unterschiedlicher Aspekte auf, welche die Liebe junger Mädchen zu Pferden erklären sollen: Das Pferd ermöglicht ein ursprüngliches Naturerlebnis in einer technisierten Welt. Es bietet Anreize für das Berührungsempfinden, und es ist "Übergangsobjekt" zwischen "Puppe und Partner". Das Pferd steht als Pflegeobjekt und Partner zur Verfügung und kann so Haustier und Kamerad zugleich sein. Das Pferd verlangt oder erlaubt aber nicht nur die "mütterlichen" Eigenschaften der Pflege und Fürsorglichkeit, sondern fordert auch die "väterliche" Neigung zur Disziplinierung (Rose, 1991). Mit dem Getragenwerden können Kindheitserinnerungen aufkommen. Gleichzeitig eröffnet das Pferd eine Zukunftsperspektive, einmal durch eine Erweiterung der traditionellen Mädchenrolle in den Dimensionen von Risiko und Abenteuer, zum anderen durch die Vorbereitung auf die Erwachsenenrolle mittels Einforderung von Verantwortlichkeit, Entschlossenheit und 30 ______

Leistungsbereitschaft. Das Pferd ermöglicht eine einzigartige Symbiose: Reiten wirkt sich auf das Körpergefühl aus, vermittelt Sicherheit, Überlegenheit und Selbstbewußtsein. Reiten verschafft der Reiterin Ansehen und Status. Zusammenfassen läßt sich sagen, daß das Pferd dem jugendlichen Mädchen verschiedene Möglichkeiten der Selbstentfaltung bietet.

Die vorgenannten Aussagen und Erklärungen stellt Meyer im Rahmen des sog. "morphologischen Ansatzes" von Salber (1965) dar. Seine Ausführungen leitet er nicht aus diesem morphologischen Ansatz ab, sondern der Ansatz bietet ihm vielmehr einen verbalformalen Rahmen, in dem er die Erkenntnisse über Mensch und Pferd strukturiert. Auf Grundlage dieser Theorie lassen sich keine weiteren Aussagen über die Beziehung zwischen Mensch und Pferd ableiten. Die Theorie bietet nicht die Möglichkeit einer empirischen Überprüfung. Insbesonders das spezielle Phänomen der Pferdeliebe adoleszenter Mädchen läßt sich aus dem morphologischen Ansatz nicht explizieren. Die Arbeit von Meyer ist vor allem ob ihrer aspektreichen und differenzierten Inhalte bemerkenswert, weniger aufgrund ihres theoretischen Strukturgerüstes.

Lotte Rose bietet über die inhaltlichen Ausführungen von Meyers Erkenntnissen hinaus keine wesentlichen eigenen Erkenntnisse, außer daß sie die Ausführungen ihrerseits in einen psychoanalytischen Rahmen einfügt, dieses in sehr eklektischer Weise und ohne Bezug auf einen bestimmten psychoanalytischen Ansatz. Sie greift aus den psychoanalytischen Ansätzen anwendbare Konzepte heraus und erklärt anhand dieser das Phänomen der Faszination jugendlicher Mädchen für Pferde. Somit ist auch Roses Ansatz 31 ______heuristisch unergiebig, man kann aus ihm kaum neue Fragestellungen entwickeln. Mehr als Erklärungen geben zu wollen wird von Rose auch nicht angestrebt. Sie beabsichtigt nicht, weitere Aussagen aus der Theorie abzuleiten, diese an der Erfahrung zu überprüfen und somit die Reichweite der Theorie festzustellen.

Die psychoanalytischen Ansätze sind aber nicht nur wegen ihrer relativen heuristischen Unergiebigkeit für unsere Fragestellung unattraktiv. Da nicht auf eine triebkritische psychoanalytische Theorie Bezug genommen wird, stehen die psychoanalytischen Erklärungen in einem für uns unakzeptablen motivationstheoretischen Rahmen, dem der Libidotheorie. Die Vorstellungen, die Triebfeder menschlichen Verhaltens sei letzlich libidinöser Natur, der Mensch strebe nach Spannungsminderung, Gefühle könnten sich aufstauen und verschieben, und die innere Psychodynamik sei mit hydraulisch-energetischen Modellen abzubilden, diese aus dem physikalisch geprägten Wissenschaftsverständnis des 19. Jahrhunderts entlehnten Vorstellungen erachten wir als obsolet und mit den heutigen Erkenntnissen von Psychologie und Physiologie nicht vereinbar.

Betrachtet man das Phänomen der Begeisterung junger Mädchen für Pferde psychoanalytisch, gelangt man leicht zu dem Mißverständnis, daß diese Begeisterung libidinös und damit letztendlich sexuell motiviert sei. Wir verstehen dieses Phänomen im weitesten Sinne als reproduktives Bemühen (Alexander, 1987). Auch andere Phänomene, die aus der Psychoanalyse bekannt sind, z. B. das der Regression (Rückfall auf frühere Entwicklungsstufen) und das des Ödipuskonfliktes (Rivalität mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil), sind unseres Erachtens als reproduktives 32 ______

Bemühen und nicht als sexuelle Phänomene zu interpretieren (Trivers, 1974). In der Diskussion stellen wir dieses Thema ausführlicher dar.

Wir erklären die Pferdeliebe junger Mädchen auf der Grundlage der Bindungstheorie von John Bowlby (1975, 1976). Diese Theorie ist interdisziplinär begründet und auf die Lebenssituation jugendlicher Mädchen anwendbar. Die Theorie ist hinreichend ausgeführt, aus ihr lassen sich weitere empirisch überprüfbare Vorhersagen ableiten. Mit dieser Theorie wird eklektische Beliebigkeit vermieden, und es kommt nicht zu Mißverständnissen hinsichtlich Bezügen zur Sexualiät. Schließlich ist die Bindungstheorie sowohl auf der ultimaten als auch der proximaten Erklärungsebene anwendbar. Die ultimate Ebene bezieht sich auf Zwecke von Verhaltensweisen; hier geht es um evolutionäre Erklärungen. Die proximate Ebene behandelt die Funktionen des Verhaltens; hier geht es um psychologische, physiologische oder soziologische Erklärungen. Ultimate und proximate Erklärungen sind als Komplemente und nicht als Kontrahenten zu verstehen. Zu den ultimaten Erklärungen des Bindungsphänomenes finden sich interessante Erweiterungen der Bindungstheorie Bowlbys in den sog. soziobiologischen Ansätzen (Porter & Laney, 1980), insbesondere in den Theorien zur parentalen Investition (Trivers, 1985) sowie in den Lebensgeschichtstheorien (Alexander, 1987).

Im folgenden soll nun die Bindungstheorie von John Bowlby in den für uns bedeutsamen Teilen dargestellt werden. Aus der Bindungstheorie wurden empirisch überprüfbare Hypothesen abgeleitet. Diese werden im empirischen Teil unserer Arbeit überprüft. 33 ______

Alexander, R. D. (1987). The biology of moral systems . New York: Aldine de Gruyter.

Porter, R.H. & Laney, M.D.(1980), Attachment theory and the concept of inclusive fitness. Merrill- Palmer Quarterly , 26, (1), 35-51.

Trivers, R. L. (1974). Parent-offspring conflict. American Journal of Zoology , 14, 249 - 264.

Trivers, R. L. (1985). Social evolution . Menlo Park, CA: The Benjamin/Cummings Publishing Company.

3.

Darstellung der empirischen Untersuchung "Mädchen und Frauen im Reitsport"

3.1 Untersuchungsgegenstand

Um das Phänomen der Faszination von Mädchen und Frauen für die Sportart Reiten näher zu untersuchen, muß zur Deutung des Phänomens beachtet werden, daß Reiten keine Sportart in Verbindung mit einem toten Gegenstand ist, sondern mit einem Lebewesen, das großen Einfluß auf die Reiterin ausübt. Reiten ist daher nicht als Sport allein zu sehen, sondern gleichzeitig als Beschäftigung mit einem Tier. Deshalb sind psychologische und soziologische Deutungen notwendig, da die Erklärung nicht allein im Sport gefunden werden kann.

3.1.1 Psychologische Theorie: Pferde als Bindungsfigur (Bolwlby)

Auf dem Hintergrund psychologischer Deutungsmöglichkeiten erfolgte eine intensive Beschäftigung mit der Bindungstheorie des britischen Psychiaters JOHN BOWLBY, der in seinem dreibändigen Werk "Bindung" (1975, orig. 1969), "Trennung" (1976, orig. 1973) 34 ______und "Verlust" (1983, orig. 1980) das Konzept der Bindung und seine psychologische Bedeutung beschrieben hat.

Seiner Theorie wurde der Vorzug gegeben, da sie im Gegensatz zu den Theorien in der klassischen Psychoanalyse die Bindung als einen primären Trieb sieht. In der klassischen Psychoanalyse glaubte man die Bindung vom oralen Trieb ableiten zu können, sah sie also als einen sekundären Trieb (BOWLBY 1975, 171 ff.).

Untersuchungen von HARRY HARLOW widerlegten die Annahme des sekundären Triebes. Sie zeigten, daß sich Rhesusaffenjunge in Abwesenheit ihrer echten Mutter an eine mit einem weichen Frotteetuch umwickelte Kunstmutter, statt an eine nicht umwickelte Drahtmutter klammerten. Auch wenn ein Flaschenschnuller an der Drahtmutter befestigt war, zogen sie die weiche Kunstmutter der nahrungs-spendenden Drahtmutter vor. Auch wenn das Anklammern an die weiche Kunst-mutter durch einen unangenehmen, kalten Luftstrahl bestraft wurde, zogen die kleinen Äffchen weiterhin die weiche Kunstmutter vor und klammerten sich noch intensiver an diese.

Die Untersuchungen zeigen, daß die Bindung ein primärer Trieb ist, da die Affenjungen ansonsten die "Flaschenmutter" vorgezogen hätten. Auch bestrafende Reize konnten sich nicht negativ auf den primären Bindungstrieb auswirken (HARLOW 1959 in BOWLBY 1975, 203).

Als Bindung wird die relativ dauerhafte Anziehungskraft zwischen zwei Individuen verstanden. Sie wird beim Menschen durch verschiedene Verhaltensweisen vermittelt. Die offensichtlichsten Verhaltensweisen sind: "[...] Schreien und Rufen, Brabbeln und Lächeln, Sich-Anklammern, nichtnährendes Saugen und Fortbewegung zwecks Annähern, Nachfolgen und Suchen[...]" (BOWLBY 1975, 229).

Als erste Bindung im Leben eines Individuums ist die Mutter-Kind-Bindung zu sehen. Diese setzt sich aus zwei Bindungsformen zusammen: der Bindung der Mutter an das Kind und der Bindung des Kindes an die Mutter. Die Mutter muß dabei nicht die leibliche Mutter sein. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine, wie BOWLBY sie nennt, "Mutterfigur", die allein bestimmte Merkmale aufweisen muß, d.h. die "Mutterfigur" muß wiederholt anwesend sein, sich liebevoll um das Kind kümmern und bedingungslose Zuneigung zeigen.

Am stärksten ist die Bindung des Kindes im zweiten und dritten Lebensjahr. Sie äußert sich in Verhaltensformen wie Nachfolgen, Anklammern, Weinen, Rufen, Grüßen, Lächeln und anderen komplizierteren Formen (BOWLBY 1975, 292). Später flacht die starke Mutter- Kind-Bindung langsam wieder ab, bleibt aber noch lange erhalten. Sie zeigt sich dann zum Beispiel in Situationen der Not wieder deutlicher (BOWLBY 1975, 197).

Im Vor- oder Grundschulalter wird die Bindung durch gleichgeschlechtliche Alters- genossen/innen ergänzt. Nach der Geschlechtsreife wird die sexuelle Partnerbindung lebensbestimmend, der beste Freund oder die beste Freundin ist von nun ab von untergeordneter Rolle. Neben der Partnerbindung kommt es zur Bindung an eigene Kinder, die bis zur stufenweisen Lösung der Kinder bedeutsam bleibt (BOWLBY 1975, 195 ff.).

35 ______

Bindungen entstehen somit zwischen zwei nicht ohne weiteres austauschbaren Individuen. Die gebundenen Personen versuchen, sich räumlich oder zumindest in der Vorstellung nah zu sein. Die Nähe geht bis zum direkten Hautkontakt und bis zur Berührung des Anderen. Eine Trennung von dem geliebten Individuum wird als Schmerz empfunden (BOWLBY 1976, 105).

Neben den eben genannten Bindungen können auch andere Beziehungen Bindungs- charakter haben, wie z.B. die Beziehung zu einem Haustier oder zu Soterien (kleine, weiche, unersetzbare Objekte, wie z.B. ein Stofftier oder eine Decke, die Kinder als tröstende Gegenstände benötigen). Diese Bindungsfiguren gewinnen in der Regel dann an Bedeutung, wenn die bevorzugte Bindungsfigur nicht verfügbar ist. Ein unerläßliches Merkmal ist der Hautkontakt, in jungen Lebensjahren zu den Soterien und später dann zu den Haustieren (MORRIS 1972).

In Bezug auf die Faszination von Mädchen und Frauen für die Sportart Reiten kann angenommen werden, daß die Faszination für die Pferde auf einem Bindungs-phänomen beruht. Die Pferde üben somit als gesellschaftlich sanktionierte Bindungs-figuren ihre Anziehungskraft insbesondere auf junge Mädchen aus (EULER 1992, 4).

Auf den Ponyhöfen und in den Reitställen dominieren Mädchen im Alter bis 14 Jahren. Man kann davon ausgehen, daß diese sich individuell mehr oder weniger von ihren primären Bindungspersonen gelöst und zu Freundinnen orientiert haben. Die Interessen der Eltern unterscheiden sich zu dieser Zeit häufig von denen der Jugendlichen. Die damit verbundenen Pubertätsprobleme sind nicht in erster Linie auf die hormonelle Umstellung zurückzuführen, sondern auf Probleme in der Bindungs-lösung, welche wiederum auf die hormonelle Veränderung zurückzuführen sind (EULER 1992, 4). Die Jugendlichen starten eine Suche nach dem Neuen, dem Abenteuer und der Abwechslung. Hierbei zeigen sich durch die Sozialisation bedingte Unterschiede. Mädchen werden von ihren Eltern mehr in ihrer Eigen-ständigkeit eingeschränkt als Jungen. Diese Unterscheidung setzt ein, "wenn die Kinder in der Schule sind, längere Wege eventuell allein gehen, und wenn auch der sexuelle Mißbrauch durch Fremde vorstellbar geworden ist" (HAGEMANN-WHITE 1984, 53). Einer Untersuchung von LOTT (1981) zufolge hielten sich Mädchen "häufiger in der Nähe von Erwachsenen auf, spielten häufiger allein oder schauten nur zu, und spielten mehr drinnen" (HAGEMANN-WHITE 1984, 54).

Bei den meisten Jugendlichen findet in dieser Zeit auch eine Orientierung auf die neue heterosexuelle Bindung statt. Mädchen lösen sich jedoch früher als Jungen von ihrer primären Bindungsfigur, da sie eher in die Pubertät kommen. Sie beginnen eher, für das andere Geschlecht zu schwärmen, stoßen aber auf keine Resonanz, so daß ein Freiraum für Bindungsfiguren entsteht. Dieser Freiraum kann von einem Haustier gefüllt werden, besonders von einem Pferd. Das Pferd übernimmt nicht nur die Rolle einer Bindungsfigur, sondern ermöglicht dem Mädchen Neues, Abenteuer und teils auch Abwechslung (EULER 1992, 5). Wenn sich die Jungen dann wenige Jahre später ebenfalls für das andere Geschlecht interessieren, kommt es erneut zu Problemen. Jungen suchen eher die Sexualität in der Verbindung zu den Mädchen. Diese aber suchen in erster Linie einen Freund und fühlen sich von den Jungen bedrängt. Ein amerikanischer Psychologe formulierte das Problem folgendermaßen: "The girl wants a guy and the guy wants sex". Das Pferd kann dagegen für 36 ______das Mädchen ein Freund sein, ohne Forderungen zu stellen und bleibt somit weiterhin eine wichtige Bindungsfigur.

In dieser Lebenszeit haben die Jungen andere Macht- und Beeinflussungsstrukturen (MACCOBY 1990, 518). Sie üben innerhalb einer Gruppe von Jungen mehr Dominanz aus, um Einfluß zu gewinnen. Mädchen versuchen dagegen Verständnis für ihre Freundinnen aufzubringen, ohne unentwegt um Macht zu ringen.

Im Gegensatz zu dem harten Umgang, der von den Jungen ausgeht, können Mädchen beim Pferd sanfte Züge finden. Es ist zwar stark, richtet seine Stärke aber nicht gegen die Reiterin, sondern gibt ihr im gewissen Sinne, z.B. durch den erhöhten Sitz noch das Gefühl der Sicherheit. Bei Gefahr würde es eine schnelle Flucht ermöglichen; Reiten durch den Wald wird somit von den Eltern eher erlaubt als Wandern.

Das Pferd bleibt für das Mädchen ein verläßlicher und vertrauter Partner, der die Reiterin trägt und dies sogar in verschiedenen Gangarten. In der Dressur ähneln die Bewegungen des Pferdes in ihrer Rhythmik dem Tanz. In Verbindung mit Musik sind Pferde durchaus in der Lage, "mit der Reiterin zu tanzen". Das Mädchen kann all diese Vorzüge des Pferdes genießen, ohne daß das Pferd sexuelle Ansprüche stellt. Man kann es aber dennoch liebko- sen und seine Nähe suchen. Sein Fell kann gestreichelt und seine Wärme gespürt werden. Häufig spielt sein Geruch für die Reiterin eine bedeutende Rolle.

Die Reiterin ist weiterhin für das Pferd verantwortlich, da es gepflegt, gefüttert und sein Stall gereinigt werden muß. Die Pflege und die Fütterung, sowie der Umgang mit dem Pferd erfordert Kenntnisse, die dem Mädchen Verantwortung und damit verbunden Selbstvertrauen geben (EULER 1992, 5).

Im Gegensatz zu Bindungspersonen erträgt das Pferd eine Bindungslösung widerspruchslos, es versucht nicht, das Mädchen zu halten oder macht Eifersuchts-szenen. Interessiert sich das Mädchen für das andere Geschlecht und kann dies mit dem Pferd nicht vereinbaren, so kann es ohne Bedenken die neue Bindung eingehen.

Mit dem Pferd kann eine besondere Bindung eingegangen werden. Man kann diese Bindung als eine Art Symbiose verstehen, da die Reiterin beim Reiten mit ihrem Pferd zu einer Einheit werden kann. Die Reiterin kann sich mit ihrem Pferd identifizieren. Je mehr es ihr gelingt, mit ihrem Pferd zu verschmelzen, desto größer können auch die Erfolgserlebnisse beim Reiten sein (EULER 1992, 5).

Reiten ermöglicht Abenteuer und gibt das Gefühl von Freiheit. Es ist daher nicht verwunderlich, daß in einer Untersuchung Frauen angaben, häufig den Tagtraum zu haben, mit ihrem eigenen Pferd unterwegs zu sein. Männer träumten im Gegensatz dazu, mit einem tollen Auto zu fahren (EULER/ADOLPH 1992,5).

Neben den aufgezeigten Bindungsmerkmalen, hat das Pferd noch weitere Vorzüge, die sich mit der Bindungstheorie in Einklang bringen lassen:

37 ______

- Das Pferd bedarf der Stärke seiner Reiterin, da dieser sich Respekt verschaffen muß. Das Pferd kann von dem Mädchen kommandiert und gelenkt werden. Diese Art von Stärke kann es bei einem menschlichen Partner nicht ausüben.

- Reiten ermöglicht den Mädchen die gleichen Erfolge, wie den Jungen. Sie können sich im Wettkampf gegenüber den Jungen behaupten.

- Das Pferd erträgt sogar Projektionen und erlaubt Fehlinterpretationen.

- Reiten wird in der Regel von der Gesellschaft gern gesehen und verleiht der Reiterin Anerkennung und Status.

- Durch den Umgang mit dem Pferd werden die Mädchen aus ihren engen Räumen geholt und können sich in der Natur frei entfalten.

Die Bindungstheorie läßt sich gut mit anderen Lebenswissenschaften, wie z.B. der Ethologie, der Evolutionsbiologie, der Entwicklungspsychologie und der Physiologie vereinbaren. 38 ______

3.

Darstellung der empirischen Untersuchung "Mädchen und Frauen im Reitsport"

3.1 Untersuchungsgegenstand

Um das Phänomen der Faszination von Mädchen und Frauen für die Sportart Reiten näher zu untersuchen, muß zur Deutung des Phänomens beachtet werden, daß Reiten keine Sportart in Verbindung mit einem toten Gegenstand ist, sondern mit einem Lebewesen, das großen Einfluß auf die Reiterin ausübt. Reiten ist daher nicht als Sport allein zu sehen, sondern gleichzeitig als Beschäftigung mit einem Tier. Deshalb sind psychologische und soziologische Deutungen notwendig, da die Erklärung nicht allein im Sport gefunden werden kann.

3.1.1 Psychologische Theorie: Pferde als Bindungsfigur (Bolwlby)

Auf dem Hintergrund psychologischer Deutungsmöglichkeiten erfolgte eine intensive Beschäftigung mit der Bindungstheorie des britischen Psychiaters JOHN BOWLBY, der in seinem dreibändigen Werk "Bindung" (1975, orig. 1969), "Trennung" (1976, orig. 1973) und "Verlust" (1983, orig. 1980) das Konzept der Bindung und seine psychologische Bedeutung beschrieben hat.

Seiner Theorie wurde der Vorzug gegeben, da sie im Gegensatz zu den Theorien in der klassischen Psychoanalyse die Bindung als einen primären Trieb sieht. In der klassischen Psychoanalyse glaubte man die Bindung vom oralen Trieb ableiten zu können, sah sie also als einen sekundären Trieb (BOWLBY 1975, 171 ff.).

Untersuchungen von HARRY HARLOW widerlegten die Annahme des sekundären Triebes. Sie zeigten, daß sich Rhesusaffenjunge in Abwesenheit ihrer echten Mutter an eine mit einem weichen Frotteetuch umwickelte Kunstmutter, statt an eine nicht umwickelte Drahtmutter klammerten. Auch wenn ein Flaschenschnuller an der Drahtmutter befestigt war, zogen sie die weiche Kunstmutter der nahrungs-spendenden Drahtmutter vor. Auch wenn das Anklammern an die weiche Kunst-mutter durch einen unangenehmen, kalten Luftstrahl bestraft wurde, zogen die kleinen Äffchen weiterhin die weiche Kunstmutter vor und klammerten sich noch intensiver an diese.

39 ______

Die Untersuchungen zeigen, daß die Bindung ein primärer Trieb ist, da die Affenjungen ansonsten die "Flaschenmutter" vorgezogen hätten. Auch bestrafende Reize konnten sich nicht negativ auf den primären Bindungstrieb auswirken (HARLOW 1959 in BOWLBY 1975, 203).

Als Bindung wird die relativ dauerhafte Anziehungskraft zwischen zwei Individuen verstanden. Sie wird beim Menschen durch verschiedene Verhaltensweisen vermittelt. Die offensichtlichsten Verhaltensweisen sind: "[...] Schreien und Rufen, Brabbeln und Lächeln, Sich-Anklammern, nichtnährendes Saugen und Fortbewegung zwecks Annähern, Nachfolgen und Suchen[...]" (BOWLBY 1975, 229).

Als erste Bindung im Leben eines Individuums ist die Mutter-Kind-Bindung zu sehen. Diese setzt sich aus zwei Bindungsformen zusammen: der Bindung der Mutter an das Kind und der Bindung des Kindes an die Mutter. Die Mutter muß dabei nicht die leibliche Mutter sein. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine, wie BOWLBY sie nennt, "Mutterfigur", die allein bestimmte Merkmale aufweisen muß, d.h. die "Mutterfigur" muß wiederholt anwesend sein, sich liebevoll um das Kind kümmern und bedingungslose Zuneigung zeigen.

