Unser Grünes Wilhelmsburg

Eine Initiative der Hamburger Naturschutzverbände Herausgeber: Stiftung Naturschutz und Stiftung Loki Schmidt zum Schutze gefährdeter Pflanzen Steintorweg 8, 20099 Hamburg [email protected]

Verfasser: Arbeitsgemeinschaft Grünes Wilhelmsburg

Grafik-Design: Martina Montag – [email protected]

Kartenerstellung: Büro für Freiraumplanung, Landschaftsarchitekt BDLA, Dipl.-Ing. Hans-Detlef Schulze

Fotos: siehe Bildverzeichnis auf der vorletzten Seite

Herausgabe: 2006 Grüne Vielfalt in Wilhelmsburg ... bedroht durch die Wachsende Stadt? Inhaltsverzeichnis

Seite 5-6 Einleitung und türkisches Vorwort

Seite 7-10 Geschichte

Wie Wilhelmsburg wurde, was es heute ist Wilhelmsburg entsteht Nach den Eindeichungen [ Infokasten: Eine Besonderheit: Das Stromspaltungsgebiet der ] [ Infokasten: Prinzessin von Ahlden ]

Seite 11-12 Eine Insel voller Natur – mitten in der Elbe

Biologische und kulturelle Vielfalt auf engstem Raum: Die „Vier Arten der Natur“ in Wilhelmsburg

Seite 13-16 Natur der ersten Art – vom Menschen unabhängige Natur

Die Ufer der Tideelbe – Heuckenlock und Rhee [ Infokasten: Der Schierlings-Wasserfenchel ]

Seite 17 -20 Natur der zweiten Art – Pflanzen-Lebensgemeinschaften zum Nutzen des Menschen

Nahrhafte Landschaften – Wiesen, Weiden, Gräben Ackerflächen, Anbauflächen für Garten- und Zierpflanzen Eine Besonderheit: Die „Türkengärten“ [ Infokasten: Der Große Klappertopf ]

Seite 21-24 Natur der dritten Art – die symbolische Natur zur Erholung

Die künstlich angelegte symbolische Natur der Parks und Gärten

Seite 25-26 Natur der vierten Art - die eigentliche Stadtnatur

Die Urban-industrielle Natur, die eigentliche Stadtnatur [ Infokasten: Die Sturmmöwenkolonie ]

Seite 27-32 Die Gewässer in Wilhelmsburg

Die Tidegewässer [ Infokasten: Hafenbecken und ihre Bedeutung für die Vogelwelt ]

Die tideunabhängigen Gewässer

Seite 33 Wilhelmsburg als Ganzes

Inhaltsverzeichnis

Seite 34-46 Perspektiven

Entwicklungsperspektiven für die Natur auf Wilhelmsburg Das Archehof-Projekt zur Erhaltung von Natur und Landschaft Perspektiven für die Gewässer Erholung und Natur erleben in Wilhelmsburg Leben und Arbeiten in einem grünen Wilhelmsburg – eine andere Vision Wilhelmsburg und die geplante Internationale Gartenschau

Seite 46 Zusammenfassung

Seite 47-48 Glossar

Seite 49 Bildverzeichnis

Wilhelmsburg von oben: Eine Insel voller Leben - voller Natur

Unser Grünes Wilhelmsburg 4 Seerose Kiebitz

Unser architektonische Struktur zu geben und mit einer inter- Grünes nationalen Gartenausstellung im selben Jahr zumindest einige Grünflächen für die Bewohner der Elbinsel zu sichern. Für all diese Planungen sollen viele derjenigen Wilhelmsburg Erholungs- und Naturräume in Anspruch genommen werden, die heute noch das Lebenswerte und Attrak- tive des Stadtteils ausmachen. Hier gibt es noch den Kiebitz, die nassen Wiesen mit selten gewordenen Pflanzen Um hier gegenzusteuern hat die „Arbeitsgemeinschaft Grünes Wilhelmsburg“ das vorliegende Konzept sowie das Naturschutzgebiet Heuckenlock, „Unser Grünes Wilhelmsburg“ entwickelt, bei dem klar den größten Tideauwald Westeuropas. die Entwicklung von Natur und Landschaft der Elbinsel im Vordergrund steht. Die Arbeitsgemeinschaft ist ein Zusammenschluss der in Hamburg ansässigen Natur- Hamburg hat die Elbinsel Wilhelmsburg neu entdeckt. schutzvereine mit dem Naturschutzrat, der Stiftung War sie im öffentlichen Bewusstsein lange Zeit eher sozialer Brennpunkt und Problemgebiet, so ist sie heute im Zusammenhang mit dem „Sprung über die Elbe“ ins Zentrum des Bewusstseins derjenigen gerückt, die nach neuen Siedlungs-, Verkehrs- und Gewerbeflächen Ausschau halten.

Aber Wilhelmsburg ist nicht nur eine Vorratsfläche für neue Bauvorhaben. Wilhelmsburg besitzt noch viel- fältige Grünflächen, unbebaute Naturräume von hohem Wert, Oasen für die Bevölkerung, zur Erholung und zum Erleben von Blüten, Tieren und Gewässern. Hier gibt es noch den Kiebitz, die nassen Wiesen mit selten gewordenen Pflanzen sowie das Naturschutzge- biet Heuckenlock, den größten Tideauwald Westeuro- pas. Bisher verborgene Naturschätze in vergessenen Ecken des Stadtteils verdeutlichen die Vielfalt und den enormen Erholungswert dieser einmaligen Landschaft – nicht nur für die Wilhelmsburger, sondern für die ge- samte Hamburger Bevölkerung.

Dieses grüne Paradies ist gefährdet: Die Handelskammer will unter anderem die Industrie- und Gewerbeflächen um mehr als 25% vergrößern und die Zahl der Wohnbe- völkerung in Wilhelmsburg verdoppeln. Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt hofft, mit einer interna- tionalen Bauausstellung im Jahr 2013 dem Bau-Boom Priel im Heuckenlock Geschichte vonEinleitung Wilhelmsburg

Mauerfuchs Eisvogel

Einleitung auf Türkisch Naturschutz Hamburg und der Stiftung Loki Schmidt zum Schutze gefährdeter Pflanzen sowie Bewohnerinnen und Önsöz Bewohnern von Wilhelmsburg. Wilhelmsburg Türkiyeden ve diğer başka ülkelerden gelen birçok insan için yeni bir vatan olmuştur. Bu Der erste Teil der Broschüre gibt einen Überblick über die broşür ile sizlere ve Alman komşularınıza burada vielfältige Natur und die unterschiedlichen Lebensräu- çok zengin doğal güzellikler olduğunu göstermek me auf der Elbinsel. Das hierauf aufbauende Konzept istiyoruz. im zweiten Teil zeigt Wege auf, wie die verschiedenen Lebensräume erhalten und langfristig gesichert werden Adanın doğusunda, örneğin Heuckenlock’ta Batı können. Damit wollen wir nicht nur seltene Tier- und Avrupa’nın en önemli, kısmen sualtında da yaşayan Pflanzenarten erhalten, sondern auch den Bewoh- tatlısu ormanları vardır. Uluslararası üne sahip, nern und Besuchern Wilhelmsburgs eine schöne und sadece bir set ile ayrılan, çayır ve otlaklıkların kanal erlebenswerte, vielfältige und einzigartige Landschaft ve gölcüklerle değişerek sıralandığı doğa koruma bewahren. bölgesi, aynı zamanda eski yöntem tarım böl- gesi olan Marschen’ada sınırdır. Wilhelmsburg’un Wilhelmsburgs Zukunft planen sollte heißen, den Charme batıssında da liman ve endüstri alanlarında önemli als Insel zu erhalten, die Lebensqualität für seine Bewoh- sayıda martı sürüleri yaşamaktadır. Bunların dışında nerinnen und Bewohner zu schützen und zu verbessern, konteylar, rafineriler ve rayların arasında bile türüne çok az rastlanan kuş türleriyle bile karşılaşmak indem die vorhandenen Naturräume und andere grüne mümkündür. Oasen gesichert, vernetzt und entwickelt werden. Mit Yapılacak olan uluslararası inşaat fuarı dieser Broschüre will die „Arbeitsgemeinschaft Grünes Wilhelmsburg’un çehresini değiştirecek plan ve Wilhelmsburg“ einen Beitrag leisten, die Natur als „grüne projeler üretmişlerdir. Yeni endüstri ve konut alanları Lunge“ auf Wilhelmsburg zu erhalten. ve organize edilecek olan bahçelendirme fuarı da Wilhelmsburg’un çehresini değiştirmekte çok et- Wilhelmsburg ist für viele Hamburger, Harburger gen olacaktır. Hamburgta bulunan doğa koruma und Gäste der Metropole Hamburg „Terra incognita“: derneklerinin bu bröşür ile amaçları, bu gelişmeler Unbekanntes Land. Und so legen nur wenige Menschen sırasında Wilhelmsburg’un sahip olduğu doğa einen Stopp auf Wilhelmsburg ein, um diesem faszinieren- zenginliklerinin korunmasına ve geliştirilmesine den Landschafts- und Kulturraum einen Besuch abzustat- katkıda bulunmaktır. ten. Würden sie es tun, so würden sie möglicherweise an Burada doğa için yapılacak çok şeyler var: Yaşama einem schönen Sommertag im Auwald Heuckenlock an alanları birleştirilerek durumları iyileştirilebilir, der Elbe die Gestaltungskraft der Gezeiten erleben, sie bugüne kadar yapılan tahribatlara dur denilerek dü- könnten am Reiherstieg prächtige Industriegebäude, zeltme çalışmaları yapılabilir. die Kathedralen der Hafenarchitektur bestaunen, einen Bu bröşür ile, doğanın değerinin Wilhelmsburg ve erkenntnisreichen Streifzug durch das liebevoll einge- orada yaşayanlar için – yakın dinlenme alanı olarak richtete Heimatmuseum unternehmen oder im Reiher- - önemli olduğunu vurgulamak, aynı zamanda stiegviertel dem bunten Treiben von Menschen vieler doğanın nasıl korunup geliştirelebileceğini göster- Nationalitäten vor prachtvollen gründerzeitlichen Bau- mek istiyoruz. ten beiwohnen. Vielleicht entdecken sie auf diese Weise im Herzen Hamburgs ein Land zwischen den Flussarmen, Bölgemizi candan seven herkesi yukardaki wie man es in keiner anderen Metropole wiederfindet. çalışmalara katılmaya davet ediyoruz.

Unser Grünes Wilhelmsburg 6 Wie Wilhelmsburg wurde, was es heute ist

Die Situation an der Elbe ist weltweit absolut Sturmfluten zerrissen die Insel nach 1200. Eine Vielzahl einmalig: Sie hat im Mündungsbereich von großen und kleinen Elbarmen und Prielen prägte sowohl einen Trichter als auch ein Delta. das Stromspaltungsgebiet. Die Gewässer hatten Namen Was das Stromspaltungsgebiet der Elbe wie Sökefrundt, Schratloch oder Kälbertanz. außerdem zu einer Besonderheit macht: es liegt Durch Befestigung und Ausbau wurden dann über weit im Landesinneren - bei Hamburg, steht die Jahrhunderte die Land- und Wasserflächen immer aber trotzdem immer noch unter Tideeinfluss. mehr zusammengelegt. Besondere Triebkraft dabei war Hamburgs Interesse an optimalen Fahrwasserverhältnis- Wilhelmsburg entsteht sen und der Sperrung von Wasserwegen, die Hamburg umgingen. 1395 brachte Hamburg den Moorwerder Das Stromspaltungsgebiet der Elbe erstreckte sich einst an sich. Dort konnte der Norderelbstrom auf Kosten der von Geesthacht bis auf die Höhe der heutigen Elbinsel Süderelbe gestärkt werden. Ähnlich verhielt es sich mit Hahnöfersand. Um das Jahr 1100 gab es eine große , wo die Alte Süderelbe zunehmend verbaut Insel Gorrieswerthere, die sich von Georgswerder über wurde, um das Wasser über Sandau und Köhlbrand in Kaltehofe bis erstreckte, die um 1150 Hamburger Gefilde zu leiten und damit den Handel auf eingedeicht war und auf der vermutlich im Bereich dem Fluss unter Kontrolle zu bringen. des heutigen Neuhof eine Kirche stand. Mehrere starke

Eine Besonderheit: Das Stromspaltungsgebiet der Elbe

Die Elbe hat ein ungewöhnlich langes Mündungs- zustande? Das bis zu 10 Kilometer breite Urstromtal gebiet, das bereits bei Hamburg beginnt. Es gibt macht’s möglich. Der elbaufwärts gerichtete Flut- auf der Erde zwei Haupttypen von Flussmündungen: strom gelangt bis in den Bereich, wo das Binnendelta Delta- und Trichtermündungen. Welche Art Mün- entsteht. Der Flutstrom und der zur Nordsee gerich- dung ein Fluss ausbildet, hängt ganz wesentlich vom tete Strom des Flusses halten sich immer wieder für Tidenhub ab. Ist dieser gering, so entsteht ein Delta. einige Zeit gegenseitig an: Das Wasser kommt zur Dieses wird gebildet aus den Schwebstoffen, die der Ruhe, und die mitgeführten Schwebstoffe lagern sich Fluss mit sich trägt. Beim Erreichen des Meeres hat ab – das Delta entsteht, indem der Fluss über seine das Flussbett kaum noch Gefälle, und die Strömung eigenen Ablagerungen „stolpert“ und sich immer verlangsamt sich. Die mitgebrachten Schwebstoffe wieder (besonders bei Sturmfluten) neue Wege lagern sich dabei ab. Der Fluss verbaut sich damit hindurch sucht. Dank des bis zehn Kilometer breiten seine eigene Mündung und muss sich immer wieder Urstromtals hat er auch Raum dafür. Er spaltet sich in neue Wege durch die Ablagerungen suchen. viele Arme auf, ein Stromspaltungsgebiet entsteht. Es entstehen die typischen Verästelungen eines Was das Stromspaltungsgebiet der Elbe zu einer Deltas – wie zum Beispiel bei Rhône, Donau, Besonderheit macht: Es liegt weit im Landesinneren, Mississippi und Lena. steht aber trotzdem immer noch unter Tideeinfluss. Demgegenüber sind die meisten Flussmündungen in Wenn die Strömungsrichtung des Flusses infolge der Mitteleuropa längst abgedämmt und so dem Tide- Gezeiten ständig wechselt, gibt es keinen festen Ort einfluss entzogen. der Schwebstoffablagerung. Im Gegenteil: Flut- und Ebbstrom waschen im Mündungsbereich das Fluss- Weiter stromab kommt das Wasser beim Kentern der bett immer breiter aus. Ein Trichter entsteht – wie zum Tide zwar auch regelmäßig kurz zum Stehen, hier ad- Beispiel bei Eider, Themse und Gironde. dieren sich bei Ebbe aber Oberstrom und Ebbstrom in ihrer Wirkung, und andererseits hat der Flutstrom eine Weltweit ziemlich einmalig dagegen ist die Situation so hohe Geschwindigkeit, dass mehr Sinkstoffe durch an der Elbe: Sie hat sowohl einen Trichter als auch das Wasser mitgerissen als abgelagert werden. So ein Delta – und zwar hintereinander. Wie kommt das entsteht die typische Trichtermündung. Geschichte von Wilhelmsburg

Im Bereich des heutigen Wilhelmsburgs begannen erneute Eindeichungen ab 1333 von Südosten her. Als „Felder“ bezeichnet, kamen über die Jahrhunder- te neue Inseln, Anhängsel und Zwischenstücke zu den „Der Ostteil der Insel, bisher eingedeichten Flächen hinzu. Alte Elbarme und das Naturschutzgebiet Priele wurden innerhalb der Eindeichungen zu Ent- Heuckenlock und die Bunthäuser Spitze sind wässerungsgräben (Wettern) umgestaltet. Historisch wunderschön und als alte Wettern sind noch heute an ihrem unregelmäßig Erholungsgebiete äusserst geschwungenen Verlauf zu erkennen. Die heutige wichtig. Jeder Eingriff in Deichlinie Wilhelmsburgs entstand teilweise erst nach diese schöne Natur wäre der Sturmflut von 1962, als die Deichlinie nochmals eine große Tragödie.“ verkürzt wurde. Kerstin Passoth Die geografische Situation ist kompliziert: Die Elbinsel lebt seit 2005 in Wilhelmsburg zwischen Köhlbrand, Norder- und Süderelbe, die hier betrachtet werden soll, entstand auf jeden Fall aus mehreren Inseln.

Streng genommen ist es weder politisch, noch geogra- zu bezeichnen. Wenn es in dieser Broschüre dennoch fisch noch historisch gerechtfertigt, den gesamten Be- geschieht, so hat es einen pragmatischen Grund: reich zwischen Norder- und Süderelbe als Wilhelmsburg Dem Objekt der Betrachtung einen Namen zu geben.

Die Karte zeigt mit Blick nach Süden das Stromspaltungsgebiet zwischen (oben) und Hamburg (unten).

Unser Grünes Wilhelmsburg 8 Nach den Eindeichungen

Der Lebensgrundlage der Bewohnerinnen und Bewohner der Insel Wilhelmsburg waren wohl zuerst hauptsächlich Fisch- und Vogelfang. Auf die letzte Tätigkeit weisen noch heute Namen wie zum Beispiel Vogelhüttendeich, Finken- riek, Kuckuckshorn hin. Später wurde besonders Viehzucht und Ackerbau betrieben. Die Pferde- und Rinderzucht blühte. Bereits aus dem Jahre 1635 erfahren wir, dass „Claus, der Milchführer aus dem Reiherstieg“, mit seinem Ewer nach Hamburg fuhr. Ewer sind Schiffe mit flachem Boden. Im Winter setzte man die Milcheimer auf Schlitten.

