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Ronald Friedmann: In den Jahren 1927 bis 1929 gehörte Gerhart Ulbrichts Rundfunkmann. Eisler an der Seite von Ernst Meier, Arthur Ewert, Hugo Eberlein, Kurt Süsskind, Georg Eine Gerhart-Eisler-Biographie, Schumann und anderen (auch Wilhelm Pieck edition ost Berlin 2007, 285 S. wurde diesem Personenkreis zugerechnet) zu (14,90 €) jenen führenden KPD-Funktionären, die im Gefolge der Wittdorf-Affäre Ernst Thälmann vom Vorsitz der KPD verdrängen und eine »Gerhart Eisler ist tot, aber nicht vergessen.« realistischere Politik der Partei durchsetzen Dies ist der treffende Schlusssatz von Ronald wollten, realistischer als sie beispielsweise Friedmanns Buch über einen in gebo- Walter Ulbricht (beispielsweise auf dem Ge- renen Österreicher. Nach dem Ersten Welt- biet der Gewerkschaftspolitik) damals vehe- krieg kam Gerhart Eisler von Wien, wo er auf- ment mit vertrat. Die Versuche, die Mehrheits- gewachsen, nach Deutschland, wirkte lange verhältnisse in der Führung der KPD 1928/29 Jahre in der KPD, der Kommunistischen Inter- zu verändern, schlugen fehl. Auf Druck der nationale und dann in der SED als Partei- KPdSU und namentlich Stalins wurden durch funktionär. Legale, halblegale oder illegale Beschlüsse von Gremien der Kommunisti- Einsätze »dazwischen« führten ihn u. a. nach schen Internationale die so genannten Rech- China, Spanien, Frankreich und in die USA. ten aus der KPD herausgedrängt. Die oben Vor jenem letzten Satz des Buche zitiert Genannten wurden gleichzeitig wegen ihrer der Autor aus der 1971 erschienenen Autobio- »Duldsamkeit« gegenüber den Positionen der graphie eines anderen Österreichers, des Publi- so genannten Rechten scharf kritisiert. Seit zisten Bruno Frei. Drei Jahre nach Gerhart Ende der 20er Jahre hatten sie ihre Brandmar- Eislers Tod 1968 heißt es in dem »wirklichen kung unter dem dann gebräuchlichen Stigma Nachruf« (so Ronald Friedmann, S. 271): als »Versöhnler« erhalten und in der stalini- »Aber Gerhart Eisler war auch der Schrecken sierten KPD wie der KI und auch noch später der Feiglinge, der Schwätzer, der Gerüchtema- in der SED behalten, auch wenn sie abschwo- cher. Sein Mut, so natürlich er in Erscheinung ren, von ihren Ansichten »selbstkritisch« in al- trat, hatte etwas Überlegtes an sich, geboren aus ler Öffentlichkeit abrückten. der seltenen Fähigkeit, die haarscharfe Grenze Gerhart Eisler hatte, wie in der Publikation zwischen Bravour und Kaltblütigkeit einzuhal- ausführlich beschrieben, Ende der 20er Jahre ten. Immer das tun, was jeweils möglich, und des vorigen Jahrhunderts Glück im Unglück. niemals unterlassen was notwendig ist. Diesen Seine »Kominternierung«, so eine gängige realistischen Mut hat Gerhart Eisler unter ver- Bezeichnung für eine rigide ausgeübte Praxis, schiedenen Himmeln mit verschiedenen Rei- endete nicht nach der Herauslösung aus jeg- sepässen bewiesen.« (S. 272) licher Parteiarbeit in Deutschland, nicht im Eigentlich bereits ein schöner Abschluss für jahrelangen, beschäftigungslosen (und mittel- eine Rezension, zumindest schon hier sei die losen) Wartezustand in Moskau. Als Emissär übliche Aufforderung platziert: Dieses Buch der KI wurde Gerhart Eisler nach China und kaufen, lesen und weiter empfehlen. Gestolpert Spanien geschickt, schließlich wirkte er viele bin ich über den Buchtitel: »Ulbrichts Rund- Jahre in den USA. Zwischenzeitlich war er funkmann« – und dies aus zwei Gründen. nach 1933 auch Mitarbeiter der Auslandslei- 1. Warum fördert und schützt Walter Ulbricht tung der KPD in Paris. seinen früheren erbitterten politischen Kontra- Zu den interessantesten – weil mir weniger henten aus »KPD-Zeiten« in »DDR-Zeiten« bekannten – Stationen von Gerhart Eislers so hartnäckig und ausdauernd? Lebensweg gehören die