fantastischen fantastischen Vier — Dossier »Reformationsjubiläum Die Nr. 2« IMPRESSUM Politik & Kultur Dossiers erscheinen als Beilage zu Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, herausgegeben von Olaf Zimmermann und Theo Geißler.

ERSCHEINUNGSORT Berlin

KONTAKT Deutscher Kulturrat e.V., Mohrenstraße 63, 10117 Berlin, Telefon: 030 . 226 05 28 - 0, Fax: - 11, [email protected], www.kulturrat.de

REDAKTION Olaf Zimmermann (Chefredakteur, V.i.S.d.P.), Gabriele Schulz (Stv. Chefredakteurin), Theresa Brüheim (Chefin vom Dienst)

REDAKTIONSASSISTENZ Seda Gül Inan, Jana Prigge

REDAKTIONSSCHLUSS 19. April 2017

GESTALTUNG 4S Design, Berlin

BILDER Die Bilder des Dossiers stammen aus dem Bestand der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. www.hab.de / http://portraits.hab.de

VERLAG ConBrio Verlagsgesellschaft mbH, Brunnstraße 23, 93053 Regensburg, Telefon: 0941 . 945 93 - 0, Fax: - 50, [email protected], www.conbrio.de

DRUCK Freiburger Druck, Freiburg

HINWEISE Sollte in Beiträgen auf das generische Femininum verzichtet worden sein, geschah dies aus Gründen der besseren Lesbarkeit. Selbstverständlich sind immer weibliche als auch männliche Gruppenangehörige einbezogen. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Deutschen Kulturrates wieder. Alle veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-934868-44-1 ISSN 1865-2689

FÖRDERUNG Gefördert aus den Mitteln Der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien auf Beschluss des Deutschen Bundestages. Viele Anstifter

Luther-Bier, -Brötchen, Luther-Tassen, kaum etwas, was sich nicht eignen ­würde, um es zum Reformationsjubiläum mit dem Konterfei des Übervaters der Reforma­tion, , zu versehen. Luther als Playmobilfigur hat sogar Darth Vader, dem dunklen Lord aus Star Wars, den Rang als Spielfigur abgelaufen. Und auch wir haben in unserem ersten Dossier zum Reformationsjubiläum Luther kurzer- hand zum Superstar erklärt. Martin Luther war bereits zu Lebzeiten ein Medien- star, ihm hätte der heutige Rummel um seine Person möglicherweise sogar gefallen.

Doch war die nicht das Werk eines Mannes. Sie lag, wie einige histo- rische Abhandlungen zu 500 Jahre Reformation im Jahr 2017 anschaulich zeigen, gewissermaßen in der Luft. Luther brachte mit seinen 95 Thesen und seiner Kritik an der Katholischen Kirche das Unbehagen auf den Punkt. Andere Geistliche teil- ten seine Kritik, folgten ihm oder setzten sich auf ihre eigene Weise mit der seiner- zeit herrschenden Auslegung der heiligen Schrift auseinander.

Im Mittelpunkt dieses Dossiers stehen zum einen zwei Reformatoren aus dem Umfeld Luthers, Philipp Melanchthon, der eine und Thomas Müntzer, der andere. Melanchthon, der die Reformation auch zu einer Bildungsbewegung machte. Müntzer, der sich mit den entrechteten und unterdrückten Bauern solidarisierte. Zum anderen geht es um zwei sogenannte reformierte Reformatoren, Huldrych Zwingli, der eine und Johannes Calvin, der andere. Zwingli, der Schweizer Refor­ mator, der den Protestantismus im südwestdeutschen Raum, in der Schweiz und Frankreich prägte. Calvin, der Reformator der zweiten Generation, der als Begrün- der des Calvinismus, einer besonders strengen Auslegung der Evangelien, gilt.

Nach »Martin Luther Superstar« kommen jetzt zum Abschluss unserer kleinen Dos- sierreihe zum Reformationsjubiläum »Die fantastischen Vier«, Calvin, Melanchthon, Müntzer und Zwingli, zu Ehren, ohne die die Reformation in der uns bekannten Form nicht denkbar ist.

Welche Wirkung diese Reformatoren auf Religion, Leben und besonders Kultur haben und hatten, wie sie die Reformation prägten, wird in diesem Dossier aufge- zeigt. Es macht deutlich, die Reformation hatte viele Anstifter.

Olaf Zimmermann ist Herausgeber von Politik & Kultur und Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates Inhalt Viele Anstifter Philipp Melanchthon Thomas Müntzer Olaf Zimmermann ⁄ 3 Steckbrief ⁄ 16 Steckbrief ⁄ 22 Solus Luther? Das Wittenberger Audiovisueller Von wegen! Mnemotop Allein­vertretungs- Irmgard Schwaetzer ⁄ 6 Stefan Rhein ⁄ 17 anspruch und hölzernes Thesen- Voraussetzungen Luthers Protestkleid fernsehen? & Bedingungen Philipp Zitzlsperger ⁄ 21 Michael Grisko ⁄ 23 Thomas Kaufmann ⁄ 7 Eingekleidet Was bleibt nach 2017? in andere Monika Grütters ⁄ 8 Gewänder Annika Michalski ⁄ 27 - jubiläum erleben — Ein Überblick ⁄ 10 Die Spuren der Reformatoren in Europa ⁄ 14

4 Johannes Calvin Huldrych Zwingli Steckbrief ⁄ 30 Steckbrief ⁄ 44 Göttlicher Gesang? Humanist unter Gunter Kennel ⁄ 31 ­Reformatoren? Christine Der Genfer Psalter Christ-von Wedel ⁄ 45 Klaus-Martin Bresgott ⁄ 33 Die freie Wahl der Speisen Die lebendige Arnd Brummer ⁄ 47 Tradition Hildegard Rugenstein Zeugnisse großer im Gespräch mit Geschichte Theresa Brüheim ⁄ 34 J. Marius J. Lange van Ravenswaay ⁄ 48 Preußens Adoptivkinder Was ist reformiert? Robert Violet ⁄ 36 Martin Engels ⁄ 50 Reformierter Kirchen- Von Laien bau und die Huge­- und Jubiläen notten in Spitalfields Thomas Sternberg Riccarda Cappeller ⁄ 39 im Gespräch mit Theresa Brüheim ⁄ 52 Fülle aus Negation — Die Paradoxie der reformatorischen Bildkritik Horst Bredekamp ⁄ 41

5 Solus Luther? Von wegen! Irmgard Schwaetzer

artin Luther überall – und sonst? Ziemlich viele Reformato- 2016 knüpft er ein Band durch Europa. Im Mai 2017 wird der hell- rinnen und Reformatoren. Dass Martin Luther für die Refor- blaue Truck in ankommen. 67 Stationen wird er dann M mation eine wichtige Rolle gespielt hat, ist hinlänglich be- angefahren haben, in den Niederlanden, Ungarn, Slowenien, Irland,­ kannt. Angesichts der Konzentration auf die Person Luther, die Großbritannien, Italien, Dänemark, Litauen, Finnland, Norwegen, wir seit Beginn der Vorbereitungen auf das Reformationsjubilä- Frankreich, Schweden und der Schweiz. 36 Stunden lang wird je- um immer wieder erleben und die ganz wesentlich mit den Mög- weils in den Städten Station gemacht. Regionale und ökumenische lichkeiten der medialen Vermittlung zusammenhängen dürfte, sei Partner laden zu einem Fest ein, um aufzudecken, welche Bezie- hier sofort hinzugefügt: Aber die Reformation war eine Erneue- hungen der Ort zur Reformation hat. rungsbewegung, die von vielen getragen wurde und schon im 15. Das Team auf dem Truck sammelt die Geschichten. Als Video, Jahrhundert – weit vor Luther – begann. Sie war erfolgreich, weil als Audiodatei oder als schriftlichen Text. Dokumentiert auf einem politische, soziale, wirtschaftliche und religiöse Faktoren zusam- Blog (r2017.org/veranstaltungen/europaeischer-stationenweg/blog/). menwirkten – und ganz unterschiedliche soziale Trägergruppen, Dabei wird in ganz besonderer Weise deutlich, welche Breitenwir- keineswegs allein jene Theologen, die man als Reformatoren be- kung die Reformation hatte. Und die historischen Personen, die zeichnet. Darum ist auch das Reformationsjubiläum weit mehr als an dieser Entwicklung beteiligt waren, geraten neu in den Blick: die Verlebendigung von Luther und Wittenberg. Und 2017 ein Sym- Huldrych Zwingli in Zürich, der mit Luther über die Frage des rech- boldatum für einen Jahrzehnte währenden Prozess. ten Abendmahlsverständnisses in einen am Ende unversöhnten Die Evangelische Kirche in Deutschland hat diese Differenzie- Streit geriet. in Straßburg, der für seine Bibelkom- rung im Blick, seit sie mit den Vorbereitungen zum Jubiläumsjahr mentare und Traktate zur Nächstenliebe berühmt wurde. Tamás 2017 begonnen hat. Und das nicht von ungefähr. Schließlich ver- Nádasdy und János Sylvester im ungarischen Savar, Hans Tausen bindet sie als Dachorganisation lutherische, unierte und reformier- in Viborg, Paul Wiener in Sibiu und Johannes a Lasco in Emden. te Traditionen des Protestantismus. Darum wurde aus der Luther- Auch die Frauen der Reformation werden neu entdeckt: Katha- dekade sehr schnell die Reformationsdekade. Bei deren Planung rina von Bora, die »Lutherin«. Katharina Zell, die Frau des Straß- waren schon 2008 andere Reformatoren im Blick. Das kann man burger Münsterpredigers, eine der ersten evangelischen Pfarrfrau- etwa an den EKD-Magazinen zu den Jahresthemen der Reforma- en, die in einem Brief an den Bischof ihre Eheschließung gegen tionsdekade nachvollziehen. Als eines der ersten Hefte widmet »Schand, Nachred und Lügen« verteidigte und sich mit praktischer sich das Magazin des Jahres 2009 nicht Martin Luther, sondern Hilfe und mit Trostbriefen für Glaubensflüchtlinge engagierte. ganz dem Genfer Reformator Jean Calvin und seinen Beiträgen Oder Katharina von Schwarzburg, die nach dem Tod ihres Man- zur Reformation: seiner Liebe zur Schöpfung, seinem Verständ- nes die Regierungsämter Rudolstadt und Blankenburg übernahm nis von der Erwählung Gottes, seiner Wirtschaftsethik, seinen Ge- und sich um die Verbesserung des Schulunterrichts kümmerte staltungsideen für Kirchräume und anderem. und gemäß dem allgemeinen Priestertum die Verantwortung für Das Magazin des Jahres 2010 nimmt exklusiv wieder nicht Lu- das geistliche Leben übernahm. Oder Elisabeth von Rochlitz, die ther, sondern Philipp Melanchthon in den Blick. Den »Systemati- einzige Frau im Schmalkaldischen Bund der reformatorischen ker« der Reformation, der mit seinen »Loci communes« die erste Fürsten und Patronin der Glaubensfreiheit in ihrem Fürstentum. Dogmatik der evangelischen Kirche geschrieben hat. Den Religi- Das alles soll die Vielschichtigkeit des Phänomens »Reformati- onspolitiker, der in monatelangen Verhandlungen um das Augs- on« offenlegen und ein neues – historisch informiertes – Bewusst- burger Bekenntnis von 1530 gerungen hat. Den Bildungsexperten sein wecken für das In- und Miteinander der unterschiedlichen und begeisterten Astrologen. Kräfte und Trägerkreise, die zur Verbreitung des evangelischen Auch die folgenden Themenjahre waren immer wieder Anlass, Glaubens geführt haben, für die Internationalität dieser Bewegung, Reformatoren und Reformatorinnen neben Luther in das Licht für die verschiedenen Rollen und Aufgaben. Die Reformation war unserer Aufmerksamkeit zu rücken: Jan Hus, der sich als mutiger eine öffentliche Bewegung, zu der eine Diskurs- und Streitkultur Streiter für eine Erneuerung der Kirche und für die Rechte aller gehört. Eine Bewegung, die sich für Bildung und Befreiung ein- Menschen eingesetzt hatte und deswegen 1415 vom Konstanzer gesetzt hat. Eine Bewegung, die nicht ohne innere Konflikte, aber Konzil verurteilt als Ketzer auf dem Scheiterhaufen den Tod fand. auch nicht ohne politische Allianzen ausgekommen ist. Vor allem Argula von Grumbach, die sich als eine der ersten Frauen mit re- aber war sie eine Bewegung, die vom Engagement vieler einzelner formatorischen Schriften zu Wort meldete. Huldrych Zwingli, die Menschen gelebt hat. Wenn das in den vielen Veranstaltungen, die Täufer und manch andere. Im letzten Jahr der Dekade schließlich wir in diesem Jahr landauf landab erleben, deutlich wird, wenn et- ging es um die weltweite Dimension der Reformation. Der Fokus was von dem freiheitlichen Geist jener Zeit spürbar wird und von weit über Luther und Wittenberg hinaus war also während der ge- der Verantwortung, die zu übernehmen er so viele verschiedene samten Dekade bereits Programm. Menschen verlockt hat – dann hat das Jubiläum 500 Jahre nach Das vielleicht wichtigste Projekt des Reformationsjubiläums, den Anfängen eine wesentliche Wirkung erzielt. das die Rolle der Reformatorinnen und Reformatoren neben Lu- ther in den Mittelpunkt stellt und so die Vielfalt der Reformation Irmgard Schwaetzer ist Präses der Synode betont, ist der Europäische Stationenweg. Seit Anfang November der Evangelischen Kirche in Deutschland 6 Voraussetzungen & Bedingungen Thomas Kaufmann

nter der Reformation versteht man gemein- nander und jenseits der volkssprachigen Grenzen. Auf hin jenen vielschichtigen kirchen- und gesell- Latein kommunizierten auch die Gelehrten, die in den schaftsgeschichtlichen Veränderungsprozess seit dem 12. Jahrhundert in Lateineuropa entstehenden, U des 16. Jahrhunderts, der durch Luthers Kritik einheitliche Rationalitätsstandards findenden Univer- am Ablass ausgelöst wurde, der das unter dem römi- sitäten ausgebildet wurden. Dank weithin einheitlicher schen Papst geeinte lateinisch-europäische Kirchen- Studienstrukturen verfügten die Akademiker Latein- wesen tiefgreifend und dauerhaft aufspaltete und der europas über ein vornehmlich an der Spätantike ori- nach und nach eine Reihe nationaler und territorialer entiertes, weithin einheitliches Bildungsfundament. Kirchentümer entstehen ließ, an deren Spitzen welt­ Die prinzipielle Bindung an den römischen Papst liche Herrschaftsträger standen. Dieser sich über meh- war ein weiteres Moment lateineuropäischer Gemein- rere Jahrzehnte hinziehende Prozess betraf den gesam- samkeit; freilich konnte sich dieses durchaus unter- ten lateineuropäischen Raum direkt oder indirekt und schiedlich konkretisieren. Im späten Mittelalter ver- war vielfach von politischen Umwälzungen und mas- stärkten sich nämlich nationalkirchliche Entwicklun- siven militärischen Konflikten begleitet. An seinem gen, die durch Konkordate einzelner Länder mit Rom Ende standen kirchlich-konfessionelle gestaltet und abgesichert wurden. In Bezug auf das ka- Formationen mit unterschiedlichen Lehr- nonische Kirchenrecht lassen sich sehr unterschied­ Gegen den Erwerb und Lebensgestalten und divergierenden liche Grade seiner Um- und Durchsetzung feststellen; eines entsprechenden liturgischen Formen: der römische Ka- an der grundsätzlichen Zugehörigkeit aller Lateineu- Ablassbriefes war es tholizismus, das Luthertum, das Refor- ropäer zum Jurisdiktionsbereich des Papstes änderte miertentum, der Anglikanismus. Neben dies allerdings nichts. Auch von bestimmten religiö- möglich, sich seiner den kirchlichen bildeten sich zumeist in sen Praktiken ist festzustellen, dass sie exklusiv für den postmortalen Sünden­ die Subversion gedrängte und verfolg- lateineuropäischen Kulturraum des Christentums gal- strafen zu entledigen. te kleinere täuferische und spiritualisti- ten: Etwa die seit dem 11. Jahrhundert in immer neuen sche Gruppierungen, die die rechtlichen Anläufen unternommenen bewaffneten Pilgerfahrten Verfassungsstrukturen der Konfessionen ins Heilige Land – die Kreuzzüge –, der Pflichtzölibat ablehnten, den einzelnen Gemeindegliedern größere für alle klerikalen Weihenstufen, das durch exakt tari- Handlungsspielräume gestatteten, Initiativen abver- fierte Kompensationsleistungen gekennzeichnete Buß- langten und die Forderung nach allgemeiner religiöser system, bei dem bestimmte Vergehen durch genau de- Toleranz erhoben. Diese vielfältigen Formen des infol- finierte »fromme Werke« oder deren Ersatz ausgegli- ge der Reformation pluralisierten westlichen Christen- chen wurden. Auch die großen Mönchsorden, die sich tums basierten gleichwohl auf religionskulturellen Vo- überall in Lateineuropa ausgebreitet hatten – etwa die raussetzungen, die für Lateineuropa charakteristisch Benediktiner, Zisterzienser, Dominikaner, Franziska- waren. Worin bestanden diese? ner, Augustiner-Eremiten – bildeten einen spezifischen Als die wichtigsten kulturellen Merkmale Lateineu- kulturellen Zusammenhang des spätmittelalterlichen ropas können die folgenden gelten: Die gottesdienst- Lateineuropas. liche und sonstige Kommunikation des von den durch Eine für das religionskulturelle Profil des lateineu- die griechische bzw. russische Orthodoxie geprägten ropäischen Christentums spezifische Praxis war mit Ländern und Landschaften – Griechenland, Serbien, dem sogenannten Ablass gegeben. Seit dem ersten Montenegro, Bulgarien, Rumänien, Ukraine und Russ- Kreuzzug im Jahr 1096 gewährte der Papst denjeni- land – unterschiedenen Teils Europas war durch die la- gen, die ins Heilige Land zogen, um es aus dem Besitz teinische Sprache geprägt. In dieser Sprache korres- der »Ungläubigen« zu befreien, im Todesfall die Verge- pondierten die Kleriker und gebildeten Laien unterei- bung all ihrer ungesühnten Sünden, die ansonsten im 7 Fegefeuer hätten abgebüßt werden müssen. Aus An- lass eines 1300 ausgerufenen Jubeljahres konzedierte­ der Papst sodann allen Rompilgern einen entsprechen- den Plenarablass – eine Tradition, die bald auf die Halb- bzw. Vierteljahrhunderte ausgeweitet wurde. Nach und Was bleibt nach, verstärkt seit dem 15. Jahrhundert, wurden Plen- arablässe, die ausschließlich die Päpste vergeben konn- ten, in Propagandakampagnen für einzelne fromme Zwecke – etwa den Krieg gegen »Ungläubige«, die Mis- sion des Baltikums, die Abwehr der Türken oder die Fi- nanzierung großer Bauvorhaben – durch weite Land- nach 2017? schaften der westlichen Christenheit hindurch ver- breitet. Gegen den Erwerb eines entsprechenden Ab- lassbriefes war es möglich, sich seiner postmortalen Sündenstrafen zu entledigen. Der Ablass verbürgte ei- nen ungehinderten Zugang zum Heil, ohne dass die Monika innere Haltung des betreffenden Gläubigen eine nen- nenswerte Rolle gespielt hätte. Seitdem Konstantinopel 1453 in die Hände der Os- manen gefallen war, spielte der gemeinsame Wider- stand gegen die muslimische Bedrohung aus dem Os- ten eine nicht unwichtige ideologische Bedeutung Grütters bei der mentalen und kulturellen Integration Euro- pas. Durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweg- lichen Metalllettern, die rasch die europäische Kultur dynamisierte und revolutionierte, wurde es möglich, mit publizistischen Mitteln europaweit auf diese Be- drohung durch die Türken zu reagieren. Auch der luk- rative Druck von Ablassbriefen trug im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts entscheidend zum Ausbau der ty- pographischen Infrastruktur bei. Durch den Buchdruck wurde es möglich, textliche Traditionen aller Art, be- sonders aber die der mehr und mehr bewunderten Anti- ke zugänglich zu machen und vom Untergang bedrohte geistige Traditionen in einem niemals zuvor bekann- ten Ausmaß zu verbreiten. Besonders die seit dem 14. Jahrhundert in Italien entstandene Kulturbewegung des Renaissancehumanismus, die Form und Gehalt der paganen und der christlichen Antike zum Maßstab der kulturellen Gegenwartsorientierung machte und sich an dem »Humanum« zuträglichen und ziemlichen aus- richtete, nutzte die Möglichkeiten der neuen Kommu- nikationstechnologie – mit Auswirkungen für die ge- samte lateineuropäische Kultur. Die Zunahme der all- gemeinen Lese- und Schreibfähigkeit im städtischen Raum des späten Mittelalters führte dazu, dass die ge- sellschaftlichen Breitenwirkungen gedruckten Schrift- tums stetig wuchsen. Nur weil diese spezifischen kulturellen Bedingun- gen Lateineuropas – die »Türkengefahr«, der Ablass, der Buchdruck, die Rationalitätsstandards der Univer- sität, das Lateinische, der Humanismus, die wachsen- de städtische Bildung, die Diversifizierung von natio- nalem und regionalem Katholizismus etc. – gegeben waren, konnten aus einigen Thesen, die ein unbekann- ter Bettelmönch in einer Provinzuniversität »am Rande der Zivilisation« für eine niemals durchgeführte Dis- putation veröffentlicht hatte, die tiefgreifendsten Um- wälzungen der kirchlichen, gesellschaftlichen und po- litischen Ordnung werden, die dieser Kulturraum bis dahin erlebt hatte.

