19. Wahlperiode Plenarprotokoll 19/91

HESSISCHER LANDTAG 13. 12. 2016

91. Sitzung

Wiesbaden, den 13. Dezember 2016

Amtliche Mitteilungen ...... 6373 Frage 667 ...... 6376 Entgegengenommen ...... 6373 Christoph Degen ...... 6376, 6376 Minister Boris Rhein ...... 6376, 6376 Präsident Norbert Kartmann ...... 6373

Frage 668 ...... 6376 8. Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Frak- tion der SPD für ein Gesetz zur Änderung Florian Rentsch ...... 6376 des Hessischen Gesetzes über den Brand- Minister Peter Beuth ...... 6376 schutz, die Allgemeine Hilfe und den Katas- trophenschutz – Drucks. 19/3428 – ...... 6373 Frage 669 ...... 6377 Zurückgezogen ...... 6373 Karin Hartmann ...... 6377, 6377 Minister Prof. Dr. R. Alexander Lorz ...... 6377, 6377

1. Fragestunde Frage 671 ...... 6377 – Drucks. 19/4131 – ...... 6373 Lisa Gnadl ...... 6377, 6378 Abgehalten ...... 6386 Minister Stefan Grüttner ...... 6377, 6378, 6378 Heike Hofmann ...... 6378 Frage 662 ...... 6373 René Rock ...... 6373 Frage 672 ...... 6378 Staatssekretärin Dr. Beatrix Tappeser ...... 6373, 6373, Michael Reul ...... 6378 6374 Minister Stefan Grüttner ...... 6378 Norbert Schmitt ...... 6373 ...... 6374 Frage 673 ...... 6378 Frage 664 ...... 6374 Michael Reul ...... 6378 Minister Stefan Grüttner ...... 6379 Martina Feldmayer ...... 6374 Staatssekretärin Dr. Beatrix Tappeser ...... 6374 Frage 674 ...... 6379 Frage 665 ...... 6374 Dr. Ralf-Norbert Bartelt ...... 6379 Minister Stefan Grüttner ...... 6379 Tobias Eckert ...... 6374, 6375 Minister Stefan Grüttner ...... 6374, 6375 Frage 675 ...... 6379 Frage 666 ...... 6375 Irmgard Klaff-Isselmann ...... 6379 Minister Stefan Grüttner ...... 6379, 6379, Timon Gremmels ...... 6375, 6375, 6380 6376 Florian Rentsch ...... 6379 Staatssekretärin Dr. Beatrix Tappeser ...... 6375, 6375, Dr. Daniela Sommer ...... 6379 6376

Ausgegeben am 24. Januar 2017 Hessischer Landtag, Postfach 3240, 65022 Wiesbaden 6370 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

Frage 677 ...... 6380 Die Fragen 695, 696 und die Antworten der Landesregierung sind als Anlage beigefügt. Die Lena Arnoldt ...... 6380 Fragen 689, 692 bis 694 und 697 bis 702 sollen Minister Stefan Grüttner ...... 6380 auf Wunsch der Fragestellerinnen und Frage- steller in der nächsten Fragestunde beantwortet Frage 678 ...... 6380 werden. Die Frage 690 wurde von der Frage- stellerin zurückgezogen. Die Frage 688 wird im Lena Arnoldt ...... 6380 Zusammenhang mit Tagesordnungspunkt 31 in Minister Stefan Grüttner ...... 6380 der 93. Plenarsitzung aufgerufen.

Frage 679 ...... 6380 2. Regierungserklärung des Hessischen Minis- ...... 6380 ters für Wissenschaft und Kunst betreffend Minister Stefan Grüttner ...... 6380, 6381, „70 Jahre Hessen – Kultur stiftet Identität, 6381 Verbundenheit und Vielfalt“ ...... 6386 Gerhard Merz ...... 6381 Florian Rentsch ...... 6381 Entgegengenommen und besprochen ...... 6405 Minister Boris Rhein ...... 6386 Frage 680 ...... 6381 Thorsten Schäfer-Gümbel ...... 6390 Martina Feldmayer ...... 6393 Torsten Warnecke ...... 6381, 6382, Janine Wissler ...... 6395 6382 Nicola Beer ...... 6399 Staatssekretärin Dr. Beatrix Tappeser ...... 6382, 6382, Karin Wolff ...... 6402 6382

4. Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Lan- Frage 681 ...... 6382 desregierung für ein Zweites Gesetz zur Än- Ismail Tipi ...... 6382 derung des Hessischen Ausführungsgesetzes Minister Stefan Grüttner ...... 6382, 6383, zum Schwangerschaftskonfliktgesetz 6383 – Drucks. 19/4135 zu Drucks. 19/3712 – ...... 6405 Dr. Daniela Sommer ...... 6383 Änderungsantrag der Fraktionen der CDU Torsten Warnecke ...... 6383 und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucks. 19/4273 – ...... 6405 Frage 682 ...... 6383 Änderungsantrag der Fraktion der SPD Timon Gremmels ...... 6383, 6384, – Drucks. 19/4279 – ...... 6405 6384 Nach zweiter Lesung dem Sozial- und Integrati- Minister Tarek Al-Wazir ...... 6383, 6384, onspolitischen Ausschuss zurücküberwiesen ...... 6411 6384 Daniel May ...... 6405 Claudia Ravensburg ...... 6405 Frage 683 ...... 6384 Lisa Gnadl ...... 6406 Ismail Tipi ...... 6384 René Rock ...... 6407 Minister Stefan Grüttner ...... 6384 Marjana Schott ...... 6408 Sigrid Erfurth ...... 6409 Minister Stefan Grüttner ...... 6410 Frage 684 ...... 6384 Marjana Schott ...... 6384, 6385 6. Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Lan- Minister Stefan Grüttner ...... 6384, 6385 desregierung für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes über Betreuungs- Frage 685 ...... 6385 und Pflegeleistungen – Drucks. 19/4137 zu Drucks. 19/3743 – ...... 6411 Sabine Waschke ...... 6385 Minister Peter Beuth ...... 6385 Änderungsantrag der Fraktion der SPD – Drucks. 19/4278 – ...... 6411 Frage 686 ...... 6385 Nach zweiter Lesung dem Sozial- und Integrati- onspolitischen Ausschuss zurücküberwiesen ...... 6417 René Rock ...... 6385, 6385 Minister Stefan Grüttner ...... 6385, 6385 Sabine Bächle-Scholz ...... 6411 Irmgard Klaff-Isselmann ...... 6412 René Rock ...... 6412 Frage 687 ...... 6386 Dr. Daniela Sommer ...... 6413 Hermann Schaus ...... 6386, 6386 Marcus Bocklet ...... 6414 Staatssekretärin Dr. Beatrix Tappeser ...... 6386, 6386 Marjana Schott ...... 6415 Minister Stefan Grüttner ...... 6416 Anlage ...... 6419 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6371

Im Präsidium: Präsident Norbert Kartmann Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken Vizepräsident Wolfgang Greilich Auf der Regierungsbank: Ministerpräsident Volker Bouffier Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Tarek Al-Wazir Minister und Chef der Staatskanzlei Axel Wintermeyer Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Bevollmächtigte des Landes Hessen beim Bund Lucia Puttrich Minister des Innern und für Sport Peter Beuth Minister der Finanzen Dr. Thomas Schäfer Ministerin der Justiz Eva Kühne-Hörmann Kultusminister Prof. Dr. R. Alexander Lorz Minister für Wissenschaft und Kunst Boris Rhein Minister für Soziales und Integration Stefan Grüttner Staatssekretär Michael Bußer Staatssekretär Mark Weinmeister Staatssekretär Mathias Samson Staatssekretärin Dr. Bernadette Weyland Staatssekretär Thomas Metz Staatssekretär Dr. Manuel Lösel Staatssekretär Staatssekretärin Dr. Beatrix Tappeser Staatssekretär Jo Dreiseitel Staatssekretär Dr. Wolfgang Dippel Abwesende Abgeordnete: Dieter Franz Markus Meysner Mürvet Öztürk Tobias Utter 6372 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6373

(Beginn: 14:02 Uhr) Hat sie mit Staatsministerin Puttrich bezüglich eines Ver- zichts auf die Einrede der Verjährung bezüglich etwaiger Präsident Norbert Kartmann: Schadenersatzansprüche des Landes Hessen infolge der rechtswidrigen Stilllegung des Kernkraftwerks Biblis ge- Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kol- gen sie gesprochen? legen! Ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserer letzten Sit- zungswoche in diesem Jahr. Ich heiße Sie herzlich will- kommen und wünsche uns drei gute Sitzungstage. Präsident Norbert Kartmann: Ich stelle zunächst die Beschlussfähigkeit des Hauses fest. Frau Staatssekretärin Tappeser, bitte schön. – Dem widerspricht keiner. Dann ist das so. (Unruhe) Dr. Beatrix Tappeser, Staatssekretärin im Ministerium Die Tagesordnung vom 6. Dezember 2016 sowie ein Nach- für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver- trag vom heutigen Tag mit insgesamt 37 Punkten liegen Ih- braucherschutz: nen vor. Sehr geehrter Herr Abg. Rock, nein. Die Frage wurde sei- Sie entnehmen der Tagesordnung in den Punkten 31 bis 35 tens der Landesregierung bereits in der Debatte vom 12. die fünf Anträge betreffend eine Aktuelle Stunde, die nach Oktober 2016 beantwortet. § 32 Abs. 6 unserer Geschäftsordnung mit je fünf Minuten Die rechtswidrige Stilllegung des Kernkraftwerks Biblis je Fraktion am Donnerstag ab 9 Uhr abgehalten werden. im März 2011 hat die Bundesrepublik Deutschland zu ver- Der unter Tagesordnungspunkt 8 stehende Gesetzentwurf antworten. Wie der Finanzminister in der Debatte ausführ- der SPD, Drucks. 19/3428, wurde zurückgezogen. te, wäre der Anfechtungsprozess der RWE Power AG ge- gen das Land Hessen vor dem Hessischen Verwaltungsge- Interfraktionell wurde vereinbart, dass es zu den Ge- richtshof aufgrund der materiellen Rechtswidrigkeit der setzentwürfen unter den Tagesordnungspunkten 5 und 7 vom Bund vorgegebenen Stilllegungsverfügung auch bei keine dritte Lesung geben wird. Die Umkehrung ist auch Durchführung einer Anhörung verloren gegangen. Auf den klar: Somit ist auch die Einladung des Wirtschaftsaus- abschließenden Bericht des Untersuchungsausschusses schusses zu seiner Sitzung heute Abend obsolet. 19/1 des Hessischen Landtags wird nochmals Bezug ge- Kann die Tagesordnung so genehmigt werden? – Kein Wi- nommen. Die insoweit erforderlichen Schritte wurden im derspruch, dann ist es so. Zusammenhang mit dem derzeit anhängigen Rechtsstreit, welchen die RWE Power AG gegen das Land Hessen Wir tagen heute bis 19 Uhr und beginnen, wie immer, mit führt, veranlasst. der Fragestunde, Drucks. 19/4131. Danach kommt Tages- ordnungspunkt 2. Präsident Norbert Kartmann: Frau Staatsministerin Priska Hinz ist ganztägig entschul- digt, Herr Abg. Dieter Franz ebenso. – Frau Hinz ist krank, Herr Kollege Schmitt, Zusatzfrage. wird mir eben mitgeteilt. Dann wünschen wir gute Besse- rung. Norbert Schmitt (SPD): (Günter Rudolph (SPD): Wer ist krank?) Wenn der Bund daran schuld war, wie Sie ausführen, hat – Frau Ministerin Hinz ist krank, nicht nur einfach so weg. denn das Land Hessen gegenüber dem Bund die angefalle- – Herr Dieter Franz fehlt ganztägig, er ist auch erkrankt. nen Anwalts- und Prozesskosten in Höhe von 3 Millio- Herr Utter ist erkrankt, er fehlt heute. Frau Öztürk ist auch nen € angefordert? am heutigen Tag nicht da. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie auf die Ausstel- lung „Europa, die Faszination einer Idee“ – Versuch einer Präsident Norbert Kartmann: künstlerischen Annäherung – hinweisen. Es ist eine Arbeit Frau Staatssekretärin Tappeser. aus der AG „Europa & Kunst“ der Gesamtschule Geistal in Bad Hersfeld und während der Plenartage in dieser Woche in der Ausstellungshalle zu sehen. Ich empfehle sie Ihrer Dr. Beatrix Tappeser, Staatssekretärin im Ministerium Betrachtung. für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver- braucherschutz: Heute Abend, im Anschluss an die Plenarsitzung, kommt der Kulturpolitische Ausschuss in Sitzungsraum 510 W zu- Herr Abg. Schmitt, das Land Hessen hat mit dem Bund sammen; und der Sozial- und Integrationspolitische Aus- einen Verjährungsverzicht ausgemacht. Insofern ist das ei- schuss trifft sich in Sitzungsraum 501 A. – Das waren die ne Frage der späteren Auseinandersetzung. amtlichen Mitteilungen. Dann darf ich Tagesordnungspunkt 1 aufrufen: Präsident Norbert Kartmann: Fragestunde – Drucks. 19/4131 – Herr Kollege Gremmels, Zusatzfrage, und dann sind die Zusatzfragen zu Ende. Wir beginnen mit der Frage 662. Herr Abg. Rock. (Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP)) – Entschuldigung, das habe ich nicht mitbekommen. René Rock (FDP): Ich frage die Landesregierung: 6374 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

(Timon Gremmels (SPD): Ich lasse die Kollegin Dr. Beatrix Tappeser, Staatssekretärin im Ministerium vor!) für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver- braucherschutz: Frau Kollegin Beer, bitte schön. Mit der Becherbonus-Initiative sensibilisieren wir seit (René Rock (FDP): Danke, Herr Gremmels!) Frühjahr dieses Jahres erfolgreich für die Problematik des Mülls durch Coffee-to-go-Becher. Zum Stichtag 9. Dezem- Nicola Beer (FDP): ber 2016 nehmen 34 Unternehmen mit mehr als 2.667 Fi- lialen bundesweit an der Initiative teil. Darunter sind große Wie hat denn die Landesregierung Vorsorge für den Fall bundesweite Ketten wie McDonald’s oder die Nordsee, getroffen, dass sie sich mit ihrer Rechtsauffassung, der biologische Bäckereiketten wie Kaiser aus Wiesbaden, Sie- Bund habe dies zu verschulden und hafte damit, nicht benkorn aus Mittelhessen und die Bäckereikette Pappert durchsetzt im Hinblick darauf, dass sie Schaden vom Land aus Osthessen. Eine Übersicht aller Unternehmen, die teil- abwendet, der dadurch entstünde, dass sie eventuelle Scha- nehmen, ist auf unserer Internetseite einsehbar. denersatzforderungen gegenüber Ministerin Puttrich nicht mehr wahrnehmen kann? Ziel ist es, die Initiative weiter zu vergrößern; denn Han- deln ist wirklich dringend geboten. Nach Schätzungen wer- (Norbert Schmitt (SPD): Sehr gute Frage! – Minister den bundesweit derzeit insgesamt ca. 2,8 Milliarden Ein- Tarek Al-Wazir: War die Fragestellerin damals Teil wegbecher pro Jahr verbraucht. Das sind 320.000 Becher der Landesregierung?) pro Stunde. Durch diese Einwegbecher entstehen in Deutschland in je- Präsident Norbert Kartmann: dem Jahr ca. 40.000 t Müll. Für die Reduzierung dieses Mülls setzen wir uns auch auf Bundesebene ein. Auf den Frau Staatssekretärin, bitte. Antrag von Hessen und Bayern haben auf der Umweltmi- nisterkonferenz die Umweltminister aller Länder entschie- Dr. Beatrix Tappeser, Staatssekretärin im Ministerium den, dass die hohe Zahl der Coffee-to-go-Becher verringert für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver- wird, und fordern den Bund auf, geeignete Maßnahmen zu braucherschutz: prüfen. Mit dem Becherbonus sind wir in Hessen jetzt schon Vorreiter. Wie gesagt, deswegen wurde der Verjährungsverzicht mit dem Bund vereinbart. Außerdem gehen wir davon aus, dass unsere Rechtsauffassung richtig ist. Präsident Norbert Kartmann: (Lachen bei der SPD und der FDP – Beifall bei Ab- Frage 665, Herr Abg. Eckert. geordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Tobias Eckert (SPD): Ich frage die Landesregierung: Präsident Norbert Kartmann: Wie unterstützt sie die Notfallseelsorgeeinrichtungen in Keine weiteren Zusatzfragen; denn nur noch der Fragestel- Hessen? ler dürfte eine stellen. Ich rufe die Frage 664 auf. Frau Abg. Feldmayer. Präsident Norbert Kartmann: Herr Staatsminister Grüttner. Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich frage die Landesregierung: Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: Wie bewertet sie die Becherbonus-Kampagne von Umwelt- ministerin Priska Hinz? Herr Abg. Eckert, die Notfallseelsorge ist die psychosozia- le und seelsorgerische Krisenintervention in der Gesell- (Zurufe von der SPD: Positiv! – Super! – Klasse!) schaft im Auftrag der Kirchen. Sie ist darauf ausgerichtet, Opfer, Angehörige, Beteiligte und Notfallhelfer in der aku- ten Krisensituation zu beraten und zu unterstützen. Das ist Präsident Norbert Kartmann: ein verhältnismäßig neues Gebiet kirchlicher Seelsorge. Frau Staatssekretärin. Man kann diese Notfallseelsorge mit der Arbeit von Hilfs- organisationen vergleichen, die auch in der psychosozialen (Norbert Schmitt (SPD): Die Betroffene antwortet Notfallversorgung tätig sind. selbst, das ist gut! – Weitere Zurufe von der SPD) Allerdings bleibt hier durchaus noch der kirchliche Auftrag – Augenblick, Frau Kollegin. – Wir sind in der Fragestun- der Notfallseelsorge zu beachten. Dabei müssen drei Per- de, es ist noch keine Debatte. Ich wollte es nur gesagt ha- sonengruppen unterschieden werden: die Primärgeschädig- ben. Lieber Herr Kollege Merz, Sie wissen, wie Fragestun- ten – das sind die Unfallopfer –, die Sekundärgeschädigten den laufen. Sie sind nicht erst seit gestern im Parlament. – das sind entweder unverletzte Beteiligte, Unfallzeugen Das Wort hat die Frau Staatssekretärin. – Bitte, Sie sind oder Angehörige – und natürlich auch Helfende. Das heißt, dran. es bedarf auch eines seelsorgerischen Beistands für Ange- hörige der Rettungsorganisationen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6375

Es gibt bisher keine institutionalisierte finanzielle Unter- Timon Gremmels (SPD): stützung durch die Hessische Landesregierung. Sie ist bis- Die Frage ist, was ich jetzt gewonnen habe. her auch nicht gefordert worden. Aber wir sprechen dar- über, auch praktische Erleichterungen vorzunehmen, etwa Ich frage die Landesregierung: beim Erreichen des Unfallorts: ob man beispielsweise, wenn ein Stau ist, die Rettungsgasse nutzen kann und die Wie stellt sie sicher, dass die Regierungspräsidien alle der- Möglichkeit hat, mit einem Sondersignal in Form von einer zeit vorliegenden Anträge für Windkraftanlagen nach Bun- Warnblinkanlage zu fahren, sodass es nicht zu einer Ver- des-Immissionsschutzgesetz noch in diesem Jahr abschlie- kehrsordnungswidrigkeit kommt. Wir sind im Gespräch, ßend bearbeiten können? um an dieser Stelle Erleichterungen zu schaffen. Das ist jedoch – auch weil es zum Teil bundesgesetzliche Präsident Norbert Kartmann: Rahmenvorgaben gibt – nicht sehr einfach umzusetzen. Al- Frau Staatssekretärin Tappeser. lerdings ist durch die landesweite Etablierung der Notfall- seelsorge, die durch die Kirchen getragen wird, in der Tat ein Weg beschritten worden, den drei Geschädigtengrup- Dr. Beatrix Tappeser, Staatssekretärin im Ministerium pen – um es einmal im weitesten Sinne zu sagen – Hil- für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver- festellungen zu leisten. Das ist ausgesprochen wichtig. braucherschutz: Wir können an dieser Stelle versuchen, ausschließlich in Sehr geehrter Herr Abg. Gremmels, eine Genehmigung al- der praktischen Umsetzung – wenn ich das so sagen kann – ler vorliegenden Anträge für Windenergieanlagen noch in Hilfestellungen zu leisten, allerdings nur unter Beachtung diesem Jahr ist nicht möglich. Viele der Anträge wurden der bundesgesetzlichen Vorgaben. erst im Laufe des Jahres gestellt und sind noch nicht voll- ständig. Zu einer Reihe weiterer Anträge liegen neue bzw. zusätzliche Erkenntnisse vor, die im Hinblick auf die Ge- Präsident Norbert Kartmann: nehmigungsfähigkeit der Vorhaben erst noch geprüft wer- Zusatzfrage, Herr Kollege Eckert. den müssen. Ob eine abschließende Prüfung der Unterlagen noch in die- Tobias Eckert (SPD): sem Jahr erfolgen kann, ist jeweils vom Einzelfall abhän- gig. Alle entscheidungsreifen Anträge sollen noch in die- Herr Minister, Sie haben insbesondere die Kirchen ange- sem Jahr zum Abschluss gebracht werden. sprochen. Es gibt Notfallseelsorgeorganisationen, z. B. im Landkreis Limburg-Weilburg, die unabhängig von Kir- chengemeinschaften, anderen Rettungsorganisationen und Präsident Norbert Kartmann: Ähnlichem agieren. Dabei stellt sich die Frage: Ist es aus Zusatzfrage, Herr Abg. Gremmels. Ihrer Sicht eine Möglichkeit, bei solchen Organisationen eine Unterstützungsleistung seitens des Landes zu organi- sieren, die nicht in diesen anderen Bereichen verankert ist? Timon Gremmels (SPD): Wie hoch ist der Anteil der Anträge, die noch dieses Jahr Präsident Norbert Kartmann: verabschiedet werden sollen, und wie hoch ist der Anteil derer, die erst im nächsten Jahr verabschiedet werden sol- Herr Staatsminister Grüttner. len? (René Rock (FDP): Viel zu viele!) Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration:

Herr Abgeordneter, Ihnen ist hinlänglich bekannt, dass ich Präsident Norbert Kartmann: mit dieser Organisation selbst im Gespräch gewesen bin. Im Anschluss an diese Gespräche ist die Einladung in das Frau Staatssekretärin. Ministerium für Soziales und Integration erfolgt, um zu überlegen, wie auch im Rahmen der Rettungsdienstplanun- gen eine entsprechende Berücksichtigung erfolgen kann. Dr. Beatrix Tappeser, Staatssekretärin im Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver- Aus diesen Gesprächen heraus ist die Frage entstanden, braucherschutz: wie man – nicht nur die normalen Rettungsdienste – die schnellere Erreichbarkeit einer Unfallstelle sicherstellen In diesem Jahr werden bei dem Regierungspräsidium Kas- kann. Mithilfe von Signallichtern ist man schneller an der sel wahrscheinlich noch 16 Anträge entscheidungsreif. Bei Unfallstelle. Das ist bei uns in der Tat als wichtiges Anlie- dem Regierungspräsidium Gießen sind es 15 Anträge, und gen anerkannt. Wir brauchen aber noch die Zustimmung bei dem Regierungspräsidium Darmstadt sind es 16 Anträ- von verschiedenen anderen Bereichen, um es umsetzen zu ge. Die Anzahl der Anträge, die zusätzlich vorliegen, habe können. Die Wichtigkeit ist hinlänglich bekannt. An der ich leider im Moment nicht im Kopf. Aber wenn Sie möch- Umsetzung arbeiten wir. ten, kann ich diese nachreichen.

Präsident Norbert Kartmann: Präsident Norbert Kartmann: Ich rufe die Frage 666 auf. Herr Kollege Gremmels. Zusatzfrage, Herr Kollege Gremmels. (Zuruf) 6376 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

Timon Gremmels (SPD): derprogramms und der Projekte. Ich glaube, es ist klug, diese abzuwarten und später daraus Schlüsse zu ziehen. Zunächst: Danke, dass Sie das nachliefern wollen. Ich wollte fragen, inwiefern Sie im Regierungspräsidium zu- sätzliches Personal abgestellt haben, um diese Antragsflut Präsident Norbert Kartmann: – diese zusätzliche Belastung – zeitnah bearbeiten zu kön- nen. Zusatzfrage, Herr Kollege Degen.

Präsident Norbert Kartmann: Christoph Degen (SPD): Frau Staatssekretärin. Herr Staatsminister, wann ist mit der Vorlage der Evaluie- rung zu rechnen?

Dr. Beatrix Tappeser, Staatssekretärin im Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver- Präsident Norbert Kartmann: braucherschutz: Herr Wissenschaftsminister. Die Regierungspräsidien haben in eigener Organisation Kräfte gebündelt, um die entsprechenden Anträge abzuar- beiten. Boris Rhein, Minister für Wissenschaft und Kunst: Es ergibt nur Sinn, diese Evaluierung vor dem Ende des Programms abgeschlossen zu haben. Das Ende des Pro- Präsident Norbert Kartmann: gramms ist im Jahr 2020. Heute stimmt vieles nicht mit diesem Mikrofon. Am bes- Insoweit werden wir dann, wie gesagt, zu beurteilen haben, ten, wir entsorgen es gleich. wie die Ergebnisse zu bewerten sind. Aber ich gehe davon (Günter Rudolph (SPD): Das ist eine gute Idee!) aus, dass vor 2020 nicht nur ein Abschluss da ist, sondern wir auch eine Entscheidung getroffen haben werden. – Manchmal gehen dabei auch Abgeordnete mit über die Wupper. – Herr Gremmels wollte wissen, was er bei der Ziffer 666 gewonnen hat. Ich trinke einen Kaffee mit Ih- Präsident Norbert Kartmann: nen. Danke schön. – Frage 668, Herr Abg. Rentsch. (Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

– Machen wir, okay. Florian Rentsch (FDP): Frage 667, Herr Abg. Degen. Ich frage die Landesregierung: Aus welchen Gründen findet im Rahmen der Extremis- Christoph Degen (SPD): musprävention des Landes bislang keine Zusammenarbeit Ich frage die Landesregierung: des Innenministeriums mit den Einrichtungen EXIT- Deutschland und HAYAT-Deutschland statt? Wie gedenkt sie nach dem Auslaufen des Bund-Länder- Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: offene Hoch- schulen“ die Weiterförderung der wissenschaftlichen Wei- Präsident Norbert Kartmann: terbildung durch die Landesregierung zu gestalten? Herr Innenminister Beuth.

Präsident Norbert Kartmann: Peter Beuth, Minister des Innern und für Sport: Herr Staatsminister Rhein. Herr Abgeordneter, EXIT-Deutschland und HAYAT- Deutschland befinden sich in der Trägerschaft der ZDK Boris Rhein, Minister für Wissenschaft und Kunst: Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH. Eine Zusam- menarbeit mit diesen beiden Einrichtungen findet im Rah- Sehr geehrter Herr Abg. Degen, das Ziel des Bund-Länder- men der Extremismusprävention des Landes nicht statt, da Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: offene Hoch- die Aufgaben in Hessen durch andere Akteure abgedeckt schulen“ war und ist die Entwicklung, die Erprobung und werden. auch die Begleitung der nachhaltigen Implementierung hochschulischer Konzepte für berufsbegleitendes Studieren Im Einzelnen möchte ich dies wie folgt ausführen: EXIT- und lebenslanges wissenschaftliches Lernen, besonders für Deutschland ist eine Initiative, die Menschen hilft, die mit Berufstätige, für Personen mit Familienpflichten und für Rechtsextremismus brechen und sich ein neues Leben auf- Berufsrückkehrer und -rückkehrerinnen. Außerdem sollen bauen wollen. In Hessen wird die Beratung und Unterstüt- eine engere Verzahnung von beruflicher und akademischer zung beim Ausstieg aus der rechten Szene seit 2003 durch Bildung erreicht und neues Wissen schnell in die Praxis in- das Informations- und Kompetenzzentrum Ausstiegshilfen tegriert werden. Rechtsextremismus, kurz IKARus, mit Erfolg wahrgenom- men. Dieses ist beim Hessischen Landeskriminalamt ange- Die einzelnen Aktivitäten der geförderten Projektkonzepte bunden und landesweit tätig. werden wissenschaftlich begleitet. Darüber hinaus gibt es eine Evaluierung zur Bewertung der Wirksamkeit des För- IKARus ist mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren in Hessen gut vernetzt, beispielsweise mit dem Beratungs- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6377 netzwerk Hessen oder dem Programm „Rote Linie – Hilfen Darüber hinaus stehen den beruflichen Schulen über den zum Ausstieg vor dem Einstieg“, welches landesweit im Sozialindex weitere Ressourcen zur Verfügung, die eben- Bereich der primären und sekundären Prävention von falls für sprachfördernde Maßnahmen eingesetzt werden Rechtsextremismus tätig ist. Eine Förderung erfolgt aus können. Weiterhin bietet das Programm „Wirtschaft inte- Landesmitteln. griert“ des hessischen Wirtschaftsministeriums aktuell für alle Jugendlichen und Erwachsenen mit Sprachförderbe- HAYAT-Deutschland ist eine Beratungsstelle für Personen darf, die jünger als 27 Jahre sind, Unterstützung in der dua- und Angehörige von Personen, die sich salafistisch radika- len Ausbildung, insbesondere im Hinblick auf die Förde- lisieren oder sich dem militanten Dschihadismus anschlie- rung bzw. Verbesserung der Deutschkenntnisse. ßen und gegebenenfalls in Konfliktregionen ausreisen. HAYAT ist auch eine Anlaufstelle für Personen, die mit Somit besteht zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits ein dem militanten Dschihadismus brechen und gewalttätige breites Angebot unterschiedlicher Unterstützungsmaßnah- Gruppen verlassen wollen. men zum Ausgleich sprachlicher Defizite. In Hessen wird die Beratung von Radikalisierten und Ge- fährdeten sowie ihren Angehörigen seit 2014 durch die Präsident Norbert Kartmann: „Beratungsstelle Hessen – Religiöse Toleranz statt Extre- mismus“ – Träger ist der Verein Violence Prevention Net- Zusatzfrage, Frau Kollegin Hartmann. work – landesweit abgedeckt. Die Beratungsstelle unter- stützt auch beim Ausstieg aus dem militanten Salafismus bzw. Islamismus. Eine Förderung erfolgt ebenfalls aus Karin Hartmann (SPD): Landesmitteln. Wie werden die unterschiedlichen Möglichkeiten von aus- Die bundesweite Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ bildungsbegleitenden Hilfen an den Berufsschulen kom- kürte die Beratungsstelle im Juni 2016 als eines der 100 muniziert, und wie erklärt es sich, dass es Berufsschulen besten Projekte des Jahres 2016 zum „Ausgezeichneten gibt, die Drittmittel von der evangelischen Kirche in An- Ort“. spruch nehmen mussten, um solche Kurse zu finanzieren?

Präsident Norbert Kartmann: Präsident Norbert Kartmann: Ich rufe Frage 669 auf. Frau Abg. Hartmann. Herr Kultusminister.

Karin Hartmann (SPD): Prof. Dr. R. Alexander Lorz, Kultusminister: Ich frage die Landesregierung: Frau Abg. Hartmann, die Berufsschulen kennen diese an- deren Programme, weil sie mit der Bundesagentur für Ar- Welche Möglichkeiten bestehen für Auszubildende, die das beit eng zusammenarbeiten. Das Programm „Wirtschaft in- 21. Lebensjahr vollendet haben und nicht über ausreichen- tegriert“ ist auch entsprechend breitflächig kommuniziert de Sprachkenntnisse verfügen, ausbildungsbegleitenden worden. Sprachunterricht zu erhalten, um nicht an der Sprachbar- riere im Berufsschulunterricht zu scheitern? Ich habe damit jetzt natürlich nur die Hilfen von staatlicher Seite aufgezählt. Wenn darüber hinaus nicht staatliche In- stitutionen wie etwa die Kirchen sich dort engagieren, halte Präsident Norbert Kartmann: ich es grundsätzlich für eine gute Idee, wenn die Berufs- schulen sich dieser Hilfestellungen zusätzlich bedienen. Herr Kultusminister Prof. Dr. Lorz.

Präsident Norbert Kartmann: Prof. Dr. R. Alexander Lorz, Kultusminister: Ich rufe Frage 671 auf. Frau Abg. Gnadl. Frau Abg. Hartmann, da gibt es zunächst Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit. Die Bundesagentur für Arbeit bietet mit den sogenannten ausbildungsbegleitenden Hilfen Lisa Gnadl (SPD): seit vielen Jahren ein bewährtes Instrumentarium an, um Auszubildende trotz unterschiedlichster fachlicher, persön- Ich frage die Landesregierung: licher und eben auch sprachlicher Probleme zum Ausbil- Ist die Verwaltungsvorschrift zum Hessischen Gleichbe- dungserfolg zu führen. Maßnahmen finden in kleinen rechtigungsgesetz, die die Erstattung der Kinderbetreu- Lerngruppen statt und werden individuell abgestimmt. ungskosten bei Fortbildungsveranstaltungen regelt, mitt- Hierzu gehören auch unterstützende Maßnahmen im lerweile an die aktuelle gesetzliche Regelung angepasst? sprachlichen Bereich.

