Deutschland

SPIEGEL-GESPRÄCH „Ich bin robust genug“ Der SPD-Parteivorsitzende Kurt Beck, 58, über die Reformkraft der Sozialdemokratie, die Unmöglich- keit einer Zusammenarbeit mit und den -Einsatz in

SPIEGEL: Herr Beck, Wahlverluste in Bre- lich freundlicher. Aber wenn das Ihr Ein- Fehler, die Sie sich nach einem Jahr vor- men, Unmut in den eigenen Reihen und druck ist, behalten Sie ihn. Ich glaube, dass werfen? eine Bevölkerung, die sich Sie nur schwer ich robust genug bin. Beck: Wer sagt, er mache keine Fehler, vor als Kanzler vorstellen kann: Die SPD steht SPIEGEL: Und die schlechte Stimmung, die dem hätte ich Angst. Es ist nichts daneben- derzeit nicht gut da. Sie reagieren zuneh- sich in den Umfragen, aber nicht nur dort gegangen, aber ich hätte vielleicht die The- mend empfindlich, werden zuweilen als abbildet? menfelder, die ich angesprochen habe, stär- mimosenhaft bezeichnet. Sind Sie wirklich Beck: Die interessiert mich relativ wenig, ker wiederholen müssen, um sie auf der robust genug für das Amt des Parteivorsit- weil das nichts zu tun hat mit dem, was sich Tagesordnung zu halten. Das würde ich als zenden? in der Partei und in der Bevölkerung ab- Kritik akzeptieren. Beck: Ich weiß nicht, woraus Sie Ihre spielt. SPIEGEL: Besteht die Enttäuschung über Schlussfolgerungen ziehen. Ich erlebe die SPIEGEL: Das Amt des Parteivorsitzenden den neuen Vorsitzenden nicht eher darin, politische Stimmung für die SPD wesent- ist bekanntlich kein Lehrberuf. Gibt es dass zu wenig passiert ist, was die Partei in Staunen oder Bewunderung versetzt hätte? Beck: Die Enttäuschung wollen Sie viel- leicht wahrnehmen. Ich nehme sie nicht wahr, und sie ist in der SPD auch nicht vorhanden. Wo ich hinkomme … SPIEGEL: … etwa bei der traditionellen Spargelfahrt des Seeheimer Kreises An- fang des Monats. Da war die Enttäuschung doch mit Händen greifbar. Vizekanzler Franz Müntefering hat Ihnen mit einer schmissigen Rede die Show gestohlen. Beck: Ich werde auch in Zukunft neben ei- ner Spargelkönigin stehend so reden, wie ich an dem Abend geredet habe. Solche Termine sind für mich kein Anlass zu Grundsatzreden. SPIEGEL: Das Gedränge in der politischen Mitte ist groß, seit ihre CDU dort ebenfalls grasen lässt. Gleich- zeitig stehen Sie unter erheblichem Druck von links. Wo sehen Sie ausreichend Platz für die SPD? Beck: Die Union ist doch nur scheinbar so- zialdemokratisiert. Da gibt es ein bisschen Bewegung bei gesellschaftspolitischen The- men. Aber wenn ich das neue CDU- Grundsatzprogramm lese, entspricht das exakt den neoliberalen Beschlüssen des Leipziger Parteitages. Bis 2009 werden wir zusammenarbeiten. Aber die Bundestags- wahl wird wieder eine Richtungsentschei- dung sein. SPIEGEL: Personen sind wichtiger als Pro- gramme. Die Union verfügt mit Horst See- hofer, Ursula von der Leyen, Jürgen Rütt- gers und nicht zuletzt der Kanzlerin selbst über eine Vielzahl von Persönlichkeiten, die sich in ihrem politischen Wirken und im Habitus nicht wirklich abheben von den Sozialdemokraten. Beck: Es wird Sie überraschen, aber ich sage Ihnen: Der Platz ist sogar größer als früher. Schauen Sie sich die letzten Wahl-

ARMIN BROSCH entscheidungen in Deutschland genau an. SPD-Chef Beck: „Die Bundestagswahl wird wieder eine Richtungsentscheidung sein“ Es gibt für CDU, CSU und FDP keine