Thomas Kaufmann ist Professor für Kirchengeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen 8 artin Luther irritiert, provoziert on im Geiste der Ökumene und der Auf­ nur aus Deutschland, sondern aus ganz Eu- und fordert uns heraus – bis heu- klärung als Teil eines gewaltigen europäi- ropa und der Welt sind im Jubiläumsjahr auf te. Man kann ihn bewun­dern schen Umwälzungs- und Lernprozesses zu Luthers Spuren unterwegs. In den Kernlän- als Wegbereiter einer einheitli- würdigen­ und verschiedenen Perspektiven dern der Reformation findet sich deshalb M chen und einigenden deutschen Raum zu geben. Dass die evangelische und mittlerweile nur noch mit Mühe ein freies Schriftsprache, als – wenn auch unfreiwil- die katholische­ Kirche zum Reformations- Hotelzimmer. Die großen nationalen Aus- ligen – Geburtshelfer des mündigen Bür- jubiläum Versöhnung und Dialog in den stellungen verzeichnen eine hohe Nachfra- gers und der pluralistischen Gesellschaft. Mittelpunkt rücken und sich damit so weit ge nach Führungen und Onlinetickets, Ver- Man kann ihn ablehnen wegen seiner Ti- annähern wie kaum zuvor, ist zweifellos ein anstalter freuen sich über gut besuchte Kon- raden gegen Andersdenkende und Anders- Gewinn für unsere Gesellschaft, der über zerte, die Goethe-Institute haben großen glaubende und wegen seiner antijüdischen 2017 hinaus Bestand haben wird. Jedenfalls Zulauf für ihre Angebote im Ausland, und Äußerungen. Ignorieren jedoch kann man macht die Bereitschaft beider Kirchen, das selbst in den USA stand man vor Ausstel- ihn nicht. Man kommt nicht an ihm vorbei, Gemeinsame über das Trennende zu stel- lungen zum Reformationsjubiläum schon wenn man die Entwicklung unserer bürger- len, Hoffnung in einer Zeit, in der religiöse Schlange. lichen Ideale und demokratischen Werte Konflikte und religiöser Fundamentalismus Am Ende dieses Jahres werden sich ver- verstehen will – so wenig, wie man dabei weltweit Angst und Schrecken verbreiten.­ mutlich so viele Menschen wie nie zuvor in- an vier weiteren Protagonisten der Refor- Dank der guten Zusammenarbeit kann nerhalb von zwölf Monaten mit einem be- mation vorbeikommt: an Luthers engem das Ergebnis der Lutherdekade sich wahr- deutenden Ereignis der deutschen und eu- Vertrauten Philipp Melanchthon, später lich sehen lassen: Die gemeinsam gestal- ropäischen Geschichte befasst haben. Dazu »Lehrer Deutschlands« genannt, an den be- tete Homepage www.luther2017.de ver- tragen auch die zahlreichen Neuerschei- kannten Schweizer Reformatoren Huldrych zeichnet deutsch­landweit mehr als 1.600 nungen bei, die ein deutlich differenzier- Zwingli und Johannes Calvin, die eine eige- Veranstaltungen zum Jubiläum. Dazu ge- teres Bild der Reformationszeit zeichnen ne reformierte Richtung begründeten, so- hören beispielsweise kultur- und kunstge- als bisherige Publikationen. wie am Sozialrevolutionär unter den Theo- schichtliche Ausstellungen, Theaterstücke All das nährt die Hoffnung, dass das Re- logen, dem Bauernführer Thomas Müntzer. für Groß und Klein, die Wiederentdeckung, formationsjubiläum als gesellschaftliches Sie alle begleiten uns, wenn wir Licht und Einspielung oder Erstaufführung großarti- Großereignis­ für viele Menschen gleich Schatten der Reformationsgeschichte er- ger musikalischer Werke und wissenschaft- welchen Glaubens Anlass sein kann, auch kunden und dem reformatorischen Geist liche Symposien. Das vielfältige Angebot über die reformatorischen Herausforderun- der Veränderung durch die Jahrhunderte bietet für Menschen ganz unabhängig von gen unserer eigenen Zeit intensiver nach- nachspüren. Religion, Alter und Bildungsstand Gelegen- zudenken: beispielsweise über die Schwie- »Man bohrt nicht gern durch dicke Bret- heit, sich mit der Reformation und ihren re- rigkeit, die christlichen Werte eines geein- ter«, hat Luther einst gesagt. Und doch war ligiösen, kulturellen, gesellschaftlichen und ten Europas zu verteidigen oder auch über genau dies eine der Herausforderungen politischen Auswirkungen auf unser Land, die Notwendigkeit zu einer gemeinsamen bei der Vorbereitung des Reformations­ auf Europa und die Welt auseinanderzu- Sprache zurück­zufinden, wo unterschied- jubiläums – allein schon deshalb, weil die setzen – nicht zuletzt auch an den histo- liche gesellschaftliche Gruppen nicht im- konfessionelle Trennung über die Jahrhun- stande sind, sich zu verständigen­ und das derte viel Leid und Gewalt verursacht hat Bedürfnis nach kultureller Selbstvergewis- und vergangene Reformationsjubiläen, po- Am Ende dieses Jahres serung in Fremdenhass und Ressentiments litisch instrumentalisiert, die Gräben zwi- zum Ausdruck kommt. Das Reformations- schen Protestanten und Katholiken weiter werden sich vermutlich so jubiläum jedenfalls lädt zur Diskussion­ vertieft haben. Der Herausforderung, di- viele Menschen wie nie darüber ein, was Martin Luther uns heu- cke Bretter zu bohren und Gräben zu über- zuvor innerhalb von zwölf te zu sagen hätte – und was wir ihm heu- winden, haben die Evangelische Kirche in te kritisch entgegnen würden. In diesem Deutschland (EKD) und die Landeskirchen Monaten mit einem bedeu­ Sinne wünsche ich uns allen ein Volks- sich gemeinsam mit Bund, Ländern, Kom- tenden Ereignis der deut­ fest der Ver­ständigung über unsere Wur- munen und Zivilgesellschaft im Rahmen schen und europäischen zeln und Werte, das uns die revolutionä- der Lutherdekade zur Vorbereitung auf re Kraft des Glaubens und ihre Bedeutung das Reformationsjubiläum gestellt – ein Geschichte befasst haben. für unsere Demokratie erkennen lässt, ge- Jubiläum, das man angesichts der enor- rade wenn es – um Luthers Worte nochmals men geistigen und politischen Prägekraft aufzugreifen – darum geht, »dicke Bretter« der Reformation weit über die Grenzen rischen Stätten der Reformation, die viel- zu bohren. »Ein Christ, der kein Revolutio- Deutschlands hinaus getrost als »kirch- fach frisch saniert in neuem Glanz erstrah- när ist, ist kein Christ«, mit diesen Worten liches und kulturgeschichtliches Ereignis len und dazu beitragen, die Erinnerung an wirbt Papst Franziskus für einen Glau­ben, von Weltrang« begreifen darf, wie es in der die Reformation auch über 2017 hinaus le- der sich einmischt. Martin Luther, wäre er grundlegenden Entschließung des Deut- bendig zu halten. heute Bürger Deutschlands, würde ihm ge- schen Bundestages aus dem Jahr 2011 heißt. Für eine abschließende Bilanz, was für wiss zustimmen. Als Verantwortliche innerhalb der Bun- die Zukunft aus dem am 31. Oktober 2016 desregierung und stellvertretende Vorsit- feierlich eröffneten Jubiläumsjahr bleiben Monika Grütters MdB ist Staatsministerin bei zende des Kuratoriums zur Vorbereitung wird, ist es zur »Halbzeit« natürlich noch zu der Bundeskanzlerin. Sie ist Beauftragte des Reformationsjubiläums bin ich allen früh. Es zeichnet sich jedoch bereits ab, dass der Bundesregierung für Kultur und Medien Mitwirkenden sehr dankbar für ihr beein- die gemeinsamen Anstrengungen wie er- druckendes Engagement und ihre Bereit- hofft auf große Resonanz stoßen. Das Inte- schaft zur Verständigung. Es freut mich, resse am Reformationsjubiläum im In- und dass es uns gelungen ist, die Reformati- Ausland ist überwältigend. Touristen nicht 9 Mit Gottesdienst und staatlichem Festakt Insgesamt werden allein in Deutschland im Opernneuproduktion »Der Prophet« wurde am 31. Oktober 2016 in Berlin der Jubiläumsjahr rund 1.600 Veranstaltungen Musik Deutsche Oper Berlin Auftakt zum Reformationsjubiläum 2017 stattfinden, und das sind nur die bei den Giacomo Meyerbeers 1849 uraufgeführte gefeiert. Voller Vorfreude sehen viele Men- beiden staatlichen und kirchlichen Ge- Pop-Oratorium »Luther« Grand Opéra »Der Prophet« ist bis heute schen im In- und Ausland dem Jubiläums- schäftsstellen »Luther 2017« offiziell ge- Creative Kirche Hattingen eine der eindringlichsten Auseinanderset- jahr 2017 entgegen. Dabei zeigt sich vor al- meldeten. Hier wird jeder und jede Inter- Das Projekt wird von Sängerinnen und Sän- zungen des Musiktheaters mit der Reforma- lem für die staatliche Seite: Die Erinnerung essierte etwas finden können. Umso bes- gern aus Kirchenchören, Pop- und - tion und ihren Folgen. Die Neuinszenierung an den vermeintlichen Thesenanschlag Lu- ser, wenn der Besuch der Veranstaltungen chören, Schul- und Jugendchören sowie durch den französischen Regisseur Olivier thers vor 500 Jahren ist mehr als nur Rück- sich mit dem Kennenlernen der im frischen interessierten Sängerinnen und Sängern Py wird an der Deutschen Oper Berlin den besinnung und Gedenken, das Reformati- Glanze erstrahlenden Reformationsstätten ohne Chorzugehörigkeit durchgeführt. Am Abschluss eines Zyklus der drei wichtigsten onsjubiläum präsentiert sich vornehmlich in den Kernländern der Reformation Sach- 31. Oktober 2015 (Reformationstag) wurde Opern Meyerbeers bilden. als ein großes, umfassendes Kulturprojekt. sen-Anhalt, Thüringen und Sachsen, aber das Werk in der Dortmunder Westfalenhal- Zeitraum: Spielzeit 2017/2018 Eine nur kursorische Durchsicht der Ver- auch in anderen Erinnerungsorten z. B. in le 1 mit einem Symphonieorchester, einer www.deutscheoperberlin.de anstaltungskalender offenbart die enor- den Ländern Brandenburg, Bayern, Hessen Band, Musicaldarstellern und einem Chor me Bandbreite der kulturellen Angebote: und Rheinland-Pfalz verbinden lässt. Noch aus 3.000 Sängerinnen und Sängern urauf- Konzertreihe »« Konzerte, kulturhistorische Ausstellungen, ist Zeit, bevor am 31. Oktober 2017 eben- geführt. Es folgen 2017 bundesweit sieben Deutsches Symphonieorchester Kunstprojekte, Tagungen, Projekte der kul- falls mit Gottesdienst und Festakt das Ju- weitere Aufführungen. Im Mittelpunkt der und Rundfunkchor Berlin turellen Bildung in ganz Deutschland ver- biläumsjahr in Wittenberg sei- Handlung steht Martin Luther, der 1521 vor Stefan Heucke verwandelt das Ordinarium locken zum Besuch und zur Auseinander- nen Abschluss findet. dem Reichstag von Worms aufgefordert war, Missae in eine symphonische Messekom- setzung mit der Reformation. Als gesell- Die im Anschluss beispielhaft genannten seine kirchenkritischen Aussagen zu wi- position für Soli, Chor und Orchester. Die schaftliches Großereignis kann und sollte Projekte werden aus dem Etat von Kultur- derrufen. Mit Rückblenden und Ausblicken Uraufführung findet in Mainz in der katho- das Reformationsjubiläum zudem auch An- staatsministerin Monika Grütters und an- rund um das dortige Geschehen erzählt das lischen Pfarrkirche St. Stephan statt, die lass sein, die reformatorischen Herausforde- deren Bundesressorts gefördert und in der Pop-Oratorium eine spannende Geschichte beiden anderen Aufführungen werden im rungen unserer Zeit zu reflektieren. Regel von Ländern, Kommunen, Vereinen über Politik und Religion ebenso wie über Rahmen der Händel-Festspiele in Halle und Eine besondere Empfehlung: Der zentra- etc. kofinanziert. Mehr Informationen fin- die Person Martin Luther. im Berliner Konzerthaus am Gendarmen- le Beitrag der staatlichen Seite zum Refor- den Sie auf www.kulturstaatsministerin.de, Zeitraum: 25. Juni 2017 Siegen / markt stattfinden. mationsjubiläum sind die drei nationalen www.reformationsjubilaeum-bund.de und 26. August 2017 Wittenberg / Zeitraum: 10. Juni 2017 Mainz / Sonderausstellungen »Der Luthereffekt. 500 www.luther2017.de. 23. und 24. September 2017 Witten / 11. Juni 2017 Halle / 12. Juni 2017 Berlin Jahre Protestantismus in der Welt« in Berlin, 29. Oktober 2017 Berlin www.dso-berlin.de »Luther! 95 Schätze – 95 Menschen« in Lu- www.luther-oratorium.de therstadt Wittenberg sowie »Luther und die Deutschen« auf der . Sie betrach- ten das Leben Martin Luthers und die Aus- wirkungen der Reformation aus ganz unter- schiedlichen Blickwinkeln, stehen thema- tisch für sich, ergänzen sich aber auch. Wer alle drei besucht, erhält einen konzentrier- ten Überblick über das gesamte Reformati- onsgeschehen und dessen Auswirkungen.

Reformations- jubiläum erleben — Ein Überblick 10 Musical »Luther – Musikfestival »MACHT MUSIK. Nationale Sonderausstellung Ausstellung »Luther. 1917 bis heute« Zwischen Liebe, Tod und Teufel« Luther, China & Europa« »Der Luthereffekt« Stiftung Kloster Dalheim, Uckermärckische Bühnen Schwedt Verein für Alte Musik Knechtsteden Deutsches Historisches Museum Berlin LWL-Landesmuseum für Klosterkultur Ein »Pop-Musical«, mit welchem dem Pu- Im Jahr 2017 wird das Festival anlässlich Im Zentrum der Ausstellung steht die Fra- Im Zentrum der geplanten Sonderausstel- blikum das Leben und Wirken Luthers na- des Reformationsjubiläums eine »musikali- ge nach dem »Luthereffekt«: Welche Aus- lung soll »die gesellschaftliche Relevanz hegebracht werden soll: Die musikalisch sche Brücke« von Europa nach China schla- wirkungen und Folgen hatte die Reformati- Luthers zwischen 1917 und 2017« stehen. und humorvoll – anhand ausgewählter Le- gen. Im Fokus steht hier der Gedanke zur on und welche Rolle spielte hier die histo- Sie wird markante Stationen des Luther- bensstationen des Reformators – erzähl- Menschlichkeit bei Luther, Konfuzius und rische Person Luther? Mögliche Antworten gedenkens in Deutschland nachzeichnen, te Geschichte soll den Einstieg in die Aus- den griechischen Philosophen. Geplant sind geben die einzelnen Ausstellungsthemen: denen insbesondere eines gemeinsam war: einandersetzung über Auswirkungen der neun Konzerte, in denen europäische und Diese umfassen die geschichtliche Wandel- die »Entdeckung«, (Um-)Deutung oder ver- Reformation bis in unsere Gegenwart er- chinesische Musik aufgeführt werden soll. barkeit des Lutherbildes, die internationale suchte Vereinnahmung des Reformators für möglichen. Zeitraum: 15. bis 23. September 2017 Wirkung des Luthertums anhand ausgewähl- jeweils zeitgenössische politische Zwecke. Zeitraum: ab 24. Juni 2017 www.knechtsteden.com ter Beispiele sowie die gesellschaftliche und Die Ausstellung steht unter der Schirmherr- www.theater-schwedt.de kulturelle Wirkung des Protestantismus. Die schaft des Bundespräsidenten. Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft Zeitraum: bis November 2017 Musiktheater des Bundespräsidenten. www.lwl.org/LWL/Kultur/kloster-dalheim »Luther. Dancing with the Gods« Ausstellungen Zeitraum: 12. April bis 5. November 2017 Rundfunkchor Berlin www.3xhammer.de Ausstellung/Kulturprogramm Den musikalischen Ausgangspunkt bilden Nationale Sonderausstellung www.dhm.de »Der geteilte Himmel. Reformation und vier Motetten, die Johann Sebastian Bach »Luther und die Deutschen« religiöse Vielfalt an Rhein und Ruhr« basierend auf Luthers Bibelübersetzung Wartburg-Stiftung Eisenach Ausstellung Ruhr Museum Essen und protestantischen Chorälen schrieb. Un- Die Ausstellung zeigt, wie jede Epoche »Ritter, Bauern, Lutheraner« Die Ausstellung soll einem breiten Publi- ter der Regie von Robert Wilson schafft der deutscher Geschichte ihr ganz eigenes Kul- Haus der Bayerischen Geschichte kum die Geschichte religiösen Lebens in Rundfunkchor Berlins mit einem genreüber- turbild prägte. Im Kontext kultureller und auf der der Rhein-Ruhr-Region von der Reformati- greifenden Projekt eine neuartige künstleri- politischer Entwicklungen werden reforma- An historischen Schauplätzen zeigt die Bay- on bis in die Gegenwart vorstellen. Das Vor- sche Auseinandersetzung mit dem reforma- torische Leitmotive vorgestellt und aus Lu- erische Landesausstellung anlässlich des Re- haben wird in enger Kooperation mit dem torischen Erbe. thers Sicht ein wirkungsgeschichtlicher Bo- formationsjubiläums 2017 mit »Ritter, Bau- Forum Kreuzeskirche Essen und dem Mar- Zeitraum: 6. bis 12. Oktober 2017 gen zur Gegenwart geschlagen. Die Ausstel- ern, Lutheraner« ein Panorama der Zeit um tin Luther Forum Ruhr in Gladbeck durch- www.rundfunkchor-berlin.de/luther lung steht unter der Schirmherrschaft des und nach 1500. Kostbare und ungewöhn- geführt, die zeitlich vor und parallel zur ei- Bundespräsidenten. liche Objekte, Kunstwerke von Dürer, Cra- gentlichen Ausstellung ein umfangreiches Bigbandkonzert »Verley uns Frieden« Zeitraum: 4. Mai bis 5. November 2017 nach und vielen anderen Meistern erzählen Kunst- und wissenschaftliches Programm Bundesjazzorchester www.3xhammer.de die Geschichte einer Epoche des Umbruchs veranstalten. Der gleichnamige Choral in der Überset- www.wartburg.de und Aufbruchs und helfen bei der Beantwor- Zeitraum: 3. April bis 31. Oktober 2017 zung von Martin Luther dient als Titel einer tung der Fragen: Was trieb die Menschen in www.ruhrmuseum.de Auftragskomposition, die Michael Villmow Nationale Sonderausstellung bewegten Zeiten um? Wurde die Welt wirk- www.der-geteilte-himmel.de für das Bundesjazzorchester und dessen »Luther! 95 Schätze – 95 Menschen« lich durch die Ideen und Schriften Martin zehnköpfiges Vokalensemble komponiert Stiftung Luthergedenkstätten Luthers verändert? Und was hat das heute Ausstellung »Luther, Kolumbus und hat. Im Zentrum stehen die Vertonung und in Sachsen-Anhalt mit uns zu tun? die Folgen. Welt im Wandel 1500–1600« Interpretation ausgewählter Luther-Texte Der erste Teil der Ausstellung – »95 Schät- Zeitraum: 9. Mai bis 5. November 2017 Germanisches National- und -Choräle. ze« – illustriert anhand außergewöhnlicher www.hdbg.de museum Nürnberg Zeitraum: 25. Mai 2017 Berlin / Exponate, die aus dem Umfeld des jungen Die fundamentalen Umbrüche, die mit den 26. Mai 2017 Weimar / Luther stammen, dessen Weg hin zum Re- Namen Luther und Kolumbus assoziiert wer- 24. Juni 2017 Wittenberg formator. Der zweite Teil stellt »95 Men- den, sind stark emotional besetzte Themen, www.bundesjazzorchester.de schen« mit ihrer individuellen Beziehung die zur Beschäftigung mit aktuellen Ent- zu Luther und seinem Werk vor. Luther hat wicklungen und Ereignissen anregen kön- Abendveranstaltung »… da ist Freiheit: vielfältig gewirkt: Er hat Menschen inspi- nen. Das Ringen um den richtigen Glauben 500 Jahre Reformation« riert und provoziert, er hat sie berührt und und seine kulturellen Folgewirkungen soll Landesverband evangelischer abgestoßen – nur kalt gelassen hat er nie- in allen Facetten erlebbar gemacht werden, ­Kirchenchöre in Baden manden. Präsentiert werden 95 Sichtwei- um ein vertieftes Verständnis nicht nur der Zum Auftakt des Badener Chorfestes in Hei- sen auf den Reformator, die dazu einladen, Reformationsepoche, sondern auch der ei- delberg sollen einer großen Öffentlichkeit selbst einen Zugang zu ihm zu finden. Die genen Gegenwart zu ermöglichen. die Ideen der Reformation und ihre Aktua- Ausstellung steht unter der Schirmherr- Zeitraum: 13. Juli bis 12. November 2017 lität nahegebracht werden. Neben der Auf- schaft des Bundespräsidenten. www.weltimwandel.gnm.de führung des Kammeroratoriums »1648« von Zeitraum: 13. Mai bis 5. November 2017 Helmut Barbe ist eine Podiumsdiskussion www.3xhammer.de zum Thema »Welche Rolle spielt Religi- www.martinluther.de on in kriegerischen Konflikten« sowie eine Open-Air-Aufführung des »Messias« von Georg Friedrich Händel geplant. Zeitraum: 30. Juni 2017 www.chorfest-baden.de

11 Sonderausstellung Ausstellung Ausstellung »Gott³ – Juden, Christen Theaterprojekt »Überall Luthers Worte …« »Investition Religion. Wirtschafts­ und Muslime in ihrer Begegnung von »Martin Luther – Der Anschlag« Stiftung Topographie des reportagen zur Reformation« Luther bis heute« Bad Hersfelder Festspiele Terrors in Berlin Europäisches Hansemuseum Lübeck Religio – Westfälisches Museum­ Ein Theaterstück über die Figur Luthers, Ziel der Sonderausstellung ist es, die Situ- Das Europäische Hansemuseum greift 2017 für religiöse Kultur in Telgte ihre Widersprüchlichkeit und ­Faszination ation und die Rolle der Kirchen in der Zeit mit seiner Sonderausstellung die religiösen Die speziell für Jugendliche und junge Er- und über das Wirken des Reformators der NS-Diktatur aufzuzeigen sowie insbe- und ökonomischen Aspekte der Glaubens- wachsene konzipierte Ausstellung im Rah- und die Auswirkungen auf unsere Gesell- sondere die Luther-Rezeption durch den spaltung auf und widmet sich einem bislang men des Reformationsjubiläums befasst schaft heute. Nach Motiven und Texten NS-Staat und auch durch die Kirchen ver- wenig betrachteten Teil der europäischen sich – ausgehend von den Schriften Mar- von John Osborne, August Strindberg, Ste- ständlich zu machen. Geschichte. Im umfangreichen Rahmen- tin Luthers zu Juden und Türken – mit dem fan Zweig, G.B. Shaw, John von Düffel und Zeitraum: 28. April bis 5. November 2017 programm werden auch die beiden Lübe- Verhältnis der drei abrahamitischen Religi- Dieter Wedel.­ www.topographie.de cker Museen Günter-Grass-Haus und Bud- onen zueinander. Zeitraum: Uraufführung am 23. Juni 2017 denbrookhaus eingebunden. Zeitraum: 22. April bis 3. September 2017 im Rahmen der Bad Hersfelder Festspiele Ausstellung Zeitraum: 8. September bis www.museum-telgte.de www.bad-hersfelder-festspiele.de »#Bildungsereignis Reformation« 26. November 2017 Philipps-Universität Marburg www.hansemuseum.eu Die Ausstellung im Marburger Landgra- fenschloss behandelt den Einfluss der re- Ausstellung Theater- Tagungen & formatorischen Bewegung, vor allem des »Barfuß ins Himmelreich? Martin Namensgebers der Universität – ­Philipp Luther und die Bettelorden in Erfurt« projekte Kongresse Melanchthons – auf die »Bildungsrepub- Stadt Erfurt, Kulturdirektion lik« Deutschland. Im September finden ein Die Ausstellung im Stadtmuseum »Haus Theaterprojekt Konferenz »Bilanz und Perspektiven – begleitendes Symposium sowie eine Ring- zum Stockfisch« zeigt anhand hochwertiger »In Gottes eigenem Land« historische Anlässe als Impulsgeber für vorlesung statt. Objekte sowie dezenter Inszenierungen die Landesbühnen Sachsen, Aufführungen aktuelle Gesellschaftsfragen?« Zeitraum: 6. Mai bis 31. Oktober 2017 Wandlungen des Mönchsideals vom Hoch- in Radebeul, Meißen, Eisleben, Torgau, Bundesministerium für Familie, www.uni-marburg.de mittelalter bis zur Klosterzeit Luthers und Großenhain, Zeitz ­Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) die Bedeutung der Bettelorden für die früh- Theaterstück über Heinrich Melchior Müh- gemeinsam mit den Evangelischen Ausstellung neuzeitliche Stadtgesellschaft, Ökonomie lenberg, der als Vater des amerikanischen Akademien in Deutschland »Im Aufbruch. Reformation 1517–1617« und universitäre Bildung. Zudem soll im Luthertums gilt. Mit dem Vorhaben soll ei- Das BMFSFJ fördert eine Reihe von Projek- Braunschweigisches Landesmuseum Langhaus der Barfüßerkirche eine begeh- nem breiten Publikum auf anschauliche­ ten, die Impulse der Reformation für junge Die Ausstellung verspricht »einen Einblick bare Inszenierung mit theatralischen Ele- Weise verdeutlicht werden, dass die von Menschen zugänglich machen und das de- in die 100 Jahre, die die Welt veränderten«. menten das Jenseitsmodell der Bettelorden Deutschland ausgehende Reformation welt- mokratische Bewusstsein stärken sollen. Mit Anhand zahlreicher Objekte aus Kirchen- und das daran geknüpfte spätmittelalterli- weit Wirkungen aufzeigte, die in großem dieser Abschluss- (und Auswertungs-) Kon- gemeinden in Niedersachsen und Leihga- che Konzept der Heiligung durch Leistung Maße über religiöse Inhalte hinausging. ferenz sollen die Erfahrungen im Hinblick ben aus Europa und den USA sollen die Um- und stellvertretende Gaben verständlich Zeitraum: bis 8. Juli 2017 auf zukünftige Anlässe zusammen mit den brüche, die in den folgenden Jahrhunder- machen und einer kritischen Neubewer- www.landesbuehnen-sachsen.de Kooperationspartnern ausgewertet werden. ten nachwirkten, greifbar gemacht werden. tung unterziehen. Zeitraum: Oktober 2017 Zeitraum: 7. Mai bis 19. November 2017 Zeitraum: 18. Mai bis 12. November 2017 Theaterprojekt »Joachim Slüter. www.bmfsfj.de www.3landesmuseen.de www.erfurt.de Die Reformation in Rostock 1517« Volkstheater Rostock Internationaler Kongress »Kulturelle Ausstellung » – Ausstellung Die Inszenierung stellt das Leben und Wir- Wirkungen der Reformation« Von der Pfarrfrau zur Bischöfin« »Luther und die Avantgarde« ken des Rostocker Reformators in den Kon- Kooperation der Universitäten Frauenmuseum Bonn Reformationsjubiläum 2017 e.V., text von Stadt- und Landesgeschichte und Leipzig, Halle-Wittenberg, Jena, der Die Ausstellung im Frauenmuseum Bonn Stiftung Kunst und Kultur e.V. zeichnet in einem dramatischen Bilderbo- Leucorea-Stiftung und der Stiftung zeichnet den Werdegang der Frau und ih- Für dieses Projekt steht der berühmteste gen die Ereignisse der Reformation in den Luther-Gedenkstätten gemeinsam mit res Rollenbildes im Protestantismus, ausge- Reformator nicht als historische Person im Jahren 1517 bis 1532 nach. dem IEG Mainz hend von Luthers Ehegattin Katharina von Vordergrund, sondern als Vordenker und Zeitraum: ab 6. Juli 2017 Der internationale und ­interdisziplinäre Bora bis ins heutige Europa nach. Das Pro- Avantgardist seiner Zeit. Davon ausgehend www.volkstheater-rostock.de Kongress wird in der Leucorea-Stiftung jekt bietet neben dem kulturhistorischen werden Fragen nach den heutigen Reforma- www.reformation-im-norden.de in der Lutherstadt Wittenberg stattfinden auch einen künstlerischen Teil sowie ein in- tionsbewegungen und der Rolle der Künst- und sich mit den mittelbaren Auswirkun- teressantes Begleitprogramm. ler darin gestellt. Zentraler Ausstellungs- gen der reformatorischen Umwälzungen des Zeitraum: 15. Januar bis 31. Oktober 2017 ort, an dem 65 der rund 70 künstlerischen 16. Jahrhunderts auseinandersetzen. Dabei www.frauenmuseum.de Positionen gezeigt werden, ist das alte Ge- soll statt der Konzentration auf die Figur fängnis in Wittenberg, welches im Vorfeld Luthers eine dezentrale Betrachtung der instand gesetzt wurde. Zusätzlich gibt es Orte, Absichten und Verläufe den wissen- Einzelpräsentationen in der St. Matthä- schaftlichen Diskurs bereichern. us-Kirche in Berlin sowie in der Karlskir- Zeitraum: 7. bis 11. August 2017 che in Kassel. www.leucorea.de Zeitraum: 19. Mai bis 17. September 2017 www.luther-avantgarde.de

12 Kunstprojekt »Der Fall Sola. Ausstellung und Workshops »Du bist Veranstaltungsreihe Kunstprojekte Neueste Sendbriefe vom Dolmetschen« frei – Reformation für Jugendliche« »Freiheitsraum Reformation: Religiöse­ Liquid Penguin Ensemble Franckesche Stiftungen Pluralisierung. Region und Welt« Kunstausstellung »Bill Viola« Sprachmusikalische Performance auf der »Du bist frei« ist der Titel der Jahresausstel- Kooperationsprojekt von Kultur, Deichtorhallen Hamburg GmbH Basis von Luthers »Sendbrief vom Dolmet- lung der Franckeschen Stiftungen im Refor- ­Wissenschaft, ­Kirchen und Zivilgesell- Medienausstellung des amerikanischen schen«. Das Thema »Dolmetschen« wird, mationsjubiläum. Welche Fragestellungen schaft in Oldenburg und im Nord- Videokünstlers Bill ­Viola im Rahmen des ausgehend von Luthers Übersetzerarbeit, bewegten die Reformatoren vor 500 Jah- westen Niedersachsens unter Feder­ 500-jährigen Reformationsjubiläums. in die heutige Zeit adaptiert und behandelt ren und in welchem Maße sind sie heute führung der Universität Oldenburg Zeitraum: 2. Juni bis 10. November 2017 Fragen der zwischensprachlichen Verstän- noch aktuell? Wie beantworten wir diese Das seit 2012 laufende Kooperationsprojekt www.deichtorhallen.de digung. Ein Schwerpunkt der Inszenierung Fragen heute? Das Vermittlungsprogramm zielt darauf ab, in Vortragsreihen, Konzer- liegt auf dem akustischen Medium: Musik zur Ausstellung richtet sich an Schülerin- ten, Ausstellungen, im Theater, in der Ge- Spartenübergreifendes und Sprache. Eine bedeutende Rolle spielt nen und Schüler der Klassen 5 bis 12 mit meindearbeit, in Schulprojekten und auf Kunstprojekt »DEKALOG« die Wechselbeziehung von Klang, Geräusch Schwerpunkt auf der Sekundarstufe I. Es wissenschaftlichen Tagungen unterschied- Guardini Stiftung und Stiftung und Musik in Beziehung zu Kommunikati- umfasst interaktive Führungen und Work- liche Aspekte der religiös-kulturellen Plu- St. Matthäus in Berlin on, Sprache und Stimme. Das Projekt wird shops zu den Themen »Eine Botschaft in die ralisierung seit der Reformation zu thema- Eine ökumenisch konzipierte Veranstal- gleichzeitig als Live-Konzert und Bühnen- Welt bringen«, »Sprachschatz und Macht- tisieren und miteinander in Beziehung zu tungsfolge, die sich von 2013 bis 2017 den hörstück aufgeführt und von einem Live- wort«, »Angst ist zeitlos, oder?« und »Prin- setzen. Zehn Geboten in Ausstellungen, Podiums- Zeichner begleitet. zip Du bist frei«. Zeitraum: 2017 diskussionen, Lesungen, Filmvorführungen Zeitraum: 23. Juni 2017 Trier / Zeitraum: 5. Mai bis 26. November 2017 www.freiheitsraumreformation.de und Auftragskompositionen widmet. 9. November 2017 Karlsruhe / www.francke-halle.de Zeitraum: 10. Mai bis 31. Oktober 2017 25. November 2017 Luxemburg Veranstaltungsreihe www.stiftung-stmatthaeus.de www.liquidpenguin.de Veranstaltungsreihe »Luthers »Gesichter der Reformation in der www.guardini.de Bedeutung für die deutsche Kultur – Oberlausitz, Böhmen und Schlesien« Erlebnisparcours »Luther in Worms« eine interdisziplinäre Spurensuche« Kooperationsprojekt von Kultur, Kunstprojekt »Bildersturm« Stadt Worms Deutsche Schillergesellschaft e.V. Wissenschaft, ­Kirchen und Zivil- Evangelisches Forum Bonn An der Stelle des historischen Bischofshofs, Die Veranstaltungsreihe, bestehend aus Au- gesellschaft unter Federführung des Ein Kunstprojekt, an welchem sich mehrere in dem der berühmte Reichstag stattfand, torenlesungen und Podiumsdiskussionen Kulturraums Oberlausitz-Nieder­ internationale Künstler mit ihren Arbeiten befinden sich heute ein Park und das Mu- im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, schlesien beteiligen werden. Die Idee dahinter: Aus- seum Heylshof. Dort soll das historische soll aus unterschiedlichen Blickwinkeln der Seit 2012 begeben sich Kultureinrichtun- gehend vom reformatorischen Bildersturm Geschehen unter Einbeziehung des öffent- Wirkmächtigkeit der lutherschen Überset- gen in der Oberlausitz auf eine Spurensu- erlaubt der Begriff eine weitgefächerte, viel- lichen Raums mittels temporärer Kunst- zungsleistung und der mit der Reformation che. In Projekten und Aktionen beschäfti- schichtige Auseinandersetzung mit heute installationen und zeitgemäßen Informa- einhergehenden Medien- und Bilderrevolu- gen sie sich mit der Reformation und ihren hochaktuellen, zugleich aber religions- und tionsmedien rekonstruiert und inszeniert tion nachgehen. Dabei soll auch im Hinblick Folgen und bringen so die Menschen in der kulturgeschichtlich tief verankerten The- werden. auf die deutsche Sprache ein Blick in die Zu- Oberlausitz, Böhmen und Schlesien über men und Herausforderungen. Sechs bilden- Zeitraum: ab 2017 kunft gewagt werden. Sprach- und Landesgrenzen hinweg zusam- de Künstler werden an und in sechs evange- www.worms.de Zeitraum: ab Mai 2017 men. Die Hauptevents im Projektjahr 2017 lischen und katholischen Kirchen in Bonn www.dla-marbach.de sind die Ausstellungen »Fünf Jahrhunderte. das Thema »Bildersturm« künstlerisch ver- Die Sorben und die Reformation« und »An- arbeiten. Zu dem Kunstprojekt wird es ein Veranstaltungsreihe ders glauben – anders denken. Die Reforma- umfängliches Rahmenprogramm mit Vor- Veranstaltungs- »Freiheit – Mündigkeit – Politik. tion in der Oberlausitz und der Zittauer Epi- trägen, Podiumsgesprächen, Workshops u. a. Die andere Reformation in Bremen!« taphienschatz« sowie das fortgeführte The- in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum reihen Bremische Evangelische Kirche aterprojekt »Luther war nie in Schlesien«. Bonn sowie dem LVR-Museum Bonn geben. Im Rahmen des Verbundprojektes finden Zeitraum: 2017 Zeitraum: 26. April bis 11. Juni 2017 Veranstaltungsreihe verschiedene Veranstaltungen, unter an- www.gesichter-der-reformation.eu www.bildersturm2017.de »Dichten, denken, musizieren – derem zahlreiche Fachtagungen und Aus- Luther, der Kulturvermittler« stellungen mit umfangreichem Begleitpro- lit:pots e.V. gramm, statt. Die Besonderheiten der ein- Themenwochenende, eingebettet in das Li- zelnen Teilprojekte tragen dazu bei, die teraturfestival 2017, das die Verbindung von Geschichte und Aktualität der Reformati- Reformation und Bildung mittels verschie- on in Bremen in unterschiedlichen Erzähl- dener Formate wie Vorträge, Lesungen, Po- weisen und im Zusammenwirken einer Viel- diumsdiskussionen und Musikveranstaltun- zahl von Bremer Institutionen der Öffent- gen behandelt. Es soll aufzeigen, inwieweit lichkeit nahezubringen. Deutschland aus protestantischem Geist Zeitraum: seit Februar 2017 heraus ein Land der Dichter und Denker www.kirche-bremen.de wurde. Die Veranstaltung beleuchtet, inwie- weit sich – ausgehend von Luthers Initiati- ve für eine breite Volksbildung – Einflüsse auf unsere heutige Bildungslandschaft bis hin zu aktuellen Bildungskonzepten erge- ben haben. Zeitraum: 5. bis 9. Juli 2017 www.litpotsdam.de