Wilhelmsburg hat sich in den letzten Jahrzehnten grund- legend gewandelt. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Deichrückverlegungen wie hier am Kreetsand geben der Elbe bestand es aus einigen kleinen Orten entlang der Deiche. Überflutungsräume zurück und können wertvolle Lebensräume Aus ihnen wurde zunächst die größte Landgemeinde wieder herstellen des preußischen Staates, aus dieser eine Stadt, dann ein Stadtteil von Harburg-Wilhelmsburg und schließlich ein Stadtteil von Hamburg. In den letzten Jahrzehnten des 20. Heute ist Wilhelmsburg die zweitgrößte Flussinsel Euro- Jahrhunderts begannen Hafen-, Gewerbe-, Industrie- und pas. Zusammen mit den Stadtteilen , Kleiner Wohngebiete immer größere Flächen auf Wilhelmsburg Grasbrook und der liegt der Stadtteil Wilhelmsburg einzunehmen. Der typische Charakter einer von Wasser auf der Insel gleichen Namens im sogenannten Stromspal- durchdrungenen Insel im Strom ging Schritt für Schritt verlo- tungsgebiet der Elbe. Am südöstlichen Punkt Wilhelms- ren, so dass im Westen das alte Wilhelmsburg kaum noch burgs teilt sich der Fluss in die Norder- und die Süderelbe. zu erkennen ist, während im Osten noch vieles von der Im Nordwesten, dem Teil, der zum Hamburger Hafen alten Kultur- und Naturlandschaft erhalten ist. gehört, vereinigen sich die beiden Elbarme wieder.

Aufspülungen haben Wilhelmsburg mancherorts verändert und brachten im Elbschlick abgelagerte Schadstoffe auf die Insel Geschichte von Wilhelmsburg

Wilhelmsburg ist mit dem Namen einer interessanten Frau verbunden: mit Sophie Dorothea.

Sie war die Tochter des Herzogs Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg- Celle, wurde Gräfi n von Wilhelmsburg und hat als Prinzessin von Ahlden tragische Berühmtheit erlangt.

Sophie Dorothea (1666-1726) war die Tochter des Herzogs Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüne- burg-Celle und einstmals Gräfi n von Wilhelmsburg. Ihr Vater war zunächst unverheiratet geblieben und musste deshalb die Thronfolge an die Kinder seines Bruders abgeben. Dann aber begegnete er der Liebe seines Lebens: Eleonore d´Olbreuse, die er allerdings zunächst nicht standesgemäß ehelichen konnte. Aus dieser Beziehung ging Sophie Dorothea hervor. Um ihr ein Auskommen zu sichern, kaufte Georg Wilhelm die Inseln in der Elbe: Stillhorn, Georgswerder, Rotehaus, Bauwiese und die Höveln und deichte sie mit denen zusam- men, die ihm bereits lange vorher gehörten, näm- lich Reiherstieg und das Vorwerk Schluisgrove. Das neue Gebiet nannte er „Herrschaft Wilhelmsburg“. Gattin und Tochter zu Gräfi nnen erhob. Jetzt konnte er seine geliebte Eleonore doch noch Er erreichte zwei Jahre später nach zähen Ver- standesgemäß heiraten. Herzogsbruder Ernst- handlungen beim Kaiser in Wien, dass dieser seine August und seine Gattin befürchteten allerdings, dass Sophie Dorothea, nunmehr Gräfi n von Wil- helmsburg, ihrem ältesten Sohn den Thron streitig machen könnte. Vorsorglich verheirateten sie die beiden. Die Ehe war allerdings unglücklich, es folg- ten Scheidung, Verbannung auf Schloss Ahlden (unweit Walsrode in Niedersachsen) und einsamer Tod Sophie Dorotheas. Zuvor war sie jedoch zur Stammmutter des hannoverschen, englischen und preußischen Königshauses geworden.

Kurzgefasst: Wilhelmsburg entstand aus Liebe und Fürsorge! Das zeigen auch die vielen Herzen im Wappen...

Sophie Dorothea (1666-1726) von Braunschweig-Lüneburg Gräfi n von Wilhelmsburg, Kurprinzessin zu Hannover

Unser Grünes Wilhelmsburg 10 Sumpf- und Wasserwildnis im Heuckenlock Eine Insel voller Natur – mitten in der Elbe

Biologische Vielfalt in Wilhelmsburg es gibt nur unterschiedliche Sichtweisen. Nur darf man „Aus grauer Städte Mauern ziehn wir durch Wald und dabei die eigene Sichtweise nicht für alleinseligma- Feld“ heißt ein altes Wandervogellied. Als es vor rund 80 chend halten und sie anderen aufzwingen wollen. Jahren entstand, waren Jugend- und Wanderbewe- gung und Naturschutz in Deutschland eng miteinander Die Diskussion um das Grün in der Stadt dreht sich leider verbunden. Damals galt die Natur als Fluchtpunkt, als vor allem um Flächenbilanzen und nur nachrangig um Rückzugsmöglichkeit für zivilisationsmüde Städter. Natur die höchst verschiedenen Qualitäten dieser Flächen. und Stadt waren für Wandervögel und Naturschützer- Oft ist uns von den Anhängern der Idee „Wachsende unvereinbare Gegensätze. Kaum vorstellbar dürfte ihnen Stadt“ versichert worden, dass das Bild Hamburgs als gewesen sein, was Biologen unserer Tage herausgefun- „Grüne Stadt am Wasser“ erhalten bleiben soll, und dass den haben: Dass nämlich ausgerechnet Großstädte die man die Grünsubstanz nicht antasten werde. Dies ist artenreichsten Gebiete Mitteleuropas sind, und dass sie sicher ehrlich gemeint. Aber es bleiben zwei Gefahren. mehr unterschiedlichen Tier- und Pflanzenarten Lebens- Erstens ist „Natur“ nicht austauschbar. Ein für ein Bauvor- raum bieten als die umgebende Landschaften mit ihren haben benötigtes Biotop wird zerstört, an anderer Stelle Äckern, Wiesen und Wäldern. wird „Grün“ als Ausgleich neu angelegt, oberflächlich gesehen ist alles in Ordnung, aber der Qualitätsverlust Warum dies so ist, darüber gehen die Meinungen aus- bleibt unberücksichtigt. Und selbst bei ausgeglichener einander. Liegt es an der bunten Mischung aus alten Grünbilanz, wie sie uns versprochen wird, drohen einige und neuen Strukturen? Daran, dass auf kleinstem Raum Typen von Biotopen vollständig zu verschwinden, meist Waldparzellen, Reste der Feldmarken, Neubaugebiete, die empfindlichsten und wertvollsten. Eine herkömmliche alte Dorfkerne und Bahngelände aneinander stoßen Parkanlage oder Grün im Wohnumfeld - das ist Dutzend- können, die jeweils ihre eigene Tier- und Pflanzenwelt ware und kein Ersatz für eine Klappertopfwiese. Genau mitbringen? Oder haben sich die Städte umgekehrt über solche Themen müssen Naturschützer und Stadt- nur dort entwickeln können, wo von vornherein eine planer miteinander reden. Aber der Dialog ist schwierig, Mischung unterschiedlichster Lebensräume vorhanden weil beide unterschiedliche Verständnisse von „Natur in war? Darüber wird noch gestritten, aber unbestritten ist: der Stadt“ haben. Städte sind in Mitteleuropa „hotspots“ der Artenvielfalt. Und dies gilt in besonderem Maße für Hamburg, und Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet ein Konzept, nicht zuletzt für Hamburgs Mitte: Wilhelmsburg. dass von dem Berliner Ökologen Ingo Kowarik entwickelt Um die Natur in Wilhelmsburg geht es in dieser Broschü- wurde: „Die vier Arten der Natur in der Stadt“. Es erlaubt, re. Aber was soll man darunter verstehen? Fragen Sie die große und oft nur für den Experten überschaubare einen Bauern, einen Stadtplaner, einen Botaniker oder Vielfalt der Natur in der Stadt auf eine überschaubare einen Geschäftsmann, und Sie werden jedes Mal einen Zahl von Kategorien zu reduzieren, überschaubar auch andere Antwort bekommen. Für den einen ist es der für den Politiker, den Stadtplaner und den Ökonomen. Acker, für den anderen der Stadtpark, für den dritten Dies Konzept soll uns für unsere Beschreibung der Natur das Naturschutzgebiet oder sogar die Pflanzenwelt auf in Wilhelmsburg den Roten Faden liefern. der Industriebrache. Und der vierte erlebt seine Begeg- nung mit der Natur auf dem Golfplatz. Und sie haben Einen Überblick über die „Vier Arten der Natur“ gibt die alle recht – aus ihrer Warte. Es gibt keine „wahre“ Natur, Karte 1. Eine Insel in der Elbe

Die „Vier Arten der Natur“ in Wilhelmsburg

Die „Vier Arten der Natur in der Stadt“ sind auf Wilhelmsburg beispielhaft angelegt wie auf einem Lehrpfad entlang einer Linie von Südosten nach Nordwesten.

Diese Karte finden Sie auch im Anhang im Format DIN A2 (Karte 1)

In den folgenden Kapiteln finden Sie im Text Ziffern, die den unterschied- lichen Standorten zugeordnet sind. Die genaue Position können Sie der Karte 1 hier auf der Seite und im Anhang im Format DIN A2 entnehmen.

Unser Grünes Wilhelmsburg 12 Vom Menschen unabhängige Natur: Die Ufer der Elbe Die Vier Arten der Natur - Natur der ersten Art

wieder sind Röhrichte und Buschwälder vergangen und neu entstanden. Auch heute bilden sie sich immer wie- der neu, wenn der Einfluss des Menschen nachlässt. Am schönsten ist diese Urlandschaft im Naturschutzgebiet Heuckenlock ( 42 Karte 1) ausgebildet. Wir rechnen sie zur Natur der ersten Art. Zu dieser Art von Natur gehören auch Wälder, Röhrichte, Moore und Dünen. Sie alle sind selten geworden und nur noch an wenigen Stellen intakt erhalten. Dies macht sie umso wertvoller.

Das Naturschutzgebiet Heuckenlock erstreckt sich über fast drei Kilometer von der Freiluftschule Moorwerder unter der Autobahnbrücke hindurch bis an den Hafen Holstenkaten. Es liegt völlig im Außendeichsbereich und wird an die 100 Mal im Jahr von der Flut überspült. Der Wechsel von Ebbe und Flut hat das Gebiet geprägt und an ihn haben sich Flora und Fauna angepasst. Treibsel- massen im Röhricht und im Gesträuch, absterbendes Die Ufer der Tideelbe – Heuckenlock und Schilf, Eisschäden an den Bäumen, umgestürzte Bäume, Rhee: Hier dürfen Bäume wachsen und Sandrücken oder Erosion an Prielkanten: All das zeugt fallen, wie die Natur es mit sich bringt. von der starken Dynamik, der das Gebiet unterliegt.

Große und kleine Weidenarten, darunter viele Silber- Schade, dass die Ausflugsdampfer heute nicht mehr weiden, nehmen die etwas tiefer gelegenen Flächen zwischen Hamburg und Geesthacht oder Lauenburg ein und bilden die Weichholzaue. Auf den trockeneren fahren. Von der Elbe aus gesehen bietet der Südosten Flächen wächst ein Auenwald aus Eschen, Erlen und Wilhelmsburg nämlich ein ganz einzigartiges Bild. Da ist Pappeln, darunter auch Schwarzpappeln. Im Unter- kaum mehr etwas zu sehen von Auto- und Eisenbahnen, wuchs dieser Hartholzaue haben sich Schlehen und von Hafen-, Industrie- und Wohngebieten, nicht einmal Pfaffenhütchen angesiedelt. Eines der Exemplare ist um mehr von Wiesen, Weiden oder Äckern. Stattdessen die 400 Jahre alt. Die eigentlich elbtypischen Ulmen sind eine ausgedehnte Schilf- und Weidenwildnis, von den selten. Bekannt ist eine über 400 Jahre alte Flatterulme. Gezeiten geprägt. So oder ähnlich hat es im gesamten Elbtal ausgesehen, als die Römer vor fast 2000 Jahren In den undurchdringlichen Schilfurwäldern an den Prie- auf der Elbe erstmals nach Mittelgermanien vorstießen. len leben verschiedene Rohrsänger und die Rohrammer. Erst sehr spät wurde diese Wildnis besiedelt, denn es Einen guten Einblick in diesen Lebensraum und in das war ein unsicheres Gebiet. Immer wieder hat die Kraft Süßwasserwatt erhält man bei Ebbe von der Brücke der Sturmfluten und Hochwässer es umgestaltet, immer über den großen Priel. Nicht selten ist der Graureiher Natur der ersten Art

Uferpanorama im Heuckenlock

bei der Nahrungssuche zu beobachten. Kormorane Tidebereich der Elbe vorkommende Pflanze hat hier ihre sind Nahrungsgäste wie auch der Weißstorch und sogar individuenreichste Population, sie unterliegt besonderem die seltene Rohrdommel. Im zeitigen Frühjahr entfal- Schutz nach Europäischen Recht. ten die Weiden ihre meist hellgelben Kätzchenblüten. Einige Wochen später leuchten im noch fahlen Röhricht Dem Wechsel von Ebbe und Flut ausgesetzte Auenwäl- die buttergelben, hoch aufwachsenden Sumpfdotter- der, Röhrichte und Watten im Süßwasser sind etwas sehr blumen. Schachblumen präsentieren ihre Pracht auf Seltenes. Daher haben diese Lebensräume Anspruch den Feuchtwiesen. auf besonderen Schutz, den die Europäische Fauna- Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) gewährleistet. Der Hochsommer ist die Zeit der eigentlichen Röhricht- Sie schreibt für solche Lebensräume spezielle Schutz- pflanzen mit dem Gelb der Sumpfschwertlilien und den und Erhaltungsmaßnahmen vor, die sowohl für das verschiedenen Rottönen von Weidenröschen und Blut- Naturschutzgebiet Heuckenlock als auch für alle weiderich. Der Schierlings-Wasserfenchel kommt im Juli Außendeichsbereiche Wilhelmsburgs, die außerhalb an einem Priel zur Blüte. Diese weltweit nur im Süßwasser- des Hafengebietes liegen, zu verwirklichen sind.

Graureiher in der Rhee

Unser Grünes Wilhelmsburg 14 Auch im Naturschutzgebiet Rhee ( 25 Karte 1) kann man noch etwas von der wilden Natur der Elblandschaft erle- ben, wenn auch in gezähmter Form. Es bildete ursprüng- lich den östlichen Teil der Wilhelmsburger Dove Elbe und hat bis vor vierzig Jahren ähnlich ausgesehen wie das Heuckenlock. Aber nach der Sturmflut des Jahres 1962 wurde die Deichlinie rund um Wilhelmsburg begradigt und die Rhee von der Stromelbe abgetrennt. Heute kann man nur noch ahnen, dass auch an der Rhee frü- her ein Tide-Auenwald gestanden hat. Reizvoll ist dieses Bruchwaldgebiet noch immer. Auch die Rhee zählen wir zur Natur der ersten Art.

Von dem aufgespülten Gelände südlich des Georgs- Seeadler in Wilhelmsburg werder Schleusengrabens oder auch vom Oberge- orgswerder Deich hat man einen guten Überblick über dieses ehemalige Auenwaldgebiet. Eindrucksvoll sind In das dichte Gezweig über dem Wasser ziehen sich die grauschimmernden Silberweiden, die das Gewässer Teich- und Blässrallen gerne zurück. Nahezu stocksteif und die Gräben säumen und das buschartige Gewirr stehen manchmal Graureiher am Gewässerrand und der Korbweiden und anderer kleinerer Weidenarten. Der lauern auf Beute, und wenn man viel Glück hat, huscht sich aufzweigende Lauf des Schleusengrabens ergibt womöglich wie ein blaugrün glänzender Edelstein ein ein landschaftlich reizvolles Bild, das im Sommer durch Eisvogel über das Wasser, oder es lassen sich Löffelenten das Gelb des Flussgreiskrautes und der Sumpfschwertlili- bei der Nahrungssuche beobachten. en belebt wird. Auf dem Wasser schwimmen die Blätter der gelben Teichrose.

Nirgendwo in Hamburg wächst das Schilf so mächtig wie im Heuckenlock Natur der ersten Art

Der Schierlings-Wasserfenchel (Oenanthe conioides)

Naturschützer bemühen sich sehr um seine Erhaltung an der Niederelbe.

