Spitzengenosse Müntefering Es läuft nicht wirklich rund

habe, höhnt er. „An meinem Bart lag es nicht, dass es der SPD schlechtging.“ Nächstes Jahr stehen fünf - wahlen an, dazu die Europa- und die Bun- destagswahl. Wenn die SPD da erfolgreich sein will, muss bald etwas passieren. Die Umfragen müssen deutlich steigen, die Par- tei braucht Erfolgserlebnisse. Eines von Münteferings Problemen heißt Frank-Walter Steinmeier, jener Mann, dem Müntefering dienen will, den er zum Kanzler machen möchte. Doch Steinmeier hat ein Wahrnehmungspro- blem: In der Finanzkrise kommt der Kanz- lerkandidat kaum vor. Stattdessen be- stimmt Finanzminister Peer Steinbrück die Szenerie. Madrid, das Hotel Auditorium am Flug- hafen. Es ist später Sonntagabend. Franz Müntefering sitzt in der Bar auf einem grünen Ledersofa, links neben ihm Stein- meier, rechts , der Spitzen- kandidat der SPD für die Europawahl. Eine Kellnerin bringt Bier und etwas zu

STEFAN BONESS / IPON STEFAN knabbern. Die drei sind für einen Kongress der eu- ropäischen Sozialisten und Sozialdemo- SOZIALDEMOKRATEN kraten in die spanische Hauptstadt gereist. Nun wollen sie den Journalisten erzählen, Ein Quantum Frust was sie mit den anderen Parteiführern be- sprochen haben. Steinmeier hält einen langatmigen Vor- Kanzlerin Merkel strauchelt in der Wirtschaftskrise, doch der SPD trag über Europa und die Konjunktur, der Vortrag enthält viele Einzelpunkte, Unter- gelingt es kaum, davon zu profitieren – ein Härtetest für punkte und Unterunterpunkte. Daneben den neuen Parteichef Franz Müntefering. Von Roland Nelles wird Müntefering ganz hibbelig. Er schaut auf seine Fingernägel, überprüft die SMS ranz Müntefering steht in seinem rund. Die SPD liegt in den Umfragen wei- in seinem Handy. Er nimmt einen Kartof- Büro im fünften Stock des Berliner ter in der 20-Prozent-Zone, wie festbeto- felchip. Irgendwann guckt er an die Decke. FWilly-Brandt-Hauses und wirft eine niert. Und dann gibt es auch unter dem Nach gefühlten zwei Stunden ist Steinmei- Packung Tabletten auf den Schreibtisch. neuen Chef immer wieder diese Chaostage: er am Ende, er geht ins Bett. Er hat in einer zugigen Halle vor Genossen das hessische Desaster mit der gescheiter- Natürlich würde Müntefering Steinmei- gesprochen und direkt unter der Klima- ten Wahl von Andrea Ypsilanti, der Austritt er niemals in Frage stellen. Er ist loyal. anlage gesessen. Jetzt ist eine Erkältung von Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Cle- Hundert Prozent. So wie er es schon bei im Anmarsch. Auch das noch. Der Vorsit- ment. Deutsche Sozialdemokratie eben. Schröder war. Aber er kann schlecht das zende hüstelt. Müntefering setzt sich an den Konfe- ganze nächste Jahr über an die Decke An der Wand hinter dem Schreibtisch renztisch. Schlank ist er geworden, im gucken – wie soll das im Wahlkampf gut- hängt das Brandenburger Tor in Öl. Auf rechten Ohr trägt er ein Hörgerät. Hessen? gehen mit den beiden? der anderen Seite ein Porträt von Willy Clement? Ypsilanti? Ja, ja, da seien einige Müntefering ist als Parteichef für den Brandt. Daneben eine bunte Kollage, eine Sachen nicht schön gewesen, sagt er. „Das Wahlkampf zuständig. Mit Steinmeier hat seltsam gewundene Treppe, die ins Nir- sind Etappen. Im nächsten Jahr fragt da- er vereinbart, dass man Steinbrück erst gendwo führt. Es sind noch die alten Bilder nach niemand mehr. Da wollen die Leute einmal machen lässt. Der Kandidat soll peu von Kurt Beck. wissen, wer ihre Zukunft sichert.“ Beruhi- à peu in den Vordergrund drängen. Jetzt „ bleibt“, sagt Müntefering. gungsversuche. gehe es zunächst darum, dass die SPD in Er zeigt auf die anderen Bilder. „Der Rest Müntefering versucht jene Gelassenheit, der Krise „staatspolitische Verantwortung“ kommt raus.“ Franz Müntefering macht die er dem Alter und seinen Erfahrungen zeige. Er glaubt, allzu scharfe Attacken ge- den Eindruck, als sei er noch nicht ganz im verdankt, an seine Partei weiterzureichen. gen Merkel würden von den Wählern nicht neuen Amt angekommen. Dabei macht er Aber die ist viel zu hysterisch, um diese honoriert. „Die Leute mögen es nicht, das jetzt schon zum zweiten Mal. Gabe anzunehmen. „Wo ist Müntefering?“, wenn wir uns die Gesichter zerkratzen“, Die blöde Erkältung, das unfertige Ar- fragen einige Genossen bereits. Der Par- sagt Müntefering. beitszimmer, das passt ganz gut zu seiner teichef müsse Kanzlerin Er will klar, entschieden, selbstbewusst unglücklichen Startphase. Vor gut drei Mo- unter Feuer nehmen, die Union angreifen, klingen, als habe er alles im Griff. Trotz- naten hat er nach dem Rücktritt Kurt Becks das SPD-Profil klar herausstellen. Selbst dem: Kann er sich sicher sein, dass Stein- am Schwielowsee das Kommando bei der Kurt Beck traut sich schon wieder aus der meier im Wahlkampf wirklich punktet? Ist SPD übernommen. Es gab riesige Erwar- Deckung. Jetzt sei klar, dass alles Unfug der Kandidat ein Kämpfer, der überra- tungen an ihn, aber es läuft nicht wirklich gewesen sei, was man über ihn geschrieben schende Themen aufbaut und Leidenschaft

