Deutschland

Lonely Lucke Karrieren Die AfD ist mit geballter Kompetenz ins Europaparlament eingezogen, doch mit dem Alltag kommt der Frust. Und Parteichef Lucke muss daheim erstmals Konkurrenz fürchten.

ls er noch an der Universität Ham - burg lehrte, war Bernd Lucke ge - Awohnt, anderen Vorlesungen zu halten. Seit er für die Alternative für Deutschland (AfD) ins Europaparlament eingezogen ist, macht der Professor eine neue Erfahrung: Jetzt wird er belehrt. Straßburg am vergangenen Dienstag, das Europaparlament debattiert über die Bilanz des scheidenden EU-Kommissions - präsidenten José Manuel Barroso. Die ist sehr dürftig, findet Lucke. Mit anderen Europaskeptikern will er eine Resolution gegen Barrosos Europolitik einbringen. Parlamentspräsident winkt ab. Zu spät, die Frist ist abgelaufen. Stimmengewirr, Wutgebrüll, Papiergewe - del von der Bank der Euroskeptiker. Lucke fährt sein Mikrofon aus. „Herr Präsident, Sie können das nicht wegbügeln. Das Recht dazu ist in den Regeln des Par - laments verankert. Sie haben gegen diese Regeln hier verstoßen.“ „Herr Abgeordneter, vielen Dank“, bremst ihn Schulz. Resolutionen seien spä - testens am Morgen vor der Sitzung einzu - reichen, erklärt er. Spontanaktionen erlau - be die Geschäftsordnung nicht. „Sie sind AfD-Bundessprecher Lucke ein neuer Abgeordneter in diesem Haus“, bemerkt Schulz süffisant, „deshalb sehe ich Ihnen Ihre Irrtümer nach.“ Doch in Deutschland finden die AfD-Leu - müssen sich in kurzer Zeit durch Hunderte Gelächter. Lucke blickt bedröppelt. Spä - te wenigstens ein interessiertes Publikum. Seiten Anträge im Bürokratensprech ter wird er einen Protestbrief an Schulz In Brüssel hört nicht einmal jemand zu. kämpfen, oft noch ohne Mitarbeiter. AfD- aufsetzen. Denn er hat die Geschäftsord - Die Etablierten der EU bekämpfen die Mann teilt sich in Straß - nung nochmals studiert und ist ganz sicher, AfD-Neulinge nicht, sie ignorieren sie ein - burg zwölf Quadratmeter mit Pressespre - dass er doch recht hatte. Aber mit dieser fach. Wer interessiert sich schon dafür, ob cherin und Assistentin. „Das Pensum ist Meinung bleibt er ziemlich allein. Lucke die Tagesordnung nicht passt oder sehr hoch“, sagt Bernd Lucke. „Bisweilen Im Mai hatten die Politikrebellen der was eine von Gender führen mich die Arbeit als Abgeordneter AfD den Einzug ins EU-Parlament gefeiert: Mainstreaming hält. Brüssel arbeitet ein - und die Parteiarbeit an die Grenze der Be - Mit ihrem Kernthema, der Eurokritik, hol - fach weiter, mit oder ohne AfD. lastungsfähigkeit.“ Bis die AfDler Boden ten sie aus dem Stand sieben Prozent, Lu - „Die Mehrheit im Frauenausschuss trägt unter den Füßen haben, krallen sie sich an cke schwärmte von einer „neuen Volks - meine Ansichten nicht mit“, sagt AfD-Frau die Geschäftsordnung. Die anderen Parla - partei“. Kein halbes Jahr später ist die Eu - Storch trotzig. Sie leiste aber nun wenigs - mentarier gewöhnen sich daran, dass die phorie der sieben AfD-Abgeordneten der tens „Widerstand“. Die gebürtige Herzogin deutschen Eurogegner ständig mit dem Ge - Ernüchterung gewichen. Und der Einsicht, von Oldenburg ist 43 Jahre alt, verheiratet, setzbuch wedeln. Schon in der ersten Sit - dass sie in Europas Parlament sehr viel ar - kinderlos. Aber Kinder und Familie waren zung des Parlaments, zur Wahl von Präsi - beiten, aber fast nichts bewirken. schon vor der AfD ihre großen Themen. dent Schulz, kam die erste Wortmeldung: Vom Brüsseler Außenposten beobach - Sie kämpft gegen Gender Mainstreaming, „Antrag zur Geschäftsordnung, mein ten die AfD-Leute, wie ihre Parteifreunde Sexualkundeunterricht, laxe Abtreibungs - Name ist Beatrix von Storch, Alternative daheim in die Landesparlamente einzie - regeln und die Gleichstellung homosexu - für Deutschland! Ich beziehe mich auf die hen. Akteure aus der zweiten Reihe rü - eller Paare. Im Frauenausschuss des „so - Artikel 15 und 182 der Geschäftsordnung, cken nach vorn und punkten nicht mit dem genannten Europaparlaments“ (Storch) und ich beantrage eine namentliche Ab - Thema Euro, sondern mit rechtskonserva - denken sämtliche Mitglieder anders. „Ich stimmung.“ Keine geheime Wahl. „Wir tiven Parolen. Parteisprecher Lucke fällt gegen alle“ – man kann sich die Abgeord - wollen den Bürgern zeigen, wer Schulz ins F es immer schwerer, aus der Ferne das Kom - nete Storch als glücklichen Menschen vor - Amt hebt.“ I A L