Der Schierlings-Wasserfenchel (Oenanthe conioides) dem Schierlings-Wasserfenchel, ist jedoch in Deutsch- gehört wie seine Namens-Paten Schierling und land weit verbreitet und wächst überwiegend an Fenchel zur Familie der Doldenblüter. In dieser den Ufern nicht tidebeeinflusster Gräben und Teiche. Pflanzenfamilie gibt es eine Reihe bemerkenswerter Gift- (zum Beispiel Schierling), Nutz- und Heilpflanzen Amphibische Pflanzen, die längere Zeit im Wasser (zum Beispiel Fenchel). Der Schierlings-Wasserfenchel stehen, entwickeln oft Wasserblätter, die sich von ist nun dadurch berühmt geworden, dass er eine den Luftblättern mehr oder weniger deutlich unter- für den Tide-Süßwasserbereich der Elbe endemische scheiden können. Der Gewöhnliche Wasserfenchel Pflanze ist, das heißt, er kommt nur hier und nirgend- bildet solche Wasserblätter aus. Sie sind im Gegen- wo sonst auf der Welt vor. Und so teilt er denn auch satz zu den Luftblättern haarfein zerschlitzt, so dass das Schicksal der Tide-Süßwasser-Lebensräume an man die Pflanze an diesem Merkmal gut erkennen der Elbe: Er wird wie sie immer seltener, ist in den kann – und vom Schierlings-Wasserfenchel unter- letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen und scheiden, denn bei diesem gibt es keine solche in gilt heute als vom Aussterben bedroht. fadenartige Fiedern zerschlitzte Wasserblätter sondern eine Rosette von breit-eiförmig gelappten Der Schierlings-Wasserfenchel ist im Hamburger Grundblättern und feiner gefiederten Hochblättern. Raum seit langem bekannt. Er wächst unterhalb der mittleren Tidehochwasserlinie. An ihrer unteren Der Schierlings-Wasserfenchel kann bis zu respektab- Verbreitungsgrenze stehen die Pflanzen bei jeder len zwei Meter Höhe auswachsen. Er ist eine zweijäh- Flut ungefähr vier Stunden im bzw. unter Wasser, die rige Pflanze und blüht im Juli. Naturschützer bemühen hoch angesiedelten Individuen dagegen nur etwa sich sehr um seine Erhaltung an der Niederelbe. Es anderthalb bis zwei Stunden. Schon in den frühen gibt ein Forschungsvorhaben, mehrere Ansiedlungs- Beschreibungen wird die nahe Verwandtschaft zum projekte und eine regelmäßige Überwachung seiner Gewöhnlichen Wasserfenchel (Oenanthe aquatica) bekannten Standorte, zu denen in Wilhelmsburg vor hervorgehoben. Dieser hat sehr große Ähnlichkeit mit allem das Naturschutzgebiet Heuckenlock gehört.

Schierlings-Wasserfenchel - weltweit so selten wie der Große Panda

Unser Grünes Wilhelmsburg 16 Pflanzen-Lebensgemeinschaften zum Nutzen des Menschen Die Vier Arten der Natur - Natur der zweiten Art

von auswärts einzuführen und sich auf die Produktion von Frischware zu konzentrieren, die in der wachsen- den Großstadt Hamburg reißenden Absatz fand: Auf Milch beispielsweise. Milchvieh braucht Grünland zur Ernährung. Wilhelmsburg wurde zu einer Grünland-Insel, geprägt durch Wiesen und Weiden. Auch wenn die landwirtschaftliche Nutzung stark zurückgegangen ist, hat sich noch viel von diesen Grünländereien halten können. Im Wilhelmsburger Osten, aber auch in den Be- reichen Kornweide ( 35 Karte 1) und Hauland ( 15 Karte 1).

Äcker, Wiesen und Weiden, ja selbst Heiden sind Lebens- räume, die es in der Naturlandschaft nicht gibt und die ohne den Menschen nicht existieren würden. Sie sind Teil der Kulturlandschaft, aber gleichzeitig auch Lebens- raum für viele Pflanzen und Tiere, die sich an diese vom Menschen bewirtschaftete Landschaft angepasst haben. Der Vergleich mit dem Heuckenlock zeigt, dass wir es hier mit einer neuen Kategorie von Natur zu tun Natur der zweiten Art umfasst Lebensräume, haben: Natur der vorindustriellen Kulturlandschaft oder die im Laufe der Jahrhunderte vom Natur der zweiten Art. Menschen durch Umwandlung der Natur der ersten Art geschaffen wurden.

Vor hundertfünfzig Jahren war Wilhelmsburg noch die „Milchinsel“ für Hamburg. Fast die gesamte Fläche wurde landwirtschaftlich genutzt. Siedlungen gab es nur entlang der Deiche. Die Bauern der Flussmarschen waren reich im Gegensatz zu den Bauern auf der Geest. Der Boden ist hier von Natur aus nährstoffreich und das jahrhundertealte ausgeklügelte System der Be- und Entwässerung über die Beetgräben machte es möglich, die Feuchtigkeit optimal einzustellen und immer wieder frische Nährstoffe zuzuführen. Ursprünglich herrschte Ackerbau vor. Aber bald war es rentabler, Getreide Bundesweit stark gefährdet, in Wilhelmsburg zu Hause: Die Sumpfschrecke Natur der zweiten Art

Gräben - Lebensraum vieler Libellenarten und des Moorfroschs

Wiesen, Weiden und Gräben Die große Bedeutung für den Naturschutz liegt in der geringen Geländehöhe und den damit verbundenen Der GEO-Tag der Artenvielfalt im Jahre 200x hat es hohen Grundwasserständen. Nördlich des Siedenfelder an den Tag gebracht: Das Feuchtgrünland im Osten Weges – auf den in Wilhelmsburg am tiefsten gelegenen Wilhelmsburg zählt zu den artenreichsten Gebieten Flächen – liegt Hamburgs größtes Kiebitzbrutgebiet ( 29 Hamburgs, und auch den deutschlandweiten Vergleich Karte 1) mit etwa 14 Brutpaaren. Neben anderen Wie- braucht es nicht zu scheuen: Es gibt keine vergleichbare senvögeln siedelt auf dieser Fläche auch das äußerst Großstadt, wo ein solch naturhaftes Gebiet so nahe zur seltene Blaukehlchen. City liegt. Dieses Grünland wird von einem Netz künstlich angelegter Entwässerungsgräben und Wettern (brei- Unmittelbar nördlich an die Siedlung Kirchdorf grenzen te Sammelgräben) durchzogen. Ihre Ränder sind von Hamburgs größte und damit spektakulärste Klappertopf- einer charakteristischen artenreichen Ufervegetation wiesen ( 31 Karte 1). Der Große Klappertopf – Blume des bewachsen, die Gewässer selbst sind Nahrungs- und Jahres 2005 – ist eine charakteristische Pflanze der wech- Lebensraum für zahlreiche an Wasser gebundene Pflan- selfeuchten Wiesen auf Niedermoorstandorten. Solche zen- und Tierarten. nährstoffarmen Wiesen prägten einst das Landschafts- bild Norddeutschlands. Sie sind inzwischen äußerst selten Beim Kreuz der Autobahn und des Siedenfelder Weges geworden. ( 30 Karte 1) liegt für den Naturschutz besonders wertvol- les, zusammenhängendes Feucht- und Nassgrünland, Auch ein Schmetterling sorgt für ein Wilhelmsburger das noch stark dem ursprünglichen Charakter der Fluss- „Alleinstellungsmerkmal“: Der vom Aussterben bedrohte aue entspricht. Hier gibt es außerdem Tümpel, Gräben Mauerfuchs (Rote Liste 1) weist hamburgweit nur noch in unterschiedlicher Ausprägung mit Röhricht, Weiden- im Wilhelmsburger Osten eine überlebensfähige Popula- gebüschen und Sumpfwald. Diese Lebensräume erstre- tion auf. cken sich von den Siedlungsrändern Kirchdorfs bis zur Autobahn und darüber hinaus nach Osten, wo sie dann Viele Grünland-Lebensräume, vor allem Nasswiesen mit immer stärker von Ackerflächen unterbrochen werden. Tümpeln und Röhrichten, sind gesetzlich geschützt.

Eine Schönheit unserer Feuchtwiesen: Die Kuckuckslichtnelke Die Blutrote Heidelibelle

Unser Grünes Wilhelmsburg 18

Beschädigung und Zerstörung sind verboten und können nur ausnahmsweise mit ausdrücklicher Genehmigung und Ausgleich an anderem Ort zugelassen werden. „Wilhelmsburg soll so grün bleiben wie es ist! Lieber die Grünflächen Intensiver Acker- und Gartenbau erweitern, statt sie zu verkleinern! Ich lebe gern Diese Form Natur der zweiten Art findet man hauptsäch- in Wilhelmsburg, lich an etwas höher gelegenen, von vornherein trocke- so wie es jetzt ist.“ neren oder entwässerten Stellen im Süden und Südosten der Wilhelmsburger Elbinsel: Südliches Stillhorn ( 37 Karte Jutta Schneider 1), auf den Spülfeldern zum Beispiel am Moorwerder seit 28 Jahren in Wilhelmsburg Brückendamm ( 41 Karte 1) und auf Moorwerder ( 44 Karte 1). Die Flächen ergeben zusammen ein Mosaik aus Äckern, intensiv genutztem Grünland, Weiden, einge- streuten kleinflächigen Obstwiesen, naturnahen Gehöl- und stellen einen Übergang dar zwischen intensiver zen und Gras- und Staudenfluren entlang der Autobahn. Gartenbaukultur in Moorwerder und landwirtschaftlicher Teilbereiche sind zunehmend gartenbaulich geprägt Nutzung mit Schwerpunkt Grünland im Norden.

Der Große Klappertopf (Rhinanthus angustifolius)

Der Große Klappertopf erhielt seinen Namen von dem leise klappernden Geräusch, das seine Samen bei Wind in seinen Fruchtkelchen erzeugen. Er wächst als Kulturbegleiter auf wechselfeuch- ten Wiesen vieler Niedermoore, die früher intensiv gemäht wurden und einst das Landschaftsbild in Norddeutschland prägten. Seit etwa 30 Jahren werden solche Flächen zunehmend entwässert, gedüngt und mit Wirtschaftsgräsern eingesät. Dadurch werden viele Kräuter verdrängt, so auch der Große Klappertopf. Inzwischen ist er in ganz Deutschland so selten geworden, dass er in vielen Bundesländern und bundesweit auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Pflanzenarten steht.

Der Große Klappertopf gehört zur Familie der Braunwurzgewächse, er wird bis zu 70 Zentimeter hoch, hat dunkle, gekerbte, längliche Blätter und eine zitronengelbe, bis 2,4 Zentimeter lange, röh- renförmige Blüte, die in zwei Lippen ausläuft, deren obere einen lila Endzipfel hat. Die Blütezeit erstreckt sich von Mai bis August. Die Bestäubung findet fast ausschließlich durch Hummeln statt.

Seine enge Bindung an die Kulturlandschaft ver- dankt der Große Klappertopf einer Besonderheit: Er ist ein Halbschmarotzer auf Gräsern. Er vermag zwar selbst die für grüne Pflanzen typische Photo- synthese durchzuführen, ist aber für die Versorgung mit Wasser und Nährsalzen auf Gräser angewiesen. Der Große Klappertopf, die Blume des Jahres 2006, mit dem größten Bestand in Hamburg auf Wilhelmsburg Natur der zweiten Art

Bedeutung hat dieser Raum für das Landschaftsbild und die Erholung. Gräben sowie eingestreute Brach- und Grünlandflächen, Obstwiesen und Gehölze bieten Wild- pflanzen und Tieren (vor allem Insekten) Lebensmöglich- keiten. Wenn aus Sicht des Naturschutzes etwas hervor- gehoben werden soll, so könnten es die eingestreuten Obstwiesen sein, weil sie reich an verschiedenen Klein- lebensräumen sind. In den meisten Fällen stehen auf ihnen noch die für die Obstmarschen ehemals typischen Hochstämme, die besonders zur Blütezeit dieser Land- schaft einen besonderen Reiz verleihen. Wettern und teilweise noch vorhandene Beetgräben weisen Reste einer wertvollen Grabenvegetation auf. Viele von ihnen werden auch heute noch von Libellen und Amphibien zum Laichen aufgesucht.

Kleingärten dienten einst vor allem der Selbstversorgung mit Obst Eine Besonderheit: die „Türkengärten“ und Gemüse

Erst vor kurzem entstanden auf ungenutzten Brachflä- In diesen Gärten findet sich noch so manche Gemüse- chen „Türkengärten“ ( 36 Karte 1), Gärten zur Selbstver- sorte, die modernen Marktanforderungen nicht mehr sorgung mit Gemüse, eine Form mediterraner Garten- entspricht. Für unser mitteleuropäisches Verständnis von kultur in Hamburg. Die Türkengärten sind bemerkenswert Garten- und Landschaftsplanung sind sie Provokation wegen ihrer Vielfalt an Gemüse- und Kräutersorten, und Bereicherung zugleich. die aus der Heimat im Süden mitgebracht wurden.

Provokation und Bereicherung zugleich: „ Türkengärten“auf Wilhelmsburg

Unser Grünes Wilhelmsburg 20 Die künstlich angelegte symbolische Natur der Parks und Gärten Die Vier Arten der Natur - Natur der dritten Art

Barocken Parkanlagen oder modernen Rosen-Rasen- Koniferen-Gärten kann man ihre Künstlichkeit deutlich ansehen. Das gilt nicht für den englischen Landschafts- garten, wo Bruchstücke der Natur der ersten Art (Wäl- der) und der zweiten Art (Wiesen) zu einem idealisierten Naturbild arrangiert werden und so ihre Künstlichkeit verschleiern. Städtischen Parkanlagen stehen ebenfalls in dieser Tradition

Natur der dritten Art hat auf der Elbinsel ihren Schwer- punkt in der Wilhelmsburger Mitte. Das Spektrum reicht von Parkanlagen über Haus- und Kleingärten bis zum Abstandsgrün der Großsiedlungen, von Sport- und Spielplätzen über Alleen, Grünstreifen und Friedhöfen bis zum sogenannten Splittergrün der Einkaufsstraßen und schließlich bis hin zum Blumentopf auf der Fensterbank. Die Bedeutung dieser Art von Grün als Lebensraum für Pflanzen und Tiere ist meist nicht sehr groß, es sei denn, Natur der dritten Art umfasst Lebensräume, es handelt sich um eher lässige gepflegte Anlagen mit die vom Menschen geschaffen wurden und altem Baumbestand. die nicht – oder nicht überwiegend – der Erzeugung von Nahrung, sondern der Erho- Viele alte Grünanlagen und Gärten wird man auf Wilhelmsburg nicht erwarten dürfen – die städtische lung und Erbauung des Menschen dienen. Besiedlung setzte ja erst mit der Industrialisierung ein. Große, alte und wertvolle Anlagen wie zum Beispiel der Was viele Städter in ihrer unmittelbaren Wohnumwelt als Harburger Stadtpark oder der Hammer Park fehlen hier. Natur in Gärten, städtischen Grünflächen und in histori- Einige Friedhöfe in Kirchdorf sind dennoch schon mehre- schen Parkanlagen erleben, ist eine künstlich angelegte, re Jahrhunderte alt und mancherorts stehen noch alte eine symbolische Natur. Sie entstand nicht als Neben- Hoflinden und -eichen, die an längst abgebrochene produkt der Landbewirtschaftung, sondern wurde Gehöfte erinnern. absichtlich um ihrer selbst willen geschaffen. Gärtneri- sche Pflege hält sie stabil. So beschreibt Ingo Kowarik die dritte Art der Natur. Natur der dritten Art

Lindenallee an der Bunthäuser Spitze

Die gute Nachricht ist: Viele der Gärten und Parks sind rung aufrechtzuerhalten, wenn sie mit finanziell, perso- nicht sehr intensiv unterhalten, so dass wir hier immer nell und sachkundlich reduzierten Mitteln durchgeführt noch viele Elemente der naturnahen Pflanzen- und Tier- werden. Unterschiedsloses Mähen mit schwerem Gerät, welt finden. Das gilt besonders für die in den Grünzügen pauschales Absägen von Gehölzen und Neuanpflan- reichlich vorhandenen Gewässer: Hier säumen Erlen und zungen ungeeigneter Zierhölzer steigern den ökologi- Weiden die Ufer, es kommen Eckchen mit Erlenbruch- schen Wert nicht. wald, Weidengebüsch und Schilfröhricht vor. Sie sind ebenso wie Schwimmblattzonen und Vorkommen der Insbesondere also dort, wo das städtische Grün auch geradezu tropisch anmutenden Sumpfcalla Relikte aus Gewässer berührt oder umfasst, finden wir dennoch der Wilhelmsburger Naturlandschaft und haben sich in wertvolle Natur. An Kanälen und Bracks kann man Grünanlagen und Parks erhalten oder wurden bewusst durchaus noch den Eisvogel beobachten, so zum Bei- neu angelegt. Nachteilig wirken Versuche, die Kultivie- spiel am Kuckucksteich ( 17 Karte 1), am Kükenbrack

Früher ein Friedhof, heute eine Grünanlage mit besonderem Flair: Der Wilhelmsburger Park

Unser Grünes Wilhelmsburg 22

( 14 Karte 1), an den Mahlbusen ( 13 Karte 1), am an den früheren Friedhof und laden heute zur Erholung Aßmannkanal ( 9 Karte 1), an der Südlichen Wilhelms- ein. burger Wettern ( 16 Karte 1) und an der Wilhelmsburger Doven Elbe ( 20 Karte 1). So manche Wasserpflanze, Der heutige Wilhelmsburger Friedhof Finkenriek ( 34 Karte die auf der Roten Liste steht, kommt hier noch vor, und 1) im Süden ist teilweise erst vor wenigen Jahrzehnten die Ufer und Schwimmblattzonen dienen Vögeln, zum angelegt worden. Gebüsche und Bäume sowie Rasen Beispiel dem Haubentaucher, als Brutplatz. und Beete dienen insbesondere einer arten- und indivi- duenreichen Vogelwelt als Nahrungs- und Ruheraum. Kanäle und Wettern werden von Grünzügen begleitet, die als grüne Achsen und Trittsteine die Wilhelmsburger Eine relativ neue Parkanlage ist der Park südlich der Mitte bereichern und Lebensräume vernetzen. Hafenrandstraße ( 4 Karte 1). Hier wurde ein naturnah gestaltetes Gewässer in eine Grünanlage integriert, Wer kennt schon den Namen Wilhelmsburger Park ( 18 das auch Röhricht- und Verlandungszonen enthält, die Karte 1)? Aber die meisten Wilhelmsburger waren schon Lebensräume für Amphibien und Libellen sein können. in der Parkanlage mit altem Baumbestand und den typischen Brutvogelarten wie Kleiber und Buntspecht, Kleingärten prägen, wie in vielen Hamburger Stadtteilen, die sich zwischen den Bahngleisen und der Reichsstraße auch in Wilhelmsburg das Stadtbild entscheidend mit. befindet. Rasenflächen, undurchdringliche Dickichte, Fast 150 Hektar sind in Wilhelmsburg durch kleine Parzel- verwitterte Grabsteine unter alten Laubbäumen erinnern len belegt.

