passagen

Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft 75 Jahre Kunst und Kultur in der Schweiz Zwei Theaterworkshops in Oberägypten Eine internationale Kunstkonferenz in Indien Eine Neuinterpretation des Medea-Mythos in Albanien

DAS KULTURMAGAZIN VON PRO HELVETIA, NR. 65, AUSGABE 2/2015 3 – 31 THEMA 32 ORTSZEIT Kairo: Zwei Kurse, viele Geschichten Kunst und Kultur im Wandel Zwei Theaterworkshops mit unterschiedlicher Ausrichtung Dieser Jubiläumsausgabe von Passagen liegt als kleines Geschenk in Ägypten. ein Plakat bei. Gestaltet wurde es von 22 Schweizer Künstlerinnen und Von Menha el Batraoui

Künstlern, die in den vergangenen zehn Jahren das Kulturmagazin 34 New Delhi: Öffentliche Kunst mit ihren Beiträgen begleitet und geprägt haben. Es zeigt ihre Visionen im globalen Dialog von Kunst und Kultur in 25 Jahren. An einer Konferenz in Mumbai werden Möglich- keiten von Kunst im 3 Chronologie ­öffentlichen Raum diskutiert. Ein Streifzug durch die Geschichte von Pro Helvetia. Von Rosalyn D’Mello 36 REPORTAGE 7 Ein Blick in die Vergangenheit Fettanzug statt Kindstod Über die Gründungszeit der Schweizer Kulturstiftung. Eine albanisch-schweizerische Von Daniel Di Falco Theaterproduktion setzt sich mit dem Medea-Mythos 10 «Ich fühlte die Notwendigkeit» auseinander. Von Isabel Drews (Text) Der Schriftsteller und Übersetzer Giovanni Orelli im Gespräch mit und Tristan Sherifi (Fotos) Yari Bernasconi 40 PRO HELVETIA AKTUELL 14 Lautmaler und Klangpoet Kulturelle Vielfalt Ein Porträt des Künstlers, Musikers und Performers Christian Jubiläumspublikation Marclay. Architekturbiennale Die Schweiz in Bremen Von Aoife Rosenmeyer 42 PARTNER 18 Von Madrid über London nach Genf Erfolg dank der Kaserne Die Choreografin und Künstlerin La Ribot im Gespräch mit Von Elsbeth Gugger Anne Davier 43 CARTE BLANCHE Kunst und Krise 22 Eine Mischung aus Guerilla und Poetik Von Eric Vautrin Die Medienkünstlerin Valentina Vuksic im Gespräch mit Christian Pauli 44 SCHAUFENSTER Plattform für Künstlerinnen 26 Jodeln statt Bauchtanzen und Künstler Die Jodlerin Nadja Räss im Gespräch mit Insight #1 und Untitled Lena Rittmeyer Von Daniel Karrer 47 IMPRESSUM 29 An die Künstlerinnen und Künstler der Zukunft Tut, was notwendig ist! Ein Aufruf von Milo Rau

Zur Bildstrecke Die Collagen mit Fotografien der fünf Schweizer Künstlerinnen und Künstler stammen von Jean-Vincent Simonet. Der 24-Jährige hat 2014 mit Auszeichnung den Bachelor in Fotografie an der École Cantonale d’Art de Lausanne (ECAL) absolviert. 2015 wurde er für seine Arbeit Maldoror mit einem Swiss Design Award ausgezeichnet. Er lebt in Lausanne und teilt sich seine Zeit zwischen Auftragsarbeiten und freien künstlerischen Erkundungen auf. www.jeanvincentsimonet.com

INHALT 2 Liebe Passagen-Leserin, lieber Passagen-Leser Gleich mehrere Jubiläen sind bei Pro Helvetia in diesem Jahr zu verzeichnen: Vor 75 Jahren hat die Schweizer Kulturstiftung am Hirschengraben in Zürich, wo sie bis heute tätig ist, ihre ersten zwei Büroräume bezogen. Und vor 30 Jahren wurde zeitgleich mit der Eröffnung des Centre Culturel Suisse in Paris die erste Ausgabe von Passagen veröffentlicht. Grund genug, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Eine Chronologie erzählt in grossen Schritten die Geschichte der Stiftung, von den Anfängen bis in die Gegenwart. In welchem politi- schen und gesellschaftlichen Kontext Pro Helvetia 1939 gegründet wurde und wie sich das Spannungsfeld zwi- schen Kultur und Politik auf ihre Arbeit ausgewirkt hat, untersucht der Journalist und Historiker Daniel Di Falco in seinem Auftaktartikel. Im Zentrum ihres Auftrags steht bei Pro Helvetia seit jeher die Förderung des Kunst- und Kulturschaffens. Deshalb bilden vier Gespräche und ein Porträt mit Kunstschaffenden verschiedener Generationen und Disziplinen das Herzstück dieser Ausgabe. Der Schriftsteller Giovanni Orelli mit Jahrgang 1928 macht den Anfang, die Jodlerin Nadja Räss mit Jahrgang 1978 den Abschluss. Das Dossier schliesst der Theatermacher Milo Rau mit seiner flammenden Rede an die Künstlerinnen und Künstler der Zukunft. Zur Zukunft noch eine Information in eigener Sache: Nach 30 Jahren und 65 Nummern begibt sich Passagen in Klausur. Wir gehen über die Bücher respektive über das Magazin und melden uns Ende 2016 mit neuem Tatendrang, frischen Inhalten und einer aktualisierten Erscheinung zurück. Bis dahin wünschen wir Ihnen eine spannende Lektüre und viele anregende kulturelle Begegnungen.

Ihre Passagen-Redaktion

Erste Kultur­ Geistige Landesverteidigung institutionen des Über alle Parteigrenzen hinweg Bundes verlangen Parlamentarier, Intel­

1888 wird die 933 lektuelle und Medienschaffende

eid­genössische 1 angesichts der faschistischen Kunstkommis­ Bedrohung durch die Nachbarländer, sion gegründet. die «Geistige Landesverteidigung» der 1890 entsteht Schweiz zu stärken.

­ hunderts das Schweizeri­ Ende des sche Landes­ Postulat an den Bundesrat museum und 19. Juni: Der Basler Nationalrat 1894 die Schwei­ Fritz Hauser fordert in einem zerische Lan­des­ 935 ­Postu­lat den Bundesrat auf zu bibliothek 1 prüfen, wie die schweizerische Kultur von lat. cultura = Bearbeitung, Pflege, Identität nach der Machtübernahme

9. Jahr (heute National­ Ackerbau. Aebimaschine vor 1930. bibliothek). Hitlers und Mussolinis zu schützen sei. 1 Der Schweizerische Schriftstellerverein Botschaft zur Kulturpolitik (SSV) doppelt eine Woche später nach. 12. November: Die Neue Helvetische Gesellschaft (NHG) präsentiert den Entwurf für eine «Helvetische Stiftung». 9. Dezember: Der Bundesrat

938 veröf­fent­licht eine Botschaft zur Kultur­politik «über die Organi­sation und die Aufgabe

1 der schweizerischen Kultur­wahrung und Kultur­werbung». Darin schlägt er eine vom Bund subventionierte Kulturstiftung vor. Gründung Hirschen­ Neue Aufgaben Pro Helvetia graben 22 21. März: Pro Helvetia 5. April: Die Im April werden neue Aufgaben 939 940 Vorlage für erfolgt der 945 zugewiesen, die auf 1 1 eine Kultur­ Einzug von 1 Austausch und Dialog stiftung wird Pro Helvetia in setzen und die Auslandarbeit wenige Monate die Räumlichkeiten in den Fokus rücken. Ziel ist vor Kriegsaus­ am Hirschengra­ nach den Kriegsjahren nun bruch per Bundes­ ben 22 in Zürich. ein «Ausbruch aus der geisti­ beschluss an­ Die Arbeitsgemein­ gen und kulturellen Réduit- Seit 75 Jahren befindet sich der Hauptsitz von genommen. schaft arbeitet Stellung.» Pro Helvetia am Hirschengraben 22 in Zürich. 20. Oktober: Als von allem Anfang privatrechtliche an subsidiär zu Kantonen und Gemein­ Autonome National­ Stiftung geplant, den und auf Basis von Gesuchen. In den Stiftung fonds wird Pro Helvetia ersten Jahren werden die gesproche­- 28. Septem­ Der Schwei­ 949 angesichts des nen Mittel (500 000 Fr.) aufgeteilt: Die ber: Aus der 952 zerische 1 drohenden Kriegs­ eine Hälfte geht an die Gruppe «Volk», Arbeitsge­ 1 National­ ausbruchs vor­- die andere an die Gruppe «Armee» meinschaft wird fonds wird erst als Arbeits­­­ (besser bekannt unter dem Namen per Bundesbe­ ­gegründet. gemeinschaft «Heer und Haus»). schluss eine auto­ geführt. Erster nome Stiftung öffentlichen Rechts. Präsident ist Erstes Jahrbuch Die Gruppe «Armee» wird aufgelöst. alt Bundesrat Die Stiftung veröffentlicht das Heinrich­ Häberlin, 64 erste Jahrbuch, das das Wirken Pro Helvetia-Gesetz die Führung der 9 von Pro Helvetia zusammen- 17. Dezember: Der Bund erlässt Geschäftsstelle 1 fasst und als Informationsquelle ein eigenes Gesetz, das erstmals

übernimmt für für Parlamentarier und die Öffentlich­ 965 die Organisation und die Aufga­ die nächsten keit dient. 1 ben von Pro Helvetia auf Geset­ 19 Jahre derselbe Clottu-Kommission zesstufe umschreibt. Im Pflichtenheft: Karl Naef, der Das Eidgenössische Departe­ • die kulturelle Eigenart der Schweiz als Sekretär des ment des Innern (EDI) setzt unter erhalten und wahren Schriftsteller­ • das kulturelle Schaffen fördern 969 dem Vorsitz von Gaston Clottu verbandes die • den Kulturaustausch zwischen den 1 eine Kommission ein mit dem Diskussionen um Auftrag, die Situation des schweizeri­ Sprachgebieten und den Kultur­ eine eidgenös­ schen Kulturangebots zu prüfen. kreisen in der Schweiz fördern sische Kulturpoli­ • die kulturellen Beziehungen mit dem tik massgeblich Rund um den Globus Ausland pflegen. 1 geprägt hat. Ihr Mit der Ausstellung «La Suisse Ziel ist die Bewah­ 7 présente la Suisse» in Dakar, Senegal, unterstützt Pro Helvetia erstmals rung der geistigen 9 ein grosses Projekt auf dem afrikanischen Kontinent. War die Unter­ Unabhängigkeit 1 stützung der Stiftung bisher vorwiegend auf Projekte in den USA der Kultur in der und Europa bezogen, so erweitert Pro Helvetia in den kommenden Jahren Schweiz ange­ ­zunehmend ihren Radius und fördert vermehrt rund um den Globus. sichts der Bedro­ Kunst der Gegenwart, Paris 1972. hung durch das Clottu-Bericht nationalsozialisti­ Pro Helvetia führt unter dem Namen «Espace» zum sche Deutschland ersten Mal in der Geschichte ihrer Auslandtätigkeiten und dessen 975 eine mehrmonatige Veranstaltungsreihe durch. In den