/ mando zu behaupten. Erstmals spürt er stellen. Staunend reckten die Abgeordneten den S I R A

Konkurrenz um den Spitzenposten. Zugleich ächzen die AfD-Neulinge unter Hals nach der Unbekannten im froschgrü - L O P

Zwar sitzen seine Konkurrenten in den der ungewohnten parlamentarischen Ar - nen Sakko. Gehört die geheime Wahl nicht : O T O

Landtagen auch nur in der Opposition. beit. Sie pressen sich in enge kahle Büros, zum Grundbestand der Demokratie? F

28 DER SPIEGEL ## / " !# Unzulässig bis querulatorisch, so sind Der AfD-Vize ist einer der wenigen viele AfD-Initiativen. Etwa die Anfrage Wirtschaftsliberalen an der Parteispitze, er von Bernd Lucke, ob EU-Kommissare „tat - wirbt für das Handelsabkommen TTIP, für sächlich“ nach kurzer Zeit die üppige Pen - Sanktionen gegen Russland, aber im Men - sion erhalten, die im Gesetz steht. Was schenrechtsausschuss auch für Flüchtlinge. sonst? Viele in seiner Fraktion und an der Partei - Die Auftritte sollen vor allem die Hei - basis ticken längst anders. „Wir haben Un - matfront bedienen. Jedes Minuten-State - vernünftige, Unanständige und Intolerante ment landet auf YouTube. Dort feiern AfD- in unseren Reihen“, gibt Henkel zu. „Da Fans ihre Leute, weil sie es den EU-Bonzen müssen wir innerparteilich für Aufklärung wieder gezeigt haben. Manchmal sind die sorgen.“ Doch wie, wenn nicht mal die sie - AfDler aber auch sehr bereit, Brüsseler ben Brüsseler eine Linie finden? Spielregeln zu akzeptieren – wenn sie pro - Henkel sieht Parteisprecher Lucke in der fitieren. Im Geschacher um Parlaments - Pflicht, fordert ihn zur Kurskorrektur auf: posten wollen sie nicht zu kurz kommen. „Wir brauchen einen Markenkern“– auch Ein Aufschrei ging durch die AfD, als we - wenn das Wählerstimmen kosten könne. der Lucke noch Storch zu Vizechefs ihrer „Sie können den Leuten nicht sagen: Ich Ausschüsse gewählt wurden, obwohl ihre kann alles“, warnt Henkel. „Irgendwann Fraktion sie nominiert hatte. Nach den po - sagen sie: Die können gar nichts.“ litischen Kungelregeln hätten sie in der Tat Aber für Bernd Lucke gerät der Spagat Anspruch auf die Jobs gehabt. zwischen AfD-Führung und Mandat, zwi - Syed Kamall, Chef der ECR-Fraktion, schen Brüssel, Berlin und den vielen in der die AfD Unterschlupf fand, wirkt rechtspopulistischen Irrläufern zur Zerreiß - wenig glücklich über seine Neuzugänge. probe. „Lucke ist ein Kontrollfreak, er will Zwar lobt er den „fantastischen ökonomi - jedes Problem selbst lösen“, sagt ein AfD- schen Sachverstand“ von Luckes Team. Bundesvorstand. „Er reibt sich völlig auf.