Kleingärten heute: Orte der Zuflucht für gestresste Städter Natur der dritten Art

Kleingärten und Grabeland verbessern das Kleinklima zeit. Die Gärten bieten Erholung direkt vor der Haustür, und sind wichtige Trittsteine zur Biotopvernetzung. verbessern somit auch die Lebensqualität. Aber auch in sozialer Hinsicht haben sie große Bedeu- tung, denn sie bieten insbesondere Familien mit Kin- Unter den Kleingärten sind vor allem die alten, struktur- dern, die in dicht besiedelten Wohnquartieren leben, reichen Gärten sowie solche mit kreativen ökologischen Naturraum und abwechslungsreiche Freizeitgestaltung. und ästhetischen Ansätzen zu erwähnen. Zu ihnen kön- In den liebevoll angelegten Gärten mit ihrer bunten nen auch die „Türkengärten“ gezählt werden Blumenpracht und den sorgfältig gepflegten Nutzgärten (siehe unter Natur der zweiten Art). verbringen die Kleingärtner einen großen Teil Ihrer Frei-

Kleingärten und andere Grünflächen in Wilhelmsburg

Unser Grünes Wilhelmsburg 24 Industriebahnhof: Die Natur erobert sich Flächen zurück, die der Mensch nicht mehr nutzt

Urban-industrielle Natur, die eigentliche Stadtnatur Die Vier Arten der Natur - Natur der vierten Art

randflora, Ahorn-Stadtwälder oder Birkenbrachen mit Rainfarn-Beifuß-Fluren, zum Beispiel auf Bauerwartungs- land. Seltene Pflanzen- und Tierarten, die den beson- deren Reiz bestimmter Standorte ausmachen, treten in der Regel zeitlich eng begrenzt auf. Denn entweder führt der Mensch die Flächen ihrer geplanten Nutzung zu oder die natürliche Entwicklung, der jede Pflanzenge- sellschaft unterliegt, die vom Menschen nicht beeinflusst wird, führt bei der städtischen Spontannatur längerfris- tig zu artenarmen Pflanzengesellschaften und mündet unter unseren klimatischen Verhältnissen immer – über Vorstufen – in einen Wald.

Natur der vierten Art ist auf Wilhelmsburg vor allem im Westen reichlich vorhanden. Hier leben zum Beispiel Allerweltsvögel wie Elstern, Amseln, Tauben und Stock- enten, aber auch seltene Arten wie der Eisvogel und Natur der vierten Art ist die städtische Spon- Krickenten kommen hier vor. tannatur. Sie ist weder gepflanzt noch ange- An erster Stelle müssen die Ruderalflächen des Hafens sät und tritt zumeist auf stillgelegten Flächen mit ihren vielen Neophyten (pflanzlichen „Neubürgern“) wie Bahn- oder Hafenanlagen auf. genannt werden. Dort finden sich botanisch wertvolle Standorte wie der Güterbahnhof Dessauer Straße Sie siedelt sich auf Flächen an, die vom Menschen für ( 6 Karte 1): Auf einer kaum drei Hektar großen Fläche seine Zwecke stark verändert wurden. Natur kann sich wachsen 48 Pflanzenarten der „Roten Liste Hamburg“, an diesen Stellen nur entwickeln, wenn die ursprüngli- eine Zahl, wie wir sie sonst höchstens aus Naturschutzge- che Nutzung der Flächen entweder aufgeben wurde, bieten kennen. wenig intensiv ist oder verzögert umgesetzt wird. Oft- Die Hohe Schaar ( 11 Karte 1) beherbergt zwischen mals ist der Boden von Schadstoffen verunreinigt und in Öltanks, Bahn und Straße Hauhechel, Natternkopf, Zyp- seinem natürlichen Aufbau gestört. So sind zum Beispiel ressen-Wolfsmilch und Ochsenzunge. In der Umgebung unter dem Schotter alter Bahnanlagen Rückstände der Getreidemühle kommen Raritäten wie das Trauben- von Spritzmitteln, Treibstoffen und Ölen zu finden, und kraut vor. unter meterdickem Spülsand für neue Hafenanlagen wurde der ursprüngliche Marschenboden vollständig Auf Neuhof ( 1 Karte 1) gelangen durch den Import begraben. Natur der vierten Art umfasst unter anderem von Ölsaaten „blinde Passagiere“ pflanzlicher Art nach Pflasterritzenvegetation, Bahnhofs-, Hafen-, Straßen- Wilhelmsburg und können sich manchmal ansiedeln. Natur der vierten Art

Prunkwinden und Grauer Bastardsenf seien als Beispie- le genannt. Und die alten Hafenmauern sind reich an Vorkommen des seltenen Mauerfarns.

Alljährlich im Herbst bekommt die Hansestadt Besuch aus dem hohen Norden: Krickenten aus den menschen- leeren Hochmooren des Baltikums und von den unend- lichen skandinavischen Seen finden sich auf Hamburger Gewässern ein, um hier zu überwintern. Wenn in Hafen- becken und Kanälen bei Niedrigwasser Süßwasser-Watt- flächen frei fallen, gründeln zum Beispiel im Hovekanal ( 8 Karte 1) auf der Peute ( 7 Karte 1) bisweilen über 600 Krickenten nach Nahrung. Ausgeprägter könnte der Gegensatz kaum sein: Im Sommer brüten sie fern jeden Säbelschnäbler brüten in ehemaligen Hafenbecken Kontaktes mit uns Menschen – den Winter verbringen sie inmitten von LKW-Verkehr und Industrielärm. haben, und in jedem Frühling kehren Tausende Sturm- möwen auf die Hohe Schaar zurück, um dort zu brüten. Wenn wir an einem ruhigen Sonntagnachmittag im Weil naturnahe Standorte immer seltener werden, Industriegebiet spazieren gehen, können wir überrascht haben Naturschützer in den letzten Jahrzehnten ler- werden: Eisvögel fischen hier, Zwergtaucher ziehen ihre nen müssen, ihre Aufmerksamkeit auch auf diese Jungen groß, und in üppigen Kräuterbeständen summt Ersatzlebensräume der Natur der vierten Art zu richten. es von Insekten. Auf Neuhof zirpen Heuschrecken neben Und auch in der Stadt bleibt oberstes Gebot des Natur- rangierenden Lokomotiven, balzen Regenpfeifer auf schutzes: „Grün“ mit möglichst viel „Natur“ erhalten neuen Sandflächen, sobald die Bagger Feierabend und entwickeln.

Sturmmöwenkolonie

Die Hohe Schaar ( 11 Karte 1) bestand nach der auch eine genaue Untersuchung durch die „Vogel- Eiszeit aus Sumpfgelände und Sandbänken. Die warte Helgoland“. Kultivierung durch den Menschen ließ saftiges Wei- deland entstehen, bis dann in den fünfziger Jahren Im Jahr 2005 wurden 3200 Sturmmöwenpaare, 192 des letzten Jahrhunderts Elbsand auf die Wiesen Silbermöwenpaare, 15 Heringsmöwenpaare, zwei gespült wurde, um hier hochwassersicher Industrie Schwarzkopfmöwenpaare, zwei Mantelmöwenpaare anzusiedeln. Es entstanden große freie Flächen. Diese und ein Lachmöwenpaar gezählt. Für Lachmöwen „Sekundär-Biotope“ entdeckten Sturm- und Silber- ist die Hohe Schaar ein untypischer Lebensraum. Die möwen als Brutstätte. Erhebliche Störungen durch Mantelmöwe hat Hamburg überhaupt erst vor drei den Menschen setzten den Möwenkolonien im Laufe Jahren besiedelt. Die mediterrane Schwarzkopfmö- der achtziger Jahre stark zu. Gleichzeitig entdeckten we breitet sich seit Jahrzehnten nach Norden aus. erste Möwen das eingezäunte Firmengelände der Wie alle anderen brütet auch die Heringsmöwe für Shell AG. Hinter den hohen Flutschutzmauern besie- gewöhnlich nicht so weit im Binnenland. delten sie zunächst die Freiflächen. Die Mitarbeiter der Raffinerie ließen die lärmenden Vögel in Frieden – so wuchs die Kolonie weiter, und heute finden sich Nester auf Schuppendächern und in Fahrradstän- dern, in den riesigen Rohrsystemen und unterhalb der Windkrafträder.

Diese in Westeuropa einzigartige und am tiefsten im Binnenland liegende Kolonie (mehr als 80 Kilometer vom Meer entfernt) verteilt sich heute auf zwei Werks- gelände und restliche Freiflächen der Hohen Schaar. Im Schutze der Möwen halten sich große Bestände von Austernfischern, Brandgänsen, Steinschmätzern und Rebhühnern. Kein Wunder also, dass manche Vogelkundler verträumt vom „Naturschutzgebiet Hohe Schaar“ sprechen. Mit dem Jahre 2006 beginnt Mit einer bundesweit bedeutenden Brutkolonie in Wilhelmsburg vertreten: Die Sturmöwen

Unser Grünes Wilhelmsburg 26 Naturnahes Ufer am Heuckenlock Die Gewässer in Wilhelmsburg

Die Wilhelmsburger Elbinsel ist aufgrund ihrer schaft eingebüßt. Andererseits hat sich heute auf der Lage zwischen Norder- und Süderelbe vor gesamten Insel ein komplexes Wassernetz entwickelt, allem durch den Einfluss des Wassers geprägt. das besonders für den Arten- und Biotopschutz beson- dere Bedeutung besitzt. Zahlreiche Bracks, die nach Deichbrüchen entstanden sind und angelegte Kanäle, Wilhelmsburg ist vor allem durch den Einfluss verschiede- Gräben, Wettern und Teiche bieten der Tier- und Pflan- ner Wasserläufe geprägt. Denn die Elbinsel – ursprüng- zenwelt abwechslungsreiche Lebensräume. Von der lich ein Zusammenschluss aus mehreren Inseln – war ursprünglichen Naturlandschaft Wilhelmsburgs allerdings von kleineren Elbarmen durchzogen. Reste dieser alten nur Reste erhalten. Das Gewässernetz ist von besonderer Elbarme finden wir heute noch in der Fiskalischen Bedeutung für den Arten- und Biotopschutz. ( 12 Karte 1) und Südlichen Wilhelmsburger Wettern ( 16 Karte 1), im Veringkanal ( 10 Karte 1) oder in der natur- Je nachdem, ob die Gewässer vom Tidegeschehen in nahen Wilhelmsburger Doven Elbe ( 20 Karte 1). Durch der Elbe beeinflusst oder von ihm unabhängig sind, sind Eindeichung, Aufhöhung, Entwässerung, Bebauung Pflanzen und Tiere, die sie bewohnen, unterschiedlich. und kulturelle Nutzung der eingedeichten Flächen hat Deshalb werden nachfolgend die Tidegewässer und die Wilhelmsburg viel von seiner ursprünglichen Naturland- tideunabhängigen Gewässer gesondert dargestellt. Gewässer in Wilhelmsburg

Die Ufer der Süderelbe sind im Bereich der Bunthäuser Die Tidegewässer Spitze ( 47 Karte 1) mit sehr dichtem und hohem Röhricht mit Weidengebüsch bewachsen. Die Röhrichte sind Le- Norder- und Süderelbe und alle Gewässer, die mit ihnen bensraum für Rohrsänger und damit besonders attraktiv in unmittelbarem Kontakt stehen, also viele Kanäle und für den Kuckuck, der seine Eier gern Rohrsängern zum Hafenbecken, unterliegen dem Einfluss von Ebbe und Brüten unterschiebt. So wird dieses Gebiet zum Flut. Die Tide drückt den Gewässern ihren besonderen Kuckucks-Schwerpunkt in Hamburg. Etwas weiter strom- Stempel auf. Charakteristisch sind die Wasserstands- ab liegt am Nordufer der Süderelbe das Naturschutzge- schwankungen oder auch der Tidehub, der derzeit bei biet Heuckenlock ( 42 Karte 1), am Südufer gegenüber ungefähr bei 3,6 Metern liegt: Bei Flut tritt das Wasser liegt das Naturschutzgebiet Schweenssand ( 43 Karte 1). über die Ufer, so dass nur entsprechend angepasste Sie geben uns eine Vorstellung davon, wie naturnahe Pflanzen und Tiere hier gedeihen, bei Ebbe fallen Watt- Tidegewässer und ihre Ufer in unserem Gebiet aussehen. flächen trocken, die für viele Tiere, besonders Vögel, Nahrungsgründe darstellen und ein Lebensraum sind für

Pflanzen und Tiere. die das Wechselspiel von Ebbe und „Das Naturschutzgebiet Flut zum Leben brauchen. Heuckenlock ist zu jeder Jahreszeit einfach Die Norderelbe weist streckenweise ausgedehnte Röh- wunderschön. Und ich richte und Weidengebüsche auf, die dicht und hoch liebe die Schönenfelder gewachsen sein können. Wo der Deich ohne Vorland an Straße, wo die hübsche den Fluss heranreicht, kann sich natürlich kaum Vege- kleine Brücke über die tation ausbilden. Schütt- oder Pflastersteine als Ufer- Dove Elbe führt. Im Winter befestigung sind je nach Alter und Beschaffenheit der war ich dort als Kind häufig Zwischenräume unterschiedlich, manchmal nur kärglich, Schlittschuhlaufen.“ bewachsen. Dennoch findet sich hier gar nicht so selten Swantje Krohn und Pauline der andere, etwas weniger prominente Süßwasser-Tide- Lebte mehr als 30 Jahre elbe-Endemit: Die Wibel-Schmiele, ein etwas unschein- in Wilhelmsburg. bares Gras.

Hafenbecken und ihre Bedeutung für die Vogelwelt

Nachdem ein Teil des Mühlenberger Loches zuge- Zugvögel, die dem Elbelauf folgen. Typische Arten schüttet wurde, weichen Wasservögel vermehrt in sind Flussuferläufer, Austernfischer und Säbelschnäb- Hafenbecken aus, und zwar bevorzugt in solche, die ler, die sich von Hafenbauten und Unruhe durch kaum noch bewirtschaftet werden. Da die Hafen- Güterverkehr nicht abschrecken lassen. Sie finden becken zum Nisten und Brüten nicht geeignet sind, sich bei Ebbe auf den Süßwasserwatten mancher halten sich während der Sommermonate nur wenige Hafenbecken gemeinsam mit Lachmöwen ein und Vögel hier auf. Zur Zugzeit nimmt ihre Zahl dann zu suchen nach Nahrung. Im tiefen Winter können sich und erreicht den Höchststand im Winter; der Hambur- auch Brandgänse, Krick- und Stockenten dazugesel- ger Hafen ist nämlich ein Rast- und Nahrungsraum für len. Wenn bei Flut das Wasser aufläuft, tauchen Gän- sesäger, Zwergsäger und Kormorane nach Fischen, Reiher- und Tafelenten nach Pflanzen und Muscheln. Seit wenigen Jahren lassen sich sogar Seeadler und Wanderfalken beobachten.

Ein besonders wertvolles ehemaliges Hafenbecken war der Rodewischhafen ( 2 Karte 1). Hier haben sich temporäre, von Niederschlägen gespeiste Still- gewässerzonen entwickelt, die eine ausgedehnte, dichte Röhrichtzone und Weichholz-Auen aufweisen: Ein „Kleinod“ im Hafengebiet. Allerdings wird eine Bebauung vorbereitet: Die Fläche wurde mit Sand aufgeschüttet.

