Kultur gleichwohl spannenden Meister-Biographie des amerikanischen Literaturwissenschaft- ENTERTAINER lers – und konzentriert sich auf die dramatischste Zeit im Leben des begnadeten Aphoristikers, der von sich „Langes Fädchen, behauptete, sein „ganzes Genie“ in sein Leben und in sein Werk nur das „Talent“ gesteckt zu haben. Im Jahr 1892, Wilde war mit der Komö- faules Mädchen“ die „Lady Windermeres Fächer“ gerade sein bislang größter Bühnenerfolg gelun- Im Film brilliert als . Nun legt der Brite gen, traf er auf den jungen, gefährlich ver- führerischen Lord Alfred Douglas. Der Ari- einen rotzfrechen Roman vor – wie, so fragt das Buch, wäre stokrat und der um 16 Jahre ältere, von die Geschichte ohne Hitler verlaufen? Von Joachim Kronsbein der Gesellschaft umschwärmte Familien- vater stürzten sich kopfüber in eine rausch- einen Landsleuten erscheint der diesem Falle ist, darüber kann nur speku- haft-zerstörerische Affäre. Tiefer und tiefer Alleskönner seit Jahren wie eine liert werden. zieht Bosie, so der Kosename für den SSphinx ohne Geheimnis. Im Moment lesen und hören die Bürger Epheben mit dem unschuldigen Lächeln In Interviews, Enthüllungsstories und des Vereinigten Königreichs über ihren und dem gewissenlosen Wesen, den Schrift- seiner Autobiographie bleibt kaum eine Liebling hauptsächlich eines: daß der steller ins Verderben. Wendung seiner kurvenreichen Vita uner- Schriftsteller und geistreiche Entertainer Wilde, der zuvor weitgehend nur koket- wähnt. Die Briten wissen längst alles über mal wieder ungemein erfolgreich ist. tiert hatte mit der homosexuellen Attitüde, die Depressionen, Selbstmordversuche, Frys Konterfei ziert unzählige Filmpla- kommt nun mit der realen, der schwitzen- Kreditkartendiebstähle in jungen Jahren, kate im Lande, auf denen er, süffisant und den Seite der Männerliebe in fiebernde die Drogeneskapaden und den Alkohol- leicht rülpswangig lächelnd, als verblüf- Berührung. Bosie stößt ihn in die notge- konsum – aber auch über die erste, mit fend überzeugende Wiedergeburt von Os- drungen heimliche, schwule Welt des bi- 27 Jahren verdiente Million. car Wilde (1854 bis 1900) erscheint. gotten Fin de siècle, in eine Welt voller Da auch das betrüblich lange darnie- Der britische Regisseur Brian Gilbert Gier, Angst und Erpressung. derliegende Sexleben des Helden die Öf- hat das bewegt-buntscheckige Leben des Liebe ist nun keine Sache eines ge- fentlichkeit hinreichend beschäftigte, nahm ebenso provokanten wie eleganten vikto- schliffenen Bonmots mehr („Ich kann al- die Nation vor kurzem erleichtert zur rianischen Dandys, Bühnen- und Prosa- lem widerstehen, nur nicht der Versu- Kenntnis, daß der schreibende Schauspie- autors („Das Bildnis des Dorian Gray“) chung“), sondern eine komplizierte Ange- ler Stephen Fry endlich einen neuen Lieb- fürs Kino eingedampft. Doch der Film, legenheit von kurzen Glücksmomenten haber gefunden hat. Ende der Woche auch bei uns zu sehen, ist und quälend langen Abschnitten der Wer wie Fry, 40, soviel Intimes auspackt, eine merkwürdig plüschige Hommage auf Demütigung durch Douglas. der hat wohl – eine Weisheit vom Grab- Britanniens berühmtesten Homo. Wilde trifft sich heimlich mit Bosie in beltisch der Psychologen – etwas zu ver- Dabei basiert „Oscar Wilde“, der Film, Hotelzimmern, frequentiert mit seinem bergen.Welches tiefsitzende Unglück es in auf der gleichnamigen, umfassenden und Galan ein Burschenbordell und muß auch PANDORA Wilde-Darsteller Fry: Depressionen, Selbstmordversuche und mit 27 die erste Million

268 der spiegel 43/1997 Kultur noch zusehen, wie es der Lustlümmel mit Dandy zum totgeschwiegenen Paria – das alten, aus Deutschland emigrierten Phy- einem Stricher treibt – für sein Geld, ver- wäre mehr als nur einen geschmackvollen sik-Professor Leo Zuckermann kennen. steht sich. Kostümfilm wert gewesen. Der bastelt an einer bizarren Maschine, Das Ende der Affäre ist logisch, traurig Immerhin läßt Stephen Fry, eine fast mit der er in die Vergangenheit eintaucht. und unrühmlich.Wilde wird von Bosies Va- schon zu stimmige Idealbesetzung, der Die beiden ungleichen Wissenschaftler ter, dem cholerischen und vulgären neun- Figur Wilde ihre Würde und Widersprüch- spielen nun das alte, ebenso faszinierende ten Marquess of Queensberry, per Visiten- lichkeit – und befördert den Film so zu wie nutzlose Spiel „Was wäre, wenn?