Die hessischen Berufsschulen selbst sind erfahren in der Präsident Norbert Kartmann: Beschulung heterogener Lerngruppen und der Konzeption, Organisation und Durchführung von Förder- und Kompen- Herr Staatsminister Grüttner. sationsangeboten. Mit einer Lehrerzuweisung von 14,3 Stunden für den nominal nur 12-stündigen Berufsschulun- terricht und der 104- bzw. 105-prozentigen Lehrerzuwei- Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: sung sind auch hier die notwendigen Ressourcen vorhan- Frau Abgeordnete, ja. den, damit zusätzliche Stütz- und Fördermaßnahmen im sprachlichen Bereich angeboten werden können. 6378 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

Präsident Norbert Kartmann: Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: Zusatzfrage, Frau Gnadl. Herr Abgeordneter, die Landesregierung hat den Neubau und die Ausstattung der Wohneinrichtung für erwachsene Menschen mit Behinderungen des Trägers Lebenshilfe Lisa Gnadl (SPD): Wetterau in Gedern mit einer Fördersumme in Höhe von Wie und in welcher Form ist sie angepasst worden? Kön- 635.500 € bei Gesamtkosten in Höhe von ca. 3,27 Millio- nen Sie etwas über die Höhe des Stundensatzes sagen? nen € investiv gefördert. Gefördert wurden die Wohneinrichtung, die angegliederten Räumlichkeiten zur Gestaltung des Tages und die Ausstat- Präsident Norbert Kartmann: tung. Die Grundsteinlegung für das Projekt fand am 9. No- Herr Sozialminister. vember 2015 statt. Der Einzug ist für das zweite Quartal 2017 geplant. Mit der Wohneinrichtung wird in Hessen ein spezielles Wohnkonzept für Menschen mit hohem Unter- Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: stützungsbedarf, insbesondere für Menschen mit Sehbehin- Die Anpassung erfolgte 15 oder 16 Tage vor Einreichung derung oder Blindheit oder einer Mehrfachbehinderung Ihrer Frage. Die Neuregelung gemäß § 12 Abs. 4 Hessi- umgesetzt. Für diesen Personenkreis sind ca. 50 % der ge- sches Gleichberechtigungsgesetz ist durch das Hessische planten Plätze vorgesehen. Ministerium des Innern und für Sport vollzogen worden. Die Wohneinrichtung ist in zentraler Lage in Gedern, d. h. Die Höhe der neuen Erstattungssätze wurde gemäß dem mitten im Leben, geplant. Damit wird auch die gesell- Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns neu schaftliche Teilhabe von Menschen mit hohem Unterstüt- und verbindlich rückwirkend zum 1. Januar 2016 festge- zungsbedarf am Leben in der Kommune ermöglicht. legt. Die Veröffentlichung des neuen Antragsformulars er- In der geplanten Wohneinrichtung in Gedern werden bar- folgte im Mitarbeiterportal des Landes Hessen am 25. Ok- rierefreie Wohnplätze für erwachsene Menschen mit geisti- tober 2016. ger Behinderung zur Verfügung gestellt. Für alle Bewoh- nerinnen und Bewohner steht ein Einzelzimmer zur Verfü- gung. Nahezu alle Zimmer haben einen eigenen stationären Präsident Norbert Kartmann: sanitären Bereich. Damit werden in der Wohneinrichtung Zusatzfrage, Frau Kollegin Hofmann. moderne Wohnstandards für Menschen mit Behinderungen umgesetzt. Gerade der Schutz der Privatsphäre und die Selbstbestimmung über das eigene Zimmer auch im Sinne Heike Hofmann (SPD): der UN-Behindertenrechtskonvention können in der Ein- richtung gelebt und umgesetzt werden. Hervorzuheben Herr Minister, stellen Sie uns diese Verwaltungsvorschrift sind die Raum- und die Farbgestaltung sowie das Licht- zur Verfügung? konzept in der Wohneinrichtung. Diese wurden speziell für Menschen mit Sehbehinderung Präsident Norbert Kartmann: oder Blindheit konzipiert. Das macht diese Einrichtung in Herr Minister. der Tat besonders. Das liegt auch daran, dass der Träger, nämlich die Lebenshilfe Wetterau e. V., sich unter ande- rem auf die Betreuung von Menschen mit Behinderungen Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: und hohem Unterstützungsbedarf gerade aufgrund einer Mehrfachbehinderung oder einer Sehbehinderung speziali- Selbstverständlich. Sie können sie natürlich auch abrufen, siert und gezielt Wohneinrichtungen für diesen Personen- wenn Sie Zugang zum Mitarbeiterportal haben. Ansonsten kreis inmitten einer Kommune plant, um eine den heutigen stelle ich sie Ihnen gern zur Verfügung. Bedarfen angepasste Wohn- und Betreuungssituation für Menschen mit Behinderungen mit diesen speziellen Bedar- fen in Wohneinrichtungen zu bieten und ihre Teilhabe am Präsident Norbert Kartmann: gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Ich rufe Frage 672 auf. Herr Abg. Reul. Präsident Norbert Kartmann: Michael Reul (CDU): Frage 673, Herr Abg. Reul. Ich frage die Landesregierung: Wie unterstützt sie die Wohneinrichtung für erwachsenen Michael Reul (CDU): Menschen mit Behinderungen in Gedern der Lebenshilfe Wetterau? Ich frage die Landesregierung: Wie fördert sie den Verein Werkstätten für Behinderte Rhein-Main in Rüsselsheim? Präsident Norbert Kartmann: Herr Staatsminister. Präsident Norbert Kartmann: Herr Sozialminister. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6379

Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: Herr Abgeordneter, man bemerkt Ihre Tätigkeit in der Ver- Mit der Pflegemedaille des Landes Hessen, einer vom Hes- bandsversammlung des Landeswohlfahrtsverbandes, wenn sischen Ministerpräsidenten gestifteten Auszeichnung, mir diese persönliche Bemerkung gestattet ist, weil an die- wird auf den Einsatz pflegender Angehöriger aufmerksam ser Stelle sehr viele Komplementärförderungen vorgenom- gemacht. Es können Personen in Hessen ausgezeichnet men werden. Die Landesregierung unterstützt den Verein, werden – so klar ist es nicht, man könnte beispielsweise indem sie 2016 die geplanten baulichen Maßnahmen des auch besondere Maßnahmen in stationären Einrichtungen Trägers zum Schutz der Intimsphäre und zur Herstellung oder durch ambulante Pflegedienste hervorheben; hier sind von Barrierefreiheit in der im Jahre 1974 eröffneten, aber pflegende Angehörige im Mittelpunkt, die eine ganz be- letztmalig im Jahre 1994 modernisierten Werkstatt für Be- sondere Leistung erbringen –, die einen pflegebedürftigen, hinderte in Rüsselsheim investiv mit einer Zuwendung in kranken oder behinderten Menschen, der ihnen nahesteht, Höhe von 213.000 € fördert – das sind ca. 30 % der zu- unentgeltlich im häuslichen Bereich über einen zusammen- wendungsfähigen Ausgaben. hängenden Zeitraum von mindestens fünf Jahren gepflegt, versorgt und betreut haben. Außerdem wurde 2014 ein weiteres Projekt des Trägers – der Erweiterungsbau und Anbau inklusive der Ausstattung Die zu Ehrenden haben sich große persönliche Verdienste sowie die Modernisierung der Zweigwerkstatt für behin- erworben und einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag derte Menschen in Biebesheim, nämlich die bauliche Maß- geleistet. Leistungen der Pflegeversicherung oder ein ge- nahme zur Schaffung von 40 Werkstattplätzen – mit einem ringfügiges Entgelt schließen diese Ehrung nicht aus. Zuschuss in Höhe von 540.000 € investiv gefördert. Im Folgenden wird sich ausschließlich auf die aktuelle Förde- rung bezogen. Hierbei plant der Träger unter anderem den Präsident Norbert Kartmann: Umbau und die Modernisierung des Sanitärbereichs in der Zusatzfrage, Herr Kollege Rentsch. Werkstatt, da dieser aus verschiedenen Gründen nicht mehr den heutigen Anforderungen entspricht. Florian Rentsch (FDP): Präsident Norbert Kartmann: Herr Staatsminister, gibt es diese Kriterien schriftlich? Und wenn ja: Warum liegen sie der Kollegin Klaff-Isselmann Nächste Frage: Frage 674, Herr Dr. Bartelt. nicht vor? (Zuruf von der SPD: Gute Frage!) Dr. Ralf-Norbert Bartelt (CDU):

Ich frage die Landesregierung: Präsident Norbert Kartmann: Wie unterstützt sie den Neubau des Klinikums Frankfurt- Herr Sozialminister. Höchst?

Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: Präsident Norbert Kartmann: Herr Abgeordneter, das ist genauso wie mit Verwaltungs- Herr Sozialminister Grüttner. vorschriften, die jedem zugänglich sind. (Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD) – Gegenruf Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: des Abg. Holger Bellino (CDU)) Herr Abgeordneter, der Neubau des Klinikums Frankfurt- Höchst wurde mit Bewilligungsbescheid vom 11.11.2015 Präsident Norbert Kartmann: mit 54.750.000 € gefördert. Dies ist eine der größten Ein- zelinvestitionsförderungen des Landes Hessen. Zusatzfrage, Frau Kollegin Dr. Sommer. (Zurufe der Abg. Günter Rudolph und Timon Grem- Präsident Norbert Kartmann: mels (SPD)) Frage 675, Frau Abg. Klaff-Isselmann. – Herr Kollege Gremmels. – Frau Sommer, bitte. (Zurufe des Abg. Florian Rentsch (FDP), von der SPD und von der Regierungsbank) Irmgard Klaff-Isselmann (CDU): Ich frage die Landesregierung: Dr. Daniela Sommer (SPD): Wer kann mit der Pflegemedaille des Landes Hessen aus- gezeichnet werden? Herr Minister Grüttner, meinen Sie nicht auch, dass pfle- gende Angehörige oder Pflegepersonen, die ihre Zeit in- vestieren, mehr brauchen als nur eine Pflegemedaille? Und Präsident Norbert Kartmann: wenn ja: Was könnten Sie sich vorstellen? Wäre es viel- leicht eine Rahmenvereinbarung des Landes Hessen, die Herr Sozialminister. ermöglicht, dass endlich Entlastungs- und Betreuungsleis- tungen auch in Hessen für alle zugänglich sind, so auch für angehörige Pflegende? 6380 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

(Holger Bellino (CDU): Das sind zwei Paar Schu- Präsident Norbert Kartmann: he!) Herr Sozialminister Grüttner.

Präsident Norbert Kartmann: Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: Herr Staatsminister Grüttner. Frau Abgeordnete, für Umbau- und Sanierungsmaßnahmen am Thomas-Morus-Haus in Hilders ist eine Landeszuwen- Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: dung in Höhe von 470.000 € ausgesprochen worden. Frau Abgeordnete, durch die Pflegestärkungsgesetze, die in der Legislaturperiode des Bundes auf den Weg gebracht Präsident Norbert Kartmann: worden sind – an dieser Stelle ein großes Kompliment an Frage 678, Frau Abg. Arnoldt. den Bundesgesundheitsminister Gröhe, der diese Gesetze auf den Weg gebracht hat –, sind die unterstützenden und entlastenden Dienste natürlich normiert worden. Lena Arnoldt (CDU): (Lachen des Abg. Timon Gremmels (SPD)) Ich frage die Landesregierung: Wir warten jetzt – wie Sie aufgrund der Fortbildungsveran- Wie unterstützt sie den Freiwilligendienst aller Generatio- staltung des VdK wissen, die Sie auch besucht haben – auf nen in Hessen? die entsprechenden Ausführungserlasse des Spitzenverban- des der gesetzlichen Krankenversicherung, um weitere Träger von entlastenden Diensten zulassen zu können. Das Präsident Norbert Kartmann: ist eine Regelleistung. – Das ist das Erste. Herr Sozialminister Grüttner. Das Zweite. Wenn Sie eine Veranstaltung im Biebricher Schloss bei der Verleihung der Pflegemedaille besucht ha- ben: Ich denke, in der Regel sind die Fragestellungen des Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: persönlichen Einsatzes der Personen, die dort ausgezeich- Frau Abgeordnete, an vier Standorten, nämlich in Mar- net werden, nicht welche, die mit unterstützenden Leistun- burg, in Fulda, in Dreieich und in , wird das ehema- gen oder Geldleistungen oder irgendetwas gewürdigt wer- lige Bundesprogramm Freiwilligendienst aller Generatio- den sollen; sondern in den Mittelpunkt werden aufopfernde nen in Hessen erfolgreich fortgeführt. Tätigkeiten von Angehörigen gegenüber ihren zu pflegen- den Verwandten gestellt, seien es Kinder, seien es Ehepart- Die Beratungen zum Aufbau eines solchen Freiwilligen- ner, oder seien es andere. dienstes werden von den Trägern Volunta gGmbH, Frei- willigenzentrum , Landkreis Fulda und Diakoni- Ich sage sehr deutlich, wenn ich dies sehe, berühren mich sches Werk Offenbach-Dreieich in Nordhessen, Mittelhes- in jedem Jahr die außergewöhnlichen Leistungen, die dort sen und Südhessen durchgeführt. Beim Freiwilligenzen- vorgenommen werden, wenn zum Teil schon hochbetagte trum Marburg ist auch die Koordinierungsstelle angesie- Mütter und Väter seit mehreren Jahrzehnten ihre pflegebe- delt. Der Freiwilligendienst aller Generationen wird in dürftigen Kinder ohne jegliche Unterstützung von anderen Hessen zurzeit mit jährlich 80.000 € gefördert. Stellen, die sie notwendigerweise haben können, pflegen und sich aufopfern, um diesen Kindern beispielsweise ein würdiges Leben und eine weitestgehende Teilhabe an der Präsident Norbert Kartmann: Gesellschaft zu ermöglichen. Frage 679, Frau Abg. Wiesmann. Wenn Sie die Rückmeldungen der zu Ehrenden bekommen – die stelle ich Ihnen gerne einmal in Auszügen zur Verfü- gung –, geht es eben um mehr als nur Geld, mehr als nur Bettina Wiesmann (CDU): die Bereitstellung von Pflegediensten: Dann ist es ein großes Stück an Empathie, an Zuneigung und an Zuwen- Ich frage die Landesregierung: dung, die diese Menschen brauchen. Genau dies wird mit Wie unterstützt sie Einrichtungen bei der Weiterentwick- der Pflegemedaille erreicht, und ich würde es schade fin- lung zum Familienzentrum? den, wenn sie materialisiert werden würde.

(Beifall bei der CDU) Präsident Norbert Kartmann: Herr Sozialminister Grüttner. Präsident Norbert Kartmann:

Frage 677, Frau Abg. Lena Arnoldt. Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: Frau Abgeordnete, wir haben die Förderung von Familien- Lena Arnoldt (CDU): zentren sehr intensiv unter dem Gesichtspunkt diskutiert: Ich frage die Landesregierung: Machen wir einige Modellprojekte, die wir sehr großzügig finanziell fördern, oder versuchen wir, Familienzentren in Wie unterstützt sie die Jugendbildungsstätte Thomas-Mo- der Fläche zu etablieren? – Wir haben uns für den zweiten rus-Haus in Hilders? Weg entschieden, was letztendlich dazu führt, dass zurzeit (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6381 weit über 100 Familienzentren in Hessen ihre Arbeit wahr- Ich finde, das ist ein Ansatz, der durchaus sinnvoll ist. Vor nehmen. dem Hintergrund sind diese Fragen auch mehr als berech- tigt. Die Antragstellungen kommen nach wie vor in vielfältiger Weise zu uns. Manche Einrichtungen erfüllen zum jetzigen (Beifall bei Abgeordneten der CDU) Zeitpunkt noch nicht die Kriterien eines Familienzentrums, z. B. bezüglich der Frage der Generationenübergreifung, der Beratungsangebote und anderem. Deswegen unterstüt- Präsident Norbert Kartmann: zen wir diese Einrichtungen, die jetzt einen Antrag gestellt Ich rufe die Frage 680 auf. – Herr Kollege Rentsch hat zur haben, aber noch nicht die Kriterien erfüllen, bereits seit Frage 679 noch eine Nachfrage. Bitte schön. 2011, praktisch mit Einführung der Förderung der Famili- enzentren, durch eine breite Palette von Maßnahmen. Das zeigt sich auch in der stetig ansteigenden Zahl von ge- Florian Rentsch (FDP): förderten Familienzentren. Seit dem Start im Jahr 2011 mit Vielen Dank, dass das noch gesehen wurde. 46 geförderten Familienzentren – jetzt kommt die Zahl – können wir mittlerweile eine Ausweitung auf aktuell 130 Herr Staatsminister, Sie haben gerade gesagt, das würde Familienzentren verzeichnen. Diejenigen, die einen Antrag bei den Oppositionskollegen zu schwierigen Debatten füh- gestellt haben und zurzeit noch nicht die Kriterien erfüllen, ren. Haben Sie das Gefühl, dass die Regierungsfraktionen bekommen eine finanzielle Unterstützung, um mit externer ihrer Kontrollfunktion, die dem Parlament obliegt, nicht Hilfe weitere Maßnahmen entwickeln zu können, die sie richtig nachkommen? berechtigen, nachher durch Erfüllung aller Kriterien für die (Heiterkeit der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE)) Förderung als Familienzentrum anerkannt zu werden.

Präsident Norbert Kartmann: Präsident Norbert Kartmann: Herr Minister. Zusatzfrage, Herr Kollege Merz.

Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: Gerhard Merz (SPD): Herr Abgeordneter, in den paar Jahren meiner Tätigkeit als Herr Minister, nachdem Sie jetzt sieben- oder achtmal Mitglied der Landesregierung habe ich festgestellt, dass praktisch gleichlautende Fragen beantwortet haben: Sind die Kontrolltätigkeit von Abgeordneten der Regierungs- Sie nicht auch verwundert darüber, wie wenig die Kolle- fraktionen deutlich stärker ist als die von Oppositionsabge- ginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion von Ihrer se- ordneten. gensreichen Tätigkeit mitbekommen? (Lachen bei der SPD und der LINKEN – Timon (Beifall bei der SPD) Gremmels (SPD): Ohne rot zu werden! – Günter Ru- Sind Sie nicht wie ich besonders verwundert darüber, dass dolph (SPD), zur CDU gewandt: Welche Kontroll- die doch überaus sachkundige Kollegin Wiesmann nach funktion? Sie wissen gar nicht, was das ist! Abnick- gefühlten 15 Debatten zum Thema Familienzentren immer funktion! – Weitere Zurufe) noch glaubt, Sie zur Förderung von Familienzentren fragen zu müssen? Präsident Norbert Kartmann: (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Abge- Darf ich um Aufmerksamkeit bitten? Wie gesagt, Frage- ordneten der LINKEN) stunde ist Fragestunde. Ich wiederhole mich. Frage 680, Herr Kollege Warnecke. Präsident Norbert Kartmann:

Herr Sozialminister. Torsten Warnecke (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident, ich darf die Landesregierung Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: fragen: Herr Abgeordneter, der Landesregierung steht es erstens Wird sie fürderhin „Backhäuser“, die ihres Backofens ver- nicht zu, Fragen von Abgeordneten zu werten. lustig gehen und von denen nur minimalste Bausubstanz (Lachen bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten der erhalten bleibt, wie beispielsweise im Bad Hersfelder Orts- CDU) teil Asbach für rund 82.000 €, finanziell fördern? Das würde insbesondere bei Fragen der Oppositionsabge- ordneten zu längerwierigen Debatten führen. Präsident Norbert Kartmann: (Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP)) Frau Staatssekretärin Tappeser. Das Zweite ist: Tue Gutes, und rede viel darüber. (Zurufe von der SPD: Genau!) 6382 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

Dr. Beatrix Tappeser, Staatssekretärin im Ministerium Dr. Beatrix Tappeser, Staatssekretärin im Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver- für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver- braucherschutz: braucherschutz: Sehr geehrter Herr Abg. Warnecke, im Rahmen der hessi- Die Denkmalpflege hat entschieden, dass das Backhaus in schen Dorfentwicklung werden unter anderem auch Back- Asbach förderungswürdig ist und erhalten bleiben soll. In- häuser, insbesondere denkmalgeschützte Backhäuser, als sofern ist diese Entscheidung so getroffen worden. Das maßgeblicher Beitrag zur nachhaltigen Sicherung des kul- Backhaus wurde unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung turellen Erbes gefördert. Wegen der städtebaulichen Be- des bau- und kulturgeschichtlichen Erbes sowie der Erhal- deutung kann ein einzelnes Backhaus unter Umständen tung des individuellen Charakters des Stadtteils Asbach ge- auch dann gefördert werden, wenn mangels Backofens die fördert. Das ist die Grundlage für die Förderung gewesen. ursprüngliche Nutzung nicht mehr möglich ist, aber die Folgenutzung z. B. durch Vereine oder bürgerschaftliche Initiativen gesichert ist. Präsident Norbert Kartmann: Frage 681, Herr Abg. Tipi. Präsident Norbert Kartmann: Zusatzfrage, Herr Kollege Warnecke. Ismail Tipi (CDU): Herr Präsident, ich frage die Landesregierung: Torsten Warnecke (SPD): Wie fördert sie die Ausbildung in den Altenpflegeberufen? Liebe Frau Staatssekretärin, Ihnen ist aber schon bewusst, dass es sich bei diesem Backhaus perspektivisch um einen Präsident Norbert Kartmann: Geräteschuppen handelt? Herr Sozialminister.

Präsident Norbert Kartmann: Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: Frau Staatssekretärin. Herr Abgeordneter, die Fachkräftesicherung in den Pflege- berufen ist wie in allen anderen Bereichen primär Aufgabe Dr. Beatrix Tappeser, Staatssekretärin im Ministerium von Arbeitgebern. Mitverantwortung tragen dabei die Ar- für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver- beitsverwaltung und die Jobcenter sowie auch das Land braucherschutz: Hessen, das durch die Finanzierung der staatlich anerkann- ten Altenpflegeschulen die Schulgeldfreiheit für die grund- Sehr geehrter Herr Abg. Warnecke, das denkmalgeschützte ständigen Ausbildungen in den Altenpflegeberufen sicher- Backhaus in Asbach ist 2015 auf Antrag der Stadt Bad stellt. Auch im nächsten Jahr sind im Haushalt für die Ge- Hersfeld saniert worden. In diesem Zusammenhang wurde währleistung der Schulgeldfreiheit ausreichende Mittel ein- im Umfeld eine entsprechende Freifläche gestaltet. Die geplant. Fördersumme hat insbesondere auch nicht 82.000 €, son- dern nur 32.000 € betragen. Die Hessische Landesregierung hat als Beitrag zur Fach- kräftesicherung 2012 die Obergrenze landesfinanzierter Schulplätze in der Altenpflege aufgehoben und die Pau- Präsident Norbert Kartmann: schale der Pflegehelferausbildung angehoben. Zum Zusatzfrage, Herr Abg. Warnecke. 01.01.2016 wurden die Schulgeldpauschalen insgesamt noch einmal erhöht. Es wird eine weitere Erhöhung der Schulgeldpauschalen auch für laufende Kurse mit Beginn Torsten Warnecke (SPD): in den Jahren 2013 bis 2015 für den Beschulungszeitraum ab dem 01.01.2016 bis zum jeweiligen Ende der Kurse Um das Missverständnis vorweg auszuräumen: Es ist die nachträglich vorgenommen werden. Gesamtsumme, die insgesamt für dieses Backhaus veraus- gabt wird. Insofern gebe ich Ihnen recht, es handelt sich Die Hessische Landesregierung setzt sich darüber hinaus um 32.000 €. seit Jahren für die Ausbildung ein, indem sie sich auch an der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpfle- Aber, Frau Staatssekretärin, am Ende werden einige weni- ge beteiligt. Durch die gemeinsamen Anstrengungen aller ge Balken in diesem Backhaus erhalten. Stimmen Sie mit Ausbildungspartner konnte die Zahl der Auszubildenden in mir überein, dass der Erhalt von einigen wenigen Balken den Altenpflegeberufen kontinuierlich gesteigert werden bei Neufundamentierung, Neuausfachung, einem neuen und hat im Schuljahr 2015/2016 einen historischen Höchst- Dach usw. dann tatsächlich außer vielleicht bezüglich ei- stand von 5.256 Auszubildenden in den Altenpflegeberu- nes Ensemblegedankens nicht mehr unter den denkmal- fen erreicht. pflegerischen Aspekt fällt, dass ein Backhaus erhalten wird, weil quasi ein neues gebaut wurde? Zusätzlich hat die Landesregierung mehrere Modellprojek- te zur Gewinnung neuer Zielgruppen für die Ausbildung erfolgreich durchgeführt. Stellvertretend für das Engage- Präsident Norbert Kartmann: ment der Landesregierung, der Arbeitgeber und der Bil- Frau Staatssekretärin. dungsträger möchte ich als Beispiel einige Projekte zur Nachqualifizierung langjährig in der Pflege tätiger ange- lernter Pflegehilfskräfte anführen. Das ist zum einen die ar- beitsmarktintegrierte Qualifikation in der Altenpflege des Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6383

Frankfurter Verbandes. Das ist zum anderen das Projekt Torsten Warnecke (SPD): „aufwärts! in der Altenpflege“ des Caritas-Verbandes der Herr Staatsminister Grüttner, welche Auswirkungen erwar- Diözese Limburg. Mit solchen Projektansätzen konnten ten Sie denn durch die Neuregelungen bei den Pflegeberu- langjährig in der Pflege erfahrene Personen nicht nur an fen im Hinblick auf die von Ihnen genannten Zahlen? Wer- das Berufsfeld gebunden werden, sondern es konnten neue den die Altenpflegeberufe weiterhin attraktiv bleiben? individuelle Aufstiegsoptionen insbesondere für Frauen so- wie für Frauen und Männer mit Migrationshintergrund ge- schaffen werden. Präsident Norbert Kartmann: Gerade im Hinblick auf Frauen und Männer mit Migrati- Herr Staatsminister. onshintergrund sei erwähnt, dass der Hessische Integrati- onspreis in diesem Jahr einer Initiative verliehen wurde, die sich an Migranten richtet. Sie will sie speziell für die Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: Altenpflege fit machen und dafür gewinnen. Insofern wer- den vielfältige Maßnahmen unternommen, um auf der Herr Abg. Warnecke, ich bin ein Befürworter der generali- einen Seite den Fachkräftebedarf zu decken und um auf der stischen Ausbildung in der Pflege. Ich bedauere ausdrück- anderen Seite aber auch den kultursensiblen Anforderun- lich, dass es zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gelungen gen Rechnung zu tragen. ist, im Deutschen Bundestag eine Mehrheit für den vorge- legten und vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf zu Wir sind im Übrigen das einzige Land, das einen Pflege- bekommen. monitor zur Verfügung stellt und damit sehr transparent verdeutlicht, an welchen Stellen Bedarf bei den Pflegebe- Die Diskussion, die dazu führte, dass dieser Gesetzentwurf rufen besteht. Das ist nicht selbstverständlich. Das gibt es bisher noch nicht im Bundestag beschlossen wurde, be- in keinem anderen Bundesland. Das zeigt, dass wir auch wegt sich hinsichtlich der Fragestellung, ob die Anforde- dann transparent mit Informationen umgehen, wenn mögli- rungen für den Altenpflegeberuf zukünftig so hoch sein cherweise Mangel besteht. Gleichzeitig können wir uns mit werden, dass weniger Personen diesen Ausbildungsgang den Maßnahmen, die wir ergriffen haben, durchaus im nehmen werden. Diese Gefahr sehe ich nicht. Wir werden Kontext und im Vergleich mit den anderen Bundesländern Personen aller Bildungsabschlüsse die Zugänge zu dieser mehr als sehen lassen. Da sei insbesondere noch einmal Pflegeausbildung ermöglichen. Das gilt auch für diejeni- auf den historischen Höchststand in diesem Jahr bei den gen, bei denen momentan in der Diskussion ist, ob sie Auszubildenden für die Altenpflegeberufe hingewiesen. möglicherweise eine Benachteiligung haben. Das wird auch durch die entsprechenden Ausbildungsinhalte nicht der Fall sein. Präsident Norbert Kartmann: Die Intention der generalistischen Pflegeausbildung ist es Frau Dr. Sommer stellt eine Zusatzfrage. gerade, zum einen durch die Verbreiterung der Einsatz- möglichkeiten und zum anderen durch das Schaffen von Aufstiegsmöglichkeiten diesen Beruf noch sehr viel attrak- Dr. Daniela Sommer (SPD): tiver zu machen, als er zum jetzigen Zeitpunkt schon ist. Deswegen erwarte ich von einer generalistischen Pflege- Herr Grüttner, Sie sprachen von ausreichenden Mitteln. ausbildung eher einen Schub als eine Benachteiligung. Kann ich das so verstehen, dass der Ausgleich der Inflati- onsrate, der zunächst nur für die Auszubildenden der neuen Kurse galt, jetzt auch für alle anderen Auszubildenden, die Präsident Norbert Kartmann: schon zuvor in der Ausbildung waren, geltend gemacht werden kann? Ich rufe Frage 682 des Herrn Abg. Gremmels auf.

Präsident Norbert Kartmann: Timon Gremmels (SPD): Herr Staatsminister Grüttner. Ich frage die Landesregierung: Wie sieht der Zeitplan für die Neuaufstellung des Landes- Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: entwicklungsplans aus? Frau Abgeordnete, ich wiederhole das, was ich eben in meiner Antwort gesagt habe. Ich sage noch einmal deut- Präsident Norbert Kartmann: lich, dass in der Altenpflege eine Erhöhung der Schulgeld- Herr Staatsminister Al-Wazir. pauschalen für die laufenden Kurse, beginnend in den Jah- ren 2013 bis 2015, für den Beschulungszeitraum ab dem 1. Januar 2016 bis zum Ende der jeweiligen Kurse nach- Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Ver- träglich vorgenommen werden wird. kehr und Landesentwicklung: Sehr geehrter Herr Abg. Gremmels, der Kabinettsbeschluss Präsident Norbert Kartmann: über die Anhörung und Offenlegung des Entwurfs für einen Landesentwicklungsplan kann erst nach Klärung Herr Kollege Warnecke stellt eine Zusatzfrage. noch offener inhaltlicher und rechtlicher Fragen im Jahr 2017 erfolgen. 6384 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

Präsident Norbert Kartmann: Man könnte diese Liste noch lange fortführen. Aber Sie merken an diesen Beispielen, dass das eine schwierige Fra- Herr Kollege Gremmels stellt eine Zusatzfrage. ge ist, die viele Facetten hat. Ich gehe aber davon aus, dass wir im nächsten Jahr das Ganze auf die Zielgerade bringen Timon Gremmels (SPD): werden. Was sind die Gründe dafür, dass der ursprüngliche Plan, den Sie im Ausschuss auch schon einmal präsentiert hat- Präsident Norbert Kartmann: ten, in diesem Jahr schon den Kabinettsbeschluss zu erlan- Ich rufe die Frage 683 des Herrn Abg. Tipi auf. gen, nicht eingehalten werden konnte?

Ismail Tipi (CDU): Präsident Norbert Kartmann: Herr Präsident, ich frage die Landesregierung: Herr Staatsminister Al-Wazir. Wie fördert sie die Gemeinwesenarbeit in Offenbachs Stadtteilen? Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Ver- kehr und Landesentwicklung: Präsident Norbert Kartmann: Ich kann mich nicht erinnern, dass ich im Ausschuss dazu etwas präsentiert habe. Ich kann mich daran erinnern, dass Herr Staatsminister Grüttner. Sie einmal dazu eine Frage gestellt haben. Ich habe gesagt, es sind noch offene inhaltliche und recht- Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: liche Fragen zu klären. Sie wissen, dass sich der Kommu- nale Finanzausgleich in den letzten Jahren verstärkt auf Herr Abgeordneter, mit Schreiben vom 29. Oktober 2015 Einstufungen hinsichtlich der zentralen Örtlichkeit oder hat die Stadt Offenbach am Main die Förderung der Ge- der Raumstruktur im Landesentwicklungsplan gestützt hat. meinwesenarbeit in den Stadtteilen oder Quartieren in Hö- Das ist sicherlich eine Veränderung in der Struktur der he von insgesamt 171.666 € für das Jahr 2016 beantragt. Verteilung der Gelder im Rahmen des Kommunalen Fi- Nach positivem Bescheid des Antrags begann die Förde- nanzausgleichs, die mit dazu beigetragen hat, dass es große rung am 1. Juli 2016. Sie begann mit 81.666 €, also etwa Wünsche gibt, entweder das eine oder das andere zu sein. 50 % für das halbe Jahr. Wir müssen sicherstellen, dass wir unsere Entscheidungen Gegenstand der Förderung sind der Aufbau und der Aus- auf einer guten Grundlage treffen, damit sie im Zweifels- bau zweier Koordinierungsstellen, zwei strategisch innova- fall am Ende auch gerichtsfest sind. tive soziale Projekte sowie drei Mikroprojekte. Sie bezie- hen sich auf die Quartiere Mathildenviertel, Innenstadt, Nordend und Lauterborn. Präsident Norbert Kartmann: Herr Kollege Gremmels stellt eine weitere Zusatzfrage. Präsident Norbert Kartmann: Es gibt keine Zusatzfragen mehr. – Herr Kollege Tipi, ha- Timon Gremmels (SPD): ben Sie noch eine Zusatzfrage? – Das ist nicht der Fall. Welche inhaltlichen und rechtlichen Fragen sind neben den Danke schön. von Ihnen eben angesprochenen, den Kommunalen Finanz- Damit kommen wir zu Frage 684 der Frau Abg. Schott. ausgleich betreffenden Fragen noch offen und müssen ge- prüft werden? Marjana Schott (DIE LINKE): Präsident Norbert Kartmann: Ich frage die Landesregierung: Herr Staatsminister Al-Wazir. Ist mit der Veröffentlichung des Evaluationsberichts zum KiföG im Dezember 2016 zu rechnen? Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Ver- kehr und Landesentwicklung: Präsident Norbert Kartmann: Es geht nicht um den Kommunalen Finanzausgleich. Das Herr Sozialminister. haben Sie falsch verstanden. Vielmehr geht es um die Fra- ge, ob die Einstufung als zentrale Örtlichkeit, die im Kom- munalen Finanzausgleich entsprechende Folgen hat, auf Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: den richtigen Parametern beruht. Das ist der eine Punkt. Frau Abgeordnete, ja. Dann geht es natürlich auch um das, was damit zusammen- hängt. Sie kennen das Beispiel, dass wir einen Vorschlag für eine Lärmobergrenze gemacht haben. Dabei geht es um Präsident Norbert Kartmann: die Frage, wie wir das im Landesentwicklungsplan veran- Frau Kollegin Schott, bitte. kern. Auch das ist etwas, was dazugekommen ist. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6385

Marjana Schott (DIE LINKE): Präsident Norbert Kartmann: Herr Minister, da Sie den Bericht wahrscheinlich schon Das ist beantwortet. kennen – der Dezember 2016 dauert nicht mehr so lange –, Dann rufe ich Frage 686 auf. Herr Abg. Rock. frage ich: Können Sie uns jetzt schon sagen, ob für die fol- gende Zeit Veränderungen zu erwarten sind? René Rock (FDP): Präsident Norbert Kartmann: Ich frage die Landesregierung: Herr Staatsminister Grüttner. Gilt der § 27 des Hessischen Kinder- und Jugendhilfege- setzbuchs, „Elternbeteiligung, Elternversammlung und El- ternbeirat“, auch für kommunale Betreuungseinrichtungen Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: an Schulen? Frau Abgeordnete, das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Präsident Norbert Kartmann: Herr Sozialminister Grüttner. Präsident Norbert Kartmann: Okay, dann warten wir es ab. Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: Ich komme zu Frage 685. Herr Abg. Franz. – Das macht Herr Abgeordneter, die Elternbeteiligungsrechte nach § 27 Frau Kollegin Waschke. Bitte schön. Hessisches Kinder- und Jugendhilfegesetzbuch (HKJGB) gelten für Tageseinrichtungen für Kinder. Diese sind nach Sabine Waschke (SPD): § 25 HKJGB Kinderkrippen, -gärten, -horte und altersüber- greifende Tageseinrichtungen für Kinder. Wenn es sich bei Ich frage die Landesregierung: den kommunalen Betreuungseinrichtungen an Schulen um Wer muss die Einsatzkosten von freiwilligen Feuerwehren solche Angebote der Kinder- und Jugendhilfe nach § 25 oder Berufsfeuerwehren erstatten, wenn z. B. bei Bahnun- HKJGB, insbesondere also um Horte, handelt, gilt auch fällen oder Arbeiten an Windkraftanlagen die oder der § 27 HKJGB. Davon zu unterscheiden sind die genannten Verunfallte tot geborgen wird? Betreuungsangebote, die der Schulträger nach § 15 Abs. 2 Satz 2 des Hessischen Schulgesetzes an einer bestimmten Schule einrichtet. Die Eltern von Kindern, die diese Schule Präsident Norbert Kartmann: besuchen, werden insoweit nach § 110 des Hessischen Schulgesetzes vom Schulelternbeitrat vertreten. Das gilt Herr Innenminister Beuth. auch für Fragen, die die genannten Betreuungsangebote betreffen; denn sie sind schulische Angebote. Das heißt, Peter Beuth, Minister des Innern und für Sport: selbst wenn eine räumliche Verbundenheit von der Kinder- betreuung zu einer Schule besteht, kann es sich um ein An- Frau Abgeordnete, wird der oder die Verunfallte tot gebor- gebot der Kinder- und Jugendhilfe handeln; dann gibt es gen, dann ist für den Einsatz der freiwilligen Feuerwehr dort eigene Rechte, die im HKJGB normiert sind. ein Kostenersatz an die Gemeinde zu leisten. Die Kosten- tragungspflicht richtet sich nach dem Verursacherprinzip. In Bezug auf die von Ihnen genannten Beispiele bedeutet Präsident Norbert Kartmann: dies Folgendes: Zusatzfrage, Herr Kollege Rock. Bei Bahnunfällen hängt die Kostenpflicht davon ab, ob der Tod selbst verschuldet war oder in den Verantwortungsbe- reich der Bahn fiel. Im erstgenannten Fall richtet sich die René Rock (FDP): Kostenpflicht nach § 61 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 HBKG, wo- Die Frage bezieht sich auf eine Zwittereinrichtung, in der nach die Person kostenpflichtig ist, deren Verhalten die die Kommune, und nicht der Schulträger, Trägerin der Be- Leistung, d. h. den Einsatz, erforderlich gemacht hat. Dies treuung ist. wären anstelle der verunfallten Person deren Erben.

