Die Kartenpielerin Köln, Deutschland erschienen in "Max" Mai 2006

Monica Lierhaus riecht wie ein Mann. Sie trägt den aktuellen „Kicker“ unter dem Arm, außerdem die „Sport-Bild“ und einen Stapel Papier, als sie in die Bar eines Kölner Hotels kommt. Sie bestellt aber kein Gedeck, sondern Milchkaffee. Ein Gedeck meint im Rheinland die Kombination von Kölsch und Korn und ist ein zugegeben ziemlich flacher Anfangsscherz für ein Porträt, das auch davon handeln soll, wie sich Monica Lierhaus, 36, als erste Frau erfolgreich in der Machowelt Fußball behauptet. Dass sie nach Mann duftet, stimmt aber tatsächlich: „Antaeus“, ein Klassiker unter den Herrenparfums. „Kicker“ und die „Sport-Bild“ hat sie dienstlich dabei, an einem Freitagvormittag, also am Tag vor der Aufzeichnung der „Sportschau.“ Der Papierstapel? Das sind Statistiken zum Spieltag. Morgen in der Sendung wird sie wieder wirken, als kenne sie jede Eckballbilanz seit 1965 auswendig. „Wussten Sie eigentlich, dass Torwart Keller von Borussia Mönchengladbach mehr als 75 Prozent der Schüsse abgewehrt hat?“, fragt sie, nippt am Kaffee. Nein, aber ja, stimmt, das ist Monica Lierhaus, wie sie Millionen Zuschauer der „Sportschau“ kennen: Sachlich, nüchtern, perfektionistisch. Sie reißt keine Scherze wie ihr Kollege Delling und verzichtet auf tiefenphilosophische Erkenntnisse a lá Reinhold Beckmann. Schon dafür ist man dankbar. Obendrein sieht sie reizend aus mit rotem Haar und wirkt sehr feminin, trägt Stiefel zum Hosenanzug und fragt mit charmantem Lächeln Fragen, die sogar Teamchef Klinsmann vorübergehend das Grinsen aus dem Gesicht schießen. Monica Lierhaus hat während der Olympischen Spiele in Turin für die meisten Fernsehzuschauer Gold geholt und ist die vielleicht größte Hoffnung für die Fußball-Weltmeisterschaft. Sie stand schon routiniert neben der Skischanze in Willingen, wie sie von der Tour de France berichtete oder die „Große Knoff-Hoff-Show“ moderierte. Sie hat in einer merkwürdigen Spielzeit, in der sich Politiker in die Taktik der Nationalmannschaft einschalten wollen, etwas aufregend Unaufgeregtes. Sie wirkt immer wie eine große Schwester, die schon weiß, wohin der Ball am Ende laufen wird. Der Grund ihres Erfolgs? Liegt auch im Papierstapel. „Als Journalistin habe ich vor allem eine Sorgfaltspflicht“, sagt sie, „ich habe doch Verantwortung.“ Sie empfindet sich als Journalistin, nicht als Moderatorin oder schlicht: Sportentertainerin, die sie ja eigentlich gibt. Vor allem aber überlässt sie ungern etwas dem Zufall. Eine Bitte noch, bevor es richtig losgeht: Alle Zitate sollten abgestimmt werden und Fotos bitte nur von der Schokoladenseite, also von links, wo der Pony offen ist. Vielen Dank auch. Blick auf die Uhr, 11.29 Uhr, sie drängt zum Aufbruch. Um 11.30 Uhr ist ein Wagen bestellt. Minuten später, im Sendehaus des Westdeutschen Rundfunks. Auf dem Linoleumboden der Flure spiegeln sich Neonröhren, die Wände hat man vor Jahren weiß getüncht. Alles extrem öffentlich- rechtlich hier, für Inneneinrichtung verschwendet niemand einen Cent. Der Fahrstuhl hält im 12. Stock, man läuft direkt in einen Kickertisch hinein. In den Büros der „Sportschau“-Redaktion sieht es aus, wie es in Partyräumen echter Fußballfans eben aussieht: An den Wänden hängen Trikots von Alemannia Aachen oder Schweinfurt 05; Fotos zeigen die Freizeitmannschaft des WDR. Männer auf Asche. Moderatorin Lierhaus begrüßt die Redakteure, unter ihnen Chef vom Dienst Christian Riewe, wegen seiner roten Haare „Fox“ genannt. Kein Bussi-Bussi, sondern echte Herzlichkeit, man versteht sich. Die Konferenz handelt Themen ab, die schon seit Anfang der Woche diskutiert werden. Gibt es einen neuen Bundesligaskandal? Ansonsten Alltag: Die einsame Klasse der Bayern, der so genannte 1.FC Köln, na toll: der erste Mainzer Spieler in der Nationalmannschaft. Lierhaus nickt und macht sich Notizen in ihren Papierstapel. „Wenn van der Vart von Anfang an gespielt hat, gewann der HSV bisher alle Auswärtsspiele“, merkt sie an. „Ist das so?