63280 oktober–dezember 2008___4 6. jahrgang

Das Magazin des deutschen Musiklebens.

Kulturförderung: „Keine „FüBa“, „MALG“ und mehr: 7,40 m Kür, sondern Pflicht!“ Bologna hat zugeschlagen Zur Notwendigkeit der Integration In Hannover macht ein Studiengang- von Kultur in die Gesellschaft Modell „Hochschule“: Jetzt wird auch äußern sich Karin von Welck und Musik fächerübergreifend gelehrt und Gerhart Baum studiert EDITORIAL

Link AUF DIE

ZUKUNFT Christian Höppner Chefredakteur

KULTUR IN DEUTSCHLAND – der Link auf den Weg in die Wissens- und Kreativgesellschaft. Die Verdichtung kultureller Vielfalt, gespeist aus dem kulturellen Erbe, den zeitgenössischen Künsten und der Begegnung mit den Kulturen anderer Länder, ist ein einmaliger Standortvorteil im globalen Wettbewerb um die „Rohstoffe der Zukunft“.

Denkt man an die kulturellen „Bodenschätze“ einerseits und den akuten Zustand der Bildungs- und Kulturlandschaft andererseits, stimmt das Bild von den prachtvollen Baumkronen bei gleichzeitigem und fortschreitendem Absterben eines weitverzweigten Wurzelwerks schon gar nicht mehr. Das zarte Pflänz- chen auf unserem Titelbild zeigt: Gemessen an den gesellschaftspolitischen Herausforderungen muss in ganz anderen Größenordnungen investiert werden, wenn die Allegorie auf vital gen Himmel sprießende Baumwipfel wieder Aktualität erlangen soll.

Die Initiative „Jedem Kind ein Instrument“ in Nordrhein-Westfalen gibt nur einen kleinen Vorgeschmack darauf, in welchen Dimensionen zu denken und zu handeln ist. Gerade vor dem Hintergrund der aktu- ellen finanzpolitischen Verwerfungen gilt es in die Herzen und Köpfe zu investieren, um auf Dauer Werte zu sichern und zu schaffen. Werte, die eben nicht kurzfristigen Spekulationen unterliegen – die aber umso mehr für das Zusammenleben unabdingbar sind.

Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ eröffnet in diesem Sinn die Chance von Weichenstellungen über die Bundestagswahl 2009 hinaus. Dieser Bericht ist Berufungs- grundlage und kulturpolitisches Handlungsinstrument zugleich. „Kultur in Deutschland“ entwickelt sich so zu einem kultur- und damit auch gesellschaftspolitischen Symbol für Weiterentwicklung, Verände- rung und für Neues. Das Musikland Deutschland ist Teil und starker Motor dieser Entwicklung.

Mit dem Schwerpunktthema „Kultur in Deutschland“ setzt das MUSIKFORUM einen Link auf die Zukunft. Das Thema soll mit all seinen Facetten dauerhaft im Fokus und auf der Tagesordnung stehen. In unserem Magazin – und (hoffentlich) nicht nur dort.

Ihr

Christian Höppner

 MUSIK ORUM 3 INHALT

IM FOKUS: KULTUR IN DEUTSCH- Warum wir Musik brauchen Gedanken zum Stellenwert von Musik für Gesellschaft und Individuum. LAND Von Helmut Rösing 9 Wie? Warum? Wozu? Die Kulturpolitik steht vor Kernfragen Kultureinrichtungen stehen vor Struktur- und Finanzproblemen. Bernd Wagner über Lösungen und die neuen Herausforderungen 13 „Kulturförderung ist nicht Kür, sondern Pflicht!“ MUSIKFORUM-Gespräch mit der Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck und Bundesminister a. D. Gerhart Baum über die Notwendigkeit der Integration von Kultur in die Gesellschaft 16

akzente porträt bildung

Das Stimmideal im Wandel „Der schönste Beruf der Welt“ Bologna hat zugeschlagen Die Technisierung und Kommerzialisierung Der Fernsehjournalist Stephan Mayer Schulmusik heißt jetzt in Niedersachsen der Musikwelt haben auch zu einer Ver- begegnete in Berlin und Sankt Petersburg „FüBA“ und „MALG“: Franz Riemer über änderung der Singstimme geführt. Den einem der großen Dirigenten unserer Zeit: ein Modell der Lehrerbildung 45 Wandel seit Beginn des vergangenen Jahr- Mariss Jansons. Er lernte einen Maestro hunderts beschreibt die Konzert- und kennen, der sich in jedem Konzert so Hochschule als Laboratorium Opernsängerin Marret Winger 35 engagiert, als sei es sein letzter Auftritt 40 Präsident Thomas Rietschel im Interview über die Frankfurter Musikhochschule und Internet-Phänomen mit Der „Unterhaltungskanzler“ die Zukunft der Ausbildungsstätten 48 Januskopf? Humor nicht als Quatsch, sondern als eine Lehrplangehabe Judith Jung und Caroline Rump über das spezifische Art, Probleme vom Klavier her Musik-Netzwerk MySpace 38 anzugehen: Hans Bäßler sprach mit dem Plädoyer für mehr Freiheit: Arend Schmidt- Musikkabarettisten Lars Reichow 42 Landmeier über deutsche Gründlichkeit im Schulsystem 50

 4 MUSIK ORUM Titelbild: © k-line – Fotolia.com (bearb.) Titelbild: fokus

„Es gab weiße Flecken auszufüllen“ Neue Etappe der Kulturpolitik: Gitta Connemann aus ihrem Vorwort Sensibles, beschützenswertes zum Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ 21 „Pflänzchen Kultur in Deutschland“. Perspektiven für die politische Wirksamkeit Richtungen vorgegeben und Debatten angeregt: Olaf Zimmermann zur Warum der Musentempel Arbeit der Kultur-Enquete 25 bleiben muss Das ungeklärte Schicksal des Sendesaals Kulturelle Bildung im Aufwind? von Radio . Von P. Schulze 31 Kristin Bäßler erläutert die Handlungsempfehlungen des Enquete-Berichts zur kulturellen Bildung 27 Junge Musiker – glücklich in Deutschland? Kultur als Wirtschaftsfaktor Umfrage unter Mitgliedern des Bundes- Peter Schwenkow bricht eine Lanze für die Entertainment-Industrie 29 jugendorchesters ab 12

kulturen dokumentation DMR aktuell Pure Energie: Efim Chorny Ein Bewahrer jiddischer Musik 52 Flammen entzünden…

Projekt „ExTra! – Exchange Traditions“ 54 © Privatarchiv Gronostay neuetöne Klassiker der Moderne In Erinnerung an György Ligeti 55 60 Jahre RIAS Kammerchor: Informationen aus den Projekten und wirtschaft.recht Ein weiter Weg Mitgliedsverbänden des Deutschen Musikrats Mittelheftung nach Seite 34 Wehret dem „Inhalte-Tsunami“ Am Anfang war er eine „kleine Lösung“ – Das Interview: Dieter Gorny warnt vor ein Nachteil, der sich zum Vorzug wendete: der totalen Freiheit im Internet 59 Der kleine RIAS Kammerchor fand gegen- über anderen großen Rundfunkchören und ihrer Monumentalität zum klaren, transpa- rubriken renten Klang – Musik, die nicht nur beein- drucken, sondern sprechen und zum Editorial 3  Hineindenken verlocken sollte 62 MUSIK ORUM Nachrichten 6 Präsentiert: „forum thomanum“ Leipzig 63 oktober– dezember 2008___4 Rezensionen: CDs und Bücher 64

Finale / Impressum 66 Das Magazin des deutschen Musiklebens

 MUSIK ORUM 5 NACHRICHTEN

Foto: Markus Köhler/VDS

INVENTIO 2008: Letzter Aufruf für Bewerber Die Bewerbungsfrist für den IN- VENTIO 2008 – den Preis für mu- sikpädagogische Innovationen, läuft nur noch bis einschließlich 1. November. Alle Informationen und die vollständigen Bewer- bungsunterlagen finden sich un- ter: www.birnkraut-partner.de oder Tel. 040-46 00 688 0.

Bundesschulmusikwoche fordert kontinuierlichen Musikunterricht (VDS-Bundesvorsitzender), Joachim Klesen (stellv. Vorsitzender des Bun- Bei der 27. Bundesschulmusik- und das Fach Musik strukturell zu stellt werden”, hatte auch Minister- deselternrats), Winfried Richter (Vor- woche des Verbands Deutscher stärken. präsident Günther Oettinger in sei- sitzender des Verbands deutscher Mu- Schulmusiker (VDS) in Stuttgart In verschiedenen bildungspoliti- ner Eröffnungsrede gefordert. Er be- sikschulen), Christian Höppner (Ge- trafen sich unter dem Motto „Be- schen Foren forderten die Teilnehmer, tonte, dass in unserer sich wandelnden neralsekretär des Deutschen Musik- gegnungen: Musik – Regionen – Musik- und Instrumentalunterricht so- Gesellschaft „nirgendwo die Chance rats), Georg Wacker (Staatssekretär des Kulturen“ Musikpädagogen und wie Ensemblespiel auch unter erhöhter der Integration so hoch ist wie im ge- Ministeriums für Kultus, Jugend und Experten, um neue Impulse für die zeitlicher Belastung von Schülern meinsamen Musizieren“. Sport Baden-Württemberg) und Rein- musikalische Bildung von Kindern weiterhin zu ermöglichen. „Der Mu- Das Bild oben zeigt beim Talk im hard Mohaupt (Bundesministerium und Jugendlichen zu diskutieren sikunterricht darf nicht in Frage ge- Saal (von links): Ortwin Nimczik für Bildung und Forschung).

˜  Stabübergabe: Hartmut Gerhold ist von der die Musikaliensammlung Anna Amalias und Maria Paw- KSV bleibt Mitgliederversammlung des Landesmusikrats Hessen lownas. Jetzt stehen 600 verbrannte Musikalien auf der Der Bundesrat hat einen Antrag ab- einstimmig zum Präsidenten gewählt worden. Er tritt Internet-Seite der Klassik Stiftung Weimar wieder zur gelehnt, der die Abschaffung der damit die Nachfolge von Gerhard Becker an, der Verfügung: www.klassikstiftung.de  Pop an Künstlersozialversicherung (KSV) for- einstimmig zum Ehrenpräsidenten gewählt den Hochschulen: Der Arbeitskreis derte. wurde.  Doppelt so viel: Die Zahl Studium Populärer Musik (ASPM) erstellt Insgesamt vier Ausschüsse der Län- der von deutschen Orchestern angebo- für jedes Semester ein Verzeichnis wissen- derkammer hatten empfohlen, die KSV tenen Schülerkonzerte hat sich seit 2003 schaftlicher Lehrveranstaltungen und lau- abzuschaffen oder zu reformieren. Der verdoppelt, wie eine bundesweit durch- fender Forschungsprojekte an deutsch- Vorstoß war von verschiedenen Bun- geführte Erhebung der Deutschen Orches- sprachigen Hochschulen für den Bereich der desländern unterstützt worden, jedoch tervereinigung ergab. Konkret wurden von den Popmusik und veröffentlicht dieses auf seiner bereits vor der Abstimmung auf gro- mehr als 100 erfassten Orchestern in der vergan- Homepage: www.aspm-online.org  Saar- ße Ablehnung gestoßen. Auch der genen Spielzeit 673 Schülerkonzerte angeboten. In der philharmonie: In Saarbrücken soll mit der Saar- Deutsche Musikrat hatte sich deutlich Spielzeit 2002/03 waren es noch 338.  Brandschaden: philharmonie das erste Konzerthaus des Saarlandes ent- gegen die Abschaffung der Künstler- Zu den größten Verlusten des Brandes der Herzogin Anna stehen. Darauf haben sich Kulturschaffende, Politiker und sozialversicherung ausgesprochen. Amalia Bibliothek in Weimar vor vier Jahren gehörte Vertreter der Wirtschaft verständigt.  personalia © WDR/ Thomas Brill Der Aufsichtsrat der Theater und Orchester des hr und das Festival für † Philharmonie Essen GmbH hat dem zeitgenössische Musik „Klangbien- Intendanten der Philharmonie Essen, nale“. +++ Der Vorstand des Ver- Michael Kaufmann, mit dem eins Beethoven-Haus hat den 41- Vorwurf der Etatüberziehung frist- jährigen Philipp Adlung zum los gekündigt. Viele Künstler und neuen Direktor des Hauses in Bonn Der Deutsche Musikrat (DMR) Institutionen, wie die Jeunesses Musi- berufen. +++ Die 53-jährige Ulri- trauert um sein Ehrenmitglied cales Deutschland, protestierten ke Hessler wird neue Intendantin Mauricio Kagel, der im Alter von gegen das Vorgehen. Kaufmann, der Sächsischen Staatsoper Dresden. 76 Jahren verstarb. Der deutsch-argentinische Dirigent und Komponist für sein Programmangebot mehr- +++ Zum Beginn der Spielzeit war eine Ikone des internationalen Musiklebens. „Wir sind von seinem fach ausgezeichnet, behält sich juris- 2009/2010 wird Axel Kober Tod tief getroffen“, erklärte DMR-Präsident Martin Maria Krüger. „Die tische Schritte vor. +++ Andrea neuer Generalmusikdirektor der Musikwelt hat eine herausragende, Brücken schlagende und Grenzen Zietzschmann hat zum 1. Septem- Deutschen Oper am Rhein. +++ sprengende Persönlichkeit verloren. Mauricio Kagel revolutionierte so- ber den Bereich Musik des Hessi- Joachim Klement übernimmt wohl das instrumentale Theater als auch das Genre Hörspiel.“ Dem schen Rundfunks (hr) übernommen. die Generalintendanz des Staats- Musikrat war Kagel durch die Europäische Ensemble Akademie ver- In der Position der hr-Musikchefin theaters Braunschweig ab der Spiel- bunden, der er als Dirigent und Mentor zur Verfügung stand. verantwortet sie u. a. die beiden zeit 2010/2011.

 6 MUSIK ORUM © Stiftung Jedem Kind ein Instrument

„Jeki“: Erste Instrumente an ˜ Sassik neuer Schüler in NRW übergeben Bundespräsident Horst Köhler hat BDMV-Präsident gemeinsam mit Kulturstaatsminister Im Rahmen der 14. Vollversammlung Bernd Neumann und dem nordrhein- der Bundesvereinigung Deutscher westfälischen Ministerpräsidenten Musikverbände (BDMV) wurde Horst Jürgen Rüttgers die ersten Instrumente Sassik zum neuen Präsidenten des an Grundschüler in Gelsenkirchen BDMV gewählt. übergeben, die sich am Projekt „Je- Er folgt damit dem nicht mehr kan- dem Kind ein Instrument“ (Jeki) be- didierenden Wolfgang Bötsch. Sassik teiligen (Bild rechts). „Als ich so alt ist seit 1984 Präsident des Hessischen war wie ihr, konnten sich viele ein Instrument nicht leisten“, erfuhren die Musikverbandes (HMV) und ist in al- Schüler von Köhler. Bis zum Jahr 2010 len wichtigen Gremien der instrumen- sollen insgesamt 200000 Grundschul- talen Dachverbände vertreten, wo er kinder im Ruhrgebiet mit Hilfe von auch zentrale Funktionen ausübt. So ausgebildeten Musikpädagogen ein war er von 1998 bis 2007 General- Instrument ihrer Wahl erlernen. sekretär des Internationalen Musik- bundes CISM. Zum 1. Vizepräsiden- ten des BDMV wurde Karl Glöckler Musikhochschule München (Blasmusikverband Baden-Württem- übernimmt das Richard- berg) gewählt. DVD zum Strauss-Konservatorium Musikpreis 50+ Das Richard-Strauss-Konservatorium ˜ ist zum 1. August in die Musikhoch- Kulturkatastrophe Der Deutsche Musikrat schule München überführt worden nach Reform? hat eine DVD zur Verlei- und damit von städtischer in staatli- hung des Musikpreises 50+ che Trägerschaft übergegangen. Eine In einem von der Landesregierung

und zum Kongress „Es ist nie © Hochschule f. Musik u. Theater München/Richter Mecklenburg-Vorpommern beschlos- zu spät – Musizieren 50+“ senen Eckpunktepapier zur Struktur- reform der Theater- und Orchester- veröffentlicht. Neben den landschaft im Bundesland wird eine Dokumentationen enthält die stärkere „Vernetzung“ der Orches- DVD ein Interview mit Ursula ter durch Fusionen gefordert. von der Leyen zur Bedeutung Die Deutsche Orchestervereini- und zu den Rahmenbedin- gung kritisierte die Pläne scharf: „Es gungen des Musizierens im Alter und zur Rolle der Musik in droht eine bundesweit einzigartige Kul- der Familie der Bundesministerin sowie Stellungnahmen von turkatastrophe“, so Geschäftsführer Experten zu den Kongressthemen und -ergebnissen. Gerald Mertens. „Bei Umsetzung blie- entsprechende Übernahmevereinba- ben nach erforderlichen Massenent- Bestellungen der DVD gegen eine Schutzgebühr rung hatten zuvor der bayerische lassungen nur noch zwei künstlerisch von 12 Euro über: [email protected] Kunstminister Thomas Goppel (im völlig entstellte Reste-Orchester üb- Weitere Info zum Thema Musizieren 50+ Bild vorne rechts) und Münchens rig.“ unter: www.es-ist-nie-zu-spaet.de Oberbürgermeister Christian Ude unterzeichnet. ˜ Sony übernimmt ausgezeichnet Bertelsmann-Anteil Die internationalen Medien- und En- Der mit 10000 Euro dotierte WDR- der ARD vergeben. Dabei wurde (Peru), Marco Momi (Italien) und Jazzpreis geht in der Kategorie „Jazz- erstmals in der 57-jährigen Geschich- Simon Steen-Andersen (Däne- tertainmentunternehmen Sony und Komposition“ an den in Nordrhein- te des Wettbewerbs ein erster Preis mark) vergeben. Für besondere Leis- Bertelsmann einigten sich darauf, Westfalen lebenden, gebürtigen im Fach Fagott verliehen, den Marc tungen bei der Interpretation Neuer dass Sony den bisher von Bertelsmann Argentinier Gabriel Pérez. In Trénel erhielt (im Bild unten). Musik ging der Preis an den Ameri- gehaltenen 50 Prozent-Anteil an Sony der Kategorie „Jazz-Improvisation“ +++ Zum Abschluss der 44. Inter- kaner Eliot Gattegno. +++ Der BMG übernimmt. wird der Kölner Pianist Hubert nationalen Ferienkurse für Neue Hagener Organist Ulrich Wal- Das künftig unter dem Namen Sony Nuss für „seine außergewöhnliche Musik wurden in Darmstadt die ther hat den 1. Internationalen Music Entertainment firmierende Mu- harmonische Klangsprache“ geehrt. Kranichsteiner Musikpreise im Fach Bach | Liszt Orgelwettbewerb Erfurt- sikunternehmen wird zu einer 100 Pro- +++ Die Philharmoniker Ham- Komposition an Jimmy Lopez Weimar-Merseburg gewonnen. An zent-Tochter der Sony Corporation of burg und ihre Dirigentin Simone ihn ging auch der Sonderpreis für die America. Bertelsmann will sich künf- Young sind mit dem Brahms-Preis beste Messiaen-Interpretation. +++ tig auf das Management von Musik- der Brahms-Gesellschaft Schleswig- Herbert Blomstedt und Hans rechten konzentrieren. Dazu über-

Holstein ausgezeichnet worden. +++ © BR online Joachim Meyer erhielten die nimmt der Konzern von Sony BMG Insgesamt 13 Preise im Gesamtwert vom Sächsischen Musikrat gestiftete ausgesuchte europäische Kataloge von von 188 500 Euro hat die Jury des Johann Walter Plakette für die Pfle- Musikrechten. Sie umfassen die Wer- Internationalen Musikwettbewerbs ge des Musiklebens in Sachsen. ke von mehr als 200 Künstlern.

 MUSIK ORUM 7 NACHRICHTEN

Öffentliche Musik- Bruno Tetzner, bildungs- und Nachruf auf Bruno Tetzner 1968 gab es bei der Wahl des kulturpolitischer Pionier und DMR-Präsidiums in Stuttgart eine schulen fordern Mitgründer des Verbands deut- große Wachablösung. Der Kompo- eine gesetzliche scher Musikschulen, verstarb im Ideengeber, nist Werner Egk wurde Präsident, Juli im Alter von 86 Jahren. Sein dabei sein Kollege Günter Bialas. Verankerung in der musikalischer und kulturpoliti- Als jüngere Mitglieder gelangten der kulturellen Bildung scher Weggefährte Klaus Bern- Visionär und Komponist Hans Otte und die Di- bacher erinnert sich an den lang- rigenten Volker Wangenheim und Der Verband deutscher Musik- jährigen Direktor der Akademie Pragmatiker Klaus Bernbacher in den Vorstand. schulen (VdM) hat – basierend auf Remscheid für Musische Bildung Bruno Tetzner unterstützte in der den Handlungsempfehlungen der

und Medienerziehung: © Remscheider Generalanzeiger/Siebe Generalversammlung diesen Wech- Enquete-Kommission – zentrale Wenn einige feststellen, Bruno sel, der in der damaligen unruhi- Forderungen an die Bildungs- und Tetzner und ich wären die letzten gen politischen und gesellschaft- Kulturpolitik aufgestellt und sich Gründungsmitglieder des Deut- lichen Zeit mit hohen kulturpoliti- bundesweit damit an die Entschei- schen Musikrats (DMR), so stimmt schen Erwartungen verbunden war. dungsträger auf Landes- und Kom- das insofern, als wir 1953 in Bonn Zunächst lief das Ganze gut an. Eine munal-Ebene gewandt: dabei waren. Vorher hatten wir in wichtige Entscheidung fällte das Prä- 1. Der Verband deutscher Musik- der Arbeitsgemeinschaft für Musik- sidium, indem der Sitz des DMR von schulen fordert die Länder auf, ge- erziehung und Musikpflege (AGMM), Hamburg nach Bonn verlegt wur- setzliche Regelungen und Förderver- der Keimzelle des DMR, mitgear- de, um am Sitz der Bundesregie- einbarungen zu schaffen, die die beitet. rung und des Bundestages tätig zu öffentlichen Musikschulen als pflich- Tetzner war 31 Jahre alt, hatte werden. Eine Entscheidung, die an- tige Aufgaben kultureller Bildung den Krieg mitgemacht und begann gesichts des Kulturföderalismus und anerkennen. Gesetzlich festzulegen seine erfolgreiche kulturpolitische der erheblichen Leistungen der Han- sind dabei Qualitätsstandards in Form Tätigkeit in Remscheid und Nord- sestadt Hamburg nicht von allen im wesentlicher Qualitäts- und Struktur- rhein-Westfalen. Ich war damals Einer, der sich einmischte: Musikrat für richtig befunden wur- merkmale für die öffentliche Musik- Anfang 20 und als Vorstandsmit- Bruno Tetzner † de. Tetzner trug unsere Entschei- schulförderung. glied der Musikalischen Jugend dung aus der Mitgliedschaft und dem 2. In den Schulgesetzen der Län- Deutschlands (MJD) mit unserem Vorsitzenden Fritz Bundesland Nordrhein-Westfalen vehement mit. der sind klare qualitative Rahmenbe- Büchtger Teilnehmer vieler Versammlungen. Hans Während der Beratungen anlässlich der 11. Gene- dingungen für die Kooperationen Mersmann wurde in Bonn zum Präsidenten, Herbert ralversammlung in Bremen 1970 trat eine Kontro- zwischen öffentlichen Musikschulen Sass, der unentwegte Initiator, zum Generalsekretär verse über die künftigen Schwerpunkte zwischen Ge- und allgemein bildenden Schulen „auf gewählt. neralsekretär Sass und Präsident Egk zu Tage. Es ging Augenhöhe“ festzulegen. Die Förde- Unsere persönliche Zusammenarbeit verdichtete einerseits um Fragen des professionellen Musiklebens, rung und Unterhaltung der öffent- sich in den 60er Jahren in Remscheid. Tetzner, ohnehin andererseits um das plurale Fundament des DMR wie lichen Musikschulen muss auch in sowohl in der Musischen Bildungsstätte Remscheid „musische Bildung in der Jugend, Pädagogik, Nachwuchs- diesem Kontext als Pflichtaufgabe als auch in der Bundesvereinigung Musische Jugendbil- förderung und das vokale und instrumentale Laien- festgeschrieben werden, um eine hohe dung der Motor und die rechte Hand von Wilhelm musizieren", also um die Programme der Mitglieder. Verlässlichkeit und Kontinuität in der Twittenhoff, wurde dessen Nachfolger als Direktor Egks Interesse war im Grunde auf die Situation Kooperation und im Einsatz der Pä- und Vorsitzender. Ich war seit 1963 Vorsitzender der der Opernhäuser und ihrer Fähigkeit, zeitgenössische dagogen zu garantieren. MJD und wurde 1964 für eine Periode zum Stellver- Werke zu spielen, begrenzt. Außerdem wollte er Ge- Gleichzeitig müssen für den Er- treter Tetzners in der Bundesvereinigung gewählt. neralsekretär Sass loswerden. Als sich die Lage zu- halt des Profils der Musikschulen – Die Remscheider Akademie wurde um das Fach spitzte, haben Bruno Tetzner und ich in der General- auch im Hinblick auf G8 und Verkür- Medienerziehung erweitert. Der ganze Fächer kultu- versammlung die Reißleine gezogen und wir fanden zung der Schulzeit – Regelungen für reller Jugendbildung entwickelte sich in enger Koope- die Zustimmung bei den Mitgliedern und im Präsi- die zeitliche Ausgestaltung des Ganz- ration mit den verschiedenen Organisationen, wobei dium. Werner Egk trat darauf 1971 zurück; Siegfried tagsunterrichts geschaffen werden, die Elektronische Musik, Percussion- und Jazz-Kurse das Borris wurde als Nachfolger gewählt. den Besuch der öffentlichen Musik- Bild ergänzten. Bruno Tetzner war, neben seiner rei- Anschließend leiteten wir gemeinsam die neube- schulen für die Schülerinnen und chen Verwaltungserfahrung, bekanntlich ausgebilde- rufene Satzungskommission und setzten uns in der Schüler weiterhin möglich machen. ter Kirchenmusiker und stets neugierig auf künstleri- Folge bundesweit für die Gründung von Landesmu- 3. Länder und Kommunen sind sche, pädagogische und soziale Innovationen dieser sikräten (1978) ein, nachdem der Bayrische Musikrat aufgefordert, verbindliche Regelun- Zeit. 1977 vorangegangen war. Seine ökonomische Kom- gen für Musikangebote ab dem frü- „Kreativität“ war das Stichwort, um nicht zuletzt petenz konnte Tetzner jahrelang als Mitglied des Ver- hesten Kindesalter in der Koopera- der aufkommenden Diskussion über Freizeitgestal- waltungs- und Planungsbeirats des DMR einbringen. tion von Krippen, Kitas und öffent- tung für jung und alt, den Laien und Künstlern aller „Eingemischt“ hat er sich von Anfang an: Sofort lichen Musikschulen zu treffen. Fest- Sparten Anregungen zu geben. Er vergrößerte und nach Kriegsende hat der Kriegsheimkehrer im Dialog zulegen sind hierin Musik-Bildungs- modernisierte die Akademie und verstand es immer mit uns Jüngeren „das große Angebot der Demokra- pläne, die Ausbildung der Erzieher/ wieder, die Landesregierung von Nordrhein-Westfa- tie“ (Gustav Heinemann) angenommen, hat sowohl innen und Musiklehrkräfte sowie die len in die Entwicklung in Remscheid einzubinden. In in der Zeit des Wiederaufbaus bis in die Gegenwart Finanzierung der Fachkräfte und de- der großen Öffentlichkeit trat die Bundesvereinigung hinein bei der Neugestaltung des Musikrats mitgewirkt. ren Qualifizierung. Um den Zugang unter seiner Leitung mit erfolgreichen Großveranstal- Mein Freund und Weggenosse Bruno Tetzner ist für Kinder aller Schichten und damit tungen unter den Namen „Festliche Tage, Musik, Spiel, 86 Jahre alt geworden und hat sich um den Deut- eine nichtelitäre musikalische Bildung Tanz“ hervor. Passau, Münster, Berlin und Kleve waren schen Musikrat und die kulturelle Bildung in der Re- zu ermöglichen, ist eine Finanzierung die gastgebenden Städte. publik verdient gemacht. durch Landes- und kommunale Mit- tel unumgänglich.

 8 MUSIK ORUM Helmut Rösing macht sich Gedanken zum Stellenwert von Musik für Gesellschaft und Individuum

WARUM WIR MUSIK brauchen

u allen Zeiten und in allen Ethnien ist Musik von besonderer Bedeu- funktion jedenfalls, wie sie der Kunstmusik tung für die Menschheit gewesen. Ein gesellschaftliches Zusammen- so gerne unterstellt wird, hat sie – wenn Z überhaupt – höchstens in einigen wenigen, leben ohne Musik gibt es nicht und scheint es auch nie gegeben zu haben. ästhetisch hochstilisierten Erscheinungsformen. Das kann nur zu einer Schlussfolgerung führen: Musik hat zu jeder Zeit für Die sozialpsychologische Kraft von Mu- die kulturelle Evolution eine gesellschaftsschaffende und -begleitende sik wird offensichtlich, wenn man Musik als Funktion gehabt. mehrdimensionales Bezugssystem versteht (siehe dazu Rösing, 2004, S. 155 f.). Jeder In seinem Buch Der musizierende Mensch. nen von uns hat bzw. haben kann, warum musikalische Zirkulationsprozess umfasst eine Eine Anthropologie der Musik fasst Wolfgang also überhaupt Musik gehört wird. Vielzahl von aufeinander bezogenen und von- Suppan (1984, S. 180) diesen Sachverhalt Eine Arbeitshypothese des Musikwissen- einander abhängigen Stationen: 1. die musi- folgendermaßen zusammen: „Die biologische schaftlers Georg Knepler (1982, S. 36 f.) lau- kalische Produktionshandlung (Komposition, Disposition zum Musikgebrauch in entschei- tet, dass die Menschheitsgeschichte im Gro- Improvisation), 2. verschiedene Vermittlungs- denden Phasen des menschlichen Zusammen- ßen und Ganzen durch zwei wesentliche schritte bis hin zur klingenden Realisation des lebens ist in allen Gesellschaften dieser Erde Entwicklungszüge gekennzeichnet sei: 1. die musikalischen Produkts (die Umsetzung von […] in derselben Weise gegeben, doch hat Ausprägung interner kognitiver Schemata, um notierten musikalischen Substraten, Sound- die Fülle unterschiedlicher kultureller Evolu- dem Ansturm neuer, unbekannter Objekte, files oder Texturen in spezifischen Auffüh- tionen diese Disposition jeweils anders ge- Situationen und Handlungen gewachsen zu rungs- und Wiedergabekontexten) und 3. die nutzt.“ Man kann also Musik der verschiedens- sein, und 2. die Schaffung interner emotio- Rezeption durch Hörer mit unterschiedlichen ten Erscheinungsformen und Stile durchaus naler Schemata, um den sich daraus erge- musikalischen Erfahrungsinventaren, Musik- als klingendes Alphabet der Gesellschaft be- benden psychischen Anforderungen stand- erwartungen und durch bestimmte Musik- zeichnen. Allerdings erweist es sich immer halten zu können. kenntnisse vorgeprägten Verhaltensweisen. wieder als schwierig, die vielschichtig-kom- Diese Komplexität von Musik als einem plexen, auf symbolischen Codes beruhenden (Über)lebensnotwendiger mehrdimensionalen Bezugssystem hat in der musikalischen Bedeutungsebenen dieses klin- Gebrauchsgegenstand traditionellen Musikwissenschaft und Musik- genden Alphabets zu entschlüsseln. kritik eine unangemessene Einengung hin auf Jede Musik, die erklingt, hat Funktionen Gemäß dieser These liegt es nahe, den das musikalische Produkt erfahren. Alles, was und erfüllt Funktionen. Unterschieden wer- beiden akustischen Kommunikationsmedien nicht in ihm, also der „reinen“ Musik selbst den sollte aber – wie das Hans Heinrich Eg- Sprache und Musik die folgende Funktions- enthalten ist, das läge, so Carl Dahlhaus und gebrecht bereits 1973 bündig dargelegt hat aufteilung zuzuordnen: Sprache steht relativ Hans Heinrich Eggebrecht in ihren Essays zur – zwischen drei Ebenen der Funktionalität. frei von Emotionalität als Verständigungssystem Frage Was ist Musik? (1985, S. 68 u. 139 ff.), Die musikimmanente Funktionsebene regelt für den kognitiven Bereich zur Verfügung; außerhalb der Musik. Musikalischer Sinn sei das Funktionieren der musikalischen Struk- mit Musik dagegen können die durch Spra- allein in der Form bzw. im „Formsinn“ der turen. Intendierte Funktionen beruhen auf che nicht mehr zu leistenden emotionalen Musikstrukturen verdinglicht. Bei dieser Sicht- der Zweckbestimmung eines musikalischen Zustände hörbar, nachvollziehbar und – dank weise wird außer Acht gelassen, dass Musik Produkts durch Komponisten, Musiker, Pro- verschiedener Formen symbolisch-ritueller immer erst in einem situativ gegebenen ge- duzenten und Vermittler. Tatsächlich reali- Überhöhung – häufig überhaupt erst erträg- sellschaftlichen Umfeld Wirkung entfalten sierte Funktionen aber sind ein Ergebnis des lich gemacht werden. Damit wird Musik als kann. Sie muss von Individuen wahrgenom- Rezeptionsprozesses. Allein um diese dritte ein nachhaltig emotional geprägtes Kommu- men werden – im Rahmen einer Live-Dar- Funktionsebene mit ihren personen- und ge- nikationsmedium zu einem allein schon aus bietung, während der Wiedergabe über Laut- sellschaftsbezogenen Faktoren soll es im Fol- sozialpsychologischen Gründen (über)lebens- sprecher oder – im Extremfall – beim stumm- genden gehen. Denn hier vor allem entscheidet notwendigen Gebrauchsgegenstand mensch- imaginativen Lesen der Noten. Ihre Bedeu- sich, welche Bedeutung Musik für jeden Einzel- lichen Daseins. Eine ausschließliche Luxus- tung für den Rezipienten erhält sie durch

 MUSIK ORUM 9 FOKUS

verbale bzw. visuelle „Beschriftungen“, gesell- schaftsgeprägte Konnotationen (Trauermu- sik, Tanzmusik, Popmusik) und zum Teil auch durch persönlich ausgerichtete biografische Erfahrungen, die den gesamten Zirkulations- prozess des Bezugssystems Musik umfassen. Musikalische Bedeutungen, musikbezogene Wirkungen und musikgenerierte Funktionen sind so gut wie immer gebunden an konkre- te Situationen kultureller Praxis, und sie sind eingebettet in einen lebensweltlichen Bezug. Hier fungieren die jeweiligen sozialen und politischen, die ökonomischen, technischen und räumlichen Ressourcen innerhalb eines gesellschaftlichen Systems als objektive Be- dingungen für musikkulturelles Handeln und Verhalten. pekte beinhalten: 1. affektbestimmte emo- einengen und begrenzen, wie die digitale Das haben Kurt Blaukopf (1989) und Alfred tionale Funktionen wie psychische Resonanz, Mediamorphose voranschreitet. Musik ist Smudits (2002) mit dem Begriff der „Media- Projektion oder Abreaktion von Gefühlen, allgegenwärtig geworden. Das kann zu er- morphose“ quer durch die europäische Mu- 2. traditionsorientierte Funktionen – rituell, höhtem passiven oder gar zu ungewolltem sikgeschichte beschrieben und am Beispiel geschichtsbezogen, überliefernd –, 3. wert- Musikkonsum bis hin zur Abstumpfung ge- der aktuellen elektronischen und digitalen abhängige Funktionen wie z. B. gute vs. schlech- genüber Musik führen. Darüber hinaus scheint Mediamorphose im Einzelnen belegt. Tech- te, anspruchsvolle vs. triviale, unterhaltende technisch vermittelte Musik immer mehr zu nische Entwicklungen verändern die Ressour- vs. ernste Musik und 4. zweckrationale Funk- einer einseitigen Kommunikationsform zu cen eines gesellschaftlichen Systems und üben tionen mit politischer, wirtschaftlicher, erzie- verkümmern. Dementsprechend wurden die nachhaltigen Einfuss auf Musik als Bestand- herischer oder ideologischer Komponente. durch Musik ausgelösten Gefühle und Hand- teil von Kommunikationskultur aus: Sie be- Und aus vergleichend-musikanthropologischer lungen von Riggenbachs Interviewpartnern einflussen die Musikproduktion, die Musik- Sicht glaubte Alan P. Merriam (1964) zehn zur Jahrtausendwende als zunehmend fremd- verbreitung, den Umgang mit Musik, das gute Gründe dafür anführen zu können, wa- bestimmt erfahren. Der Bezug zur Lebens- Musikverständnis und die Funktionen von rum Menschen Musik brauchen. Sie decken wirklichkeit wurde gegenüber den 1960er Musik in der Gesellschaft. sich in mancherlei Hinsicht mit den von Max bis 1990er Jahren als abgeschwächt empfun- Die objektiven Ressourcen einer Gesell- Weber propagierten Primärfunktionen: 1. emo- den, der reine Berieselungsaspekt von Mu- schaft stehen in einer dynamischen Wech- tionaler Ausdruck, 2. psychische Reaktion, sik trat immer stärker in den Vordergrund. selbeziehung mit den subjektiven Strukturen 3. ästhetischer Genuss, 4. Unterhaltung, 5. Kom- Live dargebotene Musik kann diesen Ten- der Individuen, die die Gesellschaft konstitu- munikation, 6. symbolische Repräsentation, denzen der Einengung und Abschwächung ieren. Zu den subjektiven Strukturen zählen 7. soziale Normierung, 8. rituelle und insti- musikalischer Funktionen aber nach wie vor u. a. Veranlagung und psychische Sensibili- tutionelle Überhöhung, 9. kulturelle Stabili- nachhaltig entgegenwirken. Das zumindest tät, kognitive Disposition, emotional-affekti- tät und Kontinuität sowie 10. Integration in zeigen die Auswertungen von mehreren 100 ve Gegebenheiten und die daraus resultie- gesellschaftliche Gruppenprozesse. Fragebögen der Besucher verschiedener Rock- renden persönlichen Vorlieben. Aus den Über- Wie unlängst Paul Riggenbach in einer konzerte, die Roland Hafen 1998 vorgelegt einstimmungen und Differenzen zwischen umfassenden empirischen Studie über Funk- hat. Psychophysiologische und sozialpsycho- objektiven Ressourcen und subjektiven Struk- tionen von Musik in der modernen Industriege- logische musikgenerierte Auswirkungen moti- turen ergeben sich nicht nur die Strategien sellschaft (2000) zeigen konnte, sind nahezu vieren zum Besuch eines Lifeacts in der Kon- für kreativ-kulturelles Handeln, die z. B. im alle diese Funktionen auch bei der mittlerweile zerthalle, im Club, auf der Straße oder im Bereich der Musik zur Ausprägung der ver- zahlenmäßig am stärksten vertretenen Gruppe, Stadion. Zum psychophysiologischen Funk- schiedenen kunst- und popmusikalischen Stile den Popmusikhörern der Gegenwart, anzutref- tionsfeld gehören vor allem die Qualität und geführt haben. Sie konstituieren und bedin- fen: Musik beeinflusst deren Gefühle und Intensität des Körpergefühls gemäß der Ma- gen auch die Bedeutungen, Bewertungen und bewirkt psychische Reaktionen, sie ist Medi- xime „Das Glück ist körperlich“. Dieses Ge- Funktionen von Musik in der Gesellschaft um der Unterhaltung und Trägerin von Bot- fühl umfasst das Verlangen nach Rhythmus, und für die Gesellschaft – teilweise auf recht schaften. Musik verändert Realitätsbezüge Sound und Lautstärke, das Spiel mit dem direkte Art, teilweise aber auch vielfach ver- durch symbolische Repräsentation, sie kon- Körper, den Wunsch nach Nähe in einer mittelt und gebrochen. stituiert Lebensstile und kann hierbei sozial Gruppe Gleichgesinnter („ein Bad in der Menge normierend sein, sie befördert Identitätspro- nehmen“) und die körperliche Verausgabung Vier Primärfunktionen zesse und führt zu sozialen Gruppenbildun- bis zur Erschöpfung. Das sozialpsychologische gen, wie sie Victor Turner (2005) unter dem Funktionsfeld wird abgesteckt durch die Mit Blick auf die soziokulturellen Ressour- Begriff der „Communitas“ wiederholt beschrie- Demonstration von Haltungen (u. a. durch cen im Europa der Neuzeit hat Max Weber ben hat. Bekleidung und Accessoires), das Zur-Schau- in seinen Abhandlungen zur Musik (1921) Die im Anschluss an die jeweiligen Pop- Stellen von Einstellungen und Lebensstilen vier Primärfunktionen von Musik in der musik-Funktionen konstatierten Tendenzen (Rockmusik als Lebensgefühl) und das Ver- Gesellschaft benannt, die individuell-psychi- zielen allerdings in eine Richtung, die den langen nach Atmosphäre und Authentizität sche und gesellschaftlich-kommunikative As- musikbezogenen Funktionsfächer um so mehr (Echtheit der Botschaft).

 10 MUSIK ORUM © Stiftung Jedem Kind ein Instrument

Bedürfnislage abzielende Funktionsfächer umfasst vornehmlich die folgenden Teilkom- ponenten: emotionale Kompensation (Pro- jektion oder Abreaktion von Gefühlen), Ein- samkeitsüberbrückung (parasozialer Kontakt), Konfliktbewältigung (Stressabbau durch Musik), Entspannung (Musik zum Abreagie- ren), Aktivierung (Musik als psychisches Sti- mulanzmittel), Unterhaltung (Spaß- bzw. Lust- gewinn durch Musik), ästhetische Befriedigung (Transzendenz-Erfahrung) und Freiraum für Träume. Die Gründe dafür, warum wir Musik brau- chen, liegen auf der Hand. Musik gleich welcher Offenheit gegenüber den musikalischen Stilrichtung ist Bestandteil und Ergebnis ge- Erscheinungsformen: Eine fundierte Unter- sellschaftlicher Prozesse. Ihre funktionale weisung bereits in Kindergarten und Schule wiesen sei – belegen die verschiedenen Funk- Legitimation bezieht sie aus ihrer Veranke- kann jenes Verständnis bewirken, das später tionen von Musik in Abhängigkeit vom musi- rung in bzw. Anbindung an konkrete Situa- eine Vereinnahmung durch eine lediglich nach kalischen Produkt, von konkreten Darbietungs- tionen des täglichen Lebens sowie der Über- dem Gesetz der Ware geschaffene Musik ver- situationen und von personengebundenen höhung des Alltags durch verschiedene hindert. Ein Beispiel ist das Projekt „Jedem Variablen der Musikhörer. Trotz unterschied- Formen von Sakral-, Fest- und Repräsenta- Kind ein Instrument“, das in Nordrhein-West- licher Gewichtung der einzelnen Funktions- tionskultur. Bewertungsbegriffe wie Echtheit, falen zur Förderung der musikalischen Früh- erziehung gegründet wurde. komponenten im gesellschaftlich-kommuni- Authentizität, Botschaft, künstlerische Aus- kativen und individuell-psychischen Funk- sage mögen zwar vage und angreifbar sein. tionsfächer lassen sich letztlich immer wieder Sie drücken aber auf ihre Weise unmissver- zentrale Funktionskomplexe dingfest machen, ständlich aus, dass die Produktion von Mu- Naturgemäß ein wenig anders gelagert sind wie sie bereits von Max Weber und Alan P. sik und ihre Darbietung an konkret gesell- die Erwartungen und Wünsche, die die Be- Merriam benannt worden sind. schaftliche Verhältnisse gebunden sind bzw. sucher von volkstümlichen Popmusikkonzer- sein sollten. Dieser funktionale und zugleich ten und Schlagerfestivals oder auch André Funktionsfächer lebensnahe Bezug von Musik droht durch Rieu- bzw. Helmut Lotti-Konzerten haben. die Produktions- und Distributionsstrategien Nina Polaschegg fasst, bezogen auf die bei- Zur Veranschaulichung seien einige wei- einiger weniger weltweit tätiger Medienfir- den letztgenannten Musiker, die Ergebnisse tere Beispiele aus unserem westlichen Kul- men zumindest im Bereich der Popmusik zu- ihrer qualitativen Studie über „Populäre Klassik turkreis benannt. Zum gesellschaftlich-kom- nehmend unterlaufen zu werden. Aus dem – Klassik populär“ (2005, S. 187) folgender- munikativen, durch soziale Normen und insgesamt verfügbaren gesampleten musika- maßen zusammen: Die Konzertgänger „möch- Regeln geprägten Funktionsfächer gehören lischen Material und den Ressourcen der ten einen harmonischen und besonderen z. B. folgende musikbezogene Settings und Produktivkräfte musikinteressierter junger Konzertabend verbringen, sie möchten un- Inhalte: religiöse oder magisch-rituelle Trans- Menschen werden musikalische Stile nach terhalten werden, lachen und schwelgen kön- zendenz (Kult- und Kirchenmusik), Reprä- empirisch erhobenen Daten der Marktfor- nen und den Alltag für diese Zeit weit hinter sentation und Glorifizierung (Militärmusik), schung am Reißbrett geklont und weltweit sich lassen. Der Abend soll ausschließlich an- Gestaltung von Festen und Kundgebungen vermarktet. genehme, schöne und lustige Erlebnisse ver- (Musik als akustisches Ornament für die be- In diesem Zusammenhang lässt sich dann sprechen. Unbekanntes hat in diesem Kon- sonderen Ereignisse des Lebens), Bewegungs- auch der Traum von manchem Jugendlichen, text keinen Platz und wird […] negativ und aktivierung und -koordination ablehnend beschrieben“. Im Hinblick auf die (Tanz- und Marschmusik), Funktionen dieser Musik im Konzertsaal Gruppenstabilisierung und dominieren emotionale Kompensation, Ein- -kontrolle (Nationalhymne als In der Sphäre der Kultur findet samkeitsüberbrückung, Konfliktbewältigung akustische Flagge kultureller und Stimulierung zu Handlungen, die sich Identität), Erziehung (Musik die »ständige Selbstreflexion der Gesellschaft im Beifallsritual ebenso wie im körperlichen der Jugend zur Selbstfindung), über ihre Werte und Standards statt. Mitvollzug (Schunkeln, Takt klatschen, Tan- Gesellschaftskritik (Musik ge- Deswegen ist es nicht nur für die Individuen und zen) manifestieren. Der Communitas-Wirkung gen Krieg, Rassismus, Sexis- ihre Lebensqualität, sondern auch für die Entwicklung von Musik, dem Sich-Geborgen-Fühlen im mus) und Gesellschaftsvisio- Harmoniemilieu alltagsästhetischer Schemata nen (Musik gegen Krieg, der Gesellschaft wichtig, dass möglichst viele (Gerhard Schulze, 1992) kommt hierbei der Musik für die Freiheit), zwi- Menschen in jenen kulturellen Diskurs Stellenwert einer Primärfunktion zu. schenmenschliche Kontakt- einbezogen werden, der mit dem Derartige Untersuchungen bei unterschied- aufnahme und Communitas- Medium der Künste stattfindet. lichen Konzertpublika – wobei nachdrück- Erfahrung in einer Gruppe lich auf die nach wie vor Richtung weisende von Gleichgesinnten. « Publikation des Autorenteams Dollase, Rü- Der individuell-psychische, Zitiert aus dem Schlussbericht der Enquete-Kommission senberg, Stollenwerk aus dem Jahr 1986 hinge- auf die jeweilige persönliche „Kultur in Deutschland“ (Seite 49)

 MUSIK ORUM 11 FOKUS

selbst ein Popstar zu werden, ausnutzen. Nach Doch musikalische Mündigkeit durch den Merriam, Alan: Anthropology of music, Evanston 1964 Head-Hunting-Methoden gaukelt man ihnen Erwerb von Musikkenntnissen und musika- Polaschegg, Nina: Populäre Klassik – Klassik populär. Hörerstrukturen und Verbreitungsmedien im Wandel, – z. B. durch die Teilnahme an einem Song- lischen Erfahrungsinventaren kommt nicht Köln 2005 Contest – ein selbstbestimmtes Musikerleben von selbst. Die gesellschaftlichen Ressourcen Riggenbach, Paul: Funktionen von Musik in der moder- vor, obwohl diejenigen, die hier erfolgreich für einen selbstbestimmten, mündigen Um- nen Industriegesellschaft. Eine Untersuchung zwischen sind, doch weiter nichts als Befehlsempfän- gang mit Musik müssen mit erheblichem ide- Empirie und Theorie, Marburg 2000 Rösing, Helmut: Wie politisch kann Musik sein?, Beiträge ger einer Popmusik-Wertschöpfungsmaschi- ellen und finanziellen Einsatz von Gemein- zur Popularmusik-Forschung 32, S. 155 – 168, 2004 nerie bleiben. Sie werden immer dann sofort schaft und Kulturpolitik zur Verfügung gestellt Schulze, Georg: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziolo- wieder abgeschrieben, wenn Erfolg im Sinn werden. Nur dann können Lebensstile ge- gie der Gegenwart, Frankfurt am Main 1992 von Umsatz sich entweder gar nicht erst ein- schaffen werden, in denen Musik mit Bewusst- Smudits, Alfred: Mediamorphosen des Musikschaffens. stellen will oder nach einem ersten Charts- heit aktiv rezipiert und nicht nur nebenbei Kunst und Kommunikationstechnologien im Wandel, Wien 2002 Titel schnell verblasst. Als Marionetten an den konsumiert wird. Und nur dann kann sich Suppan, Wolfgang: Der musizierende Mensch. Eine Fäden der Musikindustrie werden so die krea- der musikalische Funktionsfächer derart be- Anthropologie der Musik, Mainz 1984 tiven Kräfte musikinteressierter Jugendlicher haupten, dass Musik weiterhin grundlegen- Turner, Victor: Das Ritual: Struktur und Anti-Struktur, in der Regel eher vernichtet als aufgebaut. de Bedürfnisse menschlichen Zusammenle- Frankfurt am Main 2005 (orig. 1969) Weber, Max: Die rationalen und soziologischen Grund- Dieser Art von Fremdbestimmung gilt es bens zu überhöhen bzw. vertiefen in der Lage lagen der Musik, München 1921 entschieden entgegenzuwirken. Allein eine bleibt und darüber hinaus eine psychische fundierte musikalische Unterweisung bereits Notwendigkeit darstellt. Der Autor: in Kindergarten und Schule kann jenes Ver- Prof. Dr. phil. habil. Helmut Rösing promovierte 1968 ständnis und jene Offenheit gegenüber den Literatur in Vergleichender Musikwissenschaft, war zwischen 1968 vielfältigen musikalischen Erscheinungsformen Blaukopf, Kurt (1989): Beethovens Erben in der und 1972 Redakteur für Sinfonie und Oper beim bewirken, die eine ideologische Vereinnah- Mediamorphose. Kultur- und Medienpolitik für die Saarländischen Rundfunk und habilitierte 1974 im Fach elektronische Ära, Heiden 1989 Musikwissenschaft an der Universität Saarbrücken. Von mung durch eine lediglich nach dem Gesetz Dahlhaus, Carl/Eggebrecht, Hans Heinrich: Was ist 1975 bis 1980 war er Leiter der Zentralredaktion des der Ware geschaffene Musik verhindern zu Musik?, Wilhelmshaven 1985 Internationalen Quellenlexikons der Musik (RISM) in helfen vermag. Anders gesagt: Ein gezielt und Dollase, Rainer, Rüsenberg, Michael u. Stollenwerk, Kassel, von 1978 bis 1992 Professor für Systematische kompetent genutztes reichhaltiges musikali- Hans J.: Demoskopie im Konzertsaal, Mainz 1986 Musikwissenschaft an der Gesamthochschule Kassel. Eggebrecht, Hans Heinrich: Funktionale Musik, Archiv Von 1993 bis 2004 hatte Rösing eine Professur an der sches Live-Angebot und im besten Fall eige- für Musikwissenschaft 30, S. 1-25, 1973 Universität Hamburg. Wichtigste Veröffentlichungen: nes Musikmachen ermöglichen letztlich mehr Hafen, Roland: „Rockmusik-Rezeption in Live-Konzerten“, Musik und Massenmedien (1978), Rezeptionsforschung als jede technisch vermittelte Übertragungs- in: Baacke, Dieter (Hg.): Handbuch Jugend und Musik, in der Musikwissenschaft (1983), Musik im Alltag (1985), musik einen sinnvollen Bezug zu nahen Le- S. 369-380, Opladen 1998 Musikpsychologie – ein Handbuch (1993, hg. zus. mit Knepler, Georg: Geschichte als Weg zum Musikver- H. Bruhn und R. Oerter), Musikwissenschaft und popu- benswelten und den vielen zuvor erwähn- ständnis. Zur Theorie, Methode und Geschichte der läre Musik, Versuch einer Bestandsaufnahme (2002, hg. ten musikabhängigen Schlüsselfunktionen. Musikgeschichtsschreibung, Leipzig 1982 mit A. Schneider und M. Pfleiderer).

