SFB 5 8 0 Gesellschaftliche Diskontinuität Le b e n n a c h d e m Ma n d a t Entwicklungen Tr adition nach dem Systemumbruch Strukturbildung

Ei n e St u d i e z u e h e m a l i g e n Abgeordneten

Michael Edinger & Bertram Schwarz

SFB 580 Mitteilungen 2009 35 35 SFB 580 Mi t t e i l u n g Heft 35, Juni 2009 Sonderforschungsbereich 580 Leben nach dem Mandat. Eine Studie zu ehemaligen Abgeordneten

Sprecher: Prof. Dr. Everhard Holtmann Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Institut für Politikwissenschaft und Japanologie Geschäftsführung SFB 580 Bachstr. 18k 07743 Jena Tel.: +49 (0) 3641/ 945050 Email: [email protected]

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Dr. Michael Edinger Sonderforschungsbereich 580 Bachstr. 18k 07743 Jena Tel.: +49 (0) 3641/ 945055 Email: [email protected]

Logo: Elisabeth Blum; Peter Neitzke (Zürich) Cover & Satz: Romana Lutzack Druck: Universität Jena ISSN: 1619-6171

Diese Arbeit ist im Sonderforschungsbereich 580 „Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Struk- turbildung“ entstanden und wurde auf seine Veranlassung unter Verwendung der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt. Alle Rechte vorbehalten.

(2006) ISSN 1619-6171 SFB 5 8 0 Gesellschaftliche Diskontinuität Entwicklungen Tradition nach dem Systemumbruch Strukturbildung

Le b e n n a c h d e m Ma n d a t

Ei n e St u d i e z u e h e m a l i g e n Ab g e o r d n e t e n InhaltsverzeichnisReferencesLiteratur

Kapitel

Ehemalige Abgeordnete unter der Forscherlupe

1. Warum sich eine Untersuchung lohnt ...... 6 1 2. Untersuchungsgegenstand und Sample: Basisinfor- mationen zur Jenaer Ehemaligenbefragung ...... 9

Vorgetäuschte Freiwilligkeit? Zu den Gründen des Ausscheidens aus dem Parlament ...... 13 2

Der Ausstieg als Aufstieg: Das Parlament als Sprungbrett in andere politische Ämter? ...... 20 3

Wohin nach dem Mandat? Zum beruflichen Verbleib der Ausgeschiedenen 4 1. Neuorientierung oder Rückkehr? Zur anschließenden Berufstätigkeit ...... 27 2. Türöffner für die Interessengruppen: Vom Parlamentarier zum Lobbyisten? ...... 31 3. Postparlamentarisches Prekariat: Larmoyanz oder Realität? ...... 34

Nach der Ochsentour: Auch weiterhin Parteipolitiker?

1. Versorgungsposten und Parteipatronage: Legende 5 oder Wirklichkeit? ...... 37 Seitepage 4 2. Bis dass der Tod uns scheidet...? Die ehemaligen Abgeordneten und ihre Partei ...... 39 3. Aus den Augen, aus dem Sinn? Die Partei und ihre ehemaligen Abgeordneten ...... 44 InhaltsverzeichnisReferencesLiteratur

Kapitel

Politisches Engagement ehemaliger Abgeordneter

1. Politiker – auch ohne Amt und Mandat? ...... 47 6 2. Kommunalpolitik als „Ersatzbefriedigung“? ...... 52

Politik im Rückspiegel

1. Blick zurück ohne Zorn: Karrieregewissheit statt 7 Enttäuschung? ...... 58 2. Distanz zur früheren Tätigkeit? Soziale Einbindung und die Einstellungen zum Parlament im Wandel ...... 61

Leben nach dem Mandat – Bilanz und Ausblick ...... 67 8

Literatur ...... 79

Autoren ...... 81

Seitepage 5 Ehemalige AbgeordneteReferencesLiteratur unter der Forscherlupe

1.1 Wa r u m s i c h e i n e Un t e r s u c h u n g l o h n t

aben Sie sich vielleicht auch schon einmal gefragt, was denn eigentlich Claudia Nolte, jüngste Ministerin in der Geschichte der Bundesrepublik und lang- jährigeH Bundestagsabgeordnete, heute macht? 1 Oder wo Hildegard Müller, Merkel-Vertraute und zeitweilige Staatsministerin im Kanzler- amt, nach dem Ausscheiden aus dem Bundes- tag verblieben ist? Immer häufiger verlieren wir Themen und mit ihnen die Personen, die diese prägten, aus dem Fokus, sobald sie die große Bühne verlassen haben und Medien wie Ge- sellschaft den Blick auf andere Dinge richten.

So hat sich die bisherige Abgeordnetenfor- schung vorwiegend auf den Weg ins Mandat Eh e m a l i g e Ab g e o r d n e t e u n t e r d e r konzentriert (Rush 1994; Patzelt 1996; Norris Fo r s c h e r l u p e 1997; Gruber 2008). Und in der Tat: Für viele Abgeordnete stellt dieses den Höhepunkt der politischen wie beruflichen Karriere dar. Eini- ge von ihnen verabschieden sich zudem nach dem Ende der Abgeordnetentätigkeit in den Ruhestand. Was aber ist mit all denjenigen, auf die dieses Muster nicht zutrifft? Etwa mit jenen Abgeordneten, die zwar mehrere Legis- laturen im Parlament „überlebt“ haben, nach dem Ausscheiden aber noch zu jung sind (oder sich entsprechend fühlen), um in Pension zu gehen? Oder mit den „Episodikern“, für die die Abgeordnetenzeit nur ein kurzes berufliches Intermezzo darstellt, nach dessen Beendigung der Lebensunterhalt wieder auf „bürgerlichem“ Seitepage 6 Wege bestritten werden muss?

Schon diese wenigen Fragen verdeutlichen, dass die Perspektiven ehemaliger Abgeordneter zum Verständnis beruflicher Politik und ihrer Akteure Wichtiges beitragen können. Deshalb Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

soll mit der vorliegenden Publikation diese die ehemaligen Parlamentarier, die in der be- Schattenstelle der Parlaments- und Abgeord- ruflichen Politik verblieben sind. Sie wollten netenforschung ein Stück weit ausgeleuchtet ihre Karriere nicht mit der Übernahme eines werden. Die systematische Beschäftigung mit Abgeordnetenmandates krönen, sondern den Ehemaligen verspricht eine Reihe von dieses womöglich als Sprungbrett in höhere Erkenntnissen, die die Befunde der konven- Weihen einsetzen (vgl. Kap. 3). Dem beruf- tionellen Untersuchung von Rekrutierungs- lichen Verbleib der übrigen Ex-Parlamentarier mustern oder parlamentarischer Professionali- ist das Kapitel 4 gewidmet. Darin gehen wir sierung ergänzen. So lassen sich beispielsweise unter anderem den Fragen nach, wie viele Ab- die Karrierewege von Parlamentariern besser geordnete in ihren alten Beruf zurückkehrten, einschätzen, wenn ihr beruflicher Verbleib nach und wie schwer ihnen diese Rückkehr – oder dem Mandat in die Untersuchung einbezogen alternativ eine berufliche Neuorientierung – wird. Des Weiteren werden Aussagen zur poli- nach etlichen Jahren im oder einem tischen und sozialen Einbindung früherer Ab- Landtag fiel. Die Beantwortung dieser Fragen geordneter und zu ihrer postparlamentarischen wird ergänzt durch die Untersuchung einer Position in der Gesellschaft möglich. Grauzone postparlamentarischer Karrieren – des Wechsels in den Lobbyismus. Ist dieser Im Folgenden wird vorrangig auf jene Aspekte tatsächlich ein Auffangbecken ehemaliger eingegangen, die in den Medien diskutiert Abgeordneter, die auf diesem Wege versuchen, werden und in der öffentlichen Wahrnehmung ihre alten Kontakte zu „vergolden“? Doch auch entsprechend präsent sind. Damit möchten ein anderes Extrem bleibt nicht unberücksich- wir gleichzeitig einen Beitrag dazu leisten, die tigt: die Gruppe von Ehemaligen, denen nach Diskussion über die gewählten Volksvertreter dem Ende des Mandats der soziale Abstieg in Deutschland zu versachlichen. Wenn im droht. Ergebnis manche in der Publizistik und wo- möglich auch in der Forschung gängige An- Die Rolle der Parteien ist ein weiterer nahmen und Bewertungen auf den Prüfstand zentraler Punkt der Betrachtungen. Dabei geraten sollten, würde dies der maßgeblich von werden zunächst deren Patronagepotenzial, den Abgeordneten mitgestalteten parlamenta- sodann die Beziehungen zwischen Partei und rischen Demokratie nicht zum Schaden gerei- Ehemaligen in Augenschein genommen (vgl. chen. Dabei schauen wir zunächst darauf, wie Kap. 5). Hier gehen wir den Fragen nach, ob und weshalb Abgeordnete aus dem Parlament sich loyale Abgeordnete keine Sorgen um ausscheiden (vgl. Kap. 2). Für den weiteren einen anschließenden Posten machen beruflichen und politischen Werdegang dürfte müssen oder ob sie nach dem Aus- vor allem relevant sein, ob der Ausstieg freiwil- scheiden parteiintern ähnlich schnell Seitepage 7 lig erfolgte oder von außen erzwungen wurde. in Vergessenheit geraten wie in der Öffentlichkeit. Dass die Politik nach Mit dem Ende des Mandats muss nicht auto- dem Ende des Mandats auch jenseits von Par- matisch auch die politische Karriere zu Ende tei und Fraktion eine Rolle spielen kann und sein. Daher richtet sich unser Blick sodann auf welche Bedeutung kommunalpolitisches En- Ehemalige AbgeordneteReferencesLiteratur unter der Forscherlupe

gagement für die ausgeschiedenen Parlamen- Adenauer-Stiftung in Serbien; den erneuten tarier hat, ist Gegenstand von Kapitel 6. Auch Einzug in den Deutschen Bundestag (als ein Blick auf die subjektiven Einschätzungen Nachrückerin für den als Kultusminister in der ehemaligen Abgeordneten im Zeitverlauf das Thüringer Landeskabinett gewechselten darf nicht fehlen (vgl. Kap. 7). Wie empfan- Abgeordneten Bernward Müller) lehnte sie den sie ihre Mandatszeit und haben sich ihre 2008 ab. Hildegard Müller hingegen wechselte Einstellungen im Vergleich zur aktiven Zeit in die Wirtschaft. Seit dem 1. Oktober 2008 geändert? Schließlich gilt es im Ausblick Per- ist sie als Hauptgeschäftsführerin des Bundes- spektiven für die weitere Beschäftigung mit verbandes der Energie- und Wasserwirtschaft dem Forschungsgegenstand der Ehemaligen (BDEW) tätig, wofür sie sowohl ihr Amt als zu eröffnen (vgl. Kap. 8). Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin als auch ihr Bundestagsmandat aufgab. Allein Eingangs erwähnte Claudia Nolte, die inzwi- diese beiden Beispiele zeigen, wie vielfältig schen den Namen Crawford trägt, ist übrigens sich der Werdegang ehemaliger Parlamentarier noch immer politisch aktiv. Ihr Tätigkeits- gestalten kann – und dass eine Beschäftigung schwerpunkt liegt nunmehr in Osteuropa. Seit mit diesem Thema mehr als überfällig ist. 2006 leitet sie das Auslandsbüro der Konrad-

Hinweise zum Sprachgebrauch und zu den Prozentangaben

¾¾ Der vorliegende Text bemüht sich um Geschlechterneutralität. Wenn im Folgenden die männliche Form verwendet wird, geschieht dies daher allein aus sprachlichen Gründen. ¾¾ Alle verwendeten Prozentangaben sind, wenn nicht ausdrücklich Anderes angegeben ist, gültige Prozente. ¾¾ Etwaige Abweichungen von 100 Prozent in Tabellen oder Abbildungen sind auf Rundungen zurückzuführen. ¾¾ Umbildungsprozesse in der Parteienlandschaft der Bundesrepublik haben zur Folge, dass die ehemaligen Parlamentarier der PDS bzw. Die Linke. PDS im Text unter der heute gültigen Bezeichnung Die Linke firmieren.

¾¾ Da die bayerischen Landtagsabgeordneten nicht befragt wurden und sich Seitepage 8 unter den befragten ehemaligen Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU nur wenige CSU-Politiker befanden, ist im Weiteren von „CDU“ und „Christdemokraten“ die Rede. Die wenigen christlich-sozialen Bundes- tagsabgeordneten sind dabei immer mit berücksichtigt. Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

1.2 Un t e r s u c h u n g s g e g e n s t a n d u n d realisiert. 2007 folgte dann die Befragung von Sa m p l e : Ba s i s i n f o r m a t i o n e n z u r Je n a e r Ex-Parlamentariern, die in den Jahren 2003 Eh e m a l i g e n b e f r a g u n g bis Anfang 2007 aus dem Parlament ausge- schieden waren und 2003 – noch als Man- Über einige der eingangs angesprochenen datsträger – an der Befragung der seinerzeit Aspekte postparlamentarischer Werdegänge aktuellen Abgeordneten teilgenommen hatten. lassen sich wissenschaftlich belastbare Aussa- Mit Blick auf den Kreis der Befragten sind gen machen, wenn man die Karrierewege von dabei zwei Anmerkungen zu machen: Erstens Abgeordneten über das jeweils letzte Mandat handelt es sich um eine Ehemaligenbefragung hinweg verfolgt. Für einen kleinen Teil der und nicht um eine typische Verbleibsstudie. Ausgeschiedenen ist der postparlamentarische Der Unterschied zu Letzterer besteht darin, Verbleib im Rahmen des Jenaer Forschungspro- dass diejenigen Abgeordneten, die von einem jekts, aus dem diese Studie hervorgegangen ist, Parlament in ein anderes wechselten, nicht dokumentiert. Selbst bei einer vollständigeren, berücksichtigt und folglich auch nicht befragt sich auf die Gesamtheit der ausgeschiedenen worden sind. Zweitens muss eine parlamen- Parlamentarier erstreckenden Dokumentation tarische Karriere mit dem Ausscheiden nicht lassen sich aber zentrale Forschungsfragen notwendig zu Ende sein, ist doch eine erneute allein auf der Basis solcher biografischer Wahl ins Parlament zu einem späteren Zeit- Angaben nicht beantworten. Dazu gehören punkt möglich. Die Antworten dieser wenigen bestimmte politische Aktivitäten außerhalb Ehemaligen, die ihre parlamentarische Karrie- der beruflichen Politik, das ehrenamtliche re irgendwann nach der Befragung fortgesetzt Engagement und vor allem sämtliche subjek- haben, sind hier gleichwohl berücksichtigt.1 tiven Einschätzungen und retrospektiven Be- wertungen der Akteure. Welchen Stellenwert Der weitgehend strukturierte Fragebogen etwa das Mandat in der politischen Karriere enthielt mehrere Dutzend Fragen zu un- eingenommen hat, wie das Ausscheiden aus terschiedlichen Etappen des politischen dem Parlament erlebt und bewertet worden Werdegangs und war gegen die Chronologie ist oder wie schwierig der Übergang in den angeordnet: Am Anfang standen Fragen nach „bürgerlichen“ Beruf war – all dies ist, wenn den Umständen des Ausscheidens aus dem überhaupt, nur von den Betroffenen selbst zu Parlament und den Aktivitäten nach Mandat; erfahren. erst danach wurden die Zeit im Parlament und ihre retrospektive Bewertung sowie die der Aus diesem Grund ist im Kontext zweier Rekrutierung vorausgehende Phase Surveys, der Ersten und Zweiten Deutschen angesprochen. Das Erkenntnis- Abgeordnetenbefragung, eine größere Zahl interesse richtete sich nicht so sehr Seitepage 9 ehemaliger Parlamentarier interviewt worden. auf die einzelnen Karrierestationen, Zunächst wurden 2003 Telefoninterviews mit die sich teils anhand der verfügbaren zwischen 1991 und 2002 aus dem Deutschen Strukturdaten rekonstruieren lassen, sondern Bundestag und insgesamt zehn Landes- auf die Perzeptionen und Bewertungen der parlamenten ausgeschiedenen Abgeordneten Befragten. Einen Überblick über die Themen- Ehemalige AbgeordneteReferencesLiteratur unter der Forscherlupe

felder und Schwerpunkte der Befragungen gibt dem Selbstverständnis als (Berufs-)Politiker, Tabelle 1. Der Fragebogen erfuhr 2007 nur Statusveränderungen durch das Mandatsende, eine geringe Modifikation. Neu aufgenommen nach ausgewählten politischen Einstellungen wurden – oftmals in Analogie zur Befragung und nach persönlichen Eigenschaften. der aktuellen Parlamentarier – Fragen nach

Tabelle 1. Themenfelder und Schwerpunktthemen der Befragungen ehemaliger Abgeordneter

Themenfelder Schwerpunkthemen

Umstände des Ausscheidens Ausscheiden aus dem Parlament und Berufliche Tätigkeit nach dem Mandat Beruflicher Werdegang nach Mandat Statusveränderung durch Ausscheiden (nur 2007)

Parteipolitische Aktivitäten Politisches Engagement nach Mandat Gesellschaftliche Aktivitäten Kontakte zu Parlament und Abgeordneten

Politik und Beruf Rollenverständnis und Mandats- Arbeit in der Fraktion ausübung (retrospektiv) Parlamentarische Entscheidungsfindung

Parteiaktivitäten und -funktionen Politischer Werdegang vor Mandat Kandidaturen und Nominierungen (retrospektiv) Planbarkeit der politischen Karriere

Einstellungen zu politischen Verfahren Politische Einstellungen Einstellungen zu politischen Streitfragen (nur 2007) Wahrgenommenes Vertrauen in Demokratie

Zufriedenheit mit der Abgeordnetentätigkeit Sonstiges Familiäre Sozialisation (2003) Persönliche Eigenschaften (2007)

Schon aus Kapazitätsgründen war die Parlamente von Baden-Württemberg, es nicht möglich, alle seit der deut- Hessen, dem Saarland und Schleswig- Seitepage 10 schen Vereinigung ausgeschiedenen Holstein.2 Hinzu kamen zahlreiche Ausfälle Bundestags- und Landtagsabgeord- vor allem unter den in der ersten Hälfte der neten zu befragen. Daher wurde die 1990er Jahre ausgeschiedenen Abgeordneten. Auswahl auf der Landesebene auf zehn Parla- Einige von ihnen waren bereits verstorben oder mente beschränkt, darunter alle ostdeutschen schwer erkrankt, viel öfter aber ließen sich kei- Landtage, das Berliner Abgeordnetenhaus und ne Kontaktkoordinaten ermitteln. Die letztlich Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

kontaktierten Ex-Parlamentarier zeigten so Befragungsbeginn ausgeschiedenen Parla- großes Interesse an der Befragung, dass 2003 mentarier befragt wurden, die bereits vier nicht alle Auskunftsbereiten unter ihnen inter- Jahre zuvor als Mandatsinhaber an der Abge- viewt werden konnten. ordnetenbefragung teilgenommen hatten. Die Ausschöpfungsquote der zweiten Befragung Gleichwohl stellt die Jenaer Ehemaligenbefra- lag deswegen mit über 75 Prozent extrem gung 2003 die erste quantitative Untersuchung hoch. Von allen zwischen 2003 und Anfang ihrer Art in Deutschland und mutmaßlich 2007 aus den Untersuchungsparlamenten eine der ersten in ganz Europa dar. In ihrem ausgeschiedenen Abgeordneten wurden im- Rahmen konnten weit über 500 im Schnitt merhin mehr als die Hälfte interviewt. Die 45-minütige Telefoninterviews geführt werden insgesamt gut 800 Interviews mit ehemaligen (Tab. 2). Dies entspricht etwa 30 Prozent der Parlamentariern ermöglichen zuverlässige in den ausgewählten Parlamenten von 1991 Aussagen auch für verschiedene Teilgruppen bis 2002 Ausgeschiedenen. Im Jahr 2007 war wie beispielsweise die ostdeutschen Landtags- die Zahl der Befragten deutlich geringer, weil abgeordneten oder die weiblichen Abgeord- lediglich diejenigen zwischen 2003 und dem neten mit längerer Mandatserfahrung.

Tabelle 2. Überblick über die Zusammensetzung der befragten ehemaligen Abgeordneten

Befragte

2007 2003 insgesamt

Alle 248 554 802

nach Ebene Bundestag 28 167 195 Landesparlamente* 220 387 607 nach Geschlecht Frauen 87 140 227 Männer 161 414 575

nach Region (wo gewählt?) Westdeutschland 101 324 425 Ostdeutschland 147 230 377 nach Mandatsdauer** Seitepage 11 Episodiker (ein Mandat) 61 213 274 Erfahrene (mindest. 2 Mandate) 187 341 528

* alle ostdeutschen Landtage, Berliner Abgeordnetenhaus und die Landesparlamente von Baden-Württemberg, Hessen, Schleswig-Holstein und des Saarlands ** im selben Parlament Ehemalige AbgeordneteReferencesLiteratur unter der Forscherlupe

Obgleich die Befragung nicht den Anspruch der Zeit haben sich die Rekrutierungsmuster auf volle Repräsentativität erheben kann, und Verweildauern unter den in Ostdeutsch- entsprechen die Befragten doch in vielen so- land gewählten Abgeordneten deutlich den ziodemografischen und vor allem in karriere- westdeutschen Werten angenähert. Vor diesem politisch zentralen Merkmalen den gut 3.400 Hintergrund erscheint es sinnvoll, bei einigen Abgeordneten, die zwischen 1991 und 2008 Analysen insbesondere zwischen ost- und ausgeschieden sind und das parlamentarische westdeutschen Ex-Parlamentariern zu diffe- Parkett des Deutschen Bundestags oder eines renzieren. Landesparlaments verlassen haben.3 So sind die Anteile von Bundestags- und Landtags- abgeordneten und von Frauen und Männern unter den Befragten ein fast getreues Abbild aller in diesem Zeitraum ausgeschiedenen Parlamentarier.4 Wie diese waren die Befrag- ten zum Ende ihres Mandats im Schnitt 55 Jahre alt und hatten dem jeweiligen Parlament bis dahin etwa zehn Jahre angehört. Ebenfalls analog zur Grundgesamtheit der Ehemaligen schied knapp ein Drittel von ihnen bereits nach dem ersten Mandat aus.

Für die Befragten genau so wie für die ehema- ligen Parlamentarier insgesamt verdecken die letzteren Zahlen jedoch die deutlichen Unter- schiede zwischen Bundestag und Landespar- lamenten, Frauen und Männern und vor allem zwischen Ost- und Westdeutschen. Männer, Bundestagsabgeordnete und westdeutsche Mandatsträger waren beim Ausscheiden er- heblich älter als die jeweiligen Vergleichsgrup- pen, wiesen eine signifikant längere Verweil- dauer auf – und sie haben in der Konsequenz häufiger Rentenansprüche erworben. Die besonders markanten Ost-West- Seitepage 12 Unterschiede erklären sich aus der Formationsphase der Demokratie in den neuen Ländern während der 1990er Jahre, als viele politische Amateure den Parlamenten angehörten und sich noch kaum Karrierepfade entwickelt hatten. Im Laufe Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

u den Unwägbarkeiten einer Karriere in der alimentierten Politik gehört nicht nur die zweifelhafte Planbarkeit Zdes Aufstiegs, sondern auch der Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Amt. Was auf der unteren politischen Ebene vor allem mit dem Verlust an Einfluss und damit auch 2 persönlichem Status verbunden ist, gewinnt an der Schnittstelle zum Berufspolitiker eine finanzielle Dimension, die in einigen Fällen als existenziell bezeichnet werden kann. Die Entwicklung der Politik zu einer dauerhaften Einnahmequelle hat bereits Max Weber in sei- nem berühmten Vortrag zur Politik als Beruf analysiert, in dem er diejenigen Politiker, die „für“ die Politik leben, von denen unterschied, die „von“ der Politik leben (Weber 1991). Die- se Unterscheidung trifft zwar nicht nur auf das Vo r g e t ä u s c h t e Fr e i w i l l i g k e i t ? Berufsfeld der Politik allein zu. Im Gegensatz Zu d e n Gr ü n d e n d e s Au ss c h e i d e n s zu einem „bürgerlichen“ Beruf ist die Karriere a u s d e m Pa r l a m e n t als Mandatsträger allerdings öfter eine bloße Episode in der Erwerbsbiographie eines Ab- geordneten. Die politische – und damit eben auch berufliche – Zukunft dieses Politikertyps ist in der parlamentarischen Demokratie un- mittelbar an den Wahltermin gebunden und unterliegt damit dem strukturellen Risiko der Deselektion. Diese Unsicherheit im Karrie- reverlauf in Kombination mit der Unschärfe der qualifikatorischen Voraussetzungen des Berufsfeldes hat zur Charakterisierung der beruflichen Politik als „prekäres Beschäfti- gungsverhältnis“ geführt (Best/Jahr 2006). Seitepage 13 Mag für viele Parlamentarier das Landtags- oder Bundestagsmandat die Krönung der politischen und beruflichen Karriere sein, die am Ende einer oft jahrzehn- telangen Parteilaufbahn steht, so ist eine nicht VorgetäuschteReferencesLiteratur Freiwilligkeit?

unerhebliche Zahl der ausgeschiedenen Abge- behaltung des Mandats sind dabei die erneute ordneten auch nach ihrem Abschied aus dem Kandidatur des Mandatsträgers und seine Parlament noch auf Erwerbsarbeit angewie- Re-Nominierung durch die eigene Partei.5 sen. Daher liegt die Vermutung nahe, dass sich Infolgedessen lassen sich mit Blick auf die Abgeordnete in den seltensten Fällen freiwillig anstehenden Wahlen zunächst drei Möglich- aus dem Parlament verabschieden, da mit dem keiten des Ausscheidens unterscheiden: erstens Mandat ein attraktives Einkommen und ein der Verzicht auf eine erneute Kandidatur, hoher sozialer Status verbunden sind. Über zweitens das erfolglose Bemühen um eine Re- die Gründe, weshalb Abgeordnete aus dem Nominierung und im Fall der erneuten Nomi- Parlament ausscheiden, fehlt es in Deutsch- nierung drittens eine erfolglose Kandidatur. land bislang an gesicherten, das heißt wis- senschaftlich belastbaren Kenntnissen, nicht Das Kriterium der erneuten Kandidatur/No- aber an Mutmaßungen und Spekulationen. minierung ist freilich für die (mit etwa zehn Prozent der Befragten vergleichsweise kleine) In der Öffentlichkeit dürfte dabei die Vor- Gruppe derjenigen Abgeordneten nicht zentral, stellung vorherrschen, dass Abgeordnete die während einer Legislaturperiode ihr Man- keinesfalls freiwillig „ihr“ Parlament verlassen, dat niederlegt haben. Eine solche Entscheidung sondern dazu in aller Regel gedrängt oder ist, sieht man von privaten Notsituationen ab, in gezwungen werden. Diese Vermutung gilt aller Regel freiwillig und geht meist mit einer jedenfalls solange, wie das Ausscheiden nicht beruflichen Veränderung einher. Diese kann altersbedingt erfolgt, die Mandatsträger für die vorzeitig Ausgeschiedenen aus der alimen- die Zeit nach dem Ausscheiden ausreichend tierten Politik in die Privatwirtschaft führen, abgesichert sind oder sie vom Parlament in oder aber einen Karrieresprung im Sinne eines attraktive berufliche Positionen wechseln. Wechsels in höherrangige Positionen ggf. auf Zwar können weder die Selbstauskünfte (ehe- einer anderen politischen Ebene bedeuten. In maliger) Abgeordneter noch die Kenntnisse jedem Fall lässt die anzunehmende Freiwil- über ihre Tätigkeiten nach dem Mandatsende ligkeit das Vorhandensein einer beruflichen verlässlich Auskunft über die Freiwilligkeit des (und damit womöglich auch berufspolitischen) Ausscheidens geben, doch bietet die Verknüp- Option im Anschluss vermuten. Von diesen fung von entsprechenden Einstellungs- und Abgeordneten hat naheliegenderweise kaum Karrierestrukturdaten ein solides empirisches jemand bei der nächsten Wahl kandidiert; da- Fundament für entsprechende Analysen. her werden sie hier zunächst ausgeklammert.