Am stärksten ist die Bindung des Kindes im zweiten und dritten Lebensjahr. Sie äußert sich in Verhaltensformen wie Nachfolgen, Anklammern, Weinen, Rufen, Grüßen, Lächeln und anderen komplizierteren Formen (BOWLBY 1975, 292). Später flacht die starke Mutter- Kind-Bindung langsam wieder ab, bleibt aber noch lange erhalten. Sie zeigt sich dann zum Beispiel in Situationen der Not wieder deutlicher (BOWLBY 1975, 197).

Im Vor- oder Grundschulalter wird die Bindung durch gleichgeschlechtliche Alters- genossen/innen ergänzt. Nach der Geschlechtsreife wird die sexuelle Partnerbindung lebensbestimmend, der beste Freund oder die beste Freundin ist von nun ab von untergeordneter Rolle. Neben der Partnerbindung kommt es zur Bindung an eigene Kinder, die bis zur stufenweisen Lösung der Kinder bedeutsam bleibt (BOWLBY 1975, 195 ff.).

Bindungen entstehen somit zwischen zwei nicht ohne weiteres austauschbaren Individuen. Die gebundenen Personen versuchen, sich räumlich oder zumindest in der Vorstellung nah zu sein. Die Nähe geht bis zum direkten Hautkontakt und bis zur Berührung des Anderen. Eine Trennung von dem geliebten Individuum wird als Schmerz empfunden (BOWLBY 1976, 105).

Neben den eben genannten Bindungen können auch andere Beziehungen Bindungs- charakter haben, wie z.B. die Beziehung zu einem Haustier oder zu Soterien (kleine, weiche, unersetzbare Objekte, wie z.B. ein Stofftier oder eine Decke, die Kinder als tröstende Gegenstände benötigen). Diese Bindungsfiguren gewinnen in der Regel dann an Bedeutung, wenn die bevorzugte Bindungsfigur nicht verfügbar ist. Ein unerläßliches Merkmal ist der Hautkontakt, in jungen Lebensjahren zu den Soterien und später dann zu den Haustieren (MORRIS 1972).

In Bezug auf die Faszination von Mädchen und Frauen für die Sportart Reiten kann angenommen werden, daß die Faszination für die Pferde auf einem Bindungs-phänomen beruht. Die Pferde üben somit als gesellschaftlich sanktionierte Bindungs-figuren ihre Anziehungskraft insbesondere auf junge Mädchen aus (EULER 1992, 4). 40 ______

Auf den Ponyhöfen und in den Reitställen dominieren Mädchen im Alter bis 14 Jahren. Man kann davon ausgehen, daß diese sich individuell mehr oder weniger von ihren primären Bindungspersonen gelöst und zu Freundinnen orientiert haben. Die Interessen der Eltern unterscheiden sich zu dieser Zeit häufig von denen der Jugendlichen. Die damit verbundenen Pubertätsprobleme sind nicht in erster Linie auf die hormonelle Umstellung zurückzuführen, sondern auf Probleme in der Bindungs-lösung, welche wiederum auf die hormonelle Veränderung zurückzuführen sind (EULER 1992, 4). Die Jugendlichen starten eine Suche nach dem Neuen, dem Abenteuer und der Abwechslung. Hierbei zeigen sich durch die Sozialisation bedingte Unterschiede. Mädchen werden von ihren Eltern mehr in ihrer Eigen-ständigkeit eingeschränkt als Jungen. Diese Unterscheidung setzt ein, "wenn die Kinder in der Schule sind, längere Wege eventuell allein gehen, und wenn auch der sexuelle Mißbrauch durch Fremde vorstellbar geworden ist" (HAGEMANN-WHITE 1984, 53). Einer Untersuchung von LOTT (1981) zufolge hielten sich Mädchen "häufiger in der Nähe von Erwachsenen auf, spielten häufiger allein oder schauten nur zu, und spielten mehr drinnen" (HAGEMANN-WHITE 1984, 54).

Bei den meisten Jugendlichen findet in dieser Zeit auch eine Orientierung auf die neue heterosexuelle Bindung statt. Mädchen lösen sich jedoch früher als Jungen von ihrer primären Bindungsfigur, da sie eher in die Pubertät kommen. Sie beginnen eher, für das andere Geschlecht zu schwärmen, stoßen aber auf keine Resonanz, so daß ein Freiraum für Bindungsfiguren entsteht. Dieser Freiraum kann von einem Haustier gefüllt werden, besonders von einem Pferd. Das Pferd übernimmt nicht nur die Rolle einer Bindungsfigur, sondern ermöglicht dem Mädchen Neues, Abenteuer und teils auch Abwechslung (EULER 1992, 5). Wenn sich die Jungen dann wenige Jahre später ebenfalls für das andere Geschlecht interessieren, kommt es erneut zu Problemen. Jungen suchen eher die Sexualität in der Verbindung zu den Mädchen. Diese aber suchen in erster Linie einen Freund und fühlen sich von den Jungen bedrängt. Ein amerikanischer Psychologe formulierte das Problem folgendermaßen: "The girl wants a guy and the guy wants sex". Das Pferd kann dagegen für das Mädchen ein Freund sein, ohne Forderungen zu stellen und bleibt somit weiterhin eine wichtige Bindungsfigur.

In dieser Lebenszeit haben die Jungen andere Macht- und Beeinflussungsstrukturen (MACCOBY 1990, 518). Sie üben innerhalb einer Gruppe von Jungen mehr Dominanz aus, um Einfluß zu gewinnen. Mädchen versuchen dagegen Verständnis für ihre Freundinnen aufzubringen, ohne unentwegt um Macht zu ringen.

Im Gegensatz zu dem harten Umgang, der von den Jungen ausgeht, können Mädchen beim Pferd sanfte Züge finden. Es ist zwar stark, richtet seine Stärke aber nicht gegen die Reiterin, sondern gibt ihr im gewissen Sinne, z.B. durch den erhöhten Sitz noch das Gefühl der Sicherheit. Bei Gefahr würde es eine schnelle Flucht ermöglichen; Reiten durch den Wald wird somit von den Eltern eher erlaubt als Wandern.

Das Pferd bleibt für das Mädchen ein verläßlicher und vertrauter Partner, der die Reiterin trägt und dies sogar in verschiedenen Gangarten. In der Dressur ähneln die Bewegungen des Pferdes in ihrer Rhythmik dem Tanz. In Verbindung mit Musik sind Pferde durchaus in der Lage, "mit der Reiterin zu tanzen". Das Mädchen kann all diese Vorzüge des Pferdes 41 ______genießen, ohne daß das Pferd sexuelle Ansprüche stellt. Man kann es aber dennoch liebko- sen und seine Nähe suchen. Sein Fell kann gestreichelt und seine Wärme gespürt werden. Häufig spielt sein Geruch für die Reiterin eine bedeutende Rolle.

Die Reiterin ist weiterhin für das Pferd verantwortlich, da es gepflegt, gefüttert und sein Stall gereinigt werden muß. Die Pflege und die Fütterung, sowie der Umgang mit dem Pferd erfordert Kenntnisse, die dem Mädchen Verantwortung und damit verbunden Selbstvertrauen geben (EULER 1992, 5).

Im Gegensatz zu Bindungspersonen erträgt das Pferd eine Bindungslösung widerspruchslos, es versucht nicht, das Mädchen zu halten oder macht Eifersuchts-szenen. Interessiert sich das Mädchen für das andere Geschlecht und kann dies mit dem Pferd nicht vereinbaren, so kann es ohne Bedenken die neue Bindung eingehen.

Mit dem Pferd kann eine besondere Bindung eingegangen werden. Man kann diese Bindung als eine Art Symbiose verstehen, da die Reiterin beim Reiten mit ihrem Pferd zu einer Einheit werden kann. Die Reiterin kann sich mit ihrem Pferd identifizieren. Je mehr es ihr gelingt, mit ihrem Pferd zu verschmelzen, desto größer können auch die Erfolgserlebnisse beim Reiten sein (EULER 1992, 5).

Reiten ermöglicht Abenteuer und gibt das Gefühl von Freiheit. Es ist daher nicht verwunderlich, daß in einer Untersuchung Frauen angaben, häufig den Tagtraum zu haben, mit ihrem eigenen Pferd unterwegs zu sein. Männer träumten im Gegensatz dazu, mit einem tollen Auto zu fahren (EULER/ADOLPH 1992,5).

Neben den aufgezeigten Bindungsmerkmalen, hat das Pferd noch weitere Vorzüge, die sich mit der Bindungstheorie in Einklang bringen lassen:

- Das Pferd bedarf der Stärke seiner Reiterin, da dieser sich Respekt verschaffen muß. Das Pferd kann von dem Mädchen kommandiert und gelenkt werden. Diese Art von Stärke kann es bei einem menschlichen Partner nicht ausüben.

- Reiten ermöglicht den Mädchen die gleichen Erfolge, wie den Jungen. Sie können sich im Wettkampf gegenüber den Jungen behaupten.

- Das Pferd erträgt sogar Projektionen und erlaubt Fehlinterpretationen.

- Reiten wird in der Regel von der Gesellschaft gern gesehen und verleiht der Reiterin Anerkennung und Status.

- Durch den Umgang mit dem Pferd werden die Mädchen aus ihren engen Räumen geholt und können sich in der Natur frei entfalten.

Die Bindungstheorie läßt sich gut mit anderen Lebenswissenschaften, wie z.B. der Ethologie, der Evolutionsbiologie, der Entwicklungspsychologie und der Physiologie vereinbaren. 42 ______

3.

Darstellung der empirischen Untersuchung "Mädchen und Frauen im Reitsport"

3.1 Untersuchungsgegenstand

Um das Phänomen der Faszination von Mädchen und Frauen für die Sportart Reiten näher zu untersuchen, muß zur Deutung des Phänomens beachtet werden, daß Reiten keine Sportart in Verbindung mit einem toten Gegenstand ist, sondern mit einem Lebewesen, das großen Einfluß auf die Reiterin ausübt. Reiten ist daher nicht als Sport allein zu sehen, sondern gleichzeitig als Beschäftigung mit einem Tier. Deshalb sind psychologische und soziologische Deutungen notwendig, da die Erklärung nicht allein im Sport gefunden werden kann.

3.1.1 Psychologische Theorie: Pferde als Bindungsfigur (Bolwlby)

Auf dem Hintergrund psychologischer Deutungsmöglichkeiten erfolgte eine intensive Beschäftigung mit der Bindungstheorie des britischen Psychiaters JOHN BOWLBY, der in seinem dreibändigen Werk "Bindung" (1975, orig. 1969), "Trennung" (1976, orig. 1973) und "Verlust" (1983, orig. 1980) das Konzept der Bindung und seine psychologische Bedeutung beschrieben hat.

Seiner Theorie wurde der Vorzug gegeben, da sie im Gegensatz zu den Theorien in der klassischen Psychoanalyse die Bindung als einen primären Trieb sieht. In der klassischen Psychoanalyse glaubte man die Bindung vom oralen Trieb ableiten zu können, sah sie also als einen sekundären Trieb (BOWLBY 1975, 171 ff.).

Untersuchungen von HARRY HARLOW widerlegten die Annahme des sekundären Triebes. Sie zeigten, daß sich Rhesusaffenjunge in Abwesenheit ihrer echten Mutter an eine mit einem weichen Frotteetuch umwickelte Kunstmutter, statt an eine nicht umwickelte Drahtmutter klammerten. Auch wenn ein Flaschenschnuller an der Drahtmutter befestigt war, zogen sie die weiche Kunstmutter der nahrungs-spendenden Drahtmutter vor. Auch wenn das Anklammern an die weiche Kunst-mutter durch einen unangenehmen, kalten Luftstrahl bestraft wurde, zogen die kleinen Äffchen weiterhin die weiche Kunstmutter vor und klammerten sich noch intensiver an diese.

43 ______

Die Untersuchungen zeigen, daß die Bindung ein primärer Trieb ist, da die Affenjungen ansonsten die "Flaschenmutter" vorgezogen hätten. Auch bestrafende Reize konnten sich nicht negativ auf den primären Bindungstrieb auswirken (HARLOW 1959 in BOWLBY 1975, 203).

Als Bindung wird die relativ dauerhafte Anziehungskraft zwischen zwei Individuen verstanden. Sie wird beim Menschen durch verschiedene Verhaltensweisen vermittelt. Die offensichtlichsten Verhaltensweisen sind: "[...] Schreien und Rufen, Brabbeln und Lächeln, Sich-Anklammern, nichtnährendes Saugen und Fortbewegung zwecks Annähern, Nachfolgen und Suchen[...]" (BOWLBY 1975, 229).

Als erste Bindung im Leben eines Individuums ist die Mutter-Kind-Bindung zu sehen. Diese setzt sich aus zwei Bindungsformen zusammen: der Bindung der Mutter an das Kind und der Bindung des Kindes an die Mutter. Die Mutter muß dabei nicht die leibliche Mutter sein. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine, wie BOWLBY sie nennt, "Mutterfigur", die allein bestimmte Merkmale aufweisen muß, d.h. die "Mutterfigur" muß wiederholt anwesend sein, sich liebevoll um das Kind kümmern und bedingungslose Zuneigung zeigen.

Am stärksten ist die Bindung des Kindes im zweiten und dritten Lebensjahr. Sie äußert sich in Verhaltensformen wie Nachfolgen, Anklammern, Weinen, Rufen, Grüßen, Lächeln und anderen komplizierteren Formen (BOWLBY 1975, 292). Später flacht die starke Mutter- Kind-Bindung langsam wieder ab, bleibt aber noch lange erhalten. Sie zeigt sich dann zum Beispiel in Situationen der Not wieder deutlicher (BOWLBY 1975, 197).

Im Vor- oder Grundschulalter wird die Bindung durch gleichgeschlechtliche Alters- genossen/innen ergänzt. Nach der Geschlechtsreife wird die sexuelle Partnerbindung lebensbestimmend, der beste Freund oder die beste Freundin ist von nun ab von untergeordneter Rolle. Neben der Partnerbindung kommt es zur Bindung an eigene Kinder, die bis zur stufenweisen Lösung der Kinder bedeutsam bleibt (BOWLBY 1975, 195 ff.).

Bindungen entstehen somit zwischen zwei nicht ohne weiteres austauschbaren Individuen. Die gebundenen Personen versuchen, sich räumlich oder zumindest in der Vorstellung nah zu sein. Die Nähe geht bis zum direkten Hautkontakt und bis zur Berührung des Anderen. Eine Trennung von dem geliebten Individuum wird als Schmerz empfunden (BOWLBY 1976, 105).

Neben den eben genannten Bindungen können auch andere Beziehungen Bindungs- charakter haben, wie z.B. die Beziehung zu einem Haustier oder zu Soterien (kleine, weiche, unersetzbare Objekte, wie z.B. ein Stofftier oder eine Decke, die Kinder als tröstende Gegenstände benötigen). Diese Bindungsfiguren gewinnen in der Regel dann an Bedeutung, wenn die bevorzugte Bindungsfigur nicht verfügbar ist. Ein unerläßliches Merkmal ist der Hautkontakt, in jungen Lebensjahren zu den Soterien und später dann zu den Haustieren (MORRIS 1972).

In Bezug auf die Faszination von Mädchen und Frauen für die Sportart Reiten kann angenommen werden, daß die Faszination für die Pferde auf einem Bindungs-phänomen beruht. Die Pferde üben somit als gesellschaftlich sanktionierte Bindungs-figuren ihre Anziehungskraft insbesondere auf junge Mädchen aus (EULER 1992, 4). 44 ______

Auf den Ponyhöfen und in den Reitställen dominieren Mädchen im Alter bis 14 Jahren. Man kann davon ausgehen, daß diese sich individuell mehr oder weniger von ihren primären Bindungspersonen gelöst und zu Freundinnen orientiert haben. Die Interessen der Eltern unterscheiden sich zu dieser Zeit häufig von denen der Jugendlichen. Die damit verbundenen Pubertätsprobleme sind nicht in erster Linie auf die hormonelle Umstellung zurückzuführen, sondern auf Probleme in der Bindungs-lösung, welche wiederum auf die hormonelle Veränderung zurückzuführen sind (EULER 1992, 4). Die Jugendlichen starten eine Suche nach dem Neuen, dem Abenteuer und der Abwechslung. Hierbei zeigen sich durch die Sozialisation bedingte Unterschiede. Mädchen werden von ihren Eltern mehr in ihrer Eigen-ständigkeit eingeschränkt als Jungen. Diese Unterscheidung setzt ein, "wenn die Kinder in der Schule sind, längere Wege eventuell allein gehen, und wenn auch der sexuelle Mißbrauch durch Fremde vorstellbar geworden ist" (HAGEMANN-WHITE 1984, 53). Einer Untersuchung von LOTT (1981) zufolge hielten sich Mädchen "häufiger in der Nähe von Erwachsenen auf, spielten häufiger allein oder schauten nur zu, und spielten mehr drinnen" (HAGEMANN-WHITE 1984, 54).

Bei den meisten Jugendlichen findet in dieser Zeit auch eine Orientierung auf die neue heterosexuelle Bindung statt. Mädchen lösen sich jedoch früher als Jungen von ihrer primären Bindungsfigur, da sie eher in die Pubertät kommen. Sie beginnen eher, für das andere Geschlecht zu schwärmen, stoßen aber auf keine Resonanz, so daß ein Freiraum für Bindungsfiguren entsteht. Dieser Freiraum kann von einem Haustier gefüllt werden, besonders von einem Pferd. Das Pferd übernimmt nicht nur die Rolle einer Bindungsfigur, sondern ermöglicht dem Mädchen Neues, Abenteuer und teils auch Abwechslung (EULER 1992, 5). Wenn sich die Jungen dann wenige Jahre später ebenfalls für das andere Geschlecht interessieren, kommt es erneut zu Problemen. Jungen suchen eher die Sexualität in der Verbindung zu den Mädchen. Diese aber suchen in erster Linie einen Freund und fühlen sich von den Jungen bedrängt. Ein amerikanischer Psychologe formulierte das Problem folgendermaßen: "The girl wants a guy and the guy wants sex". Das Pferd kann dagegen für das Mädchen ein Freund sein, ohne Forderungen zu stellen und bleibt somit weiterhin eine wichtige Bindungsfigur.

In dieser Lebenszeit haben die Jungen andere Macht- und Beeinflussungsstrukturen (MACCOBY 1990, 518). Sie üben innerhalb einer Gruppe von Jungen mehr Dominanz aus, um Einfluß zu gewinnen. Mädchen versuchen dagegen Verständnis für ihre Freundinnen aufzubringen, ohne unentwegt um Macht zu ringen.

Im Gegensatz zu dem harten Umgang, der von den Jungen ausgeht, können Mädchen beim Pferd sanfte Züge finden. Es ist zwar stark, richtet seine Stärke aber nicht gegen die Reiterin, sondern gibt ihr im gewissen Sinne, z.B. durch den erhöhten Sitz noch das Gefühl der Sicherheit. Bei Gefahr würde es eine schnelle Flucht ermöglichen; Reiten durch den Wald wird somit von den Eltern eher erlaubt als Wandern.

Das Pferd bleibt für das Mädchen ein verläßlicher und vertrauter Partner, der die Reiterin trägt und dies sogar in verschiedenen Gangarten. In der Dressur ähneln die Bewegungen des Pferdes in ihrer Rhythmik dem Tanz. In Verbindung mit Musik sind Pferde durchaus in der Lage, "mit der Reiterin zu tanzen". Das Mädchen kann all diese Vorzüge des Pferdes 45 ______genießen, ohne daß das Pferd sexuelle Ansprüche stellt. Man kann es aber dennoch liebko- sen und seine Nähe suchen. Sein Fell kann gestreichelt und seine Wärme gespürt werden. Häufig spielt sein Geruch für die Reiterin eine bedeutende Rolle.

Die Reiterin ist weiterhin für das Pferd verantwortlich, da es gepflegt, gefüttert und sein Stall gereinigt werden muß. Die Pflege und die Fütterung, sowie der Umgang mit dem Pferd erfordert Kenntnisse, die dem Mädchen Verantwortung und damit verbunden Selbstvertrauen geben (EULER 1992, 5).

Im Gegensatz zu Bindungspersonen erträgt das Pferd eine Bindungslösung widerspruchslos, es versucht nicht, das Mädchen zu halten oder macht Eifersuchts-szenen. Interessiert sich das Mädchen für das andere Geschlecht und kann dies mit dem Pferd nicht vereinbaren, so kann es ohne Bedenken die neue Bindung eingehen.

Mit dem Pferd kann eine besondere Bindung eingegangen werden. Man kann diese Bindung als eine Art Symbiose verstehen, da die Reiterin beim Reiten mit ihrem Pferd zu einer Einheit werden kann. Die Reiterin kann sich mit ihrem Pferd identifizieren. Je mehr es ihr gelingt, mit ihrem Pferd zu verschmelzen, desto größer können auch die Erfolgserlebnisse beim Reiten sein (EULER 1992, 5).

Reiten ermöglicht Abenteuer und gibt das Gefühl von Freiheit. Es ist daher nicht verwunderlich, daß in einer Untersuchung Frauen angaben, häufig den Tagtraum zu haben, mit ihrem eigenen Pferd unterwegs zu sein. Männer träumten im Gegensatz dazu, mit einem tollen Auto zu fahren (EULER/ADOLPH 1992,5).

Neben den aufgezeigten Bindungsmerkmalen, hat das Pferd noch weitere Vorzüge, die sich mit der Bindungstheorie in Einklang bringen lassen:

- Das Pferd bedarf der Stärke seiner Reiterin, da dieser sich Respekt verschaffen muß. Das Pferd kann von dem Mädchen kommandiert und gelenkt werden. Diese Art von Stärke kann es bei einem menschlichen Partner nicht ausüben.

- Reiten ermöglicht den Mädchen die gleichen Erfolge, wie den Jungen. Sie können sich im Wettkampf gegenüber den Jungen behaupten.

- Das Pferd erträgt sogar Projektionen und erlaubt Fehlinterpretationen.

- Reiten wird in der Regel von der Gesellschaft gern gesehen und verleiht der Reiterin Anerkennung und Status.

- Durch den Umgang mit dem Pferd werden die Mädchen aus ihren engen Räumen geholt und können sich in der Natur frei entfalten.

Die Bindungstheorie läßt sich gut mit anderen Lebenswissenschaften, wie z.B. der Ethologie, der Evolutionsbiologie, der Entwicklungspsychologie und der Physiologie vereinbaren. 46 ______

3.

Darstellung der empirischen Untersuchung "Mädchen und Frauen im Reitsport"

3.1 Untersuchungsgegenstand

Um das Phänomen der Faszination von Mädchen und Frauen für die Sportart Reiten näher zu untersuchen, muß zur Deutung des Phänomens beachtet werden, daß Reiten keine Sportart in Verbindung mit einem toten Gegenstand ist, sondern mit einem Lebewesen, das großen Einfluß auf die Reiterin ausübt. Reiten ist daher nicht als Sport allein zu sehen, sondern gleichzeitig als Beschäftigung mit einem Tier. Deshalb sind psychologische und soziologische Deutungen notwendig, da die Erklärung nicht allein im Sport gefunden werden kann.

3.1.1 Psychologische Theorie: Pferde als Bindungsfigur (Bolwlby)

Auf dem Hintergrund psychologischer Deutungsmöglichkeiten erfolgte eine intensive Beschäftigung mit der Bindungstheorie des britischen Psychiaters JOHN BOWLBY, der in seinem dreibändigen Werk "Bindung" (1975, orig. 1969), "Trennung" (1976, orig. 1973) und "Verlust" (1983, orig. 1980) das Konzept der Bindung und seine psychologische Bedeutung beschrieben hat.

