Plenarprotokoll 13/17

Deutscher

Stenographischer Bericht

17. Sitzung -

Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung 1041 A Erwin Marschewski CDU/CSU 1046 D Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 1046 D Tagesordnungspunkt 1 SPD 1047 B Befragung der Bundesregierung (Agrarbericht der Bundesregierung Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 1047 B 1995; Gesetz über das Bundeskriminal- Dietmar Schlee CDU/CSU 1047 C amt und die Zusammenarbeit des Bun- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 1047 C des und der Länder in kriminalpolizeili- Günter Graf (Friesoythe) SPD 1047 C chen Angelegenheiten [Bundeskrimi -nalamtgesetz]) Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI . 1047 D , Bundesminister BML 1041 B Zusatztagesordnungspunkt 1: Egon Susset CDU/CSU 1042 A Vereinbarte Debatte zur Strukturre- Jochen Borchert, Bundesminister BML 1042B form der ARD Horst Sielaff SPD 1042 C Jochen Borchert, Bundesminister BML 1042D in Verbindung mit Günther Bredehorn F.D.P. 1043 B Zusatztagesordnungspunkt 2: Jochen Borchert, Bundesminister BML 1043B Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Meinolf Michels CDU/CSU . . . . , 1043 B Glotz, Arne Börnsen (Ritterhude), wei- Jochen Borchert, Bundesminister BML 1043 C terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Garantie des Bestandes der Dr. Günther Maleuda PDS '1043D ARD (Drucksache 13/396) Jochen Borchert, Bundesminister BML 1044 A , Ministerpräsident (Hessen) . 1048A Siegfried Hornung CDU/CSU 1044 B Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident Jochen Borchert, Bundesminister BML 1044 C (Bayern) 1051 B Günter Graf (Friesoythe) SPD 1044 C Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Jochen Borchert, Bundesminister BML 1044 D NEN 1056B Ulrich Heinrich F.D.P. 1045 A Dr. F.D.P 1057 D Jochen Borchert, Bundesminister BML 1045B PDS 1059 D Matthias Weisheit SPD ...... 1045 C Dr. SPD ...... 1061 B Jochen Borchert, Bundesminister BML . 1045D Dr. CDU/CSU 1062 C Ulrike Höfken-Deipenbrock BÜNDNIS 90/ Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 1045D DIE GRÜNEN 1064 D Jochen Borchert, Bundesminister BML 1046A Dr. F D P. 1066B Dr. Gerald Thalheim SPD 1046 B SPD 1067 C Jochen Borchert, Bundesminister BML 1046B Hans-Otto Wilhelm (Mainz) CDU/CSU 1070A II Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Otto Schily SPD 1070 D Ausnahmegenehmigungen für private SPD 1073 B Netz- und Diensteanbieter im Wettbewerb mit der Deutschen Telekom AG Dr. , Bundeskanzler . . . 1075 B MdlAnfr 6, 7 Tagesordnungspunkt 2: Dr. Hermann Pohler CDU/CSU Fragestunde Antw PStS Dr. Paul Laufs BMPT . 1083A, 1083 B - Drucksache 13/385 vom 3. Februar ZusFr Dr. Hermann Pohler CDU/CSU . 1083 D 1995 - ZusFr (Köln) SPD 1084 A

Zuständigkeit des BND-Präsidenten Kon- Lage der deutschen Minderheit in Kasach- rad Porzner für die Prüfung des Spionage- stan verdachts gegen Karl Wienand MdlAnfr 8, 9 MdlAnfr 72 Reiner Krziskewitz CDU/CSU Joachim Hörster CDU/CSU Antw PStS Eduard Lintner BMI 1084 C Antw StM BK . . . 1077 D ZusFr Reiner Krziskewitz CDU/CSU . 1085A ZusFr Erwin Marschewski CDU/CSU . . 1078A Abschiebung des Kurden Ibrahim Kara- Information des Bundesamtes für Verfas- han in die Türkei trotz des vereinbarten sungsschutz über den Spionageverdacht Abschiebestopps gegen Karl Wienand durch Ministerpräsi- MdlAnfr 10 dent Rau Günter Gloser SPD MdlAnfr 16 Antw PStS Eduard Lintner BMI 1085 B Joachim Hörster CDU/CSU ZusFr Monika Ganseforth SPD . . . . 1085B Antw PStS Eduard Lintner BMI 1078 B ZusFr Christel Hanewinckel SPD . . . 1085 C ZusFr Joachim Hörster CDU/CSU . . 1078B Unterschiedliche Bewertung von Strafta- Unterrichtung der Bundesregierung über ten bei vom Abschiebestopp für Kurden den Spionageverdacht gegen Karl Wie- ausgenommenen Straftätern; Rückholak- nand durch den Präsidenten des BND tion für den in die Türkei abgeschobenen Konrad Porzner; Information durch Kurden Ibrahim Karahan Dr. Hans-Jochen Vogel über den Vermerk MdlAnfr 11, 12 Willy Brandts zu dessen Gespräch mit dem Christel Hanewinckel SPD früheren sowjetischen Botschafter Falin Antw PStS Eduard Lintner BMI . . 1085D,1086 A MdlAnfr 73, 74 ZusFr Christel Hanewinckel SPD . . . . 1086B Erwin Marschewski CDU/CSU Antw StM Bernd Schmidbauer BK 1078C, 1079B Finanzierung des Programms ECO-Con- ZusFr Erwin Marschewski CDU/CSU 1078 D, 1079B version nach französischem Beispiel MdlAnfr 28 Genehmigungen zur Ausfuhr von Rü- Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE stungsgütern in den Irak und in den Iran GRÜNEN an die Telemit Electronic GmbH Antw PStS Dr. BMF . . 1086 C MdlAnfr 37 ZusFr Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ Norbert Gansel SPD DIE GRÜNEN 1087 A Antw PStS Dr. Heinrich L. Kolb BMWi . 1080A Förderung der Waggonbau-Dessau- ZusFr Norbert Gansel SPD 1080 B GmbH ZusFr Volker Neumann (Bramsche) SPD . 1080 D MdlAnfr 29, 30 ZusFr Monika Ganseforth SPD 1081 A Wolfgang Krause (Dessau) CDU/CSU Verhinderung der von der EG-Kommission Antw PStS Dr. Kurt Faltlhauser BMF . . 1087C, D beschlossenen Einfuhrerschwerungen für ZusFr Wolfgang Krause (Dessau) CDU/ marokkanische Tomaten CSU 1088A MdlAnfr 2, 3 ZusFr Dr. Uwe Küster SPD 1088 C Johannes Singer SPD ZusFr BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ...... 1089A Antw PStS Wolfgang Gröbl BML . 1081C, 1081 D ZusFr Johannes Singer SPD . . . 1081 C, 1082B Nächste Sitzung 1089 C ZusFr Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 1082D Berichtigung 1089 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 III

Anlage 1 Anlage 6 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 1091* A Personalplanungen bei einer Zusammen- legung der Hauptzollämter Kehl und Frei- burg in Kehl Anlage 2 Stand der Verhandlungen mit der Tsche- MdlAnfr 25, 26 - Drs 13/385 - chischen Republik über ein Rechtshilfeab- SPD kommen SchrAntw PStS Dr. Kurt Faltlhauser BMF 1094* B MdlAnfr 1 - Drs 13/385 - Simon Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU SchrAntw PStS BMJ . . . 1091* B Anlage 7 Veräußerung der ehemaligen US-Liegen- Anlage 3 schaften in Bayern, insbesondere Vergabe von Wohnungen an Sozialmieter Ungleichbehandlung der Grenzgänger im - Zusammenhang mit der Einführung der MdlAnfr 27 - Drs 13/385 - Pflegeversicherung SPD MdlAnfr 4, 5 - Drs 13/385 - SchrAntw PStS Dr. Kurt Faltlhauser BMF 1094* D Marion Caspers-Merk SPD SchrAntw PStS Horst Günther BMA . . . 1091* D Anlage 8

Anlage 4 Verzicht auf die Erhebung von Körper- schaft- und Gewerbesteuer bei gewerbli- Ausbleiben der Entlastung des Bundesam- chen Geschäftsbetrieben von Parteien und tes für die Anerkennung ausländischer Massenorganisationen im Beitrittsgebiet Flüchtlinge durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1993 MdlAnfr 31, 32 - Drs 13/385 - MdlAnfr 13, 14 - Drs 13/385 - Arne Börnsen (Ritterhude) SPD Dr. (München) CDU/CSU SchrAntw PStS Dr. Kurt Faltlhauser BMF 1095* A SchrAntw PStS Eduard Lintner BMI . . 1093 A

Anlage 9 Anlage 5 Zeitplan für die geplante schrittweise Ab Stand der Ermittlungen des Bundesamtes schaffung der Gewerbesteuer und Kom für Verfassungsschutz zur Verfassungsmä- pensationsmaßnahmen für die Gemeinden ßigkeit der PDS MdlAnfr 15 - Drs 13/385 - MdlAnfr 33 - Drs 13/385 - Jürgen Augustinowitz CDU/CSU Dr. Elke Leonhard SPD SchrAntw PStS Eduard Lintner BMI . . . 1094* B SchrAntw PStS Dr. Kurt Faltlhauser BMF 1095* C

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17. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsident Hans Klein: Die Sitzung ist eröffnet. Generelle Einkommensverbesserungen konnten die Betriebe in Bayern und in den neuen Bundeslän- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird dern erzielen. In Bayern ist die positive Gewinnent- die heutige Tagesordnung urn die vereinbarte De- wicklung auf die Aufstockung des soziostrukturellen batte zur Strukturreform der ARD und damit im Zu- Einkommensausgleichs mit Landesmitteln zurückzu- sammenhang um die Beratung des Antrags der Frak- führen. In den neuen Ländern hat sich die Einkom- tion der SPD auf Drucksache 13/396 erweitert. Die menssituation insgesamt weiter verbessert. Debatte soll unmittelbar im Anschluß an die Befra- gung der Bundesregierung beginnen. Besteht damit Die Prognosen für das laufende Wirtschaftsjahr das Einverständnis des Hauses? - Dies ist offensicht- 1994/1995 sind günstig. Für die neuen Länder ist mit lich der Fall. Dann ist es so beschlossen. einer leichten Einkommensverbesserung zu rech- nen. In den alten Ländern werden 1994/1995 nach Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: den Prognosen die Gewinne voraussichtlich zwi- schen 7 und 12 % steigen. Das Gewinniveau der Befragung der Bundesregierung Wirtschaftsjahre 1988/1989 bis 1991/1992 dürfte da- mit aber noch nicht wieder erreicht werden, und da- Die Bundesregierung hat als Themen der gestrigen mit bleibt die Einkommenssituation insgesamt Kabinettssitzung mitgeteilt: Agrarbericht der Bun- schwierig. desregierung 1995, Gesetz über das Bundeskriminal- amt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Trotz der zu erwartenden positiven Einkommens- Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten. entwicklung steht die deutsche Landwirtschaft wei- terhin vor einem schwierigen Anpassungsprozeß. Das Wort für den einleitenden Bericht hat der Bun- Von agrarpolitischer Seite unterstützen wir die Land- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und For- wirtschaft bei der Verbesserung ihrer Leistungsfähig- sten, Jochen Borchert. keit, ihrer Wettbewerbsfähigkeit mit allen Kräften, u. a. durch die beabsichtigte Verstärkung der einzel- Bitte sehr, Herr Bundesminister. betrieblichen Investitionsförderung, die wir im Haus- haltsjahr 1995 um 100 Millionen DM aufstocken wol- Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, len. Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vergangene Jahr war für Immer mehr Landwirte gehen dazu über, weitere viele unserer Landwirte und Familien ein schwieri- Erwerbsquellen innerhalb und außerhalb der Be- ges Jahr. Dies weist der Agrarbericht 1995 aus, der triebe zu erschließen. Dennoch bleibt die Landwirt- über das Wirtschaftsjahr 1993/1994 Rechenschaft ab- und Forstwirtschaft einschließlich der vor- und nach- legt. gelagerten Bereiche im ländlichen Raum nach wie vor ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. 1994 gab es in Im früheren Bundesgebiet sind die Gewinne im Deutschland rund 578 800 landwirtschaftliche Be- Wirtschaftsjahr 1993/1994 um durchschnittlich 6 triebe. Das allein entspricht einem Rückgang der und damit unter das Niveau der fünf vorangegange- Zahl der Betriebe um 2,3 % gegenüber dem Vorjahr nen Wirtschaftsjahre gesunken. Die Ursachen dafür 1993. Die Umstrukturierung der Landwirtschaft in waren vor allem preisbedingt geringere Einnahmen den neuen Ländern hält weiter an. Die Zahl der Ein- bei Milch und Schweinen, aber auch der Abbau des zelunternehmen ist im Jahre 1994 gegenüber dem soziostrukturellen Einkommensausgleichs. Vorjahr um 9,3 % auf 22 505 angestiegen.

Insbesondere die Betriebe in Niedersachsen und Was der Agrarbericht aussagt, ist für die Verbrau- Nordrhein-Westfalen mußten auf Grund der niedri- cher nicht weniger wichtig. Das Angebot bleibt: geren Erlöse in der Schweinehaltung überdurch- Auch in Zukunft ist der Tisch reichlich mit preiswer- schnittliche Gewinneinbußen verkraften. ten und gesunden Nahrungsmitteln gedeckt. Der 1042 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Bundesminister Jochen Borchert Anteil der Ausgaben für Ernährung ist in den ver- Markt ausgerichtet haben, während es bei juristi- gangenen Jahren stetig gesunken. Er ist im vergan- schen Personen nach wie vor eine sehr breite Spanne genen Jahr auf 15 % der Einkommen zurückgegan- unterschiedlicher Entwicklungen und auch Betriebe gen. gibt, die sich nur unzureichend auf die Situation im europäischen Wettbewerb eingestellt haben und von Meine Damen und Herren, die Agrarpolitik der daher teilweise über eine noch schwierige Einkom- Bundesregierung wird auch im Jahre 1995 von Konti- menssituation verfügen. nuität, Verläßlichkeit und Zukunftssicherung be- stimmt. Die Bundesregierung wird sich weiterhin da- für einsetzen, daß der Agrarstandort Deutschland mit Vizepräsident Hans Klein: Meine Kolleginnen und einer leistungsfähigen, mark torientierten und um- Kollegen, allein zu diesem Themenbereich liegen mir weltverträglichen Land-, Forst- und Ernährungswirt- sieben Wortmeldungen vor. Ich bitte also die Kolle- schaft gesichert ist. gen, sich bei ihren Wortmeldungen kurz zu fassen, was dem Herrn Minister auch kurze Antworten er- Vielen Dank. möglicht, damit wir auch noch den anderen wichti- gen Themenbereich aufrufen können. - Danke sehr, Herr Bun- Vizepräsident Hans Klein: (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die Teilnahme hier desminister. entspricht doch der Bedeutung der Land Wir wollen zunächst diesen Komplex behandeln. wirtschaft!) Dazu hat sich bereits der Kollege Egon Susset gemel- - Die Stärke der Teilnahme an einem Tagesord- det. Bitte. nungspunkt läßt sich, glaube ich, nur in den allersel- tensten Fällen mit der Bedeutung dieses Punktes in Egon Susset (CDU/CSU): Herr Bundesminister, es Einklang bringen, verehrter Herr Kollege Heinrich. ist sicher erfreulich, daß für das laufende Wirtschafts- jahr eine Verbesserung der Einkommen zu erwarten Für die nächste Frage rufe ich jetzt den Kollegen ist. Auch ist erfreulich, daß die umfangreichen Mittel, Sielaff auf. die zum Aufbau der Landwirtschaft in die neuen Länder geflossen sind, dort zu einer Verbesserung Horst Sielaff (SPD): Herr Minister Borchert, Sie der Einkommenslage beigetragen haben. sprachen und Sie sprechen auch jetzt wieder davon, daß die Gewinne der landwirtschaftlichen Voller- Ich hätte aber gerne eine Antwort auf die Frage, werbsbetriebe zwischen 7 und 12 % steigen werden. woher es kommt, daß in den Ge- neuen Ländern - Das hört sich sehr optimistisch und sehr positiv an. winne und Fremdlöhne zusammengenommen - das Entsprechend waren heute teilweise die Überschrif- Einkommen einer Arbeitskraft bei den Einzelunter- ten in den Medien. nehmen 43 634 DM, bei Personengesellschaften 55 766 DM und bei juristischen Personen - den von Sind Sie aber nicht auch der Meinung, daß dieser der Flächenausstattung her größten Betrieben, die ei- vermittelte Eindruck über die Situation der Landwirt- gentlich an der Spitze liegen müßten - nur 31 478 schaft ein völlig falsches Bild ist? Die Gewinne im DM beträgt. landwirtschaftlichen Bereich beinhalten auch die Einkommen. Das heißt, daß es sich nicht um einen reinen Gewinn handelt. Könnten Sie bitte, um diesen Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege, ich falschen Eindruck vom Gewinn der landwirtschaftli- glaube, die insgesamt positive Einkommensentwick- chen Betriebe zu korrigieren, erläutern, was der Ge- lung in den neuen Bundesländern ist zum einen dar- winn in der Landwirtschaft im Unterschied zu dem auf zurückzuführen, daß hier größere Betriebe wirt- eines Industrieunternehmens wirklich ist? schaften, die natürlich über eine optimale Kombina- Können Sie mitteilen, wieviel von diesem Gewinn tion der Faktoren Arbeit und Boden verfügen, zum dem Betrieb als Eigenkapital bleibt und was der ein- anderen auf die intensive Förderung, mit der wir den zelne landwirtschaftliche Betrieb davon im vergan- Strukturwandel in den neuen Bundesländern unter- genen Jahr vielleicht auf die hohe Kante gelegt hat? stützen, auch auf die Sonderregelung, die wir im Be- Auf diese Weise könnte der falsche Eindruck von der reich der Förderung innerhalb der Europäischen positiven Entwicklung ein bißchen korrigiert wer- Union durchgesetzt haben. Zudem beruht der An- den. stieg darauf, daß sich der Getreidepreis im Rahmen der Agrarreform deutlich vom Interventionspreis wegbewegt hat und sich damit natürlich die Einkom- Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, menssituation der Betriebe in den neuen Ländern, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Sielaff, ich die überwiegend als Marktfruchtbetriebe wirtschaf- habe mich sowohl gestern in der Bundespressekonfe- ten, verbessert hat. renz wie auch heute in der Darstellung wirklich sehr nachhaltig und sehr nachdrücklich darum bemüht, Die Unterschiede zwischen Einzelunternehmen, dies nicht als allgemein positive Entwicklung darzu- Personengesellschaften und juristischen Personen, stellen. Vielmehr habe ich bei der Gewinnprognose auf die Sie hingewiesen haben, spiegeln sehr deut- - Anstieg zwischen 7 und 12 % für 1994/1995 - dar- lich die unterschiedliche Produktivität in diesen Be- auf hingewiesen, daß damit die Einkommen nach trieben wider. Hier zeigt sich, daß Einzelunterneh- wie vor unter den Einkommen von 1988/1989 liegen men und Personengesellschaften ihren Betrieb sehr und daß wir insgesamt eine außerordentlich schwie- konsequent auf den Wettbewerb im europäischen rige Gewinn- und Einkommenssituation haben. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1043

Bundesminister Jochen Borchert Der Gewinn der landwirtschaftlichen Betriebe je chen auf der Beständigkeit und Berechenbarkeit der Arbeitskraft oder je Betrieb umfaßt den Lohnan- Ausgleichszahlungen. Nun hat der bisherige EU- spruch der in dem Betrieb arbeitenden Familien- Kommissar Steichen bei einer seiner letzten Veröf- oder Fremdarbeitskräfte, er umfaßt den Zinsan- fentlichungen darauf gedrungen, das Ganze einmal spruch des eingesetzten Kapitals und ist damit insge- zu durchforsten und eventuell auch Änderungen vor- samt das Einkommen, das sich aus Lohn- und Kapi- anzubringen. Der neue Kommissar Fischler hat bei taleinkommen für den Betrieb ergibt. Hier ist die Si- seinen Veröffentlichungen auf die unbedingte Not- tuation so, daß der Gewinn allein, bezogen auf die wendigkeit der Erweiterung der EU zum Osten hin- Arbeitskraft, deutlich unter dem gewerblichen Ver- gewiesen. Beide Äußerungen lassen nun in der gleichseinkommen liegt, d. h. nicht einmal ausreicht, Landwirtschaft bange Fragen aufkommen. Sind die um den Lohnanspruch in vergleichbaren anderen Ausgleichszahlungen für unsere Landwirte nach Ih- Bereichen zu decken, so daß eine Verzinsung des Ka- rer Einschätzung auch in Zukunft berechenbare Grö- pitals im Durchschnitt nicht erfolgt. ßen, und wie werten Sie die Ausführungen des Kom- missars hinsichtlich der Osterweiterung der EU? Die Frage, ob und in welchem Umfang Betriebe Eigenkapital bilden können, ist nicht nur von der Ge- winnhöhe abhängig. Insgesamt haben wir auf Grund Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, der schwierigen Einkommenssituation in der Land- Landwirtschaft und Forsten: Zu den Ausgleichszah- wirtschaft einen Eigenkapitalverlust. Aber ob Be- lungen: Wir haben bei den Ausgleichszahlungen triebe auch bei ausreichendem Gewinn Eigenkapital durch die Beschlüsse des Agrarrats vom Dezember bilden und daraus Investitionen leisten können, zusätzliche Sicherheit geschaffen, indem wir in den hängt natürlich immer von dem Verhältnis zwischen agrarmonetären Regelungen noch einmal verankert Gesamteinkommen und Konsum und der Bereit- haben, daß die Ausgleichszahlungen währungsun- schaft, zugunsten der Eigenkapitalbildung auf Kon- abhängig bleiben. Hier in Deutschland besteht also sum an der einen oder anderen Stelle zu verzichten, nicht die Gefahr, daß bei einer Aufwertung der ab. D-Mark die Ausgleichszahlungen gesenkt werden. Ich betone noch einmal sehr nachdrücklich: Die Wir befinden uns jetzt in der dritten Stufe der Gewinnsituation, die Einkommenssituation ist und Agrarreform. Es gibt in Europa keine Bestrebungen, bleibt schwierig, Wir haben in den vergangenen Jah- die Ausgleichszahlungen nach der dritten Stufe der ren keine positive Eigenkapitalbildung gehabt. Agrarreform abzuschaffen oder grundlegend zu ver- ändern. Hier bleibt es bei unserer Aussage, daß wir nach der Umsetzung der Agrarreform überprüfen Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Bredehorn. müssen, wo die Agrarreform die Ziele erreicht hat - Marktentlastung, Stabilisierung der Preise und damit Günther Bredehorn (F.D.P.): Herr Minister, ange- der Einkommen -, und dort korrigieren, wo die sichts der Einkommenssituation der deutschen Land- Agrarreform die Ziele nicht erreicht hat, und zwar wirtschaft - auch innerhalb der EU -, die im Agrarbe- abhängig von der Bilanz am Ende der Einführungs- richt dargestellt wird, haben Sie eine Offensive für phase der Agrarreform. Bauern können sich weiter- den Agrarstandort Deutschland angekündigt. Ich be- hin auf die Stabilität und Verläßlichkeit der Aus- grüße sie sehr, speziell die einzelbetriebliche Förde- gleichszahlungen im Rahmen der europäischen rung. Agrarreform verlassen. Nun gibt es Forderungen aus dem Berufsverband, Zu den Aussagen von Herrn Fischler zur Osterwei- ein vereinfachtes Agrarkreditprogramm aufzulegen. terung: Wir haben auf einer Tagung in Berlin wäh- Wie stehen Sie dazu? rend der Grünen Woche sehr intensiv über die Fra- gen der Osterweiterung diskutiert. Der Agrarkom- Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, missar Fischler hat darauf hingewiesen, daß wir mit Landwirtschaft und Forsten: Ich habe immer gesagt, der Agrarpolitik natürlich weiterhin die Osterweite- daß wir neben der Verstärkung der investiven Förde- rung unterstützen. Aber dies setzt voraus, daß die rung versuchen müssen, die Förderprogramme einfa- Landwirtschaft in den osteuropäischen Ländern in cher zu gestalten. Da kann das Agrarkreditpro- der Phase bis zu einem Beitritt dieser Länder intensiv gramm eine Lösung sein, unter der Voraussetzung, unterstützt und weiterentwickelt wird, überhaupt daß wir das Agrarkreditprogramm im Rahmen der erst für den Beitritt zum gemeinsamen europäischen Gemeinschaftsaufgabe abwickeln, damit dies von Markt vorbereitet wird und daß sich die beitretenden Bund und Ländern gemeinsam finanziert wird. Ich Länder wie bisher der Politik der Europäischen kann mir vorstellen, daß wir dieses Instrument des Union anpassen müssen. Agrarkreditprogramms für Investitionen bis zu einem bestimmten Investitionsum fang weiterentwickeln. Vizepräsident Hans Klein: Herr Dr. Maleuda. Bei höheren Investitionen, brauchen wir, glaube ich, ein differenzierteres Förderinstrumentarium. Dr. Günther Maleuda (PDS): Herr Bundesminister, der Agrarbericht 1995 weist erneut einen starken Herr Kollege Michels. Vizepräsident Hans Klein: Rückgang der Viehbestände, besonders in den neuen Bundesländern, aus. Dies ist in der Regel mit Meinolf Michels (CDU/CSU): Herr Minister, die einem Rückgang des Produktionsaufkommens für Agrarreform, zwei Jahre alt, beruht ja im wesentli- die Eigenversorgung und natürlich auch mit der Still- 1044 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Dr. Günther Malenda legung zum Teil neuer Produktionskapazitäten ver- Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, bunden. Können Sie etwas zum Konzept des Bundes- Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Hornung, ministeriums sagen, wie dieser Art des Strukturwan- ich kann das bestätigen. Wir haben im Rahmen der dels Einhalt geboten werden kann? Agrarreform über Preissenkungen und Flächenstille- gungen die Produktion begrenzt, um ausgeglichene Märkte zu erreichen. Die Ausgleichszahlungen der Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, europäischen Agrarreform, aber auch der Einsatz na- Landwirtschaft und Forsten: Sie wissen, Herr Kollege tionaler Mittel zur Förderung der Landwirtschaft sol- Maleuda, daß die Bedingungen der betrieblichen len sicherstellen, daß es auch in Zukunft in Deutsch- Förderung, auch der Förderung der Milchviehhal- land eine flächendeckende Landbewirtschaftung tung, in den neuen Bundesländern im Augenblick gibt, die neben der Produktionsaufgabe die immer noch sehr viel günstiger sind als in den alten Bundes- wichtiger werdende Aufgabe erfüllen kann, die Kul- ländern. Auch in der Schweinehaltung und dort, wo turlandschaft zu erhalten und zu pflegen, und das in es darum geht, bestehende Produktionsstätten zu ra- allen Standorten, in den optimalen Agrarstandorten, tionalisieren, sie umweltfreundlicher zu gestalten, aber auch in den weniger günstigen, von der Natur greift die Förderung. Die Förderbeträge gehen weit benachteiligten Standorten. Deshalb müssen sich die über den Rahmen der Förderbeträge der alten Bun- Bauern - wenn sie diese Leistung erbringen sollen - desländer hinaus. Deswegen appellieren wir bei je- auch in Zukunft auf diese Förderung verlassen kön- der Gelegenheit an die Unternehmen in den neuen nen. Ländern, die Chance, Betriebe zu entwickeln, jetzt wahrzunehmen, weil die Förderbedingungen nicht wieder so günstig werden. Vizepräsident Hans Klein: Kollege Graf.

Wir haben den Versuch unternommen, auf der eu- Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Herr Minister, Sie ropäischen Ebene im Bereich der Schweinehaltung - haben ja eingangs ganz kurz die Schweinepest er- dies ist ja der eigentliche Problembereich der Ver- wähnt. Sie wissen, aus welcher Region ich komme. edelungswirtschaft in den neuen Ländern - eine wei- Wir haben uns persönlich oft gesprochen, haben aber tergehende Förderung durchzusetzen. Dies war nicht auch schriftlich miteinander verkehrt. Ich frage Sie: erreichbar. Trotzdem sind die Chancen, glaube ich, Wie stellen sich denn die Zahlen dar, was die Selbst- so günstig, wie sie in Zukunft wahrscheinlich nicht versorgung im Bereich der Schweinehaltung an- wieder werden. geht, bezogen auf Tiere und bezogen auf Schweine- halter? Welche Prozentzahlen legen Sie für die Daß die Betriebe nicht intensiver einsteigen, liegt Selbstversorgung in der Bundesrepublik Deutsch- natürlich auch daran, daß sie bisher ausreichend Flä- land zugrunde? Wenn die mir vorliegenden Zahlen che zur Verfügung hatten und daß bei Einzelunter- zutreffend sind, liegen wir in Deutschland im Bereich nehmen und Personengesellschaften die Flächenaus- der Schweinehaltung zwischenzeitlich bei einer stattung zur vollen Auslastung der Arbeitskapazität Selbstversorgungsquote von 77 %, und Dänemark - ausreicht. Von daher ist der Anreiz, mit hohen Inve- das greife ich einfach einmal als Beispiel heraus - stitionen zusätzlich in die Veredelungswirtschaft ein- liegt bei weit über 400 %. Dieser Prozeß setzt sich zusteigen, im Augenblick noch nicht so hoch, daß die fort. Ich frage Sie: Wie kann man vor diesem Hinter- Betriebe da etwas unternehmen. Aber ich hoffe, daß grund in diesem Bereich der Veredelung davon spre- zunehmend mehr Betriebe bereit sind, in die Verede- chen, daß wir auch weiterhin sicherstellen, daß - - lungswirtschaft zu investieren.

Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, Vizepräsident Hans Klein: Kollege Hornung. Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege, ich habe in meinen einleitenden Worten die Schweinepest nicht erwähnt. Trotzdem will ich jetzt gern Ihre Frage Siegfried Hornung (CDU/CSU): H err Bundesmini- zur Schweinepest mit aufgreifen. ster, die Agrarpolitik ist in eine neue Ära eingetreten. Der Agrarbericht sagt uns ganz deutlich, daß hier Der Selbstversorgungsgrad in der Schweine- eine Trendwende abzulesen ist. Davon unabhängig fleischproduktion in Deutschland ist in den letzten ist die Tatsache, daß das vergangene Jahr natürlich Jahren rückläufig. Ich habe auf diesen Prozeß und im Bereich der Veredelung aus den bekannten Grün- die Notwendigkeit, ihn umzukehren, bereits vor Aus- den schwer belastet war. bruch der Schweinepest hingewiesen. Das heißt, der Rückgang in der Selbstversorgung - die Zahl von Die Landwirtschaft produziert in Europa jetzt zu 77 % entspricht dem derzeitigen Selbstversorgungs- Weltmarktpreisen. Dafür gibt es einen Ausgleich. Ich grad - ist bereits eingetreten, unabhängig von den frage Sie: Ist es nicht an der Zeit, jene immer wieder Auswirkungen der Schweinepest in Niedersachsen gehörten Aussprüche und besonders das Wort „Sub- und in anderen Regionen. Deshalb lautet meine For- vention" nicht mehr zu verwenden? Sollte nicht viel- derung, daß die Wettbewerbsfähigkeit der Schwei- mehr darauf hingewiesen werden, daß neben der neproduktion in Deutschland insgesamt gestärkt Nahrungsmittelproduktion die Dienstleistungen, werden muß. Dies muß auf der Produktionsebene be- etwa die Produktion von Rohstoffen, im Mittelpunkt ginnen. Hier ist es wichtig, die Rahmenbedingungen stehen, daß die Kulturlandschaft gepflegt wird und für landwirtschaftliche Betriebe so zu gestalten, daß daß dafür verläßliche Rahmendaten für die Zukunft diese im Wettbewerb mithalten können. Deshalb be- gegeben sein müssen? mühe ich mich darum, Wettbewerbsverzerrungen in- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1045

Bundesminister Jochen Borchert nerhalb Deutschlands abzubauen. Die Gebühren, für Die schwierige Gewinnsituation hat dazu geführt, die auch die Länder verantwortlich sind, wie die Bei- daß die Eigenkapitalbildung negativ ist und sich die träge zur Tierseuchenkasse, Fleischbeschaugebüh- Betriebe stärker verschuldet haben. Ich habe in aller ren auf Schlachthöfen u. ä., schwanken in einem Um- Deutlichkeit darauf hingewiesen, wie groß der Ab- fang, der dazu führt, daß an bestimmten Standorten stand zum gewerblichen Vergleichslohn ist. Das Schweine nicht zu Wettbewerbsbedingungen produ- heißt, es geht überhaupt nicht darum, irgend etwas ziert werden können. zu beschönigen, sondern darum, die schwierige Si- tuation in aller Offenheit darzustellen. Dazu gehört, Darüber hinaus müssen wir in Deutschland die daß 1994/95 eine Verbesserung der Einkommenssi- Vermarktung besser organisieren. Es ist mehr als be- tuation eingetreten ist, daß die Einkommenssituation dauerlich, daß in die Lücke, die durch den Rückgang in der Landwirtschaft aber nach wie vor schwierig ist, der Schweineproduktion in den neuen Bundeslän- daß es nach wie vor einen erheblichen Abstand zum dern entstanden ist, eine zusätzliche Produktion aus gewerblichen Vergleichslohn gibt und daß damit die Dänemark und den Niederlanden gestoßen ist und Agrarpolitik weiter aufgefordert ist, die Landwirte daß wir diese Chance nicht in Deutschland selbst darin zu unterstützen, ihre Betriebe leistungs- und wahrgenommen haben. Ich wäre Ihnen dankbar, wettbewerbsfähiger zu machen und weiterzuentwik-- wenn Sie mithelfen würden, Rahmenbedingungen keln. Wir werden alle Chancen wahrnehmen müs- zu schaffen, die die Schweinemast in Zukunft wett- sen, die Landwirte bei dieser Aufgabe zu unterstüt- bewerbsfähiger gestalten. In diesem Zusammenhang zen. Dies ist eine Aufgabe, der sich auch die Land- müßten wir uns dann sicher über den neuen Geset- wirte stellen müssen und zum Glück sehr intensiv zesvorschlag aus Niedersachsen intensiv unterhal- stellen. ten.