­faschistischer 1 von der Schweizer Verkehrszentrale zur Verfügung Propaganda. gestellten Räumlichkeiten in Paris finden Ausstellungen, Theateraufführungen, Filmabende In Paris In New York und Konzerte statt. Pro Helvetia Der Gründung des Centre In einer ­organisiert damit erstmals ein Gross­ ­Culturel Suisse in Paris und Volksab­ 986 projekt ohne Be­teiligung der diplo­ 985 dem damit verbundenen stimmung 1 matischen Vertretungen. 1 Kauf von Räumlichkeiten im werden Die Clottu-Kommission publiziert altehr­würdigen Hôtel Poussepin im sowohl die «Kul­ ihren rund fünfhundertseitigen Marais-Quartier geht ein langes turinitiative»­ Schlussbericht zur Situation des ­Seilziehen zwischen Stiftungsrat und (1 Pro­zent der schweizerischen Kulturangebots. Bundesrat, beziehungsweise EDI, jährlich budge­ ­Empfohlen werden eine Verankerung voraus. Eine Unterschriftensammlung tierten Gesamt­- eines Kulturartikels in der Bun­des­ mit gleich­zeitigem Spenderaufruf aus­gaben des verfassung und die Aufteilung des Westschweizer Magazins ­Bundes für die ­kultureller Belange auf verschiedene «L’Hebdo» verhilft der Anschaffung Kulturförderung) ­Behörden, was 1978 zur Gründung letztlich zum Durchbruch. wie auch der des Bundes­amtes für Kulturpflege Lancierung von «Passagen». Die bundesrätliche (des heutigen Bundesamtes für ­ Kultur­zeitschrift wurde anfangs fürs Gegenvorschlag Kultur, BAK) führt. Zudem sei der Ausland konzipiert und erscheint verworfen. Kultur­aus­tausch inner- und ausserhalb in deutscher, französischer und von Eröffnung des der Schweiz zu intensivieren. der vierten Nummer an auch in Swiss Institute in ­englischer Sprache. New York, USA. In Kairo Bundesamt für Kultur Eröffnung der ersten Aussen­ Vereinigung des stelle in Kairo, Ägypten. ­Bundesamtes für 988 Im ersten Beitragsreglement 989 ­Kulturpflege mit dem 1 von Pro Helvetia werden die 1 Landesmuseum und Unterstützung von Projekten auf der Landesbibliothek zum Gesuch hin und von kulturellen Initiati­ Bundesamt für Kultur mit ven der Stiftung selbst, sogenannter der Aufgabe, die vom Bund Programme, als Haupttätigkeiten bisher über das EDI geführ­ festgehalten. Beispiele für letztere ten kulturellen Aktivitäten zu sind «Gallerie 57 / 34.6 km» von koordinieren. Architekturausstellung in Bukarest, 1970. 2001 – 2007, das Kultur entlang der NEAT-Tunnel­baustellen fördert oder In Ost­europa In Genf In Mailand das zweijährige Programm «echos − Nach dem Eröffnung Eröffnung Volkskultur für morgen» von Fall des der Antenne des Centro 991 992 2006 – 2008, das den Brückenschlag Eisernen Romande 997 Culturale 1 1 zwischen Inno­vation und Tradition Vorhangs in Genf. 1 Svizzero in in der Volkskultur schafft. übernimmt Pro Mailand, Italien. Helvetia die von In Kapstadt Landeskom­ der Direktion für Beitragslimiten Eröffnung munikation Entwicklung und 1. Januar: Pro Helvetia leitet der Aussen­ Gründung Zusammenarbeit eine grundlegende Reform ein. 998 stelle in 999 von Präsenz (DEZA) eröffneten Die wichtigste Neuerung ist die 1 1 Kapstadt, Schweiz, Büros in Polen, 2002 Erhöhung der finanziellen Bei­ Südafrika. zuständig für die der Tschechoslo­ tragslimiten für das Sekretariat. Wahrnehmung der wakei und Ungarn Anstatt bisher bis 5000 Fr. kann die Schweiz im Ausland und die Umset­ und nutzt sie als Geschäftsstelle nun Gesuche bis zung der Strategie des Bundesrates für Aussenstellen. 20 000 Fr. in eigener Verantwortung die Landeskommunikation der Schweiz. beurteilen. Hirschhorn-Affäre In Rom Die Hirschhorn-Affäre rund um die Ausstellung «Swiss-Swiss Demo­ ­Nach über cracy» von Thomas Hirschhorn im Centre Culturel Suisse in Paris hat zehnjähriger für Pro Helvetia zwar eine einmalige Budgetkürzung von 1 Million Aufbauarbeit in 2005 2004 zur Folge, mündet jedoch in eine positive Evaluation der Stiftung durch Osteuropa wird die parlamentarische Verwaltungskontrolle. die Aussenstel­ In ihrer neu definierten Auslandstrategie verpflichtet sich Pro Helvetia dem le von Krakau nach Prinzip der Kulturräume: Russland / Sibirien; China; Indien und Südostasien; Warschau gezügelt; Ozeanien; Afrika; arabischer / nordafrikanischer Raum; Nordamerika; Bratislava, Prag und ­Lateinamerika. Mit Ausnahme von Ozeanien plant sie langfristig, in jedem Budapest werden der genannten Räume mit einer Aussenstelle vertreten zu sein. geschlossen. Das Istituto Svizzero In New Delhi in Rom erhält den Status eines Eröffnung Partner­instituts von Pro Helvetia. der Aussen­ stelle in Erstes Kulturförderungsgesetz

2007 New Delhi, 11. Dezember: Das Parlament Indien, und verabschiedet das erste Kultur­ Schliessung der förderungsgesetz der Schweiz.

Genfer Antenne. 2009 Neu ist eine mehrjährige «Bot­ schaft zur Finanzierung der In Shanghai Kulturförderung des Bundes» (Kultur­ 0 Eröffnung botschaft) vorgesehen, welche die Maja Hürsts «New Friends» in Mumbai, 2014. 1 der jüngsten ­Kulturpolitik des Bundes und die zur

0 Verfügung gestellten finanziellen Erste Kulturbotschaft Aussenstelle 2

2 Mittel festlegt. Pro Helvetia ist Teil 1. Januar: Das Kulturförderungs­ in Shanghai,

1 davon. Zugleich erfolgt eine grund­ gesetz und die erste Kulturbot­ China. legende Reform der Stiftung, die mit schaft treten in Kraft. Als neue zusätzlichen Aufgaben betraut wird. 20 Aufgaben übernimmt Pro Helvetia vom Bundesamt Das elektronische Gesuchsportal für Kultur unter anderem die Nachwuchsförderung, «myprohelvetia» wird aufgeschaltet. die Kunstvermittlung, die Kunstbiennalen und die Schwei­ zer Auftritte an internationalen Buchmessen. Dafür zieht Abschied von Warschau sich die Stiftung beispielsweise aus der Schweizer Film­ 3 Schliessung der Aussenstelle promotion und Verlagsförderung zurück, die ans BAK 1 in Warschau. Wie bei anderen über­gehen. Februar: Die Aussenstelle in Südafrika wird Mitgliedern der Europäischen von Kapstadt nach Johannesburg verlegt. 20 Union unterstützt die Geschäfts­ stelle von Pro Helvetia in Zürich Aktuelle Zweite Kultur­botschaft

5 ­Kulturprojekte zwischen der Schweiz Bilanz Das Parlament genehmigt die

1 und dieser Region direkt. Rund 4880 zweite Kulturbotschaft. Pro

Veranstal­ Helvetia will in der Periode Eric Hattan und Julian Sartorius mit «Les Chaises Musicales», 2014. 2014 tungen und 20 2016–2020 unter anderem das Auftritte Schweizerische Kunstschaffen, finden mithilfe die Kohäsion im Inland und die inter­ von Pro Helvetia nationale Präsenz von Schweizer weltweit statt. Kultur im Ausland stärken. Unter dem Titel «Kultur und Wirtschaft» soll Unsere multimediale zudem eine koordinierte Förderung Chronologie ist ab Frühjahr 2016 online: von Design und interaktiven digitalen www.prohelvetia.ch Medien erfolgen. Ein Blick in die Vergangenheit