Schilderungen der 2. War Gerhart Eisler nicht eigentlich mehr Praxis amerikanischer Geheimdienste, mit of- als ein »Rundfunkmann«, nicht eine Institu- fener Bespitzelung und mehrmaliger Verhaf- tion im sozialistischen Parteijournalismus der tung sowie der schließlichen Flucht als blinder DDR – und dies ist eine Feststellung, keine Passagier auf einem Schiff aus den USA nach schnöde Abqualifizierung eines Spätergebore- Europa, so dass der angestrebte Schauprozess nen. gegen einen »kommunistischen Agenten« nicht Bücher . Zeitschriften 1177 geführt werden konnte. Nicht nur das im wusste dabei humorvoll zu argumentieren. Anhang dokumentierte Verhör Gerhart Eislers Mit seiner umfassenden Bildung und Infor- am 6. Februar 1947 vor dem »Komitee für miertheit über das politische Weltgeschehen Unamerikanisches Verhalten« in Washington war er Vorbild – und nicht nur Walter Ulbricht spricht Bände, auch mehrere Kapitel des Bu- erkundigte sich regelmäßig, wie dieser das ak- ches informieren ausführlich über jenen Le- tuelle politische Weltgeschehen beurteilte. bensabschnitt eines aufrechten Kommunisten. Die fünfziger Jahre. Den wiederholten For- Die Passagen über die USA sind eng ver- derungen aus Moskau im Rahmen der umfas- bunden mit dem Namen von Gerhart Eislers senden innerparteilichen »Säuberungen« von Schwester Elfriede, bekannt als ultralinke vermeintlichen Parteifeinden in den 50er Jah- KPD-Funktionärin Ruth Fischer. Ihr politi- ren, den im doppelten Sinne »unsicheren Kan- scher Hass ließ diese nicht vor Denunziatio- tonisten« Gerhart Eisler (einmal Versöhnler nen des Bruders gegenüber den amerikani- immer Versöhnler; Leben im »Mutterland des schen Behörden zurückschrecken, ein Hass, Feindes«, den USA, ergo »Agent«) bei den der bis zum Lebensende beider nicht geringer Parteiüberprüfungen härter und auch nament- wurde. lich öffentlich zu bestrafen, kam die SED Zweimal unterbricht der Autor den Fluss letztendlich nicht nach. Ronald Friedmann be- seiner chronologischen Lebensbeschreibung schreibt die 50er Jahre als die »bittersten und fügt Exkurse über Gerhart Eislers Ge- Jahre« im Leben Gerhart Eislers detail- und schwister ein: über die Schwester Elfriede kenntnisreich. Wer noch nicht weiß, was mit (Ruth Fischer) und den Bruder Hanns, den Stalinismus in DDR und SED gemeint ist, hier bekannten Komponisten – nicht nur der DDR- findet er Tatsachen in Fülle. Nationalhymne zu den Worten von Johannes Nur spekuliert werden kann, was Walter R. Becher oder vieler Texte von Bertolt Ulbricht mit Gerhart Eisler wirklich verband. Brecht. Überschätzte ersterer seine einzigartige Posi- Gerhart und waren leiden- tion als erfahrener KI-Funktionär gegenüber schaftliche Schachspieler und politisch zeit- jüngeren Repräsentanten der KPdSU, die lebens konsequente Gegner der politischen jetzt den Kurs im »sozialistischen Welt- Ansichten ihrer Schwester Elfriede (Ruth Fi- system« wie in der kommunistischen Bewe- scher). Sie verband, als sie dann beide in der gung autark zu bestimmen glaubten und DDR lebten, auch die sensible, aber hart- zumeist auch durchsetzten? Antworten darauf näckige und aufrichtige Solidarität, wenn ei- wie auch auf die Frage, aus welchen Motiven nem von beiden persönliches und politisches heraus sich Gerhart Eisler als »Parteisoldat« Unrecht von den »eigenen Leuten« angetan immer wieder selbst disziplinierte, eigene wurde. Wie schmerzlich dies für sie war, Zweifel an der Richtigkeit des eingeschla- wussten sie auch ohne Worte voneinander. An genen Kurses nicht laut werden ließ – oder gar die Öffentlichkeit drang die Bitterkeit darüber nicht kannte –, bedürfen noch vieler For- kaum. schungen. Noch mal zu Elfriede (Ruth Fischer): ange- Ronald Friedmann lässt auch eine beson- deutet wird im Buch auch, dass die beiden dere Perfidie der