Im zweitgenannten Fall kommt ein Kostentragungsan- Präsident Norbert Kartmann: spruch gegenüber der Bahn nach § 61 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 HBKG in Betracht, wonach die Eigentümerin oder der Ei- Herr Minister. gentümer einer Sache kostenpflichtig ist. Dies wäre die Bahn AG. Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: Für den Tod infolge von Arbeiten an Windkraftanlagen wäre der Kostenbescheid auf der Grundlage des § 61 Noch einmal: Wenn es eine Betriebsgenehmigung nach Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 HBKG an den Betreiber der Windkraft- § 25 HKJGB gibt, dann gilt § 27 HKJGB – und damit eine anlage als Inhaber der tatsächlichen Gewalt über die Anla- eigenständige Elternvertretung. Es kommt auf die Frage ge zu richten. der Betriebserlaubnis an. 6386 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

Präsident Norbert Kartmann: (Günter Rudolph (SPD): Das alte hat auch nicht funktioniert!) Ich rufe Frage 687 auf. Herr Kollege Schaus. – Herr Kollege Rudolph, ich habe alles abgefragt, nur nicht Ihren Kommentar. Ich wollte das nur festgestellt haben. Hermann Schaus (DIE LINKE): (Heiterkeit) Ich frage die Landesregierung: – Spaß beiseite. Ist von ihr beabsichtigt, auch 2016 oder 2017 eine „Ge- sellschaftsjagd“ in Hessen zu veranstalten? Ich wollte nur feststellen, dass die Frage 688 nachher mit Tagesordnungspunkt 31 aufgerufen wird, sodass sie für heute als erledigt erklärt werden kann. Damit ist die Frage- Präsident Norbert Kartmann: stunde beendet. Frau Staatssekretärin Dr. Tappeser. (Die Fragen 695, 696 und die Antworten der Lan- desregierung sind als Anlage beigefügt. Die Fragen 689, 692 bis 694 und 697 bis 702 sollen auf Wunsch Dr. Beatrix Tappeser, Staatssekretärin im Ministerium der Fragestellerinnen und Fragesteller in der nächs- für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver- ten Fragestunde beantwortet werden. Die Frage 690 braucherschutz: wurde von der Fragestellerin zurückgezogen.) Sehr geehrter Herr Abg. Schaus, die Landesregierung, der Ich teile Ihnen nur noch mit, dass zu Tagesordnungspunkt Ministerpräsident, die Staatskanzlei oder einzelne Minister 10, der dritten Lesung des Gesetzentwurfs der Landesre- haben 2016 keine entsprechende Jagd veranstaltet. Für die gierung für ein Gesetz über die Feststellung des Haushalts- Jahre 2017 und 2018 sind noch keine Entscheidungen ge- plans des Landes Hessen für das Haushaltsjahr 2017 troffen. Dessen ungeachtet wird es weiterhin sogenannte (Haushaltsgesetz 2017), Drucks. 19/4291 zu Drucks. 19/ Gesellschaftsjagden geben. Wie Sie sicherlich wissen, gilt 4093 zu Drucks. 19/3674, bei Ihnen eingegangen sind und gemäß § 18 Abs. 2 des Hessischen Jagdgesetzes eine Jagd auf Ihren Plätzen verteilt wurden die Änderungsanträge der dann als Gesellschaftsjagd, wenn sie von mindestens vier Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Personen ausgeübt wird und die Jagdausübung aufeinander Drucks. 19/4307, Drucks. 19/4308, Drucks. 19/4309 und abgestimmt ist und in einem räumlichen Zusammenhang Drucks. 19/4310. Ich gebe das zur Kenntnis. steht. Im Rahmen der Wahrnehmung des Jagdrechts wer- den von den Forstämtern regelmäßig derartige Jagden im Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungs- Staatswald durchgeführt, darunter beispielsweise auch die punkt 2 auf: traditionelle, jährlich stattfindende Hubertusjagd. Regierungserklärung des Hessischen Ministers für Wis- senschaft und Kunst betreffend „70 Jahre Hessen – Präsident Norbert Kartmann: Kultur stiftet Identität, Verbundenheit und Vielfalt“ Zusatzfrage, Herr Kollege Schaus. Die vereinbarte Redezeit beträgt 20 Minuten je Fraktion. Die Reihenfolge ist: Landesregierung, SPD-Fraktion, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE, FDP-Fraktion, Hermann Schaus (DIE LINKE): die Fraktion der CDU und Frau Kollegin Öztürk. – Herr Minister, Sie haben das Wort für 20 Minuten, wenn es ir- Frau Staatssekretärin, ist wiederum davon auszugehen, gendwie geht. dass die Unkosten nicht aus dem Verkauf des erlegten Wil- des gedeckt werden können, wenn entsprechende Jagden über Landesbehörden organisiert werden? Boris Rhein, Minister für Wissenschaft und Kunst: (Holger Bellino (CDU): Kosten!) Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! 70 Jahre sind für Kunst und Kultur eine verhältnismäßig kurze Zeitspanne. 20 Minuten sind eine noch kürzere Zeit- Präsident Norbert Kartmann: spanne. Ich werde natürlich versuchen, mich an diese ver- Frau Staatssekretärin. einbarte Redezeit zu halten. Wenn wir heute über Kunst und Kultur in Hessen spre- Dr. Beatrix Tappeser, Staatssekretärin im Ministerium chen, dann reden wir natürlich auch über das große histori- für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver- sche Erbe, das wir vor allem den hessischen Landgrafen, braucherschutz: allen voran Philipp dem Großmütigen und Karl, zu verdan- ken haben. Wir sprechen über die vor allem in den fürstli- Herr Abg. Schaus, wie Sie wissen, habe ich gerade ausge- chen Residenzstädten Kassel, Darmstadt und Wiesbaden führt, dass noch keine entsprechenden Entscheidungen ge- entstandenen vielfältigen Einrichtungen – das und noch troffen sind. Wovon dann auszugehen sein wird, lässt sich viel mehr. Ich werde innerhalb der Redezeit im Einzelnen damit auch nicht beantworten. darauf eingehen. Das alles ist Landeskultur. Aber es gibt eine Institution unserer Landeskultur, die jung Präsident Norbert Kartmann: ist – eine Institution unserer Landeskultur, die noch jünger ist als unser Bundesland; sie besitzt zudem Weltgeltung: Ich bitte um Entschuldigung, aber ich habe hier ein neues Das ist die documenta – und damit die nach wie vor wich- Gerät. Das funktioniert hinten und vorne nicht. I will do tigste Ausstellung zeitgenössischer Kunst. –– Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6387

Die erste documenta ist vor nunmehr 60 Jahren im Jahre Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach 1955 organisiert worden. Wir haben im letzten Jahr das Ju- wir Armen! biläum gefeiert. Der Zweite Weltkrieg lag gerade einmal Ich will hinzufügen: Es ist gut angelegtes Geld. Denn zehn Jahre zurück. Die Stadt Kassel, die zu 80 % durch Kunst und Kultur laufen nicht einfach so nebenher. Kunst Bomben dem Erdboden gleichgemacht worden war, hatte und Kultur sind nicht einfach nur ein Sahnehäubchen. gerade erst mit dem Wiederaufbau begonnen. Es fehlte an Vielmehr ist Kultur Bestandteil der geistigen Infrastruktur Wohnraum und an Infrastruktur. Die Menschen hatten unseres Landes. Kultur ist das, was uns im Innersten zu- vielfältige Sorgen im Hinblick auf den Alltag und die Zu- sammenhält. Kultur ist heute mehr denn je bei all dem, was kunft – und dann moderne Kunst. wir um uns herum erleben und wahrnehmen an Hass und Ein größerer Gegensatz zwischen den Bedürfnissen und Auseinandersetzungen, ein Moment, das Identität stiftet dem Angebot erscheint kaum denkbar. Was auf den ersten und Verbundenheit und Vielfalt schafft. Blick unverträglich erscheinen mag, das passt bei genaue- Insofern bin ich der festen Überzeugung, dass wir das rem Hinsehen absolut in jene Zeit; denn die Werte der Ver- Nichtvorhandensein von Kunst und Kultur teurer bezahlen gangenheit schienen im Angesicht der Katastrophe des werden, als uns Investitionen in Kunst und Kultur kosten. Krieges nicht nur in Kassel keine Perspektive mehr zu bie- Auf die Frage, wie wir aus der Geschichte lernen und den ten, wohl aber der Blick in Richtung einer neuen, einer Nährboden für Extremismus austrocknen können, ist eine besseren Zukunft. der zentralen Antworten: Wir brauchen gute Bildung. Bil- Es war Arnold Bode, der den Menschen die Qualität einer dung ist die Grundlage, um das Gemeinwesen zu verste- Kunst vor Augen geführt hat, die noch zehn Jahre zuvor als hen. Bildung ist die Grundlage, um das Gemeinwesen wei- entartet verfemt worden war. Nie zuvor hatte die deutsche terzuentwickeln. Kulturelle Bildung ist die Grundlage zur Kunstszene vor 1955 Werke aus Stilrichtungen des Fauvis- Förderung eines Gemeinwesens, das von Toleranz und ge- mus, des Expressionismus, des Kubismus, des Blauen Rei- genseitigem Verstehen geprägt ist. ters und des Futurismus unmittelbar nebeneinander sehen Deswegen gehören Kultur und Bildung unmittelbar zusam- und vergleichen können. Aus der Sicht des Jahres 2016 men. Kultur ist das naheliegende – ich sage das in Anfüh- muss festgestellt werden, dass es ein ungeheuer mutiges rungszeichen – Instrument, um Bildung zu vermitteln. Des- Projekt in jenen Jahren gewesen ist. wegen ist es ein zentrales Anliegen dieser Landesregie- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE rung, kulturelle Bildung mit Nachdruck zu stärken. Dieses GRÜNEN) Ziel haben CDU und GRÜNE im Koalitionsvertrag aus- drücklich und dick unterstrichen festgeschrieben. Als die documenta gegründet wurde, war die Biennale von Venedig, die 1895 gegründet worden ist, die einzige inter- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE nationale Kunstausstellung in Europa. Heute gibt es an die GRÜNEN) 200 periodische Großausstellungen weltweit. Das zeigt, die Daher haben wir, um möglichst viele junge Menschen an- Konkurrenz ist groß. Die documenta ist aber nach wie vor zusprechen, in Hessen gemeinsam mit Kommunen und pri- einzigartig. Unsere Aufgabe ist es, diese Einzigartigkeit vaten Förderern den Kulturkoffer gepackt. Seit dem Start herauszuarbeiten. Dies ist ein wichtiges Ziel der Stadt Kas- im Jahr 2016 sorgen 28 Projekte quer durch Hessen von sel und des Landes Hessen. Insofern haben wir das Ge- Biedenkopf über Lauterbach nach Schlitz dafür, dass Ju- dächtnis der documenta, das documenta-Archiv, in die do- gendliche attraktive kulturelle Angebote bekommen. Die cumenta GmbH überführt. Das ist möglich geworden Kernidee ist es, jungen Menschen insbesondere im ländli- durch eine zusätzliche halbe Million Euro, die das Land chen Raum mehr Kulturerlebnisse zu verschaffen und aufbringt. mehr jungen Menschen die Teilhabe am kulturellen Leben (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE in unserem Land zu ermöglichen. GRÜNEN) (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Die finanzielle Ausstattung des Archivs mit jetzt insgesamt GRÜNEN) 1 Million € pro Jahr dient dem Ziel, der internationalen Be- Von 2015 bis 2018 werden deswegen die Mittel für kultu- deutung dieser außergewöhnlichen Institution gerecht zu relle Bildung von 490.000 € auf 1,76 Millionen € gestei- werden. Die documenta und ihre Geschichte sollen eben gert haben. Die Fokussierung von Kulturpolitik auf urbane auch zwischen den alle fünf Jahre stattfindenden Ausstel- Ballungsräume, teilweise ausschließlich auf urbane Bal- lungen in stärkerem Maße erlebbar sein, indem aus dem lungsräume, ist aus meiner Sicht eine Fehlentwicklung. Archiv heraus Publikationen, Fachtagungen, Seminare, kunstpädagogische Angebote, aber auch Ausstellungen zur So ist es die vornehme Aufgabe einer Landeskulturpolitik, aktuellen Gegenwartskunst entwickelt werden. Das ist aber diesem Trend entgegenzuwirken. Das ist ein gefährlicher nur ein erster Schritt. Trend; denn oftmals erschweren eine mangelnde Infra- struktur, eine desolate Mobilitätssituation, ein damit ein- Mittelfristig verfolgen Stadt und Land das Ziel, das docu- hergehender immer höherer Zeitaufwand und damit natür- menta-Archiv zu einem eigenständigen Forschungsinstitut lich auch hohe Fahrtkosten zu den weit entfernten Infra- weiterzuentwickeln. Nicht zuletzt deswegen wurde mit strukturen kultureller Bildungsangebote den Zugang zu Mitteln des Landes als Zentrum dieser Forschung eine do- kultureller Bildung. Das will diese Landesregierung än- cumenta-Professur eingerichtet. dern. Kunst und Kultur – ein Blick in den Haushalt zeigt uns das Wir wollen das ändern mit dem neuen Modellprojekt mit – kosten Geld, und zwar viel Geld. Nicht umsonst hat dem schönen Namen „Landsichten“, das wir gemeinsam schon Goethes Margarete – und das soll heute das einzige mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Zitat von meiner Seite bleiben – in „Faust“ festgestellt: Medien auflegen: mit konkreten unterschiedlichen Projek- ten, mit verschiedenen Ansätzen der Etablierung kulturel- 6388 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 ler Bildung im ländlichen Raum. Das Konzept bietet unter- Die Festspiele gelten neben Bayreuth als herausragendes schiedliche Modelle an, und zwar passgenau für die jewei- Beispiel deutscher Festspielkultur. Insoweit muss es doch lige Modellregion und speziell abgestimmt auf die dortigen uns allen ein gemeinsames Anliegen sein, diese Marke der Bedürfnisse. Landesfestspiele auch besonders zu pflegen, lieber Herr Kollege Hahn. Ein anderes Kulturangebot, das in dieser Legislaturperiode eine neue Schwerpunktsetzung erfahren hat, ist die Sozio- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE kultur. Die Angebote nutzen jährlich mehr als 700.000 GRÜNEN) Menschen quer durch alle Altersgruppen und quer durch Ich kann Ihnen versichern: Die Entscheidung, in den ver- alle sozialen Schichten in Hessen. Die Initiativen und Zen- gangenen beiden Jahren den Zuschuss zu den Festspielen tren der Soziokultur organisieren in unserem Land jedes in Bad Hersfeld um insgesamt rund eine halbe Million Jahr rund 4.000 Veranstaltungen zu allen möglichen The- Euro zu erhöhen, wurde bewusst und zielgerichtet getrof- men, zu Literatur, zu Musik, zu Film, zu Theater, zu Tanz fen. Es ist eine Entscheidung, die wir sachorientiert getrof- oder zu Kleinkunst. Auch hier gilt wieder: Soziokultur fin- fen haben – gerade auch, um Hochkultur außerhalb des det überall statt. Soziokultur erreicht die verschiedenen Be- Ballungsraums, in dem wir als Land Hessen im Übrigen völkerungsgruppen. Soziokultur fördert und stärkt die At- mit dem Kulturfonds zu 50 % zufinanzieren, zu fördern traktivität des ländlichen Raums und trägt dazu bei, Hessen und um ein kulturelles Highlight unseres Landes zu retten, lebenswert zu erhalten. das internationale Aufmerksamkeit genießt. Ohne unseren (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Einsatz – das gehört auch zur Wahrheit – hätten die Bad GRÜNEN) Hersfelder Festspiele möglicherweise vor dem Aus gestan- den. Ich glaube, hier haben wir kulturpolitische Förderung Das ist der Grund, warum CDU und GRÜNE nicht nur den ersten Ranges unternommen. Landesetat für Soziokultur verdoppelt, sondern zugleich das Vergabeverfahren der Landesförderung auf neue Füße (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE gestellt haben. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Kultur- GRÜNEN) initiativen und soziokulturellen Zentren hat das als einen Natürlich trifft es auch zu, dass an vielen anderen Orten in Meilenstein bezeichnet, und das ist es bundesweit auch. Hessen Festspiele zu Recht eine große Rolle spielen. Ge- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE nau deswegen haben wir auch dieses Budget spürbar er- GRÜNEN) höht, beispielsweise durch den Sondertopf „Sommerfest- spiele“. Von den Aufwüchsen haben 2016 ganz großartige Ganz besondere Erlebnisse hessischer Landeskultur bieten Festspielorte wie Bad Vilbel, Hanau oder eben auch Wetz- unsere hessischen Theater und Museen. Allein ein Blick lar profitiert. auf die Besucherzahlen macht das unmissverständlich deutlich. Mittlerweile ist es Allgemeinwissen, dass wir (Beifall des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP)) jährlich mehr Besucher in Museen haben als in Fußballsta- – Ich bedanke mich sehr bei Ihnen, Herr Abg. Hahn. – Wir dien. Aber nicht Allgemeinwissen ist, dass 2015 rund investieren aber auch intensiv in unser historisches Erbe. 745.000 Menschen die drei hessischen Staatstheater be- Mit dem neu aufgelegten Kulturinvestitionsprogramm flie- sucht haben. Ein Viertel davon, also etwa 185.000, waren ßen 10 Millionen € zusätzlich in 28 Liegenschaften, für Er- Kinder und Jugendliche. haltung und Sanierung, für Schutz und für Barrierefreiheit. Es ist keine Frage, dass auch das wieder Geld kostet. Wir Erst vor wenigen Wochen habe ich mit den Abg. Lortz und lassen uns das eine Menge Geld kosten. Ich glaube, wir Rock Kloster Seligenstadt besucht. Wie viele Jahre hat es müssen uns das auch eine Menge Geld kosten lassen, wenn gedauert, bis wir den Klosterhof endlich für Menschen mit wir unseren Anspruch, Bildung über Kultur zu vermitteln, Mobilitätseinschränkungen und Behinderungen besser zu- nicht nur auf dem Papier, sondern auch tatsächlich in der gänglich machen konnten? Jetzt ist es so weit, jetzt haben Praxis ernst nehmen wollen. Insofern stemmen wir ge- wir es mit dem Kulturinvestitionsprogramm hinbekom- meinsam mit den Sitzstädten nahezu 100 Millionen € in men. diesem Themenbereich. Ich war vor Kurzem mit dem Abg. Hofmeister in Weilburg Ich will in diesem Zusammenhang einen ganz besonderen und habe mir die notwendigen Arbeiten am Schloss Weil- Schatz in Hessen nicht unerwähnt lassen. Das sind die Bad burg angeschaut, ohne die wir gar nicht mehr die dortigen Hersfelder Festspiele. Festspiele hätten organisieren können – das Kulturinvesti- tionsprogramm machts möglich. Ich bin mit dem Abg. Ar- (Beifall des Abg. Torsten Warnecke (SPD)) min Klein – pardon, Armin Schwarz – im Schlosspark Ich muss gestehen, ich habe mich über die eine oder andere Wilhelmstal gewesen. unsachliche Diskussion über die Finanzierung der Bad (Zurufe von der CDU) Hersfelder Festspiele durch das Land schon wirklich wun- dern müssen. Da wurde von Ungerechtigkeiten gespro- – Ja, tut mir schrecklich leid, Armin weiß, wer es gewesen chen, oder es wurde der Vorwurf erhoben, man müsse nur ist. Ich gebe eine Runde aus. – Im Schloss Erbach habe ich einen großen Namen haben, um gefördert zu werden. mit der Abg. Lannert kürzlich das Deutsche Elfenbeinmu- seum eröffnen können. Meine Damen und Herren, das ist alles Unsinn. Es ist falsch. (Beifall der Abg. Judith Lannert (CDU) – Janine Wissler (DIE LINKE): Sie müssen jetzt auch nicht (Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Oh!) alle aufzählen!) – Getroffene Hunde bellen. – Ich höre jetzt auf, sonst komme ich mit der Redezeit in (Heiterkeit bei der CDU) der Tat nicht hin. Es würde mir aber zu jedem der Orte et- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6389 was einfallen. Aber ich will es bei den bislang genannten Wirrungen der Frankfurter Kommunalpolitik sprechen –, Namen belassen. hätten wir diese Route der Romantik nicht einrichten kön- nen. Der Weg führt weiter in das Brentano-Haus – ein ein- (Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD)) zigartiger Ort, 1,2 Millionen € haben wir als Land Hessen Mit der Einrichtung des Deutschen Elfenbeinmuseums im in die Hand genommen, um dieses Kleinod zu sichern –, Erbacher Schloss kehrt das Thema „Elfenbein“ an seinen und wenige Kilometer weiter ist Rheinromantik pur zu se- Ursprungsort zurück. Ich finde, es ist beeindruckend, was hen und in echt erlebbar: Hier hat das Land Hessen für 10 mit den rund 1,25 Millionen €, die das Land aus dem Kul- Millionen € saniert und revitalisiert. turinvestitionsprogramm für dieses Projekt zur Verfügung Wenn Sie nach Wiesbaden kommen, haben Sie ein Lan- gestellt hat, geschaffen worden ist. Es ist beeindruckend, desmuseum mit rasch wechselnden und spannenden Son- kann man nur sagen. Auch das ist ein Beleg für die Wir- derausstellungen. Was nicht wechselt, sondern bleibt, das kung von Landeskulturpolitik außerhalb des Ballungs- ist die Tatsache, dass hier – neben dem Norton Simon Mu- raums für den ländlichen Raum. seum in Pasadena – die größte Jawlensky-Sammlung der Hessen ist heute ein profilierter Filmstandort. Wir bilden in Welt vorhanden ist. All das wurde mit einer Landesinvesti- unseren Hochschulen die Spezialisten für die Branche aus. tion in Höhe von 42 Millionen € für die Gesamtsanierung Wir haben das, was man interessante Locations nennt – des Hauses möglich gemacht. nordhessische Wälder und Landschaften für Katja von Fahren Sie 200 km weiter und kommen in die Museums- Garniers „Ostwind“, Animationsexperten für „Pettersson landschaft Hessen Kassel. Es ist eine der größten Muse- und Findus“, die Skyline von Frankfurt und das Marburger umslandschaften Deutschlands. Sie steht in einer 600-jähri- Schloss für „Alles ist Liebe“ und Til Schweigers „Conni & gen Tradition des Sammelns, des Bewahrens und des Ge- Co“. Aber, meine Damen und Herren, wir haben vor allem staltens. Das Zusammenspiel von Kunst- und Wissen- eines: Wir haben eine attraktive Filmförderung. Wir bün- schaftssammlungen und einzigartigen historischen deln die Filmförderung, wir haben klare Strukturen ge- Schloss- und Parkanlagen ist wirklich beeindruckend. schaffen, wir haben einen zentralen Ansprechpartner ge- schaffen. Wir haben aber nicht nur das, sondern wir haben Es war eine wegweisende Entscheidung, die damals getrof- mit dem Haushalt 2017 auch ein wirklich kräftiges Signal fen worden ist, mit einem Einsatz von 200 Millionen € ein für den Filmstandort Hessen gesendet – ein Signal, das Kulturinvestitionsprogramm zu starten. Nun wird Frau auch die Branche anerkennt. Wir haben die Mittel um Beer einwenden, das sei zur Amtszeit der Kollegin Ruth 1 Million € gesteigert. Wir wandeln eine weitere Million Wagner gewesen. Das mag sein, und das ist auch okay – von einer Darlehens- in eine Zuschussförderung um. Umso eine sehr geschätzte Vorgängerin –, mehr freue ich mich, dass wir offensichtlich wirklich alles (Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP)) richtig gemacht haben. aber so etwas geht immer nur im Zusammenspiel. Deswe- (Widerspruch des Abg. Norbert Schmitt (SPD)) gen will ich sehr deutlich sagen: In diesem Zusammenspiel – Na ja, das kann man schon sagen. – Anders ist es nicht haben Udo Corts und Eva Kühne-Hörmann, meine beiden zu erklären, dass wir, lang ersehnt, in den Verband Focus Vorgänger der CDU, eine ganz großartige Rolle gespielt. aufgenommen worden sind. Ich wundere mich, Nicht anders war es möglich, den Grundstein des Berg- dass sich gerade die SPD dazu äußert, und dann aus dem frieds der Löwenburg zu legen – 30 Millionen € –, nicht Munde von Norbert Schmitt, der sich bislang zu den The- anders war es möglich, das Haus der Geschichte, Kunst men Film und Filmförderungskultur nicht sehr eingelassen und Kultur, nämlich das neue Landesmuseum, für rund 31 hat. Millionen € zu eröffnen. Meine Damen und Herren, dem- nächst kommt ein neues Highlight in Kassel dazu; denn da- (Norbert Schmitt (SPD): Vielleicht zur hessischen neben entsteht mit dem Neubau des Deutschen Tapetenmu- Glühweinkultur!) seums ein wirklich ganz herausragender Ausstellungsort Meine Damen und Herren, eine Reise durch Hessen macht für eine Spezialsammlung von Weltgeltung. besonders deutlich, wie breit dieses Kulturland aufgestellt (Beifall der Abg. Karin Müller (Kassel) (BÜNDNIS ist. Sie beginnt im Landesmuseum in Darmstadt – eines 90/DIE GRÜNEN)) der letzten großen Universalmuseen Europas, das das Land Hessen mit 80 Millionen € saniert und renoviert hat. Hier Im Untertitel werden wir natürlich auch schreiben, dass es finden Sie wirklich alles, von der naturkundlichen Samm- ein Museum für Raumkunst ist. Mit Landesmuseum, mit lung über den größten zusammenhängenden Werkkomplex Torwache, mit dem Museum für Tapeten und Raumkunst von Joseph Beuys bis hin zu den bedeutendsten Werken und mit der Murhardsche Bibliothek entsteht am Brüder- von Gerhard Richter. Grimm-Platz ein außergewöhnlicher kultureller Hotspot. Danach können Sie ins Staatstheater gehen, es ist mit sei- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE nen 50.000 m² nach Berlin und Frankfurt die drittgrößte GRÜNEN) Bühne Deutschlands. Dort gibt es mittlerweile fantastische Aufführungen, es wird Tolles dargeboten. Ich kann derzeit Eva-Maria Höckmayrs „Tosca“ empfehlen, eine Regisseu- Präsident Norbert Kartmann: rin, die kürzlich dort einen „Freischütz“ inszeniert hat, der Herr Kollege, die Redezeit ist eigentlich abgelaufen. es in sich hatte. Machen wir weiter mit der Reise, und zwar auf der hessi- schen Route der Romantik. Sie beginnt, wenn es dann so Boris Rhein, Minister für Wissenschaft und Kunst: weit ist, in Frankfurt im Deutschen Romantik-Museum, Herr Präsident, ich bedanke mich für den Hinweis. Ich unterstützt mit 4 Millionen € des Landes. Wenn es die werde so schnell wie möglich zum Ende kommen und das nicht gegeben hätte – ich will nicht über die Irrungen und eine oder andere überspringen. 6390 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

Ich will noch zu einer Zeitung des Deutschen Kulturrats Präsident Norbert Kartmann: kommen. Es ist eine interessante Zeitung, die der Kulturrat Nächster Redner ist Herr Abg. Schäfer-Gümbel für die herausgibt. Dort steht: SPD-Fraktion. Sie haben eine Minute mehr Redezeit. Die Hessen sind anders als die anderen Kinder. Im Hessischen Landtag z. B. geht es im Kulturpoliti- schen Ausschuss gar nicht um Kulturpolitik: … Die Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): „Kultur“, im landläufigen wie im kulturpolitischen Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kol- Sinne, beschäftigt stattdessen den Ausschuss für legen! Herr Minister, zunächst herzlichen Dank für Ihre Wissenschaft und Kunst … Erklärung. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob Sie sich Ja, das ist so, und es ist auch gut, dass es so ist; denn Wis- eben als Tourismusminister – in Nachfolge von welchem senschaft und Kunst sind zwei Seiten derselben Medaille: Geschäftsführer der Hessen-Agentur auch immer – bewer- Wer Kulturland sein will, der muss auch Künstler ausbil- ben wollten. den – und das tun wir. Wir investieren weiter als einfach (Heiterkeit bei der SPD) nur in die Kasseler Kunsthochschule, in die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, in die Hochschule für Ge- Bisher dachte ich, dass Ihnen wenigstens dieser Teil Ihrer staltung in Offenbach und eben nun auch in die Frankfurter Tätigkeit Spaß und Freude macht. Angesichts Ihrer Regie- Städelschule. Wir investieren im Rahmen der Fortschrei- rungserklärung bin ich mir da nicht mehr sicher. Die Re- bung des Hochschulbauprogramms HEUREKA, mit dem gierungserklärung, die Sie hier vorgetragen haben, hatte wir nicht nur hochschulpolitische, sondern auch kulturpoli- übrigens in ihrer Substanz nichts mit der Vorlage zu tun, tische Schwerpunkte setzen. Denken Sie an die beiden die Sie gestern Abend den Fraktionen zur Verfügung ge- Neubauten, die wir möglich machen, mit einem Volumen stellt haben. Das war das zweite Mal in Folge so. von jeweils 100 Millionen €, und die eine Ausstrahlung für (Beifall bei der SPD) die kulturelle Bildung und die Kulturlandschaft in Hessen insgesamt haben werden. Das ändert allerdings an der Qualität der Substanz nichts – ich werde dazu gleich im Detail kommen –; denn das Für uns bedeutet der Hochschulbau nicht nur die Zurverfü- Kernproblem des Entwurfs, den Sie uns allen gestern zur gungstellung funktionaler Infrastruktur, sondern er ist für Verfügung gestellt haben, ist im Vergleich zu dem, was Sie uns immer auch eine Stadt- und Strukturentwicklungsmaß- heute vorgetragen haben, nicht kleiner geworden. Es ist nahme. So folgt die Entscheidung für den Neubau der aber ein Hinweis darauf, dass es offensichtlich wieder ein- Kunsthochschule in Frankfurt unmittelbar der Idee des mal einen qualifizierten Hinweis – aus welcher Fraktion Museumsufers. Hier haben wir die Heimat der bildenden auch immer – darauf gegeben hat, dass das, was Sie Künste; dort werden die darstellenden Künste ihre Heimat gestern vorgelegt haben, zumindest nachbearbeitungsbe- haben. Die Einweihung – gemeinsam mit dem Ensemble dürftig war – wie damals bei Ihrer Regierungserklärung Modern, mit der Dresden Frankfurt Dance Company und zum Thema Wissenschaft. Ich will das sehr freundlich mit mit der Jungen Deutschen Philharmonie – wird eine Initial- Blick darauf sagen, dass wir kurz vor Weihnachten stehen zündung für ein kulturell geprägtes Stadtquartier sein, das und Weihnachten ein Fest des Friedens ist. seinesgleichen sucht. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung vorrangig bauliche Das Gleiche gilt selbstverständlich für den Neubau in Of- Maßnahmen beschrieben, die – aus meiner Sicht mit zwei fenbach. Auch dieser Neubau folgt einer kultur- und struk- Ausnahmen – im Wesentlichen im Konsens behandelt wur- turpolitischen Idee. Hier wird das Zentrum der Kultur und den. Das gilt für das Landesmuseum in Darmstadt, das gilt der Kreativwirtschaft sein. Der Nukleus – neben der Hoch- für die Museumssanierung in Wiesbaden, das gilt ganz schule Darmstadt – ist die Hochschule für Gestaltung in ausdrücklich auch für die Museumslandschaft in Kassel Offenbach, die Kreative und junge Künstler mit dem Neu- einschließlich der Gründung des documenta-Archivs. All bau anziehen und in diesem ausbilden wird. das sind Maßnahmen, die wir ausdrücklich unterstützen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- Das gilt auch für die Entwicklung im Bereich der Hoch- NISSES 90/DIE GRÜNEN) schulen. Ich finde, dass Hessen als Bundesland hier wirk- Ich will zum Schluss kommen. Wir alle müssen uns dar- lich extrem viel zu bieten haben. Das gilt für die Weiter- über im Klaren sein, dass die über Jahrhunderte gewachse- entwicklung des Kulturcampus, aber auch der Hochschule ne Kultur und die damit verbundenen reichen Bildungsan- in Offenbach, und das gilt für das Modellprojekt Kultur- gebote die entscheidenden Voraussetzungen für den wis- koffer, das Sie eben noch einmal beschrieben haben. Alle senschaftlichen Fortschritt, für wirtschaftliches Wachstum diese Maßnahmen werden von uns ausdrücklich unter- und für den sozialen Standard gewesen sind und dass dies stützt. nach wie vor so bleibt. Lassen Sie uns diese Tatsache im Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie in Ihrer Regierungser- Blick behalten und uns deshalb zum Wohl unserer Gesell- klärung gesagt haben, mit wem Sie in den letzten Monaten schaft gemeinsam für eine großzügige und umfassende Ge- und Jahren das eine oder andere Kulturprojekt besucht ha- staltung der hessischen Kultur einsetzen. Die Landesregie- ben. Gefehlt hat mir in Ihrer Aufzählung – dann wäre sie rung und die Koalition aus CDU und GRÜNEN haben be- vollständig gewesen –, welche Broschüren Ihr Ministerium wiesen, dass sie es so machen wollen. Ich glaube, dass sich veröffentlicht hat. das lohnt; denn Kunst und Kultur stiften, wie es im Titel dieser Regierungserklärung heißt, Identität, Verbundenheit Jetzt komme ich zu der etwas weniger freundlichen Be- und Vielfalt. schreibung Ihrer Regierungserklärung. Man könnte Ihre Regierungserklärung, die ja von einem Masterplan Kultur (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE ausgegangen ist – zu dem will ich am Ende meiner Rede GRÜNEN) ein paar Fragen stellen, etwas weniger versöhnlich, trotz Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6391 des Blicks auf Weihnachten –, so zusammenfassen, dass glaubt, den Anspruch „Kultur für alle“ in der Zukunft auch sie offensichtlich als Stichwortgeber für das aktuelle Pani- in der Fläche umsetzen zu können. Dabei will ich aus- ni-Album gedient hat, das wir heute Morgen in unserer drücklich sagen: Kultur ist für uns mehr als Staatstheater Pressestelle vorgefunden haben und das den Titel „Hessen und öffentliche Museen. sammelt Hessen“ trägt. Wahrscheinlich hat Ihnen Ihr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Staatssekretär, der ganz besonders fleißig Panini-Bilder LINKEN und der FDP) sammelt und tauscht, ein paar Hinweise gegeben. Ich muss Ihnen aber sagen: Mit einer Regierungserklärung hat das, Es geht dabei unter anderem um Kleinkunstbühnen und um was Sie hier in den letzten 25 Minuten zum Thema Kultur Kulturangebote in den Stadtteilen großer Städte und im vorgetragen haben, ziemlich wenig zu tun. ländlichen Raum. Es geht um die vielen privaten Kulturini- tiativen; denn Kultur ist ausdrücklich keine Sache nur des (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- öffentlichen Raums und öffentlicher Verantwortung. Unse- KEN) re Kulturlandschaft wäre nicht so reich, wenn es nicht viele Sie haben, um es politisch zu formulieren, zunächst alle kulturelle Initiativen gäbe. Sie haben beim Einstieg in Ihre Pressemeldungen der letzten vier Jahre Ihres Hauses zu- Rede übrigens viele Aristokraten als Förderer dessen ge- sammengefasst. Sie haben darüber hinaus keine einzige der nannt, was in Hessen an der Stelle passiert. Das fand ich derzeit für den Kultur- und Kunstbetrieb anstehenden Fra- besonders bemerkenswert. Insbesondere mit Blick auf die gen aufgerufen und beantwortet. Hätten Sie das ursprüngli- Freie Reichsstadt Frankfurt will ich sagen, dass einer der che Manuskript vorgetragen, hätte ich jetzt noch gesagt: wesentlichen Treiber der kulturellen Entwicklung das Bür- Beim Einstieg gab es eine gewisse Orientierungslosigkeit, gertum war. Auch dazu haben Sie nichts gesagt. als Sie über „Vielfalt und Identität“ geredet haben. Das ha- (Beifall bei der SPD) ben Sie heute dankenswerterweise weggelassen – aufgrund von Hinweisen, die, wie ich glaube, aus den Regierungs- Ich will es angesichts Ihres Beitrags nur erwähnt haben. fraktionen gekommen sind. Herr Minister, unter dem Stichwort „Kultur für alle“ will Daher will ich mich im Wesentlichen mit dem zweiten ich auch sagen: Es hat mich verwundert, dass Sie, z. B. mit Punkt beschäftigen, nämlich den Fragen, die sich derzeit Blick auf all die Leuchttürme, die Sie beschrieben haben, für den Kunst- und Kulturbetrieb stellen, auch und insbe- nicht auf so wertvolle Arbeit eingegangen sind wie auf die sondere in Hessen. Ich will das an sieben Punkten festma- Kulturlogen, die ähnlich wie Tafelprojekte dafür sorgen, chen, und ich kann jetzt schon sagen, dass ich dafür wahr- dass Menschen, die keine oder unzureichende finanzielle scheinlich keine 17 Minuten mehr brauchen werde. Möglichkeiten haben, sich trotzdem an kulturellen Ange- boten beteiligen können. Diese wachsen derzeit stark, weil Erstens. Herr Minister, Sie haben ausdrücklich darauf hin- es ein Bedürfnis gibt, sich kulturell zu bilden, sich einzu- gewiesen, dass es in den letzten Jahren eine Vielzahl wich- bringen und sich zu bereichern. Die Kulturlogen leisten da- tiger Investitionen in die Kultur gegeben hat. Ich habe das bei gerade in Hessen erfolgreiche Arbeit. eben gewürdigt. Ich will aber darauf hinweisen, dass sich diese Investitionen ganz wesentlich auf große Kulturinitia- Zur Frage der Soziokultur und der Stadtteilarbeit habe ich tiven und Kulturinstitutionen gerichtet haben und dass ins- eben schon eine Andeutung gemacht. Ich will nur exem- besondere kleinere Einrichtungen und Einrichtungen im plarisch auf die traditionelle Arbeit der soziokulturellen ländlichen Raum nicht im Fokus Ihrer Arbeit standen. Projekte im Rahmen der LAG Soziale Brennpunkte hin- Mich hätte schon interessiert, im Rahmen einer Regie- weisen, die unendlich viel mit der Identitätsstärkung von rungserklärung zu hören, wie Sie eigentlich das Verhältnis jungen Menschen gerade in abgehängten Stadtteilen und zwischen der Kultur in den Ballungsräumen und der Kultur Quartieren zu tun haben. Das spielte in Ihrer Regierungser- im ländlichen Raum in Hessen in den nächsten Jahren be- klärung keine Rolle. schreiben wollen. Deswegen sage ich Ihnen: Wenn Sie ernsthaft über einen (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- Masterplan nachdenken, wie Sie das im schriftlichen Ma- KEN) nuskript angekündigt haben, dann müssen Sie Ihre Orien- tierung auf die Leuchttürme in Hessen aufgeben und end- Herr Minister, das hat übrigens viel mit dem Thema Viel- lich einen breiten Kulturbegriff anwenden. falt zu tun. – Herr Jung, Sie können gerne nach vorne kom- men und etwas fragen. Ich würde gerne antworten; das (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der würde mich freuen. Abg. Nicola Beer (FDP)) Zweitens. Der Anspruch „Kultur für alle“, den Hilmar Kein Wort von Ihnen zu der anderen Seite der Medaille, Hoffmann als den programmatischen Anspruch der Kultur- wenn wir über Kultur für alle reden, nämlich zu der Frage, politik nicht nur für die kommunale Seite, sondern auch für die den Kulturbetrieb zurzeit besonders beschäftigt: „Kul- die Länder beschrieben hat und der inzwischen in der Re- tur von allen“, und zu der Frage, wie sich Digitalisierung gel von allen Kulturpolitikern aus allen Fraktionen öffent- als Chance zur Teilhabe von Menschen an Kultur und lich geteilt und unterstützt wird, ist – zumindest heute – Kunst auswirkt. Kein Wort dazu, es findet überhaupt nicht kritisch zu hinterfragen; denn faktisch erreichen die Kul- statt. Das ist aber das, was derzeit die kulturpolitischen De- turinstitutionen der unterschiedlichsten Art und der unter- batten landauf, landab bestimmt: wie diese Möglichkeiten schiedlichsten Ebenen nicht mehr als die Hälfte der Bürge- genutzt werden können – Sie haben das Thema Vielfalt be- rinnen und Bürger unseres Landes. wusst in den Titel Ihrer Regierungserklärung geschrie- ben –, damit sich Vielfalt in dieser Kultur ausdrücken (Heike Hofmann (SPD): Hört, hört!) kann, sich einbringen kann, damit Hemmschwellen zur Da der hessische Kulturminister in vielen Erklärungen ge- Teilhabe am kulturellen Betrieb sinken. sagt hat, dass er dieses Thema ernst nimmt, hätte ich in der Regierungserklärung schon gerne einmal gehört, wie er 6392 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