Ja doch, da ist er, das muss er sein – der Pa- Wie die Schweiz einmal ­zudem mit der Verschränkung von Kultur pageienmensch mit der Karohose, diese und Staat auf sich hat – das illustrieren echt schweizerische Bilderbuchfigur, der versuchte, sich eine National- seine Abenteuer ganz konkret. 1940, nach Freund der Kinder, eine Ikone der Nation. kultur zu erfinden. Und wie der Generalmobilmachung, erscheint der Wie er allerdings dasteht auf dem Balkon, daraus ein Paradox erwuchs, Band Globi wird Soldat: Der Vogel brilliert unter sich ein Menschenmeer, die Linke das der Kulturstiftung im Aktivdienst. Ein Jahr später stellt er sei- am Mikrofon, die Rechte energisch gereckt nen grossen Schnabel in den Dienst ­einer zur Sammlung der Massen, wie die Epi- in den ersten Jahrzehnten zu weiteren nationalen Mission, der Anbau- sode im Buch von 1939 heisst – schon ein schaffen machte. schlacht. Wie Globi Bauer wurde übersetzt bisschen seltsam. Aber das Führerspekta- das agrarromantische Selbstverständnis kel funktioniert, und Globi geht voran: Von Daniel Di Falco der Schweiz in Verse für die Minderjähri- «Vaterländisch, voll Erregung / Setzt ein gen: «Kinder, ehret unsre Bauern! / Oh, ihr Zug sich in Bewegung / Und es naht die Le- wäret zu bedauern / Ohne unsern Bauern- gion / Sich der grossen Landi schon.» Die Pro Helvetia ihre Existenz, ihre Aufgabe – stand / Der uns nährt im Schweizerland.» Landi also, die legendäre Schweizerische und bald auch ihre Probleme. Dabei ist der Vogel bisher keinesfalls Landesausstellung 1939 in Zürich: eine Es geht um die «Geistige Landesver- mit politischen Allüren aufgefallen. 1932 Wallfahrt zum Heimatgeist am Vorabend teidigung», jene politisch-kulturelle Bewe- wird er von einem Warenhaus als Reklame- des Kriegs – es ist Globi, der hier die Wall- gung der Dreissigerjahre, die der Bundes- maskottchen für Kinderanlässe lanciert. fahrer mobilisiert. Tatsächlich stellt sich rat kurz vor dem Zweiten Weltkrieg zum Ignatius Schiele, sein Erfinder, ist freilich der Vogel bei seinem Marsch auf Zürich staatlichen Programm erhebt. Sie soll ei- nicht nur Werbechef bei Globus, sondern derart mussolinimässig an, dass der Histo- ner Nation, die weder ethnisch, geogra- auch Mitgründer der «Tatgemeinschaft der riker Georg Kreis mit der Szene vierzig fisch noch sprachlich eine Einheit bildet, Schweizerischen Jugend», einer Organisa- Jahre später seine These vom «helvetischen einen Existenzgrund verschaffen: den ge- tion zur Abwehr faschistischer und kom- Totalitarismus» belegen wird: Die Schweiz, meinsamen «Geist», wie man das in jenen munistischer Umtriebe. Und so kommt es, in ihrem Willen zur Selbstbehauptung an- Jahren nennt. Also die Kultur. In einem dass die Globi-Zeitung ihrem jugendlichen gesichts der totalitären Systeme, habe sich Mass, das in diesem Land einmalig geblie- Publikum 1939 erklärt, auch Globi werde «zum Teil ähnlicher Mittel» bedient wie ben ist, bekommt sie damit eine politisch fortan seinen Beitrag zum Schutz des jene Diktaturen. Globi, der sich, so Kreis, tragende Funktion. Umgekehrt hat sie Vaterlandes­ leisten. Dabei übernimmt er «im Stil eines Duce» präsentiert, – ist ein sich, wenn sie ihre eigene Daseinsberech- mitunter die Rolle jenes Staatsmanns, der Symptom, und das gleich mehrfach. Ers- tigung nicht riskieren will, der Staatsräson die Geistige Landesverteidigung dirigiert. tens demonstriert er, wie sich eine Demo- zu unterstellen. Schon im Landi-Buch tritt Globi als kratie in ihrer Vaterlandspropaganda mit Festredner nach dem Bundespräsidenten den Attraktionen der faschistischen Bilder- Die politischen Allüren eines Vogels Philipp Etter auf. Und als der Vogelmensch welt infiziert. Als Kinderbuchfigur macht Dass Globi jemals Fördermittel von Pro in den Kriegsjahren mit seiner Zeitschrift er zweitens klar, wie weit jene Propaganda Helvetia erhalten hätte, ist bisher nicht be- für aufrechte Gesinnung in den Kinder- reicht. Und drittens steht er exemplarisch kannt geworden. Doch was den «Geist» zimmern sorgt, und das ganz im Sinn der für den Versuch, mit der Kultur Staat zu ausmacht, den die Kulturstiftung ab 1939 damaligen Staats- und Geschlechterord- machen. Genau diesem Projekt verdankt fördern und verbreiten soll, und was es nung, da braucht er fast genau dieselben

KULTUR 7 Worte wie besagter Etter, der die Jugend schweizerische Staatsgedanke ist nicht Erst mit dem wachsenden Nationalismus mit einer Schulfunkrede auf den Ernst des aus der Rasse, nicht aus dem Fleisch, er ist in der Zeit des Ersten Weltkriegs konnte Lebens eingeschworen hat: «Ihr Buben aus dem Geist geboren. Es ist doch etwas sich die Idee etablieren, die Schweiz sei seid die Männer und Soldaten von morgen. Grossartiges, etwas Monumentales, dass kulturell etwas Eigenständiges. So erklärte Treue Wächter unserer Heimat sollt ihr um den Gotthard eine gewaltig grosse Idee 1922 , Germanist und Autor, werden. Und ihr Mädchen werdet einst die ihre Menschwerdung, ihre Staatswerdung die Deutschschweizer Literatur habe ein stillen, schaffenden Frauen und Mütter feiern durfte, eine europäische, eine uni- «eigenes Gepräge»; sie habe es durch die sein, die opferfreudig ihre Arbeit tun.» verselle Idee: die Idee einer geistigen Ge- «politische Selbständigkeit» der Schweiz Philipp Etter wird noch lange als um- meinschaft der Völker und der abendländi- und aus den «Kräften des Gemütes und des sichtiger Landesvater gelten, als Hüter der schen Kulturen! Diese Idee, die Sinn und Herzens» entwickelt. nationalen Einigung. Dabei kann der ka- tholisch-konservative Politiker mit der mo- dernen Demokratie und dem Liberalismus «Der Unterschied zu den 50 Seiten der Botschaft von wenig anfangen: Sein Ideal ist das Mittelal- ter, die gottgefällige, hierarchische Stände- 1938 dürfte recht genau dem Spielraum entsprechen, den gesellschaft der alten Eidgenossenschaft. die Kultur im Verhältnis zur Staatsräson bekommen hat.» Er träumt von einem autoritären Staat, das faschistische Italien ist ihm sympathisch, und im Bundesrat tritt er für eine verständ- Sendung unseres eidgenössischen Staats- Tatsächlich sind die Literaten die trei- nisvolle Haltung dem Nationalsozialismus gedankens zum Ausdruck bringt, bedeutet bende Kraft auf dem Weg zum Konsens gegenüber ein. nichts anderes als den Sieg des Gedankli- über die Nationalkultur, die mit der Bot- chen über das Materielle, den Sieg des Geis- schaft von 1938 institutionalisiert wird. Der Die schweizerische Eigenart tes über das Fleisch auf dem harten Boden Preis dafür: eine rückwärtsgewandte Na- Es ist vor allem dieser Etter, dem die des Staatlichen.» tionalästhetik. Sowie, laut Ursula Amrein:­ Schweiz nicht nur die Gründung von Pro Fleisch? Geist? Menschwerdung? Da eine Anlehnung an jene Diktatur, vor der Helvetia zu verdanken hat. Sondern auch spricht ein Katholik. Beziehungsweise sind sich die Schweiz doch schützen will. So bli- die erste Grundsatzerklärung einer natio- es deren zwei: Etter hat die Botschaft unter cken die hiesigen Autorenverbände, seit nalen Kulturförderung seit der Bundes- Anleitung von ver- den Zwanzigerjahren gegen alles «Fremde» staatsgründung 1848. Das fünfzigseitige fasst, dem führenden katholischen Rechts- und «Unschweizerische» engagiert, in ei- Papier trägt das Datum vom 9. Dezember intellektuellen jener Jahre. Entscheiden- ner «Mischung aus Euphorie, Zustimmung 1938, heisst «Botschaft des Bundesrates der aber als Gott – für die Kulturpolitik und Ablehnung» (Amrein) auf die Gleich- über die Organisation und die Aufgaben jedenfalls – ist die Absage an die «Rasse». schaltung der Künste im Dritten Reich. In der schweizerischen Kulturwahrung und Damit stellt sich die Schweiz dem Dritten den Dreissigerjahren verlangt der Schwei- Kulturwerbung» und geht als Evangelium Reich und seiner Staatsdoktrin entgegen. zer Schriftstellerverein vom Bund ein ver- der Geistigen Landesverteidigung in die Wenn sie ein Staat ist, dann gerade wegen gleichbares Engagement für die nationale Geschichte ein. Im April 1939 als Bundes- der «sprachlichen, religiösen und geisti- Kultur, wie es Deutschland vormacht. Er beschluss vom Parlament genehmigt, er- gen Mannigfaltigkeit»: Sie mache, so Etter, hat damit Erfolg, gewinnt Philipp Etter­ und klärt die Botschaft die «Besinnung auf un- die «Gemeinschaft des schweizerischen entwirft mit ihm die Richtlinien einer nati- sere schweizerische Eigenart» zur Aufgabe Geistes» aus. onalen Kulturpolitik. Die münden dann in des Kulturschaffens. So will der Bundes- jene Botschaft, mit der auch Pro Helvetia rat der wachsenden «Propaganda unserer Ursprungsparadox einer Kulturpolitik geschaffen wird. Nachbarstaaten» begegnen; Kulturförde- Die Willensnation, die ihre Einheit in der Es gibt noch andere Widersprüchlich- rung ist demnach das Instrument, um «die Vielheit findet – ein Gemeinplatz, mitt­ keiten der Geistigen Landesverteidigung, geistigen Kräfte unseres Landes zu mobi- lerweile. Tatsächlich aber kanonisiert die die sich in der DNA der Kulturstiftung wie- lisieren und für die Selbstbehauptung un- Geistige Landesverteidigung damit ein derfinden. Folgenreich ist die Bestimmung seres Staates einzusetzen». kulturelles Selbstverständnis, das lange al- jener Sache, um die sie sich ihrem Auftrag Was aber ist schweizerisch? Was ist les andere als selbstverständlich war; die gemäss zu kümmern hat: die Schweizer überhaupt die Schweiz? Ein Land, so sagt Literaturwissenschaftlerin Ursula Amrein Nationalkultur. Einheit also, die aus der es Globi, das Gott ausersehen hat, sämtli- hat das gezeigt. Hat die Schweiz eine Vielfalt wächst – das heisst allerdings auch: chen Völkern zu beweisen, dass man «trotz ­nationale Literatur? Noch Autoren wie C.F. Je stärker der Wille zur Einheit, der Ver- aller Rasse-, Sprach- und Charakter-Ver- Meyer oder Gottfried Keller waren sich ei- such also, das kulturelle Profil der Schweiz schiedenheiten friedlich und sinnvoll mit- nig, dass es so etwas nicht geben könne: zu schärfen, desto stärker würden zwangs- einander und füreinander leben kann». Entscheidender als die Zugehörigkeit zur läufig auch die gegenläufigen Kräfte, die ­Etwas gravitätischer hat es zuvor der Bun- Schweiz war jene zu den grossen Sprach- «föderalistischen­ und antizentralistischen desrat in seiner Botschaft formuliert: «Der nationen Deutschland, Frankreich, Italien. Momente», so die beiden Historiker Claude