“ karte, die er im Club des verhaßten Autors einer sehenswerten Charakterstudie. Was wäre geschehen, wenn Hitler gar abgibt, beleidigt: „Für Oscar Wilde, den po- Was Wilde verbergen mußte, „die Liebe, nicht erst geboren worden wäre? Die Welt sierenden Sodomiten“. die ihren Namen nicht zu nennen wagt“, wäre, klare Antwort, ein lebenswerterer Wider alle Vernunft und von Bosie auf- das ist für Fry eine Selbstverständlichkeit. Platz. Wirklich? fragt das Buch. gehetzt, verklagt Wilde den Marquess auf In seinen erfolgreichen Büchern („Der Und antwortet mit einem verwegenen Verleumdung und muß vor Gericht erle- Lügner“, „Das Nilpferd“) ist Homose- Experiment. Zuckermann und Michael ge- ben, wie die letzten Reste seiner bürgerli- xualität fast immer ein Thema. Und auch lingt es, den Brunnen in Braunau, Hitlers chen Fassade eingerissen werden.Am Ende in seinem jüngsten, gerade auf deutsch Geburtsort, sozusagen retrospektiv mit Hil- verurteilt ihn die Justiz zu zwei Jahren erschienenen Roman, „Geschichte ma- fe der Zeitmaschine zu vergiften. Eine Che- Zwangsarbeit wegen Unzucht mit Män- chen“, taucht das Motiv, wie die Einlösung mikalie verhindert, daß die Braunauer nern. Seine Frau verläßt mit den beiden einer selbstauferlegten Verpflichtung, mar- Frauen schwanger werden. Hitler bleibt Söhnen unter falschem Namen das Land. ginal wieder auf, obwohl es Fry in Wirk- nur eine fruchtlose Paarung seiner Eltern. Wilde stirbt 1900 verarmt in einem Pari- lichkeit um den großen Weltentwurf geht: Und doch: Ein anderer, spinnt Fry in sei- ser Hotel. Er hinterläßt Schulden und ein um die Frage, wie die Geschichte ohne Hit- nem Buch die Geschichte rotzfrech wei- letztes Bonmot: „Ich sterbe, wie ich gelebt ler verlaufen wäre*. Der Roman, in Groß- ter, hätte das Kommando an sich gerissen. habe: über meine Verhältnisse.“ Doch die- britannien längst ein Bestseller, ist kom- Dieser Rudolf Gloder, ein Offizier, Schwät- ses banale Finale zeigt der Film schon nicht pliziert konstruiert, wenn auch im Grunde zer, Feigling und Angeber, hätte eben auch mehr. Er endet mit Wildes Entlassung aus einfach gedacht – wie der Streich eines eine Partei gegründet, sie beherrscht, wäre dem Zuchthaus und einem erneuten Auf- Pennälers, mit dem die Phantasie durch- Reichsführer geworden und hätte ebenfalls flackern der Bosie-Beziehung im sonnen- gegangen ist. die Juden vernichtet – nur perfider. durchglühten Italien. Michael Young, ein Cambridge-Student Denn in den Kulissen der Historie war- Regisseur Brian Gilbert sucht das Drama der Geschichte, schreibt seine Doktorar- teten, so meint Goldhagen-Fan Fry, schon fast einzig in der Hauptfigur und vernach- beit über Hitlers Jugendjahre. Er lernt den schicksalhaft die willigen Vollstrecker. Die lässigt die gesellschaftlichen Gegebenhei- Zeit war, so glaubt der Autor, einfach reif ten der viktorianischen Epoche. Der tiefe * Stephen Fry: „Geschichte machen“. Haffmans Verlag, für den Diktator, irgendeinen, der den la- Fall des Oscar Wilde vom literarischen Zürich; 472 Seiten; 48 Mark. tenten Antisemitismus organisierte. Doch Martin Neumann aus Wien blieb und nann- te sich fortan Newman. Wenn der kleine Stephen ihn später fragte, was denn aus der österreichischen Verwandtschaft geworden sei, hörte er: „Hitler hat sie umgebracht.“ Der Junge stellte sich dann vor, einer namens Hitler sei mit dem Messer oder der Pistole losge- zogen und hätte Onkel, Tanten, Vettern und Cousinen eigenhändig ermordet. Wohl weil Opa Newman bis ins hohe Alter und nach Jahrzehnten in anglopho- ner Umgebung immer noch mit starkem germanischem Akzent radebrechte, eigne- te sich Enkel Stephen eine überakzentu- ierte englische Sprechweise an und freut sich trotzdem noch heute an den deutschen Sinnsprüchen der Großmutter: „Langes Fädchen, faules Mädchen“. Fry gilt längst als Parade- und, wenn nötig, Parodie-Besetzung für den steiflip-

RONALD GRANT ARCHIVE pigen britischen Oberschichtler: ein biß- Kino-Star Fry (r.) in „Peter’s Friends“: Idealbesetzung für den steiflippigen Oberschichtler chen blasiert, zum Ausgleich ironisch und wenn überhaupt sexuell, dann, wie in sei- Fry ist zu sehr Entertainer und gewiefter Der Ursprung des Projekts liegt tief in nem ersten Kinoerfolg „Peter’s Friends“, Erzähler, als daß er die Gedankendreherei der Fryschen Familiengeschichte. Seinen lieber vom gleichgeschlechtlichen Ge- in theoretische Knäuel verhedderte. Er Großvater mütterlicherseits, einen Wiener schwader. baut geschickt eine lustige Love-, eine an- Juden, hatten die Engländer über den Ka- Nicht schön, aber reich und berühmt. rührende Lügen- und eine parodistische nal geholt, weil er eine Koryphäe für den Was kann da noch schiefgehen? Fry, Oscar Geheimdienst-Story in sein Nazi-Szenario Zuckerrübenanbau war. Wilde an Witz und Reaktionsschnelle nur ein. Das Spiel mit doppelten Böden und Die Briten, die bislang ihren Süßstoff wenig unterlegen, hat die passende Replik der ständige Ebenenwechsel sind seine Pas- aus importiertem Zuckerrohr gewannen, parat: „Wie bringst du Gott zum Lachen? sion. Und er beherrscht sie glänzend. wollten durch Rübenzucht autark werden. – Erzähl ihm deine Pläne.“ ™