Da Abgeordnete nicht abberufen wer- Von den Parlamentariern, die zum Ende der Seitepage 14 den können und eine Aberkennung Legislaturperiode aus dem Parlament ausge- des Mandats nur in Ausnahmefällen schieden sind, gaben nahezu zwei Drittel an, erfolgt, sind die kommenden Wahlen nicht wieder kandidiert zu haben. Gut neun in aller Regel das Moment, zu dem die Ent- Prozent haben zwar kandidiert, sind aber von scheidung über einen Verbleib im Parlament der eigenen Partei nicht wieder aufgestellt fällt. Notwendige Bedingungen für die Bei- worden. Dem verbleibenden Viertel wiederum Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

ist trotz erneuter Nominierung durch die Partei nicht im Umkehrschluss davon ausgegangen der Verbleib im Parlament qua Wählervotum werden, dass sie das jeweilige Parlament verwehrt worden (Tab. 3). Zumindest für die freiwillig verlassen haben. Vielmehr könnte beiden zuletzt genannten Gruppen und damit das unfreiwillige Ausscheiden in der Wahr- für ein gutes Drittel der ausgeschiedenen Par- nehmung mancher Betroffener mit dem lamentarier dürfte daher feststehen, dass sie Makel mangelnden Erfolgs behaftet sein und unfreiwillig ihr Mandat abgegeben haben. In insofern der Eindruck eines Mandatsverzichts allen diesen Fällen kann mit Fug und Recht vermittelt werden, obwohl das Ausscheiden von einem Mandatsverlust gesprochen werden. de facto fremdgeleitet war. Tatsächlich gaben Ob dieser allerdings vorwiegend auf veränder- einige ehemalige Abgeordnete an, aus dem te Präferenzen der Wählerschaft zurückgeht Parlament ausgeschieden zu sein, weil sie die oder eher in den Entscheidungen der Parteien Chancen einer erneuten Nominierung gering begründet liegt, ist schwer nachzuvollziehen. einschätzten. Allerdings handelt es sich dabei Eine scheiternde Wiederwahl kann nämlich um eine kleine Minderheit (Tab. 3, Z. 5). auch durch die Nominierung, etwa durch Ähnlich gering ist der Anteil der Abgeordne- eine gegenüber der vorausgegangenen Wahl ten, die kein erneutes Mandat anstrebten, um schlechtere Listenplatzierung bedingt sein. stattdessen für ein anderes politisches Mandat oder Amt zu kandidieren (Tab. 3, Z. 6). Die Einschätzungen der re-nominierten, aber erfolglosen Kandidaten ergeben dabei kein Hingegen verzichteten zwei von drei Ab- klares Bild: Jeweils etwa 40 Prozent unter geordneten, die nicht erneut kandidierten, ihnen gaben als Grund für ihren Misserfolg nach eigenem Bekunden deswegen auf die eine schlechte Listenplatzierung/einen wenig Mandatsverteidigung, weil sie sich aus der aussichtsreichen Wahlkreis bzw. ein ungüns- Berufspolitik zurückziehen wollten (Tab. tiges Wahlergebnis an; das übrige Fünftel 3, Z. 7). Zu einem solchen Rückzug mögen nannte sonstige Gründe (Tab. 3, Zeilen einzelne Parlamentarier von ihrer Fraktion 11-13). Rechnet man die in den innerpar- oder Partei gedrängt worden sein. Dennoch teilichen Auswahlprozessen unterlegenen kann insgesamt ein stärkeres Maß an Frei- Ex-Parlamentarier hinzu, so ist jedenfalls der willigkeit unterstellt werden als bei den zuvor subjektiven Einschätzung nach eine Mehrheit betrachteten Gruppen. Bei den sonstigen der aktiv um eine Wiederwahl bemühten Gründen für den Kandidaturverzicht, wie sie Ex-Parlamentarier an den Selektoren, d.h. an immerhin von jedem vierten Ausgeschiedenen der eigenen Partei gescheitert, nur eine starke ohne erneute Kandidatur genannt Minderheit hingegen durch Wählerentscheid wurden, dominiert mit Abstand das um das Mandat gebracht worden. fortgeschrittene Alter, gefolgt von Seitepage 15 gesundheitlichen Problemen. Da die Ist für die bislang betrachteten Gruppen vor- Ausübung des Mandats an keine Al- maliger Parlamentarier das unfreiwillige Aus- tersgrenze gekoppelt ist, dürfte der Zeitpunkt scheiden unbestritten, so kann bei der größten des Ausstiegs auch in dieser Untergruppe Gruppe, den nicht erneut Kandidierenden, oftmals selbst gewählt worden sein. VorgetäuschteReferencesLiteratur Freiwilligkeit?

Tabelle 3. Taxonomie der von den Ehemaligen angegebenen Gründe für das Ausscheiden aus dem Parlament

Zeitpunkt des Anteile Art des Z. Gründe des Ausscheidens Ausscheidens in % Ausscheidens während der LP 2 10 freiwillig ausgeschieden (n=77) am Ende der LP 3 90 ausgeschieden (n=725) darunter:

nicht mehr 64 4 kandidiert (n=453) darunter: erneute Kandidatur 5 4 unfreiwillig nicht aussichtsreich Bewerbung um 6 3 freiwillig anderes Amt Rückzug aus 7 66 freiwillig Berufspolitik

8 Alter, Gesundheit etc. 27 unklar

kandidiert, aber nicht 9 9 unfreiwillig nominiert (n=64)

nominiert, aber nicht 27 unfreiwillig 10 gewählt (n=190) darunter ungünstiger Listen- 11 39 platz/Wahlkreis

12 Wahlergebnis 41

13 Sonstiges 20

Art des Ausscheidens

14 sicherlich unfreiwillig Ausgeschiedene (Mandatsverlust) 34 15 wahrscheinlich freiwillig Ausgeschiedene (Mandatsverzicht) 48 16 Art des Ausscheidens unklar 18

Seitepage 16 Bei aller fortbestehenden Ungewiss- bei denen die (mutmaßliche) Beendigung der heit über die genaue Motivation des parlamentarischen Karriere zumindest teilweise Ausscheidens erscheint es doch sinn- im eigenen Ermessen stand (Mandatsverzicht). voll, im Folgenden jene ehemaligen Abgeord- Dabei interessieren weniger die genauen Anteile neten, die offenkundig einen Mandatsverlust der durch Mandatsverlust bzw. Mandatsverzicht erfahren haben, von denjenigen abzugrenzen, Ausgeschiedenen. Vielmehr sind von einem Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

systematischen Vergleich dieser beiden Ehe- Schnitt bereits das Ende des sechsten Le- maligen-Gruppen Erkenntnisse über Karriere- bensjahrzehnts erreicht und waren damit zum enden und -abbrüche zu erwarten. Darüber Zeitpunkt des Ausstiegs sechs Jahre älter als hinaus dürfte die Freiwilligkeit bzw. Unfreiwil- ihre unfreiwillig ausgeschiedenen Kollegen. ligkeit des Ausscheidens Auswirkungen auf das Zudem verfügten sie über mehr Mandatser- weitere politische Engagement, die berufliche fahrung; dem jeweiligen Parlament gehörten Tätigkeit nach Mandat und womöglich auch sie mit durchschnittlich 12 Jahren fast doppelt auf die retrospektive Bewertung des Parlaments so lange an. Entsprechend finden sich unter haben. ihnen kaum Parlamentarier, die nach nur einer Legislaturperiode ausgeschieden sind. Derar- Der untere Teil der Tabelle 3 (Z. 14-16) gibt tige „Episodiker“ stellen hingegen mit 58 Pro- zunächst Aufschluss über die Anteile der zent die Mehrheit unter den Abgeordneten, jeweiligen Gruppen an allen befragten Ex- die ihr Mandat verloren haben (Abb. 1). Mit Parlamentariern, d.h. unter Einbeziehung der der Dauer der Parlamentszugehörigkeit eng während einer Legislaturperiode Ausgeschie- verknüpft ist der Erwerb von Rentenansprü- denen. Ein gutes Drittel der ehemaligen Ab- chen, der erwartungsgemäß die Beendigung geordneten hat das Mandat gegen den eigenen der parlamentarischen Karriere erleichtert. Willen eingebüßt. Bei knapp der Hälfte der Unter den Befragten mit entsprechenden Befragten hingegen, darunter alle vorzeitig Ansprüchen finden sich denn auch etwa Ausgeschiedenen, ist der Ausstieg nach allen doppelt so viele freiwillig wie unfreiwillig verfügbaren Informationen freiwillig erfolgt; Ausgeschiedene. Bei den ohne Rentenan- sie haben auf ein weiteres Mandat verzichtet. sprüche ausgeschiedenen Abgeordneten ist Daneben besteht eine weitere Gruppe, bei der die Relation zwischen Mandatsverlust und die Gründe des Ausscheidens nicht zuverlässig Mandatsverzicht in etwa umgekehrt. zu bestimmen sind, entweder weil keine Anga- ben gemacht oder weil sonstige Gründe für den Kandidaturverzicht genannt wurden. Auf diese Gruppe wird hier nicht weiter eingegangen. Interessant ist gleichwohl, dass sie strukturell große Ähnlichkeiten mit den freiwillig Ausge- schiedenen aufweist. Offenbar haben auch in dieser Gruppe die meisten Abgeordneten auf eine erneute Kandidatur verzichtet und keines- wegs ihr Mandat verloren. Seitepage 17 Vergleicht man nun die beiden Kontrast- gruppen der freiwillig und unfreiwillig Aus- geschiedenen, so fallen eine Reihe markanter Unterschiede ins Auge. Abgeordnete, die auf ein weiteres Mandat verzichteten, hatten im VorgetäuschteReferencesLiteratur Freiwilligkeit?

Abbildung 1. Freiwillig und unfreiwillig ausgeschiedene Parlamentarier nach Alter, Mandatsdauer und regionaler Herkunft

83 unter 60 Jahren 51

58 Episodiker* 20

61 Ostdeutsche 39

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90

freiwillig Ausgeschiedene unfreiwillig Ausgeschiedene

Lesehilfe: Unter den unfreiwillig Ausgeschiedenen gibt es 83 Prozent, die jünger sind als 60 Jahre, bei den freiwillig Ausgeschiedenen sind es hingegen nur 51 Prozent. * nur ein Mandat im jeweiligen Parlament

Kaum zu überraschen vermögen auch die verliert sein Mandat, bei den übrigen 19 Pro- Unterschiede zwischen den Fraktionen sowie zent sind die Gründe unklar. Im Vergleich der im Ost-West-Vergleich. Die Mitglieder der Ebenen kommt ein Mandatsverlust unter den kleinen Fraktionen schieden zu weit größeren Bundestagsabgeordneten seltener vor als bei Anteilen unfreiwillig aus der Legislative aus, den Landesparlamentariern. oftmals weil sie nicht wiedergewählt wurden. Von den ehemaligen ost- Die bisherige Analyse hat zunächst gezeigt, Seitepage 18 deutschen Abgeordneten haben mehr dass eine Mehrheit der ehemaligen Abgeord- das Parlament unfreiwillig verlassen neten das Parlament primär aus eigenem An- als freiwillig. Unter ihren westdeut- trieb und insoweit „freiwillig“ verließ. Dass in schen Kollegen ist die mit Abstand häufigste der (Medien-)Öffentlichkeit mitunter andere Art des Ausscheidens der Mandatsverzicht; Einschätzungen ventiliert werden, mag zum nur jeder vierte westdeutsche Parlamentarier einen damit zu tun haben, dass altersbezogene Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

Gründe für das Ausscheiden unterschätzt wer- den, während die generelle Mandatsverhaftung der Parlamentarier wiederum überschätzt wird. Im Vergleich der beiden Gruppen konnten darüber hinaus strukturelle Unterschiede zwischen den freiwillig Ausgeschiedenen und denjenigen Parlamentariern, die ihr Mandat verloren haben, ermittelt werden. Diese Un- terschiede sind allesamt plausibel und sprechen damit gleichermaßen für die Datenqualität wie für die Relevanz der in Tabelle 3 dargestellten Taxonomie.

Dass die Freiwilligkeit bzw. Unfreiwilligkeit des Ausscheidens für den weiteren politischen Werdegang von Bedeutung ist, kann am Bei- spiel des Verbleibs in der alimentierten Politik illustriert werden. Unter den vom Mandats- verlust Betroffenen setzt nicht einmal jeder Zehnte seine Karriere in der (beruflichen) Po- litik fort. Bei den freiwillig Ausgeschiedenen liegt der Anteil doppelt so hoch. Entsprechend gibt fast ein Drittel dieser Gruppe an, dass das Parlamentsmandat nicht die wichtigste Position in der politischen Karriere gewesen ist (bei Mandatsverlust: 24 Prozent). Dies legt die Vermutung nahe, dass zumindest für einen Teil der freiwillig Ausscheidenden das Parlament nur eine Zwischenstation auf dem Weg in ein höher bewertetes politisches Amt gewesen ist.

Seitepage 19 Der AusstiegReferencesLiteratur als Aufstieg

ass politische Karrieren von Abgeord- neten nicht auf den hinteren Bänken des Parlaments enden müssen, ist eine Daus der politischen Geschichte der Bundesrepu- blik hinlänglich bekannte Erfahrung. Ein Blick in die Ahnengalerie der Bundesminister etwa zeigt, dass parlamentarische Erfahrungen zwar 3 nicht als hinreichende, aber doch als beinahe unverzichtbare Bedingung für die Berufung ins Bundeskabinett gelten können. Gerade besonders ambitionierte Politiker dürften ihr Mandat kaum als Ende der Karriereleiter denn als eine wichtige Stufe wahrnehmen, von der aus höhere, mit mehr Macht und Prestige aus- gestattete Positionen erreicht werden können. Dieser Politikertypus, der nach einem ameri- kanischen Klassiker der politischen Karriere- forschung über „progressive ambition“ verfügt De r Au ss t i e g a l s Au fs t i e g : (Schlesinger 1966), benutzt das Parlament Da s Pa r l a m e n t a l s Sp r u n g b r e t t gewissermaßen als Sprungbrett. Entsprechend i n a n d e r e p o l i t i s c h e Äm t e r ? gelten einige einzelstaatliche Legislativen in den USA als „springboard legislatures“, in denen Erfahrungen und Qualifikationen für den Aufstieg in attraktivere Ämter, oftmals für den Wechsel in den US-Kongress erworben werden (Squire 1988).

Da sich der Fokus dieser Analyse auf die Kar- rieren und Einstellungen ehemaliger Abgeord- neter richtet, interessieren die Karrierebewe- gungen zwischen verschiedenen Parlamenten, wie sie auch im föderalen und europäisierten Mehrebenensystem in Deutschland zu beo- bachten sind,6 hier nicht weiter. Untersucht Seitepage 20 werden ausschließlich solche „Karrieresprün- ge“, durch die Abgeordnete in nicht-parlamen- tarische Positionen auf dem Stellenmarkt der beruflichen Politik gelangt sind. Dabei dürfte es sich überwiegend um Positionen im exeku- tiven Bereich handeln, jedoch in aller Regel Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

nicht um Kabinettsposten auf der gleichen ter- anderer Grund besteht wohl in dem gegenü- ritorialen Ebene, da in Deutschland – ganz im ber einem einfachen Bundestags- oder Land- Sinne der Funktionslogiken parlamentarischer tagsmandat größeren persönlichen Hand- Demokratie – das Abgeordnetenmandat bei lungs- und Gestaltungsspielraum, über den der Übernahme eines Ministeramts nicht beispielsweise Bürgermeister oder Landräte aufgegeben werden muss. Vor diesem Hinter- verfügen. Nur wenige ehemalige Abgeordnete grund dürfte der Wechsel von der Legislative sind nach dem Ausscheiden in Ämter auf der in die Exekutive oftmals zugleich einen Ebe- Bundesebene gewechselt; die Übernahme von nenwechsel bedeuten. Funktionen in der europäischen Politik hat Seltenheitswert. Wie verbreitet aber ist überhaupt die Fort- setzung einer politischen (nicht-parlamen- Die oben formulierte Erwartung, dass eine tarischen) Karriere nach dem Mandatsende? Fortsetzung der politischen Karriere außer- Bei der Deutschen Abgeordnetenbefragung halb des Parlaments oftmals mit einem Ebe- gaben knapp 15 Prozent der Interviewpartner nenwechsel verknüpft ist, lässt sich für die an, nach dem Ausscheiden aus dem Parlament Befragten bestätigen. Weniger als die Hälfte in der bezahlten Politik verblieben zu sein.7 der in der beruflichen Politik verbliebe- Der tatsächliche Anteil der Karrierefortsetzer nen Landtagsabgeordneten hat nach dem dürfte etwas höher liegen, da die politisch be- Ausscheiden eine Position auf der gleichen sonders erfolgreichen früheren Abgeordneten Ebene, also der Landesebene, übernommen. seltener für Interviews zur Verfügung stehen. Gleiches gilt für die Vergleichsgruppe unter Selbst wenn man aber eine gewisse Verzerrung den Bundestagsabgeordneten, deren geringe des Sample unterstellt, bleibt festzuhalten, Größe jedoch eine vorsichtige Interpretation dass nur ein begrenzter Anteil der ausschei- nahelegt (Abb. 2). Für die einstigen Bundes- denden (und nicht in ein anderes Parlament tagsmitglieder ist die Fortsetzung ihrer Karri- wechselnden) Parlamentarier über die Zeit der ere auf der Landesebene eine genuine Option. Mandatsausübung hinaus die Politik als Beruf Immer wieder werden etwa Abgeordnete des betreibt, mithin „von der Politik lebt“. Bundestags in Landeskabinette berufen, mit- unter gar zu Ministerpräsidenten wie Peter Die in der Berufspolitik verbliebenen Ehema- H. Carstensen oder zuletzt . ligen wechselten üblicherweise in Ämter auf Umgekehrt gelangen die wenigsten Karriere- der lokalen oder der Landesebene. Dabei ist fortsetzer unter den Landesparlamentariern in zu berücksichtigen, dass kommunalpolitische ein politisches Amt auf der Bundes- Ämter bei weitem zahlreicher sind als ali- ebene. Unter den Befragten waren mentierte Positionen auf der Landesebene, die dies weniger als zehn Prozent. Seitepage 21 Verfügbarkeit dieser Positionen mithin relativ günstig ist. Die bessere Verfügbarkeit und die daher mutmaßlich leichtere Zugänglichkeit dürften jedoch nur einer der Gründe für die relative Attraktivität lokaler Ämter sein. Ein Der AusstiegReferencesLiteratur als Aufstieg

Abbildung 2. Nach dem Mandatsende eingenommene politische Ämter der in der Politik verbliebenen Bundestags- und Landtagsabgeordneten (in Prozent)

60 53

50 45

39 40 35 30 30

20

10 8

0 ehemalige MdL ehemalige MdB

polit. Amt auf Bundesebene polit. Amt auf Landesebene kommunalpolit. Amt

Gesamtwerte über 100 Prozent erklären sich aus Mehrfachnennungen

Während beim Wechsel von einem Parlament Unter den 2003 Befragten, von denen viele ihr ins andere der Sprung auf die territorial hö- Mandat bereits Jahre zuvor aufgegeben hatten, here Ebene der übliche Weg ist, gilt für den waren gut 40 Prozent zum Befragungszeit- Wechsel in außerparlamentarische politische punkt nicht mehr in der beruflichen Politik Ämter das Gegenteil: Setzen ausscheidende tätig. Nur 13 Prozent übten dann bereits ein Parlamentarier ihre Karriere nicht auf der neues Amt aus, das für sie einschließlich des gleichen Ebene fort, dann wechseln sie in früheren Mandats mindestens das dritte in der aller Regel auf eine untere territoriale alimentierten Politik darstellte. Für die meisten Ebene. Die Mehrheit der Befragten von ihnen kann daher von einem dauerhaften Seitepage 22 hatte das nach dem Mandatsende Leben „von der Politik“ gesprochen werden. eingenommene Mandat auch noch zum Zeitpunkt der Befragung inne. Ginge man davon aus, dass das Erreichen einer Für die 2007 Befragten, deren Ausscheiden Position auf höherer territorialer Ebene gleich- aus dem Parlament im Schnitt nur ein bis zwei bedeutend mit einem Aufstieg auf der politi- Jahre zurücklag, galt dies beinahe ausnahmslos. schen Karriereleiter wäre, ließen sich unter den Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

in der Politik verbliebenen Ehemaligen nur nach Mandatsende einen bürgerlichen Beruf wenige Fälle ausmachen, bei denen das Parla- ausgeübt haben. ment als Karrieresprungbrett diente. Sinnvoller aber ist es, die Hierarchie politischer Ämter Die Karrierefortsetzer berichteten dabei sehr nicht an der jeweiligen territorialen Ebene zu viel häufiger als die Vergleichsgruppe von orientieren, sondern etwa an den Einflussmög- einer Statusänderung, die sich durch das Aus- lichkeiten, deren subjektive Bewertung durch scheiden aus dem Parlament ergeben habe.9 die Akteure zudem erheblich variieren kann. Insgesamt äußerte fast die Hälfte der in der So ist die Übernahme des Oberbürgermeister- Politik Verbliebenen, ihr Status habe sich im amts durch einen Abgeordneten – prominente Vergleich zum Mandat verbessert. Für die Beispiele sind etwa der vormalige SPD-Bun- Abgeordneten, die vom Parlament in einen destagsabgeordnete Norbert Gansel als erster Beruf außerhalb der Politik gewechselt waren, direkt gewählter Oberbürgermeister von Kiel ergibt sich ein ganz anderes Bild: Wenn eine (1997-2003) oder Petra Roth als amtierendes Statusveränderung konstatiert wurde, dann Stadtoberhaupt von Frankfurt, die vor ihrer fast durchweg in der Form eines Statusver- erstmaligen Wahl 1995 dem Hessischen Land- lusts. Entsprechend stuften die in der alimen- tag angehörte – zwar nach der territorialen tierten Politik Verbliebenen den Stellenwert Logik ein Abstieg, den Einflussmöglichkeiten der Parlamentstzugehörigkeit in ihrer poli- und der Bedeutung nach aber in beiden Fällen tischen Karriere weit niedriger ein: Dass das ein Sprung nach oben auf der Karriereleiter. Parlament die wichtigste politische Position war, die sie innehatten, meinte nur knapp die Unter denjenigen Karrierefortsetzern, deren Hälfte der Karrierefortsetzer, aber drei Viertel genaues nach dem Mandatsende ausgeübtes der übrigen ausgeschiedenen Parlamentarier. Amt bekannt ist, finden sich mehrere Inhaber von politischen Spitzenpositionen, darunter Wenn die Karrierefortsetzer nur zu einem Teil Bundes- und Landesminister, Staatssekretäre in politische Spitzenpositionen aufgestiegen und (Ober-)Bürgermeister. Für sie stellte der sind, unterscheiden sie sich dennoch syste- Wechsel vom Parlamentsmandat in eine außer- matisch von all jenen früheren Parlaments- parlamentarische Position in aller Regel karri- kollegen, bei denen mit dem Mandat zugleich erepolitisch einen „Aufstieg“ dar.8 Das Mandat auch die politische Karriere endete? Stellen sie mag dabei im Sinne der Sprungbrettfunktion also eine besondere Subspezies in der Gattung förderlich gewirkt haben, allerdings dürften der Abgeordneten dar? Geht man mit der oftmals zusätzliche (vor allem innerparteiliche) bisherigen Forschung (Herzog 1975) Ämter für den „Aufstieg“ erforderlich gewesen davon aus, dass auch in Deutschland sein. Eine ganze Reihe weiterer Positionswech- politische Karrieren nicht erratisch Seitepage 23 sel lässt sich nicht eindeutig als Aufstieg oder verlaufen, sondern bestimmten Mus- Abstieg bewerten. Es erscheint daher sinnvoll, tern folgen, spricht Vieles für eine die (allerdings eher indirekten) Einschätzun- solche Sonderstellung. Plausibel erschiene gen der Betroffenen heranzuziehen – und mit etwa, dass die in der Politik Verbleibenden die denen jener Ehemaligen zu vergleichen, die sprichwörtliche Ochsentour durch die Partei- Der AusstiegReferencesLiteratur als Aufstieg