KUNST 8 Hauser und Jakob Tanner. Sie nennen es zur ­Kulturpolitik von 1938 betont wohl Aber da macht Pro Helvetia nicht mehr mit. das «Ursprungsparadox helvetischer Kul- die konfessionelle Vielfalt, meint aber nur 1972, an der Weltausstellung in Montreal, turpolitik», die «subversive Unschärferela- die christliche: In dieser «Heimat» haben programmiert sie eine Kinoreihe, und dazu tion in der nationalen Selbstdefinition». die Schweizer Juden keinen Platz. Und das gehört auch Siamo Italiani, Alexander J. Und: «Während des ersten Vierteljahrhun- ist nur eine der «verschwiegenen Kehr­ Seilers Film über die Misere italieni- derts ihres Bestehens beruhen Einfluss seiten im nationalen Einigungsdiskurs» scher Einwanderer in der vermeintlich und Erfolg von Pro Helvetia darauf, dass sie (Amrein). Ausgeschlossen bleiben auch gastfreundlichen Schweiz. Das gibt Ärger einen Weg findet, dieses Problem effektiv Kulturschaffende mit einer kritischen Di- mit der Schweizer Botschaft. Genau wie im auszublenden.» stanz zur Gesellschaft, zum Staat und zu Jahr darauf in Moskau wegen zwei anderer den ästhetischen Normen der Geistigen schweizkritischer Filme; zuerst protestiert Im Korsett der Landesverteidigung Landesverteidigung. die Frau des Botschafters, dann das Aussen- Ewig wird diese Ausblendung in der Tat 1946 muss sich Pro Helvetia überwin- departement in Bern. nicht funktionieren. Eines Tages wird die den, die Aufführung der Histoire du soldat Kollisionen, Konflikte, Kontroversen: Kulturstiftung sogar einen Auslandauftritt des Waadtländers C.-F. Ramuz in der Ver- Das dürfte er nun sein, der Courant normal unterstützen, der jenes Problem zum offi- tonung von Igor Strawinsky zu unterstüt- einer nationalen Kulturförderung, die es ziellen Motto macht: «Es gibt keine Schwei- zen – zumal daran auch ausländische Mu- ­eigentlich nur falsch machen kann, wenn zer Kultur», so der Titel der Schweizer Kul- siker beteiligt sind. Nicht weniger Mühe hat sie es richtig machen will – weil in diesem turtage in Thüringen 1994. Vorerst aber sie, in Paul Klee einen Vertreter des heimi- Land so etwas wie eine nationale Kultur, verhindert das enge Korsett der Geistigen schen Kunstschaffens zu erkennen. Ein im nach Hauser und Tanner, «gar nicht exis- Landesverteidigung, dass die «Unschärfere- bernischen Münchenbuchsee geborener tiert». Jedenfalls nicht ohne den normati- lation» ihre Wirkung entfaltet: Von rechts Deutscher, in der Tat; an einer von Pro Hel- ven Druck von Kriegs- und Krisenjahren. bis links versteht man Kultur lediglich als vetia organisierten Ausstellung zeitgenös- Das Kulturförderungsgesetz von 2009 Verlängerung jener konservativen Staats- sischer Schweizer Malerei 1950 in Stock- macht es zwar weiterhin zur Aufgabe des ideologie, welche die Botschaft von 1938 holm fehlt er. Kein Geld gibt es auch für Bunds, «den Zusammenhalt und die kul- proklamiert. Ein Autor wie C.A. Loosli mag Friedrich Dürrenmatts Besuch der alten turelle Vielfalt in der Schweiz zu stärken». zwar bezweifeln, dass die Geistige Landes- Dame, den das Zürcher Schauspielhaus Das ist die altbekannte Formel. Zugleich verteidigung zu Recht so heisst: «Wollt ihr 1956 in Paris zeigen will. Das Stück sei sind diese elf Wörter aber auch schon alles, wirklich den Geist dem Land erhalten», «unschweizerisch», so der Bescheid: «ma- was das Gesetz zum Zusammenhang von dichtet er 1943, «so lasst ihn zunächst ein- kaber», «dekadent» und «nihilistisch». Für Kulturpolitik und nationaler Identität zu mal walten!» Aber das ist eine einsame den Historiker Thomas Kadelbach zeigt der sagen hat. Der Unterschied zu den fünfzig Stimme. Fall, «dass das ‹Fremde› in der Geistigen Seiten der Botschaft von 1938 dürfte recht Am 1. November 1939 wird Pro Hel­ Landesverteidigung nicht unbedingt aus­ genau dem Spielraum entsprechen, den vetia operativ, noch nicht wie geplant als serhalb der Landesgrenzen zu suchen ist, die Kultur im Verhältnis zur Staatsräson unabhängige Stiftung, sondern bis 1949 sondern auch ein Kulturschaffen bezeich- bekommen hat. provisorisch als Arbeitsgemeinschaft im net, das sich kritisch mit dem offiziellen Globi übrigens, der Geistige Landes- Schoss des Bunds. Das vom Bundesrat be- Verständnis der nationalen Identität aus­ verteidiger in den Kinderzimmern, ist je- rufene Personal sorgt für ein reibungslos einandersetzt». nen Geist sehr viel schneller losgeworden. verengtes Verständnis von Kultur: General- Schon 1946, in seinem ersten Nachkriegs- sekretär wird Karl Naef, der sich schon als Bekenntnis zur Autonomie abenteuer, ist er nach Paris gereist. Und Schriftstellerpräsident für die Botschaft en- Und dabei ist der Krieg schon längst vor- hat dort, im Grand Palais, ein recht unbe- gagiert und auch die künstlerischen Veran- bei. Erst nach 1960 zerbricht der Konsens fangenes Verständnis von Kultur an den staltungen an der Landi 1939 program- über die Einheit von Kultur und Staat, den Tag gelegt: «Globi sieht mit Wohlgefallen miert hat. Und als Mitglied des Stiftungsrats der Bund unter Philipp Etter geschmiedet / All das Schöne in den Hallen / Und sein prägt Gonzague de Reynold, Philipp Etters hat. Es dauert, bis Pro Helvetia die gesell- junges Herz erbebt / Weil die Kunst ihn Lehrer, die Anfänge von Pro Helvetia. schaftliche Öffnung und die Erweiterung packt und hebt.» So setzt sie sich für das Rätoroma­ des Kulturbegriffs nachvollziehen kann. nische, die Mundart und den Austausch Aber schliesslich befreit sie sich doch aus Wichtigste verwendete Literatur: zwischen den Landesteilen ein. 1942 lehnt dem Gehäuse von 1938: In den Sechzi- Ursula Amrein: «Los von Berlin!» Die Literatur- und sie es dagegen ab, das Projekt einer jüdi- gerjahren quittiert sie den Dienst an der Theaterpolitik der Schweiz und das Dritte Reich. Zürich 2004. schen Schweizer Geschichte zu unterstüt- Staatsräson und bekennt sich immer poin- Claude Hauser/Bruno Seger/Jakob Tanner (Hrsg.): zen: weil «die Geschichte und das Wesen tierter zur Autonomie der Kultur. Und da- Zwischen Kultur und Politik. Pro Helvetia 1939 bis 2009. Zürich 2010 (darin u.a. Thomas Kadelbach). des Judentums kaum geeignet sind, die mit zu ihrer eigenen. Georg Kreis: Vorgeschichten zur Gegenwart. Liebe zur Heimat zu vertiefen und das Be- Im Kalten Krieg wird die Geistige Lan- Ausgewählte Aufsätze, Band 2. Basel 2004. wusstsein der eidgenössischen Zusammen­ desverteidigung zwar noch einmal neu auf- Daniel Di Falco ist Historiker und Journalist beim gehörigkeit zu verstärken». Die Botschaft gelegt, im Namen des Antikommunismus. Bund in Bern.