Vierte Bemerkung zu einem Thema, zu dem Sie ziemlich Ich will im Grundsatz ausdrücklich unterstreichen, dass wenig gesagt haben, das aber für Hessen eine zentrale Be- wir das unterstützen, was Sie zum Thema der kulturellen deutung hat. 65 % aller kulturellen Leistungen sind kom- Bildung gesagt haben. Das ist die zweite große Aufgabe munal finanziert. Hessen ist eines der Bundesländer mit neben der Digitalisierung, die den Kunst- und Kulturbe- dem mit Abstand höchsten kommunalen Anteil an der Kul- trieb in den nächsten Jahren deutlich stärker fordern wird. turfinanzierung. Das gilt übrigens auch für die Bildungseinrichtungen des Landes. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen: Es geht (Minister Boris Rhein: Nur Nordrhein-Westfalen dabei auch um die Zusammenarbeit von Kultur und liegt höher!) Schule. Das ist ein Thema, das deutlich entwicklungsfähig Deswegen will ich Ihnen sagen: Angesichts dessen, was ist, auch weil die kulturelle Bildung in den letzten Jahr- gelegentlich an Haushaltsauflagen aus dem Innenministeri- zehnten in den allgemeinbildenden Bildungsgängen deut- um kommt, was im Rahmen des Kommunalen Finanzaus- lich an Gewicht verloren hat. gleichs hier Gegenstand einer kritischen Debatte war, hätte Das kann man mehr als kritisch aufrufen, auch mit Blick ich mir ein paar Bemerkungen von Ihnen dazu gewünscht, auf die Frage: Welchen Einfluss hat kulturelle Bildung auf wie wir diesen kulturellen Reichtum langfristig sichern – die Art und Weise, wie wir zusammenleben, wie das ge- zum Thema kulturelle Bildung haben Sie mit zwei Neben- sellschaftliche Miteinander funktioniert, welche Kompe- bemerkungen etwas gesagt; dazu werde ich auch gleich tenzen junge Menschen in ihrem Bildungsweg mitbekom- noch etwas sagen –, wie wir der Aufgabe der kulturellen men, sich in einer vielfältigen liberalen Gesellschaft zu be- Bildung angemessen gerecht werden sollen, wenn die fi- wegen? Dort spielt kulturelle Bildung eine zentrale Rolle. nanziellen Möglichkeiten so unter Druck stehen, wie sie das in Hessen auf der kommunalen Seite tun. Kein Wort Allein die Haushaltszahlen zu definieren, dass Sie jetzt die dazu vom Kulturminister dieses Landes. Mittel knapp verdreifachen – das freut einen. Aber wir würden schon gerne stärker wissen, auch vom Kultusmi- (Beifall bei der SPD) nister, was das denn jetzt an Konsequenzen für die kultu- Dass wir es da auch mit Verteilungsfragen zu tun haben, ist relle Bildung in den Curricula der Schulen hat. Sind das klar. Ich will nur ein Beispiel dazu nennen, wie sich unter- außerschulische Projekte? Wird die Musikförderung, auch schiedliche Landesförderpolitik auf kommunale, Landes- die Zusammenarbeit von schulischer und außerschulischer wirkung entfaltende Kulturprojekte auswirkt. Sie haben Musikerziehung, intensiviert? Was heißt das denn für die eben zu Recht die Bad Hersfelder Festspiele angesprochen Förderung kommunaler Musikschulen? Was heißt das für – in der Tat Festspiele mit überregionaler Bedeutung, mit die unterschiedlichsten anderen Angebote, Literaturwerk- einer großartigen künstlerischen Leistung, die von vielen stätten, Theaterworkshops, soziokulturelle Zentren, all die- Menschen besucht werden, die von allen gewürdigt wer- se Gruppen, die einen so zentralen Beitrag für die kulturel- den, die inzwischen, wenn ich die Zahlen richtig sehe, mit le Bildung leisten? – Nichts. 777.000 € durch das Land gefördert werden, und das bei Sie werfen mit Haushaltszahlen und mit ein paar Leucht- 78.000 Zuschauern. türmen um sich, aber in der Sache, was Sie dort tun wol- Gleichzeitig wurden die Burgfestspiele in Bad Vilbel 2015 len, habe ich von diesem Landeskulturminister nichts ge- nur mit 10.000 € durch das Land unterstützt, und das, ob- hört. Deswegen: Wenn Sie hier über einen Masterplan Kul- wohl die Bad Vilbeler Festspiele mit 109.000 Zuschauerin- tur reden, hätten Sie dazu heute ernsthaft etwas sagen kön- nen und Zuschauern deutlich mehr Zuschauerinnen und nen. Aber auch das ist eine Leerstelle in Ihrer Regierungs- Zuschauer haben. Jetzt kann es sein, dass der Finanzie- erklärung. rungsbedarf der Bad Vilbeler Festspiele geringer ist. Aber (Beifall bei der SPD und der Abg. Nicola Beer ich will zumindest darauf hinweisen, dass man sich nicht (FDP)) auf einzelne Leuchttürme konzentrieren kann, wenn man als Landeskulturminister einen Beitrag zur Unterstützung Der zweite Teil der kulturellen Bildung ist die kulturelle der Kultur im gesamten Land leisten will. Integration. Auch das ist eine große Aufgabe, die sich dem Land in den nächsten Jahren stellt. Mit Blick auf die Aktu- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) elle Stunde, die wir am Donnerstag haben werden, will ich Abrunden will ich das mit dem Hinweis, dass die Brüder- heute nichts zur Frage von kultureller Integration und Grimm-Festspiele 2015 lediglich mit 12.500 € Zuschuss Staatsangehörigkeit sagen – und zu den Entscheidungen, unterstützt wurden, während dort immerhin 77.000 Zu- die auf dem CDU-Bundesparteitag gefallen sind. Darüber schauerinnen und Zuschauer waren. werden wir in dieser Woche noch im Detail zu reden ha- ben. Deswegen sage ich Ihnen: Wenn wir über Landeskulturpo- litik reden und nicht nur über einzelne Kulturprojekte, die Aber ich will schon noch einmal auf Ihr schriftliches Ma- man schön herausgreifen kann, die man beschreiben kann: nuskript zurückkommen, weil es für mich wirklich der be- „Das ist schön, was dort passiert, das ist gut, das ist wert- fremdendste Teil Ihrer ursprünglichen Regierungserklä- haltig, das ist eine Bereicherung für unser Land“, darf man rung war, die Sie jetzt am Ende nicht gehalten haben, aber nicht den Blick dafür verstellen, was dahinter passiert. die doch etwas zu der Grundhaltung sagt, mit der Sie an Man kann sich nicht auf Einzelprojekte berufen, wenn die das Thema herangehen. In Ihrem Eröffnungsteil der Regie- Strukturen nicht klar sind. Deswegen hätte ich gern mehr rungserklärung sprechen Sie davon, dass es so etwas wie zu Ihrem Masterplan Kultur gehört, was Sie eigentlich da- eine gemeinsame Kultur, eine Hessen-Identität gibt, ohne mit bezwecken, was die Ziele und Zwecke dieser Veran- sie näher zu beschreiben. In der Überschrift erklären Sie staltung sind. wiederum, es sei Vielfalt. Wenn Sie mit solchen Begriff- lichkeiten spielen, hätte ich von Ihnen als Landeskulturmi- (Beifall bei der SPD) nister erwartet, Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6393

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das hat er sich heute der Verleger insgesamt, sondern einer Teilgruppe – nicht Nacht überlegt!) in der Lage, den Weg frei zu machen, was dazu führt, dass wir, in einer sehr schwierigen Lage für die kleinen Verla- dass Sie auch einmal etwas dazu sagen, was das denn ge, auch bei der VG Wort im Moment nicht vorankommen. heißt: Welche Rolle spielen denn jetzt kulturelle Integrati- on und Vielfalt angesichts einer Geschichte des Landes, Damit will ich zum Ende kommen; ich habe jetzt doch die die wir in der Sondersitzung des Hessischen Landtags vor- Redezeit ausgeschöpft. Herr Minister, Sie haben uns in letzte Woche hinreichend gemeinsam gewürdigt haben, die dieser Debatte wenigstens ein Zitat von Ho Chi Minh er- vor allem eine Geschichte von Zuwanderung ist, die eine spart. Ich will das ausdrücklich nicht machen; denn, ehr- Geschichte von Einwanderung ist? Welche Rolle spielt das lich gesagt, zu den Beiträgen von Ho Chi Minh zu dem wiederum für die kulturelle Identität und die Art und Wei- Thema Kultur habe ich ein sehr distanziertes Verhältnis. se, wie sie sich verändert? Dass sie sich verändert, ist doch (Beifall bei der SPD) ganz offensichtlich. Aber gemessen an dem Anspruch an die Regierungserklä- Aber auch dazu hat der Minister – der Landeskulturminis- rung eines Landeskulturministers zur Zukunft der Kultur- ter – in seiner Regierungserklärung nichts gesagt. Das fin- politik war das, was Sie heute hier abgeliefert haben, ehr- de ich hochgradig bedauerlich; denn gerade eine solche lich gesagt, gar nichts. Das bedauere ich sehr, weil es ge- Regierungserklärung hätte eine riesengroße Chance gebo- nügend Themen gegeben hätte, die es wert gewesen wären, ten, dazu einmal etwas zu sagen, statt sich immer auf ein- einmal durch einen Landeskulturminister angesprochen zu zelne Leuchttürme zu beziehen und sich um die eigentli- werden. – Herzlichen Dank. chen Fragen herumzudrücken, die uns gerade, auch im ge- sellschaftlichen Miteinander, bewegen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Nächste Bemerkung. Der Minister sagte auch kein Wort Präsident Norbert Kartmann: zur sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstler ein- Das Wort hat Frau Abg. Feldmayer, BÜNDNIS 90/DIE schließlich der Verantwortung öffentlicher Kulturinstitu- GRÜNEN. tionen. Ich will jetzt nicht über den Mindestlohn reden und die Bedeutung des Mindestlohns für den Kunst- und Kul- turbetrieb; er war elementar. Ich will auch nicht so sehr Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): über die Frage reden, welche Möglichkeiten das Land hät- te, um beispielsweise zu fördern und zu unterstützen. Mög- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich licherweise – es gibt dazu, damit das in der Debatte gleich über die Rede des Kollegen Schäfer-Gümbel gerade etwas klar ist, keinen Haushaltsantrag. Ich will das nur problema- gewundert. Die SPD-Fraktion hätte jetzt 20 Minuten Zeit tisieren. Ich hätte aber eine Idee des Ministers dazu erwar- gehabt, um über ihre Vorstellung von einer guten Kultur- tet, ob es in Galerien so etwas wie eine Mindestvergütung politik für das Land Hessen zu reden. für Künstlerinnen und Künstler geben kann und welchen (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beitrag wir möglicherweise dazu leisten können, das anzu- der CDU – Zurufe von der SPD) schieben. Ich habe einen Punkt identifizieren können: Kultur für alle. Warum sage ich das? Ich sage das, weil in diesen Tagen Ich sage einmal, das ist nicht gerade das Neueste. Ich glau- wahrscheinlich auch viele von Ihnen von Schauspielerin- be, es ist seit Jahrzehnten Konsens in diesem Haus, dass nen und Schauspielern angesprochen werden, die mit Ih- Kultur für alle wichtig und richtig ist. Das leben die Staats- nen über die soziale Lage insbesondere derjenigen, die in theater und die Landesmuseen in Hessen; das ist nichts der freien Szene arbeiten, reden wollen. Die Bereicherung Neues. Die Menschen bemühen sich; sie haben ihre Thea- des künstlerischen Lebens in diesem Land hängt fast im- ter geöffnet. Das Bild Hochkultur versus Subkultur, das mer unmittelbar mit prekären Arbeits- und Sozialbedin- Sie gerade gezeichnet haben, stimmt nicht mehr. Das gibt gungen zusammen. Aber auch dazu hat der Landeskultur- es schon lange nicht mehr. Alle – die Intendanten z. B. – minister in dieser Regierungserklärung nichts gesagt, und bemühen sich darum, ihre Häuser zu öffnen. Diese Kultur auch das ist eine vertane Chance. für alle ist Konsens. Darüber brauchen wir uns doch gar (Beifall bei der SPD) nicht zu streiten. Meine Damen und Herren, das ist nichts Neues. Vorletzte Bemerkung. Ich hätte mir jedoch zumindest eine kurze Bemerkung des Landeskulturministers des Buch- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und lands Hessen gewünscht – Hessen ist mit der Frankfurter der CDU – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Buchmesse und den Verlagen doch so etwas wie das Bun- Warum redet der Minister nicht darüber?) desland des Buchs –: dass er etwas zu den aktuellen Aus- Einerseits habe ich mich darüber gefreut, dass Kollege einandersetzungen bei der VG Wort und den schwierigen Schäfer-Gümbel hier das Wort ergriffen hat. Andererseits Verhandlungen in Berlin sagt. war ich, wie ich zugeben muss, einigermaßen enttäuscht Ich sage Ihnen nämlich: Die Lösung, gerade in Bezug auf von dem, was die SPD in der Haushaltsberatung zum Ein- die Verwertungsgesellschaft, ist im Unionslager zu finden. zelplan 15 gesagt hat. Ich glaube, der Kollege Grumbach Es geht um eine einzige Änderung, die im Moment nicht hat der Kultur einen Halbsatz gewidmet. Wenn Sie sich auf den Weg gebracht werden kann, weil die Unionsseite hierhin stellen und erklären, was alles noch gemacht wer- das auf der Bundesebene blockiert. Gemeint ist das Urhe- den müsste, frage ich mich, wo eigentlich die Haushaltsan- bervertragsrecht. Da geht es um den indirekten Auskunfts- träge der SPD-Fraktion zum Thema Kultur waren. Habe anspruch von Urhebern. Die CDU/CSU-Bundestagsfrakti- ich da etwas übersehen? Liege ich da falsch? on ist aufgrund des Drucks einer einzelnen Gruppe – nicht (Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD)) 6394 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

Von Ihnen kam kein einziger Änderungsantrag. Dann stel- Wir müssen viel stärker darauf achten, dass wir die- len Sie sich hierhin und mäkeln und kritisieren an allem se heutige plurale, multikulturelle Gesellschaft auch herum, was gemacht wird. Ich muss sagen, das finde ich abbilden – ob in Zeitungen oder Büchern, auf Kino- nicht in Ordnung. leinwänden oder Bühnen. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Die Kunst sei ein nicht zu unterschätzendes Gegengift ge- bei Abgeordneten der CDU) gen jene gefährlichen Denkmuster, die ein sehr begrenztes Weltbild propagieren. Als Politikerinnen und Politiker Ich fand die Debatte auch ein bisschen virtuell. Ich meine, wollen und müssen wir alles dafür tun, dass diejenigen, die das ist ein Klischee: Die CDU steht für die Hochkultur, für bestimmen wollen, was und wer zu unserer Kultur gehört die Leuchttürme – okay, mag sein. Die GRÜNEN und die und was und wer nicht, in Hessen nicht die Bühne der Poli- LINKEN stehen vielleicht für die Subkultur und für ande- tik betreten können: dass diejenigen, die ausgrenzen und res – okay, mag sein. Aber ich finde, man muss ein eine trennende Kultur wollen, in Hessen nichts zu sagen bisschen realistisch sein und sich anschauen, was im Mo- haben. ment in diesem Bundesland tatsächlich in der Kultur pas- siert, und man muss sich wirklich anhören, was gesagt (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wird. Die Mittel für die Soziokultur werden verdoppelt, die Wir müssen klarmachen: In der Vielfalt liegen Gemein- Mittel für die freie Theaterszene werden verdoppelt, und samkeit und Stärke unserer Kultur. Das ist die hessische wir haben den Kulturrucksack geschaffen. Das Bild, das Kultur. Sie stellen wollen – Hochkultur versus Subkultur –, stimmt schon lange nicht mehr. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Vizepräsident Wolfgang Greilich über- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und nimmt den Vorsitz.) bei Abgeordneten der CDU) Kultur braucht hier und anderswo außerdem Freiheit und Wenn wir einmal ein bisschen von diesen Klischees und Offenheit gegenüber neuen Ideen. Ich denke, wir haben in Vorurteilen wegkommen, können wir hier eine gute kultur- den letzten drei Jahren hier in Hessen auch gezeigt, dass politische Debatte führen. Kulturpolitik bedeutet, etwas Neues auszuprobieren. Des- Ich möchte nicht den gleichen Fehler wie die Kollegen von halb freue ich mich, dass nicht nur die Förderung für die der SPD machen, sondern sagen, wofür die GRÜNEN in freien darstellenden Theater oder die Soziokultur verdop- der Kulturpolitik stehen. pelt werden konnte, wie wir es im Koalitionsvertrag von CDU und GRÜNEN festgeschrieben haben, sondern dass (Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD)) auch eine neue flexiblere Förderungssystematik für die So- Deswegen sage ich „Gut, geschenkt“ zu dem, was seitens ziokultur etabliert werden konnte. Das gibt mehr Freiraum der SPD hier vorgetragen worden ist, und möchte jetzt zu und mehr Spielraum. dem kommen, was wir wollen und was wir in Hessen rich- Ich möchte gern den Geschäftsführer der Landesarbeitsge- tig finden. meinschaft Kulturinitiativen und soziokulturelle Zentren in Meine Damen und Herren, unser Bundesland ist von Viel- Hessen, Bernd , zitieren: „Das Modellprojekt Sozio- falt in der Kultur geprägt. Hessens Kultur wird durch kul- kultur ist ein Meilenstein für die Förderung der Soziokultur turelle Vielfalt bereichert und weiterentwickelt. Diese in Hessen. Es ist die größte Errungenschaft auf Landesebe- Vielfalt ist Ausdruck und Spiegel unserer Identität. Egal ne seit der Einrichtung eines entsprechenden Landesetats wohin wir schauen, es ist wirklich schwer, echt hessische 1993.“ Kultur zu finden. Aber auch das neue Kulturkofferprojekt, mit 4 Millionen € Man muss sich einmal anschauen, wie es den Brüdern über die Legislaturperiode ausgestattet, öffnet neue Mög- Grimm mit ihrer Märchensammlung ergangen ist: Sie lichkeiten und schafft Freiräume im Bereich der kulturellen wollten ihre Märchen ursprünglich als „ächt hessisch“ – Bildung. Mit den aus dem Kulturkoffer finanzierten Pro- mit ä – bezeichnen. Dann haben sie festgestellt, dass die jekten wird insbesondere Kindern und Jugendlichen der meisten derjenigen, die ihnen Märchen geliefert haben, gar einfache Zugang zu Museen, Malerei, Film, Tanz und nicht aus Hessen waren, sondern dass es sich vor allem um Theater, Musik und anderen kreativen und künstlerischen Hugenotten handelte, die aus Frankreich eingewandert wa- Ausdrucksformen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem ren. Ich glaube, das geht uns oft so, wenn wir nachfor- Wohnort oder ihrem Umfeld ermöglicht. Also: Kultur für schen, woher unser kultureller Reichtum in Hessen alle. stammt. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der CDU) Unsere Opernhäuser und Theater sind die Orte, an denen Da müssen wir auch hinschauen: Was passiert in ganz Hes- Internationalität, Offenheit und Vielfalt gelebt und gezeigt sen, was passiert in den Ballungszentren, was passiert im werden. In den früheren Schlachthöfen der Städte musizie- ländlichen Raum? – Wir brauchen auch Konzepte für den ren, proben und experimentieren Menschen unterschied- ländlichen Raum, die mit den Menschen vor Ort erarbeitet lichster Herkunft generationen- und sprachenübergreifend. werden, wie beispielsweise die Künstlerresidenzen. Auch Unsere Filmfestivals sind Räume der Begegnung, der Of- das ist ein Projekt des Kulturkoffers. Das alles gibt es fenheit und der Toleranz. Unsere Kultur ist gelebte interna- schon. Da kommt die Kultur, da kommen die Künstler zu tionale Vielfalt. Das ist so, und das bleibt so. Es gibt kei- den Menschen, und sie machen etwas Neues direkt vor Ort nen kulturellen Einheitsbrei. Ich möchte Carolin Emcke, zusammen mit den vor Ort vorhandenen Ressourcen. Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Wir sorgen also dafür, dass nicht nur die Städte und Bal- zitieren. Sie sagt: lungsräume in Hessen gute kulturelle Angebote haben, Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6395 sondern auch der ländliche Raum. Hier leistet die Förde- Dass sich etwas verändert hat, merkt man, so glaube ich, rung durch den Kulturkoffer wirklich gute Hilfe. auch ein bisschen bei der Stimmung in der Kulturszene. Klar, mehr Geld ist immer gut. Die ungleiche Finanzierung (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der staatlichen Theater gegenüber den freien – geschenkt, der CDU) darüber müssen wir reden. Das ist so. Die Situation von Es gibt drei Bereiche, die ich identifiziert habe – vielleicht Künstlerinnen und Künstlern in Hessen muss weiter ver- sind es noch mehr –, wo es wirklich gelungen ist, so möch- bessert werden, aber natürlich. Aber auch da hat sich etwas te ich einmal sagen, einen Knoten zu durchschlagen. getan. Die Künstlerförderung wurde verdoppelt, und die Landesregierung hat nun einen Beauftragten, der hilft, Der erste Punkt, den ich da aufzählen möchte, ist die Be- Räume für Kreative und Kulturschaffende zu vermitteln. reitstellung der Mittel für die Hochschule für Musik und Es ist ganz wichtig für die Menschen, dass sie ein Atelier Darstellende Kunst von insgesamt 100 Millionen € für den finden, dass sie Proberäume finden und dass sie einen Ort Umzug auf den Kulturcampus in Frankfurt. Das macht den finden, wo sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen können. Weg frei für eine gute städtebauliche Entwicklung und Dafür gibt es jetzt einen Landesbeauftragten. Hier hat sich einen Kulturcampus, auf dem Kultur tatsächlich auch groß- also einiges getan. geschrieben wird. Da ist wirklich ein Knoten durchschla- gen worden. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU) An zweiter Stelle möchte ich die Aktivitäten – der Minister hat es schon erwähnt – der Landesregierung für das docu- Auf der Homepage des Deutschen Kulturrates – wahrlich menta-Archiv nennen. Ich weiß nicht, wie lange es schon kein unkritisches Gremium – kann man unter der Über- im Gespräch war, dass da etwas passieren muss. Dieses do- schrift „Das Land hat kulturpolitisch einen Lauf“ lesen: „In cumenta-Archiv soll zu einem unabhängigen Forschungs- Hessen bewegt sich was, und zwar nach vorne.“ institut umgewandelt und weiterentwickelt werden, damit (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die weltbekannte documenta zwischen den Ausstellungen bei Abgeordneten der CDU) erforscht werden kann und damit sie besser sichtbar wird, usw. Sie haben das noch viel besser ausgeführt, als ich das In diesem Sinne arbeiten wir engagiert weiter für eine viel- jetzt in aller Kürze tun kann. Wie lange ist das gefordert fältige und experimentierfreudige Kultur, die allen Men- worden? – Wir haben es endlich in dieser Legislaturperi- schen offensteht, die niedrigschwellige Zugänge hat, die ode umgesetzt. barrierefrei ist und Toleranz und Freiheit atmet. Vielfalt ist unsere Gemeinsamkeit in Hessen und ist unsere Stärke in (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Kultur. der CDU) (Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE Dritter Punkt. Hier habe ich wirklich das Gefühl, dass sich GRÜNEN und der CDU) da bei allen Beteiligten etwas löst und dass alle froh sind, dass da endlich etwas passiert. Das ist die Hessen Film und Medien GmbH. Ich glaube, das muss noch zu Udo Corts‘ Vizepräsident Wolfgang Greilich: Zeiten als Kunstminister gewesen sein, dass versucht wur- de, diese GmbH aufs Gleis zu setzen. Warum hat man das Vielen Dank, Frau Kollegin Feldmayer. – Für die Fraktion versucht, und warum haben wir das jetzt gemacht – Jahre DIE LINKE hat Frau Abg. Wissler das Wort. Bitte sehr. später? – Weil wir eine Filmförderung aus einer Hand wol- len, weil wir eine Filmförderung haben wollen, die eine gute Struktur hat, weil wir eine Filmförderung haben wol- Janine Wissler (DIE LINKE): len, die in den übergreifenden Dachverband Focus Germa- Herr Präsident, meine Damen und Herren! ny aufgenommen werden soll, um Hessen als Filmland na- tional und international besser vermarkten zu können. Entfremdet und entwürdigt ist nicht nur der, der kein Auch das ist geschafft worden. Auch das ist in dieser Le- Brot hat, sondern auch der, der keinen Anteil an den gislaturperiode in diesen drei Jahren umgesetzt worden. großen Gütern der Menschheit hat. Auch hier konnte der Knoten durchschlagen werden. Dieser Satz stammt von Rosa Luxemburg und sollte ein (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Leitmotiv in der Kulturpolitik sein. bei Abgeordneten der CDU) (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der Ich will nicht sagen, dass alles wunderbar und alles schon SPD) am Ende ist. Das ist nicht so, und es kann sich wirklich Der Zugang zu Kunst und Kultur bedeutet gesellschaftliche noch viel mehr verbessern. Das ist doch ganz klar. und demokratische Teilhabe und muss jedem Menschen (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das freut mich!) garantiert sein. „Kultur für alle“ hat das der ehemalige Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann genannt. Aber ich wollte wirklich diese paar Punkte aufzählen, bei denen sich etwas verändert und verbessert hat. Kultureinrichtungen sollten so konzipiert und finanziell ausgestattet werden, dass sie Ort des Austauschs und der (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja, akzeptiert!) Beschäftigung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit sein Ich finde, es ist doch legitim, dass man das bei einer Regie- können. Sie sollen Kenntnisse vermitteln. Sie sollen aber rungserklärung macht. auch durch kulturelle Aneignung und Bildung eine emanzi- pierte Sicht auf die gesellschaftliche Wirklichkeit eröffnen. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oder, wie es Antonio Gramsci ausdrückte: Kultur ist die – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Aber erschöpfen Zitat – „Inbesitznahme der eigenen Persönlichkeit und die sollte man sich darin nicht!) Erlangung eines höheren Bewusstseins“. 6396 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

Kunst und Kultur müssen die Freiheit haben, das Bestehen- (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der de infrage zu stellen, kritisch und unbequem zu sein. Für SPD) uns sind Kunst und Kultur kein Beiwerk und schon gar Eine Umfrage der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stif- kein Standortfaktor, als der sie manchmal genannt werden. tung unter Beteiligung von über 2.000 Künstlerinnen und Im Schlussbericht der Enquetekommission „Kultur in Künstlern kam zu dem Ergebnis, dass das Nettoeinkom- Deutschland“ ist zu lesen: men bei 40 % unter ihnen unter 10.000 € pro Jahr liegt. 70 % der Musiker, Tänzer und Schauspieler müssen unbe- Kultur ist kein Ornament. Sie ist das Fundament, auf zahlte Leistungen erbringen, besonders zu Beginn ihrer dem unsere Gesellschaft steht ... Es ist Aufgabe der Karriere. Politik, dieses zu sichern und zu stärken. Die Hälfte der Künstler gibt an, dass Schutzvorschriften In diesem Sinne ist es gut, dass wir heute einmal ausführ- wie das Arbeitszeitgesetz teilweise nicht eingehalten wer- lich über Kulturpolitik sprechen. Aber, Herr Minister, Kul- den. Tatsächlich – so sagt es diese Analyse – sei das soge- turpolitik bedeutet nicht, dass man einen Reiseführer vor- nannte Normalarbeitsverhältnis im künstlerischen Bereich liest. Es bedeutet nicht, dass man ein paar Vorzeigeprojek- eher die Ausnahme. Die Anzahl der Selbstständigen ist in te und Renovierungen benennt und dann noch ein paar den Jahren stark gestiegen, und eine Folge dieser unsteten Zahlen einstreut. Beschäftigungssituation ist die fehlende Vereinbarkeit von Trotz punktueller Verbesserungen z. B. beim Kulturkoffer, Familie und Beruf, die 60 % der befragten Künstlerinnen bei den freien Theatern und ganz besonders bei der Sozio- und Künstler beklagen. kultur bleibt die hessische Kulturförderung leider weit hin- Ich habe vor drei Jahren im Frankfurter Mousonturm eine ter dem zurück, was eigentlich nötig wäre. ziemlich spannende künstlerische Ausstellung über die so- (Beifall bei der LINKEN) ziale Situation von Künstlern insbesondere in der freien Theater- und Tanzszene gesehen, wo die Hälfte der Die Fördermittel in der institutionellen Förderung der ver- Schauspielerinnen und Schauspieler und der darstellenden schiedenen Verbände und Kultureinrichtungen sind zum Künstler arbeitet. Diese Ausstellung, die unter anderem Teil seit zehn Jahren nicht mehr angehoben worden. Sie auch von ver.di unterstützt wurde, hat eine Studie visuali- sollen auch in diesem Jahr nur für ganz wenige Einrich- siert, die auf einer Befragung von 4.400 professionellen tungen angehoben werden. Die Kosten für Energie, Bauun- Tanz- und Theaterakteuren basiert. terhaltung, Dienstleistungen und Gehälter steigen aber kontinuierlich. Die Kultureinrichtungen werden also von Diese Ausstellung hatte den Titel „Brenne und sei dank- der Landesregierung damit alleingelassen, und häufig ha- bar“. Dort wurde sehr eindrücklich die soziale Situation ben sie überhaupt keine andere Möglichkeit, als Angebote vieler Künstlerinnen und Künstler dargestellt. Danach be- zu kürzen oder zu streichen oder die Belastungen auf die trägt die Durchschnittsrente eines freiberuflichen Beschäftigten abzuwälzen. Schauspielers oder Tänzers, der 45 Jahre lang in die Künst- lersozialversicherung einbezahlt hat, sage und schreibe Insgesamt muss man davon sprechen, dass wir in Hessen 427,50 €. Das ist, wohlgemerkt, keine Ausnahme. Es ist eine schleichende Aushöhlung der kulturellen Förderung ein statistischer Mittelwert. erleben. Das gilt leider auch für die drei Staatstheater. Vie- le Einrichtungen bekommen nur kurzfristige Förderzusa- Das ist jetzt drei Jahre her; es kann sein, dass da 3,50 € gen im Rahmen der Projektförderung, was zu Unsicherheit draufgekommen sind. Aber im Grundsatz zeigt das, dass führt und jede langfristige Planung erschwert. Die Leidtra- viele Künstlerinnen und Künstler das Problem haben, dass genden dieser Unterfinanzierung sind die Menschen, über sie auf die Altersarmut zulaufen. Eine Durchschnittsrente die Sie leider gar nicht gesprochen haben, Herr Minister. von 427,50 € – dieser Wert ist nicht in Bulgarien erfasst Sie haben sie nicht einmal erwähnt. Das sind nämlich die worden, sondern in Deutschland, und zwar nach einem Kulturschaffenden selbst: die Künstlerinnen und Künstler. vollen Berufsleben, trotz überdurchschnittlicher Qualifika- tion. Knapp zwei Drittel dieser Menschen haben einen aka- (Beifall bei der LINKEN) demischen Abschluss. Ich finde, das sind Zustände, die Wenn immer stärker marktwirtschaftliche Prinzipien in überhaupt nicht hinzunehmen sind. Auch dazu hätten Sie Kultureinrichtungen Einzug halten und das Ziel ist, mit in Ihrer Regierungserklärung wenigstens ein paar Worte weniger Geld Leistungsfähigkeit und Effizienz zu steigern, finden können, Herr Minister. sind für die Kunst- und Kulturschaffenden die Folgen fatal, (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der nämlich die kontinuierliche Verschlechterung der Arbeits- SPD) und Lebensbedingungen. Hinzu kommt, dass 80 % der Freiberufler neben ihrer Es gibt gerade eine Aktion – Kollege Schäfer-Gümbel hat Kunst teilweise dann noch einer anderen Arbeit nachge- sie bereits angesprochen –: „40.000 Theatermitarbeiter hen, dass Frauen demnach ein Drittel weniger als Männer treffen ihre Abgeordneten“. Ich habe mich in dem Zusam- verdienen und 85 % der Künstlerinnen und Künstler ihre menhang mit zwei Schauspielerinnen getroffen. Ich habe Engagements mit Eigenmitteln unterstützen oder auf eine gesehen, einige von Ihnen haben das auch gemacht. Ziel angemessene Entlohnung verzichten. der Aktion ist es, auf die oft prekären und nicht angemes- sen bezahlten Beschäftigungsverhältnisse aufmerksam zu Deshalb: Wenn es im aktuellen Landeshaushalt Verbesse- machen. Unter 1.500 € netto für eine 48-Stunden-Woche rungen für die freie Kunst- und Theaterszene gibt, dann be- sind Realität für viele Schauspielerinnen und Schauspieler grüßen wir das. Aber die Mittel sind immer noch viel zu in diesem Land – trotz abgeschlossenem Studium. Herr knapp bemessen, damit diese Menschen zu vernünftigen Minister, ich hätte mir schon gewünscht, dass Sie auch da- Bedingungen ihrer sehr guten Arbeit nachgehen können. zu etwas sagen. (Beifall bei der LINKEN) Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6397