13 Die Spuren der Reformatoren in Europa

Noyon

Paris

Orléans

Bourges Calvin Angoulême

Nérac

14 Kanonissen- stift Frose (Aschersleben) Allstedt Müntzer Heldrungen Frankfurt/Oder Halberstadt Jüterbog Quedlinburg Wittenberg Stolberg (Hartz) Halle/Saale; Glaucha (heute Teil von Halle) Frankenhausen Leipzig Mühlhausen Kloster Beudlitz bei Weißenfels Erfurt Jena Zwickau Weimar Prag Heidelberg Brettheim/Bretten Pforzheim Melanchthon Straßburg Tübingen Wien Basel Zürich Wildhaus Zwingli Weesen Bern Kappel Glarus am Genf Albis Kloster Maria- Einsiedeln Ferrara

15 {Melanchthon}

Theologie Name Philipp Melanchthon war weitaus mehr als Philipp Melanchthon, nur Weggefährte Martin Luthers. Jedoch eigentlich Philipp Schwartzerdt fand Luther in Melanchthon den benötigten Reformer des Bildungswesens in seinem Erneuerungszug der Kirche. Melanchthon Geburt & Tod stimmte mit Luther in den wesentlichen theo- * 16. Februar 1497 in Bretten, Deutschland logischen Punkten überein. So unterstützte † 19. April 1560 in Wittenberg, Deutschland Melanchthon linguistisch die Übersetzung des Neuen Testaments durch Luther 1521. Im gleichen Jahr veröffentlichte Melanchthon Studium »Loci communes rerum theologicarum«, die Besuch der Lateinschule – auch Unterricht erste systematische Darstellung der reforma­ in Griechisch, Erwerb des akademischen torischen Theologie. 1529 führte Melanch- Grades eines baccalaureus artium an der thon die reformatorischen Verhandlungen Universität­ Heidelberg, weiteres Studium auf dem Reichstag zu Speyer, weil Luther als der Arithmetik, Geometrie, Musik und Geächteter­ nicht teilnehmen durfte. Später Astro­nomiean der Universität Tübingen war er auch am Wormser und Regensburger mit Magisterabschluss Religionsgespräch beteiligt. Dabei war es ihm stets wichtig, die Reformen unter bewuss- tem Verzicht auf Gewalt durchzusetzen und Tätigkeit die Einheit der Kirche zu erhalten. Dies wurde Professor für Griechisch an der Universität auch an seiner entgegenkommenden Haltung Wittenberg, »Praeceptor Germaniae« und auf dem Augsburger Reichstag sowie später (Bildungs-)Reformator gegenüber den Katholiken in den Leipzi- ger Artikeln deutlich. Dieses diplomatische Geschick stellte er auch beim Abfassen der Schriften (Auszug) Torgauer Artikel,­ der »Confessio Augustana«, Institutiones Graecae grammaticae (1518); der »Apologie der Confessio Augustana« Veröffentlichung einer Rhetorik (1519); und des »Tractatus de potestate et primatu Loci communes rerum theologicarum (All­ Papae« unter Beweis, die zu den grundle­ gemeine Grundbegriffe der Theologie, genden evangelischen Bekenntnisschriften 1521); Confessio Augustana (Augsburger zählen und maßgeblich zum Erfolg der Re- Bekenntnis, 1530); Apologie der Confessio formation beitrugen. Nur die theologischen Augustana (1531); Tractatus de potestate Forderungen der reformatorischen Täufer­ et primatu Papae (Traktat über die Gewalt bewegung lehnte Melanchthon konsequent und den Primat des Papstes, 1537); ab – sogar soweit, dass er die Täufer als Heubtartikel Christlicher Lehre (deut- Ketzer verdammte und sich für die Anwen- sche Fassung Loci theologici; 1553) dung der Todesstrafe aussprach. 16 Das Wittenberger Mnemotop Stefan Rhein

er 1517 Wittenberg besuchte, kam in eine klei- Lebens- und Wirkungsort eines Unternehmers, dessen ne Stadt von 392 Häusern, in denen rund 1.950 Werkstatt zur Gestaltungs- und Kommunikationsagen- W Menschen lebten, außerdem Priester und Mön- tur der Reformation und der Reformatoren avancierte. che sowie Hofbedienstete, vielleicht noch einmal ca. Wie viele gerade von der erst 1502 gegründeten Univer- 200 bis 250 Bewohner, die nicht in den Steuerlisten ge- sität, der Leucorea, angezogen wurden, dokumentieren führt wurden. Er erlebte eine Universität, die nach einer die Emailschilder an den Hausfassaden. Denn zu den Pest im Jahr zuvor nur noch von ca. 400 bis 500 Stu- bereits genannten Professoren Luther, ­Melanchthon, denten besucht wurde. Es gab nur eine Gemeindekirche, Bugenhagen und Jonas kamen z. B. noch Matthäus Au- die Stadtkirche St. Marien, und der Bürgermeister war rogallus, der als Hebraist besonders hilfreich bei der ein Tuchmacher, Hans Hohndorf. Kurzum: Eine klei- Bibelübersetzung war, Caspar Cruciger, dessen theo- ne, überschaubare Welt. Kein Wunder, dass die katho- logische Begabung Luther besonders schätzte, oder lischen Zeitgenossen Wittenberg als ein »armes, elen- der Poesiedozent Johannes Stigel, der die reformatori- des, kotiges Städtchen« identifizierten und sich völ- sche Botschaft in Verse zu fassen verstand. Ohne Uni- lig fassungslos fragten: »Soll nun diese unwerte Stadt versität keine Reformation: Der aufmerksame Besu- sich in solcher Hoffahrt, Stolz und Frevel erheben, dass cher der Wittenberger Straßen und Gassen findet da- sie meint, ein neues Rom zu werden und der Welt ei- für zahlreiche Belege. nen neuen Glauben zu geben?«. So Johannes Coch- Das Faszinierende an diesem kleinen Wittenberg läus 1524. Und auch für den katholischen Sachsenher- des 16. Jahrhunderts ist: Zur gleichen Zeit am gleichen zog Georg erschien es unvorstellbar, »dass ein einzel- Ort kamen zahlreiche Begabungen zusammen, die das ner Mönche aus einem solchen Loche solche Reforma- Gemeinschaftsprojekt »Reformation« konzipierten und tion hervorbringen soll«. realisierten. Ein weltgeschichtlicher Kairos! Dass ge- Wer heute durch Wittenberg geht, erlebt immer nau dieses Zusammentreffen und Zusammenarbeiten noch eine kleine überschaubare Stadt, und mag wie von Akteuren verschiedener Kompetenzen die Witten- viele Touristen aus dem In- und Ausland erstaunt sein: berger Reformation charakterisiert, ja überhaupt erst Hier also soll der Geburtsort der Reformation mit ihrer ermöglicht, wird von dem 1922 zunächst selbst ver- weltweiten Prägekraft auf heute etwa 400 Millionen liehenen und dann 1938 vom preußischen Innenmi- Protestanten sein? In der Peripherie, um nicht Luthers eigene Beschreibung von seinem Lebensmittelpunkt Zur gleichen Zeit am gleichen Ort über 35 Jahre lang zu verwenden: am Rand der Zivili- sation? Und doch kann ein Gang durch Wittenberg eine kamen zahlreiche Begabungen Antwort geben, denn dem aufmerksamen Besucher be- zusammen, die das Gemeinschafts­ gegnen hier ja nicht nur Luther, sondern auch die an- projekt »Reformation« konzipier- deren Wittenberger Reformatoren: Melanchthon mit seinem Grab in der Schlosskirche, als Denkmal auf dem ten und realisierten. Marktplatz und als Bewohner im Melancht­honhaus, Jo- hannes Bugenhagen in ganzfiguriger Darstellung auf nister Hermann Göring offiziell bestätigten Epitheton der Grabplatte in der Stadtkirche, auf dem Kirchplatz ornans »Lutherstadt« völlig verdeckt. So konzentrier- mit einer Büste und als Bewohner im Bugenhagenhaus, te sich die Memorialkultur auf Luther und monumen- oder ebenfalls als Statue in der Schloss- talisierte ihn 1821 auf dem Marktplatz mit dem ersten kirche und gegenüber in der Propstei, in der er einige öffentlichen Standbild eines Zivilisten und im Luther- Jahre als Propst und Universitätsprofessor lebte. Nicht haus, dessen Lutherstube bereits 1655 als »museum Lu- zu vergessen die beiden Cranachhäuser am Marktplatz, theri« inszeniert wurde. {Melanchthon} 17 ie Präsenz Melanchthons in der Wittenberger an der Universität, arbeitete an der Bibelübersetzung Memoria war hingegen vielfältigen Schwankun- mit und beeinflusste durch seine Kirchenordnungen gen ausgesetzt. Sein Tod 1560 war nicht nur ein die Ausbreitung der Reformation weit über Wittenberg D universitäres und kirchliches Großereignis, son- und Kursachsen hinaus, vor allem in den norddeut- dern bewegte auch die Wittenberger Bevölkerung, die schen Städten, in Pommern, ja bis nach Skandinavi- zum öffentlich aufgebahrten Leichnam strömten, wie en. In Kopenhagen krönte er am 12. August 1537 Chris- ein zeitgenössischer Bericht ausführt: »Mancher griff tian III., gewiss eines der spektakulärsten Ereignisse ihm ans Kinn, mancher aufs Haupt, auf die Brust, viele der Wittenberger Präsenz in Europa: Der Wittenber- nahmen ihn bei der Hand und drückten ihm die Hand, ger Stadtpfarrer salbt den dänischen König und nimmt etliche aber küssten ihn und weinten. (…) Die Bürger ihm seinen Amtseid ab! Gleichwohl trat er über Jahr- trugen ihre Kinder auf den Armen über ihn und sagten, hunderte kaum in der Wittenberger Memorialkultur sie sollten ihn fleißig ansehen, dass sie einstmals sa- auf. 1894 wurde das bescheidene Bugenhagen-Denk- gen könnten, was er für ein Mann gewesen wäre.« Die mal eingeweiht, nachdem solche zuvor und zwar weit Gestaltung des Grabes in Analogie zum Grab Luthers aufwändiger bereits in Greifswald, Hamburg und Zwi- illustriert die hohe Wertschätzung des Humanisten und ckau entstanden waren. Sein Pfarrhaus, immerhin das Reformators, dessen Verdienste auf zwei Bronzetafeln älteste erhaltene evangelische Pfarrhaus, wurde nur in der Schlosskirche poetisch verewigt sind: Der »hei- selten mit ihm in Verbindung gebracht, sodass 1907 lige Mann«, »beste Vater« und »Lehrer wahrer Lehre« vom Gemeindekirchenrat sogar schon sein Abriss be- habe sich herausragend um die wissenschaftliche Pro- schlossen wurde – was letztendlich nur am Geldman- filierung der Universität und durch sein Augsburger Be- gel für einen Neubau scheiterte. Erst die umfassende kenntnis um die Kirche verdient gemacht. Sanierung mit Abschluss 2007 hat das Haus prominent Das literarische Deutschland nahm in einer Vielzahl als Bugenhagenhaus auf den touristischen Stadtplan von Reden, Trauergesängen und vor allem Gedichten gesetzt. 2008, zum 450. Todestag, gab es erstmals ein Abschied von seiner Leitfigur, die im eigenen Werk Hu- Festwochenende, unter anderem mit einem Blumen- manismus und Reformation vereint hatte. In einer An- beet in der Form von Bugenhagens Wappen, so ephe- thologie von 568 Seiten wurde dieses Gedenken an der mer wie die Erinnerung an Bugenhagen. Jahreswende 1561/62 publiziert, die erste nekrologische Während das Wittenberger Team bei der Ausformu- Sammelausgabe im deutschsprachigen Raum. Danach lierung und Verbreitung der Reformation in seinen je- dominierte die innerprotestantische Polemik, in der die weils charakteristischen Leistungen deutlich vor Au- orthodoxen Lutheraner die Anhänger Melanchthons­ gen tritt – Melanchthon, der Bildungsautor und -poli- wegen ihrer Ausgleichsbemühungen mit den Calvinis- tiker, Bugenhagen, der Kirchenorganisator, Jonas, der ten diffamierten und damit eine Zeit des Vergessens Übersetzer zahlreicher reformatorischer Schriften ins und Verdrängens einläuteten, sodass das Wittenberg Deutsche, Aurogallus, der linguistische Berater bei des 17. und in weiten Teilen 18. Jahrhunderts als me- der Übersetzung des Alten Testaments, Paul Eber, der lanchthonfreie Zone gelten kann. Erst das geschichts- Autor deutscher Kirchenliedtexte etc. –, so reduziert selige 19. Jahrhundert entdeckte ihn neu, auch wenn nicht nur die protestantische Memoria den Beginn der die Debatte um ein Wittenberger Melanchthon-Denk- Reformation auf Luthers Turmerlebnis, also auf eine mal die gebrochene Perspektive andeutet: Sollte Me- einsame Einsicht Luthers bei der Römerbrief-Lektü- lanchthon als »Lehrer Deutschlands« dank seiner prä- re. Indessen sind bereits die Anfänge, also die Zeit vor genden Lehrbücher sowie Schul- und Universitätsord- dem Thesenanschlag, geprägt von einer Wittenber- nungen auf dem Schulhof oder als Theologe und Ver- ger Diskussionsgemeinschaft, die gemeinsam z. B. an fasser der grundlegenden reformatorischen Systematik der Entdeckung der Kirchenväter- »Loci communes« und Bekenntnisschrift »Confessio theologie in Opposition zur mit- Ohne Luther keine Augustana« auf dem rückwärtigen Kirchhof platziert telalterlichen Scholastik arbeitete, werden? Oder sollte der neben Luther zweite Refor- zu einer polemischen Haltung ge- Reformation, aber auch mator auf dem Marktplatz stehen, eine Ehrung, die in gen veräußerlichte Frömmigkeits­ nicht ohne seine Zeitschriftenartikeln als »eine Versündigung an Lu- praktiken kam und die anthropo- Wittenberger Kollegen thers Größe« attackiert wurde? Die besseren Lichtver- logische Debatte auf den sündigen, hältnisse gaben dann den Ausschlag für die Aufstellung nur durch Gottes Gnade gerette- und Freunde. und Einweihung am 31. Oktober 1865 auf dem Markt- ten Menschen ausrichtete. Auch platz. Doch erst die DDR sollte 1967 ein »Melanch­thon- die öffentlichen Aktionen scheinen einer gemeinsa- Memorial-Museum« im historischen Melanchthon- men Dramaturgie zu folgen. Denn ein Thesenanschlag haus eröffnen, um in ihm »das mit den Klassenkämp- fand bereits am 26. April 1517 statt, als Luthers theolo- fen der frühbürgerlichen Revolution eng zusammen- gischer Kollege anlässlich der Prä- hängende und auf das bürgerliche Bildungswesen der sentation der kurfürstlichen Reliquiensammlung 151 nachfolgenden Jahre ausstrahlende Leben und Schaf- Thesen über die neue Theologie der Gnade gegen die fen Philipp Melanchthons« zu präsentieren, ohne den scholastische Theologie verfasste und diese übrigens Reformator und seinen kirchlichen und religiösen Kon- eigenhändig an die Schlosskirchentür schlug (»affixi«). text zu thematisieren. Ohne Luther keine Reformation, aber auch nicht Johannes Bugenhagen ist der – neben Luther und ohne seine Wittenberger Kollegen und Freunde. Denn Melanchthon – dritte in der schon von den Zeitgenos- von Beginn an ist die Reformation Teamwork. sen wahrgenommenen Wittenberger Trias. Denn er amtierte von 1523 bis zu seinem Tod 1558 als erster Stefan Rhein ist Vorstand und Direktor der Stiftung evangelischer Pfarrer in Wittenberg, lehrte Theologie Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 18 {Melanchthon} Die sichtbaren Stellen mit Pelzverbrämung waren die Brennpunkte der Kostümargumentation im Bild und in der Alltags- ­realität deutscher Städte der Renaissance.

20 Luthers Protestkleid Philipp Zitzlsperger

ls im 19. Jahrhundert in Deutschland das Zeitalter der Perso- Jedem Stand werden darin bestimmte Pelzsorten zugeschrieben, naldenkmäler anbrach und u. a. neben Schiller und Goethe wenngleich Bauern und Tagelöhnern das Tragen von Pelz gene- auch Martin Luther in deutschen Städten in Bronze gegos- rell verboten war. Ihre Frauen durften nur »schlechte belz« von A sen wurde, war bereits ein konkretes Lutherbild etabliert: Lämmern und Ziegen tragen. Allein die Stadtbewohner waren mit Der stämmige, voluminöse Mann bekleidet mit einer fast bis zum dem Pelzprivileg ausgestattet, jedoch nur, wenn sie Bürgerrech- Boden reichenden Schaube, die den gewaltigen Reformatorenkör- te genossen. »Gemeyne Burger und Handtwercker« durften kei- per wie ein Mantel umhüllt. Es ist das typische Reformatoren- bzw. nen Marder, dafür aber Fuchs, Lamm und Iltis tragen. Kaufleuten Pastorengewand, das dem heutigen Betrachter in dem Maße ge- und Handwerkern war neben dem minderwertigen Iltis bereits läufig ist, dass es ihm an den Lutherdenkmälern und zelebrieren- der Kehlmarder gestattet, das geringerwertige Kehlfell des Mar- den Pastoren nicht weiter auffällt. Dabei ist diese Luther-Insignie ders, sofern sie Mitglieder des Stadtrates waren. Das hochwertige, keine Banalität und es drängt sich die Frage auf, wie es eigentlich dichte Rückenfell des Marders war vornehmen Bürgern, Ratsher- zu dieser speziellen Pastorengewandung kam, wo sie doch – dieses ren, Richtern und Professoren zugesprochen; ihren Frauen hinge- Wissen erhöht die Brisanz der Fragestellung – ursprünglich eine gen war das Tragen von Eichhörnchenfell gestattet. Der Rücken- Insignie der gesellschaftlichen Eliten des 16. und 17. Jahrhunderts marder war für den Städter das höchste Privileg. im deutschsprachigen Raum gewesen ist. Die Luther-Insignie ein Auffallend an den »weltlichen« Lutherporträts, die nach 1525 Zeichen des hohen, weltlichen Standes? in zahlreichen Kopien und Stichen die Bildpropaganda der Refor- Diese vestimentäre Konfrontation Luthers mit den Gesellschaft- mation flankierten, ist des Reformators schwarze Schaube, die je- seliten seiner Zeit ist umso bezeichnender, als Luther in den frü- doch auf den Pelz verzichtet. Diese Spezialität fällt in einem Ver- hen Porträts den bezeichnenden Mantel noch nicht trägt. In den gleich mit Luthers Mitstreiter Philipp Melanchton umso mehr auf, zahlreichen Lutherporträts, die uns vor allem von der Hand des als letztgenannter in den Porträtbildern besonders häufig mit ei- Lucas Cranach überliefert sind, ist der Reformator anfangs noch ner pelzbesetzten Schaube dargestellt wurde. Die Deutung der ins als bescheidener Augustinermönch erkennbar mit der typischen Bild gesetzten Gewandung erschließt sich vor dem Hintergrund Kapuzenjacke und dem Mönchshaarschnitt, der Tonsur. Seit 1525 der Schaubengeschichte relativ deutlich: Während Gelehrte des jedoch, als die ersten Ehebildnisse Luthers mit Katharina von Professorenstandes, wie Melanchton, die standesgemäß mit Mar- Bora erschienen, trat der Reformator zunehmend und bald aus- derpelz besetzte Schaube zur Schau tragen, hält sich Luther zu- schließlich in der »weltlichen«, schwarzen Schaube auf. Er hatte rück. Denn ohne Pelz gerät er mit vestimentären Standesgren- die Mönchskutte abgelegt und war in den weltlichen Stand über- zen nicht in Konflikt. Zugleich setzt Luther als Geistlicher – der getreten. Die Schaube kennzeichnete ihn vorerst als hohen Bür- ­Melanchton niemals war – einen deutlich reformatorischen Ak- ger Wittenbergs, bis Luthers Mantel schließlich zur Insignie des zent, indem er die Mönchskutte ab- und die profane Schaube an- reformierten Geistlichen mutierte. legte. In seinem neuen Gewand scheint der Reformator deutlich Hierzu muss man, wie gesagt, wissen, dass die Schaube die In- der bisherigen Kirchen- und ihrer Kleiderordnung abzuschwören signie gesellschaftlicher Eliten des weltlichen Standes war. In die- bzw. sich und seine Lehre einem bürgerlichen Gelehrtentum zu- sem Kreis war sie als Mantel, auch Rock genannt, im Deutschland zuschlagen. Die dargestellte Kleidung im Bild entfaltet so gesehen des 16. Jahrhunderts ein weitverbreitetes Oberkleid des Mannes. Sie eine stark symbolische Kraft für ein neues Glaubensbekenntnis. galt insbesondere auch als Amtstracht und war für Richter, Rats- Als Mode allerdings ist Luthers vestimentärer Vorstoß nicht herren und Gelehrte reserviert. Die Farbe der Schaube war vorwie- zu werten; vielmehr als Paradigmenwechsel. Denn während die gend schwarz, im 16. Jahrhundert die Farbe der vornehmen Eliten. Mode – wie es Georg Simmel bereits 1905 in seiner Philosophie Die Schaube war an Säumen und vor allem am bisweilen weit aus- der Mode deutlich gemacht hat – von kurzer Lebenszeit und vor ladenden Kragen meist pelzgefüttert. Die sichtbaren Stellen mit allem von dem Paradox zehrt, dass sie in ihrer eigentlichen Blüte Pelzverbrämung waren die Brennpunkte der Kostümargumentation bereits tot ist, konnte die Lutherschaube seit der Reformation bis im Bild und in der Alltagsrealität deutscher Städte der Renaissance. heute überleben. Sie ist keine Mode, sondern Protestgewand und Insbesondere auf die Pelzsorte kam es bei den Männern an, denen als solches firmiert sie noch heute in den evangelischen Kirchen. je nach Stand exakte Vorschriften gemacht wurden. Referenzwerk für die reichsübergreifenden Kleiderordnungen war die Reichspo- Philipp Zitzlsperger ist Professor für Bild- und Kunstwissenschaft lizeiordnung von 1530. Sie stellt den verbindlichen Abschluss ei- am Fachbereich Design an der Hochschule Fresenius ner 35 Jahre währenden legislativen Entwicklung dar, der Grund- und Privatdozent am Institut für Kunst- und Bildgeschichte gesetzqualitäten aufweist. der Humboldt-Universität zu Berlin {Melanchthon} 21 {Müntzer}

