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Ansporn. Denn am Anfang standen die Bürger. Und Wir verstehen uns dabei als Partnerin der Gedenkstät- die allermeisten Gedenkstätten im Land verstehen sich ten und als Dienstleisterin. Wir unterhalten keine eigene bis heute als „Bürgerprojekte“. Im besten Sinne, so wie Gedenkstätte und können so eine interessenfreie Mo- es die Gedenkstättenkonzeption des Bundes von 1999 derations- und Clearing-Rolle wahrnehmen. Der Land- Konrad Pflug, und 2008 formuliert: „Lokal, regional, dezentral und tag beschloss im Dezember 1995, die Gedenkstätten Abteilungsleiter Landeszentrale für politische Bildung ehrenamtlich“. regelmäßig über die Landeszentrale zu fördern. Diese Entscheidungen fielen, einvernehmlich zwischen den Sie, die Bürgerinnen und Bürger, schufen mit ihrem En- demokratischen Fraktionen des Landtags (also ohne gagement landesweit eine spezifische, in der Fachwelt NPD). Die Gedenkstätten sehen darin ihrerseits einen Das Gedenkstättenkonzept des anerkannte Erinnerungs- und Gedenkkultur. Professor ihrem Anliegen entsprechenden Beitrag zur politischen Landes Baden-Württemberg Peter Steinbach bezeichnet sie in ihrer thematischen Kultur des Landes. Konrad Pflug Breite und ihrer bürgerschaftlichen Verfasstheit als sin- gulär in Deutschland. Aleida Assmann (Universität Kon- Das hier vorzustellende Konzept ist daher keine staatli- stanz) bewertete diese Struktur als „Demokratisierung che oder gar regierungsamtliche Vorgabe, sondern das „Die Praxis der Gedenkstätten ist seit den 1980er Jahren Beide Formulierungen konstatieren den hohen Wert der Erinnerung durch Ehrenamtlichkeit“. Dabei ist aber Ergebnis eines ständigen Diskurses zwischen den Ge- ein anerkannter Sektor der Kulturpolitik.“ Diese Fest- der Gedenkstätten für die Würdigung der Opfer, die auch klar, dass die Leistungsfähigkeit der Ehrenamtli- denkstätten untereinander, der Landesarbeitsgemein- stellung trifft Jan Philipp Reemtsma in einem jüngst er- Erinnerung an eine verbrecherische Vergangenheit, die chen begrenzt ist und künftig der professionellen Un- schaft der Gedenkstätten und der Landeszentrale. Das schienen Beitrag zur „Zukunft der Erinnerung“. Mahnung für die Zukunft wie auch den Respekt vor den terstützung bedarf. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Land hat dieses Konzept anerkannt und in mehreren Bürgern, die die Gedenkstätten geschaffen haben und Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen hat dazu parlamentarischen Vorgängen von Anfang an bestätigt, „Gedenk- und Erinnerungsstätten sind Teil unserer po- betreiben. Diese kommen – und das ist grundlegend bereits 2008/09 „Zukunftsüberlegungen“ angestellt. zuletzt im Sommer 2009 auf eine parlamentarische An- litischen Kultur. Sie erinnern an Unterdrückung, an wichtig – aus allen gesellschaftlichen, religiösen und frage der SPD-Fraktion hin (und mittlerweile einstim- Verfolgung und Ermordung von Menschen unter der weltanschaulichen Lagern. Das deckt sich wiederum mit Die Demokratisierung besteht in der Unabhängigkeit mig in