Vizepräsident Hans Klein: Kollege Weisheit. Vizepräsident Hans Klein: Kollege Heinrich. Matthias Weisheit (SPD): Herr Minister, der Bericht Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Minister, wir Bauern weist aus, daß bei 46 % der Vollerwerbsbetriebe die sind eigentlich mit der Darstellung, die im Agrarbe- Eigenkapitalbildung zurückgegangen ist. Gibt es richt gegeben wird, so nicht besonders glücklich. räumliche Konzentrationen auf bestimmte alte Bun- desländer oder regionale Konzentrationen in be- (Horst Sielaff [SPD]: Dann geben Sie also stimmten Bundesländern, aus denen man schließen der Opposition recht!) könnte, daß in der Zukunft eine besondere Gefahr Ich möchte das aufgreifen, was Herr Sielaff gesagt besteht? hat. Eine Gewinndarstellung in Prozenten, wie wir sie jetzt landauf, landab bekommen, ist den eigentli- Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, chen Verhältnissen nicht angemessen und wirkt ver- Landwirtschaft und Forsten: Der Rückgang der wirrend. Eigenkapitalbildung hängt natürlich von der Produk- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tionsrichtung ab. So ist der Einkommensrückgang etwa in den Veredelungsbetrieben und hier vor allen Könnte man nicht einmal darüber nachdenken, den Dingen in den Sauen- und Schweinemastbetrieben Begriff „Gewinn" einmal klar aufzuschlüsseln? Bei mit über 20 % am stärksten. Dies ist eine Folge der Beantwortung einer Frage von Herrn Sielaff ha- der katastrophalen Preissituation der vergangenen ben Sie eben einen ganz wichtigen Punkt vergessen, Jahre. Die jetzige Gewinnverbesserung beruht ja nämlich daß aus dem Gewinn auch noch die Investi- auch zu einem Teil auf dem Anstieg der Schweine- tionen getätigt werden müssen. Insofern, Herr Mini- preise. Betriebe mit einem Rückgang des Gewinns ster, wäre es notwendig, die Disparität zum außer von 20 % oder mehr müssen natürlich eine negative landwirtschaftlichen Einkommen noch deutlicher Eigenkapitalbildung haben. Positiv ist die Eigenkapi- hervorzuheben, so wie es im Landwirtschaftsgesetz talbildung in einem Teil der Gemischtbetriebe. Auch verankert ist. in ausreichend großen Marktfruchtbetrieben, bei de- nen sich die Preisveränderung bei Getreide im Rah- men der Agrarreform jetzt positiv auswirkt, ist sie Bundesminister für Ernährung, Jochen Borchert, jetzt wieder positiv. Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Heinrich, wenn man den Agrarbericht liest, stellt man fest, daß Die Einkommenssituation ist - Sie haben nach re- dargestellt wird, woraus sich der Gewinn zusammen- gionalen Konzentrationen gefragt - dort günstiger, setzt. Herr Kollege Sielaff hat nach der Entstehungs- wo die Bundesländer die Möglichkeit einer Unter- seite, also danach, woraus sich der Gewinn zusam- stützung mit Landesmitteln optimal nutzen, wie das mensetzt, gefragt. In meiner Antwort habe ich, etwa in Bayern der Fall ist. glaube ich, korrekt darauf hingewiesen, daß dabei der Lohnanspruch der Arbeitskräfte, die Verzinsung Frau Kollegin Höfken- des Kapitals und die Entlohnung des Produktionsfak- Vizepräsident Hans Klein: Deipenbrock. tors Boden berücksichtigt werden müssen. Gleich- wohl ist die Frage - da stimme ich Ihnen zu -, wofür der Gewinn verwendet wird, wichtig. Aus dem Ge- Ulrike Höfken - Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE winn müssen der Lebensunterhalt, der Konsum und GRÜNEN): Die Zahl der Betriebsaufgaben hat erheb- die Investitionen finanziert werden. lich zugenommen bzw. zeigt eine gleichbleibende 1046 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Ulrike Höfken-Deipenbrock Tendenz. Damit ist ein entsprechender Arbeitsplatz- differenzieren. Die Situation ist im Bereich der Milch- abbau verbunden. Es mag aus Sicht der Bundesre- viehhaltung sehr gut, wo sich der Aufbau der Be- gierung positiv sein, wenn sich die Transferleistun- stände in den neuen Ländern über die Garantiemen- gen auf immer weniger Betriebe verteilen und sich genregelung und die damit möglichen Preise konti- die Einkommen dann entsprechend erhöhen. Meine nuierlich positiv vollzieht. Ich gehe davon aus, daß Frage geht aber dahin: Wie beurteilen Sie diese Ent- die Quote in Kürze ausgeschöpft wird. wicklung, wie viele Betriebe werden übrigbleiben, wenn diese Entwicklung so weitergeht, wie viele Ar- Schwierig ist die Situation vor allem in der Schwei- beitsplätze werden übrigbleiben, und welche Kosten nehaltung und in Teilen der anderen Veredelungsbe- wird diese Entwicklung den Kommunen und der reiche. Hier haben wir erreicht, daß die Förderbedin- Bundesanstalt für Arbeit verursachen? gungen in den neuen Ländern bei der Umstrukturie- rung vorhandener Gebäude günstiger sind als in den alten Bundesländern. Wir müssen gemeinsam mit Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, den Bundesländern alle Förderungsmöglichkeiten Landwirtschaft und Forsten: Wir haben einen Rück- ausnutzen. gang der Zahl der Betriebe, der in etwa im Durch- schnitt der vergangenen Jahre liegt. Im Agrarbericht Wir werden im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe wurde er mit 2,3 % beziffert. Wir haben bereits in frü- die Voraussetzung dafür schaffen und Landwirten heren Jahren eine höhere Rate erreicht. Mut machen, jetzt in die Veredelungswirtschaft zu investieren. Wir können auf Grund der bestehenden Der Wechsel vom Vollerwerb zum Nebenerwerb Rahmenbedingungen in Europa eine direkte inve- vollzieht sich häufig in der Generationsfolge und na- stive Förderung beim Neubau von Stellen auch in türlich im Rahmen des Generationswechsels bei der den neuen Bundesländern nicht vornehmen. Wir ha- Entscheidung der nachfolgenden Generation, ob sie ben das versucht. Ich bedaure, daß diese Investitions- den Nebenerwerbs- oder Vollerwerbsbetrieb weiter- förderung innerhalb der Europäischen Union nicht führen oder ausschließlich einen außerlandwirt- durchzusetzen war. schaftlichen Arbeitsplatz übernehmen will. Ich sage noch einmal: Die Rahmenbedingungen Die Frage, wie viele Betriebe übrig bleiben, läßt für Investitionen in die Schweinehaltung sind in den sich seriös nicht beantworten, weil das von einer neuen Bundesländern günstiger als in den alten Bun- Vielzahl von Faktoren abhängt, etwa davon, wie desländern. Wir müssen gemeinsam die Fördermög- schnell es uns gelingt, die Wettbewerbsfähigkeit der lichkeiten ausschöpfen und den Bauern Mut machen, deutschen Landwirtschaft entscheidend zu verbes- hier zu investieren. sern, und ob es uns gelingt, das Problem, das der Kol- lege Graf angesprochen hat, zu lösen, daß wir nicht Vizepräsident Hans Klein: Danke, Herr Bundesmi- mehr Marktanteile verlieren, sondern Marktanteile nister. verteidigen und gewinnen. Denn in dem Umfang, in dem wir Marktanteile auf Grund einer verbesserten Ich rufe jetzt das Gesetz über das Bundeskriminal- Wettbewerbsfähigkeit für die Landwirtschaft in amt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Deutschland verteidigen und zurückerobern, können Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten. mehr Betriebe und damit auch mehr Arbeitsplätze er- Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische halten werden. Staatssekretär Lintner zu Verfügung. Ich hoffe, daß wir mit einer intensiven investiven Bitte, Herr Kollege Marschewski, Sie sind der erste Förderung der Betriebe und der Bereitschaft der Frager. Landwirtschaft und des vor- und nachgelagerten Be- reichs, sich dieser Aufgabe zu stellen, erreichen, daß (CDU/CSU): Herr Staatssekre- die Zahl der Betriebe, die auch in Zukunft im europä- Erwin Marschewski tär, ich begrüße die Möglichkeit, daß Sie mit dem ischen Wettbewerb leistungs- und lebensfähig blei- BKA-Gesetz erneut eine wichtige Maßnahme zur ben, möglichst hoch sein wird. Verbrechensbekämpfung geschaffen haben. Das ist eine wichtige Maßnahme, sie ergänzt das Geldwä- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Thalheim. schegesetz , das Verbrechensbekämpfungsgesetz und das Bundesgrenzschutzgesetz. Dr. Gerald Thalheim (SPD): Herr Bundesminister, Ich habe zwei Fragen: Warum haben Sie in diesem der Rückgang der Tierbestände in den neuen Län- BKA-Gesetz dem BKA die Möglichkeit eingeräumt, dern hat teilweise dramatische Formen angenom- technische Mittel zur Eigensicherung von Polizeibe- men. Diese Entwicklung hält weiter an und droht, amten vorzusehen? Warum haben Sie die Zuständig- Neuinvestitionen im Verarbeitungsbereich zu gefähr- keit des Bundeskriminalamtes auf die Bekämpfung den, in denen viele öffentliche Gelder enthalten sind. internationaler organisierter terroristischer Vereini- Meine Frage: Welche Chancen sehen Sie, dieser Ent- gungen erweitert? wicklung entgegenzuwirken, und was wollen Sie an dieser Stelle konkret tun? Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Herr Kollege Marschewski, zu Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, der ersten Frage möchte ich Sie darauf hinweisen, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Thalheim, daß es dringend erforderlich war, auch dem Bundes- man muß bei der Veredelungswirtschaft ein wenig kriminalamt die Möglichkeit zu geben, technische Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1047

Parl. Staatssekretär Eduard Lintner Mittel zur Eigensicherung der Beamten einzusetzen, Vizepräsident Hans Klein: Kollege Schlee. wenn diese eben im Rahmen der Befugnisse des Bundeskriminalamtes strafverfolgend tätig werden. (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Damit wird insbesondere den besonderen Gefahren Dietmar Schlee den Bundesländern wird im vorliegenden Gesetzent- begegnet, denen verdeckte Ermittler im Rahmen von wurf die Möglichkeit eröffnet, selbständig die Poli- Ermittlungsverfahren gegen die organisierte Krimi- zeien von Nachbarstaaten einzuschalten, und zwar nalität ausgesetzt sind. Die Polizeigesetze aller Län- bei Gefahr in Verzug und bei Fällen regionaler Be- der - mit Ausnahme von Bremen - sehen übrigens deutung. Tragen die Bundesländer diese Regelung diese Möglichkeit schon jetzt vor. mit? Gezielt gefragt: Akzeptieren die Bundesländer Ich darf auch darauf hinweisen, daß diese Rege- das, was in § 3 des Gesetzentwurfes formuliert ist? lung auch in das Polizeirecht gehört und deshalb sei- nerzeit beim Gesetz über die Bekämpfung der orga- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- nisierten Kriminalität nicht in der StPO geregelt minister des Innern: Herr Kollege Schlee, ich gehe wurde. davon aus, daß die Bundesländer selbstverständlich Zur zweiten Frage möchte ich ausführen: Bei der diese zusätzliche Kompetenz mittragen. Allerdings beschränkten Ausdehnung der originären Strafver- vermag ich im Moment nicht vorauszusagen, ob sie folgungskompetenzen im internationalen Terroris- sich damit zufrieden geben werden. Möglicherweise mus geht es um Fallkategorien, die sinnvollerweise denken sie daran, weitergehende Forderungen zu nur im Bundeskriminalamt durchgeführt werden stellen. können. Vielfach hat sich bei den Fallkategorien des § 4 Abs. 1 Nr. 3 und 4 auch die Schwierigkeit erge- Vizepräsident Hans Klein: Kollege Graf. ben, überhaupt einen Gerichtsstand in der Bundesre- publik Deutschland festzulegen. In diesen Bereichen würde das Bundeskriminalamt zwar regelmäßig nach Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Herr Staatssekre- einer gewissen Zeit mit der Durchführung der Ermitt- tär, man könnte nach den Worten von Herrn Mar- lungen beauftragt. Bis zu diesem Zeitpunkt entsteht schewski und nach Ihren Ausführungen meinen: jedoch eine Art polizeiliches „Vakuum", da kein kon- ' Nun haben wir die innere Sicherheit voll im Griff; die kreter örtlicher Bezug zu einer Polizeibehörde be- Sicherheit im Lande ist hergestellt. steht, obgleich die Vornahme erster Ermittlungs- Ich will für meine Fraktion feststellen: handlungen bereits in diesem Stadium zwingend ge- boten ist. (Zurufe: Frage! Frage!) - Entschuldigung. Vizepräsident Hans Klein: Kollege Schily. Ist es so, daß dieses, was Sie gestern im Kabinett beschlossen haben, der dritte oder vierte Entwurf ist, Otto Schily (SPD): Herr Staatssekretär, in welchen der nun in aller Eile - ohne Beteiligung der Länder Punkten soll der vom Bundeskabinett beschlossene im Vorfeld, ohne Beteiligung der Parlamentarier und Gesetzentwurf nach Meinung der F.D.P.-Minister im ganz kurz vor der Hessen-Wahl - verabschiedet wer- Bundeskabinett geändert werden, und sind Sie be- den soll, um der Öffentlichkeit vorzugaukeln, hier reit, in dem Zusammenhang die Protokollnotiz, die werde Sicherheit produziert, wobei das Gegenteil offenbar zu diesem Gesetzentwurf existiert, der Öf- der Fall ist, weil ganz erhebliche rechtsstaatliche Be- fentlichkeit zugänglich zu machen? denken gegen diesen Entwurf bestehen? Zweite Frage: Hat der Datenschutzbeauftragte Be- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE denken gegen den Gesetzentwurf geäußert - gege- GRÜNEN und der PDS) benenfalls: welche? Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Herr Kollege Graf, das kann ich Parl. Staatssekretär beim Bundes- Eduard Lintner, nicht bestätigen. Sie wissen selber - Sie sind ja Fach- minister des Innern: Herr Kollege Schily, zunächst mann -, daß es sich um eine außerordentlich kompli- einmal bin ich informiert, daß diese Protokollnotiz oh- zierte Materie handelt, die umfangreiche rechtliche, nehin heute bereits in der Presse veröffentlicht ist. verfassungsrechtliche, organisatorische und auch Ich erspare es mir deshalb, sie vorzulesen. Die ent- Abstimmungsprobleme beinhaltet und aufwirft. Des- sprechenden Dinge betreffen insbesondere die Rege- halb ist es eigentlich nicht verwunderlich, daß bei lungen des § 7 Abs. 2, der §§ 8 ff. usw. Es handelt sich der notwendigen Sorgfalt, die man an den Tag legen insgesamt um sechs Punkte, die natürlich auch typi- muß, um ein solches Gesetz zu formulieren, ein ent- scherweise Dinge betreffen, die im Rahmen eines sprechender Zeitbedarf gegeben ist. Gesetzgebungsverfahrens ohnehin besprochen und dann auch geklärt und geregelt werden müssen. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wo ist Kanther?) Der Datenschutzbeauftragte hat meines Wissens diesen Dingen zugestimmt. Inwieweit er Bedenken im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch ein- Vizepräsident Hans Klein: Meine verehrten Kolle- mal geltend macht, entzieht sich meiner Kenntnis. ginnen und Kollegen, die für die Befragung der Bun- Das müßten Sie ihn fragen. desregierung vorgesehene Zeit ist nicht nur abgelau- 1048 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Vizepräsident Hans Klein fen, sondern auch schon ein Stück überschritten. Ich kratischen Union, der zugleich Bundeskanzler der beende die Befragung. Bundesrepublik Deutschland ist, diese Initiative zu eigen macht und darüber hinaus rundfunkpolitische Ich rufe die Zusatzpunkte 1 und 2 auf: Forderungen aufstellt, die nicht nur von der Sache her verfassungswidrig sind, sondern auch eine Auf- ZP1 Vereinbarte Debatte zur Strukturreform der kündigung der föderalen Zuständigkeiten bedeuten. ARD (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten GRÜNEN und der PDS) Dr. Peter Glotz, Arne Börnsen (Ritterbude), Freimut Duve, weiterer Abgeordneter und der Meine Damen und Herren, die Absicht der CDU/ Fraktion der SPD CSU, über das Thesenpapier der Bayerischen und der Sächsischen Staatskanzlei als Vehikel das Garantie des Bestandes der ARD Ge- meinschaftsprogramm der ARD aus den Angeln zu

- Drucksache 13/396 - heben, ist nichts anderes als der politisch durchsich- Überweisungsvorschlag: tige Versuch, unliebsame Sendungen zu verhindern, Innenausschuß (federführend) - Ausschuß für Wahlprüfung, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Immunität und Geschäftsordnung GRÜNEN und der PDS) Zur vereinbarten Debatte liegt ein Entschließungs- damit das grundgesetzlich garantierte Recht der antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit ein- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für zuengen und zugleich die Wettbewerbsbedingungen die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgese- der Privatanbieter auf Kosten der öffentlich-rechtli- hen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann chen Anstalten entscheidend zu verbessern. ist das so beschlossen. Es kommt im übrigen gar nicht darauf an, daß ich Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Mini- das glaube. Das hat bei Ihnen in dieser Sache näm- sterpräsidenten des Landes Hessen, Hans Eichel, das lich Tradition. Sie haben doch schon einmal versucht, Wort. ein Regierungsfernsehen einzurichten. Wenn die ARD vom Bildschirm verschwände, wäre Ministerpräsident (Hessen): Herr Prä- Hans Eichel einer der Hauptkonkurrenten des ach so geliebten sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kanzlerfernsehens nicht mehr zu sehen. Es gäbe Wenn ich als Ministerpräsident eines der deutschen freie Frequenzen, es gäbe einen größeren Werbeku- Länder die Debatte im Deutschen Bundestag, also im chen, und es gäbe weniger objektive Informations- Bundesparlament, eröffne, so zeigt das schon die möglichkeiten für die Menschen im Lande. ganze Schieflage dieser Diskussion. Rundfunk ist Ländersache und wird Ländersache bleiben. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Diesem Versuch setzen wir ein eindeutiges und kla- PDS) res Nein entgegen. Daß wir heute hier über dieses Thema diskutieren (Beifall bei der SPD) müssen, hängt mit dem verfassungswidrigen Versuch zusammen, das Thema Reform der ARD, des öffent- Mit den SPD-regierten Ländern und mit den Koali- lich-rechtlichen Rundfunks überhaupt zum Gegen- tionsregierungen, denen die Sozialdemokratie ange- stand der Bundespolitik zu machen. hört, wird dies nicht zu machen sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Diesem Versuch werden sich die SPD-regierten Län- Es ist eine traurige Pflicht, aber offenbar notwen- der - ich hoffe, alle Länder - in Deutschland mit dig, den Bundeskanzler daran zu erinnern, daß wir Nachdruck entgegenstellen, notfalls mit einem Gang ein Verfassungsgericht haben, das in dieser Sache zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. eindeutig Recht gesprochen hat. (Oh-Rufe bei der CDU/CSU) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das interessiert den doch Meine Damen und Herren, wer die Verfassung nicht!) nicht ernst nimmt, der muß mit allen Konsequenzen rechnen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk - das Verfas- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE sungsgerichtsurteil ist sehr klar -: Beide nationalen GRÜNEN und der PDS) Fernsehprogramme, die dritten Fernsehprogramme der ARD sowie die Hörfunkprogramme der ARD ge- Es ist eine Sache, wenn die Ministerpräsidenten des hören zur Grundversorgung dieser Republik mit In- Freistaates Bayern und des Freistaates Sachsen Vor- formation, Kultur, Sport und Unterhaltung. Diese Pro- schläge zu der Reform der ARD unterbreiten, so un- grammteile sind zusammen die unabdingbare Vor- tauglich sie auch sein mögen. Es ist eine andere Sa- aussetzung für die Existenz der privatwirtschaftlich che, wenn sich der Vorsitzende der Christlich-Demo- organisierten Rundfunk- und Fernsehprogramme. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1049

Ministerpräsident Hans Eichel (Hessen) An diesem Aufbau der dualen Rundfunkordnung stisch organisierten und gelenkten Rundfunks unter hat das Bundesverfassungsgericht auch nicht den dem Faschismus, die zu diesen Lehren geführt ha- geringsten Zweifel gelassen. Ihr Versuch, von ben, Lehren, die Sie 50 Jahre danach offensichtlich dem Sie ja nun teilweise wieder abzurücken schei- vergessen haben. nen, das ARD-Gemeinschaftsprogramm aufzukündi- gen, würde also vom Bundesverfassungsgericht so- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE fort kassiert werden, wenn Sie denn überhaupt die GRÜNEN und der PDS) Möglichkeit dazu hätten, diesen Versuch zu verwirk- Mit uns geht das jedenfalls nicht. lichen. Wenn sich Herr Kollege Biedenkopf empört beim Auch von der Sache her ist klar, daß nur zwei öf- Intendanten des Westdeutschen Rundfunks über fentlich-rechtliche nationale Vollprogramme eine dessen Vorwurf der Gleichschaltung beschwert, Qualität sichern, die nicht zur Verödung und Verar- dann kann Herr Nowottny so schief nicht gelegen ha- mung des Programms führt, die nicht - auf lange ben. Das muß ich leider auch sagen. Bei dieser Initia- Sicht gesehen - eine Anpassung an die Tendenzen in tive aus Sachsen und Bayern, die, wie zu lesen war, den Privatsendern fördert und damit zu einer weite- mit dem Herrn Bundeskanzler abgestimmt ist, trifft ren Verflachung des Angebots insgesamt beiträgt. - dieser Vorwurf auch in der Überspitzung den Kern Einmal abgesehen von dieser rechtlichen und qua- der Sache. Das wird deutlich, wenn man sich Ihre litativen Würdigung Ihres Vorstoßes frage ich Sie al- Auslassungen zu den Gebührenerhöhungen ansieht. len Ernstes: Haben Sie denn nichts aus den Klagen Wenn sich, verehrter Herr Kollege Stoiber, der Chef der Jugendpsychologen gelernt? Haben Sie das, was der Staatskanzlei zu der Bemerkung versteigt - ich zum Sehverhalten von Kindern inzwischen wissen- zitiere wörtlich -: „Wer den Sumpf trockenlegen will, schaftlich erwiesen ist, nicht zur Kenntnis genom- der darf nicht die Frösche fragen", men? Wollen Sie einer Entwicklung weiter Vorschub leisten, die zwangsläufig zu einer Brutalisierung und (Heiterkeit) reinen Kommerzialisierung des Programmangebots dann ist doch überdeutlich: Sie wollen mit den Be- führen wird? troffenen gar nicht reden. Es geht nicht um Reform, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE sondern um Repression. GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne „Power Rangers" statt anspruchsvoller Kinderpro- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN gramme wie der „Sendung mit der Maus" oder kind- und der PDS) gerechter Information wie bei „Logo" im ZDF: Wol- len Sie Informationsprogramme, die sich nur nach Dabei ist der Sprachgebrauch interessant: Wer sind dem Marktwert der verkauften Nachrichten, aber denn hier die Frösche, und was ist hier der Sumpf? nicht nach ihrer Bedeutung messen lassen? Wollen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Sie, daß die Pressefreiheit zur Gewerbefreiheit dege- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - neriert? Lachen und Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Die Verweigerung jeglicher Gebührenerhöhung, wie Sie sie androhen, ist reine Erpressung, die vom Meine Damen und Herren, ich kann und will es mir Bundesverfassungsgericht bereits eindeutig zurück- nicht vorstellen. gewiesen wurde. Sie wollen - deswegen muß das alles ein anderes (Beifall bei der SPD) Ziel haben - die ARD in Geiselhaft nehmen, um die verbleibenden Programme stromlinienförmig nach Im Urteil vom 22. Februar vergangenen Jahres hat Ihren Interessen auszurichten, das höchste deutsche Gericht ausgeführt - dieses Ur- teil scheint niemand von Ihnen gelesen zu haben; (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE und wenn doch, ist es noch schlimmer, daß Sie in die- GRÜNEN und der PDS - Zurufe von der ser Frage eine solche Haltung einnehmen -, daß die CDU/CSU) Gebühren nicht - auch nicht indirekt - zur politi- unliebsame Kritiker mundtot machen und die Ihnen schen Gängelung mißbraucht werden dürfen. Des- genehmen Programme auch wirtschaftlich zum Er- halb verpflichtet das Bundesverfassungsgericht die folg führen. Zu diesem Verfassungsbruch, meine Da- Länder, gesetzlich sicherzustellen, daß der Finanzbe- men und Herren, werden wir Ihnen die Hand nicht darf der Rundfunkanstalten auf der Grundlage ihrer reichen. Bedarfsanmeldung durch ein unabhängiges Gre- mium überprüft wird. Der so überprüfte Bedarf darf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne bei der Gebührenfestsetzung nur aus Gründen des ten der PDS) Informationszugangs und der Vermögensinteressen Dieser Schlag gegen die demokratische Kultur die- des Publikums unterschritten werden. Mit anderen ses Landes ist mit uns nicht zu machen. Wir haben Worten: Das Bundesverfassungsgericht hat sehr das bewährte öffentlich-rechtliche System, wie es deutlich hervorgehoben, daß der enge Zusammen- bis heute im wesentlichen besteht, nicht ohne Grund hang von Programmfreiheit und Finanzausstattung von den Besatzungsmächten übernommen. Es waren es grundsätzlich verbietet, dem Gesetzgeber - und die Erfahrungen eines gleichgeschalteten, zentrali- erst recht dem Bundeskanzler der Bundesrepublik 1050 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Ministerpräsident Hans Eichel (Hessen) Deutschland - bei der Gebührenfestsetzung freie sterpräsidentenkonferenz aus eigener Zuständigkeit Hand zu lassen. über dieses Thema reden. Es werden dazu Gesprä- che mit den Intendanten und den Aufsichtsgremien (Beifall bei der SPD) der verschiedenen Anstalten geführt. Aber eines ist Ich zitiere wörtlich aus dem Urteil des Bundesverfas- auch klar: Weder der Bund noch die Länder kön- sungsgerichts: nen einem einzelnen Mitglied in diesem föderalen System vorschreiben, ob es eine eigene Landes- Dagegen darf die Gebührenfestsetzung nicht zu rundfunkanstalt unterhält oder nicht. Dies ist die Zwecken der Programmlenkung oder der Me- Entscheidung der Gesetzgeber der Länder, und dienpolitik, namentlich im dualen System, miß- diese Entscheidung kann von keinem anderen braucht werden. Land - und erst recht nicht vom Bund, der, ich wiederhole es, keinerlei Zuständigkeiten in diesem (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Hört! Hört!) Bereich hat - beanstandet oder gar ausgehebelt werden. Insofern sind alle diese Vorüberlegungen, die ich, wie gesagt, nur als Erpressungsversuch werten kann, bereits hinfällig, weil sie mit dem Verfassungsrecht (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Schäu-- nicht übereinstimmen. ble [CDU/CSU]: Wer hat denn die Debatte beantragt?) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Angesichts des großen Bekenntnisses - das ich und der PDS) sehr ernst nehme und das uns in vielen Fällen, ab- Ich verweise auf die Kollegen in einigen Bundeslän- seits dieser Frage, verbindet - von Ihnen, Herr Kol- dern, die ebenfalls eine weitere Gebührenerhöhung lege Stoiber, zum Föderalismus wundert es mich, wie ausgeschlossen haben. - Übrigens sehr spannend, sehr hier eines der wirklich markantesten Beispiele wenn man sich die Entwicklung der Gebühren für des Föderalismus, nämlich das Gemeinschaftspro- Rundfunk und Fernsehen und etwa der Preise für gramm der ARD, in Frage gestellt wird. Wer „Report" Abonnements von Tageszeitungen oder anderer aus München gut findet, der muß auch „Monitor" er- Preise in den vergangenen 40 Jahren ansieht. - Ich tragen; umgekehrt gilt dasselbe. Das ist kulturelle verweise darauf, daß eine Gebührenerhöhung durch- Vielfalt in Deutschland. aus nicht einstimmig beschlossen werden muß, daß wir notfalls zu einer Mehrheitsentscheidung kommen (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE können, wenn wir den Staatsvertrag entsprechend GRÜNEN und der PDS) ändern. Das Bundesverfassungsgericht hat entspre- chende Hinweise gegeben. Lassen Sie mich zum Schluß folgendes feststellen: (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr gut!) Ihre Initiative, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ist zum Scheitern verurteilt, wenn Sie mit Ich will aber, meine Damen und Herren, gar nicht Brachialgewalt versuchen, Presse- und Meinungs- den Eindruck erwecken, daß die SPD-regierten Län- freiheit sowie die Rundfunk- und Kulturhoheit der der die Kostenprobleme der ARD und des ZDF nicht Länder einzuschränken. sehen. Das Gegenteil ist der Fall. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) Wir sind zu vernünftigen Diskussionen und auch zu vernünftigen Reformen bereit. Aber wir werden Einige meiner Amtskollegen haben - wie auch ich - uns von Ihnen weder erpressen noch unter Druck bereits im Frühjahr des vergangenen Jahres darauf setzen lassen. Die Menschen in diesem Lande haben hingewiesen, daß die ARD langfristig zu selbstfinan- etwas anderes verdient als die Unterordnung ihrer zierten und aus eigener Kraft lebensfähigen Anstal- täglichen Informations-, Unterhaltungs- und Kultur- ten kommen muß. Konstruktive Gespräche darüber angebote unter den Zwang des Kommerzes. Demo- sind jederzeit möglich, ja, sie sind von mir und ande- kratische Kultur kann nicht allein dem kommerziel- ren Kollegen bereits vor über einem Jahr angeregt len Kalkül überantwortet werden. Demokratie ist worden. Es war immer klar, daß das Jahr 1995, das ohne Pressefreiheit nicht denkbar, und Pressefreiheit Jahr nach der Bundestagswahl, das Jahr dieser De- ist mehr als Gewerbefreiheit. batte und 1995 oder 1996 auch das Jahr von Ent- scheidungen werden würde. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Welch GRÜNEN und der PDS) ein Anschlag!) Lassen Sie mich auch dies noch bemerken: Es gibt Es besteht also kein Anlaß, mit einem solchen Droh- immer mehr Menschen im Lande - auch wenn das papier und solchen Drohgebärden die notwendige hier vielleicht nicht alle wahrhaben wollen -, die sich Diskussion zu erschweren oder gar zu verhindern. keine Zeitung mehr leisten können, die auf die Infor- (Beifall bei der SPD) mationen über Rundfunk und Fernsehen angewiesen sind und die in der ARD und im ZDF die Garantie da- Die Ministerpräsidenten - ich denke, alle Mi- für sehen, daß sie über die Dinge, die sie interessie- nisterpräsidenten - werden auf der nächsten Mini- ren, die ihren Lebensbereich betreffen und die unser Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1051

Ministerpräsident Hans Eichel (Hessen) Gemeinwesen ausmachen, angemessen, objektiv Von „Gleichschaltung" über „perverses Denken" und umfassend informiert werden. bis hin zu „Dolchstoßlegende" wurden so ziemlich alle historisch belasteten Begriffe bemüht, um uns als (Beifall bei der SPD und des Abg. Joseph Ketzer und Frevler am ARD-Heiligtum hinzustellen. Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Womit haben wir die Ketzerhüte verdient? Was wol- NEN] - Zurufe von der CDU/CSU) len denn Ministerpräsident Biedenkopf und ich zu- - Ihre Zwischenrufe und Unruhe an dieser Stelle sammen mit dem Bundesvorstand der CDU? sprechen übrigens Bände über Ihr Verfassungsver- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ständnis, meine Damen und Herren. DIE GRÜNEN]: Aha! Der Klub der Reforma- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ toren!) DIE GRÜNEN) Wir wollen, meine sehr verehrten Damen und Her- Diese Gewähr hätten die Menschen nicht mehr, ren, eine Reform der ARD und nicht ihre Zerschla- wenn eine der wesentlichen Säulen der Informations- gung. gesellschaft, nämlich die ARD, gesprengt würde. Das (Beifall bei der CDU/CSU - Lachen bei der öffentlich-rechtliche Rundfunksystem ist Bestandteil SPD) - unserer demokratischen Kultur. So wollen es das Grundgesetz und die Rechtsprechung zum Grundge- Wir wollen einen starken, konkurrenzfähigen öffent- setz. lich-rechtlichen Rundfunk, Die Verfassung steht aber nicht nur auf dem Pa- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ pier, sondern sie muß gelebt und in allen Äußerun- DIE GRÜNEN]: Mir kommen die Tränen!) gen beachtet werden, insbesondere von denen, die der im dualen Rundfunksystem die Grundversor- die Verfassungsorgane dieses Landes repräsentieren. gung mit Information, Bildung, Kultur und Unterhal- (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Machen Sie tung gewährleistet. das doch einmal!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. DIE GRÜNEN]: Herr Kohl nennt so was eine Fälscherwerkstatt!) (Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall Wir wollen gleichgewichtige Länderanstalten beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Fälscherwerkstatt!) Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem mit flexibler Kooperation und ohne finanzielle Ab- bayerischen Ministerpräsidenten, Dr. Edmund Stoi- hängigkeiten, also Anstalten in einer wirtschaftlich ber. vernünftigen Größenordnung, die ohne Finanzaus- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ gleich auskommen. DIE GRÜNEN]: Das Licht der Wahrheit! (Beifall bei der CDU/CSU) Nichts als das Licht der Wahrheit! Die fleischgewordene Objektivität!) Wir wollen Rundfunkvielfalt aus der Vielfalt der Län- der heraus, und wir wollen den offenen Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sen- Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern) dern. (von der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Danke schön, Herr Fischer. Die Situation der ARD - ich weiß nicht, ob alle im Detail die finanzielle Situation der ARD und des ZDF Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! kennen - erfordert eine Diskussion ohne Tabus und Meine sehr verehrten Herren! Vor eineinhalb Wo- erzwingt eine Reform - darüber sind sich im Grunde chen haben der bayerische Ministerpräsident alle Einsichtigen einig -, wenn die ARD eine Zukunft (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ haben soll. DIE GRÜNEN]: Er spricht schon von sich in Wenn ich all die Repliken auf unsere Thesen ver- der dritten Person!) folge, auch die radikalsten, die von Gleichschaltung und Zerschlagung reden, stelle ich fest: Sie kommen und der sächsische Ministerpräsident in sechzehn im letzten Satz zu dem Ergebnis: Ja, aber eine Re- Thesen eine gemeinsame Position zu einer Struktur- form muß natürlich sein; so kann es nicht bleiben. reform des öffentlich - rechtlichen Rundfunks vorge- legt. Das Echo war allerdings so, als hätten wir frei (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nach Martin Luther 95 Thesen an das Tor der ARD geschlagen. Das ist für mich der Kernsatz. (Lachen bei der SPD) Deshalb wäre es höchst reizvoll, den Motiven nachzugehen, die zu den wüsten Angriffen auf uns Denn gegen die Reaktionen, die uns entgegenschall- und unsere Reformvorschläge geführt haben. ten, war die gegen den Reformator geschleuderte (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Bannbulle eine geradezu ausgewogene Replik. DIE GRÜNEN]: Edi der Märtyrer, der Refor- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) mator mit der Abrißbirne!) 1052 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern) Diese Rundumschläge sind wohl vor allem aus der ren: Es gibt kein anderes Land auf dieser Erde, das Angst um liebgewordene Besitzstände und Einfluß- einige Fernsehprogramme mit einer solchen Menge sphären zu erklären. Geld - letzten Endes durch Zwangsgebühren - finan- ziert. Das ist es. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Wenn, meine sehr verehrten Damen und Herren, ten der F.D.P. - Otto Schily [SPD]: Was sa- die SPD neuerdings in billige Drohgebärden verfällt gen Sie zum Bundesverfassungsgericht?) und im Gegenzug zu einer ARD-Reform, Herr Schar- ping, den ZDF-Staatsvertrag kündigen will, dann Die tatsächliche Situation ist: weit über 23 000 fest verhält sie sich geradezu kindisch, sozusagen nach angestellte Mitarbeiter - die zahllosen freien Mitar- dem Motto: Trittst du auf mein Spielzeugauto, dann beiter noch gar nicht mitgerechnet - und infolge der zersteche ich dir deinen Ball. Man müßte auch die privaten Konkurrenz drastisch gesunkene Werbeein- nahmen und Zuschaueranteile. Drohung mit der Kündigung des ZDF-Staatsvertrags sozusagen als einen Anschlag auf die Meinungsviel- (Abg. Freimut Duve [SPD] meldet sich zu falt herausstellen, wenn man in Ihrer Diktion reden einer Zwischenfrage) würde.

(Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Hans Klein: Herr Ministerpräsident.