Am Ende des Neuhöfer Kanals ( 3 Karte 1) gibt es ein wertvolles Schlickwatt, das sich zu einem Auwald entwickeln ließe. Brutvogel im ehemaligen Hafenbecken: Der Austernfischer

Unser Grünes Wilhelmsburg 28 Papenbrack Die tideunabhängigen Gewässer

Bracks halten, aber mit gewisser Wahrscheinlichkeit bereits vor Wilhelmsburg war und ist durchzogen von Deichen. 1626 entstanden. Seit 1936 ist es Naturdenkmal. Das Wo sie einmal brachen, entstanden binnendeichs Papenbrack, das heute in einer stark genutzten Grünan- durch Auskolkung des Bodens Bracks (Brack kommt von lage liegt, besitzt noch naturnahe Teilbereiche. Starke bre(c)ken, brechen). Sie haben insbesondere für die Seerosenentwicklung weist auf Überdüngung hin. Die Fischfauna Hamburgs eine große Bedeutung. Einige Nährstoffe haben sich über die Jahre durch die Zuflüsse Bracks sind als Naturdenkmäler ausgewiesen, und alle aus den Wettern, durch den Fischbesatz und auch Fisch- sind nach dem Hamburgischen Naturschutzgesetz ge- fütterung sowie durch das Entenfüttern angereichert. schützt. Im Papenbrack wurden folgende Fischarten nachge- wiesen: Karpfen (eingesetzt), Schleie, Ukelei, Schlamm- Bei Befischungen wurden in einem Brack zum Beispiel peitzger, Hecht, Zander, Bitterling, Schmerle und Grün- sieben Fischarten aufgenommen: Kaulbarsch, Aland, ling. Fünf der genannten Arten sind auf der Roten Liste Moderlieschen, Rotauge, Güster, Brassen und Fluss- Hamburgs verzeichnet. Schlammpeitzger und Bitterling barsch. Die drei erstgenannten gelten in Hamburg und werden bundesweit als stark gefährdet eingestuft. sogar darüber hinaus als gefährdet. Das Kükenbrack ( 14 Karte 1) hat zwar schöne Ufer, ist Besonders erwähnt sei das Papenbrack ( 32 Karte 1). aber auch ein Beispiel dafür, was mit einem Gewässer Es ist schon auf einer historischen Karte von 1772 ent- alles passieren kann. Es ist eines der älteren Bracks und Gewässer in Wilhelmsburg

entstand wahrscheinlich vor 1624. Im Jahre 1981 geriet konnten. Rund um die Teiche finden sich kleine Wälder, das Kühlhaus Trettaustraße in Brand. Geschmolzene Gebüsche, Grasflächen, Röhricht und Weiden. Butter, Speiseeis und Fett aus erhitzten Schweinehälften liefen in das Brack. So kam es, dass das Kükenbrack das Das gesamte Gelände ist inzwischen als Fläche für erste Brack ist, auf dem ein Hafen-Saugbagger platziert Ausgleichsmaßnahmen für die Deponie Georgswerder wurde, um das Fett wieder abzusaugen. Die Planun- gesichert. Gräben und Kleingewässer wurden wieder gen für die Internationale Gartenschau sehen hier den hergestellt, eine extensive Beweidung zur Erhaltung Schwerpunkt der Volksvergnügungen vor. Auch wenn seltener Arten und Lebensräume wurde veranlasst. Süd- und Ostufer des Kükenbracks künstlich modelliert sind, so hat es dennoch einen imposanten Erlenbe- Wettern stand. Durch Efeulianen, kleine Wasserflächen und schmale Wanderwege entsteht hier eine regelrechte Über Wettern und Gräben sind Teiche und Bracks mit Urwaldatmosphäre, die bei einem Massenandrang von anderen Kleingewässern, aber auch mit der Elbe oder Besuchern verloren ginge. Den Naturreichtum hier zu dem Feuchtgrünland des Wilhelmsburger Ostens ver- erhalten ist eine anspruchsvolle Aufgabe für die Planer bunden. Diese oft enge Verzahnung von Gewässern der Gartenschau. und angrenzenden Flächen ist ein wertbestimmender Faktor im Sinne des Naturschutzes. Wettern sind vom Teiche Tidegeschehen durch entsprechende bauliche Vor- richtungen abgeschottet, ihre Durchströmung wird Der Kuckucksteich ( 17 Karte 1) heißt im Volksmund Insel- allerdings durch Elbwassereinlass bei Flut und Auslass brack, ist aber gar kein Brack, sondern im wesentlichen andernorts bei Ebbe geregelt. künstlich ausgehoben. Flacher als typische natürliche Zur charakteristischen Ufervegetation naturnaher Wet- Bracks weist er auch eine andere Zusammensetzung tern gehören Röhrichte und Hochstaudenfluren. Die seiner Pflanzen- und Tierwelt auf. Teiche sind wichtige Gewässer selbst sind Nahrungs- und Lebensraum für Brut-, Laich- und Nahrungsplätze für Vögel, Fische, zahlreiche wassergebundene Pflanzen- und Tierarten Amphibien, Insekten und Fledermäuse und weisen oft (zum Beispiel Krebsschere, Schwanenblume, Amphibien, eine vielfältige Unterwasservegetation auf. Libellen). Über die Grenzen Hamburgs hinaus bedeu- tungsvoll ist der große Moorfroschbestand wegen der Südlich der Deponie Georgswerder ( 22 Karte 1) liegen bundesweit starken Gefährdung der Art. Unter den Fi- die Ziegeleiteiche ( 21 Karte 1), von denen die größe- schen stellt der nach Europäischer Richtlinie geschützte ren als Angelteiche genutzt wurden. Auf dem zuge- Schlammpeitzger eine Besonderheit dar. Er kommt in der hörigen Gelände hat sich eine artenreiche Flora und Rethwettern ( 38 Karte 1) und Götjensorter Wettern Fauna eingestellt. So ist hier der Eisvogel regelmäßig ( 39 Karte 1) vor. anzutreffen, Seeadler und Rohrweihe sind Nahrungs- gäste, Beutelmeisen und Teichrohrsänger zählen zu den Leider haben heute viele Wettern nur noch eine ein- Brutvögeln. 25 Libellenarten, 14 Heuschreckenarten und geschränkte Funktion als Lebensraum und Wander- sechs Amphibienarten wurden bei einer Untersuchung und Ausbreitungsweg für Pflanzen und Tiere, weil sie 2003 festgestellt. An den hohen Artenzahlen ist die große verrohrt und ihre Ufer verbaut wurden. Die intensive Bedeutung dieser Fläche für den Naturschutz abzulesen, landwirtschaftliche Nutzung der Flächen, oft bis an die noch dadurch unterstrichen wird, dass auch zahlrei- die Ufer heran, erfordert einen niedrigen Wasserstand. che seltene und bedrohte Arten nachgewiesen werden

„Wir genießen hier besonders das ländliche Wohnen. Direkt hinter unserem Garten, auf den Wiesen zwischen unserem Haus und der Siedlung Kirchdorf-Süd haben wir die Wettern. Seit nicht mehr so viele Tiere geschossen werden, leben dort wieder mehr Fasane und Enten. Schön ist auch das neu eröffnete Tideauen-Informationszentrum. Hier bekommt man noch mehr Eindruck davon, wie einzigartig und schützens- wert viele Gebiete in und um Wilhelmsburg sind.“

Marlies und Heinz Bügel Waschechte Wilhelmsburger

Unser Grünes Wilhelmsburg 30 Zur Be- und Entwässerung angelegt: Graben

Wilhelmsburger Dove Elbe Malermuschel sind in Deutschland gefährdete Arten. Sogar Eisvögel verirren sich gelegentlich in die Kanäle. Die Wilhelmsburger Dove Elbe ( 20 Karte 1) ist gesetzlich Die Sedimente sind aufgrund früherer Industrienutzung geschützt. Als Nebenarm der Elbe stellt sie einen Rest oft belastet – und harren der Sanierung. der ursprünglichen Naturlandschaft dar. Neben ihrer Bedeutung für den Naturhaushalt – unterstützt durch Gräben oder Beetgräben einen Weiden-Birken-Pionierwald mit Röhrichtflächen und Waldtümpeln im Nordosten – besitzt sie auch eine Eine derjenigen naturräumlichen Besonderheiten, die wichtige Funktion für die Erholung. Der Ernst-August- Hamburg seiner einzigartigen Lage an der Elbe und Kanal ( 5 Karte 1), die Wilhelmsburger Dove Elbe und ihren Nebenflüssen verdankt, ist die Marschlandschaft die Dove-Elbe-Wettern ( 26 Karte 1) stellen außerdem mit ihren zahlreichen Beetgräben. Beetgräben, auch wichtige Verbindungselemente vom Hafengebiet im Grüppen oder auf wilhelmsburgisch Gribben genannt, Nordwesten zum Naturschutzgebiet Rhee ( 25 Karte 1) sind langgestreckte, flache Kleingewässer zwischen den und der Norderelbe sowie weiter südlich zu den feuch- Grünland- (oder Acker-) Beeten in der für die feuchte ten Grünländereien des Wilhelmsburger Ostens dar. Marsch typischen Beetgrabenstruktur. Parallel angeord- net sorgen sie auf den landwirtschaftlichen Nutzflächen Tideunabhängige Kanäle in der Marsch für den Abfluss überschüssigen Wassers und für die Bewässerung bei Trockenheit. Für die Struktur Entsprechend ihrer künstlichen Entstehung und rein aus langen, schmalen Beeten (meist um 20 Meter breit) zweckbestimmten Form sind die Kanäle als naturferne zwischen den Gräben gibt es zwei Entstehungsgründe: Gewässer zu bezeichnen. Allerdings hat an manchen Von keinem Punkt der Beete sollte der Gaben zu weit Stellen in alten Kanälen die Natur wieder ein wenig entfernt sein, um die kleinräumige Be- und Entwässerung Fuß gefasst. So sind zum Beispiel an einigen Kanalufern (nötigenfalls per Segelgießer, einer Wasserschaufel) zu spontane Gehölze und meist kleinflächige Röhrichte gewährleisten. Und: Das Wenden des Pfluges war ein oder Horste der Rispen-Segge aufgewachsen. Außer- Umstand, den es zu vermeiden galt, je länger das Beet, dem deuten die Funde leerer Schalen der Schwanen- desto leichter das Pflügen. muschel, der Malermuschel und der Dreiecksmuschel auf das Vorkommen von Muscheln hin. Schwanen- und Gewässer in Wilhelmsburg

Ursprünglich – mit der Besiedlung der Marsch im frühen „Einfach wunderschön Mittelalter – wurden die natürlichen, gewundenen die Schafe und Pferde kleinen Rinnen sowie die größeren Priele und Altarme von meinem Balkon aus der Flußaue in mühsamer Handarbeit mit Spaten und auf der Weide zu sehen. Grüne Flächen müssen Schubkarre in die geradlinigen Gräben und Wettern auf jeden Fall umgewandelt. So entstand ein vielfältiges Mosaik von erhalten bleiben.“ neuen Lebensräumen. Viele Tiere und Pflanzen konnten von der ursprünglichen Naturlandschaft einfach in die neue Kulturlandschaft „umziehen“. Die Gräben wurden Renate Meyn faszinierende Lebensräume mit einer erstaunlichen Seit 42 Jahren in Wilhelmsburg Vielfalt von Pflanzen und Tieren. Hier kann man etwa die Entwicklung von Libellen beobachten oder den Moor- frosch, dessen blau gefärbte Männchen und unschein- Feuchtwiesen auf. Bleibt die Nutzung in angemessenem bar braun gefärbte Weibchen für kurze Zeit im Frühjahr Abstand, kommt eine artenreiche Uferstaudenflur auf. In manche Gräben bevölkern, um sich zu paaren. den Gräben selbst kann sich eine üppige Unterwasser- vegetation unter anderem aus Laichkräutern, Horn- und Die Zusammensetzung der Graben-Lebensgemein- Tausendblatt entwickeln. schaften ändert sich im Jahresverlauf und ist auch von Graben zu Graben unterschiedlich. So ist jeder Graben Bei einer Untersuchung naturnaher Gräben in Wilhelms- eine Welt für sich: Je nach der Beschaffenheit des Un- burg kamen einige biologische Kostbarkeiten ans Licht, tergrundes und des Wassers, der Ausrichtung zur Sonne, die den hohen Wert dieser Gewässer bekräftigen. Fisch- der Strömung und dem Temperaturverlauf während arten wie Schlammpeitzger und Moderlieschen, der des Jahres und je nach der Umgebung. Gräben mit Moorfrosch, Vögelarten wie Bekassine, Knäckente und geringer Strömung sind mit langgestreckten Garten- Storch, Wasserpflanzen wie Froschbiss und Sumpfcalla teichen vergleichbar, und jeder Gartenbesitzer weiß, sowie Uferpflanzen wie Mädesüß und Blutweiderich wie wertvoll diese Lebensräume sein können. Gräben, in wurden nachgewiesen. denen das Wasser strömt, können durchaus mit Bächen verglichen werden. Sie beherbergen eine Pflanzen- und Um ihre Funktion aufrechtzuerhalten, müssen die Grä- Tierwelt, die Strömung erträgt oder sogar auf sie ange- ben von Zeit zu Zeit gereinigt werden. Dies geschah wiesen ist. über fast ein Jahrtausend naturschonend in Handarbeit. Seit wenigen Jahrzehnten sind nun Maschinen für die Die Grabenränder weisen, wenn die Nutzung bis an sie Grabenreinigung im Einsatz. Diese erleichtern zwar die heranreicht, zumeist die Vegetation der umgebenden Arbeit, verleiten aber auch zur radikalen Räumung der Gräben von Pflanzen und Tieren. Ebenso führt die ma- schinelle Grabenreinigung zu einer aus Naturschutzsicht ungünstigen Änderung der Grabenprofile. Es entstehen, eintönige und schnurgerade Gräben mit steilen Ufern, die teilweise mit Holz befestigt sind. Diese Form der radikalen Graben-Räumung sowie die Intensivierung der umgebenden Landwirtschaft seit rund 40 Jahren verrin- gerten zum Teil drastisch den Naturwert der Gräben und damit der Landschaft. Augenfällig wird dies durch den Rückgang von Storch, Kiebitz und vielen Amphibien.

Leider werden die Gräben bisher in ihrer Bedeutung als naturnahe Lebensräume immer noch nicht genügend gewürdigt. Oft werden sie als störend für die Landwirt- schaft angesehen, verlanden mit der Zeit oder werden sogar zugeschüttet. Dabei zeigt sich in einigen Gräben der Natur-Reichtum noch in voller Pracht, etwa am Siedenfelder Weg ( 30 Karte 1) in Wilhelmsburg oder in den Wiesen. Viele Gräben in der übrigen Marsch sind dagegen bereits stark denaturiert.

Früher Viehfutter, heute auf der Roten Liste: Die Krebsschere

Unser Grünes Wilhelmsburg 32 Wilhelmsburg als Ganzes Entwicklungsperspektiven für die Natur

Die vorangegangenen Kapitel haben Rest zu opfern, sondern wir wollen die gesamte Elbinsel gezeigt: In Wilhelmsburg gibt es an vielen und alle ihre aus Sicht des Naturschutzes wertvollen Stellen schützenswerte Natur, und zwar auch Teilgebiete erhalten und in ihrer Lebensraumfunktion verbessern. Durch einen Biotopverbund sollen Wande- an Stellen, wo wir sie nicht erwartet haben. rungen und Austausch zwischen Teilgebieten so ermög- licht werden, dass die Vielfalt, Eigenart und Schönheit Damit das so bleibt oder sich noch verbessert, ist es der Elbinsel dauerhaft gesichert und verbessert werden wichtig, die Elbinsel als ein großes, zusammenhängen- kann. des System zu begreifen und zu bedenken, dass die so verschiedenen „Vier Arten der Natur“ mit ihren Vorkom- Eine wirtschaftliche Entwicklung der Elbinsel muss auch men besonderer Arten und Lebensgemeinschaften im den Naturreichtum bewahren und entwickeln. Nur so Austausch miteinander stehen, dass nur die gesamte wird die Lebensqualität dieses Raumes auch für seine Elbinsel einschließlich auch vermeintlich naturferner Teil- Bewohner erhalten. Nur so ist gewährleistet, dass Wil- gebiete diesen Reichtum hervorbringen konnte. helmsburg lebenswert bleibt und wird, dass Natur und Mensch hier zu einem neuen Miteinander finden, dass Deshalb wäre es auch verfehlt, wollte man jetzt die die Natur endlich als das berücksichtigt wird, was sie Artenlisten vergleichen und die etwas weniger wert- ist, als unverzichtbare Lebensgrundlage des Menschen, vollen Flächen für Bauvorhaben oder ähnliches opfern. als eine Bereicherung unseres Alltags, als notwendige Die Flächen sind schon jetzt vor allem durch die Gewäs- Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben und als ser, die als Biotopverbundsystem wirken, verbunden und Schatz für die gesamte Stadt Hamburg. stehen in einem Austausch miteinander. Auch vermeint- lich weniger wertvolle Bereiche können in diesem In den folgenden Kapiteln werden unsere System wichtige Trittsteine für den Austausch und die Ausbreitung von Pflanzen und Tieren sein. Überlegungen dargelegt, wie die Natur auf Wilhelmsburg erhalten und entwickelt Für uns kann es im Gegenteil nicht darum gehen, die werden soll. Filetstücke der Natur auf der Insel zu sichern und den Perspektiven für Wilhelmsburg

Für ein „Grünes Wilhelmsburg“ muss Einiges Schaffung von Ruheräumen durch Lärmschutz gegen- getan und Manches unterlassen werden. über stark befahrenen Straßen, wo diese direkt angren- Sogar der Hafen kann seinen Teil beitragen. zen, sind daher ein unverzichtbares Gebot.

