4 FORSCHUNG — AKTUELL Das Mammutmuseum

Möchten Sie mehr über das Wollhaar- ges, nacheiszeitliches Alter annahmen. Kernbohrun- mammut, den an das kalte Klima der gen von 1983 und zwei spätere Baugruben zeigten Eiszeit angepassten Elefanten wissen? komplexe Profle mit mehreren Torfschichten, brach- Alles Wichtige über das Mammut, sein ten aber keine neuen Knochenfunde zu Tage. Erste Leben und Aussterben, sein Vorkom- radiometrische Datierungen am alten Knochenma- men in der Schweiz, erfahren Sie im terial ergaben ein Alter von etwa 33 000 Jahren, stan- Mammutmuseum Niederweningen. den aber im Widerspruch zu vegetationsgeschicht- lichen Untersuchungen der komplexen Torfprofle, Seit 1890 ist Niederweningen die reichhaltigste Fund- die auf ein höheres Alter am Beginn der letzten Eis- stelle eiszeitlicher Wirbeltiere der Schweiz. Beim zeit hinwiesen. Kiesabbau für die Bahnlinie wurden damals in einer unter Kies und Lehm liegenden Torfschicht spekta- Neue Mammutfunde 2003 und 2004 kuläre Funde gemacht. Mehr als 100 Knochen, Ba- Als am 2. Juli 2003 ein Baggerführer in der freigeleg- cken- und Stosszähne stammten von mindestens ten Torfschicht einer Baugrube an der Murzlen- sieben Mammuttieren, darunter ein unvollständiger strasse in Niederweningen, nur 100 Meter vom alten Skelettrest eines ganz jungen Mammutkalbs von be- «Mammutloch» von 1890 entfernt, den Unterkiefer sonderem wissenschaftlichem Interesse. Zusätzlich eines weiteren Mammuts entdeckte, ergab sich die fanden sich in der Torfschicht und in darüber liegen- Gelegenheit für neue Untersuchungen. Dank gro- den tonigen Seeablagerungen einzelne Knochen und ssem personellen und fnanziellen Einsatz der Kan- Zähne von Wollnashorn, Wildpferd, Steppenwisent, tonsarchäologie Zürich und der Universität Zürich Wolf, Schermaus, Lemming und Frosch. Die Funde wurden in einer dreiwöchigen Rettungsgrabung Kno- aus dem Niederweninger «Mammutloch» wurden chen und Zähne eines zusammenhängenden Ske- am Polytechnikum (ETH) Zürich durch den Zoolo- lettrestes in der 1 Meter dicken Torfschicht sorgfältig gen Arnold Lang untersucht und bereits 1892 im Neu- dokumentiert, geborgen und anschliessend aufwän- jahrsblatt der NGZH publiziert. Im gleichen Jahr dig konserviert. wurde in der Halle des Polytechnikums eine ein- Die Untersuchung des zur Hälfte erhaltenen drückliche Rekonstruktion eines Mammutskeletts Skeletts zeigte, dass ein kräftiger Mammutbulle im aufgestellt, deren teilweise ergänzte Originalknochen besten Lebensalter von etwa 40 Jahren im Moor ein- von mindestens fünf verschiedenen Individuen gesunken war. Mit modernsten physikalischen Me- stammten. thoden zur Altersbestimmung konnte das Alter des Ab 1914 fand das Niederweninger Mammut Mammutfundes auf 45 000 Jahre festgelegt werden. seinen Stammplatz im Zoologischen Museum des Die im Torf erhaltenen Pfanzenreste (Wasserpfan- neu erbauten Hauptgebäudes der Universität Zürich. zen, Torfmoos, Blätter, Samen, Hölzer, besonders Erst Jahre später, als gut erhaltene Mammutkadaver aber auch Pollen und Sporen) sowie die vielen Insek- aus dem Permafrostboden in Sibirien bekannt wur- tenreste ermöglichten zudem detaillierte Aussagen den, stellte man fest, dass seine Stosszähne seiten- zur Klimaentwicklung während der letzten Verglet- verkehrt