stalinistischen SED gegen- Männer als Buben ihrer Schwester manchen über Gerhart Eisler nicht unerwähnt (Seite Streich spielten, auch wenn diese Bemerkung 222/223), eine Praxis, die schon zu KPD- keine Entschuldigung für diametral entgegen- Zeiten und bis 1989 systemüblich war. Im gesetzte politische Ansichten sein kann und »Neuen Deutschland« vom 18. Februar 1951 soll. Neugierig wie der Mensch nun mal ist, findet sich auf Seite vier ein Artikel mit der hätte man darüber gern Genaueres gelesen. Überschrift: »Ernst Thälmanns Kampf gegen »Ulbrichts Rundfunkmann«? Eigentlich war die Versöhnler«. Der von Gerhart Eisler ge- Gerhart Eisler im »Medienbetrieb« der DDR zeichnete Beitrag soll nicht referiert werden, eine Institution, er hat viele junge und ältere aber die Zwischenüberschriften (des Autors Menschen zu guten Journalisten herangebil- oder der Redaktion?) seien genannt: »Die Ver- det. Im Gespräch mit Journalisten-Kollegen söhnler helfen den Feinden der Partei«, »In war er scharfzüngig und punktgenau und Worten gegen, in der Praxis mit den Rechten«, 1178 Bücher . Zeitschriften

»Die Versöhnler in der Position von Partei- weltanschaulichen Standpunkten: hier der feinden«, »Ein Versöhnler ist kein Marxist- deutlich konservativ-völkische und eher hu- Leninist!«. morlose Bruno Bauch, dort die politisch links Was bleibt? Ein lesenswertes Buch, das aus positionierte und witzig-ironische Ursula biographischer Sicht dazu beiträgt, Parteige- Schäfer), finden sich in den Diarien der beiden schichte wie DDR-Geschichte differenzierter Amerika-Fahrer doch erstaunlich viele Paral- zu betrachten. Biographische Darstellungen lelen. »Insgesamt«, so das Fazit Steinbachs, wie Ronald Friedmanns Buch über Gerhart »dokumentieren die Texte Bauchs wie Schä- Eisler wünschte man sich über viele weitere fers über die reinen Zustandsschilderungen »Spitzenfunktionäre« von KPD, KI und SED. hinaus deutsches Nationalbewusstsein in sei- HORST HELAS ner eigenartigen Zerrissenheit.« Sicher, man hätte Bruno Bauchs Amerika-Tagebuch auch mit dem Diarium eines liberalen Zeitgenossen Matthias Steinbach, verknüpfen können. Angeboten hätten sich hier etwa die Amerika-Notizen des Krupp- Sven Schlotter (Hg.): Managers und Kunsthistorikers Eberhard Zweimal Amerika. Freiherr von Bodenhausen (1868-1918). Der Deutsche Reisetagebücher 1926 Freund von Harry Graf Kessler weilte eben- und 1990. manuskript – Archiv falls Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA und hat Notizen hinterlassen, die bis dato nur zur Bildungs- und Wissenschafts- in Auszügen veröffentlicht sind. Aber Bauchs geschichte, Bd. 3, Verlag Tagebuch das der unverkrampften Touristin Dr. Bussert & Stadeler Jena 2007, Ursula Schäfer gegenüberzustellen, ist auch 140 S. (24,90 €) von großem Reiz. Bruno Bauch aus Jena war einer von nur vier deutschen Teilnehmern am 6. Internatio- »Zweimal Amerika« ist die dritte Publikation nalen Kongress für Philosophie, der 1926 der von den Historikern Matthias Steinbach in Boston stattfand. Dass Bauch seine Auf- und Michael Ploenus (Jena) herausgegebenen zeichnungen nur pro domo anfertigte, das Reihe »manuskript – Archiv zur Bildungs- Diarium einzig als »Gedankenstütze« betrach- und Wissenschaftsgeschichte« betitelt. Was tet wissen wollte, überrascht den Leser. Denn zunächst wie ein unbekannter Roman von der vorliegende Bericht ist bis ins letzte Jules Verne klingen mag, ist ein Band, der Komma hinein ausgefeilt; als wollte sein Au- zwei Reisetagebücher vereint. Das erste ver- tor ihn unter allen Umständen druckreif hin- fasste der Jenaer Philosophie-Professor Bruno terlassen. Sven Schlotter, der mit der Arbeit Bauch (1877-1942), das zweite die Lehrerin »Die Totalität der Kultur – Philosophisches Ursula Schäfer (1923-2006). Der Gelehrte Denken und politisches