Wie sehen junge Musiker, Das finden Veranstalter interessanter als die sich schon in einem großen das BJO. Ensemble bewährt haben, das Die deutsche Musikszene sehe ich Musikland Deutschland? kritisch: Es wird einfach zu wenig Geld für Wie bewerten sie ihre Chancen Kultur ausgegeben. Dabei ist Deutschland doch ein Musik-Mekka und sollte es auch als professionelle Instrumenta- bleiben. Wenn man darüber nachdenkt, listen? wie viel für deutsche Fußballvereine ausge- Das MUSIKFORUM befragte Mitglieder geben wird und wie viel für uns… das finde des Bundesjugendorchesters (BJO): Wie ich schon ziemlich bescheiden. steht es um die hiesige Orchesterszene und Das Schlimme: Viele Orchesterstellen die Ausbildung, wie reagiert das Umfeld bleiben hier unbesetzt. Orchester haben auf ihre persönlichen Ambitionen? einfach keinen Bock, die Stellen zu beset- Die Antworten lesen Sie verstreut in zen, Aushilfen sind ja viel lukrativer. diesem Heft. Trotzdem möchte ich Orchestermusiker Umfrage: werden. Es ist einfach cool, in einem Zu wenig Geld für Kultur Orchester zu sitzen – und Sinfonien sind Junge Musiker – glücklich schon eine Super-Sache. Diese Gemein- Fabian Kläsener (Violine, 19): in Deutschland? schaft hat man als Solist nicht. Meine Meinung zur deutschen Musik- Was die Ausbildung anbelangt: Prin- szene? Ich finde, es spielen zu viele Aus- zipiell würde ich auch im Ausland studieren. länder in den Konzerten. In meinen Nach- Die eigenen Künstler werden viel zu wenig Leider sind da aber die Lehrer nicht so gut. barort kommen weißrussische Orchester zu gepusht. Venezuela und Dudamel – das Die besten gibt es hier. Gastspielen, aber keine aus Deutschland. gibt eine gute Story her, die sich verkauft. ˇ

 12 MUSIK ORUM Dauerthema: Struktur- und Finanzprobleme der Kultureinrichtungen. Bernd Wagner über Lösungen und neue Herausforderungen Wie?Warum? Wozu? DIE KULTURPOLITIK VOR KERNFRAGEN

Privatwirtschaftliche Förderung wird immer bedeutender: Der Kulturkreis der deutschen Die wirtschaftliche Konjunktur der letz- achdem in den vergangenen Wirtschaft intensiviert mittels unterschied- NJahren aus der Kulturpolitik ten Jahre hat sich somit positiv auch auf die lichster Projekte den Dialog zwischen Kultur immer wieder negative „Finanz- öffentliche Kulturfinanzierung ausgewirkt. und Wirtschaft. Seit 2006 verleiht er mit Allerdings betrifft dies nur die nominelle Ent- seinen Partnern Süddeutsche Zeitung und Nachrichten“ kamen – wie fortge- wicklung. Unter Einbeziehung der Inflations- Handelsblatt auf einer jährlichen Festveran- setzte Kürzungen der Kulturetats, rate liegt das Niveau der öffentlichen Kultur- staltung (Bild) den Deutschen Kulturförder- die drohende oder auch vollzogene ausgaben unter dem des Jahres 2000. Mit preis als einzige bundesweite Auszeichnung Schließung von Kultureinrichtungen der gegenwärtigen Entspannung sind auch für unternehmerische Kulturförderung. © Kulturkreis/Butzmann und ein verstärkter Einspardruck –, nicht die grundlegenden finanziellen und struk- gibt es gegenwärtig vermehrt turellen Probleme der Kulturetats und der öffentlich getragenen Kultureinrichtungen lem auf die personalintensiven Theater, Or- erfreuliche Meldungen zu Fragen beseitigt. Viele Kommunen sind weiterhin so chester und Museen zu. Demgegenüber geht der Kulturfinanzierung. hoch verschuldet, dass sie unter Haushalts- die Förderung von nicht an Institutionen vorbehalt stehen. Und die Summe der not- gebundenen Kunstaktivitäten sowie von freien In dem im Juli im Bundeskabinett verab- wendigen Instandhaltungsinvestitionen in den Kulturprojekten und von Künstlern außer- schiedeten Bundeshaushalt 2009 ist zum kommenden zehn Jahren übersteigt bei wei- halb der Häuser weiter zurück. Gleichzeitig dritten Mal in Folge der Etat des Bundesbe- tem die Leistungskraft von Kommunen und ist die Publikumsentwicklung – abgesehen auftragten für Kultur und Medien gestiegen. Ländern, was Konsequenzen auch für den von den großen Highlights der „Jahrhundert- Der Anteil des Bundes an den öffentlichen Kulturbereich hat. Auf absehbare Zeit wer- ausstellungen“ und Festivals der „Megastars“ Kulturausgaben liegt nun mit über 1,1 Mrd. den die seit Mitte der neunziger Jahre viru- – in einer Reihe von öffentlich getragenen Euro bei fast 15 Prozent. Auch die Mittel für lent gewordenen Finanz- und Strukturprob- und geförderten Kultureinrichtungen rück- Kultur in den Landes- und Kommunalhaus- leme der Kulturhaushalte und Kultureinrich- läufig oder sie stagniert – mit der Folge sin- halten verzeichnen 2007 und 2008 erstmals tungen weiter das kulturpolitische Handeln kender Einnahmen und verstärkten Legiti- nach mehreren Jahren der Kürzung wieder entscheidend mitbestimmen. mationsdrucks. Zuwächse. Hinzu kommen teilweise umfang- Die strukturellen Probleme bestehen Angesichts dieser und weiterer Probleme reiche investive Ausgaben für Neubauten und besonders darin, dass ein immer größerer Anteil haben Kultureinrichtungen und Kulturpoli- Renovierungen von Theatern, Konzerthallen der Kulturförderung – bedingt durch wach- tik in Kommunen und Ländern in den letz- und Museen. sende feste Personalkosten – vor allem in ten Jahren vielfach neue Wege eingeschla- Kulturinstitutionen fließt. Dies trifft vor al- gen. Dazu gehören – als direkte Reaktion auf

 MUSIK ORUM 13 FOKUS

die angespannte Finanzsituation vieler Kul- veränderte Stadtwirklichkeit die Kulturpoli- Neuorientierung kulturpolitischen Denkens tureinrichtungen – die Bemühungen um zu- tik vor neue Herausforderungen. und Handelns angestoßen, die sich langsam sätzliche Finanzierungsquellen wie Einnah- Der demografische Wandel, schrumpfende entwickelt. Dabei geht es nicht nur um das men durch Museumsshops, Cafés, Vermie- Städte, die wachsende multiethnische und „Wie“, sondern auch um das „Wozu“ und tungen und vor allem durch Aktivitäten, die multikulturelle Vielfalt der Bevölkerung so- das „Warum“ öffentlicher Kunst- und Kul- dazu beitragen, neue Publikumsschichten zu wie die Individualisierung und Pluralisierung turförderung und ihrer Legitimation, um ihre erschließen und höhere Besuchs- und Teil- der Lebenswelten, aber auch eine wachsen- konzeptionellen Grundlagen und ihre hand- nahmezahlen zu erreichen. de Armut und ein weiteres Auseinanderdrif- lungsleitenden Paradigmen. ten von arm und reich bilden – gemeinsam Die verstärkte Einbindung ehrenamtlich- Sponsoring, Mäzene und mit den finanziellen und strukturellen Prob- bürgerschaftlichen Engagements und die grö- Partnership-Modelle lemen des Kultursektors – die Bedingungen, ßere Bedeutung kulturwirtschaftlicher Akti- unter denen heute Kommunal- und Kultur- vitäten, eine immer häufiger anzutreffende Von besonderer Bedeutung sind hier struk- politik stattfindet. „Verantwortungspartnerschaft“ bei der Finan- turelle Reformen der Kulturinstitutionen und Zudem sieht sich die öffentliche Kultur- zierung und Trägerschaft von Kultureinrich- der Kulturförderung, der gezielte Einsatz des politik herausgefordert vom Wandel der kul- tungen in Form von Public-Private-Partner- Kulturmanagements sowie eine stärkere Ein- turellen Präferenzen großer Teile der Bevöl- ship-Modellen oder die Veränderung staat- bindung nichtöffentlicher Akteure in die Fi- kerung. Dieser Wandel wird durch die Ver- lich-kommunaler Kulturpolitik im Sinne ei- nanzierung und Trägerschaft von Kulturan- vielfachung der kulturellen Angebote und nes „aktivierenden Staats“ weisen seit eini- geboten und Einrichtungen. Hierzu zählen besonders durch die rasche Entwicklung der gen Jahren den gesellschaftlichen und privat- die Bemühungen um einen größeren Anteil audiovisuellen Medien, der neuen Kommu- wirtschaftlichen Akteuren im Kulturbereich privatwirtschaftlicher Förderung, intensivere nikationstechnologien und des Internets so- eine größere Bedeutung zu und relativieren Sponsoring-Aktivitäten und die Gewinnung wie durch einen immens gewachsenen Frei- staatlich-kommunales Handeln im Kulturbe- mehr mäzenatischer Unterstützung ebenso zeitsektor weiter vorangetrieben. Und so muss reich, ohne Staat und Kommunen aus ihrer wie Public-Private-Partnership-Modelle und die Kulturpolitik ihr praktisches Handeln Verantwortung zu entlassen. Diese Verän- eine vermehrte Aktivierung bürgerschaftlichen daraufhin überprüfen, inwieweit sie noch den derungen haben bei all ihrer Verschieden- Engagements und ehrenamtlicher Mitarbeit. veränderten kulturellen Bedingungen und Be- heit und ihrer teilweise noch halbherzigen Die Enquete-Kommission „Kultur in dürfnissen gerecht wird. Umsetzung einen gemeinsamen Kern in der Deutschland“ des Deutschen Bundestags geht Auch wenn es für viele nicht zum Aufga- Neujustierung des Verhältnisses von staatlich- in ihrem über 500 Seiten starken Abschluss- benfeld von Kulturpolitik gehört und als Über- kommunaler Politik, gesellschaftlicher Selbst- forderung angesehen wird: verantwortung und marktwirtschaftlichen Kulturpolitische Akteure Mechanismen. und Kulturpolitik insge- samt können sich nicht für Neue Qualität kulturpolitischer unzuständig erklären, wenn Aufgabenwahrnehmung es – als zentrale gesell- schaftliche Herausforde- Dieses schon immer vorhandene, mal rung – darum geht, die Zer- engere, mal lockerere Zusammenwirken von störung von ökologischen öffentlicher Kulturpolitik, kulturwirtschaft- Grundlagen menschlichen lichen Strukturen und gesellschaftlich-bürger- Zusammenlebens zu ver- schaftlichem Engagement bei der Hervorbrin- hindern. Die weitere Kli- gung, Sicherung und Weiterentwicklung der maerwärmung hat sowohl vielfältigen Kulturlandschaft bekommt bei den tiefgreifende ökologische gegenwärtigen Veränderungen der kulturpo- Auswirkungen wie erheb- litischen Praxis eine neue Bedeutung und liche soziale Folgen, u. a. nimmt eine intensivere Form an. mit den jetzt schon begon- Mit einer solchen „kooperativen Kultur- nenen realen Kriegen um politik“ werden die Kompetenzen und Po- Wasser und den absehba- tenziale der unterschiedlichen kulturellen ren Migrationswanderun- Akteure aufgegriffen, wird durch eine Kom- Privates Engagement in der Kultur: Der Percussionist Martin gen von mehreren hundert bination von öffentlicher Verantwortung, Grubinger bei den Niedersächsischen Musiktagen, die von der Niedersächsischen Sparkassenstiftung seit 1987 in Zusammen- Millionen Menschen. Die- Marktdynamik und gesellschaftlicher Partizi- arbeit mit örtlichen Mitveranstaltern durchgeführt werden. se „Klimakriege“ (Harald pation eine neue Qualität kulturpolitischer Foto: Christian Schneider Welzer) sind kein Natur- Aufgabenwahrnehmung erreicht. Angestrebt ereignis, sondern von Men- werden „gemischte Strukturen“, „hybride Or- bericht auf viele dieser Probleme und Aspekte schen verursacht und Folge unseres kulturel- ganisationen“ und ein Regulierungsmix, der ein; zahlreiche der über 400 Verbesserungs- len Umgangs mit der Natur und mit uns selbst, die jeweiligen Ressourcen der einzelnen Be- vorschläge beziehen sich darauf. Über die Ausdruck unserer „Klimakultur“. reiche kombiniert. strukturellen und finanziellen Probleme der Diese gesellschaftlichen, kulturellen und Hierbei befindet sich Kulturpolitik noch Kultureinrichtungen und der Kulturförderung kulturpolitischen Veränderungen und neu- am Anfang und muss Strukturen, Verfahren hinaus stellen jedoch auch die allgemeinen en Herausforderungen haben in der Kultur- und Methoden dieser Zusammenarbeit bei gesellschaftlichen Entwicklungen und die politik eine Diskussion der Überprüfung und Beibehaltung ihrer öffentlichen Verantwor-

 14 MUSIK ORUM »Nicht nur durch die Finanznot der öffentlichen Hand, vielmehr auch im gehört zur „kulturellen Grundversorgung“, die Rahmen der Debatte um ein wiedererstarkendes von Kürzungen unberührt bleiben soll? bürgerschaftliches Engagement, gewinnt das Dringlich ist eine konzeptionelle Verstän- digung darüber, mit welchen Zielen in der private Engagement in der Kultur Kommune und im Land Kulturpolitik betrie- an Bedeutung. ben wird bzw. betrieben werden soll, wel- « che Strukturen dafür angemessen und finan- zierbar sind und welche Schwerpunkte gesetzt werden sollen. So würde eine gute Grundla- Zitiert aus dem Schlussbericht der Enquete-Kommission ge geschaffen für kulturpolitisches Handeln, „Kultur in Deutschland“ (Seite 46) das den gegenwärtigen wie zukünftigen fi- nanziellen und gesellschaftlichen Herausfor- derungen sowie veränderten kulturell-künst- tung entwickeln. Vielfach wird zudem das Kulturpolitik sind neue Antworten auf Fra- lerischen Bedingungen gerecht werden kann. Bekenntnis zu einer solchen Kooperation durch gen gefordert, die über das Handeln entlang Eine Diskussion über solche Aspekte der die praktische Politik konterkariert, etwa durch althergebrachter „Selbstverständlichkeiten“ Kulturpolitik ist – gerade wegen der vielen die vorrangige staatlich-kommunale Förde- hinausgehen und die inhaltlich-konzeptionellen praktischen Probleme und gesellschaftlichen rung der „eigenen“ Einrichtungen, durch ord- Grundlagen einer zeitgemäßen Kulturpolitik Veränderungen – ebenso notwendig wie über nungspolitische, besonders steuerrechtliche betreffen: Entlang welcher inhaltlichen Vor- die konkreten kulturpolitischen Vorschläge Barrieren oder die Nichtweitergabe von Ta- stellungen findet gegenwärtige Kulturpolitik der Enquete-Kommission. rifsteigerungen an Zuwendungsempfänger. statt bzw. sollte sie stattfinden? Wie finden Im Abschlussbericht der Enquete-Kommis- die veränderte gesellschaftliche Wirklichkeit Der Autor: sion gibt es eine Reihe von Vorschlägen zu und die neuen kulturellen Interessen der Men- Bernd Wagner ist wissenschaftlicher Leiter des Instituts dieser Verantwortungspartnerschaft, in de- schen darin Eingang? Worin besteht der „öf- für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V., nen „aber noch eine Menge Staat steckt“ fentliche Auftrag“ der Kulturförderung? Was Bonn. (Norbert Sievers) und die zudem bei den gegen- wärtigen Diskussionen um symbolische Ak- tivitäten – wie die Fokussierung auf die Ver- ankerung eines „Staatsziels Kultur“ im Grund- ANZEIGE gesetz – in den Hintergrund treten. Diesem „Staatsdenken“ entspricht ein noch immer die Kulturpolitik prägender „Institu- tionalismus“. In der Regel geht kulturpoliti- sches Denken und Handeln von den Kultur- einrichtungen aus – statt zu fragen, was für das Erreichen kulturpolitischer Ziele notwen- dig, sinnvoll und finanzierbar ist und wie von der Kulturpolitik auf die veränderten gesell- schaftlichen Bedingungen eingegangen wer- den kann. Dazu wäre es notwendig, von der Stadt als Ganzes aus zu denken, vom sozialen Gebilde Kommune als Ort der Integration und Partizipation, des innergesellschaftlichen Dialogs, des Aushandelns von Interessen und Austarierens von Widersprüchen sowie der kulturellen „Daseinsvorsorge“ der Bevölke- rung. An diesem Diskurs des Städtischen, den es seit einigen Jahren wieder verstärkt gibt, beteiligt sich die Kultur- wie die gesamte Kommunalpolitik noch zu wenig, sodass er sich bisher kaum in praktischer Politik nie- derschlägt. Bei einer solchen Herangehensweise ist es zwangläufig, dass intensiver danach gefragt wird, für wen und für was die öffentlichen Mittel ausgegeben werden. Die verschiede- nen konzeptionellen Begründungen und in- haltlichen Zielsetzungen, die in früheren Phasen Orientierung für kulturpolitische Praxis wa- ren, stehen dabei auf dem Prüfstand. Von der FOKUS

Kultursenatorin Karin von Welck und Bundesminister a. D. Gerhart Baum im Gespräch über die Notwendigkeit der Integration von Kultur in die Gesellschaft

»KULTURFÖRDERUNG IST NICHT KÜR, SONDERN Pflicht!«

Sie sind sowohl Experten als auch Prakti- Baum: Ich habe im Laufe meiner langen muss. Dafür bin ich sehr dankbar. Auch in ker der aktuellen Kulturpolitik: Karin von Erfahrungen in der Kulturpolitik mit Freude Hamburg hat der kulturpolitische Diskurs Welck, Hamburger Senatorin für Kultur, Sport gesehen, dass Kulturpolitik immer mehr zugenommen, wozu unser großes Zukunfts- und Medien, und der ehemalige Bundesmi- zum Thema geworden ist. Die meinungs- projekt, die Elbphilharmonie, sicherlich bei- nister und Kultur-Delegierte Gerhart Baum. bildenden Feuilletons der Zeitungen befas- getragen hat. Als der Plan entstand, Hamburg Mit ihnen unterhielt sich Christian Höpp- sen sich heute intensiv damit. Sie widmen zu einer Musikmetropole zu profilieren, ner über Beispiele staatlicher Kulturförderung sich zunehmend den Rahmenbedingungen, hielten dies anfangs alle für unmöglich. und Initiativen in den Bereichen kulturelle unter denen Kunst und Kultur entsteht, Aber das Projekt Elbphilharmonie wirkt in Bildungsmaßnahmen und kulturelle Vielfalt. und nicht nur dem Endprodukt wie z. B. der öffentlichen Wahrnehmung dermaßen, einer Theateraufführung. Der Bundestag ist dass es Projekte nach sich zieht, die auch Kulturpolitik – die schönste Nebensa- mit der Enquete-Kommission „Kultur in auf eine Verbesserung der Basis abzielen. che der Welt? Deutschland“ diesem Anspruch gerecht Eine Fülle von spannenden Vorhaben wird Karin von Welck: Kulturpolitik ist sehr geworden. Kulturpolitik ist auf allen staat- erst im Zuge der Elbphilharmonie verwirk- wichtig. Wir müssen als Kulturpolitiker da- lichen Ebenen wichtig, der Bund aber hat licht. Ich glaube z. B. nicht, dass sich Ham- für sorgen, dass das auch von der Gesell- eine wichtige Vorbildfunktion. Das Problem burg ohne diese Vision beim Netzwerk schaft verstanden wird. Kultur ist eben nicht sind die Mitglieder der Parlamente – und Neue Musik, der Ausschreibung der Kultur- das Sahnehäubchen, sondern – wie Johan- sie sind in der Mehrheit –, denen Kultur stiftung des Bundes, beworben hätte. Es nes Rau es so schön gesagt hat – sie ist die gleichgültig ist. Wir müssen ihnen zeigen, gibt hervorragende Künstler in Hamburg. Hefe im Teig der Gesellschaft. dass Kunst ein Lebenselement für die ganze Unsere Orchester strengen sich in einem Gesellschaft ist, auch wenn sich nur eine bemerkenswerten Wettbewerb an, ihre Was sagt der ehemalige Bundesinnen- Minderheit dafür interessiert. Der zeitge- Leistungen noch zu übertreffen. Simone minister, der auch Kulturminister war? nössische Künstler hat Anspruch darauf, Young und Christoph von Dohnányi als Gerhart Baum: Ohne die Kreativität wahrgenommen und ernst genommen zu Dirigenten sind wahre Glücksfälle für unse- der Künstler, die das Neue, Ungewohnte, werden. Die Menschen sind zugemüllt mit re Stadt, die Hamburger Symphoniker be- das oft zunächst Unverständliche erschließen, allen möglichen Eindrücken, auch mit akus- grüßen zu Beginn der Spielzeit 2009/2010 verarmt eine Gesellschaft. Wir sind nach tischen. Wir müssen gegen ihre Ängste und Jeffrey Tate als ihren neuen musikalischen unserem Selbstverständnis und nach unse- ihre Bequemlichkeit ankämpfen, damit sie Leiter. Wir haben die Initiative „Jedem Kind rem Grundgesetz ein Kulturstaat. Das Bun- sich der Anstrengung unterwerfen, Kunst ein Instrument“ gestartet. Ich bin jedoch desverfassungsgericht hat soeben seine wahrzunehmen. In der bildenden Kunst der Meinung, dass musikalische Bildung Rechtssprechung bekräftigt, wonach der geht dies sehr viel einfacher. Dem Unange- noch viel früher anfangen muss. Vor dem Staat die Pflicht hat, die Kultur nicht nur nehmen oder dem Provozierenden entzie- Erlernen eines Instruments muss eine Grund- zu schützen, sondern auch zu fördern. hen sich die Menschen, indem sie einfach musikalisierung gesichert sein. Es muss mehr von Welck: Unterstützung ist aber zum nächsten Bild gehen. gesungen werden. Deshalb haben wir ein wichtig. In meinem Senat brauche ich die generationsübergreifendes Projekt mit Unterstützung des Bürgermeisters und Wird sich diese Querschnittsaufgabe Senioren in Kindergärten gestartet. Es ist natürlich auch die des Finanzsenators und von Kulturpolitik bei der Senatsbildung in Ham- schön zu sehen, dass mit dem Ziel der Elb- der anderen Kollegen. Sie haben glücklicher- burg vielleicht auch im Hinblick auf eine Part- philharmonie auch die Basis in Bewegung weise eingesehen, dass Kultur nicht nur nerschaft mit den Grünen bemerkbar machen? gekommen ist. „nice to have“, sondern „need to have“ ist. von Welck: Im Hamburger Wahlkampf Man muss Überzeugungsarbeit leisten. hat mir sehr gefallen, dass bei allen Parteien Ist die vergleichsweise große Einigkeit Konsens darüber bestand, wie wichtig Kul- in der Kulturpolitik in manchen Fällen auch Wie schätzen Sie die Unterstützung tur für Hamburg ist und dass man für die eine Schwäche, weil der Diskurs nicht die der Gesellschaft und der Medien ein? Kultur weitere finanzielle Mittel freigeben Intensität der anderen Politikfelder erreicht?

 16 MUSIK ORUM © Herzog & de Meur

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Hamburger Zukunftsprojekt Elbphilharmonie: Der Stadt ein Licht aufgesetzt – und Anstoß gegeben für den kulturpolitischen Diskurs

»Es ist schön zu sehen, dass mit dem Ziel der Elbphilharmonie auch die Basis in Bewegung gekommen ist.« Karin von Welck

© Rosa-Frank.com »Wenn die Hamburger eine wunderbare neue Philharmonie bauen, dann ist das ein wichtiges Signal für die Kultur. © privat Allerdings muss in diesem neuen Gehäuse auch das Sperrige aus der Musik zur Geltung kommen.« Gerhart Baum

Gerhart Baum Karin von Welck

von Welck: Im Gegenteil: Ich bin rich- Kulturradios, die sich zum Teil vom Kultur- der Kunst fern sind. Ich habe im Bundestag tig glücklich über den Konsens der Fraktio- auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immer wieder Kollegen getroffen, die ge- nen. Diese gemeinsame Stärke müssen wir entfernt haben. Die Enquete-Kommission sagt haben: „Wir verstehen zwar nicht, was nutzen, denn nicht alles ist herrlich und findet dazu sehr kritische Worte. Es ist Sie da machen und was da gefördert wird, großartig. Die ersten Schritte haben wir an- schlimm, wenn Kulturverantwortliche im aber wir haben das Gefühl, dass es wichtig ständig bewältigt, aber gerade in der Musik- Rundfunk nur nach der Quote und nicht ist.“ vermittlung ist noch viel zu tun. Wir haben nach dem Inhalt fragen. Diese Orientierung Dass allein diese Überzeugung wächst, in Hamburg, auch im Hinblick auf das Pro- am Mainstream, an einer Kosten-Nutzen- ist wichtig. Kulturförderung ist keine Sub- jekt Elbphilharmonie, zum ersten Mal einen Rechnung in einer Gesellschaft, die sehr vention für konjunkturelle Schönwetterzei- Kongress zur Musikvermittlung veranstaltet, stark nach Effizienz-Gesichtspunkten organi- ten. Sie ist Pflicht und nicht Kür. den man schon vor 20 Jahren hätte machen siert ist, passt nicht für die Kultur. Wir müs- können. Wir haben noch viele Aufgaben sen uns dagegen massiv wehren. Vom Rund- Welche Entwicklungspotenziale sehen zu bewältigen, sodass es gar nicht genug funk hat das Bundesverfassungsgericht ge- Sie bei der Programmgestaltung der Konzert- Mitstreiter geben kann. fordert, dass er auch Programme anbietet, häuser? Baum: Kulturpolitik muss sich Ziele set- die mit hohen Kosten produziert werden Baum: Da ist ja glücklicherweise einiges zen, sodass eine eigene Dynamik entsteht. und nur einen kleinen Hörerkreis erreichen. im Fluss: Die Programmgestalter gehen in Musikvermittlung ist ganz wichtig. Sicher Wo stünden die zeitgenössische Musik und die Schulen und machen Mittagskonzerte. ist es gut, viele Zuhörer zu haben. Aber das die Musik überhaupt ohne den öffentlichen Ich werde Günther Wand nie vergessen, kann nicht das ausschlaggebende Kriterium Rundfunk? Wir sind auf das Wohlwollen der in jedem Konzert ein zeitgenössisches sein – auch nicht für die Sendungen der vieler Entscheidungsträger angewiesen, die Stück aufführte. Als er dabei einmal Riesen-

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protest erntete, drehte er sich um und sagte: selbstverständlich sein, dass Kinder in den schichte, die allen Spaß macht und von der „Ich habe bemerkt, dass Sie das nicht ver- Kindergärten und Grundschulen mit Musik alle profitieren. Die Erzieher sind entlastet, standen haben. Ich spiele das noch einmal.“ und anderen Künsten intensiv in Berührung die Senioren können ihre Fähigkeiten weiter- Man muss ein Publikum auch erziehen gebracht werden. Diesen Nutzen für die geben und die Kinder werden an die Musik und heranführen. Gute Dirigenten tun das. Gesellschaft müssen wir gut erklären können. herangeführt. Zum Teil entwickelt sich eine Die Argumente sind auf unserer Seite. derart nette Beziehung zwischen den Sing- Musik und Kultur um ihrer selbst paten und den Kindern, dass die Kleinen willen fördern: Hat dieser Ansatz aus ihrer Der Deutsche Musikrat hat in seinem schon am Gartenzaun stehen, wenn die praktischen Erfahrung im Hamburger Senat Zweiten Berliner Appell u. a. die Forderung Singpaten kommen. Wir sind gerade dabei, eine Chance oder muss man mit dem Verwer- aufgestellt, dass Erzieherinnen wieder in der das Programm von 30 Kindergärten aus tungsgedanken, ob und inwiefern es der Ge- musikalischen Elementarerziehung qualifiziert der ersten Phase auf 60 auszudehnen. Dabei sellschaft nutzt, operieren? werden müssen. Gibt es hierzu auf Länder- unterstützt uns die Firma Beiersdorf. Das von Welck: Es ist sehr hilfreich, wenn ebene aktuelle Entwicklungen? Schöne ist, dass es immer mehr Firmen gibt, man die Notwendigkeit von Kultur mit Baum: Die Regierung in Nordrhein- die sich ihrer sozialen Verantwortung für wissenschaftlichen Untersuchungen unter- Westfalen hat das Augenmerk auf die Ganz- die Stadt bewusst werden. Und da es sich mauern kann. So hat sich z. B. die Gehirn- tagsschulen und die Vermittlung von Kultur, oft nicht um Riesenbeträge handelt, sind forschung in den vergangenen Jahren damit also nicht nur auf die Musik gelenkt. So ist solche Programme auch durchaus finan- befasst, wie wichtig es für Kinder ist, sich z. B. das Programm „Kultur in den Schulen“ zierbar. früh mit Musik zu beschäftigen. Wir haben entstanden, in dem Künstler in die Schulen Baum: Das ist genau der Punkt: Kultur- in Hamburg einen starken Schwerpunkt auf gehen. förderung hat einen marginalen Finanzie- die Kinder- und Jugendkultur gesetzt. Das von Welck: Wir alle haben erst jetzt rungsbedarf, gemessen an der Höhe der ist ein großartiger Hebel in den Köpfen der begriffen, was in der Ausbildung der Kinder- staatlichen Gesamtausgaben. Das gilt für anderen. Wir argumentieren damit, dass gartenerzieher versäumt wurde, nun müssen die Länder und die Gemeinden, vom Bund unser wichtigster „Rohstoff“ die nachwach- wir nachsteuern. Das hat erhebliche Konse- ganz zu schweigen. Wir haben in Nordrhein- sende Generation ist. Wir müssen uns darum quenzen für die Ausbildung selbst und Westfalen eine Verdoppelung des Kultur- förderungsetats erfahren. Andererseits ver- liert das Land jetzt mehrere Milliarden bei der Landesbankkrise. Das steht in keinem Verhältnis. Es ist lächerlich, ernsthaft da- rüber zu sprechen, dass man mit Einsparun- gen in der Kultur den Staatshaushalt sanie- ren und den Schuldenabbau betreiben könnte. Ich möchte, dass die Menschen schon im Kindergarten erfahren, welche Impulse für das eigene Leben von der Kunst ausgehen können. Die Entwicklung von Kreativität ist ebenso wichtig wie der Umgang mit Wissen.

Bundesweit stehen zurzeit 100 000 Schüler auf den Wartelisten der Musikschulen „Es muss wieder selbstverständlich sein, dass Kinder mit Musik intensiv in Berührung und die Situation in den allgemein bildenden kommen“: Perkussionsunterricht auf dem Stuttgart Jugendkongress – ein Kooperations- Schulen ist im Großen und Ganzen defizitär. projekt mit dem Netzwerk Neue Musik. © Musik der Jahrhunderte Was muss passieren, damit ein Ruck durch alle Länder geht? kümmern, dass die Gesellschaft weiterhin auch für deren Finanzierung. Wir müssen Baum: Es ist beschämend, dass unser an Musik und Kultur interessiert ist. Es ist in die nachwachsende Generation investie- Land, das immerhin zu den reichsten der erschreckend, dass heute oft schon die ren und diese Investition muss schon im Welt gehört, bei den Bildungsausgaben im Eltern keine gute kulturelle Ausbildung und Kindergarten anfangen. unteren Bereich liegt. Wir müssen zu einer keine ästhetische Erziehung mehr hatten, Wir setzen in Hamburg mit der Yehudi Bewusstseinsveränderung kommen. Es ist sodass sie gar nicht merken, was ihren Menuhin Stiftung das Programm „Canto gut, dass der Deutsche Musikrat sich dafür Kindern entgeht. Unsere Generation muss Elementar“ um: Grundidee ist, dass in der einsetzt. Wir müssen uns Verbündete suchen, dafür sorgen, dass gegengesteuert wird, weil Generation 50+ viele gerne singen, noch aber wir sind auch keine Bittsteller um Sub- es schön und richtig ist, sich mit Kultur zu die Texte alter Lieder kennen und sich ventionen. Man muss dankbar alles akzep- beschäftigen, aber auch weil Kultur viele ehrenamtlich engagieren möchten. Nach tieren, was die Sponsoren tun. Und wenn positive Effekte auf die Kinder hat: Ihre einem ersten Aufruf haben sich gleich 200 die Hamburger eine wunderbare neue Elb- Kreativität, ihr Miteinanderumgehen und Menschen gemeldet, die sich bereit erklärt philharmonie bauen, natürlich auch um die Disziplin werden gefördert. Eine Fülle haben, nach einer kurzen Schulung regel- der Stadt ein Licht aufzusetzen, dann ist es von Schlüsselkompetenzen wird durch das mäßig in die Kindergärten in Hamburg zu ein wichtiges Signal für die Kultur. Musizieren und gerade durch das Miteinan- gehen, um dort mit den Erziehern und Allerdings muss in diesem neuen Gehäuse dermusizieren gefördert. Es muss wieder Kindern zu singen. Das ist eine Erfolgsge- auch das Sperrige, nicht ohne weiteres

 18 MUSIK ORUM » Im Handeln des Einzelnen Eingängige aus der Musik zur Geltung haben Rundfunkorchester, Kompositions- und im Wirken der gesellschaftlichen kommen. Hamburg hat ja auf diesem aufträge sowie eine Fülle von kleinen En- Institutionen manifestiert sich Kultur Sektor eine gute Tradition. sembles. Bei allen Bedrohungen, bei allen von Welck: Sie haben Recht: Man muss Defiziten sind wir gut dran. Wir haben durch Symbolbildungen, humane Werte immer wieder neue Verbündete suchen. etwas zu bewahren, das sich im Laufe der und soziale Standards, die den Alltag Aber das ist manchmal schwieriger als er- Jahrzehnte entwickelt hat. Wir sind für die erkennbar prägen. wartet, wie ich kürzlich erlebt habe. Ich bin Kulturentwicklung etwa im Bereich der « Präsidentin des Deutschen Evangelischen Neuen Musik nach wie vor ein Pilotland Kirchentags 2009 in Bremen. Als Kultur- mit großen Möglichkeiten. Zitiert aus dem Schlussbericht der senatorin möchte ich viel für Kunst und von Welck: Aber wir können auch vom Enquete-Kommission Musik tun und diese auf dem Kirchentag Ausland lernen. Gerade im Bereich der „Kultur in Deutschland“ (Seiten 47/48) sichtbar machen. Im Moment besteht der Musikvermittlung, im so genannten Educa- Kirchentag in Bremen aus vielen schönen tion Sector, können wir viel von Großbri- Ideen für musikalische Rahmenprogramme: tannien lernen. Sir Simon Rattle hatte seinen Es soll gesungen werden und Posaunen- Riesenerfolg mit den Zukunftsprojekten für Herr Baum, Sie sind von der Exeku- chöre sollen auftreten und vieles mehr. Jugendliche, weil er Verbündete aus Groß- tive als ehemaliger Bundesinnenminister jetzt Was uns aber fehlt, ist der Diskurs zwischen britannien hatte. Er hat Royston Maldoom als Exponent des Kulturrats des Landes Nord- Kirche und Kultur, der schwer durchzuset- und Richard McNicol während seiner Zeit rhein-Westfalen Vertreter der Zivilgesellschaft. zen ist. Dabei haben wir so viele Gemein- in England kennen gelernt. Sie sind als Pio- Was kann die Zivilgesellschaft beitragen, um samkeiten. In Kirche und Kultur bemühen niere hierhergekommen und bringen uns diese Schere zu schließen? wir uns um das gleiche Publikum und des- bei, wie man das richtig macht. Baum: Die Zivilgesellschaft besteht auch halb müssen wir uns verbünden. Dass bei Baum: Ja, das stimmt, dennoch: Der aus den Verbänden, z. B. aus dem Deut- den Sparanstrengungen in den Kirchen Nährboden für die Neue Musik ist bei uns schen Musikrat, der bei uns im Kulturrat landauf, landab zuerst die Kantorenstellen sehr viel besser. Wir müssen auch die öffent- NRW die größte Organisation ist. Der Musik- gestrichen werden, ist eine Katastrophe. lichen Rundfunkanstalten, die im Bericht rat hat da eine ganz wichtige Funktion mit Zum Teil hat die Kirche noch nicht verstan- der Kultur-Enquete dahingehend kritisiert seinen Anregungen, Programmen und Ein- den, wie wichtig die Vermittlung der Kultur werden, dass sie den Kulturauftrag nicht flüssen auch auf die Politik. Er hat den im kirchlichen Rahmen ist, um ihre Bot- ernst nehmen, zwingen, mehr Angebote zu Sachverstand, die Nähe zum Thema. Das schaft weiterzubringen. Ich muss allerdings machen. ist ein Stück Zivilgesellschaft, so wie wir sagen, dass wir auch in Kirchenkreisen viele das auch mit den Kulturräten im Bund und Verbündete haben, die sehr gut begriffen Maßnahmen der Eventisierung in in NRW sind. Gemeinsam bemühen wir haben, dass sie Kultur für ihre Vermittlungs- diesem Bildungsbereich, wie z. B. das Educa- uns, die Rahmenbedingungen für Kultur arbeit brauchen. tion-Programm der Berliner Philharmoniker, positiv zu beeinflussen. wecken das Interesse der Kinder und Jugend- Hat sich Kirchenmusik als Teil der lichen. Wie können wir wieder den Bezug zu Nehmen Sie die wachsende Bedeutung Verkündigung nicht durchgesetzt? den Orten erster kultureller Begegnung wie der zivilgesellschaftlichen Organisationen in von Welck: Zumindest sehe ich nicht Kindergarten, Schule, Musikschule herstellen, Ihrer politischen Arbeit wahr? überall, dass man das verstanden hat. Aber um die geweckten Impulse zu befriedigen? von Welck: Wir haben in Hamburg eine gerade auf dem Land sind Kirchen oft die von Welck: Man muss für Nachhaltig- starke Bürgerstiftung, die sich sehr verdient einzig bestehenden Kulturträger und die keit sorgen. Man kann nicht darauf bauen, macht und es immer wieder schafft, neue Chorleiter und Kirchenmusiker damit un- dass mit einem hervorragenden Projekt alles Verbündete zu finden und auf Themen auf- glaublich wichtig. Es wäre verheerend, dies getan ist. Das habe ich gelernt, als wir Roys- merksam zu machen, die uns allen wichtig nicht als dringend förderungswürdig anzu- ton Maldoom für ein Projekt zum Kongress sind. Außerdem haben wir das Glück, in sehen und nur danach zu schauen, ob der „Kinder zum Olymp“ in Hamburg eingeladen Hamburg in der Stiftungshauptstadt zu Apparat funktioniert. haben. Das Projekt war relativ teuer und leben. Hier gibt es über tausend Stiftungen es war toll, dass sich der Deutsche Musikrat und davon engagieren sich viele im kultu- Gibt es Initiativen, um Menschen in Berlin so engagiert hat und wir in Ham- rellen Bereich. Außerdem gibt es zunehmend wieder für Konzerte zu begeistern? burg einen Sponsor gefunden haben, der Privatleute, die sich mit ihrem Wohlstand Baum: Hamburg profitiert von dem an- dieses Projekt mit einer Grund- und Real- nicht gemütlich zurückziehen, sondern sich laufenden Netzwerkprogramm „Neue Musik“ schule in Langenhorn durchgeführt hat. für die Zivilgesellschaft engagieren. Ich sehe der Bundeskulturstiftung. In diesem Erpro- Das Projekt war ein großer Erfolg und hat eine große Bereitschaft, auch das Unpopu- bungsfeld vernetzen sich Komponisten und in der betreffenden Schule viel bewegt. läre, das die größte Förderungsbedürftig- Künstler, die sich z. B. für Neue Musik en- Davon muss etwas erhalten bleiben; wir keit hat, zu fördern. gagieren. Sie entwickeln gemeinsame Stra- können die Schüler nicht alleine und wieder Wir haben das Glück, für das große und tegien, um neue Wege zu öffnen, die an in den Alltagstrott zurückfallen lassen. für Hamburg unglaublich wichtige Projekt die Menschen heranführen. Generell ist Aber da Maldoom ein großer Pädagoge ist, Elbphilharmonie bereits jetzt 67 Millionen festzustellen: Wir leben in einem Land mit hat er von Anfang an darauf geachtet, viele Euro an privaten Mitteln eingeworben zu einer reichen Kulturlandschaft und mit Hamburger Choreografen in das Projekt haben. Auf dem Weg zur Elbphilharmonie guten Möglichkeiten gerade für die Neue einzubinden, die diese Arbeit jetzt fortfüh- haben wir aber auch für das Feld „Kinder- Musik. Insoweit sind wir mit keinem ande- ren, sodass sich der positive Effekt schnee- und Jugendkultur“ – und da insbesondere ren europäischen Land vergleichbar. Wir ballartig ausbreitet. für Projekte in sozial benachteiligten Stadt-

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teilen – 4,5 Millionen Euro an privaten Jahr in einem auswärtigen Land verbringen. verschiedener Orchester heraushören oder Geldern eingeworben. Die Bürger sehen Das ist zu unserer Zeit noch anders gewesen. gibt es Ihrer Meinung nach bereits eine zu zunehmend das Problem, das unter der Aber man muss dennoch das Feld des kul- starke Globalisierung der Klangästhetik? Überschrift „soziale Stadt“ diskutiert wird. turellen Austauschs noch mehr verstärken, Baum: Ich könnte feststellen, ob es sich Sie sehen die Gefahr des Auseinander- z. B. durch gemeinsames Musizieren. um eine Aufnahme handelt, die vor 20 driftens unserer Gesellschaft und nehmen Jahren gemacht wurde, könnte z. B. Karajan ihre Verantwortung wahr, als Bürger zusam- Wie sehen Sie die Chancen, wenigstens gegenüber Abbado heraushören. Man merkt, men mit der Politik dagegenzuwirken. Die einen Teil der 450 Handlungsempfehlungen nicht nur die Aufnahmetechnik, auch die brennenden Banlieues in Frankreich sind des Berichts der Enquete-Kommission „Kultur Interpretation ändert sich. Musik wird immer ein warnendes Beispiel. Wir müssen dagegen in Deutschland“ umzusetzen? wieder neu entdeckt. Die Aufnahmen von arbeiten, und das kann gerade durch Kultur von Welck: Die Kommission hat sehr Figaros Hochzeit mit Kleiber nach dem geschehen. gute Arbeit geleistet. Die erarbeitete Be- Krieg waren ganz wunderbar, dennoch Baum: Das muss gerade auch durch standsaufnahme ist ein großes Plus. Ich setzt Harnoncourt jetzt ganz neue Akzente. Kultur geschehen. Ich teile Ihre Sorge um freue mich, dass wir mit Bernd Neumann von Welck: Mir geht es auch so: Ich das Auseinanderfallen der Gesellschaft und einen pragmatischen Kulturstaatsminister nehme Unterschiede wahr, aber ich bin mache mir große Sorgen, dass Konflikte haben, und setze darauf, dass er noch eine nicht geschult genug. Alle drei großen offen ausbrechen. Ein Teil der Bevölkerung Menge umsetzen wird. Es ist sehr hilfreich, Orchester, die wir haben, versuchen sich könnte sich an den Rand der Gesellschaft einen Politikpraktiker als Kulturstaatsminister immer wieder an neuen Interpretationen, gedrängt fühlen und höchst irrational reagie- zu haben, der auch weiß, wie man die Men- und dabei hört man die unterschiedlichen ren. Diese Stimmung äußert sich schon bei schen auf der politischen Seite vernetzen Klangfarben. Die Gefahr der Globalisierung Wahlen, etwa bei Stimmabgabe für die NPD. muss, um etwas zu bewegen. Ich baue da- des Klangs ist vielleicht eher gegeben, wenn von Welck: Genau. Und auch, wenn rauf, dass auch in Allianz mit den Ländern Musiker wie Lang Lang plötzlich wie Pop- ein Drittel der Bevölkerung nicht wählt. noch viel auf den Weg gebracht wird. stars gehandelt und durch die Welt geschickt Baum: Zwar haben Kunst und Kultur Baum: In NRW erkunden wir gerade, werden und sich auf bestimmte Interpreta- in dem Sinn keine politische Funktion, aber wie sich die Kulturförderpolitik der Gemein- tionsmuster festlegen. Diese Interpretationen sie müssen dazu beitragen, dass diese Gräben den entwickelt. Sie ist in der Tendenz ne- haben zwar einen großen Wiedererken- – auch in den Möglichkeiten, Kunst und gativ. Das ist eine gefährliche Entwicklung. nungswert und Showeffekt, aber nicht das Kultur wahrzunehmen – sich nicht vertiefen. Die Gemeinden sind die Hauptförderer ernsthafte Bemühen um Vielfalt der großen von Kultur. Das Gegenteil passiert im Bund. Klangkörper in Deutschland, von denen wir Kann die UNESCO-Konvention Bernd Neumann ist ein Pragmatiker. Er hat glücklicherweise viele haben. „Kulturelle Vielfalt“ ein Handlungsinstrument bei der Aufstockung des Kulturhaushalts beim transkulturellen Dialog sein? im Bund viel erreicht. Ich habe eine positive Wie sind Sie selbst von der Musik von Welck: Ich weiß es nicht, vielen ist Erfahrung mit ihm gemacht: Die Finanzie- berührt: Hörend oder auch ausführend? diese Konvention unbekannt. Zwar ist sie rung von Donaueschingen, dem weltweit von Welck: Ich habe als Kind und für uns ein schöner Rückhalt und wir kön- wichtigsten Uraufführungsfestival, war nicht Jugendliche ein bisschen Klavier und viel nen uns auch allgemein gut daran orientie- gesichert. Er hat durchgesetzt, dass Donau- Tenor- und Querflöte gespielt. Im Moment ren, aber für unsere Alltagsarbeit müssen eschingen in die institutionelle Förderung komme ich weniger dazu, aber ich freue wir anders anfangen. Sich mit den islami- des Bundes aufgenommen wird. Auch der mich bereits auf die Zeit, in der ich öfter schen und allen anderen Gemeinschaften Bundestag leistet wichtige Beiträge. Der wieder zur Flöte greifen kann, weil es zusammenzusetzen, ist der Königweg, den Bericht der Enquete-Kommission ist ein nichts Schöneres gibt, als selbst Musik zu wir beschreiten müssen. Wir haben in Ham- großer Erfolg. Und wie ich die Kulturpoliti- machen. Singen tue ich allerdings jetzt burg gerade die ersten Gespräche mit isla- ker des Bundes einschätze, werden sie am schon gern und oft. mischen Gemeinschaften aufgenommen. Ball bleiben. Baum: Ich habe nach dem Krieg kein Da haben wir ein großes wichtiges Feld zu Instrument gelernt, aber ich fühle mich mit bearbeiten, das immer dringlicher wird. War demnach die fehlende Präsenz Musik mein Leben lang verbunden. Helmut der Länder bei der Bundestagsdebatte zum Lachenmann hat mir zum 75. Geburtstag Welche Rolle spielt die Begegnung Kultur-Enquete-Bericht kein Zeichen der ein Notenblatt geschenkt. Ich kann es nicht junger Menschen für die auswärtige Musik- Distanzierung? lesen, dennoch bedeutet es mir viel. Durch politik? von Welck: Ehrlich gestanden war mir Öffnung und Neugier, aber auch durch von Welck: Der Austausch von Jugend- nicht bewusst, dass ich in Berlin hätte sein Training habe ich mir einen Zugang zur lichen spielt bereits eine Rolle, könnte aber müssen. Die Einladungs- und Informations- Musik verschafft. Auch wenn mein Wissen noch weiter gefördert werden. Ich bin froh, politik war miserabel. Natürlich wäre ich amateurhaft ist, habe ich ein Urteilsver- dass das Zentrum für den deutsch-russischen mit fliegenden Fahnen gekommen, und so mögen entwickelt, das mitunter auch vor Schüleraustausch in Hamburg angesiedelt ging es auch meinen Kollegen. den Profis besteht. Musik ist immer wieder ist, und hoffe, dass es die großartigen Aus- Baum: Der Bericht wird in NRW stark ein Abenteuer. Ich finde, es geschieht in tauschprogramme, wie sie in den 60er Jah- diskutiert, und deshalb war das Fehlen der diesem Bereich heute sehr viel Aufregendes, ren zwischen Deutschland und Frankreich Landesregierung sicherlich keine Distanzie- aus meiner Sicht Interessanteres als in der existierten, wieder geben wird. rung zu dem Sachbericht. Bildenden Kunst. Musik bereichert mein Baum: Die jungen Leute reisen heutzu- Leben. Denen, die sich schon bei Nennung tage mehr und machen eigene Initiativen. Eine ganz andere Frage: Können Sie des Namens Stockhausen schütteln, entgeht von Welck: Es gibt viele Schüler, die ein als Rezipient die unterschiedlichen Klangprofile vieles.

 20 MUSIK ORUM Mit der Vorlage des Berichts der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ beginnt eine neue Etappe in der Kulturpolitik. Die Kommissionsvorsitzende Gitta Connemann:

»ES GAB weiße Flecken AUSZUFÜLLEN«

ultur ist kein Ornament. Sie Der Bericht wurde umfangreicher als tert wie die regelmäßig aufflackernde Debatte „K ist das Fundament, auf dem zunächst gedacht. Aber die letzte Untersu- um den ermäßigten Umsatzsteuersatz für unsere Gesellschaft steht und auf chung des Deutschen Bundestags liegt Kulturgüter. Sie werden auch durch Unter- immerhin mehr als 30 Jahre zurück. Und es spülungen bedroht, die von der Not der öf- das sie baut. Es ist Aufgabe der gab weiße Flecken auszufüllen. Dabei hat- fentlichen Haushalte in den letzten Jahren Politik, dieses zu sichern und zu ten wir nicht den vermessenen Anspruch, ausgelöst wurden. stärken“, heißt es im Vorwort des abschließend zu sein. Das gilt auch für die Zwar verfügt Deutschland immer noch Schlussberichts der Enquete- annähernd 500 Handlungsempfehlungen, die über eine beispielhafte staatliche Kulturför- Kommission „Kultur in Deutsch- bis auf wenige Ausnahmen stets einstimmig derung. Staatlich? Der größte Kulturfinanzierer land“. Ein starkes Plädoyer für beschlossen wurden. in Deutschland ist der Bürger. Zunächst als Mehr als einmal wurde die Frage gestellt, Marktteilnehmer, dann als Spender und in alle Kulturschaffenden und mit warum sich eine Kommission des Deutschen dritter Linie als Steuerzahler. Und diese Steu- Kultur umgehenden Menschen in Bundestags mit dem Thema Kultur befasst. ermittel fließen wieder stärker. Aber in den unserem Land. Dahinter stand zum einen der Vorwurf, sich vergangenen Jahren sind viele Theater, Or- Länderhoheiten aneignen zu wollen. Dieser chester, Bibliotheken und Musikschulen den Nach vierjähriger Tätigkeit hat die Kom- ließ sich leicht entkräften, denn der Bund ist Sparzwängen geopfert worden – zu viele. mission ihren Bericht übergeben. Mit der als Gesetzgeber für viele Rechtsgebiete zu- Der Grund dafür lässt sich in ein Wort Debatte im Deutschen Bundestag wurde am ständig, die unmittelbar Kunst und Kultur- fassen: Freiwilligkeit. Die Ausgaben für kom- 13. Dezember des vergangenen Jahres die schaffende betreffen – vom Urheberrecht bis munale Kultureinrichtungen zählen zu den seit 30 Jahren umfassendste Untersuchung zum Sozialversicherungsrecht. so genannten freiwilligen Leistungen. Nur der des kulturellen Lebens in Deutschland der Zum anderen wurde Unverständnis ge- Freistaat Sachsen bildet hier die rühmliche Öffentlichkeit vorgestellt. Seitdem schiebt der äußert, ob es für die Politik nicht wichtigere Ausnahme. In allen anderen Ländern sind Bericht immer wieder Debatten an, löst Diskus- Aufgaben als die Kultur gäbe. Was rechtfer- diese Ausgaben – auch zum Leidwesen der sionen, Lob und Kritik aus. Über wichtige tigt also die Einsetzung einer Enquete „Kul- Kommunalpolitiker – keine Pflichtaufgaben. Impulse, die das 512 Seiten starke und mit tur“? Es ist die Bedeutung, die eine vielfältige Das Dilemma dieser Unterscheidung zeigt 465 Handlungsempfehlungen ausgestattete und lebendige Kultur für unsere Gesellschaft sich, sobald eine Kommune ihren Haushalt Papier setzt, befasst sich das MUSIKFORUM hat. nicht ausgleichen kann. In dieser Notsitua- auf den folgenden Seiten. Besonderes Augen- Kindern versuche ich diese Bedeutung von tion ist eine Kommune gezwungen, eine merk gilt hier auch den Empfehlungen, die Kultur anhand eines Bildes zu erklären. „Stellt Gemeindestraße weiter zu teeren, aber die mit Zielrichtung auf die kulturelle Bildung euch vor, ihr würdet in hundert Jahren le- Gemeindebibliothek zu schließen. Das ist die gegeben werden. ben. Was würde euch an heute erinnern?“ falsche Priorität. Zu einer funktionsfähigen Sie nennen Beispiele wie die Gebäude unse- Infrastruktur gehören eben nicht nur Verkehrs- Zur Einführung zunächst Auszüge aus rer Zeit, Bücher und Musikaufnahmen. Oder wege, sondern zwingend Kultur- und Bildungs- dem von der Vorsitzenden der Enquete- sie sprechen von Gemälden und Filmen, einrichtungen. Erst die Investition in kultu- Kommission, Gitta Connemann, verfass- Architektur, Literatur, Musik, bildende und relle Infrastruktur eröffnet die Chance auf ten Vorwort des Schlussberichts. darstellende Kunst. Das, was von einer Ge- gleiche Teilhabe. sellschaft bleibt, ist ihre Kultur. Sie ist nicht Es wäre allerdings ein Fehler, Kulturpoli- nur Ornament, sondern das Fundament, auf tik auf finanzielle Aspekte zu reduzieren. Denn dem unsere Gesellschaft steht und auf das das hieße, die Möglichkeiten zu verkennen, sie baut. die der Gesetzgeber zum Schutz und zur Die Pfeiler dieses Fundaments bedürfen Förderung von Kunst und Kultur hat – von jedoch starker Verankerung. Denn sie wer- Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht bis den nicht nur durch kleinere Beben erschüt- zur Fortschreibung des Stiftungsrechts. Jeder

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Gesetzgeber ist dabei gut beraten, die Wei- © Connemann schaft wird nachgedacht. Und das chenstellungen auf europäischer und inter- ist gut so. nationaler Ebene nicht nur wachsam zu be- Denn Kulturgüter sind auch Wirt- obachten, sondern auf Rechtsakte wie etwa schaftsgüter. Allerdings ist die Kul- die GATS-Verhandlungen oder das Europäi- tur kein Wirtschaftszweig wie an- sche Vergaberecht frühzeitig Einfluss zu neh- dere. Kulturelle Güter sind immer men. Denn nur dort können, müssen An- beides: Sie sind Träger von Ideen, griffe auf eine autonome nationale Kulturpolitik von Wertvorstellungen und wirt- abgewendet werden. schaftliche Güter, die auf Märkten Wir widerstanden … der Versuchung, die gehandelt werden. Zu lange galten Literatur um eine weitere Definition des Kultur und Wirtschaft gerade in Kulturbegriffs zu „bereichern“. Die Schließung Deutschland als unvereinbarer Ge- eines Theaters oder einer Bibliothek ist ein Gitta Connemann: „Die Kommission legt mit dem gensatz. Doch diese Berührungsängs- Verlust – unabhängig davon, welche Defini- Bericht einen Kulturkompass vor, der die Situation, die te lösen sich auf – glücklicherweise. tion von Kultur zugrunde gelegt wird. Die Probleme, aber auch die Chancen von Kultur und Kultur nicht als Wirtschaftszweig zu Feststellung, dass das Durchschnittseinkom- Kulturpolitik in Deutschland beschreibt.“ begreifen, wäre nicht nur naiv. Die men von Künstlern beschämend gering ist, Kulturpolitik würde sich damit in erschreckt – so oder so. Haushaltsdebatten um ein wichti- Chance und Risiko birgt die Arbeit einer Jedes der mehr als 50 behandelten The- ges Argument bringen, denn die Kulturwirt- Enquete-Kommission auch hinsichtlich Um- men verdient eine öffentliche Debatte. Da schaft hat sich zu einer Zukunftsbranche mit fang und Reichweite ihrer Empfehlungen. die Enquete-Kommission nicht mit Tagespolitik Wachstums- und Beschäftigungspotenzial ent- Einerseits haben die Beteiligten die Möglich- befasst war, konnte sie für ihre Arbeit nur wickelt. Hier entstehen Arbeitsplätze und Wert- keit, visionär tätig zu sein. Andererseits dür- eingeschränkt Aufmerksamkeit in der Öffent- schöpfung – vor allem in Klein- und Kleinst- fen sie die Gegebenheiten nicht ignorieren. lichkeit herstellen. unternehmen. Sie sind das Kraftzentrum der Auch die Mitglieder der Enquete-Kommis- Mit der Empfehlung, Kultur als Staatsziel Kulturwirtschaft und der Beginn der Wert- sion „Kultur in Deutschland“ standen vor die- im Grundgesetz zu verankern, erregten wir schöpfungskette. ser Herausforderung. So hätte beispielsweise allerdings Aufmerksamkeit. Die Kommission Die Kultur als Wirtschaftszweig mit gro- die Forderung nach einer Vervielfachung sämt- ist der Ansicht, dass es eines solchen Bekennt- ßen Chancen zu behandeln, bedeutet we- licher Kulturetats auf Bundes-, Länder- und nisses zur Verantwortung des Staats für Schutz der eine Entwertung der Kultur noch eine kommunaler Ebene nicht die gewünschte und Förderung von Kunst und Kultur in Bedrohung ihrer gesellschaftlichen Bedeutung. ernsthafte Diskussion, sondern allenfalls Be- Deutschland bedarf. Diese Forderung war Vielmehr trägt der Wirtschaftsbereich Kul- lustigung hervorgerufen. Gegenstand eines Zwischenberichts und löste tur zur Sicherung eines vielfältigen kulturel- Diskussionen aus, die anhalten. Der Bundes- len Lebens in Deutschland bei. Die Schwerpunktthemen tag ist damit aktuell im Rechtsausschuss be- fasst. Es ist nun Sache der Abgeordneten, ob „Kultur als Wirtschaftsfaktor“ Jeder Handlungsempfehlung gingen inten- und wie sie diese Empfehlung umsetzen Lesen Sie dazu den Artikel auf S. 29 sive Recherchen und sorgfältige Prüfungen werden. Die Frage, ob ein Staatsziel Kultur voraus. … Sie [die Enquete-Kommission] hat mit einem Staatsziel Sport gekoppelt werden Kunst braucht ihre Freiräume, in denen die ihr zur Verfügung stehende Zeit sorgfäl- darf, ist damit noch nicht beantwortet. Künstler sich auf ihr Schaffen konzentrieren tig genutzt, die ihr durch die Einsetzungsauf- Sicherlich ist die Forderung nach der Ein- können, ohne sich Gedanken über die kom- träge gestellten Aufgaben zu erfüllen und Aus- führung einer kulturellen Staatszielbestimmung merzielle Verwertbarkeit zu machen. Viele sagen zu folgenden Schwerpunktthemen zu eine wichtige Empfehlung – aber nicht die bedeutende Werke haben wir gerade dieser treffen: einzige. Darüber dürfen die anderen nicht kompromisslosen Haltung zu verdanken. ˇ Infrastruktur, Kompetenzen, rechtliche übersehen werden. Dies betrifft auch den Andererseits würde die Kulturbranche sich Rahmenbedingungen für Kunst und Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft, wo selbst einschränken, wenn allein die Unab- Kultur in Staat und Zivilgesellschaft, wir bereits vor Abschluss unserer Arbeit ei- hängigkeit von wirtschaftlichen Überlegun- ˇ öffentliche und private Förderung und nen Stein ins Rollen gebracht haben. Denn gen zum Maßstab für künstlerisches Schaf- Finanzierung von Kunst und Kultur – es war die Enquete-Kommission, die dieses fen erhoben würde. Strukturwandel, bis dato eher stiefmütterlich behandelte Thema Neben der Politik sind insbesondere die ˇ wirtschaftliche und soziale Lage der auf Bundesebene in den Mittelpunkt rückte. Künstler selbst gefordert, sich nicht nur die- Künstlerinnen und Künstler, sem Thema zu widmen. Denn nur so kön- ˇ Kulturwirtschaft – Kulturlandschaft und Kulturgüter sind auch nen sie auf die Ausgestaltung der politischen Kulturstandort, Wirtschaftsgüter Rahmenbedingungen Einfluss nehmen. Und ˇ Kulturelle Bildung, Kultur in der Infor- das ist auch zur dringenden Verbesserung ihrer mations- und Mediengesellschaft – Aus dem Aschenbrödel ist eine ansehnli- eigenen sozialen und wirtschaftlichen Lage Vermittlung und Vermarktung, che Braut geworden. Der Beauftragte für Kultur erforderlich. ˇ Kultur in Europa, Kultur im Kontext und Medien sowie das Bundesministerium Wenn jemand eine kreative Leistung er- der Globalisierung, für Wirtschaft und Technologie haben eine bringt, muss er die Chance haben, für diese ˇ Kulturstatistik in der Bundesrepublik gemeinsame „Initiative Kultur- und Kreativ- Leistung auch angemessen entlohnt zu wer- Deutschland und in der Europäischen wirtschaft“ gestartet. Über spezielle Förder- den. Doch die Einkommen vieler Künstler Union. instrumente für die Kultur- und Kreativwirt- und Kulturschaffenden in Deutschland sind

 22 MUSIK ORUM beschämend niedrig. Im Durchschnitt verdie- Diese Empfehlungen waren das Ergebnis Kinder und Heranwachsende nicht leicht, eine nen sie gerade 11 000 Euro pro Jahr, viele vieler Gespräche mit Künstlern und Kultur- Orientierung zu finden. Kunst und Kultur haben mit großen Schwankungen zu kämp- schaffenden. Dieser Dialog darf mit dem Ende können eine solche geben. Bei der kulturel- fen. An die Bildung von Rücklagen für die der Kommission nicht abbrechen. Die Poli- len Bildung geht es um den ganzen Men- Alterssicherung ist bei einem solchen Einkom- tik muss weiterhin das Gespräch mit Künst- schen, um die Bildung seiner Persönlichkeit, men nicht zu denken. lern und dem Kulturbetrieb suchen. Die gu- um Emotionen und Kreativität. Ohne kultu- Trotz der geringen Verdienstaussichten ten Erfahrungen aus der Arbeit der Kom- relle Bildung fehlt ein Schlüssel zu wahrer nimmt die Zahl der selbstständigen Künstle- mission ermutigen dazu, den Dialog in Zu- Teilhabe. rinnen und Künstler seit Jahren zu. Als Reak- kunft noch zu intensivieren. Deshalb ist auf keinem Feld die Verant- tion auf einen schwierigen Arbeitsmarkt bleibt wortung des Staats, aber auch der Zivilge- häufig nur der Weg in eine ungewisse Selbst- Ohne kulturelle Bildung kein sellschaft und der Kultureinrichtungen grö- ständigkeit. Denn gleichzeitig ist es auf der Schlüssel zur Teilhabe ßer. Kulturelle Bildung macht nicht nur stark, Nachfrageseite zu keiner Steigerung gekom- sondern auch klug. Denn sie hat gleichermaßen men. Zwar haben sich die Umsätze und Er ist auch erforderlich, die Grundlagen Auswirkungen auf Persönlichkeitsentwicklung Gewinne in der Branche positiv entwickelt. der Aneignung von Kultur zu stärken. Kultu- und Lernfähigkeit. Ein besonderes Augenmerk Doch nur wenige Künstlerinnen und Künst- relle Bildung ist eine der besten Investitio- auf die Belange kultureller Bildung zu legen, ler haben daran auch teil. Aus ihrer Situation nen in die Zukunft unseres Landes. Ihr Wert war deshalb für viele von uns Herzensange- folgt eine Verantwortung des Staats, der be- scheint inzwischen in der Öffentlichkeit weit- legenheit. Dabei darf der Blick nicht nur auf sonderen Aufgabe und Lage von Künst- gehend erkannt zu sein. Auch wenn Schiller Kinder und Jugendliche gelegt werden. Auch lern und Kulturschaffenden gerecht zu wer- bereits im 18. Jahrhundert in seinen Briefen im Hinblick auf das Angebot für Erwachse- den. „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ ne und Senioren besteht Handlungsbedarf – Zwar besteht mit der Künstlersozialkasse die Notwendigkeit kultureller Bildung für die wenn man es mit dem so häufig propagier- ein weltweit einmaliges Instrument für die Persönlichkeitsentwicklung beschrieb und die ten Konzept des lebenslangen Lernens ernst soziale Absicherung von Künstlern und Pub- Neurobiologie diesen Wert für den naturwis- meint. lizisten im Falle von Krankheit und Alter. Aber senschaftlich durchleuchteten Menschen des Von einer Stärkung des Bewusstseins für mit der Zahl der Kulturschaffenden steigt die 21. Jahrhunderts eindrücklich unterstreicht, kulturelle Bildung erhofft sich die Kommis- Zahl der in der Künstlersozialkasse versicherten brauchte die Erkenntnis Zeit. Nicht zuletzt sion letztlich auch eine Stärkung der Kultur Selbstständigen. Der Finanzbedarf der Künst- infolge der PISA-Studie, die die Wahrneh- insgesamt. Kunst und Kultur dürfen kein lersozialkasse hat sich dadurch in den letzten mung durch eine ausschließliche Fokussie- Luxusgut einiger weniger Privilegierter sein. Jahren massiv erhöht. Eine Gesetzesänderung rung auf kognitive Kernfächer verengte. Diese Die Teilhabe aller an der Kultur muss ge- (2007) hat die Finanzierung der Künstler- Phase scheint jedoch nun überstanden zu sein währleistet sein, denn sie bedeutet auch Teil- sozialkasse zwar auf ein stabileres Fundament – glücklicherweise. Denn unser Land darf habe an der Gesellschaft. Eine starke Brei- gestellt. Das ist auch nötig, denn die Künst- sich nicht nur der Kreativität als seines einzi- tenkultur, an der sich jeder aktiv beteiligen lersozialversicherung ist unverzichtbar. Aber gen Rohstoffes und damit seiner Zukunfts- kann, ist insofern eine Voraussetzung für ein es braucht mehr. So regt die Kommission fähigkeit begeben. Vielmehr darf Bildung nicht flächendeckendes Angebot von Kultur für außerdem an, dass der Gesetzgeber mögli- auf ein trostloses Lernen reduziert werden. alle und von allen. che ergänzende Modelle etwa der privaten In einer Welt, die immer schneller wird, Die Vielfalt der Träger zeichnet die Kul- Altersvorsorge für Künstler ins Auge fasst. mit einem Überfluss an Angeboten, ist es für turlandschaft Deutschlands aus. Kulturpoli-

