Plenarprotokoll 12/37

Deutscher

Stenographischer Bericht

37. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 2: Peter Conradi SPD 3082 B Abgabe einer Erklärung der Bundesre- Dr. Lutz G. Stavenhagen CDU/CSU . . 3082 C gierung zur Lage und Entwicklung in der Christel Hanewinckel SPD 3082 D Sowjetunion und Jugoslawien Dr. FDP 3085 D Dr. , Bundeskanzler 3015 B Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Björn Engholm, Ministerpräsident des Lan- BMI 3086A des Schleswig-Holstein 3020 A Dr. Willfried Penner SPD 3087 A Dr. CDU/CSU 3025 D Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 3089D, Dr. FDP 3031 D 3106A Dr. PDS/Linke Liste . . . 3035 C Dr. Sigrid Hoth FDP 3089 D Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 3038 C Dr. Bündnis 90/GRÜNE 3091 D Ortwin Lowack fraktionslos 3041 D Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 3092 B Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister AA 3043 A Dr. Paul Laufs CDU/CSU 3093 A Hans Koschnick SPD (Erklärung nach § 30 Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 3095 B GO) 3046 D Dr. Willfried Penner SPD 3097 C Tagesordnungspunkt 1: Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister BMJ . 3102A Fortsetzung der CDU/CSU 3104A a) ersten Beratung des von der Bundesre- Dr. Hans de With SPD 3108 C gierung eingebrachten Entwurfs eines Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 3109A Gesetzes über die Feststellung des Bun- deshaushaltsplans für das Haushaltsjahr Dr. Conrad Schroeder (Freiburg) CDU/CSU 3110D 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksache Harald B. Schäfer (Offenburg) SPD . . . 3112D 12/1000) Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU . 3115D b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Nächste Sitzung 3117D Bundes 1991 bis 1995 (Drucksache 12/1001) Anlage 1 Dr. Hans-Jochen Vogel SPD 3047 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3119* A Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU 3057 B Dr. Burkhard Hirsch FDP 3058C, 3100B, 3104 C Anlage 2 Dr. FDP 3062 C Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesord- Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE . . . 3068 D nungspunkt 1 — Haushaltsgesetz und Fi- PDS/Linke Liste 3070 C nanzplan des Bundes 1991 bis 1995 — Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 3072 B (Michael von Schmude CDU/CSU) . . . . 3119* B

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 3015

37. Sitzung

Bonn, den 4. September 1991

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Guten Morgen, mals von Felix Dserschinski endet hoffentlich auch liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröff- endgültig der allgegenwärtige Terror des KGB. net. (Beifall im ganzen Hause) Ich rufe gleich den Tagesordnungspunkt 2 auf: Welches Ereignis könnte uns diesen historischen Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Umbruch deutlicher vor Augen führen als der rapide zur Lage und Entwicklung in der Sowjetunion Niedergang der KPdSU? Es ist eine Epoche zu Ende und Jugoslawien gegangen! Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Die Menschen in Moskau, Leningrad — dem alten Aussprache zur Regierungserklärung bis gegen und neuen Sankt Petersburg — und in vielen anderen 13 Uhr dauern. — Ich sehe keinen Widerspruch. Sie Städten und Regionen der Sowjetunion verdienen un- sind damit einverstanden. sere Hochachtung für Mut und Standfestigkeit. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung Wir haben besonders zu danken und unseren Re- hat der Herr Bundeskanzler. spekt zu bezeugen dem Präsidenten der Russischen Republik, Boris Jelzin. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD, dem Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Ab Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Frau Präsidentin! geordneten der PDS/Linke Liste) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die parla- mentarischen Beratungen in dieser Woche fallen in Ohne dessen Mut und ohne dessen Engagement wäre eine Zeit außergewöhnlicher — ja historischer — Er- dieser Putsch kaum so schnell gescheitert. eignisse. Wir stehen gemeinsam vor Herausforderun- Die einhellige Verurteilung des Putsches durch die gen in der internationalen Politik, die sich auch auf freiheitlichen Demokratien des Westens hat sicherlich unser Land ganz unmittelbar auswirken. wesentlich dazu beigetragen, dem Widerstand den Führen wir uns doch noch einmal die dramatischen Rücken zu stärken und damit die Putschisten zur Auf- Ereignisse in der Sowjetunion vor zwei Wochen vor gabe zu zwingen. Augen. Präsident Jelzin hat mir in einem Telefongespräch Am 21. August haben die Bürger von Moskau, Le- am 21. August für die Unterstützung gedankt und dar- ningrad und anderen Städten der Sowjetunion einen auf hingewiesen, daß die Unterstützung der freien großen Sieg für Demokratie, für Freiheit und Recht Welt ihm sehr viel geholfen habe. Er hat, wie Sie wis- errungen. Ihr entschlossener Widerstand ließ den sen, meine Einladung zum Besuch nach Deutschland Putsch scheitern. angenommen, und ich hoffe, daß es schon in sehr kur- zer Zeit gelingt, einen Termin zu vereinbaren, denn (Beifall im ganzen Hause) seine enorme Arbeitsbelastung zu Hause schränkt Meine Damen und Herren, dies geschah auf den seine Terminmöglichkeiten verständlicherweise ein. Tag genau 23 Jahre, nachdem die Freiheit in Prag von Ich glaube, wir alle sind uns einig: Es war ein großer Panzern niedergewalzt worden war. So ist dieser und bewegender Augenblick, als Michail Gorba- 21. August 1991 auch ein später T riumph für die Men- tschow und seine Familie am 22. August nach Moskau schen, die sich damals den Panzern entgegengestellt zurückkehren konnten. Für mich persönlich war es haben. - eine besondere Freude, ihn wohlbehalten zu sehen, Ich bin sicher, der Sieg der demokratischen Idee in denn ich habe mich in diesen für ihn ganz besonders der Sowjetunion wird später in den Geschichtsbü- schweren Tagen vor allem daran erinnert, wie sehr chern als „August-Revolution'' gewürdigt werden. wir, die Deutschen, ihm zu Dank verpflichtet sind. Damit ist in der Sowjetunion nicht nur Stalin über- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD, wunden, sondern seit dem 21. August auch die Staats- dem Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Ab doktrin von Marx und Lenin. Mit dem Sturz des Denk geordneten der PDS/Linke Liste) 3016 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Ich füge hinzu, daß ich mit einem erheblichen Mißbe- auf ihrem schwierigen Weg unsere ganz besonders hagen in diesen Tagen manches vorschnelle Urteil guten Wünsche und unsere Solidarität. über diesen Mann zur Kenntnis genommen habe. Ich finde, man soll hier auf das Urteil der Geschichte ver- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD trauen, und das wird anders aussehen als mancher und dem Bündnis 90/GRÜNE) dieser Kommentare. Meine Damen und Herren, wir können bei aller Freude und Genugtuung über diesen historischen Wir wünschen all denen, die in der Sowjetunion und Sieg von Freiheit und Demokratie in der Sowjetunion den Republiken Verantwortung tragen, Erfolg bei den jetzt natürlich nicht zur Tagesordnung übergehen. großen Anstrengungen, die Union zusammenzuhal- Das sind wir vor allem auch jenen schuldig, die in ten, um diese gemeinsam als Verbund selbständiger diesen historischen Tagen dort ihr Leben aufs Spiel Republiken zu erneuern. gesetzt haben. Der Erfolg der freiheitlich-demokratischen Bewe- Gefordert ist jetzt, daß der Westen gemeinsam, gung hat trotz vieler jetzt noch offener Fragen die rasch und umfassend bei der demokra