Handeln bei Bruno Bauch reiste 1926 zu einem Philosophie-Kon- Bauch« in Jena promovierte, kommentiert gress in die USA; Ursula Schäfer wiederum dessen Reise-Tagebuch ebenso vorzüglich wie begleitete im Einheitsjahr 1990 ihren Mann, er es in den Kontext seines wissenschaftlichen den Jenaer Historiker Prof. Peter Schäfer, zu Wirkens stellt. Über Passionen jenseits der einem Studienaufenthalt in die Vereinigten Philosophie oder gar über liebenswerte Laster Staaten. Bauchs wird im Begleittext nichts erwähnt. In seinem Vorwort erläutert der Reihenbe- Allein im Diarium findet sich der Hinweis, gründer Matthias Steinbach, warum diese dass Bauch gern mal eine Zigarette rauchte: zwei, auf den ersten Blick scheinbar höchst Und so berichtet er u. a. von seiner Freude, auf disparaten USA-Reisetagebücher in »dia- einer Zugfahrt durch das Land einen ganzen chroner Zusammenschau« publiziert werden. Abend in einem der seltenen Raucherabteile Bauch und Schäfer seien, so Steinbach mit der amerikanischen Pullman-Züge verbracht Shakespeare, »strange bedfellows«, also »selt- zu haben. same Bettgenossen«. Und wirklich: Bei allen Als Lehrstuhlinhaber war Bauch ein deut- erkennbaren Unterschieden (vor allem in den scher Intellektueller wie er im Buche steht: Bücher . Zeitschriften 1179

Korrekt bis penibel, als Publizist unwahr- mehr und mehr aus«, dann klingt das, als scheinlich fleißig, dabei konservativ bis zum schreibe der Diarist über eine ansteckende Stehkragen. Kaum ist er in den USA ange- Krankheit. Folglich hat der »Neger« bei Bauch kommen, da heißt es schon apodiktisch: »Eine auch keinen Mund, sondern ein »Maul«. Und der schlimmsten Geschmacklosigkeiten ist die wenn er ergänzt: »Dazu kommen Rasse- bekannte Freiheitsstatue.« Eine Begründung mischungen«, dann spürt man förmlich das wird nicht gegeben. Bei Bauchs Ankunft in Unbehagen, das den Deutschen angesichts der New York versucht ein Journalist seine be- ethnischen Vielfalt in New York ergreift. scheidene Weltläufigkeit zu demonstrieren Bauch besucht in »Big Apple« auch ein Va- und sagt, Goethe war »also a philosopher of rieté. Dort wird u. a. Jazz gespielt – und zwar, Jena«. Darauf hat der in Goethes und seiner wie er zu seinem Entsetzen feststellen muss, Ehre gekränkte Bildungsbürger Bauch nur auf einer Orgel, also auf der »Königin der eine Entgegnung parat: »Du Rindvieh!« Musikinstrumente«. Spätestens hier reißt dem Als Gast in diesem so ganz anders gearteten deutschen Bildungsbürger die ästhetische Land ist es Bauchs mühsames Bestreben, alles Hutschnur. Dieser Missgriff ist für Bauch Neue so aufzunehmen wie es sich ihm darbie- ein Beispiel amerikanischer Unkultur. tet, d. h. möglichst vorbehaltlos. »Kurz, ich Durch das Gelesene sensibilisiert, fragt man war trotz meiner Skepsis auch mit meiner sich, welche Wirkungen der Besuch in den Skepsis vorsichtig und gegen meine eigene USA von 1926 bei dem deutschen Gelehrten Skepsis skeptisch.« Doch das missrät ihm in der Folge gezeitigt haben mag? Streng be- gänzlich. Zwar findet er anerkennende Worte trachtet: keine. Denn Sven Schlotter kann nur für die von ihm besuchten Universitäten Har- konstatieren, dass »Bauch seinen Amerika- vard, Cornell und Cambridge, kommt aber Aufenthalt nicht wirklich als Chance zur kriti- schnell zu dem Schluss, dass die amerikani- schen Revision der eigenen Auffassungen schen Philosophen ihren deutschen Kollegen nutzte und sich allzu schnell gegen die irri- nicht das Wasser reichen können. Und wenn tierende Erfahrung des Fremden immunisiert deutsche Bildung und deutsche Philosophie hatte«. Mehr noch: Auch und gerade nach gelobt werden, betont Bauch mit schöner 1933 warnte der Jenaer Gelehrte, der sich nach Regelmäßigkeit, er »gebe nur wieder« und der Machtergreifung »öffentlich zum neuen »stelle nur