ANZEIGE FOKUS

tik und öffentliche Kulturförderung finden Anmeldung zur GEMA kostet ebenso Zeit Sie muss die Möglichkeiten der eigenen Ein- im Wechselspiel von Staat, Wirtschaft und und Kraft wie die Steuererklärung des Ver- flussnahme erkennen und wahrnehmen. Zivilgesellschaft statt. Sie gemeinsam stellen eins. Das Bekenntnis zu Europa darf nicht um die kulturelle Infrastruktur zur Verfügung – Eine verantwortungsvolle Kulturpolitik den Preis der Aufgabe nationaler Kulturför- von Vereinen und Kulturunternehmen über würde es sich zu einfach machen, wenn sie derung durch ihre Mitgliedsstaaten erfolgen. Kirchen und Glaubensgemeinschaften bis hin sich darauf beschränkte, mehr bürgerschaft- Bund und Länder sind deshalb gefordert, den zu Rundfunkanstalten, Stiftungen, Sponsoren liches Engagement zu fordern. Sie muss die Konsens in der Europäischen Union darüber und den Künstlern selbst. Dieser Dreiklang entscheidenden Fragen angehen und büro- zu erhalten, dass die Nationalstaaten in ihrer aus Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft kratische Hürden abbauen, indem sie etwa Entscheidung, was sie in der Kultur fördern, ermöglicht ein kulturelles Leben, das weder das Zuwendungsrecht ändert. Die Enquete- autonom bleiben. öffentliche noch private Träger allein gewähr- Kommission regt beispielsweise an, bürger- Die Bedeutung internationaler Abhängig- leisten könnten. Die Vernetzung dieser Ak- schaftliches Engagement als Eigenleistung keiten ist ins Bewusstsein zu rufen: Interna- teure und Strukturen ist eine kulturpolitische anzuerkennen. Außerdem ist zu überlegen, tionale Vereinbarungen bestimmen etwa die Aufgabe, denn die Politik gestaltet auch die ob der Haftungstatbestand im Einkommen- deutsche Kultur- und Bildungsförderung in Rahmenbedingungen der privaten Kulturför- steuergesetz eingeschränkt werden sollte. Und einem Maße, das bislang kaum wahrgenom- derung. Ein kooperationsfreundliches Klima die Kommission empfiehlt, die Nachweise men wird. Nur wenn die deutsche Kulturpo- ermutigt private und gemeinnützige Akteu- über die sachgerechte Verwendung von Mit- litik sich dieses Themas rechtzeitig annimmt, re, mehr Verantwortung zu übernehmen. teln zu vereinfachen. Die Mitglieder der En- kann sie vorausschauend handeln. Das heißt Allerdings darf diese Verantwortung nicht quete-Kommission sind sich einig, dass bür- insbesondere, dass Deutschland seinen Ein- dazu führen, dass die öffentlichen Haushalte gerschaftliches Engagement nicht als Ersatz fluss geltend macht und die Chance ergreift, sich aus der Finanzierung der Projekte freier für staatliche Förderung angesehen werden aktiv an der Gestaltung solcher internationa- Träger zurückziehen und einseitig auf den darf. Es geht uns vielmehr darum, dass der ler Vereinbarungen und Regelungen mitzu- Unterhalt staatlicher Einrichtungen beschrän- Staat die Bürgerinnen und Bürger, die Ver- wirken. Dies ist umso wichtiger, als in den ken. Es ist vielmehr wichtig, Anreize zu set- antwortung für das kulturelle Leben vor Ort nächsten Jahren Grundsatzentscheidungen be- zen. Einem Kulturträger, der vermehrt Mit- übernehmen, unterstützen muss. Eine leben- vorstehen, die später kaum noch zu korrigie- tel einwirbt, dürfen deshalb nicht gleichzeitig dige Bürgerkultur ist eine Ergänzung zur ins- ren sein werden. Debatten zur europäischen diese Mittel an öffentlichen Förderungen titutionalisierten Kultur. Kulturpolitik dürfen in Deutschland nicht mehr gestrichen werden. Hier wird auch die Frage mit Verspätung einsetzen. Die deutsche Kul- des Verständnisses nicht nur von Kulturein- Spitzenkultur braucht turpolitik darf sich nicht mit der Zuschauer- richtungen, sondern auch der vielen im Kul- Auftrieb durch Breitenkultur rolle begnügen. Sie muss ihren Einfluss inner- turbereich bürgerschaftlich Engagierten be- halb der EU geltend machen, um ihren rührt. Ihre Bedeutung geht über den finan- Die großen einzelnen Vorzeigeprojekte der Standpunkt in den GATS-Verhandlungen ziellen Aspekt weit hinaus. Sie übernehmen Kulturlandschaft machen bei aller Bedeutung, vertreten zu können. Damit stärkt sie gleich- Verantwortung, die gerade in ländlichen die ihnen zukommt, nur einen Teil dessen zeitig einen europäischen Standpunkt. Regionen unverzichtbar sind. aus, was Kultur in unserem Land zu bieten Eine Liberalisierung der Kultur- und Me- Fast 70 Prozent der Bevölkerung Deutsch- hat. Um ein anderes Bild zu bemühen: Sie diendienstleistungen bedroht die bestehen- lands lebt außerhalb von Großstädten. Kul- stellen die Spitze eines Eisbergs dar. Und die- de kulturelle Vielfalt in Deutschland und in turarbeit im ländlichen Raum lebt von einer se Spitze ist überhaupt nur deshalb sichtbar, Europa. Die Kulturwirtschaft, die von den engen Zusammenarbeit zwischen professio- weil sie von einer breiten, massiven Basis ge- vielen kleinen Unternehmen lebt, wäre in nellen Kulturanbietern und Laien, zwischen tragen wird. Spitzenkultur braucht den Auf- einem vollständig liberalisierten Markt durch klassischen Kulturinstitutionen und Institu- trieb einer starken Breitenkultur. Schmilzt diese global agierende Kulturwirtschaftsunterneh- tionen kultureller Bildung. Ein großer Teil der Basis weg, wird auch von der Spitze immer men gefährdet. Sie zu schützen bedeutet, eine kulturellen Aktivitäten findet in Vereinen und weniger zu sehen sein. Eine wichtige Erkenntnis über Generationen gewachsene Vielfalt zu Initiativen statt, getragen von bürgerschaftli- aus der Arbeit der Enquete-Kommission ist, schützen. An dieser Stelle wird die Aufgabe chem Engagement. Die Zahlen der ehren- die Gräben zwischen E- und U-Musik, zwi- der Kulturpolitik besonders deutlich. Ihre Auf- amtlichen Arbeit im gesamten Kulturbereich schen Breitenkultur und Spitzenkultur, zwi- gabe ist es nicht, selbst Kultur zu schaffen, – in ländlichen wie städtischen Regionen – schen professionell Tätigen und so genann- sondern für die erforderlichen politischen sind beeindruckend. Allerdings dürfen wir uns ten Laien auszugleichen. Ein solches Denken Rahmenbedingungen zu sorgen. Die Gestal- darauf nicht ausruhen, denn bei genauerem führt nur dazu, dass sich die Kultur als Gan- tung von Kunst und Kultur überlässt sie bes- Hinsehen ist bei der Bereitschaft, ehrenamt- ze selbst schwächt. ser den Künstlern selbst. lich tätig zu werden, eine abnehmende Ten- Diese Kultur in Deutschland ist inzwischen Die Bestandsaufnahme ist erfolgt, die denz zu beobachten. ohne die Einbettung in eine europäische Kultur Handlungsempfehlungen liegen vor. Und nun? In den Anhörungen und Expertengesprä- nicht mehr vorstellbar. Zum einen versteht Jedem Ende wohnt auch ein Anfang inne. chen hat die Enquete-Kommission festgestellt, sich die Bundesrepublik Deutschland als Teil Mit der Vorlage unseres Berichts beginnt eine dass dies häufig ganz praktische Gründe hat. einer Gemeinschaft europäischer Kulturstaa- neue Etappe. Jetzt sind die Kulturpolitiker in So müssen etwa Vereinsvorsitzende ohne ten. Zum anderen hat die Mitgliedschaft in den Fraktionen und die Kulturschaffenden entsprechende fachliche Ausbildung profunde der Europäischen Union unmittelbare Aus- auf allen Ebenen gefragt, unsere Vorlage zum Detailkenntnisse besitzen, sei es in Fragen des wirkungen auf das Leben ihrer Bürgerinnen Wohl der Kultur zu nutzen. Sozialversicherungs-, des Gemeinnützigkeits- und Bürger – auch auf das kulturelle Leben. U Der komplette Enquete-Bericht im oder des Urheberrechts. Bei Verstößen haf- Es ist wichtig, dass die Kulturpolitik in Deutsch- Internet: http://dip21.bundestag.de/dip21/ ten sie mir ihrem privaten Vermögen. Die land diese Zusammenhänge frühzeitig erfasst. btd/16/070/1607000.pdf

 24 MUSIK ORUM Olaf Zimmermann zur Kultur-Enquete des Deutschen Bundestags

PERSPEKTIVEN FÜR DIE politische Wirksamkeit

nquete-Kommissionen des Politikbetrieb von innen und Abgeordnete leistet. Ihr besonderes Verdienst liegt darin, EDeutschen Bundestags bieten können sich abseits des Tagesgeschäfts mit tatsächlich den gesamten Kulturbereich in den die Chance, sich über das aktuelle einem Sachverhalt intensiver befassen. Blick genommen zu haben. Sie hat sich mit der Situation der Künstler, der Kultureinrich- politische Tagesgeschehen hinaus tungen, der Kulturvereine und der Kultur- mit gesellschaftlichen Veränderun- Was bringt eine Enquete-Kommission? wirtschaft befasst. Sie hat den Ist-Stand in den gen zu befassen, sie zu analysieren klassischen künstlerischen Sparten Bildende und politische Schlussfolgerungen Nach Abschluss einer Enquete-Kommis- Kunst, Darstellende Kunst, Literatur und Musik zu ziehen. sion taucht sehr schnell die Frage auf, was aufgenommen. Sie hat die Soziokultur nicht das alles gebracht hat. Die Verbände prüfen ausgespart. Sie hat sich mit Fragen des demo- Sie haben gerade nicht zum Ziel, für den jeweils, meines Erachtens zu Recht, ob ihre grafischen Wandels, interkultureller Bildung, aktuellen Tagesbedarf im politischen Geschäft Forderungen aufgenommen wurden, welcher dem Stellenwert der deutschen Sprache, mit zu arbeiten, sondern sollen in der Zukunft Stellenwert ihrem jeweiligen Bereich einge- dem Thema Kultur im Rundfunk, mit bür- wirken. Die Enquete-Kommission des Deut- räumt wurde und wie Handlungsempfehlun- gerschaftlichem Engagement in der Kultur schen Bundestags „Kultur in Deutschland“ gen umgesetzt werden können. Manch ei- und vielem anderen befasst. hat sich daher in ihrer rund vierjährigen Lauf- ner ist bereits nach einem halben Jahr ent- Die wichtigste Aussage des Schlussberichts, zeit, die aufgrund der vorgezogenen Neuwah- täuscht, dass diese oder jene Forderung von die gar nicht oft genug wiederholt werden len im Jahr 2005 über zwei Legislaturperio- der Politik nicht aufgenommen wurde. Ich kann, ist, dass der Bürger und nicht der Staat den reichte, nur selten in die aktuelle Gesetz- habe dieses sowohl nach Abschluss der En- der wichtigste Kulturfinanzierer in Deutsch- gebung eingemischt. Sie unterschied sich quete-Kommission des Deutschen Bundes- land ist und zwar zuerst als Konsument, dann dadurch von der Enquete-Kommission des tags „Zukunft des bürgerschaftlichen Enga- als bürgerschaftlich Engagierter und erst zum Deutschen Bundestags „Zukunft des bürger- gements“ als auch jetzt wieder nach Abschluss Schluss als Steuerzahler. Mit dieser Aussage schaftlichen Engagements“, die in der 14. Le- der Kultur-Enquete erlebt. Das ist verständ- verschieben sich die Gewichte in der kultur- gislaturperiode (1998 bis 2002) arbeitete und lich, wenn man bedenkt, dass über Jahre hin- politischen Debatte. Wird Kultur so betrach- aktiv auf die Gesetzgebung und die Debat- weg ein Gremium tagt, aus dem wenig nach tet, kommt es in erster Linie darauf an, ge- ten zum bürgerschaftlichen Engagement ein- außen dringt. eignete Rahmenbedingungen zu schaffen und wirkte. Wichtige Impulse der Enquete-Kommis- in zweiter sich mit der staatlichen Kulturfi- sion „Zukunft des bürgerschaftlichen Enga- nanzierung zu befassen. Kollegiales Miteinander gements“ wurden 2007 bei der Reform des Gemeinnützigkeitsrechts aufgenommen und Beispiel: Künstlersozial- Eine weitere Besonderheit einer Enquete- in politisches Handeln übersetzt. Zwischen- versicherung Kommission ist, dass hier neben Abgeordne- zeitlich waren seit der Vorlage des Schluss- ten des Deutschen Bundestags gleichberechtigt berichts fünf Jahre vergangen. Diese lange Hinsichtlich der Rahmenbedingungen hat vom Bundestagspräsidenten berufene Sach- Zeitspanne bedeutet nicht, dass die Politik in die Enquete-Kommission einige Aussagen verständige mitarbeiten. Dieses kollegiale Mit- der Zwischenzeit untätig war, es galt vielmehr getroffen, die auf den ersten Blick vielleicht einander von Abgeordneten und Sachver- die Vorbereitungen für die politischen Initia- banal erscheinen mögen, hinsichtlich der ständigen, die aus der Wissenschaft, den tiven zu treffen. Die Qualität der Arbeit ei- kulturpolitischen Diskussion aber von gro- Verbänden oder auch – wie bei der Enquete- ner Enquete-Kommission zeigt sich letztlich ßem Wert sind. Eine dieser Grundaussagen Kommission „Kultur in Deutschland“ – aus darin, ob sie Empfehlungen ausspricht, die ist das Bekenntnis zur Künstlersozialversiche- der Kunstszene kommen, macht den Reiz möglichst weit über die aktuelle Legislatur- rung als einer wesentlichen kultur- und sozial- der Arbeit einer Enquete-Kommission aus. periode hinausgehen. politischen Leistung. Seit Ende des vergange- Hier lernen beide auf gleicher Augenhöhe Die Enquete-Kommission „Kultur in nen Jahres steht die Künstlersozialversicherung voneinander: Sachverständige erfahren den Deutschland“ hat dies meines Erachtens ge- mal wieder unter Beschuss. Im Juli 2007 wurde

 MUSIK ORUM 25 FOKUS

die 3. Novelle des Künstlersozialversicherungs- im Wirtschaftsausschuss des Bundesrats zu- oder andere Mal wieder in Erinnerung geru- gesetzes mit den Stimmen fast aller Fraktio- gestimmt hatten, zurück. fen werden muss. Ebenso hat sich die En- nen im Deutschen Bundestag verabschiedet. Im Moment sieht es so aus, als würde die quete-Kommission bei allem angemeldeten Den Bundesrat passierte die Novelle unter Abschaffung oder unternehmerfreundliche Reformbedarf ganz klar für starke Verwer- breiter Zustimmung. Im September dieses Reform des Künstlersozialversicherungsge- tungsgesellschaften ausgesprochen. Auch die- Jahres brachte das Land Baden-Württemberg setzes im Bundesrat nicht zur Abstimmung ses Votum ist von grundsätzlicher Bedeutung einen Antrag in den Wirtschaftsausschuss des gestellt. Das wäre gut so. Zeigt aber auch, und sollte, gerade nach den heftigen Angrif- Bundesrats ein, dass die Künstlersozialver- dass vermeintliche Selbstverständlichkeiten fen der Europäischen Union auf die Verwer- sicherung abgeschafft oder zumindest unter- nicht mehr selbstverständlich sind. Insofern tungsgesellschaften, nicht gering geschätzt wer- nehmerfreundlich reformiert werden solle. ist das klare und eindeutige Bekenntnis aller den. Dahinter steht die heftige Kritik des Deut- im Deutschen Bundestag vertretenen Frak- schen Industrie- und Handelskammertags an tionen zur Künstlersozialversicherung, wie es Ausblick der Reform der Künstlersozialversicherung im Enquete-Bericht „Kultur in Deutschland“ im Jahr 2007. Seither ist nämlich die Deut- formuliert wurde, ein Pfund, mit dem in Zu- Inwieweit spezielle Handlungsempfehlun- sche Rentenversicherung dafür zuständig zu kunft wahrscheinlich öfter gewuchert wer- gen, die über diese grundlegenden Aussagen prüfen, ob alle abgabepflichtigen Unterneh- den muss. hinausgehen, umgesetzt werden, hängt ent- men ihrer gesetzlichen Verpflichtung auch Das einstimmige Votum der Enquete- scheidend davon ab, ob sich Abgeordnete tatsächlich nachkommen. Es zeigt sich, dass Kommission für die Künstlersozialversiche- des Deutschen Bundestags dieser Empfeh- – in einem stärkeren Ausmaß als vermutet – rung ist jetzt die beste Lebensversicherung lungen annehmen. Hier liegt es an den Ver- Unternehmen keine Kenntnis von der Künst- für diese in Europa einmalige Form der sozia- bänden, für ihre Anliegen zu werben und lersozialversicherung haben oder sich davor len Absicherung von Künstlern. Bündnispartner zu suchen. Diese Bündnis- drücken, die Abgabe zu entrichten. Durch partner befinden sich aber nicht nur im Deut- die flächendeckende Erfassung werden die- Beispiel: Urheberrecht und schen Bundestag, eine Reihe von Handlungs- se „schwarzen Schafe“ nun entdeckt und Verwertungsgesellschaften empfehlungen richten sich auch an die Länder müssen die im Sozialrecht üblichen Nach- sowie die Kommunen. Wenn auf all diesen zahlungen leisten. Das führt zu Unmut. Das gilt gleichermaßen für die grundle- Ebenen ein Diskurs über Kultur und Kultur- Noch vor einem halben Jahr hätten sicher- genden Aussagen zum Urheberrecht und zur politik entstehen würde, wäre sicherlich viel lich die wenigsten vermutet, dass es dem Land kollektiven Rechtewahrnehmung durch Ver- erreicht. Dann würde das weitergehende Ziel Baden-Württemberg gelingen würde, in ei- wertungsgesellschaften. Die Enquete-Kom- einer Enquete-Kommission eingelöst, Debatten nem Artikelgesetz, in dem es unter anderem mission hat in ihrem Schlussbericht klar und anzuregen und Lösungsvorschläge für die um den Abbau von Statistikpflichten für klei- unmissverständlich erklärt, dass die Urheber, Zukunft anzubieten. nere Unternehmen geht, einen Passus zur Ab- also die Künstler, im Zentrum des Urheber- schaffung der Künstlersozialversicherung rechts stehen müssen. Eine Aussage, an die unterzubringen. Zum Glück wurde dieses bereits in den Debatten zu Korb II (Urheber- Der Autor: trojanische Pferd rechtzeitig entdeckt und recht in der Informationsgesellschaft) immer Olaf Zimmermann war als Sachverständiger Mitglied der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des innerhalb einer Woche ruderten die Länder, wieder erinnert werden musste und die vo- Deutschen Bundestags. Er ist Geschäftsführer des die bereits in Mehrheit dieser Empfehlung raussichtlich in der kommenden Zeit das eine Deutschen Kulturrats.

Das MUSIKFORUM befragte Mitglieder des Familie reagiert auch positiv, unterstützt Bundesjugendorchesters (BJO). mich und ist stolz auf mich. Meine Eltern sind beide Psychologen und spielen kein Zu wenig Geld für Kultur Instrument. Ich will in jedem Fall mein Abitur machen, Cora Hisarli (Violine, 17): denn ich möchte ein zweites Standbein Die Umgebung reagiert eigentlich posi- haben, sollte ich irgendwann mal keine tiv auf mich als Musikerin. Meine Freunde Geige mehr spielen können. Da ist das Abi- finden gut, was ich mache. Natürlich gibt tur allemal wichtig. Derzeit überlege ich es auch Leute, die das nicht so mögen auch, ob ich nicht ein Doppelstudium an- bzw. es mir nicht gönnen. Da meine engs- gehen soll: Musik und Medizin. ten Freunde aber fast alle selber Musik Angst habe ich davor, dass ich irgend- machen, kennen sie das. wann von meinem Job gelangweilt bin, Ich bin aus meiner Klasse diejenige, die wenn man jeden Tag das gleiche machen sich am intensivsten mit einem Instrument muss. Aber das ist wohl in jedem Beruf so. beschäftigt. Obwohl meine Umgebung Wenn ich gefragt werde, warum ich daran inzwischen gewohnt ist, merkt man Umfrage: Orchestermusikerin werden will und nicht schon, dass die anderen nicht so einen Solistin, ist die Antwort klar: Ich will auf alle Draht zur Musik haben. Sie üben auch nicht Junge Musiker – glücklich Fälle ein festes Einkommen haben. so viel wie ich, akzeptieren es aber. Meine in Deutschland? ˇ

 26 MUSIK ORUM Kristin Bäßler erläutert die Handlungsempfehlungen des Schlussberichts der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ zur kulturellen Bildung

KULTURELLE BILDUNG IM Aufwind?

ulturelle Bildung erlebt ein musikalischen Bildung spricht sich die Enquete- ˇ Interkulturelle Bildungsangebote Hoch. Selten zuvor wurde in Kommission beispielsweise konkret dafür aus, evaluieren K ˇ der Politik so viel über den Wert dass die Musikerziehung in der Schule ver- Menschen mit Migrationshintergrund für bessert und Kultureinrichtungen und Schu- den Beruf des Lehrers und den des der kulturellen Bildung gespro- len partnerschaftlicher zusammenwirken Sozialpädagogen gewinnen chen wie heute. Nach der Redu- sollten. zierung von Bildung auf ein kog- Weitere Forderungen in Kürze: Bundeszentrale: ja oder nein? nitives Leistungspotenzial sind ˇ Kulturelle Bildung als gesellschaftlichen nun andere Zeiten angebrochen: Auftrag begreifen Die vielleicht strittigste Forderung ist die ˇ die der ästhetischen Fächer – so Bundeszentrale für kulturelle Bildung nach einer Bundeszentrale für kulturelle Bil- gründen dung. Ihre Aufgabe soll es sein, innovative Kon- möchte man meinen. Doch die ˇ Bundeswettbewerbe für alle Sparten zepte zur kulturellen Bildung zu entwickeln, Realität sieht häufig anders aus. einrichten Akteure in diesem Bereich zu vernetzen und ˇ Kulturelle Bildung in der Früherziehung Multiplikatoren fortzubilden. Darüber hinaus Das zeigen zum Beispiel die Insolvenzan- intensivieren soll die Bundeszentrale für kulturelle Bildung meldung des Potsdamer Kulturzentrums Lin- ˇ Kulturelle Bildung als generelles Pflicht- unter anderem auch die Forschung zu Wir- denpark und der Förderungsstopp des Ver- fach einführen kungen und Methoden kultureller Bildung eins Waschhaus. In der Brandenburger Lan- ˇ Kulturgutscheine anbieten in Modellversuchen fördern. deshauptstadt sind damit gleich zwei große ˇ Kulturelle Erwachsenenbildung flächen- Während fast alle Handlungsempfehlun- soziokulturelle Zentren gefährdet. deckend vorhalten gen im Bereich kultureller Bildung mehr oder Um aber die kulturelle Infrastruktur und ˇ Kulturelle Bildung für Senioren ausbauen minder die Zustimmung von Seiten der Kul- damit auch die kulturelle Bildungslandschaft zu erhalten, ist es die Aufgabe der Kultur- politik, einen Konsens über die Sicherung der kulturellen Infrastruktur herbeizuführen, so die Enquete-Kommission „Kultur in Deutsch- land“ in ihrem im Dezember 2007 vorgeleg- ten Schlussbericht. Insgesamt vier Jahre lang hat sich die En- Es ist wichtig, den Menschen Gelegenheit quete-Kommission u. a. mit der kulturellen » Bildungslandschaft, ihren Akteuren und ih- zu geben, ihren eigenen kulturellen Interessen zu folgen, ren Rahmenbedingungen befasst und Hand- ihre Fähigkeiten zu entwickeln und am kulturellen Leben lungsempfehlungen erarbeitet. Rechnet man teilzunehmen. Hierin findet auch die kulturelle Bildung ihre den Bereich der interkulturellen Bildung hinzu, zentrale Aufgabe. Kulturelle Bildung fördert die Lebens- hat die Enquete-Kommission insgesamt 52 Handlungsempfehlungen für den Bereich der qualität und befähigt zur besseren Bewältigung kulturellen Bildung formuliert. Sie reichen von der Herausforderungen der Zukunft. der kulturellen Bildung für Kinder und Ju- gendliche über die frühkindliche kulturelle « Bildung, die schulische kulturelle Bildung, die außerschulische kulturelle Bildung bis hin zur kulturellen Erwachsenenbildung sowie der in- Zitiert aus dem Schlussbericht der Enquete-Kommission terkulturellen Bildung. Für den Bereich der „Kultur in Deutschland“ (Seite 48)

 MUSIK ORUM 27 FOKUS

turverbände erhielten, wird diese Forderung mit Skepsis gesehen. Zwar erklärt die Enquete- Kommission, dass die Einsetzung einer Bun- deszentrale für kulturelle Bildung die beste- henden Bundesakademien für kulturelle Bildung (Remscheid, Wolfenbüttel und Tros- singen) nicht ersetzen dürfe, doch gibt es Zweifel, ob eine Bundeszentrale grundsätz- lich sinnvoll ist. Als Haupteinwand wird bei- spielsweise genannt, dass es bereits Struktu- ren im Bereich der kulturellen Bildung gibt, die sich seit vielen Jahren bewährt haben und in denen sehr gute Arbeit geleistet wird. Au- ßerdem könne man kulturelle Strukturen nicht von oben nach unten zentral vorgeben. Verantwortungspartnerschaften in Gesellschaft und Wirtschaft aktiv gestalten: Mit dem Projekt „Klassik is’ cool!“ leistet die Deutsche Oper Berlin in einem Gemein- schaftsprojekt mit der Deutschen Bank seit zwölf Jahren kulturpädagogische Arbeit, Sicherung der bestehenden indem sie mit insgesamt 450 Schulen kooperiert. © Foto-Schenk kulturellen Infrastruktur Sollte es zu einer Bundeszentrale für kul- dieser Forderung ist die Tatsache, dass auf- Aspekt: die Wahrnehmung von Handlungs- turelle Bildung kommen, dann müssten im grund der „Freiwilligkeit“ der Kulturfinanzie- instrumenten der öffentlichen Hand zur Aus- Vorfeld zunächst konkrete Fragen beantwortet rung der Länder (mit Ausnahme des Frei- gestaltung der kulturellen Infrastruktur. Hierzu werden: Was muss eine Bundeszentrale für staats Sachsen) und angesichts sinkender gehören insbesondere die Bereitstellung von kulturelle Bildung leisten? Wo wäre eine Ausgaben der öffentlichen Hand die kultu- Ressourcen und Fördermitteln sowie die Ge- Bundeszentrale für kulturelle Bildung ange- relle Infrastruktur, zu der auch die Einrich- staltung der rechtlichen Rahmenbedingungen. siedelt? Und vor allem: Welche Akteure der tungen der kulturellen Bildung gehören, ge- Kulturelle Bildung erlebt ein Hoch – vo- kulturellen Bildung wären an der konkreten fährdet ist. Musik- und Jugendkunstschulen rausgesetzt, die Rahmenbedingungen stim- Umsetzung beteiligt? beispielsweise können nur dann kulturelle men. Die Enquete-Kommission „Kultur in Kaum ein anderes Land verfügt über eine Angebote unterbreiten, wenn die kulturelle Deutschland“ hat einen wesentlichen Beitrag so reiche und vielfältige Bildungslandschaft Infrastruktur gesichert ist. dazu geleistet. Sie hat zum einen die Not- wie Deutschland. Es müssen also nicht not- Wie aber ließe sich die kulturelle Infra- wendigkeit kultureller Bildung sichtbar ge- wendigerweise neue Strukturen geschaffen struktur sichern? Die Enquete-Kommission macht, zum anderen aber auch Defizite auf- werden. Wichtig ist vielmehr die Sicherung empfiehlt ein „kulturpolitisches Vier-Punkte- gedeckt, die in Zukunft noch behoben werden der bestehenden kulturellen Infrastruktur. Modell“. Dazu zählen die Verständigung über sollten. Es bleibt zu hoffen, dass dieses kul- Und auch dazu hat sich die Enquete-Kom- die Handlungsfelder (kulturelles Erbe, Küns- turpolitische Engagement anhält und sich mission in ihrem Abschlussbericht geäußert. te, kulturelle Bildung, Medien etc.), Diskus- weiter länderübergreifend vernetzt, damit auch Musik- und Jugendkunstschulen sollen gesetz- sionen, Beschreibungen und gegebenenfalls kleinere Institutionen weiterhin kulturelle lich garantiert werden, was soviel bedeutet, auch die Festlegung von Standards zur Siche- Bildungsangebote unterbreiten können. wie die kulturelle Infrastruktur im Bereich rung bestimmter Qualitäten der Infrastruk- der außerschulischen kulturellen Bildung in turleistungen sowie die aktive Gestaltung von Die Autorin: ihrem Bestand durch gesetzliche Regelungen Verantwortungspartnerschaften mit Gesell- Kristin Bäßler ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin des auch qualitativ zu garantieren. Hintergrund schaft und Wirtschaft. Weiterer bedeutender Deutschen Kulturrats.

Das MUSIKFORUM befragte Mitglieder des Dass ich Mitglied im Bundesjugend- Bundesjugendorchesters (BJO). orchester bin, finden allerdings alle toll. Immerhin ist das die Auswahl der 100 Immer weg, immer üben besten jungen Musiker in Deutschland – was einem natürlich ein ganz besonderes Sebastian Dinu Gefühl verschafft. (Violine, 17): Musik studieren? Auf jeden Fall würde Klassische Musik ich dazu auch ins Ausland gehen. Aber das gilt immer als spießig, ist vom Professor abhängig. Noch weiß ich aber viele befürworten nicht, bei wem ich studieren möchte. Mein sie auch. In der Schule Lehrer, bei dem ich jetzt bin, hat viele wird es mit etwas Kontakte. Ich werde mal sehen, wen er mir Abstand gesehen: empfehlen wird. Dann fahre ich dorthin „Du bist immer weg, du musst immer üben“, Junge Musiker – glücklich und nehme eine Probestunde. bedauern mich die Mitschüler. inin Deutschland?Deutschland? ˇ

 28 MUSIK ORUM Peter Schwenkow bricht eine Lanze für die Entertainment-Industrie

KULTUR ALS Wirtschaftsfaktor

Auch André Rieu ist Teil unseres kulturellen er hätte das gedacht? Dass ausgerechnet in Deutschland, dem Land Selbstverständnisses: Konzert in der Berliner Wder Dichter und Denker, dem Land mit mehr renommierten Opern- Waldbühne. © DEAG/Kohr häusern als in jeder vergleichbaren Nation der Welt, im Land der höchsten Pro-Kopf-Subventionen für Kultur, dass auf diesem Territorium ohne falsche Scham und mit Stolz festgestellt werden kann: Ja, Kultur ist ein Wirtschafts- len kommerziellen Kulturanbietern mindestens gleichberechtigt neben der Notwendigkeit, faktor – und es hat der Qualität nicht geschadet! Gewinne zu erzielen – Brot für die Seele. Von Amerika haben wir mit der üblichen Die Kultur-, Unterhaltungs- oder so ge- des Kulturbedürfnisses der Bevölkerung ohne Verspätung einiger Jahre gelernt, dass sich ein nannte Entertainment-Industrie wurde vom jede Subvention zu decken vermag. verprofessionalisiertes Kulturangebot durchaus Feuilleton – oder besser von den Feuilleto- Wer wollte bestreiten, dass Ella Fitzgerald mit anderen Dienstleistungsangeboten verglei- nista – jahrzehntelang ob ihres mangelnden oder Tina Turner, die Beatles oder Elton John chen lässt, so wie ärztliche Versorgung, Essen Tiefgangs, ihres fehlenden Auftrags und ih- längst zum Teil unseres kulturellen Selbstver- und Trinken, Putzservices und Fluglinien. Mit rer ausschließlich pekuniär orientierten Stra- ständnisses, ja sogar unserer kulturellen Identität dem kleinen, aber feinen Unterschied… ja, tegie geschmäht und in Grund und Boden geworden sind? Gleichberechtigt mit Kon- mit welchem Unterschied eigentlich? geschrieben. Dabei hat sich in wenigen Jahr- zerten der Berliner Philharmoniker, Opern- Vielleicht werden Sie jetzt die Nase rümp- zehnten (noch in den 50er Jahren war die aufführungen von Anna Netrebko, Theater- fen. Was schreibt der Mann? Kennt der nicht größte Veranstaltungsstätte in Hamburg das inszenierungen eines Robert Wilson oder den hehren Auftrag der Kultur? Wie kann Curio-Haus mit weniger als 1 000 Plätzen) Ballettaufführungen eines Wladimir Mala- man eine Operninszenierung als Dienstleis- eine Kulturwirtschaft etabliert, die einen Gutteil khov. Kultur ist – und das steht auch bei vie- tung bezeichnen? Nun, ich bin Ihrer Meinung,

 MUSIK ORUM 29 FOKUS

Kultur- und Kreativwirtschaft sind ein» bedeutender Wirtschaftsfaktor. Sie haben ein großes wirtschaftliches und kreatives Potenzial. aber wenn wir über Kultur als Wirtschafts- faktor reden, sprechen wir zwischenzeitlich Insbesondere mit der Erweiterung um den Kreativwirtschafts- von über zehn bis 15 Milliarden Euro jährli- bereich kann die Branche als eine wissensintensive Zukunfts- che Umsätze allein im Bereich der Live-Kul- branche mit deutlichen Innovations-, Wachstums- und tur – Theater, Oper, klassische Musik, Rock- Beschäftigungspotenzialen angesehen werden. und Pop-Konzerte. Und wir reden über Mil- lionen von Arbeitsplätzen im Kulturbereich Darüber hinaus ist die Kulturwirtschaft wichtiger und angrenzenden Dienstleistungsunterneh- Impulsgeber für Innovationen in anderen men. Kultur ist Wirtschaftsfaktor, Kultur ist Wirtschaftsbranchen. Wertschöpfungsfaktor, Kultur ist Standortfak- « tor. Aber vor allem: Arbeitsplätze im Kultur- betrieb gehören zu den wenigen, die nicht Zitiert aus dem Schlussbericht der Enquete-Kommission exportiert werden können. Sie können ein „Kultur in Deutschland“ (Seite 340) Stadttheater für Bewohner von Hildesheim nicht in Neu-Delhi betreiben. Kultur als Wirtschaftsfaktor muss also erns- damit verbundenen Belastungen um ein Jahr Der Autor: ter genommen werden, als manch einer bisher verschoben werden muss – sei’s drum, für Peter Schwenkow, Konzertveranstalter und Kulturmana- angenommen hat. Deshalb ist es gut und richtig, einen Abend im Konzert verzichtet man auch ger, ist Vorstandsvorsitzender der 1998 an die Börse ge- gangenen Deutschen Entertainment AG (DEAG). Diese dass z. B. viele Veranstaltungen von der Um- gerne mal auf den Restaurantbesuch. betreibt u. a. die Jahrhunderthalle in Frankfurt am Main, satzsteuer befreit sind oder nur mit dem er- Ich plädiere also dafür, ohne zwischen Inhalt das Friedrichsbau Varieté in Stuttgart und die Berliner mäßigten Umsatzsteueranteil besteuert wer- und Profitstreben werten zu wollen, die Kul- Waldbühne (auslaufend voraussichtlich Ende 2008). den. Der Staat und damit die Politik tun gut turwirtschaft ernst zu nehmen und zu unter- Jahrzehntelang vor allem im Pop- und Varietégeschäft tätig, ist Schwenkow heute – nach einem glücklosen daran, die Kulturwirtschaft zu hegen und zu stützen. Und ich rufe dazu auf, die Tausen- „Ausflug“ in das Musical-Business – auf Expansionskurs pflegen. Denn sie ist nicht nur gegen kon- den von Ausbildungsplätzen zum Veranstal- im Klassikbereich. Seit 2006 ist er Mitglied des Abgeord- junkturelle Einbrüche nahezu resistent, son- tungskaufmann, die Studiengänge für Ver- netenhauses von Berlin und dort stellvertretender Vorsit- dern sogar manchmal antizyklisch wachsend. anstaltungsmanagement und die zunehmende zender des Ausschusses für kulturelle Angelegenheiten. Kultur, ich sagte es bereits, ist Brot für die Verprofessionalisierung mit donnerndem App- Seele, oder wie wir es manchmal auch nen- laus zu begrüßen. Mit dem gleichen Applaus, nen: das kleine Glück. Und selbst, wenn kon- mit dem man auch eine gelungene Theater- junkturelle Perspektiven sich eintrüben und oder Opernaufführung würdigt. der Kauf eines neuen Autos aufgrund der

Das MUSIKFORUM befragte Mitglieder des noch nicht weißt, wie der Hase läuft, dann Bundesjugendorchesters (BJO). kann man das auch nicht im Studium lernen. Du musst dich halt selber aufraffen zum Wenn du jetzt noch nicht weißt, Üben, dich tritt keiner mehr. Man muss sich durchbeißen, schließlich haben sich nicht wie der Hase läuft, wirst du es alle lieb in einem Orchester. auch nicht mehr lernen Klar macht man sich Gedanken, ob es klappt mit dem Musikerberuf. Man sollte Vicky Duffin (Horn, 19): da nicht zu negativ rangehen. Ich gehe erst Die Leute aus meiner Umgebung finden mal davon aus, dass ich eine gute Stelle es cool, wenn man – wie ich – so viel unter- bekomme. Mein zweites Standbein ist mein wegs ist und die Welt sieht. Sie können Abitur. vielleicht nicht viel damit anfangen, aber Dass viele Orchesterstellen unbesetzt als etwas Elitäres betrachten sie es nicht. bleiben, ist oft nur Schikane. Orchester Eher als etwas Besonderes, Musikmachen müssen sparen und da sind Aushilfen eben ist halt was anderes als Tennis. Den Zeit- Umfrage: billiger. Ich finde, man sollte sich nicht für aufwand, den ich da reinstecke, können sie ein Orchester verbiegen und da eher offen- schwer nachvollziehen. Klassische Musik Junge Musiker – glücklich siv rangehen. begeistert mich, reißt mich mit. Man kann in Deutschland? Kritik an der deutschen Musikszene? sich darin finden. Im Vergleich mit Popmu- Manchmal wird man als Jugendorchester sik, die man sofort versteht, ist die Klassik nicht für voll genommen. Dabei sind wir ja viel komplexer. kein deutsches Orchester. Und da ich in genauso motiviert wie andere, eventuell Für mich ist es egal, ob ich in Deutsch- Deutschland bleiben möchte, muss ich sogar mehr. Unschön auch, dass zu viele land oder im Ausland studiere. Bei uns auch zu einem deutschen Lehrer gehen. Professoren zu viele Studenten nehmen, Hornisten ist es so: Wenn man keinen Im Studium wird man im Prinzip gut auf für die es dann keine Stellen gibt. Man deutschen Lehrer hat, kommt man auch in den Beruf vorbereitet. Aber wenn du jetzt sollte vorher besser aussieben. ˇ

 30 MUSIK ORUM Foto: Plinke

Musik-Deutschland geht nicht immer pfleglich mit seinen Konzertstätten um. Peter Schulze über die (fast) unendliche Geschichte des Abrisses oder Nicht-Abrisses des Sendesaals von Radio Bremen

WARUM DIESER »Musentempel« BLEIBEN MUSS

adio Bremen weihte vor einem In digitalen Zeiten ist alles einfacher und teuer. Letzterer führte bei Radio Bremen (RB) RJahr sein neues Funkhaus ein billiger, heißt es. Das gilt sicher für techni- dazu, dass mithilfe von 64,5, Millionen Euro – eine Story mit Pannen und Pein- sches Gerät, nicht aber für Säle. Technik kann einmaliger Strukturhilfe von der ARD die bei- man überall installieren, einen Saal aber eben den angestammten Standorte von Hörfunk lichkeiten. Denn: Viele Studios nicht. Und der ist baulich allemal teurer her- und Fernsehen aufgegeben wurden und an sind bis heute nicht voll funktions- zustellen, dabei dann mit dennoch ungewis- einem dritten Standort am Rande der Bre- tüchtig. Andererseits soll mit der sem Ausgang, was die akustische Qualität an- mer Innenstadt alles komplett neu entstand. Beseitigung des alten Funkhauses geht. Um einen ungefähren Eindruck von Das, was im September 2007 euphorisch als auch der legendäre, akustisch wert- Kostenverhältnissen zu geben: Einen gut iso- „modernstes Funkhaus Europas“ eingeweiht volle Sendesaal Opfer der Abriss- lierten und unter akustischen Kriterien hoch- wurde, läuft auch ein Jahr später alles andere wertigen Saal für 250 Zuhörer neu zu bau- als rund. Und die Studios für nachhaltige birne werden. Oder am Ende doch en, kostet ca. 15 Millionen Euro, bei der Tech- Produktion sowohl der Musik als auch des nicht? nik langen schon ca. 250 000 Euro. Deshalb Hörspiels, die dort eher pflichtgemäß gebaut tut jeder, der über einen exzellent klingen- wurden, sind praktisch so unbrauchbar, dass Peter Schulze, Mitgründer und Vorsitzen- den Saal verfügt, gut daran, ihn zu hegen und man für das Nötigste ins verwaiste alte Funk- der des Vereins Freunde des Sendesaales und zu pflegen. Gerade bei „akustischer“ Musik haus zurückgeht. Das wäre eigentlich schon ehemaliger Musikchef von Radio Bremen, bleibt im digitalen Zeitalter die Qualität des abgerissen, wenn sich nicht längst gesunder will mit Gleichgesinnten diesen einzigartigen Saales allemal vorrangig für die Qualität des Widerstand dagegen formiert hätte. „Saal mit Seele“ bespielbar erhalten. Für das Musizierens und des Hörens. Und der Sen- Bereits 2002 hatten u. a. sämtliche ehe- MUSIKFORUM beschreibt er das merkwür- desaal von Radio Bremen ist ein hervorra- maligen Musikchefs von Radio Bremen, von dige Szenario um den alten Musentempel. gend klingender Saal für 250 Zuhörer. Hans Otte bis zu meiner Wenigkeit, den Verein Als 1999 der ARD-Finanzausgleich „re- Freunde des Sendesaales gegründet, damit formiert“ wurde und kleine Sender wie Ra- der Sendesaal nicht beim späteren Umzug als dio Bremen fast ein Drittel ihres Etats verlo- „Kollateralschaden“ zu beerdigen sein wür- ren, war guter Rat billig und schlechter Rat de. Über 7000 Musiker und Konzertbesu-

 MUSIK ORUM 31 FOKUS

cher unterschrieben in einem ersten Anlauf Gutachten zur Unterschutzstellung erstellt, das den dort zumeist Konzerte und Koproduk- die Aufforderung, den Saal zu erhalten, da- den Saal als Beispiel für die frühe Haus-in- tionen mit großen und kleinen Labels statt, runter viele, die dort wichtige Stationen ih- Haus-Bauweise vom Anfang der 50er Jahre die einen Rest an redaktioneller Gestaltung rer Karriere verbracht haben, z. B. so unter- rühmt, deren totale akustische Abschirmung ermöglichten und das hochqualifizierte Per- schiedliche Künstler wie Nikolaus Harnon- durch die damals jungen UKW-Frequenzen sonal beschäftigten. Beispiele aus der letzten court, James Last, Györgi Ligeti oder Alfred mit erheblich geringerem Rauschabstand erst Zeit sind die hochgelobten Beethoven-Ein- Brendel, der den Saal liebt und dessen DVDs wirklich notwendig geworden war. Neben spielungen von Alfredo Perl und Michael der frühen Schubert-Einspielungen aus dem der Doppelschaligkeit wurde der gesamte frei- Korstick, die Deutsche Kammerphilharmo- Sendesaal von 1977 kürzlich den Preis der stehende Saal auf und an 655 Federn gela- nie mit den beiden Sinfonien von Kurt Weill Deutschen Schallplattenkritik bekamen. gert. Mithin ein akustisch hervorragender Saal und das Boston Early Music Festival Consort Wie kein anderer Saal in Bremen und mit hohem Symbolwert, von dem heute die- mit zwei Operneinspielungen, die immerhin wenige in Europa ermöglicht dieser Saal ne- jenigen, die seinen Abriss betreiben, nicht mehr beide für einen Grammy nominiert wurden. ben Klang auch Stille, und zwar lebendige sagen können, sie hätten nicht um den Un- Unverständlicherweise hat Radio Bremen Stille, nicht Totenstille. Und der Sendesaal sinn solcher Zerstörung gewusst. diesen Produktionsbetrieb derzeit praktisch machte, so der damalige Rundfunkratsvor- Der Sendesaal ist übrigens beileibe kein eingestellt und macht momentan nurmehr sitzende Wehowsky bei der Eröffnung am Museum, er wurde auch in den vergange- „Dokumentation“, d. h. Live-Mitschnitte. 23. Dezember 1952, „Radio Bremen erst zu nen Jahren sehr ausgiebig genutzt, allein 2007 Unverständlich auch deshalb, weil RB der einem kompletten und voll leistungsfähigen an 240 Tagen (darunter 100 Konzerte). Da einzige öffentlich-rechtliche Sender ist, der Funkhaus“. Der Bremische Landesdenkmal- die Produktions-Etats bei Radio Bremen bereits keinen eigenen Klangkörper betreibt und fi- pfleger hatte bereits 2004 ein eindeutiges auf das heftigste gekürzt worden waren, fan- nanziert, die Kosten für Produktionen mithin

Das MUSIKFORUM befragte Mitglieder des gewissen Instrumentengruppen noch ein Bundesjugendorchesters (BJO). starkes Lagerdenken, z. B. die „russische Schule“, die „Pariser Schule“ usw. Diese Raus aus der Bequemlichkeit unterschiedlichen Schulen sind untereinan- der manchmal nicht kompatibel. Dann kann Reinhard Latzko es für einen Musiker schon einmal schwer (Cello): werden, eine Stelle in einem bestimmten Die Jugendlichen Orchester zu bekommen. haben heute früher ein hohes musikali- In Wien ist es zum Beispiel so, dass sches Niveau. Reifer Musiker, die unbedingt in das Orchester sind sie aber nicht aufgenommen werden möchten, oft ein geworden. Auffal- Jahr vor dem Probespiel von einem lokalen lend ist z. B., dass überraschend wenige Musiker ausgebildet werden, um dann bes- BJOler sich mit Partituren vorbereiten. Ein sere Voraussetzungen zu haben. Es kann Grund dafür ist die Reizüberflutung. Ich bin also sein, dass es zu Komplikationen führen vom Land gekommen, da gab es nicht viel Umfrage: kann, wenn man in einem bestimmten außer Radio und Fernsehen. Daher hat man Junge Musiker – glücklich Kulturkreis studiert, gleichzeitig ist aber alles wie einen Schwamm aufgesogen. auch festzustellen, das alles internationaler Heute müssen die Jugendlichen zwischen in Deutschland? geworden ist. vielen Angeboten selektieren, sie müssen Oft steht die Frage im Raum: Wie kann früh Prioritäten setzen. Deutschland seinen Status als führende Wer die Schule vorzeitig abbrechen will, Studieren hier oder im Ausland? Die Musiknation beibehalten? Ich persönlich sollte als Musiker schon einen sehr hohen wirklich guten Leute stellen sich die Frage habe mit dem Begriff „Führung“ ein Prob- musikalischen Standard und schlechte gar nicht erst. Sie gehen dahin, wo ihr lem. Ich würde eher sagen, wir sind hier Schulnoten haben – sonst würde ich nie- Wunschprofessor sitzt. Die Auslandserfah- immer noch in der glücklichen Lage, dass mandem raten, die Schule zu beenden. rung ist meines Erachtens zweitrangig. Ich öffentliche Gelder für Kultur ausgegeben Gesundheitliche Probleme darf man im persönlich vermisse es zwar, dass ich nie werden. Wenn auch zu wenig. Aber hier Musikerberuf nie übersehen: Die Tätigkeit über Basel hinausgekommen bin, aber aus liegt auch eine Chance: Die Leute müssen eines Musikers ist in gewisser Hinsicht mit künstlerischer Sicht war es nicht nötig. aus ihrer Bequemlichkeit herauskommen, der Beanspruchung eines Hochleistungs- Menschlich hingegen bringt es einen ohne müssen sich neu bemühen, damit die Viel- sportlers vergleichbar, nur, dass wir Musiker Frage weiter. falt erhalten bleibt. Im Erziehungswesen ist einzelne Körperteile sehr stark belasten. Auf die Frage, ob es spezielle Voraus- Musik an den Rand gedrängt worden. Unse- Die Zahl der Musiker, die körperlich nicht setzungen für ein Musizieren in einem re Aufgabe ist es, das Interesse und die mehr in der Lage sind, ihr Instrument zu Ensemble mit verschiedenen Nationalitäten Beschäftigung mit Musik neu zu entfachen. spielen, ist hoch. Deswegen ist das Abitur gibt, kann ich nur antworten: Das ist eine Wir müssen in die Schulen gehen, damit so wichtig, um eine Alternative zu haben. Frage der Ausbildung. Bis heute gibt es in uns morgen noch jemand zuhört. ˇ

 32 MUSIK ORUM MusicVillage“, ein klingendes Dorf, eine themenorientierte Mehrgenerationen-Wohnan- lage, in der Musikstudenten und Musiksenioren zusam- menleben, ein Campus vibrie- rend vor Musikalität unter- schiedlichster Stilrichtungen. Ein Übungsfeld für Musik- begeisterte, Profis und Laien, Meister und Übende. Musik als Lebensmittelpunkt, als Be- In der Internetausgabe des MUSIK- gegnungsmedium, als gemein- FORUM finden sich weitere, ergän- same Sprache jenseits des Wor- zende und dokumentierende Beiträge tes – mit dem Sendesaal als – einfach klicken auf: weiterhin lebendigem Zent- www.musik-forum-online.de rum für hochklassige Produk- tionen und Konzerte. Neu eingestellt sind folgende Artikel Eine andere Lösung wird und Informationen: seit Anfang 2008 von Klaus — Ludger Brümmer, Leiter des Insti- Hübotter ins Spiel gebracht, tuts für Musik und Akustik am Zentrum dem wohl humansten Bremer für Kunst und Medientechnologie Baulöwen, der seinen Ruf als (ZKM), berichtet in seinem Beitrag genialer Erhalter vor 30 Jah- „Aus der Gegenwart über die Ver- ren begründete, als er den Bre- Liebt den Bremer Sendesaal: Der österreichische Pianist gangenheit in die Zukunft. Digitale mer Schlachthof (heute noch Alfred Brendel spielte hier 1977 erfolgreich Schubert für das Technologien für die Zukunft“ über funktionierendes Kulturzent- Fernsehen ein. Foto: Frank Pusch das KUR-Archivprojekt zur Sicherung rum) vor dem Abriss bewahr- und Restaurierung mobilen Kulturguts te, und der seither u. a. den 400 und über den Klangdom im Kubus des minimal sind (sie betrugen selbst in aktivsten Meter langen historischen Speicher XI im ZKM. Dieser besteht aus 47 Lautspre- Zeiten höchstens ein Fünftel dessen, was ein Bremischen Hafen für die Hochschule für chern, die die Zuhörer kuppelförmig einziges Rundfunkorchester kostet). Ja, nicht Künste und das alte jüdische Kaufhaus „Bam- umgeben. einmal für einen Erhalt des Sendesaales in berger“ für die Volkshochschule umnutzte www.musik-forum-online.de/bruemmer gemischter Trägerschaft rührte die Geschäfts- oder das zentral gelegene Haus „Vorwärts“ führung von RB einen Finger. Stattdessen aus dem 16. Jahrhundert zum „Haus der Wis- — Zum Beitrag „Bologna hat zuge- wurde für das Gelände im März 2006 ein senschaft“ umbaute. In einem 10-Punkte- schlagen“ von Franz Riemer (siehe Kaufvertrag geschlossen mit Finanzinvesto- Papier (nachzulesen auf der Website des Seite 45) sind im Internet die im Text ren, die am Erhalt keinerlei Interesse haben Vereins: www.sendesaal-bremen.de) legte vorgestellten Studienpläne des fächer- und bereits im Mai 2006 – wie im Kaufver- er im Januar schlüssig dar, dass der Erhalt übergreifenden Bachelorstudiengangs trag mit Radio Bremen vereinbart – einen und die Umnutzung der gesamten Baulich- Erstes Fach (Major) Musik und des Abrissantrag für das gesamte Areal stellten. keiten auf dem alten Radio Bremen-Hörfunk- Masterstudiengangs Lehramt an Dabei umfasst das Gelände weit mehr als gelände die sinnvollste und zugleich güns- Gymnasien der Hochschule für Musik nur den Sendesaal, so u. a. das digitale Hör- tigste Möglichkeit im Umgang mit diesem und Theater Hannover zu finden: spielstudio (1995 eingeweiht), sämtliche historisch aufgeladenen Areal ist. Und wer www.musik-forum-online.de/riemer Schneideräume und Sendestudios (1984 ein- Klaus Hübotter kennt, weiß um den hohen geweiht), alle bestens abgeschirmt und erhal- Realitätssinn und -gehalt seiner Überlegun- ten. Summa summarum geschätzte 20 Millio- gen. Werfen Sie auch einen Blick auf den nen Euro an Sachwerten, die da der Abrissbirne neuen „Auftritt“ des MUSIKFORUM überantwortet werden sollen, und das bei Abrissantrag ist vom Tisch bei MySpace: einem Verkaufserlös von ca. 3,5 Millionen Über dieses Portal kann man zu Euro, wobei die Käufer sogar noch bis Ende Inzwischen hat er nachgelegt: ein notari- weiteren Informationen über das 2008 vom Vertrag zurücktreten können, wenn elles Angebot an Radio Bremen, das Gelän- MUSIKFORUM gelangen und Nachrich- der Abrissantrag nicht genehmigt wird bzw. de zum selben Preis anzukaufen, den die Fi- ten an die Redaktion senden, sich aber kein planreifer Bebauungsplan existiert. nanzinvestoren geboten haben. Voraussetzung auch als „Freund“ des Musikmagazins Gottlob wurde der Abriss bislang nicht für sein Angebot ist nunmehr das Gegenteil anmelden, den MUSIKFORUM-Blog genehmigt. Es gibt schließlich etliche Ideen der ehemaligen Vertragsgrundlage: Alle Ge- abonnieren, Einträge schreiben und und auch potente Interessenten für andere bäude müssen stehen bleiben und erhalten lesen und sich mit anderen Lesern Lösungen, die eine behutsame Konversion werden. Da es somit keine wirtschaftlichen austauschen. und Umnutzung des Geländes ermöglichen: Argumente mehr für einen Abriss des Sen- Bereits im Oktober 2006 hatte der Verein desaals gibt, sogar für den Erhalt nicht einmal www.myspace.com/dmr_musikforum eine Vision entwickelt für einen „Campus von öffentliche Mittel benötigt würden, stellte der

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Bremer Kultursenator und Bürgermeister Jens Böhrnsen ihn Ende Mai mit sofortiger Wir- kung unter Denkmalschutz. Der Abrissantrag von 2006 wurde zwischenzeitlich negativ beschieden. Da die Finanzinvestoren ihr vertraglich gedungenes Grundstück nun also nicht mit einer Abrissgenehmigung „veredeln“ konn- ten, ist die Hoffnung nicht unberechtigt, dass sie von ihrem Rücktrittsrecht Gebrauch ma- chen werden. Sicher ist dies allerdings nicht. Dann bliebe die Frage, wie mit öffentlich- rechtlichen Gebührengeldern geschaffenes öffentliches Eigentum überhaupt dermaßen Die Qualität des Raumes ist „vorrangig für die Qualität des Musizierens und Hörens“: fahrlässig verschleudert werden kann. Diese Der Sendesaal von Radio Bremen nach der Eröffnung im Jahr 1952. © Radio Bremen Peinlichkeit bleibt der Geschäftsführung von Radio Bremen wie auch der Politik des Bre- mer Stadtstaates erspart, wenn sich Vernunft und Kreativität durchsetzen und der Sende- Experten vertraten saal dem nachkommen kann, was er am besten kann – klingen. übereinstimmend» die Ansicht, dass den elektronischen, neuen und sonstigen Medien Der Autor: großes Gewicht bei der Vermittlung von Kunst und Peter Schulze studierte Komposition und Tonmeister in Berlin. Von 1970 bis 1998 war er Jazz- und Popredakteur Kultur und bei der kulturellen Bildung zukomme. und Produzent bei Radio Bremen; Co-Autor der Sendereihe Sie beklagten einen geringen Stellenwert von „Roll Over Beethoven – zur Geschichte der Populären Musik“ (RB/WDR/NDR); 1975 Mitbegründer des Klaus- Kultur in den öffentlichrechtlichen Medien Kuhnke-Archives für Populäre Musik (www.kkarchiv.de), von 1998 bis zum Ende des Kulturprogramms 2001 Musik- und eine einseitige Auswahl chef von Radio Bremen 2, von 2003 bis 2007 künstleri- von kulturellen Inhalten. scher Leiter des JazzFests Berlin. Seit 2005 ist Schulze Vorstandsmitglied im Europe Jazz Network, dem Zusam- « menschluss europäischer Festival- und Spielstättendirek- toren, und künstlerischer Berater des Messeevents „jazzahead!“. Zitiert aus dem Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ (Seite 149)

Das MUSIKFORUM befragte Mitglieder des Dass viele Orchesterstellen unbesetzt Bundesjugendorchesters (BJO). bleiben, liegt meistens an den Orchestern selbst. Die suchen zu spezifisch und können „Vitamin B“ zählt zu viel sich dann nicht entscheiden, obwohl die Bewerber extrem gut sind. Irgendwie ist Christoph Schneider (Klarinette, 19): das auch verständlich: Wenn das Probejahr Auf dem Gymnasium sagt niemand: Du bestanden und die Stelle besetzt wurde, machst klassische Musik, also bist du dann ist der Musiker drin. Merken sie später, komisch. Woanders, gerade bei Jugend- es passt nicht, dann ist es unglücklich gelau- lichen aus niedrigeren sozialen Schichten, fen. Gerade bei Bläsern wird ja wirklich der ist es wahrscheinlich verpöhnt, dort wird Klang des gesamten Orchesters beeinflusst. gedacht, dass nur Streber klassische Musik machen. Womit man nicht in Kontakt Für mich ist in erster Linie der künstleri- kommt, das lehnt man eben ab. sche und nicht der nationale Aspekt wichtig. Wenn es um den Studienort geht, sind Das ist ja das Tolle an Musik: Sprache und Klarinetten etwas spezifisch. Es gibt ja das Junge Musiker – glücklich Herkunft sind egal. Das zu vermitteln, ist deutsche und das Böhmsystem. Das deut- in Deutschland? auch der Sinn von Auslandsreisen. sche System wird eigentlich nur in unserem Kritik an der deutschen Musikszene? Sprachraum gespielt, daher muss ich hier Vielleicht zählt „Vitamin B“ zu viel. Das ist bleiben. Unser Land bietet sowieso eine len gibt. Einige machen ein bisschen zu viel aber überall so, nicht nur in Deutschland. Ausbildung, die weltweit mit am besten ist. Sololiteratur, da könnte die Vorbereitung Es müsste mehr nach der tatsächlichen Leis- Ich denke auch, dass man hier im Studium auf Orchesterstellen intensiver sein. Aber tung gehen. Es ist doch schade, wenn gute richtig auf den Beruf vorbereitet wird – inzwischen sind viele Hochschulen darauf Leute eine Stelle nicht kriegen, nur weil sie obwohl es Unterschiede bei den Hochschu- gekommen und machen mehr. nicht die richtigen Beziehungen haben. ˇ

 34 MUSIK ORUM Oktober 2008

© EMI/Adamik Informationen aus den Projekten und Mitgliedsverbänden des Deutschen Musikrats

