KAPITEL II REBELLEN ÜBERALL

42 Halbe gegen Ganze Im Großherzogtum Baden spitzte sich der Grundkonflikt der Revolution schon früh zu – Anhänger der konstitutionellen Monarchie auf der einen, Republikaner auf der anderen Seite.

Von CHRISTOPH GUNKEL

Niederlage der republikanischen Freischärler am 20. April 1848 bei Kandern Lithografie

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as Wirtshaus Salmen in hieß ich Gustav von Struve. Ab sofort men werden. Das Offenburger Manifest Offenburg hat sich für die will ich nur noch Bürger Struve sein!“ hingegen ist das bisher am nachdrück - Revolution fein herausge - Ein Vorschlag nach dem anderen lichsten formulierte Verlangen nach ei - putzt. Girlanden aus Laub flirrt durch den Raum. Leidenschaftlich ner politischen Rosskur – und findet Ap - Dverzieren den Speisesaal, verlangt Hecker eine „Magna Charta der plaus in allen Gesellschaftsschichten. an den Wänden hängen Porträts der Volksfreiheit“. Insgesamt 13 „Forderun - Dennoch kann von einer Einheit der wichtigsten badischen Oppositionellen, gen des Volkes“ werden in einem Mani - Reformer keine Rede sein. Im Gegenteil: ebenfalls von Laub umrahmt. Politiker fest einstimmig verabschiedet: Ende der Offenburg treibt entschiedene Republi - aus ganz Baden, das schon lange über Repressionen und Polizeiwillkür. Ver - kaner und eher konservative Liberale ein Landesparlament verfügt, sind an - sammlungsfreiheit, persönliche Freiheit, weiter auseinander. Über den Grad der gereist – überzeugt, dass es an diesem Pressefreiheit, Glaubensfreiheit. Ab - Veränderung und deren Mittel herrscht 12. September 1847 nicht allein um das schaffung aller Vorrechte des Adels. Ein - grundsätzlicher Streit. Geht es darum, Schicksal des Großherzogtums geht, führung einer Volksbewaffnung mit Of - Dutzende deutscher Monarchien ein für sondern um die Zukunft Deutschlands. fizieren, die auf die Verfassung schwö - alle Mal zu beseitigen und die eine deut - Schon seit Jahren hat die Unzufrie - ren müssen. Und, am wichtigsten: Eine sche Republik auszurufen? Oder soll denheit in den Staaten des Deutschen „Vertretung des Volkes beim deutschen man sich mit einem nationalen Parla - Bundes drastisch zugenommen, ver - Bunde“ – also ein nationales Parlament. ment auf Basis einer konstitutionellen stärkt durch verheerende Agrar- und Das sind die zentralen Punkte, die in Monarchie begnügen? Darf der Wandel Wirtschaftskrisen, Vorboten der Indus - den kommenden Monaten Reformer notfalls gewaltsam erkämpft werden trialisierung. In der Not plündern die und Revolutionäre in ganz Deutschland oder nur auf gesetzlichem Weg erfolgen? Menschen Bäckereien und stürmen Han - Reichen politische Veränderungen, oder delshäuser. Mehr noch: Viele Deutsche Hzgt. ist auch eine soziale Revolution nötig? träumen wieder einmal den verbotenen NASSAU Entlang dieser Grundfragen hat Stru - Kgr. Frankfurt Traum von einem deutschen National - PREUSSEN ve die zersplitterte liberale Opposition staat, von Volkssouveränität und einem Ghzgt. Kgr. schon Monate zuvor, propagandistisch BAYERN gesamtdeutschen Parlament. HESSEN gewieft, in gemäßigte „Halbe“ und radi - Am Abend ist der Speisesaal des Sal - Heppenheim kale „Ganze“ eingeteilt. Fortan wirken men daher bis zum Bersten gefüllt. Fast Kgr. die „Halben“ allein schon begrifflich 900 Menschen sind gekommen, Anwälte BAYERN blutleer und mutlos, die „Ganzen“ dage - und Gelehrte, Dienstboten, Bauern - gen entschlossen und visionär. Und die knechte, Fuhrleute und Handwerksge - Kluft zwischen den Lagern wächst. Sie Kgr. sellen. Glühende Anhänger einer Repu - FRANK- wird Freundschaften zerstören und Fa - blik sind darunter, Sozialrevolutionäre, REICH milien zerreißen. Patrioten und Neugierige. Das Kalkül Kgr. „Wir sehen im Offenburger Manifest WÜRTTEMBERG der Organisatoren geht auf: Sie haben O enburg die wirklich rücksichtslose, wirklich fre - massenhaft Flugblätter verteilt, Anzei - che Kriegserklärung einer Partei, welche HOHEN- gen geschaltet und den Veranstaltungs - Ghzgt. sich allem Bestehenden entgegenstellt“, ZOLLERN ort klug gewählt: Offenburg, im Herzen BADEN schreibt etwa der liberal-konservative Badens, ist neuerdings per Eisenbahn Mannheimer Journalist und Verleger 50 km gut zu erreichen. Kandern Karl Mathy empört, einst ein enger Weg - Die Werbekampagne lockt auch un - Lörrach gefährte und Duzfreund von Hecker und gebetene Gäste an. Ein Spion des badi - Kgr.: Königreich; Ghzgt.: Großherzogtum; Hzgt.: Herzogtum Struve. Auch er will zwar mehr Bürger - schen Großherzogs Leopold hat sich rechte und ein gesamtdeutsches Parla - unter die Menge gemischt. Erschrocken bewegen werden. Die Obrigkeit in Karls - ment – aber nur in Vereinbarung mit den notiert er: „Die ganze Versammlung, mit ruhe ist zutiefst beunruhigt, zumal auch Fürsten, ohne Überstürzung. Ausnahme nur Weniger, hat wie vom Re - vage sozialistische Ideen wie der „Aus - Mit Gleichgesinnten wie dem Kauf - volutionsfieber ergriffen vibriert.“ gleich des Missverhältnisses zwischen mann Friedrich Daniel Bassermann or - In der Tat ist die Stimmung auf - Arbeit und Kapital“ auftauchen. Auf ganisiert Mathy daher nur einen Monat geheizt. Das Volk dürfe nicht zu „einer Grundlage des Spitzelberichts urteilt das nach Offenburg eine Art Gegenveranstal - Maschine des Gehorsams“ werden, ruft Innenministerium, die Sache eigne sich tung: Im abgeschiedenen Städtchen , einer der prominen - zur „gerichtlichen Aburteilung“; man lei - Heppenheim treffen sich am 10. Oktober testen Oppositionspolitiker Badens. Ge - tet Ermittlungen ein. nicht Hunderte aufgewühlte Revolutio - gen „die modernen Feinde, Kapital und Doch die Demokratiebewegung ist näre, sondern 18 renommierte Landtags - Fabriken“, wird protestiert, dem Polizei - nicht mehr zu ersticken. Überall im abgeordnete aus ganz Deutschland im staat der Kampf angesagt, eine „Selbst - Deutschen Bund wird das Offenburger Gasthof Zum halben Mond. Die Wahl ei - regierung des Volkes“ gefordert. Gustav Manifest verbreitet und diskutiert. Zwar nes Versammlungsorts mit diesem Na - von Struve, einer der Hauptorganisato - kursieren in dieser Zeit mitunter sogar men nährt etwas leichtfertig den Spott ren des Abends, von Beruf Anwalt wie noch viel drastischere Flugblätter, die der „Ganzen“ über die „Halben“. Beim O