Erfreulicherweise hat zwar Herr Kollege Kurt Beck als Vorsitzender der Rundfunkkommission der Mini- Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern): sterpräsidenten Nein. (Freimut Duve [SPD]: Ich wollte nur nach (Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist er heute?) den Zwangsgebühren nach dem Verfas- sungsgericht fragen!) seine Bereitschaft zu sachlichen Gesprächen erklärt. Kurz darauf ist aber vom niedersächsischen Minister- Jetzt fordern die Intendanten - darum geht es doch - präsidenten schon wieder zu hören, unter dem Druck ab 1997 eine kräftige Gebührenerhöhung und zu- der Union werde die SPD keine Reformdiskussion sätzlich Werbezeiten nach 20 Uhr. Sie können doch führen. Glaubt Kollege Schröder denn wirklich ernst- die Finanzierungsprobleme nicht mit einer Vermeh- haft, die SPD könne dem Druck der ARD-Finanz- rung der Werbezeiten oder mit einem ständigen Dre- und Strukturprobleme mit dem läppischen Hinweis hen an der Gebührenschraube lösen. Die Rundfunk- entgehen: Wir haben zwar ein Problem, aber weil ihr gebühr muß der Bürger alleine deshalb bezahlen, von der Union uns darauf hingewiesen habt, weigern weil er ein Empfangsgerät bereithält. wir von der SPD uns, an der Lösung mitzuarbeiten!? Nichts anderes ist es doch. (Freimut Duve [SPD]: Sehr populistisch, was Sie hier machen!) (Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen stimmt natürlich Ihr Vergleich nicht, Herr Kollege Ei- Auf dem gleichen Niveau bewegt sich seine Dro- chel, denn ob sich jemand eine Zeitung kauft und hung, bei Fortführung der ARD-Diskussion die Wer- welche er sich kauft, ist letztlich seine Entscheidung. begrenzen für die privaten Sender in Frage zu stel- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) len. Es gehört zwar nicht hierher, aber ich wäre durchaus interessiert, zu erfahren, ob der Herr Kol- Aber beim Fernsehen ist es nun etwas anderes. Das lege Rau und der Leiter seiner Staatskanzlei den pri- Bundesverfassungsgericht hat bislang jedenfalls fest- vaten Anstalten in ihrem Land, in Nordrhein-Westfa- gehalten, daß allein das Bereitstellen des Gerätes die len, die sie mit so unglaublicher Mühe dorthin geholt öffentlich-rechtliche Verpflichtung zu dieser Abgabe haben, größere Schwierigkeiten bereiten würden. mit sich bringt. Deswegen ist es natürlich auch eine Ich möchte wissen, ob der Kollege Rau wirklich be- öffentlich-rechtliche Gestaltungsaufgabe, sich über reit ist, den Standortvorteil im Medienbereich, den Rundfunk zu unterhalten. Deswegen sind natürlich er sich für NRW erkämpft hat, wirklich in Frage zu der Vorstand einer Partei, auch wenn es im verfas- stellen. Hier kommt doch die ganze Heuchelei zum sungsrechtlichen Sinne Ländersache ist, und der Vor- Ausdruck, meine sehr verehrten Damen und Herren. sitzende einer Partei nicht nur legitimiert, sondern geradezu aufgefordert, zu solchen wichtigen politi- (Beifall bei der CDU/CSU - Anke Fuchs schen Fragen ihre Meinung zu äußern. [Köln] [SPD]: Ach, darum geht es!) (Beifall bei der CDU/CSU) Die ARD erhält zur Erfüllung ihres Auftrags jähr- lich Gebühren in Höhe von 7 Milliarden DM und hat Herr Ministerpräsident, einen Gesamtetat von 9 Milliarden DM. 2,7 Milliar- Vizepräsident Hans Klein: die Kollegin Nickels würde gerne eine Zwischen- den DM kostet allein das erste Fernsehprogramm. frage stellen. 2,2 Milliarden DM kosten die acht dritten Pro- gramme. Ca. 2,5 Milliarden DM sind die Kosten für das Fernsehen des ZDF. Ich will nur darauf aufmerk- Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern): sam machen, meine sehr verehrten Damen und Her- Nein. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1053

Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern) Wo sind wir denn überhaupt, wenn einem Partei- Daß Reformen auch einschneidender Art bei der vorsitzenden in einer wichtigen politischen Frage ein ARD notwendig sind, wird nicht einmal mehr von der Diskussionsverbot erteilt werden soll? Das ist doch ARD selbst bestritten. unmöglich, meine Damen, meine Herren. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU) DIE GRÜNEN]: Krokodilstränen! Es ist ja unglaublich!) Alle müssen erkennen, daß man hier an Schmerz- grenzen stoßen kann. Ich erinnere hier nur an das Positionspapier des WDR-Rundfunkrates vom 26. Oktober 1994, (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So autoritär sind wir!) (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU): Hört! Hört!] Wenn die Rundfunkgebühr einmal von den Bürgern nicht mehr akzeptiert werden sollte, dann ist der öf- das nicht nur effizientere Strukturen der ARD an- fentlich-rechtliche Rundfunk in seiner Existenz ernst- mahnt, sondern auch eine umfassende Strukturre- haft bedroht. Es gibt auf Dauer eine Wechselwirkung form für unerläßlich hält. zwischen Programmakzeptanz und Gebührenent- - wicklung. Darüber müssen sich alle im klaren sein, (Abg. Horst Kubatschka [SPD] und Abg. die heute so lauthals nach Gebührenerhöhung als Otto Schily [SPD] melden sich zu Zwischen Allheilmittel rufen. Heute halten bereits 42 % der fragen) Rundfunkteilnehmer die Rundfunkgebühren für zu hoch. 87 % lehnen Gebührenerhöhungen ab. Die Vizepräsident Hans Klein: Herr Ministerpräsident! grundsätzliche Zustimmung zum ARD-Gemein- schaftsprogramm oder zur Eigenständigkeit kleinerer ARD-Anstalten nimmt sofort rapide ab, wenn die Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern): Frage mit dem Thema Gebührenerhöhung verbun- Nein. den ist. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Er hat die Hosen voll! Lu DIE GRÜNEN]: Wie ist es mit den Steuern, ther hätte Zwischenfragen zugelassen, Herr Herr Stoiber?) Stoiber! Ein Reformator antwortet, wenn er gefragt wird!) Die notwendige Konsequenz aus dieser Feststellung kann aber doch nur sein, daß wir an die Strukturen Ich zitiere aus dem Papier des WDR: herangehen müssen, daß wir dort mit effektiven Re- formen ansetzen müssen, weil die finanziellen Pro- Dabei hat die Erhaltung und Stärkung der ARD bleme der ARD zu einem großen Teil strukturbedingt oberste Priorität vor anderen denkbaren Hand- sind. lungsoptionen, die dann zu prüfen wären, wenn die ARD sich wider Erwarten als reformunfähig (Beifall bei der CDU/CSU) erweisen würde: Konzentration auf WDR-Fernse- hen unter Einschluß einer Erweiterung seines Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, aus Programmprofils, engere Unternehmenskoopera- meiner 15jährigen Mitgliedschaft im Rundfunkrat tionen mit anderen ARD-Anstalten, Austritt aus des Bayerischen Rundfunks und als Mitglied des der ARD. ZDF-Verwaltungsrates Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Vor- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ lauf zu diesem Papier des Rundfunkrates des West- DIE GRÜNEN]: Und als Mitglied des Vor stands von Bayern München!) deutschen Rundfunks basiert auf den Überlegungen der SPD-Leute im Rundfunkrat des WDR, die eine weiß ich um die Sparmaßnahmen, die die ARD und dreifache Position deutlich beschreiben. Sie sagen: das ZDF bis zum Ende der Gebührenperiode einge- Wir wollen erstens eine Stärkung des ARD-Pro- leitet oder durchgeführt haben. Ich erkenne dies gramms. Wir wollen zweitens eine effizientere Ge- durchaus an. Allerdings bin ich davon überzeugt, staltung. Wenn wir diese nicht erreichen, dann wer- daß hier noch längst nicht alle Möglichkeiten ausge- den wir drittens überlegen, aus der ARD auszutreten schöpft sind. und ein Vollprogramm für ganz Deutschland einzu- führen. Es geht doch wirklich nicht darum, daß sich der öf- fentlich-rechtliche Rundfunk zu Tode sparen soll. In Ich sage Ihnen: Das sind Überlegungen, die bereits den Jahren der Konkurrenzlosigkeit aber hat sich bei im Jahre 1993 niedergelegt worden sind. Der Be- den Anstalten mit großzügigen Gehaltseinstufungen schluß des Rundfunkrates des WDR, der letzten En- und einem Wildwuchs von Zulagen ungeheuer viel des auch den Austritt aus der ARD als eine Möglich- Fett angesammelt, das jetzt abgespeckt werden muß. keit angesehen hat, ist aus dem Herbst des letzten Jahres. Ich frage Sie: Wo waren denn da Ihre massi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ven Proteste? Wo waren denn Ihre bösartigen Unter- ordneten der F.D.P. - Joseph Fischer stellungen? [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sage nur: MDR — Mitteldeutscher (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rundfunk!) Dr. [F.D.P.]) 1054 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern) Echte Reformen - es gibt den Druck für eine not- ger" Polemiker, aber nicht als Sachkenner erwie- wendige Reform - müssen bei den Strukturen anset- sen. zen. Wir wollen deshalb eine Verminderung der Zahl der ARD-Anstalten auf sechs oder sieben etwa gleich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- große und gleich leistungsfähige Anstalten. ordneten der F.D.P. - Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Die alten Länder sollten sich durchaus einmal ein DIE GRÜNEN]: Den Bayerischen Rundfunk Beispiel an den neuen Ländern nehmen. schaffen wir als ersten ab!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Meine sehr verehrten Damen und Herren, das, was DIE GRÜNEN]: Ein Weißwurstphilosoph!) wir jetzt angestoßen haben, führt bereits beim Vorsit- zenden der Rundfunkkommission, beim Kollegen Vernünftigerweise wurde dort mit dem Mitteldeut- Beck, zu der Aussage: Wir müssen Synergieeffekte schen Rundfunk eine Dreiländeranstalt gegründet. erreichen. Wir müssen Intendanzen der kleinen An- Mecklenburg-Vorpommern hat sich dem NDR ange- stalten zusammenlegen. schlossen. - (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Welche denn?) DIE GRÜNEN]: Teuerste Anstalt!) Die neuen Länder haben - Brandenburg Vielleicht kommen wir auch zu einer Zusammenle- ausgenommen - ihre Rundfunkstrukturen verantwor- gung der einen oder anderen Anstalt. Das ist ein ver- tungsbewußt und mit Vernunft für die Zukunft ge- nünftiger Ansatz. Das unterscheidet sich massiv von schaffen. Es ist ein Gebot der Solidarität, dem Wahlkampfgetöse, Herr Kollege Eichel, das Sie hier einbringen. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Kanzleramt hat da mit- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. gestrickt, Herr Stoiber, das wissen Sie Dr. Werner Hoyer [F.D.P.]) doch!) Gleichgewichtige Vielfalt gibt es nur bei gleichge- daß auch in den alten Ländern nicht weiter so getan wichtigen Partnern. wird, als sei die Welt von heute noch dieselbe wie vor 30 oder 40 Jahren. (Freimut Duve [SPD]: Gilt das auch für den Bundeskanzler? - Joseph Fischer [Frank furt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vizepräsident Hans Klein: Herr Ministerpräsident, Schauen Sie sich mal das Bundeskabinett ich unterbreche Sie kurz, denn ich möchte an die an! Da wiegt nur noch einer!) Adresse des Kollegen Fischer sagen: Das Wort hat der Ministerpräsident Stoiber.

Das ist wichtig für das ARD - Gemeinschaftspro- gramm, das schließlich die Summe der Beiträge aus (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU - den Landesanstalten ist. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, leider! - Freimut Duve (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ [SPD]: Leider!) DIE GRÜNEN]: Wo sind die denn gleichge wichtig?) Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern): Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich ver- Meine sehr verehrten Damen und Herren, leider be- stehe eines nicht: daß von Ihrer Seite versucht wird, kommt nicht die gesamte Bevölkerung diese Zwi- schenbemerkungen mit. Das wäre nämlich sehr hilf- das ARD-Gemeinschaftsprogramm sozusagen zu reich, um zu zeigen, welche qualifizierten Zwischen- überhöhen, während die Beiträge dazu plötzlich pro- bemerkungen Sie zu diesem Thema machen. vinziell sein sollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Herr Kollege Scharping, ich habe in der gestrigen Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Ausgabe der „Augsburger Allgemeinen" gelesen, DIE GRÜNEN]: Ein Reformator mit dünnen daß Sie gesagt haben, Sie wollten die Diskussion so Nerven! Meine Güte, Edmund, Edmund!) bestreiten: Falls Herr Stoiber oder Herr Biedenkopf großen Wert darauf legten, eigene Kanäle zu betrei- Sei's drum, auch die werden wir ertragen. ben, Meine sehr verehrten Damen und Herren, im übri- (Freimut Duve [SPD]: Der Kanal mit Ihnen gen hat die ARD selbst schon den Finger auf die ist voll!) Wunde gelegt. so gewissermaßen zwischen Heidi und Luis Trenker, Ich erinnere nur an die weitreichenden Vorschläge des früheren ARD-Vorsitzenden, Herrn Kelm vom Volksmusik und Lederhose, dann sei dagegen gar Hessischen Rundfunk, Herr Eichel, der bereits 1990 nichts zu sagen, dann sollten sie das machen. eine ARD-Struktur mit höchstens sieben Sendern (Beifall bei Abgeordneten der SPD) vorgeschlagen hat. Ebenso hat der Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks, Udo Reiter, zu Fusionen Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer die bei den kleinen Anstalten aufgerufen. Südwestfunk- dritten Programme - ganz gleich, wer sie ausstrahlt - Intendant Voß hat kürzlich die mangelnden Einfluß- in dieser Weise qualifiziert, der hat sich als „großarti- möglichkeiten der mittelgroßen Anstalten in der Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1055

Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern) ARD gegenüber den großen im Westen und im Nor- Wenn der ARD morgen oder übermorgen nicht den deutlich beklagt. Warum greift man das denn mehr 70 %, sondern nur noch 60 % zur Verfügung nicht auf? Warum wird derjenige, der das in die poli- stehen, dann fehlen der ARD Beträge von einer hal- tische Diskussion einführt, sofort in dieser Art und ben oder möglicherweise bis zu einer dreiviertel Mil- Weise angegangen? Weil Sie sich im Prinzip der Re- liarde DM. form verweigern. (Rudolf Scharping [SPD]: Glauben Sie, Sie (Beifall bei der CDU/CSU) haben eine Chance dazu?) Sie wollen Gebührenerhöhung und Werbeausdeh- Wie wollen Sie den Fehlbetrag von einer halben oder nung. einer dreiviertel Milliarde DM ausgleichen? Wollen Meine Damen, meine Herren, erlauben Sie mir, Sie das durch Gebührenerhöhung ausgleichen, wol- hier den wahren Punkt noch einmal anzusprechen. len Sie das durch Werbeverlängerung ausgleichen, oder wollen Sie das durch Strukturveränderung aus- (Zuruf von der SPD: Ablenkung!) gleichen? Ich habe Ihnen gesagt: 7 Milliarden DM nimmt die ARD an Fernseh- und Grundgebühren ein. Für das (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nicht durch erste Programm gibt sie 2,7 Milliarden DM aus. Daß Abschaffung der Tagesschau!) das erste Programm, das Gemeinschaftsprogramm, Das ist eigentlich der gravierende Punkt. die regionale Vielfalt aus den Ländern nicht wider- spiegelt, war wohl mit ein Grund dafür, daß acht Da gibt es jetzt die Kollegen von Ihnen im WDR- Rundfunkanstalten dritte Programme zu Vollpro- Rundfunkrat, die legen die Priorität, wie auch Herr grammen ausgebaut haben, z. B. der NDR, der WDR, Plog vom NDR, auf das erste Programm und sagen, der Bayerische Rundfunk. das erste Programm hat die höhere Priorität. Deswe- (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gen müßten dann bei den dritten Programmen Ab- DIE GRÜNEN) striche gemacht werden. Ich vertrete eine andere Meinung. Ich vertrete die Meinung, daß dann bei Warum denn, meine Damen und Herren? Weil die re- den regionalen Programmen eben nicht gespart wer- gionale Vielfalt innerhalb des ARD-Programms, je- den darf, sondern man eher Synergieeffekte beim denfalls nach dem Auftrag des Rundfunkgesetzes, Gemeinschaftsprogramm anstreben muß. anscheinend nicht hinreichend dargestellt werden konnte. Das ist doch der Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P. - Anke Fuchs [Köln] (Beifall bei der CDU/CSU) [SPD]: Meinen Sie, jemand will die bayeri- In der Zwischenzeit geben die Rundfunkanstalten schen Nachrichten sehen? - Joseph Fischer bereits 2,2 Milliarden DM für die dritten Programme [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: aus. Das kann ich mir denken, warum: Da taucht Edmund Stoiber zehnmal am Abend auf! (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist zuviel! Das ist der entscheidende Punkt! Edmund Das ist wahr!) Stoiber ohne Pause!) Nun kommt der entscheidende Punkt, auf den Sie in Ihren Zwischenbemerkungen aufmerksam ge- Diese Frage hat zutiefst föderalen Charakter. Man macht haben: Die ARD steht unter dem Damokles- kann sie auch anders beurteilen. Das sage ich ganz offen. schwert des Urteils des Verfassungsgerichts, (Otto Schily [SPD]: Oh, das ist ein Damo- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ klesschwert! Welche Bilder!) DIE GRÜNEN]: Ja, darum bitte ich!) das sich auf die Aufteilung der Fernsehgebühren Nur, wer den Föderalismus, wer den regionalen auswirkt. Wollen Sie die Strukturen beibehalten? Aspekt in der öffentlich-rechtlichen Rundfunkland- 70 % der Fernsehgebühren, fast 4 Milliarden DM, be- schaft unter den veränderten finanziellen Rahmenbe- kommen die ARD-Anstalten, 30 % der Fernsehge- dingungen wirklich vertreten will, der - das ist meine bühren bekommt das ZDF. Die große Schwierigkeit Auffassung, die Auffassung meiner Regierung - darf liegt nun darin, daß das Verhältnis von 70:30 aus den letzten Endes niemals bei den dritten Programmen 60er Jahren stammt. Damals hat das ZDF seinen Abstriche machen, zugunsten des Gemeinschaftspro- Haushalt fast zu 50 % aus der Werbung finanziert. gramms, sondern muß institutionell in den Struktu- gleichmäßig In einer Passage des Urteils des Bundesverfas- ren des Gemeinschaftsprogramms Ver- änderungen vornehmen, sungsgerichts steht, daß die „ Bedarfsnotwendigkeit" entscheidend ist für die Gebührenverteilung. Das be- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ deutet, Herr Kollege Eichel, daß wir morgen und DIE GRÜNEN]: Nur darum geht es!) übermorgen zu einer anderen Aufteilung kommen werden. Es wird nicht bei 70:30 bleiben. Das Ver- aber niemals zu Lasten der dritten Programme. hältnis wird vielleicht 60: 40 sein. Sonst ist das ZDF - auch das ist eine Länderanstalt wie der Hessische (Beifall bei der CDU/CSU - Joseph Fischer Rundfunk - übermorgen oder überübermorgen pleite [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: und kann nicht mehr seinen Auftrag erfüllen. Das ist aber ein dünner Beifall!) 1056 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage Plattmachen der ARD versteht. Deshalb glaubt Ihnen Ihnen ganz offen: Ich bedauere außerordentlich, daß die Mär von der Reform niemand. wider besseres Wissens eigentlich nie entscheidende Veränderungen in die Wege geleitet worden sind, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN obwohl der Reformdruck seit Jahren da ist. Ich freue sowie bei Abgeordneten der SPD und der mich, daß wir durch dieses Thesenpapier, auch durch PDS) den Beschluß des CDU-Bundesvorstandes, jetzt eine breite Diskussionsbasis erlangt haben und wir späte- In diesem Februar ist es 34 Jahre her, daß das Bun- stens in diesem Jahr - 1995 - auf der Ebene der Mini- desverfassungsgericht das vom damaligen Bundes- sterpräsidenten und der Landtage eine vernünftige kanzler Adenauer geplante „Deutschland-Fernse- Struktur anstreben müssen. Denn wir haben ja nicht hen" für verfassungswidrig erklärt und dieses als Re- mehr viel Zeit. Ich sage Ihnen: Wenn Sie sich der Re- gierungssender konzipierte Fernsehprogramm von form verweigern, dann entsteht dadurch letzten En- der Bildfläche genommen hat. „Fernsehstaats- des ein erheblicher Schaden für das öffentlich-recht- streich" nannte damals kein Geringerer als Theodor liche Rundfunksystem in Deutschland - das ist über- Eschenburg den Adenauerschen Anschlag auf die Rundfunkfreiheit und die damit verbundene Absicht, haupt keine Frage -, weil es mit der vorhandenen - Struktur nicht mehr zu bezahlen ist. Ich sage Ihnen: unabhängigen, kritischen, pluralen Journalismus Sie haben Ihre Reformfähigkeit verloren. gleichzuschalten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU sowie Mit einem Fernsehstaatsstreich in zweiter, un- bei Abgeordneten der F.D.P.) gleich dreisterer Auflage haben uns in den vergange- nen Tagen die Herren Bundeskanzler Kohl, Minister- Bei allem, was im Grunde genommen von der CDU präsidenten Stoiber und Biedenkopf und im Hinter- und der CSU kam, ob es die Reform der Post, die Re- grund - ein Schelm, wer Böses dabei denkt - Bertels- form der Bahn, die Reform des Asylrechts oder die mann, Kirch und Co. konfrontiert. Reform des Gesundheitswesens war, haben Sie zu- nächst immer nur „Nein, nein, nein" gesagt. Sie wol- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN len die alten Strukturen behalten. sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Als ob Sie von den insgesamt sieben Grundsatzent- scheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum öf- Sie haben die Reformfähigkeit verloren. Sie wollen fentlich-rechtlichen Rundfunksystem, die alle uni- im Prinzip die Zeichen der Zeit nicht erkennen; damit sono Rundfunkfreiheit, Staats- und Parteienferne, Fi- kommen Sie nicht weiter. nanzierungssicherheit und Entwicklungsmöglichkeit im dualen System garantieren, nie etwas gehört ha- In diesem Sinne, meine sehr verehrten Damen und ben, haben Sie, Herr Bundeskanzler, eine auf Sie ge- Herren, betrachte ich diese Debatte als weitere Un- münzte Satire als Aufhänger genommen, in einem terstützung der Diskussion und als Möglichkeit für medienpolitischen und föderalen Amoklauf ein über die weitere Verbreitung der Thesen. Ich freue mich, Jahrzehnte gewachsenes verfassungsrechtlich abge- daß diese Thesen, über dieses Haus hinaus, morgen sichertes Rundfunksystem in Frage zu stellen. und übermorgen in noch viel breiteren Kreisen dis- kutiert werden, weil ich glaube, daß wir dann über- In Kontrast zu Ihrer sprichwörtlichen Elefanten- morgen zu einer Lösung kommen werden. haut, die Ihnen, Herr Bundeskanzler, sonst zuerkannt wird, fällt auf, daß Sie sich bar jeglicher Contenance Danke schön. und Souveränität bei Ihrer Attacke auf verfassungs- rechtlich verankerte Grundfesten die Blöße geben, (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ Ihre Interessen, Ihre höchstpersönlichen Befindlich- CSU - Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) keiten mit dem Fortbestand der ARD zu verquicken.

(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Dummes Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- Zeug!) ordnete Rezzo Schlauch. Wir alle, auch Sie, wissen: Bei der Frage, wie und in welchem Umfang die ARD und das öffentlich Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rechtliche System fortbestehen, hat nach unserer Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Mi- Verfassungslage der Bundeskanzler nichts, aber nisterpräsident, wenn Sie nach dem Treffen in Wind- auch gar nichts mitzubestimmen und schon dreimal hagen im Reformergewande daherkommen, dann nicht aus persönlicher Betroffenheit heraus. nimmt Ihnen das, glaube ich, keiner mehr ab, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS) Herr Ministerpräsident Eichel, heute haben Sie es nicht gesagt, aber ich habe es irgendwo gesehen: Ich und zwar deshalb, weil jemand, der in seinen Thesen finde es natürlich albern und für die Diskussion auch die ARD explizit zerschlagen will und heute von Re wenig hilfreich, wenn wie auf der hessischen Kirmes formen redet, Reformen als Durchgangsstadium zum nach dem Motto verfahren wird: Haust du mir, dann Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1057

Rezzo Schlauch hau ich dir auf den Kopf; greifst du mir in die ARD, Privaten. Nicht Anti-Gewaltkommissionen, Herr Stoi- dann kündige ich dir das ZDF auf. Dazu ist das ber, und Medienkommissionen, die die CDU alleror- Thema Erhaltung, Förderung und Stärkung des öf- ten scheinheilig einsetzen, bestimmen, was läuft. Bei fentlichen Rundfunks und der Rundfunkfreiheit viel den Privaten wird gesendet, was bei den Zuschauern zu ernst. den schnellen Kick erzeugt und bei den P rivaten die Kassen klingeln läßt. Dorthin fließt die Werbung. Wir können froh sein, daß die verfassungsrechtli- Dorthin fließt auch die Gunst des Kanzlers, der in chen Bestandsgarantien so klipp und klar auf dem diesen heimeligen Studios die rechten Höflinge für Tisch liegen. Wir GRÜNEN werden politisch und, seine Befragungen findet. wenn es sein muß, auch rechtlich dafür kämpfen, daß bei uns, Herr Kohl, keine italienischen Verhältnisse (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Einzug halten. bei der SPD und der PDS) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Melodie, die Sie, Herr Stoiber, im Duett gesun- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen haben, war schon vorgesungen. Ich zitiere: der PDS) Zum 1. 1. 1996 wird das nationale Programm der Berlusconi, den Sie ja auch ganz schnell in die ARD eingestellt. Die Programmaufgaben der Runde Ihrer Männerfreunde aufgenommen haben, ARD werden von den Landesrundfunkanstalten ist, wie wir inzwischen wissen, nicht vom Himmel ge- im Rahmen der dritten Programme wahrgenom- fallen. men. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Das ist Originalton „Verband der privaten Fernseh- DIE GRÜNEN]: Da hat er recht, das ist eine betreiber" , 1992, den Sie in Ihre Thesen nahtlos ha- Tatsache!) ben einfließen lassen. Auf der Grundlage eindeutig mafiotischer Strukturen konnte sich Berlusconi, der Logenamigo des mit (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Haftbefehl gesuchten Ministerpräsidenten Craxi, mit DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) tatkräftiger Unterstützung der Regierungen über Herr Stoiber, es ist wohlfeil, immer von den Bürgern, Jahre hinweg ein Medienimperium zusammenkau- von den Anstalten, am besten von allen anderen den fen, um dann die Regierung selbst zu übernehmen. notwendigen Sparkurs, die dringende Innovation Wir müssen verhindern, daß, anstatt eines Berlus- einzufordern, selber aber in den eigenen Läden - conis in der ersten, ein Kirch aus der zweiten Reihe Ländern, Bund, Kommunen -, wo Sie die Verantwor- sein Medienmonopol aufbaut und mit seinem Me- tung haben, an Innovationen nichts, aber auch gar dienimperium die Fäden zieht. nichts hinzubekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der SPD und der PDS) sowie bei Abgeordneten der SPD — Wolf- gang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben ja null Wir schlagen vor - wir werden dies in den nächsten Ahnung!) Tagen besprechen -, daß sich dieser Bundestag auf die Einrichtung einer Enquete-Kommission zu Fra- Die ARD wird in der laufenden Gebührenperiode gen der zukünftigen Gestaltung der elektronischen 3 Milliarden DM einsparen. Zeigen Sie uns einmal ei- Medienlandschaft in Deutschland verständigt. nen öffentlichen Haushalt, für den Sie die Verantwor- tung tragen, in dem Sie im Vergleich ähnlich viel ein- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Schon wieder gespart haben! eine Kommission! Schlankerer Bundestag!) Es ist schon atemberaubend, Herr Ministerpräsi- Wir vertrauen mehr auf die Reformfähigkeit in den dent Stoiber, wie Sie mit der einen Hand zigtausend Anstalten. Dazu brauchen wir kein verfassungswidri- Unterschriften, die sozial engagierte Landfrauen in ges Hineinregieren in die Sendeanstalten, nicht vom Bayern gegen die Gewalt- und Pornokanäle gesam- ZDF-Rundfunkrat Stoiber, nicht von Biedenkopf und melt haben, annehmen und sie mit der anderen Hand nicht vom Bundeskanzler, so sehr Sie sich alle wie zu in den Papierkorb werfen, Adenauers Zeiten auch das schöne alte schwarze Re- gierungsfernsehen wünschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) Danke schön. und mit Ihrem Thesenpapier zusammen mit Bieden- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kopf das Terrain für genau diese Kanäle, für die Pri- und der SPD sowie bei Abgeordneten der vaten, planieren. PDS) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dummes Zeug, was Sie da sagen!) Vizepräsidentin Dr. : Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Gerhardt. Es ist völlig wurscht, ob da täglich Gewaltorgien über den Schirm flimmern, ob da der Journalismus zum Reality-TV verkommt, ob da Geiselnehmer vor lau- Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Frau Präsidentin! fenden Kameras ihre Bedingungen stellen. „Money Meine Damen und Herren! Nach dem letzten Beitrag makes the world go round" , das ist das Prinzip der muß der unbefangene Zuschauer den Eindruck ha- 1058 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Dr. Wolfgang Gerhardt ben, als seien hier Kräfte am Werk, die den Staat aus ein Pressegesetz verabschiedet hat, das dem, was den Angeln heben wollten. hier vorgetragen worden ist, ins Gesicht schlägt.

(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. sowie (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- bei Abgeordneten der CDU/CSU - Beifall ten der CDU/CSU) beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im übrigen wäre etwas mehr Ehrlichkeit in dieser Um diesen Sachverhalt geht es nun wirklich nicht. Debatte gut. Wir kennen alle aus unserer jeweiligen Ich will das auch für meine Fraktion ganz nüchtern politischen regionalen Heimat Länderanstalten der erklären. ARD. Ich bezweifle, daß der Bayerische Rundfunk in der Zuwendung durch die Bayerische Staatsregie- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ rung und das Milieu, das sich herausgebildet hat, in DIE GRÜNEN]: Ja, natürlich! Wobei Ihre einer anderen Situation ist als der Westdeutsche Fraktion ...! - Heiterkeit und Beifall bei Rundfunk in seiner regionalen Ansiedlung und sei- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE nem Milieu, das langjährige sozialdemokratische GRÜNEN, der SPD und der PDS) Landesregierungen herausgebildet haben. - Wir haben öffentlich-rechtliche Rundfunkanstal- Noch besser kenne ich das aus der leidvollen Er- ten. Diese haben einen Verfassungsauftrag, der mit fahrung in meinem Heimatland Hessen. Jede lang- Grundversorgung umschrieben ist. Es geht um Zu- jährige Herrschaft einer Partei bildet auch in den ständigkeiten der Länder, die wir nicht tangieren Rundfunkanstalten ein Milieu heraus. wollen, die wir sehen. Deshalb geht es einfach um die Frage, ob wir öffentlich - rechtliche Anstalten, (Beifall bei der F.D.P. - Zurufe von der SPD) auch mit Reformbedarf, jedenfalls in den gewachse- nen Strukturen, wie wir sie in ARD und ZDF haben, Das ist die Wirklichkeit, der Sachverhalt in der Bun- wollen und brauchen, ja oder nein. Für die F.D.P. desrepublik Deutschland. Ich benenne das deshalb heißt es: Wir brauchen sie. Wir wollen sie. so eindeutig, weil sich im Grunde die ganze Diskus- sion vor dem Hintergrund von Entwicklungen voll- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne zieht, daß viele politische Kräfte ihre Reviere in der ten der CDU/CSU) Medienlandschaft abgesteckt haben. Es ist schon ein Stück Vergangenheit, daß sie sich Einfluß verschafft Sie haben eine Funktion auch weit über ihre Tätig- haben und keit für den Aufbau unserer Demokratie und der Si- cherung von Information in unserem Land hinaus (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) übernommen, die zur Stabilität geführt hat. Sie ha- ben eine wichtige Rolle gespielt. Sie sollen sie auch daß wir uns hier nicht nach dem Motto gegenüber- weiterspielen. Das ist auch ihre eigentliche Leistung stehen: Das eine sind die ganz Reinen, die nie einen gewesen, die mit der einen oder anderen Kritik und Versuch gemacht haben, die nie mißliche Berichter- dem Ärger über journalistische Beiträge nicht bei- stattung haben wollten, das andere sind die Schwar- seite geschoben werden kann. Ich sage das für die zen, die das alles zerschlagen wollen. So ist die ge- Freien Demokraten. Für uns wird es auch in Zukunft sellschaftliche Wirklichkeit in Deutschland nicht. aus grundlegenden Überzeugungen diese öffentlich- rechtliche Struktur geben müssen. (Beifall bei der F.D.P.)

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wenn wir als F.D.P. ARD und ZDF als öffentlich- Wir werden sie auch ohne die F.D.P. haben!) rechtliche Institutionen erhalten wollen, dann sind wir aber auch, glaube ich, frei genug zu sagen: Re- Wenn wir diese Diskussion führen, dann lassen wir formbedarf gibt es, und eine Verschlankung und eine uns als Freie Demokraten nicht von zwei Minister- Überprüfung der Ausgaben muß es geben; denn wir präsidenten auf eine falsche Spur setzen, die durch- sind als Politiker nicht ausschließlich dazu da, Ge- aus das Mißverständnis geliefert haben, als könnte bührenerhöhungsforderungen an andere weiterzu- man diese Organisation durch komplette Zerschla- reichen. Jeder Landtagsabgeordnete in Deutschland gung verändern. Das kann nicht unser Ziel sein. ist nicht nur dazu da, die Hand zu heben, um Staats- verträge abzusegnen, die mit Gebührenerhöhungen Ich erwidere dem Ministerpräsidenten Eichel, der verbunden sind, wenn er vorher nicht die geringste sich zum Verteidiger der Rundfunk- und Pressefrei- Information über eigene Anstrengungen und eigene heit gemacht hat: Sprechen Sie mit Ihrem saarländi- Sparmaßnahmen dieser öffentlich-rechtlichen Sy- schen Kollegen darüber, welches Pressegesetz er ge- steme hat. macht hat! Wir nehmen das so nicht entgegen. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Es hat eben nicht die Notwendigkeit gegeben, al- GRÜNEN) les für öffentlich-rechtlich zu erklären, was gemacht worden ist. Es war nicht notwendig, den Markt für Wir nehmen es so nicht entgegen, daß man sich hier Private derart zuzumachen, wie das mit vielen Hör- zum Verteidiger einer Meinungsfreiheit aufschwingt funkprogrammen in Deutschland geschehen ist. Das und in den eigenen Reihen eine Persönlichkeit hat, ist auch ein Ausdruck mangelnder Souveränität der die das Wort „Schweinejournalismus" geprägt und Öffentlich-Rechtlichen gewesen. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1059

Dr. Wolfgang Gerhardt Es war nicht notwendig, alles in den Rundfunkan- nicht nur Sendboten ohne eigene Anstrengungen stalten bis zum letzten Beschäftigungsverhältnis sel- aus dem öffentlich-rechtlichen System. Wir wollen, ber zu machen, ohne je über private Vergabe nach- daß es seine Funktion weiter erfüllt. Wir möchten zudenken. Es war auch nicht notwendig, diese Ge- aber größere Kraftanstrengungen im öffentlichen haltsstruktur, diese Einkommensstruktur, diese Ver- System selbst. tragsstruktur in den Rundfunkanstalten zu machen. Die F.D.P. wird - aber ganz eindeutig - jedem Ver- Mir hat sich nie erschlossen, weshalb der Intendant such, gleich von welcher Seite, entgegentreten, über eines Rundfunks tatsächlich ein deutlich höheres Einsparwünsche, über strukturelle Veränderungen, Einkommen hat als der Ministerpräsident des diesbe- politische Einflußnahme zu ermöglichen. züglichen Landes. Da sind Verantwortungsdimensio- nen und Einkommensdimensionen nicht mehr in (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Ordnung. DIE GRÜNEN]: Alle Seiten zittern!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Dafür sind wir da. Das ist unsere Funktion. Es gibt die F.D.P. als Hüter der Presse-, Meinungs- und Infor- Es ist kein Angriff auf die Rundfunkfreiheit, wenn mationsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland. man das ausspricht, wenn man bei einer Entwick- - lungsgarantie auch sagt, daß man am Schluß der Ge- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ bührenperiode erwartet, daß Rationalisierungspoten- DIE GRÜNEN]: Der Bundeskanzler kriegt tiale auszuschöpfen sind. Wir empfehlen im übrigen Schüttelfrost!) dringend mehr Staatsferne. Wir kommen diesem Verfassungsauftrag nach. Ich sage dem hessischen Ministerpräsidenten: Herr Herzlichen Dank. Ministerpräsident, mit uns hätten Sie das hessische Rundfunkgesetz - mit weniger politischen Repräsen- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - tanten in den Gremien - ändern können. Dr. Uwe Küster [SPD]: Das haben Sie ge- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ rade dem Bundeskanzler gesagt! Wunder- bar! — Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜND- DIE GRÜNEN]: Ich lache mich schlapp! NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kann sich Herr Was habt Ihr denn vier Jahre gemacht? Das Alterna ist doch lachhaft!) Kinkel entspannen: Der ist keine tive!) - Wir hätten dem Gremium ein Selbstberufungsrecht und Ergänzungen vorgegeben. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ der Abgeordnete Zwerenz. DIE GRÜNEN]: Vier Jahre!) - Herr Fischer, wir sind die in Hessen gewesen, die Gerhard Zwerenz (PDS): Frau Präsidentin! Meine auf Rundfunkzeiten verzichtet haben. Sie haben dies Damen und Herren! Den Zwischenruf „Stasi" kön- nur in der Pressemeldung genannt. Sie sind einer der nen Sie sich sparen. Ich habe mit der Stasi nichts zu unglaubwürdigsten Repräsentanten in dieser Diskus- tun. Meine Opfer-Akte der Stasi ist über dreieinhalb sion. Jahrzehnte lang. Ich habe hier das Vergnügen, mit den meisten mei- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ner Vorredner über einige Stellen einer Meinung zu Wir wollen feststellen, daß wir eine gute Mischung sein. Das brauche ich dann jetzt gar nicht mehr zu sa- in Deutschland haben. Uns kommt es auf Strukturre- gen. Fast jeder hat irgend etwas Richtiges gesagt; formen mit dem Ziel betriebswirtschaftlicher Ergeb- über das Unrichtige würde ich schweigen. nisse an. Es wird deshalb nicht alles heiliggespro- Worum geht es eigentlich? Es geht darum, daß Sie chen werden können, was es im öffentlich-rechtli- aus einer Situation, die gewiß reformbedürftig ist, chen Bereich gibt, um aus religiösen Gründen Verän- nun den üblichen großen Koalitionsstreit machen. Es derungssperren zu errichten. Die F.D.P. sieht eine mißfällt mir äußerst, daß dies jetzt eine Sache zwi- Grenze dort, wo wir über betriebswirtschaftliche Ein- schen CDU, CSU und SPD ist. Wir sind schließlich sparungswünsche - andere als in den Rund- auch noch da! funkanstalten - in die Nähe von direkter Einfluß- nahme auf Programm und Gestaltung kommen. (Lachen bei der CDU/CSU - Zuruf von der Dazu müssen wir aber in unserer Wächterfunktion - CDU/CSU: Leider!) auch nicht aus den Reihen der Sozialdemokraten, die im Saarland ein schlechtes Beispiel gegeben haben - - Wir wissen ja, daß Ihnen das nicht paßt. Aber uns nicht aufgefordert werden. bekommen Sie mit dem bißchen Puste, das Sie noch haben, noch lange nicht weg. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei der PDS) Wir werden uns gegen jeden solchen Versuch wehren. Worum geht es? Nachdem „Monitor" ein Telefonat der Männerfreunde Kohl und Jelzin so leichtfüßig Unser Interesse gilt der Frage, wie am Ende Spar- parodiert hatte, als sei der Krieg in Tschetschenien potentiale zustande kommen, die uns Politiker legiti- ein Saunaabend, bekam unser Bundeskanzler einen mieren, dem Verbraucher zu sagen, warum Gebüh- Wutausbruch, wie man in einer bestimmten Zeit- renerhöhungen gebraucht werden. Aber wir sind schrift nachlesen kann. Er beschloß, den WDR abzu- 1060 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Gerhard Zwerenz treiben, die ARD aufzulösen, das ZDF zu privilegie- Gemäß dem Gebot des Grundgesetzes, wonach ren und den großen Riesen - ich nehme an, sich eine Zensur nicht stattfindet - mir ist nicht bekannt, selbst - zum heimlichen großen Intendanten zu ma- daß im Grundgesetz bestimmte Medien von diesem chen. Gebot ausgenommen wären -, müssen die Freiheit von Information und Kreativität auch in der Unterhal- (Beifall bei der PDS) tung gewährleistet sein. Auch in der Unterhaltung gibt es Information und Kreativität. Auch hier muß Das wäre dann also die große Intendanz des Nachfol- Freiheit von Zensur gewährleistet sein. gefernsehens. Wir schlagen deswegen eine Indexierung der Wie soll dieses Fernsehen denn aussehen? Ich Funk- und Fernsehgebühren an die allgemeine stelle mir vor - auch wir sind Satiriker und Preisentwicklung vor. Damit sind die Streitigkeiten Parodisten -: Da ist der große Herr um Erhöhungen der Gebühren endgültig passé. Wir Chefredakteur, Herr Kinkel ist außenpolitischer Kor- fordern eine Pflicht zur Offenlegung des Besitzes, respondent, Ernst Jünger ist Wetterapostel, und Al- der Treuhand- und der Nutzungsverhältnisse sowohl fred Dregger ist für das Wort am Sonntag zuständig. bei Printmedien als auch bei elektronischen Medien. (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ Die Kultusminister der Länder haben nicht nur die DIE GRÜNEN) Pflicht, dafür zu sorgen, daß eine Alphabetisierung in Wort und Schrift stattfindet, sondern auch die Gemäß der neuen Kohl-Sendeordnung sind Satiren Pflicht, dafür zu sorgen, daß eine Alphabetisierung ein halbes Jahr vor Ausstrahlung zur Genehmigung in Bildern, d. h. eine Aneignung der Sprache der beim Wahrheitskollegium vorzulegen. Dies besteht Bilder, stattfindet. Diese Alphabetisierung der Bild- bekanntlich aus den Herren Biedenkopf und Stoiber, sprache sollte in den Schulen und auch in den und es kommt noch ein gewisser Herr Eggert hinzu. Hochschulen erfolgen. Dazu gibt es Ansätze. Diese Ansätze sind nicht weit genug geführt worden. Es (Zuruf des Abg. Siegfried Hornung [CDU/ gibt keine Ästhetik, es gibt keine Ethik dieser Bilder- CSU]) sprache.