Wettbewerb: „In 80 Takten um die Welt“ Der Arbeitskreis für Schulmusik (AfS) lädt alle Musiklehrer in den ersten zehn Berufsjahren, Referen- dare (Lehramtsanwärter) und Stu- dierende ein, unter der interkultu- rellen Überschrift „In 80 Takten um die Welt“ am 2. Bundeswettbewerb Klassenmusizieren „Arrangieren für Schulklassen“ teilzunehmen, der vom 2. bis 4. April 2009 in der Hoch- schule für Musik Köln stattfindet. Der Wettbewerb möchte dabei helfen, den kinder- und jugendge- rechten Umgang mit Musik zu ver- bessern. Sein Ziel ist die musikpä- dagogische Nachwuchsförderung und die Verbesserung der Musik- lehrerausbildung in Fächern wie Liedbegleitung, Arrangement, Im- provisation und Ensemble-Leitung. Die Jury kann Preise in einem Ge- samtwert von 3000 Euro vergeben. Einsendeschluss ist der 15. Febru- ar 2009. Plakate oder Flyer bei der Bundesgeschäftsstelle des AfS: Freuten sich mit dem Bundesjugendorchester: Dagmar Sikorski, Sönke Lentz und ZDF-Journalist Theo Koll, der als [email protected] Konzertpate fungierte (kleines Bild von links). Foto: Bienert Weitere Informationen unter: www.arrangieren-fuer-schulklassen.de ˜ Deutscher Musikverleger-Verband Für Talent und Spielfreude: Musikpreis an das BJO Europäisches Musik- Glückliche Gesichter: Am 4. Au- entgegen. Die Verleihung fand im ihrem Talent und ihrer Spielfreude fest der Jugend gust 2008 übergab Dagmar Siko- Rahmen eines Auftritts des Bundes- den Preis mehr als verdient haben.“ Das 10. Europäische Musikfest der rski, Präsidentin des Deutschen jugendorchesters (BJO) beim Festival Seit seiner Gründung 1969 hat das Jugend der Europäischen Musik- Musikverleger-Verbandes (DMV), „young.euro.classics“ in Berlin statt, wo BJO ausgetretene Pfade vermieden schul-Union (EMU) wird vom 21. bis den Deutschen Musikpreis an das das Orchester das Publikum im voll- und seinen Schwerpunkt – auch mit 24. Mai 2009 in Österreich statt- Bundesjugendorchester. besetzten Konzerthaus am Gendar- Uraufführungen – vor allem auf die finden. Stellvertretend für das Ensemble menmarkt begeisterte. Dagmar Si- zeitgenössische Musik gelegt. Rund 8000 musikbegeisterte nahm Geschäftsführer Sönke Lentz korski: „Das Konzert hat eindrücklich Mehr aus dem DMV auf Seite 3 ! Jugendliche aus ganz Europa, den mit 12500 Euro dotierten Preis gezeigt, dass die jungen Musiker mit Mehr über das BJO auf Seite 8 ! darunter 1850 Teilnehmer aus Ensembles der Musikschulen im VdM, werden an verschiedenen ˜ VdM: Deutscher Musikschultag 2008 ˜ Evangelischer Posaunendienst in Deutschland Orten in Oberösterreich erwartet und die Region zur musikalischen Bühne Europas verwandeln. „Musik zeigt Wirkung“ „OhrenBlickmal“ in Leipzig Weitere Informationen unter: www.megahertz.at Mitte Juni feierten die Musikschulen der Städte, In der Kirchenmusikerstadt Leipzig fand der bisher Kreise und Gemeinden den Deutschen Musikschul- größte Blechbläser-Event aller Zeiten statt. Zum tag, den der Verband deutscher Musikschulen Deutschen Evangelischen Posaunentag, liebevoll (VdM) seit 1996 alle drei Jahre ausruft. DEPT abgekürzt, kamen fast 20 000 Gäste, davon INHALT: Unter dem Motto „Musik zeigt Wirkung“ fand die über 16 000 mit Instrument. bundesweite Aktion zum fünften Mal statt. Mit Open- Unter dem Motto „OhrenBlickmal!“ versetzten die Neues aus den Verbänden Air-Konzerten, Tagen der Offenen Tür, Musikschul- Bläser die Stadt in Schwingung. Zur Eröffnungsveran- und Landesmusikräten festen und vielen weiteren Aktionen gaben die öffent- staltung füllte sich der Leipziger Augustusplatz mit über Seiten 1–6 lichen Musikschulen dabei ein eindrucksvolles Bild ihrer 50000 Menschen. Dort erklang erstmals die Leipzig- Leistungsfähigkeit. Weiter auf Seite 2 ! Fanfare. Weiter auf Seite 4 ! Neues aus den Projekten Seiten 7-16 ˜ Musikschultag 2008 Kulturelle Aktivposten

NDE

Ä Fortsetzung von Seite 1 Aktuell werden in ganz Deutsch- land an den 4000 Standorten der öf- fentlichen Musikschulen rund eine

VERB Million Schüler von 35000 Lehrkräf- ten im Musizieren und Ensemblespiel unterrichtet. Darüber hinaus sind die öffentlichen Musikschulen wichtigs- ter Partner der allgemein bildenden Schulen und Kindergärten für ein qualifiziertes und nachhaltiges musi- kalisches Bildungsangebot, das zu- gangsoffen für alle Kinder und Jugend- lichen ist. Die Musikschulen sind damit kulturelle Aktivposten im kommuna- Das Sinfonische Blasorchester der Folkwang Musikschule Essen beim Deutschen Musikschultag 2008 im Musikpavillon len Leben, das sie durch Kooperatio- der Essener Gruga. Foto: Steudel nen mit anderen Bildungs-, Kultur- und Jugendeinrichtungen mitgestalten und mit eigenen Veranstaltungen berei- ˜ Verband Deutscher KonzertChöre Für die besten Leistungen (Preis- chern. Welch unverzichtbaren Beitrag träger siehe Foto) wurden Preisgel- sie für die Musikalisierung unserer Ge- Sprungbrett für angehende Profisänger der aus der Professor-Karl-Marx-Stif- sellschaft leisten, hat der Deutsche Mu- tung vergeben. Darüber hinaus wurden sikschultag auch diesmal wieder un- Den sängerischen Nachwuchs zu das alle vier Jahre im Rahmen des Sonderpreise in Form von Konzert- überhörbar ins Bewusstsein gerückt. fördern, ist ein Anliegen des Ver- vom Verband veranstalteten Deut- engagements durch VDKC-Mitglieds- ¿ Die Erklärung des VdM zum Deut- bandes Deutscher KonzertChöre schen Chorfestivals stattfindet und chöre vergeben. schen Musikschultag 2008 unter: (VDKC). Konkret erfolgt die Un- für viele angehende Berufssänger www.musikschulen.de/projekte/ terstützung junger Talente beim ein Sprungbrett bedeutet. Händel-Feier nach ¸ „PodiumJungerGesangsSolisten“, musikschultag Im Juni stellten sich in Kassel 36 historischem Vorbild junge Künstler einer Fachjury aus er- fahrenen Dirigenten und Musikpäda- Im Rahmen der Händel-Festspiele in gogen. Reinhart Weiß, Jury-Mitglied Halle/Saale wird am 11. Juni 2009 und Mitglied des VDKC-Musikrats, in der Händel-Halle ein besonderes machte bei den Vortragenden einen Konzert stattfinden: Unter Leitung von Trend aus: „Es gibt zwar noch die ar- MDR-Chordirektor Howard Arman tistischen Stimmwunder, doch ihre Be- erklingen – nach dem Vorbild der Hän- wertung tritt eher zurück hinter sprach- del-Gedächtnisfeier in London im Jahr lich begriffene, emotional ausgelotete 1784 – Werke des in Halle gebore- und musikalisch subtile Interpretati- nen Komponisten. Dazu lädt der onen.“ So waren die einprägsamsten VDKC als Kooperationspartner 300 Die Preisträger des PodiumsJungerGesangsSolisten 2008 (von links): Bass- Momente jene, die – so Weiß – „durch Sänger ein. Vorbereitende Proben fin- Bariton Clemens Morgenthaler (1. Preis), Tenor Ulrich Cordes (2. Preis), Bariton zwingende Gestaltungskraft ausgelöst den zwischen März und Juni an ver- Georg Gädker und Sopran Eun-Kyung Kim (3. Preise). wurden.“ schiedenen deutschen Orten statt. ¿

˜ Arbeitskreis für Schulmusik Abschied von Werner Krützfeldt Der Arbeitskreis für Schulmusik (AfS) Förderung populärer Musik einsetzte. rerverband zur Kenntnis genommen. nahm Abschied von seinem im Mai Auch die Aufwertung des Fachs Im Jahr 1992 übergab Krützfeldt beim verstorbenen langjährigen Bundes- Gesang im Bereich der Hochschu- AfS-Bundeskongress in Berlin den vorsitzenden Werner Krützfeldt, der len und als Kategorie im Wettbe- Bundesvorsitz an Volker Schütz und den Verband von 1967 bis 1992 ein werb „Jugend musiziert“ gehen mit wurde gleichzeitig von der Mitglie- Vierteljahrhundert lang leitete und auf seine Initiative zurück. Sehr er- derversammlung einstimmig zum Eh- dabei wichtige Impulse setzte, de- freut war er darüber, dass nun auch renvorsitzenden gewählt. ren positive Folgen bis in die Gegen- Populäre Musik in „Jugend musiziert“ Auch im Musikleben seiner Hei- wart reichen. integriert wurde. matstadt Hamburg setzte er wichti- So hat er zum Beispiel dafür ge- Nicht ohne Stolz vermerkte Krütz- Werner Krützfeldt †. Im Septem- ge Impulse: Er war von 1990 bis 1996 sorgt, dass der AfS in den Deutschen feldt in seinem Beitrag für das AfS- ber wäre er 80 Jahre alt geworden. als Vizepräsident der dortigen Mu- Musikrat aufgenommen und Mitglied Magazin zum 50-jährigen Verbands- sikhochschule und von 1978 bis in der Arbeitsgemeinschaft für Mu- jubiläum im Jahre 2003, dass viele dieser Großveranstaltungen fanden 1990 als Aufsichtsrat der Hambur- sikerziehung und Musikpflege bedeutende und innovative Lehr- unter seiner Leitung statt) – wurden gischen Staatsoper tätig. Seit der (AGMM) wurde, als deren Vorsit- und Schulbuchautoren der Zeit aus während seiner Amtszeit immer be- Gründung des Hamburger Landes- zender er sich wiederum in den Jah- dem AfS hervorgegangen sind. deutsamer, die Teilnehmerzahlen stie- musikrats im Jahr 1978 war er des- ren von 1980 bis 1992 – ganz im Die Bundeskongresse – damals gen und der AfS wurde zunehmend sen Präsident, nach seinem Ausschei- Sinne des AfS – besonders für die noch Bundestagungen genannt (21 als eigenständiger, starker Musikleh- den wurde er Ehrenpräsident. ¿

DMR aktuell 2 VERB ˜ Deutscher Musikverleger-Verband (DMV) Geschäftsmodelle der Zukunft diskutiert

Ä

Die Mitglieder des DMV beschäf- Bei der Jahrestagung fanden auch NDE tigten sich auf ihrer Jahrestagung die turnusmäßigen Neuwahlen statt. in Lübeck mit den Zukunftsfragen Bis auf eine Position wurde der ge- der Musiknutzung. samte Vorstand wiedergewählt (sie- Vor dem Hintergrund, dass mit he auch Foto): Präsidentin Dagmar dem 2. Korb der Urheberrechtsno- Sikorski (Sikorski Musikverlage), Vi- velle künftig auch unbekannte Nut- zepräsident und Vorsitzender des zungsarten übertragen werden kön- GEMA-Ausschusses, Schatzmeister nen, referierte mp3-Miterfinder Karl- Michael Karnstedt (Peermusic), Pa- heinz Brandenburg vom renommier- trick Strauch (Sony/ATV), Vorsitzen- ten Fraunhofer Institut über die neues- der des Ausschusses Multinationale ten technologischen Entwicklungen. Musikverlage, Winfried Jacobs (Boo- Im Amt bestätigt: der Vorstand des DMV mit Präsidentin Dagmar Sikorski (li.). In einer Diskussionsrunde zum The- sey & Hawkes), Thomas Tietze (Bä- ma „Zukünftige Geschäftsmodelle der renreiter-Verlag), Vorsitzender des Aus- ˜ BDMH Musikbranche“ sprachen – moderiert schusses für Leihmaterialen und Mu- DMV auf Popkomm ’08 von Stefan Zarges (Der Musikmarkt) sikalien, Karl-Heinz Klempnow (Glo- Auch in diesem Jahr waren der Deut- Meinl weiterhin an der – der Veranstalter Michael Bisping riella), Vorsitzender des E-Ausschus- sche Musikverleger-Verband und zahl- (A.S.S. Concerts), Labelchef Heinz ses, Gabriele Schulze-Spahr (Moo- reiche Mitgliedsverlage auf der inter- Verbandsspitze der Canibol (105 music) sowie die DMV- rea), Vorsitzende des Rechtsaus- nationalen Musikmesse Popkomm Mitglieder Jens-Markus Wegener und schusses, Jürgen Thürnau (Crocodile vom 8. bis 10. Oktober in Berlin ver- Instrumentenhersteller Peter F. Schulz. Außerdem referierte Music), neuer Vorsitzender des U- treten. Der Verband und seine Mit- Die Generalversammlung und der Ruth Hieronymi, Mitglied des Euro- Ausschusses und Peter F. Schulz (Bud- glieder präsentierten sich auf einem Vorstand des Bundesverbandes der päischen Parlaments, über aktuelle Ent- de), Vorsitzender des Wirtschaftsaus- Gemeinschaftsstand mit der GEMA Deutschen Musikinstrumenten- wicklungen im Bereich der EU-Ver- schusses. Der Vorstand wurde für drei und dem Deutschen Komponisten- Hersteller (BDMH) wählten den wertungsgesellschaften. Jahre gewählt. ¿ verband in Halle 18. Aufsichtsratsvorsitzenden und Hauptgesellschafter des Markneu- kirchener Metallblasinstrumenten- Auszubildende blickten hinter die Kulissen eines Musikverlags unternehmens JA Musik, Gerhard A. Meinl, zum vierten Mal zu ih- Im Rahmen des Aus- und Fortbil- machte die Besonderheit des Unter- bert Gertsch. Dozent Johannes May rem 1. Vorsitzenden. dungsprogramms des Gesamtver- nehmens als Herausgeber von Urtext- vom Musikhaus Bauer & Hieber ver- Meinl hat diese Funktion seit 1998 bandes Deutscher Musikfachge- ausgaben deutlich. Besonders inte- tiefte anschließend die Literaturkennt- inne und diente dem Verband zuvor schäfte (GDM) nahmen im August ressant: die Darstellungen der verschie- nisse, wobei hier Noten für Tastenin- schon seit 1984 als stellvertretendes zwölf Auszubildende zum Musi- denen Techniken des Notenstichs von strumente im Mittelpunkt standen. Vorstandsmitglied. Als weitere Vor- kalienhändler am Noten-Modul II der Bleiplatte bis zur hochkomplexen Nach der abschließenden Prüfung, die standsmitglieder wurden gewählt: teil. Software, die von Herstellungsleiter alle Teilnehmer mit Erfolg bestanden, Horst Bräuning (Hohner Musikinst- Gastgeber war in diesem Jahr der Gerhard Fischl und dem Notenset- endete das Modul in München. rumente & Co. KG Trossingen), Martin Henle-Verlag in München. Verlags- zer Michael Nowotny demonstriert Informationen zu den Modulen: König sen. (König & Meyer GmbH & leiter Wolf-Dieter Seiffert berichtete wurden, und die Schilderung des www.musikalienhaendler-ausbildung.de Co. KG Wertheim), Volker Müller- aus der Geschichte des Verlags und Arbeitsalltags eines Lektors durch Nor- ¿ Zierach (Pirastro GmbH Offenbach), Klaus Schöller (Karl Höfner GmbH Baiersdorf-Hagenau), Joachim Winter (Jakob Winter GmbH Nauheim). Die Tagung fand im Mai in der Oscar-Walcker-Schule in Ludwigsburg statt, einer Fachschule für alle Arten des Musikinstrumentenbaus; weitere Fachschulen gibt es in Mittenwald und Klingenthal. Meinl erklärte, auch in Zukunft den Servicecharakter des Verbandes ausbauen und ansonsten vor allem auf die Marktvergrößerung abzielen zu wollen, indem über die Musikpä- dagogik mehr aktive Musizierende für die Regelschulen herangebildet wer- den sollen. ¿

Wiederge- wählt: Die Teilnehmer des Ausbildungs-Moduls mit Vertriebs- und Marketingleiterin Ulrike Lucht-Lorenz (6. v. re.), Lektor Gerhard A. Gertsch (hinten Mitte) und Herstellungsleiter Fischl (hinten rechts) sowie Dozent May (2. v. re.). Meinl.

DMR aktuell 3 ˜ Posaunentag digung durch Musik – dieses Ideal der Jeunesses Musicales wird im Arab-Je- Guinness-Rekord wish Youth Orchestra zur gelebten NDE Überzeugung: Arabische und jüdische

Ä Fortsetzung von Seite 1 Jugendliche erproben in der Orches- Der Leitende Obmann des Evange- terarbeit den friedlichen Umgang lischen Posaunendienstes in Deutsch- miteinander und erleben fremde Tra- land (EPiD), Bernhard Silasch, eröff- ditionen als musikalische und persön- VERB nete das Bläserfest. Danach stellten liche Bereicherung. sich auf 25 Bühnen in der Innenstadt Termine: 15.10. Stadttheater Hildes- verschiedene Werke des EPiD aus heim, 16.10. Laeiszhalle Hamburg, Landes- und Freikirchen vor, zu de- 17.10. Jüdisches Museum Berlin, 19.10. nen insgesamt über 100000 Posau- Jena, 21.10. Schloss Weikersheim (World nenchorbläser gehören. Meeting Center des JM Weltverban- Das Treffen der Superlative be- 35000 Menschen verfolgten den Höhepunkt des Posaunentages: Gottesdienst des), 22.10. Capitol Offenbach. ¸ gann mit einer kleinen Anprobe, bei im Leipziger Zentralstadion. Foto: Schossig der ein Guinness-Award-Schiedsrichter Foto: Arab-Jewish Youth Orchestra aus London den mit 16000 Bläsern größten Bläserchor der Welt attestierte. ˜ Jeunesses Musicales Deutschland: Arab-Jewish Youth Orchestra Der Neueintrag ins „Guinness-Buch der Rekorde“, der mit dem Anspruch Musik aus dem Morgenland „15000 Bläser für ein Halleluja“ beim Kirchentag in Köln entstanden war, Orientalisch klingt es und überra- schen Repertoires, die teilweise spe- war gesichert. schend anders als ein europäisches ziell für das Orchester arrangiert wurde. Zu den Laienmusikern der etwa Orchester: das Arab-Jewish Youth Dabei werden die Eigenheiten der je- 2000 Bläserchöre evangelischer Ge- Orchestra. Auf Einladung der Jeu- weiligen Musiktraditionen nicht ver- meinden aus ganz Deutschland ka- nesses Musicales Deutschland wischt, sondern im musikalischen men fast 4000 angemeldete Gäste (JMD) ist das israelische Jugend- Dialog zum Klingen gebracht. Die und viele, viele Leipziger. Auch in- orchester im Oktober auf Tournee Tournee des Arab-Jewish Youth Or- ternationale Gastchöre aus Argenti- in Deutschland. chestra steht unter der Schirmherr- nien, Südafrika, Papua-Neuguinea, Das Konzertprogramm ist eine schaft von Kulturstaatsminister Bernd Neben Geige und Cello gehören Fernost, den baltischen Staaten, Tsche- opulente Mischung aus Werken ara- Neumann und wird veranstaltet von traditionelle arabische Saiteninstru- chien, Schweiz, Österreich, Frankreich bischer Komponisten, Musik der jü- der JMD in Zusammenarbeit mit der mente wie die Oud zur Besetzung und Belgien waren dabei. dischen Tradition und des europäi- Universität Hildesheim. Völkerverstän- des Arab Jewish Youth Orchestra. Der Höhepunkt und Abschluss des Festes ging vor der eindrucksvollen ˜ Kulisse von 35000 Teilnehmern und Dudamel mit dem Würth Preis geehrt VG Musikedition 380000 Fernsehzuschauern über die Bühne: der Gottesdienst im Leipzi- Mit der Verleihung des mit 10000 Kopierlizenzen für ger Zentralstadion. Der Ratsvorsitzen- Euro dotierten Würth Preises an Musikschulen und de der EKD, Bischof Wolfgang Hu- Gustavo Dudamel würdigte die Jeu- ber, bezeichnete in seiner Predigt die nesses Musicales das herausragen- Kindergärten Musik als wichtiges Instrument für die de Talent des Dirigenten, gerade Der Verwertungsgesellschaft (VG) Verkündung von Gottes Wort. Zu- junge Menschen für klassische Mu- Gustavo Musikedition wurden von ihren gleich forderte er ein klares Bekennt- sik zu begeistern, und seinen Ein- Dudamel Mitgliedsverlagen die grafischen nis der Christen zu ihrer Religion: satz für das vorbildliche Musikaus- Vervielfältigungsrechte gegenüber „Ohne Bekenntnis gibt es auch keine bildungssystem seines Heimat- spielhaus überzeugen. Das Orches- Musikschulen und Kindergärten Toleranz gegenüber anderen.“ landes Venezuela. ter und sein charismatischer Preisträ- übertragen. Nach dem Schlusslied, Bachs Gloria Dudamel treibt die jungen Musi- ger wurden frenetisch gefeiert. Dies bedeutet, dass Musikschulen sei dir gesungen, gab es kein Halten ker des Simón Bolívar Youth Orchestra Seit 1991 zeichnen die Jeunesses und Kindergärten ab sofort die Mög- mehr: Allen Anwesenden wird die zu Höchstleistungen und entfacht auf Musicales und die Stiftung Würth lichkeit haben, durch Abschluss einer überwältigende Klanggewalt des viel- der Bühne ein wahres Feuerwerk. herausragende Persönlichkeiten, En- einfachen Lizenzvereinbarung mit der stimmigen Gotteslobes im Weltmeis- Davon konnte sich das Baden-Bade- sembles oder Projekte des Musikle- VG Musikedition in begrenztem Um- terschaftsstadion in Erinnerung blei- ner Konzertpublikum anlässlich der bens aus, die in besonderer Weise Ziele fang Fotokopien von Noten anzufer- ben. Günter Kaltschnee ¿ Verleihung am 13. September im Fest- und Werte der JMD realisieren. ¿ tigen. Dies war in der Vergangenheit nur mit einer direkt beim Verlag ein- ˜ geholten Kopiergenehmigung mög- EPTA – European Piano Teachers Association lich. Die Musikverlage kommen da- mit dem Wunsch vieler Musikschulen Jahreskongress behandelt das „Zuhausesein im Tonsystem“ und Kindergärten nach, eine legale und praktikable Ausnahmeregelung des Der Jahreskongress 2008 der Eu- demeyer), Lead-Sheet-Spiel (Thomas absoluten Fotokopierverbots zu ermög- ropean Piano Teachers Associati- Peter-Horas) und Methodik der EMP lichen. Ähnliche Vereinbarungen exis- on (EPTA) steht unter dem The- (Christa Schäfer). Ein Konzert mit zwei tieren mittlerweile in vielen europäi- ma „Zuhause sein im Tonsystem“ indischen Musikern gibt Einblick in schen Nachbarländern, so z. B. in Frank- und findet vom 31. Oktober bis 2. das Tonsystem eines anderen Kultur- reich, wo fast jede Musikschule ein November im Peter-Cornelius- zu fördern. Die Beiträge befassen sich kreises. Das ausführliche Programm Lizenzabkommen mit der dort zustän- Konservatorium Mainz statt. u. a. mit Hörschulung im Klavierun- ist ab Mitte September bei der Ge- digen Verwertungsgesellschaft abge- Das Thema zielt darauf ab, die Ver- terricht (Clemens Kühn), Improvisa- schäftsstelle der EPTA, Schanzenstraße schlossen hat. Auch in Deutschland bindung zwischen Hören und Spie- tion (Matthias Schwabe), musikalischer 24, 34130 Kassel, erhältlich oder kann gibt es seit mehr als zwei Jahrzehnten len und damit die musikalische Eigen- Wahrnehmungspsychologie (Chris- im Internet eingesehen werden un- vergleichbare Kopierabkommen mit ständigkeit auf jeder Stufe des Lernens toph Louven), Literaturspiel (Klaus Ol- ter: www.epta-deutschland.de ¿ Kirchen und Kirchengemeinden. ¿

DMR aktuell 4 VERB Sonderpublikationen AMJ: Erfolgreiche Chor- des Cäcilien-Verbandes Begegnung auf Usedom Der Allgemeine Cäcilien-Verband für Bei der 7. Internationalen Jugendkam- Ä Deutschland hat zwei Sonderpubli- merchor-Begegnung auf Usedom er- NDE | LANDESMUSIKR kationen seines Verbandsorgans, der arbeiteten die insgesamt 240 Teilneh- deutschlandweiten Fachzeitschrift für mer aus sieben Ländern neue Chor- Katholische Kirchenmusik „Musica literatur in drei Workshops. Carlo sacra“, herausgebracht: Heft 5 erschien Pavese vertiefte sich mit drei Mäd- als Sonderausgabe, die sich den zent- chenchören aus Belgien, Polen und ralen Texten Joseph Ratzingers/Bene- Tschechien in zeitgenössische Wer- dikt XVI. zur Kirchenmusik widmet. ke italienischer Komponisten, in Chor- Die gesammelten Texte bieten einen improvisationen und ein eigens für die zentralen Zugang zum Kirchenmusik- Begegnung komponiertes doppelchö- Kultursituation in den Ländern besprochen: Ministerin Johanna Wanka mit verständnis des derzeitigen Pontifex, riges Chorwerk für gleiche Stimmen. DMR-Präsident Martin Maria Krüger und dem Vorsitzenden Ernst Folz (rechts). haben aber auch entscheidende Be- Die Finnin Sanna Valvanne wähl- deutung für die theologische und te für Chöre aus der Slowakei und spirituelle Vertiefung des kirchenmu- Ungarn skandinavische und afrikani- ˜ Landesmusikrat Brandenburg sikalischen Dienstes. sche Musik aus, die sie einstudierte Eine weitere Sonderausgabe sam- und choreografierte. Drei gemischte Musikräte diskutierten in Rheinsberg melt Antworten der verschiedenen Jugendchöre aus Deutschland, Spa-

Ä Diözesanbischöfe auf sieben Fragen nien und Tschechien widmeten sich Neben dem Erfahrungsaustausch ihrem Land. Dabei hob sie hervor, zur Kirchenmusik. Das Heft „Spiegel unter der Leitung von Thekla Jona- über das Musikleben der einzel- dass mit den Mitteln aus dem Allpar- TE der Katholischen Kirchenmusik in thal dem Thema „Tiere und Natur“. nen Länder beschäftigte sich die teienvermögen der DDR Instrumen- Deutschland“ erweitert diese Antwor- Hier wurden Werke von Claudio Mon- im September in der Bundes- und te für bisher noch nicht musikalisch ten um weitere der inzwischen neu teverdi bis John Rutter einstudiert. Landesmusikakademie Rheinsberg geförderte Kinder angeschafft werden ernannten Diözesanbischöfe und des Neben den Proben sangen die durchgeführte Landesmusikräte- könnten. Des Weiteren werde sie sich neuen Apostolischen Nuntius in Chöre auch in Gottesdiensten der Use- konferenz mit einer Resolution für eine Erhöhung der kulturellen Deutschland, bietet aber auch flan- domer Kirchen, sodass das Festival auf gegen die Abschaffung der Künst- Mittel aus dem Länderfinanzausgleich kierende Texte, die diese Antworten die gesamte Insel ausstrahlte. Veran- lersozialversicherung. Einstimmig einsetzen. vertiefen und eine Sicht zur Kirchen- staltet wird die Chorbegegnung seit wurde eine Resolution verabschie- Berichtet wurde auch über die Er- musik unserer Zeit und ihrer Entwick- 12 Jahren im zweijährigen Turnus vom det, die der Vorsitzende Ernst Folz gebnisse der Rock-Pop-Konferenz des lung geben wollen. Arbeitskreis Musik in der Jugend (AMJ). eingebracht hatte. Landesmusikrats Rheinland-Pfalz und Bestellung über: Schirmherrin ist Bundesfamilienminis- Über die Ländergrenzen hinaus ent- über den aktuellen Stand zur Bun- [email protected] terin Ursula von der Leyen. wickelt sich das europäische musika- desbegegnung „Jugend jazzt“. Ulrike lische Musikportal und die Deutsch- Liedtke, Direktorin der Musikakade- Polnische Musikbörse. Der aktuelle mie Rheinsberg und Vizepräsidentin WGM: Ausgebuchte Thüringer Landes- Stand dieser Vorhaben wie auch die des Landesmusikrats Brandenburg, Sommerwochen und verband des DKV Berichte aus den einzelnen Projekten äußerte sich zur erfolgreichen Projekt- des Deutschen Musikrats wurden arbeit der weltweit einzigartigen Edi- attraktive Tagungen feiert sein 10-jähriges intensiv diskutiert. Am zweiten Kon- tion „Musik in Deutschland 1950- im Herbst Jubiläum ferenztag hielt die Brandenburgische 2000“, die Ende 2009 abgeschlossen Ministerin für Wissenschaft, Forschung wird, und lud die Konferenz-Teilneh- Die 4. Chor- und Orchesterwochen, Nachdem sich nach der Wende als und Kultur, Johanna Wanka, einen mer zur feierlichen Vorstellung der die die Werkgemeinschaft Musik Ergebnis eines langwierigen und kom- Vortrag über die Kultursituation in fertigen Edition ein. ¿ (WGM) alljährlich in der katholischen plizierten Annäherungsprozesses die Landvolkshochschule Wies bei Stein- zwei Komponistenverbände des ge- gaden (Obb.) in direkter Nachbarschaft teilten Deutschlands zum Deutschen Kulturnotizen aus Brandenburg zur berühmten Wieskirche anbietet, Komponistenverband (DKV) zusam- Am 14. September präsentierten sich und jugendlichen Frische begeistert waren auch in diesem Jahr wieder bis mengeschlossen hatten, kam Johan- junge Jazzbands aus dem Land Bran- waren. Außerdem lehrte der Dirigent auf den letzten Platz ausgebucht. nes K. Hildebrandt mit einer Gruppe denburg unter dem Motto „Jazz im des Chores, Hans-Peter Schurz, schon Neben rein instrumentalen Werken junger thüringischer Komponisten auf Kutschstall“ in der Gewölbehalle des wiederholt als Dozent für Chorleitung kamen Faurés Requiem, Puccinis Messa die Idee, einen dem DKV angeglie- Hauses der Brandenburgisch-Preußi- in Brasilien. di Gloria, Bizets Te Deum und Schu- derten Landesverband für Thüringen schen Geschichte. Die Veranstaltung Im Rahmen des Berliner Netzwerks berts Es-dur-Messe zu Gehör. zu gründen. Dieser inzwischen vom war zugleich Abschluss des diesjähri- ohrenstrand.net, unterstützt durch Bis zum Jahresende bietet die Weimarer Komponisten Peter Helmut gen Jazzfestivals Potsdam, das vom das Netzwerk Neue Musik – ein För- Werkgemeinschaft Musik noch die Lang geführte Landesverband feier- 6. bis 14. September in der Landes- derprojekt der Kulturstiftung des Bun- erstmalig ausgeschriebene Tagung te am 4. Oktober mit einem Konzert hauptstatt stattfand. Ziel des Jazztref- des –, startete die Sektion Musik der „Alte Musik für alte Hasen mit alten im Weimarer Bienenmuseum sein 10- fens ist es, eine lebendige Arbeit im Akademie der Künste mit ohren- Instrumenten“ (21.-26. Oktober) am jähriges Jubiläum. Bereich der Jazzmusik für die Stadt strand.net in Brandenburg ein auf vier Seddiner See bei Potsdam unter der Ziel des DKV Thüringen: die För- Potsdam und das Land Brandenburg Jahre angelegtes Musikvermittlungs- Leitung von DKM a.D. Michael Witt derung zeitgenössischer Musik und zu entwickeln und junge Nachwuchs- projekt. Im September begann mit an sowie das traditionelle „Weihnacht- ihrer Schöpfer unter besonderer Be- musiker von professionellen Musikern „Kommen und Gehen“ das zweite liche Singen und Musizieren“ (27.-31. rücksichtigung lebender Thüringer und Dozenten anzuleiten. Projekt. Gastgeber war die Kammer- Dezember) in St. Thomas bei Kyll- Komponisten. Ihnen sollen ein Netz- Der Landesjugendchor Bran- philharmonie Uckermark mit dem En- burg/Eifel unter der Leitung von Agnes werk sowie Aufführungsmöglichkei- denburg ging im September auf Kon- semble Quillo im Dorf Falkenhagen Kraemer; die 45. Chor- und Instru- ten geboten werden, um Musik als zertreise durch Brasilien. Die Einla- in der Nordwest-Uckermark. mentaltage in Essen-Kettwig (27.-31. lebendige Gegenwartskultur zu prä- dung erfolgte, nachdem brasilianische Am 12. Oktober fand zum fünf- Dezember) stehen unter der Leitung sentieren und zu etablieren. Vom an- Gäste den Chor im vergangenen Jahr ten Mal das Potsdamer Chor- und von Christian Dahm. geschlossenen Förderverein „via nova“ in Brandenburg gehört hatten und von Herbstfest statt, bei dem die Pro Pots- www.werkgemeinschaft-musik.de werden diverse Projekte initiiert. der musikalischen Leistungsfähigkeit dam GmbH in Kooperation mit dem

DMR aktuell 5 © struhk architekten braunschweig Landesmusikrat Brandenburg ein

TE Chorfest in der Orangerie/Biosphä-

Ä re im Volkspark Potsdam veranstal- tete. Hier präsentierten sich wieder in erster Linie Kinder- und Jugend- chöre, die den Herbst mit klassischer Chorliteratur, Gospel, aber auch mit Pop- und Jazzmelodien begrüßten. Als erfolgreich erweist sich das Ballett Das goldenen Kalb des bran- denburgischen Komponisten Helmut Zapf. Die Produktion der Musikaka- demie Rheinsberg ist inzwischen auf Gastspielreise gegangen, präsentierte LANDESMUSIKR sich Anfang Oktober bereits beim 18. Internationalen Ballettfestival in Kau- nas/Litauen. ¿

˜ Landesmusikrat Hamburg Jubiläum: „Zusam- Entwurf der Landesmusikakademie in Wolfenbüttel men sind wir 100!“ ˜ Landesmusikrat Niedersachsen Aufnahmestudio, einer umfangreichen Ausstattung mit lnstrumenten sowie Der Landesmusikrat Hamburg Richtfest für neue Landesmusikakademie Unterkünften im angeschlossenen Ju- feiert am 22. November in der Ham- gendgästehaus wird die Landesmu- burger Laeiszhalle zusammen mit Gemeinsam mit 250 Gästen aus herrschaft des Ministerpräsidenten sikakademie zu einem festen Ort für seinen Klangkörpern Jazzessence, dem Musikleben begingen der Mi- sein: Landesjugendchor Niedersach- die musikalische Fortbildung in Nie- dem LandesJugendJazzOrchester, nister für Wissenschaft und Kul- sen, Landesjugendblasorchester Nie- dersachsen. Damit wird Wolfenbüt- und dem Landesjugendorchester tur, Lutz Stratmann, und der Prä- dersachsen, Jugendjazzorchester Nie- tel ein wichtiger Standort im „Musik- Hamburg sein 30-jähriges Jubilä- sident des Landesmusikrats, Karl- dersachsen, Niedersächsisches Jugend- land Niedersachsen“ und gemeinsam um. Zusammen werden sie 100. Jürgen Kemmelmeyer, am 28. sinfonieorchester. mit der Bundesakademie eines der Vor 30 Jahren vom verstorbenen August das Richtfest der Landes- Der Neubau der Landesmusikaka- bedeutendsten Kompetenzzentren der Werner Krützfeldt gegründet, hat es musikakademie Niedersachsen. demie hat ein Investitionsvolumen von kulturellen Bildung deutschlandweit. sich der Landesmusikrat zur Aufga- Damit wurde ein wichtiger Ab- rund 11,2 Millionen Euro. Das Land Die Landesmusikakademie mit Gäs- be gemacht, die „Stimme der Musik“ schnitt zur zeitnahen Fertigstellung der stellt für die Baumaßnahme rund 7,2 tehaus entsteht auf dem Gelände des in der Hansestadt zu sein. Neben sei- Akademie abgeschlossen; die umfang- Mio. zur Verfügung, die Stadt Wol- heutigen Parkplatzes „Alte Spinnerei“. ner Funktion als Informationsforum reichen und aufwendigen Innenaus- fenbüttel rund 4 Mio. Euro. Betrei- Bestandteil der Gesamtkonzepti- und Koordinationsstelle für die Mit- bauten insbesondere im Bereich der ber der Akademie wird der Landes- on wird zukünftig auch die „Villa glieder organisiert er zahlreiche Wett- Raumakustik können nun unabhän- musikrat Niedersachsen sein. Die Seeliger“ mit Räumen für Chorpro- bewerbe und ist Träger der unter- gig von den Witterungsbedingungen Akademie soll Mitte 2009 den Be- ben und Kammermusik sein. Hierfür schiedlichsten Musikprojekte. Dazu fortgesetzt werden. „Für die Nach- trieb aufnehmen. werden derzeit die Umbaupläne un- zählen unter anderem die „Reise 21 wuchsförderung wird die Landesmu- Mit zahlreichen Proberäumen – ter Berücksichtigung der Auflagen des – Reise in die Musik des 21. Jahrhun- sikakademie künftig das Zentrum für auch für große Orchester –, einem Denkmalschutzes erarbeitet. ¿ derts“, „ExTra! Hamburg – Exchange Aus- und Weiterbildung in Nieder- Traditions“ oder der „jazztrain“. sachsen sein“, sagte der Minister in Der Erhalt und Ausbau des Mu- seinem einleitenden Redebeitrag. Er ˜ Landesmusikrat Rheinland-Pfalz sikunterrichts gehören ebenso zu sei- freue sich darüber hinaus, dass der nen Interessen wie die Ausrichtung Landesmusikrat bereit sei, die Träger- Präsident Mahling weiterhin im Amt von Landeswettbewerben und die schaft für dieses zentrale Projekt des Trägerschaft verschiedener Einrichtun- Musiklandes Niedersachsen zu über- Bei den Neuwahlen des Landes- Vom 31. Oktober bis 2. Novem- gen zur Förderung von jungen Mu- nehmen. musikrats Rheinland-Pfalz wurde ber veranstaltet der Landesmusikrat siktalenten. Das Landesjugendjazzor- Der Präsident des Landesmusik- der bisherige Präsident Christoph- in Kooperation mit dem Deutschen chester Hamburg – bekannt unter dem rats blickte in seinem Grußwort auf Hellmut Mahling in seinem Amt Musikrat den Kongress „Basic Pop Namen „Jazzessence“ – feiert in die- die 27-jährige Planungsgeschichte der bestätigt. 2008“ in der Landesmusikakademie sem Jahr sein 20jähriges Bestehen. Landesmusikakademie zurück und Ebenso wiedergewählt wurde die Rheinland-Pfalz in Neuwied-Engers. Jazzmusiker im Alter bis 25 Jahre er- dankte dem Land, der Stadt und den Mehrzahl der bisherigen Mitglieder Dabei geht es um die Vernetzung, lernen hier unter der Leitung heraus- beteiligten Stiftungen für die Realisie- des Präsidiums: Christa Schäfer (Mu- Synchronisierung und die Entwicklung ragender Jazz-Profis Bigband-Praxis auf rung des Projekts. Im Flächenland sikschulverband), Hans Fomin (Lan- überregionaler Konzepte im Bereich hohem Niveau und geben Konzerte Niedersachsen werde die Landesmu- desmusikverband), Ulrich Adomeit der Rock- und Popmusik und deren vor einem breiten Publikum. sikakademie ein Servicehaus für das (Jugend jazzt), Gabriele Buschmeier Förderung. Bislang waren hier – auf- Musikalische Vielfalt zeigt auch die Musikland Niedersachsen sein, in dem (Akademie der Literatur und der Wis- grund komplexer Strukturen – nur Programmauswahl der Mitglieder des rund eine halbe Million Niedersach- senschaften), Hartmut Doppler (Chor- Ansätze zu erkennen. Der Kongress Landesjugendorchester Hamburgs. sen musizieren. Als zentrale Bildungs- verband der Pfalz), Markus Graf (LAG bemüht sich um tiefer gehende Ana- Vor 40 Jahren wurde es mit der Vi- stätte werde sie vor allem der Quali- Rock&Pop), Peter Stieber (SWR). Neu lysen zum Auffinden möglicher An- sion eines sich selbst verwaltenden fizierung der niedersächsischen Laien- in dieses Gremium gewählt wurden knüpfungspunkte. Jugendorchesters gegründet – damals musikkultur und der Förderung be- Karl Wolff (Präsident des Chorver- Weitergehende Informationen über ein Novum in der deutschen Orches- gabter junger Musiker zur Verfügung bandes Rheinland-Pfalz, des mitglied- www.lmr-rp.de unter „Initiativen“. terlandschaft. Es gehört zu den ältes- stehen. So wird die Akademie zukünf- stärksten Verbandes im Landesmu- Anmeldung: Landesmusikakademie ten Landesjugendorchestern der Bun- tig auch die Heimat der vier Landes- sikrat) und Michael Fromm (Arbeits- Rheinland-Pfalz, Tel. 02622 9052- 0, desrepublik. ¿ jugendensembles unter der Schirm- kreis für Schulmusik). [email protected] ¿

DMR aktuell 6 ˜ Dirigentenforum des Deutschen Musikrats in Zusam- PROJEKTE menarbeit mit dem Konzerthaus Berlin, wurde 2006 in der Berliner Philhar- Finalisten für den Deutschen Dirigentenpreis stehen fest monie zum ersten Mal vergeben. Mit Am 7. September fiel in der Kon- Peter Gülke mit seiner Interpretation dirigent am Musiktheater im Revier 35000 Euro Preisgeld und umfang- zerthalle „Carl Philipp Emanuel der Tanz-Suite von Béla Bartók über- Gelsenkirchen) und Shi-Yeon Sung reichen weiteren Förderungsmaßnah- Bach“ in Frankfurt/Oder die letz- zeugen und setzte sich gegen zwei Kon- („Assistant Conductor” von James Le- men durch Gastdirigate ist er der te Entscheidung vor dem Finalkon- kurrenten durch. Die drei jungen, vine beim Boston Symphony Orches- höchstdotierte Preis für Dirigenten in zert um den Deutschen Dirigen- hochtalentierten Orchesterleiter diri- tra) am 7. Februar 2009 im Konzert- Europa. tenpreis. gierten das Brandenburgische Staats- haus Berlin um den Deutschen Diri- Der 1974 geborene Chefdirigent orchester Frankfurt/Oder. gentenpreis konkurrieren (mehr zu den Weltweit einmaliger und künstlerische Leiter des Colle- Simon Gaudenz wird nun gemein- Finalisten im Kasten unten). Wettbewerb gium Musicum Basel, Simon Gaudenz, sam mit den bereits feststehenden Der Deutsche Dirigentenpreis, eine konnte die Jury unter dem Vorsitz von Finalisten Rasmus Baumann (Chef- Initiative der BHF-BANK-Stiftung und In der Berliner Philharmonie konn- te sich 2006 erstmals der 1971 in Estland geborene Mikhel Kütson durchsetzen und erhielt 15000 Euro Sie konkurrieren um Preisgelder und attraktive Gastdirigate sowie mehrere Gastdirigate. Der Ame- rikaner Evan Christ und der Este Hendrik Vestmann wurden mit Son- derpreisen von je 10000 Euro aus- gezeichnet. Damit verbunden waren zudem die musikalische Leitung der Bad Homburger Schlosskonzerte für je eine Konzertsaison und die Pro- duktion einer CD. Der Deutsche Dirigentenpreis, im zweijährigen Turnus verliehen, basiert auf den Förderprogrammen im Diri- gentenforum des Deutschen Musik- rats. Das Dirigentenforum ist eine weltweit einmalige Einrichtung, in der junge Ausnahmetalente in einem mehrjährigen, dreistufigen Fördersys- Rasmus Baumann (geb. 1973) Simon Gaudenz (geb. 1974) Shi-Yeon Sung (geb. 1975) tem durch die Teilnahme an Meis- ist seit der Spielzeit 2008/2009 Chef- ist Chefdirigent und künstlerischer besuchte von 2001 bis 2006 die Diri- terkursen und die Vermittlung von dirigent des Musiktheaters im Revier Leiter des Collegium Musicum Basel. gierklasse von Rolf Reuter an der Assistenzen und Förderkonzerten auf Gelsenkirchen. Von 2003 bis 2008 war Er studierte zunächst Klarinette am Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ verantwortungsvolle Positionen im er am Staatstheater Kassel als 1. Ka- Konservatorium Luzern und an der in Berlin, wo sie anschließend auch deutschen und internationalen Mu- ¿ pellmeister und stellvertretender Musikhochschule Graz in der Konzert- ein Aufbaustudium absolvierte. Da- sikleben vorbereitet werden. GMD engagiert und dirigierte dort klasse von Bela Kovacs. Von 2001 bis rüber hinaus war die Koreanerin Stu- u. a. die Premieren von Orfeo ed 2006 absolvierte er ein Dirigierstudi- dentin bei Jorma Panula in Stockholm. Euridice, Zauberflöte, Carmen und um bei Scott Sandmeier und setzte Sie ist erste Preisträgerin des Inter- Jazznachwuchs Rigoletto sowie zahlreiche Sinfonie- seine Studien am Mozarteum Salzburg nationalen Dirigentenwettbewerbs Sir braucht Spielstätten konzerte. Zuvor war er am Aalto The- bei Dennis Russell Davies und Jorge Georg Solti 2006 und Gewinnerin des ater Essen und beim Philharmonischen Rotter fort. Im Jahr 2004 nahm er als Gustav-Mahler-Wettbewerbs 2007. Am 9. September tagte die Bundes- Chor Bochum tätig. Baumann absol- Stipendiat am Aspen Music Festival Seit Oktober 2007 arbeitet sie als „As- konferenz Jazz (BK Jazz) auf Einladung vierte sein Dirigierstudium bei Jiri in Colorado teil. 2006 gewann er den sistant Conductor“ von James Levi- von Felix Falk, Mitarbeiter im Büro Starek und Wojciech Rajski an der „International Conducting Competi- ne beim Boston Symphony Orchest- der Bundestagsabgeordneten Moni- Frankfurter Musikhochschule von 1996 tion Gennady Rozhdestvensky“ in So- ra. 2004 wurde Shi-Yeon Sung in das ka Griefahn, im Deutschen Bundes- bis 1999. Seit 2002 ist Baumann Sti- fia und wurde von der Schweizer Kul- Dirigentenforum aufgenommen. Sie tag. Gesprächsthema war die Instal- pendiat des Dirigentenforum. Er be- turstiftung „Aargauer Kuratorium“ für besuchte Kurse u. a. bei Colin Met- lierung einer speziellen Förderung für suchte bereits Kurse bei Eiji Oue, Claus sein künstlerisches Schaffen ausge- ters, Reinhard Goebel und Eri Klas. Spielstätten nicht nur des Jazz. Nach- Peter Flor und Kurt Sanderling. zeichnet. Seit 2004 genießt Gaudenz wachsende Musikergenerationen aus die Förderung durch das Dirigenten- Musikhochschulen, BuJazzO und ähn- forum und besuchte Kurse bei Ma- lichen Ausbildungsmaßnahmen brau- sur, Gülke und Albrecht. chen attraktive Bühnen überall im Land, um ihre Musik weiterentwickeln, ihre Leistungen steigern und sich ei- nen Namen machen zu können. Ge- „Bundesjazzorchester hoch 10“ bei Rheinsberger Hofkonzerten rade aktueller Jazz als dichte und le- bendige musikalische Kommunikation Eine Vorstellung der besonderen phase in der Akademie gebildet hat- selbst gegeben hatten: „Die Schönen unterschiedlicher Individuen vermit- Art gab das Bundesjazzorchester ten. Von Duo bis Oktett, von Pop bis und das Biest“, „Merry Gulligan“, „Iz- telt sich durch das Live-Erlebnis und (BuJazzO) in der Reihe der tradi- Free reichte die breite Palette der mir Ägal“, „Rhythm Combination & das Visuelle. tionellen Hofkonzerte der Musik- musikalischen Leistungen vor einem Lars“ und ähnliche. Die BK Jazz ist ein lockerer Zu- akademie Schloss Rheinsberg am interessierten Publikum, das wegen Insgesamt eine gelungene „Wer- sammenschluss von wichtigen Insti- 12. September. der kühlen Witterung kurzfristig vom beveranstaltung“ für das Abschluss- tutionen und engagierten Persönlich- Statt des gesamten Orchesters Hof in den Theatersaal gebeten wur- konzert der Arbeitsphase des BuJaz- keiten der Jazzszene, darunter Veran- spielten nicht weniger als zehn klei- de. zO in voller Größe am folgenden stalter, Plattenlabels, Jazzinstitute, Jazz- ne Jazzensembles, die sich spontan Genauso spontan und kreativ klan- Abend. verbände und die Jazzprojekte des während der gleichzeitigen Arbeits- gen die Namen, die sich die Bands ¿ Deutschen Musikrats. ¿

DMR aktuell 7 Agenten für Europa Seit nun fast vierzig Jahren ist das Bundesjugendorchester (BJO) in Deutschland, Europa und vie- len Regionen der Welt ein Be-

PROJEKTE griff für höchstes musikalisches Niveau und hervorragende Nach- wuchsarbeit. Natürlich ist diese Präsenz kein Zufall, sondern die Frucht aufwendiger Akquisear- beit. „In Deutschland gibt es viele Veranstalter die längst den Wert des Orchesters für sich, für ihr Publikum und das deutsche Mu- sikleben insgesamt erkannt ha- ben. Gerade im fernen Ausland sind wir oft im Auftrag und mit Unterstützung des Goethe-Ins- tituts und des Auswärtigen Amtes unterwegs, aber in die Präsenz in den europäischen Nachbar- ländern müssen wir weiter in- vestieren“, konstatiert Projektlei- ter Sönke Lentz. Mit Hilfe von drei Konzert- Das BJO begeisterte im Kulturzentrum Grand Hotel Toblach. Foto: Max Verdoes agenturen soll diese Arbeit nun verstärkt werden. Das Konzert- ˜ büro Andreas Braun in Köln ver- Bundesjugendorchester in seiner 40-jährigen Laufbahn wur- mittelt vor allem in Deutschland de das Orchester mit dem Deutschen seit einigen Jahren erfolgreich Das unersättliche Ensemble Musikpreis ausgezeichnet. Den begehr- Konzerte für das BJO und koo- ten Preis, der in der Vergangenheit u. periert neuerdings für die Bene- Traurig und düster: Gustav Mah- ter Oper die Mahler-Partie mit dem a. auch den Sängern Udo Jürgens und lux-Staaten mit der renommier- lers Lied von der Erde gilt als die Tenor Keith Ikaia-Purdy. Rolf Zuckowski verliehen wurde, ten belgischen Agentur Weinstadt wohl schwermütigste Komposi- Die Probenphase fand in diesem überreichte die Präsidentin des Deut- Concert Management in Brüs- tion des sonst oftmals so berau- Jahr erstmals in Detmold statt. Grund schen Musikverlegerverbandes, Dag- sel. Mit seinem großen Erfolg in schend-jungen Komponisten. Kann dafür war die Zusammenarbeit mit mar Sikorski, dem Projektleiter Sön- der Berliner Philharmonie über- ein solches Werk bei einem Jugend- der Detmolder Sommerakademie, was ke Lentz beim Berliner Konzert in Form zeugte das Orchester die Firma orchester funktionieren? Ja, es sich für die jungen Musiker als Glücks- einer Urkunde und eines Schecks. Artists Management Company kann. Erstmals in seiner Geschichte fall entpuppte: Außerhalb der Orches- „Das Preisgeld von 12500 Euro Ltd. aus Zürich, die Orchester hat sich das Bundesjugendorches- terproben konnten die Jugendlichen erreicht das Orchester genau im rich- wie das BBC Symphony Orches- ter (BJO) in diesem Sommer dem erstmals Zusatzangebote unterschied- tigen Moment“, sagte Lentz. „Viele tra, das Sinfonieorchester des Bay- 100 Jahre alten Liederzyklus Mah- lichster Art nutzen, darunter Kammer- unserer Instrumente sind über die Jahre erischen Rundfunks und die Wie- lers angenommen. Und hat Publi- musik, Meisterkurse, Kurse für freie in keinem guten Zustand mehr. Für ner Philharmoniker vertritt, für kum und Presse überzeugt. Interpretation, Atem und Bewegung. eine Pauken-Neuanschaffung bildet die jungen Musiker in Spanien, „Es ist ein Orchester, das unersätt- „Schon lange wollten wir unseren dieser Preis einen guten Grundstock.“ Italien und in der Schweiz zu ar- lich ist“, schwärmte ZDF-Moderator Musikern solche Kurse anbieten, aber ¿ beiten. Theo Koll. Und die Frankfurter Allge- aus finanziellen Gründen ist das leider Anke Krump meine Zeitung staunte über die „tech- nie möglich gewesen“, nische Perfektion“ des Nachwuchses. sagt Projektleiter Sönke Dabei stand die 113. Arbeitspha- Lentz. Den Höhepunkt se des Orchesters zunächst unter der Zusammenarbeit und keinem guten Stern, denn das Orches- gleichzeitigen Abschluss ter hatte gleich mit zwei Absagen zu bildete das Konzert des kämpfen: Zuerst fiel Dirigent Jac van Bundesjugendorchesters Steen krankheitsbedingt aus, ein Tag in der Oetker-Halle Bie- vor dem ersten Konzert musste die lefeld. Insgesamt begeis- Altistin Gerhild Romberger aufgrund terte das Orchester in die- einer Erkältung vertreten werden. Man sem Sommer über 4000 fand einen Ersatz, der überzeugte: Zuhörer in Bielefeld, Hil- Unter der Leitung von Matthias Fo- desheim, Berlin und remny erarbeitete das Bundesjugend- Frankfurt sowie in Itali- orchester in Detmold Johannes en (Val Gardena und Tob- Brahms’ Akademische Festouvertüre, das lach). Theatrum Bestiarum von Detlev Gla- Ein weiteres Bonbon nert und eben Mahlers 1908 kom- erwartete die Musiker ponierten Liederzyklus Das Lied von beim Konzert in Berlin, der Erde. Als Altistinnen teilten sich wo das BJO im Rahmen die Belgierin Anne-Marie Dur und des Festivals Young. Euro. Claudia Mahnke von der Frankfur- Classic gastierte: Erstmals Die jungen Musiker des Bundesjugendorchesters unterwegs in den Dolomiten. Foto: BJO

DMR aktuell 8 ˜ Bundesauswahl Konzerte Junger Künstler PROJEKTE Vorbereitung auf die 53. Bundesauswahl Seit Juli befinden sich die Stipen- jetzt zusammen mit einem Posaunen- diaten und Preisträger des Deut- oktett („Posaunenensemble Hanno- schen Musikwettbewerbs 2007 im ver“) ein Stipendium und mit diesem Rahmen der 52. Bundesauswahl die Aufnahme in die BAKJK. Auch Junger Künstler (BAKJK) auf Kon- das Klavierduo „duo imPuls“, Stipen- zerttournee durch Deutschland. Sie diat des DMW 2006, war – in erwei- ernteten schon bei ihren ersten terter Besetzung mit zwei Perkussio- Konzerten viel Lob. nisten – erneut beim DMW erfolgreich Bisher wurden 225 Konzerte ge- und ist mit dem „Flügelschlag Quar- bucht, viele weitere Anfragen von tett“ in der Bundesauswahl vertreten. Veranstaltern gehen ein, die eins der In Vorbereitung der Konzertsai- zwölf Ensembles zu ihren Konzerten son fand in der letzten Augustwoche einladen möchten. Erste Anfragen gibt ein viertägiges Symposium in der es auch schon für die kommende 53. Musikakademie Schloss Weikersheim BAKJK mit Preisträgern und Stipen- statt, das der Information und dem diaten des DMW 2008. Erfahrungsaustausch der BAKJK-Teil- Die Musiker haben längst mit der nehmer diente. Experten gaben Aus- Vorbereitung auf ihre Konzertsaison kunft zu Themen wie Künstlersozial- 2009/2010 begonnen, was bedeu- versicherung, GEMA, GVL, Steuer- tet, Programmvorschläge zu erarbei- fragen, Vertragswesen, Programmge- ten, mit ihren Ensemblepartnern zu staltung, Musikvermittlung und Öf- proben, Termine abzugleichen und fentlichkeitsarbeit. Daneben kam auch Biografien zu überarbeiten, um den das gemeinsame Musizieren nicht zu Das sonic.art Saxophonquartett ist in der 52. und als Preisträger des DMW Konzertveranstaltern alle relevanten kurz. Anne Kersting ¿ 2008 auch in der 53. BAKJK vertreten. Foto: Anke Madlen Jaeckel Informationen im Künstlerkatalog übermitteln zu können. Mitglied werden im Proben und Tournee Veranstalterring der Die in den Solokategorien erfolg- reichen Musiker wurden für die BAKJK Bundesauswahl Konzerte zu Ensembles zusammengeschlossen, Junger Künstler so dass die Instrumente Oboe, Flöte, Harfe, Klavier, Orgel und Gesang in Über die Bundesauswahl Konzer- unterschiedlichen Kombinationen mit te Junger Künstler (BAKJK) wer- vielfältigen Programmvorschlägen an- den junge Ensembles deutschland- zutreffen sind. Für sie bedeutet die weit für Konzerte vermittelt. Vorbereitung auch, sich mit anderen Organisatoren von Kammermu- Preisträgern und Stipendiaten zusam- sikkonzerten, die an Veranstaltungen menzufinden – auf musikalischer und mit Ensembles der Bundesauswahl in- professioneller Ebene, aber natürlich teressiert sind, können in den Veran- ebenfalls zwischenmenschlich. Denn stalterring aufgenommen werden und schließlich erwarten sie etliche gemein- erhalten jährlich einen Katalog mit Bi- same Proben und eine Konzerttour- ografien, Konzertprogrammen und nee mit ca. 20 bis 30 gemeinsamen Auftritten. Die beiden Musikerinnen Anto- Sie sind Teilnehmer an der 53. Bundesauswahl Junger Künstler: Das Posaunen- nia Lorenz und Isabel von Bernstorff, ensemble Hannover (oben) und das Flügelschlag-Quartett (unten). die nach ihrem Erfolg in Solokatego- Fotos: Deutscher Musikwettbewerb/Michael Haring rien beim DMW 2006 in der 51. Bundesauswahl musikalisch zusam- mengefunden hatten (im „Trio Ario- so“ mit Ulrike Jakobs), überzeugten die Jury des DMW dieses Mal in der verfügbaren Terminen der Musiker, Kategorie „Duo Klarinette/Klavier“ die allesamt Stipendiaten oder Preis- und werden als Duo in der kommen- träger des Deutschen Musikwettbe- den BAKJK vertreten sein. Als zwei- werbs sind. tes Duo Klarinette/Klavier gelangte Mitglieder des Veranstalterrings das preisgekrönte „Duo Riul“ in die verpflichten sich, pro Konzertsaison BAKJK. mindestens ein Ensemble der BAKJK Auch einige andere Künstler neh- zu engagieren; dafür sind ihnen die men bereits zum wiederholten Mal reduzierten Künstlerhonorare der an der BAKJK teil. Das „sonic.art Sa- BAKJK vorbehalten. ¿ xophonquartett“ erhielt bereits beim DMW 2007 ein Stipendium und kann Informieren Sie sich über eine Mit- nun als Preisträger des DMW 2008 gliedschaft im Veranstalterring: eine zweite Saison in Folge für Kon- Tel. 0228-2091160 zerte gebucht werden. Frederic Belli, E-mail: [email protected] Preisträger des DMW 2007, erlangte www.musikrat.de/bakjk