Der Anteil der offen gehaltenen und einer natürlichen Schaut man in die Fläche, so geht es bei einem „Grü- Entwicklung überlassenen Lebensräume sollte im Hafen nen Wilhelmsburg“ in erster Linie um Grünland und einen Flächenanteil von mindestens 20 Prozent ausma- zwar vorrangig um Feuchtgrünland. Hier kommen viele chen. Auch sollten keine weiteren Hafenbecken verfüllt bedrohte Tier- und Pflanzenarten vor, dieser Lebens- werden. Die Ufergestaltung ist naturnah durchzufüh- raumtyp ist in den vergangenen Jahrzehnten überall in ren, also kein weiterer Uferverbau mit Holz, Beton oder Deutschland selten geworden. Deshalb sollte er nicht Steinen! Es gibt Standorte im Hafen, die eine besondere in Ackerland umgebrochen werden, die Gewächs- Beachtung verdienen. Sie sollten gesichert wie zum hauskulturen sollten sich nicht weiter ausdehnen. Die Beispiel die Peute ( 7 Karte 1) oder fachkundig betreut Bewirtschaftung der Weiden und Wiesen soll mit nicht zu werden (zum Beispiel die Möwenkolonien in Absprache vielen Tieren erfolgen, auf Dünge- und Spritzmittel sollte mit der Staatlichen Vogelschutzwarte). Dabei gilt: Nichts verzichtet werden. Vor allem aber ist zur Erhaltung nasser muss ewig bleiben, solange andere geeignete Flächen und feuchter Wiesen und Weiden ein hoher Wasserstand neu aus der Nutzung fallen und einer (zeitweiligen) na- unverzichtbar. türlichen Entwicklung zur Verfügung stehen. Die „Türkengärten“ ( 36 Karte 1) sollten in ihrer jetzigen Die Hafennutzung muss keineswegs durch (relativ starre) Struktur erhalten werden, da sie zum Bild Wilhelmsburgs Schutzgebietsausweisungen behindert werden. Die gehören. Dies ist einerseits Ausdruck von Toleranz gegen- Tatsache, dass ein so buntes Artenspektrum im Hafen über anderen Lebensformen, andererseits stellt diese vorkommt, hängt damit zusammen, dass es sich hier Form der Gartenkultur auch eine echte Bereicherung für überwiegend um mobile Lebewesen handelt, die für sie Wilhelmsburg dar. Ebenso unverzichtbar sind die Klein- günstige Lebensräume schnell besiedeln können. Dafür gärten, insbesondere wenn sie zur Grün-Vernetzung bei- ist es lediglich notwendig, dass ein Netz solcher Lebens- tragen. Kleingärten wirken sich positiv auf das Stadtklima räume vorhanden ist. Dies erlaubt der Hafenverwaltung aus, und sie haben einen Bildungswert, indem sie als Ort durchaus, Flächen nach Bedarf umzunutzen, wenn an der Naturbegegnung für ihre Nutzer zum Beispiel Lern- anderer Stelle Flächen angeboten werden. Mit einem und Experimentierorte im Umgang mit dem Lebendigen solchen variablen Mosaik von Flächen würde Hamburg darstellen. ganz neue Wege beschreiten und ein Beispiel dafür liefern, dass Ökonomie und Ökologie kein Widerspruch Wo es noch „echte Natur“ auf Wilhelmsburg gibt, muss sein müssen. sie natürlich gesichert und fachkundig betreut werden. Das bedeutet, dass eine natürliche Entwicklung der Ve- Parks und andere Grünflächen müssen, wenn sie es getation möglich sein muss und dass natürliche Erosion noch nicht sind, zu einem vernetzten System entwickelt und Sedimentation ermöglicht werden. Dies schließt die werden, wobei naturnahe und schon jetzt besonders Entstehung neuer Flächen der Natur der ersten Art mit geschützte Lebensräume gesichert der Neubildung von Röhrichten und fachkundig betreut werden und Auwald wo immer möglich müssen. Das bedeutet in der Praxis: ein. Beim Ellerholz ( 40 Karte 1) ist Je nach Nutzung können Flächen eine Rückverlegung des Deiches unterschiedlich häufig gemäht und und die Abtragung und Entsor- unterhalten werden. Ein Bolzplatz ist gung des Spülfeldes wünschens- anders zu behandeln als eine wenig wert. Eine Nutzung des belasteten begangene Wiese, Spiel- und Lager- Materials als Material für Lärm- plätze brauchen mehr Pflege als die schutzwälle, wie angedacht, birgt störungsarmen Randbereiche. Alte Risiken: Durch neu geschaffene Baumbestände sollen erhalten wer- Altlasten und den anschließenden den, Totholz nicht entfernt, sondern im Sachzwang, die beruhigten, öko- Ganzen liegen- oder, wo ohne Gefahr logisch wertvollen Bereiche auch möglich, stehen bleiben. Möglichst zu bebauen. naturnahe Gewässer und Uferberei- che sollen erhalten oder geschaffen Die Herstellung einer feuchten werden. Verbindungsachse zwischen Nor- Die Wilhelmsburger Grünanlagen lei- der- und Süderelbe, möglichst als den heute durchweg an zu viel Lärm, durchgehendes Gewässer, wäre was ihre Bedeutung als Erholungsräu- eine echte Perspektive für ein me in Frage stellt. Lärmminderung, „Grünes Wilhelmsburg“. Alte Elbbrücke

Unser Grünes Wilhelmsburg 34 Das Archehof-Projekt zur Erhaltung von Natur und Landschaft

Wer kennt das Rotbunte Husumer Schwein? Wie sieht das Rauwollige Pommersche Landschaf aus? Was zeichnet das Altdeut- sche schwarzbunte Niederungsrind aus? Keine Ahnung? Dann wird es Zeit, dass Abhilfe geschaffen wird!

Wie man dabei auch noch die Erhaltung und Steige- rung des Erlebniswertes der Landschaft erreicht, wie Landwirtschaft erlebbar gestaltet werden kann, davon soll jetzt die Rede sein.

Kaum ein Hamburger bekommt noch die Tiere zu Gesicht, die uns Menschen Eier, Milch und Wolle oder gar ihr Fleisch schenken. In den klimatisierten Ställen der modernen Massentierhaltung sind Besucher aus hygie- nischen Gründen meist nicht zugelassen, zudem ist der Anblick von unzähligen empfindlichen Hochleistungskre- aturen auf engstem Raum auch nicht gerade erbaulich. Auf Kosten von Artenvielfalt und Tiergesundheit wurden Rassen gezüchtet, die in möglichst kurzer Zeit möglichst viel und möglichst billig das gewünschte Produkt erzeu- gen.

Jede dritte der weltweit rund 6.500 Nutztierrassen steht vor dem Aussterben. In Deutschland werden mehr als 90 in der Roten Liste geführt. Aber wozu braucht man Vielfalt, wenn doch die Masse der Nahrungsmittel von ein paar wenigen „modernen“ Rassen produziert wird?

Alte Nutztierrassen bieten eine notwendige Gen-Reser- ve für viele bei den neuen Rassen verloren gegangenen Eigenschaften, wie hohe Fruchtbarkeit, gute Mutterei- genschaften oder besondere Qualität der Produkte. Alte Haustierrassen sind meist robuster und genügsamer als die neuen Hochzuchtrassen. Oftmals schmeckt ihr Fleisch auch einfach besser. Alte Rassen – jene, die seit mindestens 70 Jahren bekannt sind – besitzen noch ei- nen hohen Anteil der Erbanlagen ihrer wilden Vorfahren. Ist dieses Reservoir an Erbanlagen erst einmal verloren gegangen, lässt es sich für die Menschheit nicht wieder zurückgewinnen.

Aufgrund dieser Problematik engagiert sich die „Ge- sellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Nutztier- rassen“ für bedrohte Haustiere. Im Jahr 1995 rief der Verein das so genannte Archehof-Projekt ins Leben. Die Betreiber der Archehöfe im landwirtschaftlichen Haupt- oder Nebenerwerb verstehen sich als Tierhalter, die vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen bewusst in ihr Perspektiven für Wilhelmsburg

Betriebskonzept integrieren und landwirtschaftliche Pro- Flächen sind wie geschaffen für ein “Vorzeigeprojekt“: dukte herstellen. Der Begriff des „Arche-Hofes“ ist durch Siedlungsnah könnten Hamburger Schulkinder, Jugend- Patent geschützt, die Berechtigung, diese Bezeich- gruppen und Familien die vielen Tiere kennen lernen, nung zu benutzen, an bestimmte Auflagen gebunden. deren Produkte wir nutzten, bevor es die Massentier- Bundesweit existieren zur Zeit über 70 solcher Höfe. Es haltung gab. Die Bürger der Umgebung könnten sich im wird angestrebt, das bestehende Netz von Arche-Höfen Hofladen mit Milch- und Fleischprodukten aus ökologi- durch immer mehr Beteiligte zu vergrößern. scher Bewirtschaftung versorgen, und bei einer gezielten und geordneten Nachzucht könnten auch lebende Tie- Standort Wilhelmsburg re verkauft werden. Die Nachfrage nach Tierrassen, die an das lokale Klima und bestimmte Standorte angepasst sind, steigt – zum Beispiel für die Pflege von Naturschutz- Die Elbinsel Wilhelmsburg ist gut geeignet, einen Arche- gebieten. hof aufzunehmen. Im Hamburger Artenschutzprogramm sind große Bereiche des Wilhelmsburger Ostens als Grünland dargestellt. Der Strukturwandel der Landwirt- Mehr als zwei Fliegen mit einer Klappe schaft ist jedoch auch an Wilhelmsburg nicht spurlos vorübergegangen. Die Zahl der Landwirte ist seit Jahren Bei entsprechendem politischen Willen könnte in Wil- rückläufig. Immer mehr schaffen ihr Weidevieh ab und helmsburg ein Projekt entstehen, das neben positiven setzen stattdessen auf den lukrativeren Gemüseanbau. pädagogischen Effekten wichtige Beiträge leistet für Geeignete Grünlandflächen wurden umgebrochen und die Erhaltung und Pflege des Kulturlandschaftsraumes mit Salat bepflanzt. Gräben wurden vertieft, der Wasser- der Elbinsel und zur Steigerung der Attraktivität Wilhelms- spiegel abgesenkt, um die Entwässerung der Flächen zu burgs. Zusammen mit dem Heimatmuseum im Amtshaus gewährleisten. Nährstoffeinträge in die Gewässer ver- und der voll funktionsfähigen denkmalgeschützten schlechtern die Wasserqualität. Andere Grünlandflächen Mühle könnte ein lokales Netzwerk entstehen, das unter fallen brach, weil sich keine Nutzer mehr finden. Typische anderem Märkte für heimische Produkte organisieren Lebensräume verschwinden. und damit einen wichtigen Beitrag zur Öffentlichkeitsar- beit leisten kann. In dieser Situation liegt es auf der Hand, hier einen ökologisch wirtschaftenden Betrieb, der gleichzeitig die Traditionelle Grünländereien bieten Futter für robuste Kulturlandschaft Wilhelmsburg durch landschaftsgerech- Tierarten und locken Erholungssuchende in die Land- te Nutzung erhält, anzusiedeln. Die Voraussetzungen sind schaft. Mit einem Arche-Hof würden nicht zuletzt auch gegeben: Es gibt zwei geeignete Hofstätten, die beide Arbeitsplätze in der Landwirtschaft erhalten oder ge- der Stadt gehören. Land ist genügend vorhanden. Die schaffen werden!

Landschaftspfleger und Augenweide: Alte Haustierrassen

Unser Grünes Wilhelmsburg 36 Wenn der Mensch es zulässt, schafft die Dynamik des Wassers reizvolle und vielfältige Wasserlandschaften

Perspektiven für die Gewässer

Wie kann die Qualität und Einzigartigkeit der

Gewässer auf Wilhelmsburg erhalten und Wilhelmsburger Dove Elbe ( 20 Karte 1) und Rhee ( 25 verbessert werden? Karte 1) sollten wieder miteinander verbunden und an die Elbe angeschlossen werden, damit die Tide wieder In der Elbe sollten die Unterhaltungsmaßnahmen wie wirksam und in der Wilhelmsburger Dove Elbe die Ver- Baggern reduziert werden. landung aufgehalten wird. An beiden Gewässern sollten naturnahe Uferstreifen erhalten oder die Möglichkeit zu Eine weitere Elbvertiefung darf aus vielen Gründen ihrer Entwicklung gegeben werden. nicht stattfinden: Sauerstoffdefizit, Aufsedimentierung wertvoller Flachwasserbereiche, Erhöhung des Tidehubs, Die Wilhelmsburger Wettern ( 16 Karte 1) sollten wieder Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von Flutkatastrophen... miteinander in offene Verbindung gebracht werden, um einen einheitlichen Wasserstand herzustellen, der Die Ufer sind naturnah, ohne Deckwerk, zu gestalten. gegenüber dem heutigen Wasserstand angehoben Eine Uferbefestigung sollte, wo unumgänglich, durch werden sollte. Die Uferböschungen sollten naturnah Natursteine erfolgen (Wilhelmsburg sollte keine Deponie erhalten oder hergestellt werden. Unabdingbare von Schlacke der Norddeutschen Affinerie sein). Wo Forderungen sind: Nährstoffeintrag verringern und das immer möglich sollten Verlandungsprozesse und Erosion Einschwemmen von Straßenabflusswasser verhindern stattfinden können. (entsprechend der Europäischen Wasser-Rahmenrichtlinie). Perspektiven für Wilhelmsburg

Gräben müssen erhalten bleiben, sie dürfen nicht mehr verfüllt werden. Die Drainagen sind zurückzubauen, um die Bildung von Eisenocker aufzuhalten. Überhaupt sollte angestrebt werden, die alten Graben- systeme wiederherzustellen. Die Unterhaltung der Grä- ben sollte naturnah erfolgen, sie sollten abschnittweise je nach Bewuchs und Menge unterschiedlich geräumt und die Ufer abschnittweise gemäht werden, wobei naturnahe Uferrandstreifen mit offenen und zugewach- senen Bereichen geschaffen werden sollten. Abwässer dürfen nicht eingeleitet werden. Neue naturschonende, Wege der Gewässerunter-haltung werden in Dänemark beschritten. Hier werden Pflanzen geräumt, empfind- liche Bereiche werden von Hand gepflegt. So bleibt die wertvolle Naturausstattung der Gräben bei voller Funktionsfähigkeit erhalten.

Bei geeigneter Pflege und Wasserstandsregulierung im Der Weißstorch braucht naturnahe Gewässer, Gräben und Feucht- grünland zur Nahrungssuche und ist ein Brutvogel auf Wilhelmsburg Einklang mit den vorhan-denen Gesetzen könnten also sogar die Marschgräben einen wertvollen Beitrag zur Lebensqualität für die Metropole Hamburg leisten. werden. Sie sollten sich in möglichst weitem Rahmen natürlich entwickeln dürfen. Bei der Uferbepflanzung In den Grünanlagen sollten die vorhandenen Gewässer sollten grundsätzlich Gehölze und Stauden, die natürli- im Bestand gesichert und vor allem nicht überdüngt cherweise auf der Elbinsel wachsen, bevorzugt werden.

Bildunterschrift

Marschlandschaft

Unser Grünes Wilhelmsburg 38

Perspektiven für Wilhelmsburg

Diese Karte finden Sie auch im Anhang im Format DIN A2 (Karte 2) Perspektiven für Wilhelmsburg

Einige konkrete Vorschläge zur Aufwertung von Flächen bzw. Gewässern

Wilhelmsburger Dove Elbe ( 20 Karte 1): Naturnahe Uferstreifen auf beiden Seiten erhalten oder herstellen, Schöpfwerkbetrieb naturschutzgerecht steuern.

Kiebitzwiese ( 29 Karte 1): Sichern, vernässen und extensivieren.

Naturschutzgebiet Heuckenlock ( 42 Karte 1): Priele verbinden, Sommerdeich öffnen.

Spülfeld ( 43 Karte 1): Abtragen, fachgerecht entsorgen.

Naturschutzgebiet Rhee ( 25 Karte 1): Tideanschluss wieder herstellen.

Kreetsand ( 28 Karte 1): So weit abtragen und entsorgen, dass er bei Sturmfluten überspült wird.

Am Jenerseitedeich ( 27 Karte 1): Ufer abflachen, Spülfeld abtragen.

Ellerholz ( 40 Karte 1): Rückdeichen und abtragen (Entwicklung zum Röhricht oder Süßwasserwatt).

Moorwerder ( 44 Karte 1): Sichern als landwirtschaftliche Fläche, Grabensystem erhalten, keine weiteren Gewächshäuser. Herstellung einer Feuchtverbindungsachse zwischen Norder- und Süderelbe, möglichst als durchgehendes Gewässer.

Fläche ( 43 Karte 1): Im nördlichen Teil Wall aufschieben und als Lärmschutz zur Rhee mit Laubhölzern bepflanzen. Südlichen Teil zu einer offenen Teichlandschaft entwickeln.