Name Thomas Müntzer, auch Münzer Für Müntzer ist die Bibel Zeugnis eben dieser Erfahrungen, die »erleuchtete Seelen« im Umgang mit dem lebendigen Gott gewonnen Geburt & Tod haben. Sie ist zugleich Einladung, für ver- * um 1489 in Stolberg, Deutschland gleichbare Erfahrungen offen zu werden, und † 27. Mai 1525 bei Mühlhausen, Deutschland Maßstab für eigene Erlebnisse. Für Müntzer sind nicht die Schriftgelehrten, sondern die Visionäre die »wahrhaftigen« Interpreten des Studium Alten und Neuen Testaments. In Müntzers Studium an den Universitäten Leipzig eigenen Schriften werden Anlehnungen an und Frankfurt/Oder; akademische Titel: die mittelalterliche Mystik sichtbar. Unter an- Baccalaureus artium, Magister artium derem verwarf er die Kindertaufe und sprach und Baccalaureus biblicus sich für die Geistestaufe als »wahre Taufe« aus. Zudem schätzte Müntzer besonders die prophetischen Bücher, insbesondere das Buch Tätigkeit Daniel, welches er teilweise in seiner Fürsten- Theologe, Reformator und predigt auslegte. So sah er den Verweis auf die Revolutionär im Bauernkrieg vier Weltreiche der Apokalypse als Sinnbild für die Reiche der Babylonier, Perser, Griechen und Römer. Seine Lebenszeit war für ihn das Schriften (Auszug) fünfte Reich, das ebenfalls aus Eisen besteht, Prager Manifest (1521); Drei liturgische weil es Arme und Unschuldige unterdrückt. Schriften (1523); Deutsches Kirchenamt; Darum sei ein neuer Prophet Daniel vonnöten. Deutsch-evangelische Messe; Von dem Müntzer deutete zudem in apokalyptischer gedichteten Glauben (1524); Protestation Schau seine Zeit als Anbruch des göttlichen oder Erbietung (1524); Auslegung des Gerichtes. Darin wird bereits deutlich, dass zweiten Kapitels Daniels (Fürstenpredigt) die sozialen Probleme Müntzer sehr beschäf- (1524); Ausgedrückte Entblößung (des tigten.Er eiferte sich nicht nur für die Got tes­ -­­ falschen Glaubens) (1524); Hochverur- furcht, sondern auch als Gottesfürchtiger sachte Schutzrede (1524) für soziale Gerechtigkeit. Er versuchte, seine Vorstellungen einer gerechten Gesellschafts­ ordnung umzusetzen: Privilegien wurden Theologie aufgehoben, Klöster aufgelöst, Räume für Thomas Müntzer war anfangs engagierter Obdachlose geschaffen, eine Armenspeisung Anhänger und Bewunderer Martin Luthers. eingerichtet. Schließlich scheiterten seine Allerdings rief er nicht nur zum Widerstand Bestrebungen als Bauernführer während gegen das Papstum auf, sondern auch gegen des Bauernkrieges, verschiedene Thüringer die ständisch geprägte weltliche Ordnung. Freibauern zu vereinigen, an der Strategie des Seine sozialrevolutionären Bestrebungen waren Adels. Müntzers liturgische Reformen, die von Radikalität gekennzeichnet, u. a. sprach er als Pfarrer in Allstedt 1523/1524 mit den sich Müntzer für die gewaltsame Befreiung der Veröffentlichungen »Allstedter Kirchenampt« Bauern aus, sodass sich Luther zu Beginn des und »Deutzsch-Euangelisch Mesze« auf den Bauernkrieges von ihm distanzierte. Müntzers Weg brachte, sind Beispiele der reformatori- Theologie verbindet spiritualistische, täufe­ schen Suche nach einer angemessenen evan- rische, apokalyptische und sozialrevolutionäre gelischen Gottesdienstform. Die Gottesdienst- Elemente zu einer Einheit. Für Müntzer heißt gestaltung und seine Kirchenlieder hatten Glauben, ein von Gott ausgelöstes Geschehen weit über seinen Tod hinaus Bestand. Damit im Abgrund der Seele; es ist »die wirkung des war Müntzer einer der Vorreiter deutschspra- worts, das Gott in die selen redet«. chiger Gottesdienste in Mitteldeutschland. 22 Audiovisueller Allein­- vertretungsanspruch und hölzernes Thesenfernsehen? Michael Grisko

edien sind die zentralen Voraussetzungen für per- ser als Beitrag zum 500. Geburtstag im deutsch-deut- sonales Gedenken. Dies galt und gilt auch und schen Wendejahr 1989 in den Wirren der geschichtli- M besonders für Thomas Müntzer, von dem im Ge- chen Ereignisse auch in seiner prophetisch-revoluti- gensatz zu Martin Luther kein authentisches Bild, nur onären Botschaft unter. wenige Handschriften und noch weniger gesicherte Neben diesen fiktionalen Biopics produzierte die Lebensdaten überliefert sind. Zudem wird sein Lebens- DEFA für das Fernsehen der DDR kürzere Dokumentar- bild stark durch die nach seinem Tod einsetzende Re- filme über den Ahnherren der frühbürgerlichen Revolu- zeption überlagert. tion, wie etwa den gleichnamigen Film im Vorfeld des Folgenreich war Thomas Müntzer im Gedenken der Müntzer-Jubiläums 1988 von Klaus Schulze. Revoluti- kommunistischen Theoretiker Karl Marx und Fried- onär war aber nur das Ansinnen und nicht die Machart. rich Engels präsent. Als Vertreter der frühbürgerli- Ein Blick in den konventionell gemachten Film verrät chen Revolution fand Müntzer Aufnahme in die ge- die Anstrengungen, eine umfassende staatliche und sellschaftslegitimierende Ahnengalerie der 1949 ge- gesamtgesellschaftliche Verbundenheit, vom Schul- gründeten DDR. Manifestiert wurde diese Verbindung kind bis zu den damaligen Parteispitzen, mit Müntzer unter anderem auf Geldscheinen und bei der Benen- zu demonstrieren. Schulze inszenierte die trotz gesell- nung von Schulen, Straßen, LPGs und Volkseigenen schaftlicher Lähmung vitalen Bemühungen einer um- Betrieben. Aber auch die staatliche Filmfirma DEFA fassenden Erbeaneignung – vom Bauernkriegspanora- und das Fernsehen der DDR brachten Thomas Müntzer ma in Frankenhausen bis zum Müntzer-Haus in Alls- vor allem im Rahmen staatlicher Jubiläen gezielt auf tedt. Vom Fernsehen der DDR aufgezeichnet wurde im die Leinwand und den Bildschirm. Dabei beanspruch- Jahr 1984 die Rostocker Inszenierung des Stücks »Mar- te die DDR eine Form audiovisueller Deutungshoheit. tin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung« von Anselm Perten. Das Stück von Dieter­ Revolutionärer Alleinvertretungs- Forte wurde auch im Westen inszeniert, es ist jedoch anspruch mit Deutungshoheit keine Aufzeichnung überliefert. Seine audiovisuelle Wiedergeburt erlebte Thomas Anders als Luther war Müntzer in der Bundesrepu- Müntzer zunächst in einem historischen Monumen- blik kaum präsent, möglicherweise auch als Reaktion talfilm unter dem Titel »Thomas Müntzer – Ein Film auf die ostdeutsche Heroisierung. Seine erste sicht- deutscher Geschichte« zum zehnjährigen Jubiläum der bare Präsenz erlebte Thomas Müntzer als der »Satan DEFA im Jahr 1956, nur sieben Jahre nach Gründung der von Allstedt« in einer Hybriddokumentation aus Re- DDR. Regie führte der linientreue Schauspieler und Enactment, Interviews und der Montage von Doku- Regisseur Martin Hellberg. Wenige Jahre später war menten und authentischen Schauplätzen im Rahmen Müntzer zum 25. Jahrestag der Bodenreform 1970 und der MDR-History-Reihe »Geschichte Mitteldeutsch- zum 450. Todestag des Revolutionärs 1975 als gering- lands« aus dem Jahr 2010. Im gleichen Jahr widme- fügig veränderter Mehrteiler unter dem Titel »Denn te sich auch das ZDF in der zweiten Staffel der Reihe ich sah eine neue Erde« auf dem Bildschirm. Den Ab- »Die Deutschen« dem Thema »Thomas Müntzer und schluss des televisionären Müntzer-Reigens bildete der Krieg der Bauern«. Ansonsten beanspruchte die schließlich der 119-minütige Fernsehfilm »Ich, Tho- DDR bis 1989 bei Müntzer eine Art Deutungshoheit mas Müntzer, Sichel Gottes«. Lange geplant, ging die- mit Alleinvertretungsanspruch. {Müntzer} 23 Biografien im Auftrag des Staates und In der Bildästhetik finden sich Reminiszenzen an Sergej ­Revolution einmal melodramatisch Eisensteins ikonische Revolutionsfilme »Panzerkreuzer Waren Film und Fernsehen im Osten Deutschlands viel- Potemkin« und »Oktober« – womit auch die revolutio- fach verlängerte Arme staatlicher Verkündigungspo- näre und cineastische Traditionsbildung gleich mitge- litik und nur selten Orte der Film- und Fernsehkunst, liefert wurde. Wobei der als Autodidakt zum Film ge- gilt das verstärkt für die annähernd 40 biografischen kommene Hellberg – charakteristisch für diese Zeit – ei- Filme der DEFA, die zum Teil von der SED bestellt und nen unentschlossenen Film abliefert: mal Historiendra- aus einem besonderen Fonds finanziert wurden. Nicht ma, mal Melodram, mal Revolutionsfilm, mal UFA-Stil nur die Auswahl der Personen, auch die ästhetische und – noch war man auf der Suche. Nicht nur nach sozialisti- inhaltliche Ausrichtung wurden von staatlichen, teil- schen Ahnherren, sondern auch einer den neuen Film- weise wissenschaftlichen Leitungsgremien überwacht stil begründenden Ästhetik. und im Sinne der sozialistischen Erbepolitik gesteuert. Bei Hellberg ist Müntzer eine starke charismatische Im Rahmen dieser instrumentalisierten Stoffpolitik Gestalt, »ein Kämpfer für die Gerechtigkeit und gegen gehörte Thomas Müntzer genauso wie Ernst Thälmann, die Unterdrückung des gemeinen Mannes«, so die Dreh- August Bebel und Karl Marx seit Beginn der 1950er Jah- buchkonzeption. Luther – in der DDR bis 1983 ein perso- re zu den im DEFA-Studio verfolgten Spielfilmprojek- nales großes Problem – darf nicht auftreten, nicht mal ten. In der Dramaturgie lagen unter anderem Drehbü- erwähnt wird er namentlich. Der Film verfolgt eine of- cher des großen sozialistischen Dramatikers Friedrich fensichtliche Didaktik: In einer Wolf zum Thema vor. Symptomatisch ist, dass die ge- holzschnittartigen Gegenüber- Anders als Luther war Müntzer samte Stoffentwicklung von den staatlichen Leitungs- stellung aus brutalem, dekaden- organen, in diesem Falle von dem Staatlichen Komi- tem und willkürlich handeln- in der Bundesrepublik kaum tee für Filmwesen, eine Art Filmministerium, und dem dem Adel und dem geknechte- präsent, möglicherweise auch als Zentralkomitee (ZK) der SED, kontrolliert und begleitet ten und gemeinen Volk erwächst Reaktion auf die ostdeutsche wurde. Der spätere Regisseur Martin Hellberg macht Müntzer die Verpflichtung zur sich schließlich von dem Ahnherrn sozialistischer Dra- heilsbringenden Revolution, Heroisierung. matik frei und schreibt sein eigenes Drehbuch, getra- wobei Religion kaum eine Rolle gen von der Motivation und Zielstellung: »Unser Film spielt. Hellberg bringt weniger eine Entwicklung als ein musste den Weg vom Wort zum Schwert gestalten – prophetisch-heroisches Sendungsbewusstsein, unter- von der revolutionären Predigt bis in die Entscheidung stützt von einem theatral-deklamierenden Hauptdar- der Waffen. Das verlangte Monumentalität des Bildstils steller mit einer altertümlichen Sprache auf die Lein- und einen lapidaren Wortstil.« Der Kampf und die Re- wand. Müntzer und die Bauern werden am Ende natür- volution als Vorbote einer neuen Gesellschaftsordnung lich nicht in einem fairen Kampf besiegt, sondern durch oder der Hinweis auf den immerwährenden Kampf des einen Verräter und einen hinterhältigen Trick. In einem Sozialismus? In jedem Fall beschreibt Hellberg das spä- als Gemetzel inszenierten Kampf werden die Aufrüh- tere Produkt sehr genau. rer zur Strecke gebracht und Müntzer hingerichtet. Dies Sein Film konzentriert sich auf den Zeitraum von konnte aber nicht die Botschaft sein. Und so inszenier- 1519 bis zum Bauernkrieg im Jahr 1525; gedreht wur- te Hellberg dieses Ende als Anfang: Müntzers Freundin de der Film, damals noch eine Auszeichnung, in Far- Ottilie und sein Kind stehen für den Aufbruch in eine be, mit einem ungewöhnlich hohen Aufwand bei der neue Zeit, sie werden die Regenbogenfahne, die Fahne Tricktechnik und in den Massenszenen. Dies gilt ins- der Revolution zusammen mit den überlebenden Bau- besondere für die Szenen der Schlacht bei Frankenhau- ern in ein neues Zeitalter tragen. sen, wo zudem noch Soldaten der Nationalen Volksar- mee in der Statisterie beschäftigt wurden.

24 Denn ich sah einen neuen Müntzer: Am Ende Müntzer – Tele-visionäre Verkündigung zur Bodenreform Müntzer am Ende televisionär? In Anspielung auf die Johannes-Offenbarung, Vers 21, Die Revolution in ganz anderer Form sah der Müntzer- brachte der Deutsche Fernsehfunk im Jahr 1970 unter Film »Ich, Thomas Müntzer, Sichel Gottes« von Kurt dem Titel »Denn ich sah eine neue Erde« den von Wolf- Veth voraus, der ab März 1989 gedreht wurde. Und die Dieter Panse und Peter Deutsche inszenierten Jubilä- Situation war eine gänzlich andere: Veth hatte wenige ums-Vierteiler als hölzernes Thesenfernsehen auf den Jahre zuvor den auch international erfolgreichen Mehr- Bildschirm. In vier Teilen sollte, wissenschaftlich-ideo- teiler zum Luther-Jubiläum für das Fernsehen produ- logisch unterlegt, Müntzers visionäre Kraft bewiesen ziert. An diesen Erfolg sollte nun der Müntzer-Film werden, denn, so die Schöpfer, »(k)ommende Jahrhun- anschließen. Es blieb beim Wunsch. Der 1960 in Pirna derte werden unsere Generation beneiden – uns, die geborene Veit Schubert spielt den stark mit Bibel-Zi- wir in dieser Zeit das von Thomas Müntzer ersehnte, taten argumentierenden Thomas Müntzer. von Marx und Engels vorgezeichnete Deutschland des In diesem Sinne ist Veths Müntzer revolutionär: Volkes aus dem Bereich der Träume und Voraussagen Denn erstmals ist der Theologe der dominantere Cha- zur lebendigen Wirklichkeit unserer Deutschen Demo- rakterzug. Zudem bringt Veth einen den Frieden su- kratischen Republik gemacht haben.« chenden Müntzer auf den Bildschirm. Es war in viel- Das Fernsehspiel löst den Anspruch sicher nicht ein, facher Hinsicht eine Produktion des Übergangs. Denn zeigt aber die Traditionsbildung in der DDR und den folgt man den Erinnerungen des Regisseurs, veränder- Wunsch, eine Gesellschaft im Idealzustand zu haben. te sich die Konzeption im Drehprozess, der durch die Chronologisch zeigt es die letzten fünf Jahre im Leben Flucht einiger Darsteller ohnehin aus den Fugen geriet Thomas Müntzers und setzt mehr auf Reden denn auf und durch die realpolitischen Ereignisse plötzlich eine Handlung. Mehr Zeit, mehr Reden, mehr religiöse und ganz andere Revolution der Massen vor Augen hatte. gesellschaftliche Positionen, mehr Personen. Bei aller Thematisch konzentriert sich der Film auf Münt- Thesenhaftigkeit ist doch ein personelles und thema- zers 16 Monate in Allstedt. Historisch korrekt gibt es tisches Panorama der Reformation zu erkennen, auch kein Aufeinandertreffen mit Luther. Den Konflikt trägt nach den Mechanismen der Macht wird gefragt. Luther Müntzer mit Spalatin aus. Die Gründung des Allsted- darf auftreten, in einem direkten Rededuell, themati- ter Bundes wird als Projekt des friedlichen Kampfes siert werden die Folgen der Fürstenpredigt, die Haltun- der Ideen gegen die Herrschenden eingeführt. Auch gen der Fürsten und Herrschaftsmechanismen, auch die Fürstenpredigt soll überzeugen, nicht zum Kampf in Mühlhausen, schließlich die (nicht gezeigte aber provozieren. Aber er kann sich nicht durchsetzen, ihm verlorene) Schlacht und Müntzers Vermächtnis: »Was wird die Flucht aus der Stadt nahegelegt. Ottilie rät ihm, einmal gedacht worden ist, verschwindet nie aus der sein Werk zu vollenden. Der Film endet mit einer Vi- Welt«. Damit wird der visionäre Anspruch zwar mehr sion der Apokalypse: Visionäre Bilder zeigen Müntzer behauptet als eingelöst, aber Müntzer ist immerhin als als weißgekleideten Heilsbringer – in Gefahr? Die neue ein Mann der Religion und nicht als bloßer Sozialre- Perspektive auf den friedlichen Revolutionär Münt- volutionär erkennbar. zer wurde in den Umbrüchen der ostdeutschen Gesell- Zu dieser bloßen Behauptung tritt eine uneinheit- schaft mehr wahrgenommen, eine neue Massenbewe- liche Stilistik. Die mit elektronischer Studiotechnik gung war entstanden. Und: Die Zeit der alten Heiligen in kargen Räumen gedrehten Innenaufnahmen wech- war vergangen. seln mit wenigen Landschaftsbildern, wobei der Film auf Totalen gänzlich verzichtet und mehr zum Kam- Michael Grisko ist promovierter Kultur- und Medien- merspiel wird. An drei Stellen wenden sich die Prota- wissenschaftler und seit 2010 tätig als Stiftungsmanager gonisten des Films direkt an das Publikum und erklä- bei der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen ren, damit es auch der Letzte versteht, ihre Motivation. Spätestens hier wird deutlich, dass es sich weniger um Spielfilmkunst, als um Thesenfernsehen mit staatlich- selbstlegitimatorischen Zügen handelte.

{Müntzer} 25 26 Eingekleidet in andere Gewänder Annika Michalski

s ist ohne Zweifel ein beispielloses sung von Erbe und Tradition identitätsstif- Bauernführer, dessen Kampf gegen Unter- Kunstwerk der jüngeren Kunstge- tend für einen sozialistisch-autonomen Na- drückung fortgeführt werden müsse und schichte: das monumentale Panora- tionalstaat werden. Die 1970er und 1980er der mit dem Schlagwort »Alle Macht dem E magemälde »Frühbürgerliche Revo- Jahre in der DDR waren von tiefgreifenden Volk« zur ideologischen Gründungsfigur der lution in Deutschland«, das heute in einem außen-, innen- und wirtschaftspolitischen DDR firmierte. Rundbau oberhalb der nordthüringischen Veränderungen geprägt, die auch einen kul- Werner Tübke sah sich also bei der Rea- Stadt Bad Frankenhausen auf einer Fläche turpolitischen Wandel auslösten. Da die- lisierung des Auftrags enormen politischen von 1.722 Quadratmetern zu sehen ist. In ser Prozess die allmähliche Auflösung und Erwartungen von Seiten der SED und den mehr als elfjähriger Arbeit, von 1976 bis Unterhöhlung des Sozialistischen Realis- beteiligten Institutionen gegenüber, einen 1987, führte der Leipziger Maler und Grafi- mus einleitete, suchte die SED diese De- »Staatstempel« zur Legitimierung der DDR- ker Werner Tübke den staatlichen Auftrag stabilisierung wiederum durch die Schaf- Identität zu erschaffen. mit Gesamtkosten von mindestens 119 Mil- fung eines gemeinsamen, nationalen Be- Allerdings kehrten sich die Abhängig- lionen Mark der DDR aus. Die Entstehungs- wusstseins auszugleichen und erneut zu keitsverhältnisse um, da Tübke eine Privi- geschichte des Bildes spiegelt die Parado- stärken. In diesem Sinne sollte die Errich- legierung als Voraussetzung der Bewälti- xien des letzten Jahrzehnts der Geschichte tung eines Panoramagebäudes am authen- gung der monumentalen Auftragsarbeit für der DDR in eindrucksvoller Weise wider. Es tischen Ort des letzten Gefechts des Bau- sich beanspruchte. Tatsächlich befand er gelang dem Künstler, das geforderte Thema ernkrieges, dem Schlachtberg bei Franken- sich in einer sehr günstigen Position, da er des Bildes, die Heroisierung der Kämpfe der hausen, auch das bestehende Herrschafts- den Auftrag erst übernahm, nachdem ihn Bauern im Bauernkrieg 1525, in einen auto- system rechtfertigen. der Hallenser Künstler Willi Sitte, der so- nomen Selbstauftrag und die Rotunde des Nach dem Reformationsjubiläum 1967 wjetische Künstlerverband und der Leipzi- Panoramagebäudes in ein privates Kunst- in der DDR, bei dem vor allem Martin Lu- ger Maler Bernhard Heisig abgelehnt hat- museum mit einem überzeitlichen Sinnbild ther und die Reformation im Mittelpunkt ten. Somit half er dem Auftraggeber aus ei- zu verwandeln. Einzelne, auch historische standen, betonte nun eine neue welthis- Persönlichkeiten des Bauernkriegs, darun- torisch-dialektische Interpretation der his- ter der Reformator und Theologe Thomas torischen Ereignisse besonders die »Früh- Das neue Müntzerbild Müntzer, werden zu Selbstbildnissen des bürgerliche Revolution« in der Abfolge der betonte besonders die Künstlers innerhalb des Monumentalbil- Geschichte und die Vereinnahmung des Eigenschaft als revolutio­ des. Sie verwandeln die gewünschte ideo- Ereignisses als Teil des progressiven, hu- logisierte Historie in die persönliche Ge- manistischen Erbes der DDR. War die Fi- närer Bauernführer … schichtsdeutung Tübkes. gur des Theologen Thomas Müntzers in der Das Thema des Bauernkrieges von 1525 bisherigen staatlichen Geschichtsschrei- ner misslichen Lage, wodurch es möglich als »frühbürgerliche Revolution« wur- bung eine Randgestalt, so wurde sie nun war, sehr präzise eigene Bedingungen zu de zum Jubiläum des 450. Jahrestags des im Zuge der Veränderungen zum histori- stellen. Diese Rolle bot zugleich den Ge- Bauernkrieges 1975 in der DDR verstärkt ins schen Helden und »Ahnherr der DDR« sti- winn eines Handlungsspielraums, in dem Zentrum gerückt. Reformation und Bauern- lisiert. Das neue Müntzerbild betonte be- das Panorama zum »entwendeten Auftrag« krieg sollten innerhalb einer neuen Auffas- sonders die Eigenschaft als revolutionärer werden konnte. {Müntzer} 27 Vor der Signierung des Werkvertrags hat- tische Gestalt des Bauernkrieges, die ent- nen künstlerischen Besessenheit lässt sich te Tübke 1975 in einem Brief an Hans-Joa- sprechend der Grundidee des Auftrags be- auch am leidenden Antlitz Thomas Münt- chim Hoffmann, seit 1973 Minister für Kul- sonders als Revolutionär hervorgehoben zers im Panoramagemälde ablesen. tur, die »Bedingungen für die Wandmalerei werden sollte. Zwar rückte der Künstler Für die Auftraggeber war die persönli- Frankenhausen« festgelegt: »Nachdem die Müntzer als führende Persönlichkeit des che Ausdeutung des Themas durch Tübke Vorarbeit bestätigt ist, wird mir freie Hand Bauernkrieges in der Bildkomposition der bis zum Schluss nicht offensichtlich. Das gelassen für die Ausführung, es redet nie- Schlacht betont ins Zentrum und lässt ihn Ende des Auftrags, die Eröffnung des Bau- mand rein. Das Projekt wird von vornherein umgeben vom wirren Kampfgeschehen vor ernkriegspanoramas, ist ein Paradoxon: so angelegt, dass es hochqualifizierte Ma- der ruhigen, freien Fläche einer Frühlings- Am 14. September 1989 wurde der Bau mit lerei wird, persönliche Malerei von mir mit wiese erscheinen, jedoch hält er bereits in einem parteipolitischen Festakt im Rah- allen Möglichkeiten der Überhöhung etc.; Voraussicht des blutigen Endes der Bauern men des Thomas-Müntzer-Jubiläums zu- es wird nicht pädagogisch als Illustration und seines Todes durch Enthauptung die gänglich gemacht. Anwesend war eine De- von Geschichte konzipiert.« Bundschuh-Fahne resigniert gesenkt. Da legation von Parteimitgliedern und – nach kein zeitgenössisches Porträt von Müntzer offiziellen Zahlen – 10.000 Zuschauer auf überliefert ist und lediglich ein Kupferstich dem Marktplatz Bad Frankenhausens. Für Der Daumenmuskel der von Christoph van Sichem von 1608 exis- den plötzlich erkrankten Ersten Staatsse- ­rechten Malerhand riß 1986 tiert, verlieh Tübke dem Antlitz Ähnlich- kretär des Zentralkomitees der SED, Erich keit mit den eigenen Zügen in Form eines Honecker, hielt Kurt Hager die Festanspra- und erzwang nach einer Rollenporträts – eines von insgesamt vier che. Hierbei wiederholte sich die traditi- erfolgreichen Operation Selbstdarstellungen des Künstlers im Bild. onelle Geschichtspropaganda: Die Forde- eine viermonatige Pause. Die Notwendigkeit, das Panorama als rung Müntzers »Die Gewalt soll gegeben Tagebuch zu kreieren, beschrieb Tübke fol- werden dem gemeinen Volk« habe sich seit gendermaßen: »Die Szenen, die entstanden, vier Jahrzehnten in der DDR erfüllt, wobei Auf einer Fläche von 123 Metern Länge und hatten stets einen unmittelbaren Kontakt das Erreichte bewahrt, geschützt und ge- 14 Metern Höhe entfaltet sich im Panora- mit meinem persönlichen Alltag. Wenn mir mehrt werden müsse. Ausgewählte Gäste magemälde ein komplexes, epochales Sinn- nach der Darstellung einer Geisselung zu- nahmen anschließend an der feierlichen bild des 15. und 16. Jahrhunderts, das seine mute war, dann habe ich eine Geisselung Einweihung der Panoramarotunde mit ei- Überzeitlichkeit durch existentielle Allge- gezeichnet, oder eine Versuchung, oder Al- ner Führung durch den Künstler teil. Nach meingültigkeit gewinnt. Tübke strebte die tes Recht – Neues Recht, oder Kampf- oder dieser geisterhaften Inszenierung versank metaphorische Interpretation einer ganzen Liebesszenen usw. Das schien mir wichtig. der Staat wenige Wochen später mit dem Epoche mit allen religiösen, ökonomischen Auf diese Weise wird von Anfang an das ge- Fall der Mauer am 9. November 1989. und geistigen Aspekten der Zeit an sowie samte Bildvorhaben sehr intim mit dem Le- Die tiefe Überzeugung Tübkes, dass die der Formulierung von »seingeschichtli- bensalltag verbunden, das fertige Bild spä- Idee einer Zeit hinter den sich stetig wie- chen Fragen«. In fünf aufeinander bezoge- ter wird fast auch ein Tagebuch sein, ein- derholenden menschlichen Grundmustern nen Bildflächen entwickelte Tübke eine in- gekleidet in andere Gewänder. (...) Das ist zurücktreten müsse, um als Werk unum- haltliche Struktur, die sich symbolisch – in auch eine Vorbedingung dafür, dass man gänglich zu werden – was Tübke anstrebte –, einer ewigen Wiederkehr – an den Jahres- über Jahre mit dem größten Vergnügen entwickelte sich zur künstlerischen Grund- zeiten orientiert. an der Aufgabe arbeitet. Man verwirklicht auffassung und zu einem der wichtigsten Während Martin Luther insgesamt vier ständig sein sehr individuelles Lebensge- Leitgedanken bei der Erschaffung des Pa- Mal im Bild zu finden ist, ist die geringe fühl.« noramabildes. Sichtbar wird, bis heute, die Gewichtung Thomas Müntzers erstaun- Der persönliche Zustand des Malers war Vorstellung von Geschichte als ein fatalisti- lich, der als zentrale ideologische Gestalt während der Ausführung des Gemäldes oft scher Kreislauf ohne Ende, in dem sich all- der Geschichtsrezeption des Bauernkrie- kritisch. Getrennt von der Familie in Leip- gemeinmenschliche Abläufe stetig wieder- ges nur zwei Mal im Bild auftaucht. Da- zig, zwölf Stunden täglich in hellem Schein- holen. Somit bleibt Tübkes Geschichtsbild bei sollte doch besonders der Darstellung werferlicht auf einem hohen, fahrbaren stets aktuell. Und das eigentliche Kunst- des Theologen Thomas Müntzer eine tra- Malgerüst, war Tübke starken Belastungen werk Tübkes, das die DDR zum Selbster- gende Rolle im Panoramabild zukommen. ausgesetzt. Der Daumenmuskel der rechten halt und zur Stabilisierung vorgesehen hat- Beide Figuren, Luther und Müntzer, neh- Malerhand riß 1986 und erzwang nach einer te, rettete sich selbst – durch sich selbst. men an keiner Stelle Bezug miteinander auf erfolgreichen Operation eine viermonati- und widerstreben somit auch der offiziel- ge Pause. In der Rückschau sprach er von Annika Michalski ist wissenschaftliche len Geschichtsdeutung der DDR, die eine einer »bösen, auch einer verrückten Zeit«. Mitarbeiterin der Stiftung Haus der Geschichte Spaltung der reformatorischen Anhänger Später beschrieb er seine Angst, morgens der Bundesrepublik Deutschland, zugleich in zwei Gruppen als historischen Konflikt aufzuwachen und ohne Grund zu sagen, es der Tübke Stiftung Leipzig und dort Mitglied proklamierte. interessiere ihn nicht mehr. In der Konse- im Stiftungsrat Interessanterweise benutzt Tübke viel- quenz dieser eigenen Bedrängungen setz- mehr die historische Figur Thomas Müntzer te er die Arbeit zusätzlich am Wochenen- im Schlachtgeschehen für eigene Zwecke de fort, um das Gemälde in einem großen und verlieh ihm selbstbildnerische Züge. Er Kraftakt abzuschließen. Die Qual der Arbeit personalisierte gerade diese zentrale, poli- und das empfundene Martyrium der eige- 28 {Müntzer} 29 {Calvin}