DMR aktuell 9 ˜ Deutscher Orchesterwettbewerb: Workshop Tipps für die tägliche Bigband-Arbeit „Go East“ heißt es dieses Mal für (RIAS Big Band Berlin). Als Posaunist die Teilnehmer des 3. Bigbandlei- spielte er u. a. im Glenn Miller Or- ter-Workshops im Rahmen des chestra, bei Stan Kenton sowie in den PROJEKTE Deutschen Orchesterwettbewerbs Bigbands von Kurt Edelhagen, Count (DOW) unter der Leitung von Jiggs Basie, Peter Herbolzheimer und in der Whigham. Im kommenden Jahr WDR Bigband. wird diese erfolgreiche Fortbildung Beim Deutschen Orchesterwett- nämlich zum ersten Mal an der bewerb (DOW) treffen sich seit über Musik- und Kunstschule in Jena 20 Jahren die besten Orchester und stattfinden. Formationen der instrumentalen Ama- Mit der „Blue Beans Bigband“ und teurmusik. Am erstmals im Jahre 1986 der „Master of Muppet Jugend Big- ausgetragenen DOW nehmen mitt- band“ unter der Leitung von Klaus lerweile mehr als 130 Ensembles mit Wegener werden gleich zwei aktuel- über 5000 Musikern teil. Die Einbin- le DOW-Teilnehmerbands in den dung internationaler Juroren und Fach- Genuss kommen, als Workshop-En- leute machen ihn zudem zu einer sembles zu fungieren. internationalen Kommunikationsplatt- Wie bei den beiden vorangegan- form. genen Seminaren, die 2005 und 2007 Der Wettbewerb richtet sich an in Bonn stattfanden, richtet sich die- Amateurorchester aus den Bereichen ses Seminar in erster Linie an die Big- der sinfonischen Musik, der Zupf-, Blas-, bandleiter aller bisherigen Orchester- Akkordeonmusik und des Jazz. Ne- wettbewerbe. Aber auch interessierte ben der Begegnung und dem Leis- Bandleader, die es nicht zum DOW tungsvergleich dokumentieren Stipen- geschafft haben, können die Gelegen- dien und Fortbildungsveranstaltungen heit bekommen, aktiv oder passiv an für Dirigenten aller Sparten, die Ver- diesem Workshop teilzunehmen und gabe von Kompositionsaufträgen und fünf Tage lang unter fachkundiger Lei- Kompositionspreisen, Tondokumen- tung von Whigham und seinem As- tationen der Orchester sowie Litera- sistenten Martin Gerwig an ihrem turlisten die nachhaltige Förderung des Dirigat und ihrer Probentechnik zu fei- Wettbewerbs. Der DOW wird vom len. 12 aktive und acht passive Teil- Beauftragten der Bundesregierung für ˜ Deutscher Musikwettbewerb Komposition nehmer haben beim letzten Seminar Kultur und Medien finanziert. ¿ 2007 auf diese Weise wertvolle Tipps Wer komponiert für Saxofonquartett? und Anregungen für die tägliche Ar- beit mit ihren Bigbands bekommen. DOW-Beirat vergab Spannende Erwartung bis zum 15. teilzunehmen, sind Komponisten bis Bigbands haben in den vergange- Dezember: Dann werden die Kom- zum Alter von 32 Jahren, die die deut- nen Jahren stetig an Stellenwert ge- seine Stipendien positionen für Saxofonquartett sche Staatsbürgerschaft besitzen oder wonnen und sind an allen Institutio- Nachdem der Beirat des Deutschen oder für die Besetzung Duo Klari- an einer Musikhochschule in Deutsch- nen des musikalischen Lebens, wie Orchesterwettbewerbs auf seiner letz- nette/Klavier vorliegen, die beim land studieren oder seit mindestens Schulen und Musikschulen, aber auch ten Sitzung über die Vergabe der Sti- erstmals ausgeschriebenen Deut- fünf Jahren in Deutschland leben. in der freien Szene nicht mehr weg pendien abgestimmt hat, können sich schen Musikwettbewerb Kompo- Welche Komponisten Werke einrei- zu denken. Viele Leiter haben selbst nun insgesamt neun Orchesterleiter, sition die prominent besetzte Jury chen, wird der Jury jedoch vorent- in diesen Bands gespielt, aber in den die im Mai am 7. DOW in Wupper- und schließlich auch das Publikum halten, um eine unbefangene und seltensten Fällen eine Ausbildung oder tal teilgenommen haben, über ein Sti- überzeugen sollen. offene Bewertung zu gewährleisten. ein Coaching in diesem Bereich be- pendium in Höhe von je 2000 Euro Am 16. Mai 2009 erfolgt die Ur- Als Juroren konnten die Kompo- kommen. Ziel des Workshops ist es, freuen. Diesen Betrag können sie in aufführung der prämierten Werke nisten Christian Jost, Charlotte Seither einen Austausch über bigbandspezi- enger Absprache mit dem Projektbüro durch Preisträger- oder Stipendiaten- und Manfred Trojahn, Deutschland- fische Herausforderungen in Gang zu in Bonn für Fortbildungen und Un- ensembles des Deutschen Musikwett- funk-Fachredakteur Frank Kämpfer setzen und das eigene Verhalten in terrichtsmaterialien verwenden. Die bewerbs (DMW) in der Philharmo- und Pianist und Musikwissenschaft- Bezug auf Bewegung und Körperspra- nachhaltige Förderung für Orchester- nie Essen, der Initiatorin des neuen ler Siegfried Mauser gewonnen wer- che von einem renommierten Profi und Chorleiter beim DOW/DCW gibt Wettbewerbs. Als Preise winken 5000 den. Beim DMW 2009 im März in überprüfen zu lassen. So sollen die es bereits seit 1985. Euro (Preis der Philharmonie Essen) Berlin kürt dann eine erweiterte Jury Teilnehmer wichtige neue Impulse für Die Stipendiaten des 7. DOW sind: und 1500 Euro (Kompositionsauftrag die ersten Gewinner des Deutschen die Probenarbeit erhalten. Martin Gunkel (Göppinger Jugend- des Deutschlandfunks). Musikwettbewerbs Komposition. Jiggs Whigham gilt als einer der sinfonieorchester der Städtischen Ju- Damit die talentierten jungen Kom- Im kommenden Sommer geht der renommiertesten Jazzposaunisten, gendmusikschule), Iris-Simone Au ponisten nicht nur einmalig gefördert Wettbewerb in die zweite Runde. Er Bigbandleiter und Jazzpädagogen (Kammerorchester der Musikschule werden, sondern vielerorts und immer wird jährlich vom Deutschen Musik- weltweit. Zurzeit leitet er die BBC Brandenburg), Tobias Simon (musi- wieder Gehör finden, sollen die preis- rat in Kooperation mit der Philhar- Bigband in London und als „Profes- ca viva – Kammerphilharmonie am gekrönten Kompositionen von En- monie Essen und dem Deutschland- sor auf Lebenszeit" die Abteilung für Landesmusikgymnasium Rheinland- sembles der Bundesauswahl Konzer- funk ausgeschrieben. Die Kammer- Popularmusik an der „Hanns Eisler“ Pfalz), Konstanze Horst (Junge Strei- te Junger Künstler ins Programm musik-Besetzungen, für die Kompo- Hochschule für Musik in Berlin. Jiggs cher Hamburg), Tobias Zinser (Stadt- aufgenommen und einem breiten sitionen geschaffen werden sollen, Whigham war außerdem von 1984 kapelle Wangen), Josef Christ (Ulmer Publikum präsentiert werden. Auch ändern sich dabei von Jahr zu Jahr. bis 1986 Leiter der Schweizer Radio Knabenmusik), Rüdiger Kurz (Brass eine Aufnahme der Kompositionen Band (Radio DRS). Von 1995 bis 2000 Cats), Martin Czekalla (Gitarrenen- als Wahlpflichtstücke in die Reper- Ausschreibung zum DMW Komposition war er Dirigent und künstlerischer semble Rheine) und Torsten Stramm toirelisten des DMW ist denkbar. im Internet unter: Leiter der Berliner Radio Big Band (mkg Big Band). Herwig Barthes ¿ Aufgefordert, an dem Wettbewerb www.musikrat.de/dmw-komposition ¿

DMR aktuell 10 Beratungsservice und eine Spezial- Journalistik und Kommunikationsfor- PROJEKTE bibliothek bereitgestellt wird. Das schung der Hochschule für Musik und Spektrum reicht von der musikalischen Theater Hannover. Grußworte spre- Bildung und Ausbildung über das chen Ingeborg Berggreen-Merkel, Mi- 10 Jahre Kompetenznetzwerk MIZ Laienmusizieren, die professionelle nisterialdirektorin beim Beauftragten Musikausübung und das Veranstal- der Bundesregierung für Kultur und Das Deutsche Musikinformationszentrum (MIZ) ist eines der jüngsten tungswesen bis hin zu den Medien Medien, Ludwig Krapf, Kulturdezer- Projekte des Deutschen Musikrats. Nach einem Jahrzehnt kontinuier- und der Musikwirtschaft. Ob umfang- nent der Stadt Bonn, und Heidi Schu- licher Entwicklung und steter Erweiterung seines Angebotsspektrums reiche Datenbanken zur Infrastruk- macher, Abteilungsleiterin im Minis- hat es sich als unverzichtbare Informationsstelle für alle Fragen zum tur des Musiklebens, kulturpolitische terium für Bildung, Wissenschaft, Musikleben etabliert. Stellungnahmen und Dokumente, Sta- Jugend und Kultur Rheinland-Pfalz. Dies ist ein Grund zum Feiern, aber Feldern des Musiklebens bereit und tistiken, Daten und Fakten zum Mu- Joachim-Felix Leonhard, Staatsse- auch ein Anlass, eine erste Erfolgs- dokumentiert Strukturen und kultur- sikleben, Fachliteratur oder tagesak- kretär a. D. und Vorsitzender des Bei- bilanz zu ziehen und einen Blick in politische Entwicklungen. Dabei ko- tuelle News: Das MIZ bietet allen rats Deutsches Musikinformations- die Zukunft unserer Informationsge- operiert das MIZ mit zahlreichen Musikinteressierten eine Vielzahl von zentrum, geht in einer Ansprache auf sellschaft zu wagen. 1998 mit maß- Einrichtungen und Institutionen auf Anknüpfungspunkten. die Entwicklung des MIZ und seine geblicher Unterstützung des Beauftrag- nationaler wie internationaler Ebene. Zum Festakt am 13. November Perspektiven innerhalb der dichten und ten der Bundesregierung für Kultur 2008 kann das MIZ auf ein um- in der Bad Godesberger Redoute wer- vielfältigen Musiklandschaft Deutsch- und Medien, der Stadt Bonn und fassendes und breitgefächertes Infor- den zahlreiche Gäste aus Kultur und lands ein. Im Anschluss an den offizi- privater Förderer in Bonn gegründet, mationsangebot zurückblicken, das im Politik erwartet. Den Festvortrag zum ellen Teil bietet ein Empfang die stellt das MIZ Daten, Fakten und Hin- Internet (www.miz.org), durch eigene Thema „Musik und Internet“ hält Hel- Möglichkeit zu Gespräch und Begeg- tergrundinformationen zu zentralen Publikationen, einen individuellen mut Scherer, Direktor des Instituts für nung. ¿ Das MIZ aus Sicht der Nutzer Zur Überprüfung seiner Angebo- systems überschreitet te und zu deren gezielter Weiter- und die eine persönli- entwicklung hat das MIZ im Win- che Beratung erfordern. ter 2007/08 erstmals eine Nutzer- Dazu gehören beispiels- umfrage im Internet durchgeführt, weise Fragen zu Ausbil- deren Ergebnisse nun vorliegen. dungswegen und be- Beteiligt haben sich insgesamt 3725 rufsqualifizierenden Ab- Personen aus dem gesamten Bundes- schlüssen, zum künst- gebiet, von denen die Hälfte das MIZ lerischen Selbstmanage- mehrmals im Quartal und häufiger, ment und zu Förderun- acht Prozent sogar mehrmals in der gen für Musiker aller Woche bzw. täglich besuchten. Rund Musikrichtungen am 90 Prozent bezeichneten die Service- Beginn ihrer Karriere, zu leistungen des MIZ insgesamt als gut Existenzgründungshil- bis sehr gut. fen im kulturellen Be- Eine überaus positive Bewertung reich sowie zu Möglich- sowohl in inhaltlicher Hinsicht als auch keiten der öffentlichen und privaten Internet zu einer ersten Kontaktauf- Das thematische Spektrum der unter dem Aspekt der Präsentation Förderung. nahme. nachgefragten Informationen ist erhielt das Internetportal des MIZ Daneben werden Begegnungs- und Gut ein Fünftel wandte sich mit überaus vielfältig. Im Wesentlichen (www.miz.org): Mehr als 80 Prozent Förderprogramme für musikalisch einer persönlichen E-mail an das MIZ, lassen sie sich den nachfolgend ge- der Befragten beurteilten die unter- begabte Kinder und Jugendliche acht Prozent griffen zum Telefon. Mit nannten Feldern des Musiklebens schiedlichen Informationsangebote ebenso gesucht wie Auskünfte zu der Bearbeitung ihrer Anfragen wa- zuordnen, an deren Spitze mit gut sowie Gestaltung und Benutzerfüh- weniger bekannten Komponisten, ren nahezu 90 Prozent sehr zufrie- einem Fünftel der Bereich Musikali- rung als gut bis sehr gut. An der Spit- besondere Werkinformationen oder den bzw. zufrieden. sche Bildung, Aus- und Fortbildung, ze der Beliebtheitsskala stand mit statistische Daten zu spezifischen The- Eine zusätzliche Auswertung der Musikberufe lag. Daneben waren knapp 40 Prozent die Datenbank zur menstellungen. Nutzer aus dem Aus- an das MIZ gerichteten Anfragen aus Fragen nach Komponisten, Werken Infrastruktur des Musiklebens, die über land benötigen häufig konkrete Infor- dem ersten Halbjahr 2008 förderte und Interpreten von ebensolchem 10000 Institutionen, Einrichtungen mationen zu einzelnen Bereichen des vier große Nutzergruppen zu Tage: Interesse wie die Bereiche Musikför- und Initiativen in systematischer Dar- Musiklebens in Deutschland oder Demnach wurden 55 Prozent der derung, Musik- und Kulturpolitik bzw. stellung verzeichnet. Rund ein Drit- suchen Kontakte für die Organisation persönlichen Kontakte von Vertretern Musikwirtschaft und Musikmarkt tel der Nutzer interessierte sich ins- von Konzertreisen und Studienauf- originärer Berufsgruppen des Musik- (jeweils 15 Prozent). Informationsbe- besondere für die Themenportale mit enthalten. bereichs, von Komponisten, Interpre- darf zu den Bereichen Laienmusizie- einführenden Beiträgen, Hintergrund- Zur Beantwortung solcher und ten, Musikpädagogen und -wissen- ren, Forschung und Dokumentation informationen, kulturpolitischen Do- zahlreicher anderer Anfragen nutzt das schaftlern, darunter auch Studierende sowie Musikveranstaltungen war in kumenten, Statistiken und tagesaktu- MIZ seine internen Informationssamm- der unterschiedlichen Fachrichtungen, knapp 30 Prozent der Fälle der Grund ellen Nachrichten. Das Informa tions- lungen, stellt Materialien aus der ei- aufgenommen. 13 Prozent der An- für eine persönliche Kontaktaufnah- system zur musikalischen Fort- und genen Bibliothek – die auch Besuchern fragen kamen von Organisationen des me. Weiterbildung nannten elf Prozent der offen steht – zusammen oder emp- kulturellen Lebens wie Verbänden, Die positive Bilanz der Nutzerum- Befragten als wichtigstes Angebot des fiehlt geeignete Ansprechpartner bzw. Vereinen, Behörden und Kulturinsti- frage ist Grund zur Freude, aber im MIZ. Fachinstitutionen. tutionen und elf Prozent von Wirt- Jahr des 10-jährigen Bestehens des MIZ Obwohl auf www.miz.org eine Unter den Teilnehmern der Um- schaftsunternehmen, darunter insbe- zugleich auch Anspruch und Ansporn Fülle von Informationen bereitsteht, frage hatten rund 30 Prozent schon sondere von Unternehmen der Musik- für die Zukunft: Oberstes Gebot bleibt gibt es zahlreiche, zum Teil sehr spe- einmal von dieser individuellen Infor- branche. Laienmusiker, Musikliebha- die kontinuierliche Weiterentwicklung zielle Fragestellungen, deren Beant- mations- und Beratungsmöglichkeit ber und andere Nutzer machten rund und Optimierung der Informations- wortung die Möglichkeiten eines auch Gebrauch gemacht. Dabei nutzte der 20 Prozent der Anfragenden aus (siehe angebote des MIZ im Sinne seiner noch so umfassenden Informations- überwiegende Teil das Formular im Grafik oben). Nutzer. Christiane Rippel ¿

DMR aktuell 11 ˜ Jugend musiziert: WESPE in Freiburg und Münster personalia Eine spannende Entdeckungsreise Norbert Pietrangeli zum Kaufmännischen Noch kein Jahr in der Welt und starke Anreize geschaffen, sich mit schon ist die vom Bundeswettbe- Neuer Musik zu beschäftigen: „Beste Geschäftsführer wiederbestellt werb „Jugend musiziert“ gestartete Interpretation eines Werkes der klas- PROJEKTE Der Aufsichtsrat der Projektgesellschaft Initiative „WESPE“ im Begriff, zur sischen Moderne“, „Beste Interpreta- des Deutschen Musikrats hat im Juli die Institution zu werden. tion eines Werks einer Komponistin“, Vertragsverlängerung von Norbert Ende 2007 rief der Projektbeirat „Beste Interpretation eines eigenen Pietrangeli beschlossen. Damit wurde die „WESPE“ ins Leben, ein Akronym Werks“, „Beste Interpretation eines für Pietrangeli für weitere fünf Jahre in aus dem Arbeitstitel „WochenEnden Jugend musiziert komponierten Werks seiner Funktion als kaufmännischer der SonderPreisE“. Entstanden ist ein (Uraufführung), „Beste Interpretation Geschäftsführer bestätigt. „Ich freue Nachspiel, eine „vierte Wettbewerbs- eines Werks der Verfemten Musik“ mich, dass wir die erfolgreiche Zusam- phase“, in der sich die jungen Musi- lauteten die Sonderwertungen für das menarbeit fortsetzen können“, sagte der ker vertieft möglichst mit einem Werk Wochenende in Freiburg. Aufsichtsratsvorsitzende Martin Maria auseinandersetzen, experimentieren Bei WESPE steht nun die vertief- Krüger. „Insbesondere in der Phase der und ausprobieren sollen. te Beschäftigung mit den Werken Neugestaltung des Musikrats hat er Was Teilnehmer und Gäste im dieser Kategorien im Vordergrund. hervorragende Arbeit geleistet. Es ist ihm September 2008 erwartete, war span- Preisträger werden verstärkt zum For- gelungen, trotz real sinkender Mittel die nend und inspirierend zugleich: Den schen, Entdecken und Komponieren Projektvielfalt zu mehren. Hierfür spre- dienstältesten Sonderwertungen im eingeladen. Mit Bedacht wurden dazu che ich ihm den herzlichen Dank von Bundeswettbewerb, der „Sonderwer- zwei Wochenenden im September ge- Präsidium und Aufsichtsrat aus.“ Norbert Pietrangeli tung Z“ der Stadt Erlangen und dem wählt, damit alle mitwirkenden Mu- Der für die Projekte zuständige Geschäftsführer Peter Ortmann erklärte: „Klassikpreis“ der Stadt Münster und siker Zeit hatten, sich mit dem Werk „Wenn die Projektleiter für das kreative Potenzial im Deutschen Musikrat des Westdeutschen Rundfunks, wur- ihrer Wahl auf WESPE vorzubereiten. stehen und vor keiner neuen Idee zurückschrecken, so gibt ihnen Norbert den fünf neue Sonderwertungen bei- Der Deutsche Musikrat und „Jugend Pietrangeli die erforderliche Sicherheit durch Beratung und Vorgaben im gefügt, die im Rahmen eines beson- musiziert" freuten sich, dass bereits Bereich der Finanzverwaltung.“ deren Wettbewerbs vom 19. bis 21. im ersten Jahr der WESPE 135 Musi- Pietrangeli ist seit 2003 kaufmännischer „Chef“ der Projektgesellschaft. September in der Hochschule für ker teilnahmen. Gemeinsam mit Ortmann verantwortet er derzeit 16 Projekte. Musik in Freiburg ausgespielt wurden. Sonderpreise im Gesamtvolumen Hier konnten sich nur Bundespreis- von über 30000 Euro stifteten: die Hans Peter Pairott verlässt Deutschen Musikrat Nach langjähriger Tätigkeit als Projekt- leiter „Jugend musiziert“ ist Hans Peter Pairott zum 31. August aus dem Deut- schen Musikrat ausgeschieden. Pairott führte das Projekt mehr als zwölf Jahre und prägte es in dieser Zeit durch be- ständige Weiterentwicklung in Qualität und Quantität. Er verließ die Projektge- sellschaft auf eigenen Wunsch und übernahm ab 1. September die Leitung Elf Sonderpreise in sechs Kategorien: 32 strahlende Preisträger versammelten der Städtischen Sing- und Musikschule sich in der Musikhochschule Freiburg mit Stiftern, Juroren und Repräsentanten München. der Stadt zum Gruppenfoto, darunter Thomas Oertel vom Landessausschuss „Wir wünschen Hans Peter Pairott in „Jugend musiziert“ Baden-Württemberg, Bürgermeister Ulrich von Kirchbach, seiner neuen, dem Musikrat durchaus Reinhart von Gutzeit, Vorsitzender von „Jugend musiziert“ und Horst Kary, nahestehenden Tätigkeit viel Erfolg und Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Freiburg. Foto: www.lichtundphoto.de danken ihm für die geleistete Arbeit“, so Norbert Pietrangeli, kaufmännischer Hans Peter Pairott träger von „Jugend musiziert" beteili- Gesellschaft zur Verwertung von Leis- Geschäftsführer. Bis zur endgültigen Klärung der Nachfolge wird der bis- gen. Der „Klassikpreis“ fand am dar- tungsschutzrechten (GVL), der Ver- herige Stellvertretende Projektleiter Edgar Auer das Projekt kommissarisch auffolgenden Wochenende in der band deutscher Musikschulen (VdM), führen. Westfälischen Schule für Musik in die Irino-Foundation, die Stadt Erlan- Münster statt. gen, ZONTA International/Union Manfred Schaefer in Ruhestand verabschiedet Im Zuge grundsätzlicher Überle- deutscher ZONTA Clubs, die Bertold gungen zur Förderung der Neuen Hummel Stiftung, die Hindemith-Stif- Nach fast 25-jähriger Tätigkeit für den Deutschen Musikrat ist Manfred Musik bei „Jugend musiziert" war die tung, der Deutsche Musikverleger- Schaefer am 30. September in den Ruhestand verabschiedet worden. Der Idee zu WESPE geboren worden. Die Verband (DMV), die Stadt Freiburg, gebürtige Bonner war seit 1999 in der Zentralen Verwaltung beschäftigt, Wettbewerbsverantwortlichen hatten MehrKlang – Gesellschaft für neue wo er u. a. für die Bereiche „Zentraler Post- und Telefondienst“ sowie im Lauf der Jahre immer mehr den Musik Freiburg e. V., die Sparkasse „Beschaffung“ zuständig war. Schaefer begann seine Arbeit beim Musikrat Eindruck gewonnen, dass sich die Freiburg-Nördlicher Breisgau, das Bun- 1975 als freier Mitarbeiter. Sechs Jahre wirkte er bei der Vorbereitung und Nachwuchsmusiker gerne und erfolg- desministerium für Familie, Senioren, Durchführung von Wettbewerben und Orchesterarbeitsphasen mit. 1984 reich mit Musik des 20./21. Jahrhun- Frauen und Jugend, die Stadtwerke wechselte er als Sachbearbeiter in das Projekt Deutscher Orchester- und derts auseinandersetzten und dass Schwerin, die Stadt Münster und der Chorwettbewerb. Von 1996 bis 1998 baute er das Verbandsarchiv des diese Epoche eine Sonderstellung nicht Westdeutsche Rundfunk. Deutschen Musikrats auf. Norbert Pietrangeli dankte Manfred Schaefer im mehr benötigte. So wurde die Ver- Ergebnisse von WESPE 2008 unter: Rahmen seiner Verabschiedung am 26. September für sein langjähriges pflichtung, ein Werk des 20./21. Jahr- www.jugend-musiziert.org ¿ Engagement und seine Treue zum Deutschen Musikrat. hunderts zu spielen, abgeschafft. Statt- Susanne Fließ Schaefers Arbeitsbereiche übernimmt zukünftig Nikolaos Pasaportis, dessen wurden mit sechs Sonderwer- Abdruck mit freundlicher Genehmigung der vom Goethe-Institut-Bereich „Laienmusizieren und Förderung des tungen und attraktiven Geldpreisen der Neuen Musik Zeitung musikalischen Nachwuchses“ zum Deutschen Musikrat wechselt.

DMR aktuell 12 PROJEKTE

˜ BundesJazzOrchester mit neuem Programm Bekannte Jazzprofis im Einsatz: die aktuelle BuJazzO-Besetzung mit den Dozenten Dennis Mackrel, Hen- „Revisited Stan Kenton“: Hommage an eine Orchester-Legende ning Gailing, Wolfgang Köhler, Marc Secara, Rosemarie Moizisch (Projekt- (Trompete) aus Las Vegas, Dennis wegnahm, was erst nach 2000 als Salsa „Stan Kenton revisited“ betitelte assistentin), Jiggs Whigham, Carl Bigbandleiter Jiggs Whigham sein Mackrel (Schlagzeug) aus New York, weltweit beliebt wurde. Neben die- Saunders, Don Menza, Joe Gallardo, Programm, das er mit dem Bun- Phil Robson (Gitarre) aus London, Joe sen beiden Titeln waren auch bekannte José Cortijo, Phil Robson und Wolf- desJazzOrchester (BuJazzO) vom Gallardo (Posaune) aus Texas, José Jazzsongs wie Gershwins Fascinating gang Gaag (von links nach rechts). 6. bis zum 15. September in der Cortijo (Perkussion) aus Spanien so- Rhythm, Edgard Sampsons Stompin’ Musikakademie Schloss Rheins- wie Wolfgang Gaag (Horn) aus Mün- At The Savoy und Cole Porters I’ve berg einstudierte. chen, Wolfgang Köhler (Klavier) und Got You Under My Skin Bestandteil Zehn Tage lang standen Tutti- und Marc Secara (Gesang) aus Berlin und des BuJazzO-Programms, bei denen nämlich für die Stiftung Denkmal- Satzproben auf dem Probenplan, wur- Henning Gailing (Bass) aus Köln. sich insbesondere die Gesangssolis- schutz, die aus den Erlösen der Kon- de im Einzelunterricht sowie im Trai- Jiggs Whigham hatte selbst im le- ten hervorragend bewährten. zerte erhaltenswerte Baudenkmäler ning der Rhythmusgruppen und der gendären Stan Kenton-Orchester der Für das Projekt vergrößerte sich im östlichen Deutschland wiederher- Solisten intensiv mit dem Material 50er Jahre gespielt, das durch Titel das BuJazzO um einen zehnköpfigen stellt und für kulturelle Zwecke öff- gearbeitet. Namhafte Profis unterstütz- wie Malaguena ebenso populär wur- Chor, eine Perkussionsgruppe und net. ten den Dirigenten, Komponisten, Ar- de wie durch die Cuban Fire-Suite, eine Horn-Klasse – ganz nach dem Jiggs Whigham, der zum ersten Mal rangeur und herausragenden Solisten einem von lateinamerikanischen Rhyth- Vorbild der Stan Kenton-Auftritte in mit dem BuJazzO zusammenarbeite- auf der Posaune, darunter Don Men- men beeinflussten Gesamtwerk für den 50er Jahren. Umso mehr wur- te, war ganz begeistert vom Leistungs- za (Saxofon) und Charles Saunders großes Jazzorchester, das vieles vor- den das ausverkaufte Abschlusskon- vermögen und persönlichen Engage- zert am 13. September im Theater ment der Mitglieder: „Die jungen ˜ von Schloss Rheinsberg wie auch die Jazzmusiker von heute, die ihre Rolle Jugend jazzt viermaligen Auftritte beim Tag der of- im Musikleben so ernst wie nie neh- fenen Tür des Deutschen Bundestags men, bringen eine Disziplin mit, die Viele Förderungen in die Tat umgesetzt in Berlin mit Begeisterung aufgenom- der von erfahrenen und älteren Pro- men. fis in nichts nach steht. Dies findet Das Jahr 2008 ist das Jahr zwischen Jazzfest in Greifswald gastierten. Das Danach gastierte das BuJazzO mit seine Spitze im Verhalten der jungen zwei Bundesbegegnungen „Jugend Heike Fischer-Quartett und Vamp dem Programm auf Einladung des BuJazzOs. Dazu kommt eine enorme jazzt", in dem traditionellerweise & Fade (Bremen) wirkten im Septem- Deutschlandfunks noch in der reno- kreative Teilnahme, die vor musika- die Förderpreise der zurückliegen- ber beim Jugendmusikfest Sachsen- vierten Wandelhalle in Eisenach in der lischen Ideen und selbstverantwortli- den Veranstaltung (Halle 2007) Anhalt sowie beim Eröffnungskonzert Sendereihe „Grundton D“. Hier spielte cher Mitgestaltung nur so sprüht.“ ¿ umgesetzt werden. der Oper Halle mit. Der mit dem Solis- das Orchester für den guten Zweck, Peter Ortmann Folgende Preisträgerensembles ha- tenpreis ausgezeichnete Vibrafonist ben in den vergangenen Wochen ihre und Schlagzeuger Julius Heise („Groß- © Deutschlandfunk Fördermaßnahmen erlebt: meister Lin Trio", Berlin) erhielt Un- Rhythm Combination & Bones terricht bei Avo Pärt. (Schleswig-Holstein) gastierten im Juni Damit sind fast alle Fördermaß- bei der „Jazz Night Koblenz", Schlag- nahmen umgesetzt, die in Halle ver- zeuger Philipp Scholz („Flaura & Pho- geben wurden. Sie erreichen immerhin na“, Sachsen) erhielt einen Equipment- eine Gesamthöhe von fast 60000 Euro, preis und Saxofonist Timo Vollbrecht an denen sich nicht nur das Bundes- („Tee mit Sahne", Niedersachsen) be- jugendministerium und der Deutsch- kam Kompositionsunterricht bei Ni- landfunk beteiligten, sondern viele wei- colai Thärichen und Guillermo Klein. tere Förderer vor Ort wie Landesmu- Die Gruppe Flaura & Phona konnte sikräte, Veranstalter, Kommunen und Mitte September Studioaufnahmen im Festivals. Deutschlandfunk machen und bei ei- „Heimlicher 1. Preis“ von Jugend nem Gemeinschaftskonzert mit dem jazzt sind natürlich die Studioaufnah- „Island H. Jazz Orchestra" im Wein- men im Deutschlandfunk. Die Pro- gut Hof Lössnitz mitwirken. Studio- duktionen werden nicht nur in aus- aufnahmen machten auch das Char- führlichen bundesweiten Sendungen lotte Greve-Dierk Peters Duo aus ausgestrahlt, sie stehen den Ensembles Niedersachsen und das Duncker- auch für die Veröffentlichung erster Oerding-Duo aus Sachsen-Anhalt, die Debut-CDs zur Verfügung. ¿ darüberhinaus im Juli beim Eldenaer Peter Ortmann In der Förderung von „Jugend jazzt“: Das Duncker-Oerding-Duo.

DMR aktuell 13 ˜ Edition Zeitgenössische Musik ˜ Edition Elektronik Neu: Klang-Rückschau und Dohmen-Porträt Premiere mit dem

Seit über 20 Jahren und auf „mollschen gesetz“ nunmehr fast 70 CDs porträtiert die Reihe Edition Zeitgenössische Ein Schlaglicht auf den Grenzbe-

PROJEKTE Musik (EZM) das Schaffen junger reich zwischen instrumentaler und deutscher oder in Deutschland le- elektronischer Musik wirft die „edi- bender Komponisten. Zum fünf- tion elektronik – Experiment und ten Mal erscheint auch eine Col- Evaluation“ – eine neue Plattform lection, die erstmals zu den Donau- der Förderprojekte Zeitgenössische eschinger Musiktagen im Oktober Musik für die Zusammenarbeit von präsentiert wird und ab Novem- Instrumentalisten, Soundingenieu- ber für eine geringe Schutzgebühr ren und Elektronik-Musikern. erhältlich ist. Mit „catalogue of improvisation“ Auf zwei CDs bietet die „Collec- Neuerscheinungen und Gesamt- ist nun die erste CD nebst separatem tion 5“ eine klangliche Rückschau auf katalog: Die Collection 5. Booklet erschienen, die auf 33 Tracks die jüngsten zwölf Veröffentlichun- und mit umfangreichem Text und Bild- gen in der Reihe EZM; der Booklet- Bewerbungsfrist für die material die letztjährige Konzertrei- Musik und Pause minutiös: CD-Cover Text von Ingo Dorfmüller mit dem he der Kölner Formation „das moll- der Formation „das mollsche gesetz“. Titel „Musikalische Genotypen und Edition bis Ende Dezember sche gesetz“ dokumentiert. Für ihr Phänotypen“ sucht nach Gemeinsam- Im Februar 2009 werden auf einer Improvisationskonzept bzw. -gesetz – keiten und Unterschieden im kom- Sitzung des Beirats unter Vorsitz von jeweils eine Minute Musik, gefolgt von mationen über die edition elektronik, positorischen Schaffen und Selbstver- Wolfgang Rihm weitere Komponis- einer Minute Pause – hat „das moll- die mit einer 3er-CD-Box der Berli- ständnis der ausgewählten Kompo- ten für die Edition Zeitgenössische sche geset“z prominente Mitstreiter ner Gruppe zeitkratzer fortgesetzt wird, nisten. Komplettiert wird die Collec- Musik ausgewählt. Bewerbungen sind gefunden, u. a. den Feldman- und unter: www.musikrat.de/elektronik ¿ tion durch einen alphabetischen Ge- bis Ende Dezember abzugeben. Hin- Cage-Pianisten John Tilbury, den New Markus Kritzokat samtkatalog – schnell und einfach kann weise und Unterlagen zur Bewerbung Yorker Avantgarde-Rocker Elliott Sharp Das Mollsche Gesetz, catalogue of so jede CD-Veröffentlichung in der unter: oder die Turntable-Künstler des Ins- improvisation, CD und Katalog, Reihe EZM im Booklet nachgeblät- www.musikrat.de/edition ¿ tituts für Feinmotorik. Weitere Infor- WER 8051 2 tert werden.

˜ Workshop „Komposition als Experiment“ Scott Roller-Workshop öffnet Türen zur zeitgenössischen Musik Zeitgenössische Musik gilt oft als auch alle (bislang passiven) Musikin- Teilnehmern zu arbeiten. Ein Filmteam schwer verständlich, als etwas nur teressierten ab etwa 15 Jahren einge- wird die Ergebnisse für die Internet- für Spezialisten. Für „normale“ laden. Es werden keine besonderen Plattform www.abenteuer-neue- Musiker, Schüler, Laien und Kon- Fähigkeiten oder Erfahrungen voraus- musik.de dokumentieren. Über die- zertgänger wird sie meistens als gesetzt. se Adresse können Musiklehrer päda- ungenießbar abgestempelt. Dies Zum Abschluss des Workshop am gogisches Begleitmaterial zu den CDs muss keineswegs so sein, wie in 29. November wird Finnendahl, der der Reihe „Edition Zeitgenössische den Workshops von Scott Roller auch als Leiter des Studios für elek- Musik“ des Deutschen Musikrats gratis „Klingt nach Frottagen“: Porträt-CD offensichtlich wird. tronische Musik an der Musikhoch- beziehen und sie in Schule und Mu- Andreas Dohmen bei WERGO. Seit 15 Jahren arbeitet der in Es- schule Freiburg tätig ist, den sechs- sikschule einsetzen. Kerstin Jaunich ¿ sen ansässige amerikanische Cellist, wöchigen Kurs besuchen, um mit den www.musikrat.de/edition Bereits zum 1. Oktober erschien Komponist, Improvisator und Lehrer die Porträt-CD Andreas Dohmen, mit Schulklassen, Ensembles und Grup- u. a. mit Werkeinspielungen durch die pen zusammen, um Türen zur zeit- Sinfonieorchester des WDR und des genössischen Musik als spannende SWR Baden-Baden und Freiburg. Bei persönliche Begegnung zu öffnen. Andreas Dohmen wird das „Machen von Klängen“ gleich auf mehreren Ebe- Zu den Werken des 45-jährigen nen zum Fokus des Komponierens, Komponisten Orm Finnendahl, des- nämlich auf der Ebene ihrer Organi- sen Porträt-CD in der Reihe „Edition sation und genauso im unmittelba- Zeitgenössische Musik“ erschienen ist, ren Moment der Klangerzeugung. Ein bieten der Deutsche Musikrat und die Stück wie frottages wurde nicht nur Folkwang Musikschule Essen vom 21. mithilfe des gleichnamigen Verfahrens Oktober bis 29. November einen aus der bildenden Kunst strukturiert Workshop von Scott Roller unter dem und organisiert, sondern – und das Motto „Komposition als Experiment“ ist bei zeitgenössischer Musik alles an. Im Mittelpunkt stehen zwei Wer- andere als selbstverständlich – es klingt ke von Finnendahl: Rekurs (für Alt- auch nach Frottagen! saxofon, Schlagzeug, Klavier und Auf- nahmegeräte, 1997/98) und Edition Zeitgenössische Musik bei Versatzstücke (für Klavier solo und 6- Experimentelle Versatzstücke: Die Musik von Orm Finnendahl ist geistreich WERGO: Kanal-Zuspielung, 1999-2005). – mit häufiger Anwendung von sprachlichen, mathematischen, organi- schen und menschlichen Prozessen. Auch Informatik und Aufnahmetech- Collection 5, Neuerscheinungen und Zur Teilnahme am sechswöchigen Gesamtkatalog, WER 6593 2 nik spielen bei ihm eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Material Kurs sind sowohl Musiker (Instrumen- und Form. Andreas Dohmen, WER 6568 2 talisten, Sänger, Komponisten) wie

DMR aktuell 14 ˜ Zeitgenössische Filmmusik PROJEKTE ˜ Musik in Deutschland SoundTrack_Cologne auf Annäherungskurs Jazz, Rock und „Wenn Du Filmmusik machen willst, Pop runden die dann würde ich an deiner Stelle nicht Edition ab Komposition studieren. An den Mu- sikhochschulen lehren sie hauptsäch- Nach insgesamt 115 CDs in lich Neue Musik, und wenn du die © Musikmesse Frankfurt 17 Boxen, begleitet von fach- nicht kennst, dann hör sie dir lieber lich hervorragend geschrie- vorher mal an…“ benen und gestalteten Book- Dieser Ratschlag aus einem Dis- lets, geht die CD-Edition kussionsforum im Internet verdeut- Sieger der SchoolJam-Staffel „Musik in Deutschland 1950- licht, dass zwischen der heute kom- 2007/08: Glory of Joann. 2000“ in die musikalisch- ponierten Filmmusik und der heute editorische Endrunde. komponierten Kunstmusik oft ästhe- Fast alle Bereiche, Gattungen, tische Welten liegen – zumindest im ˜ SchoolJam Genres, Stilistiken, Spielarten und Bewusstsein vieler Filmemacher, Kompositionstechniken aktuel- Musiker und des Publikums. Tatsäch- 120 Schülerbands auf der Live-Bühne ler Musik aus 50 Jahren liegen lich aber begleiteten Komponisten der nun in sorgfältig ausgewählten musikalischen Avantgarde die Entwick- Noch bis zum 1. Dezember können sich Schülerbands aus ganz Deutsch- Tonbeispielen vor, dokumentie- lung des Films von Anfang an mit ex- land zur Teilnahme am SchoolJam bewerben. Es locken Live-Auftritte ren den hochwertigen Standard perimentellen Klängen und Klangstruk- bei den 15 SchoolJam-Regio-Finals, Online-Votings (über www.spiegel.de, musikalischen Schaffens in turen. Eric Satie, György Ligeti oder www.viva.tv, www.respect.de) sowie das große Finale im Rahmen der Deutschland und helfen als An- Tan Dun sind nur einige Beispiele für Internationalen Musikmesse in Frankfurt (1.–4. April 2009). Die Sie- schauungsmaterial in allen mu- Komponisten, die die Ästhetik avan- ger spielen bei Rock am Ring, in Frankreich und in den USA. siktheoretischen, musikpädago- cierter Spielfilme maßgeblich mit ge- gischen und musikbibliotheka- Die Initiative SchoolJam, die vom Die Teilnahmer müssen bis An- stalteten. rischen Aktivitäten. Sinfonische Bundesministerium für Familie, Senio- fang Dezember ein Musikstück mit Musik, Kammermusik, Oper, ren, Frauen und Jugend gefördert wird, einer maximalen Länge von fünf Operette und Musical wurden möchte Rock- und Popmusik an deut- Minuten auf Kassette, MD oder CD in der Edition ebenso berücksich- schen Schulen nachhaltig fördern, den – zusammen mit dem vollständig aus- tigt wie Theatermusik, Chor- und Spaß am Musizieren vermitteln und gefüllten Bandbogen und einem Foto Sologesang und elektroakustische ambitionierten Bands als Sprungbrett der Band – einsenden. Alternativ ist Musik. für ihre weitere Entwicklung dienen. es möglich, die Daten auch online zu Nun fehlte nur noch der Jazz Schüler und Lehrer der Klassen 5 bis übermitteln, z. B. als mp3-File unter in Deutschland zwischen 1950 13 in bundesweit rund 17000 Schu- www.schooljam.de. und 2000, der die Reihe um Box len sind zur Teilnahme aufgerufen. Einsendungen aller Musikrichtun- Nr. 18 mit sieben CDs ergän- Auch Berufsschüler bis 21 Jahre sind gen sind erlaubt. Auch Coverversio- zen wird. Hier werden die be- zugelassen. Musiker müssen nicht von nen sind möglich, jedoch sollte dabei Heute verirrt sich kaum ein Kom- kannten deutschen Bigbands und ein- und derselben Schule stammen. eine gewisse Eigenständigkeit erkenn- positionsstudent einer Musikhochschu- Tanzorchester zu hören sein wie Anmeldungen sind unter der Adres- bar sein. Aus allen Einsendungen wer- le in die Filmbranche und kaum ein auch die Pioniere eines eigen- se einer Schule, eines Jugendzentrums den 120 Bands ausgesucht, die School- junger Regisseur kennt die Musik, die ständigen europäischen Avant- oder einer Musikschule einzureichen. Jam ab Ende 2008 in 15 deutschen gleichaltrige Komponisten für den garde-, Free- und New Jazz so- Maximale Mitgliederzahl: 10 Schü- Städten live auf die Bühne bringen wird. Konzertsaal schreiben. Stattdessen be- wie junge nachwachsende ler. Solokünstler sind zugelassen. ¿ wirkten pragmatische Umstände vor Weitere Info: www.schooljam.de Profibands und Solokünstler – allem der technischen Filmproduk- z. B. aus dem Bundesjazzorchester tion, dass Filmmusik und Soundde- –, die den Übergang ins neue sign zumeist an Film- und Medien- Jahrtausend markieren. hochschulen und an freien Akademien Auch wenn die Förderung gelehrt werden und häufig einer stan- durch den Bundeskulturstaatsmi- dardisierten Ästhetik folgen. nister zum Ende des Jahres aus- Im Rahmen des Filmmusikfestivals läuft, wird der Deutsche Musik- Soundtrack_Cologne initiiert der rat mit neuen Mitteln aus ganz Deutsche Musikrat eine Annäherung einleuchtenden und sinnvollen zwischen zeitgenössischer Musik und Gründen eine 19. Box zur Ge- Filmmusik und bietet ein Forum, um schichte der deutschen Rock- und künstlerische und produktionsprak- Popmusik herausgeben und da- tische Fragen auszutauschen. Musik- mit der Reihe ein komplettieren- wissenschaftler, Produzenten, Kom- des und unverzichtbares Glanz- ponisten und Regisseure sowie licht aufsetzen. Alle CDs und Kompositionsprofessoren von Musik- Boxen können zu erschwingli- hochschulen und Filmakademien sind chen, weil subventionierten Prei- eingeladen, neue Wege in der Musik sen bezogen werden. und im Film gemeinsam zu wagen. Bestellung und Informationen: SoundTrack_Cologne – Kölner Festival www.jpc.de/musikrat und Kongress zu Musik und Ton in Film [email protected] und Medien, 20.–23. November 2008. Fax 054 01 – 85 12 33 ¿ www.soundtrackcologne.de ¿ Peter Ortmann Kerstin Jaunich

DMR aktuell 15 ˜ PopCamp „…ein bisschen wie Landschulheim“ Die 1. Arbeitsphase des Meisterkurses für Populäre Musik ist am 6. September erfolgreich zu Ende gegangen. „Es wird ein kleines Experi- ment”, hatte Henning Rümenapp, künstlerischer Leiter des PopCamp, PROJEKTE schon zu Beginn schmunzelnd erklärt. Denn auch in der vierten Staf- fel des mittlerweile zu einem Gütesiegel gewordenen Spitzenförder- projekts galt es unter anderem herauszufinden: „Wie wenig Schlaf braucht ein Musiker eigentlich!?” Schon jetzt kann festgehalten tungen waren die 20 Musiker der fünf werden: Er braucht nicht viel! Denn teilnehmenden Bands auch angereist. vom 31. August bis zum 6. Septem- Zusammen mit erfahrenen Künstlern ber wurde unentwegt geprobt, viel verlebten sie eine Woche, vollgepackt neues Wissen vermittelt und natür- mit Workshops rund um Performance, lich auch lange beisammen gesessen. Stimmbildung, Songwriting, Arrange- „Ihr sollt Musik sein“: die Paten Marta Jandová (Mitte) und Frank Möbus (li.) „Es ist ein bisschen wie Landschul- ments, Producing, aber auch Juriste- mit Henning Rümenapp auf dem PopCamp-Stage in Tuttlingen. heim”, beschreibt Rümenapp, der frü- rei, Marketing und Kommunikation Ein ZDF-Kamerateam ist immer hautnah dabei: Die Hesslers mit Dozentin her Gitarrist der bekannten „Guano und natürlich mit viel Zeit für die ei- Annette Marquardt (Bild unten). Fotos: Jonathan Gröger Apes” war und nun bei „IO“ spielt, gene Musik. die Atmosphäre während dieser in- Einen ersten Höhepunkt stellte sollt Musik sein!“ treffend umschrieb. tensiven Zeit. Gemeinsam mit zahl- gleich zu Anfang das Konzert im Tutt- Und während das vierköpfige Fern- reichen hochkarätigen Dozenten und linger Rittergarten dar, bei dem sich sehteam von Rotlintfilm im Auftrag den fünf eingeladenen Bands – Alin die Bands vor vollem Haus präsen- des ZDF durch die Hallen ging, um Coen & Band, Auletta, Formelwesen, tieren und nach dem Live-Audit in Celle Stimmungen, Atmosphäre und Anek- Hesslers und The News –durchlebte erneut beweisen konnten, warum sie doten einzufangen, erklärte eine ge- er eine spannende Woche, die den eigentlich ausgewählt wurden. rührte Marta Jandová, Frontfrau der Musikern in Zukunft viel Lehrgeld Harte Arbeit, gepaart mit einem Gruppe „Die Happy“ und erstmals ersparen könnte. „Eine Band ist nur unglaublichen Gemeinschaftserlebnis, PopCamp-Patin: „Ich habe mir schon dann erfolgreich, wenn sie von innen so könnte schlicht das übergeordne- gedacht, dass es super sein wird. Dass heraus gestärkt ist. Das heißt, sie muss te Ziel dieser ersten Arbeitsphase lau- es so toll werden würde, habe ich nicht sich auch immer wieder selbst über- ten, die Dozentin Bettina Habekost erwartet. Es ist unglaublich, mit wie prüfen”, betont er. Mit diesen Erwar- mit dem eindringlichen Appell „Ihr viel Herz hier etwas auf die Beine gestellt wird. Man spürt die kreative Atmosphäre und es ist unglaublich, dass es solche Möglichkeiten über- haupt gibt.“ Wie eine große Spielwiese muteten die dargebotenen Optionen des PopCamp an, die aufgrund des vorherrschenden hohen Niveaus auch rege genutzt wurden. Die Sängerin ist sich sicher: „Das ist eine wahnsin- nige Chance für die Bands zu lernen und sich auszutauschen.” „Die Musik spricht nicht die Lei- denschaft, die Liebe, die Sehnsucht dieses oder jenes Individuums in die- ser oder jener Lage aus, sondern die Leidenschaft, die Liebe, die Sehnsucht ˜ IMPRESSUM DMR aktuell selbst“, wusste einst schon der große Richard Wagner. Auch PopCamp-Pate Herausgeber: Frank Möbus konnte dies während Deutscher Musikrat e. V. der ersten gemeinsamen Tage an sei- Oranienburger Str. 67/68, 10117 Berlin nen Schützlingen beobachten: „Die [[email protected]] und Arbeit ist sehr gut gelaufen und alle Deutscher Musikrat gemeinnützige Bands haben zum Teil schon große Projektgesellschaft mbH Schritte und Veränderungen in ihrer Weberstr. 59, 53113 Bonn Musik vollzogen. Einige Dinge wur- [[email protected]] den sogar schon konkret verbessert, Verantwortlich i. S. d. Pressegesetzes: zum Beispiel, was das Spiel und den Christian Höppner Sound angeht. In Folge der Verände- Redaktionsleitung: rungen haben sich für die Bands aber Christian Höppner auch jede Menge Hausaufgaben er- [[email protected]] geben.” Man darf nun gespannt sein, Dr. Peter Ortmann [[email protected]] wie sich die Bands im Rahmen der Redaktion: zweiten Arbeitsphase vom 15. bis 22. Ariane Hannus [[email protected]] November in der Landesmusikaka- Susanne Fließ [[email protected]] demie Berlin präsentieren werden. Schlussredaktion/Produktion: Weitere Info: www.popcamp.de ¿ Werner Bohl, BWM: e-Publishing Nicole Oppelt [[email protected]]

DMR aktuell 16 AKZENTE

Marret Winger beschreibt die Veränderungen der Singstimme durch die Technisierung und Kommerzialisierung der Musikwelt

DAS Stimmideal IM WANDEL

ls Enrico Caruso 1902 als Vor dem Zeitalter der Tonaufnahme be- Aeiner der ersten Sänger vor einflussten vor allem die Komponisten und den Aufnahmetrichter trat, löste Instrumentenbauer die Gesangswelt. Die Sänger reagierten auf die neuen Komposi- Hört man sich Aufnahmen der großen er in der Gesangswelt eine „Ver- tionsstile und die klanglichen bzw. dynami- europäischen Sänger aus dem ersten Drittel ewigungswelle“ aus, die bis heute schen Veränderungen ihrer Begleitinstrumen- des 20. Jahrhunderts an, dann fällt sofort ein ihre Wirkungen zeigt. Bis dato te durch eine Modifizierung der Gesangs- sehr freier Umgang mit der Musik bzw. dem waren die Sängerstimmen ver- technik und damit des Stimmklangs. Im 20. Notentext auf (mit teilweise auffallend ho- gänglich gewesen, denn ihr Klang Jahrhundert stellten zum Beispiel die Kom- her Fehlerquote). Sehr unmittelbar wurde mu- starb mit ihren Trägern. positionen von Arnold Schönberg, Alban Berg siziert, es wurden große Legatobögen gespannt, und Anton Webern die Sänger vor große He- viele Rubati, Fermaten und Auszierungen ge- rausforderungen. Komplizierte Rhythmen, macht. Häufig wurde als Ausdrucksmittel das Instrumente wie die berühmten Stradivari- Zwölftonreihen sowie extreme dynamische Portamento eingesetzt, in Liedern wie in Arien. Geigen erklingen bis heute, hunderte Jahre nach Wechsel etc. forderten von den Interpreten Jeder Sänger hatte ein ganz individuelles Timb- ihrem Bau, unter immer neuen Musikerhän- eine ganz neue Herangehensweise an die re, meist gepaart mit schlanker, vordersitzi- den. Erst mit der Erfindung der Tonaufnah- Musik. Vor allem die großen Intervallsprün- ger Tongebung mit hohem Randschwing- me konnten die Sänger ihre Stimme aber für ge, die extreme Erweiterung des Tonumfangs anteil, der große dynamische wie stimmliche die Nachwelt verewigen. Dafür wurde an- hatten eine große Belastung der Sängerstim- Flexibilität (Triller und Koloraturen) ermög- fangs sogar die mindere Klangqualität akzep- me zur Folge. In der zeitgenössischen Musik lichte. Generell wiesen alle Sänger ein eher tiert. wurden die Grenzen der menschlichen Stimme schnelles und zum Teil auch unregelmäßi- Die Vielzahl an Gesangsdokumenten aus gar nicht mehr berücksichtigt, sondern viel- über hundert Jahren Aufnahmegeschichte er- mehr von Komponisten wie z. B. Luciano möglicht das genaue Untersuchen des Wan- Berio, John Cage und Karlheinz Stockhau- dels von Stimmklang und Interpretationsweise sen bewusst überschritten.2 Da sich nicht je- der Sänger im Laufe der Jahrzehnte. Betrachtet der Sänger diesen extremen Herausforderun- man die Ergebnisse dieser Untersuchung im gen stellen wollte, entwickelten sich bald die Zusammenhang mit den äußeren Einflüssen ersten „Spezialisten“ auf dem Gebiet der mo- auf die Gesangswelt, kommt man zu folgen- dernen, atonalen Musik (annähernd zeitgleich der Feststellung: Keine Erfindung hat die mit denen auf dem Gebiet der „Alten Mu- Musikwelt so tief beeinflusst wie die Ton- sik“). Im Vergleich zu den vorangegangenen aufnahme (und später Film und Video-Auf- Jahrhunderten weist das Spezialistentum des nahme). Durch sie wurden erst der direkte 20. und 21. Jahrhunderts eine einmalige Stel- Vergleich von unterschiedlichen Interpreta- lung auf. Heutzutage gibt es unzählige Sän- tionen, die dadurch hervorgerufene Perfek- ger, die sich auf ein festgelegtes Repertoire tionierung der stimmlichen und technischen aus einer bestimmten Musikepoche speziali- Darbietung, die Verbreitung der klassischen siert haben. Musik unter einer wachsenden Menschen- gruppe, die Beliebigkeit der Anhörsituation und -dauer, die damit verbundene Verände- rung der Hörgewohnheiten1, die großflächige Internationalisierung der klassischen Musik Europas sowie die lukrative und aggressive Vermarktung einzelner „Stars“ möglich. Einzigartiger Schmelz: Enrico Caruso war der „König“ der Tonaufnahme. Quelle: Wikimedia

 MUSIK ORUM 35 AKZENTE

ges Vibrato auf. Der „König“ der Tonaufnah- me aus dieser Zeit ist ohne Zweifel Enrico Caruso. Generationen von Tenören versuchten seinen Stimmklang mit dem einzigartigen Schmelz zu kopieren.3 Im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts Klassikkonzerte wie Popkonzerte zu klangen die Sängerstimmen immer noch ganz vermarkten, um damit hohe Gewinne individuell, jedoch nahm die technische Fi- einzustreichen. Mit gleichzeitig lau- xierung des Stimmsitzes zu, sodass das Vib- fenden Liveübertragungen im Fern- rato gleichmäßiger und der Stimmklang (vor sehen wurde eine große neue Publi- allem bei den Männerstimmen) brillanter bzw. kumsschicht gewonnen, die bislang metallischer wurde. In Deutschland waren weder eine musikalische Vorbildung die Frauenstimmen weiterhin sehr hell und noch Interesse an klassischer Musik mädchenhaft. Hohe Soprane wiesen zudem hatte.11 Wie problematisch dieser häufig ein äußerst schnelles Vibrato auf. Im Marketinggriff sein kann, zeigt die Tat- italienischen Stimmfach wurden die Stimmen Die Ausnahmestimme: Maria Callas beherrschte sache, dass die Kluft zwischen Open klanglich wärmer bzw. dunkler timbriert. Bei Verzierungen und Triller ebenso wie klangliche und Air-Event und intimer Konzertsitua- manchen Sängern, die den Randschwingan- dynamische Expansion. tion immer größer wird, solange sich teil beim Singen zu Gunsten von Klangstär- die klassische Musikbranche der Ver- ke oder -farbe minimierten, führte dies zu kaufsstrategien und dem Starkult der einem starken, dunklen Vibrato und von unten sikern erwartet, dass sie in der Konzertsitua- Unterhaltungsbranche bedient. Dadurch wird angeschliffenen Tönen.4 Gleichzeitig nahm tion die gleiche Perfektion an den Tag le- nicht nur der Sängernachwuchs verheizt12, bei den meisten Sängern die stimmliche Fle- gen.6 Dies hat in der Musikwelt zu einer star- sondern auch einer großen Menschengrup- xibilität und Trillerfähigkeit ab (abgesehen von ken Fokussierung auf die technischen Leis- pe ein falsches Bild von der klassischen Mu- den Koloratursopranen). Eine große Ausnah- tungen geführt, was in den Aufnahmen der sik suggeriert. Diese ist nicht passiv konsumier- me stellt hier Maria Callas dar, die Verzie- letzten 40 Jahre deutlich wahrnehmbar ist. bar, sondern fordert Wachheit und Eigen- rungen und Triller ebenso wie klangliche und Mit Ausnahme der großen Sängerpersönlich- aktivität vom Hörer.13 Die großen Kompo- dynamische Expansion beherrschte. keiten wie Brigitte Fassbaender, Julia Vara- nisten schrieben ihre Musik für Räumlich- dy, Placido Domingo, Mirella Freni, Thomas keiten, die eine menschliche Stimme – ohne Agogische Schlichtheit Hampson u. a. weisen die Sängerstimmen Hilfsmittel – akustisch füllen konnte, zum Teil nun eine technisch konstante Stimmführung sogar für einen kleinen, intimen Aufführungs- Interpretatorische Freiheiten wie Portamenti statt eines individuellen Timbres, einen ega- rahmen (Schubertiaden), der das Wahrneh- schwanden. In den fünfziger Jahren herrsch- lisierten, auf Brillanz getrimmten Stimmklang men der zarten Zwischentöne, der kleinsten te unter den deutschen Musikern eine inter- statt Farbreichtum und dynamische Schattie- musikalischen Nuancierungen möglich mach- pretatorische wie agogische Schlichtheit, die rungen auf.7 Gleichzeitig schwindet bei fast te. Die Zuhörer waren in den Musiziervor- mit einer konzentrierten Arbeit am Noten- allen Sängern die Legatofähigkeit.8 Die grö- gang unmittelbar einbezogen, da ihre Anwe- text einherging. Diese stellte aber die wichti- ßer werdenden Orchester sowie Opern- und senheit und Aufmerksamkeit die Musiker gen Grundsäulen der gesungenen Musik in Konzerthäuser verleiten die Sänger dazu, inspirierte. Dies alles fällt bei einer Fernseh- den Mittelpunkt: eine lebendige, plastische immer stärker zu forcieren.9 Sehr massiv ge- übertragung weg. Aussprache, eine überreiche Palette an Klang- führte Stimmen haben ihre Sauberkeit und Peter Gelb, Intendant der New Yorker farben und Vokalfärbung, echtes Legato, dy- Beweglichkeit eingebüßt und können nur noch Metropolitan Opera, hat in der Spielzeit 2006/ namische Differenzierung, gepaart mit gesangs- zwischen mezzoforte und fortissimo einge- 07 sechs Samstagnachmittagvorstellungen live technischer Souveränität und Emotionalität. setzt werden.10 Pianotöne klingen aufgrund in die Kinos der Welt übertragen lassen, de- Stellvertretend für die großen Sängerpersön- mangelnder Randschwingungen mehr ge- nen gut 325 000 Zuschauer beigewohnt ha- lichkeiten dieser Zeit seien Elisabeth Schwarz- haucht denn gesungen. ben. Doch das Fernsehen verlagert das Ge- kopf, Fritz Wunderlich und Dietrich Fischer- Forciert wird diese Entwicklung auch durch wicht immer stärker auf das Visuelle, zum Dieskau genannt. den verstärkten Gebrauch von Mikrofonen Nachteil des Gehörten. Die Sänger stehen Die Erfindung des Tonbandes (und spä- auf der Bühne, z. B. zur Verstärkung kleine- nun nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch ter der digitalen Aufnahme) ermöglichte das rer Sängerstimmen oder aber bei Open Air- mit ihrem Aussehen im Fokus der Öffent- Zusammenschneiden der besten Aufnahme- Konzerten, die durch die technische Klang- lichkeit.14 Gleichzeitig werden Konzert- oder resultate und die Manipulation bestimmter verarbeitung den natürlichen Stimmklang Opernbesucher mit einer differenzierten Hör- Aufnahmeparameter. Damit stellen seither akustisch verändern. Die Verlagerung klassi- fähigkeit immer seltener. Erschreckend ist alle Studioaufnahmen ein künstlich perfek- scher Konzerte aus ihrem natürlichen Rah- zudem, dass heute bereits jeder vierte Jugend- tioniertes Bild sängerischer Leistungen dar.5 men – einem Konzertsaal – in denjenigen, liche irreparable Hörschäden durch die Lärm- Gleichzeitig änderten sich die Hörgewohn- der bis dato von der Unterhaltungsbranche belastung bei Disko- oder Rockkonzertbe- heiten des Publikums, das nun von den Mu- genutzt wurde – etwa einem Stadion – hat suchen oder durch zu laut aufgedrehte in den letzten 15 Jahren großen Aufwind er- fahren. Der Auftritt der „Drei Tenöre“ Luci- ano Pavarotti, Placido Domingo und José Carreras am 7. Juli 1990 auf einer Stadion- bühne war quasi der Startschuss für den Trend,