KULTUR 9 Giovanni Orelli, 87

KUNST 10 Der Schriftsteller in seinem Ferienhaus nahe Airolo. KULTUR 11 iovanni Orelli, Ihr Schaffen stösst bei den Kriti- Aber das sozialpolitische Umfeld hat sich in den letzten Jahr- kern auf bemerkenswerte Zustimmung, und meh- zehnten stark verändert, ebenso das kulturelle … rere Ihrer Bücher werden bereits als kleine Klassi- Ich möchte nicht als Pessimist dastehen, aber wenn ich mich ker der Schweizer Literatur angesehen. Wie heute umsehe, sehe ich Verwilderung, Geschwätz, Opportunis­ beeinflusst das Ihr Schreiben? mus. Ich sehe Politiker, die in erster Linie Gehorsam und Chan­ GOhne es beschwören zu können, ja, Erfolg im Sinn von Anerken­ cen für sich wollen, bevor sie sich um die Bürger kümmern. Da­ nung, Würdigung durch den einen oder anderen Leser, hat mein von ist auch die Sprache betroffen, die immer ärmer wird. Man Schreiben tatsächlich beeinflusst. Nie aber habe ich dabei den wirt­ sollte aufhören, die Gegenwart zu loben, und nicht vergessen, ab schaftlichen Erfolg vor Augen gehabt: carmina non dant panem, und zu auch in die Vergangenheit zu schauen. Heute schreibt man wie man schon vor Jahrhunderten sagte. Von Kunst allein wird zum Beispiel viel weniger. Die Folge ist eine besorgniserregende keiner satt. Oberflächlichkeit. Zudem scheinen wirtschaftliche oder politische Interessen wichtiger zu sein als die menschlichen. Als ich jung Kann eine solche wiederholte, fast geschlossene Zustimmung war, waren die Bauern in meinem Umfeld immer pragmatisch und in Bezug auf das eigene Schaffen nicht auch gefährlich sein? ernst in Bezug auf die Interessen der Gemeinschaft, und zwar un­ Kaum oder gar nicht, zumindest abhängig von ihren politischen was mich betrifft! Es ist eine selt­ Überzeugungen und persönlichen same Sache mit dem Erfolg. Der Implikationen: Man tolerierte, ja, Punkt ist der Unterschied zwi­ «Ich fühlte man belohnte, wer Gutes tat. schen Schein und Sein. Im Grunde spielt es keine grosse Rolle, was Ist also der Moment gekommen ­gesagt wird, denn man hat im­ die Not­ für einen neuen «Bruch», viel- mer selbst ein Bewusstsein dafür, leicht durch die jüngeren Gene- was man gemacht hat und gerade rationen? macht. wendigkeit» Kaum. Als ich, noch jung und von Gramsci und anderen beeinflusst, Ihr Erstlingsroman, L’anno della vom Konservativen zum Sozia­ valanga (1965), auf Deutsch Giovanni Orelli, einer der wichtigsten listen wurde, hatte ich die Not­ 1966 unter dem Titel Der lange italienischsprachigen Schweizer Schrift­ wendigkeit dafür gefühlt. Heute Winter erschienen, steht viel- steller, spricht über Erfolg, Opportunisten nehme ich eine gewisse Gleich­ leicht emblematisch für den gültigkeit wahr. Die ganz Jungen «Bruch» mit den Schriftstellern, und prägende Begegnungen. scheinen in ihrer Schulzeit vor al­ die damals die Tessiner Literatur- lem die Wirtschaft und ihr künfti­ szene dominierten: namentlich Interview: Yari Bernasconi ges Gehalt im Blick zu haben. und Giuseppe­ Zoppi. Zusammen mit anderen Kehren wir zur Literatur zu- Autoren wie beispielsweise Anna Felder und Plinio Martini haben rück. Dem Klischee nach befindet sich der italienischsprachige Sie damals die dumpfe, vielleicht provinzielle Vorliebe für das Schweizer Schriftsteller irgendwo zwischen zwei verschiede- Idyllische heftig erschüttert. Im Nachhinein kann man es als nen Realitäten mit je eigenen Besonderheiten: der Realität des «Entscheidungen einer Generation» bezeichnen, wie 2013 der Landes, in dem er lebt, der Schweiz, und derjenigen des Lan- Titel einer Ausgabe der Zeitschrift «Quarto» lautete. Wie kam es des, deren Sprache und Kultur er angehört, Italien. Stimmt das damals soweit? heute so noch? Der lange Winter entstand fast wie ein Tagebuch. Es war der Natürlich. Italien zog und zieht mich wegen vieler Dinge an. Zu­ ­Versuch, zu erzählen und zu verstehen, was in diesem Moment allererst wegen der Kultur, die in diesem Land entstanden und ge­ geschah. Es war eine Annäherung an die Realität. Ich wollte den wachsen ist. Etwa die Werke der Grossen der Literatur. Nennen Personen um mich herum in die Gesichter sehen und zuhören, wir, stellvertretend, Dante und Montale. Und es gibt die Kunst, was sie sagen. Es ist erfreulich, dass es einen solchen «Bruch» nehmen wir Giotto bis Morandi. Und die Bildhauerei, die Musik auch bei anderen und in der Gesellschaft gab, zumindest in einem und so weiter. Dann gibt es das italienische Volk, mit allem Positi­ Teil der italienischsprachigen Schweiz und einem Teil Italiens und ven (die Mehrheit?) und Negativen (die Minderheit?). Das italieni­ der Deutschschweiz. sche Volk der Bergamasker, die in meiner Kindheit und Jugend im Sommer zum Heuen zu uns kamen. Aus späteren Jahren erinnere Haben andere «Generationen» nach Ihnen ebenfalls versucht, ich mich an die Italiener, die ich auf der Universität und danach einen Kurswechsel einzuschlagen? kennen gelernt habe. Ich könnte viele Namen nennen. Aber wie Ich glaube nicht. Ich lasse mich nicht täuschen von den seltenen Mandelstam könnte ich auch, wenn mich jemand nach meiner Fällen, in denen jemand mit sprachlichen Allüren verblüffen will Biografie fragt, antworten: Meine Biografie ist auf die zahlreichen und bei den Anspruchslosen Applaus einheimst. Bücher zurückführbar, die ich gelesen habe.

KUNST 12 Und ich würde anfügen: «auf die zahlreichen Bücher, die Sie weilen. Die Langeweile ist für einen Schreibenden vielleicht der geschrieben haben.» Wie hat sich das Verhältnis zu Italien grösste Feind. Ich spreche hier von den Befürchtungen, nicht heute im Vergleich zu den Fünfziger- und Sechzigerjahren, von von den Resultaten, deren Beurteilung ich anderen überlasse. denen Sie erzählen, verändert? Schwer zu sagen. Klar, viele Italiener, die unser Land loben, wenn Wir reden von «Belesenheit» und «Hochliteratur», aber damit sie in der Schweiz sind, vergessen und ignorieren uns sehr schnell, ist natürlich keineswegs Schulmeisterwissen oder eitles Zitie- wenn sie zurück in Italien sind. Auch das sind oft Formen von ren gemeint: Ihre Beziehung zur literarischen Tradition, von ­Opportunismus. Trotzdem werden dank der Integrität einiger den Klassikern bis zur Moderne, wurzelt tief. Wie ist dieser Personen nach wie vor Brücken zwischen Italien und der Schweiz ständige Dialog entstanden, und wie hat er sich entwickelt? geschlagen. Sagen wir es so: Einem Anfänger muss man raten, sein Handwerk gründlich zu lernen. Man muss beim Schreiben sehr aufmerksam Und wie steht es mit dem Verhältnis des Tessins zum Rest der sein und nötigenfalls mehrmals von vorne anfangen. Und da nützt Schweiz? Ich denke an Ihre symbolische Entscheidung, Ihren es, die guten Schriftstellerinnen und Schriftsteller der Vergangen­ Nachlass dem Schweizerischen Literaturarchiv in Bern zu heit zu lesen. Dante ist da für mich die Nummer eins. übergeben. Sie schrieben und schreiben immer Ein Sonett zu schreiben, ist ein bisschen wie ein noch sowohl Prosa als auch Gedichte, 100-Meter-Lauf für einen Athleten; ein Roman ist wie wenn wir die Essays und Übersetzungen mal beiseitelassen. Wie und wann setzt “ ein 50-Kilometer-Lauf. sich ein Genre gegenüber einem anderen ” durch? Das war ein politischer Akt, damit wollte ich sagen: Auch wir exis­ Das hat jedes Mal mit dem Zufall zu tun − eines ergibt sich aus tieren. Aber auch die umgekehrte Richtung ist wichtig. Die Be­ dem anderen. Manchmal unterbreche ich auch eine Arbeit, um et­ wegung muss in beide Richtungen stattfinden. was anderes anzufangen, und vergesse das erste für längere Zeit. Aber es geschieht immer aus einer expressiven Dringlichkeit her­ Was haben Sie für eine Beziehung zu den jüngeren Schrift­ aus. Ich habe das Schreiben einmal mit Wettläufen verglichen: Ein stellern? Und was hatten Sie seinerzeit, als Sie selbst noch ein Sonett zu schreiben, ist ein bisschen wie ein 100-Meter-Lauf für junger Schriftsteller waren, für eine Beziehung zu den etablier- einen Athleten; ein Roman ist wie ein 50-Kilometer-Lauf. Letzt­ ten Autoren? lich hängt die Entscheidung für einen Schriftsteller auch damit Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, habe und hatte ich zusammen, wie viel oder wenig ein Thema hergibt. keine wichtigen Beziehungen zu jungen Schriftstellern. Ebenso wenig zu «etablierten». Aber wenn mir jemand etwas schickt, lese Wir haben schon kurz von Ironie gesprochen. Sie ist oft von ich es immer und antworte ehrlich, was ich darüber denke. Was ­einer gewissen literarischen Verspieltheit begleitet, vor allem in mich selbst anbelangt, möchte ich hier nicht Schriftsteller aufzäh­ Ihren Gedichten. Ist Ironie ein Instrument für die Lektüre der len, sondern lieber an die Lehrer erinnern, denen ich begegnet bin. Wirklichkeit? Um nur einen Namen zu nennen: Albino Garzetti, Historiker. Als Ja, auf jeden Fall. Vergil sagt zu Dante: «Rede jetzt, doch kurz und ich, nachdem ich ein paar Jahre unterrichtet hatte, nach Mailand sinnig sprich», und genau dieses sinnige Sprechen ist in der Ironie ging, um zu studieren, hatte ich mir vorgenommen, irgendwann enthalten. Auch der Bauer greift darauf zurück, wenn er in einem mit einer Arbeit über den Schriftsteller Italo Svevo abzuschliessen. Gespräch einen besonderen, bissigen, angriffigen oder unterhalt­ Doch dieser Geschichtsdozent bekehrte mich zur Philologie und samen Ton anschlagen will. Dazu fällt mir die Anekdote eines Städ­ so schrieb ich schliesslich meine Diplomarbeit über Kirchenväter ters ein, der sich bei einem Bauern aus meinem Umfeld einschmei­ und die Autoren, die deren Werke im 14. und 15. Jahrhundert po­ cheln wollte. «Signore, Dottore, gnädiger Herr, wie soll ich Sie denn pularisierten. Dadurch kam ich dem 20. Jahrhundert – wenn auch rufen?», hatte der Städter gefragt. «Rufen Sie mich, wie Sie wollen, nicht vollständig – abhanden, und tauchte in Themen ein, die sich aber rechtzeitig zum Abendessen», hatte der Bauer geantwortet. für meine Kultur als fruchtbar erwiesen.

Wenn man über Ihr Schaffen und Schreiben spricht, werden Giovanni Orelli, geboren 1928 in Bedretto, ist Romancier, stets die Charakteristika Belesenheit, sozialpolitisches Engage- Lyriker, Übersetzer und Literaturkritiker. Er erhielt zahlreiche ment, thematische Vielfalt, Ironie und sprachliche Experimen- Auszeichnungen, etwa den Gottfried-Keller-Preis 1997 und den Grossen Schillerpreis 2012. Seine jüngsten Veröffentlichungen tierfreudigkeit hervorgehoben. Finden Sie dieses Porträt ge- sind der Erzählband I mirtilli del Moléson (2014) und die lungen? Gibt es Aspekte Ihres Schaffens, die Ihnen besonders Gedichtsammlung Un labirinto (2015). Er lebt in .

am Herzen liegen und die nur selten erwähnt werden? Yari Bernasconi, geboren 1982 in Sorengo, ist Literaturkritiker Ja, es ist ein knappes, aber passables Porträt. Ich würde vielleicht und Lyriker. Sein letzter Gedichtband heisst Nuovi giorni di polvere (2015). Er lebt in Bern. die Ironie besonders betonen. Was den letzten Teil Ihrer Frage betrifft, habe ich schon immer Angst gehabt, die Leser zu lang­ Aus dem Italienischen von Barbara Sauser