“, fragt ein Redakteur spitz. „Na klar“, entgegnet ein anderer, „wenn Monica das sagt.“

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Lierhaus untersucht ihre Unterlagen, als habe sie die gemeine Zwischenfrage überhört. Sie kann einem in drei Sätzen erklären, wie der FC Chelsea taktisch agiert und warum der Mainzer Stürmer Thurk besser hinter den Spitzen spielt. Schon als Kind saß sie im von . Beim HSV auf der Haupttribüne kann man sie sich auch besser vorstellen als auf der Nordtribüne des FC St. Pauli. Lierhaus wuchs als jüngstes von drei Kindern in Marienthal auf, einem hanseatischen Vorort, wo man auf die Pflege der Vorgärten Wert legt. Der Vater, Rechtsanwalt und Schalke-Fan, schaltete jeden Samstag um 18 Uhr die „Sportschau“ an. Tochter Monica spielte Tennis, bis zur Regionalliga. „Ich war nicht besonders talentiert, aber sehr ehrgeizig. Eine typische Grundlinienspielerin“, sagt sie. Und nach einer Pause: „Rückhand besser als Vorhand, longline und cross geschlagen.“ Vermutlich hat sie zu Hause noch irgendwo die Aufschlagquoten. Mit Tennisstunden verdiente sie ihr Taschengeld, noch während des Studiums der Germanistik. Aus der Universität dann die Blitzkarriere: Praktikantin für Radio Hamburg, Volontariat bei Sat1, zuerst beim Regionalfernsehen, dann Reporterin für die Hauptnachrichten. Lierhaus war Mitte 2o und berichtete vom Untergang der „Estonia“, über das Exportverbot für Rindfleisch oder den Waffenstillstand in Belfast. Das Interview mit einem Vater, der von seiner ermordeten Tochter erzählte, geht ihr bis heute nahe. „Ich hatte damals immer einen gepackten Koffer zu Hause stehen, mit Kleidung für vier Tage“, erzählt sie. Vom Flughafen musste sie immer wieder Freunde anrufen, um Verabredungen abzusagen. Ihr sei bald klar gewesen, dass sie den Job nicht ewig machen wollte. Wieder kam wie selbstverständlich das richtige Angebot im richtigen Moment, als habe sie einen besonders guten Draht zum ganz großen Programmdirektor: Sie übernahm die Moderation des Boulevard-Magazin „Blitz“ in . Und wieder dauerte es nicht lange, bis sich die Redaktion der Fußballsendung „ran“ meldete. Doch sie zögerte: Zu viele Vorgängerinnen waren ziemlich fulminant gescheitert. Wenn eine Frau Fußball macht, verzeiht die Fankurve keinen Fehler und schon gar kein „Schalke 05“, den wohl am genüsslichsten zitierten Versprecher der deutschen Fernsehgeschichte. Nach einem Training mit Ernst Huberty, Legende der deutschen Sportreporter, nahm sie die Offerte aber an. „Ich wusste, dass ich es kann.