Seiner Theorie wurde der Vorzug gegeben, da sie im Gegensatz zu den Theorien in der klassischen Psychoanalyse die Bindung als einen primären Trieb sieht. In der klassischen Psychoanalyse glaubte man die Bindung vom oralen Trieb ableiten zu können, sah sie also als einen sekundären Trieb (BOWLBY 1975, 171 ff.).

Untersuchungen von HARRY HARLOW widerlegten die Annahme des sekundären Triebes. Sie zeigten, daß sich Rhesusaffenjunge in Abwesenheit ihrer echten Mutter an eine mit einem weichen Frotteetuch umwickelte Kunstmutter, statt an eine nicht umwickelte Drahtmutter klammerten. Auch wenn ein Flaschenschnuller an der Drahtmutter befestigt war, zogen sie die weiche Kunstmutter der nahrungs-spendenden Drahtmutter vor. Auch wenn das Anklammern an die weiche Kunst-mutter durch einen unangenehmen, kalten Luftstrahl bestraft wurde, zogen die kleinen Äffchen weiterhin die weiche Kunstmutter vor und klammerten sich noch intensiver an diese.

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Die Untersuchungen zeigen, daß die Bindung ein primärer Trieb ist, da die Affenjungen ansonsten die "Flaschenmutter" vorgezogen hätten. Auch bestrafende Reize konnten sich nicht negativ auf den primären Bindungstrieb auswirken (HARLOW 1959 in BOWLBY 1975, 203).

Als Bindung wird die relativ dauerhafte Anziehungskraft zwischen zwei Individuen verstanden. Sie wird beim Menschen durch verschiedene Verhaltensweisen vermittelt. Die offensichtlichsten Verhaltensweisen sind: "[...] Schreien und Rufen, Brabbeln und Lächeln, Sich-Anklammern, nichtnährendes Saugen und Fortbewegung zwecks Annähern, Nachfolgen und Suchen[...]" (BOWLBY 1975, 229).

Als erste Bindung im Leben eines Individuums ist die Mutter-Kind-Bindung zu sehen. Diese setzt sich aus zwei Bindungsformen zusammen: der Bindung der Mutter an das Kind und der Bindung des Kindes an die Mutter. Die Mutter muß dabei nicht die leibliche Mutter sein. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine, wie BOWLBY sie nennt, "Mutterfigur", die allein bestimmte Merkmale aufweisen muß, d.h. die "Mutterfigur" muß wiederholt anwesend sein, sich liebevoll um das Kind kümmern und bedingungslose Zuneigung zeigen.

Am stärksten ist die Bindung des Kindes im zweiten und dritten Lebensjahr. Sie äußert sich in Verhaltensformen wie Nachfolgen, Anklammern, Weinen, Rufen, Grüßen, Lächeln und anderen komplizierteren Formen (BOWLBY 1975, 292). Später flacht die starke Mutter- Kind-Bindung langsam wieder ab, bleibt aber noch lange erhalten. Sie zeigt sich dann zum Beispiel in Situationen der Not wieder deutlicher (BOWLBY 1975, 197).

Im Vor- oder Grundschulalter wird die Bindung durch gleichgeschlechtliche Alters- genossen/innen ergänzt. Nach der Geschlechtsreife wird die sexuelle Partnerbindung lebensbestimmend, der beste Freund oder die beste Freundin ist von nun ab von untergeordneter Rolle. Neben der Partnerbindung kommt es zur Bindung an eigene Kinder, die bis zur stufenweisen Lösung der Kinder bedeutsam bleibt (BOWLBY 1975, 195 ff.).

Bindungen entstehen somit zwischen zwei nicht ohne weiteres austauschbaren Individuen. Die gebundenen Personen versuchen, sich räumlich oder zumindest in der Vorstellung nah zu sein. Die Nähe geht bis zum direkten Hautkontakt und bis zur Berührung des Anderen. Eine Trennung von dem geliebten Individuum wird als Schmerz empfunden (BOWLBY 1976, 105).

Neben den eben genannten Bindungen können auch andere Beziehungen Bindungs- charakter haben, wie z.B. die Beziehung zu einem Haustier oder zu Soterien (kleine, weiche, unersetzbare Objekte, wie z.B. ein Stofftier oder eine Decke, die Kinder als tröstende Gegenstände benötigen). Diese Bindungsfiguren gewinnen in der Regel dann an Bedeutung, wenn die bevorzugte Bindungsfigur nicht verfügbar ist. Ein unerläßliches Merkmal ist der Hautkontakt, in jungen Lebensjahren zu den Soterien und später dann zu den Haustieren (MORRIS 1972).

In Bezug auf die Faszination von Mädchen und Frauen für die Sportart Reiten kann angenommen werden, daß die Faszination für die Pferde auf einem Bindungs-phänomen beruht. Die Pferde üben somit als gesellschaftlich sanktionierte Bindungs-figuren ihre Anziehungskraft insbesondere auf junge Mädchen aus (EULER 1992, 4). 48 ______

Auf den Ponyhöfen und in den Reitställen dominieren Mädchen im Alter bis 14 Jahren. Man kann davon ausgehen, daß diese sich individuell mehr oder weniger von ihren primären Bindungspersonen gelöst und zu Freundinnen orientiert haben. Die Interessen der Eltern unterscheiden sich zu dieser Zeit häufig von denen der Jugendlichen. Die damit verbundenen Pubertätsprobleme sind nicht in erster Linie auf die hormonelle Umstellung zurückzuführen, sondern auf Probleme in der Bindungs-lösung, welche wiederum auf die hormonelle Veränderung zurückzuführen sind (EULER 1992, 4). Die Jugendlichen starten eine Suche nach dem Neuen, dem Abenteuer und der Abwechslung. Hierbei zeigen sich durch die Sozialisation bedingte Unterschiede. Mädchen werden von ihren Eltern mehr in ihrer Eigen-ständigkeit eingeschränkt als Jungen. Diese Unterscheidung setzt ein, "wenn die Kinder in der Schule sind, längere Wege eventuell allein gehen, und wenn auch der sexuelle Mißbrauch durch Fremde vorstellbar geworden ist" (HAGEMANN-WHITE 1984, 53). Einer Untersuchung von LOTT (1981) zufolge hielten sich Mädchen "häufiger in der Nähe von Erwachsenen auf, spielten häufiger allein oder schauten nur zu, und spielten mehr drinnen" (HAGEMANN-WHITE 1984, 54).

Bei den meisten Jugendlichen findet in dieser Zeit auch eine Orientierung auf die neue heterosexuelle Bindung statt. Mädchen lösen sich jedoch früher als Jungen von ihrer primären Bindungsfigur, da sie eher in die Pubertät kommen. Sie beginnen eher, für das andere Geschlecht zu schwärmen, stoßen aber auf keine Resonanz, so daß ein Freiraum für Bindungsfiguren entsteht. Dieser Freiraum kann von einem Haustier gefüllt werden, besonders von einem Pferd. Das Pferd übernimmt nicht nur die Rolle einer Bindungsfigur, sondern ermöglicht dem Mädchen Neues, Abenteuer und teils auch Abwechslung (EULER 1992, 5). Wenn sich die Jungen dann wenige Jahre später ebenfalls für das andere Geschlecht interessieren, kommt es erneut zu Problemen. Jungen suchen eher die Sexualität in der Verbindung zu den Mädchen. Diese aber suchen in erster Linie einen Freund und fühlen sich von den Jungen bedrängt. Ein amerikanischer Psychologe formulierte das Problem folgendermaßen: "The girl wants a guy and the guy wants sex". Das Pferd kann dagegen für das Mädchen ein Freund sein, ohne Forderungen zu stellen und bleibt somit weiterhin eine wichtige Bindungsfigur.

In dieser Lebenszeit haben die Jungen andere Macht- und Beeinflussungsstrukturen (MACCOBY 1990, 518). Sie üben innerhalb einer Gruppe von Jungen mehr Dominanz aus, um Einfluß zu gewinnen. Mädchen versuchen dagegen Verständnis für ihre Freundinnen aufzubringen, ohne unentwegt um Macht zu ringen.

Im Gegensatz zu dem harten Umgang, der von den Jungen ausgeht, können Mädchen beim Pferd sanfte Züge finden. Es ist zwar stark, richtet seine Stärke aber nicht gegen die Reiterin, sondern gibt ihr im gewissen Sinne, z.B. durch den erhöhten Sitz noch das Gefühl der Sicherheit. Bei Gefahr würde es eine schnelle Flucht ermöglichen; Reiten durch den Wald wird somit von den Eltern eher erlaubt als Wandern.

Das Pferd bleibt für das Mädchen ein verläßlicher und vertrauter Partner, der die Reiterin trägt und dies sogar in verschiedenen Gangarten. In der Dressur ähneln die Bewegungen des Pferdes in ihrer Rhythmik dem Tanz. In Verbindung mit Musik sind Pferde durchaus in der Lage, "mit der Reiterin zu tanzen". Das Mädchen kann all diese Vorzüge des Pferdes 49 ______genießen, ohne daß das Pferd sexuelle Ansprüche stellt. Man kann es aber dennoch liebko- sen und seine Nähe suchen. Sein Fell kann gestreichelt und seine Wärme gespürt werden. Häufig spielt sein Geruch für die Reiterin eine bedeutende Rolle.

Die Reiterin ist weiterhin für das Pferd verantwortlich, da es gepflegt, gefüttert und sein Stall gereinigt werden muß. Die Pflege und die Fütterung, sowie der Umgang mit dem Pferd erfordert Kenntnisse, die dem Mädchen Verantwortung und damit verbunden Selbstvertrauen geben (EULER 1992, 5).

Im Gegensatz zu Bindungspersonen erträgt das Pferd eine Bindungslösung widerspruchslos, es versucht nicht, das Mädchen zu halten oder macht Eifersuchts-szenen. Interessiert sich das Mädchen für das andere Geschlecht und kann dies mit dem Pferd nicht vereinbaren, so kann es ohne Bedenken die neue Bindung eingehen.

Mit dem Pferd kann eine besondere Bindung eingegangen werden. Man kann diese Bindung als eine Art Symbiose verstehen, da die Reiterin beim Reiten mit ihrem Pferd zu einer Einheit werden kann. Die Reiterin kann sich mit ihrem Pferd identifizieren. Je mehr es ihr gelingt, mit ihrem Pferd zu verschmelzen, desto größer können auch die Erfolgserlebnisse beim Reiten sein (EULER 1992, 5).

Reiten ermöglicht Abenteuer und gibt das Gefühl von Freiheit. Es ist daher nicht verwunderlich, daß in einer Untersuchung Frauen angaben, häufig den Tagtraum zu haben, mit ihrem eigenen Pferd unterwegs zu sein. Männer träumten im Gegensatz dazu, mit einem tollen Auto zu fahren (EULER/ADOLPH 1992,5).

Neben den aufgezeigten Bindungsmerkmalen, hat das Pferd noch weitere Vorzüge, die sich mit der Bindungstheorie in Einklang bringen lassen:

- Das Pferd bedarf der Stärke seiner Reiterin, da dieser sich Respekt verschaffen muß. Das Pferd kann von dem Mädchen kommandiert und gelenkt werden. Diese Art von Stärke kann es bei einem menschlichen Partner nicht ausüben.

- Reiten ermöglicht den Mädchen die gleichen Erfolge, wie den Jungen. Sie können sich im Wettkampf gegenüber den Jungen behaupten.

- Das Pferd erträgt sogar Projektionen und erlaubt Fehlinterpretationen.

- Reiten wird in der Regel von der Gesellschaft gern gesehen und verleiht der Reiterin Anerkennung und Status.

- Durch den Umgang mit dem Pferd werden die Mädchen aus ihren engen Räumen geholt und können sich in der Natur frei entfalten.

Die Bindungstheorie läßt sich gut mit anderen Lebenswissenschaften, wie z.B. der Ethologie, der Evolutionsbiologie, der Entwicklungspsychologie und der Physiologie vereinbaren. 50 ______

3.

Darstellung der empirischen Untersuchung "Mädchen und Frauen im Reitsport"

3.1 Untersuchungsgegenstand

Um das Phänomen der Faszination von Mädchen und Frauen für die Sportart Reiten näher zu untersuchen, muß zur Deutung des Phänomens beachtet werden, daß Reiten keine Sportart in Verbindung mit einem toten Gegenstand ist, sondern mit einem Lebewesen, das großen Einfluß auf die Reiterin ausübt. Reiten ist daher nicht als Sport allein zu sehen, sondern gleichzeitig als Beschäftigung mit einem Tier. Deshalb sind psychologische und soziologische Deutungen notwendig, da die Erklärung nicht allein im Sport gefunden werden kann.

3.1.1 Psychologische Theorie: Pferde als Bindungsfigur (Bolwlby)

Auf dem Hintergrund psychologischer Deutungsmöglichkeiten erfolgte eine intensive Beschäftigung mit der Bindungstheorie des britischen Psychiaters JOHN BOWLBY, der in seinem dreibändigen Werk "Bindung" (1975, orig. 1969), "Trennung" (1976, orig. 1973) und "Verlust" (1983, orig. 1980) das Konzept der Bindung und seine psychologische Bedeutung beschrieben hat.

Seiner Theorie wurde der Vorzug gegeben, da sie im Gegensatz zu den Theorien in der klassischen Psychoanalyse die Bindung als einen primären Trieb sieht. In der klassischen Psychoanalyse glaubte man die Bindung vom oralen Trieb ableiten zu können, sah sie also als einen sekundären Trieb (BOWLBY 1975, 171 ff.).

Untersuchungen von HARRY HARLOW widerlegten die Annahme des sekundären Triebes. Sie zeigten, daß sich Rhesusaffenjunge in Abwesenheit ihrer echten Mutter an eine mit einem weichen Frotteetuch umwickelte Kunstmutter, statt an eine nicht umwickelte Drahtmutter klammerten. Auch wenn ein Flaschenschnuller an der Drahtmutter befestigt war, zogen sie die weiche Kunstmutter der nahrungs-spendenden Drahtmutter vor. Auch wenn das Anklammern an die weiche Kunst-mutter durch einen unangenehmen, kalten Luftstrahl bestraft wurde, zogen die kleinen Äffchen weiterhin die weiche Kunstmutter vor und klammerten sich noch intensiver an diese.

51 ______

Die Untersuchungen zeigen, daß die Bindung ein primärer Trieb ist, da die Affenjungen ansonsten die "Flaschenmutter" vorgezogen hätten. Auch bestrafende Reize konnten sich nicht negativ auf den primären Bindungstrieb auswirken (HARLOW 1959 in BOWLBY 1975, 203).

Als Bindung wird die relativ dauerhafte Anziehungskraft zwischen zwei Individuen verstanden. Sie wird beim Menschen durch verschiedene Verhaltensweisen vermittelt. Die offensichtlichsten Verhaltensweisen sind: "[...] Schreien und Rufen, Brabbeln und Lächeln, Sich-Anklammern, nichtnährendes Saugen und Fortbewegung zwecks Annähern, Nachfolgen und Suchen[...]" (BOWLBY 1975, 229).

Als erste Bindung im Leben eines Individuums ist die Mutter-Kind-Bindung zu sehen. Diese setzt sich aus zwei Bindungsformen zusammen: der Bindung der Mutter an das Kind und der Bindung des Kindes an die Mutter. Die Mutter muß dabei nicht die leibliche Mutter sein. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine, wie BOWLBY sie nennt, "Mutterfigur", die allein bestimmte Merkmale aufweisen muß, d.h. die "Mutterfigur" muß wiederholt anwesend sein, sich liebevoll um das Kind kümmern und bedingungslose Zuneigung zeigen.

Am stärksten ist die Bindung des Kindes im zweiten und dritten Lebensjahr. Sie äußert sich in Verhaltensformen wie Nachfolgen, Anklammern, Weinen, Rufen, Grüßen, Lächeln und anderen komplizierteren Formen (BOWLBY 1975, 292). Später flacht die starke Mutter- Kind-Bindung langsam wieder ab, bleibt aber noch lange erhalten. Sie zeigt sich dann zum Beispiel in Situationen der Not wieder deutlicher (BOWLBY 1975, 197).

Im Vor- oder Grundschulalter wird die Bindung durch gleichgeschlechtliche Alters- genossen/innen ergänzt. Nach der Geschlechtsreife wird die sexuelle Partnerbindung lebensbestimmend, der beste Freund oder die beste Freundin ist von nun ab von untergeordneter Rolle. Neben der Partnerbindung kommt es zur Bindung an eigene Kinder, die bis zur stufenweisen Lösung der Kinder bedeutsam bleibt (BOWLBY 1975, 195 ff.).

Bindungen entstehen somit zwischen zwei nicht ohne weiteres austauschbaren Individuen. Die gebundenen Personen versuchen, sich räumlich oder zumindest in der Vorstellung nah zu sein. Die Nähe geht bis zum direkten Hautkontakt und bis zur Berührung des Anderen. Eine Trennung von dem geliebten Individuum wird als Schmerz empfunden (BOWLBY 1976, 105).

Neben den eben genannten Bindungen können auch andere Beziehungen Bindungs- charakter haben, wie z.B. die Beziehung zu einem Haustier oder zu Soterien (kleine, weiche, unersetzbare Objekte, wie z.B. ein Stofftier oder eine Decke, die Kinder als tröstende Gegenstände benötigen). Diese Bindungsfiguren gewinnen in der Regel dann an Bedeutung, wenn die bevorzugte Bindungsfigur nicht verfügbar ist. Ein unerläßliches Merkmal ist der Hautkontakt, in jungen Lebensjahren zu den Soterien und später dann zu den Haustieren (MORRIS 1972).

In Bezug auf die Faszination von Mädchen und Frauen für die Sportart Reiten kann angenommen werden, daß die Faszination für die Pferde auf einem Bindungs-phänomen beruht. Die Pferde üben somit als gesellschaftlich sanktionierte Bindungs-figuren ihre Anziehungskraft insbesondere auf junge Mädchen aus (EULER 1992, 4). 52 ______

Auf den Ponyhöfen und in den Reitställen dominieren Mädchen im Alter bis 14 Jahren. Man kann davon ausgehen, daß diese sich individuell mehr oder weniger von ihren primären Bindungspersonen gelöst und zu Freundinnen orientiert haben. Die Interessen der Eltern unterscheiden sich zu dieser Zeit häufig von denen der Jugendlichen. Die damit verbundenen Pubertätsprobleme sind nicht in erster Linie auf die hormonelle Umstellung zurückzuführen, sondern auf Probleme in der Bindungs-lösung, welche wiederum auf die hormonelle Veränderung zurückzuführen sind (EULER 1992, 4). Die Jugendlichen starten eine Suche nach dem Neuen, dem Abenteuer und der Abwechslung. Hierbei zeigen sich durch die Sozialisation bedingte Unterschiede. Mädchen werden von ihren Eltern mehr in ihrer Eigen-ständigkeit eingeschränkt als Jungen. Diese Unterscheidung setzt ein, "wenn die Kinder in der Schule sind, längere Wege eventuell allein gehen, und wenn auch der sexuelle Mißbrauch durch Fremde vorstellbar geworden ist" (HAGEMANN-WHITE 1984, 53). Einer Untersuchung von LOTT (1981) zufolge hielten sich Mädchen "häufiger in der Nähe von Erwachsenen auf, spielten häufiger allein oder schauten nur zu, und spielten mehr drinnen" (HAGEMANN-WHITE 1984, 54).

Bei den meisten Jugendlichen findet in dieser Zeit auch eine Orientierung auf die neue heterosexuelle Bindung statt. Mädchen lösen sich jedoch früher als Jungen von ihrer primären Bindungsfigur, da sie eher in die Pubertät kommen. Sie beginnen eher, für das andere Geschlecht zu schwärmen, stoßen aber auf keine Resonanz, so daß ein Freiraum für Bindungsfiguren entsteht. Dieser Freiraum kann von einem Haustier gefüllt werden, besonders von einem Pferd. Das Pferd übernimmt nicht nur die Rolle einer Bindungsfigur, sondern ermöglicht dem Mädchen Neues, Abenteuer und teils auch Abwechslung (EULER 1992, 5). Wenn sich die Jungen dann wenige Jahre später ebenfalls für das andere Geschlecht interessieren, kommt es erneut zu Problemen. Jungen suchen eher die Sexualität in der Verbindung zu den Mädchen. Diese aber suchen in erster Linie einen Freund und fühlen sich von den Jungen bedrängt. Ein amerikanischer Psychologe formulierte das Problem folgendermaßen: "The girl wants a guy and the guy wants sex". Das Pferd kann dagegen für das Mädchen ein Freund sein, ohne Forderungen zu stellen und bleibt somit weiterhin eine wichtige Bindungsfigur.

In dieser Lebenszeit haben die Jungen andere Macht- und Beeinflussungsstrukturen (MACCOBY 1990, 518). Sie üben innerhalb einer Gruppe von Jungen mehr Dominanz aus, um Einfluß zu gewinnen. Mädchen versuchen dagegen Verständnis für ihre Freundinnen aufzubringen, ohne unentwegt um Macht zu ringen.

Im Gegensatz zu dem harten Umgang, der von den Jungen ausgeht, können Mädchen beim Pferd sanfte Züge finden. Es ist zwar stark, richtet seine Stärke aber nicht gegen die Reiterin, sondern gibt ihr im gewissen Sinne, z.B. durch den erhöhten Sitz noch das Gefühl der Sicherheit. Bei Gefahr würde es eine schnelle Flucht ermöglichen; Reiten durch den Wald wird somit von den Eltern eher erlaubt als Wandern.

Das Pferd bleibt für das Mädchen ein verläßlicher und vertrauter Partner, der die Reiterin trägt und dies sogar in verschiedenen Gangarten. In der Dressur ähneln die Bewegungen des Pferdes in ihrer Rhythmik dem Tanz. In Verbindung mit Musik sind Pferde durchaus in der Lage, "mit der Reiterin zu tanzen". Das Mädchen kann all diese Vorzüge des Pferdes 53 ______genießen, ohne daß das Pferd sexuelle Ansprüche stellt. Man kann es aber dennoch liebko- sen und seine Nähe suchen. Sein Fell kann gestreichelt und seine Wärme gespürt werden. Häufig spielt sein Geruch für die Reiterin eine bedeutende Rolle.

Die Reiterin ist weiterhin für das Pferd verantwortlich, da es gepflegt, gefüttert und sein Stall gereinigt werden muß. Die Pflege und die Fütterung, sowie der Umgang mit dem Pferd erfordert Kenntnisse, die dem Mädchen Verantwortung und damit verbunden Selbstvertrauen geben (EULER 1992, 5).

Im Gegensatz zu Bindungspersonen erträgt das Pferd eine Bindungslösung widerspruchslos, es versucht nicht, das Mädchen zu halten oder macht Eifersuchts-szenen. Interessiert sich das Mädchen für das andere Geschlecht und kann dies mit dem Pferd nicht vereinbaren, so kann es ohne Bedenken die neue Bindung eingehen.

Mit dem Pferd kann eine besondere Bindung eingegangen werden. Man kann diese Bindung als eine Art Symbiose verstehen, da die Reiterin beim Reiten mit ihrem Pferd zu einer Einheit werden kann. Die Reiterin kann sich mit ihrem Pferd identifizieren. Je mehr es ihr gelingt, mit ihrem Pferd zu verschmelzen, desto größer können auch die Erfolgserlebnisse beim Reiten sein (EULER 1992, 5).

Reiten ermöglicht Abenteuer und gibt das Gefühl von Freiheit. Es ist daher nicht verwunderlich, daß in einer Untersuchung Frauen angaben, häufig den Tagtraum zu haben, mit ihrem eigenen Pferd unterwegs zu sein. Männer träumten im Gegensatz dazu, mit einem tollen Auto zu fahren (EULER/ADOLPH 1992,5).