hierarchie schneller zurücklegten, auf mehr gesehen zu haben. Schließlich äußerten sie Führungserfahrung verweisen können und sich erwartungsgemäß optimistischer über die ihre Karriere systematischer geplant haben. Planbarkeit einer politischen Karriere. Mit den anderen ehemaligen Parlamentariern haben sie Betrachtet man zunächst die Umstände des allerdings gemein, dass eine erneute Kandidatur Ausscheidens aus dem Parlament, so ist ein für ein Parlamentsmandat von der übergroßen wichtiger Unterschied bereits erwähnt wor- Mehrheit nicht geplant ist. den: Karrierefortsetzer scheiden weit häufiger freiwillig aus als ihre Parlamentskollegen. Entgegen allen Erwartungen verfügen die Folgt man der im zweiten Kapitel entwickelten Karrierefortsetzer im Schnitt nicht über ein Differenzierung zwischen Mandatsverzicht, Mehr an politischer Erfahrung. Sie haben vor Mandatsverlust und unklaren Gründen des und während ihres Mandats keine höheren Ausscheidens, so hat lediglich ein gutes Fünftel Parteipositionen innegehabt als ihre aus der der Karrierefortsetzer das Mandat verloren, in Politik ausgeschiedenen Kollegen, sind nicht der Vergleichsgruppe war es ein gutes Drittel. häufiger in parlamentarische Führungspo- Ein genauerer Blick zeigt freilich, dass dieser sitionen gewählt worden und haben dem Unterschied fast ausschließlich auf den enorm Parlament auch nicht länger angehört als hohen Anteil von vorzeitig Ausgeschiedenen diese. Mithin begünstigt der Nachweis politi- unter den Karrierefortsetzern zurückgeht: Mit scher Führungsfähigkeit – und als solche sind 37 Prozent ist er sieben- bis achtmal höher zumindest leitende Funktionen in Partei und als bei den übrigen Ehemaligen. Anders als Parlament zu betrachten – die Fortsetzung diejenigen, deren politische Karriere mit einer außerparlamentarischen Karriere in der dem Ausscheiden endet, zeichnen sich viele alimentierten Politik nicht. Für politische der Karrierefortsetzer durch eine pro-aktive Spitzenpositionen, die ehemalige Parlamenta- Karriereplanung aus: Sie warteten oftmals rier nach dem Mandatsende erreichen, dürfte gar nicht erst das Ende der Legislaturperiode sich die Situation anders darstellen; allerdings ab, um in eine andere politische Position zu sind darüber wegen geringer Fallzahlen kaum wechseln, sondern realisierten den Karriere- verallgemeinerbare Aussagen möglich. sprung bereits während der Wahlperiode. Unauffällig sind die Karrierefortsetzer auch im Eine Reihe weiterer Befunde unterstreicht Hinblick auf ihre soziale Zusammensetzung. die vergleichsweise starke Karriereorientie- Weder nach Geschlecht noch nach ihrem for- rung der in der alimentierten Politik malen Bildungsniveau unterscheiden sie sich Verbliebenen. So verstanden sie sich nennenswert. Zwar sind sie signifikant jünger Seitepage 24 häufiger als die übrigen ehemaligen als ihre aus der beruflichen Politik ausgeschie- Parlamentarier schon während ihrer denen Kollegen, von der Teilgruppe der weiter- Abgeordnetenzeit als Berufspoli- hin (nun aber außerhalb der Politik) beruflich tiker. Zudem gaben sie etwas häufiger an, Tätigen unterscheiden sie sich aber nicht. Ihr ihre erstmalige Wahl ins Parlament als einen mit 51 Jahren vergleichsweise niedriges Alter Schritt in eine dauerhafte politische Laufbahn beim Ausscheiden aus dem Parlament unter- Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

streicht daher lediglich die Notwendigkeit, für die eigene materielle Existenz auch nach dem Mandat Sorge tragen zu müssen. Freilich verbleibt den vergleichsweise jungen Karri- erefortsetzern – entsprechende Ambitionen vorausgesetzt – noch ein großes Zeitfenster um in höhere Positionen aufzusteigen.

Seitepage 25 Wohin ReferencesnachLiteratur dem Mandat?

achdem der Verbleib in der Politik und die Möglichkeiten des Aufstiegs in selbiger als eine mögliche Berufsop- Ntion nach dem Mandatsende analysiert wurden, richten wir den Blick nun auf diejenigen, für die dies – aus welchen Gründen auch immer – nicht in Frage kam. Wie wir bereits festgestellt 4 haben, bedeutet das Ende der Mandatszeit für eine Reihe von Abgeordneten nicht gleichzeitig auch das Ende der beruflichen Karriere insge- samt. Mit rund 28 Prozent ist die Gruppe der ehemaligen Abgeordneten, die sich nach dem Mandat in den Ruhestand verabschieden, zwar nicht unerheblich, aber dennoch überschaubar im Vergleich zu den verbliebenen 72 Prozent, die auch nach dem Ausscheiden noch nicht das Ende ihres Erwerbslebens erreicht haben.

Wo h i n n a c h d e m Ma n d a t ? Es lohnt hier sich also, den beruflichen Verbleib Zu m b e r u f l i c h e n Ve r b l e i b d e r nach dem Mandat genauer unter die Lupe zu Au s g e s c h i e d e n e n nehmen. Interessant ist dabei nicht nur, inwie- fern die Mandatszeit karrierefördernd wirkt und den Aufstieg im Vergleich zum vorher ausgeübten Beruf begünstigt, sondern auch, wie attraktiv die Rückkehr an den alten Arbeits- platz ist oder etwa ob das Ende des Mandats den sozialen Abstieg bedeutet. Während bei- spielsweise bei freiwillig Ausgeschiedenen von einer lohnenden Karriereoption im Anschluss ausgegangen werden kann, die keinesfalls not- wendigerweise aus dem Berufsfeld der Politik hinausführen muss, ist anzunehmen, dass die Situation der unfreiwillig ausgeschiedenen Ab- geordneten eher weniger komfortabel ausfällt. Seitepage 26 Hier stellt sich die Frage nach dem beruflichen Verbleib nicht nur für den außenstehenden Betrachter, sondern in höchstem Maße für die Ehemaligen selbst. Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

4.1 Neuorientierung o d e r Rü c k k e h r ? Zu r Vergleich dazu im Schnitt etwa zehn Jahre a n s c h l i e ss e n d e n Be r u fs t ä t i g k e i t im Parlament. Dieser deutliche Unterschied spricht für die Annahme, dass der Schritt zu- Eine naheliegende Möglichkeit zur Fortset- rück in den alten Beruf deutlich attraktiver ist, zung der Erwerbstätigkeit dürfte die Rückkehr je kürzer die Parlamentszugehörigkeit ausfällt. in den alten Beruf sein. Diese Option birgt für beide Seiten Vorteile, hängt allerdings Je mehr Zeit dagegen zwischen dem Eintritt deutlich mit der Dauer der Mandatszeit der in das Parlament und der Rückkehr in den Ehemaligen zusammen. Entsprechende fach- bürgerlichen Beruf liegt, desto schwieriger liche Qualifikationen dürften durch ein kurzes gestaltet sich in der Regel der Wiedereinstieg. parlamentarisches Intermezzo weniger beein- Da die Gruppe derer, die die Rückkehr an trächtigt sein und ließen sich gegebenenfalls den alten Arbeitsplatz als sehr schwierig mit einer Auffrischung auf den neuesten Stand empfanden, im Vergleich zu der Gruppe, die bringen, was sich bei längerer Zugehörigkeit den Wiedereinstieg als gar nicht oder weniger jedoch als schwierig erweisen könnte. Noch schwierig erlebten, aber überaus gering ist, problematischer ist die spezifische Erfahrung lassen sich hieraus keine belastbaren Zahlen innerhalb des jeweiligen Metiers. Dies ist generieren. Es lässt sich allerdings durchaus allerdings branchenabhängig und so kann der eine Tendenz in Richtung dieser Annahme „Nachholbedarf“ mitunter stark variieren. In ausmachen. Berufsfeldern mit überschaubarem Innovati- onsgrad könnte der nach einer Legislaturperi- Dass die Rückkehr in den ehemals ausgeübten ode Ausgeschiedene aber innerhalb kürzester Beruf auch für diejenigen möglich ist, die länger Zeit beruflich wieder voll einsatzfähig sein. Die berufspolitisch aktiv waren, zeigt das Beispiel Wiedereingliederung in ein bekanntes berufli- der ehemaligen baden-württembergischen Land- ches Umfeld erleichtert auch dem ehemaligen tagsabgeordneten Monika Schnaitmann. Die Abgeordneten den Neuanfang. studierte Theologin kam nach Mitgliedschaften in der Jungen Union und der SPD schließlich Etwa jeder Vierte wählte diesen Weg, von zu den Bündnisgrünen, für die sie ab 1984 im denen wiederum 84 Prozent ihre Rückkehr Tübinger Kreistag saß. 1992 wurde sie in den in den alten Beruf als weniger oder über- Landtag gewählt, dem sie bis 1996 angehörte. haupt nicht schwierig empfanden. Gerade für Anschließend war Schnaitmann bis 2001, unter Episodiker mit einer Mandatsdauer von nur anderem neben Reinhard Bütikofer, Landesvor- einer Legislaturperiode dürfte diese Art der sitzende von Bündnis 90/Die Grünen Beschäftigungsfortsetzung vergleichsweise in Baden-Württemberg. Im Jahr 2004 unkompliziert sein. Die durchschnittliche Zu- beendete sie ihre mehrjährige berufspoli- Seitepage 27 gehörigkeitsdauer zum Parlament (bezogen auf tische Karriere, um in den Kirchendienst die gesamte politische Karriere) beträgt unter zurückzukehren. Seit 2005 ist sie Pfar- den Rückkehrern in den alten Beruf acht Jahre. rerin einer Gemeinde im Landkreis Tübingen.10 Diejenigen, die nach dem Mandat in eine neue berufliche Tätigkeit streben, verbringen im Wohin ReferencesnachLiteratur dem Mandat?

Die eventuellen Schwierigkeiten eines Wie- Dienstwegs, sondern die Abkürzung dessen dereinstiegs nach langjähriger Pause könnten über persönliche Kontakte etc. Inwiefern In- ein Grund dafür sein, dass es gerade für teressengruppen tatsächlich davon profitieren, Ehemalige, die nach zwei oder mehr Legisla- wird jedoch an anderer Stelle näher beleuchtet turperioden aus dem Parlament ausscheiden, (vgl. Kap. 4.2). oftmals näher liegt, die gewonnenen Erfah- rungen aus ihrer Abgeordnetenzeit beruflich Stellvertretend für die Gruppe von Abgeordneten, zu nutzen. Jeder fünfte Befragte entscheidet die ihre während der Mandatszeit gewonnen sich für diesen Neuanfang. Hier kann den Erfahrungen im Anschluss beruflich nutzen, Ausschüssen durchaus eine qualifizierende steht Andreas Krautscheid. Zwei Jahre nach Be- Funktion zugeschrieben werden, indem die endigung seines Jura-Studiums zog er 1994 als jahrelange intensive Auseinandersetzung mit Direktkandidat für die CDU in den Bundestag einem bestimmten Politikfeld unter Kon- ein. In der darauf folgenden Wahl 1998 konnte sultation der einschlägigen Fachleute und er seinen Wahlkreis nicht verteidigen und schied Interessenvertreter den Abgeordneten selbst aus dem Parlament aus. Ab 1999 arbeitete er zum Experten erhebt. So wird zwar schon bei in verschiedenen privatwirtschaftlichen Unter- der Zusammensetzung der Ausschüsse auf die nehmen, wo er unter anderem für die Deutsche Eingangsqualifikationen der Abgeordneten Telekom AG leitende Positionen im Bereich der geschaut, um nicht eine Mehrheit Fach- politischen Kommunikation innehatte, in denen fremder mit der Kontrolle eines Ressorts zu er vermutlich maßgeblich von seiner vorherigen betrauen. Der Spezialisierungseffekt dürfte Mandatszeit profitieren konnte. Im Jahr 2006 trotzdem relativ hoch sein. Eine stichproben- wechselte Krautscheid als Regierungssprecher und artige Überprüfung ehemaliger Abgeordneter, Staatssekretär zurück in die (nunmehr Exekutiv-) die während ihrer Zeit im Parlament Mitglied Politik, bevor er im Oktober 2007 sein momen- des Wirtschaftsausschusses waren, ergab, dass tanes Amt als nordrhein-westfälischer Minister weit über ein Drittel von ihnen nach dem für Bundes- und Europaangelegenheiten antrat. Mandat wirtschaftsrelevante Tätigkeiten aus- Seit Januar 2008 ist er darüber hinaus für das übte – darunter Insolvenzverwalter, Unter- Medien-Ressort zuständig. nehmer und ein Handelskammerpräsident. Gibt es nun Branchen, die für eine Rückkehr Doch auch Erfahrungen aus dem Politikbe- nach dem Mandat prädestiniert sind? Beamte trieb, die eher allgemeiner Natur sind, kön- dürften hierbei, bedingt durch ihr Dienstver- nen von Unternehmen abgeschöpft hältnis, einen klaren Vorteil haben. Aber ist werden und für sie hilfreich sein. Die möglicherweise die Motivation, nach dem Seitepage 28 wachsende Zahl von Politikbera- Mandat an den Schreibtisch zurückzukehren, tungsagenturen lässt erahnen, wie viel eher begrenzt? Hier kann von zwei Gruppen die Expertise ehemaliger „Insider“ ausgegangen werden: Eine Gruppe (sicherlich wert sein kann. Die nützlichsten Kenntnisse die größere) hat sich während ihrer Parlaments- langjähriger Mandatsträger sind dabei al- tätigkeit bewährt und somit für eine neue lerdings nicht unbedingt die des formellen Position empfohlen, die ihr reizvoller erschien Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

als der vorherige Beruf. Die andere Gruppe ähnlichen Professionen geht erwartungsge- unterscheidet sich von dieser nicht in ihrem mäß mehrheitlich an ihre alte Wirkungsstätte Karriereweg, sondern nur in ihrer Intention. zurück. Die Abgeordneten dieser Vergleichs- Während Erstere die berufliche Weiterent- gruppe haben ihre ursprüngliche Tätigkeit wicklung mit ihrem Schritt in ein Mandat oftmals parallel zum Mandat (mit reduziertem nicht unbedingt beabsichtigte, sollte Letzterer Arbeitsumfang) weiter ausgeübt, weshalb eine das Mandat von vornherein als Sprungbrett Rückkehr nach dem Ausscheiden überaus dienen. Denn durch ihr garantiertes Rückkehr- plausibel ist. recht in die alte Position hätten die Beamten wohl kaum eine Stelle angenommen, die nach Status und Einfluss unter ihrer vormals ausge- übten gelegen hätte. Da hier aber persönliche Motivationen ausschlaggebend sind, die nicht abgefragt wurden, ist eine mengenmäßige Ein- teilung beider Gruppen nicht möglich.

Interessanterweise sind es gerade auch die höheren Beamten, die häufig in einen neuen Beruf streben. Lehrer hingegen gehen mehr- heitlich wieder zurück in den Schuldienst und auch Angestellte politischer Verbände oder Interessengruppen zieht es an ihren ehema- ligen Arbeitsplatz. Die mit Abstand höchste Rückkehrquote haben aber die Rechtsanwälte. Vertreter dieses Berufszweiges kehren zu fast 70 Prozent in die Kanzlei zurück.

Unterscheidet man nicht einzelne Berufe, sondern die Arten des Beschäftigungsverhält- nisses, so ergibt sich folgendes Bild: 28 Prozent der Angestellten kehren in den Beruf zurück, den sie vor dem Mandat ausgeübt haben, während sich weitere 29 Prozent von ihnen neu orientieren.11 Unter den Beamten ist die Rückkehrquote mit 30 Prozent nahezu gleich Seitepage 29 groß; jeder fünfte von ihnen nahm eine neue Beschäftigung an. Dies taten wiederum nur 12 Prozent der Selbstständigen und Freiberufler (Abb. 3). Diese Gruppe aus Unternehmern, Rechtsanwälten, niedergelassenen Ärzten und Wohin ReferencesnachLiteratur dem Mandat?

Abbildung 3. Der berufliche Verbleib ehemaliger Parlamentarier nach Berufsgruppen (in Prozent)

60

51 50

40

29 30 30 28

20 20

12 10

0 Angestellte Beamte Freiberufler/Selbstständige

Alter Beruf Neuer Beruf

Zu 100 Prozent fehlende Werte erklären sich aus den Kategorien „im Ruhestand“ und „Sonstiges“.

Zusammengefasst stehen den Abgeordneten, nicht nur mit einem attraktiven Einkommen die nach ihrem Ausscheiden nicht in der Po- verbunden, sondern auch mit einem vergleichs- litik verbleiben und auch nicht in den Ruhe- weise hohen gesellschaftlichen Status. Die stand gehen, vorwiegend zwei Möglichkeiten Konsequenz, mit dem Ausscheiden aus dem offen: die Rückkehr in ihren ursprünglich aus- Parlament nun darauf verzichten zu müssen, geübten Beruf oder der Einstieg in ein neues dürfte vielen nicht leicht fallen. berufliches Umfeld. Nur eine Minderheit von 12 Prozent lässt sich keiner dieser Kategorien In diesem Zusammenhang muss darauf zuordnen – in der Regel sind diese hingewiesen werden, dass die Frage nach der hauptsächlich ehrenamtlich aktiv. Einschätzung der Statusveränderung nur 2007 Seitepage 30 Interessant ist an dieser Stelle die gestellt wurde, d.h. nur von denen beantwor- persönliche Zufriedenheit mit der tet werden konnte, die bereits 2003 als aktive anschließenden Tätigkeit, an der sich Abgeordnete an der Befragung teilgenommen indirekt der Stellenwert des Mandats in der hatten. Insgesamt gaben 50 Prozent der nicht eigenen Erwerbsbiographie ablesen lässt. Die in der Politik verbliebenen Ehemaligen an, Ausübung der Abgeordnetentätigkeit ist dabei dass ihr derzeitiger beruflicher Status niedri- Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

ger sei als zu Abgeordnetenzeiten. Weitere 40 4.2 Tü r ö ff n e r f ü r d i e In t e r e ss e n g r u p p e n : Prozent sagten aus, dass sich ihr Status nicht Vo m Pa r l a m e n t a r i e r z u m Lo bb y i s t e n ? verändert habe, nur etwa 10 Prozent stellten eine Statusverbesserung fest. Diese Verteilung Um Schwierigkeiten beim Übergang in den verändert sich auch bei der gesonderten Be- Beruf nach Mandat vorzubeugen, üben einige trachtung der Geschlechter nur marginal. Mit Abgeordnete während ihres Mandates Ne- rund zehn Prozent Abweichung differieren die bentätigkeiten aus. Obwohl bei der Mehrzahl Einschätzungen von Frauen und Männern nur derer, die eine solche Tätigkeit angeben, von geringfügig. Erstaunlich ist jedoch, dass die einer Weiterführung ihres ursprünglichen Ehemaligen, die nach dem Ausscheiden eine Berufes ausgegangen werden kann (wie neue berufliche Tätigkeit ausübten, offenbar beispielsweise bei Anwälten), ist auch der häufiger mit einer negativen Statusveränderung Antritt eines neuen Postens durchaus keine konfrontiert wurden als die Berufsrückkehrer – Seltenheit. Hierbei dient die Übernahme ihr Anteil nähert sich den 60 Prozent. einer solchen Nebentätigkeit vor allem dazu, sich über das Mandat hinaus abzusichern, in- Dieser Befund lässt Rückschlüsse darauf zu, dem man seine Befähigungen auch außerhalb dass der nach dem Mandat ausgeübte Beruf von des Parlaments unter Beweis stellt. Dadurch diesem Teil der Befragten eher als Karriereab- wird versucht, die eigenen Chancen auf einen stieg wahrgenommen wurde. Möglicherweise reibungslosen Seitenwechsel hin zu den Un- war die Zeit als Parlamentarier dem weiteren ternehmen zu optimieren. So wird sogar vom Karriereverlauf nicht in jedem Fall so zuträg- so genannten „Drehtür-Effekt“ gesprochen, lich, wie dies angenommen werden könnte. was den fliegenden Wechsel von Führungs- Denn die im Rahmen der Mandatsausübung personen zwischen Politik und Wirtschaft erworbenen Qualifikationen und das hohe ge- meint (Herrick/Nixon 1996). Dieser in der sellschaftliche Prestige können durchaus auch US-amerikanischen Literatur gängige Begriff dazu führen, dass der Wiedereinstieg in das beschreibt ein Phänomen, das eher für das po- Berufsleben auf derselben Ebene der ehemals litische System der USA typisch, jedoch auch ausgeübten Tätigkeit nicht mehr möglich ist. hierzulande zu beobachten ist. Als Grund dafür identifizierte eine qualitative Verbleibsstudie die mutmaßliche Überqualifi- Zwar muss zwischen Lobbyismus und der kation ehemaliger Parlamentarier für Positi- Ausübung von Nebentätigkeiten klar un- onen auf mittlerer Ebene (Kreiner 2006), was terschieden werden. Doch ist ein gewisser in einer Reihe von Fällen zu mindestens tem- Konflikt zwischen der Ausübung porärer Arbeitslosigkeit führte (vgl. Kap. 4.3). des Mandats und der Vertretung von Verbands- oder anderen Inte- Seitepage 31 ressen, gerade im Fall von bezahlten Positionen, durchaus möglich und auch wahrscheinlich. Durch die vielfältigen Formen des Lobbyismus fällt es der bisherigen Forschung schwer, eine griffige Charakterisie- Wohin ReferencesnachLiteratur dem Mandat?

rung dieser Aktivitäten vorzunehmen. So ist, außerordentlich gute Vernetzung. Dadurch sehr allgemein, von der interessengeleiteten wird der Kreis der potenziellen Lobbyisten Beeinflussung staatlicher Repräsentanten die unter den ehemaligen Parlamentariern stark Rede (Lösche 2007: 20). Während offiziell re- eingeschränkt. gistrierte Lobbyisten12 dafür bezahlt werden, die Interessen ihres jeweiligen Auftraggebers Eine Personalie, die im vergangenen Jahr für in Bezug auf bestimmte Gesetzgebungsver- erhebliches Aufsehen sorgte, ist die der ehemaligen fahren etc. zu vertreten, kann man dies nicht Bundestagsabgeordneten Marianne Tritz. Als ehe- pauschal auf Abgeordnete übertragen, die malige Geschäftsführerin einer Bürgerinitiative während des Mandats nebenberuflich für für Umweltschutz war sie ab 2001 als Referentin Interessengruppen tatig sind. für Fundraising und Unternehmenskontakte für den Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen Doch was qualifiziert einen ehemaligen tätig. 2002 zog sie für die Partei in den Bundestag Abgeordneten zum Lobbyisten? Wie bereits ein, gehörte dem Parlament allerdings nur bis 2005 angedeutet, spielen in diesem Zusammenhang an. Anschließend blieb Tritz als Mitarbeiterin des die speziellen Erfahrungen und natürlich auch Vorsitzenden der bündnisgrünen Bundestagsfrak- die persönlichen Kontakte aus der Zeit der tion im bundespolitischen Betrieb, Abgeordnetentätigkeit eine erhebliche Rolle bevor sie 2008 vom neu gegründeten Deutschen für den potenziellen späteren Arbeitgeber, der Zigarettenverband als Geschäftsführerin ange- sich durch „Insiderwissen“ einen Vorteil bei worben wurde. Seitdem vertritt sie die Interessen der Durchsetzung seiner Interessen verspricht. der Tabak-Lobby. Um dies aufbauen zu können, dürfte aller- dings eine gewisse Verweildauer im Parlament Das Beispiel Tritz zeigt zwar, dass diese Kri- notwendig sein, da die Kontakte deutlich terien nur bedingt greifen und ein solcher vertrauensvoller sein sollten als im Fall einer Seitenwechsel auch ohne derartige Voraus- bloßen Bekanntschaft. Episodiker, die ledig- setzungen möglich ist. Dennoch ist davon lich eine Legislaturperiode im Parlament ver- auszugehen, dass wesentlich mehr Abgeord- treten sind, wären vermutlich in den seltensten nete für die Vertretung von Verbands- oder Fällen dazu in der Lage, eine entsprechend breit Wirtschaftsinteressen rekrutiert werden, die gefächerte Vertrauensbasis aufzubauen. Hinzu eine prominente Funktion innerhalb der kommt ein weiteres Selektionskriterium, Fraktion ausgeübt oder eine äquivalente parla- das den Personenkreis deutlich einschränkt. mentarische Spitzenposition vertreten haben, So haben (ehemalige) Inhaber als „einfache“ Parlamentarier. Doch nicht nur parlamentarischer Spitzenpositionen die Einstiegsvoraussetzungen dieser Branche Seitepage 32 eine deutlich höhere Chance, von sind schwer zu klassifizieren. Das nach wie vor Interessenverbänden angeworben zu schlechte Image des Lobbyismus führt dazu, werden als „einfache“ Abgeordnete. dass eine tatsächliche Verbreitung von Lobby- Denn durch ihre hervorgehobene Stellung oder lobbyähnlichen Tätigkeiten schwer nach- verfügen sie über erheblich mehr Einfluss zuvollziehen ist und prominenten Fällen umso und eine damit notwendigerweise verbundene, mehr mediale Aufmerksamkeit geschenkt wird. Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

Der jüngste Fall dieser Art ist der Wechsel des Amtszeit in Lobbypositionen bzw. solchen mit SPD-Bundestagsabgeordneten Dr. Ditmar starkem Bezug zum Lobbying tätig gewesen. Staffelt. Der ehemalige Parlamentarische Um dies nicht nur auf Kabinettsmitglieder zu Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministe- beschränken, sondern die Relevanz dieses Tä- rium legte zum 11. Januar 2009 sein Mandat tigkeitsfeldes auch für „einfache“ Abgeordnete nieder und amtiert seit Beginn des Jahres als bewerten zu können, ist eine eigene Untersu- neuer Vorstandsbeauftragter für Politik und chung13 durchgeführt worden. Dabei wurden Regierungsangelegenheiten des europäischen nur jene Berufe nach Mandat berücksichtigt, Luftfahrt- und Rüstungskonzerns EADS in die klare Lobbytätigkeiten sind, oder solche, Deutschland. die eine offensichtliche Lobbynähe besitzen. Hierunter verstehen wir beispielsweise explizit Bei ehemaligen Abgeordneten die Ausübung politikberatende Tätigkeiten. Der Anteil der- einer Lobby-Tätigkeit nach dem Mandat jenigen, die sich in eine der beiden Kategorien festzustellen, gestaltet sich aus mehreren einordnen lassen, beträgt rund 13 Prozent, was Gründen schwierig. Der zweifelhafte Ruf der sich mit wesentlich breiter angelegten interna- Branche gründet sich maßgeblich auf die ihr tionalen Studien deckt.14 unterstellte Intransparenz. Die bezieht sich nicht nur auf ihr „Handwerk“, sondern auch Eine klare Linie trennt dabei die Abgeordneten auf ihre Mitarbeiter. Die „Dunkelziffer“ dürfte des Bundestages von den Landesparlamenta- also höher liegen als die Zahl von Abgeordne- riern. Während es auf der Landesebene nur ten, deren postparlamentarische Tätigkeiten etwa sechs Prozent der Ehemaligen sind, die sich rekonstruieren und zweifelsfrei in der ihre Kontakte nach dem Mandat einer Lobby Lobbyszene verorten lassen. Doch genau hier zur Verfügung stellen, sind dies im Bundestag liegt das zweite Problem – die Definition einer stolze 27 Prozent. Hier muss deutlich auf die Lobbytätigkeit. Wie bereits angedeutet, ist die geringe Fallzahl verwiesen werden. Dennoch Forschung bisher nicht in der Lage gewesen, zeigt es die enorme Attraktivität ehemaliger hierfür adäquate Kriterien festzulegen. Bundesparlamentarier im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen auf Landesebene. Ist beispielsweise ein ehemaliger Mandatsträ- Der Grund hierfür könnte in der Finanzkraft ger, der nach seinem Ausscheiden als freischaf- der Akteure liegen. Unternehmen oder Ver- fender Unternehmensberater tätig ist, schon bände, die finanziell dazu in der Lage sind, ein Lobbyist? Sicher nicht. Eine der ersten sich durch die Beschäftigung ehemaliger Studien, die sich hierzulande systematisch mit Mandatsträger einen vermuteten einer möglichen Lobbytätigkeit ehemaliger Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, politischer Funktionsträger beschäftige, un- zielen vermutlich eher auf die Bun- Seitepage 33 tersuchte die Mitglieder des zweiten Kabinetts desebene (und darüber hinaus), da ihr Schröder (Klein/Höntzsch 2007). Nach ihren Interessenradius die Ländergrenzen Ergebnissen sind 12 der 63 überprüften Ex- weit überschreiten dürfte. Minister und Staatssekretäre der vormaligen rot-grünen Regierung nach dem Ende ihrer Wohin ReferencesnachLiteratur dem Mandat?