26 22/2007 Deutschland

Mehrheit in Deutschland. Also müssen wir uns um Mehrheiten bemühen, die eine rea- le und eine gerechtere Politik erlauben, als sie Union und FDP zugetraut wird. Was die bürgerlichen Parteien wollen, ist in Deutschland derzeit nicht mehrheitsfähig. SPIEGEL: Wann also greift die SPD auf die Linkspartei als Koalitionspartner zurück? Beck: Auf Bundesebene ist diese Partei kei- ne Kraft, mit der man zusammenarbeiten kann. Oskar Lafontaine scheint ja gerade völlig durchzudrehen, wenn man hört, dass er beispielsweise behauptet, die Bundes- wehr würde den Terror unterstützen. Was für ein Unsinn! Das ist falsch in der Sache, rücksichtslos gegenüber den Soldaten und erbärmlich gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen. SPIEGEL: Für einen Verrückten, als den ihn die SPD gern darstellt, arbeitet Oskar La- fontaine aber sehr erfolgreich. Beck: Warten Sie es mal ab! SPIEGEL: Er steht mit seiner Linkspartei kurz vor dem Durchbruch. Er ist Frak- tionschef im Bundestag, er wird in Kürze Parteichef einer geeinten Linkspartei. In Bremen gelang erstmals der Einzug in ein westdeutsches Länderparlament. Bei den Arbeitslosen und Rentnern, früher SPD-

Stammklientel, stößt die Linkspartei auf MICHAEL KAPPELER / DDP beachtliche Zustimmung. Beck-Stellvertreter*: „Sie sind Schwergewichte“ Beck: Wenn in Deutschland purer Populis- mus Erfolg bedeutet, dann hat er derzeit Beck: Komische Frage. Alle wesentlichen wenn die Menschen nichts haben. Das Erfolg. Aber Populismus ist keine dauer- Reformen sind nur mit der SPD möglich kann es nicht sein. Deshalb müssen jetzt hafte Basis, um eine Partei aufzubauen. gewesen. Das wird auch in Zukunft so blei- klare Kanten gezogen werden. Reform ist SPIEGEL: Ihr Parteifreund Rudolf Dreßler ben – wir hatten und haben wirklich viel zu nicht gleichbedeutend mit Verzicht. findet das nicht populistisch, was Lafon- stemmen. Dass die SPD dabei ein ge- SPIEGEL: Das bedeutet was? taine sagt. Er findet das richtig. schlossenes Bild abgegeben hat, ist sicher Beck: Die nächste große Reform heißt Min- Beck: Dann würde er sich irren. nicht von allein gekommen. destlohn. Entweder der wird jetzt verab- SPIEGEL: Sind Sie als Führer der Sozialde- SPIEGEL: Gerhard Schröder ist nach langer redet, oder wir werben im Bundestags- mokratie nicht geradezu aufgefordert, aus Phase der Apathie, die er auch als Politik wahlkampf für unsere Überzeugung. der Mehrheit links der Mitte auch eine der „ruhigen Hand“ bezeichnet hat, SPIEGEL: Wie sieht es aus mit der Renten- politische Mehrheit zu zimmern? schließlich vorangeschritten. Seine Agenda reform? Beck: Wir sind aufgefordert, eine für 2010 wird heute von vielen gefeiert. Wo Beck: Sie werden bei mir immer ein klares Deutschland anständige und das heißt eine stehen Sie? Bekenntnis zur Rente mit 67 hören. Was sozial gerechte Politik zu machen. Deshalb Beck: Die Agenda 2010 war richtig. Sie ist wir allerdings brauchen, sind Ventile, um verbietet es sich, mit diesen Leuten über ir- die Basis für die wirtschaftlichen Erfolge, den Menschen, die in besonders harten Si- gendwelche Koalitionen im Westen oder – die wir jetzt haben. Ich weiß nicht, was tuationen arbeiten – Sie erinnern sich an und insbesondere – auf Bundesebene zu Sie unter „voran“ verstehen. Für mich mein Dachdeckerbeispiel –, zu signalisie- reden. heißt „vorankommen“, dass die Menschen ren, dass wir ihre Lebens- und Arbeitsver- SPIEGEL: Warum wäre das eine unsoziale teilhaben an dem, was sie erwirtschaften. hältnisse noch kennen. Da sind wir dran Politik, wenn Kurt Beck Bundeskanzler Alles andere ginge in die falsche Richtung. und legen bis Ende des Jahres etwas vor. wäre und Grüne und Linke jeweils zwei SPIEGEL: Was ist die richtige Richtung? SPIEGEL: Die Frage wird sein, ob die Aus- Kabinettsposten hätten? Beck: Es ist jetzt höchste Zeit, die Men- nahme zur Regel wird oder Ausnahme Beck: Jeder, der den Leuten verspricht, schen mitzunehmen, ihnen Mut zu ma- bleibt. dass man beliebig Wohltaten verteilen chen, sie zum Teil des Erfolgs werden zu Beck: Es wird eine Ausnahme sein für jene, kann, und nicht darüber nachdenkt, wie lassen. Es ist übersehen worden bei all den die sie wirklich brauchen. Aber ich bin wil- das alles erarbeitet wird, der macht unso- Diskussionen, dass das Wort „Reform“ für lens, den Menschen zuzuhören. Ein Kolle- ziale Politik. Der belügt Arbeitnehmer und die meisten Menschen zum Schreckge- ge, der am Hochofen arbeitet oder im Rei- Rentner gleichermaßen, weil darüber in- spenst wurde. fenwerk, vor sich 60 Grad Hitze, hinter nerhalb kürzester Zeit der Kern des Sozial- SPIEGEL: Manchmal geht es nicht ohne Ver- sich Zugluft, dem kann ich nicht mit de- staats kaputtgehen muss. Deshalb sage ich: zicht. mografischer Entwicklung kommen. Die- Eine Politik, die sich nicht an den Realitä- Beck: Aber es kann nicht dauernd und nur sen Menschen muss ich eine Antwort auf ten orientiert, ist eine zutiefst unsoziale um Verzicht gehen. Am Ende würde die ihre Lebenssituation und ihre Furcht ge- Politik. Erst leiden die Schwächsten in der Formel, wenn ich sie logisch durchdenke, ben, das alles nicht mehr zu schaffen. Gesellschaft, als Nächstes leiden die in der bedeuten: Wir haben den größten Erfolg, SPIEGEL: Stichwort Koalitionsausschuss: Die Mitte. SPD besteht auf einem Rechtsanspruch für SPIEGEL: Herr Beck, welchen Reformeifer * , Frank-Walter Steinmeier, Peer Stein- die Krippenbetreuung, die Union, insbe- hat die SPD noch? brück in Berlin. sondere die CSU, will die Betreuungsprä-

