Kacunko Eva03.Indb
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SLAVKO KACUNKO Theoretikerinnen der Videokunst im deutschsprachigen Raum. Aspekte einer Annährung 1 Gegenstand, Fokus, Methodik Diese Anthologie versammelt Texte, die für die Theorie1 der Videokunst prägend waren und die nach wie vor inspirierend wirken. Enthalten sind Beiträge von Auto- rinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die seit Mitte der 1980er Jah- re entstanden sind und die den Begriff des Mediums Video bestimmen, erweitern, die spezifische Leistung der Videokunst deuten oder ihre Systematik und Histori- sierung versuchen. Es fanden Texte Berücksichtigung, die den sich verändernden Gebrauch des Mediums reflektieren, seine (Un-)Spezifizität als Reflexionsmedium definieren, und auch diejenigen, die Video als Katalysator für die Theoriebildung an den Schnittstellen zur Film-, Medien-, Internet- oder Performancekunst nutzen. Der Sammelband folgt dementsprechend einem wissenschaftshistoriographischen Inter- esse ebenso wie der Herausbildung von kunst-, medien-, performance-, geschlechts- und kulturtheoretischen Schwerpunkten der Videokunsttheorie. Es handelt sich da- bei um die erste Anthologie der Autorinnen, bei der die LeserInnen einen repräsen- tativen Querschnitt durch die deutschsprachige Video-Literatur erwarten können. Herausgegriffen werden Höhepunkte der theoretischen Diskussion und die Au torinnen, die für die gegenwärtige theoretische Aufarbeitung der Videokunst von Interesse sind. Die Anthologie nähert sich somit einem „Who is Who“ der deutsch- sprachigen Theorie der Videokunst an. Positive Aspekte dieser Annäherung grün- den allerdings auf einem dreifachen Ausschluss: (1) Der erste Aspekt und Ausschluss fasst die Frage zusammen: Warum aus- schließlich Autorinnen? Der Fokus auf die Theoretikerinnen möchte ausdrücklich nicht der Tendenz (z. B. der früheren Kunstgeschichtsschreibung und Kuratierung) folgen, Frauen bevorzugt zu Frauen in Beziehung zu setzen.2 Anstatt Autorinnen aus der Vielfalt von historischen und theoretischen Zusammenhängen herauszulö- 1 Die Verwendung des Kollektivsingulars impliziert die Pluralität der Zugänge und soll weder gemeinsa- me Ursprünge noch Konvergenzen in der Theoriebildung suggerieren. Diese werden in unterschiedlichen Formen und Umfängen in einzelnen Beiträgen thematisiert. 2 Vgl. bspw. https://nmwa.org/; http://www.frauenmuseum.de/; https://videomuseum.wordpress.com/ seite-2/ – Hier sollen allerdings weder die geschlechtsbezogenen Perspektivierungen noch ihre, auch ra- dikalen Infragestellungen diskutiert werden. Diese Fragen werden gelegentlich von den Autorinnen in dieser Anthologie thematisiert. 12 Slavko KACUNKO sen, geht es hier darum, Protagonistinnen der Theoriebildung zu präsentieren, um auszuloten, inwiefern sie in dem betreffenden Theoriebereich den Anspruch stellen können, allgemeinverbindliche (auf Video bezogene) Aussagen zu treffen. Die inei- nandergreifenden Themenkomplexe der vielfältig aufeinander bezogenen Texte lie- fern konkrete Argumente hierzu. Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, dem Impuls zu widerstehen, eine umfassende, internationale Quellensammlung mit einem kaum vermeidbaren universalistischen und kanonisierenden Charakter anzustreben. Eine solche Sammlung wächst virtuell jährlich mit der Anzahl von frei verfügbaren Quel- len im Internet (Volltext-PDF-Büchern und Aufsätzen), die auch der aktuellen theo- retisch-historiographischen Aufarbeitung zugutekommen. Diesen letzteren, zentra- len und unbestreitbaren Aspekt der Theoriebildung fokussiert diese Anthologie in erster Linie. Sie versteht sich als Supplement zu den bisherigen und zu erwartenden, breiter aufgestellten Projekten zur Theorie der Videokunst. Sowohl die Notwendig- keit als auch die Vorläufigkeit der beiden Methoden liegt auf der Hand. (2) Der zweite Aspekt und Ausschluss betrifft den Fokus auf die deutschspra- chige Literatur3 und er hängt mit der Historisierung der bezüglichen Pionierleistun- gen zusammen. Die deutschsprachige theoretische Literatur zur Videokunst nimmt im internationalen Vergleich eine historisch wie auch systematisch einmalige Posi- tion ein, die sich insbesondere im Verlauf der 90er Jahre und später zunehmend im Dialog mit dem englischsprachigen Diskurs schärft. Da diese Interaktionen bislang keiner systematischen Untersuchung unterzogen worden sind, soll der gewählte Fo- kus auf die Theoretikerinnen aus dem deutschsprachigen Raum beziehungsweise der Ausschluss von Theoretikern, Texten von Künstlerinnen und Texten außerhalb des deutschsprachigen Raumes der Systematik, der Kohärenz und der Pragmatik des Bandes dienen. Dessen erweiterte Perspektive zielt auf die Fortführung der Diskus- sion und weitere Herausarbeitung der (Un-)Spezifika und der Vielfalt der Ausein- andersetzung mit der