KULTUR 13 ch treffe Christian Marclay beim Aargauer Kunsthaus in geniessen. Marclay lebte sich an seinem neuen Wohnort rasch ein, Aarau, wo er mit den letzten Vorbereitungen für Action be­ behielt aber auch die Bande zu seiner alten Heimat bei, lernte an­ schäftigt ist, seine erste Ausstellung in der Schweiz seit eini­ dere in New York ansässige Schweizer Künstler kennen – wie Not gen Jahren. Entsprechend gross ist das mediale Interesse, Vital – und arbeitete mit dem Swiss Institute zusammen. «Ich bin dem er sich gut gelaunt und mit beeindruckender Diploma­ Schweizer, und ich bin Amerikaner. In Europa werde ich oft für Itie stellt. Action ist eine stille Präsentation – nichts Ungewöhnli­ ­einen amerikanischen Künstler gehalten, während in den USA ches für eine Kunstausstellung, aber ein scharfer Kontrast zu The viele denken, ich sei Schweizer. Mittlerweile ist meine Herkunft Clock (2010), dem Mammutwerk, das ihn weltberühmt machte. jedoch seltener ein Thema als früher, als die Kunst noch nicht so Für diesen 24-Stunden-Film montierte er Tausende kurzer Se­ international war wie heute.» 2007 verliess er New York und zog quenzen aus Kino und Fernsehen, in denen eine Uhr gezeigt oder nach London. «Egal, wo ich bin: Die Welt um mich herum ist stets auf andere Weise eine Zeitangabe gemacht wird, so zu einer faszi­ eine wichtige Inspiration für meine Arbeit. Aus diesem Grund bin nierenden Collage von Bildern und ich auch gerne unterwegs, ob in Tönen, dass Film- und Echtzeit einer Stadt oder auf dem Land.» stets exakt übereinstimmen. Zwar hatte sich Marclay schon zuvor ei­ Dem Zufall Raum lassen? nen Namen gemacht, nicht zuletzt Lautmaler Ein Ort wird jedoch immer einen mit einer grossen Retrospektive, die besonderen Platz in seinem Her­ 2003 im UCLA Hammer Museum zen haben: «Ich vermisse die In­ von Los Angeles und danach im Se­ und tensität von New York und muss attle Art Museum, im Kunstmu­ immer wieder mal hinfliegen, um seum Thun sowie in der Collection meine Batterien aufzuladen. Al­ Lambert in Avignon zu sehen war. ­Klangpoet lerdings hat sich die Stadt sehr Mit The Clock, der 2011 an der verändert. Anfang der Achtziger­ Bien­nale von Venedig gezeigt und Christian Marclay zählt zu den jahre war das Leben in New York mit dem Goldenen Löwen ausge­ ­erfolgreichsten Schweizer Künstlern. noch so billig, dass man sich als zeichnet wurde, erreichte er dann junger Künstler auch ohne festen aber ein wesentlich breiteres Pub­ Anlässlich seiner Ausstellung im Job – oder die Unterstützung von likum, das weltweit in Scharen in Aargauer Kunsthaus sprach er über seine Pro Helvetia – gut über Wasser die Vorführungen strömte – so Herkunft, seine Interessen und die halten konnte.» zählte zum Beispiel alleine das New ­Bereitschaft, dem Zufall Raum zu lassen. Seit nunmehr über drei Jahr­ Yorker Museum of Modern Art, wo zehnten befasst sich Marclay ein­ der Film 2013 einen Monat lang gehend sowohl mit bildender lief, in dieser Zeit über 40 000 Be­ Von Aoife Rosenmeyer Kunst als auch mit Musik und hat sucher. Der Erfolg habe allerdings sich in dieser Zeit stetig weiter­ auch eine Kehrseite gehabt: «Das entwickelt. Als Schlüsselmoment enorme Interesse an The Clock war natürlich sehr erfreulich, seiner Karriere betrachtet er selbst übrigens nicht eines seiner be­ drängte aber gleichzeitig meine früheren Arbeiten in den Hinter­ kanntesten oder erfolgreichsten Werke, sondern Record Without grund und machte es mir schwer, mich auf neue Projekte zu a Cover von 1985. Dafür presste er einen Mix von Stücken anderer ­fokussieren.» Musiker auf Vinyl-Schallplatten und brachte sie ohne Schutzhülle in den Handel. Dadurch kam es auf dem Weg zum Käufer unwei­ Do-it-yourself und Tabubrüche gerlich zu Kratzern und Verunreinigungen, die jedes Exemplar Marclay studierte ab 1975 an der Ecole supérieure d’art visuel in einzigartig machten. «Ein Teil dieser Philosophie steckt auch in Genf, setzte danach seine Ausbildung am Massachusetts College der Ausstellung Action, nämlich die Bereitschaft, dem Zufall Raum of Art fort und verbrachte ein Austauschsemester an der Cooper zu lassen und ein Kunstwerk nicht als fertiges Produkt eines Union in New York, wo er unter anderem von Hans Haacke unter­ ­abgeschlossenen Prozesses zu sehen, sondern als etwas, das sich richtet wurde und sich seine Vorstellung dessen, was Kunst sein verändern und entwickeln kann.» kann, massiv erweiterte. Kein Wunder also, dass es ihn gleich nach seinem Abschluss wieder zurück in den Big Apple zog: «New York Über Genregrenzen hinweg sprühte zu jener Zeit nur so vor Kreativität, und ständig gab es ir­ Als Brückenbauer zwischen bildender Kunst und Musik hat Marclay­ gendwo etwas Neues zu entdecken.» Begeistert tauchte er ein in schon früh vieles der heutigen Museumspraxis vorweggenommen. die Ära des Punk, des Do-it-yourself und der Tabubrüche in der «Glücklicherweise ist es mir immer möglich gewesen, in beiden Kultur und damit in eine völlig andere Welt als die vergleichsweise Bereichen tätig zu sein. In der Musik ist es vielleicht ­etwas schwie­ homogene Schweiz, die er hinter sich gelassen hatte. Kunstschaf­ riger, weil ich kein Komponist oder Musiker im traditionellen Sinn fende mussten sich in der Regel nicht um die Rückzahlung von bin und die Musikwelt sehr konservativ ist. Die Kunstwelt ist offe­ Studiendarlehen sorgen, sondern konnten ihre Unabhängigkeit ner und eher bereit, Einflüsse aus anderen Sparten, wie eben der

KUNST 14 Christian Marclay, 60

Der Künstler beim Aufbau seiner Ausstel- lung Action im Aargauer Kunsthaus. KULTUR 15 KUNST 16 Musik, zuzulassen.» Massgeblichen Anteil an dieser Entwicklung Marclay beschreibt in diesem Zusammenhang die Entstehung von hatte seines Erachtens das Aufkommen der Videokunst: «Klang­ Surround Sounds (2014–15), das aus vier synchronisierten, über basierte Kunst fand ihren Weg in die Galerien, in denen plötzlich die Wände tanzenden Projektionen von lautmalerischen Comic- nicht mehr zwingend absolute Ruhe herrschte.» Seither wagen Schriftzügen besteht. Obwohl die Installation nicht mit Klängen sich immer mehr Künstler an das Überschreiten von Genre­ untermalt ist, weist sie eine akustische Dynamik auf, ein An- und grenzen. Eine der Plattformen für die Verflechtung verschiedener Abschwellen der visuellen Lautstärke, das mithilfe der Software Disziplinen ist das Ether-Festival im Londoner Southbank Centre, After Effects erzeugt wurde. Seine jungen Assistenten hätten die das 2012 Marclays Everyday zeigte, eine Live-Collage von Bild und Animationen gerne aufwendiger produziert, doch Marclay bremste Ton mit Experimentalmusikern und einer Blaskapelle. ihren Eifer: «Ich wollte die technische Umsetzung möglichst ein­ Im Zusammenhang mit Marclays Werk fällt häufig der Name fach halten, um den fragmentarischen Charakter des Werks zu be­ von Marcel Duchamp, und tatsächlich gibt es einige Parallelen wahren.» Seine ersten Erfahrungen mit dem Siebdruck machte der Künstler, als er auf der Grundlage eines Ich bevorzuge Werke, bei denen man sich nicht fragt, Ausschnitts von Andy Warhols Electric Chair, der ein im Hinrichtungsraum an­ wie sie entstanden sind, sondern einfach geniesst, wie sie gebrachtes Schild mit der Aufschrift «SI­ “ einen bewegen und zum Nachdenken anregen. LENCE» zeigt, eigene Drucke herstellte. ” Ein halbes Jahrzehnt später nutzte Marclay zwischen den beiden. Duchamp war der Vater des Readymade, und diese Technik auch bei der Serie Actions (2012 – 14), für die er er­ auch Marclay, ein bekennender Anhänger dieses Konzepts, ver­ neut onomatopoetische Wörter aus Cartoons verwendete und sie eint zahllose Facetten und Traditionen des Arbeitens mit Objets auf einen im Stil des Action-Paintings bemalten Untergrund trouvés. Dabei bedient er sich nicht nur bei der bildenden Kunst, druckte. «Abstrakter Expressionismus trifft auf mechanische Re­ sondern nutzt auch die aus der Popmusik bekannte Technik des produktion à la Pop-Art – eine Allianz zweier Kunstrichtungen, Samplings oder verwendet Schnipsel aus Filmen. Mit beeindru­ die geschichtlich in Opposition zueinander stehen.» ckender Leichtigkeit kombiniert er ganz unterschiedliche Ele­ Das Spiel mit Schriftzügen und Bezeichnungen lässt sich mente zu filmischen Collagen, Animationen, Arbeiten auf Papier auch als ironischer Seitenhieb darauf interpretieren, wie Kultur oder Leinwand (die Malerei und Siebdruck vereinen) oder musi­ kommuniziert und angepriesen wird. Als The Clock in Venedig ge­ kalischen Aufführungen, wobei sich die Tiefgründigkeit seiner zeigt wurde, hiess es in allen Dokumenten «Christian Marclay, Werke oft erst auf den zweiten Blick erschliesst. Ein Beispiel da­ USA» – dabei hatte er 1995 am selben Ort noch die Schweiz für ist die Serie Abstract Music (1988 – 90), für die er Schallplat­ ­vertreten. Als Folge davon stiess seine zweite Teilnahme an der tencover, die auf Gemälden basierten, so umgestaltete, dass sie am ­Biennale bei den Schweizer Medien zunächst nur auf geringes Ende wieder wie Gemälde aussahen. Vordergründig scheint es nur ­Interesse. «Die Leute vergessen so schnell … Aber ich frage mich um Abstraktion zu gehen, doch eine genauere Betrachtung wirft ohnehin, wieso Venedig so viel Wert darauf legt, die Künstler nach Fragen darüber auf, wie sich Musik malerisch ausdrücken lässt, ihrer Nationalität zu kategorisieren – in meinen Augen macht das wie Musik und Kommerz zusammenhängen und wie Plattenfir­ längst keinen Sinn mehr.» men ihre Künstler mithilfe anderer Kunstformen positionieren.

