Deutschland M. DARCHINGER Kandidat Rau*: Wachsendes Erstaunen

meisters, dann – im nächsten Anlauf – doch noch das ranghöchste Amt der Republik. Sie wolle Diskussio- nen anstoßen, pflegt die Professorin für Fest- körperelektronik aus bescheiden zu erklären. Über Frauen und Beruf, Technik und Zukunft, Toleranz und Verantwortung und na- F. OSSENBRINK F. ACTION PRESS ACTION türlich Ost und West. Kandidatin Schipanski*: Beruhigend unzeitgemäß Ex-Präsident Weizsäcker Das sind ihr vertraute Themen. Als Vorsitzen- de des Wissenschaftsrats hat sie schon häu- fig darüber gesprochen. „Bloß haben da BUNDESPRÄSIDENTEN-WAHL nicht so viele zugehört.“ Sie sagt, was von ihr erwartet wird. Wenn sie „neue Wege“ fordert, „For- Dritter Typus scherdrang“ und „Mut zum Risiko“, dann klingt das so vorsichtig, als wolle sie ihre Die CDU-Kandidatin für das höchste Staatsamt Aussage parodieren. Denn das ist nicht ihr Wesen, sondern hat gegen keine Chance. CDU-Strategie: Tief sitzt die Erinnerung Doch die Partei will Dagmar Schipanski schon für an das Debakel mit dem letzten Kandida- einen zweiten Anlauf aufbauen. ten aus Ostdeutschland, dem sächsischen Justizminister Steffen Heitmann. Der de- en CDU-Politiker Richard von wie der CDU-Mann im ersten Anlauf. montierte sich mit fragwürdigen Ansichten Weizsäcker hat die Thüringerin Weizsäcker, der 1974 als aussichtsloser zu „Überfremdung“, Verbrechen des Na- DDagmar Schipanski, 55, schon be- CDU-Kandidat gegen den von den Sozial- tionalsozialismus und seinem antiquierten wundert, als er für die Propaganda ihres demokraten unterstützten Liberalen Wal- Frauenbild selbst. Die Kandidatin hat kla- deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates ter Scheel antrat, hatte den demokrati- re Anweisungen aus dem Adenauerhaus, noch der Klassenfeind war. Sie wußte, er ist schen Stil der Unterlegenheit geadelt. damit so etwas nicht wieder passiert: „Kei- „ein Segen für unser Land“. Und das, haben die Parteiberater aus ne Festlegungen. Vergessen Sie nicht, für Jetzt ist er ihr ganz persönliches Vor- dem Adenauerhaus ihr eingeschärft, soll welches Amt Sie kandidieren.“ bild. Nicht, weil die Unionsbewerberin das sie als ähnlich chancenlose Konkurrentin Auf die meisten CDU-Mitglieder, die Amt des Bundespräsidenten so strahlend des Sozialdemokraten Johannes Rau wie- sich vor dem Zeitgeist gruseln und auf die ausfüllen möchte, wie es von 1984 bis 1994 derholen: „Sie sind kein politischer Ent- Mediengesellschaft schimpfen, wirkt die der silberhaarige Edelmann tat, sondern scheider, Sie sind eine moralische Instanz.“ resolute Dame beruhigend unzeitgemäß. weil sie ähnlich würdevoll unterliegen will, Die Rolle gefällt der Kandidatin. Denn In Harald Schmidts Show hat sie schon ei- dem gelungenen Unternehmen, der CDU nen Ehrenplatz – als „Oma Schipanski“. eine Niederlage zu gewinnen, folgte im Fal- Gönnerhaft-verblüfft fallen dann die Re- * Links: In ihrem Haus in Ilmenau; rechts: mit Bun- despräsident nach dessen Wahl am 23. le Weizsäckers die Belohnung: in West-Ber- aktionen aus, wenn Dagmar Schipanski an- Mai 1994. lin der Posten des Regierenden Bürger- hebt, fachkundig über Globalisierung und

der spiegel 10/1999 75 Deutschland

Natürlich findet sie es Heimspiel für Rau? „gut, wenn wir Deutsche uns Stimmenverhältnis in der Bundesversammlung* an den Holocaust erinnern“. Aber will sie das Naumann- entsendet Landesparlamente entsenden Mahnmal? Dazu sagt sie lie- 669 Abgeordnete 669 Stimmberechtigte ber nichts. Selbstverständlich *gegenwärtiger sieht die fromme Protestan- Stand tin sich als Anwältin der Frauen. Eine Antwort darauf, Bundesversammlung: 1338 Mitglieder wenn katholische Bischöfe die Abtreibung mit dem Absolute Mehrheit: 670 Stimmen Judenmord vergleichen, bleibt sie schuldig. Sonstige Natürlich w