“ Den Rat, auf Phrasen der Branche zu verzichten, beherzigt sie bis heute: Man hört von ihr nichts über die „Roten Teufel vom Betzenberg“; auch „Fohlen“ (Gladbach), „Zebras“ (Duisburg) oder anderes Getier vermisst man kein bisschen. Immer Inhalt wichtiger nehmen als die Verpackung, lautet ihr Motto. Vor den ersten „ran“-Sendungen zerbrach sie sich den Kopf über den Schnitt ihres Pullovers, aus Furcht, ihr Auftritt könne zu weiblich wirken. Wer einige Zeit mit Monica Lierhaus verbringt, der merkt, dass sie einen durch die „Sportschau“ begleitet, wie sie selber durchs Leben geht: Um Sachlichkeit bemüht, zielstrebig, dabei mit besonderem Wert auf Höflichkeit. Man fragt sich, was sie wohl wirklich dachte, wenn sie in Diensten von „Premiere“ Gummi kauende Jungprofis interviewte, die sie entweder gar nicht sahen oder ihr aufs Dekolleté schielten. Aber sie antwortet auf solche Fragen prinzipiell nicht. Sie erzählt nur, dass sie mal einen Spieler stehen ließ. Warum? Vor allem: bitte wen? Will sie nicht verraten. Der Nachmittag im WDR geht weiter mit Diskussionen von Details. Lierhaus begutachtet im Schneideraum Impressionen, die ein Mitarbeiter aus Hamburg im HSV-Fieber mitgebracht hat; sie bittet darum, den Hund von Torwart Keller als letzte Einstellung im Film zum Gladbach-Spiel zu haben, weil sie ihn in ihre Moderation einbauen will. Auch das ist Routine in der . Auf der Fahrt zurück ins Hotel klingelt ihr Handy. Jemand in Brandenburg bestellt ein Taxi. Lierhaus erklärt ihm, dass sie nur eine ähnliche Nummer hat, aber leider nicht weiterhelfen kann. Sie stutzt, starrt das Telefon an. „Einfach aufgelegt! Ist das zu fassen!“ Dies ist nun ein seltener Moment, in dem Monica Lierhaus, die sonst gerne Distanz hält, sich in die Seele sehen lässt. Schlechte Manieren regen sie auf. In der „Zeit“ träumte sie einmal von „der Befreiung ihrer Stadt von Flegeln, Heuchlern und Gefühlverkäufern“, wobei jeder Verstoß gegen die Regeln des Zusammenlebens an sie weiter geleitet werde. „Ich vermisse Werte in unserer Gesellschaft“, klagt Lierhaus. Werte: Rücksichtnahme. Respekt. „Die Kinderstube“, so nennt sie es, schön altmodisch. Kleine Gesten sind ganz wichtig in ihrem Kosmos. Das Hotel zum Beispiel, vor dem die Limousine nun hält. Es gibt schönere Hotels in Köln, mit größeren Zimmern und besserer Aussicht, aber Lierhaus schläft hier, weil sie nach dem zweiten Besuch nicht die Kreditkarte zur Deckung der Minibar vorlegen musste und die Damen am Empfang so höflich sind. Im Zimmer bestellt sie ein Nudelgericht

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und einen Ruccolasalat. Sie legt den Stapel Statistiken samt „Kicker“ auf den Schreibtisch und kramt einen Stoß Karteikarten aus ihrer Mappe. Zeit, die Moderation heraus zu destillieren. Am Samstag der Sendung, um halb 12. Die Redaktion versammelt sich im Aufenthaltsraum der Moderatoren, der mehrere Sofas und einen Tisch beherbergt. Regisseur Markus Verhall, ein blonder Mittvierziger mit freundlichem Gesicht, verteilt den Ablaufplan der Show. Die Dramaturgie des Spieltags auf 14 Seiten, eng getippt: Vorne die Loser aus Duisburg, ganz hinten der HSV, damit keiner abschaltet. Jede Kameraeinstellung ist sekundengenau vermerkt. Erneut gehen die Gespräche um Details: Werden Bilder von der Busankunft des HSV benötigt? „Gibt es was Konkretes im angeblichen Skandal?“, fragt Lierhaus, die heute ein irgendwie lilafarbenes Oberteil zur Jeans trägt. Kopfschütteln der Redakteure. „Dann werde ich dazu auch nichts sagen. Ich mag keine Spekulationen.“ Während sie sich wieder ihren Karteikarten widmet, läuft die große „Sportschau“-Maschine warm. Ein Team von mehr als 50 Mitarbeitern im Sendehaus und etwa ebenso vielen in den Stadien der Republik wird das Produkt Bundesliga in Szene setzen. CvD „Fox“ und Senderedakteur Wagner rufen die Reporter an, um die geplanten Längen der Beiträge durchzugeben. 