Das Medium im Dienst der Ideen Während man sich heutzutage auch mit wenig technischem Hin­ tergrundwissen als DJ, Komponist oder Regisseur betätigen kann, ist Marclay ein Verfechter des soliden Handwerks, sei es im digi­ talen oder im analogen Bereich. Obwohl er oft aus der Position ­eines Aussenstehenden agiert – zum Beispiel hat er nie Noten ­lesen oder schreiben gelernt –, beschäftigt er sich intensiv mit ­Prozessen und Verfahren, die er in der Folge unterwandert und verzerrt. «Der Do-it-yourself-Gedanke ist zentral. Möglichst viel selbst zu tun, führt zu anderen Ergebnissen. Nur wenn ich weiss, Noch bis am 20. März 2016 in der Staatsgalerie was ein bestimmter Prozess alles beinhaltet, kann ich ihn auch Stuttgart zu sehen: Christian Marclay – Shake Rattle and Roll. zweckentfremden. Interessiert man sich zu sehr für ein Medium und macht es zu seinem Lebensinhalt, rückt das Technische zu Christian Marclay, geboren 1955, wuchs in Genf auf und studierte ebenda sowie in Boston und New York stark in den Mittelpunkt. Das Medium sollte immer im Dienst der Kunst und Bildhauerei. Er erforscht seit über 30 Ideen stehen. Dies gilt insbesondere für die digitalen Medien, in Jahren die gemeinsamen Muster von bildender Kunst und Audiokultur. Er lebt in London. deren Möglichkeiten man sich leicht verlieren kann. Ich bevor­ zuge Werke, bei denen man sich nicht fragt, wie sie entstanden Aoife Rosenmeyer stammt aus Nordirland, ist Kunstkritikerin und Übersetzerin. Sie lebt in Zürich. sind, sondern einfach geniesst, wie sie einen bewegen und zum Nachdenken anregen.» Aus dem Englischen von Reto Gustin

KULTUR 17 Die Choreografin und Künstlerin in ihrem Studio in Genf. KUNST 18 La Ribot, 53

KULTUR 19 as wollten Sie als Kind einmal werden, wenn vereinzelt entstanden auch kleinere Kompanien nach französi­ Sie gross sind? schem Vorbild, aus denen sich jedoch keine starke künstlerische Ich träumte schon als Dreijährige davon, eines Bewegung mit nennenswertem kulturpolitischem Einfluss bildete. Tages als Tänzerin auf der Bühne zu stehen. Mit Insgesamt mangelte es an zu vielem, um auf dieser Basis eine dau­ 14 begann ich in meiner Heimatstadt Madrid mit erhafte Tanzszene zu etablieren – vor allem an politischem Willen, Wklassischem Ballett, und mit 18 ging ich nach Cannes, an die aber auch an Netzwerken, Festivals, Experten, Fachjournalisten Schule von Rosella Hightower. Spätestens da verwandelte sich und an Ausbildungen. mein Kindheitstraum in ein reales Ziel: Ich war endgültig fest ent­ schlossen, Berufstänzerin zu werden. Dass Sie sich in der Folge für eine Solokarriere entschieden, hatte demnach wirtschaftliche Gründe? Hätten Sie dafür nicht auch in Madrid bleiben können? Nicht nur. In erster Linie verliess ich das Ensemble, weil ich mich Ausserhalb der Folklore hatte der Tanz im Spanien der 1980er- auf eigene Projekte konzentrieren wollte. Ich mag es, alleine zu sin­ Jahre keinen hohen Stellenwert. Obwohl ich die traditionellen spa­ nieren und an Ideen zu feilen – so wie bei den Piezas Distinguidas, nischen Tänze sehr mag, schwebte meinem Plädoyer für ein breiter mir ein anderer Weg vor. Ausser­ gefasstes Spektrum von Tanz und dem wollte ich etwas von der Welt Choreografie, sowohl im plasti­ sehen! So besuchte ich erst Kurse Von Madrid schen als auch im poetischen und in Deutschland, New York und Pa­ politischen Sinn, und für mehr in­ ris, bevor ich nach Madrid zurück­ terdisziplinäre Denkansätze. Die kehrte und an eigenen Projekten über London von mir geschaffenen Objekte wa­ zu arbeiten begann. ren zwar technisch von einfacher Natur, bewirkten aber dennoch, Wie sah das kulturelle Umfeld nach Genf dass der Tanz plötzlich nur noch aus, in dem Sie sich als junge ­eines unter mehreren Ausdrucks­ Künstlerin bewegten? Immer unkonventionell und mitteln war. Zu jener Zeit wurde 1982 kamen in Spanien erstmals ­überraschend: Das ist die Madrider ich zu einer wahrhaft zeitgenös­ die Sozialisten an die Macht, und sischen Künstlerin. Ich liess mich mit dem Übergang zur Demokratie Künstlerin und Choreografin La nicht von linearen Überlegungen setzte in allen Bereichen des Le­ Ribot, die seit nunmehr gut einem leiten, sondern beschäftigte mich bens, so auch in Kunst und Kultur, ­Jahrzehnt in Genf lebt und von hier aus mit Gestaltung, Dauer und Aus­ eine explosionsartige Entwicklung ihre vielfältigen Projekte vorantreibt. sage von Fragmenten sowie der Be­ ein. Auf einmal gab es eine Vielzahl ziehung zwischen Autor, Darsteller öffentlicher und privater Veranstal­ und Zuschauer. Damals wählte ich tungen, an denen man Kunstschaf­ Interview: Anne Davier auch meinen Künstlernamen mit fende aus anderen Ländern treffen dem vorangestellten Artikel: «La konnte. Isabel González - die Agentin von Pina Bausch, Carolyn Ribot» – das klang für mich bedeutungsvoll und barock, ein wenig Carlson und Trisha Brown - brachte französische Choreografinnen divenhaft und punkig, aber zugleich auch kultiviert. und Choreografen wie Joëlle Bouvier, Régis Obadia oder Mathilde Monnier nach Madrid. Sie lud uns, die spanischen Tänzerinnen und Wann kamen Sie erstmals nach Genf? Tänzer, zum gemeinsamen Abendessen ein. Auf diese Weise lernte 1995, auf Einladung von Gilles Jobin und Yann Marussich, den da­ ich zum Beispiel Jérôme Bel oder eben Mathilde Monnier kennen. maligen Kodirektoren des Théâtre de l’Usine. Sie hatten in Girona eine meiner ersten Aufführungen von 13 Piezas Distinguidas Und wie ging es danach weiter? gesehen­ und buchten mich für eine Veranstaltungsreihe mit Cho­ 1986 gründete ich gemeinsam mit der Tänzerin und Choreogra­ reografinnen und Choreografen, die als «unkonventionell» galten, fin Blanca Calvo das Ensemble Bocanada Danza. Wir arbeiteten weil sie das Medium Tanz nicht in der bis dahin üblichen Form mit verschiedenen Autorinnen, Musikern und Tänzerinnen zu­ präsentierten. sammen – unter ihnen Olga Mesa und Juan Dominguez – und nutzten den Schwung dieser kulturellen Explosion, die in den Was ist Ihnen aus dieser Zeit besonders in Erinnerung ge­ Achtzigerjahren Madrid und ganz Spanien prägte. Nichts war vor­ blieben? gegeben, so dass wir nach Herzenslust herumexperimentieren Wie es war, im Kreise Gleichgesinnter die Grenzen des Choreo­ konnten. Allerdings zeigte sich rasch, dass das Modell der franzö­ grafierens neu auszuloten, und dass ich meine Ansicht dessen be­ sischen Kompanien, also von Ensembles rund um einen Choreo­ stätigt sah, was «zeitgenössischen Tanz» ausmachen sollte: das grafen, die mit staatlicher Unterstützung einen eigenen, unver­ ­Adaptieren von Vorgehensweisen aus anderen Sparten, um daraus kennbaren Stil pflegen und weiterentwickeln, in Spanien nicht etwas Neues entstehen zu lassen. Anfang der Neunzigerjahre gab funktionierte. Zwar fehlte es nicht an talentierten Künstlern, und es nicht viele Veranstalter, die unsere Arbeit anerkannten und