Neben den aufgezeigten Bindungsmerkmalen, hat das Pferd noch weitere Vorzüge, die sich mit der Bindungstheorie in Einklang bringen lassen:

- Das Pferd bedarf der Stärke seiner Reiterin, da dieser sich Respekt verschaffen muß. Das Pferd kann von dem Mädchen kommandiert und gelenkt werden. Diese Art von Stärke kann es bei einem menschlichen Partner nicht ausüben.

- Reiten ermöglicht den Mädchen die gleichen Erfolge, wie den Jungen. Sie können sich im Wettkampf gegenüber den Jungen behaupten.

- Das Pferd erträgt sogar Projektionen und erlaubt Fehlinterpretationen.

- Reiten wird in der Regel von der Gesellschaft gern gesehen und verleiht der Reiterin Anerkennung und Status.

- Durch den Umgang mit dem Pferd werden die Mädchen aus ihren engen Räumen geholt und können sich in der Natur frei entfalten.

Die Bindungstheorie läßt sich gut mit anderen Lebenswissenschaften, wie z.B. der Ethologie, der Evolutionsbiologie, der Entwicklungspsychologie und der Physiologie vereinbaren. 54 ______

3.

55 ______

3.1.2 Sozialpsychologische Theorie: Die Erwartungs-Wert- und Austausch-Theorie in der Beziehung zu Pferden (Bergler)

R. BERGLER hat sich in seinem Buch "Mensch und Hund" (1986) intensiv mit sozialpsychologischen Theorien der Beziehung zwischen Menschen und Hunden befaßt. Er weist darauf hin, daß die Verbindung von Mensch und Tier in der Entwicklungsgeschichte schon immer besteht. Der Mensch ist als soziales Wesen vom Tier abhängig. "Tiere werden durch Menschen und Menschen durch Tiere geprägt und verändert" (BERGLER 1986, 11). Haben die Tiere im Laufe der Geschichte auch eine andere Bedeutung für den Menschen bekommen, so spielen Tiere häufig in der Freizeitgestaltung eine wesentliche Rolle (vergl. Kapitel 2.1) und üben ihren Einfluß auf den Menschen aus. Nach BERGLER gibt es aber keine selbstverständliche Kommunikation mehr zwischen Tier und Mensch. Die Bedeutung der Mensch-Tier-Beziehung für die menschliche Entwicklung, Erziehung, Lebensqualität, Psychohygiene, gesundheitliche Prophylaxe und Therapie gewinnt mit der schwindenden Selbstverständlichkeit dieser Beziehung an Bedeutung und wird zum Gegenstand systematischer Forschung. Das Pferd kann ebenso wie der Hund zur Vielfalt menschlicher Beziehungsstrukturen gerechnet werden. BERGLERS Fragestellungen können zur Hypothesenbildung des Untersuchungsgegenstands und zur Deutung des Phänomens der Faszination von Mädchen und Frauen für die Sportart Reiten beitragen.

Erwartungs-Wert-Theorie

Die Erwartungs-Wert-Theorie beschäftigt sich mit den persönlichen Erwartungswerten eines Menschen in Bezug auf möglichen Zielvorstellungen menschlichen Handelns und Verhaltens.

Erwartungen sind in diesem Zusammenhang nichts anderes "als persönlich bedeutsame, gleichzeitig motivational wirksame Einstellungen" (BERGLER 1986, 82), d.h., es handelt sich hierbei z.B. um Hoffnungen oder auch Befürchtungen, die ein Mensch in Bezug auf sich selbst, andere Menschen, Tiere oder aber auch Objekte hat.

Beispiel: Kauft sich eine Person ein teures Springpferd, geht sie wahrscheinlich davon aus, daß dieses Pferd auch in Zukunft im Parcour erfolgreich sein wird.

"Erwartungen, die mit einem persönlichen Vorteil, persönlichen Belohnungen verbunden sind, haben den Charakter des Wünschenswerten und Wertvollen" (BERGLER 1986,82). Die Beziehung zwischen dem Wert und der Einstellung wird dadurch hergestellt, daß die Einstellung zu einer Person, Tier oder Objekt nicht allein durch die Meinung und die Ansichten, sondern auch durch die Bewertung geprägt wird. Einstellungen sind im Gegensatz zu den Werten auf konkrete Meinungsgegenstände und konkrete Handlungsalternativen bezogen. Werte dagegen "haben übergreifenden Charakter: Die persönlichen Einstellungen zu verschiedenen Gegenständen, auch zu Menschen, Tieren, Natur, bestimmten Verhaltensweisen sind wesentlich von übergreifenden Werten und damit auch Wertmaßstäben mitbestimmt" (BERGLER 1986,83).

Austausch-Theorie 56 ______

Die Austausch-Theorie ist eine Theorie sozialen Verhaltens, die Interaktionen zwischen zwei Personen zu deuten und vorherzusagen versucht. Man kann diese Theorie ohne weiteres auf die Interaktion zwischen einem Menschen und einem ihm nahstehenden Tier übertragen. Die Austauschtheorie ist aus den Kosten-Nutzen-Theorien entwickelt worden. Somit erklärt sie das Verhalten einer Person aus der Perspektive von Vor- und Nachteilen, die sie in einer anderen Person oder in einem Tier sieht und tatsächlich hat. Es handelt sich bei dieser Theorie um "psychologische Kosten- und Nutzenfaktoren", die als Konsequenz eines beabsichtigten und tatsächlichen Verhaltens verstanden werden können (BERGLER 1986, 90). Alles, was in der Interaktion für eine Person positiv erscheint, kann als Nutzen und das, was negativ wirkt als Kosten gesehen werden.

Vorteile eines Pferdes für Mädchen und Frauen (ADOLPH 1992):

- Das Pferd als geselliges Wesen kann mit der Reiterin in Interaktion treten, und es entsteht eine gegenseitige Abhängigkeit. Sie kann mit dem Pferd kommunizieren und in nonverbalen und taktilen Kontakt treten. Das Pferd hört ihr in der Regel immer zu.

- Durch die Beschäftigung mit dem Pferd und z.B. dem Aufenthalt in einem Reitverein können neue soziale Kontakte gebildet werden. Es wird der Vereinsamung entgegengewirkt, neue Freundschaften geknüpft und demzufolge Wärme, Zuneigung und Liebe gewonnen.

- Das Pferd ist ein stabiler Bezugsgegenstand, es entstehen Gemeinsamkeiten und Zusammenhängigkeitsgefühle. Außerdem vermittelt es seiner Reiterin das Gefühl, gebraucht und verstanden zu werden. Das Zusammenhängigkeitsgefühl kann soweit reichen, daß das Pferd zum Bestandteil der Persönlichkeit der Reiterin wird.

Abb. 11: Foto K. Vössing

57 ______

- Durch den Umgang mit dem Pferd wird die Naturverbundenheit gefördert und das Verständnis für natürliche Beziehungen geschult. Die Beziehung zum Pferd wirkt streßreduzierend und ist frei von Distreß. Ängstlichkeit und mangelndes Selbstvertrauen werden gleichzeitig abgebaut und Selbstwert, Selbstvertrauen und Selbstsicherheit aufgebaut. Darüberhinaus werden Schwächen der Reiterin kompensiert.

Das Pferd wird immer noch als Statussymbol gesehen und verbessert somit das Ansehen der Reiterin.

Außerdem hilft das Pferd, über emotionale Kriesensituationen hinwegzukommen.

- Das Pferd hilft beim Erwerb von Selbstdisziplin (geregelter Tagesablauf, Beherr- schung), Verantwortungsbewußtsein und Frustrationstoleranz.

Gegenüber den vielen Vorteilen des Pferdes für Mädchen und Frauen, ergeben sich nur wenige Nachteile der Pferd-Mensch-Beziehung:

- Das Pferd kann die persönliche Bewegungsfreiheit einschränken und schon allein dadurch Partnerprobleme fördern. Es verursacht Kosten für Ernährung, Pflege und medizinische Versorgung, die von der Reiterin oder ihren Eltern (teils auch Partner) aufgebracht werden müssen und ebenfalls zu Konflikten führen können.

3.2 Hypothesenbildung

Aus den dargestellten Theorien können elf Hypothesen abgeleitet werden:

I. Lebenszeitliche Bindung (Dauerhaftigkeit)

Die Faszination für den Reitsport von Mädchen und Frauen beruht vor allem auf einem Bindungsphänomen zum Lebewesen Pferd. Das Pferd stellt für Mädchen in der Pubertät ein "Übergagsobjekt" oder ein "Zwischenglied" in der Bindungsreihe beim Ablöseprozeß vom Elternhaus und der darauf folgenden Bindungsneuorientierung dar. Die Beschäftigung mit dem Pferd und dem Reitsport ist gesellschaftlich sanktioniert, d.h. es wird als eine positive Beschäftigung angesehen. Mädchen kurz nach der Pubertät werden also demzufolge angeben, daß das Pferd für sie eine sehr wichtige dauerhafte Bindungsfigur sein wird und sie auch immer reiten wollen. Bei älteren Mädchen und jungen Frauen kommen wahrscheinlich andere Bindungspersonen, wie Freund, Familie etc. hinzu, so daß nicht immer eindeutige Aussagen getroffen werden können.

II. Idealisierung des Pferdes (Nicht-Austauschbarkeit)

Da das Pferd als Bindungsfigur zu sehen ist, kann von einer Nicht-Austauschbarkeit und demzufolge auch von einer Idealisierung des Pferdes ausgegangen werden. Es ist anzunehmen, daß die Mädchen ihr Pferd nicht absolut realistisch sehen, sondern seine positiven Seiten hervorheben.

III. Dominanz des Pferdes in der Bindungshierarchie 58 ______

Aufgrund der Bindungstheorie kann man erwarten, daß das Pferd einen bedeutenden Platz in der Bindungshierarchie einnimmt. Es ist anzunehmen, daß das Pferd eine der wichtigsten Bindungsfiguren neben den Eltern darstellt. Bei älteren Mädchen oder bei Frauen kann davon ausgegangen werden, daß es gleichberechtigt neben dem Freund, dem Mann und der Familie steht, möglicherweise sogar etwas von diesen Bindungspersonen in den Hintergrund gedrängt wird.

IV. Hohe emotionale Wertigkeit von Pferden: Das Pferd als Angstminderer

Im Umgang mit dem Pferd erfolgt eine Kompetenzerweiterung, die es ermöglicht, eine streßfreie Beziehung mit dem Pferd einzugehen. Durch den kompetenten Umgang wird gleichzeitig das Selbstvertrauen gestärkt und Selbstsicherheit aufgebaut. Gerade durch die Sozialisation behütete Mädchen können sich entfalten und ohne Angst in unbekanntes Gelände reiten. Durch Erfolgserlebnisse mit dem Pferd wird das Selbstwertgefühl und die Selbstsicherheit dieser Mädchen gesteigert. Durch das hohe Erlebnismoment beim Reiten ist anzunehmen, daß sich pferde-begeisterte Mädchen und Frauen eher glücklich als ängstlich und eher frei als verkrampft fühlen. Diese Annahme liegt in dem immer wieder geäußerten Glücks-gefühl, welches beim Reiten empfunden wird, begründet. Das Pferd hat für seine Reiterin demzufolge eine hohe emotionale Wertigkeit.

V. Existenzielle Wichtigkeit des Pferdes

Das Pferd wird für das Mädchen eine starke existenzielle Wichtigkeit haben, da es zur bedeutenden Bindungsfigur geworden ist. In Situationen der Trauer oder bei Angst kann das Pferd als Tröster fungieren, was zu einer verbesserten Lebensqualität der Reiterin führen kann. Eine Trennung vom geliebten Individuum wird von den Mädchen aller Voraussicht nach als Schmerz empfunden und nach Möglichkeit verhindert.

VI. Psychische und räumliche Nähe zum Pferd

Wenn die Beziehung der Mädchen zu ihren Pferden auf ein Bindungsphänomen beruht, ergibt sich die Annahme, daß die Mädchen ihrem Pferd räumlich oder psychisch nah sein wollen. Der Wunsch nach räumlicher Nähe könnte im extremsten Fall bis zur gewünschten Wohnsituation direkt im Pferdestall gehen.

VII. Dominanz der positiven Wertzuordnung des Pferdes

Es ist wahrscheinlich, daß Mädchen und meist auch Frauen in ihrer Beziehung zu dem Pferd hauptsächlich nur Vorteile sehen. Die positiven Werte des Pferdes lassen die Nachteile verschwindend klein werden. Die Einstellungen der Reiterinnen zu ihren Pferden sind zwar maßgeblich von Wertmaßstäben bestimmt, Vorteile und Nachteile werden aber gegeneinander aufgewogen.

VIII. Dominanz des Pferdes bzw. des Reitens bei den Freizeitbeschäftigungen

59 ______

Da sich die Faszination für die Sportart Reiten auch auf alle Bereiche ausdehnt, die nur im entferntesten etwas mit Pferde zu tun haben, kann angenommen werden, daß Mädchen am liebsten ihre Freizeit mit Beschäftigungen verbringen, die sich in Verbindung mit dem Pferd bringen lassen. Ein deutlicher Beweis würde sich anhand der Betrachtung von Zimmern der Pferdemädchen ergeben. Bei der Einstufung der beliebten Freizeitbeschäftigungen bedarf es der Beachtung des Zeitfaktors, der für den Reitsport aufgebracht werden muß. Es stellt sich demnach die Frage, ob andere Freizeitbeschäftigungen für den Reitsport eingeschränkt werden.

IX. Pferdenahe Berufsorientierung

Es ist anzunehmen, daß pferdebegeisterte Mädchen sich besonders pferdebezogene Berufe für ihre zukünftige Berufsperspektive vorstellen können. Ebenso bevorzugen sie sicherlich eher tier- oder naturnahe Berufe, als andere.

X. Sportliche und naturverbundene Orientierung

Es wird davon ausgegangen, daß Pferdemädchen und -frauen auch neben dem Reitsport sportlich interessiert und vor allem naturverbunden sind. Sportliche Orientierung wird erwartet, da ein verbessertes Körperbewußtsein und der Wunsch nach Bewegung bei Reiterinnen vorausgesetzt werden kann. Die Beschäftigung mit dem Pferd bringt die Reiterin hautnahen Naturkontakt gebracht und z.B. während eines Geländerittes werden wichtige Naturerfahrungen gemacht.

XI. Wichtigkeit reitsportlichen Erfolges

Wenn das Pferd als Bindungsfigur verstanden wird, kann angenommen werden, daß der reitsportliche Erfolg keine wesentliche Rolle bei den Mädchen und Frauen spielt. Das Pferd wird wahrscheinlich als Partner und nicht als Sportgerät verstanden, wenn vielleicht auch sportliche Erfolge insgeheim gewünscht werden.

3.3 Untersuchungsmethode

3.3.1 Versuchspersonen

Bei den Versuchspersonen handelte es sich um Mädchen und Frauen im Alter von 7 bis 50 Jahren. Es wurden 138 Personen befragt, wobei die Befragten nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden. Die Fragebögen wurden auf Ponyhöfen und in Reitvereinen verteilt, wobei darauf geachtet wurde, daß neben großen Reitvereinen in Stadtnähe auch Pferdemädchen und Pferdefrauen auf Bauernhöfen in dörflicher Gegend besucht wurden. Zum Beginn der Befragung wurde während des Ausfüllens der Bögen in der Nähe der Mädchen geblieben, um eventuelle Fragen zur Vorgehensweise oder zur Verständigung beantworten zu können. Dies war besonders für die Jüngeren von Wichtigkeit, da sie teils zu den Skalen oder zu Formulierungen einige Fragen hatten. Der Fragebogen wurde so formuliert, daß er auch für die jüngeren Mädchen verständlich war. Die kindgemäßen Formulierungen hatten jedoch zur Folge, daß sie von älteren Mädchen und einigen Frauen abgelehnt wurden und sie manche Fragen nicht mehr beantworteten. Aufgrund der 60 ______

Hypothesen zum Bindungsphänomen sind die Antworten der Mädchen in der Pubertät bzw. kurz nach der Pubertät für die Untersuchung entscheidend, so daß der Fragebogen auf sie zugeschnitten wurde.

Nach den ersten Wochen boten einige Vereine und Höfe ihre Unterstützung an, so daß die Fragebögen hingebracht und später wieder abgeholt werden konnten.

Bei den Befragten handelte es sich überwiegend um Mädchen im Alter von 10 bis 13 Jahren, sie machten mit 55,8% den Hauptteil der Pferdebegeisterten aus. Ihnen schließt sich mit 23,1 % die zweitstärkste Gruppe der 14- bis 18-jährigen an. Die 20- bis 27- jährigen Frauen sind mit 10,4 % vertreten, die 7 bis 9 jährigen mit 7,0 % und die 29- bis 50- jährigen machen nur noch einen Anteil von 4,2 % aus.

Der letzten Gruppe wurde keine große Bedeutung gegeben, da für sie ein anderer Fragebogen notwendig wäre. Eventuell wären Interviews geeigneter, um auf familiäre Einflüsse mehr eingehen zu können.

Um die Antworten besser deuten zu können wurde gefragt, ob die Mädchen/Frauen ein Pferd besitzen bzw. Mitbesitzerin eines Pferdes sind, ein Pflegepferd haben oder kein eigenes Pferd besitzen. Es stellte sich heraus, daß 28,3 % ein Pferd besitzen bzw. Mitbesitzerin eines Pferdes sind, 21 % ein Pflegepferd haben und 42 % der Mädchen/Frauen kein eigenes Pferd besitzen. 8,7 % machten keine Angaben.

3.3.2 Fragebögen

Der Fragebogen wurde zunächst in einem Pretest mit 12 Mädchen erprobt und später noch geringfügig ergänzt bzw. verändert.

Auf dem Deckblatt des Fragebogens wurde die lustige Abbildung eines reitenden Mädchens von THELWELLS dargestellt, um das Interesse der Mädchen am Fragebogen zu wecken (siehe Anlage).

Außerdem wurde auf eine freiwillige Beantwortung, sowie eine anonyme Auswertung verwiesen. Weiterhin wurde um spontane Antworten gebeten.

Der Fragebogen begann mit der bereits erwähnten Frage nach dem Besitz, Mitbesitz eines Pferdes, eines Pflegepferdes bzw. ob die Befragte kein eigenes Pferd besitzt.

Hierauf folgten zwei Fragen, die der Motivation und dem Einstieg in den Fragebogen dienen sollten. Die erste forderte die Befragte auf, das Aussehen und die zweite das Wesen ihres Lieblingspferdes zu beschreiben.

Im Anschluß folgten Fragen nach dem Alter, seit wann das Interesse am Reitsport besteht und seit welchem Alter die Befragte reitet.

In einer fünfstufigen Bewertungsskala wurde nach der wahrscheinlichen Dauer des Reitens und des Pferdebesitzes gefragt. Es wurden 1, 5, 10, 20 Jahre und immer vorgegeben. 61 ______

Nachfolgend wurden Freizeitbeschäftigungen nach ihrem Beliebtheitsgrad auf einer siebenstufigen Skala abgefragt ( 1= sehr ungern...7= sehr gern).

Nach dem Pretest hatte sich gezeigt, daß es bei jüngeren Mädchen sinnvoller ist, über die einzelnen Stufen der Skala Bewertungen zu schreiben, da ansonsten häufig nur die erste, letzte oder die mittlere Stufe angekreuzt wurde.

Bei der Auswahl der 33 Items wurde darauf geachtet, pferdebezogene und nicht- pferdebezogene Hobbys vermischt abzufragen. Es wurden bewußt Freizeitbe-schäftigungen gewählt, von denen man ausgehen konnte, daß sie von Pferde-mädchen/-frauen bevorzugt werden und solche, die mit Wahrscheinlichkeit nicht so gern getätigt werden.

Um zu erfassen, was die Mädchen und Frauen an ihrem Pferd bzw. ihrem Lieblingspferd schätzen und was sie an Pferden allgemein mögen, wurden zwölf Aspekte angegeben, die in beliebiger Anzahl angekreuzt werden konnten. Die Aspekte waren: Aussehen; Gehorsamkeit; wie sich das Pferd bewegt, seine Gangart; Fell; Mähne und Schweif; Geruch; Augen; Gesichtsausdruck; Anhänglichkeit des Pferdes; daß es sich gut reiten läßt; wie gern es schmust; seine Willensstärke.

Ebenfalls in einer siebenstufigen Skala wurde nach der Zusammengehörigkeit von Pferd und Reiterin gefragt.

Um Aufschlüsse über die Idealisierung des eigenen oder Pflegepferdes zu bekommen, wurde eine fünfstufige Skala zum Vergleich von Eigenschaften des eigenen Pferdes in Bezug auf andere Pferde gewählt.

Zur Feststellung der Bindungshierarchie, einer weiteren Frage zur Idealisierung bzw. Nicht- Austauschbarkeit des Pferdes und zur emotionalen Wertigkeit wurden wiederum siebenstufige Skalen verwendet.

Durch eine Phantasiefrage, bei der in einer fiktiven Katastrophensituation vier Handlungsmöglichkeiten vorgegeben wurden, sollte die Existenzielle-Wichtigkeit des Pferdes festgestellt werden.

Ebenso sollte die existenzielle Wichtigkeit bei einer weiteren Phantasiefrage untersucht werden. Der Befragten wurde gestattet, drei wichtige Dinge mit auf eine einsame Insel zu nehmen.

Zur Ergründung der positiven Wertzuordnung bzw. der Kosten-Nutzen-Aufrechnung wurden siebzehn nach BERGLER formulierte und ergänzte Auswirkungen des Pferdes in Verbindung mit einer siebenstufigen Skala aufgelistet.

Um den Grad der existentiellen Wichtigkeit des Pferdes zu erkennen, wurde dargestellt, daß das Pferd verkauft werden muß und acht Entscheidungs-möglichkeiten, die von "Ich bin froh, daß ich es endlich los bin" bis "Mit dem Pferd abhauen" reichten, vorgegeben.

62 ______

Da man eine pferdenahe bzw. tiernahe Berufsorientierung erwarten konnte, wurden pferdebezogene und tierbezogene Berufe, typische Frauenberufe und weniger typische Berufe für Frauen aufgelistet. Es wurde darauf geachtet, daß die Berufe gut durchmischt in der Auflistung erschienen. Die Befragten sollten bei dieser Frage drei Berufe, die ihnen besonders gut gefielen, umkreisen und die drei Berufe, die ihnen am wenigsten gefielen, durchstreichen.

Zwei Fragen, zum einen mit einer fünfstufigen Skala und zum anderen mit einer dichotomen Antwortmöglichkeit, sollten weitere Ergebnisse zum Phänomen der lebenszeitlichen Bindung geben.

Es wurde weiterhin danach gefragt, wie gut das eigene Pferd bzw. das Lieblingspferd die Stimmungen der Reiterin bemerkt, und wie gut andere Pferde die Stimmungen bemerken. Die Antwort konnte hier auch wiederum auf einer siebenstufigen Skala gegeben werden.

Es erschien desweiteren sinnvoll, nach anderen Haustieren zu fragen, da davon ausgegangen werden konnte, daß pferdebegeisterte Mädchen und Frauen überhaupt an Tieren interessiert sind.

Zur Klärung der räumlichen Nähe wurde die Frage nach der angenehmsten Wohn-Stall- Situation gestellt. Es wurden sieben Möglichkeiten (von "Meine Wohnung und der Pferdestall in verschiedenen Ortschaften" bis zu "Am liebsten mit dem Pferd im Stall wohnen") gegeben.

Mit dichotomer Antwortmöglichkeit wurde nach der Wichtigkeit gefragt, immer das selbe Pferd oder öfter ein anderes Pferd zu reiten.