4.3 Po s t p a r l a m e n t a r i s c h e s Pr e k a r i a t : Auch die Altersentschädigung ist seit der La r m o y a n z o d e r Re a l i t ä t ? Änderung vom 1. Januar 2008 eng an die Mandatsdauer gebunden. Da für die Abgeord- Eines der gängigsten Klischees neben dem der neten während ihrer Zeit im Parlament keine Lobbytätigkeit ehemaliger Abgeordneter ist Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung das der Überversorgung. Gemeinhin gilt die abgeführt werden, sollen die Zahlungen die Annahme, dass Parlamentarier innerhalb kür- entstandene Lücke in der Altersversorgung zester Zeit horrende Ansprüche erwerben, die schließen. Auch Beamte können sich die Jahre vom Übergangsgeld bis zu Pensionszahlungen im Parlament nicht als Dienstzeit im Sinne reichen. Da erscheint die Rede von einem des Versorgungsrechts anrechnen lassen. Die postparlamentarischen Prekariat geradezu Neuregelung kippt die vorher herrschende absurd. Dennoch gab es auch hierfür bereits Wartezeit von acht Jahren. Seitdem wird be- Beispiele, und möglicherweise sind diese mehr reits nach einem Jahr der Zugehörigkeit eine als nur Randerscheinungen. Ein Blick auf die Leistung in Höhe von 2,5 Prozent der aktu- geltenden Regelungen zeigt, dass zumindest ellen Abgeordnetenentschädigung pro Jahr der die Annahme einer übermäßigen Versorgung Zugehörigkeit gezahlt, was sich auf maximal verfehlt ist. Da die Entschädigungsregelungen 67,5 Prozent summieren kann – nach 27 der einzelnen Landesparlamente zum Teil Jahren Mitgliedschaft. Auch das Eintrittsalter stark voneinander abweichen, sollen hier als ist gemäß der Entwicklung der gesetzlichen Referenz kurz die wesentlichen Leistungen Rentenversicherung stufenweise auf das 67. betrachtet werden, die ausscheidenden Bun- Lebensjahr angehoben worden. destagsabgeordneten zustehen. Das bedeutet für diejenigen Abgeordneten, die Das Übergangsgeld soll den beruflichen dem Parlament lediglich für die Dauer einer Wiedereinstieg ehemaliger Parlamentarier Legislaturperiode angehören, ein recht über- absichern. Es soll die Zeit zu überbrücken hel- schaubares finanzielles Polster. Dieses steht fen, die benötigt wird, um in den alten Beruf mitunter in keiner Relation zu den beruflichen zurückzukehren oder sich neu zu orientieren. Risiken, die mit dem Antritt des Mandats in So wird für jedes Jahr der Zugehörigkeit zum Kauf genommen werden. Gerade für die Gruppe Parlament ein Monat Übergangsgeld gezahlt, von Abgeordneten, die überraschend aus dem das in der Höhe der aktuellen Abgeordneten- Parlament ausscheidet, kann dies existenzielle entschädigung15 entspricht. Der Bezug von Folgen haben. So machte beispielsweise der Fall Übergangsgeld ist aber auf insgesamt der ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten 18 Monate limitiert. Sollte der Be- und jetzigen „Putzfee“ Lilo Friedrich deutsch- Seitepage 34 ginn eines neuen Arbeitsverhältnisses landweit Schlagzeilen.16 Nachdem sie nach vor dem Ablauf der Übergangszah- sieben Jahren aus dem Deutschen Bundestag lungen liegen, werden die Einkünfte ausgeschieden war, machte sich Friedrich nach mit diesen ab dem zweiten Monat nach dem rund 100 erfolglosen Bewerbungen schließlich Ausscheiden verrechnet. als Haushaltshilfe selbstständig. Es gibt also allem Anschein nach tatsächlich eine (wenn Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

auch vergleichsweise kleine) Gruppe von ehe- der Abgeordnetenzeit keine Rentenansprüche maligen Abgeordneten, für die das Ende des erworben hat. Dabei ergibt sich ein deutliches Mandats den sozialen Absturz nach sich zieht. Ost-West-Gefälle: Während nur vier Prozent der westdeutschen Ex-Parlamentarier min- Dass diese Entwicklung allerdings eine destens zeitweilig arbeitslos waren,17 betraf Ausnahme ist, zeigt der Anteil der befragten dies unter den in Ostdeutschland gewählten (aus der beruflichen Politik ausgeschiedenen) Ehemaligen jeden Zehnten (Abb. 4). Entge- Ehemaligen, die angaben, nach dem Mandat gen allen Erwartungen handelt es sich dabei arbeitslos geworden zu sein. Nur knapp sieben jedoch um kein durch die wirtschaftlichen Prozent von ihnen fanden nach dem Ausschei- Umwälzungen in den neuen Bundesländern den keine Tätigkeit. Sie hatten dem Parlament bedingtes Übergangsphänomen. Vielmehr durchschnittlich neun Jahre angehört – eine sind in den 1990er-Jahren ausgeschiedene überraschend hohe Verweildauer, die sogar ein Parlamentarier ebenso betroffen wie zu einem halbes Jahr über der der Berufsrückkehrer liegt, späteren Zeitpunkt ausgeschiedene Abgeord- aber knapp ein Jahr unter der Mandatszeit nete. Nur geringe Ost-West-Unterschiede derjenigen, die sich beruflich neu orientierten. bestehen hingegen trotz kürzerer Verweil- Diese erklärt, weshalb unter ihnen nur eine dauern in den ostdeutschen Parlamenten bei Minderheit von gut einem Drittel während den Rentenansprüchen (Abb. 4).

Abbildung 4. Arbeitslosigkeit und fehlende Rentenansprüche ehemaliger ost- und westdeutscher Abgeordneter im Vergleich* (in Prozent)

35

30 28

25 24

20

15

10 10

5 4 Seitepage 35 0 Westdeutsche Ostdeutsche

Arbeitslosigkeit keine Rentenansprüche

*nur Abgeordnete, die nicht in der beruflichen Politik verblieben sind Wohin ReferencesnachLiteratur dem Mandat?

Unter den 2007 Befragten finden sich anteil- mäßig etwas weniger Ehemalige, die Phasen der Arbeitslosigkeit oder Nicht-Berufstätigkeit erlebten, als unter denjenigen, die 2003 inter- viewt worden sind. Dies deutet darauf hin, dass das entsprechende Risiko im Zeitverlauf sinkt. Für bestimmte Gruppen von Abgeordneten – neben den westdeutschen Parlamentariern quasi generell parlamentarische Führungskräf- te – besteht ohnehin keine Gefahr, arbeitslos zu werden. Insgesamt ist dieses Risiko gering und mutmaßlich nicht größer als in vergleich- baren Einkommens- und Statusgruppen. Dies mag auch erklären, weshalb die bestehenden Regelungen zum Übergangsgeld unter den Abgeordneten auf breite Akzeptanz stoßen. Von Larmoyanz kann vor diesem Hinter- grund also keine Rede sein – wenn dies auch für die betroffenen Ex-Parlamentarier nichts an ihrer als prekäre empfundenen Lage ändert. Sie mussten mitunter die Erfahrung machen, dass ihnen bei der Stellensuche ihre (teils im Parlament erworbenen) Qualifikationen zum Nachteil ausgelegt wurden (Kreiner 2007: 272).

Seitepage 36 Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

5.1 Ve r s o r g u n g s p o s t e n u n d Pa r t e i p a t r o - n a g e : Le g e n d e o d e r Wirklichkeit ?

ei allen Unterschieden in ihrer Bewer- tung besteht weithin Einvernehmen darüber, dass die deutsche Politik auf BBundes- wie Landesebene durch die Parteien 5 gestaltet wird. Diese treffen nicht nur durch ihre entsprechenden Repräsentanten Regie- rungs- und parlamentarische Entscheidungen, sondern sie verfügen auch de facto über ein Monopol bei der Rekrutierung politischen Personals. Wer in politische Führungsämter gelangen (und in diesen verbleiben) möchte, der muss – von wenigen Ausnahmen ab- gesehen – durch das Nadelöhr der Partei, kurzum: die schon sprichwörtlich gewordene Ochsentour absolvieren. Mutmaßlich haben Na c h d e r Oc h s e n t o u r : Au c h w e i t e r h i n die Parteien über Mandate bzw. Ämter in Par- Parteipolitiker ? lamenten und Kabinetten hinaus auch Zugriff auf weitere Stellen im politiknahen Bereich, die sie ihren langjährigen, aktiven und loyalen Mitgliedern anbieten können. Dazu gehören womöglich Positionen in politiknahen Tätig- keitsfeldern wie der öffentlichen Verwaltung (Ministerialbürokratie, kommunale Spitzen- funktionen usw.), in von der öffentlichen Hand betriebenen Unternehmen oder in den parteinahen Stiftungen.

Verfügen die Parteien damit zugleich über ein Patronagepotenzial, das es ihnen erlaubt, aus- scheidende Abgeordnete in eine at- traktive außerparlamentarische Posi- tion zu bringen? Bei politischen Seitepage 37 Ämtern im engeren Sinne wie etwa Minister- und Staatssekretärposten, den Ämtern eines Bürgermeisters oder eines Landrats kann davon selbstverständlich ausgegangen werden. Dass in einem parla- DerNach Ausstieg ReferencesderLiteratur Ochsentour als Aufstieg

mentarischen System die Parteien zwar die in besonderem Maße, da sie für eine im Sinne Repräsentationseliten auswählen, nicht aber ihrer Partei berechenbare Ausübung des Amts das politische Spitzenpersonal in der Exeku- sorgen. Entsprechend sind eine ganze Reihe tive, wäre nicht nur überraschend, sondern derartiger Positionen mit vormaligen Parla- dysfunktional. Interessant ist daher vor allem, mentsmitgliedern besetzt worden. ob ehemalige Parlamentarier in Positionen im politiknahen Bereich wechseln. Dazu ge- Ein Beispiel ist die ehemalige Landtagsabgeordne- hören etwa die Ämter der Beauftragten von te Johanna Arenhövel. Sie engagierte sich 1989 im Parlament und Regierung auf Bundes- und Demokratischen Aufbruch und stieß über diesen zur Landesebene (wenn diese nicht gleich dem Thüringer CDU. Deren Landtagsfraktion gehörte politischen Feld zugerechnet werden), Dezer- sie als eine von nur wenigen Frauen bereits 1990 nentenposten in den Kommunen, vor allem an. Während ihrer 14-jährigen Zugehörigkeit aber Positionen in öffentlichen Unternehmen gehörte sie etliche Jahre dem Fraktionsvorstand an oder solchen, deren Führungspositionen teils und war zeitweilig Sprecherin ihrer Fraktion für von politischen Entscheidungsträgern besetzt Soziales, Familie und Gesundheit. Kurz vor Ende werden. der vierte Legislaturperiode wurde sie zur Beauf- tragten der Landesregierung für die Gleichstellung Ob derartige Wechsel ehemaliger Parlamenta- von Frau und Mann ernannnt – eine Funktion, rier aus der Perspektive des neuen Amts sinn- in der sie heute noch tätig ist. voll sind oder eher Nachteile bringen, kann hier nicht diskutiert werden und lässt sich wo- In der öffentlichen Wahrnehmung ist mit der möglich auch nur im Einzelfall entscheiden. politischen Patronage der Parteien jedoch eher Relevant ist hier vielmehr die mutmaßliche der Wechsel in Führungspositionen etwa lo- Verbreitung solcher Positionswechsel. Reprä- kaler Versorger (wie Stadtwerke oder Nahver- sentative Aussagen sind dabei auf der Basis kehrsgesellschaften) assoziiert. In diesen Fällen der erhobenen Daten nicht möglich, da nur besteht seitens der Landes- oder Bundesver- für einen Teil der Ausgeschiedenen, vorrangig bände der Partei wenn überhaupt, dann nur ein für die vorzeitig Ausgeschiedenen, genauere begrenztes parteiliches Interesse an der Beset- Informationen zur Tätigkeit nach Mandat zung der entsprechenden Positionen. Vielmehr vorliegen. Selbst auf dieser begrenzten empi- geht es dabei primär um die Unterstützung rischen Basis lässt sich aber zeigen, dass der eines verdienten Abgeordneten; vorwiegend in Übergang ehemaliger Parlamentarier in ein dessen Interesse würde die Partei in einem sol- politiknahes Beschäftigungsverhältnis chen Fall ihr Patronagepotenzial nutzen, wenn kein Einzelphänomen darstellt. Für dieses denn entsprechend vorhanden wäre. Für Seitepage 38 die Besetzung von Beauftragten-Pos- derartige Übergänge lassen sich mühelos Bei- ten (z.B. für Datenschutz, Ausländer/ spiele finden. Die verfügbaren Informationen Integration oder Gleichstellung), der sprechen jedoch gegen eine sehr weite Verbrei- Chefetagen der Rechnungshöfe oder generell tung. Die Zahl der in die Führungspositionen der Leitungsfunktionen bestimmter Bundes- von Stadt- und Wasserwerken, kommunalen und Landesbehörden eignen sich Ehemalige Energieversorgern oder ähnliche Positionen Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

gelangten Ex-Parlamentarier ist anscheinend Referent in der Ministerialverwaltung, bei den niedriger als die der zu (Ober-)Bürgermeistern, parteinahen Stiftungen oder mitunter auch in Landräten oder in ähnliche Ämter Gewählten. den Parteien/Fraktionen selbst.

Zudem fällt auf, dass der Wechsel in ein poli- Grundsätzlich bestätigen die hier präsentierten tiknahes, aber nicht unmittelbar durch politi- Befunde das Patronagepotenzial politischer sche Entscheidungsbefugnisse charakterisiertes Parteien. Der Kreis der dadurch Begünstigten Amt bei Abgeordneten mit Erfahrung in parla- dürfte allerdings deutlich kleiner sein als in mentarischen Führungsgremien nur selten vor- der Öffentlichkeit gemeinhin angenommen. kommt. Anscheinend sind derartige Positionen Bezogen auf die Gesamtheit der ausgeschie- für das parlamentarische Führungspersonal denen Parlamentarier handelt es sich dabei nicht attraktiv. Diese Gruppe der „Highflyer“ um eine kleine Minderheit. Wählt man als verbleibt oftmals lange im Parlament, verfügt Bezugspunkt nur diejenigen, die nach dem über exzellente Wiederwahlchancen und sieht Ausscheiden in einen neuen Beruf wechselten, angesichts der Gestaltungsmöglichkeiten ist der Anteil größer, aber immer noch recht innerhalb des Parlaments womöglich wenig bescheiden. Gegen eine sehr weite Verbrei- Anlass für einen Wechsel. Zudem dürften tung entsprechender Parteipatronage spricht insbesondere für die Spitzenpolitiker unter zudem die Aussage der übergroßen Mehrheit ihnen materiell und prestigemäßig attraktivere der Ausgeschiedenen, nach Mandatsende kei- Positionen etwa bei Großunternehmen oder nerlei Unterstützung durch die Partei erhalten auf dem weiten Feld des Lobbying (vgl. Kap. zu haben. 4.2) erreichbar sein.

Nach Auskünften der ehemaligen Parlamenta- 5.2 Bi s d a ss d e r To d u n s s c h e i d e t ...? rier haben die Parteien beim Übergang in den Di e e h e m a l i g e n Ab g e o r d n e t e n u n d i h r e Beruf kaum jemals Unterstützung geleistet. Pa r t e i Nicht einmal ein Zehntel der Ausgeschiede- nen berichtete von entsprechender Hilfe der Parlamentarier in Deutschland blicken in aller Partei und selbst unter denjenigen, die in einen Regel auf lange Jahre parteipolitischen Enga- neuen Beruf gewechselt sind, war es weniger gements zurück. Ihrem Einzug ins Parlament als ein Fünftel. Gemessen an den Erwartungen geht zumeist die Wahl in Parteiämter auf der der Ausgeschiedenen sind die Unterstützungs- lokalen, dann womöglich auf territorial höhe- leistungen dürftig, denn immerhin jeder Dritte rer Ebene voraus, oftmals auch die sah die Partei in der Pflicht, den Parlamen- Übernahme von kommunalen Funk- tariern nach Mandatsende bei der Sicherung tionen. Insofern sind die Abgeordne- Seitepage 39 ihrer beruflichen Zukunft behilflich zu sein. ten und ihre Partei eng verkoppelt. Entsprochen wurde diesen Erwartungen nur Die Mehrzahl der Mandatsträger hat in 14 Prozent der Fälle. Wer entsprechende der Partei schon lange vor der Übernahme des Unterstützung seitens der Partei erfuhr, kam Mandats in unterschiedlichen Funktionen ge- oftmals im politiknahen Bereich unter, etwa als dient, sie verdanken umgekehrt aber auch der DerNach Ausstieg ReferencesderLiteratur Ochsentour als Aufstieg

Partei ihren Einzug ins Parlament und ebenso schon deswegen nahe, weil ihr bisheriges Le- die etwaige Wiederwahl. ben ein Leben mit und in der Partei gewesen ist, die Partei daher oftmals einen selbstver- Was aber geschieht mit der innigen Bezie- ständlichen Teil zumindest der politischen und hung, wenn die tagtägliche Einbindung des beruflichen Identitätsbildung ausmacht. So die Abgeordneten in die Fraktionsarbeit durch Ex-Parlamentarier nicht in der alimentierten das Mandatsende entfällt? Grundsätzlich Politik verblieben sind, ist ein fortdauerndes sind beim Ausscheiden aus dem Parlament parteipolitisches Engagement vorwiegend auf zwei unterschiedliche Szenarien vorstellbar. der kommunalen Ebene zu erwarten. Die So könnte es zu einer Entfernung oder gar Wahrscheinlichkeit, für die Partei und im Na- Entfremdung von der Partei kommen, die men der Partei aktiv zu bleiben, dürfte darüber zunächst durch die schwächere Einbindung in hinaus mit den zeitlichen Ressourcen zusam- Entscheidungsprozesse bedingt sein mag, wo- menhängen. Über diese verfügen vor allem die möglich aber auch in negativen Erfahrungen im Ruhestand befindlichen Ausgeschiedenen. während des Mandats (etwa in Gestalt eines starken Drucks seitens der Fraktionsführung Die Ergebnisse der Jenaer Ehemaligenbefra- oder bei erfahrenen Sanktionen) oder in den gung lassen zunächst ein unter den Ehemaligen Umständen des Ausscheidens (etwa einer weit verbreitetes politisches Engagement nach verweigerten Re-Nominierung) begründet dem Mandatsende erkennen. Nur 14 Prozent liegt. Im Extremfall kann dann sogar ein Par- sind nach dem Ausscheiden nicht mehr poli- teiaustritt erwogen oder praktiziert werden. tisch aktiv gewesen (zu den Gründen vgl. Kap. Aktuelle Fälle langjähriger Parlamentarier, 6.1). Von den politisch Aktiven findet eine die nach einer verweigerten Re-Nominierung große Mehrheit (vier von fünf ) ihr gewisser- ihr Parteibuch abgegeben haben, darunter maßen natürliches Betätigungsfeld (weiterhin) die linke Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne in der Partei. Von einer Distanzierung von der Kaufmann, der prominente bündnisgrüne eigenen Partei kann angesichts dieser Befunde Finanzpolitiker Oswald Metzger oder die nicht die Rede sein. Entsprechend ist auch ebenfalls aus den Reihen der Bündnisgrünen allen Kaufmanns und Metzgers zum Trotz der stammende Verteidigungsexpertin Angelika Anteil der Ehemaligen, die die Partei verlassen Beer, illustrieren, dass auch derart drastische haben, verschwindend gering; unter den gut Schritte vorkommen. 800 Befragen waren acht aus der Partei ausge- treten (und hatten sich teils einer neuen Partei Wahrscheinlicher ist jedoch, dass angeschlossen). die Parteibindung der Abgeordneten Seitepage 40 durch den Mandatsverzicht oder Vielfach verbinden die ausgeschiedenen Mandatsverlust nicht grundlegend Parlamentarier ihre Tätigkeit in der und für geschwächt wird. Entsprechend die Partei mit einem Engagement außerhalb dürften sich ehemalige Parlamentarier auch in derselben. Immerhin ein gutes Drittel der poli- ihrer postparlamentarischen Lebensphase für tisch Aktiven berichtete von einem derartigen die Partei engagieren. Dies liegt psychologisch doppelten Engagement. Welches politische Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

Engagement nach dem Mandat gewählt wird, bestehen auch zur beruflichen Tätigkeit nach ist weitgehend unabhängig von der Mandats- Mandat. Erwartungsgemäß zeichnen sich dauer, der Führungserfahrung im Parlament die in der alimentierten Politik Verbliebenen oder der Herkunft der Abgeordneten aus Ost- durch starkes Parteiengagement aus; aller- oder Westdeutschland. Unterschiede bestehen dings gilt dies auch für die ehemaligen Ab- vielmehr zwischen den Fraktionen, wobei geordneten, die in ihren alten Beruf zurück- einzig die ehemaligen Mitglieder der kleineren gekehrt sind (Abb. 5). Doppelt engagiert sind Fraktionen auffallen: die Liberalen durch eine überproportional viele Ruheständler, was sich starke Konzentration auf parteipolitische Ak- wohl nicht zuletzt ihrem größeren Zeitbudget tivitäten, Bündnisgrüne und Linke durch ein verdankt. Die Ex-Parlamentarier mit einer überdurchschnittlich großes Engagement au- neuen Berufstätigkeit betätigen sich hingegen ßerhalb der Partei. Deutliche Zusammenhänge vergleichsweise stark außerhalb der Partei.