Peute ( 7 Karte 1): Sichern. Graben unter der Autobahn hindurchführen, soweit möglich Durchlass für Landtiere optimieren

Unser Grünes Wilhelmsburg 40 Gut für die Seele: Wilhelmsburger Landschaft Erholung und Natur erleben in Wilhelmsburg

Erholung ist ein wichtiges Element im mensch- zeiten möglich. Wilhelmsburg bietet hier viele Möglich- lichen Leben. Können wir uns nicht ausrei- keiten, die durch seine gute Erreichbarkeit für weitere chend entspannen, werden wir krank. Der Bevölkerungsgruppen nutzbar zu machen wären. Hierfür müssen vorhandene Grünflächen erhalten und verbes- Aufenthalt in Grünflächen draußen im Freien sert werden, Umweltpädagoginnen und Umweltpäda- ist dabei ein ganz entscheidender Faktor. gogen müssen entsprechende Angebote entwickeln, in denen Hamburger Kinder und Erwachsene in Kon- Die Freiflächen Wilhelmsburgs sind zum einen für die an- takt mit Natur und Landschaft gebracht werden und sässige Bevölkerung wichtiger Grünraum, zum anderen Naturerfahrungen und Wissen über ökologische Zusam- locken die Naturschutzgebiete an der Elbe wie Heu- menhänge bis hin zur Nachhaltigkeit vermittelt werden. ckenlock und Rhee auch auswärtige Naturinteressierte Spezielle Bereiche könnten darüber hinaus zu besonde- auf die Elbinsel. Der Reiz der Erholungslandschaft jenseits ren Naturerlebnisräumen entwickelt werden. der Siedlungsgebiete liegt in der Weitläufigkeit und der Vielfalt des Landschaftsbildes. Nur wenige Meter Ausgedehnte Ackerflächen kann man überall in hinter der Siedlungsgrenze beginnt ein landwirtschaft- Deutschland antreffen, aber Tideauenwälder, Elbaltar- lich geprägter Raum, der sich abwechslungsreich bis me, Wattflächen oder feuchte, von Gräben durchzoge- zum Elbdeich erstreckt. Auf von Gräben durchzogenen ne Grünländereien sind schon seltener. Es sind gerade Grünländereien kann man Kiebitze mit ihren Jungen diese lokalen Besonderheiten, die es zu betonen und zu beobachten, und wenn man Glück hat, sieht man die entwickeln gilt, eine weitere Entwässerung oder anders- Schafe auf den Deichen beim „Pflegen“ der Hochwas- artige Nutzung von Freiflächen ist zu unterbinden. Im Ge- serschutzanlagen. Der Kinderbauernhof in Kirchdorf-Süd genteil, je mehr das Elbwasser wieder zurückgebracht ist für viele Stadtkinder der erste, einzige und zumeist wird auf die Elbinsel, desto besser wird der besondere kurze Kontakt, den sie mit der bäuerlichen Lebewelt je Charakter Wilhelmsburgs hervorgehoben. erleben dürfen. Schon lange existiert die Freiluftschule Moorwerder, die Hamburger Stadtkindern die Natur Wie auch immer die Erholungsflächen im Detail aus- näher bringt. Das neue Tideauen-Informationszentrum gestaltet sein mögen, ob es sich nun um Parkanlagen, am südöstlichsten Zipfel, der Bunthäuser Spitze, soll Besu- Friedhöfe, Kleingärten, um grüne Wegeverbindungen cher über die landschaftliche Exklusivität des Standortes oder um landwirtschaftlich dominierte Freiräume oder informieren. Der geplante Archehof wäre ein weiterer Naturschutzgebiete handelt, Parkanlagen sollten ein interessanter Zielpunkt, um den Menschen den Natur- Ort der Ruhe sein. Nach der Hektik des Alltags möchte raum näher zu bringen. man, ohne weit laufen zu müssen, sich in Ruhe auf eine Das Erleben von Natur und Landschaft, die Begegnung Bank setzen können, den Enten auf einem Weiher zuse- mit Pflanzen und Tieren, mit Wind, Wetter und Jahreszei- hen oder einfach nur die Seele baumeln lassen. Dieses ten, das Spielen und die Entspannung in der Natur sind Qualitätsmerkmal ist im Zentrum von Wilhelmsburg nur für Kinder in der Stadt leider keine Selbstverständlichkeit wenig zu finden. Daher ist es unumgänglich und für die und auch für Erwachsene oft nur nach längeren Fahr- Zukunft der Bewohner der Elbinsel besonders wichtig, die Perspektiven für Wilhelmsburg beiden die Insel in Nord-Süd-Richtung durchschneiden- Auf einer Route von acht bis zehn Kilometern um das den Verkehrsachsen Eisenbahn und Autobahn möglichst Hamburger Rathaus liegen in einem durchgehenden weit reichend mit hochwertigen Lärmschutzeinrichtun- grünen Band alle möglichen Arten von Parkanlagen, gen zu versehen , auch außerhalb von Wohngebieten. Wälder und landwirtschaftliche Flächen. Erschlossen Denn nur dann können die angrenzenden wertvollen wird dieser Grüne Ring über die Fahrradweg-Route Grünräume ihre Erholungsfunktion optimal erfüllen. Nummer 11. Leider ist es auf dieser Route bisher nicht Dabei ist darauf zu achten, dass solcher „Lärmschutz möglich, auf ruhigen, ungestörten Wegen auf die Elbin- nicht als Sachzwang“ für eine anschließende Bebauung sel zu gelangen: Im Norden müssen sich Fußgänger und missverstanden wird. Lediglich dort, wo bedeutende Radfahrer unmittelbar neben dem tosenden LKW-Ver- Wiesenbrütervorkommen unmittelbar angrenzen, sollte kehr über die Elbbrücken wagen. Im Süden sieht es nicht auf Lärmschutzwände verzichtet werden, weil diese Vö- besser aus: Hier gibt es nur einen autobahnparallelen gel keine höheren Bauwerke in der Nähe ihrer Brutplätze Weg über die Süderelbe. Es wäre daher im Sinne der ertragen. hamburgweiten Vernetzung äußerst wünschenswert, zusätzlich fußgänger- und radfahrerfreundliche Elbque- Die Verkehrstrassen erschweren oft die Naherholung, rungen zu schaffen. So spart derzeit der Elberadweg das weil sie Barrieren darstellen, die nur an wenigen Stellen Stromspaltungsgebiet in Ermangelung von Querungs- gefahrlos von Fußgängern oder Radfahrern über- oder möglichkeiten aus. Der seit langem von vielen geforder- unterquert werden können. Ein grünes Netz von Erho- te Fußweg an der blauen Brücke der A 1 über die Nor- lungsräumen sollte möglichst lückenlos sein, also nicht derelbe zwischen Georgswerder und der Billwerder Insel durch Wohn- oder Gewerbegebiete unterbrochen wer- ließe sich statikverträglich mit verhältnismäßig geringem den. Vorhandene Grünverbindungen müssen deshalb Aufwand seitlich einhängen und würde den Weg von in ihrer vollen Breite und Durchgängigkeit erhalten und und nach Osten drastisch verkürzen. Auch eine Fähre nicht durch Bauwerke und Infrastruktureinrichtungen über die Elbe nach wäre sehr hilfreich. reduziert werden, fehlende Verbindungen müssen ge- Eine Verbindung Wilhelmsburgs in den Bezirk schaffen werden. fehlt schon lange, und eine Bootsfahrt in die Vier- und Marschlande zusammen mit der Erkundung der Elbinsel Die Schönheiten der Wilhelmsburger Landschaft werden wäre ein Erlebnis, das Erholungssuchende aus Wilhelms- auch vom Hamburger Zweiten Grünen Ring erschlossen. burg und ganz Hamburg anziehen würde.

Gesellschaft für ökologische Planung (GÖP) an der Bunthäuser Spitze

Seit Spätsommer 2006 betreibt die Gesellschaft für ökologische Planung (GÖP) ihr „Elbe-Tideauen-Zentrum“ ( 46 Karte 1) an der Bunthäuser Spitze ( 47 Karte 1) in Moorwerder. Dort besteht die Möglichkeit, sich in mehreren Aus- stellungsräumen über die Hamburger Süßwasser-Tideauen und ihre zum Teil einmalige Tier- und Pflanzenwelt zu infor- mieren. Auch werden Vortragsabende und Naturführungen angeboten, und man kann an praktischen Landschafts- pflegeeinsätzen teilnehmen.

Tideauen-Informationszentrum Moorwerder Hauptdeich 33 21109 Hamburg Tel. 040 / 750 62 831 E-mail [email protected]

Weitere Informationen entnehmen Sie bitte dem Veranstaltungsprogramm. Führungen und Veranstaltungen nach Vereinbarung sind auch außerhalb der Öffnungszeiten möglich. Das Tideauen-Infozentrum Bunthaus

Unser Grünes Wilhelmsburg 42 Wilhelmsburger Kontrast: Fachwerkhaus und Kirchdorf Süd Leben und Arbeiten in einem grünen Wilhelmsburg – eine andere Vision

Die Wilhelmsburger wissen es schon lange, Der Strom, die Elbe, eine großartige und manchmal ge- immer mehr Hamburger entdecken es: rade auf Wilhelmsburg auch bedrohliche Schöpfung der Europas zweitgrößte Flussinsel ist lebenswert Natur, bot und bietet Möglichkeiten zu Nahrungserwerb und den Austausch von Gütern. Das Land, dem Wasser und liebenswert. abgerungen und durch Deiche beschützt, ermöglicht seit vielen Generationen Landwirtschaft und Wohnen. Hierfür gibt es viele Gründe: Das Wasser, der kurze Weg ins Grüne, die Vielfalt der Menschen, die Eigenart und Eine weitere Bebauung Wilhelmsburgs darf nicht auf Schönheit der Landschaft, die Nähe zur Metropole ei- Kosten von Freiflächen gehen, sie muss im besiedel- nerseits und doch in einer eigenen Welt zu leben, ten Bereich entstehen, auf Flächen, deren Gebäude als „Insulaner“. heutigen Anforderungen nicht mehr entsprechen und die deshalb durch mehr Platz bietende, ökologisch und Auch wir Naturschützer wissen: Menschliches Leben ökonomisch sinnvollere ersetzt werden können. Auch braucht die Möglichkeit zur Entwicklung. Deshalb kann das Flächen- und Gebäuderecycling ehemaliger Ge- es nicht unser Ziel sein, menschliche Bautätigkeit und die werbebebauung für den Bau weiterer Wohneinheiten ist Weiterentwicklung der Infrastruktur auf Wilhelmsburg für stärker als bisher zu prüfen. alle Zeit zu unterbinden. Eine Entwicklung der Elbinsel als liebenswertes Wohnquartier, als Ort für Arbeit und Freizeit Um die nur begrenzt zur Verfügung stehenden Flächen- muss aber in erster Linie den Reichtum an Natur und ressourcen möglichst sparsam zu verwenden, sollte auf Landschaft auf der Insel als Grundlage nehmen, denn „Einzelhausbebauung mit Abstandsgrün und Autoab- vor allem er ist es, der die Menschen schon seit vielen stellfläche“ verzichtet und stattdessen auf eine moderne Jahrhunderten dazu veranlasst hat, hier zu siedeln. urbane, flächensparende und dennoch anspruchsvolle Perspektiven für Wilhelmsburg

Architektur gesetzt werden. Die ansässige Bevölkerung Eine weitere Entwicklung von Gewerbe auf Wilhelms- ist an der Entwicklung angemessen zu beteiligen. burg ist vorstellbar und sogar wünschenswert. Es muss ja nicht immer das lauteste und schmutzigste sein. Auch Das „grüne Kapital“ der Insel darf hierfür nicht ange- hierfür gilt, dass möglichst keine Freiflächen überbaut tastet werden. Es muss im Gegenteil geschützt und werden sollten. Stattdessen sollte die ständige Fluktua- entwickelt werden, so dass auch die Lebensqualität für tion von verschwindenden auf der einen und expan- die neuen Bewohner der Insel stimmt. Konkret bedeutet dierenden Unternehmen auf der anderen Seite von der dies, dass ein qualitatives, am Begriff der Nachhaltigen Politik so gestaltet werden, dass sich möglichst flächen- Entwicklung orientiertes Wachstum an die Stelle eines sparende und arbeitsplatzintensive Betriebe ansiedeln, überwiegend auf Einwohnerzahlen und Bruttosozialpro- die auch der Wilhelmsburger Bevölkerung Arbeitsmög- dukt fixierten Denkens treten muss, wie es uns bis jetzt in lichkeiten bieten. Gestalt des „Sprungs über die Elbe“ und der „Wachsen- den Stadt“ gegenübertritt. Wilhelmsburg könnte so wie andere Industriestandorte in Westdeutschland zu einer Modellregion werden, in der Leben und Arbeiten zu einem neuen Miteinander Insbesondere auf Wilhelmsburg hat es die finden, wo Ökonomie und Ökologie nicht länger als Stadt immer dann abgesehen, wenn es unvereinbare Gegensätze verstanden werden, sondern darum geht, schmutzige, laute, wenig wo eine grüne Ökonomie zum Nutzen des Menschen und der Natur im Sinne der Agenda 21 einen neuen vornehme Vorhaben anzusiedeln und Weg einschlägt, der Beispiel dafür sein könnte, wie wir abzuwickeln. Als ob die Autobahnen und das Mensch-Natur-Verhältnis und damit unsere Zukunft Zugtrassen nicht schon genug Belastung nachhaltig gestalten wollen. für die Wilhelmsburger Bevölkerung wären: Lärm, Abgase und eine Zerschneidung der Im Zentrum dieses wünschenswerten Wandels steht ein anderer, bewusster Umgang mit Ressourcen: Flächen, Insel sind schwerwiegende Folgen. Wasser, Boden, Luft, Zeit, Tiere, Pflanzen sind zu wert- voll, um sie einer kurzsichtigen, auf wenige Jahre und Jahrzehnte ausgerichteten Politik zu opfern. Wir denken weiter. Wir wollen, dass auch künftige Generationen auf Wilhelmsburg gut leben können.

Idyllisches Wohnen am Reiherstieg

Unser Grünes Wilhelmsburg 44

Wilhelmsburg und die geplante Internationale Gartenschau 2013

IGA 2013 in Wilhelmsburg! Als bekannt sollte Thema der Ausstellung sein, von den Elbe-Auen wurde, dass Hamburg sich um eine inter- über die Landwirtschaft und die Kleingärten bis hin nationale Gartenschau bewerben und zu den Industriebrachen im Hafen, der unentdeckten diese in Wilhelmsburg abhalten wollte, städtischen Wildnis. Und es galt, die Pläne dafür mit den Bewohnern und nicht ohne oder gar gegen sie zu entwi- gab es dafür eine breite Zustimmung. ckeln. Wer Wilhelmsburg kannte, dem war das Potential Auch und gerade von den Umwelt- und Naturschutzver- des Stadtteils für eine neuartige, eine ganz andere Art bänden, die sonst derartigen Veranstaltungen aus guten von Gartenschau sofort klar. Die Idee „Gartenbauaus- Gründen äußerst skeptisch gegenüber stehen. Bundes- stellung Wilhelmsburg“ verband daher auch so unglei- gartenschauen hatten in den Aufbaujahren nach dem che Partner wie den B.U.N.D. und den Zentralverband Zweiten Weltkrieg durchaus ihre Berechtigung als Zweck- Gartenbau Hamburg. bündnis zwischen den Städten und den Spitzenverbän- den des Gartenbaus: Das Gartengewerbe erhielt seine Die Zeit ging ins Land, und aus der ursprünglich eigen- Leistungsschau, die Städte ihre Parks. Aber bereits in den ständig geplanten Gartenschau wurde das Anhängsel 70er Jahren begann man sich zu fragen, ob derartige einer internationalen Bauausstellung (IBA). Das muss kein Gartenschauen noch zeitgemäß waren. Die IGA 1973 Schaden sein. Die IBA Emscherpark beispielsweise hat in Hamburg fiel bekanntlich gegenüber ihren Vorgän- die Architektenzunft einen neuartigen, kreativen Um- gern 1953 und 1963 so krass ab, dass damals der Slogan gang mit städtischem Grün gelehrt, der von den Planern „Platten und Beton“ (für Planten un Blomen) aufkam, in Hamburg leider immer noch nicht begriffen worden und dies war noch eine leise Kritik. Lauten Streit gab es ist. Wenn diese Impulse in Wilhelmsburg aufgenommen 1981 um die Bundesgartenschau in Kassel. Widerstand und umgesetzt werden könnten, wäre das durchaus kam vor allem aus den Reihen junger Ökologen und wünschenswert. Landschaftsarchitekten, die gegen die stereotype Praxis der „Instandsetzung schon instand gesetzter Parks und Man könnte einen langen Katalog von Anforderungen der Schaffung von Grünflächen auf vorhandenen Grün- an die geplante Internationale Bau- bzw. Gartenbau- flächen“ zu Felde zogen und dem ihr neues, ökologisch Ausstellung aufstellen: Dass bestehende Kulturland- geprägtes Verständnis von Natur und öffentlichem Grün schaftselemente erhalten bleiben müssen ebenso entgegensetzten. wie gesetzlich geschützte Biotope, Beetgräben, alte Deichlinien oder beispielsweise der Friedhof St. Rapha- Aber in Wilhelmsburg würde, zwanzig Jahre später, alles el ( 19 Karte 1), am Industriebahnhof, sie können der anders werden – dachte man. Wilhelmsburg war jahre- Gartenschau ein unverwechselbares Gepräge geben. lang von der Politik vernachlässigt worden und galt mit Dass gewachsener Boden ebenso wenig angetastet seinem hohen Anteil an Arbeitslosen und Ausländern als werden darf wie vorhandene Gewässer. Dass Flächen sozialer Problemfall ersten Ranges. Eine internationale für Parkplätze nicht nur naturverträglich gestaltet (und Gartenschau ausgerechnet hier auszurichten war eine das heißt keine Versiegelung, sondern wassergebun- programmatische Ansage. Es galt, den abgenutzten dene Decken), sondern insgesamt so klein wie möglich Slogan vom „sozialen Grün“ beim Wort zu nehmen. Es gehalten werden sollten, was auch heißt, Einfluss auf galt auch, die lange verkannte Eigenart eines ungemein den Anreiseverkehr zu nehmen sprich: öffentliche Ver- reizvollen Stadtteils neu zu entdecken und für die Gäste kehrsmittel bevorzugen und den Elbradweg einbinden. der Ausstellung ebenso wie für die Wilhelmsburger selbst Dass Grundwasser nicht abgesenkt wird und Altbäume zum Leuchten zu bringen. Die Natur in Wilhelmsburg geschont werden müssen; aber auch dass Abfälle, IGA 2013 | Zusammenfassung