fest«. Aber solche Lobreden der Staat bekannt« hatte, vor der obskuren Gefahr US-Kollegen gehen dem deutschen Philoso- des »Amerikanismus«. phie-Professor Bauch runter wie Öl. Ganz anders Ursula Schäfer: Keine Skepsis Amerikanischen Frauen und amerikanischer und Distanz, kein Ressentiment, dafür aber Geselligkeit kann er freilich nichts abgewin- Lob, wo Lob, und Kritik, wo Kritik ange- nen: Beide sind nach seiner Auffassung »kalt« bracht ist. Bei diesen Notizen handelt es sich und »seelenlos«. Diese Position ist ein Stereo- wirklich um einen »überaus anregenden Er- typ und diametral entgegengesetzt zu der, die lebnisbericht« (Steinbach), der aus Lust an der etwa Thomas Mann zu jener Zeit pflegte. Der Freude entstand, endlich das Land sehen zu Dichter attestierte der amerikanischen Frau können, dem das jahrzehntelange wissen- eine »geistige, kulturelle Überlegenheit«, weil schaftliche Interesse ihres Mannes galt. Man »der Mann ohne Muße« und nur ein »Ar- muss dem Mitherausgeber Steinbach unbe- beitstier« sei (vgl. Heinrich Detering: »Juden, dingt beipflichten, der in seinem Vorwort das Frauen und Literaten« – Zu einer Denkfigur Diarium Ursula Schäfers mit den Worten resü- beim jungen Thomas Mann, Frankfurt/Main miert: »Es überwiegt ein fast naiver, aber da- 2005). durch überaus erfrischender Blick auf Ameri- Besonders bei seinen Äußerungen über New kas Kultur und Gesellschaft, der Reserven York wird kenntlich, dass Bauch ein Kind der gegenüber der Politik der ersten Bush-Admi- alten Welt Europas ist. Voller Ressentiments nistration freilich nicht ausschließt.« sind die Passagen über seine »Wanderungen in Peter Schäfer (Jg. 1931) belässt es nicht nur den Italiener-, Neger-, Chinesen- und Juden- bei einem Kommentar des Berichts seiner im vierteln« der Metropole. Wenn Bauch notiert: Jahre 2006 verstorbenen Frau, sondern ergänzt »Besonders Juden und Neger breiten sich das Diarium mit einer Passage aus seinen noch 1180 Bücher . Zeitschriften unveröffentlichten und »Schreiben Sie das Peter Zimmermann: auf, Herr Schäfer!« betitelten Erinnerungen. Geschichte wird uns zugefügt. Einmal mit dem Lebensrückblick des Histori- kers konfrontiert, wünscht man sich, die ein- Ein Ostdeutscher erinnert sich an gängig geschriebenen Memorabilien recht das 20. Jahrhundert; Eudora-Verlag bald in Gänze lesen zu können. Umso mehr, Leipzig 2005, 457 S. (17,90 €) da Peter Schäfer viel zu sagen haben dürfte. So u. a. über sein Dasein als aus Berlin nach Jena übergesiedelter DDR-Wissenschaftler, Memoiren von Ostdeutschen, die zu begrün- der sein Forschungsthema, die USA und ihre den glauben müssen, warum sie sich in den Geschichte, bis 1989 nicht ad oculos studieren Dienst der DDR gestellt haben, genießen im- durfte. Erst 1990 – und damit sechs Jahre vor mer noch Konjunktur. Man findet darunter die seiner Emeritierung! – konnte er die USA erst- Lebenserinnerungen von Staatslenkern und mals betreten. Ein zweimonatiges Stipendium -angestellten bis hin zur einfachen Verkäuferin des Bundesforschungsministeriums versetzte oder Sekretärin. Eine Berufsgruppe scheint ihnindieLage,indieStaatenzureisenund sich besonders berufen zu fühlen, ihre Erleb- über die US-amerikanischen Präsidenten zu nisse in der DDR anderen mitzuteilen. Und forschen. Das Resultat des Aufenthalts, das zwar sind dies diejenigen, die »von außen« Buch »Die Präsidenten der USA«, erschien einen Blick auf die Geschehnisse und Entwick- 1993. Es erlebte drei Auflagen. Wer mehr über lungen in der DDR hatten. Seien es Diploma- Peter Schäfer und seinen Versuch, USA-Ge- ten, Außenhandelsfachleute, Auslandsjourna- schichte in der DDR, dem vielzitierten »Land listen oder aus sonstigen Gründen »draußen« der begrenzten Unmöglichkeiten«, zu lehren, über Jahre arbeitende »Auslandskader«. So erfahren möchte, der