eingesetzt worden waren. Eine mit passenden scherung in der Schweiz. Kunststofabgüssen ergänzte, korrekte Skelettrekon- struktion eines Mammuts aus den Niederweninger Ein Museum vor Ort Funden ist seit 1991 im Zoologischen Museum der Dank grossem Interesse der regionalen Bevölkerung Universität Zürich ausgestellt. und dem Engagement des Vereins für Ortsgeschich- Die wissenschaftliche Bedeutung und beson- te in Niederweningen wuchs in kurzer Zeit nach dem ders das Alter der Mammut-führenden Torfschicht Fund von 2003 die Idee eines lokalen Mammutmu- von Niederweningen waren lange umstritten, da die seums. Eine breit gefächerte Spendenaktion hatte Fachleute bis Mitte des 20. Jahrhunderts ein sehr jun- schönen Erfolg und nach der Zusage eines namhaf- 5 Vierteljahrsschrift — 2 | 2017 — Jahrgang 162 — NGZH

2003 wurde in Niederweningen in einer gross angelegten Rettungsgrabung ein noch zur Hälfte erhaltenes Mammutskelett ausgegraben (oben). In einer weiteren Baugrube wurden 2004 weitere Knochen und ein grosser Stosszahn geborgen (unten). ten Beitrags des Lotteriefonds des Kantons Zürich kommen der Mammute liegen. Um diese erfahrbar konnte im Oktober 2005 auf einem von der Gemein- zu machen, werden die Besucher mittels eines be- de zur Verfügung gestellten Grundstück das kleine leuchteten, in den Boden eingelassenen, mit Jahr- Mammutmuseum eröfnet werden. zahlen versehenen Zeitkanals zurück in die Vergan- Im Zentrum des Museums steht das originale genheit geführt. Ausgehend von der Gegenwart sind Mammutskelett, das auf einer schräg gestellten Plat- zunächst die archäologischen Erkenntnisse zu den te so präsentiert wird, wie es bei der Ausgrabung frei- kulturhistorischen Epochen der Region Wehntal, Lä- gelegt wurde. Doch erst eine lebensgrosse Skelett- gern und dargestellt. Schritt für Schritt reisen rekonstruktion vermittelt einen Eindruck von der die Besucher zurück ins Mittelalter und durch die Grösse des eiszeitlichen Elefanten. Die Auswertung Römerzeit, Eisenzeit und Bronzezeit bis in die Stein- des reichhaltigen Daten- und Probenmaterials aus zeit. Die ältesten archäologischen Funde aus der den Ausgrabungen erlaubte es, im Museum interdis- Region datieren in die ausgehende Altsteinzeit ziplinäre Forschungsergebnisse aus der Paläozoo– (um 10 000 v. Chr.), als das Mammut hier schon ver- logie, Paläobotanik, Geologie und Klimatologie zu schwunden war. präsentieren. Mittels der in der Torfschicht von Nie- Aus anderen Fundstellen Europas ist jedoch derweningen eingelagerten Pollen und Samen, Höl- die Interaktion von Mensch und Mammut zwischen zer und Moose, Käfer und Kleinsäuger konnten der 12 000 und 35 000 Jahren vor heute dokumentiert, Lebensraum und das Klima im eiszeitlichen Wehntal sei dies in Form von kunstvoll geschnitzten Elfen- vor etwa 45 000 Jahren rekonstruiert werden. Die beingegenständen oder Höhlenmalereien. Nun erst Synthese in Form eines grossen Wandbildes zeigt gelangt man zum eigentlichen Hauptthema des Mu- den eiszeitlichen Elefanten in Lebensgrösse in sei- seums, dem Mammut von Niederweningen. Der ner natürlichen Umwelt. Zeitkanal führt aber noch weiter zurück in die geo- Das Grundkonzept des Museums schliesst logische Geschichte der Region: von den Spuren der auch die Zeiträume ein, die vor und nach dem Vor- früheren Eiszeiten über die Aufaltung der Lägern, 6 FORSCHUNG — AKTUELL