Theologie Johannes Calvin war ein Reformator der Name zweiten Generation – beeinflusst von Martin Jehan Cauvin, heute im deutschsprachigen Luther, Philipp Melanchthon, Huldrych Raum bekannt unter Johannes Calvin Zwingli und Martin Bucer. Nach seiner Auf- fassung kann der Mensch durch Betrachtung der Natur, Geschichte und seiner selbst einen Geburt & Tod gewissen Grad an Gotteserkenntnis erzielen, * 10. Juli 1509 in Noyon, Frankreich bleibt aber zugleich ein Gott ferner Sünder, † 27. Mai 1564 in Genf, Schweiz der darauf angewiesen ist, dass Gott sich ihm durch sein Wort zu erkennen gibt. Das Leben im Glauben ist nach Calvin geprägt durch Studium Buße, Selbstverleugnung, Gebet und Betrach- Grundstudium der »Sieben freien Künste« tung des zukünftigen Lebens. Zwar ließ Calvin (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arith- – wie auch die anderen Reformatoren – nur metik, Geometrie, Musik und Astronomie), die Taufe und das Abendmahl als Sakramente Rechtswissenschaften­ und Humanistische zu, betonte aber wesentlich deutlicher die Studien Schlichtheit der Kirche, um der Ablenkung bei Schriftlesung, Predigt, Gebet und gemein- samen Singen vorzubeugen. Das gemeinsame Tätigkeit Singen von Kirchenliedern förderte er be- Pfarrer, Reformator und sonders – hauptsächlich in Psalmenform. So Begründer des Calvinismus erschien unter ihm der Genfer Psalter. Calvin setzte sich für die Unabhängigkeit der Kirche von weltlichen Obrigkeiten ein, strebte aber Schriften (Auszug) eine innere Konfession übergreifende Einheit Institutio Christianae religionis (Unterricht der Kirche an. Er praktizierte eine strenge in der christlichen Religion; 1536); 2. Aus- Kirchenzucht, die von den Betroffenen nicht gabe der Institutio und Kommentar zum als Strafe, sondern als Hilfeleistung verstan- Römerbrief (1539); Kleines Traktat über das den werden sollte. Je nach Schwere des Falles Abendmahl (1541); Von der ewigen Erwäh- reichten die Maßnahmen von Ermahnung bis lung Gottes (1551, Druck 1562); Defensio zu Verbannung und Hinrichtung. Genau wie orthodoxae fidei de sacra Trinitate (Vertei- Luther begriff Calvin Arbeit als Dank des Men- digung seines Vorgehens gegen Ketzer; schen für die von Gott in Christus geschenkte 1554); letzte Fassung der Institutio (erste Erlösung und als Dienst am Nächsten. Als sein Dogmatik der Reformation; 1559) Wirkungsfeld sah er ganz Europa. 30 Göttlicher Gesang? Gunter Kennel

artin Luther schrieb mit hoher Wahrscheinlich- phonen, ursprünglich Rahmenstücke des Psalmenvor- keit im Jahr 1523 seine ersten Lieder. Vier davon trags in der Liturgie, wurden zu längeren Liedern um- M finden sich im »Achtliederbuch«, dem ersten geformt. Die aus der Spätantike stammende und im deutschsprachigen Liederbuch der Reformation, dem Mittelalter zur Hochblüte gekommene Hymnusform in dichter Folge weitere Gesangbücher mit noch mehr nach dem sogenannten metrum ambrosianum wurde Luther-Liedern, aber auch solchen von Paul Speratus, durch die Übertragung der lateinischen Urfassungen Johann Walter und anderen folgten. ins Deutsche in den evangelischen Gebrauch überführt. Das Jahr 1523 bzw. die Drucke aus dem Jahre 1524 Ähnliches gilt für die sogenannten Sequenzen und die aus dem Umfeld Luthers werden daher häufig als die Leisen, die die Reformatoren zu mehrstrophigen Lie- Initialzündung evangelischen Singens angesehen und dern umformten bzw. erweiterten. Des Weiteren erhiel- die Versuchung ist groß, Luther als den Erfinder die- ten die Ordinariumsstücke der Messe – also , Glo- ses Singens anzusehen. ria, Credo, und Agnus Dei – deutschsprachige Dem ist aber nicht so. Vielmehr scheint es zu Be- Fassungen oder wurden zu Liedern umgeformt. Hin- ginn der 1520er Jahre in der Luft gelegen zu haben, der sichtlich der Melodien orientierte man sich zum einen neuen Bewegung auch ästhetische Gestalt in Form von an der überkommenen Gregorianik, genauso aber auch Liedern und anderen deutschsprachigen Gesängen zu am Meistergesang und an Formen des Volksgesangs. geben. An dieser Liedproduktion waren von Anfang Das alles war vom Drang beseelt, Teilhabe zu er- an auch andere als Luther und sein Umfeld beteiligt: möglichen, das Volk aktiv am Gottesdienst zu betei- So z. B. Nicolaus Decius in Braunschweig mit seinem ligen, bei Thomas Müntzer und seinen liturgischen Lied »Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr‘«, Thomas Münt- Versuchen genauso wie bei Luther und anderen Re- zer in Allstedt mit diversen Hymnenübertragungen, formatoren. Luther postuliert 1523 in seiner frühen li- Straßburger und Konstanzer Dichter und Melodisten turgischen Schrift »Formula Missae et Communionis« und noch viele andere mehr. Und selbst der Gedanke, paradigmatisch, dass das Volk unter der Messe sänge. durch die Verwendung der Volkssprache den Sinn der Freilich war es noch ein langer Weg, bis die Men- Liedtexte den Menschen systematisch zu erschließen schen auf diese Weise wirklich nennenswert am Got- und ihnen so eine verständige Teilhabe zu ermöglichen, tesdienst aktiv partizipiert haben. Ihnen waren ja zu- ist keine Erfindung Luthers oder anderer deutscher Re- nächst allenfalls die relativ weni- formatoren. Seit dem hohen Mittelalter gab es die we- gen Leisen und andere volkstümli- gen ihres »Kyrieleis«-Abschlusses als Leisen bezeich- che cantiones geläufig. Alles Neue Das alles war vom Drang neten frühen volkssprachlichen Gesänge zu den ho- musste erst einmal gelernt werden. beseelt, Teilhabe zu ermög- hen festen und anderen Gelegenheiten. 1501 hatten die So sind die Gesangbücher des 16. lichen, das Volk aktiv am Böhmischen Brüder ein volkssprachliches Gesangbuch Jahrhunderts – darunter nicht we- auf Tschechisch herausgebracht. Ein deutschsprachi- nige Chorgesangbücher – Kernbe- Gottesdienst zu beteiligen ges Gesangbuch aus dieser besonderen Glaubens- und standteil eines groß angelegten re- Singtradition folgte dann 1531 durch Michael Weiße. ligiösen und musikalischen Bildungsprojektes der Re- Auch vom Material her hat Luther das evangelische formation, in dem die gebildeten und wirtschaftlich Singen nicht neu erfunden. Bei näherem Hinsehen zei- starken Schichten – wer sonst konnte sich ein teures gen sich viele Anknüpfungspunkte in der mittelalterli- gedrucktes Gesangbuch leisten und es auch lesen! – chen kirchlichen Musizierpraxis, die die Reformatoren zum Katalysator wurden. Der Reisebericht des Wolf- für ihre Zwecke aufgreifen konnten und – wenngleich gang Musculus, der die gottesdienstliche Praxis in Ei- sehr unterschiedlich – auch genutzt haben. Gregoriani- senach und Wittenberg im Jahr 1536 beschreibt, belegt, sche Gesänge wurden eingedeutscht, teilweise zu Stro- dass die Gemeinde als Ganze damals nur relativ wenig phenliedern umgeformt. Selbständig gewordene Anti- sang, dafür umso mehr der Chor, der als Schülerchor {Calvin} 31 als erster im normalen Schulunterricht mit den neu- So ist die frühe evangelische Kirchenmusikgeschich- en Liedern in ein- wie in mehrstimmiger Form vertraut te keineswegs monokausal auf Luther zurückzuführen, gemacht wurde. Überhaupt darf man die pädagogische wenngleich die spätere evangelische Kirchenmusikpra- Intention des Singens nicht unterschätzen: Nicht von xis häufig und vor allem Luther mit seiner – auch theo- ungefähr ist es ein in den Vorreden vieler Gesangbü- logischen – Hochschätzung der Musik als Kronzeugen cher und Musiksammlungen seit der Reformationszeit bemüht hat. Historisch gesehen kommt das evange- immer wiederkehrender Gedanke, dass durch die ab- lische Musizieren aus einem dichten Wurzelgeflecht, gedruckten Gesänge die Jugend erzogen werden soll- das seine Nährstoffe aus den mittelalterlichen Formen te, was im Fortgang des Älterwerdens naturgemäß zur zog und mit den Böhmischen Brüdern, mit den »Wit- Folge hatte, dass die Lieder zunehmend in allen Alters- tenbergern« um Luther und Walter und mit der Gen- gruppen der Bevölkerung bekannt wurden. Auf die- fer Tradition mindestens drei unterschiedlich ausge- se Weise konnten sie zum gesicherten Traditionsgut prägte Verknotungen aufweist, aus denen dann viele des evangelischen Glaubens werden, das in den Häu- unterschiedliche Verzweigungen und Weiterführungen sern und den Kirchen gleichermaßen musiziert wurde. entstanden sind – die genauso andere konfessionelle Formen des Singens und Musizierens beeinflusst wie in sich aufgenommen haben. Zwinglis Rolle für die Musik in der Heute ist evangelische Kirchenmusik ein vielfälti- ges Musizieren in aller Freiheit, dessen Spektrum von Kirche ist widersprüchlich. Rückgriffen in die früheste Gregorianik und in die un- terschiedlichsten Musikepochen reicht bis hin zur Aus- einandersetzung mit den zeitgenössischen Formen von Das eben gezeichnete Bild von Kirchenmusik und Sin- Musik zwischen Avantgarde, Rock, Pop, Jazz und World gen und deren gedruckten Grundlagen in der Reforma- Music. Ihr durchgehendes Kennzeichen seit der Refor- tion ist aber nur dann ausgewogen, wenn man auch mation ist, dass sie sich – in welcher Form auch im- Huldrych Zwingli und die von Genf ausgehende refor- mer – intensiv mit der biblischen Botschaft auseinan- mierte Tradition des Singens mitberücksichtigt. dersetzt und dabei nicht den Menschen aus dem Blick Zwinglis Rolle für die Musik in der Kirche ist wi- verliert. Dies vor allem dadurch, dass sie um das eige- dersprüchlich. Auf der einen Seite war er wie Luther ne Singen und Musizieren dieser Menschen bemüht ist. musikalisch hoch gebildet, ein großer Musikliebhaber und selbst Dichter von Liedern. Für den Gottesdienst Gunter Kennel ist Landeskirchenmusikdirektor der Evangeli- hat er sich im Blick auf die Musik und das Singen aber schen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz weitestgehend ablehnend geäußert, vor allem, weil er und Vor­sitzender der Ständigen Konferenz für Kirchenmusik den Verdienstcharakter ablehnte, den die kirchliche in der Evangelischen Kirche in Deutschland Musizierpraxis aus der mittelalterlichen Messtradition mitbrachte. Da er obendrein die Messe abschaffte und durch den Predigtgottesdienst ersetzte, waren ohne- hin die durch die gottesdienstliche Form ermöglichten Gelegenheiten zum Musizieren und Singen verringert. Johannes Calvin war nicht so radikal wie Zwingli und brachte zu seiner Genfer Gemeinde die Art des Psal- mensingens mit, die er als Pfarrer der französischspra- chigen Gemeinde in Straßburg kennengelernt hatte. In Genf wurde diese Art des Singens wegen ihrer bibli- schen Herkunft zur Norm, neben der nur wenige ande- re grundlegende Gesänge bestehen konnten. Die Gen- fer haben dies relativ zügig zum vollständigen Liedpsal- ter ausgebaut. Gesungen wurde einstimmig, wie auch sonst in den Kirchen, wenn die Gemeinde sang. Calvin legte Wert darauf, dass mit Gewicht und Würde gesun- gen wurde, im Bewusstsein der Gegenwart Gottes und seiner Engel, und mit Melodien, die nicht von der hei- ligen Sache ablenken sollten. Die vierstimmigen Fas- sungen dieser Lieder, die Claude Goudimel geschrieben hat, waren ursprünglich wie die Chorgesangbücher der von Wittenberg beeinflussten Tradition für den häus- lichen Gebrauch und die Schule gedacht, also für die Orte, an denen die Menschen die neuen Lieder mit ih- ren Melodien lernen und sich erschließen sollten. Diese Sätze sind erst später in den Gemeindegesang im Got- tesdienst überführt worden. Von Genf aus nahm dieser Psalter seinen Siegeszug in den jeweiligen Landesspra- chen durch alle reformierten Gegenden auf, und diese Form des Psalmensingens ist bis auf den heutigen Tag ein Erkennungszeichen für die reformierte Tradition. 32 Der Genfer Psalter Klaus-Martin Bresgott

ie Wirkmächtigkeit der Musik als Kraftwerk der Reforma- me ist Maßstab aller Nutzung. Damit ist sie genuin protestantisch, tion ist allenthalben bekannt und dokumentiert. Im Mit- reicht aber in der Strenge weit über Martin Luthers Anspruch und telpunkt stehen zu recht Martin Luthers Lieder, die seiner Wahrnehmung der Musik als Seelentrösterin hinaus. Instrumen- D Zeitgenossen und das daraus erwachsene Geflecht Himmel talmusik und zunächst auch Mehrstimmigkeit sind aus dem päd- eröffnender Klangwelten von Johann Walter über Heinrich Schütz, agogisch-liturgischen Rahmen verbannt – Sinn und Form sind auf Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy, Max Reger, ganz eigene Weise verflochten: Einerseits orientiert sich Calvin Hugo Distler und Ernst Pepping bis zu Wolfgang Rihm und Frank allein am Psalter, den er sowohl in die jeweilige Muttersprache Schwemmer. Es ist Teil der Lebensader der europäischen Musik- als auch in ein leicht und gemeinsam repetierbares Versmaß brin- geschichte. Dabei werden oft auch Formen inkorporiert, die sich gen lässt. Andererseits gebietet die betonte Schlichtheit musika- durch souveräne Eigenständigkeit auszeichnen und in der geleb- lischen Ausdrucks eine einfache, dafür umso eingängigere Form: ten Praxis einer ganz eigenen Art zuzuordnen sind. Dazu gehören das Lied. Für beide Formen hat Johannes Calvin kompetente Un- die Lieder der »Böhmischen Brüder« – die Musik der ersten protes- terstützer: Clément Marot, der dem französischen katholischen tantischen Kirche, die bereits 2007 ihr 550. Jubiläum feiern konnte. König Franz I. 1537 30 gereimte Psalm-Dichtungen zueignet, die Einerseits sind bis heute vor allem die Melodien dieser »singenden auf bekannte Chanson-Melodien gesungen werden, macht den Kirche« präsent und in den Gesangbüchern beider großen christ- Anfang. Seine Art lyrischer Verdichtung der Psalmen entspricht lichen Konfessionen vertreten, wie der Osterhymnus »Wir wollen den Vorstellungen Calvins aufs Beste. Théodore de Bèze setzt alle fröhlich sein« – Evangelisches Gesangbuch 100, Katholisches nach dem Tod Maróts dessen Arbeit fort – und 1562 können alle Gotteslob 326. Andererseits hat neben dem viel gesungenen Dich- 150 Psalmen in Genf erscheinen. Der »Genfer Psalter« ist gebo- ter Michael Weiße, der gleichfalls bis heu- ren. Ambrosius Lobwasser stellt zwischen te vor allem mit »Gelobt sei Gott im höchs- 1565 und 1573 die erste deutsche Überset- ten Thron« im Evangelischen Gesangbuch Wie geht dieser Reformator, zung her, die der Dichter-Theologe Matthi- (EG 103) wie im katholischen Gotteslob (GL der selbst kein Musiker ist, as Jorissen später überarbeiten und in ein 328) vertreten ist, auch Jan Amos Comeni- mit Musik um? eleganteres Sprachgewand bringen wird. us, der letzte Bischof der alten Brüder-Uni- Für Johannes Calvin ist die optimale Form tät, etliche Lieder hinterlassen, die Theo- gefunden – jeder und jede kann die Texte dor Gill in den 1980er Jahren mustergültig übersetzt und in Verse schnell und ohne großen Aufwand repetieren; die liedhafte Form gebracht hat. Beide Dichter-Theologen stehen für eine Tradition öffnet die Herzschleuse, ohne durch komplexe musikalische Form der Böhmischen Brüder, die auch in der heutigen gottesdienstli- Milieus auszugrenzen. Dafür sorgen während der Entstehungs- chen Praxis selbstverständlich ihren Platz hat. Hildegard Richter zeit zunächst der Straßburger Kantor Matthias Greiter, später die und Peter Kubath, Kantor-Komponisten der 1722 daraus hervor- Genfer Musiker Loys Bourgeois und Pierre Davantès, auch Maist- gegangenen Herrnhuter Brüdergemeine, sind aktuell beeindru- re Pierre genannt. Aus ihren Melodien wächst eine individuelle ckende Aktivisten dieser klingenden Lebendigkeit. Tradition des »Genfer Psalters«, die einerseits der reformiert-cal- Klingende Reformation in besonderer Vielschichtigkeit ist vinistischen Gottesdienstgestaltung zu einer atmosphärisch ei- der »Genfer Psalter« – Aushängeschild der Ideenwelt Johannes genen Blüte verhalf – allen voran durch Claude Goudimel, später Calvins, dessen religiöses Verständnis nicht nur West- und Mit- auch durch Felix Mendelssohn Bartholdy. teleuropa – insbesondere die Niederlande, Frankreich und die Andererseits eröffnen sie ungeahnt eine neue Form, deren Schweiz – fundamental beeinflusst, sondern auch auf die Musik Fehlen heute undenkbar wäre. Der Utrechter Glockenspieler und nachdrücklich eingewirkt hat. Nicht zuletzt ist aus seinen kla- Flötenvirtuose Jakob van Eyck schrieb exzellente Variationen der ren Vorstellungen, was im Gottesdienst seinen Platz hat und was Psalm-Melodien für Flöte, die er auf den Friedhöfen und Straßen nicht, grundlegend Neues entstanden. Was ist das Besondere am der Stadt spielte. Die Menschen machten sich extra zu ihm auf den Calvinistischen Musikverständnis? Wie geht dieser Reformator, Weg; die Stücke wurden Schlager. Gleiches gelang dem berühm- der selbst kein Musiker ist, mit Musik um? Wie Martin Luther er- ten Organisten Jan Pieterszoon Sweelinck an der Orgel der Oude kennt Johannes Calvin die inwendige Kraft der Musik und sieht ih- Kerk Amsterdam. Das Orgelspiel im Gottesdienst war untersagt – ren Gebrauch als maßgeblich für die Führung und Strukturierung so spielte Sweelinck am Nachmittag und die Leute strömten zu von Gemeinde und Gesellschaft, sodass er ihr konkrete Aufgaben seiner Musik in die Kirche. Damit legten van Eyck, Sweelinck und zuschreibt: Sie ist ein Beitrag zur moralischen Erziehung, dient andere dergestalt und mithilfe der Melodien des »Genfer Psalters« der Stabilisierung der Gesellschaft und fördert gemeinschaftli- den Grundstein für das öffentliche Konzertwesen. che Bindung. Dafür muss sie klare Kriterien erfüllen: Nicht das freie Spiel, nicht die melodische Phantasie, sondern die schlichte, Klaus-Martin Bresgott ist Germanist, Kunsthistoriker und Dirigent. dem Wort unterstellte, reflexive Form eines Sinns in einer Stim- Er arbeitet als Projektmanager im Kulturbüro des Rates der EKD {Calvin} 33 Frau Rugenstein, was ist der Genfer Psalter? Der Genfer Psalter ist das während der auf- regenden Reformationszeit neu entstan- dene evangelische Gesangbuch. Die 150 Die lebendige Psalmengebete der Bibel bilden die Text- grundlage. Man kann die Reformationszeit heute als eine »proaktive Bildungsoffensi- ve« beschreiben: Die Bibel wurde ja theo- logisch neu- oder wiederentdeckt und hat viele Menschen und das Zusammenleben Tradition positiv verändert. Endlich durfte im Got- tesdienst in der je eigenen Sprache gesun- gen und selbst geglaubt werden. Es wur- den enorme Übersetzungsarbeiten geleistet. Die biblischen Psalmen wurden kunstvoll Hildegard übersetzt und in einer unverwechselbaren Art vertont. Sie wurden sofort viel gesun- gen: sowohl in der sich evangelisch beken- nenden, zunehmend verbotenen Kirche in Frankreich, also im Widerstand, als auch in der Freiheit in Genf, in der Stadt der Flücht- Rugenstein linge. So verbreitete sich der »Genfer«-Psal- ter mit den reformatorischen Erkenntnis- im Gespräch mit Theresa Brüheim sen zuerst in Europa, später weltweit.

Was macht für Sie den Genfer Psalter besonders und was unterscheidet ihn von anderen Formen der Kirchenmusik? Mit dem Genfer Psalter kann ich singend beten. Was andere Menschen mit Gott erlebt und auch erlitten haben, wie sie getröstet wurden und wie sie zum Gottvertrauen zu- rückgefunden haben, dafür gibt es die Spra- che der Psalmen. Einige Psalmen gleichen einem ganzen Gottesdienst: Beginnend mit der Anrufung Gottes enthüllt sich durch Lob und Dank auch die Sündenerkenntnis mit der Bitte um Vergebung. Gottes Huld und Treue, das erzählende Erinnern an Gottes Bund mit den Menschen lässt Aufatmen mit neuer Lebensfreude. Mit der guten Aussicht, wie es sein wird, wenn Gott in unserer Mit- te wohnt, senden sich Gott und Menschen am Ende den Segen. In der Reformations- zeit entdeckten viele Menschen den bib- lischen, selbstbewussten Glauben neu. So entstand das Bedürfnis, singend den eige- nen Glauben weiter zu schulen und zu stär- ken. Neben dankbaren Halleluja-Psalmen gibt es auch traurige Klagepsalmen aus der Perspektive von schwer erschütternden Le- benslagen. Diese Gebetsfülle wurde über- setzt und gut singbar gemacht. Das macht den Genfer Psalter so besonders. Orthodo- xe und katholische Kirchen pflegen in ih- rer ganz anderen liturgischen Art auch ei- nen Psalmengesang. Beim Genfer Psalter kommt das in verständlicher Sprache Er- zählende, Prozesshafte, Seelebegleitende und Kraftgebende eines ganzen Psalms be- sonders zum Ausdruck.

34 Wenn man einen Blick zurück in Wie relevant ist diese Bedeutung Die Texte der Psalmen sind oft die Reformationszeit wirft, wie revo­ heute? Hat sie sich über die Jahre 3.000 Jahre alt. Moderne evangelische lutionär war es damals, Psalmen zu transformiert, verändert? Kirchenlieder sind bei weitem nicht ver­tonen, die alle mitsingen dürfen? Uns geht es vergleichsweise gut. Wir sind so alt. Wie machen Sie die Inhalte der Die rasche Verbreitung zeigt, wie revoluti- keine Märtyrer. Wir haben Verantwortung Gemeinde begreifbar? onär der Genfer Psalter war. Psalmen sind zu übernehmen. Aber brauchen wir nicht Das ist nicht schwer. Psalmen sind zeitun- vielleicht der Gospelmusik vergleichbar als auch Befreiungslieder? Frieden, sozia- abhängige Gebete zu Themen von Tod und kraftvolle, eingängige Gesänge von Unter- le Gerechtigkeit, eine faire Gesellschafts- Leben, Gut und Böse, Sehnsucht nach Ge- drückten, die den Verheißungen der Bibel ordnung: Nichts ist mehr selbstverständ- rechtigkeit, nach Heilung. Die Welt möge glauben. Man denke an das berühmte Lied lich, sondern verletzlich und wertvoll. Die sich so verwandeln, dass Gott die Ehre ge- »When Israel was in Egypt's land, let my Heilung der Seele brauchen alle Menschen. geben wird und alle Menschen Freude ha- people go«. Oft besingen Psalmen Befrei- Ohne Gott sind wir verloren in der gottfer- ben. Gott wird mitten unter uns in der Welt ungsgeschichten: Gott wird uns retten. In nen, so fremdbestimmten Alltagswelt. Un- erwartet. Das wird in den Psalmen sehr di- Paris sangen eingesperrte, evangelische sere Gemeinde hat in einer sehr traurigen rekt und berührend angesprochen. Jesus Christen im Gefängnis so laut und klar die Situation die Psalmen wiederentdeckt. Eine kannte alle Psalmen. Sie sind ja älter als frisch getexteten, neu vertonten biblischen junge Frau, Mutter von zwei kleinen Kin- die Kirchengeschichte. Die Glaubenslieder Psalmen, dass die verantwortlichen Macht- dern, hatte nach einer schockierenden Di- der letzten Jahrhunderte haben teilweise habenden im Königshaus nervös wurden. agnose nur noch eine kurze Lebenszeit vor Texte, die ein theologisches Wissen vor- Bereits zum Tode verurteilte Märtyrer san- sich. Sie entdeckte den Psalm 6: »Um dei- aussetzen, religiöse Gefühle oder eine be- gen in Frankreich wie Jesus am Kreuz auch ner Güte willen / und dein Wort zu erfüllen stimmte Frömmigkeit ansprechen, die aber noch auf dem Scheiterhaufen diese Psal- / rett mich aus meiner Not. / Bin ich von dir heute nicht mehr jeder versteht. Die Psal- men. Weil die Texte unter anderem so sehr geschieden, / finde ich keinen Frieden. / Wer men sind viel älter und frei davon. Psalmen politisch waren, wurden den Märtyrern die lobt dich noch im Tod? / Vor Kummer und sprechen mit ihren 3.000 Jahre alten Tex- Zungen abgeschnitten, damit man die re- vor Sehnen / netz ich mein Bett mit Tränen ten eine weisheitliche Sprache. volutionären Texte nicht mehr verstehen / und seufze jede Nacht. / Heil mich, daß ich konnte. Aber auch ohne Text waren damals genese, / aus allem mich erlöse, / was mich Ihre Gemeinde hat den Genfer Psalter die Melodien für Feinde der Reformation hat krankgemacht.« In dieser schweren Zeit wiederentdeckt. Gibt es Bestrebungen, eine Provokation. lernten wir den ersten alten Psalm neu ken- sie auch anderen reformierten nen. Wir entdeckten weitere Psalmen, die Gemeinden wieder nahezubringen? Welche Bedeutung kam den Psalmen trösteten, zuerst die Todkranke und dann In den meisten reformierten Gemeinden damals zu: Befreiungsschlag und viel- auch uns. Das waren nicht nur Klagepsal- hat der Psalmengesang wohl gar keinen leicht noch mehr? men. Auch den so kraftvollen, frohen, ver- Traditionsabbruch erlebt. Wir sind durch Psalmen kennen bedrückende Lebensla- heißungsvollen Psalm 146 entdeckte die die Wiederentdeckung sehr motiviert, die- gen, Gefahren, Verunsicherungen: Wo ist Frau für uns: »Er ist's, der den Fremdling sen großen Schatz weiter auszugraben und Gott? Jesus betete Psalm 22: »Mein Gott, schützet / und die Witwe schirmt im Land, suchen mit anderen Gemeinden den Aus- mein Gott, warum hast Du mich verlas- / der die Waisen unterstützet, / ja, sie führt tausch darüber. sen?«. Psalmen bekennen Gottes Nahe- an seiner Hand.« Da wird eine großartige, sein trotz Gottes Ferne, beides, wie so oft umsichtige Fürsorge besungen. Müssen Anfänger beim Psalmen- in der Bibel, in dialektischer Art. Vergesse- singen etwas beachten? ne werden mit Aufmerksamkeit bedacht: Wie ging es nach der Wiederent­ Die Grundregeln sind recht einfach. Wir Witwen, Waisen, Fremdlinge; heute sa- deckung weiter? Wie werden empfehlen, Psalmen im relativ flotten Tem- gen wir: Geflüchtete, sozial Benachteilig- die Psalmengesänge heute in Ihrer po einzuüben, weil sich die Melodieland- te. Psalmen erwecken Mitgefühl und schu- Gemeinde praktiziert? schaft dann wie ein Ohrwurm schnell ein- len das Gerechtigkeitsdenken. Zeitlos wird Wer singt, betet doppelt, besagt eine alte prägt. Ein angemessenes Singtempo ergibt thematisiert: Reichtum verpflichtet, Herr- Weisheit. Wir singen sonntags den Wochen- sich später mit dem Verstehen der Texte scher und Verantwortliche haben sich zu psalm mit allen Strophen, das können drei wie von selbst. Als Notenlänge gibt es nur kümmern. Der Blick wird auf Benachteilig- oder auch mal mehr als 13 Strophen sein. kurze und lange Noten. Eine Zeile beginnt te gelenkt. Gottes Treue und Fürsorge wer- Einige Psalmenmelodien sind aus dem all- mit einer langen Note; so kann ein Vorsän- den dankbar und erwartungsvoll besungen: gemeinen Teil des Evangelischen Gesang- ger einladend anstimmen und alle können »Du verlässt die Deinen nicht, / die zu Dir buchs bekannt. Weniger bekannte Melodien gut mit einstimmen. Der Tonumfang von die Zuflucht nehmen.« schicken wir mit der Einladung zum Gottes- hohen bis zu tiefen Tönen ist auf ein für dienst vorab per E-Mail. Den Wochenpsalm alle singbares Maß begrenzt. Jede Zeile hat singen wir stehend, einstimmig und ohne eine eigene bewegende Melodie. Ab und an instrumentale Begleitung in Erinnerung gibt es aufmunternde, schwungbringende an die Entstehungszeit des Genfer Psalters. Synkopen. Am Ende der Zeile darf es jeweils Darüber hinaus hat sich der Gemeindechor eine kleine Besinnungspause geben. Stren- auf das Singen von ausdrucksstarken, sehr ge Taktstriche, die beachtet werden müss- schönen vier- und fünfstimmigen Sätzen ten, gibt es gar nicht – auch das zeigt, wie des Genfer Psalters spezialisiert, die Melo- einladend, zeitlos und gemeinschaftsför- diestimme singt dabei oft der Tenor. dernd der Genfer Psalter komponiert wurde.