Hecker, sagt sich im Überschwang der zur Vernichtung des Adels, Vertreibung Essen sondieren die gesetzten Herren T O F

Gefühle von seiner Herkunft los. „Die der Fürsten und Ermordung aller Beam - die „verfassungsmäßigen Mittel, welche R E T N I

Zeit des Adels ist vorbei“, ruft er, von ten aufrufen. Doch das sind Parolen von geeignet sind, den gerechten Ansprü - : 2 4

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Beifall umtost. „Bis zum heutigen Tag Splittergruppen, die kaum ernst genom - chen des Volkes Nachdruck zu geben“, S

44 SPIEGEL GESCHICHTE 3 | 2014 Der Radikale, der Liberale und der Konservative im Disput. Karikatur, Juni 1848

berichtet die „Deutsche Zeitung“. Die ment vergleichsweise mächtig – auch rungen, doch nun werden sie auf De - elitäre Runde will Politik so machen wie wenn der Großherzog bisher nach Gut - monstrationen überall in Deutschland seit jeher: diskret und in kleinen Zirkeln. dünken entschieden hat, wann es tagen so nachdrücklich wie nie zuvor erhoben. Und doch will auch sie Großes: Mit Hep - darf. Damit ist es jetzt vorbei. Die Bürger 20 000 Menschen eilen während der penheim, schreibt Bassermann, solle der geben nun den Takt vor. Plötzlich wagen nächsten Tage in heillos überfüllten Zü - „Anfang eines deutschen Parlaments“ ge - sie sich aus den unzähligen, als unpoli - gen nach Karlsruhe und versammeln sich macht werden. tisch getarnten Turn- oder Gesangsver - vor dem badischen Parlament. Eine im - Vielleicht wäre es bei solch theore - einen hervor, in denen sie schon lang posante Drohkulisse für die Übergabe der tisch-grundsätzlichen Scharmützeln heimlich nationale und liberale Lieder Mannheimer Petition. Die Stimmung der zwischen „Halben“ und „Ganzen“ ge - geschmettert haben. Menge schwankt zwischen Euphorie und blieben. Doch nur vier Monate später Schon drei Tage nach dem Pariser Wut, denn das Parlament spielt auf Zeit. bricht in Frankreich die Revolution aus. Umsturz, am 27. Februar 1848, versam - Erst erklärt es sich für nicht zuständig, Der König flieht ins Exil, am 24. Februar meln sich in einer Mannheimer Aula dann verschleppt es die Forderungen in 1848 wird in Paris die Republik ausge - rund 3000 Bürger. Moderate Liberale die Ausschüsse. Aber auch unter den Re - rufen. Die Nachricht elektrisiert alle wie Mathy und Linke wie Struve verfas - formern gibt es Ärger. Hecker wirft eini - deutschen Liberalen. Sie sehen die Chan - sen in seltener Eintracht eine Petition. gen Liberalen vor, die Petition „in Form ce, endlich ihre Ideen durchzusetzen. Darin werden Pressefreiheit, eine faire und Inhalt zu mildern und zu verwäs - In Baden verläuft die Entwicklung be - Justiz durch Einrichtung von Schwur - sern“ – nicht zu Unrecht, wie sich heraus - sonders rasant – wohl auch deshalb, weil gerichten und Volksbewaffnung ver - stellt: Die Forderungen des Volkes wer - kein anderer deutscher Staat eine so li - langt; die Bürgerwehr soll die wichtigste den im Parlament offiziell zu „Wünschen“ berale Verfassung hat. Die Zensur ist Waffe der Fürsten, das stehende Heer, verniedlicht und dem Großherzog mit ei - hier nicht so rigide, das regionale Parla - ersetzen. Das sind altbekannte Forde - ner unterwürfigen Dankesadresse vorge - D L I

B In überfüllten Zügen eilen nach der Pariser Revolution

N I E T S L L

U 20 000 Menschen zum badischen Parlament.