Abbildung 5. Art des politischen Engagements ehemaliger Abgeordneter in Abhängigkeit von der beruflichen Tätigkeit nach dem Ausscheiden (in Prozent)

100

17 17 90 22 28 30 80

70 31 32 60 32 44 33 50

40

30 53 50 20 40 34 37 10

0 berufl. Politik alter Beruf neuer Beruf Ruhestand Sonstiges

nur innerhalb der Partei beides nur außerhalb der Partei Seitepage 41

Erwartungsgemäß liegt das Hauptaktivitäts- oder sind 80 Prozent nach dem feld der parteipolitisch Engagierten auf der Verlassen des parlamentarischen Parketts lokalen Ebene. Von den Befragten, die sich kommunalpolitisch aktiv. Knapp die Hälfte ausschließlich in der Partei betätigen, waren engagiert sich in der Landespolitik, während DerNach Ausstieg ReferencesderLiteratur Ochsentour als Aufstieg

immerhin ein Fünftel bundespolitisch in bestehen, wenn nach Alter kontrolliert wird. Erscheinung tritt. Im Vergleich dazu sind die Diejenigen, denen eine erneute Nominierung ehemaligen Abgeordneten, die sich lediglich von der Partei verweigert worden ist, ziehen außerhalb der Partei engagieren, seltener auf sich also keineswegs frustriert oder schmollend der kommunalen und Landesebene aktiv, dafür aus ihren Parteiämtern zurück. Vielmehr sind etwas stärker auf der Bundesebene. Zumindest sieben von zehn auch nach dem erzwungenen bei einigen von ihnen dürfte das ehrenamtli- Ausscheiden aus dem Parlament noch in offi- che Engagement in einer bundesweit tätigen zieller Funktion für ihre Partei tätig, womög- Organisation keine Zeit mehr für Parteiarbeit lich auch um die Chancen für einen erneuten lassen. Anlauf zu erhöhen. Generell sind die wenigen Ausgeschiedenen, die eine erneute Kandidatur Die parteipolitische Tätigkeit der Ehemaligen anstreben, weit überdurchschnittlich in Partei- ist oftmals nicht auf die eines einfachen Par- ämtern verankert. Zudem unterscheiden sich teimitglieds beschränkt. Mehr als die Hälfte die Parteien in dieser Hinsicht voneinander: aller aus dem Parlament Ausgeschiedenen Während es unter den ehemaligen FDP-Ab- übt nach dem Mandatsende noch mindestens geordneten üblich ist, auch nach dem Verlassen eine Parteifunktion aus, wobei es von den der parlamentarischen Bühne Parteiämter parteipolitisch Aktiven unter ihnen sogar auszuüben, gilt dies nur für knapp die Hälfte knapp zwei Drittel sind.18 Wovon aber hängt der Ehemaligen in den Reihen der Linken und es ab, ob nach dem mutmaßlichen Ende der für eine Minderheit der vormaligen bündnis- parlamentarischen Karriere ein Parteiamt grünen Parlamentarier. Im Vergleich zur SPD übernommen oder beibehalten wird? Von üben die ehemaligen Abgeordneten der Union Bedeutung ist dabei, wie so oft bei karriere- häufiger Parteifunktionen aus – und dies auch politischen Entscheidungen, das Lebensalter: öfters auf der Landesebene. Je älter die ehemaligen Parlamentarier sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie noch Dass ein Abgeordneter nach seinem Mandat eine Funktion in der Partei innehaben. In der ein Parteiamt bekleidet, sagt freilich noch Altersdifferenz dürften denn auch die entspre- wenig über seine Stellung in der oder seine chenden Unterschiede zwischen langjährigen Bedeutung für die Partei aus. Ein bestens ver- Parlamentariern und Episodikern sowie zwi- netzter Stellvertretender Landesvorsitzender schen einstigen Bundes- und Landtagsabge- in NRW hat zweifellos ein anderes innerpar- ordneten begründet liegen. teiliches Standing als der Schatzmeister eines kleinen Ortsvereins in Mecklenburg, selbst Besonders häufig haben unfreiwillig wenn beide keiner Parlamentsfraktion mehr Seitepage 42 Ausgeschiedene ein Parteiamt inne. angehören. Aufschlussreich für die Beziehung Drei Viertel von ihnen verfügen über der Ehemaligen zu ihrer Partei ist aber vor eine offizielle Funktion in der Partei, allem, welche Ämter sie zu welchem Zeitpunkt während es bei denen, die das Parlament ihrer Karriere bekleidet haben. Daher sind freiwillig verlassen haben, nur 60 Prozent die 2003 Interviewten nach ihrem höchsten sind. Diese Unterschiede bleiben auch dann Parteiamt vor, während und nach dem Mandat Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

gefragt worden. Wie Tabelle 4 zu entnehmen veränderte, war die höchste Parteifunktion. ist, hat es sowohl im Zuge der Mandatsauf- Handelte es sich dabei vor dem Mandat noch nahme wie auch beim Mandatsende deutliche für die Hälfte der späteren Parlamentarier Veränderungen gegeben. um ein lokales Amt, so galt dies während der parlamentarischen Tätigkeit nur noch für Der Wechsel ins Parlament hat dabei – zumin- 40 Prozent. Entsprechend stieg der Anteil dest auf Aggregatebene – keinen Effekt auf die der Abgeordneten mit Positionen auf der Ausübung eines Parteiamts: Jeweils etwa 80 Landes- oder Bundesebene. Diese Zahlen do- Prozent der Befragten hatten vor dem Mandat kumentieren zunächst einen mit dem Status wie während dessen eine Parteifunktion inne. des Parlamentariers verknüpften (weiteren) Was sich im Zuge der Mandatsausübung Aufstieg in der Parteihierarchie.

Tabelle 4. Höchstes Parteiamt der 2003 befragten ehemaligen Abgeordneten vor, während und nach dem Mandat (in Prozent)

vor Mandat während Mandat nach Mandat

kein Parteiamt 18 17 44

lokales Parteiamt* 52 40 34

Parteiamt auf Landesebene 20 29 13

Parteiamt auf Bundesebene 5 10 5

Sonstiges 5 4 4

* einschließlich der Ämter auf Bezirksebene

Mit dem Ausstieg aus dem Parlament sinkt gelang es auch Einzelnen von ihnen, nach dem der Anteil der Amtsträger deutlich. Abgege- Ausscheiden eine Position auf einer territorial ben wurden vor allem Ämter auf den höheren höheren Ebene, zumeist auf Bundesebene, zu territorialen Ebenen, während der Rückgang erreichen. bei den kommunalen Parteifunktionen rela- tiv gering ausfiel. Besonders ausgeprägt war Eine genauere Betrachtung der zeit- diese Entwicklung bei den Bundestagsabge- lichen Abfolge der von den ehemali- Seitepage 43 ordneten, wenngleich letztlich alle Gruppen gen Abgeordneten eingenommenen unter den Ehemaligen davon betroffen waren. Parteifunktionen fördert eine Reihe Parteifunktionen gaben beispielsweise auch interessanter Details zu Tage. So zeigt sich, diejenigen ab, die nach dem Ausscheiden in ein dass der Anteil derjenigen, die nach dem anderes politisches Amt wechselten. Allerdings Ausscheiden keine Parteiämter mehr aus- DerNach Ausstieg ReferencesderLiteratur Ochsentour als Aufstieg

übten, weitgehend unabhängig davon ist, auf notwendig eine Entsprechung finden. Im Un- welcher territorialen Ebene zuvor die höchste terschied zu den amtierenden Mandatsträgern Parteifunktion wahrgenommen wurde. Nur sind die Ausgeschiedenen in die parlamenta- zwischen einem Fünftel und einem Viertel rischen Abläufe und Entscheidungsprozesse der Befragten, deren höchstes Parteiamt zu nicht mehr eingebunden. Gerade in einem so Abgeordnetenzeiten auf der Landes- bzw. auf schnelllebigen und notwendig auf die Tagesak- Bundesebene lag, behielt dieses Amt (oder tualität bezogenen Geschäft wie der Politik ist übernahm ein neues auf der gleichen Ebene). anzunehmen, dass sich Bedeutung und Nutzen Ein gutes Drittel von ihnen behielt gleichwohl der Ehemaligen und ihrer Expertise mit jedem Ämter auf einer nachgeordneten territorialen Tag ohne Mandat verringert. Wie also gehen Ebene oder wechselte in diese. Parteien und Fraktionen mit denjenigen um, die aus den eigenen Reihen ausscheiden – und Umgekehrt lassen sich erwartungsgemäß wie wird dieser Umgang von den Betroffenen nur wenige Ehemalige finden, die nach dem bewertet? Mandat in ein Parteiamt auf einer höheren territorialen Ebene gewechselt sind: Dies traf für sieben Prozent der Befragten mit dem 5.3 Au s d e n Au g e n , a u s d e m Si n n ? höchsten Parteiamt auf Landesebene und 13 Di e Pa r t e i u n d i h r e e h e m a l i g e n Ab g e - Prozent der Befragten mit dem höchsten Amt o r d n e t e n auf der kommunalen Ebene während Mandat zu. Erstaunlich mutet hingegen die Übernah- Dass trotz des fortdauernden Engagements me von Parteiämtern bei Abgeordneten an, die vieler ehemaliger Parlamentarier in der Par- während ihrer Zeit im Parlament über keiner- tei und für die Partei, auch manche an diese lei Parteifunktion verfügt hatten. Immerhin adressierten Erwartungen enttäuscht worden mehr als 40 Prozent von ihnen wurden in ihrer sind, zeigen nicht nur die vereinzelten Partei- postparlamentarischen Lebensphase in offizi- austritte unter den Ehemaligen. Verbreiteter eller Funktion für die Partei aktiv. Die meisten ist, wie oben schon angeklungen, die Enttäu- der Betroffenen hatten aber schon vor dem schung über die ausgebliebene Unterstützung Mandatsbeginn eine Funktion in der Partei durch die Partei beim Übergang in einen inne, die sie dann während der Mitgliedschaft „bürgerlichen“ Beruf. Immerhin sieben von im Parlament aufgaben. Entsprechend kann zehn Abgeordneten, die nach dem Mandat in hier von einer Rückkehr zu den Ursprüngen in einen neuen Beruf gewechselt sind und daher der Parteiarbeit gesprochen werden. in besonderem Maße auf die Hilfe der Partei angewiesen gewesen wären, bekunden, keiner- Seitepage 44 Insgesamt ist trotz einer klaren Ten- lei Unterstützung erhalten zu haben. denz zur Aufgabe von Parteifunkti- onen eine enge Bindung der einstigen Die explizite Unterstützung ist jedoch nur ein Parlamentarier an ihre Partei zu konstatieren. Aspekt des Umgangs der Partei mit den frü- Diese vielfältig zum Ausdruck gebrachte heren Abgeordneten, vermutlich nicht einmal Neigung muss seitens der Partei jedoch nicht der wichtigste. Immerhin hat eine deutliche Michael EdingerReferencesLiteratur & Bertram Schwarz

Mehrheit der Befragten wie erwähnt gar keine ausgeschiedenen Mandatsträgern kann aus entsprechende Hilfe erwartet. Zentrales Merk- Sicht der Fraktionen und Parteien zudem mal in der Beziehung von Parlamentariern und einen politischen Nutzen haben. Die während Partei/Fraktion ist eine regelmäßige und enge der parlamentarischen Tätigkeit erworbene Kommunikation, die mit Blick auf die gemein- Expertise wird schließlich nicht im Moment samen politischen Ziele ebenso funktional wie des Ausscheidens wertlos. Tatsächlich berich- instrumentell ist. Für die Akteure verbindet tete eine deutliche Mehrheit der Ehemaligen, sich damit aber oftmals auch eine soziale In- dass sie von aktuellen Parlamentariern um tegration. Dies gilt umso mehr, als die Politik Rat gefragt wurden. Klare Auswahlmuster der kein Beruf wie jeder andere ist, sondern beson- Mandatsträger sind dabei kaum ersichtlich. dere zeitliche und sonstige Anforderungen an Zwar werden erfahrene Ex-Parlamentarier ihre Akteure stellt. Zudem wird die Politik von häufiger angefragt als Episodiker, Inhaber von den meisten Parlamentariern in erster Linie als Parteiämtern häufiger als solche ohne Amt Berufung, mithin auch als eine Lebensaufgabe und in der alimentierten Politik Verbliebene verstanden. Es ist daher nicht anzunehmen, eher als Andere. Doch sind die Unterschiede dass das Interesse an Politik, Parteileben und jeweils nicht sonderlich groß, und selbst von Politikgestaltung mit dem Mandatsende den „Ruheständlern“ berichtete mehr als die schlagartig erlischt. Hälfte von entsprechenden Anfragen der Mandatsträger. Einzig die Expertise der po- In welchem Umfang aber, wenn überhaupt, litisch nicht mehr Engagierten wird von den werden die Ehemaligen von Partei und Frakti- Parteien und Fraktionen nur selten nachge- on noch sozial und politisch eingebunden? Ihr fragt. Verbleib bzw. ihre Rekrutierung in Parteiämter ist dabei ein starker Anhaltspunkt für eine Die Ehemaligen sind ihrerseits bemüht, politische Einbindung. In den allermeisten ihre Kontakte in die berufliche und parla- Fällen reißt aber auch der soziale Kontakt zu mentarische Politik zugunsten der Bürger den im Parlament verbliebenen (vormaligen) zu nutzen. Nicht weniger als vier von fünf Fraktionskollegen keineswegs abrupt ab. Auch ausgeschiedenen Parlamentariern gaben an, wenn die Kontaktintensität und -häufigkeit mit in dieser Weise bereits tätig geworden zu sein. wachsendem zeitlichen Abstand zur Abgeord- Damit knüpfen sie mutmaßlich nahtlos an netentätigkeit nachlassen, steht eine Mehrheit die frühere Wahlkreisarbeit an, zu der nicht der Ehemaligen selbst Jahre nach dem Aus- zuletzt das Aufgreifen konkreter Anliegen von scheiden noch in Verbindung mit den früheren Bürgern und deren „Einspeisung“ in Kollegen. Dies macht auch verständlich, wes- den parlamentarischen Beratungs- halb nur jeder fünfte Ex-Parlamentarier den und Entscheidungsprozess gehörten. Seitepage 45 Austausch mit den einstigen Fraktionskollegen Die Fortsetzung dieses Engagements stark oder sehr stark vermisst, in der Partei über die Zeit der Zugehörigkeit zum Engagierte mehr als andere. Parlament hinaus kann als ein Ausweis von Responsivität gelten. Faktisch setzten die Die Aufrechterhaltung der Kontakte zu den Ehemaligen damit eine Tätigkeit fort, die DerNach Ausstieg ReferencesderLiteratur Ochsentour als Aufstieg

Vielen von ihnen als positivster Aspekt der maßgeblich dazu beitragen, dass sich viele der parlamentarischen Arbeit gegolten hat: etwas Ausgeschiedenen auch heute noch als Politiker Konkretes für die Bürger bewegen bzw. errei- verstehen. Bedeutet also das Verlassen der par- chen zu können. lamentarischen Bühne lediglich den Übergang vom bezahlten zum unbezahlten Politiker? Die referierten Befunde sprechen keinesfalls dafür, dass Abgeordnete mit dem Ausscheiden aus dem Parlament zu „Ausgemusterten“ wer- den. In einzelnen Fällen mag im Verhältnis der Partei/Fraktion zum ehemaligen Mandatsträ- ger gelten: „Aus dem Blick, aus dem Sinn“. In der Regel aber bleibt dieser in einem gewissen Umfang zumindest in den ersten Jahren nach dem Mandatsende politisch und sozial ein- gebunden – solange gesundheitliche Gründe oder ein Zerwürfnis mit der Partei dem nicht entgegenstehen. Aus der Perspektive sowohl der Parteien als auch der Ehemaligen und darüber hinaus auch unter dem Gesichtspunkt der Karrieresequenzen ist diese Kontinuität hochgradig plausibel. Bezogen auf die ge- samte Phase der politischen Betätigung eines ehemaligen Abgeordneten sind schließlich das Parlamentsmandat und die Mitgliedschaft in der Fraktion nur ein „Aggregatzustand“ der Beziehung zur Partei. Diesem gehen zumeist längere Perioden der außerparlamentarischen Parteitätigkeit voraus. Es ist von daher nur fol- gerichtig, wenn – gewissermaßen im beider- seitigen Interesse – auch danach der Kontakt aufrechterhalten wird.

Die beiden neben der Ausübung von Parteiämtern wichtigsten Formen Seitepage 46 des Kontakts mit der früheren (par- lamentarischen) Arbeitswelt, zum einen die Beratung der Fraktion bzw. ihrer Mitglieder und zum anderen die Übermittlung von Bürgeranliegen an die politischen Handlungsträger, dürften zugleich

MichaelHildenbrand, EdingerReferencesLiteratur Bohler, & Bertram Engelstädter, Schwarz Franzheld, Schierbaum, Schmidt

6.1 Po l i t i k e r – a u c h o h n e Am t u n d Ma n d a t ?

s ist eine weithin bekannte Tatsache, dass sich das subjektive Zugehörig- keitsempfinden einer Person und ihre Eobjektive Lage nicht decken müssen. Ange- 6 wandt auf die Welt der Politik bedeutet dies einerseits, dass sich in der beruflichen Politik Tätige nicht als Politiker definieren müssen. Andererseits können sich diejenigen, die diese längst verlassen haben, gleichwohl wie (Berufs-)Politiker verhalten. Letzteres wird dadurch begünstigt, dass es keine anerkannten Kriterien gibt, nach denen sich bestimmen lässt, ob jemand ein Politiker ist oder nicht. Faktisch sahen sich drei Viertel der 2007 befragten ehemaligen Parlamentarier (weiter- Po l i t i s c h e s En g a g e m e n t e h e m a l i g e r hin) als Politiker.19 Dieses Selbstverständnis Ab g e o r d n e t e r war interessanterweise nicht nur losgelöst vom Verbleib in der beruflichen Politik, sondern zumindest partiell auch von der aktuellen Tä- tigkeit: Als Politiker betrachten sich beispiels- weise auch drei Viertel der Ausgeschiedenen ohne Parteiamt; sogar unter den politischen „Abstinenzlern“ war es noch gut die Hälfte.

Wenn die Tätigkeit in der beruflichen Politik eine so nachhaltige Wirkung hat, dass sie mitunter selbst beim Ausstieg aus jedweder aktiver Politik das Selbstbild der Betroffenen zu beeinflussen vermag, liegt die Vermutung nahe, der Abschied von der par- lamentarischen Bühne müsse mit Verlusterfahrungen einhergegangen Seitepage 47 und vielen Betroffenen entsprechend schwer gefallen sein. Folgt also auf den „Höhenrausch“ der (Macht-)Politik (Leinemann 2004) mit dem Ausscheiden die große Ernüchterung? Sind die einstigen PolitischesDer Ausstieg EngagementReferencesLiteraturEpilog als Aufstieg ehemaliger Abgeordneter

Parlamentarier gar „Politik-Junkies“, die von zwar noch politisch aktiv waren, aber keine der Droge nicht lassen können – und sich Parteiämter mehr innehatten. Umgekehrt gilt, nach dem Mandat „Ersatzbefriedigungen“ in dass Schwierigkeiten, sich von der parlamen- nachgeordneten politischen Arenen suchen? tarischen Politik zu verabschieden, mit einem sichtbaren Parteiengagement einhergehen. Dass bei aller Überspitzung der Suchtcha- Dieser Zusammenhang spricht zunächst für rakter der Politik nicht aus der Luft gegriffen ein gewisses „Suchtpotenzial“ der Politik und ist, mag man an den Erwartungen der (noch) lässt zumindest die Deutung zu, dass das amtierenden Parlamentarier ablesen. Fast die fortdauernde politische Engagement in mehr Hälfte der befragten (aktuellen) Mandatsträ- oder weniger exponierter Position auch eine ger bekundete 2007, dass es ihnen schwer oder kompensatorische Funktion haben kann (vgl. sehr schwer fallen werde, von der Politik los zu Kap. 6.2). kommen. Die Strukturen moderner Berufs- politik erschweren zudem bekanntermaßen Was aber vermissen die ehemaligen Abgeord- den Übergang in die (Berufs-)Welt außerhalb neten, die im Anschluss an ihr Mandat aus der Politik (vgl. Kap. 4.1). Die ehemaligen der beruflichen Politik ausgeschieden sind, am Parlamentarier, von denen sich – auf ihre Ab- meisten an ihrer früheren Arbeit als Parlamen- geordnetenzeit zurückblickend – 60 Prozent tarier? Von insgesamt sechs Aspekten wurde als Berufspolitiker betrachteten, waren sich am häufigsten der Zugang zu vielfältigen und zudem einiger problematischer Implikationen schwer erreichbaren Informationen genannt. einer solchen Verhaftung in der (beruflichen) Aber selbst diesen vermisste mit 41 Prozent Politik schmerzlich bewusst. So stimmten nur eine Minderheit der Ehemaligen stark oder immerhin 80 Prozent der Aussage zu, dass sehr stark (Tab. 5). An zweiter Stelle folgte die bei langjährigen Abgeordneten die Gefahr hauptamtliche Beschäftigung mit der parla- bestehe, den Bezug zur Lebenswirklichkeit der mentarischen Politik. Kaum vermisst wurden Bürger zu verlieren. hingegen all jene Aspekte der parlamentari- schen Tätigkeit, die mit der Außenwirkung zu Angesichts dieses Problembewusstseins und tun haben, also der Zugang zur Öffentlichkeit der skeptischen Erwartungen überrascht die und die gesellschaftliche Anerkennung. Der Leichtigkeit, mit der sich die große Mehrheit Grund dafür liegt auf der Hand: Beides ist der Ehemaligen nach eigenem Bekunden auch durch eine (partei-)politische Tätigkeit aus der beruflichen Politik verabschiedet außerhalb des Parlaments erreichbar. hat. Nur jeder Vierte berichtete von entsprechenden Problemen. Die Wie eine statistische Analyse ergab, lassen Seitepage 48 geringsten Schwierigkeiten bereitete sich zwei Faktoren dessen unterscheiden, was der Ausstieg erwartungsgemäß den vermisst wird (Tab. 5). Der erste Faktor wird Abgeordneten, für die sich an das durch parlamentsinterne Aspekte gebildet, vor Mandat unmittelbar der Ruhestand anschloss. allem durch die mit dem Ausscheiden nicht Auffällig selten waren die berichteten „Ent- mehr nutzbare parlamentarische Infrastruktur zugserscheinungen“ bei den Befragten, die und den fehlenden Zugang zu Informationen.

MichaelHildenbrand, EdingerReferencesLiteratur Bohler, & Bertram Engelstädter, Schwarz Franzheld, Schierbaum, Schmidt

Den zweiten Faktor bilden die mit der Außen- wirkung verbundenen Aspekte der parlamen- tarischen Tätigkeit: die gesellschaftliche Aner- kennung und der Zugang zur Öffentlichkeit. Beide Faktoren gemeinsam sind gut in der Lage zu erklären, was den aus dem Parlament und der alimentierten Politik Ausgeschiedenen in ihrer postparlamentarischen Lebensphase nach eigenem Bekunden fehlt; die Varianz- aufklärung beläuft sich auf beachtliche 62 Prozent.

Bemerkenswert aber ist, wie viele Ehemalige nicht einen einzigen Aspekt der parlamentari- schen Arbeit stark oder sehr stark vermissen. Mit 38 Prozent handelt es sich um weit mehr als ein Drittel der Befragten, wohingegen nur jeder Fünfte drei oder mehr Aspekte nannte (vgl. den unteren Teil von Tab. 5). Damit be- stätigen sich auch bei diesen konkreten Fragen die geringen Schwierigkeiten der meisten Ehemaligen beim Ausscheiden aus dem Par- lament. Ein etwas anderes Bild ergibt sich für die unfreiwillig Ausgeschiedenen: Von ihnen vermisste die Hälfte zwei oder mehr Aspekte der früheren parlamentarischen Arbeit; unter den freiwillig Ausgeschiedenen waren es gera- de einmal 30 Prozent.

Seitepage 49 PolitischesDer Ausstieg EngagementReferencesLiteraturEpilog als Aufstieg ehemaliger Abgeordneter

Tabelle 5. Was ehemalige Abgeordnete an der parlamentarischen Arbeit vermissen (nur 2007 Befragte, die nicht mehr in der beruflichen Politik tätig sind; in Prozent)

sehr stark stark ein wenig gar nicht

Faktor 1: Parlamentsinterne Aspekte

parlamentarische Infrastruktur 7 16 32 45

Zugang zu Informationen 14 27 27 32

hauptamtliche Beschäftigung mit Politik 11 18 38 33

Faktor 2: Parlamentsexterne Aspekte

gesellschaftliche Anerkennung 1 7 33 59

Zugang zur Öffentlichkeit 1 9 24 66

Kontakt zu Fraktionskollegen* 3 19 48 30

Varianzaufklärung insgesamt: 62% (Faktor 1: 43%; Faktor 2: 19%)

Anteil der Ehemaligen, die von den sechs genannten Aspekten der parlamentarischen Arbeit … (sehr) stark vermissen

keinen 38

einen 23

zwei 21

drei oder mehr 18

* nicht zuzuordnen, da dieser Aspekt auf beide Faktoren lädt

Das politische Engagement bleibt ebenso wie Hälfte der Ehemaligen nach dem Ende ihrer das ehrenamtliche Engagement außerhalb parlamentarischen Tätigkeit neue ehrenamtli- der Partei von dem wahrgenomme- che Aufgaben übernommen, von diesen wiede- nen Verlust der parlamentarischen rum die Hälfte sogar zwei oder mehr. Zudem Seitepage 50 „Privilegien“ ungetrübt: Einmal amtiert ein beträchtlicher Anteil der Ex-Par- mehr sind es die nach dem Mandat lamentarier in führender Position in Vereinen in Parteiämtern Aktiven, die den und Verbänden, vielfach als Vorstandsmitglied. während der Abgeordnetenzeit bestehenden Fast jeder Zweite war zum Zeitpunkt der Be- Arbeitsmöglichkeiten überdurchschnittlich fragung in einer karitativen Organisation tätig, häufig nachtrauern. Zudem hat mehr als die ein Drittel in Sport- bzw. Freizeitvereinen, jede