 36 MUSIK ORUM MP3-Player hat.15 Ein großer Publikumsan- Fußnoten: tionen ein und desselben Stückes anzubieten und nicht teil der Zukunft ist dadurch schon heute nicht 1 Dietrich Fischer-Dieskau und Eleonore Büning: Musik lieber dem trügerischen Begriff der ‚Perfektion’ im Sinne mehr in der Lage, hohe und leise Töne wahr- im Gespräch, Berlin 2003, S. 247: „Untersuchungen einer ‚fehlerfreien’, möglichst glatten, vor allem aber im- haben ergeben, dass selbst aufgeschlossene Musikhörer mer gleichlautenden Standardwiedergabe zu vertrauen.“ zunehmen. ihre Schwierigkeiten haben, einem musikalischen Ablauf 7 Peter Michael Fischer: a.a.O., S. 13 f.: „Schallplatte Die Nachwuchssänger stehen somit vor in seiner immanenten musikalischen Logik über einen und Fernsehen, CD und Video führen zu […] einem inter- der großen Aufgabe, junges wie altes Publi- Zeitraum von länger als fünf Minuten zu folgen. Das hat nationalen Einheitsstil, einem standardisierten Stimm- kum durch das hohe Niveau ihrer individu- der Mensch offenbar verlernt im Zeitalter technischer klang als Norm, an dem sich der Berufssänger der heuti- Reproduzierbarkeit von Musik.“ (Eleonore Büning) gen Zeit orientieren muss, um bestehen zu können.“ ell und differenziert ausgeübten Kunst auf 2 Peter Michael Fischer: Die Stimme des Sängers, Stutt- 8 Dietrich Fischer-Dieskau in Cescendo, Ausgabe 04/ neue „Hörpfade“ zu lenken.16 Dafür brau- gart 1993, S.11: „In den zeitgenössischen Werken wird 2007: „Ich frage mich zum Beispiel, warum so viele chen sie Helfer. Als Motto könnte ein Aus- ferner die Stimme bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten junge Sänger kein Legato mehr singen können.“ spruch von Maria Callas dienen: „Und ge- gefordert, selbst das Singen mit entstelltem persönlichen 9 Marilyn Horne in: Jerome Hines: Great singers on Eigenklang der Stimme wird verlangt. Dies kann, verbun- great singing, New York 1998, S. 140: „[…] now we have nau darum geht es in der Musik: um ein nie den mit zu hohem, zu lautem und zu langem Singen, zu these huge orchestra to get over. Basically, the conduc- endendes Streben, nicht nach Macht oder Stimmschädigungen führen.“ tors don’t have any mercy on us, and we have bigger Ruhm, sondern nach dem, was tief zwischen 3 Jürgen Kesting: Die großen Sänger des 20. Jahrhun- houses to sing in, and they want the orchestra to sound den Noten verborgen ist.“17 derts, München 1993, S. 9: „Sydney Homer […] schrieb: like stereophonic sound while the human voice hasn’t „Bevor Caruso kam, hatte ich niemals eine Tenorstimme changed any. Therefore you have most fermales relying gehört, die seiner auch nur entfernt ähnelte. Nachdem on this overblow [...] They’re trying to get this big fat Die Autorin: er sich durchgesetzt hatte, habe ich Stimme um Stimme sound out instead of a carrying sound that’s going to Marret Winger, Konzert- und Opernsängerin, studierte gehört […], die sich der seinen, und sei es gewaltsam, pierce through, which is the way the early gals were bei James Wagner und Christiane Iven und absolvierte angeglichen haben.“ Luciano Pavarotti bestätigte dies, trained, and boys too.” Meisterkurse u. a. bei Elisabeth Schwarzkopf und Dietrich als er sagte, dass sich „alle italienischen Tenöre dieses 10 Dietrich Fischer-Dieskau in Cescendo, Ausgabe 04/ Fischer-Dieskau; Ensemblemitglied des Schleswig-Hol- Jahrhunderts an Caruso ausgerichtet haben“. 2007: „Meistens lernt man inzwischen, wie laute Töne steinischen Landestheaters. Ihre Debüt-CD mit Liedern 4 Thomas Seedorf: MGG Prisma – Gesang, Kassel 2001, abgesondert werden und das am besten nach dem von Hugo Wolf erschien Ende letzten Jahres bei TACET. S. 72 f.: „Erst nach dem Zweiten Weltkrieg vollzog sich Motto: einer nach dem anderen. Das ist natürlich keine Methode, um eine vernünftige Phrase zu artikulieren.“ 11 Kurt Pahlen: Große Sänger unserer Zeit, Gütersloh 1971, S. 131 f.: „Und schließlich trat, mit ungeheurer Wucht, das stärkste aller Massenmedien auf den Plan, das Fernsehen […] Immer mehr [..] wurde unsere Epoche zur Augenepoche. Sichtbares erhielt ein immer stärkeres Übergewicht gegenüber dem Gehörten […]. Der Sänger […] kennt keine […] Beschränkung mehr. Das Fernsehen überträgt seine Wirkung auf ungezählte Millionen, lässt sie an seinem Gesang wie an seinem Spiel Anteil nehmen, als säßen sie im Theater […]. Kunstgesang ist plötzlich etwas geworden, was den Unerfahrensten, Ungeschul- testen, vielleicht vorläufig Unempfindlichsten ins Haus geliefert wird.“ 12 Wolf-Eberhard von Lewinksi: Brigitte Fassbaender, Mainz 1999, S. 51: „ Weil die Stimmen vor der Zeit ver- schlissen werden, meint man, es gebe heute keine gro- ßen Stimmen mehr. Das stimmt nicht – in einem Kurs hörte ich zum Beispiel einen grandiosen, ganz jungen Bariton. Ich habe ihn beschworen, beim leichten […] Fach zu bleiben […] – für zehn bis fünfzehn Jahre. Für meine Begriffe wächst da ein Wotan heran – von aller- bester Qualität. […] Er darf nur nicht in die Fänge einer Plattenfirma oder eines skrupellosen Intendanten oder Agenten fallen, die schnelle Mark anstrebend, […]. Ich bin davon überzeugt, dass es solche grandiosen Stimmen Kluft zwischen Event und intimer Konzert- nach wie vor gibt, aber wenn sie unklug zu rasch zu ein drastischer Bruch mit der Tradition und eine gesangs- situation vergrößert sich: Gerade bei Open schwere Aufgaben übernehmen, erreichen sie ihren ästhetische Neuorientierung, die bis heute anhält. Die Air-Konzerten – wie hier beim Classic Open Zenit nicht. Eine Hauptschuld tragen dabei die Medien.“ verschiedentlich zu beobachtende Tendenz zum Forcie- Air in Nürnberg – verändert sich durch den [Brigitte Fassbaender] ren und Abdunkeln der Stimme wie auch eine Neigung Einsatz von Mikrofonen und die technische 13 Kent Nagano in Fono Forum, Ausgabe 9/2007, S. 71: zu ungenauer Artikulation, sinnwidriger Phrasierung, Klanggestaltung der natürliche Stimmklang. mangelhafter Intonation und Nivellierung der Nuancen „Gerade klassische Musik ist oftmals sehr differenziert © www.nuernbergkultur.de haben Kritiker verschiedentlich von einer ‚Krise der und verlangt viel Sensibilität und aktives Hören. Wir Gesangskunst‘ (W. Rosenberg 1968) sprechen lassen.“ werden heute sowohl im visuellen wie im akustischen 5 Jürgen Kesting: a.a.O., S. 487: „Durch Tonband und Bereich geradezu permanent überschüttet.“ 14 Schneidetechnik wurde zum erstenmal mehr als die Auf- Peter Michael Fischer: a.a.O., S. 13 f.: „Selbst das nahme einer Oper möglich, nämlich die technische Pro- äußere Erscheinungsbild des Sängers wird durch Vorbil- duktion oder, anders gesagt, die konstruktive Montage der aus Fernsehen und Video geprägt.“ von in sich perfekten Teilen: Damit aber eine Auffüh- 15 vgl. TK aktuell, Magazin der Techniker Krankenkasse, rung, in der sich das bei musikalischen Proben Visierte 1/2008, S. 8. konkretisiert unter Ausschaltung aller Zufälligkeiten.“ 16 Lilli Lehmann: Meine Gesangskunst (7. Auflage), Leip- 6 Dietrich Fischer-Dieskau: Die Welt des Gesangs, Kas- zig 1951, S. 68: „Das Beste ist nur immer gut genug für sel 1999, S. 239: „Andererseits führt konservierte Musik jedes Publikum, sobald es sich um die Kunst handelt. Ist als reines Sammelobjekt, als abrufbare Perfektion zum das Publikum ungebildet, so muß man es mit dem Bes- Abstumpfen der Erfahrungsfähigkeit, auch zur Beein- ten bekannt machen, es erziehen, es das Beste verstehen trächtigung des Beurteilens frischer Höreindrücke. Für lehren.“ den ausübenden Sänger […] ist es nachgerade zum 17 aus: John Ardoin: Maria Callas: Meine Meisterklasse, Risiko geworden, voneinander unterschiedene Interpreta- Berlin 2002, S. 89.

 MUSIK ORUM 37 AKZENTE

igentlich wirkt es erstaunlich MySpace.com – E unspektakulär: Das Bild, das ein Karrieresprungbrett? sich einem auf der Startseite sich MySpace zunächst wenig: Auch hier 2002 gründeten Tom Anderson und Chris bietet, ist eine Ansammlung von kreierte man sein eigenes Internetprofil, auch DeWolfe MySpace als Plattform für kosten- kastenartigen Links und Buttons, hier vernetzte man Bekannte mit der eige- lose Datenspeicherung. 2003 schließlich er- der Übersichtlichkeit zuliebe recht nen Website, indem man sie als „Friends“ hin- hielt die Seite ihre heutige Form und exis- simpel, fast lieblos angeordnet. zufügte. tiert nun als Mischform aus Social Network Kaum zu glauben, dass sich hinter Web 2.0-Seiten, allen voran MySpace, und Musikernetzwerk. Nach und nach ver- geben dem Wort „Profilneurose“ eine neue besserte sich vor allem der Service für die dieser unscheinbaren Struktur aus Dimension: Die eigene Seite, das Profil, die Künstler, die erst nur einen, dann schließlich Blau und Weiß eines der wichtigs- Selbstdarstellung im Internet nehmen nun ei- bis zu vier Songs auf ihrem Profil abspielen ten Internetphänomene unserer nen ganz neuen Stellenwert ein. Eine Kari- konnten. Zeit versteckt: www.MySpace.com katur der Künstler Katz und Goldt zeigt ei- Der Mythos der „MySpace-Über-Nacht- nen Mann, der mit seinem Laptop in einem Karriere“ schwebt spätestens seit dem Senk- Selten hat eine Internetseite derart polari- Coffee-Shop sitzt. In seiner Denkblase steht: rechtstart der britischen Band Arctic Mon- siert. Für seine Befürworter ist MySpace das „Ich habe 148 Freunde und bin somit bei keys verheißungsvoll über MySpace.com. schimmernde Karrieretrittbrett – eine Mög- MySpace knapp der sozialen Ächtung ent- Warum auch sollte das System nicht funk- lichkeit, Kontakte zu knüpfen und zu halten, kommen.“ tionieren? Man schickt eine Freundschafts-

With A Little Help from My Friends – willkommen bei

INTERNET-PHÄNOMEN

Von Judith Jung und Caroline Rump

oder ein Weg, sich über Musik austauschen So überspitzt sie sein mag, so nah liegt die anfrage an einen Nutzer, dessen Musikge- und informieren zu können. Die Liste an Kri- Karikatur mit ihrer Aussage an den Ansich- schmack der eigenen Musik ähnelt, ihm ge- tikpunkten weltweiter MySpace-Gegner ist ten vieler MySpace-Kritiker, die mit Argwohn fallen die Lieder und er empfiehlt sie seinen jedoch lang: Missbilligt werden der Sieges- beobachten, welchen Stellenwert Internetpro- Freunden. In der Theorie sorgt dann der zug eines gigantischen Kapitalistenkonzerns, file im Leben Jugendlicher einnehmen. Beinah Schneeballeffekt dafür, dass erst zehn, dann der die Daten seiner Nutzer für Werbezwe- unfassbar ist hier ein Vorfall, der sich im ver- hundert, dann tausend Menschen von der cke missbraucht, ebenso wie die Koopera- gangenen Jahr in den USA abspielte: Ein 13- eigenen Band erfahren und ihr zum großen tion mit dem „Zensurweltmeister“ China oder jähriges Mädchen beging Selbstmord, nach- Durchbruch verhelfen. Hinzu kommt, dass die Schwächung der Musikindustrie durch dem es auf MySpace mit einem von seiner illegale Gratis-Downloads. Nachbarin gefälschten Profil gemobbt wur- © usharewarez.com In vielerlei Hinsicht ist MySpace Puzzle- de. Auch gab es scharfe Vorwürfe, nachdem teil eines Trends: Im Jahr 2003 fasste Tim – Gerüchten zufolge – Pädophile MySpace O’Reilly, Vorsitzender des Internetverlags nutzen, um potenzielle Opfer auszuwählen. O’Reilly Media, ein neues Internetphänomen Im Jahr 2006 hatten die MySpace-Betreiber unter dem Begriff „Web 2.0“ zusammen und bereits den Jugendschutz erhöht, indem sie gab damit Netzwerken wie Facebook und die Profile von Minderjährigen von denen auch MySpace einen Namen. Einen Groß- Erwachsener trennten. Wie man sieht, konnte teil dieser Welle von interaktiven Seiten mach- diese Maßnahme im Falle der 13-jährigen ten Social Networks wie Friendster und Hi5 Megan Meier ohne Weiteres umgangen wer- aus. Von diesen Web 2.0-Kollegen unterschied den.

Stars über Nacht per MySpace? Die Arctic Monkeys.

 38 MUSIK ORUM MySpace inzwischen auch ein eigenes Plat- anderen englischsprachigen Nationen. Hier tenlabel betreibt, um unbekannten Künstlern kann man sehen, dass es sich bei MySpace auf die Beine zu helfen. um einen profitorientierten Großkonzern Der Begriff So ohne Weiteres ist allerdings eine Kar- handelt, der seine Zielgruppe nach wirtschaft- „Web 2.0“… riere über MySpace allein nicht möglich. Ent- lichen Kriterien auswählt. gegen allen Gerüchten waren es vor allem 2005 wurde MySpace.com von der …wurde 2003 von Tim O’Reilly, dem die bandeigene Homepage und auf Konzer- News Corporation aufgekauft und gehört Vorsitzenden des Internetverlags O’Reilly ten verteilte Demo-CDs, die den Arctic Mon- seitdem zum Imperium von Medien- Media, aufgeworfen. Laut O’Reillys Artikel keys zum Durchbruch verhalfen. Tatsächlich mogul Rupert Murdoch. Dieses Ereignis What is web 2.0 sind die Hauptmerkmale dieses beruhen solche Karrieren meist auf dem Zu- reiht sich nahtlos ein in eine beispiellose interaktiv-kollaborativen Tools die hoch- sammenspiel von MySpace mit anderen Web- Erfolgsgeschichte, die sich auch anhand gradige Vernetzung von Usern, das Entstehen sites. In der großen Internetgerüchteküche der Benutzerzahlen verfolgen lässt: Im Juni offener Systeme und die Überlegung, bedarf es also noch anderer Köche, die Neu- 2006 verzeichnete MySpace 66,4 Millio- wie Software und Web-Dienste durch igkeiten streuen. Diese sind und waren vor nen Besucher, im Juni des darauf folgen- Mithilfe ihrer Benutzer wachsen und allem Autoren von Musik-Blogs, musikbezo- den Jahres waren es über 114 Millionen – sich verbessern können. genen Internettagebüchern, die mit Links auf ein Zuwachs von satten 72 Prozent. Im In- Bandprofile hinweisen. Ohne diese kosten- ternet kursieren außerdem Statistiken, nach lose weltweite Werbung wäre MySpace heute denen MySpace 300 000 Neuanmeldun- sicherlich nicht annähernd so populär. gen pro Tag verbuchen kann. Der Begriff „Web 2.0“… …wurde 2003 von Tim O’Reilly, dem Vorsitzenden des Internetverlags O’Reilly MySpace.com Media, aufgeworfen. Laut O’Reillys Artikel What is web 2.0 sind die Hauptmerkmale dieses interaktiv-kollaborativen Tools die hoch- gradige Vernetzung von Usern, das Entstehen MIT Januskopf? offener Systeme und die Überlegung, wie Software und Web-Dienste durch Mithilfe ihrer Benutzer wachsen und sich verbessern können.

Für Freunde und Interessenten: Auch das MySpace.com – Nichtsdestotrotz ist MySpace gezwungen, MUSIKFORUM ist auf MySpace mit einer ein Erfolgsprodukt? sich weiterzuentwickeln, denn die Web 2.0- Präsentation und einem Blog vertreten. Konkurrenz schläft nicht. Längst ist MySpace U www.myspace.com/dmr_musikforum Wie viele andere Phänomene des Web nicht mehr nur ein Musikerportal, inzwischen 2.0 ist MySpace zu Teilen auch Spielball der ist es durch die Verknüpfung mit den News Globalisierung: Musik aus allen Teilen der Welt Corporation-Töchtern YouTube, einer Video- liche, den direkten Draht zwischen Benut- wird jedem überall zugänglich gemacht. In- plattform, und Flickr, einer Fotocommunity, zern und Musikern und den einfachen Zu- zwischen haben 25 Länder eigene MySpace- zu einem multimedialen Allroundtalent ge- griff auf die Musik. In dieser geschickten Versionen, die mitunter sprachlich und kul- worden. Seit kurzem nun arbeitet MySpace Verknüpfung von der sozialen mit der künst- turell angepasst sind. So schön der Gedanke mit Google zusammen – eine Kooperation lerischen Ebene liegt letztlich das Geheimnis eines internationalen Gleichgewichts hier sein der Internetgiganten. Ein wichtiger Schritt, da der Seite: Die Nutzer kommen wegen der mag, bleibt MySpace jedoch ein auf Indust- MySpace den Profiterwartungen der News Musik und die Musik kommt wegen der Nut- rienationen konzentriertes Phänomen. Die Corporation im letzten Quartal nicht gerecht zer. meisten Inhalte werden direkt aus dem US- werden konnte. amerikanischen Original übersetzt und bloß Egal wie multimedial MySpace werden der jeweiligen Jugendsprache des Landes an- mag, es ist sein Schwerpunkt auf Musik, der Die Autorinnen: gepasst. es weiterhin einzigartig macht und den es Judith Jung studiert Anglistik und Systematische Eigentlich wären MySpace-Profile vor al- seinen Konkurrenten voraushat. Darum ist Musikwissenschaften an der Universität Hamburg. Caroline Rump studiert Systematische Musikwissen- lem für die Künstler interessant, die sich eine das simple, blauweiße Layout letztendlich auch schaften, Lateinamerika-Studien und Spanisch an der teure Band-Homepage nicht leisten können, nicht unpassend: Es lässt Raum für das Eigent- Universität Hamburg. also auch für Musiker aus ärmeren Ländern. Tatsächlich jedoch stammt ein Großteil der Künstler auf MySpace aus den USA oder aus

 MUSIK ORUM 39 PORTRÄT

ränen vor der Kamera – das Tist eigentlich eine Sache von Hollywood. Wir aber sitzen auf dem Podium der Berliner Philharmonie und machen ein Fernsehinterview mit Mariss Jansons. Er ist einer der großen Dirigenten unserer Zeit und wir arbeiten an einem Film- porträt. Der Maestro hat feuchte Augen bekommen bei der Frage, was das denn für ein Gefühl sei, am Ende eines Konzerts von 2000 Menschen bejubelt zu werden. „Es ist“, sagt Jansons sichtlich bewegt, „die Bestätigung dafür, dass Gott uns den schönsten Beruf der Welt gegeben hat.“

Es ist vor allem seine Bescheidenheit, die diesen Mann so sympathisch macht. Diese fast schon antiquiert wirkende Attitüde, lie- ber Diener der Musik zu sein, als dem Star- kult auch nur eine einzige Note zu opfern. Jansons ist Perfektionist. Unnachgiebig bei den Proben und unnachgiebig mit sich selbst. Ei- ner, der am Ende eines Konzerts ganz selbst- Eine Begegnung mit dem Dirigenten Mariss Jansons verständlich in Schweiß gebadet ist, weil wieder einmal zigtausende von Körperbewegungen im Dialog mit den Musikern das Dirigieren zum Ausdauertraining gemacht haben. „Es ist diese Kommunikation“, sagt er, „die im »DER Zweifelsfall ein gutes Konzert zu einem fan- schönste Beruf tastischen Konzert werden lässt. Man braucht Energie und Fluidum, um die komponierten DER WELT!« Noten zum Leben zu erwecken.“ Was er nicht sagt, ist, was wir bei jedem Konzert aber auch erleben: Mariss Jansons dirigiert, als wäre es sein letzter Auftritt. Von Stephan Mayer Über den Tod spricht er nicht gerne. Nicht einmal über die Auseinandersetzung mit dem Tod, wenn er ein Requiem dirigiert. Mit gu- tem Grund – sein Vater Arvid Jansons starb ter Iraida, eine jüdische Sängerin, den klei- sons zunächst einmal mit dem russischen beim Dirigieren an einem Herzinfarkt. Auch nen Mariss mitten in Riga in einem Versteck Leben zurechtkommen musste. Wie ein Ta- der Sohn Mariss hat schon zwei Herzinfark- zur Welt. Die Jansons zogen 1946 von Lett- gesinternat war das damals, deshalb zeigt uns te hinter sich und so ist die Angst groß, eines land nach Leningrad, wo der Vater Assistent Jansons’ Lehrerin auch die Turnhalle. Prompt Tages ein Konzert ebenfalls nicht zu überle- des legendären russischen Dirigenten Jewge- nimmt der Dirigent einen Handball und be- ben. Aber auf die Frage, wie er zum Tod steht, nij Mrawinsky wurde. Der Vater Dirigent, die ginnt zu spielen – um sich gleich danach zu sagt er: „Ich liebe das Leben und ich möchte Mutter Sängerin an der Oper – der Weg von ärgern: weil die Schule so baufällig gewor- noch lange leben.“ Die Musikwelt wünscht Mariss Jansons, ebenfalls Musiker zu werden, den ist, weil die Lehrkräfte so wenig Geld sich das auch. war vorgezeichnet. bekommen und weil der russische Staat nicht Dabei hat alles vor 65 Jahren ganz dra- Wir haben Jansons im Frühjahr nach Sankt genug Geld in solche Schulen steckt. Dabei matisch angefangen. Das Jahr1943: Der Zweite Petersburg begleitet. Auf den Spuren seiner hat diese Schule große Namen hervorgebracht: Weltkrieg tobte und Europa brauchte noch Kindheit, seiner Jugend und seiner Ausbil- Gidon Kremer, Mischa Maisky, Grigorij So- zwei Jahre, um von der Tyrannei der Natio- dung zum Dirigenten. Ergebnisorientiert, wie kolow, Lazar Berman, Yuri Temirkanow. nalsozialisten befreit zu werden. Jansons Groß- er auch beim Dirigieren ist, hastet er im Stun- Aber das eigentliche Herzstück in Jansons’ vater mütterlicherseits und sein Onkel, bei- dentakt von Station zu Station. Und wir mit Karriere war das Leningrader Konservatori- des Juden, waren im Ghetto von Riga Kamera und Ausrüstung hinterher: Die Spe- um, benannt nach dem Komponisten Niko- umgekommen. Deshalb brachte seine Mut- zialschule für Musik zuerst, wo der Lette Jan- lai Rimsky-Korsakow. An dessen Standbild

 40 MUSIK ORUM »Gott sei Dank ist vorbei hastet Jansons in italienischen Slippern Jansons war Chefdirigent des Osloer Phil- durch den Schneematsch und drängt uns zur Musik die abstrakteste harmonieorchesters und des Pittsburgh Sym- Eile. „Kommen Sie, ich habe alles organisiert, phony Orchestra. 2003 wurde er als Nach- die warten schon auf uns“, sagt er ungedul- folger von Lorin Maazel Chedirigent des dig. Überall im musikalischen Sankt Peters- aller Künste!« Symphonieorchesters des Bayerischen Rund- burg wirkt der Name Jansons am Eingang Mariss Jansons funks. 2004 hat er dann zusätzlich noch das wie ein Codewort. Oben im großen Foyer Amsterdamer Concertgebouworkester über- wird Jansons plötzlich besonders ehrfürch- nommen. Zwei Posten als Chedirigent, das tig: „Wenn Sie lesen“, sagt er, „wer hier alles professionellen Ensembles konkurrieren. Aber ist eigentlich kaum zu machen. Beide Orchester studiert und Unterricht gegeben hat, dann Jansons hatte auch Hilfe: Seine Tochter Illo- lieben ihren Chef, aber so ganz glücklich sind wissen Sie, dass es etwas ganz Besonderes na, Korrepetitorin am Marinskij-Theater, hat sie nicht mit dieser Konstellation. Deshalb ist.“ Und dann zählt er die Namen auf: von bei der Produktion mitgeholfen, ebenso sei- dirigiert Mariss Jansons sonst auch nur noch Tschaikowsky über Glinka und Strawinsky ne 16-jährige Enkelin Anastasia. Und sein die Wiener und die Berliner Philharmoniker. bis Schostakowitsch. Jansons hat hier zwei Schwiegersohn stand als Don José auf der Und deshalb sitzen wir jetzt mit ihm auf Fakultäten beendet: als Chordirigent und später Bühne. Und so bescherte die Jansons-Dynas- dem Podium der Berliner Philharmonie. Eben als symphonischer Operndirigent. Und dann tie Sankt Petersburg das musikalische High- hatte Mariss Jansons eine Stunde lang mit schwärmt er vom großen Konzertsaal in die- light des Jahres 2008. dem Chef des Hauses, Sir Simon Rattle, ge- sem Konservatorium, in dem ganze Opern Nach dem Ende seiner Ausbildung im fachsimpelt und danach – mit Rattle als Zu- aufgeführt werden können und in dem er damaligen Leningrad schaffte es Jansons nur hörer – die 6. Symphonie von Dmitri Schosta- bereits als Student die wichtigsten Opern mit mehreren Anläufen, auch außerhalb der kowitsch geprobt. „Eine fantastische Musik“, dirigieren konnte. „So eine Ausbildung und Sowjetunion zu arbeiten. Seine wichtigsten schwärmt Jansons. „Wenn Schostakowitsch so eine Chance“, trichtert er uns ein, „gibt es Lehrer im Ausland waren Hans Swarowski in Worte gefasst hätte, was er mit den Noten nur hier!“ in Wien und in Salz- gesagt hat, dann hätte Stalin ihn ermordet.“ Aus Dankbarkeit hat Jansons dieses Jahr burg. In Leningrad war Jansons, wie schon Da hat Jansons eine ziemlich ernste Mie- mit den Studenten am Konservatorium von sein Vater, Assistent von Jewgenij Mrawins- ne, kurz darauf aber huscht schon ein kurzes Sankt Petersburg die Oper Carmen von George ky. Über den kann er gar nicht genug erzäh- Lächeln über sein Gesicht und er sagt: „ Na Bizet einstudiert. „Ich möchte dieser einma- len. Mrawinskijs Autorität ist auch heute noch ja, Gott sei Dank ist Musik die abstrakteste ligen Schule ein wenig davon zurückgeben“, legendär. „Wenn der vorbeigegangen ist“, sagt aller Künste!“ sagt er uns, „was sie mir damals mitgegeben Jansons leise unterhalb von Mrawinskys Por- hat.“ Die Studenten im Orchester, auf und trät an der Wand, „dann haben sogar ein Leonid Der Autor: hinter der Bühne, erkennen die große Gunst, Kogan oder ein Mstislaw Rostropowitsch den Stephan Mayer ist Fernsehjournalist beim Bayerischen mit einem der bedeutendsten Dirigenten arbei- Atem angehalten!“ Rundfunk. ten zu können und sind voller Energie. Nach zwei Wochen akribischer Kleinarbeit konn- te diese Opernaufführung ohne Weiteres mit

Diener der Musik: BR-Reporter Stephan Mayer sprach mit dem Dirigenten in dessen Arbeitszimmer in Sankt Petersburg. Rechts Kameramann Manssur Safavieh. Bild links: Mariss Jansons beim Erarbeiten einer Partitur. Alle Fotos: BR/Matthias Schrader

Das Fernsehporträt Kommunismus. Takt- stock. Weltstar. Der musikalische Grenz- gänger Mariss Jansons läuft am 26. Dezember um 12.15 Uhr in der ARD.

 MUSIK ORUM 41 PORTRÄT

n diesem Sommer hat er im Berliner Renaissance-Theater die Rolle des I begleitenden Pianisten von Florence Foster-Jenkins (Désirée Nick) höchst erfolgreich absolviert, gleichzeitig für den Bundespräsidenten die zentrale Veranstaltung zum Jubiläum der „Stiftung Lesen“ im Schloss Bellevue konzipiert und moderiert und obendrein sein Soloprogramm „Der Unter- haltungskanzler“ vorgestellt: Musikkabarettist Lars Reichow.

Seine Stärke ist die unglaubliche künstle- schämen für das, was zuweilen geboten rische Breite, wobei er weniger auf die große wird. Nach manchen Darbietungen möchte Comedy-Pauke haut, als mit leiseren Tönen man sich wohl am liebsten in den Abgrund das Publikum erreicht: Humor nicht als Quatsch, stürzen. Mal empfindet man sich selbst als sondern als eine spezifische Art, Probleme einsamen Gipfel, mal für einen Haufen nicht zuletzt musikalisch vom Klavier her an- Geröll. In jedem Fall sollte man die Bestei- zugehen. gung eines hohen Berges sorgfältig planen, Viele wissen nicht, dass der 44-jährige Main- man kann schließlich nicht ewig auf dem zer Entertainer nicht nur ein brillanter Pianist Gipfel rumstehen, irgendwann sollte man ist, sondern früher einmal in Wiesbaden Musik- auch etwas für den Abstieg überlegen. lehrer war und sich auch heute noch für die Qualität des Musikunterrichts einsetzt – zum Haben Sie Vorbilder? Wen bewundern Beispiel durch den Jury-Vorsitz beim Wett- Sie am meisten? bewerb „Schulpraktisches Musizieren“. Grund Reichow: Das Publikum! Es ist eine Art genug für das MUSIKFORUM und Hans Ersatzreligion für den Kabarettisten. Entwe- Bäßler, den früheren „Klaviator“ und heuti- der wird gejubelt und gelacht oder aber gen „Unterhaltungskanzler“ über seine Arbeit man schweigt höflich und spendet Höflich- und seine Sicht der Dinge zu befragen. keitsapplaus. Andere Variante: Das Publikum setzt seine schärfste Waffe – und bleibt Braucht Deutschland einen Unterhal- zuhause! Das Publikum entscheidet über tungskanzler? Wohl und Wehe. Wenn sich eine Mozart- Lars Reichow: Wie käme ich dazu, mich Sonate über 250 Jahre im Repertoire der selbst in Frage zu stellen. Ich will Unterhal- Menschheit hält, sogar Tiere sich zu dieser tungskanzler sein für alle Deutschen, viel- Musik hingezogen fühlen, dann muss doch leicht sogar alle Deutschsprachigen, und ich irgendetwas dran sein. Aber wer solange

»ICH WILL Unterhaltungskanzler gehe davon aus, dass ich überall gebraucht Alles kann lustiger, klangvoller und spannender werden: werde. Vielleicht sogar in anderen Erdteilen – wenigstens als Gastspiel. Ich fordere In- Kabarettist und „Klaviator“ Lars Reichow im Gespräch demnität und Immunität für den Unterhal- tungskanzler. Ich kann nicht alles anders und besser machen, aber lustiger kann es im Geschäft bleiben will, der braucht ein sion immer unterwegs, wir wollen gehört werden und klangvoller. großes und widerstandsfähiges, ja vielleicht und gesehen werden. auch ein fortpflanzungsfähiges Publikum. Es ist wirklich ein einmaliges Privileg in Komplettieren Sie bitte den Satz: Daran arbeite ich. diesem Beruf, dass man relativ unabhängig „Alles verflacht: die Politik, die Kultur insgesamt, ist von den großen Wirtschaftszyklen. Ich nur das Kabarett bleibt…“ Lebt das Kabarett davon, dass die glaube, dass das damit zusammenhängt, dass Reichow: Beinahe hätte ich jetzt gesagt: Politik besonders flach ist? das Kabarett doch eine eher bescheidenere „Alles verflacht, nur die Alpen nicht!“ Das Reichow: Das Kabarett ist ein zeitlos Darbietungsform hat, dass man eine Kaba- Kabarett bleibt so alpin und so flach wie boomender Berufszweig. Wir sind „Krisen- rett-Veranstaltung auch einfach und schnell vorher auch. Vielleicht ist der Vergleich mit Gewinnler“, d. h., wenn die Politik versagt, organisieren kann. Um mich zu hören, brau- einer Bergwanderung nicht ganz falsch. Es sind wir gefragt, und wenn die Politik ordent- chen Sie nicht den Bodensee zuzunageln. kommt immer darauf an, in welcher Hütte lich arbeitet, vor sich „hinschnurrt“, sind wir Ich bin teuer, aber man sieht es nicht! man einkehrt. Man kann im Kabarett Stern- genauso beliebt, weil sich die Menschen stunden erleben, atemlos mit Sauerstoff- belohnen wollen. Wir sind also sowohl in Sie waren einmal Musiklehrer, heute maske vor Lachen, man kann sich auch der Wachstumsphase als auch in der Rezes- sind Sie es nicht mehr!?

 42 MUSIK ORUM © Werner Feldmann/Lachland Ltd.

tär bei der rheinland-pfälzischen Kultusminis- terin Doris Ahnen! Also: Was würden Sie als erstes in den Schulen ändern? Reichow: Ich fürchte, ich muss mit einer schlechten Nachricht anfangen: Ich würde sofort den Beamtenstatus auflösen. Im nächs- ten Schritt würde ich versuchen, große Klassenverbände zu bilden, die über viele Jahre zusammenbleiben. Das Schulsystem braucht viel mehr Kreativbereiche wie Thea- ter, Musik, Kunst, Ballett, Film- und Hör- funkproduktion. Die Wissenschaften müssen im Wettbewerb gefördert werden, damit bereits vor Erreichen der Universitäten lebensnahe Forschungsergebnisse erzielt werden. Schule muss lebensnah sein! Lehrer sollten nur einen Teil ihres Berufs in der Schule einbringen, den anderen Teil in einem fachnahen Beruf verbringen. Das macht sie glaubwürdiger und eindrucksvol- ler. Die Schule braucht mehr Helden – auf beiden Seiten der Schulbank.

Zurück zum Kabarett: Sie touren das ganze Jahr durch Deutschland. Gibt es Regio- nen, in denen es der Humor schwer hat? Reichow: Nein. Es gibt nach wie vor – für mich wie für viele Kollegen – eine Tren- nung zwischen den neuen und den alten Bundesländern. Ich wünschte mir mehr Im Zentrum des Bühnen- Auftritte in den neuen Ländern, denn jede geschehens: Lars Reichow. Region hat ihre hochinteressanten Mentali- tätsunterschiede. Der Friese amüsiert sich

SEIN FÜR ALLE DEUTSCHEN!«

Reichow: Ja, aber ich habe noch viele aber nicht, dass ich tagsüber nicht schlafen auch, aber anders als der Niederbayer. In Freunde im akademischen Umfeld, halte kann. jeder Region gibt es einen unterschiedlichen Kontakt zu diversen Hochschulprofessoren, Zugang zum gleichen Programm. Ich habe Musikhochschulen, gebe Kurse und Anre- Sie waren Beamter auf Lebenszeit – jedoch festgestellt: Wenn man den Leuten gungen. Ich bin, wie man so schön sagt, warum haben Sie diese Sicherheit aufgegeben? etwas Gültiges, also auch im Humorbe- dankbar für die Erfahrung, dass ich Musik- Reichow: Nun, zu der Zeit, als ich das reich Gültiges und Unangreifbares vorträgt, lehrer sein durfte. Noch dankbarer bin ich entscheiden musste, war ich ja in der Schule. dann sind die Reaktionen ähnlich positiv. allerdings dafür, dass ich meine pädagogische Ich hatte meine Frau kennen gelernt, wir Das schließt die Schweiz und Österreich Kleingruppe in den Abend verlegen konnte. hatten eine Familie gegründet und ich war ein. Das Publikum ist ein Wunder an Viel- Der Abend und die Nacht sind emotional abends unterwegs. Wenn man den Tag in falt und Vielschichtigkeit im wahrsten Sinn einfach leistungsfähiger. Ich genieße meinen Schule, Familie und Bühne einteilt, dann des Wortes. Ich liebe die Reaktionen, das Beruf, und wenn mich meine Kinder lassen, bleibt nicht viel Zeit für den Schlaf. Ein Drit- spitze Lachen, das unterdrückte, das Brum- dann schlafe ich aus und bin dank meiner tel musste also wegfallen. Ich habe mich für meln der Männer oder die Exaltiertheit regelmäßigen Adrenalinausstöße ein glück- die Selbstständigkeit entschieden und diese mancher Frauen. Ein tolles Gefühl, seinen licher Mensch. Entscheidung nicht ein einziges Mal bereut. Beruf unter dieser Geräuschkulisse auszu- üben! Es mag Menschen geben, die mit Sie arbeiten also lieber abends und Durch Ihre Kinder bekommen Sie Musik nichts anfangen können oder nie nachts? Schule aber immer noch hautnah mit. Manch- lachen, aber auch diesen Menschen möchte Reichow: Richtig. Der Tag ist für mich mal, vermute ich, liegen Sie abends im Bett ich zurufen: „Ich werde alles versuchen, eine Unterbrechung der Nacht. Das heißt und denken: Wäre ich doch jetzt Staatssekre- um euch auch noch zu kriegen!“ Aber mein

 MUSIK ORUM 43 PORTRÄT

Platz ist in der Mitte derer, die sich ein Leben „Ganz fest und keit der Fantasie zur Verfügung. Das ist ja ohne Humor nicht vorstellen können. zufrieden im der viel größere Schatz. Man kann damit Kabarett seine eigenen Schwerpunkte setzen, muss Gibt es in Ihrem Heimatort Mainz verankert“: allerdings immer abwägen, ob es dafür auch Multi-Entertainer am meisten Humor? eine Zielgruppe gibt. Ich kann beispielsweise Lars Reichow. Reichow: Mainz ist eine unglaublich kein Programm machen über das Liebes- frohsinnige Stadt, die das auch mit vielen © Werner Feldmann/ leben von Schmetterlingen, denn da werde Lachland Ltd. Volkfesten, in den attraktiven Jahreszeiten ich schnell merken, dass Schmetterlings- und Wetterlagen praktisch täglich unter sammler erstens nicht gewohnt sind, ins Beweis stellt. Ich glaube, dass alle Städte Reichow: Nein, warum sollte ich das Kabarett zu gehen, und zweitens vielleicht am Rhein, entlang der Flüsse, sehr viel Sinn tun? Ich bin ganz fest und zufrieden im auch gar nicht lachen wollen über ihre für Humor und eine Form von Feierlaune Kabarett verankert. Der Begriff hat mich Lieblingstiere. haben. Das hängt sicher auch mit der Ver- nicht immer glücklich gemacht, vielleicht fügbarkeit von Wein und Fleischwurst zu- wäre ich lieber in der einen oder anderen Etwas anderes: Zum zweiten Mal sammen. Wir Mainzer zeigen durch unser Schublade aufgewachsen. Auch wenn die waren Sie Vorsitzender des Bundeswettbewerbs Naturell, vielleicht auch durch den selbst- Kabarett-Bühne meine Heimat ist – ich „Schulpraktisches Klavierspiel“ in der Musik- losen Einsatz während der Fastnachtskampag- empfinde auch heimatliche Gefühle auf hochschule Weimar. Zum Abschluss des dies- ne, eine hohe Bereitschaft, sich selbst hoch- einer Konzert- oder Theaterbühne. Es ist jährigen Wettbewerbs haben Sie deutliche zunehmen. Und das ist die Grundvoraus- viel wichtiger für mich zu erkennen, wie Worte bei der Preisverleihung gefunden. Was setzung für einen bodenständigen Humor. etwas gemacht wird, als wie es heißt. Das war los? Also kurzum: Mainz ist ein herrlicher Ort, Interessante an der Darbietungskunst ist Reichow: Dieser Jury-Vorsitz in Weimar um dort zu wohnen und zu arbeiten! doch, dass es ein Spannungsfeld zwischen ist für mich eine sehr interessante Aufgabe. dem Künstler auf der Bühne, dem Publikum Als Ex-Student, Freizeit-Dozent und Bühnen- Sie machen ja nicht nur Kabarett, und dem Raum mit seinen Möglichkeiten mensch kann ich mir diesen Wettbewerb sondern auch sehr ambitionierte Moderationen gibt. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich der unter verschiedenen Kriterien anschauen. auf der Bühne und im Rundfunk. Sie engagie- Auslöser bin für diese Kettenreaktion. Zu meinem großen Bedauern habe ich fest- ren sich in der eigenen Event-Agentur und bei gestellt, dass einige der Bewerber das Thema diversen Stiftungen, spielen Theater – heißt Kann es vorkommen, dass einmal die Liedbegleitung und viele andere Aufgaben- das, Lars Reichow flüchtet aus dem Kabarett? Themen ausgehen? stellungen, z. B. die Vertonung einer 12-Ton- Reihe nicht mehr handwerklich angemessen lösen wollen oder können, sondern sämt- liche Lösungen auf irgendwelche lapidaren Jazzharmonien hinzielten. Das hat mich sehr gestört. Nach jahrzehntelanger Demüti- gung und Geringschätzung der Jazzmusik ist wohl jetzt für viele die Zeit gekommen, in der der Jazz zur Allzweckwaffe wird und das Pendel zur anderen Seite ausschlägt. Die Ergebnisse waren teilweise lächerlich, wir Jury-Mitglieder waren regelrecht ver- ärgert. Nur weil die Fundamente fehlen, wird ein bisschen Unterhaltungsmusik gemacht. Genau dies habe ich den Zuhörern und den Teilnehmern gesagt. Ungeachtet dessen hatten wir eine würdige, wunderschöne Siegerehrung und einen tollen Gala-Abend an der Weimarer Hochschule.

Abschließend eine persönliche Frage: Hätte Lars Reichow einen Wunsch frei, dann… Reichow: …würde ich mir mehr Zeit für meine Frau und meine Kinder wünschen. Denn, wenn es etwas gibt, was noch gran- dioser ist als dieser wirklich wunderbare Beruf, dann ist es für mich ein glückliches „Heimatliche Gefühle“ auch auf der Privatleben. Liebe und Hilfsbereitschaft in Theaterbühne: Reichow mit Désirée Nick in Reichow: Das Kabarett ist eigentlich einer Familie, Pflichtbewusstsein, Opferbe- der Inszenierung Souvenir des Renaissance- sehr krisenfest, weil auf der einen Seite die reitschaft, tagtäglich daran zu arbeiten, dass Theaters Berlin. aktuellen Themen zur Verfügung stehen, sich Anstrengung und Applaus in diesem © Barbara Braun/drama-berlin.de die die Leute beschäftigen – ein steter Quell. Bereich die Waage halten, das ist die ganz Auf der anderen Seite steht die Unendlich- große Kunst.

 44 MUSIK ORUM BILDUNG

In Hannover heißt Schulmusik jetzt »FüBA« und »MALG«. Franz Riemer über ein niedersächsisches Modell Bologna HAT ZUGESCHLAGEN

lle Hochschulen unseres Landes kämpfen mit Bachelor und Master – als Minorfach studiert werden – mit Ausnahme Asie kämpfen mit der Entwicklung von konsekutiven Studiengängen, der Musik: Dieses Fach ist ausschließlich als mit der Umgestaltung des alten Diplom-, Magister-, Staatsexamenssystems Majorfach belegbar. Musik kann aber mit jedem beliebigen anderen Fach kombiniert in die neuen durch die Bolognakonferenz aus dem Jahr 1999 geforderten werden. Derzeit stehen dafür an der Univer- Studiengestaltungsvorgaben, die durch Module, Output- und Kompetenz- sität Hannover die Fächer Biologie, Chemie, orientierung geprägt sind. Darstellendes Spiel, Deutsch, Englisch, Evan- gelische und Katholische Theologie, Geografie, Die Kultusministerkonferenz hatte dazu unter „fächerübergreifend“ etwas anderes als Geschichte, Mathematik, Philosophie, Phy- aufgerufen und die Hochschulen und Uni- zwei Unterrichtsfächer nebeneinander zu stu- sik, Politik, Religionswissenschaft/Werte und versitäten folgten mehr oder weniger moti- dieren – aber man schloss sich der Namens- Normen und Sport zur Verfügung. Das Mi- viert nach und nach der Aufforderung zur gebung notgedrungen an, wohl wissend, dass norfach Medienmanagement ist auch mit Umstellung. Niedersachsen hatte es mit der zwischen den Fächern im Studium nichts Musik kombinierbar, wird aber von der Hoch- Umgestaltung der Lehrerbildung besonders übergreifen wird. Der Masterstudiengang, der schule für Musik und Theater angeboten und eilig. Im Dezember 2002 kam ein Schreiben Voraussetzung für die Zulassung zum Vor- kann – da es kein Schulfach ist – nicht in den aus den einschlägigen Ministerien: „Gemein- bereitungsdienst in der Schule ist, bekam dann Lehramtsmaster führen. Denn die Studieren- same Information des Ministeriums für Wis- den nachvollziehbaren Namen „Masterstu- den müssen im Masterstudium die Fächer- senschaft und Kultur und des Kultusministe- diengang Lehramt an Gymnasien“, kurz kombination wählen, die sie bereits im Bache- riums über die versuchsweise Einführung kon- „MALG“. Die Studierenden erhalten nach lor studiert hatten. Die mögliche Fachauswahl sekutiver Studiengänge in der Lehramtsaus- Abschluss einen Master of Education (M. Ed.). ist durch Ministerialerlass vorgeschrieben – bildung im Rahmen eines Verbundprojekts Damit hatte Bologna zugeschlagen. Die Schul- Medienmanagement gehört nicht dazu. niedersächsischer Hochschulen“. Dieses In- musik heißt jetzt FüBA und MALG. formationsschreiben klärte darüber auf, dass In Hannover hat man sich im Bachelor auch die Lehramtsstudiengänge künftig in ge- für das Major-Minor-System entschieden. Das Anschauungsmaterial im Internet stufter Struktur abgebildet werden sollen. Der heißt: Eines der beiden zu wählenden Fächer Wie das Studium der Musik in Kombina- Verbund wurde gegründet. Ihm gehören alle wird „mehr“ studiert (früher Hauptfach), das tion mit einem anderen Fach im Detail aus- Hochschulen Niedersachsens an, die Lehrer andere „weniger“ (früher Nebenfach). Die Fä- sieht, zeigen Grafiken, die das Studiensys- ausbilden. In Vechta und Braunschweig be- cher können also entweder als Major- oder tem im konsekutiven Aufbau des Bachelor- gann man bereits zum Wintersemester 2003 und Masterstudiengangs für ein (gymna- mit dem Bachelor, an der Universität Hanno- siales) Lehramtsstudium an der Hochschule ver zum Wintersemester 2004. Die Hochschule für Musik und Theater Hannover und der für Musik und Theater schloss sich dann 2005 Leibniz Universität Hannover anschaulich mit dem ersten Bachelorjahrgang an. beschreiben. Diese Grafiken sind im Inter- net aufzurufen unter: Ein Modell entsteht U www.musik-forum-online.de/Riemer Während viele Hochschulen von dem In den Grafiken sind Leistungspunkte neuen Studiengang einfach als dem „Zwei- (LP) ausgewiesen; Hochschule und Univer- fachbachelor“ sprachen, gab die Universität sität Hannover haben sich auf die deutsche Hannover dem Kind einen eigenwilligen Version von „credit points“ geeinigt. Hier Namen. Der Bachelor, der als Ersatz für das fällt sofort auf, dass das Majorfach „nor- Lehramtsstudium dienen sollte, wurde „Fä- malerweise“ 90 bis 106 Leistungspunkte cherübergreifender Bachelorstudiengang“, kurz umfasst. Wählt man aber das Fach Musik, so sind es 150 bis 166 LP. „FüBA“ genannt. Die Absolventen bekom- Major und Minor: An der Hochschule für Musik men einen Bachelor of Arts (B. A.) beschei- und Theater Hannover (Bild) wurden die Stu- nigt. In der Musikpädagogik versteht man zwar diengänge fächerübergreifend umgestellt. !

 MUSIK ORUM 45 BILDUNG

Das Niedersächsische Ministerium für Wis- senschaft und Kultur weicht im Fall eines Lehramtsstudiums, das an einer Kunsthoch- schule – und dazu zählen auch Musikhoch- schulen – studiert wird, von der Vorgabe des dreijährigen Bachelors ab und wünscht die Vierjährigkeit. Dem entspricht die Hochschule für Musik und Theater Hannover. Mit dieser Vierjährigkeit kann die Hochschule einen starken Bachelor anbieten, dessen Ziel und Zweck es ist, eine umfangreiche musikalische Allgemeinbildung mit grundlegender Vermitt- lungskompetenz auf hohem Niveau zu er- reichen. So konnte die Prämisse, unter der Eigeninitiative der Studenten des fächerübergreifenden Bachelorstudiengangs: das „erste die Neuerung stand, nämlich keinesfalls hin- deutsche Bachelororchester“ bei der Probe. © Hochschule für Musik und Theater Hannover (2) ter der Qualität des (alten) Schulmusikstu- diums zurückzubleiben, voll erfüllt werden.

Ministerielle Vorgaben den muss, noch 13 Leistungspunkte für das zu einer Zunahme der Prüfungsleistungen und ihre Folgen gesamte Studium des Fachs Musik zur Ver- gegenüber dem herkömmlichen System. fügung – im Gegensatz zu 150 LP im Bache- 3. ECTS: Das „European Credit Transfer Zwei Voraussetzungen führen zum gegen- lor. System“ misst Studienquantitäten. Es ist ein wärtigen Bild des gymnasialen Studienange- Maß für den Zeitaufwand, den der Studie- bots des Bachelor und Master in Niedersachsen Von Modulen, Prüfungen rende für ein bestimmtes Modul, Teilmodul bzw. Hannover: und einem Credit System oder für eine bestimmte Einzelveranstaltung 1. Das Niedersächsische Kultusministe- aufgewendet hat. Im Rahmen des Bologna- rium fordert weiterhin Lehramtsanwärter, die Die Vorgaben zu den Neuerungen sind prozesses hält man das für ein aussagekräfti- zwei Fächer gleichwertig unterrichten kön- mittlerweile allgemein bekannt und nahezu ges Kriterium, um Studienaufwendungen fest- nen. überall schon in Bearbeitung. Um es noch zulegen und zu vergleichen. 2. Die Universität Hannover und die Hoch- einmal ins Gedächtnis zurückzurufen: In Hannover schloss man sich an die Re- schule für Musik und Theater Hannover haben 1. Module: Es geht nicht mehr nur um gelung an, dass ein credit point bzw. Leis- sich darauf geeinigt, im Bachelor das Major- einzelne Veranstaltungen, es sollen Module tungspunkt für 30 Stunden Arbeitsaufwand Minor-System zu bevorzugen. gestaltet werden. Ein Modul ist eine (inhalt- vergeben wird. Der Aufwand besteht aus der Das Major-Minor-System führt dazu, dass lich sinnvolle) Zusammenstellung von Lehr- Kontaktzeit (z. B. Seminarpräsenz), der Vor- im Bachelorstudium das Majorfach – und veranstaltungen, ein kleiner Veranstaltungs- und Nachbereitungszeit (z. B. Üben, Lektüre Musik ist in Hannover nur als Majorfach zu komplex. Das Konsekutive soll in der neuen lesen), der Studienleistung mit Vorbereitung belegen – ausgiebig studiert werden kann, Struktur bereits hier beginnen. Die Module (z. B. Referat) und der Prüfungsleistung mit das Minorfach aber in geringem Umfang belegt sollen aufeinander aufbauen, ein bestimm- Vorbereitung (z. B. Hausarbeit, musikprakti- wird. Das bedingt aber auch, dass – wegen tes Modul soll Voraussetzung für ein bestimm- sche Präsentation). der Forderung des Kultusministeriums nach tes anderes sein. Es gibt aber auch die Mög- Gleichwertigkeit der Fächer – das Minorfach lichkeit, sequenzielle Module zu bauen. Die Umsetzung für das aus dem Bachelor im Masterstudium ausgie- Im Musikstudium ist der künstlerische biger studiert werden muss, während dann Einzelunterricht per se konsekutiv. Die Fer- Fach Musik* für das Majorfach aus dem Bachelorstudium tigkeiten werden durch ständiges Üben und Die Säulen des Musikstudiums im Bache- deutlich weniger Zeit bleibt. Verbessern erweitert und führen so zu ei- lorstudium, die sich alle innerhalb der ersten Der Masterstudiengang für das Lehramt nem Kompetenzzuwachs. In den Wissenschaf- drei Studienjahre in einer dreigliedrigen kon- an Gymnasien ist – wie der Name bereits ten (Musikpädagogik, Musikwissenschaft) sind sekutiven oder teilkonsekutiven Modulstruktur andeutet – als reine Lehramtsausbildung zu nach den Grundlagen, die natürlich konse- von „Basis 1“, „Basis 2“ und „Aufbau“ wider- sehen. Er endet mit einer umfangreichen kutiv zu den aufbauenden Studien führen, spiegeln, sind folgende: Masterarbeit. Bedingt durch die beiden oben sequenzielle Module möglich, die unterschied- 1. Künstlerische Ausbildung: Hier wer- erläuterten ministeriellen und universitären liche Gegenstände der Fächer beleuchten, aber den ein Hauptfach und zwei Nebenfächer Voraussetzungen kann das Majorfach aus dem nicht mehr notwendig aufeinander aufbauen. gefordert. Innerhalb der drei Fächer muss Bachelorstudium im Masterstudium – dort 2. Studienbegleitendes Prüfungswesen: erstes Fach genannt – nur noch in relativ Module, die möglichst nach einem, höchstens * Anmerkung: geringem Umfang studiert werden. Konkret zwei Semestern abgeschlossen sein sollen, stehen im gemeinsamen Hannover-Modell enden mit einer unmittelbar folgenden Prü- Liest man die im Internet abrufbaren Grafiken zum Musterstudienplan des fächerübergreifenden Bache- von Hochschule und Universität für das Fach fung. Somit gibt es keine Abschlussprüfung lorstudiengangs „Major Musik“ von links nach rechts, Musik neben einem Fachpraktikum, das au- am Ende des Studiums mehr, sondern der so erfährt man überwiegend etwas über die Quali- ßerhalb der Hochschule an einem Gymnasi- qualifizierende Studienabschluss ist die Summe täten des Studiums, liest man von oben nach unten, um oder einer Gesamtschule im Fach Musik der im Laufe des Studiums abgelegten Prü- dann werden überwiegend die Quantitäten deut- lich. mit sieben Leistungspunkten absolviert wer- fungen. In aller Regel führt diese Bestimmung

 46 MUSIK ORUM Klavier und Gesang vertreten sein. Als Haupt- erfolgreich abgelegt worden sind. Die Hoch- Fachakkreditierung erfreulich! fach kann neben Gesang oder einem Instru- schule für Musik und Theater bietet im fä- ment auch Dirigieren, Musiktheorie, Kom- cherübergreifenden Bachelorstudiengang zwei Die akribische Arbeit in der Studienge- position oder Rhythmik gewählt werden. Im Studienrichtungen an: Klassik und Jazz/Rock/ staltung hat sich gelohnt. Die Fachakkredi- dritten Studienjahr wechselt die Begrifflich- Pop. Daher wird in den Bereichen Ensemble, tierung verlief erfreulich, die kompetenten keit zu Schwerpunkt- und Zuwahlfach. Die Musiktheorie und insbesondere in der künst- Gutachter konnten ein positives Fazit ziehen. Studierenden haben hier die Möglichkeit, ent- lerischen Ausbildung jazz-rock-pop-spezifischer Im Bewertungsbericht der Gutachter und im weder ihre bisherigen Fachkombinationen Unterricht angeboten. Gutachten des Fachministeriums wird der beizubehalten oder nach Maßgabe der posi- Hochschule eine Ausstattung attestiert, mit tiven Beurteilung eines Fachlehrers einen Profilmodule nach Neigung der „in vorbildlicher Weise Musiklehrer und Fachwechsel vorzunehmen. zusammengestellt Musiklehrerinnen“ ausgebildet werden kön- 2. Ensemblearbeit/Ensembleleitung: nen. Darüber hinaus wurde betont, dass die Neben der allgemein üblichen Lehre in Chor- Das erste Studienjahr hat propädeutischen vorgegebene Struktur die „für den Berufser- und Orchesterleitung wird besonderer Wert Charakter. Die Studierenden sind noch nicht folg künftiger Musiklehrerinnen und -lehrer auf hohe Ensemblekompetenz im Bereich des mit ihrem zweiten Fach „belastet“ und kön- entscheidende individuelle künstlerische mu- Chorsingens und in der Chor-Orchester-Phase nen sich somit in diesem ersten Jahr auf die sikalische Profilbildung“ ermöglicht. gelegt. Das erste Studienjahr dient dem Ver- Musik konzentrieren, was sich z. B. auch in mitteln von Grundlagen (Ensemblesingen, einem höheren „Workload“ (Zeitaufwand) Was ist noch zu tun? Basiskurs Vokalmusik und Dirigieren). insbesondere für die „Künstlerische Ausbil- 3. Musiktheorie: Die musiktheoretischen dung“ abbildet. Das zweite und dritte Studien- Aufgrund der ausgezeichneten Akkredi- Module beinhalten neben der Musiktheorie jahr baut mit einschlägigen Pflichtveranstal- tierungsberichte könnte man meinen, es sei die klassischen Bezugsfächer Gehörbildung, tungen der Fächer auf die im ersten Jahr nun alles getan. Aber natürlich gibt es noch Tonsatz begleitendes Klavierspiel (TbK) und geschaffenen Grundlagen auf, während das Optimierungsmöglichkeiten beim Bachelor, Analyse. vierte Studienjahr neben dem Erstellen der die diskutiert und mit zunehmender Erfah- 4. Fachwissenschaft: Da an der Hoch- Bachelorarbeit der individuellen Profilbildung rung umgesetzt werden. Der Masterstudien- schule für Musik und Theater Hannover als der Studierenden dient. gang läuft im Wintersemester an und wird einziger Hochschule in Deutschland sowohl Diese Profilbildung wird durch drei Pro- intern ständig evaluiert werden müssen. Ein historische Musikwissenschaft und systema- filmodule veranschaulicht, die sich die Stu- Problem steht aber gerade im Hinblick auf tische Musikwissenschaft als auch Musiketh- dierenden nach einfachen Regeln selbst mit den Master an: Es ist die Hürde der Durch- nologie mit Lehrstühlen besetzt wurden, sind frei gewählten Veranstaltungen zusammen- schnittszensur von 2,5 des Bachelorzeugnis- die FüBA-Studierenden auch gehalten, Ver- stellen können. Die Zusammenstellung ge- ses, die Voraussetzung für die Zulassung zum anstaltungen aus allen Bereichen zu belegen. schieht entweder nach persönlicher Neigung Master ist. Das Ministerium selbst, das dieser Daher werden nach dem aufbauenden Grund- oder mit Blick auf ganz bestimmte Vorstel- Hürde zugestimmt hat, schlägt nun im Gut- lagenmodul „Basis 1“ eher sequenzielle Mo- lungen für eine spätere Beschäftigung oder achten vor: dule in der Musikwissenschaft vorgehalten. einen Arbeitsschwerpunkt. Im Idealfall lässt „Der Übergang vom Bachelor- zum Mas- Die Musikpädagogik beteiligt sich an den ge- sich beides verbinden. In einer ausgiebigen terstudium ist (bedingt durch die ‚2,5-Rege- meinsamen Wissenschaftsmodulen „Basis 1 Studienberatung finden die Studierenden lung‘) für einige Studierende erschwert. Die und 2“ mit grundlegenden musikpädagogi- Unterstützung in der Auswahl für die Profil- Musikhochschule sollte sich im Rahmen ih- schen Feldern und bietet für diejenigen Stu- module. rer Prüfungsautonomie vorbehalten, durch dierenden, die einen Masterstudiengang für Im Masterstudiengang stehen neben sie- geeignete Nachprüfungs-Verfahren Studieren- das Lehramt an Gymnasien anstreben, ein ben Leistungspunkten für ein Fachpraktikum den wegen ihrer besonderen, an der Hoch- Aufbaumodul im Wahlpflichtbereich an. noch 13 Leistungspunkte für das gesamte Stu- schule erworbenen Qualifikationen Mög- Zu diesen „Hauptsäulen“ kommen noch dium des Fachs Musik zur Verfügung. Da lichkeiten zum Weiterstudium in der Mas- praktische Grundlagen (Rhythmik, rhythmi- die Masterarbeit in den Fachwissenschaften terphase zu eröffnen, auch wenn jene im sche Gehörbildung, populäre Klavierbeglei- zu schreiben ist, die an der Hochschule von Zweitfach die 2,5-Hürde nicht geschafft ha- tung und Schlagzeug), interdisziplinäre Pro- der Musikwissenschaft und der Musikpäda- ben.“ jekte (vorwiegend mit integriertem Vermitt- gogik vertreten wird, ist es folgerichtig, die An der Hochschule für Musik und Thea- lungsanteil) und seit dem vergangenen Stu- 13 Leistungspunkte an diese beiden Fach- ter Hannover wird die Ansicht des Kultus- dienjahr der sog. Profilbereich hinzu. Die Dauer richtungen zu vergeben. ministeriums begrüßt, dass Interessenten für der Module beträgt durchweg ein Studien- Für die Aufwendungen im Fach Musik das Mangelfach Musik keine Steine für ei- jahr. Die einzige Ausnahme bildet die Chor- innerhalb des Lehramts-Masterstudiengangs nen geregelten Studienabschluss in den Weg und Orchesterleitung mit jeweils dreisemest- ist deshalb davon auszugehen, dass die (prak- gelegt werden sollten. riger Dauer. Bis auf wenige Grundlagenmo- tische) musikalische Ausbildung innerhalb der dule werden alle mit einer Prüfung, teilweise Säulen „Künstlerische Ausbildung“, „Musik- mit mehreren Teilprüfungen abgeschlossen. theorie“, „Ensemblearbeit/Ensembleleitung“ Der Autor: Wegen der Vierjährigkeit des Studiums ist im Bachelorstudiengang abgeschlossen wur- Prof. Dr. Franz Riemer lehrt Musikdidaktik an der nach dem Niedersächsischen Hochschulge- de. Allerdings ist im Modul „Schulmusikprak- Hochschule für Musik und Theater Hannover und ist setz eine Zwischenprüfung vorgeschrieben. tisch angewandtes Vertiefungsfach“ innerhalb dort Direktor des Instituts für Musikpädagogische Forschung. Diese ist erbracht, wenn spätestens am Ende des so genannten Vertiefungsfachs noch ein des zweiten Studienjahres die Module und Fenster für künstlerisch-praktisches Arbeiten Modulprüfungen des ersten Studienjahres gegeben.