14.20 Uhr. Im Studio, im Keller des WDR, zwei Stockwerke tief unter Köln, beginnt die Generalprobe. Lierhaus hat sich umgezogen, trägt nun eine schwarze Bluse zur schwarzen Hose. Sie grüßt jeden im Studio, wirklich jeden. Als sie das Mikrophon angesteckt bekommt, bedankt sie sich, als habe ihr die Tonfrau gerade das Leben gerettet. Freundlichkeit kann auch ein Versteck sein. In ihrer Hand hält sie die Karteikarten fest. Die Kulisse soll an ein Stadion erinnern; die Lichtsegel sehen aus wie Flutlichtmasten. Lierhaus hustet ab und an, sie wirkt jetzt nervös. Letzter Blick in die Karteikarten, dann geht der Test los. Ein Teleprompter existiert nicht. Knapp eine Stunde später sitzt Lierhaus in der Maske. Sie drängt den Fachmann, schneller zu arbeiten, denn im „Dispatcher“-Raum laufen die sieben Spiele des Tages parallel auf vielen Bildschirmen. Sie will ein „Gefühl“ für den Spieltag bekommen. In der ersten Reihe zerlegt derweil die Statistik- Abteilung jedes Spiel. Dahinter beobachten Redakteure jeweils eine Partie; in der hintersten Reihe sitzt ein Mann, der alle Zahlen aufschreibt, CvD „Fox“ und nach ein paar Minuten Verspätung Monica Lierhaus. Sollte aus einem Spiel wie Hannover gegen Köln plötzlich ein Spektakel werden, das 7:4 ausgeht, könnten sie den Sendeablauf kurzfristig umstellen. In Realität bittet der Reporter des Spiels Hannover gegen Köln kurz nach der Halbzeit um weniger Sendezeit, weil er nicht weiß, was er zusammen schneiden soll. Dem Berichterstatter des Gladbach- Spiels geht es nicht besser. Wenn man so im Dispatcher-Raum des WDR hockt, das Querpassfeuerwerk der Liga auf einer Wand aus Bildschirmen vor Augen, stellt sich die Frage: Ist die Verpackung der „Sportschau“ am Ende besser als die Liga? Lierhaus antwortet auf so etwas ausweichend. „Der Tabellenvierte hat so viele Punkte wie niemals zuvor“, meint sie. Ein klassischer Lierhaus-Satz. Tut keinem weh. Und stimmt ja auch. Es ist das Jahr vor der Weltmeisterschaft, das ganze Land freut sich drauf, die Stadien sind voll wie nie, jeder ist auf einmal Fan, obwohl eigentlich keiner weiß, warum. Wer will da Miesepeter sein? Um 18:10 Uhr und 15 Sekunden geht die „Sportschau“ auf Sendung. Regisseur Verhall wünscht allen über Kopfhörer eine „gute Reise.“ Lierhaus steht im Studio und sieht verloren aus, wie sie ihre Karteikarten studiert. In der Sekunde aber, als die Kamera auf sie zuschwenkt, ist sie zurück. „Keine Zeit, abzuschalten, sondern Zeit, die Bayern zu jagen“, proklamiert sie mit bebender Stimme, was zwar kein Mensch glaubt, aber doch irgendwie spannend klingt. Wenn sie das sagt. Was nun folgt, wird live orchestriert von einem eingespielten Ensemble. Jeder Schnitt, jeder Übergang funktioniert perfekt, und Solistin Lierhaus sieht gut aus wie immer. Wirkt so kompetent, so unheimlich souverän. Einmal sagt sie „Rapid Bukaret“ und ärgert sich darüber in der Pause. Der nervöse Husten kehrt zurück. Einmal gerät sie leicht ins Schwimmen, weil sie das WM-Aus des verletzten Sebastian Deisler noch schnell in die Karteikarten schreiben muss. Sie erwähnt den vermeintlichen Bundesligaskandal zwar, kündigt aber an, solange nicht darüber zu berichteten, wie es keine Beweise gibt: „An Spekulationen werden wir uns nicht beteiligen“. Das klingt warm und weise, ganz wie große Schwester. Um 19:41 und 25 Sekunden ist die Sendung so gut oder so schlecht wie der Spieltag oder der Fußball in Deutschland. Monica Lierhaus hat einfach Recht, mal wieder. Ihre Karten lügen nicht.

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