SPIEGEL GESCHICHTE 3 | 2014 45 Revolutionär Friedrich Hecker Portätfoto von E. Bieber, legt. Die gemäßigten Liberalen vor 1850 haben sich durchgesetzt. Hecker ist maßlos enttäuscht. Der Regierung droht die Si - tuation trotz dieses Teilerfolgs zu entgleiten. Der Landesherr ist mit seinen Nerven am Ende: Während der Krise habe sich der Großherzog „jeden Abend be - rauscht“, berichtet ein preußi - scher Diplomat alarmiert nach Berlin. Und es kommt noch schlimmer: Auf dem Land rotten sich Bauern zusammen und stür - men Ämter. Sie wollen all jene Unterlagen vernichten, die ihre Abgabenpflichten an die adeli - gen Grundherren dokumentie - ren. Aktenberge gehen in Flam - men auf, Beamte werden verprü - gelt, Schlösser geplündert. Die Bauern wollen die Gunst der Stunde nutzen, um sich endlich von einem Relikt des Mittelal - ters zu befreien. Der Großherzog gibt nach. Schon Anfang März gewährt er Pressefreiheit, es folgen Zuge - ständnisse an die Bauern. „Das Unvermeidliche mit Gewalt zu - rückzudrängen, hätte nur die Kraft der überall brausenden Wogen vergrößert“, schreibt Leopold wenig später an Preu - ßenkönig Friedrich Wilhelm IV., der seine Truppen in Berlin kurz darauf auf Aufständische schie - ßen lässt. „Die erste Aufgabe war“, so Leopold weiter, „ das Land zu beruhigen und zusam - menzuhalten.“ Für dieses Ziel baut er im Eil - tempo sein Kabinett um. Am 7. März beruft er den liberalen Re - gierungsrat Karl Georg Hoff - mann an die Spitze der Regie - rung und entlässt dafür verhass - te, als reaktionär geltende Minis - ter und Beamte. Im „Dritten Deutschland“ – so die damals gängige Bezeichnung für die zahlreichen kleineren Staaten des Deutschen Bundes zwischen den Großmächten Österreich- Ungarn und Preußen – gerät S

nun eine konservative Regie - E G A

rung nach der anderen ins Wanken. „Die die Revolution doch noch aufzuhalten. Verletzung der Gesetze“ geschehen sei, M I

P alten Minister entwichen“, frohlockt He - Schon bald bricht der alte Konflikt in - prangern die Führer der Linken halb - D D

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cker. „Die Fürsten, verlassen und ratlos, nerhalb der liberalen Opposition wieder gare Reformen und politischen Still - K E T T versprachen und unterschrieben.“ auf – stärker als je zuvor. Sind die ge - stand an. I W

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Doch er täuscht sich. Langfristig er - mäßigten Liberalen stolz, dass die ba - Doch wagen sie es noch nicht, die Re - L A N O

füllt sich die Hoffnung der Machthaber, dische Revolution friedlich und „ohne publik auszurufen. Am 19. März, ein hal - R