28 der spiegel 22/2007 es geschafft haben, eure Sicherheitspro- bleme selbst zu lösen. SPIEGEL: Wann ist der Zeitpunkt X? Beck: Der ist jetzt nicht bestimmbar. Dazu ist es zu früh. Aber wir werden einen be- stimmen müssen, sobald der zivile Prozess eine Chance hat sich zu entwickeln. Eines steht für mich fest: Wir können nicht auf unbestimmte Dauer dort bleiben. SPIEGEL: SPD-Sicherheitsexperten halten die Beteiligung an der US-geführten Operation Enduring Freedom nicht mehr für zwin- gend erforderlich. Sehen Sie auch einen Un- terschied zwischen beiden Mandaten? Beck: Es gibt einen Unterschied. Der Isaf- Einsatz ist in seinem Kern ein sinnvoller Einsatz. Enduring Freedom wird heute teil- weise anders beurteilt. SPIEGEL: Der Ausstieg aus Enduring Free- dom wäre auch ein Zeichen, allerdings kein erfreuliches aus Sicht der USA. Beck: Das muss man sehr sorgfältig über- prüfen. Und zwar in enger Abstimmung mit unseren europäischen und amerikani- schen Partnern. SPIEGEL: Und Sie sind sicher, das den Ame- rikanern auch vermitteln zu können? Beck: Das wird man letztlich nur im Mit- einander entwickeln können.