Wiederum auf das Bindungsphänomen bezogen, wurde die Frage gestellt, ob die Reiterin einen Reitanfänger auf ihrem Pferd reiten lassen würde. Auch hier wurde eine siebenstufige Skala (von "überhaupt nicht" bis "sehr gern") eingesetzt.

Nach dem Pretest erschien es als sinnvoll, danach zu fragen, wie gern die Reiterinnen in die Schule gehen. Außerdem wurde der Beliebtheitsgrad der Schulfächer untersucht.

Obwohl zur Ergründung des Phänomens der Faszination von Mädchen und Frauen für die Sportart Reiten soziologische und psychologische Ansätze geeignet erschienen und demnach auch der gesamte Fragebogen auf soziologische und psychologische Theorien ausgerichtet war, schien es dennoch von großer Wichtigkeit, nach den wettkampfsportlichen Ambitionen zu fragen. Gaben die Amazonen an, Turnierreiterin zu sein, sollten sie noch Auskunft geben, ob es ihnen wichtig ist, dabei zu gewinnen. Die beiden Fragen wurden ebenfalls mit dichotomer Antwortmöglichkeit gestellt.

Obwohl der Fragebogen sehr lang war, füllten ihn die meisten Pferdemädchen mit Interesse aus. Wie bereits unter dem Punkt "Versuchspersonen" angegeben, waren einige ältere Mädchen nicht bereit, den Fragebogen auszufüllen. Die reitenden Frauen waren in der Regel bereit, ihre Antworten zu geben, mußten aber gezwungener-maßen einige Fragen auslassen, da diese speziell auf jüngere Pferdemädchen zuge-schnitten waren.

63 ______

Häufig war es etwas schwierig, die Mädchen zum Ausfüllen zu motivieren, da sie sich nicht von den Pferden "losreißen" konnten. Waren sie erst einmal dabei, ging dieses recht zügig.

3.3.3 Datenauswertung

Die einzelnen Fragen des Fragebogens wurden kodiert und mit SPSS/Data Entry eingegeben. Die Auswertung der Daten erfolgte mit SPSS.

3.4 Ergebnisse

Bei der folgenden Darstellung der Ergebnisse wird die Häufigkeitsverteilung der Antworten aufgezeigt. Desweiteren werden einige interessante Ergebnisse mit dem Alter oder dem Pferdebesitzverhältnis der Befragten korreliert. Der Korrelationskoeffizient wird mit r angegeben. Die Signifikanz, d.h. die Sicherheit, mit der die Aussage zutrifft, wird mit p angegeben. Ist p gleich oder kleiner als 0,05, handelt es sich um eine signifikante Aussage.

3.4.1 Lebenszeitliche Bindung

Dem Phänomen der lebenszeitlichen Bindung wurde anhand folgender Fragen nachgegangen:

"Was meinst Du, wie lange Du noch reiten wirst?" und "Was meinst Du, wie lange Du noch ein Pferd besitzen oder mitbesitzen willst bzw. ein Pferd haben willst?".

71% aller Reiterinnen gaben an, daß sie immer, d.h. ihr ganzes Leben lang, reiten würden. 10,1% meinten, den Reitsport noch 5 Jahre auszuüben. 4,3% glaubten, noch 10 Jahre und jeweils 2,9% waren der Ansicht, noch 1 bzw. 20 Jahre zu reiten. Zukunft Reiten

1 Jahr 5 Jahre 10 Jahre 20 Jahre

immer

64 ______

Abb. 12: Antwortverteilung (in %; N=126) auf die Frage: "Was meinst Du, wie lange Du noch reiten wirst?"

Ebenso überzeugende Ergebnisse zeigten sich aufgrund der zweiten Frage. Hier erklärten 70,3% der Frauen und Mädchen, ihr ganzes Leben lang ein Pferd besitzen oder mitbesitzen zu wollen (2,9% glaubten, noch ein Jahr, 4,3% noch fünf Jahre, 3,6% noch 10 Jahre und 2,2% noch 20 Jahre ein Pferd zu besitzen). Zukunft Pferdebesitz

1 Jahr 5 Jahre 10 Jahre 20 Jahre

immer

Abb. 13:Antwortenverteilung (in %; N=115) auf die Frage:"Wie lange willst Du noch ein Pferd besitzen oder mitbesitzen oder ein Pflegepferd haben?"

Besonders interessant ist dabei, daß die lebenszeitliche Bindung an das Pferd nicht altersabhängig ist. Bei der Korrelation des Wunsches, lebenslang zu reiten oder ein Pferd zu besitzen mit dem Alter zeigte sich, daß der Wunsch nach einer lebenslangen Beschäftigung mit dem Pferd altersunabhängig ist (r = -0,043; p = -0,055).

Die Untersuchung, ob die Aussagen der beiden Fragen von dem Besitz eines Pferdes abhängen, wurde in Form einer Crosstabulation durchgeführt. Fast alle Mädchen und Frauen (97 von 125 Reiterinnen), egal ob sie ein Pferd besaßen, ein Pflegepferd hatten oder keine Pferdebesitzer waren, waren der Meinung, immer reiten und in der Zukunft ein Pferd besitzen zu wollen. 4 Reiterinnen, die kein Pferd besaßen, gaben an, noch ein Jahr zu reiten. Alle anderen Mädchen und Frauen wollten 5 Jahre oder länger reiten.

65 ______

Der Wunsch in Zukunft zu reiten in Abhängigkeit vom Pferdebesitz

40 40

35 33 30 kein Pferd

25 24 20 Pflegepferd 15 10 9 eigenesPferd 4 3 3 3 2 5 2 1 1 0 0 0 0 Anzahl der Personen 1 Jahr 5 10 20 immer Jahre Jahre Jahre

Wunsch in Zukunft zu reiten

Abb. 14: Crosstabulation: Zukunft reiten/Besitzverhältnisse Pferd

Dennoch besteht eine signifikante Korrelation zwischen dem Besitz eines Pferdes und dem Wunsch, den Reitsport auch in Zukunft auszuüben (r = 0,222 ; p = 0,006). Die Angabe von vier Mädchen, nur noch ein Jahr reiten zu wollen, liegt allem Anschein nach darin begründet, daß sie keine konkrete Bindung zu einem Pferd aufbauen konnten, da sie kein Pferd oder auch kein Pflegepferd besaßen. Weiterhin können sicherlich andere Umstände dabei eine Rolle spielen, die durch den Fragebogen nicht erfaßt werden konnten.

Der Wunsch, auch in Zukunft ein Pferd zu besitzen, ist dagegen nicht abhängig vom Pferdebesitz, es besteht praktisch keine Korrelation.

Es hat sich demnach gezeigt, daß die Bindung zum Pferd als sehr dauerhaft gesehen werden muß.

66 ______

Abb. 15: Foto S. Schädlich

3.4.2 Idealisierung des Pferdes (Nicht-Austauschbarkeit)

Die Idealisierung des eigenen Pferdes bzw. des Pflegepferdes wurde anhand der folgenden Frage untersucht:

"Was gefällt Dir ganz allgemein an Pferden, und was magst Du an Deinem Pferd ganz besonders?".

Es wurde eine Reihe von Aspekten vorgegeben, die angekreuzt werden konnten. Die Idealisierung des eigenen Pferdes zeigt sich deutlich in Abb. 16.

Vergleich: Pferde allgemein / eigenes Pferd

100 90 80 P 70 r o 60 z 50 e

40 86,2 84,1 79,7 79,7 77,5 77,5 73,2 n 73,2 72,5 71,7 63 68,1

30 65,9 64,5 64,5 63,8 t 61,6 54,3 53,6 52,9 52,2 50,7

20 47,8 44,9 10 0 Aussehen Gehorsam Gangart Fell Mähne/Sch Geruch Augen GAusdruckanhänglich gut zu schmust Willensstär. reiten

Pferde allg. eig. Pferd

Abb. 16: Beurteilung verschiedener Aspekte in Bezug zum eigenen Pferd und zu Pferden allgemein.

Das eigene Pferd wurde fast immer besser beurteilt als alle anderen Pferde. Besonders deutlich wurde diese Tendenz bei der Bewertung von Fell, Augen und dem Gesichts- ausdruck. Aber auch Verhaltenseigenschaften wurden als besser eingestuft. Auffällig positiv wurden der Gehorsam und die Rittigkeit des eigenen Pferdes bewertet. Weiterhin positiv beurteilt wurden die Anhänglichkeit, die Willensstärke und die Verschmustheit des Pferdes. 67 ______

Eine Ausnahme bei der Beurteilung bildet die Bewertung von Mähne und Schweif. Hier schneidet das eigene Pferd ausnahmsweise schlechter ab als andere Pferde. Ein möglicher Deutungsgrund könnte in der Idealisierung von Mähne und Schweif bei Pferden in Filmen, Büchern oder auf Bildern sein.

Nur geringfügig besser wurde das Aussehen, die Gangart und der Geruch des eigenen Pferdes bewertet. Obwohl zuvor das Fell, die Augen und der Gesichtsausdruck des eigenen Pferdes sehr positiv bewertet wurden, wurde das Aussehen nicht so gut eingeschätzt. Dies liegt möglicherweise an der Überprüfbarkeit und Vergleichbarkeit des Gesamtbildes des eigenen Pferdes im Gegensatz zu idealisierten Pferdebildern, wie z.B. Filmpferde, Deck- hengste, Dressurpferde oder orientalische Pferde, die häufig auch als Kalendermotive dienen.

Der Gehorsam und die Rittigkeit des eigenen Pferdes wurde im Vergleich zu den anderen Aspekten wesentlich besser beurteilt. Die Gangart schnitt dagegen bei anderen Pferden fast genauso gut ab, wie beim eigenen Pferd. Eine geringere Bewertung der Gangart des eigenen Pferdes kann an einer Vergleichbarkeit mit den Gängen eines Showpferdes (z.B. Andalusier in der Passage) oder eines Dressur-pferdes im Grand Prix liegen.

Die Reiterinnen wurden im Fragebogen aufgefordert, ihr Pferd mit anderen Pferden auf die Kriterien "schön", "lieb", "gut zu reiten" und "treu" zu vergleichen und zu bewerten. Auch hier zeigte sich, daß das eigene Pferd selten schlechter abschneidet. Das Aussehen und die Schönheit ihres Pferdes wurde allerdings wiederum nicht allzu positiv gesehen. 38,4% meinten, ihr Pferd sei durchschnittlich schön, keine empfand aber ihr Pferd weniger als durchschnittlich schön.

Bewertung eigenes Pferd / andere Pferde

40 38,4 38,4 36,2 35,5 35 34,8 33,3

30 30,4 30,4

P 26,1 schön

25 23,9 r o 21,7 lieb z 20 20,3 e gut zu reiten n 15 t treu 10 6,5 5,8

5 3,6 2,2 1,4 0,7 0 0 0 sicher das eher das Durchschnitt eher das sicher das Schlechtere Schlechtere Bessere Bessere

Abb. 17: Antwortenverteilung (in %) der Bewertung des eigenen Pferdes im Verhältnis zu anderen Pferden.

68 ______

Im Gegensatz zu dem zuvor gewonnenen Ergebnis glaubten 30,4% der Reiterinnen, ihr Pferd sei sehr gut zu reiten und 36,2%, ihr Pferd sei nur durchschnittlich gut zu reiten. Zuvor meinten 73,2% der Reiterinnen, die Rittigkeit ihres Pferdes zu mögen. Nur 47,8% schätzten die Rittigkeit anderer Pferde.

Der Großteil der pferdebegeisterten Mädchen und Frauen glaubten, daß ihr Pferd im Vergleich zu anderen Pferden mit Sicherheit das liebere und treuere ist. Es zeigt sich, daß die inneren Werte des Pferdes, bis auf einige Ausnahmen, wieder besser eingeschätzt werden.

Eine fast durchgehend bessere und überdurchschnittliche Einstufung des eigenen Pferdes läßt keine Zweifel über eine Idealisierung und auch über eine Nicht-Austauschbarkeit des eigenen Pferdes bei Reiterinnen zu. Die Idealisierung ist signifikant um so stärker, je jünger die Pferdebesitzerin ist. Die größte Korrelation zeigt sich zwischen dem Alter und der Einschätzung, wie gut das eigene Pferd zu reiten ist (r = -0,368 ; p = 0,000). Im Vergleich dazu sehen die Alterskorrelationen zu den Eigenschaften schön und lieb ff. aus: schön (r = 0,223 ; p = 0,004) und lieb (r = -0,183 ; p = 0,017). Je jünger die Reiterinnen sind, desto überzeugter sind sie, daß ihr Pferd gut zu reiten ist.

79,7% der Befragten glaubten, daß ihr Pferd "etwas gut" bis "außergewöhnlich gut" zu ihnen paßt. Dagegen waren nur 2,8% der Reiterinnen der Meinung, ihr Pferd passe "etwas schlecht" bis "sehr schlecht" zu ihnen.

Die Einschätzung der Liebe des Pferdes zur eigenen Person fällt hingegen nicht eindeutig aus. Insgesamt 62,4% glaubten, daß ihr Pferd sie liebt (Antwortmöglichkeit 5-7), 23,9% der Befragten waren sich unschlüssig darüber, aber nur 4,3% glaubten, ihr Pferd liebe sie nicht (Antwortmöglichkeit 1-3). Große Unsicherheiten hinsichtlich dieser Frage zeigten die Reiterinnen schon während des Ausfüllens der Fragebögen. So wurde die Frage auch von 9,4% der Mädchen und Frauen nicht beantwortet. Dieses Ergebnis weist auf die Verschlossenheit des Pferdes hin und der Theorie, daß das Pferd eher einer Katze ähnlich ist (BERGLER 1982, 20).

60,9% der Befragten würden ihr Pferd auf gar keinen Fall hergeben, auch wenn sie dafür kostenlos ein besonders gutes Pferd bekämen. 21,7% würden es "vermutlich nicht" hergeben, 13,8% "vielleicht" und 2,9% nur "schweren Herzens" eintauschen. Keine würde sich ohne Zögern für das bessere Pferd entscheiden. Dies zeigt, daß die Bindung zum Pferd und dessen Idealisierung beständig sind und auch von guten Angeboten nicht so leicht gelöst werden können.

69 ______

ja, aber schweren Herzens vielleicht

vermutlich nicht

auf gar keinen Fall

Abb. 18: Antwortverteilung auf die Frage: "Nehmen wir an, Du bekämst kostenlos ein besonders gutes Pferd angeboten, müßtest dafür aber Dein jetziges Pferd hergeben. Würdest Du es tun?"

Noch deutlicher ist die Nichtaustauschbarkeit im Krankheitsfall des Pferdes. 80,4% würden lieber das kranke Pferd behalten, pflegen und somit auf das Reiten verzichten. Die Pflege ihres kranken Pferdes wurde von den Mädchen und Frauen unabhängig vom Alter als sehr wichtig empfunden (r = -0.055; p = 0,326). Die emotionale Bindung an das Lebewesen Pferd ist also unabhängig von der sportlichen Betätigung des Reitens.

Weiterhin ließen die Reiterinnen nur ungern eine Reitanfängerin auf ihr Pferd (63,1% Skalenwert 1-3), würden jedoch gern hin und wieder mal ein anderes Pferd reiten (56,5%). Die Neugier und das Interesse an anderen Pferden überwiegt bei den jüngeren Reiterinnen (r = -0,225; p = 0,005).

3.4.3 Dominanz des Pferdes in der Bindungshierarchie

Aufgrund der Bindungstheorie und der Annahme, daß das Pferd ein "Übergangsobjekt" oder "Zwischenglied" zum Freund ist, wird vermutet, daß das Pferd eine wichtige Bindungsperson darstellt. In der Zuordnung der Wichtigkeit kommt das Pferd direkt hinter der Mutter. 79,7% der Reiterinnen meinten, daß ihre Mutter sehr wichtig ist und 70,3% glaubten das gleiche von ihrem Pferd. Dagegen gaben nur 66,7% der Befragten an, ihr Vater sei sehr wichtig. Erstaunlich ist dieses Ergebnis, da 11,6% kein Pferd hatten und nur 5,1% keinen Vater, d.h., daß das Pferd prozentual noch wichtiger als der Vater eingschätzt wurde.

Die Abbildungen 19-21 zeigen die Einschätzung der Wichtigkeit von Mutter, Pferd und Vater.

70 ______

Mutter

100 90 79,7 80

P 70 r 60 o z 50 e n 40 t 30 20 8,7 10 3,6 5,1 1,4 0 0,7 0 1 2 3 4 5 6 7 eher unwichtig...... sehr wichtig

Abb. 19

Pferd

100 90 80 70,3 P 70 r 60 o z 50 e n 40 t 30

20 13 10 4,3 0 0 0 0,7 0 1 2 3 4 5 6 7 eher unwichtig...... sehr wichtig

Abb. 20

71 ______

Vater

100 90 80 P 70 66,7 r 60 o z 50 e 40 n t 30 20 11,6 5,1 10 2,2 3,6 2,2 3,6 0 1 2 3 4 5 6 7 eher wichtig...... sehr wichtig

Abb. 21

Die Dominanz des Pferdes in der Bindungshierarchie kann demnach als weiteres Ergebnis der Befragung festgehalten werden.

In der Untersuchung folgten in der Bindungshierarchie knapp hinter dem Vater die anderen Haustiere mit 58,0%. Es zeigt sich demzufolge, daß die Bindung an Tiere von den Mädchen und Frauen als sehr wichtiger Bestandteil ihres Lebens angesehen wird und zusammen mit den Eltern die wichtigsten Bindungen überhaupt ausmachen. Erst nach den anderen Haustieren folgte in der Bindungshierarchie die beste Freundin mit 53,6%. Wie MEYER (1982, 84) schrieb, muß die Beziehung zu einem Tier nicht auf einem gestörten Kontakt zu anderen Menschen basieren. Es zeigt sich, daß Reiterinnen keine Kontaktschwierigkeiten haben, denn 10,1% der Befragten hatten kein Haustier, aber nur 2,2% keine beste Freundin. Zwar wurden die Tiere höher in ihrer Wichtigkeit eingestuft, doch bestand der Kontakt zu Gleichaltrigen.

Die Wichtigkeit von Haustieren für Reiterinnen wurde außerdem durch die Beantwortung der freien Fragen deutlich: "Hast Du derzeit noch andere Haustiere?" und "Hattest Du früher Haustiere?". Kaum eine Reiterin hatte bisher noch kein Haustier, viele hatten sogar einen kleinen Zoo. (Siehe die Auswertung der freien Fragen im Anhang).

Über die Einstufung des besten Freundes waren die Mädchen und Frauen geteilter Meinung. Bei 37,0% der Befragten war der beste Freund sehr wichtig, bei 13,0% aber sehr unwichtig. 19,6% hatten keinen besten Freund.

72 ______

Freund

100 90 80 P 70 r 60 o z 50 e 40 37 n t 30 15,9 20 13 10 5,8 5,1 1,4 2,2 0 1 2 3 4 5 6 7 eher unwichtig...... sehr wichtig

Abb. 22: Wichtigkeit des besten Freundes

Die Bindungstheorie besagt, daß nach der Lösung von den Eltern das andere Geschlecht an Bedeutung gewinnt. Auch diese Vermutung konnte bestätigt werden, denn der beste Freund gewinnt mit zunehmenden Alter der befragten Reiterinnen immer mehr an Wichtigkeit (r = 0,29 ; p = 0,001).

Ähnlich unterschiedliche Angaben gab es für die Geschwister und andere Verwandte. 10,9% der Reiterinnen sahen ihre Geschwister als eher unwichtig an, aber nur 8,0% ihre anderen Verwandten. Hier zeigten sich wahrscheinlich die Konflikte, die häufig unter Geschwistern auftreten. Denn 31,9% glaubten, ihre Geschwister seien sehr wichtig und nur 21,7% meinten dies von ihren Verwandten.

Ebenso geteilter Meinungen waren die Mädchen und Frauen bei der Einstufung von Gott innerhalb der Bindungshierarchie (Skalenbereiche 1-3 = 34%, Skalenbereich 4 = 15,2% und Skalenbereiche 5-7 = 43,5%; 1 = eher unwichtig und 7 = sehr wichtig).

Relativ schlecht schnitten der Lieblingsstar und der Lehrer/die Lehrerin ab. 32,6% sahen den Lieblingsstar als eher unwichtig an und 21,0% glaubten sogar, keinen Lieblingsstar zu haben. Der Lehrer/die Lehrerin wurde von 31,9% als eher unwichtig eingestuft.

73 ______

Lehrer/in

100 90 80 P 70 r 60 o z 50 e 40 n 31,9 t 30 20 15,2 8 8 8,7 9,4 10 6,5 0 1 2 3 4 5 6 7 eher sehr unw ichtig w ichtig

Abb. 23 Wichtigkeit des Lehrers/ der Lehrerin

Wie vermutet, wird das Pferd von den Mädchen umso wichtiger eingeschätzt, je jünger sie sind (r = -0,292; p = 0,001). Aber auch der Lieblingsstar (r = -0,363; p = 0,000), der Vater (r = -0,303; p = 0,000), der Lehrer/die Lehrerin (r = -0,295; p = 0,001), andere Verwandte (r = -0,294; p = 0,000) und die Mutter (r = -0,214; p = 0,006) waren insbesondere für jüngere Mädchen von großer Wichtigkeit.

Zwischen der Einstufung der anderen Bindungsfiguren in die Bindungshierarchie und dem Alter der Reiterinnen besteht kein Zusammenhang.

Um die Zusammenhänge zu erkennen, wurde eine Clusteranalyse durchgeführt, die Gruppierungen von Objekten, hier also Freizeitbeschäftigungen, aufgrund ihrer Ähnlichkeit erstellt (OLDENBÜRGER 1983).

In einen ersten Schritt der Clusteranalyse werden ähnliche Bindungsfiguren so gruppiert, daß die Fehlerquadratsumme minimiert bleibt (BORTZ 1989, 691 ff.). Anschließend werden in einem zweiten Schritt die zusammenhängenden Bindungs-wesen als Einzelelemente gesehen und wie im ersten Schritt behandelt. Dieses Verfahren wird über 25 Schritte fortgesetzt , die in Abbildung 24 als obere Horizontale ("Rescaled Distance Cluster Combine") dargestellt werden. Die in der Clusteranalyse erkennbaren Zweigstrukturen zeigen die Ähnlichkeiten der Bindungs-figuren (EULER/ADOLPH 1993). Bindungspersonen oder Bindungstiere, die über viele Schritte sich nicht miteinander verbinden, sind als relativ unähnlich zu den anderen Beschäftigungen zu sehen. Die Interpretation der Ergebnisse der Clusteranalyse ist weitgehend subjektiv.

74 ______

Abb. 24: Dendrogramm der Clusteranalyse der Bindungspersonen und -tiere

Zeichenerklärung: 1= Mutter, 2= beste Freundin, 3= andere Verwandte, 4= Pferd, 5= Liebligsstar, 6= Vater, 7= Geschwister, 8= Gott, 9= Lehrer/Lehrerin, 10= bester Freund, 11= anderes Haustier.

Das Dendrogramm zeigt zwei Hauptäste. Der obere, größere Ast besteht aus den wichtigen Bindungsfiguren und der untere, kleinere Ast, aus den eher unwichtigen Bindungswesen.

Der obere Ast gliedert sich in zwei weitere Äste auf, wobei der eine Teil nur eine Bindungsperson ausmacht. Es handelt sich um den besten Freund. Dieser Zweig ist für die älteren Befragten wichtig, da er die für sie wichtige Person beschreibt. Es ist daher logisch, daß er dem Ast der eigentlichen Bindungspersonen angeschlossen ist. Der andere Teilast des oberen Hauptastes verzweigt sich nochmals in zwei Bereiche. Der eine Bereich umfaßt die bedeutensten Bindungsfiguren, wie die Mutter, das Pferd und den Vater. Der andere Bereich weitere wichtige, aber weniger dominante Bindungswesen (beste Freundin und anderes Haustier).