 MUSIK ORUM 47 BILDUNG

Präsident Thomas Rietschel spricht über die Frankfurter Musikhochschule, die Zukunft der Ausbildungsstätten – und seinen Traum:

»DIE HOCHSCHULE SOLL EIN Laboratorium SEIN«

ie pädagogische Ausbildung wie die künstlerische, es sind zwei Seiten Musikhochschulen tun sich schwer ist genauso wichtig wie die einer Medaille. Wenn die Schule den Kin- mit der Einsicht, dass die Ausbildung einer „D dern keinen Zugang mehr zur Kunst ver- künstlerische, es sind zwei Seiten Grundschullehrerin anders gestaltet sein muss schafft bzw. die entsprechende Aufgabe als die eines Gymnasiallehrers. Gibt es die einer Medaille“, betont Thomas immer weniger wahrnimmt, dann wird uns Bereitschaft an Ihrer Hochschule, neue Kon- Rietschel, Präsident an der Hoch- irgendwann einmal die Frage unserer Da- zepte zu entwickeln? schule für Musik und darstellende seinsberechtigung gestellt werden. Vor die- Rietschel: Wir sind als Frankfurter Kunst in Frankfurt am Main, und sem Hintergrund haben wir auch die Initia- Musikhochschule natürlich keine Insel der umreißt damit die Voraussetzun- tive gestartet, dass das musikpädagogische Seeligen, und es ist nicht so, dass bei uns gen für ein Kulturleben, das auch Institut der Goethe-Universität in Frankfurt alles anders ist als an anderen Hochschulen. an unsere Hochschule verlagert wird. Wir führen die gleichen Diskussionen. Aber in weiterer Zukunft noch voller wir haben erreicht, dass auch die künstleri- Vielfalt und Lebendigkeit ist. Gehen die Stellen aus der Goethe- schen Professoren akzeptieren, dass das Universität allesamt an die Musikhochschule Thema „Kulturelle Bildung“ einen hohen Über die bereits stattfindenden und die Frankfurt? Stellenwert hat. Sie unterstützen die Zusam- weiterhin notwendigen Entwicklungen der Rietschel: Ab dem Wintersemester menführung der Musikpädagogik an unse- Musikhochschulen sprach Hans Bäßler mit 2008/09 wird es sogar eine Professoren- rer Hochschule. Es gab keine einzige Gegen- dem Hochschulleiter. stelle mehr für Musikpädagogik in Frank- stimme im Senat. furt geben als vorher. Es geht auch kein Dass die Musikkultur in einem einziger Studienplatz durch die Zusammen- Ist es noch sinnvoll, zukünftig für schnellen Wandel begriffen ist, merken alle, legung verloren. Im Gegenteil: Wir haben Lehrämter auszubilden? Muss es nicht einen die sich mit ihr befassen. Ein Thema der Hoch- mit der Universität ausgehandelt, dass in Paradigmenwechsel geben, der an einer Ver- schulen scheint es nur selten zu sein. Beschäf- Zukunft keine Studierenden mehr durch mittlung von Musik in den unterschiedlichsten tigt sich Ihre Ausbildungsstätte mit der Frage, den Numerus Clausus schon vor Aufnah- Bereichen orientiert ist? was zukünftig aus unserer Musikkultur wird? me des Studiums ausgesiebt werden. Wer Rietschel: Das kann ich mir sehr gut Thomas Rietschel: Das ist eine grund- beispielsweise den NC für Biologie nicht vorstellen. Wenn die Ganztagsschule kommt, sätzliche Frage, die uns täglich umtreibt. besteht, aber Musik als zweites Fach gewählt wird die Schule auch die Aufgabe der außer- Die Studierenden, die wir heute ausbilden, hat und dort die Aufnahmeprüfung besteht, schulischen kulturellen Jugendbildung über- werden in 20 Jahren das Musik- und Kultur- der wird trotzdem zugelassen und kann nehmen müssen. Wie werden die Musik- leben gestalten – und zwar auf allen Ebenen. Musik in Kombination mit Biologie studieren. schulen darauf reagieren? Wo werden dann Deswegen kann es für eine Hochschule Wir werden also mehr Musiklehrer ausbil- die Instrumentalpädagogen arbeiten? Wo nichts Wichtigeres gaben, als stetig und den können, als das bisher der Fall war. werden die Kinder Instrumentalunterricht gründlich über diese Zukunft nachzudenken. erhalten? Das Projekt „Jedem Kind ein Ausgehend von der Frage, wie wir denn Wird es für Schulmusik an Gymna- Instrument“ reflektiert ja bereits diese Ent- die Mittel legitimieren, die wir als Kunst- sien andere Aufnahmeprüfungen geben als wicklung. hochschule von der Gesellschaft bekommen, für Schulmusik an Grund-, Haupt- und Real- Wie wir als Hochschule darauf reagie- haben wir unsere Aufgabe definiert: schulen ? ren werden, das kann ich Ihnen noch nicht „exzellente Ausbildung von Künstlern, Päda- Rietschel: Es gibt schon jetzt unter- sagen, weil wir momentan keinen Musik- gogen und Wissenschaftlern in Verantwor- schiedliche Aufnahmeprüfungen und die pädagogen als hauptamtlichen Professor am tung für ein auch in Zukunft lebendiges Verfahren werden auch weiterentwickelt. Haus haben. Diese Konzepte wollen wir und vielfältiges Kulturleben“. Wie viel pädagogisches Talent, wie viele gemeinsam mit unseren neuen Kolleginnen Was muss heute getan werden, damit musikalische Fähigkeiten muss jemand und Kollegen entwickeln. Wir werden uns dieses Kulturleben auch in 20 Jahren noch haben, um sinnvoll Musik in der Schule aber auch Rat von außen holen, um unser vielfältig und lebendig ist? Einer der Schlüs- unterrichten zu können? An dieser Frage musikpädagogisches Institut nach dem se, die wir getroffen haben, lautet: Die päda- müssen wir weiterhin arbeiten und viel- aktuellen Stand der Diskussion neu aufzu- gogische Ausbildung ist genauso wichtig leicht auch neue Konzepte entwickeln. bauen.

 48 MUSIK ORUM Andere Musikkulturen sind selten © HfMDK Frankfurt/Main betreut. Ich stelle mir vor, dass die Hoch- Bestandteil in der Ausbildung an Musikhoch- schule mit vielen gesellschaftlichen Institu- schulen, wenngleich sie in unserer Migrations- tionen zusammenarbeitet wie Schulen, gesellschaft eine wesentliche Rolle spielen. Unternehmen und Kultureinrichtungen. Bestünde bei der Neugestaltung Ihres Hauses Und: An dieser Hochschule muss ein ge- die Möglichkeit, dass die Vielfalt an Musikkul- meinsames Bewusstsein darüber vorhanden turen verstärkt in die Ausbildung einfließt? sein, welche Rolle Musik, Theater und Rietschel: Ich fände das gut. Aber ich Tanz in unserer Gesellschaft spielen. Die muss auch im Auge behalten, was unsere Macht, aber auch die Ohnmacht unserer Möglichkeiten sind: Wie breit können wir Künste sollte ein Thema sein, das man überhaupt ausbilden? Wir brauchen dann immer wieder diskutiert. auch die Fachkompetenz dafür im Haus, also Stellen für einen solchen Bereich. So Bekommen wir für diese Vision auch etwas nur halb zu machen, ist nicht die die „richtigen“ Studierenden? richtige Lösung. »Jede Kunsthochschule Rietschel: Leider tut die Schule zu wenig dafür, um Offenheit, Neugier und Selbst- Sicherlich brauchen wir nicht 23 sollte sich als gesellschaft- ständigkeit bei den Schülern zu entwickeln. Musikhochschulen, die türkische oder asiatische Aber es gibt diese Studierenden, ich sehe Musik anbieten. Aber wäre es nicht notwendig, licher Akteur begreifen sie oft in unserer Tanzabteilung. Sie müssen dass jeder zukünftige Lehrer in seiner Ausbil- hart trainieren, aber dieser Abteilung gelingt dung zumindest eine Blickerweiterung vermittelt und keine Scheu haben, es, künstlerisch eigenständige Persönlich- bekäme? Führt die Blickverengung auf eine keiten auszubilden. Die Studierenden reali- bestimmte klassische, wenngleich sehr wertvolle sich einzumischen.« sieren schon sehr früh eigene künstlerische Kultur, nicht immer wieder zu Problemen an Projekte und stehen sehr oft auf der Bühne. Thomas Rietschel den Schulen? Sie werden in der Abteilung ernst genom- Rietschel: Da stimme ich völlig zu, es men und haben ein großes Mitspracherecht. ist wichtig, dass die zukünftigen Lehrer Ihnen werden breite und vielfältige Angebote Offenheit entwickeln und dass sie andere Wenn 30 Prozent des Musiktheorie- gemacht. So ähnlich stelle ich es mir auch Kulturen und Musikkulturen kennen und Stoffs und des Studiums am Instrument nicht- für die musikalische Ausbildung vor. Und akzeptieren. europäische Musik zum Inhalt hätten, so wie ich halte dies auch für die Ausbildung der es in den Niederlanden üblich ist – wäre das Musikpädagogen für wichtig, weil es letzt- Offenheit ist nicht damit zu erreichen, eine Lösung? endlich auch in der Schule darauf ankommt, dass Menschen per Dekret zur Offenheit Rietschel: Nein, das finde ich nicht gut, dass der Lehrer als Mensch, als Persönlich- erzogen werden, sondern dadurch, dass sie weil die Entwicklung der Persönlichkeit des keit überzeugt. Offenheit leben und erleben. Sind Musikhoch- einzelnen Studierenden im Mittelpunkt der schulen Orte der Offenheit, z. B. hinsichtlich Ausbildung stehen sollte und so wenig wie Im Moment wird an den Hochschulen der Bereiche Neuer und auch Alter Musik vor möglich das Bild, das wir uns vom idealen und Universitäten über die Dauer eines Lehr- dem 16. Jahrhundert? Studierenden machen. Mein Traum von amts-Bachelors diskutiert: drei oder vier Jahre? Rietschel: Ich finde, sie sind es zu wenig. einer Musikhochschule ist, dass sie auch Wohin wird die Reise in Frankfurt gehen? Wir versuchen in Frankfurt darauf zu rea- ein Laboratorium sein soll, also ein Ort, an Rietschel: Wir haben zurzeit immer noch gieren und haben deshalb ein Institut für dem Neugier, Wagnis und Experimentier- Staatsexamen und sind leider sehr an die Zeitgenössische Musik und eines für Histo- freude einen zentralen Platz einnehmen. ungemein detaillierten Vorgaben des hessi- rische Interpretationspraxis eingerichtet. Es Hier soll jeder Studierende die Chance be- schen Lehrerbildungsgesetzes gebunden, ist wichtig, dass solche Bereiche einen festen kommen, sich selbst zu entdecken, seinen was wir gar nicht gut finden. In diesen Vor- Ort haben, über den sie in der Hochschule eigenen Weg zu finden und zu gehen. gaben ist jetzt festgelegt, dass die Ausbil- verankert sind. Gerade die Entwicklung des dung vier Jahre Studium plus zwei Jahre Instituts für Zeitgenössische Musik zeigt Wie kann man sich eine Hochschule Referendariatszeit umfasst. Die zu erwarten- mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind. der Zukunft vorstellen, die nicht nur auf die de Umstellung auf den Lehramts-Bachelor So hat z. B. Carin Levine inzwischen zum Gesellschaft reagiert, sondern die auch inner- wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in dritten Mal bei uns einen Kurs für zeitge- halb der Gesellschaft agiert? diese Richtung gehen. nössische Spieltechniken auf der Querflöte Rietschel: Jede Kunsthochschule sollte gegeben; am letzten Kurs haben fast alle sich als gesellschaftlicher Akteur begreifen Keine Reform ohne die Gefahr der spä- Querflöte-Studierenden der Hochschule und keine Scheu haben, sich einzumischen. teren Verfestigung. Hat die Hochschule Instru- teilgenommen. Dieses Institut ist an der Für wichtig halte ich den Geist, der in einer mente entwickelt, um den Prozess der Neu- Hochschule mit vielen Veranstaltungen Hochschule herrscht: Sie und alle ihre Ange- orientierung zu gestalten und zu verstetigen? präsent, den Studierenden werden immer hörigen müssen das Bewusstsein haben, Rietschel: Auch dies ist eine Frage der wieder Aktivitäten zum Mitspielen geboten. dass sie mitten im Leben stehen. Ich stelle Haltung. So wie sich unsere Gesellschaft Es kommen faszinierende Persönlichkeiten mir vor, dass die Hochschule – örtlich ge- stetig wandelt, so müssen wir das auch als der zeitgenössischen Musik ins Haus, die sehen – mitten in einer Stadt liegen muss. Hochschule tun. Wir sollten stets bereit sein, die Überzeugungsarbeit bei Lehrenden und Die Hochschule der Zukunft hat z. B. einen uns und unsere Studienordnungen auf den Studierenden leisten. Kindergarten, den sie als Musikkindergarten Prüfstand zu stellen.

 MUSIK ORUM 49 BILDUNG

ie Angst geht um in Deutsch- Jeder sinnvolle Bildungs- und Lernpro- turelle Vielfalt ist deshalb eine schöne For- Dland. Es gilt, PISA-Ergebnisse zess setzt von seinem Beginn an voraus, sich mulierung, man ist offen für Kulturen, so zu überwinden und den Verfall am selbst erworbenen Zuwachs an Fähig- demokratisch und weltbürgerisch. Das kann keiten und Wissen erfreuen zu können. Dass jeder lernen. Fehlt nur noch: Musik ist eine der eigenen Kultur zu stoppen – Lernen Freude bereitet, dass Spaß am Ler- Sprache, die jeder versteht, verbindend und und das möglichst gestern. Mit nen zum Spaß am Leben gehört und dass international. Wagt einer zu widersprechen? neuen Schulen und Lehrplänen, dies die Voraussetzung für eine aktive Ge- Schauen Sie doch einmal in eine Gesamt- mit Inspektoren und Evaluationen, staltung der eigenen und gesellschaftlichen schule im sozialen Brennpunkt einer Groß- Kontrollen und Rankings. Zukunft ist – diese Überzeugungen stoßen stadt. Allgemeinplätze haben dort im Mu- bei den allermeisten auf ungläubige Ableh- sikunterricht überhaupt keine Bedeutung. Schnell soll sich alles verändern, dabei nung. Lernen ist doch Arbeit, und Arbeit Vielfalt ist nicht Ziel, sondern erzwungen mit deutscher Gründlichkeit. Mit Kürzun- kann keinen Spaß machen. Bei uns lernt und lebenswichtig, wo 1000 Schüler aus 45 gen, Einsparungen, Stundenerhöhungen, man spätestens ab acht Uhr, obwohl um Ländern kommen und fast 20 Nationen in überlasteten Lehrern und ebensolchen Schu- diese Zeit kaum jemand aufnahmefähig ist. einer fünften Klasse sitzen. Wo die hart er- len, mit populistischen Bekenntnissen zu Der Lehrplan, Sie verstehen. Französisch in kämpfte Einfalt aus vier Grundschuljahren Stadtteil-, R-plus- oder Regionalschulen, der Frühstunde, dem Humanismus zuliebe. die Kinder stolz sein lässt auf jedes Tüpfel- Gymnasien oder Schulen für alle. Passt der Lehrstoff nicht in die Stundenta- chen Restidentität, das sie von anderen unterscheidet. Kulturelle Vielfalt kann nur für jenen ein Lernziel sein, der eine eigene Zack-zack! Deutsche Gründlichkeit im Schulsystem: Heimat, einen eigenen Standpunkt und ein hält ein Plädoyer für mehr Freiheit eigenes Selbstbewusstsein sein Eigen nennt. Arend Schmidt-Landmeier Sie braucht keine Lehrpläne, sondern echte, akzeptierte und gelebte Vielfältigkeit. Lehrpläne könnten so hilfreich sein, Lehrplangehabe und würden sie von Musiklehrern geschrie- ben, die jeden Tag gerne unterrichten und ihre Erfahrungen frisch und mo- Symptomdoktorei tivierend formulieren. Sie könn- ten Handreichungen für die Praxis und zugleich deren Analyse sein Sofort soll sich alles verändern, damit wir und dabei helfen, Ideen zu ent- den Anschluss wiederfinden, damit deutsche wickeln gegen lähmende Rou- Bildung wieder etwas gilt und gleichzeitig tine und wissenschaftliche Be- all unsere armen Migranten-Kinder unser vormundung. Sie könnten nach Abitur machen können. Damit wieder Beet- dem Wikipedia-Prinzip online hoven statt Bushido die Charts dominiert von allen Musiklehrern jederzeit und trotz Ganztagsschulmehrbelastung Oboe verändert und verbessert werden. geübt werden kann. Sie könnten in praxi das Selbstbe- Natürlich sollen unsere Traditionen und wusstsein einer zukünftigen Bildungs- Tugenden gewahrt bleiben. Veränderung nation verkörpern, die es sich erlaubt, heißt ja nicht, jede auch noch so entfernt außer abschlussrelevanten Mindeststan- anmutende Möglichkeit zum Gegenstand dards den Unterrichtsprozess zwischen Schü- einer ehrlichen Analyse zu machen. Bei uns lern und Lehrern zu jenem Genuss werden wird verändert, was man verändern kann, fel: Ganztagsschulen! Das Konzept kommt zu lassen, der nur ein Ziel hat: Lernen als was sparen hilft und den Bürger vernünftig später. Passt der Schüler nicht zum Lehr- Weg. (?) wählen lässt. Wenn Stadtteilschulen, dann plan: Schulformänderung, Zusammenlegung, Solche Lehrpläne wären damit aber auch bitte nicht nur diese. Es gibt ja auch noch Abschaffung! Zack! Die nächste Wahl steht eine unkontrollierbare, im Prozess befind- Gymnasiasten, die lieben lange Schulwege. an. liche Gefahr, somit nicht evaluierbar und Wenn Schulen für alle, dann bitte keine Eli- Egal, wofür: Lehrpläne gibt es fast sofort, leider schulformübergreifend. Weg mit dem teinstitute, Genies können eh schon alles. Rahmenrichtlinien helfen gerne, einen soli- Gedanken! Das ist unsere Radikalität: Im Rahmen des den Unterbau zu suggerieren. Das Stricken Gerade das Schlagwort „Kulturelle Viel- Denk- und Bezahlbaren ändern, umbenen- mit heißer Nadel ist geübt, galante Formu- falt“ verdeutlicht das deutsche Bildungs- nen und umstrukturieren, ansonsten alles lierungen – gepaart mit widerspruchsresis- Dilemma. Unsere Oberstufen-Lehrpläne er- so lassen und ganz schnell tönen, man sei tenten Allgemeinplätzen – leisten der Ein- warten die Vermittlung der gesamten Mu- auf dem besten Weg. Symptomdoktorei bildung Vorschub, es lasse sich alles lernen, sikgeschichte vom 16. bis zum 20. Jahrhun- nennt man das, und die Psychologie kennt man müsse nur wollen. Siehe Tellerwäscher. dert, natürlich aus der Sicht der Wiege unserer das fatale Resultat: Symptomverlagerung, Weltoffenheit ist spätestens seit der Fuß- Kultur – siehe Verlustangst. Gleichzeitig soll nicht Heilung. ballweltmeisterschaft typisch deutsch. Kul- kulturelle Vielfalt vermittelt werden, wohl

 50 MUSIK ORUM ANZEIGE

ahnend, dass bei nur ansatzweise intensiver Beschäftigung mit anderen musikalischen Kulturen eine ernsthafte Durchdringung des „Unterrichtsgegenstandes“ (man bemerke die Lust am Ler- nen allein anhand dieses Begriffs!) jeden Zeit-Lehr-Plan-Rahmen sprengen würde. Nur: Wie kann anders gelernt werden als durch Intensität und Eindringlichkeit? Guter Musikunterricht kann sich nur zusammen mit den Schülern in einem geschützten, lehrplanfreien, experimentierfreudigen und zeitlosen Raum entwickeln. Leider widerspricht dieses erfahrungs- gemäß jeglichem Lehrplangehabe, jedem Aspekte- und Häpp- chendenken und jedem Aufbau-Mythos nach Art von „eins er- gibt das andere“. Jede resultatsbezogene Zielangabe widerspricht dem Wesen der Musik, solange es gilt, dieses Wesen an sich zu begreifen. Wird Musik gemacht, ergeben sich Ziele von selbst, also auch Pläne. Auch handwerkliche bzw. kognitive Standards, die gerne als Argument für allgemein gültige Lernziele angeführt werden, rechtfertigen keine Lehrpläne. Unsere Lehrpläne sind in der bisher üblichen Form in keiner Weise geeignet, auch nur einen dieser Standards zu gewährleisten, da sie von der unsinnigen Prämisse ausgehen, jeder Schüler (einer Schulform) könne annähernd ähnliche Ergebnisse erreichen – ein Abiturient einer Gesamtschule im sozialen Brennpunkt die gleichen wie sein Pendant im bürgerlichen Vor- ortviertel. Diese Ignoranz leistet sich nur der Deutsche, hier zeigt er seine kulturelle Einfalt. Die Annahme, Entwicklung beruhe auf Lehrplänen, ist ebenso richtig wie die, alle Absolventen von Musik-Leistungskursen würden Musik studieren. Die Fähigkeit einzelner Lehrer macht die Qua- lität des Unterrichts aus – nicht die Schule, schon gar nicht das Schulsystem, garantiert nicht der Lehrplan. Die Forderung nach kultureller Vielfalt im Lehrplan mutet genau dort am unsinnigs- ten an, wo vielfältiger die Schülerschaft kaum sein kann und die Forderung zu ihrer eigenen Persiflage gereicht. Es wäre schön, wenn weniger Lehr-Plan mehr Freiheit ergäbe, Vielfalt zu leben statt Vielfalt unterrichten zu müssen. Ein Lehr- plan für kulturelle Vielfalt überzeugt wie ein Kochbuch für Tüten- suppen – ein Geschmack für Echtheit entwickelt sich garantiert nicht, wird aber gelehrt. Erlauben wir unseren Musiklehrern, sich kulturell vielfältig zu bilden. Verbessern wir ihre Ausbildung, öffnen wir ihre Grenzen und erlauben wir ihnen Fehler. Geben wir ihnen Zeit, sparen wir nicht an ihnen und ihrer Kunst. Gönnen wir ihnen mit Spaß zu lernen und zu lehren. Kontrollieren wir sie nicht, geben wir ih- nen jede Chance – sie werden es schon hinkriegen. Nur unsere Angst vor mehr Freiheit können wir uns nicht mehr erlauben.

Der Autor: Arend Schmidt-Landmeier lehrt seit 28 Jahren das Fach Musik an der Gesamt- schule Horn in einem der sozialen Brennpunkte Hamburgs. Momentane Schwer- punkte: Kinderlied- und Musicalproduktion, Steinberg Modell Schule, Cajon-Bau/ Spiel- und Schülerfirma, Steeldrums. Neben jahrelanger Erwachsenenbildung am Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung, einem Lehrauftrag an der Musik- hochschule Lübeck und einer intensiven Gospelchorarbeit (u. a. Hamburger Gospelfestival) ist er heute aktives Mitglied im Hamburger Bündnis für Musik- unterricht und der Versammlung Hamburger Schulmusik.

Das Foto zum Artikel stammt aus der Gesamtschule Horn (© Schmidt-Landmeier). Weitere Informationen über die GS Horn unter: U www.gshorn.hamburg.de U www.musik-in-horn.de (ab Ende Oktober online) eine Welt ist das Lied: Efim Stella Jürgensen über einen Bewahrer jiddischer Musik S Chorny singt und komponiert auf jiddisch. Der Künstler aus Moldawien gilt als einer der wichtigsten Vertreter jiddischer DIE PURE DES Musiktradition in Osteuropa, Energie wo diese Stilrichtung gerade ein bescheidenes Revival erlebt.

Chorny will jiddische Musik bewahren und Sänger müssen nicht zwangsläufig dick sein. müsste eigentlich der Kehlkopf eingeengt und verbreiten. In Moldawien stößt seine Lebens- Denn Efim Chornys Körper ist schmächtig die Verbindung zwischen Beckenboden, aufgabe auf große Hindernisse. International und zart, seine Stimme aber gewaltig. Der Zwerchfell, Lungen, Stimmbändern, Brust- ist Efim Chorny längst ein Star. zierliche Mann aus Moldawien raucht viel und Kopfregister behindert sein – eine Hal- Stella Jürgensen hat ihn beim „Yiddish- und isst mäßig. Er scheint sich hauptsächlich tung, die jedem Gesangslehrer die Haare zu Summer“ in Weimar getroffen und stellt den von Musik zu ernähren. Berge stehen lässt. Künstler vor: Wenn er singt, neigt er den Kopf stark zur Doch Chornys Stimme ist davon nichts Seite und zieht die Schulter hoch, dass sie anzumerken. Er steht in einer lauen August- beinahe das Ohr berührt. Der gesamte Kör- Nacht auf einer Bühne in einer Fußgänger- per steht unter Spannung, die Hände sind zone mitten in Weimar. Neben ihm an ei- oft spastisch verkrampft. In dieser Haltung nem elektrischen Klavier spielt Susan Ghergus;

die beiden treten immer als Duo auf. Chor- nys voller Bariton schwingt entspannt – er singt einen jiddischen Text, die Stimme setzt an zu einer leichten Ornamentierung, fährt fort in warmem Legato, gibt einen wohldo- sierten „Krächz“, der das Lied vor falschem Pathos bewahrt. Chorny geht in die Knie, den Kopf immer noch verdreht, verzögert das Tempo, holt Schwung, richtet sich zu voller Größe auf und nimmt Anlauf zum Refrain, den er allmählich ins Forte steigert. Er verlegt den Sitz der Stimme einige Male in die Keh- le, lässt sie heiser klingen und zaubert so eine Termine mit Efim Chorny neue Klangfarbe. Der Text des Refrains ist zu Ende, aber 7. November (9.30 Uhr): Vortrag „Die Anatomie des überall noch so viel Energie vorhanden. Das jiddischen Liedes“von Efim Chorny und Susan Ghergus, 8. November (20 Uhr): Konzert; Publikum, das sich um die Bühne versam- Ort: Café Leonar in Hamburg, Grindelhof 56. melt hat, ist gerade vertraut geworden mit der Melodie – also improvisiert der Sänger auf allerlei Silben und hat schon wieder in ein anderes Timbre gewechselt, von dem seine

Fotos: Frank Burkhardt Stimme viele beherrscht.

 52 MUSIK ORUM Außerdem haben „Nigunim“ ihre Spuren hin- terlassen, die textlosen Melodien der from- men, chassidischen Juden, die damit ein ei- genständiges Genre innerhalb jüdischer Musik schufen. Integriert wurden außerdem verschie- denste regionale Musikstile: Je nachdem, wo EFIM CHORNY Juden sich auf der Suche nach besseren Le- bensbedingungen niederließen – etwa in Russ- land oder der Türkei – wurden osteuropäi- sche oder orientalische Klänge hinzugemischt. Efim Chorny und Susan Gerghus waren Vernichtungsfeldzüge Stalins überstanden Genau diesen unterschiedlichen musika- „Artists in Residence“ beim diesjährigen „Yid- hatte. Dort, im jiddischen Volkstheater, trat lischen Einflüssen nachzugehen, hat sich der dish-Summer-Weimar“. Die Musiker aus Mol- Chorny auf, immer am Sonntagnachmittag. „Yiddish-Summer“ zum Ziel gesetzt. Unter dawien haben das gesamte fünfwöchige Fes- Anstatt Fußball zu spielen, sang er auf der dem Titel „The Other Europeans“ erforscht tival in Weimar verbracht, nahmen an fast Bühne. Noch etwa 50000 Juden lebten damals das Festival in diesem und im kommenden allen Workshops teil, sowohl als Lernende in der Stadt, die Aufführungen waren ständig Jahr Parallelen zwischen der jiddischen und wie Lehrende. Und sie waren bei den abend- ausverkauft. Heute zählt Moldawien zu ei- der Musik der Sinti und Roma. Dafür hat der lichen „Jam-Sessions“ des Festivals dabei. nem der ärmsten Länder Europas. Das jiddi- Deutsche Musikrat das Festival mit seinem Klänge haben Efim Chorny begleitet, so sche Theater ist längst geschlossen, die meis- Musikpreis 50+ in der Rubrik „Interkulturel- lange er denken kann. Der Sänger stammt ten Juden haben die Hauptstadt verlassen. les Musizieren“ ausgezeichnet. aus einer Musikerfamilie aus Chisinau, der Efim Chorny lässt sich davon nicht ent- Wer Efim Chorny in den Seminaren er- Hauptstadt Moldawiens. Der Großvater war mutigen. Er organisiert jiddische Theaterauf- lebt, wird schnell angesteckt von seiner Eu- Chasan, Kantor in der Synagoge, der als Vor- führungen und Konzerte an häufig improvi- phorie. Für ihn sind die Kurse eine Möglich- beter nicht nur eine gute Stimme benötigt, sierten Veranstaltungsorten. Er zählt nicht keit, die Musik mit anderen zu teilen. Als Lehrer sondern auch die komplexen Strukturen umsonst zu einem der wichtigsten Protago- ist er sich der Verantwortung für seine Schü- jüdischer Lithurgie einstudieren muss. Chor- nisten der Wiederbelebung jüdischer Kultur ler bewusst: „Da Singen eine sehr persönli- nys Mutter – eine leidenschaftliche Sängerin in Ost-Europa. Das liest sich vielversprechend, che Angelegenheit ist, muss ich meine Kritik – studierte Gesang am Konservatorium von ein Blick auf die jüdische Bevölkerungsent- vorsichtig formulieren, ohne zu verletzen“, Chisinau. Von ihr lernte er russische Volks- wicklung verrät aber, auf welch schwere Mis- meint Chorny. „Eine minimale Korrektur kann lieder, rumänische Balladen, Lieder des Bal- sion Chorny sich begeben hat: Um 1900 war schon enorme Veränderungen bewirken.“ Und kans und vor allem die mitreißenden jiddi- Chisinau ein wichtiges Zentrum jüdischen so hat er häufig miterlebt, wie sich Amateure schen Theater-Songs, fast alle Gassenhauer, Lebens in Osteuropa. Knapp 50 Prozent der zu Profis entwickeln. die inzwischen ein eigenständiges Genre in- Bewohner waren Juden. Ermordet oder ge- Eine Schülerin hat auf einer Jam-Session nerhalb des unermesslichen Repertoires jid- flohen vor Antisemitismus und Verfolgung, gerade ihren Auftritt beendet, Chorny behut- discher Lieder bilden. Zu Jiddisch hat der hat die jüdische Bevölkerung heute in Mol- sam eine zweite Stimme dazu improvisiert, Sänger ein besonderes Verhältnis, denn das dawien nur noch einen Anteil von etwa 1,5 Susan Gerghus sanfte Harmonien am Kla- ist die Sprache, die zu Hause bei den Chor- Prozent. vier gefunden. Es ist nach Mitternacht. Zum nys gesprochen wurde. Efim Chorny ist einer der wenigen, der Abschluss stimmt Chorny ein Lied an, das er Die öffentlichen Jam-Sessions in der Innen- geblieben ist. Die Stadt ist sein Zuhause, das selbst geschrieben hat: A Gute Nahkt und zise stadt von Weimar sind, neben intensiven Work- er nicht aufgeben will. Doch der Kreis derer, kholoymes – eine gute Nacht und süße Träume, shops und hochkarätigen Konzerten, ein Mar- die sich für seine Kultur interessieren, ist winzig. singt er und entführt die Zuhörer auf eine kenzeichen des Festivals. Chorny ist davon Also reist der Sänger, gemeinsam mit Susan Reise in indifferente Töne, denn dieses Lied begeistert: „Die Musik wird nicht isoliert, Gerghus, regelmäßig ins Ausland, denn in- will halblaut gesungen werden. „Mazltov, sondern öffnet sich. Teilnehmer haben die ternational sind beide gefragte Künstler. Etwa gezunt un parnose“ – Glück, Gesundheit und Möglichkeit, mit anderen Musikern spontan in London, Montreal, New York, Sankt Pe- Wohlstand, fährt Chorny fort. Er singt mehr zusammenzuspielen und mit dem, was sie tersburg oder in Wien, wo sie unterrichten zu sich selbst, als zum Publikum gewandt. während des Festivals lernen, vor Publikum oder konzertieren. In Weimar lehrt Chorny Um die Zuhörer zu erreichen, fordert das aufzutreten." traditionellen jiddischen Gesang mit seiner Stück gerade deshalb von ihm große Inten- Wann immer eine Pause entsteht, sprin- schwierigen Diktion, Intonation und den kom- sität. Spätestens beim Refrain sind alle in Chor- gen Efim Chorny und Susan Ghergus ein, plizierten Rhythmen. Chorny hat alle Hände nys Welt angekommen, summen die Melo- spielen aus ihrem grenzenlosen Repertoire. voll zu tun, den Schülern den angemessenen die mit, teilen die Zwischentöne seiner Her- Während Chorny singt, winkt er eine Schü- Ausdruck zu vermitteln, denn Pathos hat im kunft. Chorny verlässt die Bühne. Er bekommt lerin zum Mitmachen auf die Bühne, drückt jiddischen Gesang nichts zu suchen. lang anhaltenden Applaus. anschließend einem weiteren Schüler ermu- Selbst hat der Sänger eine Reihe von Songs tigend ein Mikrofon in die Hand, sorgt dafür, komponiert, mit denen er inzwischen inter- Die Autorin: dass der Abend nicht auf seine Einzeldarbie- national in der jiddischen Musik-Welt Aner- Stella Jürgensen, Expertin für jiddische Musik, ist Jour- tung reduziert bleibt. kennung gefunden hat. Nicht selten gehö- nalistin und Sprecherin für TV- und Radio-Produktionen der ARD. Im jüdischen Salon am Grindel in Hamburg Als er in Chisinau aufwuchs – zu Sowjet- ren seine Lieder zum Repertoire anderer Bands. veranstaltet sie Konzert-Reihen und moderiert Workshops Zeiten während der Breschnew-Ära –, gab Chorny hat viel zu erzählen über die „Ana- über jiddische Musik. es tatsächlich noch ein jiddisches Theater in tomie des jiddischen Liedes“: Es hat seinen der Stadt, das die rabiaten antisemitischen Ursprung in den Gesängen der Synagoge.

 MUSIK ORUM 53 Über diese praktischen Aktivitäten hinaus möchte ExTra! mit einer wissenschaftlichen Neue Flammen entzünden, alte am Leben halten Publikation die theoretische Debatte über den Rebekka Leibbrand zum europäischen Kooperationsprojekt „ExTra! – Exchange Traditions“ interkulturellen Dialog anregen. Die interdis- ziplinäre Arbeit vereint unter dem Titel „Music in Motion: Diversity and Dialogue in Europe“ radition pflegen heißt nicht, themenbezogene Essays von Experten aus Asche aufbewahren, sondern der Ethnologie, der Soziologie und der Mu- „T ˜ Glut am Glühen halten“, wird der So bestand das Programm der „Europäi- sikethnologie. Genau wie die Veranstaltun- schen Sommerakademie“, die 2007 von der gen, die im Rahmen des ExTra!-Projekts statt- französische Politiker Jean Jaurès „Cité de la Musique“ in Paris organisiert wur- finden, wird die Publikation den Austausch aus dem 19. Jahrhundert zitiert. de, aus einer Zusammenstellung von Musik aus von Traditionen in Zusammenhang mit ver- Senegal, Marokko und Transsilvanien. In Stu- schiedenen künstlerischen und wissenschaft- Viel zu schnell werden mit dem Begriff dentenworkshops wurden die für diese Regio- lichen Disziplinen wie der Musikerziehung, Tradition verstaubte Sitten und Bräuche in nen typischen und an europäischen Musikhoch- der Gleichberechtigung der Geschlechter, dem Verbindung gebracht. Tradition bedeutet je- schulen unüblichen Lerntechniken erläutert und Identitätskonzept und den Medien behandeln. doch mehr als die Konservierung altherge- angewendet. Der zweite Teil der Publikation widmet sich brachter Regeln und Konventionen. Tradi- ˜ In Rom organisiert „Donne in Musica“ der Darstellung von Projektbeispielen, die auf tion bewegt sich, sie verändert sich im Wech- Konzerte, die Italiener und Musiker mit Migra- lokaler Ebene wirken und als Impulsgeber selspiel mit aktuellen Entwicklungen, sie er- tionshintergrund gemeinsam auf die Bühne brin- für weitere Initiativen dienen können. neuert sich und definiert sich im Austausch gen; im Jahr 2006 wurden verschiedene Tam- Das Projekt gipfelt in einer großen Ab- mit anderen Traditionen aus vergangenen wie bourtechniken aus Nigeria, Sri Lanka und Italien schlussveranstaltung, die in Kooperation mit parallel existierenden Kulturen. Das Alte bietet vorgestellt, im November 2007 standen Zupf- dem griechischen Projektpartner EnChordais den Nährboden für das Neue – sowohl in instrumente aus dem Iran, Libanon und Italien organisiert und in Zusammenhang mit der Form der Weiterführung als auch durch des- im Mittelpunkt. EMC-Jahreskonferenz vom 23. bis 26. April sen Kontrastierung. Wichtig ist nur der Fun- ˜ Angeregt durch die „Association Natio- 2009 in Athen stattfinden wird. Neben der ke, der überspringt, um neues Feuer zu ent- nale Culture et Traditions“ fand in Gannat in Veröffentlichung der Publikation wird hier fachen. der französischen Auvergne sowohl Ostern beim eine Vielzahl der Projektergebnisse präsen- Mit der Absicht, neue Flammen zu ent- regionalen Tanz- und Musikwettbewerb als auch tiert und über eine mögliche Verbesserung zünden und alte am Leben zu halten, wurde im Juli während des Weltkulturfestivals 2008 und Weiterführung der Aktivitäten berat- im Juli 2006 das von der EU geförderte und ein reger musikalischer Austausch zwischen Stu- schlagt. vom Europäischen Musikrat (EMC) koordi- denten und jungen traditionellen Musikern statt. ExTra! bietet eine Plattform für den musi- nierte Kooperationsprojekt „ExTra! Exchange ˜ Von der Internationalen Yehudi Menu- kalischen Austausch zwischen verschiedenen Traditions“ gestartet. Im Rahmen dieses Pro- hin Stiftung wurde im Rahmen des Kaustinen Kulturen, Völkern und Nationen. Ebenso jekts beschäftigen sich über einen Zeitraum Folk Musik Festivals im Juli ein Workshop zu wichtig wie die Verbindung zwischen den von drei Jahren zahlreiche Profi- und Laien- „Green Music“ angeboten, bei dem spielerisch einzelnen EU-Staaten ist dabei die Integra- musiker, Musikwissenschaftler, Musikpäda- das musikalische Potenzial der Natur erkundet tion der so genannten Minderheitenkulturen gogen und multimediale Musiker aus aller wurde. im eigenen Land. Denn: „Kultur wird von Welt mit dem interkulturellen Austausch ˜ In den jährlich stattfindenden Workshops Menschen gemacht und in jeweils wechseln- verschiedener Musiktraditionen. Die Aktivi- von mica, dem österreichischen Musikinforma- den Kontexten ausgehandelt, angepasst und täten reichen von Konzerten und Workshops tionszentrum, soll dagegen das öffentliche Be- neu angeeignet; das vermeintlich Eigene enthält über Kongresse und Publikationen bis hin zu wusstsein für die Belange geistigen Eigentums, stets Fremdes.“ (Arbeitsgruppe Musikpäda- einer Internetplattform, die Musik zum Down- einschließlich online verfügbarer oder gesen- gogik und Musikethnologie AMMe). Durch load bereitstellt. Besonders im laufenden Jahr deter kreativer Inhalte gestärkt werden. Diese die Förderung des musikalischen Dialogs 2008 fügt sich das Projekt hervorragend in Workshops vermitteln gesetzliche Rahmenbe- möchte ExTra! zu einem respektvollen und das europäische Themenjahr des Interkultu- dingungen für den Umgang mit Musik im Be- friedlichen Miteinander der EU-Bevölkerung rellen Dialogs. reich der Online-Vermarktung, deren Bedeu- beitragen und unter Wahrung der kulturel- Durch die lokalen und regionalen Aktivi- tung für Musikschaffende heute immer größer len Vielfalt die Schaffung einer gemeinsamen täten der Kooperationspartner steht das Pro- wird. Darüber hinaus betreibt mica eine Down- europäischen Identität vorantreiben. jekt in engem Kontakt zu den europäischen loadplattform, die projektbezogene Musik im Bürgern, anstatt ausschließlich auf internatio- Sinne der Fair-Music–Initiative bereitstellt, die Mehr Informationen: naler Ebene zu agieren. Vor diesem Hinter- sich für mehr Fairness und Gerechtigkeit in der U www.extra-project.eu (Projekt-Homepage) grund sind sämtliche Projektaktivitäten der Musikwirtschaft einsetzt. U www.manymusics.org/extra (Download- vielfältigen und geografisch weit verstreuten Plattform) Kooperationspartner zu betrachten: U www.emc-imc.org (Europäischer Musikrat)

 54 MUSIK ORUM NEUE TÖNE

Im Mai wäre er 85 Jahre alt geworden. In Erinnerung: György Ligeti Klassiker DER MODERNE

r gehörte zu den wenigen breite Resonanz gefunden haben. Zugleich In einem Gespräch mit Reinhard Oehl- E radikal innovativen Kompo- wurde versucht, Ligetis Komponieren insge- schlägel äußerte György Ligeti einmal, er hätte nisten der Neuen Musik, die samt in die Strömungen des späteren 20. Jahr- als Gymnasiast immer die Vorstellung gehabt, mindestens dem Namen nach hunderts einzuordnen. „entweder als Wissenschaftler oder Künstler zu arbeiten“, seine Traumwelt zu verwirkli- auch einem breiteren Publikum In Würdigung des Schaffens von György Ligeti gibt das MUSIKFORUM hier die Er- chen, „aber nicht mit irgendwelchen Freun- bekannt wurden: György Ligeti, öffnungsansprache zu den Hamburger Pro- den oder anderen Menschen eine Gruppe 2006 verstorben, wirkte seit Ende jekttagen wider, die der Musikwissenschaft- zu bilden“. Seit seiner Kindheit sei er einfach der 1950er Jahre als einer der ler und ehemalige Professor an der Universität „ein Grübler und Einzelgänger und Phantast“.1 Erneuerer der Musik unserer Zeit. Hamburg, Constantin Floros, hielt: Ich denke: Einzelgänger und Grübler im ei- gentlichen Sinne des Wortes ist er sein Leben Im Mai dieses Jahres wäre er 85 Jahre alt lang geblieben. Als Komponist gehörte er geworden. Für die Hochschule für Musik und keiner Gruppierung an, er lehnte Doktrinen Theater Hamburg Anlass, das Werk ihres und jede Art von Dogmatismus entschieden ehemaligen Professors für Komposition (von ab. Er habe immer wie ein „Blinder“ neue 1973 bis 1988) zu ehren: Im Rahmen des künstlerische Wege gesucht. Nachdem er mein Projekts „3 Tage Ligeti“ wurde mit Konzer- Buch über seine Musik gelesen hatte, sagte ten, Werkkommentaren und der Präsenta- er mir, der Untertitel „Jenseits von Avantgarde tion eines Fotobands an den großen Kom- und Postmoderne“ gefiele ihm gut, unein- ponisten erinnert. Neben bekannteren Werken geschränkt treffe er auf sein Schaffen zu.2 wurden vor allem frühe und späte Kammer- Auf die Frage, wer er sei, hat er einmal musikarbeiten vorgestellt, die noch nicht die geantwortet: „Ein in Siebenbürgen gebore-

 MUSIK ORUM 55 NEUE TÖNE

ner Ungar jüdischer Abstammung mit rumä- lied basiert auf einer ungarischen Volksdich- „Wissenschaftliche Ideen und Methoden nischer Staatsbürgerschaft zu Beginn, später tung und entstand bereits 1945 in Budapest. unterscheiden sich“, so schrieb er 1985, „so mit ungarischer, noch später mit österreichi- Es trägt den Titel Ein schwarzer Vogel 6 und grundlegend von künstlerischen, dass weder scher Staatsbürgerschaft. Ich gehöre nirgends: lautet in deutscher Übersetzung: die Technologie noch die Mathematik als Ich gehöre zur europäischen Intelligenz und solche imstande wären, Kunst hervorzubrin- Kultur.“ Da erhebt sich eine schwarze Wolke. gen.“12 Diesem Statement fügte er allerdings Ähnlich dachte übrigens der namhafte Darin putzt sich die Federn hinzu: „Dagegen können wissenschaftliche Schriftsteller Imre Kertész. In seinem Roman ein schwarzer Vogel. Gegebenheiten sehr wohl künstlerische Ideen Ich – ein anderer stehen die Sätze: „Ihr ver- Halt, Vogel, halt, nimm meinen Brief mit und Vorstellungen befruchten und auf diese langt doch nicht, daß ich meine nationale, für Vater und Mutter, für meine Verlobte. Weise segensreich auf die Entwicklung einer konfessionelle und rassische Zugehörigkeit Wenn sie fragen, wo ich bin, neuen visuellen Kunst und einer neuen Musik formuliere? Ihr verlangt doch nicht, daß ich sage, dass ich krank bin, einwirken.“13 eine Identität habe? Ich verrate euch: Meine in der Fremde halte ich mich verborgen. Fasziniert von der Komplexität musikali- einzige Identität ist die des Schreibens.“3 scher Strukturen erklärte Ligeti mitunter die Niemand, der Ligeti näher kannte und mit Gewisse Zweispurigkeit Komplexität als eines seiner vornehmsten seiner Lebensgeschichte vertraut ist, wird einen künstlerischen Ziele. Als genuin dialektischer kosmopolitischen Zug in seiner Persönlich- Neben seiner musischen Ader verfügte Geist wollte er jedoch kein Urteil über die keit verkennen können. In Siebenbürgen ge- Ligeti über eine wissenschaftliche. Seine Be- ästhetische Wirkung solcher Strukturen ab- boren, in Ungarn aufgewachsen, lebte und ziehung zur Musik umschrieb er als Passion. geben. In seinem Aufsatz Zur Anwendung von wirkte er in vielen europäischen Ländern und Er hatte ein Faible für die Bildende Kunst Computern in der Komposition stehen die sig- auch in den Vereinigten Staaten von Ameri- wie für die Literatur und interessierte sich nifikanten Sätze: „Wir wissen nicht einmal, ka. Er war polyglott und ebenso in Wien wie zeitlebens für naturwissenschaftliche Fragen. ob genug Komplexität, genug Beziehungsreich- in Hamburg und in Paris zu Hause. Zu sei- Sein Vater wünschte, dass er Biochemiker nen Schülern und Freunden gehörten Men- werde, um das Geheimnis des Lebens zu schen aus vielen Nationen, und die Reputa- ergründen. Eine gewisse Zweispurigkeit kenn- tion, die er genoss, war international. zeichnet seinen Werdegang in der Jugend. Mit 15, 16 Jahren fing er zu komponieren Sehnsucht nach der Heimat an. Daneben fesselten ihn chemische und physikalische Experimente. Er wollte an der Er sei – so äußerte er einmal – ein Gegner Klausenburger Universität Physik studieren. Meister der Illusionsästhetik: der nationalistischen Bewegungen. In seiner Den Juden war allerdings das Studium ver- György Ligeti bei Probenarbeiten zu Kindheit – in Rumänien und in Ungarn – wehrt. Man könnte vielleicht sagen: glück- seinem Requiem in London 1989. habe er eine Doppelexistenz geführt. Beson- licherweise, denn er wurde Musiker, nach- Das Foto entstammt dem Bildband Un-Endlichkeiten. Ligeti – Bilder und ders aufschlussreich sind die Angaben, die er dem er am Konservatorium Komposition, Begegnungen 1989-2003, der im 7 über seine Identität machte: „Meine Mutter- Orgel und Cello studiert hatte. Eine Zeit lang Rahmen der Hamburger Projekttage sprache ist ungarisch, ich bin aber kein ganz träumte er davon, die Struktur des Hämo- im Mai präsentiert wurde und beim echter Ungar, denn ich bin Jude. Doch bin globins zu entschlüsseln.8 Modo Verlag erschienen ist. ich kein Mitglied einer jüdischen Religions- Eine hohe Meinung hatte Ligeti von der Fotos: Ines Gellrich gemeinschaft, also bin ich ein assimilierter Jude. Mathematik. Bezeichnenderweise erachtete So völlig assimiliert bin ich indessen auch nicht, er sie nicht als eine Wissenschaft im Sinne denn ich bin nicht getauft. Heute, als Erwach- der Physik oder der Chemie, sondern als eine sener, lebe ich in Österreich und in Deutsch- Art Sprache, die zu einem Bereich irgendwo land und bin seit langem österreichischer zwischen den Naturwissenschaften und der Staatsbürger. Echter Österreicher bin ich aber Kunst gehöre. Seiner Ansicht nach war die auch nicht, nur ein Zugereister, und mein Mathematik für viele Mathematiker eigent- Deutsch bleibt lebenslang ungarisch gefärbt.“4 lich eine Kunst, weil „ein ganz bestimmter Ligeti musste Ungarn verlassen und er hat mathematischer Gedankengang“ nur dann außerhalb seines Heimatlandes existieren wertvoll sei, „wenn er elegant ist“.9 Nach dem können. Das Gefühl der Nostalgie, der Sehn- Dargelegten nimmt es nicht wunder, dass er sucht nach der Heimat ist freilich in ihm wach später von Benoit Mandelbrots „fraktaler Geo- geblieben. Im September 1993 eröffnete er metrie“ geradezu fasziniert war.10 Er vertrat mir, er fühle sich als Ungar und zur ungari- allerdings die Ansicht, dass Musik und Ma- schen Kultur zugehörig. Er liebe die ungari- thematik ihrem Wesen nach verschieden seien. sche Literatur und habe eine starke Bindung „In ihrer Quasi-Konsistenz“ – so meinte er – zu seiner Muttersprache mit ihren konzisen „ähnelt die Musik eher der Grammatik na- Bildern und rhythmischen Strukturen. So er- türlicher Sprachen.“11 klärte er jedenfalls, dass er 1983 die Magyar Einen besonderen Stellenwert nahm in Etüdök-Gedichte des bedeutenden ungarischen seinem Denken das Verhältnis von Kunst und Dichters Sándor Weöres vertonte.5 Wissenschaft ein sowie das der Musik zur Nostalgische Gedichte vertonte er übrigens Technologie. Dabei zog er eine scharfe Tren- auch in seiner Jugend. Das folgende Chor- nungslinie zwischen Kunst und Wissenschaft.

 56 MUSIK ORUM tum künstlerische Wertkategorien sind – es re führten. Spätestens 1957 lernte er in Köln graben – Skordatur, mikrotonale Abweichun- gibt extrem simple Werke, die große Kunst bei die serielle Me- gen, „verstimmte“ Instrumente, Naturober- sind.“14 Er beurteilte positiv die Datenverar- thode kennen, doch wollte und konnte er töne erwiesen sich als probate Mittel dazu. beitung zur Erzeugung von Klängen, auch sie sich nicht aneignen. Seine Besprechung von komplexen Klangstrukturen, und schätzte der Dritten Klaviersonate von Pierre Boulez Neue Impulse die bahnbrechenden Arbeiten von Jean-Claude trug entscheidend zur Überwindung des Se- Risset und John Chowning außerordentlich.15 rialismus bei und wurde legendär.16 Er hatte Anfang der achtziger Jahre vollzog sich im Doch stand er der algorithmischen Kompo- eine ausgesprochene Abneigung gegen star- Schaffen Ligetis eine bedeutsame Wende. Auf sition reserviert gegenüber. re Regeln und Systeme. Er interessierte sich der Suche nach neuen Wegen erhielt er Impul- Obwohl er allen Bereichen des geistigen lebhaft für die Stimmungen und die Tempe- se von der Musik für mechanische Klaviere Lebens – Literatur, Bildende Kunst, Geschichte, raturen sowohl der europäischen als auch des mexikanischen Komponisten Conlon Naturwissenschaft, Politik – großes Interesse der außereuropäischen Musik. Er experimen- Nancarrow, vom Studium der zentralafrika- entgegenbrachte, wurde sein Leben durch tierte mit der reinen Stimmung und mit Mik- nischen (subsaharischen) Musik, von der frak- die Passion für die Musik bestimmt. Er war rotönen, doch konnte er sich nicht dazu ent- talen Geometrie, insbesondere von der Be- einer der kühnsten Innovatoren der neuen schließen, ausschließlich mit diesen komposi- trachtung fraktaler Bilder. Diese Anregungen Musik – ein spekulativer Geist, der nichts torischen Möglichkeiten zu arbeiten. Sein schlugen sich zunächst in seinem 1982 ent- unversucht ließ, um die Kunst der Klänge ingeniöses Verfahren der „Mikropolyfonie“ standenen Horntrio, dann in den berühmt und Geräusche (der „Sonoritäten“), den ge- wurde weltberühmt. Mit seinen frühen Werken gewordenen Klavieretüden und in seinem samten akustischen Kosmos zu erneuern. Er huldigte er vielfach seinem Ideal vom schil- Klavierkonzert nieder. Ursprünglich hatte er hat stets neue Musik geschrieben und doch lernden, irisierenden, oszillierenden Klang.17 zwei Hefte der Klavieretüden geplant. In ei- beschritt er Wege, die ihn weit weg von der In seinen späteren Kompositionen trachtete nem Gespräch eröffnete er mir, dass sie mit musikalischen Avantgarde der sechziger Jah- er danach, das temperierte System zu unter- gegensätzlichem Ausgang konzipiert waren.