Das Mammutmuseum Niederweningen wurde 2005 in der Nähe der Mammut-Fundstellen gebaut (links). Der Blick ins Innere (rechts) zeigt den zentralen Zeitkanal in der Mitte. Gut erkennbar ist die Skelettrekonstruktion eines jungen Mammutbullen und eines frisch geborenen Mammutkalbs links vom Zeitkanal. die Ablagerungen der Molasse bis zu den fossilrei- vorland typischen, glazial übertieften Beckens. An chen Lägernkalken, die vor mehr als 150 Millionen den interdisziplinären Untersuchungen waren Stu- Jahren im Jurameer entstanden. dierende und erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität und ETH Zürich, Bohrungen zur Klimageschichte der Universität Bern, sowie aus Oesterreich, Deutsch- Seit der Entdeckung der Mammutfunde von 1890 in land und Grossbritannien beteiligt. Niederweningen wurden vor allem die obersten Ab- Mit einer ersten Forschungsbohrung wurden lagerungen mit dem Mammuttorf bis in etwa fünf im Oktober 2007 der Mammuttorf und die darunter Meter Tiefe studiert. Die darunter liegenden Abla- liegenden Seesedimente bis 30 Meter Tiefe unter- gerungen konnten 1983 und 1985 in drei Forschungs- sucht. Dabei konnte 10 Meter unter dem Mammut- bohrungen bis in eine Tiefe von 21 Metern untersucht torf eine weitere, etwa 2 Meter dicke Torfschicht de- werden. 1994 zeigte eine Grundwasserbohrung bei tailliert beprobt werden, die nach der Pollenanalyse , dass die Rinne im Molassefels des aus der letzten Warmzeit (Eem) stammen dürfte. Im Wehntals mindestens 130 Meter tiefer reichte als der Mai 2008 wurde im Wehntal zwischen Niederwe- heutige Talboden. ningen und Oberweningen eine geophysikalische Um die Form, die Tiefe und das Alter der Fels- Kampagne durchgeführt. Die refexionsseismischen rinne und deren Füllung mit eiszeitlichen Sedimen- Untersuchungen in einem Längs- und drei Querpro- ten zu erkunden, startete die Stiftung Mammutmu- flen ergaben nach aufwändiger Analyse einfache seum Niederweningen 2007 ein interdisziplinäres Schnittbilder durch die Sedimentfüllung und den Forschungsprojekt, das von verschiedenen Sponsoren Felsuntergrund. Der Vergleich mit den Bohrungen nd dem Schweizerischen Nationalfonds fnanziert bei Oberweningen (1994) und Niederweningen wurde. Ziel war die Entschlüsselung der Entstehungs- (2007) erlaubte eine geologische Interpretation der und Klimageschichte eines für das nördliche Alpen- seismischen Profle und eine Modellierung der ur- sprünglichen Felsrinne. Die zweite Kernbohrung im März 2009 am östlichen Dorfrand von Niederweningen sollte den Grund der Felsrinne erreichen. In 2 Metern Tiefe wurde der Mammuttorf durchbohrt, darunter fein- körnige Seesedimente und ab 7,55 Metern ein knapp 2 Meter dicker älterer Torf, der nach dem Pollenin-

Vogelschaubild des Wehntals vor 180 000 Jahren mit den im Gletschersee treibenden Eisbergen. Das Bild stammt aus einer Serie von 10 Landschaftsbil- dern zur Entstehung der mindestens 90 Meter tiefen Felsrinne. 7 Vierteljahrsschrift — 2 | 2017 — Jahrgang 162 — NGZH