der Landeskonzeption „Kultur 2020“ vom Juli Herrschaft des Nationalsozialismus, aber auch an Wi- dem Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung, der Träger als Vereine, den unterschiedlichen Perspekti- 2010, K.P.). Singularität bedeutet aber nicht Isolation. derstand und Verweigerung. […] Die Erinnerung mahnt überparteilich und überkonfessionell zu arbeiten. ven und methodischen bzw. pädagogischen Zugängen Zu den allermeisten Personen und Institutionen, die zur Wahrung der Menschenwürde, zu Freiheit, Demo- und Zielen, also einer tatsächlichen Pluralität. Durch ihre heute Beiträge leisten – und auch zu zahlreichen ande- kratie und Zivilcourage. Sie ist Teil unserer demokrati- Anzahl (rund 60) als auch in ihrer thematischen Breite ren – unterhalten wir gute fachliche und auch kollegiale schen Traditionsbildung“. So steht es in der Konzeption Die Entwicklung der Gedenkstättenlandschaft bewirken die Gedenkstätten eine historische wie ge- Kontakte. „Kultur 2020“ für Baden-Württemberg. in Baden-Württemberg sellschaftliche „Schichtenerschließung“, ein nach Aleida Assmann prinzipiell wie methodisch unverzichtbares Ele- Aus der Wahrnehmung der hiesigen Gedenkstätten ment der Erinnerungskultur. Die örtliche wie inhaltliche Zielsetzungen und Arbeitsfelder sind zwei wichtige Ereignisse zu erwähnen: Vielfalt garantiert eine offene und lebendige, von Bür- gerinnen und Bürgern unmittelbar gestaltete Szene, die Das Land, die Landeszentrale und die Gedenkstätten ➜ die Rede von Bundespräsident Richard von Weizsä- stets in Bewegung ist und sich flexibel neuen Erkennt- stimmen überein, dass sie cker zum 8. Mai 1985, in der er zu einem offenen nissen oder pädagogischen Anforderungen stellen kann. und ehrlichen Umgang mit der Vergangenheit auf- ➜ das Gedenken und Erinnern an die Leiden der Opfer forderte 1996 waren es 17 Gedenkstätten, heute zählen wir der Verfolgung während der nationalsozialistischen insgesamt rund 60. Davon wurden zwei erst kürzlich Gewaltherrschaft und die Erinnerung an den Wider- ➜ Ministerpräsident Erwin Teufel am Volkstrauertag eröffnet, an den KZ-Außenlagern Hailfingen-Tailfingen stand gegen das NS-Regime in Baden-Württemberg 1993 in der KZ-Gedenkstätte Oberer Kuhberg in und am Flughafen Stuttgart; zwei weitere sind in Vor- sachlich fundiert und in angemessener Form gestal- auch vor Angehörigen der Lagergemeinschaft bereitung. Die Gedenkstätten haben sich 1994 in der ten und aufrecht erhalten wollen Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und -in- Beide legitimierten damit öffentlich die oft angezwei- itiativen in Baden-Württemberg (LAGG) zusammenge- ➜ das Gespräch zwischen Zeitzeugen und Nachleben- G edenkstätte Dokumentationszentrum KZ Oberer Kuh- felten und angefeindeten Aktivitäten der Gedenkstät- schlossen. Ihre Betreuung liegt auf ausdrücklichen Be- den über ihre Erfahrungen aus Geschichte und Poli- berg Ulm. Eingangsbereich im ehemaligen Fort heute. teninitiativen vor Ort, gaben ihnen Aufschwung und schluss hin bei der Landeszentrale für politische Bildung. tik ermöglichen wollen