Der untere Hauptast teilt sich ebenfalls in zwei Unteräste. Der eine könnte als der Ast der weniger wichtigen Bindungspersonen bezeichnet werden (andere Verwandte und Geschwister). Der andere Teilast weist dagegen die Personen auf, die eigentlich nicht als Bindungspersonen gerechnet werden können, da sie von den Reiterinnen als eher unwichtig eingeschätzt werden (Gott, Lehrer/in und Lieblingsstar).

3.4.4 Hohe emotionale Wertigkeit von Pferden: Das Pferd als Angstminderer

Gemäß der bekannten Redewendung: "Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde" geben Reiterinnen häufig an, beim Reiten Glücksgefühle zu empfinden. Neben diesen Glücksgefühlen die Sinnlichkeit beim Umgang mit dem Pferd, die Stärkung des Selbstwertgefühls und der Selbstsicherheit wesentlich, um die Faszination des Reitsports zu erklären. Eine hohe emotionale Wertigkeit des Pferdes und dessen Funktion als Angstmin- derer ist zu erwarten.

Die sehr hohe emotionale Wertigkeit von Pferden wird besonders dadurch ausge-drückt, daß 76,8% der Reiterinnen beim Reiten sehr häufig glücklich waren, insgesamt 94,9% Mädchen und Frauen waren beim Reiten glücklich (Antwortenmöglichkeit 5-7). Diese Zahlen sprechen für sich und bedürfen keiner weiteren Erklärung. Bei der Korelation mit 75 ______dem Alter zeigt sich, daß jüngere Mädchen noch häufiger als ältere beim Reiten Glück empfinden (r = -0,207; p = 0,008).

83,4% der Befragten waren beim Reiten häufig unternehmungslustig, 82,6% fühlten sich frei, 81,1% fühlten sich entspannt, 77,5% fühlten sich beim Reiten innig mit ihrem Pferd verbunden und 77,5% fühlten sich sicher (Antwortenmöglichkeit 5-7).

Es zeigt sich, daß der Reitsport den Mädchen und Frauen Räume eröffnet, welche die Unternehmungslust anregen und den Drang nach Erlebnissen fördert. Zudem ermöglicht das Pferd eine schnelle Fortbewegung, die Freiheit verkörpert. Für einige Menschen liegt die Freiheit in der Fortbewegung in einem schnellen Auto oder auf einem Motorrad. "Die Fortbewegung zu Pferd ist insofern reizvoll, als es lebendig ist, was die Unberechenbarkeit der Gefahr nur noch vergrößert" (BAUM 1991, 119 f.). Das Gefühl der Freiheit wird auch in Erlebnis- oder Risikosportarten empfunden. Die Reiterin fühlt sich auf ihrem Pferd entspannt und kann mit ihrem Pferd dem Alltag entfliehen. Fühlt sich die Reiterin mit ihrem Pferd innig verbunden, gibt ihr das Tier das Gefühl von Sicherheit.

All die eben genannten Gefühle sind Ausdrucksformen von sehr hoher Wohlbefind-lichkeit und Glücksgefühlen. Sicherlich liegt hier ein maßgeblicher Bedeutungsfaktor für die Anziehungskraft, die das Pferd auf Mädchen und Frauen ausübt. Es verwundert demnach nicht, daß 88,4% der Reiterinnen sich nie bzw. selten beim Reiten verkrampft fühlten, 77,5% sich nie bzw. selten ausgeliefert fühlten und 72,5% nie oder selten ängstlich waren. Zwar waren nur 3,7% der Befragten sehr häufig beim Reiten ängstlich, doch waren immerhin 17,4% der Reiterinnen manchmal ängstlich (Bereich der Skala: 4). Die Angst und das Risiko beeinflussen die Reiterin demnach nicht unwesentlich. Dennoch ist fast keine Reiterin während des Reitens unglücklich.

Zwar fühlten sich 55,8% der Mädchen und Frauen auf ihrem Pferd stolz (Bereich der Skala 5-7), doch meinten nur 18,1%, anderen auf ihrem Pferd überlegen zu sein. 63% empfanden beim Reiten fast keine Überlegenheit gegenüber anderen. Die erhaltenen Antworten korrelieren nicht mit dem Alter der Befragten (r = 0,019).

Das Prestige scheint demzufolge kein bedeutender Faktor für die Faszination der Sportart Reiten zu sein.

Nicht so eindeutig sind die Ergebnisse bei der Frage, wie häufig sich die Reiterinnen beim Reiten durch Verbote eingeengt fühlen. 61,5% fühlten sich selten (Skalenbereich 1-3), 13,8% manchmal (Skalenbereich 4) und 23,2% relativ häufig (Skalenbereich 5-7) durch Verbote eingeengt. Das Ergebnis könnte von dem relativ hohen Anteil von 42% der Reiterinnen abhängig sein, die kein Pferd besitzen. Außerdem kann davon ausgegangen werden, daß Mädchen im Alter von 10-13 Jahren (die den größten Teil der Befragten ausmachen) noch stark von ihren Eltern "gelenkt" werden.

3.4.5 Existenzielle Wichtigkeit des Pferdes

Weil das Pferd eine wichtige Bindungsfigur insbesondere der Mädchen ist, kann davon ausgegangen werden, daß es für die Mädchen auch eine starke existenzielle Wichtigkeit hat. 76 ______

Um dieser Vermutung nachzugehen, wurde folgende Frage gestellt: "Nehmen wir an, es gäbe eine Katastrophe und man müßte innerhalb von Stunden das Land verlassen. Welche der folgenden Alternativen kämen für Dich am ehesten in Frage?". Die Antwortalternativen waren: 1 = "Ich würde notgedrungen flüchten und das Pferd zurücklassen müssen", 2 = "Ich würde auf jeden Fall versuchen, das Pferd auf der Flucht mitzunehmen (z.B. im Anhänger)", 3 = "Ich würde versuchen, reitend zu flüchten" und 4 = Ich würde zu meinem Pferd gehen und bei ihm bleiben, auch wenn es den Tod bedeuten könnte".

Die Antworten, die die Mädchen und Frauen gaben, lassen eindeutig auf eine starke existenzielle Wichtigkeit des Pferdes für Reiterinnen schließen. Denn nur 5,1% der Befragten würden das Pferd notgedrungen zurücklassen. Der Großteil (57,2%) würde das Pferd irgendwie auf der Flucht mitnehmen. 18,8% würden versuchen, reitend zu flüchten und 14,5% sogar bei dem Pferd bleiben.

Die Antworten sind jedoch stark altersabhängig. Je jünger die Mädchen waren, um so weniger konnten sie sich eine Trennung von ihrem geliebten Pferd vorstellen. So waren es auch signifikant weniger ältere Mädchen und Frauen, die bei ihrem Pferd bleiben und gemeinsam mit ihm den Tod erwarten wollten (r = -0,332; p = 0,000).

Die Crosstabulation der fiktiven Katastrophensituation und dem Alter der Befragten zeigt, daß nur neun- bis vierzehnjährige bei ihrem Pferd bleiben wollten, auch wenn dies den Tod bedeuten würde. Mit ca. fünfzehn Jahren dachten die Reiterinnen realistischer. Ab diesem Alter wollten die Reiterinnen notgedrungen ihr Pferd bei einer Katastrophe zurücklassen.

Im Falle, daß ihr Pferd verkauft werden sollte, würden 31,9% der befragten Reiterinnen versuchen, den Kauf durch Zureden zu verhindern. 21,7% würden sogar "mit dem Pferd abhauen", 21,7% würden Geld stehlen, um das Pferd zurückkaufen zu können, 18,1% würden sich mit dem Käufer einigen, daß sie das Pferd öfters sehen könnten und 14,5% würden bei Verwandten und Freunden Geld für das Pferd sammeln. Nur 5,1% würden in den letzten Tagen möglichst viel Zeit mit dem Pferd verbringen und 2,9% hoffen, daß sie bald ein neues Pferd bekommen würden. Die Reiterinnen aller Altersstufen (r = 0,076) suchten nach allen Möglichkeiten, um die Bindung zu ihrem Pferd nicht aufgeben zu müssen.

Auch die Frage, welche drei Dinge die Reiterinnen mit auf eine einsame Insel nehmen würden, unterstreicht die existenzielle Wichtigkeit des Pferdes. Die meisten Befragten entschieden sich, das Pferd mitzunehmen. Eine korrekte Auswertung der frei gestellten Frage war hier nicht möglich. Deutliche Tendenzen sind dennoch zu erkennen.

Weniger häufig als das Pferd würden Pferdemädchen ihre Eltern mit auf eine Insel nehmen und dies, obwohl viele kein eigenes Pferd haben und es vielleicht deshalb nicht aufgezählt haben. Das Pferd als Bindungsfigur wird nochmals bestätigt. Ebenfalls mit von der Inselpartie wären oft andere Haustiere, die Geschwister, die beste Freundin und natürlich bei den älteren Reiterinnen der Freund oder auch das Kind. Manche wünschen sich auch Musik mitzunehmen; auf das große Interesse an der Musik wird noch bei der Behandlung der Freizeitbeschäftigungen im Kapitel 3.4.8 behandelt.

77 ______

Interessanterweise wurde das Stofftier (Soterie) mehrmals aufgezählt, aber kein einziges Mal eine Puppe. Die Aufzählung eines Mädchens: "Als erstes meine Katze, meine Eltern natürlich, mein Stofftier".

Sichtliche Schwierigkeiten haben einige Amazonen hinsichtlich der Auswahl der drei Dinge für ihren Inselaufenthalt. So schreibt eine Reiterin: "Mann, Hund, Pferd, außerdem unsere drei Katzen, die ich ihm umhängen würde, damit sie mit können".

Es zeigte sich, daß die Befragten genaue Überlegungen anstellten, was sie nun wirlich mit auf eine einsame Insel nehmen würden. Eine 17jährige wolllte "so viel Verpflegung wie möglich, einen guten Freund bzw. Freundin und" ihren "Hund" mit nehmen. Über die Gründe, warum sie ihr Pflegepferd nicht mitnehmen wollte, schrieb sie zudem eine Erklärung auf: "Mein Pflegepferd würde ich nicht mitnehmen, weil ich mir sicher bin, daß es sich ohne andere Pferdegesellschaft nicht wohl genug fühlen würde". (Auflistung der Antworten auf diese Frage, siehe Anhang).

3.4.6 Psychische und räumliche Nähe

Alle bisher genannten Ergebnisse können als Gründe dafür gesehen werden, daß den Reiterinnen die psychische und räumliche Nähe zu ihrem geliebten Pferd sehr wichtig ist. Die Befragten konnten zwischen 7 verschiedenen Wohn-Stall-Situationen entscheiden. Diese sind: 1= Meine Wohnung und der Pferdestall in verschiedenen Ortschaften, 2= Wohnung und Pferdestall im selben Ort, 3= Wohnung und Pferdestall auf dem selben Grundstück, 4= Wohnung und Stall im selben Gebäude, 5= Wohnung und Stall im selben Gebäude, mein Zimmer gleich neben dem Stall, 6= Mein Zimmer im Stall und 7= Am liebsten direkt mit dem Pferd im Stall wohnen.

Abb. 25: Foto Westerhoff

Am liebsten möchten die Mädchen und Frauen in unmittelbarer Nähe zu ihrem Pferd leben. 90,5% möchten ihr Pferd in ihrer direkten Umgebung haben, entweder auf dem selben Grundstück oder sogar mit ihm zusammen im selben Gebäude bzw. im Stall wohnen.

78 ______

Wohnung und Pferdestall gewünschte Wohn-Stall-Situation im selben Ort

Wohnung und Pferdestall 6% 11% auf dem selben Grundstück 7% Wohnung und Stall im selben Gebäude 13% Mein Zimmer gleich neben 48% dem Stall Mein Zimmer im Stall 15% Am liebsten direkt mit dem Pferd im Stall wohnen

Abb. 26: Genaue Aufteilung der Wohn-Stall-Wunschsituation (in %; N=133).

Die Wohn-Stall-Situation wurde von den Befragten schon recht realistisch gesehen, doch wünschte sich kein Mädchen oder keine Frau weit von ihrem Pferd getrennt zu leben, wie z.B. in einem anderen Ort.

Sehr stark wurde die räumliche Nähe zu dem Pferd von jüngeren Mädchen gesucht. Je jünger sie waren, um so mehr wünschten sie sich, so dicht wie möglich mit ihrem Pferd zusammen zu wohnen (r = -0,244; p = 0,002).

Auch psychisch fühlten sich die Amazonen ihrem Pferd sehr nah. Immerhin 31,2% glaubten, daß das Pferd ihre Stimmungen und Gefühle besser als ein Mensch merkt. Nur 2,9% glaubten nicht daran, daß das Pferd merkt, wie gut oder schlecht es ihnen geht. Im Gegensatz dazu glaubten nur 11,6%, daß andere Pferde sehr genau ihre Stimmungen kennen. Auch ältere Mädchen und Frauen glaubten an ein Verständnis ihres Pferdes für ihre Gefühle, es besteht keine Korrelation mit dem Alter (r = -0,055). An ein Verständnis anderer Pferde für die Gefühle der Reiterin glaubten dagegen überwiegend jüngere Mädchen. Die Korrelation ist hierbei nicht stark, aber signifikant (r = -0,149; p = 0,049). Zum Vergleich werden die Verteilungen beider Antwortrn graphisch dargestellt.

79 ______

50 45 40 P r 35 31,2 o 30 z 25 23,2 e 20 16,7 16,7 n 15 t 10 5 2,9 2,9 2,9 0 Überhaupt 2 3 4 5 6 sehr nicht genau,besser als ein Mensch

Abb. 27: Antworthäufigkeit auf die Frage: "Wie gut merkt Dein Pferd Deine Stimmungen und Gefühle? Wie gut merkt es z.B., ob es Dir besonders schlecht oder besonders gut geht?"

50

45

40

35 P r 30 o z 25 23,2 e n 20 17,4 t 15 12,3 11,6 10,1 8,7 10 7,2 5

0 Überhaupt 2 3 4 5 6 sehr nicht genau,besser als ein Mensch

Abb. 28: Antworthäufigkeit auf die Frage: "Wie gut merken andere Pferde als Deines Deine Stimmungen und Gefühle? Wie gut merken sie , ob es Dir besonders gut oder besonders schlecht geht?"

3.4.7 Dominanz der positiven Wertzuordnung (Kosten-Nutzen-Aufrechnung)

Als weiteres Ergebnis der Untersuchung kann festgehalten werden, daß in der Kosten- Nutzen-Aufrechnung die Dominanz der positiven Wertzuordnung der Beschäftigung mit dem Pferd sehr auffällig ist:

80 ______

- 79,8% der befragten Reiterinnen meinten, durch das Pferd die Natur viel besser kennen und verstehen zu lernen, - 78,3% konnten sich von ihrem Pferd trösten lassen, - 75,4% hatten das Gefühl, daß ihr Pferd immer für sie da ist, ganz gleich, ob sie trau-rig oder fröhlich sind, - 72,5% waren der Ansicht, daß ihr Pferd ihnen hilft, ein besseres Durchsetzungs- vermögen zu erlangen, - 68,9% glaubten, daß ihr Pferd sie braucht und 60,9% fanden bei ihrem Pferd neue Kraft, wenn sie erschöpft sind (jeweils Antwortmöglichkeit 5-7).

Ich habe immer das Gefühl, daß mein Pferd für mich da ist, ganz gleich, ob ich traurig oder fröhlich bin.

1 0 0 90 80 P r 70 o 60 z 50 46 ,4 e 40 n 30 t 16 ,7 20 1 5,2 12 ,3 10 0,7 2 ,9 3,6 0 1 2 3 4 5 6 7 trifft trifft überhaupt genau zu nicht zu

Abb. 29: Antworthäufigkeiten (in%)

Wie bereits in mehreren Erklärungsversuchen vermutet wurde, ist die Begegnung mit der Natur durch die Beschäftigung mit dem Pferd nicht unwesentlich für die Faszination des Reitsports. Ebenso werden den psychischen Faktoren hohe Werte zugesprochen. Gerade jüngere Reiterinnen sehen diese Werte in ihrem Pferd. (Das Pferd ist immer für sie da: r = - 0,28; p = 0,001 und sie können sich von ihrem Pferd trösten lassen: r = -0,153; p = 0,037).

Das Pferd wurde den Mädchen/Frauen auch nicht lästig (81,1%), und sie fühlten sich nicht in der Freizeit eingeschränkt (76,1%), obwohl es sich gezeigt hat, daß andere Freizeitbeschäftigungen zurückstehen müssen.

81 ______

M ein Pferd ist mir öfters etw as lästig

100 90 80 P 70 r 62 ,3 o 60 z 50 e 40 n t 30 20 1 5,2 8 10 3,6 3 ,6 2 ,9 1,4 0 1 2 3 4 5 6 7 trifft trifft überhaupt ganau zu nicht zu Abb. 30: Antworthäufigkeiten (in%)

Das Pferd macht nach der Meinung von 68,1% der Befragten auch keinen Unsinn, den sie dann ausbaden müssen oder verursacht Probleme mit den Eltern (65,2%). Auch ältere Pferdebesitzerinnen waren nicht der Ansicht, daß das Pferd viel Geld kostet, welches sie lieber für andere Dinge ausgeben würden. Trotzdem man von dieser Gruppe eine finanzielle Einschränkung durch das Pferd erwarten konnte, wurden die Kosten des Pferdes in den Au- gen der Reiterinen im Gegensatz zu dem Nutzen und der Freude, die es bringt, verschwindend klein. (Weder der Pferdebesitz noch das Alter korreliert mit der Antwort).

Die Antwort auf die Frage, ob das Pferd von anderen Aufgaben ablenkt, wurde wesentlich individueller beantwortet. 22,5% glaubten, daß dies überhaupt nicht zutrifft und 26,8%, daß dies genau zutrifft. Es scheint, als würden besonders Pferdebesitzerinnen eher von anderen Aufgaben abgelenkt (r = 0,178; p = 0,024).

Verteilte Ansichten gibt es auch in der Hinsicht, daß das Pferd seine Reiterin zu einem geregelten Tagesablauf zwingt, nur 29,7% meinten, daß dies überhaupt nicht zutrifft. Diese Meinung ist wiederum vom Besitz eines Pferdes abhängig (r = 0,3782; p = 0,000). Die starke Korelation mit dem Besitz eines Pferdes verwundert nicht, wenn man bedenkt, daß eine Pferdebesitzerin ihr Pferd regelmäßig versorgen muß, wogegen eine Reitstunde schon einmal abgesagt werden kann. Auch die Probleme mit den Eltern wegen des Pferdes treten vermehrt bei Mädchen auf, die ein Pferd besitzen. Dennoch sind pferdebesitzende Mädchen und Frauen häufiger der Meinung, daß ihnen ihr Pferd nicht lästig ist. Deutlicher kann sich die Dominanz der positiven Wertzuordnung nicht zeigen!

Daß durch das Pferd Freunde gewonnen werden können, wird ebenfalls positiv bewertet. Wie bereits zuvor festgehalten, bedingt der Umgang mit einem Tier keine Kontaktschwierigkeiten mit anderen Menschen. Obwohl die Reiterinnen sehr individuelle Ansichten darüber hatten, ob durch das Pferd neue Freunde gewonnen werden können, waren Pferdebesitzerinnen mehr davon überzeugt, daß dies zutrifft (r = 0,212; p = 0,010). Auch Pferdebesitzerinnen waren es, die ihr Pferd so erziehen konnten, wie sie es wollten (r = 0,24; p = 0,004).

82 ______

Die Aussage "Ich merke, daß ich mich durch mein Pferd im Alltag viel sicherer fühle und weniger Angst habe" wurde sehr unterschiedlich bewertet. Die Korrelation mit dem Alter zeigte, daß sich besonders die jüngeren Reiterinnen durch das Pferd sicherer fühlen (r = - 0,297; p = 0,000).

Vielleicht liegt die positive Wirkung des Pferdes auf das Selbstbewußtsein gerade bei jungen Mädchen, da diese durch das Pferd erstmals selbständig neue Bereiche kennenlernen und ergründen können. Nicht nur die im Umgang mit dem Pferd gewonnene Kompetenzerweiterung, sondern auch der Umgang mit einem mächtigen Wesen und das Meistern von risikoreichen Situationen läßt insbesondere reitende Mädchen über sich hinauswachsen.

Das Pferd hat außerdem erzieherische Werte für seine Reiterin, da es ihr zur Selbstdisziplin verhilft. 53,7% fanden es zutreffend, daß sie durch ihr Pferd lernen, nicht launisch und unbeherrscht zu sein.

Die positiven und negativen Werte des Pferdes sollen nun noch anhand einer Clusteranalyse auf ihre Zusammenhänge untersucht werden. Es zeigen sich in dem Dendrogramm zwei Hauptäste, von denen der untere, kleinere Ast die eher negativen Werte des Pferdes bündelt und der obere, größer hauptsächlich die positiven Werte des Pferdes enthält.

Der obere Ast verzweigt sich in zwei Teiläste. Der untere Teil beinhaltet die Aussagen, welche überwiegend von äußeren Faktoren, wie das Alter der Befragten oder die Pferdebesitzverhältnisse, abhängig sind. So z.B. "Mein Pferd zwingt mich zu einem geregelten Tagesablauf" und "Ich kann mein Pferd so erziehen, wie ich will und brauch mir von niemand etwas reinreden zu lassen". Diese beiden Aussagen korrelieren stark mit dem Besitz eines Pferdes, was einleuchtend ist, da bei einem eigenen Pferd höchstens die Eltern von jüngeren Mädchen mitbestimmen. Als "Nachteil" muß das Pferd aber auch regelmäßig versorgt werden.

Der obere Teilast bündelt ausschließlich die positiven Werte des Pferdes, die auf alle Reiterinnen gleichermaßen zutreffen .

83 ______

Abb. 31: Dendrogramm der Clusteranalyse der Aussagen über die Wertzuordung des Pfer- des

Zeichenerklärung:

1 = "Ich habe immer das Gefühl, daß mein Pferd für mich da ist, ganz gleich, ob ich traurig oder fröhlich bin." 2 = "Ich merke, daß mein Pferd mich von anderen Aufgaben ablenkt." 3 = "Ich kann mich immer von meinem Pferd trösten lassen." 4 = "Ich gewinne durch mein Pferd viele Freundinnen und Freunde." 5 = "Ich fühle mich durch mein Pferd in meiner Freizeit eingeschränkt." 6 = "Mein Pferd hat mir schon oft Probleme mit meinen Eltern bereitet." 7 = "Ich merke, daß mein Pferd mich braucht und fühle mich deshalb wohl." 8 = Mein Pferd macht oft Unsinn und ich muß es dann ausbaden." 9 = "Mein Pferd hilft mir üben, nicht unbeherrscht und launisch zu sein." 10 = "Ich lerne durch mein Pferd die Natur viel besser kennen und verstehen." 11 = "Ich brauche viel Geld für mein Pferd, das ich schon lieber mal für andere Dinge ausgeben würde." 12 = "Ich merke, daß ich mich durch mein Pferd im Alltag viel sicherer fühle und weniger Angst habe." 13 = "Mein Pferd zwingt mich zu einem bestimmten, geregelten Tagesablauf." 14 = "Mein Pferd ist mir öfters etwas lästig." 15 = "Ich kann mein Pferd so erziehen, wie ich will und brauch mir von niemand etwas reinreden zu lassen." 16 = "Mein Pferd hlift mir üben, daß ich mich auch mal durchsetze." 17 = "Wenn ich ziemlich erschöpft bin, finde ich bei meinem Pferd neue Kraft."