- Sie können zwischenrufen, wie Sie wollen. Ich Diese Alphabetisierung ist als ein Bestandteil der weiß, daß Sie das jahrzehntelang geübt haben. Sie zweiten Aufklärung, die notwendig ist, durchaus an- sind noch immer so schlecht, wie Sie schon vor 30 gebracht, um nämlich mit dem Verständnis der me- Jahren gewesen sind. dialen Bildsprache irrationale Auswirkungen zu ver- meiden und auch eine gewisse Immunisierung zu er- (Beifall bei der PDS) reichen. Erst die Kenntnis der tiefen Dimension die- ser Bildersprache verhindert die inhumanen Folgen Natürlich müssen einige Satiren nicht vorher einge- solcher Filmprodukte und auch der damit verbunde- reicht werden. Das sind die großen Satiren gegen die nen Werbeprodukte. PDS. Diese können sofort abgenudelt werden. Dafür gibt es auch Sponsorengelder, in jeder Höhe. Sie lie- Da Kultur Ländersache ist, spielen wir, wie wir gen jederzeit bereit und sind anzapfbar. - Das ist die heute bemerkt haben, hier eine Art Länderkammer. neue Sendeordnung. Ich nehme an, daß der Bundeskanzler anschließend auch noch sprechen will. Er hat sich damit ja die Le- Des Kanzlers Plan, das Erste Programm zu zer- gitimität geschaffen. Dies akzeptieren wir durchaus. schlagen, wird inzwischen dementiert. Dann gibt es ein Dementi des Dementis. So geht das weiter. Das (Lachen bei der CDU/CSU - Zuruf von der ist die Dementitis. Des Kanzlers Plan, das Erste Pro- CDU/CSU: Sehr großzügig!) gramm zu zerschlagen, richtet sich direkt und unver- hüllt gegen den verbliebenen Rest eines Informati- Wir haben verstanden, daß es Ihnen um Macht geht, onspluralismus dieser Bonner Republik. Das ähnelt und Medienmacht ist Macht. Dies haben wir, dies hat fatalerweise den Versuchen des Kanzlerfreundes Jel- die Linke dieses Hauses sehr lange Zeit arg vernach- zin in Moskau, die dortigen Sender unter Regie- lässigt. rungskuratel zu stellen. Ich glaube, daß es von einiger Bedeutung ist, daß Im Konflikt um die Zukunft der ARD dürfen sich, der Bundeskanzler auch einen bestimmten Paradig- meinen wir, meine ich mit einer jahrzehntelangen Er- menwechsel vorgenommen hat. Ich erinnere mich fahrung in den Medien der Bundesrepublik, Sozial- noch sehr gut an die Zeit, als er sich in den öffentli- demokraten, GRÜNE und Liberale kein Schwanken chen Medien als ein Tucholsky-Fan gegeben hat. Ich und kein Ausweichen leisten. Es geht darum, das habe mich damals ein wenig gewundert. In der Zwi- Erstgeburtsrecht des Fernsehens in Deutschland - schenzeit wundere ich mich nicht mehr. Er ist mehr das Erste Fernsehen, die ARD, hat ein Erstgeburts- ein Ernst-Jünger-Jünger geworden, und dies paßt recht in diesem Lande - gegen die Willkür von Bie- auch mehr zu dieser Machtstruktur, auch zur Macht- denkopf, Stoiber und Kohl zu verteidigen. Das, was struktur in den Medien. wir hier an Reden gehört haben, war nichts anderes als rhetorische Willkür gegen das ARD-Programm. Es ist außerdem so, daß in der Zwischenzeit be- Ein bundesdeutsches Fernsehen ohne ARD wäre kanntgemacht worden ist, daß von einem Mann wie eine publizistische Selbstverstümmelung. Wir sollten Tucholsky auch solche Sätze übriggeblieben sind uns dies nicht leisten. wie „Soldaten sind Mörder". Das Zitieren dieses Sat- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1061

Gerhard Zwerenz zes ist zu unserer Freude vom Bundesverfassungsge- Lieber Herr Ministerpräsident Stoiber, daß es bei richt für nicht strafbar erklärt worden. der ARD und bei den Rundfunkanstalten Reformnot- wendigkeiten gibt, ist uns, die wir schon seit langer (Zuruf von der CDU/CSU: Große Fehlent Zeit miteinander über dieses Thema diskutieren, si- scheidung! - Weitere Zurufe von der CDU/ cherlich bekannt. Wenn Sie über eine Reform hätten CSU) diskutieren wollen, dann hätten Sie in diese Diskus- Übrigens hat 1932 das Reichsgericht denselben sion nicht die Kritik beispielsweise an einer Rund- Spruch gefällt und Ossietzky und Tucholsky zweimal funkanstalt, dem WDR, hineinmischen dürfen. Das freigesprochen. Sie wollen doch nicht hinter das war in sich völlig inkonsequent. Reichsgericht der Weimarer Republik zurückgehen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) meine Herren? Die Sendung, die Sie da kritisiert haben, Herr Bun- Ich plädiere dafür, daß diese publizistische Macht- deskanzler, war eine ärgerliche Bemerkung zu Herrn sicherung durch eine demokratische pluralistische Fritzenkötter beim Spaghettiessen wert. Das wäre Gegenmachtsicherung aufgehoben wird. Diese ARD richtig gewesen. Aber ein Bundeskanzler - auch muß gewiß reformiert werden; dies sagen wir seit wenn er den Hut des Parteivorsitzenden dabei- Jahren, eigentlich seit Jahrzehnten. aufsetzt -, der sich öffentlich gegen eine Rundfunk- (Zurufe von der CDU/CSU) anstalt äußert und damit an der Demontage einer An- stalt mitwirkt, die seit 40 Jahren in dieser Demokratie - Das haben wir von Anfang an gesagt. Meine Her- mitarbeitet und in der 4 000 Menschen arbeiten, ge- ren, mir können Sie doch nichts erzählen. Ich war be- rät außer Rand und Band. Das ist die Situation, meine reits ein Autor fürs Fernsehen, als Ihre Seite versucht Damen und Herren! hat, das Adenauer-Fernsehen zu installieren. Schon damals war ich dabei und habe fürs Fernsehen ge- (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der schrieben. Mich brauchen Sie nicht zu belehren. CDU/CSU) Schauen Sie, wir reden über das Was ich weiß und was ich gelernt habe, ist, daß wir Verfassungsge- Dieses hat im dritten Leitsatz des Gebührenur- unbedingt pluralistische Strukturen beibehalten, ja richt. teils wörtlich gesagt: neuerdings erst wieder durchsetzen müssen; denn wenn jemand dieses Fernsehen in die Hand be- Die Gebühr darf nicht zu Zwecken der Pro- kommt, ist dies ein großes Übel für den weiteren grammlenkung oder der Medienpolitik einge- Gang dieser Demokratie und dieser Pluralität. setzt werden. Wir brauchen mehr Pluralität in den Medien, ins- (Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Weiterle besondere im Fernsehen. sen!) Ich danke Ihnen. Es hat weiter gesagt: Wir brauchen eine vorsichtige, eine neukonzipierte Kommission, die über Gebüh- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne renerhöhungen entscheidet. Und schließlich sagt es: ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kein politischer Druck! - Aber bevor die Kommission überhaupt entschieden hat, kommt der Kanzler und Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat sagt: Eine weitere Erhöhung der Rundfunkgebühren jetzt der Kollege Peter Glotz. kommt nicht in Frage. — Das ist eine Einmischung, die Ihnen schlicht nicht zusteht, Herr Kohl! Dr. Peter Glotz (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne verehrten Damen und Herren! In Italien herrscht - ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Herr Kollege Schlauch hat vorhin darauf hingewie- und der F.D.P.) sen - der Berlusconismus. In Deutschland hat der Das heißt ausdrücklich, Herr Ministerpräsident: Es ist größte Filmhändler, Kirch, 55 000 Programmstunden möglich, über Reform zu diskutieren. Aber Reform und 15 000 Filme - die größten Major-Companies in mit der Abrißbirne und mit der Planierraupe, das den Vereinigten Staaten haben 12 000 Filme -, er ist macht keinen Sinn. gleichzeitig an drei Fernsehanstalten beteiligt und hat einen großen Einfluß auf einen der größten Print- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne medienkonzerne. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Statt in dieser Situation auf neue Konzentrationsre- Und damit bin ich bei der mangelnden Unterschei- gelungen zu sinnen, damit demokratisches Gleichge- dungsfähigkeit auch von Leuten, die sich schon wicht gewahrt wird, greifen zwei Ministerpräsiden- lange mit Medien beschäftigen, wie Edmund Stoiber. ten und der Bundeskanzler die ARD an. Wenn ich Warum unterscheiden Sie denn nicht zwischen Ratio- das sehe, kann ich nur sagen: Herr Kohl, Sie haben nalisierung, Herr Ministerpräsident, Programmein- alle Proportionen verloren. schränkung, Zerschlagung und Einstellung ganzer Rundfunkanstalten? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Also, Rationalisierung würde heißen: Das gleiche, und der PDS - Joseph Fischer [Frankfurt] was jetzt an Programm geliefert wird, kann man auch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist billiger liefern. - Das kann man, und darüber muß wahr!) man diskutieren. 1062 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Dr. Peter Glotz Schon bei Programmeinschränkung würde die Pa- erhoffen. Das machen wir nicht mit, meine Damen lette gegenüber dem Kunden, dem Zuschauer, ver- und Herren. ringert. Aber auch über Einschränkungen einzelner Programme kann man selbstverständlich diskutieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Die ARD hat ihr Satellitenprogramm kürzlich mit ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dem ZDF zusammengelegt. Solche Maßnahmen sind Meine Schlußbemerkung ist sehr grundsätzlicher sicher auch im Hörfunkbereich da und dort denkbar. Natur. Ich bin der Überzeugung - Sie müssen sie nicht teilen, aber ich weiß, daß viele sie teilen, Herr Aber jetzt ganze Rundfunkanstalten, deren Pro- Scholz -, daß die öffentlich-rechtlichen Rundfunkan- gramme ja doch auch Ausdruck eines Bundeslandes stalten gemeinsam mit der Müller-Armackschen Idee sind, der geistige Ausdruck dessen, was in dem je- der Sozialen Marktwirtschaft, gemeinsam mit der weiligen Bundesland stattfindet, einfach wegzuräu- Konstruktion der Einheitsgewerkschaften und der men und das in einem Atemzug zu diskutieren, das Tarifautonomie die tragenden Säulen dieser zweiten ist nicht logisch. Wer bayerische Interessen vertritt, Republik waren und noch immer sind. lieber Herr Stoiber, müßte auch saarländische oder bremische Interessen verstehen können. (Zuruf von der SPD: Und auch bleiben!) - (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Das war über viele Jahrzehnte die gemeinsame Auf- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) fassung der demokratischen Parteien und der Reprä- sentanten dieser demokratischen Parteien. Daß aus- Die Zerstörung der Stimme eines Landes aus rein gerechnet der Bundeskanzler jetzt an diesem Kon- rechnerischen Gründen ist für mich nicht Föderalis- sens herummurkst, ist schandbar und schädlich. mus, sondern das ist für mich Kameralistik, Herr Stoi- ber. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne und der PDS - Widerspruch bei der CDU/ ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) CSU)

Also, die „Abtreibung" kleiner Rundfunkanstalten Das Wort hat ist für mich antiföderalistisch. Ich halte das für falsch. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: der Abgeordnete Rupert Scholz. Und ich sage gerade Ihnen als jemandem, der, wie Sie so nett sagten, 15 Jahre im bayerischen Rundfunk- rat war: Es geht nicht nur um Pluralismus zwischen Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! den Anstalten, gleich großen, sondern es geht auch Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist um Pluralismus in den Anstalten selbst, einschließ- schon ein eigentümliches Verfassungsverständnis, lich des Bayerischen Rundfunks. das hier zelebriert wird: Da wird der Bundeskanzler kritisiert, weil er als Bundesvorsitzender der Union - (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne selbstverständlich in dieser Funktion - zu zentralen ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Fragen unseres Medienrechts und unserer Medien- und der F.D.P. - Zuruf von der CDU/CSU) politik Stellung nimmt. - Aller Rundfunkanstalten. Da bekommen wir auf der anderen Seite eine Re- solution der SPD auf den Tisch. Da soll der Deutsche Ich füge hinzu, daß das Verfassungsgericht den öf- Bundestag die Länder auffordern - das muß man sich fentlich-rechtlichen Anstalten nicht nur eine Be- auf der Zunge zergehen lassen, wenn man das ver- standsgarantie, sondern auch eine Entwicklungsga- fassungsrechtlich bewertet -, Konzentrationskon- rantie gegeben hat. Jetzt stehen wir vor einer völlig trolle einzuleiten. neuen technischen Entwicklung: dem digitalen Fernsehen. (Dr. Peter Glotz [SPD]: Rundfunkrechtlich!) Das geht den Bundestag überhaupt nichts an, meine (Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Sehr rich Damen und Herren! Das ist Länderkompetenz! tig!) (Beifall bei der CDU/CSU) - Lieber Herr Scholz, weil Sie „Sehr richtig!" dazwi- schenrufen: Deswegen ist es illegitim, den Versuch Die SPD geht weiter: Sie droht an, daß der Bundes- zu machen, diese neue technische Entwicklung nur tag im anderen Fall kartellrechtliche Maßnahmen den Privaten vorzubehalten, die Offentlich-Rechtli- nach Art. 74 Nr. 16 des Grundgesetzes prüfen wird. chen aber völlig davon auszuschließen. Das darf man Das ist gar nicht Zuständigkeit des Bundestages. nicht machen. (Freimut Duve [SPD]: Und auch nicht des (Beifall bei der SPD) Bundeskanzlers!) Das ist Ländersache. Sie, meine Damen und Herren, reden ständig von Deregulierung, von Wettbewerb, von der Zulassung Aber man kann über das Verfassungsbewußtsein neuer Wettbewerber. Aber Sie wollen alte Run dfunk- der Opposition vielfältig reflektieren. Herr Eichel, Sie anstalten von dieser modernen Technik ausschließen. haben gesagt: „Monitor" muß man ertragen. Ich Das ist illegitim und nur eine Begünstigung bestimm- gebe zu: Es fällt manchmal schwer - Ihnen wahr- ter Unternehmer, von denen Sie sich Unterstützung scheinlich weniger. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1063

Dr. Rupert Scholz Aber ich hätte unter verfassungsrechtlichen vor allem wenn ich dieses Geld als Bürger ohne Aspekten auch etwas erwartet - diese abscheulichen Rücksicht darauf zahlen muß, Zynismen in jener Sendung, die wir alle vor Augen (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das nehmen haben, die Herr Schlauch eben noch einmal hochge- Sie den Kindern weg!) jubelt hat -: inwieweit ich die Leistungen des öffentlichen Rund- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ funks und Fernsehens überhaupt in Anspruch DIE GRÜNEN]: Wie zynisch war denn die nehme. Haltung der Bundesregierung? Wer war da zynisch? Wie war denn die Haltung der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Bundesregierung in der Weihnachtszeit? Detlev von Larcher [SPD]: Diese Steuerer- Das ist ja unglaublich! Soll ich noch mehr höhungspartei lamentiert hier herum!) Briefe aus dem Auswärtigen Amt liefern?) Das Bundesverfassungsgericht ist hier natürlich Auch ein Bundeskanzler, auch die Medien haben das unvollkommen zitiert worden, Persönlichkeitsrecht unserer Verfassung zu achten. (Freimut Duve [SPD]: Nun lesen Sie das Auch das ist Verfassung! ganze Urteil vor!) - (Beifall bei der CDU/CSU - Rezzo Schlauch wie das Ihrem Scheinverfassungsverständnis ent- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir spricht. Das Bundesverfassungsgericht hat zur Ge- aber von der Zensur nicht mehr weit ent bührenpolitik in den von Ihnen nicht mehr verlese- fernt, Herr Verfassungsrechtler!) nen Leitsätzen, Herr Glotz, sehr ausführlich Wirt- schaftlichkeit, Sparsamkeit und die Berücksichti- Unsere Verfassung ist bei der Rundfunkfreiheit gung der Interessen der Gebührenzahler gefordert. sehr klar: Sie garantiert in der Tat den staatsfreien Funk, sie garantiert das duale System, sie garantiert (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Richtig!) die Programmfreiheit, sie garantiert die Grundversor- Das sind die entscheidenden Maßstäbe. Für nichts gung, aber sie garantiert auch den Wettbewerb. Das anderes setzen wir uns hier ein. sind die Grundpfeiler, wie sie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkfreiheit (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gemäß Art. 5 GG zum Ausdruck gebracht hat. Nie- DIE GRÜNEN - Joseph Fischer [Frankfurt] mand darf in der Tat in die Programmfreiheit eingrei- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mir kommen fen. die Tränen, Tränen der Rührung!) Richtig ist auch, Herr Glotz, daß eine Bestands- Meine Damen und Herren, es geht nicht mehr so und Entwicklungsgarantie für die öffentlichen weiter, Rundfunkanstalten gegeben ist. Das ist richtig. Sie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ haben eben mit Recht ebenfalls darauf hingewiesen, DIE GRÜNEN - Joseph Fischer [Frankfurt] daß wir im Zuge der Digitalisierung vor grundlegend [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Schmie- neuen Entwicklungen stehen. renstück!) Wohlgemerkt, um das klarzustellen: Wir sind nicht daß wir das System eines ausgewogenen Wettbe- der Meinung, daß die öffentlichen Rundfunkanstal- werbs zwischen öffentlichen und privaten Rund- ten hier auszuschließen sind - keineswegs. Aber sie funkanstalten über die Selbstkommerzialisierung der müssen sich diesen neuen Herausforderungen stel- öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zuneh- len. mend unterlaufen. Die Ausdehnung der Werbung, die Ausdehnung des Sponsoring - das geht nicht Sie müssen sich ihnen auch mit der Maßgabe des- mehr. Machen Sie das dem Bürger einmal klar: Er sen stellen, was Finanzierung heißt: 7 Milliarden DM zahlt seine Gebühr, und zu Sendungen, die eindeutig - Herr Stoiber hat darauf hingewiesen - beträgt das zur Grundversorgung gehören, bekommt er mitge- Gebührenaufkommen. teilt, sie seien ihm von der Brauerei XY bzw. der Wet- (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ terbericht sei ihm von der Brauerei Z serviert worden. NEN]: Das hat auch das Bundesverfas Vielleicht kommen wir eines Tages allerdings da- sungsgericht gewußt!) hin - das räume ich Ihnen ein -, daß „Monitor" von 7 Milliarden DM - das ist ein Betrag, den der Bürger einer Schnapsbrennerei gesponsort wird. Das würde wirklich einmal realisieren muß. manche Dinge verständlicher machen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ der CDU/CSU) DIE GRÜNEN]: Und da redet er über Zynis mus!) Es ist von entscheidender Bedeutung, meine Da- men und Herren, daß die öffentlich-rechtlichen Da schreibt zwar Ihr Herr Klimmt heute in der Rundfunkanstalten sich in der Grundversorgung auf „Frankfurter Rundschau" vom „Lamento". Aber das konzentrieren, was Gebührenfinanzierung heißt. 23,80 DM im Monat sind eine Menge Geld, Damit muß auch das Gebührensystem reformiert (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sagen Sie werden und damit müssen auch die Verteilungsmaß- das einmal Herrn Waigel!) stäbe reformiert werden. 1064 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Dr. Rupert Scholz Herr Stoiber hat mit Recht darauf hingewiesen: Meine Damen und Herren, ich räume gern ein, daß Nur 30 % für das ZDF. Herr Stolte beklagt das mit man - das ist wahrscheinlich in der Natur der Sache Recht, und er ruft nach der Öffnung der Grenzen: eingeschlossen - über Medien auch emotional strei- Werbung nach 20 Uhr. Das ist nicht der richtige Weg. tet. Aber emotionaler Streit dieser Art muß im Ergeb- Aber Herr Stolte ist unbestreitbar in einer Notlage, nis sachlich sein und auf Sachlichkeit zurückgeführt weil er nicht mehr aus diesem Dilemma heraus- werden. kommt. 7 Milliarden DM müssen gerechter verteilt werden. Das ist unsere Auffassung. Entscheidend ist: Wir brauchen eine Reform unse- rer rundfunkrechtlichen Strukturen. Wir brauchen Meine Damen und Herren, die öffentlich-rechtli- eine Reform, die wieder wettbewerbsfähige Einhei- chen Rundfunkanstalten müssen sich den Reformen ten schafft. Wir brauchen dies auch im Licht des Fö- stellen. Herr Glotz, das ist auch Ihre Meinung. deralismus. Es geht nicht an, daß eine Anstalt - der WDR - 21 % des Gebührenaufkommens empfängt. Mit Erlaubnis der Frau Präsidentin möchte ich eine Eine Anstalt in einem Bundesland unter 16 hat 21 %! Äußerung von Ihnen zitieren, dem Medienpolitiker Das ist unausgewogen. der SPD, Peter Glotz, im Branchendienst „text in- - tern" am 29. Dezember 1993: (Zurufe von der SPD) Wer sich zum Föderalismus bekennt, muß sich Frage: Noch ein Wort zu ARD zu ZDF. Hat der öf- auch zur Ausgewogenheit bekennen, muß sich zu ei- fentlich-rechtliche Rundfunk in Ihren Augen nem ausgewogenen Wettbewerb bekennen, muß noch eine Zukunft? sich zur Vielfalt bekennen. In diesem Sinn begrüßen wir die Thesen der Ministerpräsidenten Biedenkopf Antwort Peter Glotz: Unter den jetzigen Gege- und Stoiber. Sie haben einen wichtigen, einen ent- benheiten sicher nicht. scheidenden Anstoß zu der Debatte gegeben. Wir la- den Sie ein, an dieser Debatte sachlich teilzuneh- (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) men. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat über- Warum soll das übrigens nicht auch einmal im haupt nur dann eine Zukunft, wenn sich die Ma- Deutschen Bundestag geschehen, allerdings nicht nager von ihrer selbstbewußten Arroganz verab- mit solchen verfassungswidrigen Vorschlägen, wie schieden, ihre Anstalten rationalisieren und Lean Sie sie gemacht haben, sondern verfassungsmäßig. management betreiben. Der Deutsche Bundestag hat ebenfalls das Recht, hierzu zu sprechen, und nicht zuletzt der Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kanzler Helmut Kohl. Das ZDF versucht das, indem allein im Etat für Vielen Dank. 1994 einige Millionen DM gestrichen werden sol- len. Bei der ARD gibt es zwar einzelne Anstalten, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge die dasselbe tun; andere aber gründen jetzt noch ordneten der F.D.P.) weitere Hörfunkprogramme, ohne andere zu streichen. Das halte ich für verwegen und für Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat fragwürdig. In ihrer heutigen Konstruktion gebe der Abgeordnete Fischer (Frankfurt). ich der ARD eine schlechte Prognose, wenn sie ihre Politik nicht verändert. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Der hat doch schon die ganze Zeit geredet! - Meine Damen und Herren, das sind Töne, lieber [CDU/CSU]: Seine Zwi Herr Glotz, die nicht von uns sind und die wir nie- schenrufe müssen auf seine Redezeit ange mals so sprechen würden, weil wir zu dem dualen rechnet werden!) System unserer Rundfunkverfassung stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU) Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wir hier heute erleben, ist die Fortset- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege zung einer Art unglaublicher Heuchelei und ein Scholz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abge- Schmierenstück seitens der Union, angeführt von ordneten Glotz? ihrem Vorsitzenden und Bundeskanzler, Helmut Kohl. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Nein. Herr Glotz, ich habe Sie zitiert. Damit ist alles gesagt. Sie haben Sie kommen, Herr Stoiber, im Gewande eines Re- doch hier zusätzliche Minuten von mir bekommen. formators hierher. In Wirklichkeit betreiben Sie doch nur Ihre parteipolitischen Interessen mit der Abriß- (Zuruf von der SPD: Das ist unanständig! - birne gegen mißliebige Journalisten und mißliebige Otto Schily [SPD]: Das ist feige! - Ingrid Rundfunkanstalten. Matthäus-Maier [SPD]: Das ist arrogant! - Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Noch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ein bißchen weiterzitieren!) bei der SPD und der PDS) Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1065

Joseph Fischer (Frankfurt) Wir müssen doch, Herr Stoiber, überhaupt nicht über Sie wollen hier eine Form von Kanzlerfernsehen die Frage notwendiger Reformen reden - über den privaten Sektor und über die Dritten Pro- gramme durchsetzen. Das ist Ihre eigentliche Inten- (Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber tion. [Bayern]: Die blockieren!) (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Käse!) - nein, die blockieren überhaupt niemanden -, son- Das Sie dies als Bundeskanzler betreiben, Herr dern die entscheidende Frage ist: Sie verbinden not- Dr. Kohl - das behaupte ich -, geht direkt gegen die wendige Reformen schlicht und einfach damit, daß Verfassung, auch wenn Sie sich hier als Bundesvor- Sie eine grundsätzliche Veränderung der Rundfunk- sitzender der Union entsprechend darstellen. Sie landschaft wollen. Sie wollen erstens ein Stoiber-ge- selbst, Herr Bundeskanzler, haben sich den WDR als treues Regionalfernsehen oder ein Biedenkopf-ge- Feindbild ausgesucht. Sie selbst haben sich hinge- treues oder ein Kanzler-Fernsehen, und zum zweiten stellt und hier eine offene Feinderklärung produziert. wollen Sie - hier sind Sie im Grunde genommen Ich frage Sie: Ist das mit unserer Verfassung verein- nichts anderes als derjenige, der den Auftrag der Pri- bar? Genauso frage ich Sie, wenn Sie sich hier hin- vaten umgesetzt hat; so wortwörtlich in Ihrem stellen. Daß sich ausgerechnet die Union zum Anwalt- Papier - die Landschaft auf Grund des nächsten tech- und zur Anwältin der Menschen macht, daß die Ge- nologischen Sprungs bei den televisionären Medien bühren nicht steigen, während sie gleichzeitig für die privaten Unternehmen planieren. Dies sollten Steuererhöhungs- und Gebührenerhöhungsweltmei- Sie auch so offen sagen. ster ist, meine Damen und Herren, zeigt doch, daß dies nur ein Vorwand ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) Damit kommen wir zum entscheidenden Punkt, meine Damen und Herren. Da hört die Freundlich- Wir wollen - und dafür werden wir kämpfen, und keit auf, Herr Bundeskanzler. Da können Sie sich ich bin sicher, in diesem Land gibt es dafür eine auch nicht in die Rolle des Landesvorsitzenden zu- große Mehrheit - ein klares Nein zu jedem Versuch, rückziehen. hier italienische Verhältnisse einzuführen. Wir wol- len einen klaren Ansatz zur Entflechtung der priva- (Zuruf von der CDU/CSU: Des Bundesvor ten Medienmacht. Ich möchte endlich auch die So- sitzenden!) zialdemokraten dazu aufrufen, die Möglichkeiten der Landesrundfunkgesetze endlich entschieden zu - Entschuldigung! Ich wollte Sie gerade mit Herrn nutzen. Es kann doch nicht sein, daß Herr Kirch über Stoiber auf eine Stufe stellen. Sie sind selbstverständ- Familienbeziehungen, über entsprechende Briefka- lich der Bundesvorsitzende! Entschuldigung! Ich stenfirmen und ähnliches informelle Macht in einem bitte ergebenst um Entschuldigung für diese Maje- Ausmaß konzentriert, wie es die Landesmedienge- stätsbeleidigung. Man muß sich hier ganz neue For- setze nicht zulassen. Da muß doch endlich Einhalt men angewöhnen. geboten werden, meine Damen und Herren.

Da hört die Freundlichkeit auf. Sie sind vorhin, als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, es um die Männerfreundschaft Berlusconi ging, auf bei der SPD und der PDS) die der Kollege Schlauch hingewiesen hat, Herr Bun- Wir fordern eine klare Bestandsgarantie für ein flä- deskanzler, relativ ausgeflippt. Ich möchte Ihnen ei- chendeckendes erstes Programm - das darf nicht Ge- nes sagen: Was hier in den letzten Wochen abgelau- genstand von Verhandlungen zwischen den Mini- fen ist und was die eigentliche Intention dessen ist, sterpräsidenten werden, meine Damen und Herren - was auch Sie ganz persönlich betreiben, läuft darauf und damit eine klare Absage für die Pläne von Stoi- hinaus, daß Sie erkannt haben, welche Bedeutung ber, Kohl und Biedenkopf. Medienmacht in der modernen Politik hat. Ich sage Ihnen: Gerade in Italien kann man sehen - und wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wollen solche italienischen Verhältnisse nicht -, bei der SPD und der PDS)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Darüber hinaus werden wir verfassungsrechtlich bei der SPD und der PDS) überprüfen lassen - das werden wir tun, Herr Bundeskanzler -, was die Bundesregierung über- wie es ist, Herr Bundeskanzler, wenn in einer Situa- haupt in den Aufsichts- und Verwaltungsgremien tion der Krise, der Institutionenkrise plötzlich demo- von ZDF und Deutschlandradio zu suchen hat und kratisch nicht kontrollierte und nicht mehr kontrol- inwieweit dies mit den Verfassungsgrundsätzen der lierbare Medienmacht dazu eingesetzt wird, politi- Rundfunkfreiheit vereinbar ist. sche Macht zu produzieren. Dies ist - das behaupte (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das ist ja ich und werfe es Ihnen vor - die eigentliche Inten- schrecklich! Wir bekommen ja richtig tion: dieses unangenehme ARD-Fernsehen flächen- Angst!) deckend wegzubekommen. Das ist der eigentliche Grund, der hinter allem steckt. Ein letztes: Bei allem Reformbedarf dürfen wir die finanzielle Erdrosselung der öffentlich-rechtlichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sender nicht zulassen. Sie stellen sich hierhin und und bei der SPD) beklagen in durchsichtiger Absicht immer wieder 1066 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Joseph Fischer (Frankfurt) diese 7 Milliarden DM. Das ist doch eine Rechnungs- des Grundgesetzes. Aber, der Föderalismus führt einheit, die seit der Ära Waigel/Kohl niemanden auch zu komplizierten Entscheidungswegen, vor al- mehr aufregt, meine Damen und Herren. Schauen lem wenn Übereinstimmung aller Bundesländer bei Sie sich doch einmal genau an, welche 7-Milliarden- der Ausgestaltung von Staatsverträgen angestrebt DM-Defizite, die zu decken sind, Sie fast täglich neu wird. Wir fordern daher die Länder zu einer einver- produzieren! nehmlichen Strukturreform der ARD auf, um die Ef- fektivität des föderalen Systems in diesem Bereich (Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Fragen Sie unter Beweis zu stellen. Als Bundestagsfraktion kön- mal den Bürger, was er davon hält!) nen wir sie dabei nur mit Erwartungen konfrontie- Sie kommen mit diesen 7 Milliarden DM an, fügen ren. aber nicht hinzu - gerade Sie als Verfassungsrechtler, Erstens. Wir sind gegen Parteiensender jeder Art. Herr Scholz -, daß das Bundesverfassungsgericht ohne Wenn und Aber klar gesagt hat, daß es für eine (Beifall bei der F.D.P.) ausreichende Grundversorgung ein gebührenfinan- ziertes Fernsehen geben muß, weil dies ein elemen- Die F.D.P. tritt strikt für das Gebot der Staatsferne tarer Grundsatz unserer Verfassung und unserer Ver- und damit der Parteienferne aller Rundfunksender - fassungswirklichkeit ist. ein. Die Diskussion in den vergangenen Tagen ist bisweilen in einer Form geführt worden, durch die Deswegen zum Schluß, Herr Bundeskanzler: sich den Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck auf- gedrängt hat, den großen Parteien gehe es vorwie- (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Schon wieder gend um die Wahrung ihrer eigenen politischen Ein- zum Schluß! Wie oft denn noch?) flußnahme auf die Fernsehanstalten. Wir fordern Sie auf, nicht nur in Interviews, nicht nur (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das ist ja auch so!) draußen in irgendwelchen Parteigremien, sondern in Ihrer Verantwortung als Bundeskanzler hier vor dem Die durchaus notwendigen Reformen dürfen aber Deutschen Bundestag zu Ihren Absichten, Ihren Plä- nichts mit Disziplinierung mißliebiger Journalisten nen und Ihren Angriffen klar Stellung zu beziehen. zu tun haben. Kneifen Sie nicht länger! (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dies wäre ein Angriff auf die Pressefreiheit. Jeder der PDS - Zurufe von der CDU/CSU) weiß, daß es zu den großen Traditionen des Liberalis- mus gehört, sich jeglichen offenen oder verdeckten Angriffen auf die Pressefreiheit zu widersetzen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Kollege Stadler. (Beifall bei der F.D.P.) Sie, Herr Ministerpräsident Stoiber, wären als Re- Dr. Max Stadler (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine former etwas glaubwürdiger, wenn es nicht eine Damen und Herren! Die F.D.P.-Bundestagsfraktion bayerische Vorgeschichte gäbe, die natürlich analog hegt in der derzeitigen medienpolitischen Situation auf den WDR genauso zutrifft. bestimmte Erwartungen an die Bundesländer. Un- sere Eckpunkte lauten: Staats- und Parteienferne der Bei der CSU ist es ja gerade sprichwörtlich gewor- Rundfunkanstalten, Erhalt des Gemeinschaftspro- den, Einfluß auf den Bayerischen Rundfunk über die gramms der ARD bei gleichzeitiger Strukturreform, Personalpolitik und über den Rundfunkrat zu neh- Ausnutzung des Spielraums für Einsparungen statt men. Deshalb ist es leicht nachvollziehbar, daß Sie Gebührenerhöhungen, Sicherung von Meinungsviel- das Dritte Programm zu einem Vollprogramm ausge- falt und Wettbewerb durch Antikonzentrationsrege- baut haben, nun das Loblied dieses Dritten Pro- lungen bei den Privatsendern und schließlich Zu- gramms singen und das Erste Programm hintanstel- rückdrängen des Parteieneinflusses auf die Rund- len wollen. Das muß man hier unter Bayern einander funkräte und sonstigen Kontrollgremien. durchaus einmal sagen dürfen. (Beifall bei der F.D.P. und des Abg. Joseph (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ten der SPD - Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das ist NEN]) Hofberichterstattung!) Bei der Durchführung dieser Vorhaben, Herr Fi- Zweitens. Die F.D.P. bekennt sich eindeutig zum scher, geht es allerdings beileibe nicht um italieni- dualen System. Im öffentlich-rechtlichen Bereich sche Verhältnisse. Es geht vielmehr um zentrale Fra- streben wir weder die Privatisierung des ZDF noch gen unserer freiheitlichen Verfassung. Daran, wie die Abschaffung der ARD an. Das heißt im Klartext: diese Fragen gelöst werden, wird man ermessen kön- Wir wollen auch, daß es weiterhin das Erste Fernseh- nen, ob die Parteien, und zwar alle, in der Lage sind, programm in der bisherigen oder einer ähnlichen eigenen Einfluß zugunsten von Meinungsvielfalt und Form gibt. Der bekannte Passauer Medienrechtler Professor Bethge hat bei einem Symposion am 13. Ja- Pressefreiheit zurückzunehmen. Kurz gesagt: Es geht um die Frage von Machtverzicht. nuar 1995 in München sogar die Auffassung vertre- ten, die föderative Ordnung des Grundgesetzes ge- Vor allem aber steht die Leistungsfähigkeit des Fö- biete es geradezu, ein bundesweites öffentlich- deralismus auf dem Prüfstand: Der Föderalismus ist rechtliches Vollprogramm anzubieten, das nach Art aus gutem Grunde ein maßgebliches Strukturprinzip der jetzigen ARD von den Rundfunkanstalten der Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1067