lese das mit dem Jenaer interessant die autobiographischen Aufzeich- Emeritus geführte und im ersten Band der nungen im einzelnen auch zuweilen sind, so »manuskript«-Reihe (»Universitätserfahrung fällt doch ein häufig gebotenes Muster in all Ost – DDR-Hochschullehrer im Gespräch«, diesen Publikationen auf: Von Krieg und Nach- Jena 2005, S. 161-193) veröffentlichte Inter- krieg gezeichnet, die Chance zum Neuanfang view. dankbar angenommen, die Bildung im »ersten Mit diesem dritten Band darf das Funda- Arbeiter- und Bauernstaat« erhalten, die anti- ment der Reihe »manuskript – Archiv zur Bil- faschistische Erziehung durchlaufen, nutzte dungs- und Wissenschaftsgeschichte« als ge- man selbstverständlich die Möglichkeit, im gossen betrachtet werden. Nun wird der Bau Ausland zu arbeiten. Man fühlte sich als was errichtet. Als nächster Band wird die Studie Besseres. Und in der Tat war diese oft benei- »Die Christlichkeit einer Schule – Schulpforte dete Personengruppe gegenüber der Masse der zur Schulzeit Nietzsches« des viel zu früh ver- DDR-Bevölkerung privilegiert. Die alltägli- storbenen Theologen und Pädagogik-Histori- chen Sorgen der DDR-Bevölkerung zur Be- kers Reiner Bohley (1941-1988) erscheinen. schaffung der Dinge des alltäglichen Bedarfs Im fünften Schritt soll 2008 ein Sammelband waren für die in Valuta bezahlten Auslandska- publiziert werden, der unter dem Titel »Ket- der keine, jedenfalls keine bedeutenden. Auch zer, Käuze, Querulanten« Porträts von Gelehr- belohnte man diejenigen, die nicht den gefähr- ten aus mehreren Jahrhunderten vereinigt, die lichen Weg über die Mauer gehen mußten, um an der Universität Jena (k)eine Karriere mach- die DDR verlassen zu können, mit guten ten. Gehältern. Fast alle behaupten in ihren Me- KAI AGTHE moiren, den ökonomischen Niedergang der DDR schon lange Zeit beobachtet zu haben. Deshalb habe man auch immer ein bißchen Opposition gelebt, die »strammen Parteimit- glieder« (S. 426) waren immer die anderen ge- wesen. So liest sich auch die Autobiographie von Peter Zimmermann, der als Hochschullehrer Bücher . Zeitschriften 1181 unter anderem in Ghana und Syrien tätig war. Viele der Witze, so Herzog, übernahmen Er- Neben recht informativen und zum Teil auch zählmuster älterer politischer Witze und rich- mit einem Schmunzeln zu lesenden Passagen teten sich vergleichsweise harmlos lediglich des Buches muß leider das Urteil gefällt wer- gegen die Politiker im Allgemeinen oder deren den: zu ausschweifig, zu selbstdarstellerisch, Verfehlungen und Schwächen. Nur selten kri- zu allgemein, zu uninteressant in dem gebote- tisierten sie gezielt das nationalsozialistische nen Umfang. Ein Lektor hätte den Verfasser Regime und dessen Verbrechen. Während die darauf hinweisen müssen. Schade! Wenn der nicht eingelösten Versprechen der NS-Politi- Umfang halb so groß gewesen wäre und Zim- ker gerne aufs Korn genommen wurden – bei- mermann sich auf das Wesentliche konzen- spielsweise, wenn der »Endsieg« immer noch triert hätte, wäre es möglich gewesen, ein auf sich warten ließ –, war eine Auseinander- gutes Buch vorzulegen. setzung mit dem verbreiteten Antisemitismus ULRICH RAMM in der Bevölkerung eher die Ausnahme. Die Witze, die den nationalsozialistischen Terror- und Repressionsapparat thematisierten, Rudolph Herzog: deutet Herzog als Zeichnen der Mitwisser- schaft. Anhand solcher Witze werde deutlich, Heil Hitler, das Schwein ist tot! was alles in der Bevölkerung selbstverständ- Lachen unter Hitler – Komik und lich bekannt war. Die Analyse der politischen Humor im Dritten Reich, Witze sage viel darüber aus, was die Menschen Eichborn Frankfurt/M. 2006, dachten, was sie ärgerte, was sie wussten und € was sie ausblendeten. 