Kulturschaffende brauchen eine soziale Absicherung, sie tes Einzelprojekt. Aber es ist gar nicht darauf angelegt – brauchen eine angemessene Bezahlung. Aber dazu brau- das kann es gar nicht –, eine umfassende oder flächen- chen wir natürlich auch Theater- und Kultureinrichtungen, deckende Wirkung zu entfalten. Es bleiben Bausteine, wie die eine gute Finanzausstattung haben, damit solche Ver- Sie selbst auch in Ihrer Regierungserklärung gesagt haben. besserungen nicht zulasten des künstlerischen Etats gehen. „FLUX Theater und Schule“, der Kulturkoffer, das Projekt Die Zuschüsse – das habe ich gesagt – sind oftmals seit „JeKi – jedem Kind ein Instrument“ – das sind alles gute vielen Jahren eingefroren und gleichen nicht einmal die Projekte. Kostensteigerungen aus, die objektiv entstehen. (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja!) Daher liegt die Verantwortung natürlich auch beim Land, Es sind sogar so gute, dass sie schon längst keine Projekte dass wir gut finanzierte Kultureinrichtungen haben, die mehr sein, sondern flächendeckend und dauerhaft gesichert wiederum dafür sorgen, dass sie ihre Beschäftigten gut be- werden sollten: zahlen – unabhängig davon, ob das jetzt an den Staatsthea- tern ist oder in der freien Szene. (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD) Mindesthonorare und soziale Kriterien bei der Kulturförde- rung wären darüber hinaus sinnvoll. Entscheidend ist aber wirklich jedem Kind ein Instrument, jedem Kind die Mög- die angemessene Finanzierung. Es ist gut, dass Kultur- lichkeit zu geben, ein Instrument zu erlernen – völlig unab- schaffende sich mittlerweile organisieren, dass sie anfan- hängig vom Geldbeutel der Eltern. Das jetzige Projekt „Je- gen, Netzwerke zu gründen, dass sich viele schon seit vie- Ki“ wird in Zusammenarbeit mit den Musikschulen ge- len Jahren in Gewerkschaften organisieren und dass sie macht. Aber es kommt leider nur wenigen Schulklassen jetzt das Ensemblenetzwerk gegründet haben, das Arbeits- zugute, weil es vollkommen unterfinanziert ist. zeiterfassung, Gagentabellen, Freizeitausgleich, Überstun- denbezahlung, aber auch künstlerisches Mitspracherecht Meine Damen und Herren, wir hatten Anfang 2010 schon fordert. einmal beantragt, Kindern und Jugendlichen einen An- spruch auf freien Eintritt in alle staatlichen Museen und Prof. Dr. Wolfgang Schneider, Mitglied des Deutschen Theater des Landes zu gewähren. Kulturrates und unter anderem mit dem Hessischen Film- preis ausgezeichnet, schreibt zu diesem Thema: (Zuruf: Es ist auch so!) … Kulturpolitik sollte nicht allein den Kulturdezer- Diesem Antrag wurde damals von der Regierungsmehrheit nenten, Kulturverwaltern und Kulturräten überlassen nicht zugestimmt. Jetzt hat sich die Idee aber zumindest werden. Und das gilt auch für die Theaterpolitik. Die bei den Landesmuseen durchgesetzt, und ich will noch ein- Theaterlandschaft lebt von den Künstlern. Tanz- und mal betonen, dass freier Eintritt tatsächlich zählbare Aus- Theaterschaffende vereinigt euch – und seid in der wirkungen auf Besucherzahlen und -zusammensetzung hat. Kulturpolitik so mutig wie in der Kunst! Das hat sich in diesem Jahr in Hamburg gezeigt. Der Ham- (Beifall bei der LINKEN) burger Senat hat auf Anfrage der LINKEN bestätigt, dass durch den Monat des freien Eintritts in die Kunsthalle im Meine Damen und Herren, wenn wir über kulturelle Bil- Mai 2016 „neue Besuchergruppen für das Museum er- dung reden, reden wir über das Heranführen und die Teil- schlossen werden konnten“. Laut Senat haben habe von Kindern und Jugendlichen an Kunst und Kultur. Bereits 2002 beklagte eine unabhängige Kulturkommission Beobachtungen vor Ort und zahlreiche Gespräche … für Hessen die Vernachlässigung der musischen Fächer ergeben, dass das Angebot des freien Eintritts auch und der ästhetischen Erziehung im schulischen und vor- von vielen genutzt wurde, die sonst selten oder nie schulischen Curriculum. ein Museum besuchen: Der Anteil von Erstbesuche- rinnen und -besuchern wird auf mindestens 20 % ge- (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja!) schätzt. Was in Kindergärten und in der Schule nicht als kulturelles Herr Minister, auch für Museen und Theater, die Zuwen- Interesse angelegt wurde, sei später kaum mehr zu gewin- dungsempfänger des Landes Hessens sind, sollten Sie die nen. Die Kommission empfiehlt dem Land eine am skandi- Voraussetzungen schaffen, dass es einen freien Eintritt für navischen Beispiel orientierte Bildungs- und Kulturoffensi- Kinder und Jugendliche gibt. Die Voraussetzungen zu ve, die bestehende Strukturen stärkt und neue Projekte ent- schaffen bedeutet natürlich, dass man ihnen dann eventuell wickelt. fehlende Einnahmen kompensiert. Meine Damen und Herren, solche Projekte wären wirklich Mehr aber als freier Eintritt zählt, Kindern und Jugendli- einmal eine lohnende Aufgabe für die hessische Kulturpo- chen die Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Entfaltung der litik. Aber das ist leider weit und breit nicht zu erkennen. eigenen kulturellen Interessen zu geben. Freier Eintritt hilft ja nicht, wenn niemand hingehen möchte, weil das Interes- (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der se nicht besteht. Da ist natürlich die Frage, wie man auch SPD) in der Schulpolitik darauf hinwirken kann, z. B. dadurch, Die Wichtigkeit der sogenannten MINT-Fächer wird land- dass es jährlich in den Unterricht eingebundene Museums- auf, landab gerne betont. Aber dass viele Kinder keinen besuche für Schulklassen gibt, betreut von einer muse- Musikunterricht haben, ist offenbar in den Augen vieler umspädagogischen Kraft, dass jede Schulklasse einmal im gar kein Problem. Jahr ins Museum geht, dass es Kapazitäten bei Kinder- und Jugendtheatern, Kinos und Konzertveranstaltungen gibt, (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Oder fachfremd!) sodass Schulklassen regelmäßig und nicht einmal in einem Bildung ist aber mehr als Ausbildung. Der staatliche Bil- Schülerleben dort zu Besuch sind. dungsauftrag darf sich nicht selbst der ökonomischen Be- wertungslogik unterwerfen. Der „Kulturkoffer“ ist ein gu- 6398 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

Wir brauchen natürlich den Ausbau gebundener Ganztags- Sie sind Ort der Begegnung, sie sind Ort von Debatten. Ich schulen mit entsprechenden Angeboten und das dafür not- finde es schön, dass die kommunalen Kinos wieder den wendige und qualifizierte Personal an den Schulen. Hessischen Film- und Kinopreis erhalten haben. Aber das alleine reicht nicht zur Unterstützung dieser wichtigen kul- Meine Damen und Herren, ich will noch einige Sätze zu turellen Infrastruktur. den Museen sagen. Die wenigen Vergleichszahlen, die zu den Ausgaben für Museen vorliegen, deuten klar darauf Meine Damen und Herren, Kulturfinanzierung ist eine öf- hin, dass Hessen auch hier mehr tun könnte und sollte. So fentliche Aufgabe und eine Frage demokratischer Ent- lag Hessen im Vergleich der Bundesländer bei den Pro- scheidungen. Das heißt, sie darf nicht abhängig sein von Kopf-Ausgaben für die Museen 2011 nur an neunter Stelle Mäzenatentum oder Sponsoring. Kultur muss sich nicht und unter dem Durchschnitt aller Bundesländer. rechnen. Sie muss auch nicht vor Finanzabteilungen von Unternehmen bestehen. Dafür ist eine öffentliche Förde- Für die Landeshaushalte 2015 und 2016 hatten wir bereits rung von Kultur unabdingbar. Privates Engagement ist er- beantragt, die Museumsförderung an den tatsächlichen Be- wünscht, aber keinesfalls als Ersatz für das öffentliche. darf anzupassen. Wie Sie wissen, übernimmt der Hessische Museumsverband in Hessen wesentliche Leistungen, die in Herr Minister, die Zahlen der Besucherinnen und Besucher anderen Bundesländern von staatlichen Stellen geleistet in den Landesmuseen, die Sie hier dargestellt haben, sind werden. Dafür erhält er unserer Meinung nach eine völlig in der Tat beeindruckend. Ich warne aber sehr davor, Kul- unzureichende finanzielle Förderung. Der Hessische Muse- tur allein oder auch nur zuvorderst an den Zuschauerzahlen umsverband muss jährlich die Förderanträge hessischer zu messen. In dieser Logik wäre dann Mario Barth der Museen in gleicher Höhe zurückweisen, wie er Förderun- größte Kulturschaffende Deutschlands. – Ich glaube, das gen gewähren kann, von einem erforderlichen Ausbau der sehen wir alle nicht so. Angebote ganz zu schweigen. Wir bräuchten eigentlich (Stephan Grüger (SPD): Hört, hört!) viel mehr kulturelle Bildung vor Ort durch Museumspäd- agoginnen und Museumspädagogen. Oder, wie die Kabarettistin Christine Prayon einmal mit Blick auf ihn gesagt hat: „Comedy bedient … Klischees, Deswegen schlagen wir einmal mehr vor, die Mittel für die Kabarett bekämpft … [sie].“ Ich finde, das ist eine sehr Projektförderung für die Museen in Hessen dem tatsächli- schöne Unterscheidung dieser beiden Sparten. chen Bedarf anzupassen. Das würde bedeuten, sie zu ver- doppeln. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, viele Kultureinrichtungen, ob Museen, Bibliotheken, Theater oder kommunale Kinos, Meine Damen und Herren, bereits erwähnt hatte ich, dass sind bedroht durch die Unterfinanzierung der Kommunen. wir die Aufstockung der Mittel für die Soziokultur und die Der Leitfadenentwurf des Innenministeriums aus dem Jahr weitgehende Eigenverantwortung der LAKS bei der Ver- 2011 für Kürzungsmaßnahmen in den Schutzschirmkom- gabe begrüßen. Aber leider habe ich, Herr Minister, in Ih- munen zeigte nicht gerade die Wertschätzung der damali- rer Regierungserklärung vermisst, dass Sie die Literatur gen Landesregierung für Kunst und Kultur – um es vor- und die Bibliotheken in Hessen erwähnt haben. Das ist, sichtig zu sagen. glaube ich, kein Zufall, das ist programmatisch. Denn die hessische Literaturförderung ist im Bundesvergleich deut- Zu kommunalen Museen, Bibliotheken, Musikschulen und lich unterfinanziert. Auch die Zuschüsse an die Bibliothe- Theatern war dort zu lesen, die Kommunen sollten Zu- ken sind seit Jahren eingefroren, obwohl die Bibliotheken schüsse reduzieren, beim Anschaffungsetat kürzen. Sie die meistgenutzten Einrichtungen der kulturellen Bildung sollten Werke aus Sammlungen veräußern, Eintrittspreise sind und das Buch gerade für Hessen eine ganz besondere erhöhen, ermäßigte Karten abschaffen, Hauptamtliche Bedeutung hat. Darauf haben Vorredner schon hingewie- durch Ehrenamtliche ersetzen, Öffnungszeiten reduzieren, sen. Einrichtungen schließen oder am besten alles gleich auf Dritte übertragen – sprich: privatisieren. Und die kommu- Über die Filmförderung haben Sie kurz gesprochen. Ich nalen Kinos sollten sich auf umsatzstarke Filme konzen- bleibe da etwas skeptisch, weil die tatsächlichen Ergebnis- trieren. se der Neustrukturierung der hessischen Filmförderung ab- zuwarten bleiben. Ich finde aber: Wenn wir über das Film- Jetzt frage ich mich gerade: Wer war 2011 noch gleich In- land Hessen reden, sollten wir auch über die Orte reden, an nenminister, Herr Rhein? denen Filme verwahrt und vor allem auch, wo sie gezeigt werden. (Zurufe von der LINKEN und der SPD: Ah! – Zuruf des Ministers Boris Rhein) Erfreulich finden wir, dass die Murnau-Stiftung, die gerade ihren 50. Geburtstag gefeiert hat, in die institutionelle För- Es ist immer blöd, wenn man mir nicht zuhört, dann ver- derung des Landes übernommen wurde. Wir halten es für passt man etwas. richtig, dieses einmalige und international höchst bedeutsa- (Heiterkeit – Minister Boris Rhein: Ich bitte um Ver- me Filmarchiv langfristig zu sichern und dauerhaft finanzi- zeihung!) ell aus Landesmitteln zu fördern. Es freut mich ausdrücklich, dass Sie mittlerweile eine hö- Wichtige Kultureinrichtungen sind aber auch die kommu- here Wertschätzung für Kunst und Kultur haben und darin nalen und nicht kommerziellen Kinos in den hessischen mittlerweile offensichtlich mehr als Einsparpotenzial se- Städten, vor allem aber im ländlichen Raum in Hessen. Sie hen. Das ist eine gute Entwicklung. Aber ich wollte Sie an sind oft viel mehr als Kinos. das erinnern, was damals von Ihrem Ministerium herausge- (Beifall bei der LINKEN) geben wurde. (Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Diese Ironie!) Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6399

Besser wäre es noch, wenn Kunst und Kultur endlich (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der Pflichtaufgaben der Kommunen wären. Dann müsste das SPD) Land sie finanzieren. So aber sind Kunst und Kultur frei- willige Leistungen, und sie können bei Bedarf weggekürzt werden, wenn die Haushaltslage es nicht anders zulässt. Vizepräsident Wolfgang Greilich: Insbesondere dazu hätte ich mir von Ihnen etwas ge- Vielen Dank, Frau Wissler. – Als Nächste spricht Kollegin wünscht, aber auch zu der Frage, wie ein Ausgleich zwi- Nicola Beer für die Freien Demokraten. Bitte sehr. schen Stadt und ländlichem Raum aussehen könnte. Wie schaffen wir es, Kultureinrichtungen im ländlichen Raum zu sichern und zu erhalten? Denn auch das macht Lebens- Nicola Beer (FDP): qualität im ländlichen Raum aus. Dazu haben Sie leider nichts gesagt. Sie haben sich auf wenige Leuchttürme – so Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! nennen Sie das, glaube ich – beschränkt, und das finde ich Kunst und Kultur sind für die Bürgerinnen und Bürger je- bedauerlich. des Landes von zentraler Bedeutung. Nach dem Verlauf der Debatte glaube ich, doch noch einmal darauf hinweisen Meine Damen und Herren, der Frankfurter Kulturwissen- zu müssen, warum das so ist. Das ist so, weil sie maßgeb- schaftler Dieter Kramer, der sachverständiges Mitglied der lich zur Identitätsbildung, zur Lebenserfüllung, zur Selbst- Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ des Deut- findung jedes Einzelnen sowie zur Selbstreflexion einer schen Bundestages war, hat einen Kerngedanken der Kul- Gesellschaft beitragen. turpolitik wie folgt auf den Punkt gebracht: Genau deswegen möchte ich heute in meinem Beitrag Kultur ist nicht nur, wie der ganze Mensch lebt und nicht mit Zahlen des Haushalts und mit sich überbietenden arbeitet, sondern auch, wie wir leben wollen. Beträgen um mich werfen. Ich habe auch Probleme mit Beide darin enthaltenen Gedanken gehen weit über das dem vielen Eigenlob, das hier durch den Raum wehte, vom Minister Vorgetragene hinaus. (Beifall bei der FDP) (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Wohl wahr!) auch wenn Weihrauch durchaus zur Weihnachtszeit passt. Der Gegenstand von Kulturpolitik erscheint in dieser Re- Vielmehr will ich einmal mit etwas anderem anfangen. Ge- gierungserklärung als eine Ansammlung von Einrich- rade wenn man die Auffassung hinsichtlich der grundsätz- tungen, die in dieser oder jener Weise renoviert, ausgebaut lichen Bedeutung der Kunst und Kultur teilt, so wie wir oder umstrukturiert werden. Das fällt weit hinter den um- das empfinden, möchte ich damit beginnen, mich bei de- fassenden Kulturbegriff zurück, der sich in den letzten nen zu bedanken, die mit ihrem Beitrag als Künstlerinnen Jahrzehnten längst durchgesetzt hat. Schon gar nicht taucht und Künstler, als Kulturschaffende in Hessen und darüber die zentrale Rolle auf, die Kunst und Kultur bei der gesell- hinaus, Herr Minister, nicht nur in den letzten 70 Jahren, schaftlichen Verständigung darüber spielen, wohin sich die sondern in weiter zurückreichenden Zeiten, aber auch gera- Gesellschaft entwickeln soll. de in der Gegenwart, einen großen Beitrag zu unserer Ge- sellschaft geleistet haben. Ich möchte mich schlicht einmal Kunst, kulturelle Bildung, Erinnerungskultur sind Grundla- bedanken und sie für ihre Arbeit würdigen. Denn ich glau- gen einer lebendigen Demokratie. Ich sage: Dazu braucht be, diese Arbeit kann nicht hoch genug gepriesen werden. es eine Ermöglichung von Teilhabe an Kultur unabhängig von Geldbeutel, Herkunft und Bildungsgrad. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Hans-Jürgen Ir- mer (CDU), Heike Hofmann (SPD) und Janine (Beifall bei der LINKEN und der Abg. Heike Hof- Wissler (DIE LINKE)) mann (SPD)) Das sind alles Menschen, Frauen und Männer, die sicher- Ich komme zum Schluss. – Ich will noch eines hinzufügen: lich oft genug gegen den Ratschlag der eigenen Eltern oder Kulturelle Vielfalt kennt keine Leitkultur und keine natio- den von Freunden und Bekannten an ihren Traum glauben. nale Enge. Kunst und Kultur sind geprägt von immer neu- en Einflüssen, von internationalem Austausch und dem (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das stimmt!) Überwinden von Grenzen. Kunst und Kultur reflektieren Sie wollen als Kulturschaffende sowie als Künstlerinnen gesellschaftliche Entwicklungen. Sie hinterfragen sie, und und Künstler in unserer Gesellschaft wirken, und zwar sie haben in vielen emanzipatorischen gesellschaftlichen nicht nur für sich. Vielmehr wollen sie für diese Gesell- und sozialen Bewegungen eine wichtige Rolle. schaft etwas bewirken und das – die Kolleginnen und Kol- legen Vorredner haben es schon genannt – häufig unter sehr schwierigen Bedingungen. Vizepräsident Wolfgang Greilich: Deswegen möchte ich noch einmal daran erinnern, wie Jetzt aber wirklich, bitte, Frau Kollegin. wichtig es ist, dass wir mit Art. 62 Hessische Verfassung ein Kulturstaatsgebot haben. Daraus erwächst der Auftrag – ich sage jetzt einmal nicht nur für die Landesregierung Janine Wissler (DIE LINKE): und die Abgeordneten, sondern für uns alle in Hessen –, Deshalb letzter Satz: Kunst und Kultur sind nicht dazu da, Kunst und Kultur angemessen zu unterstützen. dass sich eine Landesregierung damit schmücken kann – Herr Minister, mit Blick auf die Rede von Ihnen ist es, so den Eindruck konnte man bei der Regierungserklärung ein denke ich, doch noch einmal notwendig, darauf hinzuwei- bisschen gewinnen –, sondern Kunst ist gesellschaftliche sen, dass zu einer solchen Unterstützung und zu solchen Teilhabe, ist Demokratie. Deswegen: Kunst für alle, von kulturpolitischen Aufgaben nicht nur die Bewahrung des Anfang an. – Vielen Dank. kulturellen Erbes zählt. Vielmehr gehören dazu auch die Sicherstellung eines Umfeldes zur freien Entfaltung künst- 6400 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 lerischer Aktivitäten und die Weiterentwicklung der kultu- Erachtens bieten sie wie kaum eine andere Materie die rellen Vielfalt. Es geht um die Schaffung von Räumen, ge- Chance, als Triebfeder für unsere zivilgesellschaftlichen rade für neuartige experimentelle Kunst- und Kulturfor- und wirtschaftlichen Entwicklungen zu dienen. Genau des- men, sowie um den möglichst freien und zielgruppenüber- wegen müssen wir uns bewusst sein, dass es immer wieder greifenden Zugang zu kulturellen Inhalten. neue Anforderungen an Kunst und Kultur gibt. Wir müssen deswegen immer wieder neue Modelle, Projekte und An- In der Debatte fehlt mir auch noch, dass die Kulturland- gebote entwickeln, damit diese Triebfeder weiterhin erhal- schaft nicht nur vom öffentlichen Kulturbetrieb lebt. Viel- ten bleibt. mehr haben wir noch zwei weitere Säulen, nämlich den ge- meinnützigen und auch den wirtschaftlichen Kulturbetrieb. Ich werde deswegen jetzt schlichtweg darüber hinwegse- Unser Kulturbetrieb und unser kulturelles Leben leben hen, dass in der Regierungserklärung, die wir hier vernom- ganz besonders von einem hohen gesellschaftlichen und men haben, wieder nur die üblichen Verdächtigen genannt ehrenamtlichen Engagement, das mit dazu beiträgt, dass wurden. Herr Minister, wir alle unterstützen das. Das be- die Freiheit der Kunst und der Kultur gewahrt bleibt. Für trifft die Landesmuseen, die Staatstheater und die sonsti- mich als Freie Demokratin ist das ein unverzichtbares Gut gen Prestigeobjekte, die Sie aufgeführt haben. Da geht es für alle Bürgerinnen und Bürger. auch um die Erhöhung der Haushalte. Wir hätten uns an der einen oder anderen Stelle noch etwas anderes vorstel- Das ist etwas, von dem wir nicht nur mit Blick auf die Ver- len können. Das ist alles schön und gut, aber in meinen gangenheit sagen können, dass es häufig angegriffen wur- Augen zu kurz gesprungen. de. Wenn wir in die Gegenwart einiger Staaten schauen, sehen wir, dass es auch heute notwendig ist, darauf hinzu- Ich will zwei Bereiche herausheben, an denen ich das deut- weisen, dass die Freiheit der Kunst und Kultur nicht einge- lich machen will. Zum einen betrifft das die Literatur. Aber schränkt werden darf. Das gilt nicht nur, weil wir unseren ich werde auf etwas anderes als das eingehen, was Frau Schiller gelesen haben, der herausgestrichen hat, dass Kollegin Wissler und Herr Kollege Schäfer-Gümbel ange- Kunst eine Tochter der Freiheit ist. sprochen haben. Ich sage das nicht nur, weil wir ein Litera- turland und ein Buchland sind. Wir haben dafür eine ganz (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Heike Hofmann besondere Verantwortung. Wir sollten deutlich machen, (SPD) und Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE dass die Literatur in unserem Land und weit darüber hinaus GRÜNEN)) sehr aktuell Brücken zwischen der Historie und der – sagen Deswegen halte ich es für notwendig, einen weiteren As- wir einmal so – häufig auch beängstigenden Gegenwart pekt hinzuzufügen, nämlich den des Brückenschlags zwi- schlagen kann. schen der Vergangenheit und der Gegenwart und zwischen Hessische Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Übersetze- dem, was Historie und was aktuell ist. Herr Minister, denn rinnen und Übersetzer, Verlage und Buchhandlungen tra- gerade das gelingt Kunst und Kultur ausgesprochen gut. gen an sehr herausgehobener Stelle mit dazu bei, dass die Da kann in dem Sinne, wie Sie es in der Überschrift Ihrer Freiheit des Wortes nicht verhandelbar ist. Herr Minister, Regierungserklärung angedeutet haben, die Identität, auch das wurde auch auf der Buchmesse in diesem Jahr wieder die hessische Identität, aufgebaut, das Zusammenleben be- herausgestellt. reichert und auch gefestigt werden. Aufgrund der begrenzten Redezeit kann ich nur einige we- Genau deswegen ist es richtig und notwendig, dass sich nige Institutionen und Organisationen nennen. Die Frank- Kulturschaffende und kulturelle Institutionen heute aktiv in furter Buchmesse und die Schriftstellervereinigung PEN die Bewältigung aktueller Problemlagen einbringen. Sie tragen mit dazu bei, dass Leute wie Salman Rushdie letztes leisten Beiträge zur Integration, zur Prävention und zur Jahr und Can Dündar und Elif Shafak dieses Jahr auf der kulturellen Bildung, und zwar unabhängig davon, über Buchmesse weiter dafür kämpfen und deutlich machen welche Altersgruppen, welche Bildungsabschlüsse, Natio- konnten, wie wichtig es ist, dass die Freiheit des Wortes nalitäten oder Religionen wir sprechen. Sie leisten diese und die Freiheit der Kunst nicht unter die Räder geraten. sehr große Aufgabe in unserer und für unsere Gesellschaft. Wir alle wissen, in wie vielen Regionen unseres Erdballs (Beifall bei der FDP) genau das passiert. Es werden immer mehr Regionen. Lie- ber Boris Rhein, da wäre der Einsatz eines Kulturministers Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, damit leisten sie wichtig. Das wäre gerade da nötig gewesen. weit mehr, als vielen Menschen – ich glaube, auch vielen Menschen in unseren Reihen – häufig bewusst ist. Denn (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD Kunst und Kultur sind weit mehr als nur ein Schaufenster. sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE)) Sie sind ein Bildungs- und manchmal sogar ein Sozialbe- Ich will einen zweiten Bereich herausgreifen, der heute in trieb. der Diskussion unterrepräsentiert war. Das ist die Musik. Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist: Gestern gab es Wir haben in Hessen ein facettenreiches Angebot an eine dpa-Meldung, die aktuell über die Ticker lief. Darin Staats-, Landes- und Stadttheatern, Orchestern, Big Bands, wurde noch einmal herausgestellt, dass kulturelle Bildung Ballettensembles, Opernhäusern, Musikfestivals und Fest- die beruflichen Chancen steigert. Das ist nämlich genau spielen. Ich glaube, gerade die Musik und die vielen jen- deswegen der Fall, weil es um kompetenzübergreifende in- seits der klassischen großen staatlichen Angebote existie- terdisziplinäre Ansätze geht. Zum fachlichen Können tre- renden Initiativen sind ein exzellentes Beispiel für die ten soziale Kompetenzen hinzu, die sich positiv auf die Be- Nachwuchsförderung in unserem Land. fähigung zur Berufsausübung auswirken. Wenn ich einmal an das Frankfurt LAB denke: Herr Minis- Damit geht es sowohl um die künstlerische Auseinander- ter, das ist eine Einrichtung, die jetzt gerade auf den letzten setzung und Darstellung als auch darum, dass Kunst und Drücker wieder für einen Kurzzeitraum finanziell abgesi- Kultur wirken, und zwar sichtbar und unsichtbar in allen chert wurde. Sie ist aber immer noch nicht langfristig fi- gesellschaftlichen Bereichen und Themengebieten. Meines Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6401 nanziell abgesichert. Ich denke an das Tanzlabor 21 oder selbst künstlerisch tätig zu werden, möglich machen. Oder auch die Kronberg Academy, an die Junge Deutsche Phil- auch die speziellen Veranstaltungen des Städels mit De- harmonie oder das internationale Ensemble Modern – dort menzkranken: Es ist letztendlich einfach erwiesen, dass wird Nachwuchsförderung gleichzeitig mit Austausch und Kranke und insbesondere auch Demenzkranke einen un- Dialog mit wichtigen Regionen rund um den Erdball ver- glaublichen Vorteil in ihrer Lebensgestaltung dadurch ha- bunden, auch mit Regionen, wo Kunst und Kultur sowie ben, dass sie fit gehalten werden und über Kunst und Kul- die Freiheit der Künstlerinnen und Künstler unter Druck tur Anregungen bekommen. Damit können auch die Aus- stehen, so wie das z. B. die Junge Deutsche Philharmonie wirkungen ihrer Krankheit gemindert werden. mit ihren Aktivitäten in Richtung Osteuropa oder auch mit Der Wiesbadener gemeinnützige Verein oscar sollte noch anderen Regionen unseres Erdballs betreibt. erwähnt werden, der mit Film- und Theaterprojekten Kin- Herr Minister, gerade die Musik ist doch die einfachste dern und Jugendlichen die Möglichkeit gibt, ihr Selbstbe- und unkomplizierteste Form, um von Anfang an einen Zu- wusstsein und ihre Persönlichkeit zu stärken, Herr Minis- gang zu Kunst und Kultur zu finden. Initiativen wie Prima- ter, auch weil ich anmahnen möchte, dass – nachdem die canta hätten doch längst dazu dienen müssen – ich will Ih- Stärkung des darstellenden Spiels neben Musik und Kunst nen das sagen, weil ich Ihnen das schon häufiger ans Herz in unseren Schulen gelungen ist – die Schaffung eines gelegt habe –, hier in der Hochschulausbildung von Lehre- Lehramtsstudiengangs für diesen Bereich immer noch aus- rinnen und Lehrern weit grundständiger einzusteigen. steht. Dieser hätte in Gießen schon längst gegründet wer- Denn wir alle miteinander wissen, wie erfolgreich Projekte den können, wenn Sie an dieser Stelle zum Kunstminister sind, in denen Kinder von klein auf erleben, dass sie ohne auch den Wissenschaftsminister hinzunähmen und Ihr jegliches weiteres Zubehör, das teuer erworben werden Herz ein bisschen über die Hürden werfen könnten, muss, selbst und mit anderen zusammen Musik und damit (Beifall bei der FDP und des Abg. Thorsten Schäfer- Kunst und Kultur gestalten können. Gümbel (SPD)) Meine Damen und Herren, ich glaube aber, es ist auch der auch weil wir aus den Gesprächen mit so vielen dieser pri- Ort und die Zeit, darauf hinzudeuten, dass Hessens Kultur- vaten, ehrenamtlich geführten Initiativen wissen, dass es landschaft insbesondere auch von den vielen kleinen, re- ein immer größeres Problem sein wird, Spenden oder gionalen und nicht ständig in der öffentlichen Wahrneh- Sponsoringtätigkeiten zu akquirieren. mung herausgehobenen Angeboten lebt. Frau Kollegin Wissler, ich bin da, ehrlich gesagt, völlig an- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Thorsten Schä- ders unterwegs als Sie. Ich glaube, dass die meisten, die fer-Gümbel und Marius Weiß (SPD)) über Spenden oder Sponsoringbeiträge Kunst und Kultur Das sind Angebote, die vielleicht deswegen häufig überse- gerader kleinerer Initiativen fördern, nicht nur darauf hen werden, weil sie sich an spezielle Zielgruppen richten. schauen, ob sich das rechnet, Das ist aber nicht weniger bedeutsam für das Zusammenle- (Janine Wissler (DIE LINKE): Doch, da gibt es eine ben in einer Gesellschaft. Wenn wir z. B. sehen, dass im Umfrage!) Jahr 2015 jugendliche Häftlinge aus Wiesbaden den Publi- kumspreis der Hessischen Theatertage bekommen, dann sondern wissen, dass das für eine Gesellschaft unglaublich können wir feststellen, wie erfolgreich Kunst und Kultur in wichtig ist. Letztendlich kommen wir aber allein aufgrund der Resozialisierungsarbeit eingesetzt werden. immer weiterer Verschärfungen steuerrechtlicher und an- derer Reglementierungen dazu, solche Aktivitäten nahezu (Heike Hofmann (SPD): Richtig!) abzuschaffen, weil es durch die damit verbundenen Um- Wenn wir sehen, wie z. B. der NINO-Kulturbus in Mittel- stände und die Unterstellungen quasi im Hinblick auf Steu- hessen zusammen mit der dortigen Flüchtlingshilfe und erschlupflöcher oder anderes unattraktiv wird, sich als Pri- dem Bundesverband Leseförderung ein Angebot für vater noch in diesem Maße mit Spenden oder Sponsoring Flüchtlinge schafft, um sie an die neue Kultur in ihrer neu- zu engagieren. Herr Minister, das wäre ein Ansatzpunkt, en Heimat heranzuführen, wenn wir sehen, wie das Atelier wie Sie die Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur in Goldstein zusammen mit der Lebenshilfe Frankfurt Künst- unserem Land verbessern könnten, ohne einen einzigen lerinnen und Künstler darin unterstützt, die Marienkirche Steuereuro ausgeben zu müssen. in Aulhausen neu auszustatten – von den Kirchenfenstern Genauso habe ich es schmerzlich vermisst, dass Sie sich bis zum Altar, vom Altarkreuz bis zu den Stelen, die sich im Rahmen des Kulturgutschutzgesetzes nicht auch für den heute im Kirchenraum befinden –, dann wären das Beispie- Kunsthandel und die damit zusammenhängende Nach- le, Herr Minister, bei denen Sie nicht nur das künstlerische wuchsförderung eingesetzt haben – oder auch, wie Sie bei Schaffen von Gruppen, die Ihnen häufig aus dem Blick ge- der Mehrwertsteuerdebatte Ihrem Kollegen Finanzminister raten, feststellen würden, sondern an denen Sie auch erken- in den Arm fallen, der ein Gesetz, das definitiv zur Frage nen würden, wie viele Einzel- und Privatpersonen solche der Pauschalbesteuerung gemacht worden ist, jetzt wissent- Initiativen unterstützen, damit diese erfolgreich sein kön- lich ganz anders auslegt, um an mehr Mehrwertsteuerein- nen. nahmen zu kommen. Herr Minister, das sind keine Ansät- (Beifall bei der FDP) ze, um Kunst und Kultur in unserem Land zu stärken. Deshalb will ich an dieser Stelle auch die Kunstkoffer hier (Beifall bei der FDP) in Wiesbaden nennen. Herr Minister, sie unterscheiden Kolleginnen und Kollegen, wir wissen doch, dass Kunst sich maßgeblich von dem, was Sie Kulturkoffer nennen; und Kultur auch wichtige Standortfaktoren sind. Ich spre- denn sie arbeiten auf der Schnittstelle von ästhetischer Bil- che nicht nur davon, dass wir über 20.000 Unternehmen in dung und sozialem Engagement, und zwar schon seit 2004. Hessen haben, die einen Umsatz von 8,2 % aller umsatz- Es gibt unglaublich viele Einzelpersönlichkeiten, die hier steuerpflichtigen Unternehmen in Hessen erwirtschaften, im Stadtteil unterwegs sind und das bewusste Erleben, dass wir über 120.000 Erwerbstätige haben, die in der Kul- 6402 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 tur- und Kreativwirtschaft in Hessen tätig sind, sondern Daher ist es gut, auf diese Art und Weise und weitaus stär- insbesondere davon, dass wir eine ausgesprochen interes- ker als in der Vergangenheit nicht nur Kultur für alle, son- sante Wertschöpfungskette haben. Jeder einzelne Euro – dern – was uns Freien Demokraten immer sehr wichtig ist sei er privat oder aus Steuergeldern finanziert –, den wir in – auch Kultur von allen und mit allen zu ermöglichen. den Bereich von Kunst und Kultur investieren, ist von da- Lassen Sie mich zum Schluss unseren Bundespräsidenten her etwas, was doch das Augenmerk darauf richten sollte, a. D. Theodor Heuss zitieren, der darauf aufmerksam ge- wie breit und segensreich dieser Bereich ist, selbst wenn macht hat, dass sich die äußere Freiheit der vielen aus der man sich – wie Sie es auch heute wieder in Ihrem Vortrag inneren Freiheit der Einzelnen ableitet. Herr Minister, getan haben – mehr auf die pekuniäre Seite beschränkt. Kunst und Kultur sind hierfür nicht nur Nährboden, son- Lassen Sie mich anfügen, dass es in diesem Zusammen- dern Triebfeder. Genau deswegen sollten Sie sich weitaus hang sicherlich auch sinnvoll ist, die wirtschaftliche Kul- vertiefter mit der Materie auseinandersetzen. – Herzlichen turförderung, wie sie im Rahmen der Filmförderung in Dank. Hessen vor einigen Jahren unter liberaler Verantwortung mit eingeführt worden ist, nicht aus dem Blick zu nehmen. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das Kaleido- skop, das ich aufgemacht habe, zeigt schon, wie wichtig all Vizepräsident Wolfgang Greilich: diese Investitionen in den Bereichen von Kunst und Kultur sind. Es sind mannigfaltige Investitionen in die ganze Brei- Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Als Nächste hat Frau te unserer Gesellschaft, und sie betreffen die Bereiche der Abg. Wolff für die Fraktion der CDU das Wort. Bitte Bildung genauso wie die Wirtschafts- und Standortförde- schön. rung sowie den Bereich des Sozialen oder der Jugend- und Integrationsarbeit. Karin Wolff (CDU): Ich möchte doch einmal eine Lanze dafür brechen, ein stär- keres Augenmerk auf das private und ehrenamtliche Enga- Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! gement als wirklich wichtige Ergänzung zur staatlichen Ich denke, dass Kultur für den Zusammenhalt unserer Ge- oder auch kommunalen Förderung im Kulturbereich zu sellschaft heute so wichtig ist wie schon lange nicht mehr. richten, Herr Minister, und zwar deswegen, weil wir es in (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Stimmt!) der Hand hätten, nicht nur über die öffentliche Anerken- nung für ein solches Engagement, sondern auch über den Ich glaube, dass das ein wesentlicher Ansatz für eine De- Abbau bürokratischer Hindernisse noch weit mehr zu tun batte sein muss. Das ist auch eine gute Grundlage für vie- als nur – das sage ich an dieser Stelle ganz bewusst – über les, was der Minister an praktischer Politik aufgezeigt hat. die Steigerung von Haushaltsansätzen. Für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist Kultur eine wesentliche Selbstvergewisserung. Ich glaube, dass Kultur Es geht darum, eine stärkere Netzwerkbildung zu unter- auch für jeden Einzelnen ein Stück Beheimatung ist. Jeder stützen. Es geht darum, die Beantragung von Fördermitteln Einzelne in unserem Land, woher auch immer er kommt, zu vereinfachen, transparenter zu machen, zu bündeln und muss sich zurechtfinden in einer Heimat, in einer Umge- Förderrichtlinien weiterzuentwickeln. Gleichwohl glaube bung, die seine eigene ist und die eine Kultur hat, in der er ich manchmal, dass es schon schwer genug zu sein scheint, sich zu Hause fühlen soll. Das heißt, kulturelles Lernen be- einen einheitlichen Ansprechpartner im Wissenschafts- deutet, in eine Gesellschaft, in ein Zusammenleben, in eine und Kunstministerium für den Kulturbereich zu finden. Lebenswelt hineinzuwachsen, hineinerzogen zu werden, Diese Stelle wird demnächst wieder verwaist sein. hineingeführt zu werden und dann einen Standpunkt zu (Beifall bei der FDP) finden. Das ist kein einheitliches Geschehen. Auf dem Weg dorthin gibt es Brüche und Widerstand. Das ist aber Ich weise auch deshalb so penetrant auf privates und eh- der Weg, einen Standpunkt in seinem persönlichen Leben renamtliches Engagement hin, weil dies nicht nur in den und im Leben der Gemeinschaft zu finden. Ballungsräumen, sondern überall in unserem Land stattfin- det. Ja, Frankfurt ist eine Stiftungshochburg und auch eine Meine Damen und Herren, ich glaube, dass es gerade im Hochburg im kulturellen Bereich. Kunst und Kultur leben Zeitalter der Globalisierung von ungeheurer Bedeutung ist, aber gerade im ländlichen Raum vielfach von kleinen und dass der Mensch eine Beheimatung hat. ehrenamtlich getragenen Initiativen, Aktionen und Ange- (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des boten. Herr Minister, dies bereichert unsere Kulturland- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schaft. Dies schafft Lebendigkeit quer durch die Fläche und könnte mit dazu beitragen, den Zuzug nur in die Bal- Ich glaube, je mehr wir von internationalen Anfälligkeiten lungsräume zu stoppen und den ländlichen Raum als le- und von internationalen Krisen sprechen, umso wichtiger benswerten und lebendigen Lebensraum zu erhalten. ist es, dass der Mensch Wurzeln hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Geschichts- bewusstsein, ein Bewusstsein dafür, woher ich komme, ist Vizepräsident Wolfgang Greilich: die beste Basis dafür, zu wissen, wo ich stehe und wohin Frau Kollegin, Sie müssen jetzt Ihre Stimme schonen und ich will. zum Ende kommen. (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nicola Beer (FDP): Meine Damen und Herren, ein Geschichtsbewusstsein ist Ich komme sofort zum Ende, Herr Präsident. nichts nach hinten Gerichtetes und auch nichts Statisches, sondern ein Geschichtsbewusstsein ist auch Neugier und Lust auf Gestaltung. Es geht darum, die Dinge in die Hand Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6403 zu nehmen und selbst eine Lösung zu finden. Das ist das, kann ein kleines Szenetheater, die Musikschule, ein was aus kulturellem Geschichtsbewusstsein entsteht. Schauspiel oder sonst irgendetwas sein. Je mehr kulturelle Beheimatung wir haben, umso mehr Da wird eine Grundlage geschaffen. Dies wird in der Kraft haben wir auch zur Auseinandersetzung. Je mehr wir Schule fortgesetzt. Dies wird selbstverständlich fortgesetzt von einem Standpunkt ausgehen, umso mehr Kraft haben durch die zusätzlichen Angebote, die wir in den Schulen wir zum Streit, zur Suche nach dem richtigen Weg, zur Su- haben, sei es durch „Schulen musizieren“, durch Bläser- che nach den richtigen Lösungen, zur Auseinandersetzung klassen, Streicherklassen usw. Dort werden kulturelles En- in unserer Gesellschaft, für den Wettbewerb um die besten gagement und kulturelle Ausübung eingeübt, und zwar ins- Lösungen und für einen produktiven Streit. Ich glaube, besondere für die Kinder und Jugendlichen, die das nicht man kann sagen: Kultur ist ein Diskursgenerator, und das unbedingt von zu Hause mitbringen, die nicht bereits in der gehört zur Freiheit, meine sehr verehrten Damen und Her- Musikschule mit den entsprechenden Grundlagen ausge- ren. stattet worden sind, sondern die ihre Begeisterung dort ent- wickeln. (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Nancy Faeser (SPD): Und wenn man das nicht hat?) Deswegen möchte ich eine Textstelle von Herrn Bundes- tagspräsidenten Norbert Lammert zitieren, und zwar im Kultur durch alle heißt eben auch, dass wir alles anschau- Vorwort zu dem Abschlussbericht der Enquetekommission en, das Malen, das Musizieren, das Lesen und das Schrei- „Kultur in Deutschland“. Herr Lammert sagte wörtlich: ben, das Besuchen des Theaters, aber auch das Spielen im Theater, also das Erleben und Spielen selbst, das Sammeln Der Staat ist nach unserem Staats- und unserem Kul- und Präsentieren in Ausstellungen und Museen. Die Kul- turverständnis nicht für Kunst und Kultur zuständig, turtreibenden selbst sind die Akteure, und das sind sie Gott sondern für die Bedingungen, unter denen sie statt- sei Dank in sehr großer Trägervielfalt, auf die wir stolz finden. Er hat keine materielle Zuständigkeit für die sein können, die wir pflegen können und der wir auch Gu- Inhalte und Formen, in denen sich Kunst und Kultur tes tun müssen. in einer Gesellschaft entfalten. Aber er hat eine kul- turpolitische Verantwortung für die Rahmenbedin- Deswegen ist es auch gut – Frau Kollegin Feldmayer und gungen, die eine solche Entfaltung überhaupt mögli- der Minister sind beide darauf eingegangen –, dass wir au- chen. ßerhalb der staatlichen Ordnung der großen Flaggschiffe eben auch die vielen kleinen Theater haben, dass wir ganz An einer anderen Stelle sagte er: bewusst Ja sagen zur stärkeren Förderung der Soziokultur Zugleich aber ist der größte Kulturförderer der Bür- und der dortigen zum Teil kleinen Träger – teilweise ger selbst, nicht allein als Steuerzahler, sondern vor hauptamtlich, teilweise ehrenamtlich –, dass wir diese Trä- allem als kultureller Akteur, der mit großem bürger- gervielfalt pflegen und ihr Raum geben. Dies geschieht im schaftlichen Engagement Kunst und Kultur in dieser Gegensatz zu manch anderem, der noch immer diese Ge- weltweit einzigartigen Breite und Dichte erst ermög- genüberstellung und Gegensatzpaare von Staatstheater und licht, sei es durch seine finanzielle Spende für die Szenetheater aufmacht, gemeinsam. Unsere Staatstheater Fördervereine der Theater, Museen und Opern oder sind mittlerweile längst darüber hinaus und suchen viel- durch seine ehrenamtliche Zeitspende in den unzäh- mehr die Zusammenarbeit und Kooperationsmodelle mit ligen Laienspielgruppen, den 48.500 Chören oder kleineren Theatern an unterschiedlichen Spielorten. Des- 29.500 Ensembles der instrumentalen Laienmusik. wegen ist Trägervielfalt das, was wir brauchen. Das Ge- geneinander-Ausspielen muss doch langsam wirklich vor- Meine Damen und Herren, das ist das Zusammenspiel kul- bei sein. Die Staatstheater, die Soziokultur und die freien turellen Lebens in unserem Land, von dem wir zehren und Kulturen sind kein Gegensatz. dem wir verpflichtet sind, es weiter zu fördern und die Rahmenbedingungen zu schaffen. (Janine Wissler (DIE LINKE): Wer hat das denn ge- macht? Das hat doch niemand getan! – Vizepräsi- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE dent Dr. Ulrich Wilken übernimmt den Vorsitz.) GRÜNEN) – Natürlich, da müssen Sie nachher die Reden noch einmal Meine Damen und Herren, insofern ist der Begriff der nachlesen. – Es gibt auch keinen Gegensatz zwischen Brei- „Kultur für alle“, der bereits zitiert worden ist, ein ten- und Spitzenkultur, sondern sie gehen vielfach mitein- durchaus richtiger Begriff. Hilmar Hoffmann hat seinen ander Hand in Hand. Im Übrigen gibt es auch keinen rich- kongenialen Partner gefunden zunächst in Walter Wall- tigen Gegensatz mehr zwischen E- und U-Musik. Das ist mann und dann in Petra Roth. Mit diesen dreien zusammen im Wesentlichen aufgebrochen. ist in Frankfurt ein kulturelles Tableau entstanden, das sei- nesgleichen sucht. Deshalb bleibt das, was er unter dem Meine Damen und Herren, dennoch können und müssen Stichwort „Kultur für alle“ verstand, richtig und wichtig. wir von „Ankern“ in unserer kulturellen Landschaft spre- chen. „Anker“ heißt eben auch, dass man etwas Herausra- Zugleich ist aber auch richtig, dass es um Kultur durch alle gendes ist, sowohl in seinem Eigenwert als auch in seiner geht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Deswegen Funktion für andere mit. Natürlich wird dort viel Geld für müssen wir meines Erachtens auf die Akteure schauen. eine Einrichtung ausgegeben, aber auch die Hand ausge- Das ist der Punkt, an dem Kultur ermöglicht werden muss. streckt, um mit anderen Einrichtungen einen Verbund zu Das beginnt im Elternhaus. Das will ich sehr deutlich sa- bilden. Das ist durchaus etwas, was nach mehr Mittelein- gen. Kulturelle Einbettung findet selbstverständlich im El- satz verlangt. ternhaus statt. Entscheidend ist, ob Eltern Kinder in kultu- relle Einrichtungen mitnehmen oder nicht mitnehmen. Das Lassen Sie mich dazu noch einmal zwei Beispiele aus der Rede des Ministers aufgreifen, die ich für wichtig halte. 6404 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