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➜ gegen Rassismus, Extremismus und Antisemitismus ➜ Alliierte Kriegsgefangene / Displaced Persons Das Land anerkennt die Leistungen der vielen engagier- eintreten und die Begegnung und den Dialog über ten Bürgerinnen und Bürger. Wir, Gedenkstätten und Grenzen hinweg fördern wollen ➜ der Widerstand Landeszentrale, versuchen in partnerschaftlicher Ko- operation mit Ihnen wie mit den Kolleginnen und Kolle- ➜ ebenso die Verständigung und Versöhnung mit den ➜ und die Gedenkstätten im Ausland mit direktem Be- gen im In- und Ausland der historischen Verpflichtung Völkern, die unter dem Nationalsozialismus gelitten zug zu Baden-Württemberg (am Internierungslager gerecht zu werden, die ein ehemaliger KZ-Gefangener haben Verankert an den jeweiligen Orten: „Die meisten Ge- Gurs in den Pyrenäen für die Juden aus Baden, im in Bisingen formulierte: „Mut zur Erinnerung und Mut denkstätten im Land verstehen sich als Bürgerprojekte.“ Bikernieki-Wäldchen bei Riga in Lettland für die Ju- zur Verantwortung.“ Gedenkstätten erinnern an die Opfer der NS-Herrschaft den aus Württemberg, das Kinderheim Izieu östlich oder an den Widerstand. Sie befinden sich in der Regel von Lyon für jüdische Kinder aus Baden und das im an authentischen historischen Orten oder haben be- ➜ einem differenzierten gedenkstättenpädagogischen Elsaß und das „Centre européen du résistant dépor- Die Übersicht zeigt: Es gibt keine weißen Flecken auf stimmte Tat- und Verfolgungskomplexe beziehungsweise Angebot té (CERD) am ehemaligen Konzentrationslager Natz- der Gedenkstätten-Landkarte in Baden-Württemberg. Formen des Widerstands zum Gegenstand. Wichtig ist weiler-Struthof in den Vogesen, dem Stammlager 200 000 Menschen besuchen jährlich die insgesamt Orte des Gedenkens und des Erinnerns in Baden-Württemberg dabei die Rückbindung des Ortes an den unmittelbaren ➜ dem ehrenamtlichen Engagement der Bürgerinnen unserer örtlichen ehemaligen Konzentrationslager 60 Gedenkstätten Lebensraum der Besucher. Sie finden bauliche oder an- und Bürger, die diese Stätten geschaffen haben 1944/45) dere Relikte vor, zusätzlich gibt es museal aufbereitete Darstellungen, methodisch-didaktische Unterrichtsunter- ➜ der kontinuierlichen Förderung durch das Land, die lagen und die Betreuung durch kundige Mitarbeiterinnen Landkreise und Kommunen Gestaltungsprinzipien und Förderung Riga, Lettland und Mitarbeiter. Dieses Angebot erfolgt verlässlich, regel- durch das Land mäßig und auf Dauer. Wenn diese Voraussetzungen vor- Ausgangspunkte für das Gedenken und Erinnern waren liegen, sprechen wir von einer„arbeitenden Gedenkstätte“. und sind stets die Orte und die Opfer der dort begange- Wie fördern wir also? Folgendes bieten wir an: Werbach-Wenkheim nen Verbrechen. Obwohl es auf dem Gebiet des Landes Hemsbach Walldürn Die Besucherzahl im Land liegt jährlich bei über 200 000 – vielleicht mit Ausnahme von Grafeneck – keinen der ➜ Beratung und Koordination bei der Planung - Buchen Sandhofen Hirschberg-Leutershausen Personen. 2008 waren davon 40,5 Prozent Schüler und weit über das Land hinaus berüchtigten Verbrechensor- und Gestaltung Mosbach-Neckarelz Adelsheim-Sennfeld Jugendliche. Im Rahmen der Bildungspläne des Lan- te gab (dafür stand lange stellvertretend Dachau), sind es Neckarzimmern Creglingen Bad-Friedrichshall-Kochendorf Sinsheim-Steinsfurt Rot am See-Brettheim des Baden-Württemberg werden die Gedenkstätten doch Orte, die buchstäblich „vor der Haustüre“ liegen. ➜ Beratung bei der Entwicklung pädagogischer Forchtenberg Wallhausen-Michelbach Obersulm-Affaltrach Braunsbach zunehmend von allen Schularten für qualifizierte Un- Konzepte Eppingen Schwäbisch Hall Brackenheim Weinsberg Crailsheim terrichtsformen genutzt. Dazu dienen auch Angebote Dies sind: Freudental Wackershofen Hessental Bühlerzell-Gantenwald zur Lehrerfortbildung. Gedenkstätten sehen sich heute ➜ Beratung bei der Beantragung von Drittmitteln Vaihingen/Enz Bopfingen-Oberdorf ergänzend zu ihrer Kernaufgabe auch als Träger des lo- ➜ „Frühe“ Konzentrationslager 1933 bis 1935 und der Eröffnung weiterer Förderwege Königsbronn Göppingen-Jebenhausen kalen und regionalen Kulturangebots, naturgemäß mit -Strasbourg Leonberg Stuttgart Filderstadt/Le.-Echterdingen Natzweiler- spezifischem Charakter. Zur Umsetzung bilden sie zu- ➜ Politische Verfolgung ➜ die finanzielle Förderung zur Sicherung der pädago- Tübingen Struthof Rottenburg-Baisingen Hailfingen-Tailfingen Horb-Rexingen Ulm nehmend regionale Arbeitsgemeinschaften. gischen und wissenschaftlichen Arbeits­fähigkeit Gomadingen- Horb-Nordstetten Hechingen Haigerloch Grafeneck ➜ „Euthanasie“ und Medizin Blaustein-Herrlingen Dazu kommen einige Sonderbereiche. Das Haus der Haslach im Kinzigtal Bisingen Münsingen-Buttenhausen Strukturen ➜ Rassismus – Sinti und Roma Geschichte hat seinerseits verschiedene Erinnerungs- Schömberg-Schörzingen Laupheim und Gedenkstätten geschaffen. Ferner fördert das Sozi- Albstadt-Lautlingen Breisach Bad Buchau Die Gedenkstättenarbeit in Baden-Württemberg beruht ➜ Jüdisches Leben und Holocaust: Ehemalige Synago- alministerium die Erinnerung und das Gedenken an den Sulzburg Königsfeld im Schwarzwald auf fünf Säulen: gen und jüdische Einrichtungen sowie die Erinne- Völkermord an den Sinti und Roma und das Mahnmal Überlingen Gailingen rung an die Deportationen aus Baden, Württemberg Die grauen Busse, das an die Krankenmorde im Rahmen -Tiengen -Weißenau