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Während die sechste Etüde – Automne a polnischen Geschichte unter Jaruzelski, der Die besondere Faszination, die von sei- Varsovie – als finsteres Stück gedacht war, liberale Regungen erstickte, die freie Gewerk- ner Musik ausgeht, lässt sich nicht nur auf das mit einem Sturz in den Abgrund endete, schaft „Solidarnosc“ verbot und den Kriegs- ihre Stimmigkeit und erstaunlich moderne sollte die letzte Etüde mit einem strahlenden zustand über das Land verhängte. Klanglichkeit zurückführen, sondern auch auf Stück, einer Art paradiesischer Vision, schlie- Einen eigenen Bereich bilden innerhalb ihren Fantasiereichtum und ihre assoziative ßen. seines Schaffens die von der Bildenden Kunst Kraft. Vieles stimulierte ihn und Verschieden- Ligeti nahm die Arbeit an der ersten Etü- stimulierten Kompositionen. Von einer sehr artiges verschmolz sich zu seiner unverwech- de Désordre bereits im November 1984 in hohen, säulenartigen Skulptur des renommier- selbaren Musiksprache. Er war ein Meister Angriff. Eine Zeit lang dachte er daran, dem ten rumänischen Bildhauers Constantin Bran- der Illusionsästhetik. Seine „assoziationsgela- Stück den Titel En blanc et noir zu verleihen. cusi (sie steht in einer südrumänischen Stadt dene“ Musik stellt an den Hörer besondere En blanc et noir bezieht sich – wie sich von in den Karpaten) empfing Ligeti einen star- Ansprüche, sie fordert von ihm synästheti- selbst versteht – auf die Tastatur des Klaviers ken Eindruck. Nach dieser Plastik benannte schen Mitvollzug. Ein gebildeter Hörer, der und meint, dass die rechte Hand des Spielers er seine vierzehnte Etüde Coloana infinita in der Lage ist, ihre innewohnenden Asso- auf den weißen und die linke auf den schwar- (Unendliche Säule). Beim Hören erweckt sie ziationen wiederzuerkennen, und überdies zen Tasten zu spielen hat. Die Unordnung den Eindruck enormer Robustheit und Mo- einen Sinn für ihre assoziativen Qualitäten und das Chaos, das der endgültige Titel Dés- numentalität. Von allen Klavieretüden ist sie hat, wäre für Ligeti ein idealer Hörer. ordre suggeriert,18 ergeben sich aus den überaus dynamisch am wenigsten differenziert. Sehr Er bekam die höchsten Ehrungen, die die komplexen rhythmischen Verhältnissen. Wie laut vom Anfang bis zum Ende, hebt sie gleich Kulturwelt zu vergeben hat. Seine großen viele Stücke Ligetis, so weist auch Désordre im dreifachen Forte (sempre con tutta la for- Werke werden die Zeit überdauern. Ihre eine gleichsam stereometrische Gestalt auf. za) an. Die restlichen Vortragsanweisungen Originalität und ihre hohen ästhetischen Qua- Das Klangfeld, mit dem das Stück anhebt, ist besagen, dass von der Mitte des Stücks an litäten garantieren es. im mittleren Tonbereich platziert und öffnet dieser Lautstärkegrad noch zu überbieten sei. sich allmählich nach beiden Richtungen: Auffälligerweise wird der gesamte Piano- Fußnoten: Während die rechte Hand den Tonraum bis Bereich ausgespart. Noch auffälliger ist es, dass 1 „Ja, ich war ein utopischer Sozialist – György Ligeti im zur äußersten Höhe okkupiert, erobert die die massigen Klangzüge der beiden Hände Gespräch mit Reinhard Oehlschlägel“ aus: MusikTexte, linke Hand die tiefere Tonregion bis zur (sie verhalten sich zueinander wie sich über- Heft 28/29, 1989, S. 85-102, Zitat S. 91. 2 Constantin Floros: György Ligeti. Jenseits von Avant- extremen Tiefe. Damit geht eine klangliche schlagende Wellen) stets steigende Kontu- garde und Postmoderne (Komponisten unserer Zeit, Steigerung einher. Ein zweiter (kürzerer) Klang- ren erkennen lassen. Der Prozess des höher Band 26, Wien 1996. zug setzt erst später ein. Auch hier driften und höher Schraubens im Kleinen wie im 3 Imre Kertész: Ich – ein anderer, Reinbek bei Hamburg die Hände – wenn auch jetzt nicht mehr so Großen ist das Signum des Stücks.20 1999, S. 56. 4 György Ligeti in: Hans Jürgen Schultz (Hg.): Mein stark – auseinander. Nur in den letzten Tak- Als ein eminent kritischer Geist stellte Ligeti Judentum, München 1987, S. 196-207, Zitat S. 196. ten, in denen die Musik entschwindet, ge- an sich, an seine Kollegen und Schüler die 5 György Ligeti: Edition 2, Sony Classical 01-062305-10 hen sie parallel. höchsten Anforderungen. Auch manche ei- SK 62305, Track 26-28. Dezidiert vertrat Ligeti die Ansicht, dass gene Werke hielten seinem späteren schar- 6 ebd., Track 4. 7 Schultz, a.a.O. (Fußnote 4), S. 200. Musik weder fortschrittlich noch rückschritt- fen kritischen Urteil nicht stand. Deshalb un- 8 György Ligeti: „Zwischen Wissenschaft, Musik und lich im politischen Sinne sein könne. Doch terzog er sein surrealistisches Bühnenwerk Politik“, in: György Ligeti/Gerhard Neuweiler: Motori- konzedierte er, dass sie mit dem Leben, mit Le Grand Macabre einer radikalen Revision. sche Intelligenz. Zwischen Musik und Naturwissenschaft, der gesellschaftlichen Situation in vielen Zu- Mein letztes ausführliches Gespräch mit ihm hg. von Reinhart Meyer-Kalkus, Berlin 2007, S. 53-70, sammenhängen stehen könne.19 Automne a fand im September 1999 in Hamburg statt. hier S. 57. 9 „À propos Musik und Politik“, in: György Ligeti: Gesam- Varsovie – die sechste Etüde – wird in den Er war damals bereits krank und auch des- melte Schriften, hg. von Monika Lichtenfeld, Basel/Mainz Skizzen als „großes Lamento“ bezeichnet. Ihr halb sehr pessimistisch. Er prognostizierte das 2007, Bd. 1, S. 232-236, hier S. 233. Thema, das immer aufs Neue verändert wird, Ende der Kultur, beklagte den Abfall der Leis- 10 „Zur Anwendung von Computern in der Komposition“, besteht in erster Linie aus absteigenden Halb- tungen und den Kult, den man mit der Me- in: Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 264. 11 „Zwischen Wissenschaft, Musik und Politik“, in: ton- und Ganztonintervallen, weist aber ge- diokrität trieb. In seiner Jugend habe er den Gesammelte Schriften, Bd. 2, S. 41. legentlich auch aufsteigende Diastemata auf, experimentellen Geist, Strömungen wie den 12 „Meine Stellung als Komponist heute“, in: Gesammel- die oft mit einem Sforzato-Zeichen versehen Surrealismus und Dadaismus, bewundert. „Wo te Schriften, Bd. 2, S. 114/115. 13 sind. Der schmerzliche Charakter der Musik sind unsere Träume geblieben?“, fragte er. ebd. 14 Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 262. ist unüberhörbar. Das Stück lässt sich inso- Alles sei dahin. 15 John M. Chowning: „Music from machines: Perceptual fern mit einer Fuge vergleichen, als das The- Mit György Ligeti verlor die internationa- Fusion & Auditory Perspective – for Ligeti“; Jean-Claude ma auf überaus fantasievolle Weise polyfon le Kulturwelt einen der bedeutendsten Kom- Risset: „Computer. Synthesis. Perception. Paradoxes“, behandelt wird und dabei jede erdenkliche ponisten der Gegenwart, einen höchst origi- in: Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft, Bd. 11 (Für Ligeti. Die Referate des Ligeti-Kongresses Hamburg Behandlung erfährt: Es erklingt in Original- nellen Künstler, der komplexe Werke schuf 1988), S. 231-243 und S. 245-258. gestalt und in Gegenbewegung, es wird di- und dennoch eine bemerkenswerte Popula- 16 „Zur Dritten Klaviersonate von Boulez“, in: Gesam- minuiert und augmentiert. rität genoss. Schon zu Lebzeiten gehörte er melte Schriften, Bd. 1, S. 447-450. 17 Am 11. Juni 1985 konzipiert und Ligetis zu den Klassikern der Moderne. Nach seiner Constantin Floros: Neue Ohren für neue Musik. Streif- züge durch die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, polnischen Freunden dediziert, hat die sechste Flucht aus Ungarn im Dezember 1956 und Mainz 2006, S. 141-150. Etüde eine politische Konnotation. Das Stück bis zu seiner Berufung an die Staatliche Mu- 18 Ligeti las 1983 auf einer Zugfahrt von Straßburg nach bezieht sich auf die heikle politische Lage sikhochschule in Hamburg im Jahr 1973 lebte Paris im französischen „L’Express“ einen Artikel über Polens am Anfang der achtziger Jahre. Das er von eher kargen Lehraufträgen. Er unter- Mandelbrots Chaostheorie, die ihn sogleich faszinierte. 19 Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 235. Lamento und der „Sturz in den Tartarus“ am richtete in Italien, Frankreich, Dänemark, 20 Näheres über Coloana infinita in meinem Ligeti-Buch, Schluss erinnern an eine düstere Phase der Schweden und in den USA. S. 196.

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© Popkomm (Ausschnitt bearb.) Dieter Gorny warnt vor der totalen Freiheit im Internet und drängt dazu, neue Realitäten des Mediums wahrzunehmen

WEHRET DEM »Inhalte-Tsunami!«

m 1. September trat das anders statt und kehrt nicht mehr zurück. A„Gesetz zur Verbesserung Entsprechend begrüßen wir, dass alle wirt- der Durchsetzung von Rechten schaftlichen Bereiche an Bedeutung gewin- nen, in denen Kreativität und Bildung einen des geistigen Eigentums“ in Kraft. hohen Rang haben. Vor dem Hintergrund anhaltender Treiber der industriellen Entwicklung ist Musikpiraterie via illegalem Down- die Digitalisierung. Sie macht es möglich, auf load von Musikdateien im Internet Knopfdruck an vielen Plätzen der Welt gleich- regelt es u. a. Auskunftsansprüche zeitig zu sein, Daten zu verändern und in ei- Sieht die Gefahr, dass kulturelle Werte bei Urheberrechtsverletzungen und nem enormen Tempo zu transportieren. Von dieser Entwicklung werden aber die Kreativ- vernichtet werden: Dieter Gorny. die Höhe von Schadensersatz- branchen, von denen man Antriebskraft für leistungen. das Wachstum der Zukunft erwartet, massiv getroffen – allen voran der Musikbereich. Dieter Gorny, Leiter des Bundesverban- Diese Branchen werden mit dem Problem wenden von Dingen, sondern auch das von des Musikindustrie und Präsidiumsmitglied konfrontiert, dass das, was sich Künstler aus- immateriellen Werten wie der Musik Dieb- des Deutschen Musikrats, äußerte sich ge- denken und was die Leute auch gerne hö- stahl ist. Sicherlich ist eine große Vermittlungs- genüber dem MUSIKFORUM über die Aus- ren, auf einmal umsonst verfügbar ist und lücke dadurch entstanden, dass die Pädago- wirkungen der neuen Technologien auf die nicht mehr gekauft wird. Gleichzeitig wer- gik auf der einen und die Politik auf der anderen Musik und deren Konsum sowie über die den das Produkt, das künstlerische Schaffen Seite dem hohen Tempo der technologischen diesbezügliche Verantwortung von Gesell- und der Lebensunterhalt des Künstlers auf Entwicklung nicht folgen konnten. schaft, Wirtschaft und Politik. Das Gespräch Dauer nichtig. Wenn wir dem nicht begeg- mit ihm führte Hans Bäßler. nen und uns klarmachen, was in Wirklich- ˜ In welchen finanziellen Größenord- keit im Kleinen passiert, dann werden wir nungen ist der Schaden der Musikindustrie ˜ Warum herrscht so viel Aufregung um lernen müssen, dass wirtschaftliche und – weltweit und national – anzusiedeln? das illegale Downloaden? Entstehen wirk- kulturelle Werte im Großen vernichtet wer- Hier geht es um Milliardensummen. Man lich so große Schäden, wenn Schüler nur den. Und dass bei diesem Transfer von der geht davon aus, dass sich die Umsätze der „ausnahmsweise mal runterladen“? Industrie- zur Wissensgesellschaft die große deutschen Musikindustrie innerhalb der ver- Dieter Gorny: Das illegale Downloaden Chance vertan wird, im europäischen Kon- gangenen vier Jahre schlicht halbiert haben. wird sehr gerne mit dem Wort „Bagatelle“ text mitzuspielen. Wir verlernen einfach, Sie wurde als erste getroffen, schließlich braucht umschrieben und steht eng mit dem Vor- Respekt vor der Leistung künstlerischer und man nur eine kleine Datenmenge, um drei wurf in Verbindung, dass zukünftige Musik- kreativer Menschen zu haben. Minuten Musik downzuloaden. Auch hier kunden potenziell kriminalisiert würden. Zum merkt man, dass die Debatte nicht mit der einen wird das Thema gerne verharmlost, ˜ Kann man sagen, dass unser ethisches Entwicklung mitkommt, dass man immer noch manchmal sozusagen in Addition des kom- Bewusstsein nicht mit der technischen Ent- Bilder von starren Industriekomplexen im Kopf munikativen Verharmlosungsprozesses, dann wicklung Schritt gehalten hat – konkret: hat, die so nicht mehr zutreffend sind. Denn wiederum wird es dargestellt als eine gerechte dass man zwar den Diebstahl von einem die Branche ist auf dem Weg, sich neu zu Strafe für die große, böse Industrie in ihrer Stück Seife beim Discounter als Unrecht orientieren und zu finden. Man muss ein- Ausrichtung, den Menschen das Geld aus der empfindet, gleichzeitig aber glaubt, kein fach erkennen, dass durch die Digitalisierung Tasche zu ziehen. Unrecht zu begehen, wenn man einem alles, was mit Musik zu tun hat, positiv wie Das alles bekommt aber eine andere Be- Künstler seinen Anteil am Kreativprozess negativ auf den Kopf gestellt wurde und dass deutung, wenn man die „Bagatelle“ vor dem vorenthält? es einer neuen Ordnung bedarf mit dem Ziel, Hintergrund der Tatsache betrachtet, dass wir Man könnte fast philosophisch sagen, dass das Verhältnis zwischen den Kunden und den uns von der Industriegesellschaft hin zur Wis- wir vor dem Phänomen der „Entdinglichung“ Künstlern wieder auf ökonomisch gesunde sens- und Kreativgesellschaft wandeln. Eine stehen, indem wir Dinge, die wir nicht direkt Beine zu stellen. notwendige Entwicklung, denn vieles von dem, greifen können, in ihrem Wert nicht einzu- was uns an industrieller Produktion in Euro- schätzen wissen. Klar, wir haben versäumt, ˜ Soweit es um ethische Weichenstellun- pa stark gemacht hat, findet inzwischen wo- deutlich zu machen, dass nicht nur das Ent- gen geht, liegt die Zielgruppe hauptsächlich

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bei den Kindern und Jugendlichen. Müsste so gestalten können, dass es demokratischen Wenn wir Hochtechnologieland sein wollen, man deswegen auch zu anderen Formen Zugriff auf Inhalt und Information gibt, dass müssen wir erkennen, dass das ohne Con- der Distribution von Musik kommen und aber auch wertvolle ökonomische Optionen tent nicht geht. Die Technologien verkaufen den Fokus nicht ausschließlich auf die CD nicht gleichzeitig verschleudert werden. An sich nur mit spannenden, attraktiven Inhal- legen? dieses Thema muss man gesellschaftlich he- ten. Wenn man nicht nur lamentieren und in rangehen, zumal der Begriff „Urheberrecht“ Wenn ich das auf den Standort Deutsch- blinden Aktionismus verfallen will, muss man ein wenig staubt. Man muss einfach der neu- land beziehe – auf das Technologieland und fair sein und zugeben, dass nur ein Bündel en Realität gerecht werden. das Land der Dichter und Denker –, müssen an Maßnahmen eine Veränderung bringen wir eine Balance schaffen. Wir kommen als kann. Zuerst einmal muss ein Bewusstsein ˜ Was passiert eigentlich mit dem Geld, Gesellschaft nur weiter, wenn wir begreifen, geschaffen werden. Es muss klar sein, dass dass in den Verfahren gegen illegalen Down- dass sich spannender Inhalt, Kreativität und nicht nur ein Bankräuber mit vorgehaltener load eingetrieben wird? Kunst auf der einen Seite und technologi- Pistole ein Verbrecher ist, sondern auch der, Es ist ja erst seit kurzem im Bereich der sche Entwicklung auf der anderen Seite ge- der nur mit dem Hin- und Herschieben von Musikwirtschaft so, dass man Rechte einklagt, genseitig bedingen und nicht ausschließen. Kontodaten zu tun hat. Die „Entdinglichung“ um Aufmerksamkeit herzustellen und nicht Wie gesagt: Technologie kann sich auf Dau- einer sonst sehr haptischen und recht ein- tatenlos zuzusehen, wie ein ganzer Markt er nicht ohne spannende Inhalte weiterent- deutigen Sache ist ja gerade das Problem, das verschwindet, bevor die Politik urheberrecht- wickeln. Das hat etwas mit deren Verkauf- bei der Musik stattfindet: Nicht nur das Mit- lich gesetzgebend reagiert. Diese Abmahn- barkeit zu tun, wenn man davon ausgeht, nehmen einer CD ist Diebstahl, sondern auch verfahren sorgen natürlich – das ist Sinn der dass alleine 70 Prozent des gesamten Daten- das Mitnehmen eines Musikstücks aus einem Sache – für Unruhe und Unrechtsbewusst- transfers mit illegalen Inhalten zusammen- anderen Medium. Am Ende geht es um Musik, sein; und wenn man erwischt wird, kosten hängen. die jemand nimmt, ohne sie zu kaufen. Hier diese dann auch Geld. Es geht nicht darum, Man muss wahrnehmen, dass in einer Wis- sind Bewusstseinsbildung im erzieherischen über den Weg des Klageverfahrens das wieder sens- und Kreativgesellschaft der Zukunft die Prozess und Respekt vor dem Wert geistigen reinzuholen, was an Einnahmeverlusten ent- digitalen Transportwege eine ganz massive Eigentums nötig. standen ist. Das wäre eine zwar oft geäußer- Rolle spielen werden. Schnell kommt man Es ist Aufgabe der Industrie, Musik dort te, aber allzu naive und die reale Marktsitua- dann – wenn man über illegale Downloads bereitzustellen, wo der Käufer sie haben will tion verkennende Haltung. nachdenkt – zu spannenden Modellen im – sei es digital, analog oder in einer besonde- Wir haben gesagt: Wenn Geld fließt, dann edukativen Sinn, bei denen nicht mehr juris- ren Verpackung, in Zukunft auch über Zu- sollte man es nicht an den Markt zurückge- tische Klagen eine Rolle spielen. Modelle, bei gänge zu Bibliotheken in Form von Flatrates, ben, sondern in den Bereich Pädagogik und denen der Internet-Serviceprovider dem In- bei denen ich pauschal für die Nutzung be- Kultur investieren. Man sollte mit dem Geld ternetnutzer sagt: „Wir wissen, in welchem zahle. Die Industriemanager haben es letzt- Projekte initiieren und Projekte Dritter un- Umfang du illegale Daten durchschleust, wir endlich genauso schwer wie die Jugendlichen: terstützen, die sich auf der einen Seite der mahnen dich ab! Und wenn wir noch ein Nicht das Haptische zählt, also der Tonträ- Kreativitätsförderung und auf der anderen zweites Mal abmahnen müssen, klemmen wir ger, sondern im Grunde wird der Wert durch Seite dem Umgang mit Musik und Kreativi- dich einen Monat von deinem Anschluss ab!“ die Kreativität geschaffen, wobei es der Krea- tät im Unterricht widmen. Mit einem Bündel So werden – ganz ohne Anwalt – gesetz- tivität und dem Song egal ist, über welches von Maßnahmen soll mehr Druck ausgeübt liche Möglichkeiten genutzt, um vernünftig Medium er zum Kunden gelangt. werden. Es sind übrigens siebenstellige Be- zusammenleben, arbeiten und wachsen zu Medien dürfen im positiven Sinn nicht träge, die da – gut investiert – zurückfließen, können. So kommt es auch zum Ausgleich ideologisiert werden, man muss sie einfach was auf die Breite der Maßnahmen hinweist. zwischen den Interessen von Kunden, Wirt- nutzen, um die Musik zu transportieren und Einerseits also ein juristisches, andererseits ein schaft und Kultur. Und das ist genau der Punkt, um zu sehen, wo neue ökonomische Mo- rein pädagogisch-inhaltliches Vorgehen. den zu erkennen wir uns in Deutschland so delle der Nutzung entstehen. Man sieht im schwer tun: nämlich diese Bedingtheit der Handybereich sehr gut, dass die Kunden – ˜ Diese Vorgehensweise erscheint auch komplexen Einzelbestandteile endlich zu ak- nach einer edukativen Strukturierung – be- deshalb einleuchtend, weil sie den Rechts- zeptieren, dieses Miteinander in der Debatte reit sind zu zahlen. Es ist doch wie bei der verstoß ahndet, gleichzeitig aber den Erlös zu fordern und nicht das Ausgrenzen. Rechnung des Telefonanbieters: Man bezahlt nicht als Gewinn, sondern als „Investition“ sie und begleicht damit interessanterweise auch versteht… ˜ Wir reden bei dem Thema ja nicht nur brav seine Klingeltöne. Man ist sogar bereit, In der Tat. Darum muss man auch über über Musik, sondern auch über gewaltver- mehr für einen Klingelton zu bezahlen – und die übliche Ebene der Diskussion hinausge- herrlichende Inhalte und Pornografie, was damit für die musikalisch-klangliche Entglei- hen und erklären, was man da eigentlich tut auch in der Verantwortung der Provider sung – als für das Original. und dass das nicht der letzte Schritt ist. Auch liegt… Politisch gesehen kann es im digitalen muss man darauf hinweisen, was in anderen Wir reden über das digitale Phänomen, Zeitalter beim Transfer der Industrie- zur Ländern teilweise schon unternommen wurde das gesellschaftlich unterschiedlich fokussiert Wissensgesellschaft nicht mehr nur darum – und das eben nicht über ein abgetrenntes wird. Da ist zum Beispiel die „Inhalteindust- gehen, den Begriff Urheberrecht als eine Art Klageverfahren oder in einer einzelnen Ak- rie“, die sagt: Wir brauchen ein stärkeres Sprengstoff zu benutzen – Sprengstoff zwi- tion im Pädagogikbereich. Es muss verständ- Urheberrecht. Worauf die Verbraucherschützer schen dem Verbraucher, der alles umsonst lich gemacht werden, dass der Transfer von entgegnen: Im Interesse der Verbraucher und haben will, und der Industrie, die den Profit der Industrie- zur Wissensgesellschaft ohne des Datenschutzes muss alles ganz frei sein. maximieren möchte. Man muss sich klar Entwicklung der Technologie, Digitalisierung Im Bereich der medienpolitischen Debatte darüber werden, wie wir diese Ressourcen und Kreativität nicht vonstatten gehen kann. heißt das Thema: „Was bedeutet eigentlich

 60 MUSIK ORUM »Wir müssen eine Balance von Kreativität umschlagplatz entwickelt hat, wird noch zu sem Weg nicht mehr erreichbar ist – obwohl und Technologie ganz anderen Debatten in der Gesellschaft sie sich durchaus informiert, obwohl sie de- führen. Da geht es dann nicht mehr nur da- battiert und politisch aktiv sein will. Aktiv ist rum, dass ein Unternehmen jemanden ille- sie nur in einem anderen Medium, das auf- schaffen« gal ausforscht; auf uns werden Situationen grund seiner fast schon anarchischen Gren- zukommen, in denen eine jetzt schon zum zenlosigkeit irgendwann zu einem Bumerang Exhibitionismus neigende Gesellschaft unan- wird, weil man sich gar nicht klar machen Medienregulierung im Zeitalter des Internet?“ genehm mit den Spuren ihrer Netzvergan- kann, was es bedeutet, wenn die von den Zusammengeführt findet diese Diskussion mo- genheit konfrontiert wird, z. B. beim Vorstel- Erwachsenen propagierte Grenzenlosigkeit mentan nicht statt, was aber wichtig wäre. Es lungsgespräch. Ich habe nicht den Eindruck, wirklich eintrifft. Diese bezieht sich ja nur gibt Studien, die simpel feststellen, dass der dass sich junge Menschen im Internet vor- auf einen engen Teilbereich des Internets, dort, Computer und damit das Internet mit ihren sichtig verhalten. Im Gegenteil: Sie stellen sich wo es einmal angefangen hat: Sie schreiben Möglichkeiten für Jugendliche zwischen 12 hier geradezu selbstentäußernd dar. Das heißt: mir eine E-Mail, ich schreibe Ihnen eine zu- und 19 Jahren das zentrale Unterhaltungs-, Datenschutz wird auch etwas damit zu tun rück. Oder Sie blättern und suchen bei Wiki- Informations- und Kommunikationsmedium haben, inwieweit ich Spuren, die ich in die- pedia. Dass das Internet aber mittlerweile ein sind. sem Medium hinterlasse, überhaupt wieder Bildschirm ist, über den man Fernsehen gu- In diesem Zusammenhang bekommen die beseitigen kann. Hier rollt eine erzieherische cken kann und sich alles Mögliche selbst zu- Begriffe Datenschutz und Regulierung natürlich und gesellschaftspolitische Debatte auf uns sammenstellen kann, der der kommunikati- eine ganz andere Bedeutung. Da gilt es, um zu, die nicht scheinheilig geführt werden darf. ve „Transmissions-riemen“ der zukünftigen viel mehr zu kämpfen als nur darum, dass es Gesellschaft sein wird, das ist ihnen noch gar auch beim digitalen Briefverkehr ein Briefge- ˜ Wie sieht es denn im Moment mit nicht bewusst, weil sie damit nicht tagtäglich heimnis geben muss, so wie es im analogen der Politik und dem Bewusstsein aus? in dieser Form umgehen. Briefverkehr der Fall ist. Der Aspekt, den Sie Es müsste ja eigentlich eine konzertierte Genau das ist die große Diskrepanz. Neh- gerade angeschnitten haben, gewinnt immer Aktion zwischen dem Wirtschafts-, Innen- men Sie nur das öffentlich-rechtliche Rund- mehr Bedeutung, je mehr das Medium über und Forschungsministerium geben? funksystem: Sieben Milliarden sind eine Menge die Funktion einer bilateralen Austauschplatt- Es gibt eine zunehmende Bereitschaft zu Geld für Qualität in Medien, die unsere form hinaus genutzt wird. Soll es dann etwa erkennen, dass neue Wirtschafts- und Kul- Demokratie braucht. Da nun aber das Durch- heißen, dass alles geht, was wir sonst bean- turbereiche existieren, die für die europäi- schnittsalter der ZDF-Konsumenten 59 Jah- standen? Heißt das, dass eine ganze Genera- sche Entwicklung wichtig sind und die mit re ist, muss ich sofort einhaken: Moment mal! tion alles sehen und hören kann und der Ju- anderen „Energien befeuert werden“ müs- Nichts dagegen, die sieben Milliarden Euro gendschutz auf den Kopf gestellt wird, nur sen – Stichwort: Stahlwerke oder Kreativwirt- nur für Menschen dieser Altersgruppe ein- weil es ein neues Medium ist? Und dass wir schaft? Es gibt auch die dämmernde Erkenntnis, zusetzen. Aber wo kommen wir hin mit un- uns verzweifelt im Jugendschutz des analo- dass der Schutz des geistigen Eigentums eine serem demokratischen Anspruch, wenn wir gen Fernsehens tummeln, während neue wichtige Rolle spielt, um überhaupt Ökono- eine bestimmte Zielgruppe, die ja Zukunft Welten entstehen, deren wir meinen habhaft mie in Gang zu setzen. Man nähert sich von gestalten soll, gar nicht mehr erreichen? Mit zu werden, indem wir einfach sagen: Das muss den jeweiligen Betrachtungsseiten schrittweise unserem herkömmlichen Medien- und Er- alles frei sein? Das ist naiv! Denn neben dem der Tatsache an, dass auch die Entwicklung ziehungsverständnis kommen wir nicht mehr illegalen Downloaden und Ausforschen von der Ökonomien nicht ohne die technologi- weiter – wir müssen uns ganz schnell darüber Nutzerdaten haben wir es ja dann sozusagen sche Explosion vonstatten gehen kann. Oder informieren, was wirklich Realität ist. Wir mit einem legalen „Inhalte-Tsunami“ an Ge- simpel gesagt: Wir leben in einer Zeit, in der müssen mitbekommen, was andere tun, wir walt, Pornografie und vielem mehr zu tun, die technische Entwicklung noch nie so schnell müssen schnell lernen und wir müssen bei der über die Gesellschaft hereinbricht. Das und so tiefgreifend verlaufen ist wie heute. der Bildung ansetzen. Man kann Sanktionen kann nicht das Demokratie- und Medienver- Ich glaube, man muss sich um die Erkennt- erlassen und man kann alles Mögliche in die ständnis unserer Gesellschaft sein. nis bemühen, dass bei diesem Prozess viel politische Debatte einbringen, aber es muss Wir müssen jetzt an eine zeitgemäße De- mehr ein Ganzes und nicht nur Teile umge- so sein, wie es damals bei der Popmusik auch batte dieses Mediums herantreten, die auch wälzt werden, dass die einzelnen Fäden von war: Die Realität der Schüler muss Bestand- etwas mit Regulierung, Verbraucherschutz und Politikern so verknüpft werden müssen, dass teil des Curriculums werden, ob man das gut Urheberrecht zu tun haben muss. Es kann man auch einen vernünftigen Knoten sieht findet oder nicht. Das ist einfach eine Frage nicht sein, dass Gewalt und Pornografie im und man merkt, was da eigentlich alles dran- der pädagogischen Professionalität. Fernsehen indiziert werden, weil es ein regu- hängt. Das ist allerdings eine immer noch un- liertes Medium ist, während entsprechende terentwickelte Debatte, die auch etwas da- ˜ Wer nimmt denn die politische Auf- Inhalte im Internet – vielleicht sogar noch mit zu tun hat, dass die Realität der jungen gabe wahr? über den gleichen Anbieter – nicht indiziert Menschen sich von der Realität der Politik Man muss versuchen, politische Verbün- werden. Wir müssen weg von der Technolo- total unterscheidet. Gerade die Leute, die in dete zu gewinnen, und immer wieder für eine gieverteufelung, hin zu einer Inhaltsdebatte: den entscheidenden Positionen sitzen, glau- realistische Sicht der Dinge werben. Auch Gewaltverherrlichende Inhalte gehören in kein ben immer noch, dass Fernsehen, Zeitung hier versuche ich, pädagogisch vorzugehen, Medium. Davon sind wir aber immer noch und Radio kommunikative Bedeutung ha- um die Bedeutung des Themas zu veranschau- weit entfernt. ben, egal ob es der Leitartikel oder der Kom- lichen. Eigentlich ist die Problematik offen- Die Tatsache, dass sich der ehemalige Aus- mentar ist. Sie merken gar nicht, dass diese sichtlich, für Dritte aber oft schwer nachvoll- tauschplatz Internet längst zum zentralen Un- Medien bereits nahezu komplett an einer jun- ziehbar, weil sie sich nicht täglich mit dem terhaltungs-, Inhalts- und Kommunikations- gen Generation vorbeisenden, die auf die- Thema auseinandersetzen.

 MUSIK ORUM 61 DOKUMENTATION

Foto: Matthias Heyde

60 Jahre RIAS Kammerchor

aktueller Musik, überhaupt mit der Auf der Grundlage, die Gronostay geschaf- Musik des 20. Jahrhunderts. Beides fen hatte, schärfte Marcus Creed, Chefdiri- Ein weiter Weg gehörte zum Kerngeschäft deutscher gent von 1986 bis 2001, das Profil des Chors. Rundfunk-Vokalensembles. Aber seit Ihm gelang mit einer der ersten Maßstab set- Was zunächst als Nachteil erscheint, kann sich den ersten Jahren existiert eine große, regel- zenden Gesamtaufführungen von Ernst Kre- zum Vorzug wenden. Im Rückblick erweist es mäßig anwachsende Zahl von Bach-Kanta- neks Lamentationes eine Pionierleistung; das sich als gut, dass sich der Rundfunk im ame- ten, die für den Rundfunk aufgenommen Exilwerk des gebürtigen Wieners galt bis dahin rikanischen Sektor Berlins (RIAS) vor 60 Jah- wurden. Herbert Froitzheim und Günther als unaufführbar. Creed formte den RIAS ren nicht zur Gründung eines großen Rund- Arndt, die beiden ersten verantwortlichen Kammerchor zu einem weltweit führenden funkchors entscheiden konnte, sondern nur Dirigenten des Chores, leiteten sie, auch Karl Ensemble in der historischen Aufführungs- eine „kleine Lösung“ wählte. Ristenpart. Sein interpretatorisch oft wegwei- praxis, mit dem auch Musiker wie Philippe Damit war der RIAS Kammerchor, seit sender Beitrag zum musikkulturellen Profil Herreweghe und René Jacobs die regelmäßi- Oktober 1948 eine feste Einrichtung, unter des Westberliner Senders wird leider häufig ge Zusammenarbeit suchten. Mit seinem Team seinesgleichen ein kompletter Außenseiter. übergangen. Ein regelmäßiger Beteiligter je- installierte er 1988 die Reihe der Abonne- Andere Radiosender, auch die im Osten ner ersten Aufzeichnungen war der junge mentskonzerte, die heute aus dem hauptstäd- Berlins, beschäftigten zum Teil eine sängeri- Dietrich Fischer-Dieskau. tischen Kulturfahrplan nicht mehr wegzuden- sche Hundertschaft, der RIAS Kammerchor Zwischen den Bach-Interpretationen der ken sind. Mit der Schärfung der Außenprofile musste sich mit einem Drittel dieser Team- frühen Jahre und denen eines Marcus Creed, (Alte und Neue Musik) verband Creed auch stärke begnügen. Damals mochte man das René Jacobs oder Philippe Herreweghe lie- eine neue Sicht auf die historische Mitte, auf vielfach als Mangel empfunden haben. Als gen Welten, sie lassen sich kaum vergleichen. das Repertoire der Romantik. Die Schubert- Ideal galten – bei Laien wie bei Profis – die Doch im Unterschied der Klangbilder offen- und Brahms-Aufnahmen, die er mit dem Chor großen Chöre, die auch durch ihre Klang- bart sich ein Wandel des Zeitgeistes. Die einspielte, bieten Musterbeispiele einer poe- macht beeindrucken konnten. Geschichte des RIAS Kammerchors ist auch tischen, luziden Romantik: große Chormu- Irgendwann, ungefähr nach einem Drit- eine Rezeptionsgeschichte alter Musik (von sik, kammermusikalisch durchleuchtet. tel des geschichtlichen Weges, den der RIAS der Renaissance bis zur Romantik), eine Mit Hans-Christoph Rademann gewann Kammerchor zurücklegte, wandelten sich die Geschichte des Verhältnisses von Chorkul- der RIAS Kammerchor einen künstlerischen Auffassungen. Die historische Aufführungs- tur und Moderne und eine Geschichte des Leiter, der das Idealprofil eines Chefdirigen- praxis, nicht der Idee, aber der ästhetischen Wandels von Medien und Öffentlichkeit. Der ten mitbringt. Mit historischer Aufführungs- Konsequenz nach neu, opponierte gegen die RIAS Kammerchor begann als Rundfunkchor praxis, mit neu entdeckten Werken aus der monumentale Überformung Alter Musik bei ohne Live-Auftritte in Eigenregie. Er ist heu- Dresdener Chortradition – lange vergesse- Bach und anderen Meistern der vorklassischen te ein Konzertchor mit internationaler Prä- nen Kostbarkeiten – ließ er als junger Diri- Epochen. Sie traf sich dabei mit Tendenzen in senz und mit einer eigenen Berliner Konzert- gent aufhorchen. Für seine Interpretationen der neuen Musik, die klaren Klang, transpa- reihe als Kern- und Brennpunkt der Arbeit. romantischer Chorliteratur wurde er mehr- rente Strukturen (gerade wegen ihrer Kom- Der Wandel ist das Ergebnis eines langen fach ausgezeichnet. Die überzeugende, be- plexität), sichere Intonation – und häufig eine Prozesses. Die entscheidenden Weichen stellte geisternde Darstellung aktueller Musik sieht Klangform wollten, die aus der Bedeutung Uwe Gronostay, der den RIAS Kammerchor er als wesentliche Herausforderung an seine und dem Engagement jeder und jedes Einzel- von 1972 bis 1986 leitete. Er kam mit dem Arbeit: ein Musiker, der auf allen wesentli- nen ihre (Überzeugungs-)Kraft gewinnt. Musik Ideal eines transparenten, homogenen Klangs, chen Gebieten Maßstäbesetzendes geleistet sollte nicht nur beeindrucken, sie sollte spre- mit einem ausgesprochen klaren Kammer- hat. Seine Programme bringen die künstleri- chen und zum Hineindenken verlocken. chorideal nach Berlin. Er verwirklichte es mit sche Vielseitigkeit und die Klangvielfalt des Für den Stilwandel, der sich nach und nach der Geduld und Zielstrebigkeit eines Musi- Chores zur Geltung. „Meine Grundidee von – keineswegs abrupt – vollzog, war der RIAS kers, der weiß, dass nachhaltige Veränderungen einem Chor ist, dass er Farben wie ein Or- Kammerchor besser vorbereitet als die meis- ihre Zeit brauchen. Mit eigenständigen Pro- chester hat und dass man mit einem A-cap- ten größeren Geschwister an anderen Rund- grammen und regelmäßigen Neujahrskon- pella-Chor auch orchestrale Farben entfalten funkanstalten. Gewiss, wie alle anderen hat- zerten legte er die Grundlage für die Reihe kann.“ Mit Hans-Christoph Rademann feiert ten auch die Westberliner Chorprofis am von Abonnementskonzerten, mit Gastspie- der RIAS Kammerchor im Oktober 60 Jahre chorsymphonischen Repertoire mitzuwirken, len in Frankreich, Skandinavien und in Polen dynamische Entwicklung – und den Ausblick meist war dazu Verstärkung nötig. Sie mach- schuf er die Basis für die umfangreichen in- auf eine ebensolche Zukunft. ten sich einen Namen mit Uraufführungen ternationalen Aktivitäten des Chors. Habakuk Traber

 62 MUSIK ORUM PRÄSENTIERT

In der Rubrik „Präsentiert“ stellt das MUSIKFORUM kurz und bündig Initiativen aller Sparten im deutschen und internationalen Musikleben vor: ˜ „forum thomanum“ – ein Leipziger Verein initiiert ein zukunftsweisendes Bildungsprojekt mit musischem Schwerpunkt und hat große Pläne.

dungsmöglichkeit derzeit noch nicht. Zu dem rund um das Alumnat des Thomanerchors und die Tho-

@ Weis & Volkmann Architektur masschule entstehenden Campus forum thomanum gehören neben der villa thomana, eine gerade re- novierte Gründerzeitvilla, und dem Gemeindehaus der Lutherkirche auch die Lutherkirche, die zugleich als Gottesdienststätte, Schulaula, Konzert-, Theater- und Aufnahme- raum genutzt und entsprechend ausgebaut werden soll. Schon jetzt bietet sie den stimmungsvollen Rahmen für Benefiz-Veranstaltun- gen, die auf die Arbeit des forum thomanum aufmerksam machen.

Stellen Sie Ihr Musikprojekt in dieser Rubrik vor! Mail an: [email protected]

So gab dort etwa der renommier- te Liedinterpret Christoph Genz, der als ehemaliger Thomaner die Ziele des Vereins unterstützt, im Mai einen herausragenden Lieder- abend mit Werken von Franz Schu- bert und Robert Schumann. Die Stadt Leipzig unterstützt die schen bzw. englischen Mitarbeiterinnen spie- Arbeit des forum thomanum und hat sich lerisch mit deren Muttersprache vertraut gerade in einem Grundsatzbeschluss nach- forum thomanum gemacht. drücklich zu dessen Zielen bekannt. Diese Leipzig Eine Grundschule mit Ganztagesangebot können aber gleichwohl nicht ohne erhebli- und musischem Schwerpunkt ist derzeit in der che Privatinitative und Spenden erreicht Planung. Die Gymnasialzeit verbringen de- werden. Die immer schon von einer enga- Im Jahr 2012 wird in Leipzig ein Jahrhundert- ren Absolventen dann gemeinsam mit den gierten Bürgerschaft getragene, reiche, kul- Jubiläum gefeiert: Seit 1212 bestehen Tho- Mitgliedern des Thomanerchors in der tradi- turelle, musische, geistige und geistliche Tra- maskirche, Thomanerchor und Thomasschu- tionsreichen Thomasschule. Als internatio- dition der Bachstadt Leipzig verbindet das le als eine Trias, die das geistige Leben der nales Begegnungszentrum soll darüber hinaus forum thomanum so auf glückliche Weise mit Stadt wesentlich geprägt hat. Dieser 800.Ge- eine Jugendmusikakademie entstehen, die einem zukunftsweisenden Erziehungs- und Bil- burtstag ist Anlass für den Verein forum tho- den Austausch zwischen musisch interessier- dungsangebot für Kinder und Jugendliche. manum Leipzig e. V., ein völlig neuartiges, auf ten Jugendlichen aus aller Welt ermöglicht. Sabine Näher die Vermittlung der kulturellen Werte bedach- Zum einen wird diese ineinander greifen- tes Bildungssystem ins Leben zu rufen. Vom de Ausbildung die frühzeitige Entdeckung und Kleinkindalter bis zur Abiturreife soll eine optimale Förderung des Nachwuchses für den optimale Allgemeinbildung mit sprachlich- Thomanerchor ermöglichen, was nicht zuletzt Kontakt: musischem Zusatzangebot verzahnt werden. aufgrund des immer früher einsetzenden forum thomanum Leipzig e.V. Im Juni nahm die neu gegründete Kinder- Stimmwechsels wichtig ist. Zum anderen kom- Thomaskirchhof 18, 04109 Leipzig tagesstätte als dessen erster Baustein ihren men alle die Kinder, die keine Chorlaufbahn Tel. 0341/22224260 Betrieb auf. 100 Kinder (18 Krippen-, 82 Kin- anstreben, ebenfalls in den Genuss einer be- Fax 0341/22224265 dergartenplätze) werden hier zusätzlich von sonderen sprachlich-musischen Ausbildung. [email protected] Musikpädagogen betreut und von italieni- Gerade für Mädchen gibt es solch eine Bil- Uwww.forum-thomanum.de

 MUSIK ORUM 63 REZENSIONEN TONTRÄGER sinfonik klaviermusik

Ludwig van Beethoven Nunes/Kelterborn Sinfonie 3 und 4 Sämtliche Sinfonien und Ouvertüren Emmanuel Nunes: Litanies du feu et de Kammerorchester Basel; Anima Eterna Orchestra la mer I (1969) und II (1971) Leitung: Giovanni Antonini Leitung: Joos van Immerseel Rudolf Kelterborn: Piano Pieces 1-6 SONY BMG 88697192522 Zig Zag Territories 080402.6 See Siang Wong (Piano) Guild GMCD 7318 Ja, es ist das Thema der musikali- hen scheint. zichten (aber das ist ja schon fast Stan- schen Zeit, genauer: des angemesse- Spannend jedoch ist der direkte dard) auf das Vibrato der Streicher, Komponieren kann vielerlei bedeu- nen Tempos, das immer wieder zum Vergleich der beiden jeweils in den auf einen angefetteten Klang, zuguns- ten: zeigen, dass man Bach-Bartók- Zentrum einer Auseinandersetzung vergangenen vier Jahren entstande- ten einer wesentlich klareren musi- Boulez drauf hat oder gar Cowell- mit Beethovens Sinfonik wird. Der nen Aufnahmen, die ganz deutlich kalischen Sprache, deren Emotiona- Cage-Sprache sprechen kann… oder Streit entzündet sich an den Metro- den Raum als „Musikinstrument“ ein- lität in jeder Phase bewegt. man hat, wie Emmanuel Nunes, wirk- nomangaben. Hatte sich Beethoven beziehen: Brugges Concertgebouw Beide Aufnahmen unterscheiden lich etwas zu sagen. Trotz einer Nähe geirrt? Ja, waren ihm vielleicht auch (Immerseel) bzw. Luzerns KKL und sich substanziell höchstens in der Auf- zu Boulez zeigt Nunes in seinen frü- Wiederholungen durchgerutscht, auf Basels Stadtcasino (Antonini). Oberstes machung, nicht aber in der musikali- hen Litanies in jeder Phrase, jeder Pause die man heute besser verzichten sollte, Ziel ist die Durchhörbarkeit. Man schen Exzellenz: Warum Sony ein wie jeder aufblitzender Girlande, dass um die Werke ein wenig zu straffen entdeckt in beiden Aufnahmen zahl- recht oberflächliches Booklet mit 16 seine Musik inspiriert ist und vor al- und für die Hörer akzeptabler zu reiche Mittelstimmen und Linien, die Fotos eines unterschiedlich posieren- lem in der Lage, den Hörer in einen machen? Glücklicherweise entwickelt zuvor kaum zur Geltung kamen, den Giovanni Antonini (von insgesamt großformatig angelegten Kosmos zu sich seit geraumer Zeit ein Konsens, höchstens mitgelesen werden konn- 20) beigesteuert hat, wird nicht recht ziehen, dessen Raum- und Zeitarchi- der aus der Diskussion der histori- ten, man erlebt Akzente, deren Präg- zu erklären sein. Da erfährt man bei tektur nicht gleich überblickt wird, sich schen Aufführungspraxis entstand. nanz Kraft und Nachdruck haben, Immerseel viel mehr über die beet- aber so spannungsvoll aufbaut, dass Harnoncourt und Gardiner hatten ohne das Grundmetrum auszuhebeln. hovensche Musik und ihre Interpre- hier niemand vorzeitig aussteigt. bereits mit ihren Gesamtaufnahmen Doch das Entscheidende ist: Das tationsprobleme. Doch am meisten Dabei ist es ein merkwürdiger vor einigen Jahren Position bezogen, Tempo stimmt, und zwar durchgän- erfährt man, wenn man sich die Sin- Zwiespalt zwischen struktureller Kühle jetzt kommt die nachfolgende Gene- gig! Bevor man sich noch in die De- fonien Beethovens in einer der bei- und emotionaler Intensität, zwischen ration mit Jos van Immerseel (Gesamt- tails der beiden Aufnahmen verliert, den Aufnahmen anhört, weil man jetzt präsent-präziser Zeichnung und über aufnahme) und Giovanni Antonini weiß man, warum Beethoven so ge- einen viel differenzierteren Kosmos den Horizont weisendem Bogen, der (3. und 4. Sinfonie). Beide haben große fährlich schnell misszuverstehen ist entdeckt, als man zuvor vermutet hat. diese Musik auszeichnet: Nunes be- Erfahrungen mit der historischen – nämlich wenn der Puls, wenn das Nicht zuletzt, weil die musikalische weist, dass man Raumtiefe kompo- Aufführungspraxis, beide bevorzugen Timing nicht stimmen. Und das ist Zeit in beiden Aufnahmen stimmt. nieren kann und dass Architektur auch den flexiblen Klang – und entschei- nicht allein abhängig vom Tempo, son- Hans Bäßler episch sein kann. den sich mit zwei hochkarätigen dern von Betonungen, von Dissonanz- See Siang Wong öffnet das musi- Ensembles für die originalen Tempo- hervorhebungen und ihrer Auflösung. kalische Tableau mit höchster An- angaben. Beiden gelingt, Beet-hoven Ganz entscheidend jedoch ist in schlagskultur und optimalem Span- teilweise ganz neu zu entdecken. beiden Aufnahmen die Frage der Ba- nungsaufbau, was auch den farben- Beispiel: 9. Sinfonie, Schlusssatz lance der Instrumentengruppen, und reichen und kaleidoskophaften Kla- – hier hebt Immerseel in unverkrampf- das heißt auch: Als Dirigent muss ich vierstücken von Rudolf Kelterborn ter Weise das beethovensche Pathos akzeptieren, wenn die Natur der Blech- zugute kommt, in denen sich ein wei- heraus und erreicht so etwas wie eine blasinstrumente wegen ihrer expo- tes Spektrum der musikalischen zweite Naivität, der Abstand zwischen nierten Lage auch ihren Tribut for- Möglichkeiten findet, die die Avant- 2008 und 1824 wird gerade hier dert und durchaus die Streicher garde sich im vergangenen halben deutlich. Die Konzeption der Über- überdecken kann, zumal wenn die Jahrhundert erkämpft hat. gänge, die Tempowahl stimmen. Dass Pauken hinzutreten. Insofern wird die Hans-Christian von Dadelsen diese Musik Grenzen bewusst über- musikalische Arbeit zu einem kom- schreitet, indem sie so etwas wie eine plexen (auch analytisch vorbereite- Musik für alle sein will, kommt ganz ten) Geschehen, das wiederum in deutlich heraus. Umso bedauerlicher Verbindung gebracht werden muss leider, wenn dann allerdings der hoch- mit der Frage nach der Natürlichkeit renommierte Thomas Bauer im ein- des Flusses. leitenden Rezitativ das Pathos schlicht Und dieses gelingt beiden Inter- überdreht. Und auch der 24-stimmi- pretationen brillant. Beide schärfen ge Chor hat ein wenig Mühe mit den eine neue Beethoven-Sicht, sie liegen zugegebenermaßen unangenehmen beide nicht nur, was die Tempofrage Höhen, wenn das Tempo fast zu ste- angeht, eng beieinander. Beide ver-

 64 MUSIK ORUM BÜCHER

Ludwig van Beethoven: Die Streichquartette Bühnenangst bei Musikern Werkeinführung mit Audio-/Video-DVD Differentielle integrative Behandlung von Bühnenangst (DIBB) Matthias Moosdorf (Hg.) Irmtraud Tarr Bärenreiter, 2007, 254 Seiten, ISBN 3761821085, 16,95 Euro Tectum Verlag, 2008, 290 Seiten, ISBN 978-3-8288-9612-3, 29,90 Euro

Die Streichquartette Ludwig van spielung des Leipziger Streichquar- Die Autorin macht es dem Leser ehemals bedrohliche Situationen mit Beethovens gelten neben seinen Kla- tetts mit. Dieses Verfahren eröffnet nicht leicht. Hätte dieses Buch mit neuen, positiven Emotionen und viersonaten und Symphonien als die- in der heutigen Zeit zweifellos eine Seite 185 begonnen, hätte es eine un- Körpergefühlen belegt. In der dritten jenige Gattung, an der sich seine Chance, ein breiteres Publikum an eingeschränkt positive Besprechung Stufe erfolgt die begleitende Neu- künstlerische Entwicklung vom Nach- musikalische Werke heranzuführen. verdient. Irmtraud Tarr schildert ihr orientierung, wobei hier insbesondere folger Wolfgang Amadeus Mozarts Allerdings wird in der vorliegenden drei Stufen umfassendes musik-, kör- Fähigkeiten der Bühnenpräsenz ent- und Joseph Haydns in Wien bis zum Publikation die Einspielung des Leip- per- und psychotherapeutisches Kon- wickelt werden. Mut zum Ausdruck, Wegbereiter der musikalischen Mo- ziger Streichquartetts so stark in den zept zur Behandlung von Bühnenangst Freude an der Rolle des Musikers, derne durch sein Spätwerk am deut- Vordergrund gerückt, dass sich klar und praxisnah. Zielgruppe sind Musik als emotionale Kommunikati- lichsten nachzeichnen lässt. Es ist daher insgesamt der Eindruck aufdrängt, es Musikstudenten und Angehörige von on sind hier die wesentlichen Lern- zu begrüßen, dass diese äußerst kom- handele sich bei dieser „Werkeinfüh- Musikerberufen, die wegen ausgepräg- ziele. plexen, Musikliebhabern wie profes- rung“ um einen verkappten Werbe- ter Bühnenangst bereits unter Ver- Ergänzt werden die Ausführun- sionellen Musikern noch heute häu- text für die Gesamteinspielung von meidungsverhalten oder anderen un- gen zum Therapiekonzept durch ein- fig rätselhaft erscheinenden Werke Beethovens Streichquartetten durch günstigen Anpassungen leiden. drucksvolle Fallschilderungen und eine durch ein schmales Bändchen in der das Leipziger Streichquartett. Dass der Die erste Behandlungsstufe dient ausführliche Dokumentation des Reihe „Bärenreiter Werkeinführun- Leser an keiner Stelle des Buchs er- der Stabilisierung und Vertrauensbil- Verlaufs einer „DIBB“. Die sensible gen” erschlossen werden. fährt, dass der Herausgeber Matthias dung. Bemerkenswert ist hier, dass Ausgestaltung der geschilderten The- Das Buch erscheint aus Anlass des Moosdorf der Violoncellist dieses En- die Patienten durch gemeinsames rapie zeigt die herausragende Kom- 20-jährigen Bestehens des Leipziger sembles ist, ist in diesem Zusammen- Bewegen, gemeinsames musikalisches petenz und Kreativität der Verfasse- Streichquartetts und wurde vom Vio- hang bedauerlich. Dabei läse jeder Improvisieren und durch stützende rin, macht aber auch deutlich, dass loncellisten des Ensembles, Matthias Leser dessen Überlegungen zu „As- körperliche Kontakte mit der Thera- „DIBB“ stark an ihre Person und ihre Moosdorf, herausgegeben. Im An- pekten der Interpretation und Auf- peutin innere Blockaden abbauen und spezifischen Qualifikationen gebun- schluss an einen eloquent verfassten führungspraxis“ mit anderen Augen, Vertrauen aufbauen. Hier trägt der den ist. Insofern ist der vorgelegte Band Essay über die Zeitkonzeption Beet- wüsste er, dass diese aus der Pers- musiktherapeutische und musikprak- auch kein Lehrbuch der „DIBB“, son- hovens („Beethoven – Musik der pektive des Interpreten geschrieben tische Hintergrund der Verfasserin dern die Dokumentation einer in den anderen Zeit“) von Peter Gülke und sind. wesentlich zum therapeutischen Händen von Irmtraud Tarr sicher sehr einer Betrachtung der Genese der Das Buch endet mit Peter Korf- Gelingen bei. Andere Techniken um- wertvollen Behandlungsform von Büh- späten Streichquartette („Vom Ein- machers Besprechung der 20 vorlie- fassen körperbetonte Entspannungs- nenangst bei Musikern. fall zur Drucklegung” von Emil Pla- genden Gesamteinspielungen von verfahren und Ausdauersportarten. Kommen wir zu den ersten 185 ten) nehmen Werkbesprechungen von Beethovens Streichquartetten. Und In dieser ersten Stufe geht es auch Seiten. Gedacht sind diese vier Kapi- Gerd Indorf den Hauptteil des Buchs obgleich der Rezensent die außeror- darum, dass ein neuer, angstbefrei- tel als theoretische Herleitung der ein. Die knappen Kommentare In- dentlichen künstlerischen Verdiens- ter Zugang zum Instrument durch „DIBB“. Hier ist die Autorin an ih- dorfs, der vor Kurzem mit einer selbst- te der Einspielung der Leipziger kei- kreative Klangübungen und durch rem Bedürfnis nach Vollständigkeit ständigen Monografie zu Beethovens neswegs bezweifelt, so stellt sich doch Improvisation hergestellt wird. Für gescheitert. Es resultiert ein unzurei- Quartettschaffen hervorgetreten ist, die Frage, ob es angemessen ist, in jeden Patienten trifft die Therapeu- chend strukturierter und nahezu un- sind informativ, skizzieren die Entste- dieser Übersicht der Leipziger Einspie- tin auf Grundlage ihrer präzisen bio- verständlicher Kurzabriss der Philo- hungsgeschichte der Werke und er- lung vier von insgesamt zehn Druck- grafischen Exploration und ihrer fei- sophie, Anthropologie, Emotionspsy- läutern die musikalische Struktur der seiten zu widmen. nen Analyse eine Auswahl aus der chologie, Psychotherapie und Musik- einzelnen Sätze. Während die analy- Felix Wörner großen Zahl der möglichen Metho- therapie der letzten 150 Jahre. Ein tischen Kommentare solide sind, er- den. Das „integrative“ Programm von solches Vorhaben muss in einer Art scheinen die inhaltlichen Wertungen „DIBB“ wird hier eingelöst: Man könn- von halb gegartem Name-Dropping dem Rezensenten gelegentlich zu te diese erste Stufe des Konzepts als enden. Das wäre nicht notwendig subjektiv. künstlerische, körperbetonte und gewesen. Der Leser, der die Partituren zur emotional-ganzheitliche Therapie Zusammenfassend: trotz der Ab- Hand hat, kann den Ausführungen bezeichnen. striche ein interessantes Konzept, dem Indorfs anhand der zahlreichen Takt- Die zweite Stufe gilt der direkten ich eine weite Verbreitung wünsche. verweise gut folgen; als eine Alterna- Arbeit am individuellen Angstphäno- Eckart Altenmüller tive für den partiturunkundigen Lieb- men. Hier werden traumatisierende haber der Quartette teilt der Autor Bühnenerfahrungen aufgearbeitet, die jeweiligen Zeitangaben der Ein- nacherlebt und umgedeutet und

 MUSIK ORUM 65 Kult – Kultus – Kultur… Kulturbeutel! MUSIKORUM Glück gehabt! Wird einem beim Lesen Aber es ging auch darum, die eigene DAS MAGAZIN DES DEUTSCHEN MUSIKRATS der ersten drei Begriffe noch ein bisschen Kreativität zur Schau zu stellen und Eigen- schwummrig, weil sie über die Maßen kompositionen zu präsentieren. Und da Die Herausgeber mythosbehaftet, monströs und gar nicht war er: der große Moment! Mit einem Mal Deutscher Musikrat Gemeinnützige Projektgesellschaft mbH, recht zu fassen sind, entspannt sich das lym- bekam der Begriff „Kultur schaffend“ eine Weberstr. 59, 53113 Bonn phatische System am Ende: Kulturbeutel! neue, konkrete Bedeutung. Da lagen plötz- ([email protected]) Das klingt beruhigend und konkret. Nach lich nicht Aftershave und Calvin Klein in in Zusammenarbeit mit Zahnbürste und Aftershave. der Luft, sondern eine geballte Ladung Schott Music GmbH & Co. KG, Postfach 3640, 55026 Mainz Dabei hängen die Dinge doch eng zu- Energie. Da brachen sich schöpferische ([email protected]) sammen: Ohne Zahnbürste keine Teilhabe Kraft und der Wille Bahn, sich durch ein Koordination: Rolf W. Stoll an Kultur, ohne Aftershave und Parfum Instrument verständlich zu machen – mit Verantwortlich i. S. d. Pressegesetzes: kein Schlussapplaus in der Oper. O ja, das Absichten, die die Welt verändern sollen. Christian Höppner große Musik-Theater… Glanz und Gloria, Da standen sie, die jungen Gärtner, die Die Redaktion Pomp und Popanz, Samt und sonders. Baumschüler, die Säer und Pflanzer, ihrer Chefredakteur: Christian Höppner, Aber: zu wenig Musik, zu viel Theater? kreativen Rolle noch gar nicht bewusst, Oranienburger Str. 67/68, 10117 Berlin Zu viel Kult, zu viel Tamtam? Gilt auf dem hemdsärmelig und heftig errötend vom ([email protected]) englischen Rasen der Zivilgesellschaft etwa Jäten und Propfen. Fon 030–308810-10, Fax 030–30 8810-11 schon das andächtig-respektvolle Betreten Und siehe da: Sie hatte endlich wieder Dr. Alenka Barber-Kersovan ([email protected]) Prof. Dr. Hans Bäßler ([email protected]) der Parklandschaft als kulturelle Großtat? stattgefunden… die Kultur, das unerkannte Andreas Bausdorf ([email protected]) Oder doch erst das Säen, Pflanzen und Wesen. In Freiburg, als die WESPE mächtig Werner Bohl ([email protected]) Pfropfen in der Baumschule des ingeniösen herumschwirrte. Susanne Fließ ([email protected]) Prof. Dr. Birgit Jank ([email protected]) Gartenbauers? Susanne Fließ Dr. Ulrike Liedtke ([email protected]) Dr. Peter Ortmann ([email protected]) Margot Wallscheid ([email protected]) Rolf W. Stoll ([email protected]) Redaktionsassistenz: Nicole Hollinger

Die Produktion und Schlussredaktion BWM: Bohl e-Publishing  ([email protected]) Auswärtige Musikpolitik Die Anzeigen Die erste Ausgabe des MUSIKFORUM im Leitung: Dieter Schwarz Service: Almuth Willing Jahr 2009 wird das Thema „Auswärtige Schott Music GmbH & Co. KG, Musikpolitik“ fokussieren. Wer beschäftigt Postfach 3640, 55026 Mainz sich in Deutschland mit Auswärtiger Kultur- Fon 061 31–24 6852, Fax 0 6131– 2468 44 politik und welche Rolle spielen dabei die ([email protected]) Zivilgesellschaften? Wie hat sich die Aus- Der Vertrieb wärtige Kulturpolitik in Deutschland ent- Leserservice: Säen, pflanzen… Musik schaffen. wickelt und welche Funktion kommt hier Nicolas Toporski, Daniela Bender Schott Music GmbH & Co. KG, Foto: Rotter/Pixelio der Musik zu? Diesen Fragen geht die Postfach 3640, 55026 Mainz Redaktion ebenso nach wie dem Aspekt Fon 061 31–24 6857, Fax 0 6131– 2464 83 Kultur wachsen hören einer Beeinflussung der Kulturpolitik durch ([email protected]) moderne Technologien und neue Medien. Die Erscheinungsweise Neulich bei WESPE – den Wochen Wir zeigen, wie Ensembles mit ihren Aus- vierteljährlich: Oktober, Januar, April, Juli Enden der SonderPreisE für ambitionierte tauschprojekten den interkulturellen Einzelheftpreis: m 7,40 junge Musiker –, da konnte man die Kultur Dialog in Gang setzen und geben eine plötzlich wachsen hören, ihr beim Entstehen Übersicht über musikalische Projekte, die Die in den namentlich gezeichneten Beiträgen ver- zuschauen. Einfach herrlich! Großartige im Ausland gefördert werden. tretenen Meinungen decken sich nicht notwendiger- Preisträger von „Jugend musiziert“ trafen weise mit der Auffassung des Herausgebers und der sich in Freiburg zu einem Wettbewerb der Redaktion. besonderen Art (siehe DMR aktuell in Das nächste MUSIKFORUM Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Unter- diesem Heft, S. 12). Die Aufgabe lautete, erscheint am 15. Januar 2009 lagen wird keine Haftung übernommen. wenig gespielte Musikwerke des 20. und Nachdruck oder fotomechanische Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Zustimmung des 21. Jahrhunderts ausfindig zu machen – Herausgebers. Werke, die aus gesellschaftlichen Gründen ISSN 0935–2562 und zu Unrecht in Vergessenheit geraten © 2008 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz sind, die in den üblichen Repertoires glatt- Printed in Germany weg fehlen.

 66 MUSIK ORUM