268 S. (19,90 ) Der Autor widerlegt aber vor allem die Auf- fassung, dass man durch das Erzählen eines Darf man über Hitler lachen? Diese seltsame, kritischen Witzes sogleich im Konzentrations- aber dennoch häufig gestellte Frage steht lager gelandet wäre. Das Regime ging nur sel- in Rudolph Herzogs neuem Buch nicht im ten mit drakonischen Strafen oder gar To- Vordergrund. Der Filmemacher versucht desurteilen gegen Witzerzähler vor. Herzog vielmehr, einen differenzierenden Blick auf beruft sich dabei auf die verdienstvolle Arbeit Komik und Humor im »Dritten Reich« zu von Meike Wöhlert, die in ihrer Studie die werfen. Er stellt die Frage, wer denn über was These vom lebensgefährlichen Witze erzählen genau lachte. Dabei geht er mit manch alther- durch die Analyse der tatsächlichen Verurtei- gebrachter Deutung kritisch ins Gericht. lungen ins Reich der Legenden verwiesen hat. Nach dem Ende des Nationalsozialismus In der breiteren Öffentlichkeit wurde diese Er- erschienen zahlreiche Anthologien mit NS- kenntnis aber bislang kaum zur Kenntnis ge- kritischen Witzen, die sich in der Folgezeit un- nommen. ter der Bezeichnung »Flüsterwitz« wachsen- Herzog hat außerdem Gespräche mit 20 Zeit- der Beliebtheit erfreuten. In diesem Begriff zeugen geführt, die über ihre Wahrnehmung schwangen jedoch immer auch zwei Aussagen von Witzen in der Zeit des Nationalsozialis- mit: Zum einen, dass ein großer Teil der Be- mus berichten. Leider greift er nur an wenigen völkerung der nationalsozialistischen Ideolo- Stellen auf dieses Material zurück und ver- gie ablehnend gegenüber stand, zum andern, zichtet auch darauf, die Erzählsituation und dass man diese kritische Haltung nur hinter Rezeption der Witze genauer zu beleuchten. vorgehaltener Hand äußern durfte. Sonst – so Mit seiner kritischen Sicht auf den »Flüs- die gängige Erklärung – hätte man sein Leben terwitz« übergeht Herzog nicht die Fälle, in aufs Spiel gesetzt. denen Komiker einer massiven Verfolgung Herzog räumt mit dieser hartnäckigen Le- durch das Regime ausgesetzt waren. Werner gende auf und geht den Inhalten der Witze ge- Finck saß mehrere Wochen im KZ Esterwe- nauer nach. In seinem Buch skizziert er ver- gen, der jüdische Kabarettist Kurt Gerron schiedene Stationen in der Entwicklung des wurde in Auschwitz ermordet. Der größte Teil »Dritten Reiches« und stellt die entsprechen- der Komiker passte sich allerdings der neuen den Witze somit in ihren historischen Kontext. Ideologie an – oder musste sich eventuell gar 1182 Bücher . Zeitschriften nicht mehr anpassen. Ein Aspekt, der übrigens demografisch erhobenen Bevölkerungsent- durchaus eine ausführlichere Betrachtung ver- wicklung und kritisiert sachkundig die miss- dient hätte. bräuchlichen Interpretationen. Wenn wir mit Rudolph Herzog liefert insgesamt wenig düsteren Aussichten auf einen »Greisenstaat« neue Erkenntnisse, bietet aber erstmals einen konfrontiert, ja erschreckt werden, dann gelungenen Gesamtüberblick über Komik und stecken dahinter – so erklärt er – ganz eigene Humor im »Dritten Reich«. Dabei berücksich- Interessen von Politik und Wirtschaft. tigt er unterschiedliche Bereiche – vom politi- In der Tat signalisieren Analysen und in die schen Witz und Karikaturen über das Kabarett Zukunft projizierte Szenarien der Bevölke- und bis hin zum Kino. Die bekannten brillan- rungsentwicklung Herausforderungen, denen ten Dialoge von Werner Finck finden ebenso es sich zu stellen gilt. Sie zu ignorieren wäre Erwähnung wie die im Dienste der NS-Unter- ebenso leichtsinnig wie mit ihnen irrationale haltungsindustrie stehenden Komödien eines Ängste zu schüren. Wenn es darum geht, der Heinz Rühmann. Bevölkerung politische Konzepte wie die Hervorzuheben ist an Herzogs Arbeit, dass Infragestellung der Sozialstaatlichkeit, die er die Entwicklung des komischen Gewerbes »Rente mit 67« oder den Umbau des Gesund- in