MichaelHildenbrand, EdingerReferencesLiteratur Bohler, & Bertram Engelstädter, Schwarz Franzheld, Schierbaum, Schmidt

vierte frühere Abgeordnete in einer Frauenor- befragten Ehemaligen strebten zurück in die ganisation. Hinzu kommen Vorstands- oder alimentierte Politik, darunter gut die Hälfte andere Führungspositionen im politiknahen in ihr früheres Mandat, vorwiegend in einem Bereich, insbesondere in Gewerkschaften und Landesparlament. Allein unter den einstigen Unternehmerorganisationen (Best/Edinger/ Abgeordneten der Linken war dieser Anteil Vogel 2008: 18). wesentlich höher. Weitere sieben Prozent planten, für ein Mandat in einer kommunalen Das Gesamtbild, das sich aus all diesen Mo- Vertretungskörperschaft zu kandidieren, für saiksteinen zusammensetzt, zeigt eine zumal das aber bekanntlich nur Aufwandsentschädi- angesichts des teils fortgeschrittenen Alters gungen gezahlt werden und die folglich kein gesellschaftlich enorm aktive Gruppe von eins- Leben „von der Politik“ ermöglichen. tigen Mandatsträgern. Zu dem dominanten parteipolitischen Engagement, mit dem teils Eine genauere Aufschlüsselung ergibt erwar- während des Mandats ausgeübte Tätigkeiten tungsgemäß, dass ehemalige Abgeordnete mit fortgeführt werden, teils an vorausgehende Parteiämtern und insbesondere mit Funkti- Aktivitäten angeknüpft wird, kommen das onen auf der Landesebene ein überproportional Engagement in politiknahen Bereichen und großes Interesse daran haben, ihre Karriere in vielfältige Ehrenämter außerhalb der Politik. der beruflichen Politik fortzusetzen. Besonders Der Lebensabend selbst der aus Altersgrün- stark auf einen Wiedereinstieg in die haupt- den nicht mehr Berufstätigen gleicht vielfach amtliche Politik orientiert sind die unfreiwillig eher einem „Unruhestand“. Das politische und Ausgeschiedenen und unter diesen wiederum gesellschaftliche Engagement, das sich an die diejenigen, die erfolglos kandidiert hatten. hochaktive Phase des Parlamentarier-Daseins Selbst in dieser Gruppe aber strebt weniger anschließt, spricht entschieden gegen die Ver- als ein Drittel eine neuerliche Kandidatur für breitung eines puren Karriere-Opportunismus ein Mandat bzw. Amt in der beruflichen Po- unter Abgeordneten: Wer allein um einer litik an. Letztlich bleibt festzuhalten, dass Art parlamentarischen (oder exekutiven) Position und Ausmaß des politischen Engagements willen „in die Politik“ gegangen ist, der wird nach dem Mandat zwar nicht losgelöst von sich nach dem Ausscheiden nicht in dieser weiteren politischen Ambitionen sind, dass Weise ehrenamtlich engagieren. aber das Gros der ehemaligen Parlamentarier inner- wie außerhalb der Partei politisch aktiv Dieser Befund lässt sich – über die 2007 In- ist, ohne damit karrierestrategische Ziele zu terviewten hinaus für alle befragten Ehemali- verknüpfen. gen – auf zweierlei Weise untermauern: durch einen Blick auf die Karriereambitionen und Gegen eine vorrangig karrierestra- Seitepage 51 dadurch, dass bei den wenigen politisch absti- tegische Motivation politischer und nenten Ex-Parlamentariern den Gründen des gesellschaftlicher Betätigung der fehlenden Engagements nachgegangen wird. Ehemaligen sprechen zusätzlich die Gründe, Die Karriereorientierungen sind insgesamt die für das fehlende politische Engagement schwach ausgeprägt: Nur knapp 14 Prozent der nach dem Ende des Mandats genannt wur- PolitischesDer Ausstieg EngagementReferencesLiteraturEpilog als Aufstieg ehemaliger Abgeordneter

den. Entspränge diese politische Abstinenz und gesellschaftlichen Engagement – und der Frustration über blockierte Karriere- und nicht zuletzt gemäß ihrem Selbstverständnis. Aufstiegschancen, so wäre zu erwarten, Der gewissermaßen „natürliche“, aber nicht dass vorwiegend negative Erfahrungen und notwendig der alleinige Lokus ihrer post- Schwierigkeiten mit der Partei als Gründe an- parlamentarischen politischen Betätigung geführt würden. Tatsächlich wurden negative ist die kommunale Politik. Oftmals schließt Erfahrungen in der Politik und mangelnder sich damit der „Karriere-Kreislauf“: Politische Rückhalt in der Partei von jeweils etwa einem Karrieren werden vielfach auf der kommunalen Drittel der befragten Betroffenen genannt. Ebene vorbereitet oder begonnen – und dort Beide Gründe hängen zudem stark miteinan- enden sie häufig. Schon deshalb verdient das der zusammen, mit anderen Worten: Wenn ein kommunalpolitische Engagement der Ehema- Befragter einen dieser beiden Gründe angibt, ligen eine genauere Betrachtung. nennt er mit großer Wahrscheinlichkeit auch den anderen. 6.2 Ko mm unalpolitik a l s „Er s a t z b e f r i e - Gleichwohl bestritten jeweils etwa sechs von d i g u n g “? zehn Betroffenen entschieden, dass sie aus ei- nem dieser beiden karriererelevanten Gründe Die Ochsentour ist hier bereits mehrfach nicht mehr politisch aktiv wären. Weit häufi- erwähnt worden, und auch im Kontext der ger wurden private/persönliche Gründe ange- Kommunalpolitik spielt sie eine maßgebliche geben, die faktisch durchweg mit dem Alter, Rolle. Hier empfehlen sich ambitionierte Gesundheitszustand und/oder der familiären Kandidaten durch Parteiarbeit und/oder die Situation assoziiert sein dürften. Darüber hi- Übernahme lokaler Posten, um die höheren naus spielte bei denjenigen, die nach Mandat politischen Weihen zu erlangen. Im Falle eines einer Berufstätigkeit nachgingen, vielfach die späteren Mandatsgewinns ermöglicht diese berufliche Belastung eine Rolle. Erwartungs- lokale Verwurzelung dann eine gesicherte Stel- gemäß wurde das fehlende politische Interesse lung in den lokalen und regionalen Partei- und fast überhaupt nicht genannt. Zu sehr sind Politikstrukturen. Vor allem die Orts- und offenbar die ehemaligen Parlamentarier mit Kreisverbände der Parteien sind es, in denen Herz und Verstand „Politiker“, als dass sie das „Kartell der Amtsinhaber“ (Borchert/ selbst unter widrigen Umständen das Interesse Stolz 2003: 151) den politischen Arbeitsmarkt am politischen Geschehen verlieren könnten. reguliert und somit die Entscheidungsgewalt darüber innehat, wer sich überhaupt dem Alle hier referierten Befunde bestä- Wählervotum stellen darf. Da zumeist auf Seitepage 52 tigen, dass Abgeordnete auch nach dieser Ebene die Grundlagen für den Weg ins ihrer parlamentarischen Tätigkeit Parlament gelegt werden, kommt ihr höchste und ohne ein anderes (vergütetes) Relevanz für den weiteren Karriereverlauf zu. politisches Amt Politiker bleiben: ausweislich ihrer Parteiämter, ihrer Funktionen in politi- Die Kommunalpolitik bietet Bewerbern für die schen Interessengruppen, ihrem politischen parlamentarische Arena die optimale Bühne,

MichaelHildenbrand, EdingerReferencesLiteratur Bohler, & Bertram Engelstädter, Schwarz Franzheld, Schierbaum, Schmidt

um ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. 35 Prozent der Ehemaligen, die in ihrer post- Sie gilt daher auch als die traditionelle Schule parlamentarischen Lebensphase mindestens des politischen Handwerks (Herzog 1975). eine kommunale Position übernommen (oder Wer diese Probe nicht besteht, wird kaum behalten) haben. Die politische Tätigkeit nach den Weg in ein Mandat auf Landes- oder gar Mandat ist demnach weit häufiger durch die Bundesebene finden. Etwa 60 Prozent aller Ausübung von Parteiämtern (vgl. Kap. 5.2) Landes- und Bundesparlamentarier haben als durch die kommunaler (Wahl-)Ämter im Vorfeld ihrer berufspolitischen Tätigkeit bestimmt. ein kommunales Mandat ausgeübt.20 Doch nicht nur für den Aufstieg werden auf dieser Ehemalige Landtags- und Bundestags- Ebene die Weichen gestellt, sondern auch abgeordnete unterscheiden sich in ihrem für den Verbleib im Parlament. Durch eine kommunalpolitischen Engagement kaum einflussreiche Stellung innerhalb der lokalen voneinander. Eine deutliche Differenz ist Strukturen ist es möglich, die eigene Position dagegen beim Ost-West-Vergleich erkennbar: zu sichern und potenzielle Gegenkandidaturen Die in den ostdeutschen Ländern gewählten erfolgreich abzuwehren. Immerhin 48 Prozent Parlamentarier sind nach ihrem Ausscheiden aller Abgeordneten üben neben ihrem Mandat kommunalpolitisch durchweg stärker enga- kommunale Funktionen aus. Die Kumulation giert als die Abgeordneten aus Westdeutsch- verschiedener Posten ist hierbei eine vielver- land. Diese Unterschiede setzen sich bei den sprechende und häufig genutzte Strategie, kommunalpolitischen Funktionen fort, d.h. um den eigenen Einflussbereich so breit wie auch unter den Befragten mit Mandaten in möglich zu gestalten (Navarro 2009). Doch lokalen Bürgervertretungen und mit Ämtern welchen Stellenwert hat das kommunalpoli- in der Kommune sind die Ostdeutschen über- tische Engagement nach dem Mandat? Wie repräsentiert. Vor allem die hohen Anteile weit ist es verbreitet und welche Motivationen unter den Funktionsträgern überraschen, weil stecken dahinter? sie der Situation vor und während Mandat nicht entsprechen: Die kommunalpolitische Das Engagement auf kommunalpolitischer Verwurzelung der ostdeutschen Abgeordne- Ebene ist unter ehemaligen Parlamentariern ten vor dem Mandat war generell wesentlich weit verbreitet. Etwa zwei Drittel der befrag- schwächer ausgeprägt als bei ihren Kollegen ten Ehemaligen sind nach dem Ausscheiden in den westdeutschen Ländern (Edinger kommunalpolitisch aktiv gewesen. Über Art 2009: 192f.), und dieses Muster setzte sich und Umfang dieser Aktivitäten ist damit je- auch während der Zeit im Parlament doch noch keine Aussage getroffen. Mandate fort. Die besonderen Umstände des in Stadt- und Gemeinderäten, Kreistagen oder Systemwechsels, als eine kommunal- Seitepage 53 anderen Vertretungskörperschaften auf lokaler politisch wenig erfahrene Generation Ebene hat nur knapp die Hälfte der kommunal- von Politikern ins Parlament gelangte, politisch engagierten Ehemaligen inne. Hinzu machen sich hier bemerkbar. Auf die postpar- kommt ein kleiner Teil der Befragten, die ein lamentarische Phase strahlen diese Ost-West- kommunales Amt ausüben. Insgesamt sind es Unterschiede allerdings nicht mehr aus. Dies PolitischesDer Ausstieg EngagementReferencesLiteraturEpilog als Aufstieg ehemaliger Abgeordneter

kann als ein Anhaltspunkt dafür gelten, dass „Kommunalpolitiker“ einer kommunalen sich die Karrierewege ostdeutscher Parlamen- Vertretungskörperschaft angehört, aber kein tarier – wie schon in der Vergangenheit – wei- Führungsamt in der Kommunalverwaltung ter den in Westdeutschland etablierten Pfaden ausgeübt hat. Dies gilt gleichermaßen vor, annähern werden. während und nach dem Mandat. Allerdings hat sich bei den befragten „Kommunalpo- Das starke kommunalpolitische Engagement litikern“ eine augenfällige Verschiebung im im Anschluss an die berufspolitische Karriere Verhältnis dieser Positionen ergeben, wenn findet sich unter den Abgeordneten aller Par- man die vorparlamentarische mit der nach- teien, jedoch mit interessanten Niveauunter- parlamentarischen Phase vergleicht. Während schieden. Aufschlussreich ist dabei, wie sich die vor Mandat Funktionen in den kommunalen Ausübung kommunaler Mandate und Ämter Bürgervertretungen extrem dominiert haben, im Zeitverlauf – von der vorparlamentarischen ist dies nach dem Ausscheiden aus dem Par- Phase über die Mandatszeit bis zur postparla- lament nicht mehr in gleichem Ausmaß der mentarischen Periode – entwickelt hat. Dabei Fall. Gegen Ende des politischen Werdegangs ist der Anteil dieser „Kommunalpolitiker“ in werden demnach verstärkt Positionen in der den Reihen von CDU und SPD am höchsten, kommunalen Exekutive angestrebt und auch bei FDP und Bündnisgrünen nur wenig ge- erreicht, während kommunale Mandate relativ ringer gewesen. Bei der Linken war hingegen dazu an Attraktivität verlieren. Anhand der vor dem Einstieg in die Berufspolitik nur jeder Analyse einer geringen Zahl von Ehemaligen, Dritte in dieser Weise kommunalpolitisch für die die genaue kommunale Position nach aktiv. Während des Mandats sank der Anteil Mandat bekannt ist, lässt sich auch zeigen, wel- der Kommunalpolitiker generell ab, besonders che kommunalen Ämter ehemalige Abgeord- drastisch in den Reihen der Bündnisgrünen. nete bevorzugt einnehmen: die des Landrats Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den und (Ober-)Bürgermeisters. Das hohe Maß Anteilen der kommunalen Funktionsträger an persönlichem Gestaltungsspielraum, das nach dem Ende des Mandats. Während unter mit diesen Ämtern verbunden ist, dürfte dabei den ehemaligen Abgeordneten der Union, neben den monetären Anreizen ihre Attrak- der SPD und der Linken jeweils zwischen 35 tivität für die postparlamentarische Karriere und 40 Prozent kommunale Mandate oder ausmachen. Ämter innehatten, traf dies nur auf ein knap- pes Viertel der vormaligen bündnisgrünen Doch welche persönlichen Beweggründe geben Abgeordneten zu. Auch unter den die Ehemaligen selbst für ihr Engagement in Ehemaligen der FDP fanden sich nur der Kommunalpolitik generell, also unabhängig Seitepage 54 unterdurchschnittlich viele „Kommu- von der Ausübung kommunaler Funktionen an? nalpolitiker“. Am häufigsten wird mit fast 80 Prozent Nen- nungen naheliegenderweise der Wunsch ge- Schon wegen der unterschiedlichen Verfüg- äußert, etwas für die Heimatregion zu bewegen. barkeit von Mandaten und Ämtern liegt auf Ein ähnlich großer Teil der kommunalpolitisch der Hand, dass die deutliche Mehrheit dieser Aktiven unter den Ehemaligen gab an, die im

MichaelHildenbrand, EdingerReferencesLiteratur Bohler, & Bertram Engelstädter, Schwarz Franzheld, Schierbaum, Schmidt

Parlament geknüpften Kontakte für die eigene Region nutzen zu wollen. Hingegen stimmten nur 40 Prozent dieser Gruppe der Aussage zu, dass man nur in der Kommunalpolitik etwas bewegen könne. Nur jeder Fünfte bekundete, als Landtags- bzw. Bundestagsabgeordneter zu weit von den tatsächlichen Problemen der Bür- ger entfernt gewesen zu sein und sich darum nun kommunalpolitisch zu betätigen.

Vor allem bei diesem Movens für kommu- nalpolitisches Engagement unterscheiden sich ost- und westdeutsche Ex-Abgeordnete und auch Landes- und Bundesparlamentarier deutlich voneinander (Abb. 6). Die zu große Entfernung nannten doppelt so viele Ostdeut- sche wie Westdeutsche, wenngleich eine klare Mehrheit in beiden Landesteilen darin keinen Grund für ihre Aktivitäten auf kommunaler Ebene sah. Interessanter ist der Unterschied zwischen den Ebenen. Die Annahme, dass aufgrund der größeren Wahlkreise und der in der Regel größeren räumlichen Entfernung zwischen Wahlkreis und Parlamentssitz diese Wahrnehmung eher Bundestagsabgeordnete zu einer anschließenden kommunalpolitischen Tätigkeit motiviert, bestätigt sich nicht. Nur eine kleine Minderheit unter ihnen (acht Prozent) gab diesen Grund an, hingegen jeder vierte Landesparlamentarier (Abb. 6). Im Parteienvergleich fällt der hohe Anteil an Zustimmung in den Reihen der Linken auf. Offensichtlich wird die Entfernung von den Problemen der Bürger in ihren Reihen besonders deutlich empfunden. Dadurch lässt Seitepage 55 sich auch ein Teil des Unterschieds zwischen westdeutschen und ostdeutschen Abgeordne- ten erklären; unter Letzteren sind die Linken bekanntlich weit stärker vertreten. PolitischesDer Ausstieg EngagementReferencesLiteraturEpilog als Aufstieg ehemaliger Abgeordneter

Abbildung 6. Kommunalpolitisches Engagement wegen zu weiter Entfernung von den Problemen (Zustimmung in Prozent)*

50

39 40

29 30 26

22

20 18 15

10 8

0 West Ost MdB MdL CDU SPD Linke

Herkunft Ebene Partei

* Frageformulierung: „Welche der folgenden Dinge waren bzw. sind wesentlich für Ihr Engagement in der Kommunalpolitik? ÆÆAls Landtags-/Bundestagsabgeordneter ist man zu weit von den wirklichen Problemen der Leute entfernt.“

Interessanterweise unterscheiden sich die politik als „Ersatzbefriedigung“. Gründe für ein kommunalpolitisches Engage- ment kaum danach, ob die Befragten während Eine kompensatorische Funktion des politi- ihrer Abgeordnetenzeit ein Mandat oder Amt schen Engagements in der Kommune kommt auf lokaler Ebene innehatten oder nicht. Le- aber nur bei denjenigen Ehemaligen in Frage, diglich die Aussagen, dass man nur als Kom- die nicht bereits vor dem Ausscheiden aus dem munalpolitiker konkret etwas bewegen kann, Parlament entsprechend aktiv waren. Dabei und zur verstärkten Tätigkeit für die handelt es sich jedoch nur um eine Minderheit. Heimatregion wurden von den Funk- Von den nach Mandat kommunalpolitisch Seitepage 56 tionsträgern während Mandat signifi- Aktiven verfügten 57 Prozent vor dem Mandat kant stärker unterstützt. Schon diese über eine Funktion auf kommunaler Ebene. Gleichartigkeit in den Beweggründen Während des Mandats galt dies immer noch zwischen vormaligen „Kommunalpolitikern“ für fast die Hälfte. Hinzu kommt ein nicht und den anderen Ex-Parlamentariern weckt genau zu beziffernder, aber mutmaßlich großer Zweifel an dem Charakter der Kommunal- Anteil von Befragten, die keine „Kommunal-

MichaelHildenbrand, EdingerReferencesLiteratur Bohler, & Bertram Engelstädter, Schwarz Franzheld, Schierbaum, Schmidt

politiker“ im hier verstandenen Sinn waren, sich aber gleichwohl vor und/oder während Mandat kommunalpolitisch engagiert hatten. Insofern spricht Vieles für eine Kontinuität kommunalpolitischen Engagements und gegen die These von der „Ersatzbefriedigung“.

Insgesamt ist das kommunalpolitische En- gagement der Abgeordneten auch nach dem Verlassen des Parlaments beachtlich. Es schlägt sich jedoch seltener als vor oder während der Abgeordnetenzeit in kommunalen Ämtern und Mandaten nieder. Eine vergleichsweise hohe Attraktivität besitzen für die ehemaligen Par- lamentarier alimentierte Exekutivfunktionen, also kommunale Positionen in der beruflichen Politik (vgl. Kap. 3). Unter den Ehemaligen, die nach dem Mandat kommunale Funktionen ausüben, überwiegen deutlich die „Lokalma- tadoren“, die für ihre Partei in den Vertre- tungskörperschaften sitzen und oftmals bereits vor und/oder während ihrer aktiven Zeit als Parlamentarier „Kommunalpolitiker“ gewesen sind. Eine kleinere Gruppe, die als „Gestalter“ charakterisiert werden können, zieht es unab- hängig von ihrer kommunalpolitischen Vorer- fahrung in die Exekutive, um ihre politischen Vorstellungen (und sicherlich auch sich selbst) nach jahrelanger Parlamentstätigkeit in einem kleineren Rahmen verwirklichen zu können. Beide Gruppen eint aber die Hauptmotivation: die Nutzbarmachung ihrer Erfahrungen und Kontakte für die eigene Kommune.

Seitepage 57 DerPolitik AusstiegReferencesLiteratur imEpilog Rückspiegel als Aufstieg

7.1 Bl i c k z u r ü c k o h n e Zo r n : Ka r r i e r e - g e w i ss h e i t s t a t t En t t ä u s c h u n g ?

er Weg in ein Abgeordnetenmandat ist in der Regel lang, der Abschied aus dem Parlament kann dafür umso Düberraschender sein und abrupt erfolgen. Doch 7 ganz gleich, auf welche Art ein Abgeordneter aus dem Amt scheidet, er wird sicherlich auf eine erfahrungsreiche Zeit zurückblicken kön- nen. Das weite Spektrum einer Abgeordneten- tätigkeit gibt dabei Raum zur Verwirklichung eigener Zielsetzungen und Ideale; andererseits wirken dem womöglich gewisse parlamenta- rische Strukturen (wie beispielsweise die oft zitierte Fraktionsdisziplin) entgegen. Dieses Spannungsfeld kann zwar theoretisch beschrie- ben werden, doch unmittelbar erfahren können Po l i t i k i m Rü c k s p i e g e l es Außenstehende nicht. Daher ist es überaus reizvoll, die retrospektiven Einschätzungen der ehemaligen Parlamentarier und ihre eigene Sicht der Dinge kennenzulernen.

Dabei wird schon auf den ersten Blick eines deutlich: Eine Enttäuschung war die Zeit im Parlament für die wenigsten von ihnen. Die Zufriedenheit mit dem Mandat ist überaus hoch: Insgesamt bewerteten fast 80 Prozent der Befragten die Abgeordnetentätigkeit als weitgehend oder sogar sehr befriedigend. Nur jeder Zwanzigste empfand die Mandatszeit als eher unbefriedigend. Interessant ist hier die Aufschlüsselung nach Ebenen: Die Zufrie- denheitsquote liegt unter den Bundestagsab- Seitepage 58 geordneten deutlich höher als unter den Lan- desparlamentariern. Nur jeder vierte ehemalige Landtagsabgeordnete empfand seine Tätigkeit als sehr befriedigend, während der Anteil unter den Bundestagsabgeordneten nahezu doppelt so hoch ist. Dieser Befund ist allerdings keine

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Überraschung, sind die Kompetenzen auf Bun- Fast jeder zweite Befragte schätzt diesen als desebene doch deutlich größer und der Gestal- ziemlich groß ein, weitere 15 Prozent der tungsspielraum dementsprechend breiter. Abgeordneten empfinden ihn sogar als sehr groß. Mit 33 Prozent hat aber auch ein nicht Mit Blick auf die bereits untersuchte Tätig- zu ignorierender Anteil der Ehemaligen den keit in der Kommunalpolitik, ergeben sich Eindruck, geringe Gestaltungsmöglichkeiten Parallelen zwischen der hier betrachteten gehabt zu haben. Dies deutet auf ein Span- Zufriedenheit und dem dort angesprochenen nungsfeld zwischen eigenen Gestaltungsan- Gefühl, als Landesparlamentarier zu weit sprüchen und dem geringen Standing in der von den tatsächlichen Problemen entfernt zu Fraktion hin, das die innerfraktionelle Durch- sein (vgl. Kap. 6.2). Der Bundestag scheint setzung eigener Positionen erschwert. demnach die Erwartungen der Abgeordneten an das Mandat (und die damit verbundenen Betrachtet man hier die Gruppe der Ex- Gestaltungsansprüche) in einem höheren Maß Parlamentarier, die sich im Vergleich zu zu erfüllen, als dies die Landesparlamente tun. ihren Kollegen weniger in ihre Fraktion Dabei sind zwischen den Fraktionen keine eingebunden fühlten (Abb. 7, graue Säulen), nennenswerten Abweichungen festzustellen – mit der, die sich als stärker involviert empfand mit Ausnahme der Linken. Sie weist den mit (Abb. 7, weiße Säulen), ist der Unterschied Abstand geringsten Anteil sehr zufriedener offensichtlich: Fast 60 Prozent der weniger Abgeordneter auf (neun Prozent) und zugleich Eingebundenen hatten den Eindruck, in ihren den höchsten Anteil derjenigen, die ihre Zeit im Gestaltungsmöglichkeiten sehr oder ziemlich Parlament als eher unbefriedigend bewerteten limitiert gewesen zu sein. Dem stehen 80 (elf Prozent im Vergleich zu durchschnittlich Prozent der nach eigenen Aussagen stärker vier Prozent bei den anderen Fraktionen). Dies Eingebundenen gegenüber, die für sich einen kann zumindest nicht allein mit ihrer üblichen großen bis sehr großen Handlungsspielraum Rolle als Oppositionspartei begründet werden, sahen. Damit wird die Vermutung, dass der da die Werte der anderen beiden kleinen und Gestaltungsspielraum einzelner Abgeordneter ebenfalls seltener an der Regierung beteiligten von ihrem Standing innerhalb der Fraktion Parteien, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, abhängt, beeindruckend deutlich bestätigt. in etwa denen der großen Parteien SPD und Zudem ergibt sich ein Zusammenhang mit CDU entsprechen. der Zufriedenheit: Die Ehemaligen, die stark in ihre Fraktion eingebunden waren, nahmen Das Mandat wird also insgesamt sehr positiv ihre Mandatszeit sehr viel positiver bewertet. Dafür spricht außerdem, dass gut wahr als ihre weniger integrierten 60 Prozent der Befragten ihren Kindern zu Kollegen. Seitepage 59 einer Karriere in der Politik raten würden; nur etwa 30 Prozent würden dies nicht tun. Diese Zufriedenheit dürfte, wie bereits angedeutet, vor allem von dem Gefühl abhängen, einen gewissen Gestaltungsspielraum zu besitzen. DerPolitik AusstiegReferencesLiteratur imEpilog Rückspiegel als Aufstieg

Abbildung 7. Einschätzung der Gestaltungsmöglichkeiten nach dem Grad der Einbindung in Fraktionsentscheidungen (in Prozent)

70

60 58

49 50 43 40 40 35

30 22 18 20 16

8 10 6 4 2 0 sehr gering ziemlich gering ziemlich groß sehr groß

weniger eingebunden genauso eingebunden stärker eingebunden

Die Frage der Freiwilligkeit des Ausscheidens Mandat in der Rückschau als unbefriedigend wurde bereits eingehend analysiert (vgl. Kap. wahr, bei den Wahlverlierern und den Ruhe- 2). Doch gerade im Kontext der Zufrieden- ständlern sind es mit rund fünf Prozent sehr heit könnte ihr eine Schlüsselrolle zukom- viel weniger. Diese Tendenz wird in weiteren men. Schauen beispielsweise diejenigen, Analysen bestätigt. Wer seinem Kind zu einer deren Mandat unfreiwillig auf Grund einer Karriere in der Politik rät, dürfte mit seiner ei- Wahlniederlage oder einer nicht erfolgten genen politischen Laufbahn durchaus zufrieden Re-Nominierung endete, weniger zufrieden gewesen sein. Vergleicht man dieses Kriterium auf ihre Mandatszeit zurück als ihre Kolle- mit der Art des Ausscheidens, zeichnet sich ein gen, die auf eine erneute Kandidatur differenziertes Bild ab. Wer durch das Wähler- verzichtet haben und daher freiwillig votum aus dem Parlament ausgeschieden ist, Seitepage 60 ausgeschieden sind? Hier lohnt ein würde seinen Kindern mehrheitlich zu einer genauerer Blick auf die individuelle eigenen Politikkarriere raten – nur jeder Vierte Wahrnehmung der Abgeordneten. von ihnen spräche sich dagegen aus. Trotz eines unfreiwilligen Abschieds aus dem Man- Etwa 13 Prozent derjenigen, die nicht mehr dat kann hier eine positive Grundeinstellung zur Wahl antreten durften, nahmen das zur parlamentarischen Tätigkeit konstatiert