Schadstoffe und Transporte – letzteres durch Nutzung lokaler Möglichkeiten - vermieden werden, und so weiter und so weiter. Wir gehen aber selbstverständlich Zusammenfassung davon aus, dass die Planer all dies beachten werden, denn sie stellen sich mit einer solchen Ausstellung dem In Wilhelmsburg finden wir einen großen kritischen Urteil ihrer Fachkollegen aus dem In- und Aus- Naturreichtum mit vielen Besonderheiten land. Sie haben einen Ruf zu verlieren und werden ihn wie seltenen Arten und anderswo ver- nicht durch ökologisch unsensibles Vorgehen aufs Spiel schwundenen Lebensräumen. Es ist viel setzen wollen. mehr als nur ein sozialer Brennpunkt und Ökologisch unsensibel: Dieses Prädikat gilt auf jeden Fall Vorratsfläche für neue Bauvorhaben. für den Plan, mitten in Wilhelmsburg einen großen Teich entstehen zu lassen. Solch ein Plan lässt jedes Gefühl Im Süden der Insel liegt das Heuckenlock, ein Na- für die Eigenart der norddeutschen Marschenland- turschutzgebiet von internationalem Rang mit den schaft vermissen und ist auch aus Sicht des Boden- und bedeutendsten Süßwasser-Tideauenwälder Westeuro- Gewässerschutzes bedenklich. Viel wichtiger wäre es pas. Es ist der Lebensraum einer einmaligen Tier- und doch, die Ufer der Elbe in Wilhelmsburg besser erlebbar Pflanzenwelt mit seltenen Arten, die es zum Teil nur zu machen als dies heute der Fall ist. Wenn man statt- hier und in wenigen anderen Gebieten an der Elbe dessen mittendrin neue Ufer schaffen will, ist dies eine gibt. Nur durch den Deich getrennt, grenzt das alte Flucht aus der Verantwortung in die selbstgeschaffene Kulturland der Marschen an, wo Wiesen und Weiden Idylle. sich mit Gräben und Bracks abwechseln. Hier finden wir schöne alte Fachwerkhäuser sowie Gemüsean- Gartenschauen in der konventionellen Form haben bau und Ackerflächen. In der Mitte der Insel schließen Erdbewegungen und Bodenaushub, die Schaffung von Wohn- und Gewerbebebauung an. Im Westen auf künstlichen Teichen und ebenso künstlichen Hügeln zu Hafen- und Gewerbeflächen haben sich bedeuten- einer Art Kult gemacht. All das wirkt nach kurzer Zeit de Möwenkolonien angesiedelt, aber auch andere schal und konventionell. Möge es den Planern dieser besondere Pflanzen- und Tierarten kommen dort zwi- Gartenschau gelingen, sich auf den genius loci Wil- schen Containern, Raffinerien und Bahngleisen vor. helmsburgs einzulassen. Für eine 08/15-Gartenschau wäre Wilhelmsburg zu schade. Die Internationale Bauausstellung, die Wilhelmsburg städtebaulich entwickeln soll, wird das Gesicht der Und noch ein Wort zur Nachhaltigkeit: Ein moderner Elbinsel in den nächsten Jahren deutlich verändern. Volkspark des 21. Jahrhunderts wird versprochen. Einen Hinzu kommt die Erschließung neuer Gewerbe- und Volkspark gibt es schon: Den Altonaer. Noch zu gro- Wohnflächen und die geplante Gartenbauausstel- ßen Teilen naturnaher Wald mit Orten der Ruhe, soll er lung. Die Naturschutzverbände werden sich dafür jetzt in ein kommerzielles Freizeit- und Trendsportareal einsetzen, dass dies gemäß dem Leitbild der nach- verwandelt werden. Mit dann notwendigem hohen haltigen Entwicklung geschieht, der Verbrauch an Durchsatz an konsumfreudigen Besuchern. Ein moder- Flächen und Ressourcen ökologisch sinnvoll gestaltet ner Volkspark, vielleicht. Oder eine lärmende Kunstwelt. und begrenzt wird. Mit dem Nachhaltigkeitsgedanken aus Naturschutzsicht wäre das allerdings nicht vereinbar. Auch für die Entwicklung der Natur hier gibt es viel zu tun: Lebensräume können miteinander verbunden werden, Wasserstände angehoben, zu intensive Nut- zungen zurückgenommen werden. Die Elbufer können wieder natürlicher werden, ohne dass die Schifffahrt gefährdet wird. Im Hafen und auf Gewerbeflächen können kurzzeitig entstehende Brachen zu wertvollen Lebensräumen auf Zeit werden, wenn einfach darauf verzichtet wird, sie naturfern zu gestalten.

Mit dieser Broschüre wollen die Hamburger Natur- schutzverbände dazu beitragen, dass der Naturreich- tum Wilhelmsburgs bewahrt und zum Nutzen für uns alle entwickelt wird. Als gesunde Umwelt mit grünen Oasen und für die Naherholung der Bewohnerinnen und Bewohner. Alle, denen dieser Stadtteil am Herzen liegt, sind herzlich eingeladen, hieran mitzuwirken!

Windräder auf der Deponie in Georgswerder

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Erträgt 100 Überflutungen im Jahr: Der Weidenauwald Glossar

Agenda 21 ein entwicklungs- und umweltpolitisches Feucht- und Nassgrünland landwirtschaftlich genutzte Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert, ein Leitpa- Flächen mit feuchtigkeitszeigenden Arten, hauptsäch- pier zur nachhaltigen Entwicklung, beschlossen von 180 lich zur Futtergewinnung bzw. als Weidegrünland Staaten auf der „Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen “ in Rio de Janeiro (1992), durch Flora Bezeichnung für die Gesamtheit aller Pflanzenar- eine veränderte Wirtschafts-, Umwelt- und Entwicklungs- ten eines Gebietes, Flora war die römische Göttin der politik sollen die Bedürfnisse der heutigen Generation Blumen und der Jugend befriedigt werden, ohne die Chancen künftiger Genera- tionen zu beeinträchtigen Flussmarsch Marschgebiete, die nicht direkt am Meer, sondern im Überschwemmungsbereich der Tieflandflüsse aquatisch im Wasser lebend (z.B. Elbe, Weser) liegen

Beetgräben (auch Grüppen oder - in Wilhelmsburg Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) eine - Gribben) parallel angeordnete schmale Gräben in Naturschutz-Richtlinie der Europäischen Union aus dem der Marsch zur Abführung überschüssigen Wassers bzw. Jahr 1992, die die Staaten der EU verpflichtet, europa- Bewässerung bei Trockenheit, dazwischen liegen um weit bedeutende Lebensräume von Pflanzen, Tieren 20 Meter lange schmale Beete, als landwirtschaftlichen und Lebensgemeinschaften zu melden, um aus diesen Nutzflächen Flächen ein europäisches Biotopverbundsystem Natura 2000 zu errichten Biotop (Habitat) durch bestimmte Pflanzen- und Tierge- sellschaften gekennzeichneter Lebensraum Flut oder auflaufend Wasser, Steigen des Meeresspiegels infolge der Gezeiten (Tide), reicht von einem Niedrig- Brack durch Deichbruch und Bodenauswaschung im wasser bis zum folgenden Hochwasser Zuge einer Sturmflut entstandener See oder Teich, oft mehrere Jahrhunderte alt, die jüngsten allerdings erst Habitat siehe Biotop 1962 entstanden Heuckenlock Naturschutzgebiet am nördlichen Ufer Ebbe oder ablaufend Wasser, Sinken des Meeresspie- der Süderelbe in Wilhelmsburg, Sußwasser-Tideauwald, gels infolge der Gezeiten (Tide), Zeitraum zwischen Röhricht und Watt mit europaweiter Be-deutung Hochwasser und Niedrigwasser Hochstaudenfluren üppig wachsende, hohe und mehr- endemisch nur in einem engen, klar definierten geo- jährige Kräuter, welche meist auf nährstoffreiche Böden grafischen Raum vorkommend (für Arten) angewiesen sind und häufig relativ hohe Feuchtigkeits- ansprüche haben Fauna Bezeichnung für die Gesamtheit aller Tierarten eines Gebietes Glossar

Kleingewässer stehende Gewässer mit einer Größe bis Röhricht Bestand aus Pflanzen mit hohen, aufrechten ca. ein Hektar, die dauernd Wasser führen oder zeitwei- Halmen in Anpassung an wechselnde Wasserstände se trocken fallen (z. B. Schilf, Rohrkolben), in Wilhelmsburg oft am Ufer der Elbe, wo dieses nicht zu stark befestigt ist Kulturlandschaft durch menschliche Nutzung umgestal- tete Landschaft, z. B. Acker, Grünland, Heide, Siedlun- Rote Listen der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten gen eine wissenschaftliche Gefährdungsanalyse, also eine Auflistung von Organismen mit ihrer aktuellen Bedrohung Landschaft ein Ausschnitt der Erdoberfläche, der durch als Grundlage für die ökologische Flächenbewertung seine Lage und Lagebeziehungen bestimmt wird und und Naturschutzmaßnahmen somit eine charakteristische Raumeinheit darstellt, ur- sprüngliche Naturlandschaft ist heute weithin in Kultur- landschaft verwandelt worden ruderal naturferne, vom Menschen geschaffene und oft stark gestörte Lebensräume, oft an Wegrändern, Marsch Schwemmland, entstanden durch Sedimenta- Böschungen und Schuttplätzen tion, liegt nur knapp oberhalb des Meeresspiegels und weist kaum natürliche Erhebungen auf Sedimentationszone ist ein Bereich, in dem sich durch geringere Strömung mehr Feststoffe ablagern Naturlandschaft die vom Menschen nicht oder nicht wesentlich gestaltete Landschaft, z. B. naturnaher Wald, Sekundär-Biotope Lebensräume aus „zweiter Hand“, Moore, Watt vom Menschen geschaffene und veränderte Land- schaften (z.B. Kiesgruben, Industriebrachen, Steinbrüche Neophyten Pflanzen, die bewusst oder versehentlich etc.) vom Menschen in geografische Regionen eingeführt wurden, in denen sie nicht bodenständig waren und Stillgewässer Gewässer, deren Wasser im Unterschied sich dort über mehrere Generationen ohne direkte Mit- zu Fließgewässern nicht beständig talabwärts fließt, son- hilfe des Menschen vermehren und ausbreiten dern in Hohlformen unterschiedlichster Art steht, sie kön- nen aber von einem Fließgewässer durchströmt werden Niedermoor erste Stufe in der Entwicklung eines Moores, von nährstoffreichem aber sauerstoffarmem Tide (niederdeutsch Zeit) durch die Gravitation des Grund- und Oberflächenwasser gespeist, erreicht die Mondes und der Sonne verursachter Zyklus von Ebbe Wasseroberfläche, klimaunabhängig, kann sich zum und Flut, zusammen Gezeiten genannt Zwischenmoor und zum Hochmoor entwickeln, Entste- hung durch Verlandung von Gewässern, in feuchten Tide-Elbe durch das geringe Gefälle im Norddeutschen Senken oder im Einflussbereich von Quellen Flachland wirkt sich die Tide der Nordsee auch auf die Elbe bis zur Staustufe Geesthacht aus Pflanzengesellschaft Gemeinschaft von Pflanzen, die an bestimmte Umweltfaktoren angepasst sind und des- Tide-Süßwasserauen regelmäßig überschwemmtes halb zusammen an Orten vorkommen, die die entspre- Gebiet im Einflussbereich der Tideflüsse chenden Umweltbedingungen aufweisen Tümpel flache temporäre Stillgewässer mit stark Pionierwald Wald aus widerstandsfähigen, schnell schwankenden Wasserständen wachsenden Baumarten, die sich rasch (z.B. durch leichte, flugfähige Samen) in veränderten oder neu ent- Verlandungszone ehemals überfluteter, durch Sedi- standenen Lebensräumen ansiedeln können, im Verlauf mentation und oft auch Pflanzenwuchs aufgelandeter der biologischen Sukzession (Entwicklung) werden diese Uferbereich Erstbesiedler meist durch andere, konkurrenzstärkere Arten verdrängt Wattfläche Gebiet, das durch die Tide bei Ebbe trocken fällt und bei Flut mit Wasser bedeckt ist Priel natürlicher Wasserlauf im Watt und in der Marsch, der oftmals Mäander ausbildet Wettern Be- und Entwässerungsgräben, meist Bestand- teile eines komplexen Gewässersystems mit anderen Prielsystem natürliche Ablaufrinnen im Watt, durch die Gräben und Kanälen, Durchströmung. durch Ausnutzen während des Gezeitenwechsels das Wasser ab- bzw. der Tide an den Deichsielen: Einlass bei Hochwasser wieder einströmt und Auslass andernorts bei Niedrigwasser, oft aus ehe- maligen Elbarmen oder Prielen entstanden

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Titelseite: Weidenallee im Heuckenlock, Windmühle Johanna, Sumpfdotterblumen, Sandufer am Heuckenlock: Martina Montag Naturbeobachtungen am Ufer: Axel Jahn

Seite 4: Wilhelmsburg von oben: Eine Insel voller Leben - voller Natur: Günther Helm Seite 5: Seerose: Axel Jahn | Kiebitz: Günther Helm | unten: Priel im Heuckenlock: Martina Montag Seite 6: Mauerfuchs: Frank Röbbelen | Eisvogel: Günther Helm Seite 8: Elbekarte: Archiv Seite 9: Deichrückverlegungen wie hier am Spadenländer Busch geben der Elbe Überflutungsräume zurück und können wertvolle Lebensräume wieder herstellen: Archiv | Aufspülungen haben Wilhelmsburg mancherorts verändert und brachten im Elbschlick abgelagerte Schadstoffe auf die Insel: Archiv Seite 10: li. unten Sophie Dorothea| re. oben ohne Unterschrift (Sophie Dorothea): Bomann-Museum Celle Seite 11: Sumpf- und Wasserwildnis im Heuckenlock: Martina Montag Seite 13-14: Uferpanorama im Heuckenlock: Martina Montag Seite 14 unten: Graureiher in der Rhee: Axel Jahn Seite 15: Seeadler in Wilhelmsburg: Christian Brettschneider Nirgendwo in Hamburg wächst das Schilf so mächtig wie im Heuckenlock: Axel Jahn Seite 16: Schierlings-Wasserfenchel - so selten wie der Große Panda: Axel Jahn Seite 17: Gräben - Lebensraum vieler Libellenarten und des Moorfroschs: Gräben in der Elbmarsch: Ingo Brandt | Bundesweit stark gefährdet, in Wilhelmsburg zu Hause: Die Sumpfschrecke: Axel Jahn Seite 18. oben: ohne Unterschrift: Ingo Brandt Seite 18 unten links: Eine Schönheit unserer Feuchtwiesen: Die Kuckuckslichtnelke: Axel Jahn Seite 18 unten rechts: Die Blutrote Heidelibelle: Axel Jahn Seite 19: Der Große Klappertopf, die Blume des Jahres 2006, mit dem größten Bestand in Hamburg auf Wilhelmsburg: Axel Jahn Seite 20: Kleingärten dienten einst vor allem der Selbstversorgung mit Obst und Gemüse: Martina Montag | Provokation und Bereicherung zugleich: „ Türkengärten“auf Wilhelmsburg: Maria Cristina Francesco Seite 21: keine Unterschrift: Martina Montag Seite 22: Lindenallee an der Bunthäuser Spitze: Martina Montag Früher ein Friedhof, heute eine Grünanlage mit besonderem Flair: Der Wilhelmsburger Park: Günther Helm Seite 23: Kleingärten heute: Orte der Zuflucht für gestresste Städter: Archiv Seite 25: Industriebahnhof: Die Natur erobert sich Flächen zurück, die der Mensch nicht mehr nutzt: Maria Cristina Francesco Seite 26: Säbelschnäbler brüten in ehemaligen Hafenbecken: Harald Köpke Mit einer bundesweit bedeutenden Brutkolonie in Wilhelmsburg vertreten: Die Sturmöwen: Günther Helm Seite 27: Naturnahes Ufer am Heuckenlock: Martina Montag Seite 28: Brutvogel im ehemaligen Hafenbecken: Der Austernfischer: Günther Helm Seite 29: Papenbrack: Maria Cristina Francesco Seite 31: Zur Be- und Entwässerung angelegt: Graben: Ingo Brandt Seite 32: Früher Viehfutter, heute auf der Roten Liste: Die Krebsschere: Axel Jahn Seite 33: Ohne Unterschrift: Martina Montag Seite 34: Alte Elbbrücke: Christian Brettschneider Seite 35: ohne Unterschrift: Axel Jahn Seite 36: Landschaftspfleger und Augenweide: Alte Haustierrassen: Axel Jahn Seite 37: Wenn der Mensch es zulässt, schafft die Dynamik des Wassers reizvolle und vielfältige Wasserlandschaften: Martina Montag Seite 38: Der Weißstorch braucht naturnahe Gewässer, Gräben und Feuchtgrünland zur Nahrungssuche und ist ein Brutvogel auf Wilhelmsburg | Marschlandschaft : Günther Helm Seite 41: Gut für die Seele: Wilhelmsburger Landschaft: Martina Montag Seite 42: Das Tideauen-Infozentrum Bunthäuser Spitze: Guido Rastig Seite 43: Wilhelmsburger Kontrast: Fachwerkhaus und Kirchdorf Süd: Günther Helm Seite 44: Idyllisches Wohnen am Reiherstieg: Günther Helm Seite 45: ohne Unterschrift: Martina Montag Seite 46: Windräder auf der Deponie in Georgswerder: Christian Brettschneider Seite 47: Erträgt 100 Überflutungen im Jahr: Der Weidenauwald: Axel Jahn