Institut für Kulturmanagement Seminar: Entstehung von Spiel und Theater an der PH Ludwigsburg Datum: 01.02.2000

Rezeptionsprobleme antiker Theaterstücke im 20. Jahrhundert

1. Rezeption Anfang des 20. Jahrhunderts (1900-1920): Neue Impulse

Als Alternative zu den renommierten Theatern, die im naturalistischen Stil spielen, bilden sich sogenannte literarisch-theatralische Gesellschaften, wie z.B. „Der Akademische Verein für Kunst und Litteratur“, der Auffüh- rungen antiker Tragödien plant.  28.02.1900, Berlin, „König Oedipus“: Sprechchor mit 60 bis 100 Teil- nehmern, der unisono spricht, Regie: „denkbar regste Anteilnahme an der Handlung, nicht nur durch Minenspiel und Gesten, sondern durch lebhaftes Hervortreten und Durcheinanderwogen.“ Musik: Max von Schillings (1868-1933).  28.03.1900, Berlin, Antigone: Die Auswahl der Stücke erfolgt in der Tradition des 19. Jhds. Chor spricht wieder unisono. Musik: Ouvertüre von Mendelssohn Bartholdy.  24.11.1900, Berlin, Orestie: Behandlung des Chores entsprechend sei- ner Bedeutung im Stück, Musik: Max von Schillings, enge Kooperation zwischen Übersetzer, Komponist und Regisseur, viereinhalb Stunden Spieldauer (also stark gekürzt).

1.1 Max Reinhardt (1873-1943)

Wirkte in den drei Aufführungen des „Akademischen Vereins für Kunst und Litteratur“ in Berlin mit, wodurch er wichtige Impulse für eigene Insze- nierungen erhielt.

 1903, Elektra, Bearbeitung: Hugo von Hofmannsthal  1904, Medea  1906, Antigone  1908, Lysistrata (Aristophanes)  1910 Arena-Inszenierung des „König Ödipus“ in Übersetzung von Hof- mannsthal in München und Berlin: Arena-Theater als Gegenstück zu „Guckkastentheater“. Reinhardt will Publikum in totale Illusion versetzen und Gemeinsamkeit zwischen Publikum und „Volk“ auf der Bühne entstehen lassen. Er begreift den Text als Grundlage für ein Dynamischen Bewegungsspiel auf der Büh- ne. Das Volk wird von 500 Personen dargestellt, die in drei getrennten Strängen auf die Bühne drängen. Der Chor ist auf einzelne Dialogspre- cher verteilt und besteht insgesamt aus 27 Männern.  1911/1912 Orestie in München und Berlin, 1919 in Berlin, Arena- Inszenierung, jedoch stark gekürzt. 1000 Statisten, alle Personen, die im Stück militärischen Charakter haben, tragen Stahlhelme des deut- schen Heeres  aktueller politischer Bezug.

1.2 Politisches Theater

Zwei der bedeutendsten Bearbeitungen antiker Tragödien unter Einfluß der Erfahrungen des Ersten Weltkriegs:

 Werfel, Troerinnen (Bearbeitung, 1916): Warnung vor dem Krieg  Hasenclever, Antigone (1916): stark von Sophokles abweichendes Stück, Antikriegsstück.

2. Zwanziger Jahre: Feierliche Innerlichkeit und Schicksalswalten

Aufführung von Stücken des Sophokles in Übersetzung von Friedrich Hölderlin (1770-1843). Betonung des Zeitlosen der Stücke und des Sakra- len, des Rituellen, des Archaisch-Mystischen, der Begegnung von Mensch und Gott, Rückzug von der politischen oder politisch-mitbedingten Öffent- lichkeit in die Innerlichkeit.

2  1922, Oedipus und 1923, Antigone am Hessischen Landestheater Darmstadt: Regisseur Eugen Keller und Germanist Wilhelm Michel wol- len, vermittelt durch die Sprache Hölderlins, die Begegnung von Gott und Mensch in der zeitlosen Tragik sichtbar machen: zeitlose Kostüme, vor mächtigen Treppen (Oedipus) bzw. einer blauen Wand (Antigone).

3. Nationalsozialismus

Anknüpfen an emigrierte Regisseure, z.B. Max Reinhardt, und Übersetzer ist nicht möglich. Die Verwendung der Tragödie zur Kritik an aktueller poli- tischer Situation ist zu gefährlich.

Zwei Möglichkeiten der Inszenierung:  griechische Tragödie für die Ziele des Nationalsozialismus mißbräuch- lich in Anspruch nehmen (Orestieaufführung anläßlich der Olympischen Spiele 1936) oder  Neutralisierung aller politischen Bezüge und Versetzen der Tragödie in eine Gegenwart des Mythos.

Auf deutschen Bühnen sieht man erst mit Kr