Die Museumslandschaft in Kassel: Wo gibt es so etwas den, in staatlicher Trägerschaft, in staatlicher Förderung, in zum zweiten Mal, dass nicht nur ein Landesmuseum – ei- privater Trägerschaft. Das ist die kulturelle Landschaft un- nes in den klassischen drei Sitzstädten – nach Renovierung seres Landes, die wir lieben und die wir wollen. wiedereröffnet wird, sondern dass dieses Landesmuseum (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE mit insgesamt zehn großen kultur- und kunstgeschichtli- GRÜNEN) chen Sammlungen in einem ganzen Ensemble an fünf ver- schiedenen Standorten zusammenwirkt, und das noch in Das heißt aber nicht – und das will ich durchaus auch in Kombination mit drei historischen Parkanlagen? Meine Offenheit ansprechen –, dass wir mit der Gießkanne Geld Damen und Herren, das ist ein riesiger Schatz, das ist ein über die kulturellen Einrichtungen ausgössen. Es hat Flaggschiff, an das andere andocken können, das aber auch durchaus zwei Facetten: Zum einen hat es die Facette, dass seinen Wert in sich selbst hat. wohl mit Fug und Recht die Festspiele Bad Hersfeld in der regionalen Sicht und in internationalem Renommee besser (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE ausgestattet werden, als es in der Vergangenheit der Fall GRÜNEN) war, und auch besser als andere Festspiele. Herr Schäfer- Da haben Sie die ganze Spannungsbreite. Sie können an- Gümbel, wenn man sich die aktuellen Zahlen ansieht, sieht fangen bei Rembrandts „Jakob segnet mit Ephraim und man, diese liegen für dieses Jahr bei 97.000 Besuchern; das Manasse“ und aufhören bei der documenta mit ihren ist eine Steigerung um 23 %, die man durchaus würdigen durchaus auch vorhandenen Provokationen – nicht in je- kann. dem Jahr gleich, aber doch vorhanden. Deswegen ist es (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Absolut!) auch wichtig, dass wir hier auf das Bezug nehmen können, was gerade bevorsteht, nämlich die endgültige Etablierung – Die Zustimmung des SPD-Sprechers ist zu Protokoll ge- des neuen Bausteins in Form des Museums für Raumkunst. geben, das ist in Ordnung. Aus diesem Grund will ich auch hier noch einmal darauf (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE hinweisen – es wird immer so gerne darauf rekurriert, dass GRÜNEN) nur Leuchttürme genannt würden, aber nein –, dass wir ge- rade in Kassel gesehen haben, dass im Umfeld eines sol- Aber das heißt auf der anderen Seite durchaus, dass es chen Leuchtturms, nämlich des Weltkulturerbes, ein bür- auch sein darf, dass große und sehr attraktive Konzertrei- gerschaftliches Engagement sondergleichen stattgefunden hen, die wir in Hessen reihenweise haben, die unser Land hat. Dort sind nicht nur die IHK, sondern 30 verschiedene in einer wunderbaren Art und Weise bereichern, nur ganz bürgerschaftliche Vereinigungen mit insgesamt 5.000 Mit- wenig staatlichen Zuschuss bekommen und dennoch in gliedern im Umfeld zum Weltkulturerbe aktiv geworden. ganz unterschiedlicher Art und Weise unterstützt werden. Sie haben dort eine einzigartige kulturelle Initiative getra- (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Stimmt! Fürs gen – und wie Sie sehen können, haben sie sie auch zum Protokoll! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU) Erfolg getragen. – Noch einmal Zustimmung für das Protokoll, in Ordnung. Als zweites Beispiel will ich das Landesmuseum in Darm- – Ich möchte allerdings noch eines erwähnen: Herr Schä- stadt nennen, mit Sicherheit eines der bedeutendsten in fer-Gümbel, Sie haben – nicht bester Laune und auch nicht Deutschland und eines der wenigen Universalmuseen mit besonders inspiriert – von Zahlen und der Reise des Minis- einer riesigen Bandbreite, die wir überhaupt noch in Euro- ters durch die Einrichtungen und durch die Leuchttürme pa haben. Wir haben dort für rund 80 Millionen € das Lan- unseres Landes abzulenken versucht. desmuseum renoviert, restauriert und erweitert. Es ist neu aufgestellt, und es hat in den ersten 100 Tagen seiner Wie- (Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) – dereröffnung 77.000 Besucher angezogen. Davon träumen Janine Wissler (DIE LINKE): Es kann ja nicht jeder manch andere Museen übrigens in Jahressumme, und ich ein solcher Sonnenschein sein!) denke, davon kann sich der eine oder andere noch eine Das ist durchaus legitim. Die LINKEN und die FDP woll- Scheibe abschneiden. ten auch lieber nicht auf die ganz konkreten Dinge einge- Insofern kann man hier nicht nur von Leuchttürmen reden, hen, die in den letzten Jahren angekündigt und geschaffen sondern wir reden von Bildungseinrichtungen, von Ge- worden sind. Auch das ist legitim. Aber legitim ist auch, denkeinrichtungen, von Kennenlerneinrichtungen für ein gelegentlich noch an ein Jahr 1999 zu erinnern und eine ganzes Leben, die Menschen in großer Zahl ansprechen, Reise über die verschiedenen Jahre zu machen, auf der die entsprechende Bedürfnisse haben. man sich allein die hessischen Landesausgaben betrachtet; denn nur um die geht es im Moment. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da gibt es doch Kooperationen. Es ist doch bei Weitem nicht so, dass wir (Zurufe von der SPD) nur über die großen Landesmuseen reden, sondern wir re- Wir haben mit 132,7 Millionen € für Kulturausgaben im den quasi auch über das dezentrale Landesmuseum: wenn Lande Hessen angefangen. 2002 waren es über 165 Millio- Sie sich einmal die Saalburg anschauen, den Glauberg – nen €, 2006 waren es 199 Millionen €, 2014 waren es 198 bei dem ich ein gewisses Trauma habe, aber es ist ein tol- Millionen €, und mittlerweile haben wir einen Haushalt mit les Ding, das viel besucht wird – oder Erbach und das neue der Summe von 232 Millionen € vor uns. Wenn jetzt die Elfenbeinmuseum. Der Minister hat ja berichtet, mit wem Oppositionsfraktionen auch noch sagen, dass das stimme er wo war. und eine beachtliche Leistung sei, dann wäre ich durchaus (Janine Wissler (DIE LINKE): Ja, und das sehr aus- zufrieden. Zumindest soll dies auch zu Protokoll gegeben führlich!) werden, und ich glaube, wir können stolz darauf sein. In Limburg, in Seligenstadt, in Erbach – das sind Einrich- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE tungen, die sozusagen ein dezentrales Landesmuseum bil- GRÜNEN) Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6405

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kulturpolitik be- weitere Arbeit mit der „kulturellen Landkarte“ und mit der deutet auch, immer wieder einmal einen Blick darauf zu Dachmarke „Kultur in Hessen“. werfen, was wir eigentlich in Hessen haben. Ich glaube, es (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE wird nur wenigen Menschen gelingen, einen Gesamtüber- GRÜNEN) blick über die kulturellen Einrichtungen und Tätigkeiten im Lande Hessen zu gewinnen. Deswegen halte ich es für besonders wichtig, dass wir jetzt Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: eine Bestandsaufnahme beim sogenannten Masterplan vor- Ein Dank an Sie, Frau Wolff. – Wir sind am Ende der De- nehmen. Meine Damen und Herren, ich bezeichne das gern batte angelangt. als „kulturelle Landkarte“, weil es darum geht, dass wir uns anschauen, wo die großen Einrichtungen, aber auch die Die Regierungserklärung des Hessischen Ministers für vielen mittleren und kleinen Einrichtungen in den Regio- Wissenschaft und Kunst betreffend „70 Jahre Hessen – nen unseres Landes sind. Wir wollen alles sehen: die geo- Kultur stiftet Identität, Verbundenheit und Vielfalt“ ist ent- grafische Ansiedlung von Museen, von Theatern, von Ver- gegengenommen und besprochen. einen und Projektgruppen, von Gruppen, die sich kirchlich Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: engagieren, und ihre Zahl. Wir wollen die Orte sehen, an denen Proberäume sind und an denen bildnerisches Gestal- Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregie- ten ermöglicht wird. Wir wollen die neuen Stadtteilzentren rung für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Hessi- sehen, in denen neue Ansätze von Kultur gezeigt werden. schen Ausführungsgesetzes zum Schwangerschaftskon- All dies wollen wir auf einer „kulturellen Landkarte“ se- fliktgesetz – Drucks. 19/4135 zu Drucks. 19/3712 – hen. Das wird sehr viel mehr sein, als der eine oder andere weiß. Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜND- Dabei geht es nicht um die Zahl der Punkte auf dieser NIS 90/DIE GRÜNEN – Drucks. 19/4273 – Landkarte, sondern um die Potenziale, die aus diesen In- itiativen erwachsen – Potenziale an Kooperation, an gegen- Änderungsantrag der Fraktion der SPD – Drucks. 19/4279 – seitiger Verstärkung, an Stärkung des Tourismus in vielen Teilen unseres Landes, ebenso an musikalischer Kooperati- Die vereinbarte Redezeit beträgt siebeneinhalb Minuten. on verschiedener Träger, die gemeinsam Projekte stemmen Als Ersten hören wir den Berichterstatter, Herrn Abg. May. können. Die Analyse, wo sich was befindet und wo was getan wird, ist die Basis dafür, zu sehen, wo das Engage- ment noch verstärkt werden kann, zusammengeführt wer- Daniel May, Berichterstatter: den kann, noch besser sichtbar gemacht werden kann. Sehr geehrter Herr Präsident! Der Sozial- und Integrations- Die Anstrengung, die vor uns steht, ist, dass wir die Dinge politische Ausschuss empfiehlt dem Plenum mit den Stim- in unserem Land für die Bürgerschaft, die kulturell interes- men von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen siert ist oder dafür interessiert werden soll, aber auch bun- die Stimmen von SPD, der LINKEN und der FDP, den Ge- desweit im Vergleich zwischen den Ländern noch sichtba- setzentwurf in zweiter Lesung unverändert anzunehmen. rer machen. Daher wird es in den nächsten Monaten darum gehen, dass wir eine „kulturelle Landkarte“ aufstellen und daraus Überlegungen abgeleitet werden, wo noch besser Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: kooperiert werden kann, was sich gegenseitig noch besser Danke, Herr May. – Ich eröffne die Debatte. Als Erste hat beflügeln kann, was sich gegenseitig noch besser bewerben sich Frau Ravensburg für die CDU-Fraktion zu Wort ge- und aufeinander aufmerksam machen kann, damit überall meldet. noch mehr Nutzen entsteht, als das schon der Fall ist. Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang wird noch mehr Dank an alle diejenigen zu sagen sein, die Trä- Claudia Ravensburg (CDU): ger kultureller Einrichtungen und kulturellen Engagements Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und sind. Kollegen! Wir diskutieren heute in zweiter Lesung über das Ausführungsgesetz zum Schwangerschaftskonfliktge- setz. Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Ich will noch einmal darauf hinweisen, worum es in die- Frau Wolff, beim Danken müssen Sie sich jetzt kurz fas- sem Gesetzentwurf eigentlich geht, um dann zur Bewer- sen. tung der Anhörung zu kommen und auch unseren Ände- rungsantrag zu begründen. Karin Wolff (CDU): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stellt die Landesre- Diesen Dank will ich abschließend an alle diejenigen aus- gierung in Hessen weiterhin ein plurales Angebot von Be- sprechen, die hauptamtliche Träger dieser Arbeit sind. Ich ratungsstellen in der Schwangerschaftskonfliktberatung si- will dabei auch die Verwaltung der Staatlichen Schlösser cher. Neben kirchlichen und freien Trägern beteiligen sich und Gärten als eine Einrichtung des Landes nennen, außer- auch kommunale Träger und niedergelassene Ärzte am flä- dem alle Ehrenamtlichen, die in Chören singen oder solche chendeckenden Beratungsangebot in Hessen. Wir wollen – dirigieren, alle, die als Lesepaten unterwegs sind, die Mit- das ist wichtig – die Versorgungssicherheit für ganz Hes- glieder von Staatstheatern, die an Schulen unterwegs sind. sen weiterhin gewährleisten. Allen diesen Menschen ein herzliches Dankeschön aus Durch den Gesetzentwurf neu hinzukommen soll eine Kos- dem Hessischen Landtag. Ich bin sehr gespannt auf die tenpauschale für die Beratungsleistung bei einer vertrauli- 6406 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 chen Geburt. Das ist mir ganz wichtig. Wir halten nämlich die rund um die Schwangerschaft entstehen, in ihren eine vollumfängliche Beratung bei einer vertraulichen Ge- schwierigen Entscheidungen. Deshalb möchte ich an dieser burt für unbedingt notwendig. Deshalb ist es auch ange- Stelle allen Beraterinnen und Beratern ein herzliches Dan- messen, dass die diesbezügliche Leistung der Beratungs- keschön für die Wahrnehmung ihrer schwierigen Aufgabe stellen mit einer Pauschale von 600 € honoriert wird. sagen, die aber umso wichtiger ist und deshalb von uns ge- fördert werden sollte. Diskutiert wurde in der Anhörung die Einbeziehung der Ärzte in die Konfliktberatung. Ich will deshalb noch ein- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE mal betonen, dass der Bundesgesetzgeber ausdrücklich die GRÜNEN) Ärzte als wichtige Ansprechpartner für Rat suchende Frau- Dabei bin ich mir auch bewusst, dass die Beratungsstellen en vorgesehen hat. Weiterhin halte ich fest, dass sich die gegenwärtig mit hohen Herausforderungen konfrontiert Hessische Landesregierung bewusst nicht an der Obergren- sind, die gerade mit den neu in unser Land gekommenen ze von 20 % orientiert; das würde 30 zuzulassenden Ärzten Flüchtlingsfrauen verbunden sind. Diese können oft nur entsprechen. Hessen bleibt mit 26 Ärzten in den Bera- unter Einbeziehung von Dolmetschern beraten werden. Ich tungsstellen deutlich darunter. kann mir vorstellen, dass das eine sehr schwierige Aufgabe Zudem wurde von den Anzuhörenden die Höhe der Pau- ist. Auch hier sage ich herzlichen Dank für die Beratungs- schalen für die Beratungsstellen diskutiert. Hier wird unser arbeit, sowohl in den Beratungsstellen als auch in den hes- Gesetzentwurf nicht allen Forderungen der Träger gerecht. sischen Erstaufnahmeeinrichtungen, ob in Gießen oder in Es wird ein Mehr an finanzieller Ausstattung gefordert. Ich Darmstadt. bin aber davon überzeugt, dass zwischen den Forderungen (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE der Träger und den haushaltstechnischen Beschränkungen GRÜNEN) in Hessen ein Weg des gesunden und vernünftigen Kom- promisses gegangen wird; denn Hessen ist trotzdem im Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir schaffen mit Vergleich der Bundesländer nach wie vor an der Spitze zu dem Ausführungsgesetz ein Gesetz, das die Beratungsviel- finden. falt und die Versorgungssicherheit auch in Zukunft sicher- stellt, das den Beratungsstellen mehr Planungssicherheit Als Neuerung im Gesetzentwurf wird die Umstellung der bei weniger Bürokratie geben wird. Deshalb bitten wir um Auswahlperiode für die Beratungsstellen von einem Jahr Zustimmung zu unserem Änderungsantrag und dem dann auf drei Jahre vorgesehen. Dies wurde in der Anhörung geänderten Gesetzentwurf. – Herzlichen Dank. von den Trägern einhellig begrüßt. Schließlich wird hier- durch die Planungssicherheit der Träger verbessert, und die (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Stellen der Beraterinnen und Berater werden für drei Jahre GRÜNEN) gesichert, was mir ebenfalls wichtig ist. Zugleich wird die Höhe der Zahlungen aber nicht auf drei Jahre eingefroren, sondern kann jährlich an die Tarifsteigerungen angepasst Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: werden. Dabei orientiert sich die jährliche finanzielle För- Vielen Dank, Frau Ravensburg. – Für die SPD-Fraktion derung an den Tarifen des TV-H, also am öffentlichen hat sich Frau Gnadl zu Wort gemeldet. Dienst. Meine Damen und Herren, heute bringen wir einen Ände- rungsantrag ein, der aus der Stellungnahme des Paritäti- Lisa Gnadl (SPD): schen Wohlfahrtsverbandes in der Anhörung resultiert. Ich Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! fand die seitens des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ge- Dem Dank an diejenigen, die in den Beratungsstellen die äußerte Bitte sehr richtig, den Förderzeitraum mit dem Frauen beraten, die in einer solchen Konfliktsituation sind, Auswahlverfahren, also dem Zeitraum der Genehmigung und den Auftrag für die Bundesländer, also für das Land der Beratungsstellen, zu synchronisieren. Diesem Anliegen Hessen, erfüllen, die Beratung der schwangeren Frauen si- tragen wir mit unserem Änderungsantrag Rechnung. cherzustellen, können wir uns vonseiten der SPD-Fraktion (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- anschließen. NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Ra- Damit ist ein gesonderter jährlicher Antrag auf finanzielle vensburg (CDU) und Sigrid Erfurth (BÜNDNIS Förderung nicht mehr erforderlich. Das ist, wie ich finde, 90/DIE GRÜNEN)) ein wichtiger Beitrag zur Entbürokratisierung, der beson- Schwangere Frauen sind aus unterschiedlichen Gründen ders den Trägern die Arbeit erleichtern wird. Das Antrags- auf eine Schwangerschaftskonfliktberatung angewiesen. verfahren auf Auswahl der Beratungsstellen und auf die Ich möchte gern an einem Beispiel verdeutlichen, wie viel- Förderung des Personals in den Beratungsstellen wird da- fältig der Beratungsbedarf ist. mit angepasst. Ein Beispiel ist Annika P. Sie ist 33 Jahre alt und lebt in Meine Damen und Herren, das ist die technische Seite der der Nähe einer süddeutschen Großstadt. Sie hat zwei Kin- Schwangerschaftskonfliktberatung. Es gibt aber auch eine der, zehn Jahre und acht Jahre alt. Ihre Tochter ist körper- menschliche Seite, und die möchte ich bei meiner Rede lich mehrfach behindert. Mit ihr geht sie einmal in der Wo- nicht außer Acht lassen. che zur Ergotherapie, was schwierig ist, weil die Distanz Tagtäglich sind die Frauen und Männer in schwierigen zur Praxis groß ist. Zweimal im Jahr verbringt die Mutter Problemlagen mit schweren Konfliktfragen konfrontiert. mit ihrer Tochter Zeit in einer stationären Einrichtung, um Die Beratungsstellen geben ihnen Halt und Sicherheit. Sie ihr eine gute Körpertherapie zu ermöglichen. Von dem stützen die Frauen und Männer, die zur Beratung kommen, Kindsvater ist Annika P. schon seit sieben Jahren getrennt, bei der Schwangerschaft, aber auch bei anderen Fragen, und sie erhält weder Unterhaltszahlung, noch ist er für die Kinderbetreuung da. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6407