3.4.8 Dominanz des Pferdes bzw. des Reitens bei den Freizeitbeschäftigungen

Bei der Untersuchung wurde großen Wert auf die Feststellung der Dominanz des Pferdes bei den Freizeitbeschäftigungen gelegt. Es wurde auf ein breites Spektrum der Freizeit- beschäftigungen geachtet, damit pferdebezogene und nichtpferdebezogene Freizeit- beschäftigungen in ausreichender Anzahl untersucht werden konnten.

84 ______

Es wurde davon ausgegangen, daß vorrangig pferdebezogene Hobbys bevorzugt und andere Freizeitbeschäftigungen zurückgestellt werden.

Eine Untersuchung über die Häufigkeit der Ausübung von einzelnen Freizeitbe- schäftigungen wurde nicht durchgeführt. Trotzdem konnten überraschende Ergebnisse über die Beliebtheit der aufgelisteten Freizeitbeschäftigungen gewonnen werden.

Es zeigte sich eine überwältigend hohe Dominanz des Reitens bzw. der Beschäftigung mit dem Pferd in der Freizeit.

92% der Reiterinnen nahmen gern oder sogar sehr gern Reitstunden. Das sind 127 von 138 Befragten. 10 Mädchen oder Frauen verteilten sich auf die restlichen Antwortmöglich- keiten, wobei keine Reiterin angab, sehr ungern Reitstunden zu nehmen. Eine Reiterin beantwortete diese Frage nicht.

Reitstunden nehmen

100 90 P 80 r 70 o 60 z 50 e 40 n 30 t 20 10 0 sehr ungern etwas weder etwas gern sehr ungern ungern noch gern gern

Abb. 32: Antwortverteilung (in %) auf die Frage wie gern Reitstunden genommen werden. Reitstunden sind vor allem bei den jüngeren Mädchen sehr beliebt . Es ergab sich ein Korrelationeskoeffizient von r = -0,178; p = 0,019. Im Gegensatz zu diesem relativ geringen Zusammenhang zeigte sich deutlich, daß Pferdebesitzerinnen weniger an Reitstunden interessiert sind, als Mädchen, die kein eigenes Pferd besitzen (r = -0,3082 ; p = 0,00).

Äußerst beliebt war bei den Befragten das Reiten im Gelände. Geländereiten ermöglicht eine intensive Beschäftigung mit der Natur, die Aneignung von neuen Räumen und bedeutet gleichzeitig Freiheit. Eine große Dominanz wurde, wie erwartet bestätigt. Angstmomente scheinen kein limitierendes Kriterium zu sein, vielmehr scheint hier eine Risikobereitschaft vorzuliegen. Der Geländeritt war gleichermaßen beliebt bei allen Altersklassen, bei Pfer- debesitzern, sowie bei Reiterinnen, die kein Pferd besitzen.

85 ______

73% der Mädchen und Frauen ritten sehr gern und 13,8% gern im Gelände. 102 der 138 Befragten übten somit sehr gern den Geländereitsport aus. 19 Reiterinnen beschäftigten sich gern mit ihrem Pferd im Gelände, und 14 Mädchen bzw. Frauen ritten etwas gern bis sehr ungern im Gelände. Bei der letzten Gruppe ist es wahrscheinlich, daß die Angst vor dem Ritt im Gelände ihre Antwort nicht unbedeutend beeinflußt hat. 3 Amazonen gaben zu dieser Frage keine Antwort.

Abbildung 33 stellt die enorme Beliebtheit des Geländereitens graphisch dar:

Geländereiten

100 90 P 80 r 70 o 60 z 50 e 40 n 30 t 20 10 0 sehr ungern etwas weder etwas gern sehr ungern ungern noch gern gern

Abb. 33: Antwortverteilung (in%) auf die Frage, wie gern im Gelände geritten wird.

Ebenso eindeutige Ergebnisse konnten auf die Frage, wie gern die Befragten Pferde streicheln, gewonnen werden. 90,6% waren der Meinung, Pferde gern oder sehr gern zu streicheln, das sind in Zahlen 125 Reiterinnen von 138 Befragten. Zwei Mädchen bzw. Frauen gaben zu dieser Frage keine Antwort. 11 Amazonen bzw. 7,9% der Befragten gaben an, daß sie etwas gern Pferde streicheln oder, daß sie in dieser Beziehung neutraler Meinung sind. Entscheidend bei den gewonnenen Antworten ist, daß keine Reiterin angab, etwas ungern, ungern oder gar sehr ungern Pferde zu streicheln. Es zeigt sich , wie wichtig die "Touch feeling qualities" für die Reiterinnen sind. Direkter Kontakt zu dem Pferd ist von großer Wichtigkeit und kann durch das Streicheln oder aber auch durch das Putzen hergestellt werden. Bei der Frage nach der Beliebtheit des Pferdeputzens zeigte sich jedoch, daß zwar immer noch gern geputzt wird, dieses doch nicht die gleiche Beliebtheit wie das Streicheln erreicht. Das Putzen des Pferdes ist wohl eher Arbeit, als alleiniger Kontakt mit dem Pferd. Der direkte Kontakt zum Pferd spricht doch mehr die Sinne der Reiterin an, als der Kontakt mittels eines Striegels oder einer Kardätsche. Dennoch ist eine große Ähnlichkeit bei der Beliebtheitseinstufung zu erkennen, so daß davon ausgegangen werden kann, daß bei beiden Beschäftigungen das Berühren und Spüren des Pferdes von großer Wichtigkeit ist. 86 ______

Im Gegensatz zum Streicheln eines Pferdes, das 90,6% der Reiterinnen gern oder sehr gern ausübten, putzten 82,6% der Mädchen und Frauen ihr Pferd gern oder sehr gern. Das sind 125 Reiterinnen, die gern oder sehr gern ihr Pferd streicheln und 114 Reiterinnen, die ihr Pferd gern bzw. sehr gern putzen. Es ist also nur eine geringe Tendenz zu erkennen, daß Mädchen und Frauen ihr Pferd lieber streicheln als putzen. Denn auch bei der Frage nach der Beliebtheit, ein Pferd zu putzen, gab keine der Befragten an, ihr Pferd etwas ungern, ungern oder gar sehr ungern zu putzen. 15,2% gaben an, das Pferd etwas gern zu putzen oder entschieden sich für eine neutrale Antwort (weder noch). 2,2%, das sind 3 Personen, enthielten sich einer Antwort.

Jüngere Mädchen putzten besonders gern Pferde (r = -0,143; p = 0,049) und ebenso solche, die kein Pferd besitzen (r = -0,1687; p = 0,031).

Anhand der Abbildungen 34 und 35 kann die Ähnlichkeit dieser Beschäftigungen durch die vergleichbaren Beliebtheitsangaben dargestellt werden:

Pferd streicheln

100 90 80 P 70 r 60 o z 50 e 40 n t 30 20 10 0 sehr ungern ungern etwas ungern weder noch etwas gern gern sehr gern

Abb. 34: Antwortenverteilung (in%) auf die Frage nach der Beliebtheit, ein Pferd zu strei- cheln.

87 ______

Pferd putzen

100 90 P 80 r 70 o 60 z 50 e 40 n 30 t 20 10 0 sehr ungern etwas weder etwas gern sehr ungern ungern noch gern gern

Abb. 35: Antwortenverteilung (in%) auf die Frage nach der Beliebtheit, ein Pferd zu putzen.

Die Antworten auf die Frage, wie gern Pferde auf der Weide beobachtet werden, zeigen ebenfalls eine große Dominanz der Beschäftigung mit Pferden innerhalb der Freizeitgestaltung. Bei den Antworten zeigt sich eine größere Aufsplittung auf die Möglichkeiten sehr gern bis etwas gern. Dennoch gaben nur wenige Reiterinnen an, Pferde ungern oder sehr ungern zu beobachten. Die Antwortverteilung ist folgendermaßen: 41,3% beobachteten sehr gern Pferde auf der Weide, 39,1% gern, 15,2% etwas gern, 2,2% weder noch, 0,7% etwas ungern und 1,4% sehr ungern.

Interessant ist die Antwortverteilung auf die Frage, wie gern Pferdefilme gesehen werden, da sich herausstellt, daß auch die Freizeitbeschäftigungen einen hohen Stellenwert haben, welche nicht unmittelbar etwas mit dem Reitsport zu tun haben. Beim Sehen vom Pferdefilmen wird das Pferd nicht direkt wahrgenommen, sondern lediglich gesehen. Die Natur wird durch das Medium Fernsehen dargestellt, "touch feeling qualities" spielen keine Rolle.

Es zeigte sich, je jünger die Befragten waren, desto lieber sahen sie Pferdefilme (r = -0,211; p = 0,007).

46,4% aller Befragten gaben an, sehr gern Pferdefilme zu sehen, 25,4% gern und 18,8% meinten, daß sie etwas gern Pferdefilme sehen. Das sind in Zahlen 125 von 138 Befragten, die sich etwas gern bis sehr gern Pferdefilme anschauten. Jeweils eine Person gab an, sehr ungern und ungern Pferdefilme anzusehen. 3 Mädchen bzw. Frauen meinten etwas ungern Pferdefilme zu schauen, und 7 Reiterinnen entschieden sich für weder noch.

Bei dem Vergleich dieser Angaben mit der Antwortenverteilung auf die Frage, wie gern allgemein ferngesehen wird, so zeigt sich, daß die Antworten zum Fernsehen allgemein wesentlich individueller ausfallen. Eine direkte Tendenz, daß ungern Fernsehen geschaut wird, ist zwar nicht zu erkennen, doch gaben nur 16,7% an, sehr gern ihre Freizeit mit Fernsehen zu verbringen. Mit der höchsten Prozentzahl von 31,2% meinten 43 Frauen bzw. 88 ______

Mädchen, sich gern mit Fernsehen zu beschäftigen. 29,7% entschieden sich für etwas gern und 11,6% für weder noch. Die restlichen 10,9% verteilten sich auf die Antwortmöglichkeiten etwas ungern bis sehr ungern. Scheinbar ist das Fernsehen bei Reiterinnen von keiner entscheidenden Wichtigkeit.

Abbildung 36 und 37 stellen die Antwortverteilung der beiden Beschäftigungen noch einmal graphisch dar:

Pferdefilme ansehen

100 90 P 80 r 70 o 60 z 50 e 40 n 30 t 20 10 0 sehr ungern etwas weder etwas gern sehr ungern ungern noch gern gern

Abb. 36: Antwortenverteilung (in %) auf die Frage, wie gern Pferdefilme angesehen wer- den.

Fernsehen

100 90 P 80 r 70 o 60 z 50 e 40 n 30 t 20 10 0 sehr ungern etwas weder etwas gern sehr ungern ungern noch gern gern

Abb. 37: Antwortenverteilung (in %) auf die Frage, wie gern Fernsehen allgemein gesehen wird. 89 ______

Ein ähnliches Phänomen zeigte sich beim Vergleich der Freizeitbeschäftigungen "Lesen allgemein" und "Lesen von Pferdebüchern oder Pferdezeitschriften". Die Angaben wichen zwar nicht gravierend weit voneinander ab (40,6% lesen sehr gern, 47,8% lesen sehr gern Pferdebücher), doch gaben 5,8% der Befragten an, sehr ungern zu lesen, während nur 0,7% sehr ungern Pferdebücher lesen.

Bei einem Vergleich des Alters der Befragten mit der Beliebtheit des Lesens zeigte sich, daß kein Zusammenhang zwischen dem Lesen und dem Alter besteht. Das Lesen von Pferdebüchern und Zeitschriften korreliert dagegen signifikant mit dem Alter, d.h. je älter die Befragten sind, desto weniger lesen sie Pferdebücher (r = -0,167; p = 0,027).

87,6% der Mädchen und Frauen treffen sich gern oder sehr gern mit ihren Freundinnen und 73,2% unterhalten sich dann auch gern oder sehr gern über Pferde. (51,4% treffen sehr gern ihre Freundinnen, 36,2% gern, 7,2% etwas gern, 3,6% weder noch und 1,4% etwas ungern; dagegen unterhalten sich 42% sehr gern, 31,2% gern, 16,7% etwas gern, 5,8% weder noch, und jeweils 1,4% etwas ungern bis sehr ungern mit ihren Freundinnen über Pferde).

Vermutungen einiger Autoren darüber, daß Menschen, die sich in ihrer Freizeit mit Tieren beschäftigen, und dabei speziell Reiter, Kontaktschwierigkeiten hätten (KIDD et. al. 1983, zit. nach BERGLER 1986, 40), konnten nicht bestätigt werden. Keine der Befragten gab an, sich ungern oder gar sehr ungern mit ihren Freundinnen zu treffen.

Der Turniersport spielte bei der Gruppe der Befragten, egal ob sie ein Pferd besitzen oder nicht, keine entscheidende Rolle. 38,4% der Reiterinnen schauten sehr gern bei einem Turnier zu, 35,5% gern und 13,8% etwas gern. Es zeigt sich zwar eine positive Tendenz auf der Beliebtheitsskala, doch fallen die Ergebnisse nicht so eindeutig aus wie bei den bisher genannten Beschäftigungen mit dem Pferd. Bei der Korrelation mit dem Alter zeigte sich, daß jüngere Mädchen lieber bei Turnieren zuschauen als ältere (r = -0,1619 ; p = 0,031).

Noch uneinheitlicher sind die Ergebnisse auf die Frage, wie gern an Turnieren teilgenommen wird. Hier ritten nur 34,1%, das sind 47 Reiterinnen der 138 befragten Personen, sehr gern im Turniersport. 18,8% nahmen gern, 10,9% etwas gern, 12,3% weder noch und 18,1% etwas ungern bis sehr ungern an Turnieren teil. 8 Befragte gaben keine Antwort, was eventuell an einer fehlenden Möglichkeit, Turniersport zu betreiben, liegen kann. Auch hier ist das Interesse am Turniersport stark altersabhängig. Bei der Korrelation zeigte sich, daß junge Mädchen signifikant lieber an Turnieren teilnehmen als ältere (r = - 0,416 ; p = 0,000).

Interessant sind die Ergebnisse auf die Frage, wie gern der Stall gereinigt wird. Hier zeigt sich eine verständliche Tendenz. Nur 15,9% der Reiterinnen reinigten sehr gern den Stall, 27,5% gern, 28,3% etwas gern, 14,5% misteten weder etwas gern noch etwas ungern und 12,3% meinten, etwas ungern bis sehr ungern die Stallarbeit zu verrichten.

90 ______

Stall reinigen

100 90 P 80 r 70 o 60 z 50 e 40 n 30 t 20 10 0 sehr ungern etwas weder etwas gern sehr ungern ungern noch gern gern

Abb. 38: Antwortenverteilung (in%) auf die Frage, wie gern Mädchen und Frauen den Stall ihres Pferdes reinigen.

Bedenkt man, daß die Stallarbeit mit Geruch und einem nicht zu unterschätzenden Kraftaufwand verbunden ist und es sich bei den Befragten hauptsächlich um Mädchen handelt, so ist verständlich, daß das Reinigen des Stalles weniger beliebt ausfällt als die anderen Beschäftigungen mit dem Pferd. Mädchen in diesem Alter müssen schon einiges auf sich nehmen, um eine beladene Schubkarre ein Brett hoch auf den Misthaufen zu fahren oder gar den Mist auf einen Wagen zu gabeln. Sie verrichten in der Regel die Stallarbeit dennoch nicht ungern. Auch ältere Mädchen misten nicht sehr gern den Stall aus. Eine Korrelation mit dem Alter zeigte, daß kein Zusammenhang zwischen dem Ausmisten und dem Alter besteht. Auch Pferdebesitzerinnen misten nicht lieber ihr Pferd als Mädchen, die kein Pferd besitzen (r = 0,021).

Wie vermutet, müssen andere Freizeitbeschäftigungen in der Beliebtheitsskala zurückstehen. Bei den sportlichen Freizeitbeschäftigungen wird Schwimmen mit 37% sehr gern, mit 34,8% gern und 14,5% etwas gern als Freizeitbeschäftigung gewählt. Es ist somit eine der Beschäftigungen, die neben den Beschäftigungen mit dem Pferd gern betrieben wird. Anders sieht die Beliebtheitsskala schon bei Rollschuhfahren aus. Hier fahren nur noch 12,3% sehr gern, 20,3% gern und 28,3% etwas gern Rollschuh. Diese Frei- zeitbeschäftigung wird vor allem von jüngeren Mädchen gern betrieben (r = -0,145 ; p = 0,047). Auch das Fahrradfahren steht in der Beliebtheit weit hinter dem Reitsport. 21,7% fahren unabhängig vom Alter (r = -0,076) sehr gern Fahrrad, 37% gern und 23.9% etwas gern.

Besonders die Freizeitbeschäftigungen, die häufig als typische Beschäftigungen für Mädchen gesehen werden, stuften die pferdebegeisterten Mädchen und Frauen in der Beliebtheitsskala als eher unbeliebt ein oder beantworteten sie individuell.

91 ______

28,3% der Befragten fanden Babysitten gut, doch folgte auf dem zweiten Platz der Rangskala mit 16,7% die Meinung, sehr ungern Babys zu betreuen.

Auch die Beschäftigung mit dem Computer bewerteten die Pferdemädchen und Frauen sehr unterschiedlich. Hier liegt eine individuelle Verteilung der Ergebnisse vor, wobei sich die meisten für die Antwort sehr ungern oder gern (jeweils 20,3%) entschieden. Der geringste Prozentsatz der Antworten liegt mit 6,5% bei der Angabe, sich etwas gern mit dem Computer zu beschäftigen. Die Antworten korrelieren zudem stark mit dem Alter der Be- fragten. Der Korrelationskoeffizient beträgt r = -0,205, was auf eine größere Beliebtheit der Beschäftigung mit dem Computer bei den Jüngeren hindeutet (p = 0,008).

Ähnliche Antwortenverteilungen wurden bei den Freizeitbeschäftigungen Musizieren, Basteln, Malen und Blumenpflücken gegeben. Während alle eben aufgezählten Freizeitbeschäftigungen nicht mit dem Alter korrelieren, malen jüngere Mädchen lieber als ältere.

Es scheint, daß die Freizeitbeschäftigungen innerhalb des Hauses eher ungern ausgeübt werden, wenn sie nicht gerade in Verbindungen mit Pferden oder dem Reitsport stehen. Besonders auffällig ist diese Tendenz bei der Beschäftigung mit Handarbeiten zu erkennen. Hier liegt eine zweigipflige Antwortenverteilung vor, wobei 29% der Befragten sich sehr ungern mit Handarbeiten beschäftigten, mit dem zweithöchsten Wert waren 17,4% der Frauen und Mädchen der Meinung, ungern zu handarbeiten, und den dritten Rang erreichte die Antwort etwas gern mit 15,2%.

Handarbeiten machen

100 90 80

P 70 r 60 o z 50 e 40 n t 30 20 10 0 sehr ungern ungern etwas ungern weder noch etwas gern gern sehr gern

Abb. 39: Beliebtheitsskala der Freizeitbeschäftigung Handarbeiten (in %)

Die Freizeit allein zu verbringen wurde von den Reiterinnen ebenfalls individuell bewertet. Meist waren es ältere Reiterinnen, die bevorzugt hin und wieder in ihrer Freizeit für sich allein sein wollten (r = 0,211; p = 0,007). Eine eindeutige Tendenz zu Kontaktschwierigkeiten zeigt sich also bei Reiterinnen nicht.

92 ______

allein sein

100 90 P 80 r 70 o 60 z 50 e 40 n 30 t 20 10 0 sehr ungern etwas weder etwas gern sehr ungern ungern noch gern gern

Abb. 40: Antwortenverteilung (in %) auf die Frage, wie gern die Befragte die Freizeit allein verbringt.

Die Antworten von "mit der Familie etwas unternehmen" und "Einkaufsbummel machen" zeigten fast die gleichen Verteilungsmuster. Jeweils 78,3% der Befragten meinten, etwas gern bis sehr gern etwas mit der Familie zu unternehmen oder einen Einkaufsbummel zu machen.

Zusammen mit der Familie die Freizeit zu verbringen ist bei den Mädchen und Frauen nicht so beliebt, wie die Beschäftigung mit ihrem Pferd. Im Falle der Mädchen kann dies wahrscheinlich auf eine Loslösung der primären Bindungspersonen und auf pubertäre Probleme mit den Eltern zurückgeführt werden.

Während 81,1% der Reiterinnen etwas gern bis sehr gern auf Partys gingen, fällt die Antwortenverteilung auf die Frage, wie gern in die Disco oder zum Jugendtreff gegangen wird, dreigipflig aus. (31,2% sehr gern, 19,6% weder noch, 15,2% gern und 14,5% sehr ungern). Die Antworten stehen in keinem Zusammenhang zum Alter der Befragten (r = - 0,044; p = 0,054).

93 ______

in die Disco gehen

100 90 80

P 70 r 60 o z 50 e 40 n t 30 20 10 0 sehr ungern ungern etwas ungern weder noch etwas gern gern sehr gern

Abb. 41: Antwortenverteilung (in%) auf die Frage, wie gern in die Disco gegangen wird.

Die Beschäftigung mit der Natur, z.B Tiere in freier Wildbahn beobachten und die Beschäftigung mit anderen Tieren (z.B. Hund) fallen im Verhältnis zu den anderen Freizeitbeschäftigungen, die sich nicht mit dem Pferd in Verbindung bringen lassen, relativ hoch aus. 44,9% beobachteten sehr gern Tiere in freier Wildbahn, 29% gern und 16,7% etwas gern. Auffällig ist, daß von 134 Befragten die meisten sehr gern bzw. einige weder gern noch ungern dieser Beschäftigung nachgingen, aber nur eine Person etwas ungern Tiere in freier Wildbahn beobachtete. Keine der Reiterinnen beobachtete Tiere ungern oder sehr ungern.

Tiere in freier Wildbahn beobachten

100 90 P 80 r 70 o 60 z 50 e 40 n 30 t 20 10 0 sehr ungern etwas weder etwas gern sehr ungern ungern noch gern gern

Abb. 42: Antwortenverteilung auf die Frage, wie gern Tiere in Freier Wildbahn beobachtet werden.

94 ______

Nicht ganz so beliebt, wie Tiere in freier Wildbahn zu beobachten, ist der Spaziergang mit dem Hund. 33,3% gingen sehr gern, 36,2% gern und 13,8% etwas gern mit dem Hund spazieren. Die übrigen 16,6% der Befragten verteilten ihre Antworten auf die restlichen Antwortmöglichkeiten.

Besonders beliebt ist bei Reiterinnen das Musikhören, insbesondere bei den älteren Reiterinnen (r = 0,142; p = 0,049). 51,4% hören sehr gern und 31,9% gern Musik.

Musik hören

100 90 P 80 r 70 o 60 z 50 e 40 n 30 t 20 10 0 sehr ungern etwas weder etwas gern sehr ungern ungern noch gern gern

Abb. 43: Beliebtheitsskala des Musikhörens (in%)

Die Antwortenverteilung auf die Frage, wie gern die Reiterinnen mit Jungen flirten, ist zweigipflig. Hier überwogen mit 25,4% die Reiterinnen, die sehr ungern mit Jungen flirten. Ihnen folgten mit 21% die Mädchen, welche genau gegensätzlicher Meinung waren und sehr gern mit Jungen flirteten, gefolgt von denen, die gern flirteten oder sich neutral entschieden.

95 ______

mit Jungen flirten

100 90 P 80 r 70 o 60 z 50 e 40 n 30 t 20 10 0 sehr ungern etwas weder etwas gern sehr ungern ungern noch gern gern

Abb. 44: Antwortenverteilung (in%) auf die Frage, wie gern Mädchen in ihrer Freizeit mit Jungen flirten.

Wie erwartet haben jüngere Mädchen noch kein Interesse daran, mit Jungen zu flirten. Es besteht ein sehr signifikanter Zusammenhang zwischen dem Alter und dem Interesse am anderen Geschlecht. Ältere Mädchen flirten dagegen gern mit Jungen (r = 0,292 ; p = 0,000).