Videokunst ab. Eine Parallele zu den englischsprachigen (vor allem US-amerikanischen und britischen) Publikationen soll aus inhaltlichen und chronologischen Gründen an dieser Stelle und in aller Kürze gezogen werden: Den ersten Ausstellungen der späten 1960er und frühen 1970er Jahre folgten die frühen programmatischen Publikationen wie Expanded Cinema (1970) von Gene Youngblood, Guerilla Television von Michael Shamberg und Raindance Corporation (1971)4 sowie das wichtige Periodikum Radical Software (1970–74)5, bevor Mitte der 3 Als Geert Lovink Anfang der 2000er Jahre in einer Mailinglist die Frage zur Positionierung von euro- päischen Sprachen im medientheoretischen Zusammenhang stellte, reagierte die Kunst-, Medien- und Kulturwissenschaftlerin Verena Kuni mit dem Argument, dass sich die Theorie durchaus lokalisieren lie- ße. Dabei ginge es aber nicht um Nationen, sondern eher um Institutionen und die dort tätigen Theoreti- kerinnen, von denen explizit gefordert wird, die Gegenstände und mind frames, auf die sie sich beziehen, präzise zu benennen. Kuni stellte in diesem Zusammenhang zudem kritisch fest, dass die Quellentrans- parenz leider nicht zu den glücklichen Strategien bei der Etablierung von (Medien-)Theorien gehörte. Vgl. Rohpost, Oktober / November 2004. http://buug.de/pipermail/rohrpost/. 4 Vgl. die spätere Aufarbeitung bei Boyle 1997. 5 http://www.radicalsoftware.org/. Theoretikerinnen der Videokunst im deutschsprachigen Raum 13 1970er Jahre durch die ersten Ausstellungskataloge frühe Systematisierungen und Historisierungen erfolgten – Video Art (USA)6 und The Video Show: Festival of In- dependent Video (Großbritannien, beide 1975). Kurz darauf erschien die erste ame- rikanische Dissertation von Johanna Gill Video. State of the art und die erste umfas- sende, von Ira Schneider und Beryl Korot herausgegebene Anthologie Video Art. An Anthology (beide 1976), gefolgt von der von Peggy Gale und Jan Debbaut besorgten Spezialausgabe von Studio International Magazine zu Video Art (Mai / Juni 1976), in dem unter anderem Wulf Herzogenrath und Richard Kriesche über die Videokunst in Westdeutschland und Österreich berichteten.7 Die erste amerikanische Disser- tation zur Theorie der VideokunstToward a Theory of Video Art (1980) veröffent- lichte Christy Sophia Park. Der von Lorne Falk herausgegebene Ausstellungskatalog The Second Link. Viewpoints on Video in the Eighties (1983) versammelte Texte einer Reihe von später bedeutenden Kuratorinnen der Videokunst, in denen neben dem Verhältnis von Video und Fernsehen vor allem auch die „sharp distinction“ zwischen dem „europäischen“ und „amerikanischen“ Video herausgearbeitet wurde. Für Lorne Falk besteht sie in Folgendem: „In Europe, the determination of the video artist cont- inues to reside primarily within the art context; in North America, there is a blurring between video for art’s sake and video for broadcast situations.“8 Im Laufe der 1980er Jahre blieb die Theorie der Videokunst ein wiederkehren- des Thema in Publikationen, Konferenzen und Ausstellungen. Maureen Turim lie- ferte eine Reihe von Beiträgen bis weit in die 1990er Jahre hinein.9 1985 erschien eine von Sarah Hornbacher kompilierte Ausgabe von Art Journal unter dem Namen Vi- deo: The reflexive Medium (1985) mit einigen wichtigen Beiträgen zur Theorie und auch Chronologie der Videokunst.10 Im selben Jahr wurde die erste Dissertation zur Videokunst in Deutschland von Edith Decker verteidigt (Paik Video, veröffentlicht 1988). Historiographisch relevant sind im deutschsprachigen Raum die spezifischen frühen Kontexte der Theoriebil- dung, denn es fällt auf, dass die wichtige videotheoretische Literatur nicht mehrheit- lich in Buchmonografien zu finden war, sondern in Ausstellungskatalogen, Katalo- gen einzelner Sammelbestände und Videokunstfestivals der 80er und 90er Jahre so- wie in Periodika. Nach den ersten, von Wulf Herzogenrath mit organisierten Grup- pen- und Einzelausstellungen und herausgegebenen Katalogen von 1974, 1976, 1979 und 198211 gaben Bettina Gruber und Maria Vedder 1983 eine Anthologie zur inter- 6 Vgl. insb. Aufsätze von D. Antin und L. Borden über „Distinctive Features of the Medium“ und „Direc- tions in Video Art“ in Antin 1975a und Borden 1975. 7 Vgl. auch Davis 1973 u. 1977, Davis u. Simmons 1977 u. Battcock 1978. 8 Der Katalog beinhaltet auch Texte von Gene Youngblood, Carl Loeffler, Sandy Nairne, Dorine Mignot, Barbara London, Kathy Huffman, Peggy Gale und Brian MacNevin. 9 Vgl. Turim 1983, 1987, 1989, 1991, 1996. 10 Vgl. Statement der Herausgeberin unter: http://experimentaltvcenter.org/video-reflexive-medium- editors-statement. 11 Vgl. Kat. 1974 Projekt ’74, Kat. 1976 Nam June Paik. Werke 1946–1976, Kat. 1979 Peter Campus u. Kat. 1982 Videokunst in Deutschland 1963–1982. 14 Slavko KACUNKO nationalen Entwicklung von „Kunst und