Hildegard Rugenstein ist Pastorin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, der Französisch-reformierten Gemeinde Potsdam und der Kirchengemeinde Bergholz bei Pasewalk. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur {Calvin} 35 achdem Ludwig der XIV. am 18. Oktober tische Forschungsstätte. Das Erdgeschoss beherbergt 1685 mit dem Edikt von Fontainebleau das das 1935 gegründete Hugenottenmuseum. Dieses wird 1598 durch Heinrich IV. erlassene Edikt von ab Juli 2017 für mehrere Jahre wegen einer Innensani- Nantes aufgehoben hatte, entschlossen sich, erung geschlossen und soll danach die Hugenottenge- trotz harter Strafandrohungen, tausende schichte in neuem Design präsentieren. Gleich in der N reformierter Protestanten, die Calvinisten, Nachbarschaft steht die von Schinkel erbaute Kirche ihre Heimat zu verlassen und in einem anderen euro- Friedrichswerder. Sie diente bis 1841 als Simultankirche. päischen Land, das sich zur Aufnahme der Flüchtlinge Lutheraner und französisch-reformierte Gemeinden bereit erklärte, eine neue Heimat zu suchen. Es war die teilten sich die Kirche. Dieses Simultaneum ist heu- erste globale Fluchtbewegung aus religiösen Gründen. te noch an den Portalen der Kirche sichtbar. Die Por- Anreize, die Flucht zu wagen, waren in der Regel Ein- tale selbst sind absolut identisch. Über dem Südpor- ladungsedikte wie das Edikt von Potsdam vom 29. Ok- tal – dem lutherischen Eingang – schwebt der Erzen- tober 1685. Es verband wirtschaftliche Zugeständnis- gel Michael, aber über dem reformierten Eingang an se mit freier Religionsausübung. Die Réfugiés und ihre der Spreeseite fehlt die Engelsfigur. Die Schlosskir- Nachkommen werden heute als Hugenotten bezeichnet. che in Berlin-Köpenick wird nach wie vor von der re- Der ursprünglich wohl negative Begriff – Hugenotte – formierten Gemeinde genutzt. In Potsdam ist die klei- ist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zum positiven ne, durch Friedrich II. erbaute französisch-reformierte Begriff geworden. Wir verbinden damit die gelunge- Kirche am Bassinplatz die Predigtstätte der Gemeinde. ne Akkulturation der Réfugiés, verbunden mit Kultur- In Schwedt hingegen wird die ehemalige Schlosskirche transfer. Es ist wichtig festzuhalten, dass die Hugenot- von der dortigen Gemeinde nur noch an hohen Fei- ten keine homogene, sondern eine höchst heterogene Gruppe – Franzosen, Waldenser, Schweizer, Wallonen usw. – waren. Der zusammenhaltende Kitt war die ge- Der zusammenhaltende Kitt meinsame Sprache und der Glaube. Begeben wir uns auf eine kleine Spurensuche in Berlin und Brandenburg. war die gemeinsame Sprache Die wohl sichtbarsten Spuren der Hugenotten sind und der Glaube. in den Städten, in denen sich Hugenottengemeinden bildeten, die Kirchen (in den Dörfern wurden vorhan- dene Kirchen übernommen) sowie die Form des Got- ertagen genutzt. Die Johanneskirche in Brandenburg tesdienstes. Die Kirchen der reformierten Gemeinden an der Havel ist dank der Landesgartenschau wieder haben keinen Altar, sondern den schlichten Abend- so hergestellt worden, dass die reformierte Gemeinde mahlstisch mit der Bibel darauf. Im Gottesdienst wer- sie für Gottesdienste nutzen kann. In den uckermärki- den sonntäglich die zehn Gebote und eine Frage aus schen Dörfern Groß und Klein Ziethen sowie in Berg- dem Heidelberger Katechismus verlesen. Neben dem holz bei Löcknitz nutzen die Gemeinden ihre vor über Psalmengesang und den Bibellesungen steht die Pre- 300 Jahren übertragenen Kirchen nach wie vor und digt im Mittelpunkt des Gottesdienstes. auch in Angermünde wird die kleine Kapelle von der Die Französische Friedrichstadtkirche, erbaut 1701 dortigen Gemeinde genutzt. Die Nutzung der Kirchen bis 1705, wird noch heute von der Französischen Kirche zeugt noch nach über 300 Jahren von lebendigen Fran- zu Berlin als Predigtstätte genutzt. An die Kirche ist der zösisch-reformierten Gemeinden, deren Predigtspra- Französische Dom 80 Jahre später angebaut worden. che allerdings heute deutsch ist – außer am Gendar- In ihm befindet sich das Archiv des reformierten Kir- menmarkt, wo seit 1994 auch die französische Sprache chenkreises sowie die wertvolle Bibliothek als hugenot- wieder eine Heimat gefunden hat. Preußens Adoptivkinder Robert Violet 36 Im ländlichen Raum und in den kleineren Gemeinden Die weniger sichtbaren Spuren sind zwischen Akten- sind zudem als sichtbare Spuren die Familiennamen und Buchdeckeln, aber auch in Museen verborgen. Die der Einwanderer noch überall an den Klingelschildern Akten des Geheimen Staatsarchivs in Berlin, der Fran- zu lesen. Als in den 1990er Jahren im Berliner Orts- zösischen Kirche zu Berlin, der Akademie der Wissen- teil Französisch-Buchholz ein neuer Stadtteil erbaut schaften und der Künste bergen noch immer große Ge- wurde, bekamen die neuen Straßen die Namen der heimnisse zur Hugenottengeschichte, die es zu lüften zugewanderten Hugenottenfamilien, also von Bauern gilt. So ist z. B. die Frage zu klären, inwieweit die hu- und Handwerkern. Berlin hat aber noch mehr zu bie- genottischen Juristen Einfluss auf die Sonderrechte ten. So werden von der Französischen Kirche zu Berlin der Réfugiés gegenüber dem Großen Kurfürsten bzw. drei Friedhöfe unterhalten, auf denen viele berühm- seinen Nachfolgern und Räten genommen haben, die te Persönlichkeiten der Réfugiés bestattet wurden. In bis 1809 Bestand hatten. In fast jedem Museum in Ber- der Liesenstraße sind z. B. Theodor Fontane und seine lin finden sich Spuren von Hugenottennachkommen – Frau begraben. Dort gibt es eine Fontanegedenkstät- von Malern, Bildhauern, Architekten, Wissenschaftlern te in der ehemaligen Kapelle. Auf dem Friedhof in der usw. Erinnert sei hier exemplarisch an die Brüder Hum- Chausseestraße 127 fanden viele berühmte Berliner boldt, den Ägyptologen Adolf Erman oder den Bildhau- der Hugenottengemeinde ihre letzte Ruhestätte. Der er Emanuel Bardou, der das von Daniel Chodowiecki Besucher findet dort z. B. das Grab des Staatsministers entworfene Bildprogramm am Französischen Dom in Jean Pierre Frédéric Ancillon, des Kupferstechers Da- Stein gehauen hat. Aber auch im täglichen Leben fin- niel Chodowiecki, der Eisenwarenfabrikanten Ravené den sich Spuren der Réfugiés wieder. Carl Franz Achard und vieler anderer. Nicht zu vergessen das ehemalige haben wir den Rübenzucker zu verdanken. Urberliner Gelände der sozialen Einrichtungen in der Friedrich- und Brandenburger Produkte wie Boulette, Spargel straße 129. Nicht alle sozialen Einrichtungen der Ge- oder Bohnen sind Mitbringsel der Réfugiés. Die wich- meinde waren dort angesiedelt, aber eine große Zahl. tigste Spur hingegen ist das nach wie vor lebendige Am Eingang steht ein Denkmal – der Pelikan nährt sei- kirchliche Leben in den alten Hugenottengemeinden. ne Jungen mit seinem Herzblut – und die Bewohner des Sie sind herzlichst eingeladen. Grundstücks haben ein wunderbares Wandbild anbrin- gen lassen, was auf die hugenottische Geschichte ver- Robert Violet leitet Archiv, Bibliothek und weist. Die einzige Bildungseinrichtung, die seit mehr Hugenottenmuseum in Berlin als 300 Jahren in Berlin besteht, ist das 1689 gegründe- te Französische Gymnasium in der Derfflinger Straße. Die Schule ist bis heute ein wichtiges Bindeglied zwi- schen Berlin und Frankreich. Die Gründung des Kran- kenhauses Berlin-Friedrichshain in 1874 geht auf ein Legat des Bäckermeisters Jean Jaques Fasquel zurück – eine Gedenktafel erinnert daran. Aber Achtung: Nicht alles, was in Berlin französisch klingt, hat mit Hugenotten zu tun. Die Charité, deren Grundstück an die Friedrichstraße 129 grenzt, war ein 1709 erbautes Pesthaus und erhielt lediglich den Na- men »Barmherzigkeit«. Und auch in der Uckermark gibt es eine Stätte, die in die Irre führt: In Schwedt wurde ein Hugenottenpark eingerichtet, der nicht zu den al- ten Spuren zählt, aber eine sehr schöne Idee zur Bele- bung der Region ist.

{Calvin} 37 38 Reformierter Kirchen- bau und die Huge­ notten in Spitalfields Riccarda Cappeller

eim Betreten einer Kirche erkennt man ihre Botschaft sollten – anders als in der Ka- Gottesdienstes. Die Diskussion um die Bau- oft sehr schnell, welcher Religionsge- tholischen Kirche, wo dieses Recht nur eini- form wurde stark von Otto H. Senn und sei- B meinschaft der Raum gewidmet wur- gen Wenigen vorbehalten war – der breiten nen Studien zu Kirchenräumen von Luthe- de. Mit der Katholischen Kirche verbindet Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. ranern und Hugenotten beeinflusst. man Prunk, große, aussagekräftige Gebäu- Allgemein steht beim reformierten Kir- Mit der Bezeichnung »Hugenotten« wer- de und viel Raumschmuck, während eine chenbau das Versammeln im Vordergrund. den Anhänger des calvinistischen Glaubens, protestantische Kirche eher zurückhal- Die Kirchräume sind als Gemeinschaftsräu- Protestanten in Frankreich, benannt. Man tend, schlicht wirkt. Im Gegensatz zur his- me gedacht, die das Miteinander erlebbar vermutet, dass dieser Name aus einer Ver- torischen Entwicklung katholischer Sakral- machen und nicht nur Raum für den Glau- bindung zum schweizerischen Wort »Eidge- bauten wurde im von der Reformation ge- ben, sondern gleichzeitig für Veranstaltun- nossen« hervorgeht. Die Kirchen der Huge- prägten Kirchenbau keine kontinuierliche gen, Lesungen und Konzerte schaffen. Für notten sind schlichte, fast karge Räume, in Entwicklungsgeschichte oder Prinzipien der die flexible Gestaltung werden keine kirch- denen sonst typisch »kirchliche Gegenstän- architektonischen Konzeption des Kirch- typischen Bänke frontaler Ausrichtung ver- de« wie Kerzen, Kreuze, ein Altar, der Kru- raums festgelegt. Es ist daher schwierig, die wendet, sondern Stühle, die um die Kanzel zifix oder Bilder vermieden werden, da sie baulichen Merkmale der reformierten Kir- und den Abendmahlstisch herum stehen an Zeiten der Verfolgung erinnern. che im Zusammenhang mit ihrer Verände- und Wort sowie Abendmahl zum zentra- rung und ihren Unterschieden zu der evan- len Blick- und Mittelpunkt des Gottesdiens- gelisch-lutherischen Kirche und anderen tes machen. Zwischen Akzeptanz und Reformbewegungen zu betrachten. Martin Die intensivsten Bauphasen der refor- Anerkennung stieß man Luther stieß zwar 1517 mit den 95 Thesen mierten Kirche zeigen vorrangig neoklas- an der Schlosskirche zu Wittenberg offiziell sizistische Stilelemente. Die Nutzung der hier wiederholt auf großen die Reformationsbewegung an, doch auch Räume wurde sehr flexibel gehandhabt Widerstand. die Schweizer Huldrych Zwingli und Johan- und so führte die Kombination aus Bühne nes Calvin waren Wegbereiter von ähnlich für Werktage und Kanzel für den Sonntag starkem Einfluss. zu zweckbetonten Raumatmosphären. Bis Im Folgenden steht die reformierte Kir- Mitte des 16. Jahrhunderts begann man kurz nach dem Zweiten Weltkrieg stand das che Frankreichs im Fokus, da es das ein- sich in Europa gegen die damals mächtige, Längsschiff als Kirchform noch im Vorder- zige Land war, in dem die Reformbewe- wohlhabende und exklusive Institution der grund, später entwickelte sich der Zentral- gungen ganze zwei Jahrhunderte andau- katholischen Kirche zu stellen. Die Bibel und raum vermehrt zum Raum des reformierten erten. Zwischen Akzeptanz und Anerken- {Calvin} 39 nung stieß man hier wiederholt auf großen staltungsweise, an der die Hugenotten fest- in Großbritannien Geld machen und an- Widerstand. Zu toleranten Zeiten durften hielten. Später war Karl Friedrich Schin- schließend wieder zurückkehren. Viele der die Protestanten in Frankreich fünf Kilo- kel für die Entwicklung eines neuen Inte- Bauten in Spitalfields, vor allem aber die meter außerhalb der Stadt ihre Kirchen rieurs zuständig. Der Raum orientiert sich Kirchen, haben über diesen Nutzerwech- bauen, jedoch keine Glocken oder Türme auf die leere Mitte, das Heiligtum, was eher sel hinweg einen Wandel erfahren, der in anbringen. Ihre Gotteshäuser durften au- der Ausrichtung einer Synagoge, als den weniger flexiblen und nicht so sehr auf ßerdem nicht als Kirche, »eglise«, bezeich- katholischen und lutheranischen Altarkir- Gemeinschaft ausgerichteten Gebäuden net werden. Noch heute wird der aus dieser chen gleicht. Die zentral statt seitlich ver- nicht hätte geschehen können. »Hanbury Zeit stammende Begriff »temple« für pro- setzte Kanzel verdeutlicht die Bedeutung Hall« ist zu einem Kaffeehaus mit Bühne testantische Gotteshäuser, auch außerhalb der Predigt als bereits erwähnten Mittel- und Projektionsfläche für Veranstaltungen Frankreichs, verwendet. Acht Kriege fanden punkt des reformierten Gottesdienstes. geworden – an der Empore, der Eingangs- während der Auseinandersetzung zwischen Eines der Hauptziele der Hugenotten, die situation und der Ausrichtung des Raums Krone und der Partei der Guise sowie den Mitte des 16. und Ende des 17. Jahrhunderts kann man heute noch seine ursprüngliche Hugenotten statt. Frankreich in zwei großen Auswanderungs- Funktion erkennen. Die bereits erwähnte wellen verließen, war Großbritannien. »L’eglise d’hopital« wird heute als Moschee Die Hugenotten als Teil der In verschiedenen Handelszweigen invol- genutzt. Das Gebäude sieht der einstigen viert, blieb der wichtigste die Seidenwebe- Kirche noch sehr ähnlich, hat aber ein sil- reformierten Kirche schufen rei. Durch einige Handelsbegünstigungen bern glänzendes Minarett erhalten. Zwei hier die Grundvorausset­ konnte Großbritannien viele überzeugen, weitere Kirchen der Hugenotten wurden zungen für eine sozial gut die Textil- und Seidenmanufaktur vor Ort zu Synagogen umfunktioniert und ver- mit zu entwickeln, was später den Import vollständigen das Bild eines Viertels, das vernetzte Gesellschaft. aus Frankreich stagnieren ließ. Im Stadt- von der Religion als einem zentralen Fak- teil »Spitalfields« in London hatten sich be- tor der Migrationserfahrung geprägt wurde. Die erste offizielle Grundlage der Fran- reits sehr früh einige der Hugenotten nie- Die Hugenotten als Teil der reformierten zösisch-reformierten Kirche schuf Hein- dergelassen und so wurde das Gebiet zum Kirche schufen hier die Grundvorausset- rich der IV. 1598 mit dem Edikt von Nantes. neuen Wohn- und Arbeitsraum der Seiden- zungen für eine sozial gut vernetzte Gesell- Es ließ ein relativ unbedrohtes Leben und manufaktur. Die eindrücklichsten Gebäu- schaft. Interessant ist, dass dieselben bau- eine in Grenzen ausgelebte Religionsfrei- de, die als Wohnhäuser der Seidenhändler lichen Strukturen – ob Kirche, Wohnhaus, heit zu. Nach seinem Tod 1610 wurde diese und Masterweber gebaut wurden, sind nicht öffentlicher Raum oder Gewerbe – der Ver- Regelung im Edikt von Fontainebleau auf- mehr vorhanden. Dafür prägen die früh- schiedenartigkeit der Bevölkerungsgrup- gehoben und die Hugenotten gezielt ver- gregorianischen Wohnhäuser, die nach ei- pen und ihren Glaubensrichtungen Parole folgt. Obwohl ihnen die Ausreise verwehrt niger Zeit auch von Gewerben angemietet bieten konnten und dies noch immer tun, war, schafften es viele, ihr Heimatland zu wurden, noch immer das Stadtbild. wenn nicht die neuen Investoren des Ge- verlassen und in die Schweiz, in die Nie- Als die Hugenotten nach Spitalfields ka- bietes beschließen, Bestehendes nur noch derlande, nach Deutschland, nach Groß- men, errichteten sie neun Kirchen, die un- als Fassade beizubehalten und die Räume britannien sowie nach Südafrika auszu- tereinander gut vernetzt waren. Die be- zu überformen, wie dies an der Grenze zum wandern. Mithilfe wirtschaftlicher Kon- kannteste »l’Eglise protestante« empfing Stadtkern bereits geschieht. takte, ehemaliger Landsleute und den bereits die erste Welle der Einwanderer protestantischen Gemeinden konnten die und wurde zunächst durch einen Holzbau Riccarda Cappeller ist freie Architektur- Hugenotten, damals die leistungsfähigs- »L’eglise d’hopital« erweitert. Die Anzahl journalistin mit Fokus auf Projekte mit sozialem te Schicht der Gesellschaft, schnell Fuß der Kirchen in diesem Teil der Stadt, deren Hintergrund und neuen Nutzungsformen fassen und die Wirtschaft und Kultur der Bau vermutlich in keinem anderen Landes- Länder, in die sie emigrierten, fördern. Die teil möglich gewesen wäre, zeigt, wie groß Lehre Johannes Calvins als Grundlage der die französische Gemeinde seinerzeit war. französischen Reformation ist heute auch Ohne auf die Kirchen im Einzelnen einzu- in der deutschen Kultur stark verankert. gehen, ist auch hier das Konzept des refor- Ein gutes Beispiel für den reformierten mierten Kirchenbaus, nämlich den Raum Kirchenbau zeigt der Bau der Französisch- als Versammlungsort, nicht als reinen Got- reformierten Gemeinde in Potsdam, die tesraum zu betrachten, wiederzuentdecken. vor über 300 Jahren von Hugenotten ge- Dies ermöglichte eine kontinuierliche An- gründet wurde. Das »temple« ist ein hel- passung der Kirchen an die Veränderun- ler, ovaler Bau mit toskanischem Giebel- gen und wechselnde Bewohnerschaft des portikus und klaren Fenstern, ohne Bilder Stadtviertels. – ein kleines römisches Pantheon. Der Bau Nach den Hugenotten, die aufgrund ih- wurde zwischen 1751 und 1753 explizit für rer Religion ein neues zu Hause suchten, diese Gemeinde von dem preußischen Ar- war Spitalfields ein jüdisches Viertel. Die chitekten Georg Wenzeslaus von Knobels- osteuropäischen Immigranten versprachen dorff, der auch Sanssouci plante, entworfen es sich, hier eine sichere ökonomische Zu- und umgesetzt. Deutlich sichtbar ist hier kunft zu finden. Die nächste Bewohner- die nüchterne, klassizistisch-barocke Ge- schaft kam aus Bangladesch. Sie wollten 40 Fülle aus Negation — Die Paradoxie der reformatorischen Bildkritik Horst Bredekamp