Abb. 45: Foto S. Schädlich 96 ______

Zum Schluß der Abhandlung über die Dominanz des Pferdes bzw. des Reitens bei den Freizeitbeschäftigungen soll nun noch auf die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Freizeitbeschäftigungen eingegangen werden. Insbesondere soll untersucht werden, ob sich die pferdebezogenen Freizeitbeschäftigungen in einem Bündel gruppieren. Um die Zusammenhänge zu erkennen, wurde wiederum eine Clusteranalyse durchgeführt.

Abb. 46: Dendrogramm der Clusteranalyse der Freizeitbeschäftigungen

Zeichenerklärung:

1= Rollschuhlaufen, 2= Babysitten, 3= Reitstunden nehmen, 4= Fernsehen, 5= Pferde auf der Weide beobachten, 6= Handarbeiten machen, 7= Mit dem Hund spazieren gehen, 8= Basteln, 9= Mich mit Freundinnen über Pferde unterhalten, 10= Fahrrad fahren, 11= Für mich allein sein, 12= Im Gelände reiten, 13= Einkaufsbummel machen, 14= Malen, 15= Auf Turnieren mitreiten, 16= Am Coputer spielen, 17= Mit Jungens flirten, 18= Pferd putzen, 19= Mit Freundinnen treffen, 20= Musik hören, 21= Stall reinigen, 22= Tiere in freier Wildbahn beobachten, 23= Mit der Familie etwas unternehmen, 24= Pferd streicheln, 25= Schwimmen gehen, 26= Auf Partys gehen, 27= Pferdefilme ansehen, 28= Lesen, 29= Bei Turnieren zuschauen, 30= Musizieren, 31= Auf einer Wiese Blumen pflücken, 32= Pferdebücher oder Pferdezeitschriften lesen, 33= Disco/Jugendtreff gehen. 97 ______

Bei der Betrachtung des Dendrogramms der Freizeitbeschäftigungen lassen sich zwei Hauptäste finden, einen kleineren im unteren und einen größeren im oberen Teil der Abbildung. Der größere Hauptast umfaßt überwiegend die Freizeitbeschäftigungen mit dem Pferd und mit der Natur, der kleinere Ast umfaßt, bis auf eine Ausnahme, die Freizeitbeschäftigungen, die häufig auch als typisch für Mädchen bezeichnet werden (Handarbeiten, Basteln, Malen, Musizieren, allein sein, Babysitting, Rollschuhlaufen etc.). Aufgrund der zuvor genannten Ergebnisse ist festzuhalten, daß der größere Ast die bei Reiterinnen relativ beliebten Freizeitbeschäftigungen enthält und der kleinere Ast die relativ unbeliebten oder individuell bewerteten Beschäftigungen.

Das bei den Freizeitbeschäftigungen weniger relevante Turnierreiten, wird hier als einzige pferdebezogene Freizeitbeschäftigung dem kleineren Ast angeschlossen. Eine Beschäftigung mit dem Pferd ist demnach nicht von einer Turnierteilnahme abhängig.

Ein Teil des unteren Hauptastes, der auch "Interesse am anderen Geschlecht" genannt werden kann, enthält zwei Freizeitbeschäftigungen, die sich von den anderen Freizeitbeschäftigungen abgrenzen. Es handelt sich um "mit Jungen flirten" und um "in die Disco gehen". Die Verbindung dieser beiden Beschäftigungen deutet darauf hin, daß der Gang in die Disco oder dem Jugendtreff häufig dem Ziel dient, Jungen zu treffen.

Bei der Betrachtung des größeren, oberen Astes fällt der Zusammenhang zwischen den Beschäftigungen "Pferdefilme sehen", "Pferdebücher lesen", "über Pferde reden" und "bei Turnieren zuschauen" auf. Es handelt sich hierbei um eher körperlich passive Beschäftigungen im Haus, die sich aber bei den Reiterinnen aufgrund des Bezugs zum Pferd großer Beliebtheit erfreuen.

Die eher aktiven Beschäftigungen direkt mit dem Pferd und die Freizeitgestaltung mit Freundinnen werden in einem weiteren Ast des Clusterbaumes zusammengefaßt. In diesem Ast fällt "Musikhören" deutlich aus dem Rahmen. Es scheint, als sei diese Freizeitbeschäftigung so beliebt, da sie auch neben der Beschäftigung mit dem Pferd stattfinden kann. Häufig sind in den Pferdeställen auch Radios zu finden.

Ebenso muß ein Treffen mit Freundinnen nicht unbedingt den Verzicht des Reitsports bedeuten, da Reiterinnen häufig aufgrund ihres gemeinsamen Pferdeinteresses Freundschaft schließen.

Die verbleibenden Äste zeigen einen logischen Zusammenhang zwischen der Beobachtung von Pferden auf der Weide und der Beobachtung von Tieren in freier Wildbahn.

Das Geländereiten fällt zwar etwas aus dem Rahmen, doch wird es bereits im zweiten Schritt mit den beliebten Beschäftigungen zusammengeschlossen. Im sechsten Schritt werden sehr beliebte aktive Freizeitbeschäftigungen den eher passiven angeschlossen (zu diesem gelangten im fünften Schritt bereits "mit dem Hund spazieren gehen" und "den Stall reinigen").

98 ______

Der untere Teil des oberen Hauptastes setzt sich aus zwei breit gefächerten Bereichen der Freizeitgestaltung zusammen, die erst im dreizehnten Schritt den restlichen Beschäftigungen des oberen Astes angeschlossen werden.

3.4.9 Pferdenahe Berufsorientierung

Da die Freizeitbeschäftigungen der Mädchen und Frauen sehr pferdenah geprägt sind, kann vermutet werden, daß auch die Berufsorientierungen entsprechend ausfallen.

An erster Stelle der interessanten Berufe befand sich bei der Untersuchung die Tierärztin mit 60 Nennungen, ihr folgte der Beruf der Pferdepflegerin mit 55 Nennungen. An dritter Stelle stand der Beruf der Reitlehrerin (n = 51). Nach diesen favorisierten Berufen gelangte der Beruf der Schullehrerin mit nur 25 Nennungen an die vierte Stelle, dicht gefolgt von der Bereiterin (n = 24), dem Jockey (n = 23), der Tierarzthelferin (n = 19), der Reittherapeutin (n = 18), der Försterin (n = 16), der Reiseleiterin (n = 14), der Polizeibeamtin (n = 14), der Kindergärtnerin (n = 12), der Schauspielerin (n = 10) und der Bäuerin (n = 10). Mit jeweils 9 Nennungen wurde der Beruf der Architektin, der Kinderärztin und der Rechtsanwältin den beliebten Berufen zugeordnet. Am wenigsten aufgezählt wurden die Berufe, die häufig auch als typische Frauenberufe eingestuft werden, so der Beruf der Friseurin (n = 2), der Verkäuferin (n = 2), der Kosmetikerin (n = 3), der Bibliothekarin (n = 3), der Krankenschwester (n = 3), der Chemielaborantin (n = 3), der Sekretärin (n = 4) und der Stewardess (n = 6). Aber auch "Männerberufe" schnitten nicht gut ab. Der Beruf der Automechanikerin wird mit 2 Nennungen und der Hufschmiedin mit 8 Nennungen gewählt.

Bei der entsprechenden Frage nach den uninteressanten Berufen steht der der Pfarrerin mit 60 Nennungen an erster Stelle. (Er wurde bei den interessanten Berufen keinmal aufgezählt). Er wird gefolgt von der Automechanikerin (n = 43), der Kosmetikerin (n = 38), der Chemielaborantin (n = 32), der Friseurin (n = 23), der Bibliothekarin (n = 22), der Sekretärin (n = 18), der Rechtsanwältin (n = 18), der Verkäuferin (n = 16) und der Bäuerin (n = 14). Als am wenigsten uninteressant wurden folgende Berufe ausgewählt: Reittherapeutin (n = 0), Tierärztin (n = 0), Reitlehrerin, Pferdepflegerin, Tierarzthelferin, Kinderärztin (je n = 1), Bereiterin, Reiseleiterin (je n = 2), Krankenschwester (n = 3), Schulleh-rerin, Försterin, Architektin (je n = 4), Schauspielerin (n = 5), Polizeibeamtin (n = 6), Kindergärtnerin (n = 8), Jockey (n = 8), Stewardess (n = 10) und Hufschmiedin (n = 11).

Anhand der Auswahl der Berufe zeigt sich, daß Reiterinnen besonders die Berufe schätzen, die Bezug zu Pferden oder anderen Tieren haben.

3.4.10 Sportliche und naturverbundene Orientierung

Es kann angenommen werden, daß Reiterinnen sportlich interessiert und naturverbunden sind. Die naturnahe Orientierung hat sich bereits in den bisherigen Auswertungen gezeigt. Übertragen auf die Schulfächer kann vermutet werden, daß Sport und Biologie beliebter als Deutsch und Mathematik sind. Während das Fach Sport 83% von den Reiterinnen etwas gern bis sehr gern eingestuft wurde (n = 112), traf diese bei 65,4% der Mädchen auf das 99 ______

Fach Biologie zu (n = 104). Mathematik (n = 113) mochten 53,9% (Skalenwert 5-7) und Deutsch 49,5% (n = 111). Bei Mathematik waren die Reiterinnen geteilter Meinungen, denn 27,4% hatten sehr ungern Mathematikunterricht.

Sport

50 44,6 45 P 40 r 35 30,4 o 30 z 25 e 20 n 15 t 10 7,1 8 4,5 5 3,6 1,8 0 sehr ungern etwas weder etwas gern sehr ungern ungern noch gern gern

Abb. 47: Beliebtheitsgrad des Schulfachs Sport (n = 112)

Das Interesse an Sport und der Natur wird demnach auf den Unterricht übertragen.

Die Frage "Wie gern gehst Du zur Schule" wurde von den Mädchen sehr individuell beantwortet, so daß eine breitgefächerte Antwortenverteilung entstand (sehr ungern= 16,7%, ungern= 9,4%, etwas ungern= 11,6%, weder noch= 18,8%, etwas gern= 5,8%, gern= 9,4% und sehr gern= 10,1%).

3.4.11 Wichtigkeit reitsportlichen Erfolges

Der reitsportliche Erfolg war den meisten der befragten Mädchen und Frauen nicht wichtig. Denn 54,3% nahmen nicht an Turnieren oder anderen Reitwettkämpfen teil. Den Reiterinnen, die an Turnieren teilnahmen, war es zu 82,9% (n = 76) unwichtig, zu gewinnen.

Dieses Ergebnis entspricht in der Aussage den zuvor gewonnen Resultaten. Es zeigt sich, daß die Reiterinnen nicht allzu großen Wert auf eine Turnierteilnahme legen.

Bei dem Großteil der Befragten konnte davon ausgegangen werden, daß sie keine Turnierreiterinnen, sondern eher Freizeitreiterinnen waren, die mit dem Pferd sicherlich auch feste Ziele anstreben, aber nicht um Erfolge auf Turnieren kämpfen. Die Bindung zum Pferd war für sie wichtiger als der Erfolg.

100 ______

Diese Einstellung wird von einer steigenden Zahl von Reiterninnen begrüßt, so daß bereits von der FN neue Unterrichtsziele angestrebt werden. 1986 wurde der "Fachübungsleiter Reiten (Breitensport)" neu eingeführt (Jahresbericht der FN 1990, 68).

3.5 Zusammenfassung der Untersuchung

Zur Ergründung des Phänomens der Faszination von Mädchen und Frauen für die Sportart Reiten wurden psychologische und sozialpsychologische Theorien heran-gezogen. Auf dem Hintergrund psychologischer Deutungsmöglichkeiten fand eine Beschäftigung mit der Bindungstheorie von BOWLBY (1975) statt. Sozial-psychologischen Deutungsmöglich- keiten wurde anhand der Erwartungs-Wert- und Austauschtheorie von BERGLER (1986) nachgegangen. Aus den Deutungsmöglichkeiten konnten folgende Hypothesen abgeleitet werden: Lebenszeitliche Bindung, Idealisierung des Pferdes, Dominanz des Pferdes in der Bindungshierarchie, hohe emotionale Wertigkeit des Pferdes, existenzielle Wichtigkeit des Pferdes, psychische und räumliche Nähe zum Pferd, Dominanz der positiven Wert- zuordnung, Dominanz des Pferdes bzw. des Reitens bei den Freizeitbe-schäftigungen, pferdenahe Berufsorientierung, sportliche und naturverbundene Orien-tierung und Wichtigkeit reitsportlichen Erfolges.

Anhand eines speziell nach den Hypothesen entworfenen Fragebogens wurden die Vorhersagen überprüft. Es wurden 138 Reiterinnen verschiedener Altersklassen in unterschiedlichen Reitvereinen und Ponyhöfen befragt. Die zuvor gebildeten Hypothesen konnten bestätigt werden, die hohe Bedeutung des Beziehungssystems Reiterin - Pferd kommt deutlich zum Ausdruck. Die Faszination der Sportart Reiten für Frauen und Mädchen beruht stark auf einem Bindungphänomen.

Die Bindung reicht so weit, daß die meisten Befragten ihr ganzes Leben lang reiten und auch eine lebenszeitliche Bindung mit dem Pferd eingehen wollen, d.h. ein Pferd besitzen wollen.

Die lebenszeitliche Bindung ist altersunabhängig. Sie ist jedoch nicht unabhängig vom Besitz eines Pferdes. Reiterinnen, die ein Pferd besitzen, sind überzeugter, immer den Reitsport auszuüben.

Die Idealisierung des eigenen Pferdes oder des Pflegepferdes zeigt sich anhand des Vergleichs mit anderen Pferden. Das eigene Pferd wird bis auf einige Ausnahmen immer besser bewertet. Besonders deutlich wird die Idealisierung bei den nicht eindeutig über- prüfbaren Werten den Pferdes, wie Gehorsamkeit, Anhänglichkeit, Rittigkeit, Verschmust- heit und die Willensstärke. Die Reiterinnen glauben, daß das eigene Pferd auch lieber und treuer als andere Pferde ist und gut zu ihnen paßt.

Die Idealisierung des eigenen Pferdes ist umso stärker, je jünger die Befragten sind.

Ebenso eindeutig fällt die Nicht-Austauschbarkeit des Pferdes aus. Die meisten Reiterinnen würden ihr Pferd nicht hergeben, auch wenn sie ein besonders gutes Pferd dafür bekämen. Sogar im Krankheitsfall ihres Pferdes würden die Reiterinnen lieber ihr Pferd pflegen und auf das Reiten verzichten. 101 ______

Die Dominanz des Pferdes in der Bindungshierarchie kann als weiteres Ergebnis der Untersuchung festgehalten werden. Bei der Zuordnung der Wichtigkeit der Bindungs- personen wurde das Pferd hinter der Mutter an die zweite Stelle gesetzt. Das Pferd wird demnach von den Befragten wichtiger als der eigene Vater eingestuft. Ebenfalls sehr wichtig sind andere Haustiere für die Mädchen und Frauen. Auch hier wird die Wichtigkeit des Pferdes besonders von jüngeren Mädchen hoch eingeschätzt.

Die hohe emotionale Wertigkeit des Pferdes kann dadurch beurteilt werden, daß sich die Reiterinnen beim Reiten glücklich, unternehmungslustig, frei, entspannt und sicher fühlen. Außerdem sind sie stolz und fühlen sich innig mit ihrem Pferd verbunden. Die Mädchen und Frauen sind beim Reiten nicht ängstlich oder verkrampft, noch fühlen sie sich ausgeliefert und auch nicht durch Verbote eingeengt.

Diese positive Einschätzung der Gefühle beim Reiten trägt enorm zum Wohlbefinden der Reiterinnen bei, was sicherlich auf die Faszination des Pferdes und des Reitsportes großen Einfluß hat.

Die existenzielle Wichtigkeit des Pferdes kommt durch die Darstellung einer fiktiven Katastrophensituation zum Ausdruck. Der Großteil der Befragten würde versuchen, das Pferd auf der Flucht mitzunehmen. Nur sehr wenige konnten sich vorstellen, das Pferd bei einer Flucht zurückzulassen. Ebenso zählten fast alle Mädchen und Frauen das Pferd zu den drei Dingen, die sie mit auf eine einsame Insel nehmen würden.

Auch mit dem Verkauf des Pferdes könnten sich die Reiterinnen nicht abfinden. Die meisten würden versuchen, den Kauf durch Zureden zu verhindern. Andere würden sogar mit dem Pferd weglaufen oder Geld stehlen, um das Pferd kaufen zu können. Einige würden sich mit dem Käufer einigen, daß sie das Pferd öfters sehen könnten.

Abb. 48: Foto S. Schädlich

102 ______

Die Liebe zu dem Pferd bewirkt, daß die Befragten die räumliche und psychische Nähe zu dem Tier suchen. Am liebsten möchten sie in unmittelbarer Nähe mit ihrem Pferd leben, entweder auf dem selben Grundstück oder, besonders die jüngeren Reiterinnen, direkt mit ihm im Stall.

Auch psychisch fühlen sich die Mädchen und Frauen ihrem Pferd sehr verbunden. Sie glauben, daß ihr Pferd ihre Stimmungen und Gefühle meist besser als andere Pferde oder sogar Menschen merkt.

Außerdem kann festgehalten werden, daß in der Kosten-Nutzen-Aufrechnung die Dominanz des Pferdes sehr auffällig ist. Die Reiterinnen lernen durch das Pferd die Natur viel besser kennen und verstehen, sie können sich von ihrem Pferd trösten lassen, finden beim Pferd neue Kraft, glauben, daß ihr Pferd sie braucht und erlangen ein besseres Durchsetzungsvermögen. Außerdem glauben sie, daß ihr Pferd immer für sie da ist, egal ob sie traurig oder fröhlich sind.

Die Amazonen glauben nicht, daß das Pferd viel Geld kostet, welches sie gern für andere Dinge ausgeben würden und daß das Pferd sie in ihrer Freizeit einschränkt. Das Pferd ist ihnen auch nicht lästig.

Die Dominanz des Pferdes bzw. des Reitsports bei den Freizeitbeschäftigungen ist überwältigend hoch. Fast einheitlich gern reiten die Befragten ins Gelände, nehmen Reitstunden oder streicheln ihr Pferd. Auch putzen sie gern ihr Pferd, beobachten Pferde auf der Weide, sehen gern Pferdefilme und lesen gern Pferdebücher. Im Gegensatz zu den anderen pferdebezogenen Beschäftigungen sind die Meinungen über die Beliebtheit beim Stallreinigen nicht ganz so einheitlich, dennoch reinigen die meisten Befragten gern den Stall.

Andere Freizeitbeschäftigungen, vor allem die mädchentypischen, stehen dagegen in der Beliebtheitsskala zurück.

Nur die Beschäftigung mit anderen Haustieren und das Hören von Musik ist ebenfalls sehr beliebt.

Die Berufsorientierung der Mädchen und Frauen fällt entsprechend pferde- bzw. tiernah aus. Besonders beliebt ist der Beruf der Tierärztin, der Pferdepflegerin, der Reitlehrerin. Besonders unbeliebt sind dagegen die Berufe Pfarrerin, Auto-mechanikerin, Kosmetikerin, Chemielaborantin, Friseurin und Bibliothekarin.

Die sportliche und naturverbundene Orientierung der Reiterinnen spiegelt sich sogar in den Schulfächern wider. Besonders beliebt ist das Fach Sport, etwas weniger beliebt, jedoch auch noch interessant ist das Fach Biologie.

Die Wichtigkeit des reitsportlichen Erfolges ist für die befragten Reiterinnen eher unrelevant. Wenn sie überhaupt an Turnieren teilnehmen, ist es ihnen nicht wichtig, zu gewinnen. 103 ______

4.

Resümee und Ausblick

Die Bindungstheorie von BOWLBY, die Erwartungs-Wert-Theorie bzw. die Austausch- Theorie von BERGLER haben sich für die Untersuchung gut bewährt. Es zeigt sich eindeutig, daß die Faszination von Mädchen und Frauen für die Sportart Reiten, auf einem Bindungsphänomen beruht. Dieses Phänomen bezieht sich aber nicht nur auf Mädchen, sondern auch auf Frauen. Das Pferd stellt demnach nur teilweise ein "Übergangsobjekt" oder "Zwischenglied" zwischen der Ablösung vom Elternhaus und der Bin- dungsneuorientierung dar. Frauen können durchaus die gleiche Bindung zu ihrem Pferd aufbauen, wie Mädchen. Vielleicht sehen sie die Beziehung zu ihrem Pferd etwas realistischer, doch anhand der Ergebnisse ist auch bei den Frauen eine starke Bindung zum Pferd erkennbar. Die Bindung zum Pferd erscheint also eher überdauernd, ja lebenszeitlich zu sein und relativ unabhängig von anderen Bindungsprozessen.

Um die tiefen Beziehungsstrukturen zwischen Frauen und ihren Pferden besser deuten zu können, wäre eine Durchführung von narrativen Interviews mit älteren Reiterinnen geeignet. Interessant könnte sein, Reiterinnen zu befragen, die zwischenzeitlich, z.B. wegen der Geburt eines Kindes, mit dem Reitsport aufgehört oder das Reiten völlig aufgegeben haben. Die von den Frauen genannten Gründe könnten Aufschluß über das Ende bzw. das Wie- deraufleben der Beziehungsstrukturen geben.

Es ist anzunehmen, daß diese Befragung schon eine breite Schicht der jüngeren Reiterinnen erfaßt hat, doch muß vor einer Überinterpretation der Ergebnisse gewarnt werden. Sie sprechen mit Sicherheit nicht für alle Reiterinnen.

Das Bindungsphänomen und die Idealisierung des Pferdes sind vermutlich bei Turnierreiterinnen geringer ausgeprägt, wenn diese ausschließlich auf Erfolg bedacht sind. Auch die Ergebnisse im Bereich der Nicht-Austauschbarkeit und der existenziellen Wichtigkeit würden wahrscheinlich nicht so eindeutig ausfallen. Bei den Befragten der vorliegenden Untersuchungen spielte der Turniersport aber keine wesentliche Rolle.

Die Befragung von Turnierreiterinnen könnte eventuelle Unterschiede zu den Meinungen der bisher befragten Mädchen und Frauen aufzeigen und andere Tendenzen als die hier festgestellten wiedergeben.

Wie häufig in den Erklärungsversuchen erwähnt wird, hat Reiten viel mit der Natur zu tun. Reiterinnen suchen scheinbar direkt nach dem Kontakt mit der Natur und lieben sie. Bei den 104 ______

Ergebnissen zeigte sich immer wieder eine Bevorzugung der Dinge, die natürlich oder lebendig sind .

Anhand einer Untersuchung könnte demnach auch geklärt werden, ob Mädchen und Frauen, die direkten Zugang zur Natur haben, auch eher als andere zum Reitsport kommen. Wird davon ausgegangen, daß die Bevölkerung in ländlicher Gegend eher als Menschen aus der Stadt mit Natur und demnach auch mit Pferden in Kontakt kommen, könnte eine Dominanz der ländlichen Bevölkerung im Reitsport erwartet werden. Ein Stadt/Land-Vergleich würde aufzeigen, ob der naturnahe Wohnort gleichzeitig Interesse an naturnahen Sportarten wie z.B. Reiten begünstigt.

Obwohl die vorliegende Untersuchung eine Reihe von Ergebnissen gebracht hat, sind noch viele Fragen zur Deutung des Phänomens der Faszination von Mädchen und Frauen für die Sportart Reiten offen. Eine Klärung weiterer Fragen wäre sicherlich sinnvoll. 105 ______

5.

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6.

Anhang

Fragebogen

Auflistung der schriftlichen Beantwortung der freien Fragen