46 SPIEGEL GESCHICHTE 3 | 2014 REBELLEN ÜBERALL bes Jahr nach den visionären Reden im Struves Plädoyer löst Tumulte in der Hecker hingegen erfüllt jede Verzö - Gasthof Salmen, strömen Tausende auf Paulskirche aus, sie sind ein Affront für gerung der Revolution mit „Unwillen den Rathausmarkt in Offenburg. Mit er - alle Anhänger der konstitutionellen Mo - und Ekel“. Frustriert treten er, Struve hobener Hand schwören sie auf Freiheit narchie. „Die Redner rissen und stießen und 76 weitere Republikaner aus dem und Einheit. Es ist eine Art deutscher sich, um auf die Rednertribüne zu kom - Vorparlament aus. Rütlischwur, doch Hecker bremst die men und ergingen sich in den leiden - Der Streit eskaliert vollends, als am Euphorie. Das Volk solle sich zwar be - schaftlichsten Äußerungen“, notiert ein 8. April der „Halbe“ Mathy, ein Journa - waffnen, aber zunächst abwarten. Die Augenzeuge. Was eine Sternstunde der list, den „Ganzen“ Joseph Fickler, einen Zeit für die Republik sei „noch nicht reif“ Demokratie werden sollte, mündet im Verleger, wegen eines angeblichen Lan - sagt er zur Enttäuschung vieler. Chaos. desverrats verhaften lässt, obwohl er Am nächsten Tag scheint es besser zu dazu rechtlich gar nicht befugt ist. Ma - ecker will keine Fakten laufen. Hecker wirbt fulminant für die thy wird von aufgebrachten Bürgern fast schaffen, ehe das Vor - Republik, seine Rede endet in einem to - gelyncht und in Ficklers Zeitungen als parlament vom 31. März senden Bravogebrüll. Doch dann sticht „Schandfleck der Menschheit“ be - an in der Frankfurter ihn der hessische Landtagsabgeordnete schimpft. Hecker befürchtet nun, als HPaulskirche tagen wird. Heinrich von Gagern aus, der beim Hep - Nächster verhaftet zu werden. Erstmals Die Versammlung soll die erste Sitzung penheimer Treffen von 1847 einer der ist er bereit, seine Ziele mit Gewalt zu des so heiß ersehnten nationalen Parla - Wortführer der Liberalkonservativen ge - erkämpfen. Es gehe um „Sieg oder Tod“ ments vorbereiten. Als die 574 Delegier - wesen ist. Heckers und Struves Ideen der Republik, schreibt er. Er will von ten aus ganz Deutschland, darunter 72 seien die naiven Vorschläge einer ideo - Konstanz mit einem Volksheer bis nach aus Baden, Frankfurt erreichen, ist die logisch verblendeten Minderheit, „die Karlsruhe marschieren, um die Regie - Euphorie grenzenlos. „Geschrei! Ge - nach Problemen hascht und unerreich - rung zu stürzen. „Worte können unser wehrfeuer! Frankfurt schwimmt in bare Dinge anstrebt“. Die Mehrheit wol - Recht und unsere Freiheit nicht er - Schwarz-Rot-Gold“, berichtet ein Repor - le „dem Prinzip der Monarchie im Staat obern“, steht auf seinen Flugblättern. ter. Die ganze Stadt befinde sich in ei - treu bleiben“ und lediglich die nationale Für einen begnadeten Rhetoriker wie nem Rausch. Einheit und Volkssouveränität damit ihn muss das eine traurige Einsicht sein. Auch Hecker und Struve sind optimis - verbinden. Doch Konstanz wird nicht gerade tisch. Die beiden wichtigsten Vertreter Von Gagerns Rede dreht die Stim - vom Revolutionsfieber gepackt. Mit nur der Linken könnten gegensätzlicher mung, wie ein Bremer Gesinnungs - vier Trommlern und rund 50 Anhängern kaum sein. Struve, der Stratege mit Fis - freund des Adligen festhält: „Der knüt - zieht Hecker am 13. April los. In seiner telstimme, dünnem Haar und Halbglat - telbewaffnete Pöbel, der soeben für die revolutionären Tracht wirkt er wie ein ze ist alles andere als ein Volkstribun. Republik gebrüllt hat, schrie jetzt, durch moderner Robin Hood: blaues Hemd, Zudem raucht er nicht und ernährt sich Gagerns Worte hingerissen, ‚Bravo‘ für breitkrempiger Filzhut mit spitzer Feder, – damals ziemlich exotisch – streng ve - die Monarchie.“ im Gürtel mehrere Pistolen und ein Sä - getarisch. Allein das macht ihn für viele Struve und Hecker fühlen sich betro - bel. Binnen weniger Tage schwillt die suspekt, manche halten ihn gar für den gen. Selbst ihr Minimalziel scheitert, das kümmerliche Schar auf immerhin schät - deutschen Robespierre. Ganz anders He - provisorische Vorparlament nach dem zungsweise 4000 Mann an, aufgeteilt in cker: „Das ist ein Fleischesser und ein Vorbild der Französischen Revolution drei Kolonnen. Besonders bei den Bau - vollsaftiger, gesunder Mensch“, urteilt in eine permanent tagende National - ern, die immer noch unter den Abgaben ein politischer Gegner, „hier ist Unmit - versammlung mit erweiterten Rechten an ihre Grundherren ächzen, finden die telbarkeit, wenn er sein langes braunes umzuwandeln. Kein Antrag der Linken Aufrührer Zulauf. Dennoch ist die Stim - Haar aus dem Gesicht schüttelt und mit wird angenommen, zu klar sind die ge - mung getrübt. Die Freischärler, darunter kräftiger Baritonstimme zu reden be - mäßigten Liberalen in der Mehrheit. auch Struve, kommen bei Schnee und ginnt.“ Struve und Hecker, der kühle Vor - „Die Revolution erleidet Niederlage auf Regen kaum voran, es mangelt an Pfer - denker und der feurige Volksliebling, er - Niederlage“, meldet Unternehmer Bas - den und Gewehren, viele sind nur mit gänzen sich ideal. sermann zufrieden nach Hause. „Die Sensen bewaffnet. Doch ihre Hoffnungen werden jäh Entrüstung über Hecker und Struve Ganz Deutschland schaut nun ge - zerstört. Struve stellt gleich in der ersten wächst fortwährend.“ bannt auf Baden. Die Fürsten fürchten Sitzung des Vorparlaments einen langen Mit ihren stürmischen Auftritten ha - einen Flächenbrand, sollte der Aufstand Antrag mit den bekannten Forderungen ben sich die Radikalen das Leben schwer erfolgreich sein. Ein preußischer Diplo - der Radikalen, darunter die Abschaffung gemacht und auch allseits geachtete De - mat glaubt, Hecker könne bis zu 20 000 aller Adelsprivilegien. Den wichtigsten mokraten wie Robert Blum verschreckt. Proletarier mobilisieren. Sofort werden Punkt hat er sich für den Schluss aufge - „Struve und Hecker sind wahre Vieh - Bundestruppen in das Großherzogtum spart: „Die Aufhebung der erblichen Mo - kerls“, schreibt Blum, der später zum geschickt. Hecker bekommt derweil narchie und Ersetzung derselben durch Märtyrer der Revolution wird, an seine unerwartet ein Hilfsangebot aus Frank - frei gewählte Parlamente, an deren Spit - Frau. „Sie rennen durch den Wald wie reich. Rund tausend Exildeutsche mar - ze frei gewählte Präsidenten stehen.“ geschlagene Ochsen.“ schieren unter der politischen Führung Die Führer der Linken prangern halbgare Reformen und politischen Stillstand an.