Ihr letzter Antrag beim Jugendamt auf Unterhaltsvor- den kann. Denken Sie nur an das Beispiel. Deswegen ha- schussleistung wurde abgelehnt, weil sie diesen schon 72 ben uns die Anzuhörenden auch geschildert, wie sie in den Monate lang bezogen hatte. Das zeigt vielleicht auch, wie Beratungsstellen immer wieder damit konfrontiert sind, schwierig die finanzielle Situation für die Frau ist, die jetzt dass Frauen, die sich zuerst bei einem Arzt oder einer Ärz- mit ihren Kindern auf Arbeitslosengeld II angewiesen ist. tin haben beraten lassen, anschließend noch in eine Bera- Das Familienbudget ist äußerst knapp, und unvorhersehba- tungsstelle gehen, weil ihnen die medizinische Beratung re Ausgaben sind sehr schwer zu bewältigen. eben nicht ausgereicht hat und sie eine umfassendere Bera- tung benötigen, dann aber nicht schnell genug zu einem Meine Damen und Herren, eine Frau, die in einer solchen Termin kommen. Das führt insbesondere im Ballungsraum Situation ungewollt schwanger wird, befindet sich in ei- und im südhessischen Raum zu Engpässen. Darauf haben nem absoluten Interessenkonflikt. Uns allen muss klar sein, Anzuhörende hingewiesen, z. B. Frau Dr. Jatho von der wie wichtig gerade jetzt eine umfassende und nicht nur auf Diakonie und andere. Hier wollen wir Abhilfe schaffen, in- medizinische Fragen beschränkte Beratung ist. Hier dem wir diese 20 % Anrechnung auf 10 % reduzieren. braucht es erfahrene, kompetente, fachkundige und ein- fühlsame Hilfe. Der zweite Punkt, um den es uns geht, ist die Unterfinan- zierung der Beratungsstellen. Hier wollen wir die Förde- (Beifall bei der SPD) rung insgesamt anheben, weil die momentane Situation da- Wenn sich eine Frau wie Annika P. dazu entscheidet, ihre zu führt, dass die Finanzierung zu Teilen bei den Trägern Schwangerschaft abbrechen zu wollen, ist eine vorherige abgeladen wird. Das Land vertraut darauf, dass die Träger Beratung nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern, al- die Lücke, die es bei ihnen gibt, mit eigenen Mitteln füllen. lein schon aus gesundem Menschenverstand erkennbar, un- Das ist aus unserer Sicht ebenfalls nicht haltbar, hier sehen abdingbar notwendig. wir dringenden Handlungsbedarf. Meine Damen und Herren, unsere Aufgabe als Landespoli- (Beifall bei der SPD und der Abg. Marjana Schott tik ist es, gerade diese Beratung und Hilfestellung flächen- (DIE LINKE)) deckend in ganz Hessen sicherzustellen. Das tun wir mit- Daher wollen wir mit unserem Änderungsantrag die För- hilfe der freien Träger, denen wir diese Beratung anver- derpauschale für die Beratungskraft von 80 auf 90 % auf- trauen, die aber auch finanziell in die Lage versetzt werden stocken. Diese Forderung ist im Übrigen nicht ganz neu, müssen, verlässlich kompetente Hilfsangebote bereitzustel- die hatten wir als SPD-Fraktion auch schon einmal in die- len. Umso tragischer ist es, dass sich der Gesetzentwurf der sem Haus gestellt, ursprünglich zusammen mit der Frakti- Landesregierung nur darauf beschränkt, das Allernötigste on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. bereitzustellen, statt auf das – darauf haben die Anzuhören- den hingewiesen –, was noch benötigt wird, um eine solche (Günter Rudolph (SPD): Das war früher! – Florian gute Beratungsinfrastruktur sicherzustellen. Rentsch (FDP): Jetzt wird es spannend!) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Die Anhörung hat gezeigt, dass es einige Probleme gibt, Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: mit denen wir bei der Schwangerschaftskonfliktberatung in Frau Gnadl, kommen Sie bitte zum Schluss. Hessen konfrontiert sind. Die Beratungsträger haben oft Probleme, Frauen einen zeitnahen Beratungstermin anzu- bieten. Das ist aus unserer Sicht eine nicht hinnehmbare Lisa Gnadl (SPD): Situation angesichts der Lage, in der sich die Frauen befin- den. Ich habe zu Beginn meiner Rede ein Beispiel erwähnt. Diesen Änderungsantrag gab es schon. Ich bin sehr ge- Daran wird deutlich, wie schwierig es ist, wenn Frauen in spannt, wie die Regierungskoalition mit diesem Anliegen, Beratungsstellen auf eine Warteliste kommen; denn oft das schon damals richtig war und nicht umgesetzt wurde, wird eine Schwangerschaft erst sehr spät entdeckt. Die Zeit jetzt umgeht und wie vor allem auch die Fraktion der ist knapp für eine Beratung, und es bleibt nur wenig Zeit GRÜNEN damit umgeht. Deswegen beantragen wir die zum Nachdenken. Deswegen ist das aus unserer Sicht nicht dritte Lesung. hinnehmbar. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Deswegen haben wir einen Änderungsantrag in den Land- Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: tag eingebracht, mit dem wir diese Beratungsengpässe ent- Danke, Frau Gnadl. – Für die FDP-Fraktion erteile ich schärfen können. Aus unserer Sicht gibt es zwei Gründe Herrn Rock das Wort. für diese Engpässe: erstens die Anrechnung von ärztlichen Beratungsleistungen, die aus unserer Sicht zu hoch ange- setzt ist, und zweitens die Unterfinanzierung der Bera- René Rock (FDP): tungsstellen insgesamt, die aus unserer Sicht und aus Sicht der Anzuhörenden gegeben ist. Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Schwan- gerschaftskonfliktgesetz – worum geht es? Es geht um Ich will zum ersten Punkt kommen. Die Anrechnung der Schicksale, es geht um Herausforderungen, es geht um Be- ärztlichen Beratung wollen wir auf 10 % reduzieren. In Ih- lastungen, es geht um Hilfe, und es geht vor allem um eine rem Gesetzentwurf bleibt das unverändert, im Moment Beratung zugunsten der Fortsetzung einer Schwanger- werden sie mit 20 % in den abzudeckenden Beratungsbe- schaft: dass einem, wenn man die Idee hatte, die Schwan- darf eingerechnet. So wichtig die medizinischen Bera- gerschaft abzubrechen, deutlich gemacht wird, dass man tungsangebote sind – bei Schwangeren in einer Konfliktsi- das Kind bekommen kann und dass es Unterstützung gibt, tuation geht es oftmals um mehr, auch um psychosoziale sodass ein Leben seinen Weg in unsere Welt findet. Es ist Beratung, die eben nicht in einer Arztpraxis geleistet wer- 6408 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 ein sehr sensibles Thema, ein Thema, das einem ans Herz dort anpassen kann. Ich glaube, in dieser Situation sind wir geht, und ein Thema, das von großer Bedeutung ist. jetzt nicht. Wir lesen aus dem Gesetzentwurf heraus – das haben die Anzuhörenden auch bestätigt –, dass es zu einer In Hessen ist ein Netzwerk vorhanden, in dem die Bera- weiteren Reduzierung der Finanzierung kommt, weil es tung qualifiziert umgesetzt wird. Es ist schon selbstver- mehr Aufgaben gibt, aber gleichzeitig keine bessere Aus- ständlich, dass die Menschen, die dort tätig sind, ihre Ar- stattung vorgesehen ist. beit machen. Wir haben uns daran gewöhnt. Dass das eine Tätigkeit ist, die einen oft an Grenzen bringt und immer Aber wenn das so ist – die Anzuhörenden haben das so wieder fordert, soll hier noch einmal gesagt werden. Das vorgetragen –, muss man schauen, wie man diesen Heraus- ist etwas, was unseren Dank und auch unsere Unterstüt- forderungen begegnen kann. Auch ich habe keine Lösung zung verdient. dafür parat, etwa indem ich sage: Hier müssten wir jetzt 3,50 € mehr zur Verfügung stellen. – Ich glaube, man muss (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD) schauen, dass das Ministerium mit den Betroffenen einen Wie alles in unserem wunderbaren Staatssystem, in unserer Ausgleich hinbekommt. Aber eine Einsparrunde haben wir Gesellschaft, aber auch in der Bürokratie, die unsere Ge- in dem Bereich schon gemacht. Das ist uns nicht leichtge- sellschaft begleitet, ist diese Tätigkeit nicht einfacher ge- fallen, und ich glaube, wir sollten nicht noch einmal daran- worden. Sie ist aufwendiger, verwaltungslastiger und na- gehen, sondern zusehen, dass wir hier eine ausreichende türlich auch vielfältiger geworden. Es gibt neue Herausfor- Finanzierung hinbekommen. derungen, die in den Beratungsstellen bewältigt werden In dem Änderungsantrag, den CDU und GRÜNE hier ein- müssen, die man dort aber auch vernetzt bewältigen will. gebracht haben, geht es um die Verwaltungsvereinfachung. Dieses Netzwerk hat sich bewährt, und deshalb werden wir Da werden wir mitmachen; da sind Sie bei der FDP immer versuchen, deutlich zu machen, dass uns daran gelegen ist, richtig aufgehoben. Allerdings reicht das aus meiner Sicht dass dieses Netzwerk weiter so gut arbeiten kann. nicht aus, um dem gesamten Gesetzentwurf zuzustimmen. Es geht meistens um Geld, wenn wir hier über solche Ge- Aber wir haben noch eine Lesung. Vielleicht werden wir, setzentwürfe diskutieren. Man muss feststellen, dass die wenn es so kommen sollte, heute Abend um 20 Uhr – oder hessischen Beratungsstellen im Vergleich der Bundeslän- ein bisschen früher – noch etwas klüger. Aber so, wie es der nicht so schlecht aufgestellt sind. Das muss man zur jetzt aussieht, tendieren wir dazu, den Gesetzentwurf ins- Kenntnis nehmen. gesamt abzulehnen. – Vielen Dank. Natürlich haben auch wir die Anhörung ausgewertet. Es ist (Beifall bei der FDP) nicht überraschend, welche Verbesserungsvorschläge ge- kommen sind; denn die Debatte wird schon sehr lange und sehr intensiv geführt. Einer der Angriffspunkte für die Trä- Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: ger ist die Beratung durch Ärztinnen und Ärzte. Das ist ein Danke, Herr Rock. – Für die Fraktion DIE LINKE erteile Thema, bei dem ich klar sagen muss: Ich stehe dazu, dass ich Frau Schott das Wort. die Beratung auch durch Ärztinnen und Ärzte durchgeführt wird. Es ist zu erwarten, dass diese Arbeit qualifiziert und ordentlich gemacht wird. Marjana Schott (DIE LINKE): Im Ausschuss ist das kurz angesprochen worden: Von kei- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde die ner Seite wurde behauptet, Ärztinnen und Ärzte könnten Debatte, die wir hier leider führen müssen, ziemlich trau- diese Beratung nicht genauso gut und genauso erfolgreich rig. Herr Rock hat eben versucht, zu beschreiben, worüber durchführen. Von daher kann man sagen, es ist eine Frage wir reden. Um es genau zu sagen: Wir reden bei den Frau- der Finanzierung. Aber es ist angemessen, dass auch Ärz- en, die sich in eine solche Beratung begeben, darüber, ob tinnen und Ärzte diese Beratung durchführen. Aus meiner ein Kind leben wird oder nicht. Das heißt, wir sprechen Sicht ist es auch in Ordnung, wenn ihr Anteil weiterhin bei über Leben und Tod und über die entsprechende Beratung. 20 % liegt. Ich glaube, dass man an der Stelle, wie an allen anderen Liebe SPD, daraus ergibt sich, dass wir euren Änderungs- Stellen, zwar immer auch über Haushaltsfragen nachden- antrag hier nicht mittragen werden. Aus meiner Sicht muss ken muss, diese aber ganz weit hinten zu stehen haben. man sich in der Landesregierung allerdings Gedanken dar- Ganz vorne zu stehen haben die Qualität der Beratung und über machen, wie man auf die größeren Herausforderun- das Aufzeigen aller Möglichkeiten, die es für eine Frau in gen eingeht. einer solchen Situation gibt: das Kind auszutragen und ihm (Beifall bei der FDP) ein würdevolles Leben zu geben oder es eben nicht auszu- tragen und dann mit der belastenden Situation fertig zu Wenn dieses Beratungsnetzwerk mehr Leistungen erbringt, werden, ohne selbst Schaden zu nehmen. stellt sich auch die Frage, wie man die Finanzierung ver- bessern kann. Ich möchte an Folgendes erinnern – wir, Das ist die Aufgabenstellung. Sie ist sehr komplex, ausge- CDU und FDP, haben da eine gemeinsame Geschichte –: sprochen schwierig und in jedem Fall immer wieder eine In den schwierigen finanziellen Situationen, als wir hier re- neue Herausforderung. Um dem gerecht zu werden, gieren durften, ist das Geld in den Haushalten noch nicht braucht man gut ausgestattete Beratungsstellen mit Berate- so gesprudelt, wie es heute nun einmal der Fall ist. Da rinnen, die sich nicht über ihre eigene existenzielle Absi- stellte sich vielmehr die Frage, wo wir mit Augenmaß Bei- cherung Sorgen machen müssen. Dafür haben wir hier träge zur Konsolidierung des Haushalts leisten können. Verantwortung zu tragen. Damals stand dieses Beratungsnetzwerk schon einmal im (Beifall bei der LINKEN) Fokus. Wir haben uns schon einmal überlegt, wie man – Wenn wir das tun, müssen wir die Beratungsstellen auch mit Augenmaß handelnd – die sicherlich gute Ausstattung so finanzieren, dass diejenigen, die dort arbeiten – über- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6409 wiegend Frauen –, gut versorgt sind, wenn sie in den Ru- rinnen und Redner so gesagt. Da ist ausdrücklich unser hestand gehen. Genau darüber beraten wir heute leider Dank angesagt. nicht. Deshalb muss es eine Änderung geben. Frau Schott, wenn Sie hier sagen, das sei nur traurig, wie Wir haben nicht nur das Problem, dass die Kosten nicht or- das hier behandelt wird, dann muss ich das mit aller Ent- dentlich erstattet werden, sondern auch das Problem, dass schiedenheit zurückweisen. Gerade der Punkt „vertrauliche wir die Beratung durch Ärzte in einem Umfang anerken- Geburt“ ist bei den Trägern und bei den Anzuhörenden po- nen, der der Sache nicht gerecht wird. Es geht nicht darum, sitiv bewertet worden. Vertrauliche Geburt ist ganz neu. dass die Ärzte nicht gut beraten oder nicht beraten sollen. Das ist ein neues Rechtsgebiet. Das Gesetz gibt es auf Selbstverständlich sollen auch Ärzte beraten dürfen. Man Bundesebene erst seit Mai 2014. muss nur schauen, ob man nicht, wie es bei diesem Gesetz- Wir haben erstmals in diesem Gesetz einen Kostenerstat- entwurf der Fall ist, die Beratungsstellenlandschaft tungsanspruch gemeinsam mit den Trägern entwickelt. schwächt, indem man Ärzten die Genehmigung zur Bera- Dort wird überhaupt erst einmal geregelt, was es denn für tung erteilt. Das genau sollten wir nicht machen. Deswe- einen Fall gibt, wenn eine vertrauliche Geburt stattfindet, gen lehnen wir den Gesetzentwurf ab. wie sie das abrechnen können, wie wir das machen. Das ist (Beifall bei der LINKEN) sozusagen der Bereich, an dem wir uns jetzt vortasten und wo geschaut wird, wie das eigentlich funktionieren kann. Die Ärzte können und sollen beraten; sie können es gern Es ist sehr positiv gewürdigt worden, dass wir dieses Kon- on top machen. Die Anzahl der Beratungsgespräche durch fliktfeld aufmachen und sicherstellen, dass die vertrauliche Ärzte ist so gering, dass es dieses Land nicht umbringen Geburt auch in der Schwangerschaftskonfliktberatung ab- wird. gerechnet werden kann. Der nächste Punkt, den ich für diese Debatte wirklich be- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zeichnend finde, ist die Auseinandersetzung um die anony- der CDU) me Geburt. Wir reden hier von maximal einer Handvoll oder sogar von nur zwei anonymen Geburten im Jahr. Wir Ich gebe Ihnen ausdrücklich recht: Es ist gut und richtig, reden Gott sei Dank von ganz wenigen Fällen. Aber wir re- dass rechtssichere Räume eröffnet werden, wo eine Frau, den darüber, ob eine Frau es schafft, in eine Klinik zu ge- die nicht weiß, ob sie in ein Krankenhaus gehen kann, und hen, um dort zu entbinden, oder ob sie das Kind allein ir- die ihre Anonymität nicht preisgeben will, in einem siche- gendwo im Wald, in einer Garage, zu Hause in der Bade- ren Rahmen das Kind zur Welt bringen kann, und dass das wanne oder sonst wo bekommt, und wir reden darüber, ob Kind auch später die Möglichkeit hat, alles über seine Her- sie und das Kind das überleben. kunft zu erfahren. Es ist gut, dass wir das regeln. Das sind so wenige Fälle, dass wir eigentlich über die Fi- Im Sinne der Träger – auch das haben die Träger durchaus nanzierung einer solchen Beratung überhaupt nicht nach- gelobt und anerkannt – verstetigen wir das Auswahlverfah- denken müssen. Wir denken aber nur dann darüber nach, ren. Das findet nur noch alle drei Jahre statt. Das bedeutet wenn es auch zu einem – in Anführungszeichen – „erfolg- weniger Bürokratie. Auch da entlasten wir. Der Ände- reichen“ Abschluss kommt. Wenn im Laufe der Beratung rungsantrag, den Frau Ravensburg Ihnen hier vorgestellt die Frau zu dem Ergebnis kommt, eben nicht anonym zu hat, greift das noch einmal auf: Wir wollen damit auch hier entbinden, es anders zu machen, und sie eine Lösung fin- zusätzlich Erleichterung bei der Bürokratie verschaffen. det, die für sie und das Kind noch zuträglicher ist, dann Ich glaube, das ist auch richtig und wichtig. wird die Beratung nicht erstattet. – Was ist denn das für ei- Sie haben – darauf rekurrieren die Anträge der SPD sowie ne Debatte? – Das ist doch komplett schräg. Das Ganze bei die Beiträge von FDP und LINKEN – zwei Punkte aufge- vielleicht einem, zwei, drei oder fünf Fällen im Jahr. Das griffen, wo die Träger aus ihrer Sicht natürlich völlig zu kann nicht Ihr Ernst sein. Recht sagen: Wir hätten gern mehr Geld für unsere an- (Beifall bei der LINKEN) spruchsvolle Arbeit, und wir hätten gern weniger Konkur- renz. – Das sind die beiden Aussagen, die da drinstecken. Deshalb finde ich die Debatte, wie sie hier geführt wird, Es ist ja auch nicht verwerflich, zu sagen: Wir machen eine einfach nur traurig und dieses Landes nicht würdig. schwierige und umfangreiche Beratung in den Beratungs- (Beifall bei der LINKEN) stellen, und wir möchten gern, dass für diese wichtige Auf- gabe die Förderpauschale angehoben wird.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Insgesamt wurden die Förderpauschale und die pauscha- lierte Ermittlung für die Beratungsstellen aber nicht infrage Danke, Frau Schott. – Für die Fraktion der GRÜNEN hat gestellt. Folgendes ist passiert. Es wurde gesagt, dass die- sich Frau Erfurth zu Wort gemeldet. ser Fördermix, den wir haben – nämlich eine Beraterin, die zu 80 % mit ihrem Jahresgehalt in der Stufe 10, zweit- höchste Erfahrungsstufe, angerechnet wird, plus 10 % ei- Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nes Jahresentgelts einer Juristin, Entgeltstufe 14, auch Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! zweithöchste Erfahrungsstufe, plus 25 % einer Sekretari- Auch ich möchte mit einem ausdrücklichen Dank an die atskraft, Entgeltstufe 9, auch in der zweithöchsten Erfah- Beraterinnen – es sind überwiegend Frauen – beginnen, die rungsstufe –, nicht gesetzeskonform sei. So wurde es von die schwierige Aufgabe der Schwangerschaftskonfliktbera- den Trägern vorgetragen. tung für uns in Hessen durchführen. Meine Frage, wie das denn in anderen Ländern passiert, (Allgemeiner Beifall) konnte so nicht beantwortet werden. Denn – auch das ge- hört dazu – wir haben bundesweit die fünfthöchste Förder- Das ist eine schwierige Aufgabe. Da nimmt man immer quote. Von daher kann ich nicht so ganz nachvollziehen, viel mit nach Hause. Das haben, so glaube ich, alle Redne- 6410 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 dass andere Länder, die weit weniger an Förderquote zah- einfach mal mit einem Federstrich sagen: Wir reduzieren len, sich gesetzeskonformer verhalten als wir. jetzt die Anzahl der Beratungsstellen. Ihr Antrag, Frau Gnadl, zielt darauf, zu sagen: Wir wollen Sie sehen: Wir haben uns durchaus sorgfältig mit all diesen jetzt die Beraterin mit einem höheren Prozentsatz gewich- Problemen auseinandergesetzt und haben die Argumente ten, und die Sekretariatskraft lassen wir einmal außen vor. vor und zurück gewägt. Wir können nach dem Abschluss Sie muss on top außerhalb des Fördermix gezahlt werden. unserer Beratungen nur sagen: Die Anträge der SPD sind – Das kann man vertreten. Aber wenn Sie das so wollen, durchaus erwägenswert. Wir haben auch überlegt, ob wir dann frage ich mich: Wo ist der Finanzierungsantrag dazu? daran mitarbeiten können; aber am Ende sind wir dazu ge- – Das würde ja in der Folge bedeuten, dass pro Beratungs- kommen, dass wir diese Anträge nicht unterstützen kön- stelle etwas mehr als 9.000 € zusätzlich gezahlt werden nen. Wir hoffen, wir können Sie auch noch überzeugen, müssten. dass wir auch ohne diese beiden Punkte ein gutes und weg- weisendes Schwangerschaftskonfliktgesetz in Hessen ha- Wir haben in Hessen 154 Beratungsstellen. Das sind 1,2 ben werden. – Ich danke Ihnen. bis 1,3 Millionen €. Ich habe keine Aussage darüber ge- hört, wie Sie das finanzieren wollen. Natürlich müssen wir (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und unsere Aufgaben alle finanzieren. Wir müssen aber auch der CDU) sehen, woher das Geld kommt. Dazu habe ich jetzt leider nichts gehört. Wir haben uns in der Abwägung dazu ent- schieden, dass wir dieses wichtige Feld weiter im Auge be- Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: halten müssen, aber es in dieser Runde so nicht finanzieren Danke, Frau Erfurth. – Ich erteile Staatsminister Grüttner können. Das ist die Wahrheit. Deshalb werden wir auch das Wort. den Änderungswünschen der SPD an diesem Punkt nicht zustimmen. Sie haben weiterhin beantragt, die Zahl der Ärztestellen Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: weniger stark anzurechnen. Uns ist es wichtig, einen Mix Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! von freien Trägern und Ärztinnen und Ärzten zu haben. Ich will mich seitens der Landesregierung dem Dank an all Denn es gibt auch eine Klientel von Frauen, die nicht zu diejenigen, die in dem schwierigen Feld der Schwanger- einem freien Träger oder überhaupt zu einem Träger wol- schaftskonfliktberatung tätig sind, anschließen. Das ist kei- len, sondern die die Beratung bei einem Arzt vorziehen. Es ne einfache Aufgabe, weil sie neben der rein sachlichen ist uns aber auch wichtig, die Anzahl der Ärztinnen und Kenntnis und Materie immer auch in einem hohen Maße Ärzte zu deckeln, damit die freien Träger für die Aufgabe, mit Emotionalität verbunden ist. die sie für uns alle erfüllen, auch den nötigen Raum haben. Deshalb ist dieser Deckel von 20 % eingezogen. Wir haben gerade eben durch die Rednerinnen aus den Re- gierungsfraktionen schon gehört, wie die Rahmenbedin- Jetzt wird beantragt, diesen Deckel zu halbieren. Wenn wir gungen im Hinblick auf die Fragestellungen sind, wie viele uns diese Grenze einmal anschauen, müssen wir Folgendes Beratungsstellen wir in Hessen gesetzlich haben müssten, feststellen: Die 20-%-Grenze, die wir in Hessen haben, wie viele wir vorhalten und wie sich letztendlich auch die wird nicht erreicht. Wir sind bei 17 %. 17 % der Bera- Verteilung und Finanzierung darstellen. Ich will an dem tungsstellen werden von Ärzten eingenommen. Derzeit Punkt schon noch einmal sagen, wir sind dort natürlich liegt die Ausstattung mit Beratungsstellen über dem auch durch entsprechende rechtliche und gerichtliche Ent- Schlüssel von 1 : 40.000 Einwohnern. Wir haben also et- scheidungen bestätigt. was mehr Beratungsstellen. Das haben wir auch in der Ko- alition besprochen. Das wollen wir politisch. Wir müssten Das Bundesverwaltungsgericht hat ausdrücklich betont, nach diesem Schlüssel 152,3 Beratungsstellen vorhalten. dass man eine Vollförderung nicht fordern könnte, und aus Wir haben uns aber darauf verständigt, dass wir bei den sehr einleuchtenden Gründen einen spürbaren Eigenanteil 154,4 Stellen bleiben. Wir haben also eine kleine Anzahl in Höhe von 20 % für rechtmäßig erklärt. Im Übrigen will mehr an Beratungsstellen. Wir liegen also über dem ich an dieser Stelle sagen, dass die Eigenanteile, die in an- Schwellenwert. deren Bundesländern erhoben werden, über den 20 % lie- gen, die wir in Hessen erheben, und dass wir gleichzeitig Dann muss man drittens dazu wissen: Es gibt eine Häufung mit den 70.000 € pro Beratungsstelle, die im nächsten Jahr von Arztstellen im Großraum Frankfurt. Nun ist es aber zur Verfügung stehen, einen Beitrag leisten, der in der nicht so, dass deshalb die Rat suchenden Frauen im Groß- Spitzengruppe ist. raum Frankfurt auf eine Beratung durch einen freien Trä- ger verzichten müssen. Wir haben uns das sehr genau an- Zu dem, was auch Frau Erfurth eben dargestellt hat – es ist gesehen, und wir haben versucht, herauszufinden, wo denn auch eine Frage, die in der Anhörung nicht deutlich gewor- tatsächlich die Stellen sind, wo es auch für eine Rat su- den ist –: Wieso ein Trägerverband, der eine Beratungsstel- chende Frau schwierig wird, einen freien Träger zu finden. le in Rheinland-Pfalz betreibt und eine Beratungsstelle in Das ist aber nicht so. Sie finden im Großraum Frankfurt Hessen betreibt, sagt, in Hessen sei er nicht auskömmlich trotz allem auch immer freie Träger, wo eine Rat suchende finanziert, und in Rheinland-Pfalz sei er auskömmlich fi- Frau eine Schwangerschaftskonfliktberatung wahrnehmen nanziert, wobei er aber in Rheinland-Pfalz weniger Mittel kann. zur Verfügung gestellt bekommt – das ist eine Logik, die sich nicht hundertprozentig nachvollziehen lassen kann, Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, der Vor- insbesondere wenn es sich um die gleichen Trägerstruktu- schlag, die Arztstellen jetzt einmal eben so um die Hälfte ren handelt. zu reduzieren, wird alldem nicht gerecht. Es fehlt mir auch hierzu die Aussage, wo am Ende das Geld herkommt und Wir haben gerade eben noch einmal sehr deutlich gehört, wie die Ausgaben finanziert werden sollen, wenn Sie eben dass nicht nur bei jemandem in dem Bereich der reinen Be- ratungstätigkeit, sondern auch in dem Mix von Juristin, Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6411

Beratungstätigkeit, einschlägigen Erfahrungen, die not- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von kommunalen Ge- wendig sind, bis hin zu Verwaltungstätigkeiten immer die bietskörperschaften, von Versorgungsämtern oder anderen Entgeltstufe angenommen worden ist, die im obersten Be- Bereichen verweisen müssen, die eine spezielle Ausbil- reich ist – nicht im untersten Bereich –, und dass an dieser dung auch in der Beratung in diesen Fragestellungen ha- Stelle bei der Nachprüfbarkeit durch das Regierungspräsi- ben. Dass nie auszuschließen ist, dass eine solche Frage dium Kassel auch nicht geschaut wird, ob eine Mitarbeite- gestellt wird, ist vollkommen klar. rin tatsächlich dort eingruppiert ist oder ob sie, weil sie ei- Aber man darf sie sich nicht als eigenen Beratungsbestand- ne neue Mitarbeiterin ist, möglicherweise in einer geringe- teil innerhalb einer Schwangerschaftskonfliktberatung zu ren Entgeltgruppe geführt ist. Die Pauschale dient vielmehr eigen machen, weil man an dieser Stelle sehr leicht in die dazu, genau an dieser Stelle den Trägern auch eine entspre- Gefahr kommt, schlicht und einfach selbst in eine Situation chende Flexibilität zu ermöglichen. hineinzukommen, möglicherweise nicht alle Dinge genau Deswegen will ich auf zwei Stellen noch einmal eingehen, durchblicken zu können. Das ist dann auch der Schutz des weil ich finde, dass man an dem Punkt schon noch etwas eigenen Mitarbeiters oder der eigenen Mitarbeiterin in ei- differenzierter argumentieren muss. Das Schwanger- ner Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle, der an dieser schaftskonfliktgesetz fordert ein plurales Angebot. Durch Stelle zu beachten ist. Deswegen ist es sicherlich richtig, den Punkt, dass 20 % der Beratungsstellen durch Ärzte dass wir an dem Punkt aufpassen müssen, dass man sich vorgehalten werden, kommen wir dieser Forderung eines auf die wesentlichen Aufgaben konzentriert. pluralen Beratungsangebotes nach. Das Land Hessen erfüllt seine Aufgabe zum Wohle der Be- Ich will sehr deutlich sagen, dass wir in Hessen durchaus ratung suchenden Frauen und hat die Interessen aller Betei- auch stolz darauf sein können, dass wir nach wie vor Ärz- ligten, wie ich meine, gut im Blick. Ich bitte also erneut tinnen und Ärzte haben, die diese Pluralität sicherstellen um Zustimmung zu diesem Gesetz. und sich zur Verfügung stellen. Wenn ein Arzt eine (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Schwangerschaftskonfliktberatung durchführen will, dann GRÜNEN) ist auch von dem Arzt ein besonderes Engagement gefor- dert. Er oder sie muss das wollen. Es ist erforderlich, Kenntnisse über psychosoziale Zusam- Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: menhänge und psychotherapeutische Versorgung nachzu- Danke, Herr Grüttner. weisen, es ist alle drei Jahre eine besondere Schulung nachzuweisen, und letztendlich muss man als Arzt oder Es ist die dritte Lesung beantragt. Das heißt, wir überwei- Ärztin bereit sein, sich mit den Problemen von Schwanger- sen diesen Gesetzentwurf und die zwei Änderungsanträge schaftskonflikten auseinanderzusetzen. Jetzt muss man ein- von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einerseits und der fach einmal zuhören: Dafür wird eine Pauschale von SPD andererseits an den sozialpolitischen Ausschuss zur 59,90 € gewährt. Wer der Überzeugung ist, dass sich Ärz- Vorbereitung der dritten Lesung. tinnen und Ärzte wegen der Pauschale von 59,90 € in den Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Bereich der Schwangerschaftskonfliktberatung mit all den Schwierigkeiten begeben, die vorhanden sind, um ein Ein- Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregie- kommen zu erzielen, der liegt falsch; es ist auch eine Ein- rung für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen Ge- stellung von Medizinerinnen und Medizinern, an dieser setzes über Betreuungs- und Pflegeleistungen – Drucks. Stelle ein Beratungsangebot vorzuhalten und Menschen in 19/4137 zu Drucks. 19/3743 – Konfliktsituationen zuzuhören. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Änderungsantrag der Fraktion der SPD – Drucks. GRÜNEN) 19/4278 – Wenn Sie die Senkung von 20 auf 10 % darstellen – all Die vereinbarte Redezeit beträgt siebeneinhalb Minuten. dies ist noch einmal in den SPD-Anträgen, das muss ich Als Erster erteile ich der Berichterstatterin, der Abg. nicht noch einmal wiederholen –, haben Sie auch die Frage Bächle-Scholz, das Wort. des Vergütungsmix, den wir eingeführt haben, möglicher- weise nicht bis zum Ende durchdrungen. Sabine Bächle-Scholz, Berichterstatterin: Wir haben auch entbürokratisiert, was die Antragstellung erleichtert. Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, werte Kolle- gen! Der Sozial- und Integrationspolitische Ausschuss Ich will auch noch auf einen Punkt eingehen, der auch in empfiehlt dem Plenum mit den Stimmen von CDU und der Anhörung immer eine Rolle gespielt hat. Darüber muss BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der man auch nachdenken. Es wurde vorgetragen, dass neben SPD, der LINKEN und der FDP, den Gesetzentwurf unter der reinen Schwangerschaftskonfliktberatung viele andere Berücksichtigung des Änderungsantrags Drucks. 19/4134 Fragestellungen auch noch eine Rolle spielen, also die Fra- in zweiter Lesung anzunehmen. gestellung, wie es sich zur Jugendhilfe verhält, wie es sich zum SGB-II-Bezug verhält, wie es sich zu anderen Sozial- (Beifall bei der CDU) leistungsträgern und anderen Bereichen verhält. Natürlich sind solche Fragen durchaus auch berechtigt. Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Ich denke nur, in der Konzentration und bei der Aufgabe Frau Bächle-Scholz, danke für die Berichterstattung. – der Schwangerschaftskonfliktberatung müssen diejenigen, Frau Klaff-Isselmann von der CDU-Fraktion hat sich als die an dieser Stelle beraten, sehr genau aufpassen – auch Erste zu Wort gemeldet. zu ihrem eigenen Schutz –, ob sie nicht auf Expertisen von 6412 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