42 51/2008 Deutschland entfacht? So wie einst Gerhard Schröder? Es sind solche Aufnahmen aus dem All- werden. Dann wieder nennt er Lauter- Es gibt Gründe, daran zu zweifeln. tag seiner Partei, die Müntefering deutlich bachs Konsumgutscheine „nicht unklug“ Münteferings zweites Problem ist, dass machen, dass er sich auf eine schwierige, und plädiert für ein kommunales Investi- sich die Partei, die er 2005 bei seinem vielleicht unmögliche Mission eingelassen tionsprogramm. Hört sich nicht nach Stra- Rücktritt hinterließ, nicht wirklich verän- hat. Früher war er immer stolz darauf, für tegie an. dert hat. In ihr wirken immer noch die al- alles einen Plan zu haben. „Politik ist Or- Im Januar werde der SPD-Kurs klarer ten Verletzungen aus der Zeit der Agenda ganisation“, pflegte er zu sagen. Aber jetzt erkennbar werden, sagen sie in Müntefe- 2010 nach. Zwischen dem rechten und dem hat man den Eindruck, es gibt dafür keinen rings Umgebung. Dann sollen auch erste linken Flügel herrscht permanenter Kriegs- Plan, keine Strategie. Konzepte vorliegen, mit denen die Partei zustand. So steht die SPD regelmäßig als Die heraufziehende Rezession macht ei- gegenüber der Union punkten will. kopfloser, zerstrittener Haufen da. Münte- nen Friedensschluss zwischen den Par- Wenn die SPD bei der Bundestagswahl fering kann machen, was er will, er würde unter 30 Prozent bleibt, das weiß Münte- daran nichts ändern. Die Flügelkämpfe der Wenn die SPD bei der Bundes- fering, könnte es eng werden für ihn. Und SPD haben bislang noch jeden Vorsitzen- tagswahl unter 30 Prozent bleibt, für Steinmeier. Dann übernehmen womög- den überdauert. könnte es eng werden für ihn. lich Linke wie Nahles oder Gelsenkirchen, Gesamtschule Berger die Partei. Aber bis es so weit ist, will er Feld. 150 Genossen hören ihrem Vorsit- kämpfen. zenden zu. Müntefering ruft zum Kampf teiflügeln nicht einfacher. Seit klar ist, dass Flughafen Berlin-Tegel. Münteferings auf, kurze Sätze fliegen durch den Saal. die Konjunktur einbricht, tobt zwischen Flugzeug hat Verspätung, er sitzt in der „Man muss gewinnen wollen. Das ist eine ihnen ein neuer Grundsatzstreit. Linke Lounge und nascht Kekse. Vor ihm plät- Binsenweisheit. Aber das darf man nicht wie pochen darauf, dass schert ein kleiner Brunnen, auf dem Tisch vergessen.“ Die meisten klatschen. die SPD sich als Partei der Ausgabenpro- liegen Zeitungen. In einer davon steht Aber dann steht ganz hinten „der gramme profilieren müsse. Karl Lauter- schon wieder ein Interview mit Wolfgang Ernst“ im roten Pullover auf. Er ist vom bach fordert die Ausgabe von Konsum- Clement. linken Flügel, Chef der Arbeitsgemein- gutscheinen an alle Bürger – geschätzte Clement schimpft über die SPD, Mün- schaft für Arbeitnehmerfragen am Ort. Kosten: 40 Milliarden Euro. Doch die Par- tefering spricht über Flugzeuge. Er sei „Wir haben mit unserer Politik zugelas- teirechten um Steinbrück sind strikt ge- einmal in eines eingestiegen, sagt er, da sen, dass elf Millionen Bürger von Armut gen solche Modelle. habe man ihm mitgeteilt: Die Tür ist zu, betroffen sind!“, ruft er Müntefering zu. Müntefering versucht, zwischen beiden aber eine Signallampe brennt nicht, ob- Diese Politik der Agenda 2010 müsse die Positionen zu vermitteln, aber diese Auf- wohl sie dies eigentlich tun müsste. Die SPD ändern. „Jawoll“, sagen einige alte gabe scheint kompliziert. Einmal sagt er, Frage war, ob man trotzdem fliege, erzählt Männer an den Tischen. „So ein Quatsch“, zunächst solle das erste Konjunkturpaket Müntefering. Er habe entschieden: Flie- brummen andere. wirken, bevor neue Ausgaben angepeilt gen. Mal gucken, ob wir ankommen. ™