SPIEGEL GESCHICHTE 3 | 2014 47 REBELLEN ÜBERALL

des Freiheitsdichters Georg Herwegh nen kann. Trotzdem lehnt er ein Ange - schieden und Hecker, verkleidet in Bau - von Paris Richtung Baden. Doch Hecker bot ab, die Waffen gegen politische Am - ernkluft, auf der Flucht. Insgesamt zwölf lehnt ab. Er glaubt dem von Gegnern ge - nestie niederzulegen. Seine letzte Hoff - Männer sind gefallen, darunter der pro - streuten Gerücht, Herweghs Männer sei - nung ist die Kraft seiner Worte. minenteste: General von Gagern. Ausge - en keine ehrenhaften Freiheitskämpfer, Es ist ein verwegener, romantischer rechnet der ältere Bruder des Mannes, sondern eine Bande plündernder Ver - Plan: Mit einer flammenden republika - der im Vorparlament Heckers stärkster brecher. Von vermeintlichem Gesindel nischen Rede will er die feindlichen Sol - Widersacher war, ist tot. will er sich seine Revolution nicht be - daten vor Beginn der Schlacht zum Das wirkt wie ein gezielter Rache - schmutzen lassen. Überlaufen bewegen. Doch Hecker steht akt – und Heckers Gegner schlachten Der Irrtum rächt sich, ebenso wie die mit Friedrich von Gagern ein erfahrener den falschen Eindruck weidlich aus. Sie Aufteilung der Armee in Kolonnen. Am General gegenüber. Als der gefürchtete lancieren das Gerücht, von Gagern sei 20. April sitzt Hecker mit etwa tausend Volkstribun zur Agitation ansetzt, lässt heimtückisch ermordet worden, als er Mann bei der Kleinstadt Kandern „in der General seine Trommler aufspielen mit den Freischärlern verhandeln wollte. der Mausefalle“, wie er offen zugibt – und reitet persönlich an die Spitze seiner Nun sind die Aufständischen auch noch umzingelt von einer doppelt so großen Armee. Kurz danach fallen die ersten moralisch diskreditiert. Selbst einige Streitmacht und unerreichbar für seine Schüsse. Welche Seite sie abgibt, ist bis Linke und zeitweilige Sympathisanten anderen Kolonnen. Hecker weiß, dass heute umstritten. Nach nicht einmal an - gehen auf Distanz; sie fühlen ihre Sache er die anstehende Schlacht nicht gewin - derthalb Stunden ist die Schlacht ent - durch den stümperhaft geplanten Auf - Friedrich Hecker wird auch als gescheiterter Revolutionär im Schweizer Exil zum badischen Volksheiligen.

