Der Kampf Um Die Historische Internationalisierung in Der Bundesrepublik Deutschland

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Der Kampf Um Die Historische Internationalisierung in Der Bundesrepublik Deutschland 24. KAPITEL Der Kampf um die historische Internationalisierung in der Bundesrepublik Deutschland Viel war nach 1945 von Abrechnung und von Revision des deutschen Geschichts- bildes die Rede, ein politisch gewollter Revisionismus in nicht nur geschichtspoliti- scher Absicht. Auch deshalb war Preußen ein Problem, und die „Entpreußung“ der deutschen Geschichte ist seitdem Programm. Es war ein geschichtspolitisches Pro- gramm, aufgeladen durch konfessionelle Präferenzen katholischer Autoren, die die historiographische Neuorientierung nach dem Krieg sehr bewußt betrieben.89 Das hieß, die bisherige Dominanz der „protestantisch-preußische[n] Grundauffassung“ zu brechen, wie sie nicht zuletzt von Gerhard Ritter vertreten worden war.90 Quel- lensicher zu greifen sind diese geschichtspolitischen Hintergründe bei der Entste- hung des Instituts für Europäische Geschichte Mainz um 1950, dem bei der „Ent- preußung des deutschen Geschichtsbildes“ eine wichtige Funktion zufallen sollte. In Zusammenarbeit mit deutschen Historikern und dort unterstützt von der fran- zösischen Besatzungsmacht, wurde von einer „Gegengruppe zum von Ritter geführ- ten Historikerverband“ ein Institut gegründet, zunächst mit finanzieller Fundierung durch den amerikanischen Hochkommissar. Es handelte sich um eine Einrichtung, die ganz ausdrücklich der geschichtspolitischen „Umerziehung“ zuzuarbeiten hat- te.91 Sehr bald wurde in den Publikationen des Mainzer Instituts die Geschichte des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation zu einem prominenten Schwerpunkt in der neueren Geschichte, ein Themenfeld, das von der älteren (preußischen) Hi- 89 Für die unmittelbare Nachkriegszeit siehe W. Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 211, mit Namen (u. a. Franz Herre, Karl Buchheim, Otto B. Roegele); dort das Zitat von Emil Franzel von der notwendigen „Zerstörung des preußischen Mythos“. Ebd. zu Franz Schnabel. Dagegen im wesent- lichen Gerhard Ritter und Hans Rothfels, „Revision“: S. 207, S. 209 (zum Folgenden), ferner S. 219. 90 Vgl. zunächst W. Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 217 f., S. 222; Rothfels und Ritter haben unmittelbar nach 1945 versucht, das preußische Traditionselement im (konservativ-bür- gerlichen) Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu akzentuieren – ein Argument, das in der neueren Spezialforschung zu diesem Themenfeld später an Gewicht verlor, zusammenfassend etwa Mirow, Altes Preußen, S. 258 f. 91 Dazu und zur Initiative des Mediävisten Fritz Kern vgl. Winfried Schulze, „Das Mainzer Paradoxon“. Die deutsche Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit und die Gründung des Instituts für Euro- päische Geschichte, in: ders./Corine Defrance (Hg.), Die Gründung des Instituts für Europäische Geschichte Mainz (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Abendländische Religionsgeschichte. Abteilung Universalgeschichte, Beiheft 36), Mainz 1992, S. 7-39, hier S. 21 f., Umerziehung: S. 28 f., Kampfstellung gegen Gerhard Ritter: S. 30; Hans-Christof Kraus, Gründung und Anfänge des Max-Planck-Instituts für Geschichte in Göttingen, in: Jürgen Elvert (Hg.), Geschichte jenseits der Universität. Netzwerke und Organisationen in der frühen Bun- desrepublik, Stuttgart 2016, S. 121-139, hier S. 122; zur Geschichtspolitik Wolfrum, Waffe, S. 59. 