den einzelnen Phasen des »Dritten Reiches« heitswesens plausibel zu machen, wird ein- beschreibt und die unterschiedlich verlaufen- fallsreich der Methusalem-Staat als Schreck- den Biografien der Komiker im Blick behält. gespenst aufgebaut. Die individuellen Schicksale treten bei ihm Auch Kistler als realistischer Analytiker nicht hinter die präsentierten Witze zurück. weiß um die Überalterung unserer Gesell- So macht der Autor letzten Endes auch das schaft, und auch er kann uns die teilweise Spannungsverhältnis von Lachen und natio- dramatische Formen annehmenden Folgen nalsozialistischer Herrschaft deutlich. Witz ausmalen. Im Unterschied zu den Unter- und Komik lassen sich im Nationalsozialis- gangsszenarien anderer Autoren stellt er uns mus nicht auf eine Formel bringen, sondern Situationsanalysen des demografischen Wan- nur durch die Untersuchung der unterschiedli- dels vor, um dann mit mythenbildenden Poli- chen Lachpraktiken bewerten. tikern und Publizisten scharf ins Gericht zu Die Frage, wo beim Lachen über Hitler die gehen. Die Begegnungen der wissenschaftli- Grenze erreicht war, greift Herzog gegen Ende chen mit den publizistischen Argumenten las- des Buches auf. Ein »Flüsterwitz« über den sen sich trefflich verfolgen und bereiten bei al- Selbstmord Hitlers ist nicht überliefert. Darü- lem Ernst Vergnügen. ber konnten die schockierten Deutschen am Verantwortlich für ungesicherte Renten, für Ende des »Dritten Reiches« nicht lachen. den vorausgesagten Mangel an Arbeitskräften ECKART SCHÖRLE ab 2015 und die sich leerenden Sozialkassen ist jedenfalls nicht der demografisch festge- stellte Wandel. Geburtenrückgang, steigende Ernst Kistler: Lebenserwartung, Zuwanderungsprobleme sind keine »Nachrichten aus der Zukunft« und Die Methusalem-Lüge. auch kein allein deutsches Phänomen. Für an- Wie mit demografischen Mythen dere europäische und nordamerikanische Län- Politik gemacht wird, Karl Hanser der und selbst für China und Japan zeichnen Verlag München, Wien 2006, sich ähnliche Entwicklungen ab. € Die wirkliche, wirkende Lösung des Demo- 270 S. (19,90 ) grafieproblems lässt sich in langfristigen Ge- staltungsoptionen – Kistler scheut sich nicht, »Statt in irrationale Ängste zu verfallen heißt von Planung zu sprechen – finden. Das aller- es: Hinsehen und umdenken.« Das empfiehlt dings sei nicht die Stärke deutscher Politik der Sozialökonom Ernst Kistler angesichts der und Unternehmen: Die einen denken und han- Diskussion um die vielfach vorhergesagte deln in Legislaturperioden, die anderen in Überalterung der deutschen Gesellschaft. Er Quartalszahlen und Gewinnchancen. Länger- blickt für uns tiefer hinter die Fallstricke der fristigkeit und perspektivisches Denken sind Bücher . Zeitschriften 1183 zwangsläufig Tabuthemen. Der Abbau der Bil- dungsangebote und der Bildungschancen für Jugendliche und für erwachsene Arbeitnehmer ist nahezu beispiellos in der Welt. Und was nützt es, das Renteneintrittsalter hochzu- schrauben, wenn nicht gleichzeitig mehr Arbeitsplätze geschaffen, die Arbeitsbedin- gungen verbessert und die notwendigen Wei- terbildungsmaßnahmen durchgeführt werden? Gestalten wir denn also im Wissen um die Probleme das Methusalem-Projekt: Prüfen wir die Alternativen, diskutieren wir sie und ge- stalten wir die realistischen, indem wir die Perspektiven – gelegentlich – wechseln. Mö- gen dieses Projekt und mit ihm das Buch min- destens die Beachtung finden wie die Veröf- fentlichungen der Dramatisierer. Ernst Kistler ist Direktor am Internationa- len Institut für Empirische Sozialökonomie INIFES gGmbH in Stadtbergen/Augsburg. Hauptarbeitsgebiete: Demographischer Wan- del, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, Sozial- berichterstattung; Politikberater auf Landes- und Bundesebene. KARL-HEINZ STRECH