Dr. Max Stadler Länder gemeinsam zu gestalten sei. Ein Angebot le- der Aufsichtsgremien muß dringend geändert wer- diglich aus dem eher zentralistisch ausgestalteten den. Der dominierende Einfluß von Landesregierun- ZDF in Verbindung mit den regionalorientierten Drit- gen, Landesparlamenten und damit Parteien muß zu- ten Programmen würde nach Meinung Bethges den rückgedrängt werden. verfassungsrechtlichen Vorgaben gerade nicht ent- sprechen. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Das heißt, wir sind bei dem zentralen Punkt Ihrer Wir haben dazu in unserem Bundestagswahlpro- Argumentation: Gerade aus Gründen des Föderalis- gramm konkrete Vorschläge vorgelegt, u. a. die Be- mus ist es erforderlich, daß es das Vollprogramm der teiligung auch derer, auf die es ankommt: der Ge- ARD weiter gibt, weil sich eben darin die unser Land bührenzahler. auszeichnende Vielfalt am besten widerspiegelt. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der SPD) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wir hoffen, daß die Parteien, daß wir Ob man sich dieser Auffassung aus verfassungs- Parteien stark genug sind, auf eigenen Einfluß im- rechtlichen Gründen anschließen mag, kann der Dis- Rundfunkbereich zu verzichten. Wir hoffen, daß die kussion unter Staatsrechtlern vorbehalten bleiben. föderale Grundordnung effizient genug ist, die Wir wollen das aber aus politischen Gründen weiter- schwierigen Strukturprobleme zu bewältigen. hin so haben. Drittens. Allerdings erwarten wir eine strukturelle Vielen Dank. Reform der ARD; wir erwarten äußerst sparsames (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Wirtschaften: Einsparungen haben Vorrang vor ei- ten der SPD) nem erneuten Drehen an der Gebührenschraube. Wir erwarten von den gebührenfinanzierten Rund- Finanzgebaren, das Gebührener- funkanstalten ein Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat höhungen - jedenfalls zum gegenwärtigen Zeit- jetzt der Abgeordnete Rudolf Scharping. punkt - überflüssig macht. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Rudolf Scharping (SPD): Frau Präsidentin! Meine Viertens. Die Strukturreform der ARD ist eine Auf- sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Debatte gabe der Bundesländer. Es muß aber gewährleistet ist das Wort „Zynismus" gefallen. Ich frage mich, ob sein, daß diese Strukturreform ausschließlich auf grö- der Bundeskanzler eine gewisse Zeit nur deswegen ßere betriebswirtschaftliche Effizienz abzielt und daß hier verbringt, um dem Gespräch mit dem russischen es nicht um verdeckte Einflußnahme auf Programm Menschenrechtler Kowaljow zu entgehen. und Personen geht. (Widerspruch bei der CDU/CSU - Wolfgang (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Zöller [CDU/CSU]: Schämen Sie sich! Das Gegen Eingriffe in die Pressefreiheit haben wir uns darf doch nicht wahr sein! So ein Dumm- im Saarland zur Wehr gesetzt, und wir würden das quasseler! Das ist skandalös, was Sie hier auch in diesem Falle tun. loslassen! - Eduard Oswald [CDU/CSU]: Unglaublich!) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Ich finde es jedenfalls hochbeachtlich, sich im Zu- Wie die Strukturreform im Detail aussieht, ist Sa- sammenhang mit einem Beitrag von „Monitor" auf- che der Länderparlamente; dazu machen wir als zuregen und dann gleichzeitig im Bundestag die Ge- Bundestagsfraktion bewußt keine Vorschläge. legenheit zu nutzen, hier zu sitzen und einen Vor- Fünftens. Meine Damen und Herren, die Gesetzge- wand zu schaffen, um dem Gespräch mit Herrn Ko- ber in den Bundesländern haben zudem zwei weitere waljow auszuweichen, anstatt hier einmal etwas zu wichtige legislatorische Aufgaben noch nicht gelöst: den eigenen Vorstellungen zu sagen. Das finde ich hochbeachtlich. a) Die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, das Prinzip der Staatsferne auch bei der Gebühren- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph festsetzung zu verwirklichen, ist bisher nirgends rea- Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lisiert worden. NEN])

b) Im Bereich der p rivaten Rundfunk- und Fern- Es ist mir doch völlig gleichgültig, ob der Bundes- sehsender gibt es bisher keine überzeugenden Mo- kanzler als CDU-Vorsitzender oder als Bundeskanz- delle, wie Meinungsvielfalt und Wettbewerb durch ler redet. Jeder weiß, daß er seit Jahren eine ausge- Konzentrationsbeschränkungen praktikabel gesi- prägte Apathie gegen jede Form von Transparenz chert werden können. und Kritik hat. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Sechstens. Es ist schließlich eine zentrale Aufgabe Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Scharping, zur Sicherung der Staats- und Parteienferne der gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rundfunkanstalten ungelöst: Die Zusammensetzung Schäuble? 1068 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Rudolf Scharping (SPD): Nein, ich halte es jetzt mit ker in die Gremien der Rundfunkanstalten holt, da Herrn Scholz. war es doch die Union, die auf der Ebene der Mini- sterpräsidenten alle diese Entwicklungen zu blockie- (Lachen bei der CDU/CSU - Joseph Fischer ren versucht hat. [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und mit Herrn Großreformator Stoiber, der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Angst vor Zwischenfragen hat!) DIE GRÜNEN sowie des Abg. Heinrich - Das ist doch völlig klar. Sie können doch nicht mit Graf von Einsiedel [PDS] - Dr. Uwe Küster [SPD]: Unglaublich!) Ihren Rednern Maßstäbe setzen und dann so tun, als müßten wir uns anders verhalten. Ich denke gar nicht daran. Es ist die reine Heuchelei, wenn Sie sich hier hinstel- len und von Vielfalt reden, die Sie an anderer Stelle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne genau verhindert haben. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Heinrich Graf von Einsiedel Es wird davon gesprochen, das Erste Programm sei [PDS]) zu teuer, es solle schlanker werden und die dritten - Programme müßten dann einen anderen Stellenwert Selbst wenn man sich mit dem CDU-Bundesvorsit- bekommen. Dann frage ich einmal die Ministerpräsi- zenden auseinandersetzt, bleibt eine Frage: Wie will denten wie den Kollege Stoiber: Was bieten Sie dem der Vorsitzende einer Partei, die sich christlich nennt, Gemeinschaftsprogramm, in dem der Bayerische eigentlich vertreten, daß die kulturelle Vielfalt und Rundfunk feste Plätze hat, eigentlich an? anständige, kinderfördernde, medienpädagogisch aufgebaute Sendungen dem Kommerz unterworfen (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ werden? Wo außer bei den Öffentlich-Rechtlichen DIE GRÜNEN]: „Report", München!) gibt es das denn im dualen System? Wie können Sie hier eigentlich behaupten, es gebe (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE dort keine Chance, der sei zu stark, weil er GRÜNEN und der PDS) WDR 21 % der Gebühren bekomme? Nun gut, in diesem Wo soll denn Ihre sogenannte Verschlankung statt- Land leben auch 18 Millionen Menschen. finden? Auch ich gucke ja schon Programme p rivater Anbieter an. Und dennoch, so glaube ich, sind viele (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!) Menschen in diesem Land außerordentlich froh, daß sie einmal eine kulturell wertvolle, eine informie- Der WDR bekommt genau den Anteil der Gebühren, rende, eine aufklärende Sendung sehen können, der ihm nach der Zahl der Fernsehgeräte im Land Nordrhein-Westfalen zusteht, nicht mehr und nicht (Zuruf von der CDU/CSU: So wie „Moni weniger. tor"!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ohne daß sie dauernd durch Werbung unterbrochen DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der wird und ohne daß danach Sex und Crime gesendet PDS) werden. Auch das hat etwas mit der kulturellen Basis eines Landes zu tun. Hier wird eine Vernebelungsdebatte geführt. Das (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Man sage ich auch mit Blick auf Sie, Herr Kollege Stoiber. fred Müller [Berlin] [PDS]) Daß sich ein bayerischer Ministerpräsident über Mei- nungsvielfalt Gedanken macht, ist angesichts der Zu- Ich will Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Es ist ja stände im Bayerischen Rundfunk eine hochbeachtli- schon sehr bezeichnend, welche Worte in dieser De- che Leistung. batte verwendet werden. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Vor al GRÜNEN und der PDS sowie der Abgeord lem Ihre!) nete Uwe Lühr [F.D.P.] und Dr. [F.D.P.]) Da sagen hier manche, es gehe um Meinungsvielfalt.

(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Genau Ich muß Ihnen das auch deshalb so deutlich sagen, darum geht es!) weil Bayern das einzige Land in Deutschland gewe- sen ist, in dem die Bürger durch Volksbegehren dafür Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört den ge- sorgen mußten, daß die Rundfunkfreiheit gesichert sellschaftlichen Gruppen. Als ich damals als Mini- bleiben konnte. sterpräsident darüber verhandelt habe, ob man ein- mal neue Entwicklungen stärken und beispielsweise (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE dem Gedanken des Umweltschutzes Rechnung tra- GRÜNEN und der PDS sowie des Abg. gen könnte, indem man den Umweltverbänden ei- Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.] - Joseph Fi nen Sitz in diesen Gremien anbietet, ob man bei- scher [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ spielsweise die Situation von Frauen dadurch besser NEN]: Beifall des Abgeordneten Burkhard darstellbar macht, indem man Frauenverbände stär Hirsch! Das muß ins Protokoll!) Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1069

Rudolf Scharping Wenn dann hier einige sagen: „Gleichgewichtige hatte -, um überhaupt einen Staatsvertrag zustande Vielfalt setzt gleichgewichtige Partner voraus", dann zu bekommen, akzeptiert, daß man an manchen Stel- muß ich, meine Damen und Herren, sagen - ich habe len nicht so weit gegangen ist, wie es eigentlich ge- schon verstanden; da beginnt die Politik -: Es ärgert boten gewesen wäre. Aber erklären Sie mir doch Sie massiv, daß an bestimmten Plätzen Korrespon- bitte einmal: Welches Verständnis haben die Bundes- denten sind. regierung und der Bundeskanzler von der Verfas- sung und von den durch die Verfassung garantierten Auch das Folgende wissen wir alle von uns selber: Grundsätzen, wenn man auf der einen Seite den Ver- Natürlich erliegen wir alle hier und da der such macht - damit sich die Mehrheit der Länder in Versuchung, Einfluß auf Personalentscheidungen zu den Gremien des ZDF nur ja nicht widerspiegeln nehmen. So heuchlerisch sollte niemand argumentie- kann -, auch dem Bund im Verwaltungsrat des ZDF ren. Aber mit welcher Ungeniertheit aus manchen zu belassen - die Frage ist schon richtig gestellt -, Landesregierungen und der Bundesregierung in lau- und auf der anderen Seite nach der Methode ver- fende Sendungen hineintelefoniert wird - nicht nur fährt, die Ihrer Medienpolitik doch schon seit Jahren bei Privaten -, zugrunde liegt: die Öffentlich-Rechtlichen prügeln, (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ damit sie ein Stück zurückgehen und im übrigen par-- DIE GRÜNEN]: So ist es!) teipolitisch gefügiger werden und durch ihr Zurück- gehen den Raum für ein schlicht an kommerziellen das verdient doch auch Erwähnung. Erwägungen orientiertes Fernsehen schaffen. Das ist (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ihre Strategie, die Sie seit Jahren verfolgen. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne PDS) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Ich sage in aller Deutlichkeit: Reden Sie angesichts und der PDS) Ihrer Praxis hier doch nicht von Vielfalt. Ihnen sind alle Leute ein Dorn im Auge, die für das sorgen, was Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Damit ist Demokratie unabdingbar braucht, nämlich Durch- Schluß. Sie werden niemanden auf der Länderseite - schaubarkeit von Interessen, Durchschaubarkeit von soweit sie von Sozialdemokraten beeinflußt oder be- Machtstrukturen, Durchschaubarkeit von Entschei- stimmt wird - finden, der die Hand dazu reicht, im dungen. Rahmen einer Pseudo-Strukturreform - eine wirkli- che Strukturreform müßte aus den Anstalten und Wenn man sich seelisch und emotional so fühlt, als dürfte nicht von der Politik kommen - unter dem stünde man praktisch vor Krönungsfeierlichkeiten, Motto „Schlanke ARD" am Ende dieses für die Infor- dann empfindet man es auch als Majestätsbeleidi- mationsvielfalt und die Grundlagen der demokrati- gung, wenn ein Politiker - ganz egal, welche Funk- schen Willensbildung unverzichtbare Programm auf tion, Kanzler oder Parteivorsitzender, er nun ausüben Null zu bringen. Wir haben an den Sendern genug, mag - einmal kritisch gewürdigt wird. Die langweili- die dieses jetzt schon regierungsfromm und regie- gen Geschichten, wie sie damals mit dem Regie- rungsfreundlich tun. rungsfernsehen à la Konrad Adenauer versucht und wie sie jetzt geschaffen worden sind, habe ich per- Wir sind der Auffassung: Der öffentlich-rechtliche sönlich satt. Ich glaube, auch viele Leute haben kein Rundfunk hat sich in mehr als 40 Jahren außeror- besonders großes Interesse daran, sich diese Lang- dentlich bewährt. Er ist für die demokratische, die weilersendungen weiter anzuschauen, die nach dem kulturelle Substanz und Vielfalt dieses Landes unver- Motto funktionieren: Stellen Sie mir doch bitte ein- zichtbar. Er darf unter dem Stichwort „Schlankheit" mal zu folgender Antwort die passende Frage. nicht ruiniert werden. Auch da sage ich - in völligem Einvernehmen übrigens mit dem Kollegen Fischer (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem oder dem Kollegen Glotz -: Die Leute, die hier davon BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab reden, es müsse gespart werden, die Gebühren dürf geordneten der PDS) ten nicht erhöht werden, der Staat müsse schlanker Ich will Ihnen auch in aller Deutlichkeit sagen: Bei werden, erwerben erst in dem Augenblick Glaub- der Frage der Pluralität geht es nicht darum, zwi- würdigkeit, in dem sie in ihrem eigenen Verantwor- schen verschiedenen Anstalten Pluralität herzustel- tungsbereich das tun, was sie von anderen verlan- len. Es geht darum, in den Anstalten selbst Pluralität gen. Ihre ganze Debatte ist völlig unglaubwürdig zu beweisen. und vordergründig. (Beifall bei der SPD) (Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gegen diesen Grundsatz haben Sie - das sage ich PDS) aus den Kenntnissen meiner früheren Tätigkeit - ver- stoßen. Immer dann, wenn es darum ging, eine bes- sere Repräsentanz gesellschaftlicher Gruppen zu er- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Liebe Kollegin- möglichen, ist doch sorgfältig und fröhlich gerechnet nen und Kollegen, ich wollte Ihnen zur Information worden. noch folgendes mitteilen. Von den Geschäftsführern ist, als die Debatte über dieses Thema auf den Mitt- Ich will Ihnen auch etwas im Zusammenhang mit woch gelegt wurde, darum gebeten worden - dem ZDF sagen. Jawohl, die Länder haben damals - als ich als Vorsitzender der Rundfunkkommission der ( [CDU/CSU]: Von der SPD ge Ministerpräsidenten Staatsverträge auszuhandeln beten worden!) 1070 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer das ist dem Inhalt der Debatte wohl auch angemes- Unverschämtheit einer öffentlich-rechtlichen Rund- sen -, daß der Bundeskanzler an dieser Debatte teil- funkanstalt. nimmt. Er hat sich insofern entsprechend diesem Wunsch verhalten. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Damit muß man als Politi- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben ker leben, Herr Wilhelm! - Rezzo Schlauch nicht zugehört! - Dr. Wolfgang Schäuble [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bleiben Sie [CDU/CSU]: Schäbiger geht es nicht! - Jo doch daheim! - Joseph Fischer [Frankfurt] seph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was, glau- GRÜNEN]: Der soll hier das Wort ergreifen! ben Sie, hält Herr Vogel von Ihnen? Gott - Rudolf Scharping [SPD]: Dazu braucht schütze Rheinland-Pfalz!) man diese Debatte nicht als Vorwand! - Sie haben, Herr Dr. Glotz, darauf hingewiesen, daß Weitere Zurufe von der SPD) weniger diese sogenannte Satire als die Spaghetti und die Tomatensoße des Herrn Fritzenkötter die Re- Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wilhelm. aktion des Bundeskanzlers hätte auslösen müssen. - Das empört mich.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Hans - Otto Wilhelm (Mainz) (CDU/CSU): Frau Prä- sidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Her- DIE GRÜNEN]: Ein Nilkrokodil ist ehrli- ren! Es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, daß cher!) der Oppositionsführer in Kenntnis der Tatsache, daß seine eigene Fraktion die Anwesenheit des Kanzlers Wissen Sie, warum es mich empört? Weil wir ge- zu dieser Frage gewünscht hat, ihm heute unterstellt, rade in diesem Haus und in allen Fraktionen mehr daß er nur deswegen hierbleibe - man beachte die darauf achten sollten, daß die Staatsferne oder Wortwahl, die bei ihm bekanntermaßen nicht zufällig Staatsfreiheit des Rundfunks umgekehrt bedingt, ist -, um sich vor dem Gespräch mit dem russischen daß sich auch Redakteure bewußt sind, daß das nicht Menschenrechtler Kowaljow zu drücken. ihr Eigentum ist, das ihnen zugeordnet wurde. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Zurufe von der CDU/CSU: Pfui!) ordneten der F.D.P.)

Das, was damit zum Ausdruck kommt, ist eine Infa- Auch die Beiträge, die üblicherweise - es ist bedauer- mie, licherweise kein Einzelfall - als Satire getarnt wer- den, um Art. 5 des Grundgesetzes in Anspruch zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge nehmen, müssen sich an den durch das Bundesver- ordneten der F.D.P.) fassungsgericht gesetzten Grenzen orientieren; denn danach hat auch Satire, die Kunst ist, ihre Grenzen in und zwar eine kalkulierte Infamie. Nehmen Sie mir der Würde des Menschen. In diesem konkreten Fall ab, ich weiß, wovon ich spreche. wurde sie verletzt.

(Lachen bei der SPD - Freimut Duve [SPD]: Bei dem Wort Infamie weiß Herr Wilhelm, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie wovon er spricht!) eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily? (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Der will nur ins Fernsehen!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Abgeord- neter Wilhelm, ich habe den Sachverhalt klargestellt. Aber ich glaube, daß auch „Infamie" kein parlamen- Hans - Otto Wilhelm (Mainz) (CDU/CSU): Ja, bitte. tarisch akzeptabler Ausdruck ist.

(Widerspruch bei der CDU/CSU - Joseph Otto Schily (SPD): Herr Kollege Wilhelm, soll die Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ letzte Äußerung, die Sie gemacht haben, bedeuten, NEN]: Ich habe wegen ganz anderer Sa daß Sie meinen, daß im privaten Fernsehen größere chen Ermahnungen bekommen!) Spielräume für die Meinungsfreiheit bestehen, und ist deshalb die Empörung darüber, was an Gewalt- verherrlichung und an Gewaltdarstellung im priva- ten Fernsehen stattfindet, auf ihrer Seite nicht so Hans - Otto Wilhelm (Mainz) (CDU/CSU): Obwohl groß? die Opposition auf das gemachte Gesprächsangebot über schwierige strukturelle Fragen unseres Rund- funks substantiell bisher bedauerlicherweise wenig Hans - Otto Wilhelm (Mainz) (CDU/CSU): Die eingegangen ist, will ich, weil ich mich darüber geär- Schlußfolgerungen, die Sie gezogen haben, sind gert habe, Herr Glotz, ein ganz persönliches Wort an falsch. Das habe ich weder gesagt noch angedeutet. Sie richten. Dieser Diskussion vorausgegangen und In privaten und in öffentlich-rechtlichen Anstalten in Ihre Reaktion eingebunden war die Stellung- haben diese Beiträge immer an staatsvertraglichen nahme des Kanzlers zu einer als Satire getarnten Gegebenheiten und an der Verfassung ihre Grenzen. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1071

Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Die Kunst ist nicht völlig frei. Sie hat Ihre Schran- Wenn er einmal dankenswerterweise konkret wird, ken in unserer Verfassung, sowohl für Private als reden ihm seine Genossen nachher alles wieder weg. auch für Nichtprivate, und zwar in der Würde des Das ist doch die Situation in dieser Partei. Wir wissen Menschen. nicht, welche Vorschläge Sie konkret machen, um das drohende Desaster 1996, das Herr Glotz be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge schrieben hat, abzuwenden. Sie verletzen Ihre ordneten der F.D.P.) Pflicht, wenn Sie das nur konstatieren und nichts an- Ich glaube, daß sich Verletzungsabsichten, die ich deres machen, als Einschränkung der Medienfrei- zu schreien und zu behaupten, wir wollten die wiederholt feststelle, nicht an diesem Verfassungskri- heit terium orientieren. Im übrigen füge ich hinzu: Ich Leute disziplinieren. habe andere private Vorstellungen von Satire. Das Wir wollen Leute disziplinieren? Entschuldigung, hat für mich etwas mit Geist, Eleganz und Andeu- wer hat denn im Saarland das Pressegesetz gemacht, tung zu tun. Das war grobschlächtig und Kloaken- die Leute eingeschüchtert und den Knebel angelegt? journalismus. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) - Das waren doch nicht wir, das war doch Ihr Troikist, Meine Damen und Herren, darüber soll sich jeder der Herr Lafontaine. Auch wenn wir uns einmal auf- aufregen. Auch der Bundeskanzler soll sich aufregen regen, wie das jetzt gerechtfertigterweise Herr Kohl dürfen. getan hat, hat von uns noch niemand von „Schweine- (Beifall bei der CDU/CSU - Joseph Fischer journalismus" gesprochen. Ist das nicht auch von Ih- [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nen? Aber hier! Der Bundeskanzler hat sich hier (Zurufe von der SPD) aufzuregen, vor dem Parlament!) Das war doch auch . Sie wollen uns - Lieber Herr Fischer, gelegentlich mögen Ihre Zwi- klarmachen und beibringen, wie man mit Pressefrei- schenrufe geistreich sein; ich höre sie selten. Sie ha- heit umgeht. Ihren Nachhilfeunterricht haben wir ben nach dieser Rede allerdings offenbart, daß Sie nicht nötig. von Medienpolitik nicht die geringste Ahnung ha- ben. (Beifall bei der CDU/CSU) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Machen wir einen Versuch: Wir setzen voraus, daß DIE GRÜNEN]: Geistreicher als Ihre Rede!) die Diagnose stimmt, und nehmen die Rauchschwa- den, die Sie aufgebaut haben, weg. Herr Stoiber hat Das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - darauf hingewiesen, Sie sind aber in der Diskussion und darum geht es; Stoiber und Biedenkopf haben bedauerlicherweise nicht darauf eingegangen. Ma- Vorschläge vorgelegt - ist zu teuer, bürokratisch und chen wir also gemeinsam den intellektuellen Ver- überorganisisert. Die Kleinen müssen von den Grö- such, nachzuvollziehen, was Sie wirklich in diesen ßeren ausgehalten werden. Der Programmumfang Fragen - - der Öffentlich-Rechtlichen hat sich deutlich ver- mehrt, von ursprünglich zwei geplanten Vollpro- (Zurufe von der SPD: Oh!) grammen sind fünf weitere im Orbit dazukommen, drei weitere werden folgen. Wir haben über 50 Rund- - Ich weiß schon, wenn Sie das hören, werden Sie funkprogramme. Das System wird teurer, die Wer- aufgeregt. Da müßten Sie ja was bringen, meine Da- bung geht zurück. Es ist nicht mehr finanzierbar. Ich men und Herren. teile, wenn auch nicht in dem Umfang, das Fazit des Herr Beck schreibt: „Die ARD ist ein Patient." Eine Kollegen Glotz im „Manager Magazin": „Wenn sich Diagnose. Herr Beck müßte jetzt erklären: Hat er die die ARD-Anstalten nicht reformieren, sind sie Grippe, oder liegt der Patient bereits auf der Intensiv- pleite." station? Der medienpolitische Sprecher, wenn er es denn (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ist, sagt: Sie sind pleite. Ich frage Sie: Haben Sie ei- DIE GRÜNEN]: Aber ihr seid nicht die nen konstruktiven Beitrag von diesen innovativen Ärzte, sondern die Totengräber! Das ist das Menschen gehört, wie sie denn, wenn sie pleite sind, Problem!) diese Pleite abwenden wollen? Aber immerhin: Der medienpolitische Sprecher der (Beifall bei der CDU/CSU) Ministerpräsidentenkonferenz diagnostiziert die Das ist doch Verweigerung von Nachdenken. Auf ARD als Patient. Er sagt: 1996 ist sie kaputt. Herr was sind denn die Pulverschwaden, die Sie wegen Beck sagt: Sie ist ein Patient. Dann kommt der Herr der Vorschläge Stoibers abgeschossen haben, zu- Klimmt sehr geheimnisvoll und sagt - sinngemäß -, rückzuführen? Sicher, immer dann, wenn man etwas es gäbe ganz andere Wege der allgemeinen Spar- konkretisiert, macht man sich angreifbar. Wenn Sie samkeit, die noch viel weiter führten. Wußten Sie das wie Rudolf Scharping machen - sowohl als auch, das, Herr Stoiber? Herr Klimmt will noch weiter ge- entweder oder, ein bißchen lean management -, wer- hen als Sie. Er hat nur nicht gesagt, wohin er gehen den Sie die Welt nicht verändern. will, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Heiterkeit bei der CDU/CSU) 1072 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Verheugen sagt, man müsse ein paar Rundfunk- könnte und Quoren eingeführt werden? Ich sehe die- programme abbauen. Rudolf Scharping, der sich im- sen Vorschlag in der Nähe der Verfassungswidrig- mer am unverbindlichsten ausdrückt, sagt: Wenn keit, und zwar dann, wenn bestimmte Länder nicht ARD und ZDF überleben wollen, müssen sie im Jahre zustimmen. 2000 deutlich weniger Mitarbeiter haben. Immerhin, auch er ist der Meinung, sie müßten weniger Mitar- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ beiter haben. DIE GRÜNEN]: Oh! - Zuruf von der F.D.P.: Der ist sicher problematisch!) Sagen Sie doch einmal, wo. Sie wollen Ihre Struk- turen, diese Netzwerke aus dem WDR, die Herr - Jawohl, wenn drei bis vier Länder nicht zustimmen, Klimmt hervorragend bedient und wo Sie Einfluß ha- soll trotzdem eine Gebührenerhöhung erfolgen. ben, nicht zerstören. Das ist der wahre Grund für Ihre Diese subtilen Fragen sollen in einem Staatsvertrag Aufregung, die Sie heute zelebrieren. mit klaren Bedingungen für dieses Gremium geregelt (Beifall bei der CDU/CSU) werden? Ich wage bei dieser Gefechtslage und der Komplexität dieser Fragen die Prophezeiung: Wir Es gilt also, sich nicht nur zu beschimpfen, sondern werden sobald nicht zu einer Regelung kommen, die - sich an innovativen Wettbewerben zu beteiligen. in vollem Umfang den Erwartungen des Bundesver- Ich habe nicht das Gefühl gehabt, daß Biedenkopf fassungsgerichts entspricht. und Stoiber mit ihrem Vorschlag den Anspruch erhe- Unabhängig von dieser Frage - deswegen ist der ben, in allen Fragen recht haben zu wollen. Sie wol- Zuruf „Drohung" doch völlig falsch - wird es vermut- len, so verstehe ich das, einen Diskussionsprozeß lich allein aus praktischen Gründen Ende 1996 nicht auslösen. zu einer Gebührenerhöhung kommen. Allein aus (Lachen bei der SPD) diesem Grund kann ich den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nur raten, ihre Sparmöglichkei- Dann beteiligen Sie sich doch an diesem Diskus- ten auszuschöpfen, die es in Hülle und Fülle gibt. sionsprozeß, wenn Sie schon diese Diagnosen stellen. Alles andere ist Verweigerung. Dann, meine Damen Meine Damen und Herren, die 180 Millionen DM und Herren, zieht die Karawane weiter. Verlassen Sie des Finanzausgleichs machen bei diesem Volumen sich darauf. Nur, Sie sind dann nicht beteiligt. Das möglicherweise nicht die berühmte Suppe fett. Aber wäre für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an sich es gibt riesige Einsparpotentiale in nicht genutzten schlimm. Kapazitäten, wie z. B. Studios. (Zustimmung bei der CDU/CSU) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sämtliche Parteibuchkarrie Vieles ist auch völlig falsch. Vielleicht sollten Ru- ren müßte man als erstes beenden! - Bun dolf Scharpings Zuarbeiter ihm mehr Aufklärung zu- deskanzler Dr. Helmut Kohl: Das sagt er! - teil werden lassen. Auch solche Auffassungen, wie Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. z. B. von Herrn Eichel in seiner Rede geäußert, sind - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ in der Sache einfach falsch. DIE GRÜNEN]: Schauen Sie sich doch an, (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Bei Ei was Sie im deutschen Rundfunk an Abtei chel kein Wunder!) lungsleitern installiert haben! - Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Da erschrecken jetzt aber Gestatten Sie mir nur eine polemische Bemerkung viele in Hessen!) - ich mache das selten -: - Herr Fischer, dann betrachten Sie doch einmal Ihre (Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ subtile Karriere. DIE GRÜNEN und der PDS) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Jetzt verstehe ich auch, warum so viele Leute aus DIE GRÜNEN]: Schauen Sie sich mal beim Hessen Sie nicht wählen, Herr Eichel, nämlich we- gen der Substanz Ihrer Reden. ZDF an, wie viele Leute Sie da wohin ge hievt haben!) Wenn der Kollege Scharping u. a. im Zusammen- hang mit den Rundfunkgebühren sagt, die Politik - Das war ein Zwischenruf, der Ihre tiefe Kenntnis zu habe bei der Festlegung der Rundfunkgebühren diesem Thema offenbart hat. Vielen Dank. nichts verloren, dann versteht er nichts davon. Auch (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ nach dem neuesten Urteil des Bundesverfassungsge- DIE GRÜNEN]: Beim Bayerischen Rund- richtes ist es völlig zweifelsfrei, daß die Rundfunkan- funk genauso!) stalten sie nicht festlegen; Leitsatz Nr. 1. In Erläute- rungen zu diesem Urteil des Bundesverfassungsge- Es gibt eine Vielzahl ungenutzter Studiokapazitä- richts ist die Zuständigkeit der Landtage beschrieben ten. Es muß mehr Zusammenarbeit geben. Es muß worden. Es geht allerdings noch weiter, indem es die Frage des Aspekts Einhalt, Vielfalt besprochen sagt: „und sogar Übertragung auf Gremien". werden. Das hat doch mit Ihren vordergründigen Vorwürfen, wir wollten irgend etwas zerstören, über- Alle Vertreter der Länder will ich einmal fragen: haupt nichts zu tun. Wir sind uneingeschränkt - es ist Was machen Sie denn eigentlich mit dem Vorschlag ja müßig, das zu wiederholen - für das duale System. des Bundesverfassungsgerichtes, daß beispielsweise die Einmütigkeit der Landtage abgeschafft werden (Otto Schily [SPD]: Heuchelei!) Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1073

Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Nur, das duale System kann, da wir in eine digitale er sich bis morgen abend in Bonn aufhält, bin ich Zukunft hineingehen, doch nicht einfach nur einfalls- überzeugt, daß der Bundeskanzler nach dem Beifall los, wie von Ihnen offenbar beabsichtigt, fortge- aus seiner Fraktion für diese Empörung eine Mög- schrieben werden. lichkeit finden wird, Herrn Kowaljow bis morgen abend zu sehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen schon einmal ein bißchen mehr investie- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ren als die Parole „Weiter so, SPD". Mit dieser Hal- DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gerhard tung würden wir unserer Verantwortung nicht ge- Zwerenz [PDS]) recht werden. Ich lade zum Gespräch ein. Ich finde es richtig, Herr Bundeskanzler, daß Sie (Zuruf von der SPD: Um Gottes willen!) bei diesem sehr ernsten Thema heute die ganze Zeit dabei waren, wenn wir auch nicht immer dem Ernst Die Rundfunkanstalten haben auf Bitten und auf des Themas angemessen diskutiert und debattiert Anregungen bisher nur sehr zurückhaltend reagiert. haben. Ich teile die Meinung, die Herr Stoiber und Herr Bie- denkopf zum Ausdruck gebracht haben: Wenn die (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da gebe ich - öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht re- Ihnen recht!) formwilliger sind, um den dualen Rundfunk schlan- ker und meinetwegen schlagkräftiger zu machen, Gestern hat Norbert Blüm in einer heiteren, aber dann müssen wir uns überlegen, staatsvertragliche zuweilen auch ernsten und sehr ernstgemeinten Zugehörigkeiten zu überprüfen und über die Rund- Rede Ernst-Dieter Lueg verabschiedet. Er hat ein hei- funkgebühren zu sprechen. Denn - auch das ist ein ßes Ilerz für die Geschichte des „Berichts aus Bonn" Mißverständnis von Herrn Eichel - natürlich haben gezeigt, für die Bedeutung der „Tagesthemen", für die Landtage das Recht, darüber zu befinden, und die Bedeutung der Sendung „Heute", für all das, was zwar unter drei Kriterien. konstitutiv und nicht nur konstitutiv durch das Ver- fassungsgerichtsurteil, sondern für das Empfinden Das erste ist das Kriterium der Zugänglichkeit zu der Menschen zu unserem Land und zu unserer Ge- Programmen. „More of the same", das ist Ihr Ansatz. schichte gehört. Die Rundfunkanstalten können nicht beliebig glei- che Programme vervielfachen und sagen, das sei (Beifall bei der SPD) Grundversorgung. Der Grundversorgungsaspekt des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ist weit Wer die ARD angreift, greift auch dieses an. Dann überschritten, und es darf so nicht weitergehen. Das wäre es eine 1-leuchelei, wenn man liebevoll jeman- ist der Punkt. den verabschiedet und drei, vier Tage vorher - nicht der Parteivorsitzende der Union, sondern der Kanz- leramtschef, Herr Bohl - von „Fälscherwerkstatt" Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Abgeord- neter, Ihre Redezeit ist zu Ende. des WDR spricht. (Jörg Tauss [SPD]: Pfui!)