“ Aber er muss auch damit leben, dass Lucke Ein Arbeitstier war der schmale asketi - spontane Allianzen mit extremen Europa - sche Mann immer, aber jetzt hetzt er tags - gegnern wie Ukip schmiedet. über durchs Parlament, und nachts führt Die AfD zwingt die Fraktion auch auf er die Partei, per Mail und Telefon. Queru - einen neuen Konfrontationskurs beim lanten ruft er an, Rechte drängt er persön - Thema Euro. Früher konnte man sich hier lich zum Rücktritt. Nachhaltiger wäre es zurückhalten. Und dem Muslim Kamall sicher, würde Lucke entschlossen für ein persönlich sind die AfD-Parolen gegen Zu - moderates Grundsatzprogramm werben. wanderung nicht geheuer. „Ich habe nichts Doch da käme ihm wohl seine schärfste gegen einen harten Ton, aber er muss fair Rivalin um den Parteivorsitz ins Gehege. sein“, sagte er jüngst zu Lucke. Der be - , Chefin des Verbands Sach - teuerte, er sei für Glaubensfreiheit. „Ich sen, eroberte als Erste für die AfD einen will jetzt sehen, wie die AfD als Partei rei - Landtag. Der Erfolg machte die Mutter fer wird“, sagt Kamall. Seine Leute lästern von vier Kindern zur Partei-Ikone, der nie - schon über die „Schuljungen“ der AfD. mand mehr ihre kleine Firmenpleite ver - Halbwegs erfolgreich ist in der Brüsseler übelt. Petrys Erfolg basiert auch auf einem AfD nur Hans-Olaf Henkel. Der 74-Jährige klaren Rechtskurs: Ihre AfD Sachsen wirbt war Chef von IBM Deutschland, vom für die Drei-Kinder-Familie, wettert gegen BDI und von der Leibniz-Gemeinschaft, kriminelle Banden von jenseits der EU- er weiß, wie große Apparate arbeiten. Grenze und gegen Minarette zwischen Erz - Henkel spart sich verkorkste Geschäfts- gebirge und Oberlausitz. Viele in der AfD ordnungsanträge, Wutausbrüche sowieso. trauen es Petry zu, Lucke zu verdrängen. Wohl deshalb hat er gleich zwei relevante Auch deshalb kämpft der für eine neue Posten: den Vizevorsitz der Fraktion und Satzung, nach der er alleiniger Parteichef des Industrie-Ausschusses. Völlig zu Recht, werden könnte. Sogar mit Rücktritt soll er findet Henkel: „Es gibt hier im Parlament gedroht haben, sollte es bei einer Troika nicht einen Einzigen, der die Erfahrung an der Parteispitze bleiben. Bis 2015 ein hat, die ich mitbringe.“ Er genießt den An - Parteitag entscheidet, behält Lucke Petry sturm der Lobbyisten, gibt sich jedoch be - scharf im Auge, vor allem bei Medienauf - scheiden: nur Flüge in der Economyclass. tritten. Fragt sich nur, ob das reicht. Auch die Bahn-Netzkarte erster Klasse, Kürzlich lud die AfD zum Gespräch ins die deutschen EU-Abgeordneten zusteht, Berliner Hotel Esplanade, der ganze Bun - hat er zurückgegeben. Die Parlaments - desvorstand rückte an, nur Lucke war in arbeit wollte Henkel erst ohne Assistenten Brüssel unabkömmlich. Also ließ er sich stemmen, dabei gibt es dafür im Monat per Video zuschalten, gegen technische bis zu 21 000 Euro. „Ich mache alles mit Widrigkeiten, mal ohne Bild, mal ohne Ton. dem Smartphone.“ Irgendwann sah er aber „Hallo? Ja!? Nein, der Ton ist schlecht, very ein, dass auch ein Henkel Hilfe benötigt. bad!“, dröhnte Luckes Stimme aus dem Seine Stellenanzeige verspricht, Bewer - Lautsprecher. Die Vorstandskollegen lehn - ber müssten sich nicht mit der AfD identi - ten sich zurück und grinsten. Soll der Chef fizieren. Das tut Henkel ja oft selbst nicht. mal machen. Melanie Amann, Christoph Schult

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