BECKER + BREDEL / ACTION PRESS SPIEGEL: Herr Beck, Sie haben soeben drei Ex-Sozialdemokrat Lafontaine: „Keine Kraft, mit der man zusammenarbeiten kann“ Stellvertreter benannt, darunter Bundes- finanzminister Peer Steinbrück und Außen- mie für alle Eltern, die ihr Kind zu Hause politischen Lösung näherkommen. Ich hat- minister Frank-Walter Steinmeier. Sind das lassen. Gibt es ein Junktim zwischen bei- te dazu bereits Überlegungen angestellt, auch potentielle Kanzlerkandidaten? dem oder nicht? für die ich sehr verspottet worden bin. Beck: Sie sind Schwergewichte, und des- Beck: Natürlich nicht. Es gibt da auch über- SPIEGEL: Sie meinen Ihren Vorschlag, ge- halb habe ich sie gebeten, diese Aufgabe zu haupt keine Unklarheit. Wir haben ein Er- mäßigte in die Friedensgespräche übernehmen. Mehr gibt es dazu nicht zu gebnisprotokoll, was da drinsteht, gilt. Al- einzubeziehen? sagen. les andere gilt nicht. Beck: Unter den Taliban gibt es sehr un- SPIEGEL: Welche Rolle spielt Gerhard SPIEGEL: Darin heißt es: Die Betreuungs- terschiedliche Gruppierungen. Am Ende Schröder noch für Sie, als Frontmann, Stra- prämie soll eingeführt werden. kommen wir an den gemäßigten Kräften tege oder Wahlkämpfer? Beck: Die Soll-Regelung besagt, dass die nicht vorbei. Beck: Er ist mir ein ganz wertvoller Ge- Bedingungen für die Prämie 2013 zu prü- SPIEGEL: Die Anschläge jetzt auch im Nor- sprächspartner, nicht zuletzt in außen- und fen sind. den, die Sicherheitslage, der Drogenanbau, sicherheitspolitischen Fragen. Wenn es sich SPIEGEL: Aber der Rechtsanspruch wird die wirtschaftliche Situation – realistisch ergibt, ist er uns aber auch als Wahlkämp- bereits in der jetzt laufenden Legislatur- betrachtet wird die Situation doch eher fer immer herzlich willkommen. periode gesetzlich fixiert? kritischer als besser. Afghanistan wird im- SPIEGEL: Ist Frank-Walter Steinmeier für Beck: Der Rechtsanspruch ja, die Betreu- mer mehr zum Abenteuer. Sie Kollege oder bereits Rivale? ungsprämie nicht. Das ist völlig unstreitig. Beck: Wir haben keine Alternative. Wir Beck: Sie glauben es mir ja doch nicht – SPIEGEL: Peter Ramsauer, seines Zeichens müssen verlässlich sein bei den zivilen und aber dieses Rivalitätsdenken liegt mir sehr CSU-Landesgruppenchef, der ja im Koali- militärischen Hilfen, und wir müssen eine fern. Ich habe mir in Mainz immer die tionsausschuss dabei war, hat das anders politische Perspektive entwickeln. Dann stärksten Leute gesucht und bin damit sehr verstanden. können wir irgendwann auch verantwort- gut gefahren. Ich pflege einen kollegialen Beck: In der Pfalz sagt man: Manchmal ist lich sagen: Bis zum Zeitpunkt X müsst ihr Stil und regiere nicht wie ein Despot. einer da, aber nit do. SPIEGEL: Vielleicht ist das ja Ihr Nachteil. SPIEGEL: Die SPD tut sich, wie viele Deut- Womöglich braucht man einen gewissen sche, schwer mit der Afghanistan-Mission Wolfsinstinkt, um Bundeskanzler werden der Bundeswehr. Im Herbst muss der Bun- zu können? destag das Isaf-Mandat, die zivil-militäri- Beck: Ich habe eine Aufgabe übernommen, sche Komponente wie in Kunduz oder Ka- mit der ich nicht mehr gerechnet hatte. Sie bul, und die Operation Enduring Freedom, kam plötzlich auf mich zu, und ich habe sie den Anti-Terror-Kampf, verlängern. Be- gern übernommen, weil ich es als Heraus- kommen Sie für beides noch mal eine forderung und natürlich auch als Ehre an- Mehrheit zusammen? sehe, Vorsitzender der SPD zu sein. Alles Beck: Wir werden die Debatte führen, eng- andere wird entschieden, wenn es ansteht. verzahnt mit der Überlegung, wie wir einer Zuerst wird der Acker gepflügt, gesät, dann

ARMIN BROSCH gehegt und erst dann wird geerntet. * Horand Knaup, Gabor Steingart, Martin Doerry am Beck, SPIEGEL-Redakteure* SPIEGEL: Herr Beck, wir danken Ihnen für Münchner Flughafen. „Ich regiere nicht wie ein Despot“ dieses Gespräch.

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