Hans - Otto Wilhelm (Mainz) (CDU/CSU): Das zweite ist die Frage der Wirtschaftlichkeit. Das dritte Zum WDR gehört auch Ernst-Dieter Lueg. „Fälscher- ist die Frage der Belastungsfähigkeit des Bürgers. werkstatt" wird das Wort des Monats. Der Februar ist relativ kurz, da hat er Glück gehabt. Aber vielleicht (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das sagen wird es auch das Wort des Jahres. Sie einmal Herrn Waigel!) Untersuchen wir das doch einmal genauer. Was In diesen drei Fällen - Herr Eichel, da hat Ihre meint denn Herr Bohl mit „Fälscherwerkstatt"? Er Staatskanzlei Sie falsch unterrichtet - können die meint damit das öffentlich-rechtliche Fernsehen und Länder nach wie vor Gebührenerhöhungen verwei- den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit den unge- gern. Wenn die Bereitschaft, konstruktiv und meinet- heuren und sehr schwierig gewordenen Anstrengun- wegen gemeinsam über Veränderungen zu reden, gen, Kulturprogramme und Informationsprogramme nicht besteht, dann müssen wir in der Tat zu solchen zu machen, den Abend für die Bürger auch wirklich Folgerungen kommen. informativ zu gestalten - Vielen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) bei all dem Unsinn, der von der Konkurrenz kommt, bei all dem, was die Konkurrenz diesen Anstalten zu- gefügt hat, und bei all dem, was die privaten Unter- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat nehmer an durch die öf- jetzt der Abgeordnete Duve. öffentlichen Investitionen fentlich finanzierte Verkabelung haben nutzen kön- nen. Was haben sie denn alles einstecken können, Freimut Duve (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- damit ihre Programme, als das Private kam, gesehen gen! Nur eine Bemerkung zu dem Vorredner. Sie wa- werden können? Das sind öffentlich geleistete Inve- ren sehr empört über die Bemerkung von Rudolf stitionen, die die Privaten jetzt nutzen. Scharping, daß der Herr Bundeskanzler bei uns ist und nicht bei dem Menschenrechtler Kowaljow. Da (Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Der Post!) 1074 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Freimut Duve - Wir können uns gern einmal die Gewinn- und Ver- sagen: 40 der letzten Gebührenerhöhung, gegen lustrechnung der Post anschauen. Dann werden wir die hier ein so populistischer Angriff gefahren wird, sehen, was die Privaten an Bonitäten in ihren Bilan- entsprechen allein den Kosten des Bundespresseam- zen durch diese Verkabelung bekommen haben. tes, nämlich 300 Millionen DM im Jahr. Aber das, lieber Herr Scholz, ist heute nicht mein Thema. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD - Dr. Rupert Scholz und der PDS) [CDU/CSU]: Auch die Öffentlich-Rechtli chen, Herr Duve!) Das, was hier bezüglich der Gebührenerhöhung gesagt wird, ist doch reine Heuchelei. Wie können Herr Ministerpräsident Stoiber, Sie haben hier zum Sie mit einem so kostbaren Gut unseres Landes und Schluß auch noch leidenschaftlich für die ARD ge- der Geschichte unseres Landes, zu dem auch viele kämpft. Vor genau 20 Jahren haben Franz Josef von Ihnen beigetragen haben, das viele von Ihnen Strauß und die nach meiner Überzeugung verantwor- auch für wertvoll halten angesichts des Gewaltfern- tungslosen Chefs des Bayerischen Rundfunks den sehens, so umgehen, indem Sie ein so billiges Argu- - hochangesehenen unabhängigen Journalisten Heinz ment wie die mögliche Erhöhung von 1 oder 2 DM Burghart verdrängt, um Platz für Franz Schönhuber bringen? Das können Sie doch nicht tun, wenn Sie zu machen, damals Liebling der Staats- und Medien- wissen, wie sich die Privaten pausenlos in diesen mächtigen des Freistaates Bayern. Ich bin Heinz Markt der Köpfe, der Meinungen und der Politik hin- Burghart sehr dankbar, daß er als einer der allerer- eingearbeitet haben! sten parteilosen Journalisten Deutschlands seine Me- dienbiographie veröffentlicht und uns einmal darge- Herr Bundeskanzler, Sie sind am 17. Juni des ver- stellt hat, wie denn eigentlich bayerische Landesre- gangenen Jahres nicht hier gewesen. Warum waren gierungen in einen Sender hineinregierten. Er hat Sie nicht hier? Sie sind mit einer von Sat 1 bezahlten seinem Buch den Titel „Medienknechte" gegeben. Maschine nach Chicago geflogen. Public Relations Es ist ein sehr, sehr bitteres Buch. mit einem Sender haben Sie gemacht, anstatt hier im Bundestag zu sein. Deswegen, Herr Bundeskanzler, sprechen wir heute über ein ernstes Thema, das die Vergangen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- heit unseres Landes, die Vergangenheit einer Partei ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und auch die Zukunft unseres Landes anbelangt. und der PDS - Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Das ist doch gar nicht wahr! Das ist Arnulf Baring hat es in seinem wichtigen Buch doch gelogen!) über die Adenauer-Demokratie sehr gut erklärt: Adenauer konnte kein wirkliches Verhältnis zum — Nein, das ist nicht gelogen, das ist die Wahrheit. freien und unabhängigen Journalismus finden, das seinerzeit gefordert war. Da redet einer von „Fälscherwerkstatt", dessen Manche Älteren unter uns würden zu der Diskus- Partei mit dafür gesorgt hat, daß die Kultur der demo- kratischen Öffentlichkeit in Deutschland dabei ist, sion, die Sie angeregt haben, sagen: Nun will der sich noch einmal dramatisch zu verändern. Wir brau- Lenz uns grüßen. Damals gab es den Herrn Lenz, chen - da stimme ich Ihnen zu - eine sehr ernste Staatssekretär und später Abgeordneter Ihrer Partei, Me- der massiv versucht hat, kein öffentlich-rechtliches, diendebatte über das, was aus unserem Land in den nächsten Jahren wird. sondern ein staatlich gelenktes System aufzubauen. Gott sei Dank ist ihm das untersagt worden. (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Was sagen Man muß daran erinnern: Es gibt eine Tradition Sie zum „Schweinejournalismus"? Sie bla- der inneren politischen Unsicherheit der Union im sen sich hier jetzt auf!) Umgang mit freiem Journalismus. — Ich blase mich gar nicht auf. Ich habe das richtig (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne gesagt. Sie fühlen sich getroffen, Herr Gerhardt. Wir ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) brauchen eine wirklich ernste Debatte über die Zu- kunft der Medienkultur, auch über die Zukunft des Der Mann, der das Wort „Fälscherwerkstatt" be- Journalismus und die Zukunft der großen Medien- nutzt hat, ist nicht Parteivorsitzender, sondern Chef konzerne. des Bundeskanzleramtes. Herr Kohl, ich spreche jetzt von Herrn Bohl. So redet einer, der im Bundespresse- Ich begrüße die Dialogfähigkeit der derzeitigen Ge- amt mehr Journalisten beschäftigt als manche Zei- neration etwa der Bertelsmann-Spitze, von der prote- tung und mancher Sender. stantischen Ethik der Gründerfamilie geprägt. Aber wohin sind wir in diesem Land gekommen, wenn wir (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!) feststellen müssen, daß sich die dritte Generation ei- ner anderen Familie - ich spreche von den Springer- So redet jemand, dessen Ausgaben für Öffentlich- Enkeln keitsarbeit, Public Relations der Bundesregierung ge- nannt, 40 % der letzten Gebührenerhöhung ausma- (Zuruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ chen. Ich will das für die Bürger noch einmal genau CSU]) Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1075

Freimut Duve - seien Sie mal leise, hören Sie mir jetzt bitte zu; das ganz genau, daß Sie es wissen. Ich finde, das, was können Sie auch - in einer Konkurrenzzeitung zu Sie hier betreiben, ist ein unmöglicher Stil. Wort melden mußte, um über den Verrat an Prinzi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - pien in einem Haus zu klagen, das noch immer den Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Namen ihres Großvaters trägt, DIE GRÜNEN]: Wer hat es denn bezahlt?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) - Die Bezahlung erfolgte genauso wie bei allen Aus- landsflügen, die ein Bundeskanzler macht. aber von dem die Öffentlichkeit bis heute nicht weiß, ob der CSU-Spezi und Medienhändler Kirch es nicht (Zuruf von der SPD: Wer hat denn nun be- längst kontrolliert? Ich jedenfalls bin fest überzeugt, zahlt?) daß er es längst kontrolliert. Was das Sportstudio von SAT 1 bezahlt hat, waren die Kosten für einige frühere Fußballnationalspieler (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne und Leute aus dem praktischen Fußballbetrieb. Das ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN wissen Sie genau, das ist damals veröffentlicht wor- und der PDS) den. Sie wollen hier bewußt, weil diese Sitzung vom- Bei jedem Hausbesitz, bei jedem Krämer müssen die Fernsehen übertragen wird, die Unwahrheit unter Eigentums- und Besitzverhältnisse auf den Tisch. die Leute bringen. Darum geht es! Kirch hat sich das Haus Springer und SAT 1 unter (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - den Nagel gerissen - und wir sollen es möglichst gar Freimut Duve [SPD]: Wer hat sie bezahlt?) nicht genau wissen. Die Kommerzialisierung des Art. 5 unseres Grundgesetzes hat eine Öffentlich- Zweitens. Herr Abgeordneter Scharping, mein Kol- keitsindustrie geschaffen, hinter deren Kulissen es so lege Wilhelm hat Ihnen schon das Notwendige zu an- geheimnisvoll zugeht wie in Fälscherwerkstätten, be- deren Punkten gesagt. Aber eines finde ich in der Tat vor sie auffliegen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. unglaublich: daß Sie sich in dieser Debatte so verhal- ten, obwohl Sie doch sehr genau wußten - wie übri- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE gens vor ein paar Tagen auch -, daß es eine Abspra- GRÜNEN und der PDS) che zwischen den Fraktionsgeschäftsführern gab, wonach ich in der heutigen Debatte anwesend bin. Wie soll denn ein solches Parlament funktionieren, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat wenn man nicht Absprachen über den Ablauf einer jetzt der Herr Bundeskanzler. Debatte treffen kann? Das war Ihr Wunsch, das war mein Wunsch, das war der Wunsch der Koalition. Sie (Zurufe von der SPD: Oh!) wußten so gut wie ich - und auch Sie wissen es, Herr Duve -, daß ich heute noch zu Gesprächen nach Washington reise. Und wenn Sie sich jetzt hier hin- Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler (von der CDU/ stellen und sagen, ich hätte für ein solches Gespräch CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine doch heute oder morgen Zeit, dann wissen Sie wie- Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, auf derum, daß Sie hier wider besseres Wissen in einer alle Unwahrheiten zu antworten, die hier, und zwar besonders schäbigen Weise agitieren. zum Teil sehr bewußt, in die Debatte eingeführt wor- den sind. Ich will vielmehr kurz einige Bemerkungen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - zur Sache machen. Freimut Duve [SPD]: Woher soll ich wissen, daß Sie nach Washington fliegen? - Rudolf Aber zuvor: Herr Duve, Sie sollten nicht immer Scharping [SPD]: Zwei Tage hat man mit Ih- wieder die Lüge verbreiten, SAT 1 habe den Flug zur nen verhandelt!) Fußballweltmeisterschaft in die Vereinigten Staaten - Herr Abgeordneter Scharping, ich würde Ihnen ra- bezahlt. ten, jetzt einmal zuzuhören. Mit Geschrei bringt man Argumente nicht weg. (Freimut Duve [SPD]: Wer hat ihn bezahlt?) (Zurufe von der SPD) Sie wissen so gut wie ich - das ist in der Zwischenzeit auch längst gerichtlich geklärt -, daß das gelogen ist. Drittens. Herr Abgeordneter Scharping, Sie waren Das stand in allen Zeitungen, als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz einige Jahre Vorsitzender der Rundfunkkommission der Mi- (Zuruf von der CDU/CSU: Pfui! - Freimut nisterpräsidenten und hatten in dieser Zeit im ZDF Duve [SPD]: Wer hat bezahlt?) eine wichtige Funktion übernommen. Also wissen Sie so gut wie ich, daß das, was Sie heute hier zur und Sie wissen das. Vorgeschichte des ZDF angedeutet haben, einfach nicht stimmt. Sie wissen so gut wie ich: Daß das ZDF (Beifall bei der CDU/CSU - Wolfgang Zöller heute diese Struktur hat, entspricht dem Willen der [CDU/CSU]: Sie sollten sich entschuldigen, damaligen Vertragsabschließenden, der damaligen Herr Duve! - Freimut Duve [SPD]: Wer hat Bundesländer, dem Willen etwa des damaligen Mini- bezahlt?) sterpräsidenten von Hessen, nach dem ich jetzt be- sonders viel Sehnsucht empfinde. Und, Herr Duve: Da Sie ja nicht irgend jemand sind, sondern ein Zeitungsleser, der intensiv liest, weiß ich (Zurufe von der SPD) 1076 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl - Georg-August Zinn, damit es jeder hier weiß; an - Sie bringen doch in dieser Debatte hier nichts als den habe ich heute gedacht; das muß ich Ihnen Gebrüll in den Saal! Ihr Beitrag war nur Lautstärke, schon sagen. - aber an Inhalt gab es nahezu nichts. (Beifall bei der CDU/CSU) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie machen Karl Valentin Das war damals ein einstimmiger Beschluß von Bund Konkurrenz!) und Ländern. Wir haben in unserer Diskussion festgestellt, daß Warum erheben Sie jetzt den Vorwurf, daß die nahezu alle, die mit dem Thema befaßt sind und die Struktur heute so ist, wie sie ist? Ich habe sie damals sich - bei durchaus unterschiedlichen Nuancen - se- nicht gefertigt, Sie auch nicht, keiner der hier im Saal riös um das Thema bemühen, Befindlichen. Aber ich frage Sie, wenn Sie dies als ju- gendlicher Streiter schon so erfaßt haben: Warum ha- (Zuruf von der SPD: Zur Sache!) ben Sie nicht während der Zeit der Koalition unter jetzt zu der Auffassung gekommen sind, daß im und Veränderungen Sinne Ihres Zitats, Herr Kollege, die Debatte eröffnet beim ZDF eingeklagt? Warum waren Sie damals werden muß, damit 1995/96 etwas passiert, um eine- selbstverständlich bereit, den einen Vertreter des Pleite abzuwehren und um dem ZDF Gerechtigkeit Bundes - es ist ein einziger! - im Verwaltungsrat zu widerfahren zu lassen. ertragen? (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Rudolf Scharping [SPD]: Dünn, dünn!) DIE GRÜNEN]: „Dem ZDF Gerechtigkeit widerfahren zu lassen " ! ) Wissen Sie, es ist ganz billige Heuchelei und Oppor- tunismus, was Sie hier betreiben. - Natürlich, im Zusammenhang mit der Verteilung der Gebühren; das wissen Sie doch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: „Gerechtigkeit widerfahren Jetzt aber zu dem Punkt, der uns hier eigentlich zu lassen" , was für ein Begriff!) beschäftigt; - Es geht Ihnen hier doch nicht um eine Debatte, son- (Zuruf von der SPD: Da bin ich aber ge dern es geht Ihnen in der vorderen Bank darum, sich spannt, ob da noch was kommt!) so zu benehmen, wie Sie sich benehmen. Darum geht es Ihnen. ich habe nämlich nicht die Absicht, auf das Feldge- schrei, man kann zum Teil auch sagen: auf das Ge- (Beifall bei der CDU/CSU - Weitere Zurufe brüll, Herr Abgeordneter, wenn man es lang genug des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] ertragen hat, einzugehen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Freimut Duve [SPD]: Gehen Sie doch ein Der Rundfunkrat des WDR hat im letzten Jahr den mal auf das Thema ein, Herr Bundeskanz Beschluß gefaßt: Die Reform muß her! Ich sage es ler!) einmal in dieser Formulierung. Ministerpräsident Beck, der jetzige Vorsitzende der Rundfunkkommis- Ich will zum Thema zurückkommen, und das heißt: sion, verlangt das gleiche. Der Vorsitzende der ARD, Worum geht es eigentlich in dieser Debatte? In dieser Intendant Scharf in München, hat in diesen Tagen Debatte geht es darum, daß sich im Rahmen der Ver- wiederum das gleiche gefordert. änderungen der Strukturen unseres Landes, auch der dramatischen Veränderungen in der Medien- Jetzt kommen zwei Ministerpräsidenten, die nach landschaft auf Grund der technologischen Entwick- der Verfassung dazu berufen sind und denen Sie Ver- lung, auch die Frage nach dem öffentlich-rechtli- fassungswidrigkeit oder sonst etwas nicht unter- chen System stellt. schieben können, und folgen ihrer verfassungsgemä- ßen Pflicht, für dieses duale System Vorschläge zu (Zuruf von der SPD: Kein Argument!) machen. Das ist nun wirklich kein Argument, das ich erfun- Meine Damen und Herren, es hat niemand von Ih- den habe, sondern, lieber Herr Glotz, Sie selbst ha- nen erwartet, daß Sie zu all diesen Vorschlägen ja ben es überzeugend formuliert - ich sage es noch und Amen sagen. Aber das ist doch eine Diskussions- einmal -: grundlage.

(Lachen des Abg. Dr. Peter Glotz [SPD]) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nein, das nicht!) Wenn sich die ARD-Anstalten nicht bis 1996 refor- mieren, sind sie pleite. Wir wollen nicht, daß die ARD Aber von Ihrer Seite gibt es überhaupt keinen Dis- pleite geht. kussionsvorschlag - keinen einzigen! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) ordneten der F.D.P. - Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jo Jetzt haben die Ministerpräsidenten Stoiber und seph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE Biedenkopf diese Vorschläge auf den Tisch gelegt. GRÜNEN]: Meine Güte!) Ich sehe mit großem Interesse, wie Herr Beck und an- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1077

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl dere dem folgen. Jetzt schlage ich ganz einfach vor: Also, mein Vorschlag ist: Sie haben jetzt genug Po- Lassen wir das Feldgeschrei weg, und jeder legt pulismus in die Öffentlichkeit gebracht. seine Vorschläge auf den Tisch! Ich erwarte, Herr (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vorsitzender der SPD, daß Sie außer allgemeinen Tö- DIE GRÜNEN) nen jetzt ganz konkret sagen: Was will die Sozialde- mokratische Partei Deutschlands? Sie haben genug versucht, Nebelkerzen zu werfen, (Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber um vom Thema abzulenken. Wir - ich als Vorsitzen- [Bayern]: Sehr gut!) der der CDU Deutschlands und meine politischen Freunde in der CDU/CSU - erwarten, daß Sie jetzt Wir haben unsere Meinung gesagt. Ich erwarte von endlich eigene Vorschläge machen und nicht nur an- den anderen Entsprechendes; ich erwarte es jetzt vor dere beschimpfen, sondern nachdenken und etwas allem von den Ministerpräsidenten. produzieren. (Zurufe von der SPD) (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU — Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Des weiteren schlage ich vor, (Freimut Duve [SPD]: Als Bundeskanzler Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Meine Damen oder als Parteivorsitzender?) und Herren, ich schließe die Aussprache. daß wir die Debatte heute nicht endgültig beenden, Es wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion sondern daß wir in ein paar Monaten darauf zurück- der SPD auf Drucksache 13/396 und den Entschlie- kommen. Denn, meine Damen und Herren, auch ßungsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE wenn die Frage der Rundfunkhoheit nach der Ver- GRÜNEN auf Drucksache 13/404 zur federführenden fassung keine Frage des Bundestages und der Bun- Beratung an den Innenausschuß und zur Mitbera- desregierung ist, gilt: Wir sind Bürger dieses Landes, tung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und wir diskutieren über vieles in diesem Haus, ohne und Geschäftsordnung zu überweisen. Gibt es ander- im Detail die Frage zu stellen: Ist das nun in allen weitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Die Über- Punkten Gegenstand unserer Kompetenz oder nicht? weisung ist so beschlossen. Die Fragestunde des Parlaments gibt jede Woche Beispiele dafür. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Meine Damen und Herren, dann, Herr Duve, bin Fragestunde ich sehr gespannt - und dann werde ich auch mehr - Drucksache 13/385 - Redezeit als jetzt in Anspruch nehmen -, was Sie dann vorschlagen - Ihr Nachbar, Herr Glotz, und Sie; Bevor ich den ersten Geschäftsbereich aufrufe, andere haben überhaupt nichts dazu beigetragen -; möchte ich einen bedauerlichen Druckfehler korri- dann bin ich gespannt, wie Sie die ARD in eine neue, gieren. Im Verzeichnis der Fragenden auf der Seite 1 veränderte Zukunft bringen wollen. der Drucksache 13/385 ist bei dem Kollegen Dr. Erich Riedl (München) irrtümlich eine falsche Fraktion an- Zu diesen allgemeinen Reden und dem Vorrech- gegeben. Der Kollege Riedl gehört, wie wir alle wis- nen, was das Bundespresseamt an Aufwendungen sen, nach wie vor der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat: an. Ich bitte Sie, insbesondere natürlich den Kollegen Riedl, für dieses Versehen um Verständnis. (Lachen bei der SPD) Es ist gebeten worden, in der Fragestunde den Ge- Meine Damen und Herren, Sie werden doch nicht schäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundes- die Behauptung aufstellen wollen, daß das Mittel kanzleramtes vorzuziehen. Zur Beantwortung steht sind, die der Bundesregierung in dem von Ihnen be- Herr Staatsminister Bernd Schmidbauer bereit. schriebenen Sinn zur Verfügung stehen. (Widerspruch bei der SPD) Ich rufe die Frage 72 des Abgeordneten Joachim Hörster auf:

Wir können bei der Etatberatung in der General- War Konrad Porzner in seiner Eigenschaft als BND-Präsident aussprache gern über dieses Thema miteinander re- der richtige Ansprechpartner für die Prüfung eines Spionagever- den. dachts gegen Karl Wienand?

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr gut!) Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.

Dann werden Sie sich sehr wundern. Ich kann nur sagen: Die, die vor mir Bundeskanzler waren, haben Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- völlig andere Möglichkeiten auf diesem Feld im Bun- kanzler: Herr Kollege Hörster, der BND ist für die despresseamt gehabt; von denen kann ich nicht ein- Spionageabwehr nur zuständig, soweit sich die Spio- mal träumen. Wir können dann die Zahlen verglei- nage gegen ihn selbst richtet. Im übrigen ist die Spio- chen. Dann werden Sie entdecken, wie sehr das in nageabwehr eine Aufgabe des Bundesamtes für Ver- sich zusammenfällt. fassungsschutz. Für die Prüfung eines Spionagever- 1078 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Staatsminister Bernd Schmidbauer dachts gegen Herrn Wienand wäre also der Präsident Joachim Hörster (CDU/CSU): Ist mit Ministerpräsi- des Bundesamtes für Verfassungsschutz der richtige dent Rau Kontakt aufgenommen worden, um den Ansprechpartner gewesen. Hintergrund der Nichtinformati on des Bundesamtes für Verfassungsschutz aufzuklären? (Lachen bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- frage des Kollegen Hörster? Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Von uns nicht. Joachim Hörster (CDU/CSU): Nein.

Joachim Hörster (CDU/CSU): Danke. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine zusätzliche Frage des Kollegen Marschewski. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Herr Hörster, das bringt alles nichts!)

Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herr Staatsmini- Vizepräsident Dr. Antje Vollmer: Wir kommen zum ster, konnte oder mußte der ehemalige Bundesjustiz- Geschäftsbereich des Bundeskanzlers zurück. Ich minister Vogel die wirkliche Zuständigkeit kennen? rufe die Frage 73 des Kollegen Erwin Marschewski Warum hat er diese zuständige Stelle nicht gefragt? auf:

Wann und wie hat Präsident Konrad Porzner die Bundesregie- rung erstmals darüber unterrichtet, daß es einen Spionagever- Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- dacht gegen Karl Wienand gibt? kanzler: Herr Kollege, warum er diese Stelle nicht gefragt hat, kann ich Ihnen nicht beantworten. Die Zuständigkeiten sind aber allgemein bekannt. Ich Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- kann nicht unterstellen, daß gerade Herr Vogel als kanzler: Herr Kollege Marschewski, die Bundesre- ehemaliger Justizminister keine entsprechende gierung wurde erstmals mit schriftlichem Bericht des Kenntnis gehabt hat. Bundesnachrichtendienstes vom 28. Mai 1993 über (Konrad Gilges [SPD]: Mein Gott! Müssen einen Spionageverdacht unterrichtet, der sich gegen Sie uns mit diesem abgesprochenen Frage- eine zunächst unbekannte Person mit dem Deckna- und-Antwort-Spiel langweilen?) men Streit richtete. Diesem Bericht lag die Befragung eines Informanten am 24. Mai 1993 zugrunde. Daß es sich dabei um einen Spionageverdacht gegen Herrn Wienand handelte, wurde erst im Verlauf der weite- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es gibt offen- sichtlich keine weiteren Fragen zur Frage 72. ren Ermittlungen der zuständigen Staatsschutzbe- hörden bekannt. Jetzt hat der Kollege Hörster darum gebeten, daß seine Frage 16 im Anschluß hieran beantwortet wird. (CDU/CSU): Ich habe eine Zu- Das kann ich zulassen. Wir kommen daher zwischen- Erwin Marschewski satzfrage. Herr Staatsminister, hat Präsident Porzner zeitlich zum Geschäftsbereich des Bundesministers das Bundeskanzleramt nicht schon 1992 darüber un- des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamenta- terrichtet, daß er den Hinweis vom damaligen Partei- rische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung. vorsitzenden Dr. Vogel hatte, daß ein Spionagever- Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Hörster dacht gegen Wienand begründet sein könnte? auf:

Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, daß Minister- Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- präsident Johannes Rau das Bundesamt für Verfassungsschutz kanzler: Nein, Herr Kollege Marschewski. 1992 über den Spionageverdacht gegen Karl Wienand informiert hat? wurde das Bundeskanzleramt von diesem Vorgang nicht unterrichtet. Bitte, Herr Staatssekretär:

Erwin Marschewski (CDU/CSU): Ich habe eine Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- weitere Zusatzfrage. Wäre Herr Porzner nicht ver- minister des Innern: Frau Präsidentin, die Antwort pflichtet gewesen, das Bundeskanzleramt entspre- lautet ganz kurz wie folgt: Herr Ministerpräsident chend zu informieren? Rau hat das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht über den Spionageverdacht gegen Karl Wienand in- formiert. Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- kanzler: Herr Kollege Marschewski, wir haben eine Stellungnahme des Präsidenten des Bundesnachrich- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- tendienstes, auf die ich bei der nächsten Frage einge- frage. hen werde und wozu wir auch exakte Ausführungen Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1079

Staatsminister Bernd Schmidbauer in der zuständigen Kommission machen wollen. Ich Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- darf aber, damit es keine Mißverständnisse gibt, kanzler: Herr Kollege, das Gespräch Falin/Brandt zitieren, was Herr Porzner dem Bundeskanzleramt fand Ende März, am 30. oder 31. März, statt. mitgeteilt hat; daraus ergibt sich auch die Beantwor- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: In welchem Jahr tung Ihrer Frage: sind wir jetzt?) Herr Dr. Vogel sagte mir nicht, daß er mich auf Wunsch Willy Brandts frage. Er ging in keiner Das Gespräch zwischen Herrn Vogel und Herrn Porz- Weise auf die Hintergründe der Gerüchte ein. ner fand wenige Tage später statt, meiner Erinnerung Von einem Gespräch Brandt/Falin ist nicht die nach am 2. April. Rede gewesen. Über die Existenz eines Vermerks Willy Brandts habe ich erst aus der Presse erfah- Ich kann Ihnen ausführen, daß nach der dienstli- ren. Herr Dr. Vogel hat mir in seiner Frage keiner- chen Erklärung von Herrn Präsident Porzner Herr Dr. lei Information übermittelt, sondern nur von Bon- Vogel nicht sagte, daß er auf Wunsch Willy Brandts ner Gerüchten gesprochen. Ich sah deshalb keine frage. Nach dieser Erklärung hat Herr Vogel im Veranlassung, das Bundeskanzleramt oder das Laufe des Gesprächs lediglich von Bonner Gerüchten Bundesamt für Verfassungsschutz zu unterrich- - ich habe dies eben zitiert - über eine angebliche Tätigkeit Karl Wienands für einen östlichen Nach- ten. richtendienst gesprochen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich rufe jetzt die Erwin Marschewski (CDU/CSU): Teilen Sie damit Frage 74 des Kollegen Marschewski auf: vielleicht die Befürchtung, daß der Wunsch Willy Brandts eben nicht durch Herrn Vogel erfüllt worden Wie hat sich BND-Präsident Konrad Porzner zu der Frage ge- ist? äußert, ob der SPD-Politiker Dr. Hans-Jochen Vogel ihn mit dem Vermerk Willy Brandts zu dessen Gespräch mit dem früheren so- wjetischen Botschafter Falin konkret befaßt hat, und hat Präsi- dent Konrad Porzner den Vermerk gesehen? Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- kanzler: Ich kann meine Meinung dazu nicht äußern, (Norbert Gansel [SPD]: Warum sind denn mich aber auf das heutige Gespräch mit Herrn Porz- die Fragen vorgezogen worden?) ner beziehen.

Herr Porzner hat mir noch einmal bestätigt, daß bei Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- dem Gespräch zwischen ihm und Herm Vogel zu die- kanzler: Herr Kollege Marschewski, Herr Porzner hat sem Zeitpunkt, Anfang April, in keinster Weise auf am 25. Januar 1995 erklärt, daß er weder vom Inhalt den Inhalt des Vermerks eingegangen wurde, son- noch von der Existenz des Vermerks von Willy dern von Bonner Gerüchten die Rede war. Brandt Kenntnis hatte. In den vorangegangenen Er- klärungen des Herrn Porzner vom Januar und Fe- bruar 1994 wurde auf den Vermerk von Willy Brandt Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Damit sind wir nicht ausdrücklich Bezug genommen. Ich habe Ihnen am Ende dieses Geschäftsbereichs. Alle Fragen sind eben die Erklärung des Präsidenten Porzner in die- beantwortet. sem Zusammenhang zitiert. Herr Kollege Gansel hat gefragt, warum dieser Ge- Ich will darauf hinweisen, daß es diesen Vermerk schäftsbereich vorgezogen wurde. Die Begründung zum Zeitpunkt der Befragung des Herrn Porzner ist: Herr Schmidbauer sollte mit nach Washington durch Herrn Vogel nicht gegeben hat; der Vermerk fliegen und hatte deswegen darum gebeten - das wurde erst später angelegt. Wenn wir jetzt die Sache war den Fraktionen auch mitgeteilt worden -, diese diskutieren, kann es daher nur um den Inhalt des Fragen heute vorzuziehen. Vermerks gehen. Ich hätte auf Grund des sachlichen Zusammen- hangs auch Ihre Fragen zum Wirtschaftsbereich, die Fragen 37 und 38, der Fairneß wegen gerne vorgezo- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- gen. Es ist allerdings so, daß niemand vom Ministe- frage? rium da ist, um die Fragen heute zu beantworten; die Beantwortung der Fragen ist für morgen vorgesehen. Deswegen bitte ich Sie um Entschuldigung. Ich kann mich bemühen, noch jemanden zu finden. Erwin Marschewski (CDU/CSU): Ja, ich habe auch hierzu eine Zusatzfrage. (Norbert Gansel [SPD]: Entschuldigung ist gewährt, Frau Präsidentin!) Ist der BND-Präsident Herr Porzner von Herrn Vo- gel darüber informiert worden, daß Herr Vogel diese - Jetzt höre ich aber - so kommen wir doch noch zu Fragen im Auftrag von Altbundeskanzler Willy einem guten Ende -, daß der Parlamentarische Brandt an ihn übermittelt hat? Staatssekretär nun doch eingetroffen ist. 1080 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Ich rufe jetzt also die Frage 37 des Kollegen Gansel bezogen sich vor allem auf Produkte aus dem Be- auf: reich der Nachrichtentechnik, insbesondere auf Funkgeräte und Verschlüsselungsgeräte. Aus welchen Gründen haben die Telemit Elektronik Gmbl I oder ihre Tochterunternehmen während des irakisch-iranischen Krieges Genehmigungen für die Ausfuhr von Riistungsgiitern in Ich will darauf hinweisen, daß wir sehr wohl - dem den Irak und in den Iran erhalten, und welchen Umfang hatten Geist der rüstungsexportpolitischen Grundsätze die Lieferungen? folgend - jeweils situationsbezogen geprüft haben und daß insbesondere auch die Genehmigung sol- cher Lieferungen zunehmend restriktiver erfolgt ist. Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- Seit 1987 sind dem Irak und seit 1988 dem Iran dann desminister für Wirtschaft: Frau Präsidentin, wenn auch keine Genehmigungen mehr erteilt worden. ich mir den Hinweis gestatten darf: Ich war schon von Beginn der Fragestunde an hier, um gegebenen- Ich glaube, das macht deutlich, daß sich die Bun- falls Fragen beantworten zu können. desregierung hier sehr bewußt im Rahmen der ein- gangs zitierten Vorschriften und Regelungen bewegt Zu Frage 37 des Kollegen Norbert Gansel: Herr hat und ihr Genehmigungsverhalten situationsbezo- Kollege Gansel, die erteilten Ausfuhrgenehmigun- gen angepaßt hat. gen wurden auf der Grundlage des Außenwirt- schaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverord- nung sowie der rüstungsexportpolitischen Grund- Norbert Gansel (SPD): Kann die Bundesregierung sätze der Bundesregierung vom 28. April 1982 erteilt. der Öffentlichkeit und dem Parlament erklären, Gemäß Ziffer 11 dieser Grundsätze werden Geneh- warum ausgerechnet eine Firma, die in den vergan- migungen für sonstige Rüstungsgüter ausgestellt, genen Fragestunden den Bundestag im Zusammen- wenn dem keine Vorschriften des Außenwirtschafts- hang mit von der Bundesregierung bestrittenen Kon- rechts entgegenstehen. Dies wurde in jedem Einzel- takten zum Bundesnachrichtendienst und im Zusam- fall geprüft. menhang mit Wahlkampfspenden an die F.D.P. be- Angaben zum Umfang der Lieferungen zählen zu schäftigte, Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter den zu schützenden Betriebs- und Geschäftsgeheim- an zwei Staaten, die miteinander im Krieg lagen, er- nissen des Unternehmens. Diese dürfen von der Bun- halten hat, und zwar entgegen - das betone ich noch desregierung nach den Vorschriften des § 203 StGB einmal - allen Beteuerungen der Bundesregierung, und des § 30 Verwaltungsverfahrensgesetz nicht un- sie würde im irakisch-iranischen Krieg strikte Neu- befugt weitergegeben werden. tralität wahren?

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- frage. desminister für Wirtschaft: Herr Kollege Gansel, ei- gentlich wäre es erforderlich, Ihre Frage zunächst da- hin gehend zu korrigieren, daß der von Ihnen jetzt Norbert Gansel (SPD): Herr Staatssekretär, da es wieder vorgebrachte Zusammenhang u. a. mit Spen- sich hier nicht um den Normalfall der Ausfuhr von den an politische Parteien hier schon hinreichend Kriegswaffen oder Rüstungsgütern handelt, sondern ausgeräumt worden ist. Es bestehen keine Zusam- da es sich in diesem Fall darum handelt, daß wäh- menhänge. rend des iranisch-irakischen Krieges entgegen allen öffentlichen Beteuerungen der Bundesregierung so- Ich will noch einmal sagen: Es sind sonstige Rü- wohl an den Kriegspartner Iran wie auch an den Irak stungsgüter auf Grund von Genehmigungen expor- Rüstungsgüter geliefert worden sind, frage ich Sie: tiert worden. Es wurde immer darauf geachtet, daß Auf welche Passage der rüstungsexportpolitischen keine Waffen mit zerstörerischen Wirkungen expor- Grundsätze, des Kriegswaffenkontrollgesetzes und tiert worden sind. Ich habe Ihnen hier dargetan, was des Außenwirtschaftsgesetzes begründen Sie den Gegenstand der Genehmigungen war, und ich bitte Export von Rüstungsgütern an Kriegsgegner wäh- noch einmal, zur Kenntnis zu nehmen, daß das Ge- rend des iranisch-irakischen Krieges, und warum hat nehmigungsverhalten im Laufe der Zeit entspre- die Bundesregierung diese Exportgenehmigung in chend angepaßt worden ist. der Vergangenheit geheimgehalten?