In den letzten Jahren wurde die Ausstellung durch interaktive Stationen und ein Quiz ergänzt, das bei grossen und kleinen Besuchern grossen Anklang findet. Auch das auf einer schräg gestellten Platte montierte Originalskelett des Mammuts von 2003 kann auf Touchscreens rekonstruiert und zum Leben erweckt werden. halt in der letzten Warmzeit (Eem) oder einem In- wurde der mehrmalige Vorstoss und das Abschmel- terstadial der frühen Würm-Eiszeit entstand. Dar- zen des bis ins Wehntal reichenden Gletscherlappens, unter folgte eine fast 80 Meter dicke Abfolge von die Bildung des Seebeckens und dessen Verlandung Seesedimenten. Unterhalb 64,2 Metern Tiefe lagen in anschaulichen Landschaftsbildern visualisiert. In in den laminierten Silten vereinzelte gekritzte Geröl- einem interaktiven Quiz mit Fragen zum Themen- le im cm- bis dm-Bereich. Die Gerölle sind typische bereich des Mammutmuseums kann jedermann spie- Gesteine des Alpennordrandes im Linthtal und am lerisch sein Wissen prüfen. Walensee (Subalpine Molasse und Helvetische De- cken). Sie werden als Dropstones interpretiert, die Die Forschung geht weiter von schmelzenden Eisbergen ins feine Sediment ei- Natürlich hofft das Mammutmuseum Niederwe- nes gletschernahen Sees felen. ningen auf weitere spektakuläre Fossilienfunde im Ab 84,6 Metern Tiefe kam Moräne zum Vor- Wehntal. So verfolgte und dokumentierte das Muse- schein und in 89,5 Metern wurde mit Sandsteinen ums-team im Frühjahr 2015 gespannt den Aushub und Mergeln der Unteren Süsswassermolasse der von weiter talabwärts liegenden Baugruben, 300 Fels erreicht. Lumineszenzdatierungen ergaben für Meter nordwestlich der bisherigen Fundstellen. Ein die untersten Seeablagerungen stark streuende Alter neues Mammut kam nicht zum Vorschein, aber meh- von 150 000 bis 185 000 Jahren. Die beim Ort der rere Torfschichten mit viel Holz, Tannzapfen, Samen Kernbohrung knapp 90 Meter, im mittleren Wehntal und Käferresten. An der Basis des untersten Torfs zwischen Niederweningen und Oberweningen bis fanden sich erstmals kleine Muschel- und Schnecken- 160 Meter unter den heutigen Talboden reichende schalen, die eindeutig aus der letzten Warmzeit stam- Felsrinne dürfte also vor etwa 185 000 Jahren durch men. Damit ist auch das Eem-Alter des untersten einen Gletscher geformt worden sein. Es war ein Torfs von Niederweningen bestätigt, was auch die durch das Walenseegebiet strömender Seitenarm des Hofnungen auf interessante Funde in zukünftigen Rhein-Gletschers, der über die Felsschwelle von Baugruben steigert. Hombrechtikon in das Glatt- und Wehntal vorstiess Heinz Furrer und für längere Zeit bei Niederweningen stirnte. Der Autor war von 1988 bis 2014 Kurator des Paläontologi- schen Instituts und Museums der UZH. Mit dem Archäolo- gen Andreas Mäder leitete er 2003 und 2004 die Interaktive Stationen Ausgrabungen in Niederweningen und die Gestaltung des Um die Attraktivität der Ausstellung zu steigern und 2005 eröfneten Mammutmuseums Niederweningen. Als auch neue Funde und Forschungsergebnisse im Mam- Mitglied der Museumskommission arbeitet er seit seiner Pensionierung weiter als wissenschaftlicher Berater für das mutmuseum zeigen zu können, wurden zwischen Museum. 2010 und 2015 mehrere Touchscreens installiert, mit Ein Literaturverzeichnis und alle Informationen zum denen interessierte Besuchende verschiedenste The- Mammutmuseum Niederweningen finden sich auf: www. mammutmuseum.ch menbereiche mit Fotos, Illustrationen und kurzen erklärenden Texten selbst abrufen können. Dazu