48 SPIEGEL GESCHICHTE 3 | 2014 Einzug der Republikaner in Lörrach Gemälde von Friedrich Kaiser, um 1850

stand verraten. Die Radikalen sind end - quert hat, ruft er am 21. September 1848 Kassen plündern. Bald kommandiert er gültig isoliert. vom Fenster des Rathauses in Lörrach mehr als 2000 Mann, und wer sich nicht Und doch ist Hecker nicht ganz be - die „Deutsche Republik“ aus. freiwillig meldet, wird zwangsrekrutiert. siegt. Hunderte Anhänger besuchen ihn Doch obwohl Struve, seinem Naturell in seinem Schweizer Exil und machen ie Gelegenheit scheint entsprechend, viel überlegter als Hecker den gescheiterten Revolutionär schnell günstig: Kurz zuvor ist es vorgeht, scheitert auch sein Putsch nach zum badischen Volksheiligen. Hecker- in Frankfurt zu blutigen wenigen Tagen: In Staufen kommt es Porträts zieren unzählige Wirtsstuben, Barrikadenkämpfen ge - zum Häuserkampf, in dem die Zwangs - Tabakdosen und Wandteller. Etliche Le - Dkommen, nachdem Preu - rekruten schnell das Weite suchen. Stru - genden und Lieder preisen seine Tugen - ßen mit Dänemark einen unpopulären ve wird gefangen genommen und ent - den. Sein markanter Filzhut wird zum Waffenstillstand geschlossen hat (siehe geht nur knapp der Erschießung durch Verkaufsschlager. Seite 100). Die Republikaner sind erst ein Standgericht. Während der fast mythisch Verehrte entrüstet darüber, dass die Frankfurter Den Traum von der Republik kann er im Schweizer Exil den Glauben an die Nationalversammlung dabei schnöde in Deutschland nicht mehr verwirkli - Möglichkeit einer Deutschen Republik übergangen wurde – dann entsetzt, als chen – auch nicht acht Monate später, verloren hat und die Auswanderung das Parlament den Waffenstillstand als die Revolution in Baden noch einmal ) .

R nach Amerika vorbereitet, nimmt sein nachträglich auch noch billigt. hochkocht ( siehe Seite 132 ) und Aufstän - (

G

K Mitstreiter Gustav Struve einen weite - Struve setzt auf diese Welle der Em - dische ihn aus seiner Gefängniszelle be - A

; ) .

L ren revolutionären Anlauf. Als Hecker pörung und wettert gegen die „geschwät - freien. Der ersehnten Freiheit kommt er (

K P

B sich am 20. September 1848 in Le Havre zige“ Nationalversammlung. In Lörrach erst viele Jahre später in der Ferne nah:

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S

E einschifft, feilt Struve gerade am Plan lässt er Schilder mit der Aufschrift Genau wie Hecker wird Struve im G I E

G für den nächsten Aufstand. Nachdem er „Deutsche Republik“ anbringen, herzog - Amerikanischen Bürgerkrieg für die Ab -

F I E

L heimlich die Schweizer Grenze über - liche Beamte verhaften und öffentliche schaffung der Sklaverei kämpfen. n

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