544 VII. TEIL storiographie zwar nicht gänzlich übersehen,92 aber doch in seiner Relevanz unter- schätzt, vor allem aber nicht zureichend mit der Geschichte Brandenburg-Preußens in Beziehung gesetzt worden war. In der bundesrepublikanischen Frühneuzeitfor- schung gewann mit der Reichsgeschichte93 ein Arbeitsfeld lange Zeit zentrale Be- deutung, das nun die nicht-brandenburg-preußischen, die „kaisernahen“ Regionen und Faktoren ins Zentrum der Betrachtung rückte, dabei freilich auch wichtige Er- kenntnisse zur preußischen Geschichte erarbeitete, die der Historiographie der Schmollerzeit mit ihrer Fokussierung auf „moderne“ (Einzel-)Staatlichkeit verbor- gen bleiben mußten, weil mit dem Alten Reich spezifisch vormoderne Grundlagen politischer Kultur zum zentralen Thema gemacht wurden. Von München aus hat Franz Schnabel, katholischer Demokrat und unter den Na- tionalsozialisten 1936 zwangsemeritiert,94 die Reichsgeschichte massiv gefördert, ohne selbst auf diesem Feld forschend aktiv zu sein. Volker Press – um ein bedeu- tendes Beispiel zu geben – verdankte diesem wissenschaftspolitisch unterlegten Programm und neuen Netzwerken vieles, wenn er seinerseits an einer Konzeption von (deutscher) Geschichte quellenintensiv arbeitete, die „sich von dem etablierten kleindeutsch-protestantischen Bild deutlich abhob“.95 Die Schwerpunkte der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945/49 waren jedenfalls andere als zuvor, ganz zu schweigen von der Gewichtung in der Schmol- 92 Beispiel: von dem Hintze-Schüler Fritz Hartung, Geschichte des fränkischen Kreises. Darstellung und Akten, Bd. 1: Die Geschichte des fränkischen Kreises von 1521-1559 (Veröffentlichungen der Ge- sellschaft für fränkische Geschichte, 2. Reihe, Bd. 1), Leipzig 1910, darin Anton Chroust, Vorrede, S. XVII-XXIII, bes. S. XXII; Richard Fester, Die armirten Stände und die Reichskriegsverfassug (1681- 1697), Frankfurt a. M. 1886, das unpag. Vorwort zu Genese und Quellenbasis. 93 Aus der Produktion des Mainzer Instituts zur Reichsgeschichte exemplarisch Heinz Duchhardt, Protestantisches Kaisertum und altes Reich. Die Diskussion über die Konfession des Kaisers in Politik, Publizistik und Staatsrecht (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte, Bd. 87), Wiesbaden 1977, mit Bezügen zur preußischen Ge- schichte: S. 223-230, S. 240-251, S. 284-295; Karl Otmar Freiherr von Aretin, Heiliges Römisches Reich 1776-1806. Reichsverfassung und Staatssouveränität, 2 Teile (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte, Bd. 38), Wiesbaden 1967, im dar- stellenden Teil: Bd. 1, S. 19-23, S. 128, S. 164 ff. und passim. 94 Karl Egon Lönne, Franz Schnabel, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, Bd. 9, Göttin- gen 1982, S. 81-101, hier S. 94; Erich Angermann, Zum fünften Band von Franz Schnabels „Deutscher Geschichte im neunzehnten Jahrhundert“, in: Historische Zeitschrift 247 (1988), S. 603-612, Arbeit am fünften Band seiner „Deutschen Geschichte“ bis 1942: S. 610 ff.; Hertfelder, Franz Schnabel, Bd. 2, S. 669 ff., S. 673 f. („Emeritierung“), S. 679 ff.; Peter Herde, Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Übergang vom Nationalsozialismus zum demokratischen Neubeginn. Die gescheiterten Berufun- gen von Hermann Heimpel nach München (1944-1946) und Franz Schnabel nach Heidelberg (1946- 1947) (Hefte zur bayerischen Landesgeschichte, Bd. 5), München 2007, S. 71 f.; Friedrich Hermann Schubert, Franz Schnabel und die Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert, in: Historische Zeit- schrift 205 (1967), S. 323-357, hier S. 324 f. 95 Mit Andeutung der Hintergründe: Franz Brendle/Anton Schindling, Volker Press (1939-1993). Stän- deforscher und Historiker des Adels im Alten Reich, in: Volker Press, Adel im Alten Reich. Gesam- melte Vorträge und Aufsätze, hg. v. Franz Brendle u. a. (Frühneuzeit-Forschungen, Bd. 4), Tübingen 1998, S. 9-40, Zitat: S. 10 f., weiter S. 12 ff., Archivschwerpunkte: S. 16 f.; Georg Schmidt/Dieter Stie- vermann, Volker Press (1939-1993), in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 53 (1994), S. 359-364, hier S. 362 f..
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