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- frage des Kollegen Neumann (Bramsche). desminister für Wirtschaft: Herr Kollege Gansel, ich glaube, es ist wichtig, noch einmal festzuhalten, daß die Firma Telemit keine Genehmigungen für die Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Herr Staatsse- Ausfuhr von Kriegswaffen erhalten hat. Sie hat übri- kretär, seit wann ist unser früherer Bundestagskol- gens auch keine entsprechenden Genehmigungen lege Professor Dr. Gesellschafter nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz beantragt. Die der Telemit Elektronik GmbH, und hängt diese Tat- Firma hat seit 1973 eine Reihe von Ausfuhrgenehmi- sache mit der Genehmigung des Exports von Rü- gungen für sonstige Rüstungsgüter erhalten. Diese stungsgütern in den Irak und den Iran zusammen? Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1081

Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär beim Bundes- desminister für Wirtschaft: Herr Kollege Neumann, minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: ich habe keine aktuelle Kenntnis über die Zusam- Herr Kollege Singer, die Bundesregierung hat sich mensetzung des Gesellschafterkreises der Firma Te- während ihrer Präsidentschaft nachdrücklich dafür lemit. Ich glaube auch nicht - selbst wenn ich Kennt- eingesetzt, mit Marokko eine Sonderregelung zu nis hätte und wenn der von Ihnen vorgetragene Zu- treffen, die die von Ihnen zitierten Einfuhrerschwe- sammenhang zutreffend wäre -, daß das irgendeinen rungen verhindert. Einfluß auf das Kontrollgebaren der Bundesregie- rung hätte, im Gegenteil: Es gelten die eingangs zi- Nach intensiven Verhandlungen hat die Kommis- tierten Grundlagen Außenwirtschaftsgesetz, Außen- sion mit dem Königreich Marokko rechtzeitig eine wirtschaftsverordnung und rüstungsexportpolitische Vereinbarung ausgehandelt, gemäß der die bisher Grundsätze. Sie sind immer Leitlinie des Handelns gewährte Vergünstigung für die Einfuhr von Toma- der Bundesregierung gewesen. Keine Rücksicht auf ten mit Ursprung in Marokko in die Europäische etwaige Zusammensetzungen von Gesellschafterver- Union beibehalten wird. Die in Form eines Brief- sammlungen! wechsels abgeschlossene Vereinbarung ist nach Billi- gung durch den Rat der Europäischen Union und die - Regierung des Königreichs Marokko am 1. Januar 1995 in Kraft getreten, so daß eine Einfuhrerschwe- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Nachfrage rung nicht eingetreten ist. Die Bundesregierung be- der Kollegin Ganseforth. grüßt diese Regelung, da damit die traditionellen Handelsströme aufrechterhalten werden können.

Monika Ganseforth (SPD): Herr Staatssekretär, die Praxis, daß dieser Firma genehmigt worden ist, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Nachfrage „sonstige Rüstungsgüter" an zwei kriegsführende des Kollegen Singer. Parteien zu liefern, war Ihrer Ansicht nach Rechtens und könnte heute genauso wieder passieren? H abe ich Sie da richtig verstanden? Johannes Singer (SPD): Heißt das, daß wir hier in Deutschland marokkanische Tomaten zu gleichen Bedingungen erwerben können wie Tomaten, die in der Europäischen Union ihren Ursprung haben? Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Wirtschaft: Ich habe deutlich ge- macht, daß zum jeweiligen Zeitpunkt pflichtgemäß Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär beim Bundes- geprüft wurde und diese Genehmigungen zum je- minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: weiligen Zeitpunkt rechtmäßig waren. Aber damit Sie können sie zu anderen Zeiten erwerben; denn habe ich nicht gesagt, daß heute wieder so entschie- die marokkanischen Tomaten werden in den Mona- den werden würde. Im Gegenteil, seit 1988 sind ten November, Dezember, Januar, Februar, März ein- keine Genehmigungen mehr erteilt worden. Daraus geführt. dürfen Sie schließen, daß auch heute keine Geneh- migungen erteilt würden. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Keine weitere Nachfrage zu den marokkanischen Tomaten. - Dann Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe die- rufe ich Frage 3 des Abgeordneten Singer auf: sen Geschäftsbereich, weil ansonsten die Fragen der Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach den schweren Be- Kollegen, die sich entsprechend der Tagesordnung nachteiligungen der marokkanischen Fischindustrie durch die auf die heutige Beantwortung ihrer Fragen vorberei- Europäische Union (ständige ungerügte Vertragsverletzungen tet haben, nicht beantwortet werden können. durch spanische Fischer im marokkanischen Küstengebiet) der zweite wichtige Exportzweig der marokkanischen Wirtschaft empfindlich getroffen wird, und liegt es nicht nahe, daß solche Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun- wirtschaftlichen Benachteiligungen die Bemühungen der ma- desministeriums der Justiz. Für die Frage 1 ist um rokkanischen Regierung, ihr Land vom Einfluß islamischer Fun schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Ant- damentalisten und vom Rauschgiftanbau freizuhalten, konter- wort wird als Anlage abgedruckt. karieren?

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- nisteriums für Ernährung, Landwirtschaft und For- Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär beim Bundes- sten. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Staatssekretär Wolfgang Gröbl bereit. Frau Präsidentin, die Antwort wird ein kleines biß- chen länger, da der Sachverhalt sehr kompliziert ist.

Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Johannes Die Europäische Union hat mit Marokko ein vier- Singer auf: jähriges Fischereiabkommen mit einer regulären

Was hat die Bundesregierung unternommen, um die von der Laufzeit bis zum 30. April 1996 abgeschlossen. Nach EG-Kommission beschlossenen Einfuhrerschwerungen für ma- dem Abkommen räumt Marokko den Fischern der rokkanische Tomaten zu verhindern? Europäischen Union umfangreiche Fangmöglich- 1082 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Parl. Staatssekretär Wolfgang Gröbl keiten in marokkanischen Gewässern gegen finan- Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär beim Bundes- ziellen Ausgleich in Höhe von 102,1 Millionen ECU minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: pro Jahr ein. Die im Abkommen eingeräumten Fang- Das Königreich Marokko hat sich in einer Note an möglichkeiten werden überwiegend von spanischen Deutschland als den Präsidenten gewandt. Die und portugiesischen Fischern genutzt. Staatsangehörigkeit des Adressaten war also nicht mit der der betroffenen Fischer identisch. Deutsch- Nachdem das Abkommen zwei Jahre angewandt land hat daraufhin eine Note an Spanien mit der worden ist, hat Marokko im Rahmen einer im Ab- Bitte um Klärung der Vorwürfe gerichtet. Diese Vor- kommen vorgesehenen Halbzeitüberprüfung gefor- würfe sind dann in einer Sitzung der Gruppe für ex- dert, die von Marokko eingeräumten Fangmöglich- terne Fischereipolitik zur Sprache gekommen. Dieses keiten erheblich zu reduzieren, da das Abkommen klärende Gespräch hat auch dazu geführt, daß die zum Nachteil Marokkos ungleichgewichtig sei. Europäische Union verhandlungsbereit ist und das Ziel verfolgt, ein neues Fischereiabkommen mit Ma- Die Europäische Union hat sich im Herbst letzten rokko zu schließen. Jahres bereit erklärt, mit Marokko über einen neuen Vertrag zu verhandeln und die Laufzeit des alten Ab- kommens um ein Jahr zu verkürzen, es also zum Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die zweite Zu- 30. April 1995 aufzuheben. satzfrage des Kollegen Singer. Die Bundesregierung geht davon aus, daß das neu auszuhandelnde Abkommen die beiderseitigen In- Johannes Singer (SPD): Herr Staatssekretär, ich teressen in angemessener Weise berücksichtigen räume ein, daß derjenige, der sich beschweren muß, wird. Marokko hatte sich wiederholt beklagt, daß Fi- derjenige ist, der in seinem Zuständigkeitsbereich scher aus der Europäischen Union die Bestimmungen am ehesten solche Vertragsverletzungen von seiten über die Fischerei in marokkanischen Gewässern eines Staates der Union beobachten kann. Mir geht nicht einhalten. Die Einhaltung der Fischereivor- es einfach nur darum, zu erfahren, ob Marokko mit schriften kann jedoch nur von den marokkanischen der Unterstützung Deutschlands rechnen kann, Instanzen unmittelbar kontrolliert werden, da nur wenn bestimmte Mitgliedstaaten der Union Ver- Marokko souveräne Rechte in diesen Gewässern zu- tragsverletzungen begehen, und ob Verletzungen stehen. Die Gemeinschaft kann nur einen allgemei- von Abkommen, die mit außereuropäischen Staaten nen rechtlichen Rahmen für die Einhaltung der Ver- geschlossen worden sind, an deren Wohlergehen wir tragsbestimmungen setzen. So hat die Gemeinschaft im einzelnen aus den Gründen, die ich in der An- die Verordnung Nr. 3317/94 vom 22. Dezember 1994 frage dargestellt habe, eigentlich sehr interessiert - Amtsblatt Nr. L 350/13 vom 31. Dezember 1994 - sein sollten, nicht anders abgestellt werden können. zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen über die Genehmigung der Fischerei in den Gewässern eines Drittlandes im Rahmen eines Fischereiabkommens Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär beim Bundes- erlassen. In dieser Verordnung wird auch der Entzug minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: der Fangerlaubnis bei Verstößen geregelt. Außerdem Deutschland tritt innerhalb und außerhalb der Euro- werden die Mitgliedstaaten in dieser Verordnung päischen Union dafür ein, daß geschlossene Verein- aufgefordert, geeignete Maßnahmen zu erlassen, um barungen korrekt eingehalten werden. Das trifft na- die Wirksamkeit der Regelung zu gewährleisten. türlich auch in diesem Fall zu.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Nachfrage Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Frage des des Kollegen Singer. Kollegen Carstensen.

Johannes Singer (SPD): Herr Staatssekretär, ist der Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Bundesregierung bekannt, daß marokkanische Re- Herr Staatssekretär, gehe ich recht in der Annahme, gierungsvertreter immer dann, wenn sie sich be- daß mögliche Vertragsverletzungen durch spanische schwerdeführend wegen der Verletzung des Fische- Fischer in den Hoheitsgewässern von Marokko pas- reiabkommens an die entsprechenden Stellen der siert sind und daß Marokko dann die Möglichkeit Kommission in Brüssel wenden, in Brüssel grundsätz- hat, durch eigene hoheitliche Maßnahmen, sprich: lich auf Vertreter der Nationen stoßen, gegen deren Aufbringen der Fischereiboote, dort entschieden und Fehlverhalten sie sich wenden? Um das vielleicht scharf einzugreifen? einmal zu verdeutlichen: Wenn spanische Fischer bei der Befischung der Küstengewässer in Marokko die Quoten nicht einhalten oder in großem Umfang Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Jungfische wegfischen und sich marokkanische Poli- minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: tiker in Brüssel beschwerdeführend - ob das nun Eu- In der Tat, Herr Kollege, Sie gehen recht in dieser ropapolitiker oder Regierungsvertreter sind - an die Annahme. Ich habe das in meiner ersten Antwort er- Vertreter der Kommission wenden, stoßen sie dann wähnt. Ich möchte dazu ergänzend sagen: Es ist ein grundsätzlich auf spanische Kommissare oder Be- umfangreiches Recht, das den Fischern der Europäi- amte. schen Union zugestanden wurde. Insgesamt handelt Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1083

Parl. Staatssekretär Wolfgang Gröbl es sich um etwa 700 spanische und 100 portugiesi- Die Kommission hat um Stellungnahmen zum sche Schiffe. Die Kontrollmöglichkeiten der Marok- Grünbuch bis Mitte März dieses Jahres gebeten. In kaner sind verhältnismäßig bescheiden. Auch des- diesem Zusammenhang werden wir voraussichtlich halb gibt es ein Unbehagen auf marokkanischer in der zweiten Märzhälfte die Eckpunkte des künfti- Seite und die Bereitschaft, über ein solches Fischerei- gen nationalen Regulierungsrahmens zur Kommen- abkommen neu zu verhandeln. tierung veröffentlichen können. Auf dieser Grund- lage und in Abstimmung mit dem noch neu zu kon- stituierenden Regulierungsrat kann dann die Voraus- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Weitere Fragen setzung geschaffen werden, für einzelne Projekte be- zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht vor. Danke grenzten Umfangs und mit noch näher zu definieren- schön, Herr Staatssekretär. den Randbedingungen Verleihungen an private An- bieter für die Zeit vor 1998 auszusprechen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- nisteriums für Arbeit und Sozialordnung. Bei den Dazu ist vorgesehen, Rechtsverordnungen über die Fragen 4 und 5 ist um schriftliche Beantwortung ge- beabsichtigte Öffnung von Märkten für Telekommu- beten worden. Die Antworten werden als Anlagen nikation und Dienstleistungen gemäß § 2 Abs. 2 und abgedruckt. 3 des Gesetzes über Fernmeldeanlagen mit Beteili- gung des Regulierungsrates bzw. des Bundesrates zu Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- erlassen. nisteriums für Post und Telekommunikation. Zur Be- Ungeachtet dessen wird der Bundesminister für antwortung steht der Parlamentarische Staatssekre- Post und Telekommunikation seine früheren Verfü- tär Dr. Paul Laufs bereit. Ich rufe Frage 6 des Abge- gungen zu Ausnahmen vom Telefondienst- und ordneten Dr. Hermann Pohler auf: Netzmonopol auch nach dem 1. Januar 1995 grund- In welchem Umfang wird der Bundesminister für Post und Te- sätzlich so lange anwenden, bis für die betroffenen lekommunikation noch vor der allgemeinen Liberalisierung zum Sachverhalte Rechtsverordnungen nach § 2 des Fern- 1. Januar 1998 Ausnahmegenehmigungen für private Netz- und meldeanlagengesetzes erlassen sind. Diensteanbieter im Wettbewerb mit der Deutschen Telekom AG erteilen? Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege Dr. Pohler zu einer Zusatzfrage. Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Post und Telekommunikation: Frau Präsi- dentin, gestatten Sie bitte, daß ich die beiden Fragen Dr. Hermann Pohler (CDU/CSU): Wann werden er- des Herrn Kollegen Dr. Pohler wegen ihres Sachin- ste Ausnahmegenehmigungen für innovative An- halts zusammenfassend beantworte, wenn der Herr wendungen im Bereich der Monopole erteilt werden Kollege damit einverstanden ist. können? (Dr. Hermann Pohler (CDU/CSU]: Bitte!) Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Post und Telekommunikation: Herr Kol- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Dann rufe ich lege Pohler, ich bestätige Ihnen, daß Anträge zu in- auch Frage 7 des Abgeordneten Dr. Hermann Pohler novativen Anwendungen vorliegen, die gegenwärtig auf: auf der Grundlage früherer Verfügungen geprüft Wird der Bundesminister für Post und Telekommunikation werden. Eine Ausnahmegenehmigung kann dann er- seine früheren Verfügungen über die Behandlung von Ausnah- teilt werden, wenn diese Prüfung positiv abgeschlos- men vom Telefondienst- und Netzmonopol des Bundes auch sen ist. Es ist allerdings vorgesehen, den Regulie- nach Inkrafttreten des Postneuordnungsgesetzes am 1. Januar rungsrat vor einer entsprechenden Verleihung zu hö- 1995 weiterhin anwenden? ren. Auch in diesem Zusammenhang wäre es sehr begrüßenswert, wenn der Regulierungsrat seine Ar- beit bald aufnehmen könnte. Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Post und Telekommunikation: Herr Kol- lege Pohler, die Frage von Ausnahmegenehmigun- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine zweite Zu- gen für private Netz- und Diensteanbieter muß in satzfrage des Kollegen Pohler. dem Zusammenhang mit dem zu erarbeitenden künftigen Regulierungsrahmen für den Telekommu- nikationsmarkt in Deutschland gestellt werden. Die- Dr. Hermann Pohler (CDU/CSU): Eine Zusatzfrage, sen Regulierungsrahmen werden wir nach sorgfälti- Herr Staatssekretär. Wie ist der Zeitplan für den Er- ger Auswertung des kürzlich von der EU-Kommis- laß von Verordnungen, die nach § 2 FAG möglich sion vorgelegten Grünbuchs zur Liberalisierung der sind? Telekommunikationsinfrastruktur und der Kabelfern- sehnetze, hier insbesondere des zweiten Teils, der ei- ner fundierten Erörterung der Regulierung der Netz- Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär beim Bundes- infrastruktur gewidmet ist, erarbeiten. minister für Post und Telekommunikation: Herr Kol- 1084 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Parl. Staatssekretär Paul Laufs lege Pohler, angesichts der zum 1. Januar 1998 anste- Wie beurteilt die Bundesregierung in Betrachtung der Regie- henden Liberalisierung des Telekommunikations- rungspolitik Kasachstans die Lage der deutschen Minderheit in markts ist die Öffnung eines Teilbereichs nur dann Kasachstan? sinnvoll, wenn sie schon deutlich vor 1998 erfolgt. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um einem Wir sind deshalb dabei, Entwürfe zu Rechtsverord- eventuellen Vertreibungsdruck in Kasachstan entgegenzuwir- nungen nach § 2 FAG zu erarbeiten. Ich rechne da- ken? mit, daß die Rechtsverordnungen für Anwendungen in der zweiten Jahreshälfte 1995 verfügbar sein wer- den, immer vorausgesetzt, daß der Regulierungsrat Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- bzw. der Bundesrat diesen Rechtsverordnungen zu- minister des Innern: Die kasachische Regierung stimmen wird. bringt bei allen Gelegenheiten ihr großes Interesse zum Ausdruck, daß die Angehörigen der deutschen (Dr. Hermann Pohler [CDU/CSU]: Danke Minderheit im Lande bleiben. Sie teilt mit der Bun- schön!) desregierung die Sorge über die massenhafte Aus- siedlung der Deutschen aus der Republik Kasach- stan. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- frage der Kollegin Fuchs. Der Weggang der Deutschen wird als ein herber Verlust beklagt, der dem kasachischen Staat äußerst komplizierte Probleme verursacht, die nachhaltig die Anke Fuchs (Köln) (SPD): Herr Staatssekretär, Entwicklung in Staat und Gesellschaft beeinflussen. habe ich Sie richtig verstanden, daß die Frage des Von einem durch die offizielle Regierungspolitik der Regulierungsrats, des geordneten Wegs der Liberali- Republik Kasachstan ausgelösten, planmäßigen und sierung und des geordneten Hineinwachsens in den gezielten Vertreibungsdruck kann deshalb nach wie Wettbewerb so sorgfältig von Ihnen geprüft und vor nicht die Rede sein. durchgesetzt wird, daß nicht unbedingt vor dem 1. Januar 1998 weitere Lizenzen erteilt werden müs- Gleichwohl wird vor allem im Süden Kasachstans, sen, wenn sich herausstellt, daß das in geordneter wo der kasachische Bevölkerungsanteil überwiegt, Weise zu früh wäre? der wachsende Nationalismus und die daraus resul- tierende Intoleranz auch von der deutschen Minder- heit zunehmend als Bedrohung empfunden. Ein gra- Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär beim Bundes- vierender Hinderungsgrund für das Verbleiben in minister für Post und Telekommunikation: Frau Kol- Kaschstan ist zudem der Zwang, die kasachische legin Fuchs, wir sind darüber völlig im Konsens, daß Sprache erlernen zu müssen, was von einem Großteil wir geordnete Zugänge zu diesem sehr wichtigen, der Deutschen abgelehnt wird. weltweit außerordentlich stark wachsenden Markt realisieren wollen. Es ist auch selbstverständlich, daß Die instabile wirtschaftliche Lage des Landes, die wir ohne Änderung der gesetzlichen Grundlagen der in den ersten Jahren nur ein sekundärer Grund für Monopole, die der Deutschen Telekom AG verliehen die Aussiedlung gewesen ist, gewinnt angesichts der worden sind, keine Verleihungen im Kernbereich eingetretenen Entwicklung nach dem Zusammen- vornehmen können. bruch der Planwirtschaft eine immer größere Bedeu- tung für die Entscheidung der Deutschen zu gehen Es gibt allerdings Randbereiche der Monopole, in oder zu bleiben. denen man auch aus volkswirtschaftlichen Gründen durchaus Liberalisierungen vor 1998 vornehmen und Neben dem allgemeinen Gefühl der Verunsiche- auch entsprechende Lizenzierungsverfahren eröff- rung und dem Bestreben, die auseinandergerissenen nen kann. Dies geschieht in Abstimmung und unter Familien wieder zusammenzuführen, ist eine sich Mitwirkung des Regulierungsrates, der hoffentlich in dramatisch verschlechternde Wirtschaftslage die den nächsten Wochen konstituiert werden und seine Hauptursache für den anhaltenden Aussiedlungs- Arbeit aufnehmen kann. trend. Von ihren Folgen sind nicht nur die Deut- schen, sondern alle Bürger Kasachstans in gleicher Weise betroffen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es gibt keine Solange keine grundlegende Verbesserung der weiteren Zusatzfragen zu diesem Geschäftsbereich. wirtschaftlichen Situation der Republik Kasachstan erfolgt, wird sich auch die allgemeine Lage der deut- Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun- schen Minderheit nicht verbessern. desministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Lintner zur Verfügung. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Haben Sie eine Die Frage 16 wurde bereits beantwortet. Zusatzfrage?

Wir kommen jetzt zu den Fragen 8 und 9 des Abge- ordneten Reiner Krziskewitz: Reiner Krziskewitz (CDU/CSU): Ja. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1085

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte. Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Frau Kollegin, wir kennen die Existenz dieses Berichts im Moment auch nur aus Reiner Krziskewitz (CDU/CSU): Ist die Bundesre- Zeitungsmeldungen. Wir kennen den genauen Inhalt gierung nicht mit mir der Ansicht, daß damit, daß von nicht. Aber es ist schon immer Übung in der Bundes- den Staatsangehörigen Kasachstans das Beherrschen regierung gewesen, solche Berichte sorgfältig zu stu- der kasachischen Sprache als Grundlage beispiels- dieren, um daraus, wenn entsprechende Erkennt- weise für eine Anstellung im öffentlichen Dienst oder nisse enthalten sind, auch Schlüsse für die eigene Po- für eine Arbeit in einem Staatsbetrieb angesehen sition zu ziehen. wird, die kasachische Regierung selbst eine Ursache für diese Situation und einen entsprechenden Ver- treibungsdruck erzeugt hat? Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine weitere Zu- satzfrage, Frau Hanewinckel. Ich darf nachfragen: Gibt es Gespräche zwischen der Bundesregierung und der kasachischen Regie- rung, die darauf hingewiesen haben? Christel Hanewinckel (SPD): Herr Staatssekretär, uns ist natürlich klar, daß für die entsprechende Ab- schiebung die jeweiligen Länder zuständig sind. Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Aber: Gelten nicht allgemein die Tatsache und spe- minister des Innern: Herr Kollege, ich habe bereits ziell auch das Wissen der Bundesregierung und der darauf hingewiesen, daß solche Gespräche ständig Länder darum - deshalb die Frage -, daß drohende stattfinden. Die kasachische Regierung ist zu diesem Haft und Folter, die ja nun in der Türkei - leider, aber Zusammenhang und zu dieser Gefahr natürlich auch bekanntlich - gegen abgeschobene Asylbewerber von unserer Seite angesprochen worden. Aber sie immer wieder auftreten und weswegen ja auch ein sieht sich angesichts der politischen Mehrheiten im Abschiebestopp eingeführt worden ist, als Abschie- Lande zu einem anderen Verhalten nicht in der Lage. behindernis? Auf die Wirkung habe ich bereits in meiner Antwort hingewiesen. Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Frau Kollegin, wir haben uns Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir kommen zur heute ausführlich mit dieser Thematik im Innenaus- Frage 10 des Abgeordneten Gloser: schuß beschäftigt. Ich müßte jetzt schon einige Zeit Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Abschiebung des in Anspruch nehmen, um darauf nun umfassend ant- Kurden Ibrahim Karahan in die Türkei Anfang Januar ange- worten zu können. Ich will versuchen, es ganz kurz sichts des von den Innenministern der Länder vereinbarten Ab- zu machen. schiebestopps bis zum 28. Februar 1995? Bei denjenigen, die in der Türkei gemäß den dort vorhandenen Sicherheitsgesetzen von der Justiz be- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- handelt werden, liegt in der Regel entweder ein Asyl- minister des Innern: Herr Kollege Gloser, nach Art. 83 grund vor, oder sie unterliegen einem Abschiebehin- des Grundgesetzes werden die ausländerrechtlichen derungsgrund. Dies kann im Einzelfall nach der gel- Bestimmungen im Bundesgebiet von den Bundeslän- tenden Gesetzeslage überprüft werden. Das wird im dern als eigene Angelegenheit ausgeführt. Vorge- übrigen auch gemacht, so daß auch unter dem Ge- nommene Abschiebungen sind daher nicht von der sichtspunkt, den Sie jetzt anführen, ein allgemeiner Bundesregierung, sondern von den zuständigen Be- Abschiebestopp nicht erforderlich ist. hörden des betreffenden Landes rechtlich zu verant- worten. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir kommen jetzt zur Frage 11 der Kollegin Hanewinckel: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es besteht der Wunsch nach zwei Zusatzfragen. Kollegin Ganse- Muß bei den vom Abschiebestopp für Kurden ausgenomme- forth, bitte. nen Straftätern nicht unterschieden werden zwischen kriminel- len und solchen Asylbewerbern, die nach der Ablehnung aus Angst vor Abschiebung einen zweiten Antrag unter falschem Namen stellen? Monika Ganseforth (SPD): Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, wie die Bundesregierung ge- Herr Staatssekretär, bitte. denkt, auf den Bericht von Amnesty International in bezug auf die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, insbesondere gegenüber Kurden, auch im Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- westlichen Teil des Landes, aber besonders im östli- minister des Innern: Soweit die für den Erlaß generel- chen Teil des Landes, die da stattfinden, zu reagie- ler Abschiebestopps zuständigen Landesbehörden ren. Damit will ich nicht verschweigen, daß Amnesty von einer solchen Maßnahme Straftäter ausnehmen, International auch die PKK kritisiert. Ich sage dies, ist ihnen bundesrechtlich nicht vorgegeben, nach damit mir nicht vorgeworfen wird, ich würde nicht Straftätergruppen zu differenzieren. Im übrigen ist es ausgewogen argumentieren. sachgerecht, Ausländer, die durch Angaben falscher 1086 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Parl. Staatssekretär Eduard Lintner Personalien einen weiteren illegalen Aufenthalt im dem laufenden, weil ich einem anderen Ausschuß Bundesgebiet erreichen, nicht gegenüber sonstigen angehöre. Vielen Dank für diese Auskunft. Kriminellen zu begünstigen.

Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir kommen zur minister des Innern: Bitte. Frage 12 der Kollegin Hanewinckel:

Ist die Bundesregierung bereit daran mitzuarbeiten, daß der Kurde Ibrahim Karahan, der nach der Abschiebung Anfang Ja- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Danke schön, nuar direkt bei seiner Ankunft in Istanbul verhaftet wurde und Herr Staatssekretär. Wir sind damit am Ende dieses sich jetzt im Gewahrsam der Militärpolizei befindet, mittels ei- Geschäftsbereiches. ner Ruckholaktion zurück in die Bundesrepublik Deutschland kommen kann? Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun- desministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Kurt Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Faltlhauser bereit. minister des Innern: Diese Frage beantworte ich wie folgt: Der Bundesregierung liegen bisher keine Er- Für die Fragen 25, 26 und 27 wurde schriftliche Be- kenntnisse vor, die die Frage nach einer etwaigen antwortung beantragt. Die Antworten werden als Rückkehraktion aufwerfen. Soweit bisher bekannt, Anlagen abgedruckt. hat die Flughafenpolizei in Istanbul bei der Perso- nenüberprüfung bei der Einreise festgestellt, daß Wir haben gerade noch Zeit, die Frage 28 des Kol- Herr Karahan wegen Dienstflucht zur Festnahme legen Helmut Lippelt zu beantworten: ausgeschrieben war, und hat ihn deshalb der Wehr- kreisverwaltung in Istanbul überstellt. Noch nicht ge- Warum erwägt der Bundesminister der Finanzen nicht, dem französischen Beispiel zu folgen und mit einer Teilkonversion klärt ist, ob Herr Karahan sogleich eingezogen oder von z. B. 3 % in das Programm ECO-Conversion einzusteigen? zunächst auf freien Fuß gesetzt wurde, um sich türki- sche Personalpapiere zu besorgen. Bitte, Herr Staatssekretär.

(SPD): Jetzt möchte ich eine Christel Hanewinckel Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- Zusatzfrage stellen. desminister der Finanzen: Herr Kollege Lippelt, wir haben Ihre Frage diesbezüglich schon einmal beant- wortet, und zwar auf Drucksache 13/213 die Frage 42. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ja, bitte. Es geht dabei um eine Beteiligung am Öko - Fonds Polen. Die Bundesregierung hat diese Beteiligung wiederholt eingehend geprüft und im Ergebnis abge- Christel Hanewinckel (SPD): Herr Staatssekretär, lehnt. Die Entscheidung beruht auf der Feststellung, können Sie mir die Gründe nennen, weshalb die angesichts der angespannten Haushaltslage und der Bundesregierung bisher nicht bereit war, an einem starken Belastung durch die Gesamtregelung der Hearing teilzunehmen bzw. daran mitzuarbeiten, daß polnischen Altschulden - Sie wissen, Deutschland ist eines zustande kommt, an einem Hearing, das sich mit Abstand größter Gläubiger - keinen weiteren fi- aus Fachleuten des Auswärtigen Amtes, des UNHCR nanziellen Beitrag im Rahmen der Umschuldungsab- und von Menschenrechtsorganisationen zusammen- sprache des Pariser Clubs im April 1991 zu leisten. setzt, um einmal vorurteilsfrei zu überprüfen, wie die Situation in der Türkei tatsächlich ist, und dann zu Selbst eine geringere Beteiligung kommt nicht in einer gemeinsamen Handlungsweise zu kommen? Betracht. Es stehen nämlich bereits ausreichende Mittel aus einer anderen Erlaßmaßnahme zugunsten Polens für eine Verwendung in Umweltschutzprojek- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- ten zur Verfügung. Die damit finanzierte Stiftung für minister des Innern: Frau Kollegin, unsere Position deutsch-polnische Zusammenarbeit kann diese Gel- wurde schon bisher vorurteilsfrei bestimmt. Im übri- der auch, Herr Kollege, für Umweltprojekte in Polen gen sind Sie nicht ganz auf dem laufenden; denn einsetzen. Ich weise darauf hin: Auch das haben wir heute vormittag hat der Innenausschuß beschlossen, in der Frage 42 bereits mitgeteilt. ein derartiges Hearing durchzuführen. Die Bundes- regierung hat dazu weder negativ noch positiv Stel- Das BMF hat wiederholt über das Auswärtige Amt, lung genommen. Sie wird sich selbstverständlich das für die Stiftungsplanung auf deutscher Seite zu- auch an diesem Hearing, wenn erwünscht, beteili- ständig ist, angeregt, die Kontakte zwischen Stiftung gen. und Öko-Fonds zu vertiefen. Von den Verantwortli- chen des Öko-Fonds ist diese Anregung bisher nicht aufgegriffen worden. Deshalb fährt das Bundesfi- Christel Hanewinckel (SPD): Ich habe keine Zu- nanzministerium in seinen Bemühungen fort, auf satzfrage, sondern möchte nur die Mitteilung ma- Einzelfallbasis Projekte des Öko-Fonds durch Stif- chen, daß Sie recht haben. Ich bin in der Tat nicht auf tungsmittel fördern zu lassen. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1087

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Nachfrage bigerländern getroffen wurde, nicht auf diesen spe- des Kollegen Lippelt. ziellen Umstand hingewiesen und deshalb für die Bundesrepublik von vornherein eine Ausnahme be- antragt? Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, da es mir nicht um einzelne Pro- jekte, sondern um das Verhalten der Bundesregie- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- rung geht: Stimmen Sie mir darin zu, daß die Bezug- desminister der Finanzen: Da ich bei den Verhand- nahme auf den Jumbo-Kredit und die daraus ge- lungen des Pariser Clubs nicht dabei war, kann ich schaffene deutsche Stiftung insofern etwas irrefüh- nicht sagen, was die Bundesregierung vor Ort gesagt rend ist, als der Jumbo-Kredit in der Zeit Schmidt an und wie sie sich eingelassen hat. Aber ich glaube, Gierek schlechthin als verlorenes Geld galt, da er un- das vorliegende Ergebnis ist angemessen. Die bishe- ter anderen politischen Bedingungen in eine zentral rigen Tätigkeiten der Bundesregierung in dieser verwaltete Wirtschaft hineingepumpt wurde, die ihn, Frage und die Stellungnahmen, die jeweils über das wie damals zu Recht gesagt wurde, vergeudet hat? Auswärtige Amt vorgetragen werden, sind meiner Meinen Sie nicht, daß sich für Sie unter diesen Vor- Ansicht nach angemessen und richtig. - aussetzungen hinsichtlich des Jumbo-Kredits, den Sie nicht ganz gestrichen, sondern aus dem Sie sogar noch einen Fonds zurückbehalten haben, für eine Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir kommen da- Behandlung in der Frage der ECO-Conversion, wie mit zur Frage 29 des Abgeordneten Krause (Dessau): die Franzosen, die Finnen, die Schweizer und die Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, urn den schienen Amerikaner sie vorgenommen haben, ganz neue fahrzeugproduzierenden Bereich der Waggonbau Dessau Überlegungen stellen müßten? GmbH als Kernproduktion zu erhalten?

Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Herr Kollege Lippelt, da desminister der Finanzen: Herr Kollege Krause, die Sie hier internationale Vergleiche angeführt und auf Position der Waggonbau Dessau GmbH hat sich in andere Länder hingewiesen haben, möchte ich dar- den vergangenen Jahren im Vergleich zu den ande- auf aufmerksam machen, daß die Bundesrepublik ren Standorten der Deutschen Waggonbau AG tat- Deutschland in außergewöhnlich großem Umfang sächlich deutlich verschlechtert. Der Standort Dessau Kredite an Polen gewährt hat. Es waren zunächst ins- hat der Unternehmensgruppe im Jahre 1994 einen gesamt 9,1 Milliarden DM. Davon haben wir bereits erheblichen Teil an Liquidität entzogen, nämlich 4,5 Milliarden DM erlassen. Die Rückzahlung des Re- 110 Millionen DM. Für 1995 erwartet man 90 Mil- stes ist gestundet und prolongiert bis zum Jahre lionen DM. 2009. Damit müssen Sie einmal die Zahlen der von Ihnen genannten Länder vergleichen. Das als allge- Würde an der Waggonbauproduktion am Standort meine Bemerkung vorweg. Dessau festgehalten, würde in hohem Maße die Exi- stenz der gesamten DWA gefährdet werden. Es ist Die Mittel, die an die Stiftung gehen, kommen daher zum Überleben des Gesamtkonzerns unerläß- nicht nur aus dem Jumbo-Kredit, sondern auch aus lich, den Standort auf andere Produkte umzustellen. dem KfW-Kredit von 1975. Das sind immerhin 1,3 Mil- liarden DM. Die Zloty-Gegenwerte fließen der Stif- tung für deutsch-polnische Zusammenarbeit zu. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- frage? Wenn ausdrücklich klar ist, daß diese Stiftung auch Umweltprojekte fördern kann, dann frage ich mich, wieso wir zusätzlich irgendwelche Mittel geben soll- Wolfgang Krause (Dessau) (CDU/CSU): Ich bitte ten. darum, erst noch meine zweite Frage zu beantwor- ten. Dann frage ich im Zusammenhang nach.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann rufe ich Darf ich eine zweite Frage stellen, Frau Präsidentin? Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: auch die Frage 30 des Abgeordneten Krause (Des- sau) auf:

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wenn es nicht Sieht die Bundesregierung unter dem Aspekt, daß in Dessau wieder eine ist, in der drei andere Fragen enthalten in den vergangenen vierJahren bereits alle ehemaligen Großbe- sind, gern. triebe in ihren Produktionsvolumen und Beschäftigungszahlen auf ein nicht mehr zu vertretendes Maß zurückgegangen sind, eine besondere Förderungswürdigkeit besonders unter dem Aspekt, daß bei der Waggonbau Dessau GmbH neue, innovative Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schienenfahrzeuge entwickelt wurden? Da der Staatssekretär mir eben nur eine Antwort ge- geben hat, darf ich noch folgendes fragen. Warum hat die Bundesregierung seinerzeit bei der Vereinba- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- rung, die im Pariser Club von allen beteiligten Gläu- desminister der Finanzen: Der in Dessau als Prototyp 1088 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser geplante Schienenbus wurde in Zusammenarbeit mit Lassen Sie mich eine bewertende Bemerkung dazu und unter Federführung des Instituts für Schienen- machen: Das Entscheidende bei all diesen schwieri- fahrzeuge in Berlin konzipiert. Die dort gefertigten gen Fragen, die für einen Politiker regional, vor Ort Straßenbahnen sind eine Lizenzproduktion. sehr schwer durchzustehen sind - das sehe ich wohl -, ist, daß man ein dauerhaftes betriebswirtschaftliches Die vom DWA-Vorstand eingesetzte Arbeitsgruppe Konzept mit Produkten zustande bringt, die am zur Standortentwicklung in Dessau arbeitet derzeit Markt tatsächlich Abnahme finden. Wenn hier vor an einer Verfeinerung der Maßnahmen des Standort- Ort ein Umstrukturierungsprozeß geplant wird - un- konzepts für Dessau. Die Bundesregierung wird sich ter Einbeziehung aller Beteiligten -, dann muß man mit der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Son- dies vor Ort auch im Detail weiter so laufen lassen, deraufgaben - einer der drei Nachfolgegesellschaf- auch wenn ich, wie gesagt, Ihre Besorgnis verstehe. ten der Treuhandanstalt -, dem Land Sachsen-An- halt, der IG Metall und der Deutschen Waggonbau (Wolfgang Krause [Dessau] [CDU/CSU]: AG darüber verständigen, welche bestehenden In- Keine weitere Nachfrage!) strumente zur Förderung des neuen Standortkon- zepts für Dessau eingesetzt werden können. - Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nun hat der Par- lamentarische Geschäftsführer der SPD noch den Wolfgang Krause (Dessau) (CDU/CSU): Herr Wunsch nach einer Zusatzfrage. Staatssekretär, ich habe eine Nachfrage. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man das, was Sie in der Antwort auf meine erste Frage gesagt haben, bei der Belegschaft in dieser Region so nicht überbrin- Dr. Uwe Küster (SPD): Herr Staatssekretär, darf ich gen kann? Ein Verständnis dafür ist nicht mehr vor- Ihre Antwort so interpretieren, daß das Konzept, das handen. Diese Region - das habe ich in meiner zwei- die Bundesregierung derzeit erarbeitet, den Bau von ten Frage angesprochen - ist in hohem Maße gebeu- Schienenfahrzeugen nicht mehr vorsieht, obwohl ge- telt. Hier geht es um den einzigen von acht Großbe- rade nach Schienenfahrzeugen, die dort jetzt gebaut trieben, der überhaupt noch produktionsfähig ist. Er werden, eine erhebliche Nachfrage besteht? kann das Konzept, das von der Deutschen Waggon- bau AG vorgelegt wurde, diese Aufsplittung in zwölf Um es deutlich zu sagen: Die Bundesregierung un- Teil-GmbHs, so nicht akzeptieren. terstellt mit diesem Konzept, daß der Bau von Schie- nenfahrzeugen in Dessau nicht mehr stattfinden soll. Damit wird auch die Produktion von Güterfahrzeu- gen abgeschlossen, die dort ebenfalls sehr innovativ Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Herr Kollege, ich habe war. Das bedeutet natürlich, daß das Konzept, das großes Verständnis für Ihre Sorgen als örtlicher Ab- die Bundesregierung vorzulegen beabsichtigt, für geordneter. Als solcher sieht man vor Ort, wie sich diese Gegend überhaupt nicht mehr relevant ist; denn Komponentenproduktion dieser Art finden Sie die Probleme entwickelt haben. in Sachsen-Anhalt inzwischen an vielen Stellen. Die Diskussion über diesen Standort - sie ist öffent- lich ausgetragen worden - ist nicht neu. Es geht hier nicht um das Verständnis der Bundesregierung, son- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- dern es geht um die tatsächlichen Möglichkeiten, desminister der Finanzen: Herr Kollege, die Bundes- wie man im Rahmen eines betriebswirtschaftlich er- regierung legt überhaupt kein Konzept vor. Es ist träglichen Konzepts vorankommen kann. Sie wissen, nicht Aufgabe der Bundesregierung, hier ein be- daß der Vorstand der DWA am 3. Januar 1995 eine triebswirtschaftliches Konzept vorzulegen. Arbeitsgruppe zur Entwicklung eines alternativen Standortkonzepts für Dessau eingesetzt hat und da- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Aber die Bundesre bei vorgesehen ist, eine Reihe von selbständigen Un- gierung ist der Eigentümer!) ternehmenseinheiten - wie Sie gerade angedeutet haben - mit zwei Schwerpunkten auszugründen. Ich habe gesagt, welche Institutionen sich hier um Nach ersten Abschätzungen können dadurch ca. eine entsprechende Konzeption bemühen, daß da 400 Arbeitsplätze in Dessau erhalten werden. Daß eine Arbeitsgruppe vorgesehen ist. Auf Grund der das noch nicht das Ende der Konzeptionsarbeit ist, ist Kenntnisse, die ich zu diesem Vorgang habe - ich auch klar. bitte um Verständnis dafür -, kann ich nicht sagen, ob neben den zusätzlichen Aspekten, die man hier Ich weise hier noch auf die alternativen Geschäfts- eingebracht hat, den anderen Fertigungsbereichen, felder hin, die dort vorgestellt wurden: erstens Pro- den anderen Feldern betriebswirtschaftlicher Tätig- duktion von Komponenten - ich will darauf nicht im keit, auch noch Teile des Schienenfahrzeugbaus Detail eingehen -; zweitens Produktion von Fremd- übrigbleiben. Das müßte man klären und Ihnen produkten - Beispiele: Fertighausbau, Türen-, Fen- schriftlich mitteilen. ster-, Fassadenfertigung, Umweltanlagen, Container- fertigung -; drittens Verwaltungs- und Dienstlei- (Abg. Dr. Uwe Küster [SPD] meldet sich zu stungsaktivitäten. einer weiteren Zusatzfrage) Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1089

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege - Ich meine, daß Sie die Nachfolgeorganisation der Küster, Sie haben leider keine Zusatzfrage mehr. Nur Treuhand durchaus entsprechend fragen können. der ursprüngliche Fragesteller hat zwei Zusatzfra- Wenn Sie diese Frage über mich einreichen, bitte gen, andere Kollegen haben jeweils nur eine. schön.

Aber es gibt noch eine Nachfrage der Kollegin Lemke. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Danke schön, Herr Staatssekretär.

Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auf Weitere Nachfragen liegen nicht vor. Bei den ande- welche Untersuchungen stützt sich die Annahme der ren Fragen zu diesem Geschäftsbereich ist um Bundesregierung bzw. der Treuhandanstalt, daß die schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Ant- Schienenfahrzeugproduktion am Standort Dessau - worten werden als Anlagen abgedruckt. sprich: der Schienenbus, ein innovatives Produkt, wie inzwischen auch die DB bestätigt hat - nicht ren- Damit sind wir am Ende der ausgemachten Zeit. tabel sein wird? Ich bedanke mich bei Ihnen für die ausführlichen Antworten.

Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesord- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- nung. desminister der Finanzen: Da sich die Bundesregie- rung mit diesen betriebswirtschaftlichen Fragen Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- nicht befaßt hat, sondern die entsprechenden von mir destages auf morgen, Donnerstag, 9. Februar 1995, vorgetragenen Institutionen damit beauftragt sind, 9 Uhr ein. will ich keine Stellungnahme dazu abgeben. Die Sitzung ist geschlossen. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wäre das schriftlich möglich?) (Schluß der Sitzung: 17.11 Uhr)

Berichtigung

15. Sitzung, Seite V, rechte Spalte, Zeile 8: Statt „Ulrich Kleinert" ist „Ulrich Klinkert" zu lesen.

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1091*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik ist seit Liste der entschuldigten Abgeordneten deren Bestehen das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. Ap ril entschuldigt bis 1959 in Kraft. Damit besteht zwischen beiden Staaten Abgeordnete(r) einschließlich eine vertragliche Grundlage für die Leistung jeder Art von Rechtshilfe in Strafsachen. Dieses multilate- Beck (Bremen), BÜNDNIS 8. 2. 95 rale Instrument ist hinsichtlich seines Inhalts, seiner Marieluise 90/DIE völkerrechtlichen Bindungswirkung und seiner Prak- GRÜNEN tikabilität einem bilateralen Vertrag gleichzusetzen. Dr. Böhme (Unna), Ulrich SPD 8. 2. 95 Es gehört daher zur Vertragspolitik der Bundesregie- Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 8. 2. 95 rung, völkerrechtlich bindende Regelungen über die Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 8. 2. 95 Rechtshilfe in Strafsachen, sofern dafür ein Bedürfnis Hartmut besteht, nach Möglichkeit nicht durch zweiseitige, Dr. Hauchler, Ingomar SPD 8. 2. 95 sondern durch mehrseitige Verträge zu treffen und zweiseitige Verträge nur dort - ergänzend - anzustre- Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 8. 2. 95 ben, wo gegenüber multilateralen Übereinkommen Dr. Jacob, Willibald PDS 8. 2. 95 weitere Vereinfachungen und Erleichterungen wün- Kanther, Manfred CDU/CSU 8. 2. 95 schenswert und erreichbar sind. Klose, Hans-Ulrich SPD 8. 2. 95 Verbesserungen dieser Art werden mittelfristig Knoche, Monika BÜNDNIS 8. 2. 95 auch im Verhältnis zur Tschechischen Republik an- 90/DIE gestrebt; sie sollen durch den Abschluß eines GRÜNEN deutsch-tschechischen Zusatzvertrags zu dem ge- Kraus, Rudolf CDU/CSU 8. 2. 95 nannten Übereinkommen erreicht werden. Ein erste Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 8. 2. 95 deutscher Vertragsentwurf wird gegenwärtig auf Ar- 90/DIE beitsebene vorbereitet; danach wird mit der tschechi- GRÜNEN schen Regierung ein Termin für Verhandlungen ab- Metzger, Oswald BÜNDNIS 8. 2. 95 gestimmt werden. Entgegen anderslautenden Äuße- 90/DIE rungen in den Medien sind aus deutscher Sicht keine GRÜNEN Probleme erkennbar, die den Abschluß eines solchen Otto (Erfurt), Norbert CDU/CSU 8. 2. 95 Zusatzvertrages behindern könnten. Poß, Joachim SPD 8. 2. 95 Bereits jetzt bestehen zwischen der Bundesrepu- Scheffler, Siegfried SPD 8. 2. 95 blik Deutschland und der Tschechischen Republik in Schmidt-Zadel, Regina SPD 8. 2. 95 Ergänzung der durch das genannte Europäische Schönberger, Ursula BÜNDNIS 8. 2. 95 Übereinkommen geltenden Regelungen Absprachen 90/DIE unterhalb der Ebene des völkerrechtlichen Vertra- GRÜNEN ges, welche die praktische Zusammenarbeit zwi- Schumann, Ilse SPD 8. 2. 95 schen den Justizbehörden beider Staaten vereinfa- chen und erleichtern (einschließlich der Nutzung un- Schwanhold, Ernst SPD 8. 2. 95 mittelbarer Geschäftswege). Seuster, Lisa SPD 8. 2. 95 Nach meinen Erkenntnissen hat sich der deutsch- Steindor, Marina BÜNDNIS 8. 2. 95 90/DIE tschechische Rechtshilfeverkehr in Strafsachen auf GRÜNEN den dargelegten Grundlagen unmittelbar, vertrau- ensvoll und ohne wesentliche Probleme entwickelt. Terborg, Margitta SPD 8. 2. 95 Tippach, Steffen PDS 8. 2. 95 Vergin, Siegfried SPD 8. 2. 95 Wallow, Hans SPD 8. 2. 95 Anlage 3

Antwort Anlage 2 des Parl. Staatssekretärs Horst Günther auf die Fra- Antwort gen der Abgeordneten Marion Caspers-Merk (SPD) (Drucksache 13/385 Fragen 4 und 5): des Parl. Staatssekretärs Rainer Funke auf die Frage Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß mit der des Abgeordneten Simon Wittmann (Tännesberg) Einführung der Pflegeversicherung für Grenzgänger völlig un- (CDU/CSU) (Drucksache 13/385 Frage 1): terschiedliche Folgen dadurch entstehen, daß einerseits Arbeit- nehmer mit Wohnsitz in Deutschland und Arbeitsstätte in Frank- Wie weit sind die Verhandlungen mit der Tschechischen Re- reich, die deshalb in Frankreich krankenversichert sind, zwar publik über ein Rechtshilfeabkommen, und wo gibt es gegebe- keine Beiträge zur Pflegeversicherung zahlen, aber trotzdem in nenfalls Probleme, die den Abschluß eines solchen Abkommens den Genuß deren Leistungen kommen und andererseits - auch behindern? deutsche - Arbeitnehmer mit Wohnsitz in Frankreich und Ar- 1092* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

beitsplatz in Deutschland zwar Beiträge entrichten, aber keine Daß Grenzgänger in einem Sozialversicherungssy- Leistungen erhalten, und plant sie spezielle Regelungen zur Ver- stem Beiträge entrichten, ohne in ihrem Wohnsitz- meidung derartiger Ungleichbehandlungen? land entsprechende Leistungen zu erhalten, ist z. B. seit Einführung der Pflegeversicherung in den Nie- Wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Grenz- ganger zwischen Deutschland und Frankreich, der Schweiz, derlanden im Jahre 1968 gängige Praxis. Dort be- Belgien und den Niederlanden sind, sind nach Kenntnis der schäftigte sozialversicherungspflichtige Grenzgänger Bundesregierung im positiven wie im negativen Sinn von dieser aus Belgien oder Deutschland können trotz Beitrags- Ungleichbehandlung betroffen? zahlung zur niederländischen Pflegeversicherung in ihrem jeweiligen Aufenthaltsland nur die Leistungen Es ist richtig, daß Personen, die in Deutschland des dortigen Sozialversicherungssystems erhalten. wohnen und in Frankreich beschäftigt sind, Beiträge So haben deutsche Arbeitnehmer seit 26 Jahren in ausschließlich nach französischem Recht zahlen. Um- den Niederlanden Beiträge gezahlt, ohne daß sie je gekehrt zahlen Personen, die in Frankreich wohnen die Leistungen der niederländischen Pflegeversiche- und in Deutschland beschäftigt sind, Beiträge aus- rung in Anspruch nehmen konnten. Erst durch die schließlich nach deutschem Recht. Dies entspricht Einführung der Pflegeversicherung in Deutschland dem im Europäischen Gemeinschaftsrecht veranker- haben sie die Möglichkeit, Leistungen bei Pflegebe- ten Grundsatz, daß ein Versicherter immer den dürftigkeit zu erhalten. Rechtsvorschriften des Staates unterliegt, in dem er beschäftigt ist. Diese Zuordnung zu einem System er- Nach meiner Auffassung würde im übrigen das faßt alle Zweige der Sozialversicherung und damit Problem nicht dadurch gelöst werden können, daß auch die Pflegeversicherung. Pflegeleistungen - entgegen der Ausgestaltung die- ser Leistungen im Pflege-Versicherungsgesetz - als Die Sachleistungen der Pflegeversicherung wer- Geldleistungen zu qualifizieren und damit zu expor- den für die Bereitstellung der pflegerischen Versor- tieren wären. Abgesehen davon, daß ein solcher Ex- gung gewährt; auch Pflegegeld wird nur gezahlt, da- port zu unkalkulierbaren Mehrkosten führen würde, mit der Pflegebedürftige sich die Pflegeleistungen hätte diese Betrachtung zur Konsequenz, daß die in selbst beschaffen kann. Daher ist auch das Pflege- Deutschland lebenden und im Ausland versicherten geld das Surrogat einer Sachleistung. Die Pflegever- Grenzgänger dann keine Leistungen der deutschen sicherung, die einen Zweig der Sozialversicherung Pflegeversicherung erhalten könnten. Eine derartige bildet, ist gemeinschaftsrechtlich der Krankenversi- Ausgrenzung ist nicht mit dem Ziel des Pflege-Versi- cherung zuzuordnen. Damit kommen auch die für cherungsgesetzes - der Einbeziehung der in die Krankenversicherung im EU-Bereich geltenden Deutschland lebenden Wohnbevölkerung in den Grundsätze zur Anwendung. Zu diesen Grundsätzen Schutz der Pflegeversicherung - in Einklang zu brin- gehört u. a., daß Sachleistungen der Krankenversi- gen. cherung nicht exportiert werden. Ihre zweite Frage beantworte ich wie folgt: Auch in Dies bedeutet: Versicherte mit Wohnsitz in bezug auf die Schweiz ergeben sich gewisse Pro- Deutschland, die nach französischem Recht versi- bleme, weil bislang dort keine Versicherung gegen chert sind, erhalten alle im deutschen System enthal- das Pflegerisiko besteht. Die Pflegeversicherung tenen Sachleistungen - und zwar so, als wären sie in selbst wird im Gegensatz zur Krankenversicherung Deutschland versichert. Das Gemeinschaftsrecht vom deutsch-schweizerischen Sozialversicherungs- spricht hier von Sachleistungsaushilfe. Da auf die abkommen nicht erfaßt. Grenzgänger, die in Pflegeversicherung gemeinschaftsrechtlich die Vor- Deutschland wohnen und in der Schweiz arbeiten schriften der Krankenversicherung anzuwenden und dort krankenversichert sind, erhalten ebensowe- sind, erhalten diese Versicherten bei Wohnsitz in nig Leistungen der deutschen Pflegeversicherung Deutschland auch die in der deutschen Pflegeversi- wie Grenzgänger, die in der Schweiz wohnen und in cherung vorgesehenen Sachleistungen. Der französi- Deutschland versichert sind. Eine Ausnahme bilden sche Sozialleistungsträger erstattet dem aushelfen- allerdings Grenzgänger, die in Deutschland wohnen, den deutschen Träger die Kosten der Sachleistungs- in der Schweiz arbeiten, aber aufgrund eines Opti- aushilfe. onsrechts im Rahmen des Sozialversicherungsab- kommens in Deutschland freiwillig krankenversi- Umgekehrt haben die Versicherten, die in Frank- chert sind. Dieser Personenkreis ist in der deutschen reich wohnen und in Deutschland arbeiten, An- Pflegeversicherung versicherungspflichtig und hat spruch auf die vollen im französischen Krankenver- damit auch Anspruch auf Leistungen aus diesem Sy- sicherungssystem vorgesehenen Sachleistungen. stem. Frankreich hat jedoch im Bereich der Pflegeversiche- rung keine dem deutschen System vergleichbaren Gegenwärtig wird u. a. geprüft, ob und inwieweit Leistungen. Aus dieser Unterschiedlichkeit der Sy- Grenzgänger in die Schweiz, die dort krankenversi- steme ergeben sich die von ihnen angesprochenen chert sind, in die deutsche Pflegeversicherung einbe- Probleme. Allerdings ist mir bekannt, daß in Frank- zogen werden können. reich derzeit konkrete Überlegungen darüber ange- stellt werden, eine Pflegeversicherung für den Fall Zur Zeit pendeln ca. 34 000 Grenzgänger von des Alters einzuführen. Sobald diese Pläne realisiert Deutschland in die Schweiz ein. Umgekehrt sind es sind, entschärfen sich die von Ihnen angesprochenen lediglich ca. 560 Grenzgänger (die Zahlen basieren Probleme ganz erheblich. auf dem Jahr 1993). Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1093*

Es liegen mir zur Zeit keine statistischen Angaben Eine Entlastung der Verwaltung ergibt sich insbe- darüber vor, wieviel Personen aus Deutschland nach sondere durch den erheblichen Rückgang der Zahl Frankreich, Belgien und die Niederlande auspen- der aus sicheren Herkunftsstaaten stammenden deln. Umgekehrt ist jedoch bekannt, daß aus diesen Asylbewerber: Staaten etwa 60 000 Arbeitnehmer nach Deutschland 2. Halbjahr 1992 109 000 Personen einpendeln. 1. Halbjahr 1993 89 000 Personen 2. Halbjahr 1993 14 000 Personen 1. Halbjahr 1994 8 500 Personen 2. Halbjahr 1994 6 200 Personen.

Anlage 4 Zu Frage 14:

Antwort Die Regelung über sichere Drittstaaten ist der we- sentliche Kern der Asylrechtsneuregelung, denn sie des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- ermöglicht erstmals, Asylbewerber an der Grenze zu- gen des Abgeordneten Dr. Erich Riedl (München) rückzuweisen. (CDU/CSU) (Drucksache 13/385 Fragen 13 und 14): Nach erfolgter illegaler Einreise ist der für die Trifft es zu, daß die Regelungen über die sog. sicheren l ler- Rückführung des Ausländers in den sicheren Dritt- kunftsländer nach dem neuen Asylverfahrensgesetz aufgrund staat erforderliche Nachweis, daß der Ausländer aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsg erichts vom Juli 1993 deshalb bisher zu keiner Entlastung der Verwaltung ge- einem bestimmten Drittstaat eingereist ist, - auch ge- führt haben, weil nach wie vor alle Einzelheiten des Vorbringens genüber dem Drittstaat - vielfach sehr schwierig, der Asylbewerber geprüft werden müssen? wenn nicht gar unmöglich. Trifft es zu, daß der Prozentsatz der vollzogenen Entscheidun- Die Ausländer haben sich auf die neue Rechtslage gen bzw. der vollzogenen Abschiebungen nach der sog. Dritt- eingestellt und ihr Aussageverhalten entsprechend staatenregelung des neuen Asylverfahrensgesetzes lediglich angepaßt. So werden Fragen nach dem Reiseweg zu- bei etwa 0,3 % der Gesamtentscheidungen liegt; und was ge- denkt die Bundesregierung zu tun, um diesen äußerst unbefrie- nehmend ausweichend beantwortet mit Hinweis auf digenden Zustand wesentlich zu verändern? Erinnerungslücken oder Unkenntnis der vom Schlep- per gewählten Route. Zu Frage 13: Zudem sind die Antragsteller häufig genau über Auch gegen die Regelung über die Behandlung die z. T. kurzen Rückübernahmefristen durch Schlep- von Asylsuchenden aus sicheren Herkunftsstaaten per aber auch durch Rechtsanwälte informiert. Nach (Art. 16a Abs. 3 GG, § 29a AsylVfG) wurden Verfas- ihren eigenen Angaben stellen sie daher ihre Asylan- sungsbeschwerden erhoben und Anträge auf Erlaß träge bewußt erst mehrere Wochen nach der illega- len Einreise. einer einstweiligen Anordnung durch das Bundes- verfassungsgericht gestellt. Schließlich fällt noch auf, daß Antragsteller nach Rücküberstellung in einen sicheren Drittstaat im Das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen ei- Rahmen dort durchgeführter Vernehmungen häufig ner einstweiligen Anordnung ausgeführt, daß die völlig neue, abweichende Angaben über ihren Reise- Frage, „welche inhaltlichen und verfahrensrechtli- weg machen, was in der Regel zur Rückabschiebung chen Anforderungen im Hinblick auf die grundrecht- in die Bundesrepublik Deutschland führt. liche Gewährleistung in Art. 16a Abs. 3 Satz 2 in Ver- bindung mit Art. 16a Abs. 1 GG an die Prüfung eines Wegen dieser Schwierigkeiten wird vom Bundes- Vorbringens zu stellen sind, mit dem ein aus einem amt bei der Anhörung das behauptete Verfolgungs- sicheren Herkunftsstaat stammender Ausländer die schicksal vielfach miterfaßt und trotz der Einreise Vermutung allgemeiner Verfolgungsfreiheit für sich über einen Drittstaat vom Erlaß einer Abschiebungs- entkräften will", erst im Hauptsacheverfahren ge- anordnung nach § 34a AsylVfG abgesehen und - klärt werden kann. nach materiell-rechtlicher Prüfung der Voraussetzun- gen der §§ 51, 53 AuslG - eine sachliche Entschei- Um in diesen Fällen Asylentscheidungen nicht zu dung über den Asylantrag getroffen. verzögern bzw. sie der Gefahr auszusetzen, da sie Im Jahre 1994 sind 1204 Abschiebungsanord- von den Gerichten im Rahmen des einstweiligen nungen des Bundesamtes für die Anerkennung aus- Rechtsschutzverfahrens nicht bestätigt werden, hat ländischer Flüchtlinge in einen sicheren Drittstaat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer nach § 34 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes vollzo- Flüchtlinge die Einzelentscheider gebeten, bis zu ei- gen worden. Der Anteil an der Gesamtzahl aller Ent- ner Hauptsacheentscheidung des Bundesverfas- scheidungen des Bundesamtes - dies waren 1994 sungsgerichts die Ausführungen des Bundesverfas- 352 572 - beträgt 0,34 %. sungsgerichts bei den Entscheidungen zu berück- sichtigen und bei Ablehnung eines Antrages als of- Zu den vollzogenen Abschiebungsanordnungen fensichtlich unbegründet eine entsprechende indivi- des Bundesamtes im Jahre 1994 kommen noch duelle Würdigung des Vortrags des Ausländers vor- 217 Zurückweisungen und 719 Zurückschiebungen zunehmen. von Asylbegehrenden durch den Bundesgrenzschutz wegen Einreise aus einem sicheren Drittstaat nach In dem Asyl-Erfahrungsbericht 1993 des Bundes- § 18 Abs. 2 und 3 des Asylverfahrensgesetzes hinzu. ministeriums des Innern vom 25. Februar 1994 an Insgesamt sind 1994 130 320 Personen vom Bundes- den Innenausschuß des Deutschen Bundestages ist grenzschutz zurückgewiesen und 32 911 Personen dies auch dargelegt worden (S. 23/25). zurückgeschoben worden. Darüber hinaus haben die 1094* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995

Länder für 1994 bisher 419 vollzogene Zurückschie- Wie viele Dienstposten sind derzeit im einzelnen jeweils bei bungen von Asylbegehrenden ohne vorherige Wei- der Zollfahndung sowie bei der Zoll- und Verbrauchsteuerabtei- lung (einschließlich Betriebsprüfung und Zollehranstalt) in Frei- terleitung an eine Aufnahmeeinrichtung nach § 19 burg i. Br. unbesetzt, um bei der geplanten Zusammenlegung Abs. 3 des Asylverfahrensgesetzes gemeldet. Da die der I lauptzollämter Kehl und Freiburg in Kehl nichtversetzungs- Meldungen mehrerer Länder noch ausstehen, ist da- willige Beamte aus dem aufzulösenden Hauptzollamt Freiburg von auszugehen, daß sich diese Zahl noch um einiges aufzunehmen, und für wie viele Dienstposten müßte bei einer erhöhen wird. Auflösung des I lauptzollamtes Freiburg darüber hinaus eine an- dere Lösung gefunden werden?

Die Bundesregierung sieht vor allem in folgenden Welche einmaligen und dauerhaften zusätzlichen Kosten wird Bereichen Handlungsmöglichkeiten: die geplante Zusammenlegung der Hauptzollämter Kehl und Freiburg in Kehl verursachen, im Vergleich zu einer möglichen 1. Von wesentlicher Bedeutung ist eine möglichst Zusammenlegung in Freiburg und unter Berücksichtigung der effektive Grenzkontrolle. Die grenzpolizeiliche Si- Tatsache, daß ein Teil der Kehler Amtsräume angemietet ist, cherung der deutschen Grenze wurde deshalb er- während in Freiburg ein bundeseigenes, zuletzt erst erweitertes und modernisiertes Dienstgebäude zur Verfügung steht? heblich verbessert. 2. Da die Anwendung des §§ 26a, 34a Asylverfah- Zu Frage 25: rensgesetz voraussetzt, daß die Rückführung des Bei der Zollfahndung sowie bei der Zoll- und Ver- Ausländers in den sicheren Drittstaat möglich ist, ist brauchsteuerabteilung (einschl. Betriebsprüfung und von Bedeutung, ob Rückübernahmeabkommen be- stehen und wie diese ausgestaltet sind. Zollehranstalt) in Freiburg sind z. Zt. 4 Dienstposten des gehobenen Dienstes unbesetzt. Diese stehen Die Bundesregierung ist daher um den Abschluß grundsätzlich auch für geeignete Bewerber des entsprechender Rückübernahmeabkommen bemüht. Hauptzollamts Freiburg zur Verfügung. Rückübernahmeabkommen konnten bisher mit Po- len, der Schweiz und der Tschechischen Republik ab- Der künftige Personalbedarf in Freiburg bzw. in geschlossen werden. Kehl läßt sich derzeit noch nicht im erforderlichen Umfang eingrenzen, um bereits detaillierte Personal- 3. Die Bundesregierung steht mit diesen Staaten in planungen treffen zu können. Es bleibt ein organisa- ständigem Kontakt, um die Praxis der Rücküber- torisches und personelles Feinkonzept zu entwickeln, nahme zu verbessern und auftretende Schwierigkei- wie die Aufgaben im Falle der Zusammenlegung der ten zu lösen. Hauptzollämter Freiburg und Kehl künftig auf das Hauptzollamt in Kehl und Außenstelle in Freiburg verteilt werden sollen. Insbesondere wird auch zu prüfen sein, ob Aufgaben in Freiburg zentralisiert werden können (z. B. bei der Vollstreckung). Dies Anlage 5 würde zur Verlagerung von Dienstposten nach Frei- burg führen. Antwort Zu Frage 26: des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz Da ein detailliertes Organisations-, Personal- und (CDU/CSU) (Drucksache 13/385 Frage 15): Unterbringungskonzept (Feinkonzept) noch nicht vorliegt, lassen sich die einmaligen und dauerhaften Wie ist der aktuelle Stand der Ermittlungen des Bundesamtes zusätzlichen Kosten der geplanten Zusammenlegung für Verfassungsschutz bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der PDS, nachdem mir die Bundesregierung auf meine gleichlauten- derzeit nicht beziffern. Selbstverständlich werden bei den Anfragen im Januar 1992, 1993 und 1994 jeweils mitgeteilt allen Planungen die Grundsätze der Wirtschaftlich- hat, die entsprechenden Ermittllungen der Verfassungsschutz- keit und Sparsamkeit beachtet. behörden seien noch nicht abgeschlossen?

Die Prüfungen über linksextremistische Positionen in der „Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) dauern an. Es bleibt deshalb bei den Ein- Anlage 7 schätzungen in den Antworten des Staatssekretärs Dr. Priesnitz vom 3. August 1994 (Drucksache Antwort 12/8372) und der Antwort des Staatssekretärs Prof. Dr. Schelter vom 27. September 1994 (Drucksache des Parl. Staatssekretärs Dr. Kurt Faltlhauser auf die 12/8552). Frage des Abgeordneten Ludwig Stiegler (SPD) (Drucksache 13/385 Frage 27):

Wie ist der Stand der Veräußerung der ehemaligen Liegen- schaften der US-Armee in Bayern, und was wird die Bundesre- gierung unternehmen, um insbesondere Wohnungen vorrangig Anlage 6 für Spzialmieter freizugeben?

Antwort Von den US-Streitkräften freigegebene Liegen- schaften und Wohnungen, die für Zwecke des Bun- des Parl. Staatssekretärs Dr. Kurt Faltlhauser auf des entbehrlich sind, werden veräußert. Seit Oktober die Fragen des Abgeordneten Gernot Erler (SPD) 1990 konnten in Bayern aus dem Liegenschaftsbe- (Drucksache 13/385 Fragen 25 und 26): stand des Bundes Grundstücke mit einer Gesamt- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1995 1095*

größe von über 883 ha veräußert werden. Darunter die Landesfinanzbehörden zuständig. Diesen obliegt befanden sich auch 2 276 Wohnungen. Käufer waren auch die Entscheidung über Anträge auf Billigkeits- überwiegend der Freistaat Bayern und Kommunen maßnahmen. sowie städtische Wohnungsbau- und Entwicklungs- gesellschaften. Zu Frage 32:

Bei der Veräußerung bereits bestehender Wohnun- Wegen der Pflicht zur Wahrung des Steuergeheim- nisses und weil es sich um ein schwebendes Verfah- gen im Geschoßwohnungsbau wird der Kaufpreisbil- ren handelt, sieht die Bundesregierung von einer Äu- dung üblicherweise die nachhaltig erzielbare Miete ßerung ab. zugrundegelegt. Bei Veräußerung an Gebietskörper- schaften und deren Wohnungsbaugesellschaften kann der in der Belegenheitsgemeinde für gleicharti- gen Wohnraum übliche Mietzins für den öffentlich geförderten Wohnungsbau - d. h. niedrigere Sozial- Anlage 9 miete - zugrundegelegt werden. Voraussetzung ist, daß die Wohnungen für die Dauer von mindestens Antwort - 20 Jahren zu einem entsprechenden Mietzins an Wohnberechtigte i. S. d. § 5 Wohnungsbindungsge- des Parl. Staatssekretärs Dr. Kurt Faltlhauser auf die setz vermietet werden. Frage der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard (SPD) (Drucksache 13/385 Frage 33):

Gibt es einen genauen Zeitplan der Bundesregierung zur Um- setzung der geplanten schrittweisen Abschaffung der Gewerbe- steuer, und welche Kompensation beabsichtigt die Bundesregie- rung für die kommunalen Gebietskörperschaften angesichts der Anlage 8 nicht mehr zu verantwortenden desolaten Finanzlage der Ge- meinden, die durch die vorgesehene Befristung der Arbeitslo- senhilfe, mit der die Kosten der Langzeitarbeitslosigkeit auf die Antwort Sozialhilfe und damit die kommunalen Haushalte abgewälzt wird, weiter verschärft wird? des Parl. Staatssekretärs Dr. Kurt Faltlhauser auf die Fragen des Abgeordneten Arne Börnsen (Ritterbude) Die Bundesregierung beabsichtigt, die Unterneh- (SPD) (Drucksache 13/385 Fragen 31 und 32): mensteuerreform in einer ersten Stufe mit Wirkung ab Januar 1996 fortzuführen. Dies soll durch das Jah- 1st die Bundesregierung bereit, entsprechend dem Verzicht ressteuergesetz 1996 umgesetzt werden. Geplant auf die Erhebung von Körperschaft- und Gewerbesteuer für Be triebe gewerblicher Art von Körperschaften des öffentlichen sind die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und Rechts für den Veranlagungszeitraum 1990 im Beitrittsgebiet eine mittelstandsfreundliche Entlastung bei der Ge- (vgl. Schreiben des BMF, IV B 7-S 1900-172/92 vom 3. September werbeertragsteuer. 1992) auf die Besteuerung der wirtschaftlichen Geschäftsbetrie- be der Parteien und Massenorganisationen der DDR (seit dein Die Gemeinden erhalten insgesamt einen vollen 1. Juni 1990 gemäß §§ 20a und 20b PartG-DDR unter treuhände- Ausgleich, mit dem ihr Interesse an der Ansiedlung rischer Verwaltung durch die Unabhängige Kommission) auf Antrag aus Billigkeitsgründen - die insbesondere in der Vermei- von Gewerbebetrieben weiterhin gewährleistet und dung eines unangemessen hohen Verwaltungsaufwandes und die kommunale Selbstverwaltung gesichert werden ggf. mehrjährigen finanz- und verwaltungsgerichtlichen Strei- soll. Hierfür kommt eine unmittelbare Beteiligung tigkeiten zu sehen sind - zu verzichten? am Aufkommen der Umsatzsteuer in Betracht.

Stimmt die Bundesregierung mit mir überein, daß die Besteue- Im übrigen weise ich darauf hin, daß die Finanz- rung der wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe der Parteien und lage der Kommunen erheblich besser ist als von kom- Massenorganisationen im Hinblick auf die politischen Ziele und munaler Seite immer wieder behauptet. Inhalte des Einigungsvertrages, insbesondere die vorgesehene Verwendung des Altvermögens der Parteien und Massenorgani- Während die Defizitquote des Bundes nach den sationen zugunsten gemeinnütziger Zwecke in den neuen Bun- desländern, die Anordnung über die Vereinfachung der Erhe- dem Finanzplanungsrat im Dezember 1994 vorgeleg- bung von Abgaben für die wirtschaftliche Tätigkeit der gesell- ten Projektionen 1995 bei 12 liegt, werden für die schaftlichen Organisationen vom 4. Juli 1967 und die Anord- Gemeinden nur 3 % (West) bzw. 5 % (Ost) erwartet. nung über die Aufhebung finanzrechtlicher Bestimmungen vom Die Zinsausgabenquote des Bundes wird 1995 ein- 10. September 1990 auf unklaren, mindestens aber widersprüch- lichen Rechtsgrundlagen durchgeführt werden müßte, und wel- schließlich der Zinserstattungen, insbesondere an che Steuern - einschließlich der Steuern zu Lasten der Kommu- den Erblastentilgungsfonds, bei rd. 19 1 /2 % liegen. nen hinsichtlich der von ihnen übernommenen FDGB-Immobili- Für die Gemeinden werden 3 % (Ost) bzw. 4 % (West) en ggf. - würden nach Auffassung der Bundesregierung auf das erwartet. Altvermögen der Parteien und Massenorganisationen zukom- men, falls sich die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Diese Lagebeschreibung wird durch die jüngste Berlin bezüglich der Freistellung der PDS von Körperschaft- und Gewerbesteuer 1990 bestätigen sollte? Studie des Instituts „Finanzen und Steuern" ein- drucksvoll bestätigt, in der eine im Vergleich zum Bund deutlich günstigere Finanzsituation der Kom- Zu Frage 31: munen konstatiert wird. Zusammen mit der Aus- schöpfung weiterer Konsolidierungspotentiale müs- Für die Besteuerung der Parteien und der Massen- sen die Mehrbelastungen der Sozialhaushalte nicht organisationen der ehemaligen DDR sind nach der zu höheren kommunalen Finanzierungsdefiziten füh- Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland ren.