lle monotheistischen Religionen haben dem an- Die strukturale Bildfeindlichkeit des monotheistischen tiken Kontinuum von der Materie über die Form Christentums hat zu einer unvergleichlich reichen und bis zur Götterwelt opponiert. Gott transzendiert sich des inneren Widerspruchs bewussten Bildproduk- A die Welt, die er geschaffen hat; er kann in ihr tion geführt, und dies gilt insbesondere auch für den selbst nicht dargestellt werden, ohne dass er auf un- Protestantismus und dessen durch Jan Hus ausgelösten zulängliche Weise herabgesetzt wird. Jede Verbildli- Vorläufer. In der Hussitenbewegung waren alle Phäno- chung ist Gotteslästerei. Das Alte Testament nennt die- mene vorgezeichnet, die sich im Zuge der protestanti- se Bestimmung nach dem Fremdgötterverbot als zwei- schen Bewegungen äußerten: Negation von Bild und tes der zehn Gebote. Das frühe Christentum hat sich in Materie im Sinne eines radikalen Verständnisses einer diesem Punkt nicht nur als die Fortsetzung und Erfül- für alle Lebensbereiche gültigen Spiritualität. lung des jüdischen Glaubens erwiesen, sondern gleich- Im Anblick der hierbei vollzogenen Angriffe auf re- sam als dessen Vollstrecker; so heißt es in der Apostel- ligiöse Bildwerke wurde von ausländischen Bericht- geschichte des Lukas: »Da wir also Gottes Geschlecht erstattern entsetzt festgehalten, dass an den Bildern sind, dürfen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich Strafen exekutiert wurden, »als ob jene glaubten, sie Gold und Silber oder Stein, einem Gebilde menschli- träfen lebendige Menschen.« Dabei kam es, wie z. B. bei cher Kunst und Überlegung.« Ähnliche Bestimmungen, dem abgeschlagenen Gesicht einer Muttergottesfigur, wiewohl von Beginn an bis heute umstritten, galten im zu bemerkenswerten, abstrakt wirkenden Bildungen, Islam. Wenn das nachantike Europa vor allem durch die in einer Art Materialheiligkeit die Ziele der Iko- das Christentum, markant auch durch das Judentum noklasten zu unterlaufen schienen. Das zerstörte Bild und zumindest über Spanien auch durch den Islam ge- wurde zur besonders sprechenden »imago«, die an die prägt wurde, dann bildet dieser Kontinent das Ensem- Stelle der bildrhetorischen Überzeugung das Prinzip ble der drei im Ursprung bildfeindlichen Weltreligio- der im Bild bezeugten Bildlosigkeit setzte. Der Zug zur nen. Aber nicht hierin liegt die Besonderheit Europas, bildinternen Reflexion der Berechtigung des Bildes, zur sondern in der Paradoxie, dass aus dieser bildfeindli- formimmanenten Darlegung des Status des Bildes und chen Grunddisposition eine Bildkultur entstanden ist, zur Abstraktion war damit angelegt. die sich wegen dieser Ausgangslage entfaltete. Das Zu- Die unnachahmliche Produktivität dieses Wider- sammenspiel von Bildkritik, Ikonoklasmus und Form- spruchs ist durch alle Varianten des Protestantismus werdung hat sich mit einer unbändigen Bildschöpfung ausgelebt worden. Die Ereignisse in Böhmen waren das der Negation widersetzt, um durch diesen antipodi- Vorspiel zu den Vorgängen der Reformation, wie sie An- schen Prozess das Denken in Gegensätzen und Distan- dreas Bodenstein, genannt Karlstadt, begründete und zen sichtbar in die Welt zu bringen. Alle Denkformen, inszenierte. Am 24. Januar 1522 forderte er in Witten- die nicht von der Bejahung, sondern der Infragestel- berg die Entfernung aller Bilder. In seiner Wittenber- lung ihrer selbst ausgehen, um hieraus eine unnach- ger Ordnung heißt es: »Auch die Bilder und Altäre in ahmliche begriffliche Dynamik zu erzeugen, sind von den Kirchen sollen abgetan werden, damit die Abgöt- dieser Grunddisposition berührt. terei vermieden wird.« {Calvin} 41 Karlstadt war bestürzt, dass Luther auf die Nachricht Zeit blicken, dann wäre er mit einer neuen Form der von den Ereignissen in Wittenberg hin sofort in die Unmittelbarkeit konfrontiert, die sich nicht als An- Stadt zurückkehrte, um den Bildersturm ebenso scharf betung von Bildern, sondern als Minderung des Zwi- zu kritisieren wie die Bildgläubigkeit. Dies war ein bild- schenraums von Bild und Körper äußert. theologischer Wendepunkt. Luther nahm die Bilder in Die prekärste Seite der Verschmelzung von Körper Schutz, weil er diesen nicht zugestehen wollte, was die und Bild begleitet die weltweiten Konflikte seit dem Bilderstürmer ihnen vorwarfen: ein eigenes Leben zu Jahr 2001. Mit dem Bildersturm von Bamiyan war deut- besitzen. Unfreiwillig hat dies Martin Bucer in seiner lich geworden, dass im nächsten Schritt nicht nur Bil- Anweisung bestätigt, man solle bei der Abnahme der der als Körper, sondern Körper als Bilder definiert und Kunstwerke keinesfalls dieselbe Sorgfalt anwenden, zum Ausweis ihrer Vernichtung genutzt würden. Dieser als wenn diese »beseelte Menschen« seien. Die War- Vorgang steht für die tödliche Konsequenz dessen, was nung bestätigt die Existenz dieser Dingbeseelung. Die als substitutiver Bildakt zu bezeichnen ist. Die Aushe- Bilderstürmer waren die wahren Ikonodulen: Dies war belung dieser Form des Bild-Animismus und der Kör- Luthers Grundannahme. per-Verbildlichung ist in fast täglich spürbarer Weise In der Überzeugung, dass keine Erkenntnis ohne in- ein Kampf um Leben und Tod. Wohl erstmals in der nere Bilder auskomme, hat Luther mit Blick auf Aristo- Bildgeschichte werden Menschen im asymmetrischen teles »De Anima« gegenüber den Bildern eine Wendung Krieg nicht als Trophäen genutzt, nachdem sie gefan- von der Toleranz zur Anerkennung vollzogen. In jungen gen genommen oder getötet wurden, sondern umge- Jahren verurteilte er diese Schrift, um ihr im Jahr 1533 bracht, um zu Bildern des Triumphes werden zu können. in erstaunlicher Weise beizupflichten. Weil die Men- Angesichts der mörderischen Substitution von Kör- schen »Gedanken und Bilder« fassen müssen, was »uns per und Bild im Terror, die in der Schändung des syri- in Worten vorgetragen wird, und (diese) nichts ohne schen Archäologen Khaled Asaad als toter menschli- Bilder denken noch verstehen können, so ist es fein und cher Karyatide 2015 in Palmyra einen unerträglichen rechtens, dass man es dem Wort nach ansehe, wie man Tiefpunkt fand, muss es darum gehen, begreiflich zu es malt«. Damit die Worte Gedankenbilder zu erzeu- machen, dass zwischen Bildern und Körpern ein ele- gen vermögen, sollen sie sich an realen Bildern orien- mentarer Unterschied besteht. Die Formen der Bild und tieren: Dies ist die erstaunliche Wendung Luthers von Körper gleichsetzenden Zerstörungen haben den Cha- der »Unvermeidlichkeit innerer Vorstellungen« zum rakter des Schocks, aber nicht allein in Bezug auf die »Recht von Bildwerken«. Unwiederbringlichkeit der zerstörten Leben und Werke, Die formbezogene Autonomie der Kunstwerke hat sondern auch mit Blick auf die Unfähigkeit, sie zu ver- Luther nicht thematisiert, aber seine Grunddisposition, teidigen. Die Beiläufigkeit, in der das Geschehen trotz gegenüber den Bildverehrern und den Ikonoklasten Di- allen Entsetzens quittiert wird: Auch auf diese Seite stanz zu halten, erschuf einen Freiraum. Dieser erlaub- zielen diese Bilderstürme. te jene Entfaltungsmöglichkeit der Reflexion und der Hier fragt sich, ob die Kirche in lutherischer Traditi- Wertschätzung, die unmittelbar auch einen Effekt auf on aufgrund ihrer eigenen Geschichte, in der die Frage die Entwicklung der Bildformen mit sich brachte. Hier- des Ikonoklasmus durchkämpft und produktiv in eine in liegt die Botschaft der Reformation im Bereich des Theologie der distanzierenden Freiheit gewendet wur- Bildes. Die Kunst der Neuzeit hat es vermocht, die Fra- de, nicht kämpferischer auftreten müsste. Zwischen ge nach der Berechtigung der Bilder als inneres Prinzip entsetztem Dulden und Kreuzzug muss es einen Mit- ihrer selbst mit aufzunehmen. Die Frage, ob die Ober- telweg geben. Gelingt es nicht, diesem speziellen Ter- fläche der Dinge oder ein spirituelles Prinzip in all sei- ror des Distanzverlustes zu begegnen, werden Ikono- klasmus und Mord weiterhin Hand in Hand gehen. Die Distanzräume, in denen allein sich Freiheit entfalten Im Angriff auf eben jene Distanz­ kann, werden stranguliert. räume liegt das Charakteristikum Das Denken in Gegensätzen, die zu Synthesen ge- unserer Zeit. formt werden, welche die widerstrebenden Pole in sich aufnehmen und aufheben: Hierin liegt das entschei- dende Moment, das als eine Art Westfälischer Frieden ner Abstraktheit zu gestalten sei, durchzieht die Kunst der europäischen Bildgeschichte zu beschreiben und seit dem 16. Jahrhundert, und mit den Zügen der Ab- zu verteidigen ist. Die pazifizierende Leistung dieser straktion, der Autodestruktion, aber auch der Reflexi- die Distanz fordernden Art der Bildreflexion wird ge- on körperlicher Unmittelbarkeit sind alle Fragen, die rade heute fast täglich sichtbar. Wo sie fehlt, geht es durch die bildkritischen Zugänge der Reformatoren in um Leben und Tod; wo sie vorhanden ist, wandelt sich unterschiedlicher Radikalität formuliert wurden, zu ei- die Destruktion in Formstiftung. nem Formprinzip geworden, das es zu verteidigen gilt. Wenn die Distanzbildung jene Bedingung von Frei- Horst Bredekamp ist Professor für Mittlere und Neuere heit ist, in der sich sowohl die Kunst als auch die Re- ­Kunstgeschichte an der Humboldt Universität zu Berlin und flexion und der Glaube zu entfalten vermögen, dann ­Sprecher des Exzellenzclusters »Bild Wissen Gestaltung. entsteht gegenüber unserer Jetztzeit ein starkes, wenn Ein interdisziplinäres Labor« nicht extremes Problem. Im Angriff auf eben jene Di- stanzräume liegt das Charakteristikum unserer Zeit. Würde jener Luther mit den Augen vom Ende Januar 1522, als er mit der elementaren Wucht seiner Sprach- macht die Bilderfrage für sich entschied, auf unsere 42 {Calvin} 43 {Zwingli}

Name Huldrych Zwingli, getauft als Ulrich Zwingli

Den Anschuldigungen wurde allerdings nicht Geburt & Tod stattgegeben. So konnte Zwingli auf der * 1. Januar 1484 in Wildhaus, Schweiz Zweiten Zürcher Disputation im selben Jahr † 11. Oktober 1531 in Kappel am Albis, Schweiz gegen die Bildverehrung protestieren und den ­resultierendenBildersturm verteidigen. Wäh - rend der Dritten Zürcher Disputation gelang Studium es sogar, die Messe zu beseitigen. Jedoch Besuch Lateinschule in Basel und Bern, betraf Zwinglis Reformation in Zürich nicht nur abgeschlossenes Studium an den Universi­ die Religion. Es wurden auch Schul-, Kirchen- täten in Wien und Basel mit dem Titel und Ehewesen neu geordnet und Sittengesetze Magister artium und im Anschluss unvoll­ herausgegeben. 1525 veröffentlichte Zwingli endetes Theologie-Studium­ sein Glaubensbekenntnis »Von der wahren und falschen Religion«. Dabei war er sich mit ­Lutherund anderen deutschen Reformato- Tätigkeit ren in vielen Punkten einig, in liturgischer Be- Theologe, Priester, Feldprediger ziehung war er aber weitaus radikaler und und 1. Züricher Reformator verwarf die »leibliche Gegenwart« Christi im Abendmahl. Später kam es dann zum Abend- mahlsstreit mit Martin Luther. Ab 1525 war die Schriften (Auszug) Reformation in Zürich abgeschlossen. Bilder, Von Erkiesen und Freiheit der Speisen (1522); Messen und Zölibat waren abgeschafft, und es Commentarius de vera et falsa religion (1525); gab eine geregelte Armenfürsorge. Ab sofort Vom Touff, vom Widertouff, und vom Kinder- wurde auch die Ausbildung weiterer refor- touff (1525); Amica exegesis (1527); Fidei mierter Theologen sichergestellt. Zwischen ratio (1530); Sermonis de providentia Dei 1524 und 1529 übersetzte Zwingli die Bibel anamenema (1530); Christianae fidei brevis et neu (»Züricher Bibel«) – fünf Jahre vor Luther. clara expositio ad regem christianum (1531) Zwinglis Reformation hatte einige Gemeinsam- keiten mit Luthers Bestrebungen, ging aber von anderen Voraussetzungen aus. Während Theologie Luther den Ablasshandel und andere Miss- Mit der Schrift »Von Erkiesen und Freiheit stände in der Kirche entfernen wollte, akzep- der Speisen« begann 1522 Huldrych Zwinglis tierte Zwingli in der Kirche nur das ausdrück- Reformation. Mit der Schrift rechtfertigte er lich in der Bibel Festgeschriebene. Daher sind das Fastenbrechen, da seines Erachtens das die reformierten Kirchen Kirchen des Wortes: Fastenhalten gegen den christlichen Glau- kein Kirchenschmuck, sogar auf Musik wur- ben verstoße. Außerdem sprach Zwingli sich de eine Zeit lang verzichtet. Ähnlich wie bei bereits damals für die Aufhebung des Zöli- Philipp Melanchthon kann Zwinglis Verhält- bats aus, später heiratete er sogar. Seine refor­ nis zur Täuferbewegung als reformatorische matorischen Thesen führten dazu, dass ihn Schattenseite aufgefasst werden: Er setzte die Dominikaner während der Ersten Zürcher sich für die Vertreibung, Gefangennahme und Disputation 1523 der Ketzerei bezichtigten. Folter der Täufer ein. 44 Humanist unter ­Reformatoren? Christine Christ-von Wedel

umanismus und Reformation sind gien. Zwingli verschrieb sich dem Wider- bei Historikern gebräuchliche Be- stand. Er sah sich als Kämpfer für die evan- zeichnungen für Reformbewegun- gelische Wahrheit, für die zu sterben er be- H gen im Europa der frühen Neuzeit. reit war. Sein Kampf hatte Erfolg. Im Januar Europa war erschüttert von Krisen. Krie- 1523 setzte sich der Zürcher Rat über die bi- ge, Klimaschwankungen mit Hungersnöten, schöfliche Lehrautorität hinweg und legte eine Medienrevolution, soziale Umbrüche, sich nach einer Disputation auf die Lehren Teufelsglauben und Hexenwahn verunsi- Zwinglis fest. Von nun an begann Zwingli, cherten. Je nachdem wie Zeitgenossen da- mit dem Zürcher Rat ein eigenes Kirchen- mals reagierten, nennen wir sie heute Re- wesen aufzubauen und darf als »Reforma- formatoren oder Humanisten. Sie selbst tor« bezeichnet werden. aber dis- nannten sich Christen. tanzierte sich mehr und mehr von ihm und Als Huldrych Zwingli Anfang 1519 sei- allen Reformatoren, die sich offen von der ne Tätigkeit in Zürich begann, galt er als Papstkirche, als angeblicher Kirche des An- »Humanist« aus dem Kreis um Erasmus tichristen, lossagten. von Rotterdam, der sich für eine Erneue- Erasmus warf den Reformatoren nicht rung von Kirche und Gesellschaft einsetzte. irrige Glaubenslehren vor; was er ihnen Vertreter dieser Reformbewegung forderten vorwarf, war genau das, was er den Schul- eine allen Menschen zugängliche Bibellek- theologen vorgeworfen hatte: einen Hoch- türe, auf Christus ausgerichtete Predigten mut, mit dem sie sich im alleinigen Besitz und einen lebensnahen, an klassischer Bil- der Wahrheit wähnten und alle Andersden- dung orientierten Schulunterricht. Sie po- kenden verketzerten. Nun schlugen die Re- lemisierten gegen Ablasshandel und ver- formatoren aus seiner Sicht mit denselben äußerlichte Frömmigkeit und wollten die Waffen zurück: Sie verketzerten die über- Beichtpraxis verbessern. Ablasshandel und kommene Kirche. Sie lasen die Bibeltex- Beichtpraxis hatte auch Martin Luther an- gegriffen und die römische Kurie betrach- Zwingli verschrieb sich tete ihn bereits als Ketzer. Aber der Pro- zessausgang war noch offen. Die Lage än- dem Widerstand. derte sich schnell. Nach Luthers Ächtung 1521 sahen sich auch Erasmus und Zwingli te nicht, wie Erasmus es vorschlug, im de- mit Häresievorwürfen konfrontiert. Eras- mütigen Bewusstsein: Ich habe einen be- mus verteidigte sich und seine Reformide- grenzten Verstand. Ich kann mich der gött- en – und damit auch viele von Luther und lichen Wahrheit nur im teilnahmsvollen Zwingli – innerhalb der überkommenen Lesen der Heiligen Schrift annähern. ­Vieles Kirche in Kräfte verschleißenden Apolo- bleibt dunkel und der Heilige Geist offen- {Zwingli} 45 bart nicht allen alles. Darum ist es besser, Zwinglis symbolische Sakramentslehre, im Zweifelsfalle keine festen Lehren aus die Lutheraner und Reformierte für Jahr- Gottes Wort herauszupressen. Der andere hunderte entzweit hat, beruhte auf seiner im 16. Jahrhundert übliche und auch von strikten platonischen Unterscheidung von den Reformatoren meist eingeschlagene Materie und Geist. Sie schloss eine Wand- Weg war, die Bibel im Bewusstsein zu stu- lung von Wein und Brot in Blut und Leib dieren: Ich kann mithilfe des Heiligen Geis- Christi kategorisch aus. Seine Sicht vertei- tes aufgrund sorgfältigen, vernünftigen Bi- digte er gut humanistisch mit dem Argu- belstudiums die absolute Wahrheit in Got- ment: Gott mute dem Menschen nicht zu, tes Wort finden. Und weil es die Wahrheit etwas Unbegreifliches zu glauben. Auch ist, muss ich sie aus Gewissensgründen bis für Zwingli übertraf Gottes Größe und lie- zum Letzten verteidigen und durchsetzen. bende Zuwendung zur Welt menschliches Damit ging die von Erasmus geforderte To- Verstehen, aber er verband dennoch den leranz und die Gewissens- und Kultusfrei- christlichen Glauben mit hellenistischer heit unter. Es folgten, wie er es voraussah, Philosophie und seine Sicht der ewigen Ketzerverfolgungen und schließlich bluti- Seligkeit mit dem florentinischen Neupla- ge Religionskriege. tonismus, der Platons Blieb also der Humanismus im Wirken Lehren als eine philo- Sie schloss eine Wandlung Zwinglis auf der Strecke? Nein. Zwingli sophische Form christ- gründete nach Vorschlägen von Erasmus licher Wahrheit deute- von Wein und Brot in Blut und eine theologische Hochschule für die Pfar- te. Daran anschließend Leib Christi kategorisch aus. rer der Zürcher Kirche. Da lehrten neben versetzte Zwingli kühn Zwingli andere humanistisch gebildete Re- auch vorchristliche Helden der Antike wie formatoren und Erasmusverehrer. Mit gro- Herkules, Sokrates, Aristides oder die Ca- ßer philologischer Sachkenntnis legten sie tonen zu Christus in den Himmel. Im heu- die Bibeltexte aus den Ursprachen zunächst tigen Protestantismus hat Zwingli sich in der lateinischen Gelehrtensprache aus, mit seinem Abendmahlsverständnis breit predigten dann für die Stadtbevölkerung durchgesetzt und seine weitherzige Erwäh- über dieselben Texte und übersetzten sie lungslehre regte und regt immer wieder zu nochmals aus dem Hebräischen und Grie- neuem Nachdenken an. chischen für den Druck ins Deutsche. So entstand die viel gepriesene sogenannte Christine Christ-von Wedel ist Historikerin und Zürcher Bibel, die schon 1531 ganz vorlag. Fellow des Schweizerischen Institutes für Auch im Lehrplan der Zürcher Lateinschule Reformationsgeschichte und der Theologischen war Erasmus allgegenwärtig. Da wurde mit Fakultät der Universität Basel dessen Schuldialogen und Spruchsamm- lungen antike und christliche Weisheit ge- lehrt und eine lebenszugewandte Bildung vermittelt. In sein Abendmahlsverständnis und sei- ne Erlösungslehre verflocht Zwingli noch weit mehr humanistisches Gedankengut, als Erasmus in seine Bibelauslegungen hi- neintrug.

46 Die freie Wahl der Speisen Arnd Brummer

lrich Zwingli war ein »Leutpriester« im wahrsten Sinne des seinen Nächsten Gutes zu tun. Und dazu zählt aktive Toleranz, Wortes. Schon früh hatte der hochbegabte Knabe aus Wild- der zitierte Verzicht darauf, andere in Gewissensnot zu bringen. U haus im Kanton Glarus bemerkt, dass sich sein Talent in der Ausdrücklich bezieht er sich dabei auf die Schriften des Apostels Verbindung zwischen der Fähigkeit zur intellektuellen Analyse und Paulus. Er beschreibt die unterschiedlichen Kulturen von Juden- deren Vermittlung unter die Leute zeigte. Diese Qualität offenbarte und Heiden-Christen innerhalb der frühchristlichen Gemeinden. er bereits als Pfarrer und Pilgerbetreuer im bekannten Wallfahrtsort Was den einen als unverzichtbares Gebot erschien, sei den ande- Kloster Einsiedeln. Schon dort machte er immer wieder Front ge- ren völlig fremd gewesen. Dennoch wäre aus der Gemeinschaft der gen den knechtenden Umgang mit Menschen und den Missbrauch Unterschiedlichen das Christentum gewachsen. kirchlicher Ordnung. Der Rat der Stadt Zürich fand es gut und rich- Oft wird im Zusammenhang mit der Fastenaktion »Sieben Wo- tig, was Zwingli predigte und engagierte ihn 1519 als Leutpriester chen Ohne« gefragt, ob man denn unter Evangelischen zwischen am Großmünsterstift Zürich. Zwingli las humanistische Schriften Aschermittwoch und Ostern auf gar nichts verzichten, keine As- und mit großer Freude die Texte eines Kollegen aus Wittenberg kese halten müsse? Was soll denn dann so eine Aktion bedeuten? namens Martin Luther. Seine freien Gedanken wie seine offenen Auch darauf finden sich in Zwinglis Theologie Antworten. Die 40 Worte freuten auch den Drucker Christoph Froschauer. Die beiden Tage der Fastenzeit erinnern an die 40 Tage, die Jesus in der Wüs- wurden Freunde. Und ihre Beziehung sorgte für den Auslöser der te verbrachte. Er war dorthin gegangen, um sich in Ruhe darüber Reformation in Zürich 1522: die Fastenpredigt mit dem Titel »Die klar zu werden, ob er dem Weg weiter folgen könne, den ihm sein freie Wahl der Speisen«. Zwingli hielt sie am 23. März 1522 und gab himmlischer Vater gewiesen habe. Dass Jesus in dieser Zeit wenig sie nach Ostern Froschauer, der sie tausendfach publizierte. gegessen habe, meint der Züricher Reformator, liege nicht daran, Ein Wurstessen nach Aschermittwoch im Hause des Druckers dass er sich dies vorgenommen habe, sondern dass es in der Wüste war der Anlass für große Auseinandersetzungen in der kirchlichen einfach wenig Essbares gab. Die Fastenzeit bietet in diesem Sinne Szene Zürichs gewesen. Zwar hatte der dabei anwesende Priester Raum für einen Perspektivwechsel. Und dazu kann es nützlich sein, Zwingli selbst keine Wurst verzehrt, in seiner Predigt aber unter- etwas anders zu machen als sonst oder auf etwas zu verzichten. strich er, dass Froschauer nicht sündig gehandelt habe, als er sei- Ulrich Zwinglis theologischer Ansatz hat noch immer seinen nen Mitarbeitern und Freunden Fleischmahlzeiten anbot. Reiz. Der Kern seiner Fastentheologie handelt vom Verzicht auf Zum einen verwies der Prediger dabei auf die selbst in der Ka- Kleinlichkeit und Überheblichkeit. Für ihn bedeutet Fasten mit tholischen Kirche geltende Ausnahmeregelung, nach der körper- Verweis auf Paulus’ Römerbrief (15,1): »Wir, die im Glauben Stär- lich hart arbeitende Leute Fastenvorschriften missachten dürf- keren, sollen den anderen helfen und sie unterweisen.« Der Ver- ten. Zum anderen aber bezog sich Ulrich Zwingli auf die Freiheit zicht auf belehrende Besserwisserei gilt gerade für jene, die sich des Christen, ähnlich wie Martin Luther in seiner Schrift von 1520. auf dem richtigen Weg wähnen. Die Gemeinschaft hat für ihn in Nur was aus den Worten und Taten des erster Linie die Bedeutung, dass Men- Jesus Christus in der Heiligen Schrift zu schen ihre unterschiedlichen Gaben und lesen sei, könne verbindlich in der Kir- Der Kern seiner Fastentheologie Kenntnisse nicht egozentrisch und ego- che werden. Die Fastenzeit, ein Verbot handelt vom Verzicht auf istisch zum eigenen Wohle, sondern für- von Wein und Fleisch, entspreche nicht Kleinlichkeit und Überheblichkeit. einander nutzen sollen. Dies ist der Kern Jesu Wille, sondern sei lediglich eine Er- der reformierten Sozialethik wie auch findung von Bischöfen. Jeder Christ kön- der katholischen Soziallehre. Und es ist ne selbst entscheiden, wann, wo und was er esse oder trinke. Ja, er gegenwartsbezogen eine neu wirksame Fragestellung: Zwischen weist sogar ausdrücklich auf biblische Texte hin, in denen Jesus staatlich diktierter und kommerzieller, also gewinnorientierter zum Ärger der Pharisäer und anderer rechtgläubiger Regeln bricht. Praxis, gibt es noch die freiwillige, ehrenamtliche Art des Einsat- Denjenigen, die sich auf die persönliche Entscheidungsfreiheit zes, wie man sie aktuell in zahlreichen Aktivitäten von Christen in beriefen, riet der Reformator allerdings auch, keine Überheblich- der Flüchtlingsarbeit erlebt. In der Aktion »Sieben Wochen Ohne« keit jenen gegenüber an den Tag zu legen, die sich an die Verbote wird Zwinglis Verständnis des germanischen Wortes »fasten« als halten würden: »Wer fest daran glaubt, dass er alles zu allen Zeiten »befestigen, schließen, beschließen« (»fasten seat belts« im Eng- essen darf, wird als ein im Glauben Starker bezeichnet . . . Zugleich lischen) weitergetragen. soll er dem Schwachen gegenüber sehr rücksichtsvoll sein und ihm Ulrich Zwingli starb 1531 mit 47 Jahren im Zweiten Kappeler Re- nicht etwa noch absichtlich und böswillig Ärgernis geben.« Also, ligionskrieg zwischen den katholischen und reformierten Kanto- wer mit Fastenden am Tisch sitzt, sollte ihnen nicht ungefragt mit nen der Schweiz. Der frühe Tod führte dazu, dass sein Werk zwi- dem Zeigefinger erklären, dass sie auf dem falschen Weg seien. schen Calvin und Luther außerhalb der deutschsprachigen Schweiz Mit Luthers und Zwinglis Haltung, dass Christen selbst über ih- fast in Vergessenheit geriet. ren Glauben und seine Konsequenzen entscheiden sollen, begin- nen die »Individualisierung« und die plurale Gesellschaft. Aber ge- Arnd Brummer ist geschäftsführender Herausgeber rade der Züricher Prediger verbindet die Freiheit mit der Pflicht, und Chefredakteur von Chrismon {Zwingli} 47 Zeugnisse großer Geschichte J. Marius J. Lange van Ravenswaay