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werden. Gleiches gilt für diejenigen, die nicht denen Abgeordneten an sich eröffnen neue erneut für ein Mandat kandidiert haben. Perspektiven auf den Mikrokosmos Parlament. Noch interessanter ist aber die Entwicklung Hingegen würden diejenigen, denen eine der Beziehung Ehemaliger zum Parlament erneute Kandidatur verweigert wurde, zwar und ihrer Einstellungen zur parlamentarischen ebenfalls mehrheitlich das Einschlagen der Arbeit im Zeitverlauf. Zum einen wird damit politischen Laufbahn empfehlen, doch jeder die soziale Nähe oder Distanz zum früheren Fünfte von ihnen riete davon gänzlich ab. Arbeitsfeld, den Kollegen und der Institu- Das ist unter den hier verglichenen Gruppen tion Parlament erfasst. Kommt es nach dem der mit Abstand höchste Wert entschiedener Ausscheiden zu einer deutlichen Entfernung Ablehnung und unterstreicht, dass die retro- oder wird das Parlament als Lebenswelt wahr- spektive Zufriedenheit unter den nicht erneut genommen, die auch nach dem Mandatsende Nominierten am niedrigsten ausfällt. Nicht eine Rolle spielt? Zum anderen stellt sich die geklärt werden können hier allerdings Ursache Frage nach der Konstanz der Wahrnehmung und Wirkung dieses Zusammenhangs. Ob die des parlamentarischen Innenlebens, also der Betreffenden eben wegen ihrer grundsätzlich alltäglichen Fraktionsarbeit und des eigenen geringeren Zufriedenheit mit dem Mandat Gestaltungsspielraums. nicht wieder aufgestellt worden sind, oder ihre Verdrossenheit vielmehr das Resultat der nicht Wie stark identifizieren sich Abgeordnete mit erfolgten Re-Nominierung war, vermögen nur „ihrem“ hohen Hause und wie schwer fällt es die Betroffenen zu beurteilen. ihnen, dieses und das damit verbundene Um- feld hinter sich zu lassen? Über 70 Prozent der Insgesamt überwiegt jedoch eine positive befragten Ehemaligen sehen die Abgeordne- Einschätzung über alle Ausscheid-Kategorien tentätigkeit als einen richtigen Beruf an. Etwa hinweg, was letztlich trotz persönlicher Nie- die Hälfte von ihnen unterstützt zusätzlich die derlagen auf einen versöhnlichen Rückblick Aussage, dass nur Vollzeitpolitiker professio- hindeutet. Dafür spricht auch das deutliche nelle Politik garantieren könnten. Dies ließe Bekenntnis zur politischen Karriere: 56 Prozent sich als Indiz für eine hohe Identifikation der der Befragten würden, wenn sie nochmals vor Abgeordneten mit dem Parlament werten; der Entscheidung über eine erstmalige Kandi- vor allem aber spiegelt diese Wahrnehmung datur stünden, erneut ein Mandat anstreben – der Politik als Beruf jedoch die Realität. ein eindeutiges Zeichen für Karrieregewissheit Arbeitszeiten weit jenseits einer 40-Stunden- statt Enttäuschung. Woche lassen nur wenig Raum für weitere Tätigkeiten, und so ist das Berufsverständnis der Politik bereits Seitepage 61 7.2 Di s t a n z z u r f r ü h e r e n Tä t i g k e i t ? So- selbstverständlich in das Bewusst- z i a l e Ei n b i n d u n g u n d d i e Ei n s t e l l u n g e n sein der Abgeordneten eingegangen. z u m Pa r l a m e n t i m Wa n d e l Wird die Politik aber nur als ein „normaler“ Beruf wahrgenommen, oder ist sie doch mehr Schon die Wahrnehmungen der ausgeschie- als das? DerPolitik AusstiegReferencesLiteratur imEpilog Rückspiegel als Aufstieg

Interessant ist dabei ein Blick auf das Kontakt- die Befragten mehrheitlich in Vereinigungen feld der Ehemaligen. Halten sie eine Verbin- ehemaliger Parlamentarier organisiert sind, dung zu ihren damaligen Mitstreitern, haben sofern es eine solche für ihr Parlament gibt. sie gar Kontakt zu aktuellen Abgeordneten? Hier bestehen nennenswerte Unterschiede Dass mit dem Verlust der Zugehörigkeit zu zwischen denjenigen, die auch nach ihrem diesem auch gewisse „Entzugserscheinungen“ Ausscheiden aus dem Parlament politisch ak- einhergehen können, ist bereits berichtet tiv waren, und denen, die sich nicht weiter en- worden (vgl. Kap. 6.1). Fühlten sich die Ex- gagierten. Diese Differenzen bestehen jedoch Parlamentarier aber (während ihrer Parlaments- auf hohem Niveau, denn generell ist die Kon- zeit) auch einer politischen Elite zugehörig? taktquote bemerkenswert: Rund 88 Prozent Diese Frage wurde nur den Teilnehmern der der politisch aktiven Ehemaligen haben auch Befragung des Jahres 2007 gestellt. Von ihnen nach dem Ende der eigenen Mandatszeit noch lehnten es insgesamt fast zwei Drittel ab, sich Kontakt zu dem Parlament, in dem sie zuvor der Elite zuzurechnen; nur ein gutes Drittel tätig gewesen sind, und auch unter den poli- stimmte zu. Dabei ist das Elitenbewusstsein tisch inaktiven sind es noch knapp 80 Prozent. interessanterweise unter den westdeutschen Der Unterschied ist etwas größer hinsichtlich Abgeordneten geringfügig stärker ausgeprägt der Verbindungen zu aktuellen Parlamenta- als bei der ostdeutschen Vergleichsgruppe. Von riern: Über 90 Prozent der engagierten Ehe- den Erstgenannten fühlten sich vier von zehn maligen haben solche Verbindungen, während Befragten der politischen Elite zugehörig, bei es in der Vergleichsgruppe noch drei von vier Letzteren waren es drei von zehn. Ex-Parlamentariern sind. Nahezu identisch ist der Anteil in beiden Gruppen, wenn es um die Ein deutlicher Unterschied ergibt sich dagegen Kontakte zu anderen Ehemaligen geht (jeweils beim Vergleich der Landes- und Bundespar- knapp 90 Prozent). lamentarier. Dabei verstanden sich die Bun- destagsabgeordneten mehrheitlich als Elite; Fasst man die beiden bisher betrachteten As- etwa 60 Prozent äußerten sich dahingehend. pekte zusammen, so ergibt sich das Bild einer Unter den Landesparlamentariern wiederum Gruppe von (vormaligen) Berufspolitkern, die zählte sich nur knapp ein Drittel zur Elite. Es sich erstens selbstverständlich als eine solche ist anzunehmen, dass das ausgeprägtere Elite- versteht und zweitens einen stark ausgeprägten bewusstsein der Abgeordneten des Deutschen Kontakt zu ihresgleichen pflegt. Da die In- Bundestags in ihren größeren Entscheidungs- tensität der Kontaktpflege nach dem kompetenzen und vermutlich auch in ihrem Ausscheiden weit über das „normale“ höheren gesellschaftlichen Prestige begründet Seitepage 62 Verhältnis zu ehemaligen Arbeitskol- liegt. Ein deutlicher Zusammenhang besteht legen hinausgeht, kann hier statt von mit der Mandatsdauer: Das Zugehörigkeits- sozialer Distanz von einer Lebenswelt gefühl zur politischen Elite ist um so größer, ausgegangen werden, mit der sich die Ehema- je länger die ehemaligen Abgeordneten dem ligen auch nach ihrem Ausscheiden in hohem Parlament angehört haben (Abb. 8). Maße identifizieren. Dafür spricht auch, dass

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Abbildung 8. Selbstverständnis als Elite nach Mandatsdauer, Region und Ebene (in Prozent)

70

60 60

50 48

42 40 34 32 30 31 30

20

10

0 Episodiker 2-3 Mandate ≥ 4 Mandate West Ost Bundestag Landtag

Mandatsdauer Region Ebene

Die insgesamt enge Verbindung der Ehe- Aussagen der 2007 befragten Ehemaligen mit maligen zur „Lebenswelt Parlament“ muss ihren Aussagen von 2003 zu vergleichen, als sich in ihren retrospektiven Bewertungen der sie noch dem Parlament angehörten (Panel- konkreten parlamentarischen Arbeit nicht analyse). notwendig spiegeln. Es ist demnach ohne weiteres vorstellbar, dass sich die Einschätzung In der Querschnittsperspektive sind die Ein- bestimmter Aspekte der parlamentarischen stellungen der 2007 befragten ehemaligen Arbeit nach dem Ausscheiden ändert. Um dies und aktuellen Abgeordneten zu verschiedenen zumindest für einige ausgewählte Gegenstände Problemen der Abgeordnetentätigkeit ver- zu überprüfen, bietet sich eine doppelte Ver- glichen worden. Dabei fällt zunächst auf, dass gleichsperspektive an: Erstens können die Ein- die Ehemaligen „entscheidungsfreu- stellungen der Ehemaligen mit denen der zum diger“ waren, d.h. sehr viel häufiger Zeitpunkt der Befragung amtierenden Parla- als die Mandatsträger angaben, dass Seitepage 63 mentarier verglichen werden (Querschnitts- etwas für sie gar kein oder eben ein analyse). Darüber hinaus lassen sich aber auch sehr großes Problem darstellte. Nur zweitens die Veränderungen, die sich bei den hinsichtlich der Belastungen des Mandats invidivuellen Befragten im Zeitverlauf ergeben für das Privatleben waren sich beide Be- haben, in den Blick nehmen. Dafür gilt es die fragtengruppen einig: Sie sind bzw. waren DerPolitik AusstiegReferencesLiteratur imEpilog Rückspiegel als Aufstieg

enorm. Alle anderen genannten Probleme der diesem Fall auf die Einstellungen zur eigenen Abgeordnetentätigkeit wurden von den ausge- Fraktion, da diese mit dem Ausscheiden aus der schiedenen Parlamentariern entweder stärker Solidargemeinschaft der Fraktion am ehesten wahrgenommen als von den aktuellen oder – einem Wandel unterworfen sein dürften. Diese der häufigere Fall – als weniger belastend. wurden anhand von drei Aussagen zum Gestal- tungsspielraum eines einzelnen Abgeordneten, Den Mangel an Zeit etwa, um über Probleme zur Bedeutung der Spezialisierung und zur vertiefend nachzudenken, empfanden die Bewertung politischer Flügel in der Fraktion Ehemaligen rückblickend als weniger gravie- erhoben. Kontinuität und Wandel in den rend denn ihre Kollegen im Parlament. Dafür Einstellungen der zwischenzeitlich ausgeschie- erschien ihnen die Kluft zwischen eigenen denen Parlamentarier wurden dabei nur mit Vorstellungen und dem, was sie als Abgeord- Blick auf die Zustimmung bzw. Ablehnung der nete im politischen Alltag vertreten mussten, Aussagen untersucht; graduelle Änderungen in problematischer: Für 36 Prozent von ihnen der Zustimmung oder Ablehnung interessieren stellte diese Kluft ein großes oder sogar sehr hier nicht. großes Problem dar, unter den Mandatsträ- gern galt dies nur für 26 Prozent. Gewaltig Wie Tabelle 6 ausweist, dominiert in der Panel- auseinander gingen die Problemwahrneh- perspektive insgesamt für alle drei Aussagen mungen beider Gruppen jedoch nur bezüg- die Kontinuität: Der Anteil der kohärent, also lich der unzureichenden Akzeptanz in der wie 2003 antwortenden Ehemaligen überwiegt Öffentlichkeit: Jeder zweite Parlamentarier, jeweils deutlich. Dies gilt insbesondere für die aber nur jeder vierte Ehemalige empfand diese Aussage über die Bedeutung der Spezialisie- als (sehr) großes Problem. Hingegen hielten rung. Etwa 80 Prozent blieben bei der Ant- dies 47 Prozent der Ehemaligen, aber nur 15 wort, die sie bereits als aktive Parlamentarier Prozent der aktuellen Volksvertreter für völlig gegeben hatten (wobei allein gut 70 Prozent unproblematisch. Abgesehen von der (unzu- dieser Aussage wiederholt zustimmten). Wenn reichenden) öffentlichen Akzeptanz fielen die sich ein Einstellungswandel ergab, dann in Unterschiede in den Problemwahrnehmungen die Richtung der Mehrheitsposition: von der beider Gruppen jedoch moderat aus. Ablehnung (während Mandat) hin zur Zu- stimmung (nach Mandat). Aufschlussreicher für die Bedeutung, die dem Ausscheiden aus dem Parlament für die Wahrnehmungen der Betroffenen zukommt, erscheint jedoch die Seitepage 64 Panelperspektive. Dabei wurden die Antworten der 2007 befragten Ehemaligen mit den Antworten verglichen, die derselbe Personenkreis 2003 gegeben hatte – als sie noch als Abgeordnete aktiv waren. Der Vergleich bezieht sich in

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Tabelle 6. Kontinuität und Wandel der fraktionsbezogenen Einstellungen von 2003 befragten Parlamentariern bei der erneuten Befragung als Ehemalige 2007 (in Prozent)

Kontinuität Einstellungswandel Kontinuität

von von Ablehnung Zustimmung Summe der 2003 und 2007: 2003 und 2007: 2003 zu 2003 zu substanziellen Zustimmung Ablehnung Zustimmung Ablehnung Veränderungen 2007 2007

Ein einfacher Abgeordneter wird nur dann in seiner Frak- tion wahrgenommen, wenn 71 15 6 21 9 er als Spezialist ein bestimm- tes Themenfeld besetzt.

Politische Flügel in einer Fraktion gefährden den 23 20 12 32 44 Zusammenhalt der Fraktion.

Als einzelner Abge- ordneter kann man nur 35 20 19 39 26 sehr wenig bewegen.

Deutliche Veränderungen ergaben sich bei den zu den Gestaltungschancen eines einzelnen Antworten zu den beiden anderen Aussagen. Abgeordneten illustriert, dass es mit Blick So revidierte etwa jeder dritte Befragte seine auf die Fraktion durchaus Wahrnehmungsun- Meinung in Bezug auf das Gefährdungspoten- terschiede zwischen aktiven und ehemaligen zial politischer Flügel für den Zusammenhalt Mandatsträgern gibt. Es überwiegen gleich- innerhalb der Fraktion. Noch etwas höher war wohl die Übereinstimmungen. der Anteil der „Einstellungswechsler“, wenn es um die Einschätzung ging, ob man als einzel- Der Blick „in den Rückspiegel“, also die Po- ner Abgeordneter nur wenig bewegen könne. sitionierung zu Parlament und Fraktion aus Fast vierzig Prozent der Befragten kamen nach der Distanz des Ex-Abgeordneten, dem Ausscheiden aus dem Parlament zu einem lässt insgesamt eine positive Bezug- anderen Ergebnis als zu ihrer aktiven Zeit. Da- nahme auf die frühere Tätigkeit und Seitepage 65 bei waren Wechsel von der Zustimmung zur Lebenswelt erkennen. Der fehlende Ablehnung ebenso häufig wie in umgekehrter alltäglich-kollegiale Kontakt nach Richtung, sodass sich im Aggregat keine dem Mandatsende wird durch die Mitglied- nennenswerten Veränderungen ergaben. Ge- schaft in Vereinigungen ehemaliger Parla- rade der Einstellungswandel bei der Aussage mentarier und Kontakte auf persönlicher und DerPolitik AusstiegReferencesLiteratur imEpilog Rückspiegel als Aufstieg

politischer Basis „kompensiert“. Die Bezie- hung zum vormaligen beruflichen Tätigkeits- feld erscheint stärker als in konventionellen Berufen, weshalb auch nach dem Ausscheiden eher eine soziale Nähe denn eine Distanz festzustellen ist. Als entscheidende Brücke zwischen dem Parlament und den (weiterhin politisch aktiven) Ehemaligen fungieren die Parteien, über die vielfach die Kontakte insti- tutionalisiert werden. Die Wahrnehmung des parlamentarischen Innenlebens verändert sich nur bei einzelnen Themen, sodass von einer retrospektiven Distanzierung nicht die Rede sein kann.

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ie systematische Beschäftigung mit ehemaligen Abgeordneten ist in der Parlamentarismusfor- Dschung – und dies nicht nur hierzulande – bisher vernachlässigt worden. Zu Unrecht, denn wie sich zeigt, blieben somit spannende und aufschlussreiche Befunde zur modernen 8 parlamentarischen Demokratie und speziell zu politischen Karrieren unberücksichtigt. So vielfältig, wie die Wege ins Mandat und die Karrierepfade im Parlament sind, so un- terschiedlich stellen sich auch die postparla- mentarischen Werdegänge von Abgeordneten dar. Doch sowohl bei der Rekrutierung als auch – das hat die vorliegende Untersuchung zeigen können – beim Verbleib deutscher Parlamentarier sind klare Muster erkennbar. Auch wenn im einen wie im anderen Fall Le b e n n a c h d e m Ma n d a t – zufällige Konstellationen eine Rolle gespielt Bi l a n z u n d Au sb l i c k haben mögen: Die Karrieren verlaufen nicht erratisch, sondern es gibt typische und außer- gewöhnliche Verlaufsmuster. Welche Wege nach dem Ende der parlamentarischen Tä- tigkeit typischerweise beschritten werden, ist abhängig von den institutionellen Rahmenbe- dingungen und den Chancenstrukturen, den individuellen Ambitionen und Kalkülen, aber auch vom Lebensalter und – ganz zentral – von der bereits zurückgelegten politischen Wegstrecke.

Manche Ergebnisse unserer Untersuchung sind nicht zuletzt deswegen von In- teresse und Bedeutung, weil sie gän- gigen Annahmen und Erwartungen Seitepage 67 entgegenstehen. Dies gilt etwa für

¾¾ die Übernahme lukrativer Führungs- oder Lobby-Positionen in (transnationalen) Großunternehmen: Der „fliegende Wech- DerLeben Ausstieg nachReferencesLiteraturEpilog dem als MandatAufstieg

sel“ von Abgeordneten in die Vorstands- Wechsel in eine Lobbyisten-Position aber etagen großer Unternehmen oder in nicht sehr stark verbreitet ist (Herrick/ glänzend dotierte Lobbyisten-Positionen Nixon 1996: 491). Für die bundesdeutsche ist nicht typisch für den beruflichen Politik, in der bereits der geringe Anteil Verbleib von einstigen Mandatsträgern. an Quereinsteigern beredtes Zeugnis von Gleichwohl gibt es zahlreiche Beispiele der geringen Durchlässigkeit zwischen für derartige Wechsel – allein aus den politischer Elite und anderen Sektoreliten Reihen der rot-grünen Mehrheitsfrak- ablegt, gilt dies umso mehr. tionen zwischen 2002 und 2005 betrifft es etliche Mitglieder der engeren Füh- ¾¾ die Möglichkeiten der Parteipatronage: rungsgremien (Klein/Höntzsch 2007). Die Befunde der Ehemaligenbefragung Diese sind unter demokratie- und reprä- bestätigen einerseits die Annahme, dass sentationstheoretischen Gesichtspunkten Parteien über Möglichkeiten verfügen, lo- durchaus problematisch, womöglich sogar yalen Abgeordneten den Weg in attraktive „anrüchig“, etwa wenn es sich um vorma- Positionen im politiknahen Bereich und lige Minister handelt, in deren früherem ohnehin auf dem politischen Stellenmarkt Geschäftsbereich der neue Arbeitgeber im weiteren Sinn zu ebnen. Dazu gehören tätig ist. Faktisch bleibt die Option eines neben den diversen „Beauftragten“- solchen Wechsels aber einem sehr kleinen Posten21 vor allem höherrangige Positi- Kreis von Abgeordneten vorbehalten: den onen in Behörden und – vorwiegend auf Spitzenpolitikern. Ein Übergang in die kommunaler Ebene – Unternehmen mit Welt des „Big Business“ scheidet hinge- einem großen Einfluss der öffentlichen gen für das Gros der Mandatsträger auch Hand. Wenngleich davon ausgegangen dann aus, wenn er angestrebt sein sollte. werden kann, dass die Parteien die ihnen zur Verfügung stehenden Chancen der ¾¾ die Häufigkeit der „Mutation“ vom Politiker Ämterpatronage zu nutzen gewillt sind, ist zum Politikberater oder Lobbyisten: Anders die Zahl der auf diesem Wege verfügbaren als der oben erwähnte Wechsel ins „Big Posten doch eng begrenzt. Eine Karriere- Business“ ist eine Lobby-Tätigkeit für perspektive bietet sich dadurch nur einer Interessenverbände oder die Nutzung der kleinen Minderheit der Ehemaligen. während des Mandats gewonnenen Kon- takte und Expertise für jedwede Zwecke ¾¾ das existenzielle Risiko des Abgeordneten- der beruflichen Poltikberatung Daseins: Ebenso wenig wie das Gros der ein mögliches Tätigkeitsfeld Abgeordneten darauf rechnen kann, qua Seitepage 68 für Abgeordnete, die weiterhin Parteipatronage in attraktive Positonen berufstätig sein wollen/müssen, des politiknahen Bereichs zu gelangen, aber nicht in den alten Beruf zu- sehen sich diese nach dem Mandat einer rückgehen können oder möchten. Schon existenziellen Unsicherheit ausgesetzt. für ausscheidende Abgeordnete des US- Je nach Herkunftsberuf, Bildungsstand Kongresses wurde festgestellt, dass der und der Vernetzung mit anderen gesell-

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schaftlichen Sektoren ist ein – mindes- instrumentelle Funktion des Mandats ist für tens subjektiv empfundener – sozialer die Erreichung von Kabinettspositionen hin- Abstieg jedoch möglich, mitunter sogar reichend bekannt, sie gilt aber auch mit Blick wahrscheinlich. Ein am Beispiel einzelner auf andere Ämter. Mitunter ist der Wechsel Ehemaliger medial inszeniertes existen- in höher bewertete Ämter aber erst Folge der zielles Risiko etwa in Gestalt dauerhafter Erfahrungen, die Abgeordnete im Parlament Arbeitslosigkeit oder eines „Absturzes“ in machen – und verweist solchermaßen auf die die unteren Etagen der Gesellschaft er- dynamische Entwicklung von Ambitionen scheint ausgesprochen unwahrscheinlich. und Karriereorientierungen. Im besonderen Eine Ausnahme bestand hier allerdings Maße dürfte das für diejenigen Abgeordneten für eine Reihe der aus den Parlamenten gelten, die sich aus dem Mandat heraus um ausgeschiedenen Ostdeutschen (so bereits kommunale Exekutivämter, vor allem den Kreiner 2006: 97-100). Posten eines Bürgemeisters oder Landrats bewerben. ¾¾ die Gründe für das Ausscheiden aus dem Parlament: So zutreffend es ist, dass die Alle empirische Evidenz unterstützt die meisten Abgeordneten an einer Wie- Selbstaussagen der Abgeordneten, dass sie die derwahl interessiert und insoweit dem Politik als Berufung verstehen. Gerade weil Mandat verhaftet sind, so fragwürdig ist die Politik Berufung, für manche womöglich die Annahme, sie würden das jeweilige gar eine Art sanfter Droge ist, ist der Abschied Parlament nur dann verlassen, wenn sie von der beruflichen Politik – ob erzwungen per Wählervotum oder durch die Nomi- oder freiwillig – nur selten gleichbedeutend nierungsgremien der eigenen Partei dazu mit einem Abschied von der Politik insgesamt. gezwungen würden. Diese Wahrnehmung Parteiämter werden weiterhin ausgeübt oder unterschätzt nicht nur die Bedeutung des sogar neu übernommen und das ehrenamtliche Lebensalters als Grund für den Ausstieg, Engagement wird vielfach noch ausgeweitet. sondern verkennt womöglich auch die Der Wunsch und die Bereitschaft, sich ge- Attraktivität alternativer politischer, sellschaflich und politisch mit den vielfältigen beruflicher und privater Karriere- und Erfahrungen der parlamentarischen Tätigkeit Lebenspläne. einzubringen, ist ausgeprägt. Besonders stark ist das entsprechende Engagement erwar- Neben diesen die gängigen, medial vermittelten tungsgemäß bei denjenigen, die einen Wie- Einschätzungen zumindest teilweise konterka- dereinstieg in die alimentierte Politik rierenden Befunden bestätigt die Untersuchung anstreben. auch einige Ergebnisse der bisherigen Abge- Seitepage 69 ordneten- und politischen Karriereforschung. Vor diesem Hintergrund erscheinen Dazu gehört, dass das Parlament für einen die starken Verbindungen, die die Teil seiner Mitglieder als Durchgangsstation Ehemaligen auch in ihrer postparlamenta- in höhere politische Ämter fungiert. Diese rischen Lebensphase zur Partei haben, plausi- aus karrierestrategischer Perspektive eher bel. Von den üblichen Ausnahmen abgesehen DerLeben Ausstieg nachReferencesLiteraturEpilog dem als MandatAufstieg

ist die Partei auch nach dem Mandat wichtiger politisch aktiv, vermutlich weil es einigen von Lokus des gesellschaftlichen Handelns; die ihnen durch den Wechsel in Führungspositi- Kontakte zum alten Parlament und zu den onen anderer gesellschaftlicher Sektoren (z.B. früheren Fraktionskollegen bleiben erhalten, Wirtschaft, Verwaltung, Verbände) schlicht an wenngleich sie in der Regel nicht sehr häufig der Zeit dazu fehlt. Bei allen weitergehenden sein dürften. Auch in ihren politischen Ein- Formen der politischen Betätigung finden sich stellungen und retrospektiven Bewertungen mehr oder minder deutliche Gruppenunter- entfernen sich die Ausgeschiedenen nachträg- schiede. Mit weitem Abstand am größten ist er lich nur punktuell von Partei und Fraktion. zwischen den vorzeitig Ausgeschiedenen und Die „Entpflichtung“ von der Norm der Frak- den am Ende einer Legislaturperiode Ausge- tionssolidarität etwa führt demnach zumeist schiedenen, wenn es um den Verbleib in der nicht zu einer Korrektur der entsprechenden alimentierten Politik geht. Offenkundig ist der Orientierungen. wichtigste Grund, während der Wahlperiode das Parlament zu verlassen, der Aufstieg in Wodurch wird das parteiliche bzw. allgemein ein höher bewertetes politisches Amt. Dieser das politische Engagement der Ehemaligen Weg aber ist neun von zehn Abgeordneten, die nun beeinflusst? Spielen Alters-, Ost-West- nach Wahlen aus dem Parlament ausscheiden, und Ebenen-Unterschiede eine zentrale versperrt bzw. sie streben eine derartige Kar- Rolle? Oder sind eher die parlamentsbezo- rierefortsetzung gar nicht an. genen Faktoren wie die Verweildauer, der Zeitpunkt oder die Gründe des Ausscheidens Durchgängige Unterschiede über alle vier maßgeblich? In Tabelle 7 sind die Anteile Tätigkeitsfelder hinweg finden sich nur selten: verschiedener Gruppen von Ehemaligen do- schwach ausgeprägt zwischen ehemaligen kumentiert, die nach dem Mandat politisch Landesparlamentariern und Bundestagsab- aktiv waren oder es noch sind. Die Formen des geordneten mit längerer Verweildauer, stark politischen Engagements sind dabei von links ausgeprägt zwischen den Befragten unter 60 nach rechts nach steigendem Verbreitungs- Jahren und den Älteren. Mit Blick auf das Alter grad und sinkender Intensität angeordnet. gilt: Je jünger ein Abgeordneter zum Zeitpunkt Sowohl im Gruppenvergleich als auch nach des Ausscheidens aus dem Parlament ist, desto Aktivitätsform ergeben sich eine Reihe cha- wahrscheinlicher ist jedwede politische Betäti- rakteristischer Unterschiede. gung, vor allem aber eine solche, die mit hohem Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden ist. Die- Zunächst fällt auf, dass die Fortset- ser Befund mag zunächst trivial erscheinen, er zung der politischen Tätigkeit nach verdeutlicht aber einmal mehr die Bedeutung Seitepage 70 der Abgeordnetenzeit so verbreitet des Lebenszyklus für karrierepolitische Ent- ist, dass sich keine signifikanten scheidungen. Das durchschnittlich um einige Unterschiede zwischen einzelnen Jahre höhere Alter der Bundesparlamentarier Gruppen ausmachen lassen. Allein unter den zum Zeitpunkt des Ausscheidens erklärt zu- (wenigen) vorzeitig Ausgeschiedenen sind dem einen Teil der Unterschiede zwischen den „nur“ 69 Prozent über das Mandat hinaus Ebenen.