➜ den historischen, authentischen Orten und Hohenzollern der NS-„Euthanasie“ erinnert. Es ist kein Widerspruch, Öhningen-Wangen dass auch andere beteiligt sind; sondern wir verfolgen Gurs, Südfrankreich ➜ deren gründlicher geschichtswissenschaftlicher ➜ „Späte“ Konzentrationslager 1944 bis 1945: dies gemeinsam im Kontakt und in Absprache mitein- Aufarbeitung Außenlager der KZ Natzweiler-Struthof ander.

© Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Illustration: Lucia Winckler

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Was wäre mit Blick auf die el, das auch für Yad Vashem zuständig ist. Ich fand und Dorotheenstraße zu tun? finde dieses Prinzip beim Umgang mit den Ungeheu- Hearing AM 17. Juli 2010 erlichkeiten der NS-Verbrechen stets richtungsweisend Lassen Sie mich nun auf dem Hintergrund des Gesagten und hilfreich. einen vielleicht hilfreichen Ratschlag für diesen Gedenk­ Erinn erungsorte ort geben: Was bedeutet das im Hinblick auf unsere Fragestellung? Befund und Zustand sind zu klären: die sach- und Ort- Das Gebäude an der Dorotheenstraße hatte seit sei- geschichte muss gründlich aufgearbeitet und dokumen- in Stuttgart nem Bau mehrere Identitäten und Erscheinungsformen. tiert werden. Daraus ist zu entwickeln, wie Ort, Bau- Eindeutig ist es ein verbürgter historischer Ort, ein in lichkeit und Geschichte in einem „Ort der Information“ seiner Lage unveränderter Ort, ein durch staatliche Ver- zusammengefasst werden können. Dieser Ort muss brechen während der NS-Zeit stigmatisierter Ort. Seine dann um differenzierte gedenkstättenpädagogische Der Umgang mit Erinnerung – Authentizität erschließt sich aber nicht ohne Weiteres: Angebote ergänzt werden. Es ist zwar ein „Original“, das aber teilweise zerstört, Erfahrungen aus anderen Städten umgebaut und übermalt wurde. Dadurch ist es weniger Sind diese Aufgaben und Überlegungen zufriedenstel- ein primäres Zeugnis wie etwa eine gut erhaltene alte lend gelöst, bekommen die Erinnerung und das Geden- Handschrift, sondern eher eine Art mehrfach überlager- ken einen Ort, so wie die historisch-politische Schul-, tes Palimpsest. Jugend- und Erwachsenbildung einen Lernort. Diese Aufgabe muss nun angegangen werden. Das wird ein Wie soll man nun damit umgehen? „Der Holocaust, bisschen Zeit kosten, viel Nachdenken aber auch Nach- (hier als Synonym für alle NS-Verbrechen verwendet, denklichkeit erfordern. K.P.), ist ein geschichtliches Ereignis. Es soll daher mit den gleichen Mitteln analysiert werden wie andere his- torische Themen auch.“ Das ist kein Satz von mir, son- Weiterführende Informationen: dern von Michael Jaron, dem Verantwortlichen für den www.gedenkstaetten-bw.de Geschichtsunterricht im Erziehungsministerium von Isra- www.lpb-bw.de

Konrad Pflug A bteilungsleiter Landeszentrale für politische Bildung

*1946, Leiter der Abteilung „Demokratisches Engagement“ der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg. In dieser Funktion ist er vornehmlich für den Fachbereich Gedenkstättenarbeit zuständig.

Der Fachbereich „Gedenkstättenarbeit“ der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg hat eine beratende, koor- dinierende und fördernde Funktion. Er arbeitet eng mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätten- initiativen in Baden-Württemberg (LAGG) zusammen. Sie bündelt die zumeist ehrenamtliche Arbeit der rund 60 Gedenkstätten im Land. Die Landeszentrale für politische Bildung unterhält selbst keine Gedenk- oder Erinnerungsstätte.

Die Besucherzahl der Gedenkstätten des Landes liegt jährlich bei über 200 000 Personen. 2008 waren davon 40,5 Prozent Schü- ler und Jugendliche. Im Rahmen der Bildungspläne werden die Gedenkstätten zunehmend für qualifizierte Unterrichtsformen genutzt.

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