ie heutige Johannes a Lasco Bibliothek in Em- einen schnellen Aufschwung nahm. Petrejus ließ durch den hat eine lange Geschichte. Ihre Anfänge rei- einen Kirchenratsbeschluss verfügen, dass alle Diako- chen zurück ins 16. Jahrhundert. Der Kirchenäl- ne der Gemeinde, die aus dem Amt ausschieden, der D teste der reformierten Kirchengemeinde Emden, Bibliothek ein Buch schenken mussten. Darüber hin- Gerhard tom Camp, überließ im Jahre 1559 den Pasto- aus wurde verfügt, dass von allen Büchern, die in Em- ren der Gemeinde seine Bibliothek zum theologischen den gedruckt wurden, mindestens ein Pflichtexemplar Studium. Anfangs war sie in einem Privathaus des Em- an die Bibliothek zu gehen hatte. Wenn man bedenkt, der Bürgers Gerhard Mortaigne untergebracht. Durch dass in Emden im 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts die Wasserflut am 13. November 1570 nahmen die Bü- sehr viele Buchdruckereien tätig waren, die Werke in al- cher jedoch einen so erheblichen Schaden, dass der len Wissenschaftssparten fertigten, wird deutlich, wa- Kirchenrat der Emder Gemeinde nunmehr beschloss, rum die Bibliothek immer weiterwuchs. Zudem war es die gesamte Bibliothek in der Konsistorienkammer der auch der Magistrat der Stadt Emden, der sich vermehrt Großen Kirche zu Emden unterzubringen. Dort blieb für den Aufbau der Bibliothek einsetzte – galt sie ihm sie ununterbrochen bis zum Zweiten Weltkrieg. In den doch als wichtiges Prestigeobjekt. So kaufte die Stadt Folgejahren wurde der Buchbestand stets erweitert. Be- im Jahr 1626 die Sammlung des Predigers Friedrich Sal- sonders sind die Zuwächse durch die außergewöhn- muth für die Bibliothek und 1655 vermachte der Stadt- liche Bibliothek des in Emden tätigen weitsichtigen syndikus Geldricus Crumminga seine 3.732 Bände zäh- Theologen Albert Rizäus Hardenberg und durch die lende Bibliothek der Stadt Emden, die diese wiederum Buchbestände des Emder Bürgermeisters Petrus Med- 1685 in die Bibliothek der Großen Kirche inkorporierte. mann zu nennen. Albert Hardenberg überließ der Bi- Nun wurde die Bibliothek mit ihren mittlerweile be- bliothek der Großen Kirche 525 Bände und 16 Hand- rühmten Beständen auch einer breiteren Öffentlichkeit schriften. Dabei ist besonders zu erwähnen, dass sich zugänglich gemacht. 1707 wurde ein erster Katalog er- hierunter auch Werke befanden, die aus dem Nach- stellt und die Sammlung mehr und mehr auf eine breite, lass des großen Humanisten Erasmus von Rotterdam das ganze damalige Wissen einschließende Basis ge- stammten. Heute ist der gesamte Bestand, der durch stellt. Den Jahren dieses beschriebenen Aufschwungs Hardenberg auf uns gekommen ist, digitalisiert und so- folgten freilich ca. 100 Jahre, in denen die Bestände fast mit einem weltweiten Interessiertenkreis zugänglich. zu vergessen drohten und somit ein Schattendasein Um sich nun ein Bild von der Bedeutung dieser Bib- führten. Dies änderte sich erst wieder im 19. Jahrhun- liothek der Großen Kirche zu Emden im 16. bzw. Anfang dert, als man entdeckte, welche Schätze sich in den al- des 17. Jahrhunderts zu machen, sei auf einen einfachen ten Kirchenmauern befanden. Nunmehr wurde ein ge- Vergleich verwiesen: Gegen 1590 zählten zum Buchbe- druckter Katalog erstellt und schon bald kamen neue stand der Emder Bibliothek ca. 800 Bände. Zur gleichen Bestände durch Nachlässe und Schenkungen hinzu. Zeit hatte aber etwa die namhafte Universität zu Lei- Der Zweite Weltkrieg, der so viel Leid über die ganze den in den Niederlanden nur 483 Bände aufzuweisen. Welt brachte, forderte auch viele Opfer in Emden. Zwar Aus Aufzeichnungen wissen wir, dass der erste nur waren hier nur relativ wenige Menschenleben zu be- nebenamtlich tätige Bibliothekar der Emder Pastor Pet- klagen, aber die Stadt mit ihren einzigartigen Bauwer- rus Petrejus war. 1626 wurde er mit diesem Amt betraut. ken wurde durch mehrere Bombenangriffe fast kom- Ihm vor allem ist es zu verdanken, dass die Bibliothek plett zerstört. Dies galt auch für die ehemalige Große 48 Kirche, traditionell die Hauptkirche der reformierten Gemeinde Emdens. Am 11. Dezember 1943 wurde diese große spätgotische Hallenkirche mit ihrem außerge- wöhnlichen Inventar fast komplett zerstört und brann- te bis auf ein Mauertorso, das stehenblieb, auch gänz- lich aus. Aber in weiser Voraussicht hatte die Gemein- de die einzigartigen Buchbestände sowie die wertvollen Gemälde der Emder Prediger und einige wenige ande- re Gegenstände an einen sicheren Ort ausgelagert. So blieben sie vor der Zerstörung verschont. Bis die Buchbestände der Großen Kirche zu Emden für die Öffentlichkeit aber wieder zugänglich gemacht werden konnten, vergingen wiederum einige Jahre. Erst im Jahr 1992 entschloss man sich, an der Stelle, wo einst die traditionsreiche Große Kirche Emdens gestanden hatte, unter Einbeziehung der alten Ruine der Kirche eine große neue Bibliothek zu bauen. Das ambitionier- te Vorhaben gelang durch eine gemeinsame Kraftan- strengung der Evangelisch-reformierten Kirche, des Landes Niedersachsen und der Stadt Emden. Im Jahr 1995 konnte der Neubau dann endlich bezogen werden und die weltberühmten Buchbestände erhielten wie- der einen würdigen Platz. Die heutige Bibliothek der Großen Kirche Emden, die nunmehr den Namen des für die Reformation Em- dens so bedeutenden polnischen Theologen Johannes a Lasco trägt, ist eine in vieler Hinsicht weltweit ein- ne für Konzerte und Kulturveranstaltungen genutzt. malige Institution. Zuallererst versteht sich die Johan- Die Johannes a Lasco Bibliothek ist aber auch mit ei- nes a Lasco Bibliothek als besonderer Sammelort für genen Forschungsprojekten wissenschaftlich tätig. So Veröffentlichungen zum reformierten Protestantis- wird etwa in Zusammenarbeit mit namhaften Institu- mus und zur Konfessionsgeschichte der Frühen Neu- tionen in den Niederlanden und der Schweiz sowie mit zeit. Mit mittlerweile ca. 160.000 Bucheinheiten, um- Gelehrten aus Großbritannien und den USA an einer fangreichen Archiven aus mehreren Jahrhunderten und kritischen Edition der Akten der Synode von Dordrecht einzigartigen Handschriften ist die Bibliothek ein ein- gearbeitet. Diese für die reformierte Welt so wichtige maliger Ort für theologische Studien sowie für histori- Synode fand auch unter Beteiligung von Abgesandten sche Recherchen. Die vielen Leihanfragen, die aus dem der reformierten Gemeinde Emdens von 1618 bis 1619 In- und Ausland von Universitäten, Instituten und Bi- in der niederländischen Stadt Dordrecht statt und hat bliotheken sowie Forscherinnen und Forschern ein- ganz entscheidend dazu beigetragen, dass theologi- gehen, zeigen das große Interesse an den Beständen. sche Grundsätze und Bekenntnisbildungen, die bereits Dass der besondere historische Kernbestand – die in Emden ihren Anfang nahmen, theologisch und kir- Hardenberg-Bibliothek – auch digitalisiert wurde, hat chenrechtlich weiterentwickelt wurden. den Zugriff auf einen wichtigen Teil des Altbestandes Regelmäßig organisiert die Johannes a Lasco Biblio- weltweit ermöglicht. Dennoch bleibt eine intensive thek Kongresse, Kolloquien und Symposien im nationa- Arbeit mit den Quellen und deren adäquate Erfassung len wie internationalen Kontext zu bedeutenden The- nur vor Ort bzw. im unmittelbaren Kontakt mit den men der reformierten Theologie und deren Geschichte. Quellen durch nichts zu ersetzen. Da die Bibliothek Überdies bietet die Johannes a Lasco Bibliothek For- überdies ein eindrucksvoller musealer Raum ist, der scherinnen und Forschern aus dem In- und Ausland die Möglichkeit eines Studienaufenthalts in der Bibliothek. Petrejus ließ durch einen Kirchen­ Das Hardenberg-Fellowship-Stipendienprogramm er- möglicht Stipendiaten bis zu acht Wochen kostenfrei- ratsbeschluss verfügen, dass alle es Wohnen und Arbeiten in der historischen Bibliothek, Diakone der Gemeinde, die aus dem die seit 2012 auch offiziell anerkannte Studienstätte der Amt ausschieden, der Bibliothek Gemeinschaft Evangelischer Kirche in Europa (GEKE) ist. Damit nimmt die Johannes a Lasco­ Bibliothek ei- ein Buch schenken mussten. nen entscheidenden Platz in der Reihe protestantischer wissenschaftlicher Institutionen ein und knüpft so in die Zeugnisse der großen Geschichte der reformier- mehrfacher Hinsicht wieder an die Bedeutung an, die ten Gemeinde Emdens allen Besuchern eindrucksvoll der Ort bereits am Anfang der Reformationsgeschichte vermittelt, wird das Angebot, hier persönlich wissen- hatte. Heute freilich tut sie es in einem globalen Kon- schaftlich zu arbeiten, gerne angenommen. Mit sei- text, der von Europa auch nach Asien, Amerika, Afrika ner hervorragenden Akustik vermittelt die Johannes und Australien reicht. a Lasco Bibliothek eine einzigartige Atmosphäre und wird somit von vielen Kulturschaffenden in ganz Nord- J. Marius J. Lange van Ravenswaay ist Vorstand der Stiftung deutschland und den angrenzenden Niederlanden ger- Johannes a Lasco Bibliothek Große Kirche Emden {Zwingli} 49 Evangelisch-reformiert – Zur Ehre Gottes und zum Wohl der Menschen Wer den Kirchraum einer Evangelisch-re- formierten Gemeinde betritt, findet in den Was ist meisten Fällen einen sehr schlicht gehalte- nen Raum für den Gottesdienst vor. Vergeb- lich sucht man nach Kerzen, einem Kreuz oder bunt bebilderten Fenstern. Was oft schnell auffällt: die Position der Bänke und Stühle. Sie zeigen eine klare Orientierung reformiert? zur raumbestimmenden Kanzel. Sie ist der zentrale Ort des Gottesdienstes. Hier wird in der Predigt die Bibel für die Gegenwart aus- gelegt und als gepredigtes Wort Gottes ins Gespräch gebracht. Architektonisch bilden Martin Kanzel, der Abendmahlstisch und Bänke eine Einheit, sodass sich die versammeln- de Gemeinde auch als Gemeinschaft wahr- nimmt. Das Ensemble macht deutlich: Es ist eine Gemeinschaft, die sich unter dem Wort und um den Tisch Christi versammelt Engels und Abendmahl feiert. Der Heidelberger Ka- techismus bringt in der Frage 54 die Hoff- nung der sich hier versammelnden Gemein- de auf den Punkt: Sie gehören zu denen, die sich der »Sohn Gottes aus dem ganzen Men- schengeschlecht« zu seiner Gemeinde »ver- sammelt, schützt und erhält«. In Deutschland findet man solche Kir- chen vor allem in den Gemeinden der Evangelisch-reformierten Kirche, die ih- ren Schwerpunkt in Ostfriesland hat, in der Lippischen Kirche aber auch in vielen Kirchengemeinden im Rheinland, West- falen, Berlin-Brandenburg und Hessen in Gebieten, in denen die reformierte Tradi- tion nicht zuletzt aufgrund von Hugenot- tenflüchtlingen in Hessen, dem Rheinland und Westfalen hier Fuß gefasst hat.

Konfessionen – Abgrenzung und Annäherung Eines ist allerdings klar: Alles, was wir heu- te Evangelisch-reformiert, Evangelisch-lu- therisch und auch Römisch-katholisch nen- nen, ist während der Reformation erst in einem längeren und sehr vielschichtigen Prozess zu dem geworden, was es ist: In der Katholischen Kirche reagierte das Konzil von Trient 1545 bis 1563 auf die Aufbrüche durch die »Evangelischen«, und seine Er- gebnisse formte die erneuerte Römisch- katholische Kirche. 1577 einigten sich die stärker von der Theologie Luthers gepräg- ten Kirchtümer auf die »Konkordienformel«, das letzte lutherische Bekenntnis. Einmal war es gegen die Römisch-katholische Kir- che gerichtet. Zugleich grenzte es sich auch von denen ab, die durch die Schweizer und oberdeutsche Reformation Evangelisch-re- formiert geprägt waren. Erst mit dem west- fälischen Frieden 1648, der den 30-jähri- gen Krieg entlang politisch aufgeladener Konfessionsgrenzen beendete, wurden sie 50 dann als »Evangelisch-reformiert« aner- Die Evangelischen Kirchen und Ämter der Kirche kannt. Die verschiedenen evangelischen der eine Abendmahlstisch Organisiert wurde das vom Rat der Stadt, Konfessionen und ihre Kirchen wurden 1817 Besonders an der Theologie des Züricher aber auch von der Gemeinde. Calvin hatte in Preußen wieder durch eine vom König Reformators Ulrich Zwingli lässt sich die für die Leitung der christlichen Gemeinde verordnete Vereinigung zur Evangelischen Wertschätzung der Gemeinschaft der Men- das Modell des Stadtrates vor Augen und Kirche in Preußen, aus der dann die soge- schen zeigen, die sich um den Abendmahls- gestaltete ein tendenziell kollegiales Sys- nannten unierten Kirchen hervorgegangen tisch versammeln. Für den Reformator der tem für das sogenannte »Presbyterium«, sind. Vor allem in den unierten Gemein- ersten Stunde ist das Abendmahl wesent- den »Ältestenrat«. Verschiedene Funktio- den haben sich inzwischen auch Verände- lich ein Erinnerungsmahl. Im Glauben der nen bzw. »Ämter« greifen dabei ineinander. rungen entwickelt: Anders als in den ur- zum Abendmahl Versammelten ist Chris- Dem Prediger kommt die Aufgabe der Aus- sprünglichen Kirchräumen finden sich etwa tus gegenwärtig, aber nicht in den Elemen- legung der biblischen Texte vor allem im Kerzen oder auch Kreuze auf dem Abend- ten Brot und Wein. Bildlich gesprochen: Bei Gottesdienst zu. Die sogenannten Doktoren mahlstisch. ihm versammelt sich die Abendmahlsge- lehren Theologie, vor allem in den Schulen meinde und sitzt gewissermaßen um einen bzw. in der bald gegründeten Genfer Akade- Bibel als Maß und Tisch, besetzt alle Seiten des Tisches. So mie zur Verbreitung der reformierten Lehre Richtschnur der Kirche feiern bis heute einige reformierte Gemein- in ganz Europa. Die Presbyter leiten die Ge- Noch in den Anfängen der Reformation den Abendmahl. Dieses Verständnis trenn- meinde, gehen einzelnen Mitgliedern nach wurden die Unterschiede nicht konfessio- te die Kirchen, die sich auf Zwingli berie- und halten die Glaubenden zusammen. Die nell beschrieben oder gar fixiert. In Akzen- fen, dauerhaft von den Kirchen in der Tra- Diakone schließlich übernehmen die Ar- ten durchaus vielfältig und regional unter- dition Martin Luthers, die in der Aufnahme menfürsorge, in besonderer Weise damals schiedlich, einte sie die besondere Wert- seiner Theologie Christus »in, mit und un- also auch die Fürsorge für die vielen Glau- schätzung der Bibel, des »Wortes Gottes«. ter« Brot und Wein gegenwärtig verstehen. bensflüchtlinge. Damit veränderte die Reformation auch Und auch der etwas andere Akzent Jo- Die Leitung der Gemeinde wird in Aufga- unmittelbar den Gottesdienst. Waren die hannes Calvins, des Genfer Reformators der ben eingeteilt und bricht daher mit jedem Glaubenden vorher von wesentlichen Tei- zweiten Generation, brachte kein aufeinan- Verständnis eines Weihepriestertums. Die len ausgeschlossen, so waren sie jetzt in der zugehen. Für Calvin ist Christus geist- prominente Einbindung von sogenannten fast allem beteiligt. Sie nehmen Teil am ge- lich gegenwärtig. Um es im Bild vom Tisch Laien in die Gemeinde und Kirchenleitung samten Gottesdienst, durch Hören auf eine auszudrücken: Bei Calvin versammelt sich ist für die Evangelische Kirche bis heute Predigt und Mitsprechen von Gebeten in die Gemeinde um einen Tisch, der an ei- prägend. Prägend ist ein dahinter liegendes deutscher Sprache, im Singen der neuen ner Seite nicht besetzt wird, gewisserma- Verständnis, dass alle »Glaubenden ... als Glaubenslieder. Das, was später als Betei- ßen durch alle Zeiten, durch alle Völker bis Glieder Gemeinschaft an dem Herrn Chris- ligungskirche bezeichnet wird, bildete sich zu Christus selbst, der der Einladende ist. tus und an allen seinen Schätzen und Ga- hier zuerst, am deutlichsten wohl in der re- Auch mit dieser etwas anderen Akzent- ben« teilhaben und »jeder seine Gaben wil- formierten Tradition. setzung gelang es nicht, alle Evangelischen lig und mit Freuden zum Wohl und Heil der Die reformierten griffen stärker als lu- »an einen Tisch« zu bringen. Erst vier Jahr- anderen« gebraucht (Frage 55). therische Gemeinden und Kirchtümer in hunderte später, 1973, erklärten lutherische die Gestaltung des Gottesdienstes ein. Sie und reformierte Kirchen in der Leuenberger Eine Vielfalt, die verbindet wollten auf der biblischen Wurzel ihres Konkordie, dass das jeweils andere Abend- Die unterschiedlichen evangelischen Kon- Glaubens ihre Kirche gründen und das soll- mahlsverständnis nicht kirchentrennend ist. fessionen spiegeln Vielfalt und Lebendig- te sich auch im Gottesdienst widerspiegeln. keit des gelebten evangelischen Glaubens Im Anschluss an die Form des mittelal- Einsatz für Gerechtigkeit wider. Die Geschichte zeigt aber auch, wo- terlichen Predigtgottesdienstes entwickelte Aus der Feier des Gottesdienstes erwächst vor gewarnt werden muss: vor Abgrenzung sich eine Liturgie, die, wenn eben möglich, aus reformierter Sicht auch eine Verant- und Profilierung auf Kosten eines ande- auf biblisches Wort begrenzt war. Deutlich wortung für die Welt. Für Zwingli war das ren. Die unterschiedlichen evangelischen wird diese Radikalität etwa im Umgang mit Abendmahl auch Feier der sich versam- Konfessionen und ihre je eigene Geschich- Liedern. Hatte Martin Luther noch populäre melnden Gemeinde, die sich im Abendmahl te trennen sie nicht, sondern ermöglichen Melodien aufgegriffen und dazu Texte ver- sieht, miteinander feiert und dann auch für- es, den Menschen in ihren unterschiedli- fasst, die den neuen Glauben beschrieben, einander eintritt. Das sollte sich aber nicht chen Prägungen von ihrer Botschaft zu er- so gingen die Reformierten einen anderen nur auf den Gottesdienst und nicht nur zählen. Mit nur einem Ziel: zur Ehre Got- Weg. Gesungen wurden die Psalmen, die auf den Sonntag beziehen. Auch das, was tes und zum Wohle der Menschen. Lieder der Bibel. Johannes Calvin versteht Christinnen und Christen im Alltag leben, sie als gesungene Gebete und unterscheidet ist Gottesdienst – oder eben nicht. Seit ih- Martin Engels ist Pfarrer, Moderator des deshalb zwischen Musik im Gottesdienst ren Anfängen haben die Reformierten Ver- Reformierten Bundes in Deutschland und außerhalb. Deshalb fordert er für die antwortung übernommen für die sozial zu und Beauftragter für das Reformationsjubiläum Kirchenmusik einen Stil und Melodien, die gestaltende Gemeinschaft, in der sie leb- der Evangelischen Kirche im Rheinland in Übereinstimmung mit der Bedeutung der ten. Besonders deutlich wurde das Mitte des Texte gesungen werden und »poids et ma- 16. Jahrhunderts in Genf, als aus Frankreich jesté«, Gewicht und Vornehmheit haben. So wegen ihres (reformierten) Glaubens Flie- sind die Psalmlieder geradezu Ausdruck ei- hende Hilfe in der Stadt suchten. Die Bür- ner theologischen Musiktheorie und prä- gerinnen und Bürger von Genf nahmen so gen auch deshalb die reformierten Gottes- viele Flüchtlinge auf, dass sich die Einwoh- dienste mit einer ganz eigenen Spirituali- nerzahl Genfs mehr als verdoppelte. Häu- tät. Bis heute ist der Genfer Psalter weltweit ser mussten aufgestockt und Höfe bebaut das Liederbuch der Reformierten. werden, um für alle Wohnraum zu schaffen. {Zwingli} 51 Herr Sternberg, was sind Welche Rolle spielen die Laienbewegungen in Laienbewegungen­ heute? der Katholischen Kirche? Im katholischen Bereich hat man oft die Laienbewegungen haben sich Anfang des Verbände totgesagt, aber wir verzeichne- 19. Jahrhunderts gebildet, als die bürger- ten in den vergangenen Jahren auch einen lichen Freiheiten es ermöglichten, Verei- Mitgliederanstieg, so z. B. bei der Katholi- ne zu gründen. Damals haben sich Katholi- schen Frauengemeinschaft Deutschlands ken nach unterschiedlichen Gesichtspunk- oder der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt ten zusammengeschlossen. Auch nach der Georg. Wir haben also auch Verbände, de- Reichsgründung 1871 haben Laienbewegun- ren Mitgliederzahl wächst. Auch wenn die gen eine große Rolle gespielt – vor allem Bedeutung der Verbände sicher nicht mehr politisch, als die Katholiken in Deutsch- so groß wie früher ist, spielen sie doch nach land mit einem Drittel eine Minderheit ge- wie vor eine wichtige Rolle. Vielleicht wer- genüber den Protestanten mit zwei Dritteln den sie in der Auflösung klassischer Terri- darstellten und sich »Kulturkampf« durch- torialgemeinden eine neue Aktualität be- setzen mussten. Entsprechend sind Laien- kommen. Zu dieser Gruppe kommt eine bewegungen– nach den Aussagen des Zwei- Zweite: Seit dem Zweiten Vatikanischen ten Vatikanischen Konzils – Gruppierun- Konzil und der Übertragung von deren Be- gen, die sich authentisch als Kirche zu po- schlüssen auf die deutschen Verhältnisse litischen Sachfragen äußern. Kirchliche in der Würzburger Synode von 1975 sind in Äußerungen zu politischen Fragen werden den Diözesen und Gemeinden Ratsstruktu- von Laien gemacht, weil Bischöfe sich diese ren in Form von Gemeinde- und Diözesan- politische Kompetenz nicht anmaßen, son- räten entstanden. Auch sie entsenden Ver- dern fachkundigen Laien überlassen. Laien treter in das Zentralkomitee der deutschen äußern sich also überwiegend zu sozialen Katholiken. So besteht das Zentralkomi- und politischen Fragen. tee heute aus zwei großen Säulen: zum ei- nen aus den Delegierten der katholischen Sie führen Laienbewegungen auf Verbände, Einrichtungen und Werke – von den Anfang des 19. Jahrhunderts zu- der Caritas bis zu Missio, von der Frauen- rück. Aber es gab doch bereits im gemeinschaft bis zum Jugendverein; zum Mittelalter und zu Zeiten der Refor­ anderen aus denen der Diözesanräte, bei mation Laienbewegungen, oder? dem aus jedem Bistum drei Vertreter ent- Es ist schwierig zu sagen, was damals als Lai- sandt werden. Diese beiden Gruppen wäh- enbewegung galt. Es gab natürlich schon zu len Einzelpersönlichkeiten aus Politik, Wis- diesen Zeiten viele Bruderschaften, Verei- senschaft und Gesellschaft hinzu. ne, Vereinigungen etc. Sie haben auch eine außerordentlich große Bedeutung für die Sozialgeschichte Europas, aber in dem mo- derneren Sinne einer Laienvertretung, eines Laienzusammenschlusses, ist sie doch eine Erscheinung des 19. und 20. Jahrhunderts. Von Laien und Jubiläen Thomas Sternberg im Gespräch mit Theresa Brüheim 52 {Zwingli} 53 Jetzt haben wir uns die ­gegenwärtige Aber auch der Gottesdienst »Healing of Me- Welche Impulse sendet das Situation angeschaut. Ich würde gern mories« in Hildesheim vor wenigen Wo- Reformationsjubiläum­ heute an einen Blick zurück auf die Reformation chen war ein Musterbeispiel, der hoffent- die Katholische Kirche und an werfen. Sie haben gesagt, von Laien­ lich in vielen anderen Gemeinden nachge- die Laienbewegung? bewegung konnte man damals noch feiert wird: Die Evangelische und Katho- Dieses Reformationsjubiläum macht ge- nicht sprechen, eher von Bruderschaf- lische Kirche bekennen sich gegenseitig rade in seiner ökumenischen Ausrichtung ten. Welche Einflüsse hatten denn ihre Schuld an einem jahrhundertelangen deutlich, wie eng wir schon zusammenar- die reformierten Reformatoren, z. B. feindlichen Umgang miteinander und versi- beiten. Die Ökumene ist vor allem an der Johannes Calvin und der von ihm pro- chern sich dann, weiter nach Einigung und Basis entstanden; in den Gemeinden und pagierte Verzicht der Kirche auf Lu- Einheit suchen zu wollen. Dieser Akt war Verbänden hat man zusammengearbei- xusgüter, auf die Katholische Kirche zwar durch lange Anstrengungen theolo- tet. Wenn wir heute politisch etwas errei- und auf die damaligen Katholischen gisch vorbereitet, aber durch einen solchen chen wollen, dann ist schon von den Zah- Bruderschaften? feierlichen Akt bekommt sie noch eine ganz len her klar, dass wir gemeinsam, ökume- Mir erscheint die Frage des Luxusverzichts besondere öffentliche Fixierung, hinter die nisch auftreten müssen. Das wissen die ka- weniger relevant, denn das hat es auch in niemand zurück kann. tholischen und evangelischen Büros in den einer Reihe früherer Bewegungen gegeben, Ländern und dem Bund längst und tun das worunter die Bettelorden die Bekanntes- Was denken Sie aus Ihrer katholischen auch. Aber auch in den Gemeinden wird es ten geblieben sind. Ich glaube, das Neue bei Perspektive, wie groß sind die Unter- immer deutlicher, dass wir als Christen zu- Calvin und Zwingli war die deutliche Beto- schiede zwischen Lutheranern und Re- sammenrücken müssen, wenn wir etwas er- nung des »Allgemeinen Priestertums«, also formierten heutzutage noch? reichen wollen, wenn wir wirklich Salz der einer Priestereigenschaft allein durch die Das zu beurteilen steht mir nicht an, weil Erde sein wollen. Christen werden von vie- Taufe. Das galt zwar auch immer schon in ich keiner dieser Kirchenrichtungen an- len außenstehenden Menschen nicht in ih- der älteren Kirche, aber es wurde nun in be- gehöre. Aber ich glaube, die Unterschiede rer Unterschiedlichkeit wahrgenommen – sonderer Weise angeschärft und praktisch zwischen Lutheranern und Reformierten und sie dürfen sich auch nicht zersplittert verdeutlicht. Es geht darum, dass priesterli- sind nicht geringer als die, wie sie zwischen zeigen, wenn ihr Auftreten überzeugen will. che Funktionen von Jedem und Jeder wahr- Lutheranern und Katholischen bestehen. Ich glaube, es ist hilfreich, wenn Evangeli- genommen werden können. Das war eine Die Abendmahlsgemeinschaft zwischen Re- sche und Katholische gegenseitig auch mal wichtige Neuheit im Blick auf Kirchenvolk formierten und Lutheranern ist ja auch erst ihre Vorurteile und Ansichten übereinan- und Kirchenherrschaft. seit 1973 mit der Leuenberger Konkordie der äußern. Denn vieles, was heute hemmt, möglich geworden. Ich habe die große Hoff- sind nicht theologische, sondern Mentali- Wir feiern dieses Jahr 500 Jahre nung, dass wir auch zwischen den Evangeli- tätsfragen. Ich glaube, da ist noch sehr, sehr Reformation. Wie beurteilen schen Kirchen und der Katholischen Kirche viel an besserem gegenseitigem Kennen- Sie die Ökumene anlässlich dieses diese Gemeinschaft erreichen können. Der lernen möglich. Wir haben das schon beim Jubiläums? Anfang muss mit der auch offiziellen Aner- ersten Ökumenischen Kirchentag 2003 in Ich bin zunächst einmal sehr erstaunt und kennung der Abendmahlsgemeinschaft in Berlin gemacht. Beim 3. Ökumenischen Kir- erfreut über das, was in diesem Jahr pas- den vielen konfessionsverbindenden Ehen chentag 2021 in Frankfurt sollten wir stär- siert ist. Denn Reformationsjubiläen wa- geschehen. ker fragen: Wie müssen wir aufgestellt sein, ren in Deutschland immer wichtige Identi- um zusammen als Christen den Menschen tätsbeschreibungen der Evangelischen Kir- Was erwarten Sie sich weiterhin und der Gesellschaft dienen zu können? che: 1617, 1717, 1817 und besonders unglück- vom Reformationsjubiläum? lich 1917. Dass 2017 die Evangelische Kirche Ich erhoffe mir vom Reformationsjubilä- Thomas Sternberg, MdL ist Präsident des Zentral­ in Deutschland einen so starken ökumeni- um, dass es intensiv auf die Fragen eingeht, komitees der deutschen Katholiken. Theresa schen Akzent setzt, hat mich verwundert die die Reformationszeit gestellt hat und ­Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur und beglückt. Der Auftakt am 31. Oktober noch stellt. Dabei ist mir eine Frage beson- letzten Jahres war ein Gottesdienst im Ber- ders wichtig, die Martin Luther umgetrie- liner Dom, in dem die Martin-Luther-Me- ben hat: Wie finde ich als sündiger Mensch daille an den langjährigen Vorsitzenden der einen gerechten Gott? Aber wie ist das mit Deutschen Bischofskonferenz Karl Kardi- unserem Empfinden von persönlichem Ver- nal Lehmann verliehen wurde. Das war ein sagen und persönlicher Schuld? Ich glaube, Signal. dass die Frage nach dem Schuldbewusst- sein unzeitgemäß erscheint und uns das Thema schwer fällt. Das ist Nichts, was eine einzelne Kirche oder Organisation betrifft, sondern die uns ganz persönlich meint.

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Dossier »Reformationsjubiläum Nr. 1« Martin Luther

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Am 31. Oktober 2017 jährt sich die Reformation zum 500. Mal. Das war Anlass genug für den Deutschen Kulturrat »Martin Luther Superstar« ein erstes Dossier zu widmen. Die Themen sind: Reformation und Staat – eine Spurensuche; Kultur in der Reformationsdekade; Förderprogramm Reformationsjubiläum; Protestantische Bildkritik; Das Chris- tentum ist keine Bilderbuchreligion; Angewandte Reformation; Was rettet das Abendland? und vieles andere mehr.

ISBN: 978-3-934868-40-3, 56 Seiten, € 4,20 Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod, obwohl ich ein Paar Unterhosen zum Wechseln mitnehmen werde. WOODY ALLEN