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Tabelle 7. Politische Betätigung ehemaliger Abgeordneter nach ausgewählten sozialstrukturellen und auf die Parlamentszugehörigkeit bezogenen Faktoren (in Prozent)

Politische Tätigkeiten nach Mandat

Verbleib in der Kommunales Politische Parteiamt beruflichen Politik Amt oder Mandat Tätigkeit

Insgesamt (n=802) 15 35 56 85

Alter

unter 60 Jahre 18 40 60 86

≥ 60 Jahre 8 28 48 83

Region (wo gewählt)

Ostdeutschland 12 40 60 88

Westdeutschland 17 32 53 82

Ebene

Bundestag 12 26 51 83

Landesparlamente 16 38 58 85

Dauer der Parlamentszugehörigkeit

Episodiker 14 41 65 88

Erfahrene 15 32 52 83

Zeitpunkt des Ausscheidens

während der LP 56 38 55 69

am Ende der LP 10 35 56 86

Gründe des Ausscheidens

freiwillig 19 32 50 82 Seitepage 71 unfreiwillig 10 43 67 90 DerLeben Ausstieg nachReferencesLiteraturEpilog dem als MandatAufstieg

Überraschend sind die zwischen ost- und Welche weiteren Schlüsse lassen sich aus den westdeutschen Ex-Parlamentariern bestehen- hier referierten Befunden über parlamenta- den Differenzen. Während die Abgeordneten rische bzw. politische Karrieren im vereinten aus den neuen Ländern nach dem Mandat Deutschland ziehen? Sie zeigen zunächst, wie häufiger politisch aktiv sind, sich öfter in offi- sinnvoll es ist, den politischen Werdegang von zieller Funktion für ihre Partei engagieren und Abgeordneten im Ganzen zu betrachten – und zu größeren Anteilen kommunale Mandate nicht nur einzelne Karriereetappen. Bekannt- und Ämter innehaben, verbleiben sie seltener lich dauert die politische Tätigkeit weit länger in der alimentierten Politik. Offenbar ist die als die parlamentarische Karriere. Dem Man- Professionalisierung der Politik in West- dat gehen lange Phasen ehrenamtlicher Tätig- deutschland auch insoweit stärker entwickelt, keit vornehmlich in Partei- und kommunalen als die Übergänge vom Parlament in eine Funktionen voraus. Und es folgt auch nach andere Position der beruflichen Politik fest Ende der Mitgliedschaft im Parlament eine etabliert sind. mehr oder minder lange Phase, während der weiterhin Politik betrieben wird, zumeist ohne Schließlich sei noch auf die Gründe des Vergütung. Dies macht verständlich, weshalb Ausscheidens eingegangen, denen eine ent- ein abrupter Ausstieg aus der Politik als Le- scheidende Bedeutung für die postparlamen- benswelt zwar vorkommt, aber doch eher selten tarischen Viten der Ehemaligen zugesprochen ist. Die Übergänge von der ehrenamtlichen in worden ist (vgl. Kap. 2). Tatsächlich lässt sich die berufliche Politik (und ebenso von dieser ein viel stärkeres politisches Engagement der zurück in die während der Freizeit betriebene unfreiwillig Ausgeschiedenen nachweisen: Politik) mögen einschneidend sein, etwa weil Sie haben weit häufiger ein Parteiamt und der frühere „bürgerliche“ Beruf aufgegeben eine kommunale Funktion inne als die Ver- wird. Politisch jedoch sind die Zäsuren weniger gleichsgruppe. Dies liegt zum einen an ihrem deutlich. Entsprechend erfolgt der Ausstieg aus niedrigeren Durchschnittsalter im Vergleich der Politik zumeist stufenweise – und gerade zu den freiwillig Ausgeschiedenen, zum ande- die Parteien ermöglichen den einstigen Man- ren aber ist es Ausdruck ihres Bemühens, die datsträgern in sozialer und politischer Hinsicht politische Karriere trotz der unerwünschten einen solchen eher fließenden Übergang. Unterbrechung fortzusetzen. Dass ihnen dies dennoch schlechter gelingt als denjenigen, Die Verzahnung von ehrenamtlichen und die das Parlament freiwillig verlassen haben, alimentierten Positionen akzentuiert einerseits liegt vor allem an einem kleinen, aber die Bedeutung der Parlamentszugehörigkeit, politisch überaus erfolgreichen Teil relativiert diese andererseits aber auch. Letz- Seitepage 72 der Vergleichsgruppe: den vorzeitig teres ergibt sich daraus, dass es oftmals die Ausgeschiedenen. Dieser Vergleich selben Personen sind, die in unterschiedlicher lehrt zugleich, wie schwer der Wie- Funktion – z.B. zunächst als Kreisvorsitzender dereinstieg in die alimentierte Politik ist, wenn der Partei, dann als Abgeordneter, schließlich man sie einmal unfreiwillig verlassen hat. als Bürgermeister oder auch nur als Stadtrat – politische Entscheidungen treffen. Die damit

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verbundene Dauerhaftigkeit politischer Bezie- tärs bis hin zum Bundespräsidentenamt); oder hungen und die Entstehung von Netzwerken zu den Hügeln des Lobbyismus – ein nicht sind zugleich eine wichtige Voraussetzung nur von erfahrenen politischen „Bergsteigern“ dafür, dass eine politische Klasse (zum Begriff zu bewältigender Pfad. Beyme 1996) entstehen kann.22 Gleichwohl ist das Parlamentsmandat in der politischen Wer welchen Pfad einschlägt, lässt sich im Vita eine herausgehobene Position. Sie gilt, Einzelfall nicht prognostizieren. Gleichwohl wie gezeigt wurde, den meisten Befragten als sind die Positionssequenzen nicht zufällig ver- Klimax der eigenen politischen Karriere – und teilt. In diesem Punkt irren die meisten Ehe- dies schon deswegen, weil nur die wenigsten maligen – wie im Übrigen auch viele ihrer im eine weitere Position in der alimentierten Parlament verbliebenen Kollegen oder der neu Politik einnahmen. Das Abgeordneten-Dasein hinein Gewählten. Zwar mag eine politische bedeutet aber nicht nur im Weberschen Sinne Karriere dem einzelnen Akteur kaum planbar ein Leben „von der Politik“ und damit die ma- erscheinen, doch zeigen die Werdegänge der terielle Voraussetzung dafür, sich mit ganzen befragten Ehemaligen eher das Gegenteil. Kräften auf das politische Geschäft zu konzen- Trotz des strukturellen – und demokratisch trieren. Vielmehr ist es auch mit erheblichen ebenso erwünschten wie unerlässlichen – politischen Ressourcen verknüpft, darunter ein Karriererisikos in der (parlamentarischen) privilegierter Zugang zu Informationen, Me- Politik, gibt es nicht nur probate Mittel, die dienpräsenz und persönliche Mitarbeiter. Wiederwahl zu erreichen (Edinger 2009: 203f.). Es ist darüber hinaus auch möglich, Der typische nachparlamentarische Pfad gleicht die Chancen auf die Erreichung gewünschter in manchen Punkten dem Weg ins Mandat: Positionen gezielt zu erhöhen – und es lassen Während zunächst in oftmals jahrelanger sich zumindest notwendige Voraussetzungen Ochsentour die politische Karriereleiter Stufe für bestimmte Karrieresprünge angeben. Mit für Stufe erklommen wird, um dann im Schnitt jedem Schritt auf der politischen Karriereleiter ein Jahrzehnt in parlamentarischen Höhen zu verändern sich die Bedingungen, unter denen verweilen, verläuft der Ausstieg ebenfalls in die Laufbahn innerhalb oder außerhalb der Etappen. Das Parteibuch markiert den Eintritt Politik fortgesetzt werden kann. Dabei sind die in die politische Arena wie auch den Austritt einzelnen Karrierepositionen nicht notwendig aus selbiger: Es wird in der Regel früh erwor- hierarchisch angeordnet – und schon gar ben und verliert für das Gros der Abgeordne- nicht analog der territorialen Gliederung. Die ten erst mit dem Tod seine Gültigkeit. Jenseits abschließende Bewertung der Opti- dieser „Standard-Karriere“ besteht eine Reihe onen obliegt ohnehin den Akteuren: weiterer mehr oder minder ausgetretener Kar- Da mag der Bürgermeisterposten in Seitepage 73 rierepfade. Sie können vom Parlament über das einer Kleinstadt mitunter attraktiver Kabinett bis zu den Gipfeln des „Big Business“ erscheinen als ein weiteres Mandat führen – ein wie erwähnt schmaler und schwer im Deutschen Bundestag. zugänglicher Pfad; oder in wichtige politische Ämter (von dem eines beamteten Staatssekre- Die vorliegende Studie hat, dies dürfte deut- DerLeben Ausstieg nachReferencesLiteraturEpilog dem als MandatAufstieg

lich geworden sein, unsere Kenntnisse über den notwendig gewesen, was hier nicht geleistet deutschen Parlamentarismus und die Karrieren werden konnte. Dadurch sind die berichteten – seiner Akteure, der Abgeordneten, verbessert. eben hauptsächlich auf Selbstauskünften beru- Dies geschah sachlich durch die Erweiterung henden – Daten nur zum Teil überprüfbar, was des herkömmlichen Untersuchungsgegen- ihre Aussagekraft einschränkt. stands auf die postparlamentarischen poli- tischen und beruflichen Tätigkeiten der Man- Diese notwendigen „Aussparungen“ in der datsträger sowie konzeptionell-methodisch vorliegenden Untersuchung verweisen auf jene durch die Analyse ihrer Perzeptionen und Aspekte, die in der weiteren Forschung Beach- Einstellungen. So wichtig diese Ergänzungen tung verdienen. Dazu gehören Modelle, die sind, so sehr steht unsere Forschung noch am Auskunft über die Erklärungskraft von Fak- Anfang. Dies gilt zunächst für die Auswer- toren wie Alter, Region und parlamentarische tung der vorhandenen Daten, die bislang auf Erfahrung für den Verbleib nach Mandat und ausgewählte Aspekte postparlamentarischer für relevante Einstellungen der Ehemaligen Werdegänge beschränkt geblieben ist. Zu- geben. Ein Desiderat stellen zudem genuine künftige Analysen werden systematischer die Verbleibsstudien zu bestimmten Abgeord- Unterschiede zwischen bestimmten Abgeord- netenkohorten dar, mit denen sich Entwick- netengruppen in den Blick nehmen und einen lungen im Zeitverlauf erfassen oder etwa die stärkeren Akzent auf deren Erklärung legen Unterschiede zwischen Bundes- und Lan- müssen. Dafür sind dann auch multivariate desparlamentariern genauer bestimmen ließen. Analyseverfahren vonnöten. Schließlich geht Zudem bieten die Auskünfte der Ehemaligen es bei der weiteren Untersuchung ehemaliger reichhaltiges Material für die Forschung zum Abgeordneter, ihrer Viten und Einstellungen Rollenverständnis von Abgeordneten und zu verstärkt um die Verknüpfung von Umfrage- Fragen des parlamentarischen, vor allem inner- und biografischen Daten, die hier nur stellen- fraktionellen Willensbildungsprozesses. Gera- weise erfolgt ist. de das dargestellte Spannungsfeld zwischen den Gestaltungsansprüchen der Abgeordneten und Schließlich sollen bei allem Gewinn der der Einbindung in die Solidargemeinschaft der erweiterten Forschungsperspektive auch die Fraktion lohnt eine genauere Ausleuchtung – immanenten Grenzen dieser Studie nicht zumal in Zeiten einer zusehends kritischeren unterschlagen werden. Dazu gehört zunächst Wahrnehmung von Politik und Politikern. die eingangs erwähnte Tatsache, dass es sich um keine genuine Verbleibsstudie Die Einbindung Ehemaliger in aktuelle poli- handelt, da die parlamentarischen tische Entscheidungsprozesse ist ein weiterer Seitepage 74 Ebenenwechsler nicht einbezogen lohnender Unteruchungsgegenstand. Dass und wurden. Um die Werdegänge der in welchem Umfang eine solche Einbindung ehemaligen Abgeordneten nach dem besteht, wurde bereits dargestellt (vgl. Kap. 6). Mandat lückenlos rekonstruieren zu können, Interessant ist hier aber nicht nur der Grad des wäre außerdem eine systematische Erfassung Austauschs von Expertise, sondern vielmehr ihrer postparlamentarischen Strukturdaten die Frage, ob ausscheidende Parlamentarier

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selbst Einfluss auf Personalentscheidungen, Insgesamt bieten die ehemaligen Abgeord- vor allem auf die Rekrutierung ihrer „Erben“ neten ein hochinteressantes Forschungsfeld, ausüben. Ließe sich ein solcher Einfluss syste- das seinen Reiz vor allem aus der Vielfalt matisch nachweisen, wäre dies ein weiteres In- der unterschiedlichen Werdegänge und ihrer diz für die „Selbstreproduktion“ des politischen Wahrnehmung durch die Ehemaligen selbst Führungspersonals – und damit elite- wie bezieht. Dass sich hierbei manche in der Publi- demokratietheoretisch von herausgehobener zistik vermittelten Eindrücke bestätigt finden, Bedeutung. manche aber abgeschwächt oder gar gänzlich revidiert werden müssen, zeigen auch die Die Modalitäten der Rekrutierung und damit eingangs erwähnten Beispiele der ehemaligen des Einstiegs in die alimentierte Politik sind Bundestagsabgeordneten Claudia Nolte und zwar hinlänglich bekannt. In welcher Art und Hildegard Müller. Für diejenigen Parlamenta- Weise aber und mit welchen Konsequenzen rier, denen (wie diesen beiden Politikerinnen) das Wissen um postparlamentarische Karriere- der Sprung in exekutive Führungspositionen pfade auf die Rekrutierung neuer Parlamenta- auf Bundesebene gelungen ist, mögen deren riergenerationen rückwirkt oder womöglich weiteren Karrierewege – einerseits der Wechel deren Karrierestrategien beeinflusst, verdient in den politiknahen Bereich, andererseits der gleichfalls weitere Forschungsanstrengungen. Sprung in eine Spitzenfunktion in der Wirt- Sollten sich dabei Zusammenhänge ergeben, schaft – durchaus tpyisch sein. Für das Gros würde dies eine veränderte Perspektive auf die der ausscheidenden Abgeordneten sind diese Karriereverläufe nahelegen: Karrieren müssten sich an das Mandat anschließenden Karrieren stärker auch vom Ende her verstanden, d.h. aber ganz und gar nicht repräsentativ. Gerade im Licht der bereits beendeten Karrieren der die mediale Fokussierung auf die wenigen jeweils vorausgehenden Parlamentariergenera- Spitzenpolitiker führt in der Öffentlichkeit tion analysiert werden. Zumindest mittelfristig zu einer verzerrten Wahrnehmung der beruf- wäre es überraschend, wenn ambitionierte lichen und politischen Betätigung von ehema- Kandidaten ihre Kenntnisse über den poli- ligen Parlamentariern. tischen und beruflichen Verbleib ehemaliger Parlamentarier nicht auch in die eigene Kar- Im Gegensatz dazu ist es das Anliegen dieser riereplanung einfließen ließen. Im Ergebnis Studie gewesen, über prominente Einzel- dürften die Bemühungen darum, den Über- schicksale hinaus den Verbleib vormaliger gang vom Parlament (zurück) in das „bürger- Berufspolitiker zu analysieren und solcher- liche“ Berufsleben zu erleichtern, verstärkt maßen das Gesamtbild der auf die werden. Faktisch würde dies nichts anderes als Abgeordnetenzeit folgenden Werde- ein weiteres Vorantreiben der Karrierisierung gänge nachzuzeichnen. Auch wenn Seitepage 75 bedeuten. Dass eine solche Entwicklung von im strikten statistischen Sinne keine der Öffentlichkeit goutiert wird, ist angesichts vollständige Repräsentativität er- der bekannten Vorbehalte gegenüber der Pro- reicht worden ist, erlaubt die breite empirische fessionalisierung der Politik (Borchert 2003) Basis dieser Studie doch verallgemeinerbare zweifelhaft. Aussagen über Karrieren und Einstellungen DerLeben Ausstieg nachReferencesLiteraturEpilog dem als MandatAufstieg

ehemaliger Abgeordneter. Damit geht sie über die bislang einzige wissenschaftliche (qualitative) Arbeit zum Verbleib deutscher Parlamentarier (Kreiner 2006) hinaus. Wir als Autoren verstehen sie zugleich als einen Grundstein für die weitere Forschung zum – titelgebenden – Leben nach dem Mandat.

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n d n o t e n 10 E Dieses und alle folgenden Beispiele dienen ausschließlich der Veranschaulichung. Die erwähnten Personen haben nicht not- wendigerweise an der Befragung teilgenommen. Daher wurden 1 Dafür spricht nicht allein die geringe Zahl der Betroffenen keinerlei individuelle, mit der Befragung in Zusammenhang (n=27), sondern auch die Tatsache, dass diese Karrierefortsetzung stehende Daten verwendet, sondern allgemeine und frei zu- zum Befragungszeitpunkt noch nicht absehbar war. gängliche Informationen genutzt.

2 Die Auswahl ergibt sich aus dem Untersuchungsdesign des 11 Die Differenz zu 100 Prozent ergibt sich durch den Anteil gesamten Forschungsprojekts; vgl. ausführlicher unter www. der Befragten, die angegeben haben, nicht mehr berufstätig zu sfb580.projekta3.de.vu. sein.

3 Die Bürgerschaften Bremens und Hamburgs sind hier unter 12 Der Deutsche Bundestag führt seit 1972 eine „Öffentliche anderem wegen der Problematik des ruhenden Mandats der Liste über die beim Bundestag registrierten Verbände und deren Senatoren nicht berücksichtigt. Vertreter“. Die Registrierung einer Interessengruppe erfolgt freiwillig und begründet keinen Anspruch auf Anhörung. Derzeit sind 2081 solcher Interessenvertretungen mit ihren 4 Dies gilt nicht für die regionale Herkunft: Schon auf Grund zuständigen Mitarbeitern registriert (Stand: 30.4.2009). der Auswahl der Landesparlamente sind Ostdeutsche unter den Befragten deutlich überrepräsentiert. 13 Untersucht wurden alle Teilnehmer der Befragung des Jahres 2003, die angegeben hatten, nach dem Mandat eine neue beruf- 5 Kandidaturen von Abgeordneten für eine andere Partei bei den liche Tätigkeit ausgeübt zu haben (n = 120). kommenden Wahlen sind im Parlamentarismus des vereinten Deutschlands so selten, dass sie hier unberücksichtigt bleiben können. 14 Siehe hierzu die bereits angeführte Studie von Herrick/Nixon (1996).

6 Für eine Untersuchung ebenenübergreifender Karrieren deut- scher Parlamentarier vgl. Jahr 2009. 15 Seit dem 1. Januar 2009 beträgt die Abgeordnetenentschädi- gung 7.668 € monatlich.

7 Bis Mitte 2009 hatten weitere drei Prozent ihre parlamenta- rische Karriere nach einer Unterbrechung fortgesetzt, oftmals als 16 Vgl. beispielhaft „Ehemalige Abgeordnete arbeitet als ‚Putz- Nachrücker im selben Parlament. fee’“, in: Süddeutsche Zeitung vom 24.8.2006 (www.sueddeut- sche.de/jobkarriere/100/338946/text/; Zugriff am 18.5.2009).

8 Verschiedentlich ist aber selbst in diesen Fällen zumindest fraglich, ob eine höhere Sprosse auf der Karriereleiter erklommen 17 Die entsprechende Kategorie umfasst auch Nicht-Berufstätige, wurde. So mag ein ausscheidender Ministerpräsident, der zu- die nicht in den Ruhestand gewechselt sind. Faktisch dürfte es gleich dem jeweiligen Parlament angehörte, die Ernennung zum sich aber für Westdeutschland überwiegend und für Ostdeutsch- Ressortchef eines eher randständigen Bundesministeriums nicht land ausschließlich um Befragte handeln, die nach als Aufstieg empfinden. dem Mandat zumindest zeitweilig arbeitslos waren. Seitepage 77 9 Die entsprechende Frage wurde erstmalig bei der Ehemaligen- befragung 2007 gestellt. 18 Die folgenden Angaben beziehen sich jeweils nur auf die parteipolitisch aktiven ehemaligen Parlamentarier. DerLeben Ausstieg nachReferencesLiteraturEpilog dem als MandatAufstieg

19 Da viele der hier interpretierten Auskünfte der Ehemaligen nur 2007 erhoben worden sind, beziehen sich die Aussagen in diesem Kapitel (6.1), wenn nicht anders angegeben, ausschließ- lich auf die zu diesem Zeitpunkt Befragten.

20 Gesamtdatensatz des SFB 580 Projekt A3 (N = 3428).

21 Diese können wie erwähnt aber auch als Teil des politischen Stellenmarkts im engeren Sinn betrachtet werden.

22 Es kann hier nicht diskutiert werden, ob eine solche politische Klasse in Deutschland besteht und welchen wissenschaftlichen Nutzen das entsprechende Konzept für die Analyse von poli- tischen Karrieren hat. Für die einschlägigen Beiträge zu dieser Kontroverse vgl. Borchert 1999 und Holtmann 2004.

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Dr. Michael Edinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Teilprojekt „Parla- mentarsiche Führungsgruppen“ des Sonderforschungsbereichs 580/Friedrich- Schiller-Universtät Jena. Arbeitsschwerpunkte: Elitenforschung, Parlamentarismus, Transformation im postkommunistischen Europa, politische Kultur, Rechtsextremismus

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Kontakt: Friedrich-Schiller-Universität Jena Sonderforschungsbereich 580 / A3 Seitepage 81 D – 07737 Jena Tel. 03641/945055 Fax: 03641/945052 [email protected] ReferencesLiteraturAutoren

Bertram Schwarz, seit 2005 Studium der Politikwissenschaft, Rechtswis- senschaft und Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Friedrich-Schiller- Universität Jena. Seit 2008 studentischer Mitarbeiter im Teilprojekt A3 des Sonderforschungsbereichs 580. 2009 Koordination der Befragung deutscher Landesparlamentarier im Rahmen des europaweiten Projekts „Participation and Representation“. Zurzeit Magisterarbeit über Einstellungen ehemaliger deutscher Bundestagsabgeordneter und Landesparlamentarier.

Kontakt: Friedrich-Schiller-Universität Jena Sonderforschungsbereich 580 / A3 D – 07737 Jena Tel. 03641/945055 Fax: 03641/945052 [email protected]

Seitepage 82 Danksagung

Die Autoren danken den studentischen Hilfskräften des Forschungsprojekts „Parlamentarische Führungsgruppen“, deren nimmermüdes Bemühen um die Erhebung, Kodierung und Bereini- gung der Daten diese Studie erst ermöglicht hat. Unser spezieller Dank gilt Daniel Dwars und Steffen Niehoff für die Überprüfung der Prozentangaben, Sabrina Röser für das sorgfältige Korrekturlesen sowie André Nagel und Sebastian Dörl für die Gestaltung eines zum Thema dieser Studie passenden Covers. Die Verantwortung für den Inhalt und alle etwaigen Fehler liegt selbstredend allein bei den Autoren. SFB 5 8 0 Gesellschaftliche Diskontinuität Entwicklungen Tradition Systemumbruch Strukturbildun

SFB 580 - Geschäftsführung (2009) ISSN 1619-6171