Irmgard Klaff-Isselmann (CDU): Wir möchten die Einrichtungen einladen, mitzuwirken, und ihnen nicht ausschließlich etwas von oben diktieren. Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Pflege Die Einrichtungen sollen und dürfen eigene, individuelle und Betreuung sind nicht nur ein Thema, sie sind das The- Konzepte entwickeln, wie sie z. B. Gewalt, auch sexueller ma der Zukunft, dem wir uns noch oft widmen werden. Natur, frühzeitig verhindern können. Seien Sie versichert: Dennoch sind sie ein Tabuthema, über das nicht häufig ge- Dieses Gesetz schützt die Interessen älterer betreuungsbe- redet wird. Doch es ist wichtig, dass sich jeder mit dem dürftiger Menschen, pflegebedürftiger volljähriger Men- Thema Pflege und Betreuung auseinandersetzt. schen und volljähriger Menschen mit Behinderungen, die Bereits in der ersten Lesung haben wir darauf hingewiesen, gegen Entgelt betreut oder gepflegt werden. dass das bisherige Hessische Gesetz über Betreuungs- und (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des Pflegeleistungen hervorragend ist. Es muss nicht grund- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sätzlich neu gefasst werden. Nein, es muss weiter gelten, bis 2024. Dafür sind nur wenige, vornehmlich redaktionel- Es trägt zum Bürokratieabbau bei: im Bereich der Anzeige le, Änderungen notwendig. der Personaländerungen, im Bereich der Prüfberichte. Mit diesem Gesetz setzen wir Anforderungen an die Qualität Wir sind weiterhin fest der Meinung, dass trägerorganisier- und Kompetenz der für die Pflege verantwortlichen Perso- te ambulant betreute Wohngemeinschaften durch dieses nen in ein ausgewogenes Verhältnis zu dem Vertrauen, das Gesetz geregelt werden müssen. Das Schutzniveau für die wir diesen Menschen entgegenbringen möchten. Betroffenen darf nicht gesenkt werden. Wohngemeinschaf- ten bis zu sechs Personen fallen ohnehin gar nicht unter die Meine Damen und Herren, es gibt nach wie vor keine Al- Vorschriften. Bei Wohngemeinschaften über sechs Perso- ternative zu diesem Gesetz. Ich lade alle Fraktionen ein, nen sind außerdem durchaus Ausnahmen nach einer indivi- dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Behinderte und pflege- duellen Prüfung möglich. Dieses Gesetz verhindert demzu- bedürftige Menschen werden durch dieses Gesetz auch folge keine trägerorientierten ambulant betreuten Wohnge- weiterhin geschützt. Das haben wir zu gewährleisten, und meinschaften. wir stellen es hiermit auch sicher. – Vielen Dank. Pflege und Betreuung müssen die Mindeststandards erfül- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE len. Ja, Pflege und Betreuung sind finanziell aufwendig. GRÜNEN) Aber wir dürfen unsere hohen Qualitätsmerkmale nicht zu- gunsten einer besseren Wirtschaftlichkeit opfern. Der Mensch geht klar vor dem Profit. Präsident Norbert Kartmann: Der SPD-Antrag zeigt, dass Sie, werte Kolleginnen und Das Wort hat Herr Abg. Rock für die FDP-Fraktion. Kollegen, die Flexibilität des vorliegenden Gesetzesvor- schlags nicht erkannt haben und daher zu keinem Konsens bereit waren. René Rock (FDP): (Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD)) Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Zum Heimgesetz muss ich nicht so viel ausführen wie zu dem Wir wollen zudem Änderungen, die einen deutlichen Büro- Gesetz, über das wir davor geredet haben. Uns allen ist kratieabbau vorsehen. Sie aber wollen nicht Bürokratie ab- klar, wie wichtig das Heimgesetz ist. Uns allen ist klar, bauen, sondern aufbauen. Sie wollen die Einrichtungen welche Überlegungen in diesem Gesetz vorangestellt wer- nicht entlasten, sondern mit weiteren Vorschriften belas- den. ten. Mir scheint, Sie vertrauen den Betreuerinnen und Be- treuern sowie Pflegerinnen und Pflegern wenig. Wir trauen Für mich als Abgeordneter, der einmal in einer Koalition diesen Menschen Fachkompetenz und menschliche Wärme war, ist klar geworden, dass es vielleicht klug wäre, nicht zu und machen dies in diesem Gesetz deutlich. zu viele Ermächtigungen für das Ministerium in ein sol- ches Gesetz zu schreiben. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Präsident Norbert Kartmann übernimmt (Günter Rudolph (SPD): Sehr gut!) den Vorsitz.) Stattdessen sollte man es hier im Landtag das eine oder an- Diese Menschen leisten bereits jetzt Tag für Tag hervorra- dere Mal konkret beschließen, weil man vielleicht feststel- gende Arbeit. Wer sich um andere Menschen täglich hin- len kann, dass die Ministerien nicht so arbeiten, wie man gebungsvoll kümmert, der hat nicht nur unser Vertrauen sich das erhofft hat, oder dass sie, weil es problematisch verdient. Nein, dem gehören bei aller Kontrolle und Fach- ist, lieber nichts ändern möchten. Das ist eine kleine Er- lichkeit Dank und Anerkennung ausgesprochen. kenntnis, die ich bei diesem Gesetz gewonnen habe. Meine Damen und Herren, wir setzen des Weiteren auch Was mich besonders geärgert hat, bezieht sich auf die Bei- auf flexible Lösungen. Das sind so weit die Wünsche der räte, wo man unter Beihilfe der GRÜNEN wieder einen Beteiligten. Diese haben wir alle im Ausschuss bei der öf- Schritt zurückgegangen ist. Das finde ich sehr traurig. Wir fentlichen Anhörung und im direkten Austausch mitgeteilt haben sehr dafür gekämpft, dass es hier zu einer gesetzli- bekommen. Wir setzen sie um, so wie die Einrichtungen chen Regelung kommt, die den Beiräten entgegenkommt. und Betroffenen sich das auch wünschen, nicht anders. Die Anhörung hat ergeben, was das Wichtigste an solch ei- (Gerhard Merz (SPD): Nein!) nem Gesetz ist. Solch ein Gesetz ist immer eine Nachbe- trachtung. Wir haben eine gesellschaftliche Entwicklung, Dazu gehört die Gewaltprävention, dazu gehört die Ver- und wir versuchen, mit dem Gesetz auf diese gesellschaft- meidung freiheitsentziehender Maßnahmen, dazu gehören liche Entwicklung einzugehen, sie ein Stück weit zu ord- die Qualitätsanforderungen, und dazu gehört die Beseiti- nen und für die, die unsere Unterstützung brauchen, Quali- gung bestehender Mängel. tät sicherzustellen. Wir hecheln eigentlich immer ein Stück Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6413 weit der Entwicklung hinterher. Das ist kein Vorwurf, es men durch die Regelungen konterkariert werden. Die An- ist einfach so. Denn man kann sich als Regierung, als Ge- hörung hat deutlich gemacht, dass trägerorganisierte ambu- setzgeber viele Dinge ausdenken. Aber die gesellschaftli- lant betreute Wohnformen kaum existieren, da sie unter che Entwicklung nimmt nicht so viel Rücksicht darauf. das Gesetz fallen. Das kann doch eigentlich nicht unser In- teresse sein. Denn das ist die Lebensform, die sich viele Wenn man den Hinweis hat, dass es einen Regelungsbe- Menschen wünschen. darf gibt, dass sich ein Feld entwickelt hat, wo es wichtig wäre, auf die Vorschläge aus der Anhörung einzugehen, (Beifall der Abg. Heike Habermann (SPD)) und man es ignoriert, dann macht man aus meiner Sicht Wo ist Frau Klaff-Isselmann? Ich würde sie gerne einmal einen Fehler. etwas fragen. Sie hat ihren Gesetzentwurf als so flexibel Ich habe mit dem Gesetz schon in der letzten Legislaturpe- beschrieben und gesagt, wir hätten nicht verstanden, dass riode keinen echten Frieden gemacht. Das weiß der Minis- das alles möglich ist, und zwar unter sechs und über sechs ter auch aus intensiven Debatten. Wir haben damals einen Personen. – Sie haben schön erklärt, was alles in dieser Kompromiss gefunden. Der Kompromiss ist jetzt ein Stück Gesetzgebung drinnen ist. Aber wenn doch alles so flexibel weit aufgeweicht. Man ist auf die Entwicklung, die in der ist und wenn alles geprüft wird, warum gibt es dann diese Anhörung deutlich geworden ist, leider nicht eingegangen. trägerorganisierten ambulant betreuten Wohnformen nicht? Von daher werden wir dieses Gesetz nicht mittragen kön- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Willi van nen. Wir werden es im Ausschuss noch einmal beraten. Ooyen und Marjana Schott (DIE LINKE)) Vielleicht ändere ich meine Meinung noch. Ich glaube es aber eher nicht. – Vielen Dank. Da Sie mir die Antwort heute schuldig geblieben sind, könnten Sie mir das morgen erläutern. Der Herr Minister (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD ist immer sehr gut informiert. Ich habe die Hoffnung, dass – Zuruf des Abg. Armin Schwarz (CDU)) er das vielleicht für Sie übernehmen kann. Uns ist es wichtig, trägerorganisierte ambulant betreute Präsident Norbert Kartmann: Wohnformen zu unterstützen. Wir möchten sie zunächst Das Wort hat Frau Dr. Sommer für die SPD-Fraktion. einmal aus dem Geltungsbereich des Gesetzes herausneh- men, um sie nicht länger zu behindern. Langfristig sollte aber etwas anderes das Ziel sein. Frau Dr. Daniela Sommer (SPD): Klaff-Isselmann, da stimme ich Ihnen voll zu. Es geht im- Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kol- mer um die Qualität. Natürlich braucht man Mindeststan- legen! Frau Klaff-Isselmann, eben habe ich noch gedacht, dards. Aber man muss auch schauen, wie man was in der ich wäre in einer anderen Anhörung gewesen als Sie. Aber Praxis umsetzen kann. Deswegen sind wir dafür, dass man Herr Rock hat alles wieder geradegebogen. Anscheinend Vorgaben macht, die praxisrelevant sind und der Lebens- hatten wir doch dasselbe Vergnügen wirklichkeit der Menschen entsprechen. Freilich müssen sie auch den qualitativen sowie den wissenschaftlichen (Zuruf des Abg. Armin Schwarz (CDU)) Standards entsprechen. und haben derselben Anhörung lauschen können. Sie ha- (Beifall bei der SPD) ben anscheinend nicht registriert, dass es tatsächlich Ände- rungsbedarf gibt. Es gab einige Aspekte, die beklagt wor- Als dritte Änderung wollen wir, dass der neue § 8 ersetzt den sind. So sehen wir ebenfalls Änderungsbedarf. Deswe- wird, weil er sich uns nicht erschließt. Darüber hatten wir gen haben wir natürlich unseren Änderungsantrag einge- während der ersten Lesung schon ausführlich gesprochen. bracht. Dass das Gesetz hervorragend gefasst sei, das kön- Statt solcher Maßnahmen bedarf es nach unserem Ver- nen wir ganz und gar nicht unterzeichnen. ständnis eines verantwortungsvollen Gesetzgebungsprozes- ses, der zum einen den Wunsch nach Selbstbestimmung (Beifall bei der SPD und der LINKEN) und den Schutz der Menschen berücksichtigt, die von die- Zu bemängeln – das haben wir bereits in der ersten Lesung ser Hilfe abhängig sind. Er soll aber auch die Wünsche und deutlich gemacht – ist das, was in § 5 unter Abs. 3 steht. Bedürfnisse der zu Pflegenden und der Pflegekräfte als Das hat Herr Rock gerade schon benannt: Da soll eine Ausgangspunkt nehmen. Sollformulierung in eine Kannbestimmung überführt wer- Eine gute Pflege leistet genau das. Um gute Pflege, d. h. den. Wir wollen, dass die alte Sollregelung für den Ange- vom Menschen aus gedacht, zu gewährleisten, braucht es hörigen-, Betreuerinnen- und Betreuerbeirat beibehalten mehr Personal. Deswegen sprechen wir uns in unserem wird. Mit der von Ihnen vorgeschlagenen Version würde neuen § 8 erneut für einen gesetzlich definierten Personal- dieser zur Option. Das begrüßen natürlich einige Einrich- pflegeschlüssel aus. So kann man zum einen die Sicherheit tungen, weil es dann nicht mehr so aufwendig ist. Aber es der Patienten und zum anderen eine gute und risikoarme geht um die Unterstützung. Frau Klaff-Isselmann, Sie ha- Versorgung besser unterstützen. ben gesagt, Ihnen geht es um das Wohl der Betreuten. – Genau hier geht es um das Wohl der Betreuten, dass sie ei- Wir brauchen dringend verbindliche Vorgaben. Wir brau- ne Stimme bekommen. Es ist ein Instrument, um die per- chen nicht Ihren § 8 mit freiheitsentziehenden Maßnah- sönlichen Rechte zu stärken. men. Stattdessen müssen Verhältnisse geschaffen werden, die es den Pflegekräften ermöglichen, die ihnen anvertrau- (Beifall bei der SPD) ten Bewohnerinnen und Bewohner ordnungsgemäß und Der zweite Aspekt, den wir mit unserem Änderungsantrag, gut zu versorgen. den Sie kritisiert haben, einbringen, wurde von den aller- Nicht nur die hessische SPD, sondern auch der Ethikrat, meisten Anzuhörenden immer wieder beklagt. Es geht dar- der Pflege-Selbsthilfeverband, der Deutsche Berufsverband um, dass trägerorganisierte ambulant betreute Wohnfor- für Pflegeberufe sowie andere fordern einen gesetzlich de- 6414 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 finierten Personalschlüssel. Das habe ich schon während Die Landesregierung hat 102 Organisationen angehört. Es der ersten Lesung gesagt: Dass die Patientensicherheit und gab tatsächlich auch Anmerkungen. Mit diesen Anmerkun- eine gute, risikoarme Versorgung mit der Pflegepersonal- gen und Vorschlägen wurde sich kritisch auseinanderge- bemessung korreliert, bestreitet international niemand. Ich setzt. Vieles wurde in diesem Raum schon besprochen. hoffe, dass Sie alle in diesem Hause das nicht bestreiten. Zwei Dinge möchte ich noch einmal nennen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass man nicht ganz be- Zu Thema Gewaltprävention wird es noch einmal deutliche greift, warum wir nicht müde werden, immer wieder genau Verbesserungen geben. Auch beim Bürokratieabbau wird diese Forderung einzubringen. Frau Klaff-Isselmann, denn dieses Gesetz helfen. es geht uns um das Wohl dieser Menschen. Es geht auch um freiheitsentziehende Maßnahmen. Das ist (Beifall bei der SPD) eines der ganz großen Themen, das Frau Schott schon Es fehlen diesbezüglich immer noch die Heimpersonalver- während der ersten Lesung eingebracht hat. Dazu wurde ordnung, die Heimmindestbauverordnung sowie die Heim- auch noch einmal klar gesagt, dass es sich bei freiheitsent- mitwirkungsverordnung. Das ist nicht hinnehmbar. Das ha- ziehenden Maßnahmen um die Ultima Ratio handelt. ben wir schon mehrmals erwähnt. Es ist aber auch nicht Wir haben auch damals schon gesagt, dass wir auf Bundes- hinnehmbar, dass das im Gesetz aus dem Jahr 2012 veran- ebene klarere Regelungen erzielen wollen. Das betrifft kerte Beschwerdetelefon bis heute noch nicht eingerichtet § 1906 Bürgerliches Gesetzbuch, in dem es darum geht, ist. wie Menschen tatsächlich gegen ihren Willen unterge- Herr Grüttner, Sie haben im Ausschuss versprochen, dass bracht werden können. Wir haben auch damals schon ge- die Verordnungen zeitnah kommen werden. Wir werden sagt, dass es freiheitsentziehende Maßnahmen nicht nur in das genau beobachten. Wir werden das im Auge behalten der Psychiatrie und im Krankenhaus gibt, sondern auch in und Sie da beim Wort nehmen. Altenpflegeheimen oder insgesamt in Heimen, und dass es da dringend einer verbesserten bundesgesetzlichen Rege- Einen letzten Aspekt möchte ich aufgreifen. In der Anhö- lung bedarf. Denn das, was wir mit dem hessischen Psy- rung wurde auch die Ausdifferenzierung der Angebote ge- chisch-Kranken-Hilfe-Gesetz vorschlagen, wird bundes- wünscht, um die Vielgestaltigkeit der Einrichtungen wider- weit ein hoher Standard sein. Das wünsche ich mir auch in spiegeln zu können. Hier sehen wir uns in unseren Forde- allen Altenpflegeheimen. rungen bestätigt. Das Gesetz wird hier hinter seinen Mög- lichkeiten zurückbleiben. Das können wir leider in Hessen nicht selbst regeln. Aber das fordern wir. Vielleicht kommen wir nach der Bundes- Sie verpassen es als Gesetzgeber leider, auf die verschiede- tagswahl dort einen Schritt weiter. Es würde dann deutli- nen Wohn- und Einrichtungsformen einzugehen. Herr che Verbesserungen geben. Rock hat das ganz nett umschrieben. Sie registrieren die Entwicklungen nicht, die einfach vorhanden sind. Nach der Eine große und umstrittene Frage betrifft das betreute jetzt durchgeführten Anhörung fühlen wir uns bestätigt und Wohnen. Frau Dr. Sommer, das haben Sie angesprochen. halten an unseren Forderungen fest. Wir brauchen nämlich Ich gebe ganz offen zu: Als ich die ersten Stellungnahmen, praktikable Rahmenbedingungen für die Träger sowie ver- diesen Hagel der einzelnen Organisationen zur Kenntnis besserte Arbeitsbedingungen für die in der Pflege Tätigen. genommen haben – das kam von der Liga der Freien Wir brauchen Wohn- und Versorgungsformen, die den Wohlfahrtspflege und von anderen Verbänden –, bin auch Vorstellungen der älteren Generation entsprechen. ich ins Nachdenken gekommen und habe gefragt: Was ma- chen wir denn da eigentlich falsch? Mit unserem Änderungsantrag wollen wir die schlimmsten Mängel beseitigen. Wir beantragen die dritte Lesung und Wir haben uns mit diesem Thema sehr intensiv auseinan- hoffen auf eine konstruktive Beratung unseres Änderungs- dergesetzt. Wir machen da nämlich gar nichts falsch. antrags im Sinne guter Rahmenbedingungen in der Pflege (Lachen des Abg. Timon Gremmels (SPD) – Günter und für die Pflege sowie für mehr Patientensicherheit. Frau Rudolph (SPD): Wieso habe ich das jetzt erwartet?) Klaff-Isselmann, ich hoffe, dass wir da an einem Strang ziehen. Denn es geht dabei um das Wohl der Bewohnerin- – Herr Rudolph, versuchen Sie einfach einmal, sich auf das nen und Bewohner. – Herzlichen Dank. Thema einzulassen. Es geht um die Frage – – (Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (Zurufe des Abg. Günter Rudolph (SPD)) (DIE LINKE)) – Herr Rudolph, lassen Sie uns doch die Menschen in die- sem Saal hinsichtlich der Frage mitnehmen, worum es Präsident Norbert Kartmann: geht. Es geht um die Frage, ob bei sogenannten ambulant betreuten Wohnformen, also bei den Wohneinrichtungen, Das Wort hat Herr Abg. Bocklet für die Fraktion BÜND- bei denen – – NIS 90/DIE GRÜNEN. (Zuruf des Ministers Stefan Grüttner – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Lieber Herr Grüttner, Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie können nachher an das Pult! – Minister Stefan Grüttner, zu Abg. Günter Rudolph (SPD) gewandt: Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! So lange, wie ich will!) Das Hessische Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistun- gen soll die Interessen der älteren oder pflegebedürftigen Menschen schützen. Es läuft zum 31.12.2016 aus. Die Präsident Norbert Kartmann: Evaluation hat im Wesentlichen ergeben, dass sich das Ge- setz so bewährt hat. Herr Kollege Bocklet, einen Augenblick. Herr Bocklet, ich will für Sie nur die absolute Stille herbeiführen, indem ich Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6415 dem Herrn Kollegen Minister und Herrn Rudolph sage, sie Qualitätsstandards? Das muss man dann aber mit einer sollen bitte aufhören, sich zu unterhalten. Konzeption und pro Einzelfall prüfen. Deswegen ist es auch richtig, wie es dieses Gesetz regelt. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir können diese Qualitätsstandards nicht flächendeckend per se absenken, weil das dann unter Umständen dazu füh- Ist es heute schon möglich, solche ambulanten Formen ren würde, dass in einer Einrichtung mit neun Menschen durchzuführen? – Das ist Frage eins. Das ist es. Widerspre- andere Standards gelten als in einer Einrichtung mit 25. chen Sie dem? § 12 des Hessischen Gesetzes über die Be- Das erschließt sich mir nicht, außer aus betriebswirtschaft- treuungs- und Pflegeleistungen besagt: lichen Gründen. Ich frage Sie: Wollen Sie das Geschäft der Die zuständige Behörde kann auf Antrag die Betrei- Träger machen oder das Geschäft derjenigen, die auf die berin oder den Betreiber von Anforderungen … auf- Pflegebedürftigen achten? Meine sehr verehrte Damen und grund dieses Gesetzes … befreien, insbesondere Herren, aus Sicht der Pflegebedürftigen ist es wichtiger, wenn … dies im Sinne der Erprobung neuer Betreu- darauf zu achten, dass sie die bestmögliche Betreuung und ungs- oder Wohnformen geboten erscheint, … oder Pflege bekommen, und nicht, dass aus betriebswirtschaftli- die Konzeption sie nicht erforderlich macht … chen Gründen Qualitätsstandards abgesenkt werden, nur weil das gerade populär ist. Es ist möglich. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und (Zuruf der Abg. Dr. Daniela Sommer (SPD)) der CDU) – Frau Dr. Sommer, ich verstehe Sie nur schwer. Folgen Der zweite Blick ist manchmal etwas erhellend. Sie doch meinen Gedanken. – Es ist also möglich. (Timon Gremmels (SPD): Der vierte Blick ist noch Wir nehmen dann zweitens zur Kenntnis, dass in den Bun- erhellender!) desländern Berlin und Bremen Der zweite Blick war, als der erste mir sagte: Wir wollen (Zuruf der Abg. Dr. Daniela Sommer (SPD)) das doch flächendeckend ermöglichen – das war sehr sym- – Frau Dr. Sommer, es lohnt sich, zuzuhören –, wo es kei- pathisch vorgetragen. Ja, wir wollen das auch flächen- ne regelhaften abgestuften Anforderungen gibt, die größte deckend ermöglichen. Das lässt das Gesetz auch zu. Aber Anzahl – ebenso wie übrigens in Hessen – von ambulant was wir nicht wollen, sind flächendeckende Qualitätsstan- betreuten Wohnformen zu finden ist. Es bedarf also in die- dards. Ich sage es Ihnen noch einmal. Es ist wichtig, dass sen beiden Bundesländern vorzeigbar keiner expliziten Re- wir darauf achten. Deswegen wäre das, was zunächst ein- gelung. mal wie eine Forderung, wie ein Defizit klingt, in der Um- setzung dessen, was Ihr Vorschlag ist, eine Verschlechte- Jetzt fragen sich viele, warum sich die Träger so vehement rung. dafür einsetzen. Ich möchte Ihnen sagen, warum: Das ist keine heimordnungsrechtliche Frage, sondern es ist eine Deshalb sage ich noch einmal: Das Gesetz ist, was die Ge- Frage von Qualitätsstandards. Ich bin einmal sehr gespannt waltprävention, die Fragen der freiheitsentziehenden Maß- darauf, ob Sie die Frage anders beantworten als ich. Ob in nahmen, den Bürokratieabbau und auch die Ermöglichung einem Haus 12, 24 oder 36 schwerst schutzbedürftige von ambulant betreuten Wohnformen mit Augenmaß an- Menschen liegen, macht überhaupt keinen Unterschied. geht, richtig und gut aufgestellt. Ich denke auch, dass es Diese 12 oder 24 Menschen brauchen denselben Brand- der Zustimmung dieses Hauses dringend bedarf. – Herzli- schutz. Sie brauchen denselben hohen Standard von Pflege chen Dank. und Betreuung. Diese Standards wollen die Ligen absen- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ken, weil es wirtschaftliche Gründe dafür gibt. Das klingt der CDU) aus Sicht der Träger deshalb relativ schlicht und verständ- lich. Aber es macht keinen Unterschied, ob mein pflegebe- dürftiger Vater – er ist schwerst pflegebedürftig – bei- Präsident Norbert Kartmann: spielsweise in einer Einrichtung mit neun oder mit 36 Nächste Wortmeldung, Frau Abg. Schott, Fraktion DIE Menschen untergebracht ist. Es muss auch da nachgesehen LINKE. werden, dass es nicht brennt. Es braucht auch da eine Nachtwache. Es braucht da dieselben Standards. Diese Standards sollen abgesenkt werden. – Meine sehr verehrten Marjana Schott (DIE LINKE): Damen und Herren, ich frage mich: Was ist da fortschrittli- cher? Ich finde, dass Hessen da fortschrittlicher ist. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir können uns doch glücklich schätzen, dass wir hier wirklich von einer (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und so überaus klugen Regierung und noch klügeren Fraktio- der CDU) nen, die diese Regierung tragen, regiert werden Deswegen klang das im ersten Augenblick so unglaublich (Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der CDU) viel besser, wenn man sagt: Ermöglichen Sie doch einmal ambulant betreute Wohnformen. – Erstens. Sie sind mög- und dass deswegen jedwede Kritik an Ihnen abprallt, dass lich. Sie bedürfen nur einer Ausnahmegenehmigung, weil Sie den Anzuhörenden, die in großer Zahl Briefe schrei- es nämlich darauf ankommt, welche Menschen mit wel- ben, hier doch nur erklären, dass Sie es ohnehin besser chem Betreuungsgrad dort betreut werden: Sind das Men- wissen, dass die Leute sich eigentlich die Tinte auf dem schen mit Demenz? Sind sie schwerst schutzbedürftig, Papier und die Spucke, mit Ihnen zu reden, sparen könn- oder haben sie nur eine leichte Behinderung und brauchen ten. unter Umständen ein ganz leichtes Konzept mit wenigen (Holger Bellino (CDU): Dann lassen Sie es doch jetzt!) 6416 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016

Das ist doch genau das, was Herr Bocklet hier eben vorge- treut oder gepflegt werden, stehen. Ziel dieses Gesetzes ist tragen hat. es, diese Menschen in ihrer Würde zu schützen und zu ach- ten, vor Beeinträchtigungen ihrer körperlichen und seeli- (Beifall bei der LINKEN) schen Gesundheit zu bewahren, sie unter anderem in ihrer Ich finde, das sollten sich in Zukunft doch einfach alle zu kulturellen, religiösen Selbstbestimmung zu unterstützen Herzen nehmen: Klappe halten, Beifall klatschen, Regie- und ihr Recht auf gewaltfreie Pflege und Intimsphäre zu rung ist klasse – fertig, aus die Maus. schützen. Das sind die Kernanliegen des vorliegenden Ge- setzentwurfs. (Norbert Schmitt (SPD): Das ist gute Zusammenar- beit!) Wir haben in der Zwischenzeit vier Jahre Erfahrung mit diesem Gesetz. Natürlich ist in dieser Zeit auch die Gele- Problematisch wird das, wenn nicht nur genheit genutzt worden, zu schauen, wo man Verände- (Allgemeine Unruhe – Holger Bellino (CDU): Klap- rungsbedarf hat. Wir haben beispielsweise im Bereich der pe halten und setzen!) Gewaltprävention Klarstellungen vorgenommen. Es wer- den nunmehr Schulungsverpflichtungen via Erstellung ei- die Fachleute in Hessen – die Menschen, die draußen an ner Konzeption auferlegt, die den gesamten Bereich der den Themen arbeiten –, sondern auch noch die Bundesre- Gewaltprävention betreffen – und nicht mehr ausschließ- gierung sagen: Das, was ihr da in Hessen macht, ist ver- lich freiheitsentziehende Maßnahmen. Den Vorschlag der mutlich nicht so ganz in Ordnung. Wir schauen da ganz ge- SPD-Fraktion, den Paragrafen zur Vermeidung freiheits- nau hin. – Es gibt nämlich den Patientenbeauftragten und entziehender Maßnahmen aus dem Gesetz herauszuneh- Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung. Er sagt ganz men, halte ich schlicht für verantwortungslos. Denn es ist eindeutig, dass nachgesteuert werden sollte, wenn die mit nicht nur eine Frage der gerichtlichen Zuständigkeit, son- der beabsichtigten Änderung des hessischen Heimgesetzes dern es geht um Sensibilisierung, Bewusstseinsbildung und fortgeschriebene Gleichsetzung von Wohngruppen mit sta- Dokumentation, und damit um die Nachvollziehbarkeit der tionären Pflegeeinrichtungen dazu führt, dass in der Praxis Maßnahmen. Insbesondere Frauen, die in Einrichtungen der Ausbau anbieterverantworteter Wohngemeinschaften der Behindertenhilfe wohnen und – so, wie einer Studie zu behindert wird und ein solches Alternativangebot faktisch entnehmen ist – einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, gar nicht entsteht. – Ja, mei. Opfer sexueller Übergriffe zu werden, erhalten nun die Ich glaube, Sie sollten gelegentlich die wohlgemeinte Kri- Möglichkeit, eine Vertrauensfrau zu wählen. Das dient so- tik der Anzuhörenden ernst nehmen, sich damit auseinan- wohl der Sensibilisierung für die Bedürfnisse der Frauen dersetzen und das dann hier in Handlung, nämlich in die als auch der Gewaltprävention. Veränderung Ihrer Gesetzentwürfe, umsetzen. Dann käme Wir haben die Gesetzesnovellierung auch zum weiteren vielleicht manchmal auch etwas Gutes dabei heraus. Aber Abbau von Bürokratie genutzt. Die Frage des Angehöri- mit dieser Arroganz der Macht, die Sie hier immer wieder genbeirates gehört dazu. Aus der Mussvorschrift ist eine an den Tag legen, wird daraus in diesem Land nichts mehr Kannvorschrift geworden, weil wir die Erfahrung gemacht werden. – Auf die anderen Punkte will ich nicht mehr ein- haben, dass sich in den meisten Einrichtungen keine Ange- gehen, weil wir das heute schon hinlänglich gehört haben. hörigen bereitgefunden haben, einen Beirat zu bilden. An (Beifall bei der LINKEN) dieser Stelle ist es schlicht und einfach ein Unding, den Versuch zu unternehmen, das mit Brachialgewalt durchzu- setzen. Dort, wo sich Angehörige zusammenfinden, wird Präsident Norbert Kartmann: auch in Zukunft ein Angehörigenbeirat existieren. Es kann Das Wort hat der hessische Sozialminister, Herr Grüttner. aber nicht zielführend sein, dies mit Zwang aufzuerlegen. Ich würde an die Fragestellung des Palliativbeauftragten erinnern und jetzt noch auf zwei Punkte eingehen. Zum Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: einen ist das der Änderungsantrag der SPD zu der Frage- Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! stellung einer als „privat- und trägerorganisierten Wohnge- Natürlich ist es so, dass auf der Grundlage der Diskussion meinschaft“ bezeichneten Wohnform – so der Antrag der über einen Gesetzentwurf sowohl die Landesregierung als SPD –, deren Vermieter nur allgemeine Betreuungsleistun- auch die Regierungsfraktionen Anregungen, Kritik und an- gen anbieten und bei denen darüber hinausgehende Betreu- deres ernst nehmen, dies bewerten, aber dann auch zu ent- ungs- und Pflegeleistungen von den Bewohnern wirklich sprechenden Schlüssen kommen. frei gewählt werden können. Die sind der Ausnahmefall, und sie sind bereits nach § 2 Abs. 4 Nr. 1 der Entwurfsfas- Natürlich ist an dieser Stelle auch festzustellen, dass in der sung des Hessischen Gesetzes über Betreuungs- und Pfle- Summe der Stellungnahmen der Anzuhörenden sehr viel geleistungen vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausge- Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf vorhanden gewesen nommen. Der von Ihnen gestellte Antrag ergibt also über- ist, dass es aber durchaus auch einige Kritikpunkte gab. haupt keinen Sinn. Wir müssen uns schon beide Seiten, die dieses Gesetz eben Ich gehe davon aus, dass Sie eine vollkommen andere auch beleuchtet, vor Augen führen. Auf der einen Seite Wohnform gemeint haben, nämlich die trägerorganisierte steht nämlich der Anspruch von pflege- und betreuungsbe- Wohnform, und nicht diese. Insofern ist es mit Blick auf dürftigen Menschen auf Schutz und eine gute Versorgung. die dritte Lesung vielleicht korrekt, wenn man Ihnen an Diesen Anspruch sichert das Gesetz. Auf der anderen Seite dieser Stelle Gelegenheit gibt, Ihren Antrag noch einmal zu stehen wirtschaftliche Interessen, die durchaus legitim überdenken, ob Sie ihn richtig gestellt haben; denn es ist sind. Ich möchte an dieser Stelle schon einmal in Erinne- schlicht und einfach falsch, was Sie gemacht haben. Aber rung rufen, dass im Mittelpunkt dieses Gesetzes der Schutz das wissen Sie wahrscheinlich selbst. Insofern geht es jetzt und die Interessen älterer Pflegebedürftiger und volljähri- ger Menschen mit Behinderungen, die gegen Entgelt be- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6417 um die Fragestellung der trägerorganisierten allgemeinen (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Wohnform. GRÜNEN) Ich möchte jetzt nicht das wiederholen, was der Abg. Insofern glaube ich – nein, ich bin sicher –, dass in einer Bocklet im Hinblick auf die Fragen des Schutzinteresses älter werdenden Gesellschaft und mit der steigenden Zahl gesagt hat; denn das stimmt. Ich will Ihnen aber eine Ant- betreuungs- und pflegebedürftiger Menschen sowie mit wort geben: Die meisten der trägerorganisierten ambulant Blick auf die unterschiedlichen Interessenlagen der betei- betreuten Wohnformen finden sich in den Städten Berlin ligten Akteure dieses Gesetz von zentraler Bedeutung ist. und Hamburg. Nur haben Berlin und Hamburg genau die Es hat sich bewährt, es wird in einzelnen Bereichen verän- gleiche gesetzliche Grundlage wie Hessen – es ist genau dert. die gleiche. Warum dort eine solch große Zahl an Wohn- Frau Kollegin Dr. Sommer, ich sage Ihnen zu, dass die formen trägerorganisiert stattfindet und in Hessen nicht, ist Verordnung bald kommen wird – da können Sie mich beim an dieser Stelle eine Fragestellung der Träger. Wort nehmen. Sie kommt sehr zeitnah. – Ich danke Ihnen An diesem Punkt möchte ich noch einmal an die Diskussi- für Ihre Aufmerksamkeit. on erinnern, die an anderer Stelle geführt wurde. Darin (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE wurde auch noch einmal deutlich gemacht, wie die Befrei- GRÜNEN) ungstatbestände seitens des Regierungspräsidiums einge- schätzt werden. Natürlich, wenn sich eine solche Wohn- form bildet, dann ist es relativ klar, dass man eine Befrei- Präsident Norbert Kartmann: ung bekommen kann. Das Gesetz sieht diese Befreiung vor, wenn die Schutzinteressen tatsächlich gewahrt blei- Meine sehr geehrten Damen und Herren, es liegen keine ben. Als Kritik wurde ins Feld geführt, das sei auf fünf weiteren Wortmeldungen in der zweiten Lesung vor. Da- Jahre befristet und müsse erneut beantragt werden, weswe- mit stelle ich fest, dass die zweite Lesung vollzogen wor- gen es keine Planungssicherheit geben würde. den ist. Gehen Sie einmal davon aus, welche Menschen in solche Wir überweisen den Gesetzentwurf samt Änderungsantrag Wohngruppen einziehen. Das sind solche Menschen, die zur Vorbereitung der dritten Lesung an den zuständigen noch mit vollem Elan in einem noch rüstigen, aber hohen Sozial- und Integrationspolitischen Ausschuss. – Dem wi- Alter diese Wohnform für sich aussuchen. Und fünf Jahre derspricht keiner, somit ist das beschlossen. später? Ich kenne einige in diesem Raum, die pflegebe- Wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung angelangt. dürftige Angehörige haben und die wissen, wie sich der Ich darf Sie darauf hinweisen, dass unmittelbar nach dieser Zustand oder auch der Grad der Pflegebedürftigkeit in fünf Sitzung der Sozial- und Integrationspolitische Ausschuss Jahren verändert hat. Wenn Sie in fünf Jahren auf der glei- in Raum 501 A tagt und der Kulturpolitische Ausschuss in chen Rechtsgrundlage wie zuvor eine solche Wohnform Raum 510 W, sodass Sie auch sehr bald fertig sind, damit betreuen, mit geringeren Schutzvorschriften für schwerst Sie früh zu Bett gehen können und morgen ausgeschlafen pflegebedürftige Bewohnerinnen und Bewohner, mit ent- sind. Ich bedanke mich und wünsche einen schönen sprechenden Nachlässen im Bereich des Brandschutzes Abend. und vielem anderen mehr, dann haben Sie an dieser Stelle eine andere Verantwortung. Dieser Verantwortung kom- (Schluss: 18:35 Uhr) men wir mit den Regelungen in diesem Gesetz nach, ohne dass trägerorientierte Wohnformen auch nur einen Deut weniger möglich sind als in den anderen Bereichen. 6418 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 91. Sitzung · 13. Dezember 2016 6419

Anlage (zu Tagesordnungspunkt 1 – Fragestunde)

Frage 695 – Hermann Schaus (DIE LINKE): Land Hessen festgelegt werden. Auch beruhen die Rege- lungen zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats auf veralte- Ich frage die Landesregierung: ten Gesetzesgrundlagen. Diese werden daher an die beste- Ist seitens des Landes Hessen oder der Stadt Frankfurt am hende Praxis und Rechtslage angepasst. Main beabsichtigt, auf der nächsten Gesellschafterver- Das Land Hessen hat für seine Unternehmensbeteiligun- sammlung der Nassauischen Heimstätte Wohnungs- und gen ein Regelwerk guter Unternehmensführung, den Public Entwicklungsgesellschaft mbH, am 19. Dezember 2016, bei Corporate Governance Kodex, erarbeitet. Dessen Rege- den Gewinnanteilen im Gesellschaftsvertrag Änderungen lungen werden bei der Neufassung ebenfalls berücksich- vorzunehmen? tigt. Außerdem werden einige redaktionelle Änderungen Antwort der Staatssekretärin im Ministerium für Um- vorgenommen. welt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucher- schutz Dr. Beatrix Tappeser: Es ist geplant, in der Gesellschafterversammlung der Nas- sauischen Heimstätte am 19.12.2016 das Kapital der Ge- sellschaft zu erhöhen. Hierzu ist eine Änderung des Gesell- schaftsvertrages erforderlich. Gewinnanteile der Gesell- schafter sind nicht im Gesellschaftsvertrag festgeschrie- ben. Sie richten sich nach den Anteilen der Gesellschafter am Stammkapital. Der geltende Gesellschaftsvertrag beschränkt die Höhe der ausgeschütteten Gewinne auf 4 % des Stammkapitals. In der Satzung soll durch die Gesellschafterversammlung zudem ein Passus eingefügt werden, wonach der Ge- winnanteil so zu bemessen ist, dass die Gesellschaft ihre Aufgaben dauerhaft erfüllen kann. Der Bau bezahlbarer Wohnungen als Kerngeschäft der Nassauischen Heimstätte wird also dauerhaft gesichert.

Frage 696 – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Ich frage die Landesregierung: Welche Änderungen sollen auf der nächsten Gesellschaf- terversammlung der Nassauischen Heimstätte Wohnungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH, am 19. Dezember 2016, am Gesellschaftsvertrag vorgenommen werden? Antwort der Staatssekretärin im Ministerium für Um- welt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucher- schutz Dr. Beatrix Tappeser: Im Haushalt des Landes stehen insgesamt 200 Millionen € zur Verfügung, um das Kapital der Nassauischen Heim- stätte zu erhöhen. Für die Umsetzung dieser Kapitalerhö- hung ist eine Änderung des bestehenden Gesellschaftsver- trages erforderlich. Dieser Schritt soll in der Gesellschaf- terversammlung am 19.12.2016 vollzogen werden. Unmittelbar in Verbindung mit der geplanten Kapitalerhö- hung steht die Eintragung des neuen Stammkapitals nach der Kapitalerhöhung. Darüber hinaus enthält der aus dem Jahr 1991 stammende Gesellschaftervertrag noch in D-Mark ausgewiesene Geld- beträge, die zukünftig in Euro ausgewiesen werden, sowie einige veraltete Regelungen, die anzupassen sind. So nennt der bestehende Gesellschaftsvertrag beispielsweise noch die Bundesrepublik Deutschland als Gesellschafter. Diese hat jedoch ihre Gesellschaftsanteile an das Land Hessen verkauft. Der entsprechende Passus wird daher gestrichen. Nach der Übernahme der Gesellschaftsanteile des Landes an der Wohnstadt mit Wirkung zum 01.01.2005 ist die im Gesellschaftsvertrag enthaltene Gebietsbeschränkung auf Südhessen obsolet. Als Tätigkeitsgebiet soll daher das