KUNST 20 ­unterstützten: Ana Rovira in Girona, das Institute of Contemporary Judith Night von Artsadmin zusammen, einer netzwerkartigen Arts (ICA) mit Lois Keidan in London, Nikki Millikan in Glasgow, Struktur zur Förderung zeitgenössischer Kunst. Bald darauf ge­ Cis Bierinckx in Salzburg, Mark Deputter und Gil Mendo in Leu­ hörten wir zu einer Gruppe von etwa 15 Künstlern, die von sieben ven und Lissabon, und später kam noch Berlin hinzu. Nach und oder acht Agenten betreut wurden, und Eduardo Bonito wurde nach bildete sich ein kleines, junges und sehr aktives Netzwerk, unser Produzent. Nach und nach knüpften wir immer mehr Kon­ und als Gilles und Yann die Leitung der Usine übernahmen, fanden takte und kamen beruflich voran. Insbesondere diePiezas Distin- sie sich im Epizentrum einer paneuropäischen Bewegung wieder. guidas waren sehr erfolgreich, was wohl auch daran lag, dass ich einen sehr angelsächsischen Humor habe. Wie kam Ihre Arbeit in Genf an? Sehr gut! Das Publikum war jung, begeisterungsfähig und bereit, 2004 kamen Sie dann nach Genf … sich zum Lachen bringen zu lassen – Humor war für mich schon Es war vor allem Gilles, der London verlassen wollte. Er träumte damals ein wichtiges Instrument, um mich über Konventionen davon, ein festes Ensemble aufzubauen, was in London unmöglich hinwegzusetzen und immer wieder einen Schritt weiter zu gehen. war. Gilles arbeitet gerne auf einem abgesteckten Terrain, auf dem Das Programm der Usine war unglaublich spannend. Viele der auf­ er sich als Künstler – anders als auf dem kaum überschaubaren Londoner Kulturmarkt – auch tatsächlich Mein Hauptanliegen ist die Förderung der choreografi­ Gehör verschaffen kann. Allerdings hatte schen Vielfalt und des Denkens durch die Aufnahme von sich Genf seit meiner Zeit an der Usine ­verändert, und ich mich wohl auch. Ich “ Einflüssen und Vorgehensweisen aus anderen Sparten. ­begann, an der dortigen Hochschule für ” Kunst und Design (HEAD) zu unterrichten, tretenden Künstler waren in meinem Alter, und wir sprachen alle und initiierte einen eigenen Fachbereich für darstellende Künste dieselbe Sprache. Das Gefühl des Fremdseins, das ich von früheren – ein interessanter Seitenwechsel, war ich doch bis dahin frei wie Reisen her kannte und im Übrigen auch durchaus schätzte, stellte ein Vogel und wurde nun plötzlich Vertreterin einer Institution. sich in Genf gar nicht erst ein. Stattdessen war ich Teil einer Dies hinderte mich jedoch nicht daran, mich künstlerisch weiter­ ­Familie, deren Mitglieder enorm viel voneinander lernen konnten zuentwickeln, ganz im Gegenteil. Nicht zuletzt dank der Unterstüt­ – einer­ aktiven, politisierten Generation, die zusammengekommen zung, die ich in der Schweiz erhalten habe, kann ich heute in meh­ war, um Projekte voranzutreiben und bekannt zu machen. reren Sparten und an unterschiedlichen Schauplätzen (Museen, Galerien, Kinos, Theater) tätig sein. Obwohl es Ihnen in Genf so gut gefallen hatte, führte Sie Ihr Weg dann aber nach London. Was ist Ihr Hauptanliegen für die kommenden Jahre? Gilles Jobin und ich waren in Genf ein Paar geworden. Auf der Die weitere Förderung der choreografischen Vielfalt und des cho­ ­Suche nach dem Spanien der 1980er-Jahre zog er zu mir nach reografischen Denkens durch die Aufnahme von Einflüssen und ­Madrid, wurde aber nicht fündig. In der Folge entschieden wir uns, Vorgehensweisen aus anderen Sparten. Aus dem zeitgenössischen nach London umzuziehen, von wo ich bereits eine Anfrage vor­ Tanz und Theater und aus der visuellen Kultur, die auf ästheti­ liegen hatte. Doch auch während meiner neun Londoner Jahre schen, philosophischen und politischen Überlegungen basieren war ich unzählige Male in der Schweiz, um in Zürich, Freiburg, und einem regen Interesse an Körpern sowie der intrinsischen Be­ Luzern, Lausanne oder Genf aufzutreten. Anderswo war meine ziehung zu Raum und Zeit. Zudem werde ich neben neuen Pro­ ­Arbeit vielen Veranstaltern zu radikal. So interessierte sich etwa jekten auch weiterhin am Proyecto Distinguido arbeiten, das noch im Frankreich der Neunzigerjahre noch kaum jemand für die Ver­ längst nicht abgeschlossen ist. Ich möchte in Genf bleiben, weil knüpfung von Tanz, Performance und visueller Kunst – weshalb ich mich hier sehr wohl fühle. Mein jüngerer Sohn hat sich in der ich auch vorwiegend zu Schauspielfestivals eingeladen wurde. Erst Schule gut eingelebt, und sein älterer Bruder studiert Gartenbau. um die Jahrtausendwende erhielten Gilles, Jérôme Bel, ich und Und ich werde wieder an der HEAD unterrichten. andere Vertreter dieser bis dahin vernachlässigten Generation ver­ mehrt Anfragen von Tanzfestivals und wurden, auch in Frankreich, stärker wahrgenommen und öfter besprochen. Zur selben Zeit nahm mich die renommierte Madrider Galeristin Soledad Lorenzo unter Vertrag, legitimierte mich dadurch als plastische und visu­ Die Künstlerin und Choreografin La Ribot (eigentlich Maria Ribot) wurde 1962 in Madrid geboren. Sie studierte klassisches und elle Künstlerin und ermöglichte mir den Verkauf meiner Stücke modernes Ballett sowie zeitgenössischen Tanz und lebt nach fast an öffentliche und private Sammlungen. einem Jahrzehnt in London seit 2004 in Genf. www.laribot.com Anne Davier (*1968 in Genf) ist künstlerische Mitarbeiterin Wie gelang es Ihnen, sich in der Londoner Kulturszene zu der Association pour la Danse Contemporaine (ADC) in Genf und Chefredakteurin des Journal de l’ADC. Zusammen mit der etablieren?­ Tanzforscherin und -historikerin Annie Suquet hat sie ein Buch Das erste Jahr war hart, und wir wollten eigentlich schon aufge­ über die Geschichte des zeitgenössischen Tanzes in der ben und nach Spanien zurückkehren. Doch dann brachte uns Lois Schweiz verfasst, das im September 2016 erscheinen wird. Keidan, eine Schlüsselfigur der Londoner Live-Art-Bewegung, mit Aus dem Französischen von Reto Gustin

KULTUR 21 ine Altbauwohnung in Zürich. Die Fenster sind offen, Richtig, ich habe keinen musikalischen Background. Nach der hochsommerliche Strassengeräusche schwappen von ­Arbeit mit Festplatten in Harddisko ging es 2006 in der Installa- aussen in die Stube. Valentina Vuksic spielt einen Aus- tion Sei Personaggi Part 2 um Arbeitsspeicher. Dafür habe ich mit zug aus der aktuellen Version von Tripping Through Mitteln des Linux Betriebssystems ein Software-Stück für Arbeits­ Runtime vor. Auf einem Gestell stehen vier Laptops, speicher geschrieben. Mein erstes Konzert war erst später, 2007. Eein Mischpult, Induktionsspulen, ein altertümliches Floppy Mit Live-Konzerten begann ich eher aus Verlegenheit, weil ich ­Disk-Laufwerk, Kabel. Vuksic startet die Computer und streicht keine Installation hätte vorlegen können. Seitdem sammle ich mit ­Mikrophonen über die Tastaturen. Am Mischpult pegelt sie meine Aktivitäten unter Tripping Through Runtime. Ich interes- die abgefangenen Signale aus. Aus den Lautsprechern dringen sierte mich mehr und mehr für bestehende Software, vor allem zirpende, flirrende, pulsierende Betriebssysteme, die ich assozi- Geräusche aus den Tiefen von ativ sammle und ihre elektro- digitalen Gerätschaften. Auf magnetische Aktivität als Klang ­einem schwarz-weissen Bild- Eine abhöre. schirm huschen ­altertümlich anmutende Programmierhin- Bezeichnen Sie sich als Musi­ weise vorbei. Mit all ihren Ge- Mischung aus kerin? rätschaften wird Valentina Vuk- Nein, und trotzdem trete ich sic ein paar Tage nach dem im Bereich der experimentellen Interview am Festival Disnova- Guerilla und Musik auf. Zu Beginn hatte ich tion pop-up im Strelka Institut darum Berührungsängste. In- in Moskau auftreten. zwischen betrachte ich einen queren Zugang zur Musik als Harddisko ist die erste Arbeit, Poetik ­ ganz wichtig. Einen ebenso mit der Sie bekannt geworden ­unbelasteten Zustand versuche sind. Es ist eine Installation Valentina Vuksic ist gelernte Informatikerin ich beim Spielen der Computer von aktivierten Festplatten, und Medienkünstlerin. Obwohl sie sich selbst zu erreichen. Ein Konzert ist die mittels Induktionsspulen ein Zwischenbericht aus einem zum Klingen gebracht werden. nicht als Musikerin bezeichnet, gibt sie ­laufenden Prozess, kein End­ Wie sind Sie dazu gekommen, vermehrt Konzerte. produkt. Darum bevorzuge ich mit diesem doch eher unge­ auch kleine, intime Orte. wöhnlichen Instrument Musik Interview: Christian Pauli zu machen? Wie benennen Sie Ihre Arbeit? Ab 2001 studierte ich an der Musik? Medienkunst? Zürcher Hochschule der Künste Neue Medien. Anlässlich des Zunächst wurde meine Arbeit im Kontext von Medienkunst ge- ­Semesterprojektes Modding sollten wir auf künstlerische Art und zeigt. Später auch als experimentelle Musik, was keine Absicht Weise Soft- oder Hardware manipulieren. Da lagen Festplatten he- war, sondern sich so entwickelt hat. Auf jeden Fall sind die Ge­ rum, ohne Gehäuse. Die habe ich an den Strom geschlossen, um räusche das wichtigste Medium für mich, um ein Publikum zu zu sehen, wie der Lesekopf sich bewegt. Ich wollte die mechani- ­er­reichen. Ich beschäftige mich mit dem Raum zwischen Hard- schen Geräusche verstärken, die dabei entstehen. In einem Zür- und Software als physischem Ort. Das ist mein künstlerisches cher Elektronikfachgeschäft fand ich sogenannte Induktions­ Material. Gleichzeitig will ich eine eigene Haltung zur digitalen spulen. Diese Pick-ups, die ich heute noch verwende, stammen Technologie entwickeln. aus den 1950er-Jahren und zeichnen keine Schallwellen auf, son- dern Spannungen, die von elektromagnetischen Feldern erzeugt Und wie ist Ihr künstlerischer Zugang zur digitalen Techno­ werden. Sie wurden entwickelt, um Telefongespräche unbemerkt logie? aufzuzeichnen. Interessanterweise haben die Telefonadapter Sig- Computer sind keine anonymen Gerätschaften. Firmen und Ent- nale aufgenommen, die von Programmen stammen, die auf den wickler haben sich in sie hineingeschrieben. Sie führen ein physi- Festplatten eingespeichert sind. So ist dieser Chor aus Festplatten sches Dasein an einem bestimmten Ort, und sie werden von Men- entstanden. Wichtig war mir dabei, Funktionsweise und Eigen­ schen bedient, die ihrerseits eine physische Präsenz haben. Diesem heiten der einzelnen Festplatten so wenig wie möglich zu mani- Gedanken gehe ich in meiner Arbeit nach. Ich beginne auf der pulieren. Ich habe sie bloss ein- und ausgeschaltet, nicht auf die Software-Ebene, die von der physischen Realität der Geräte zu- Daten­ ­zugegriffen. nächst einmal losgelöst gedacht ist. Wird sie ausgeführt, dann auch in einer spezifischen Realität, die über die elektromagneti- Sie haben zunächst in Stuttgart angewandte Informatik stu­ sche Welt hörbar wird. Sehr inspirierend finde ich daher die Expe- diert und sind dann via Studium der Medienkunst zur Musik rimente aus der Seitenkanalanalyse. Dieser Zweig der Krypto­ gekommen. Wann haben Sie das erste Mal live gespielt? analyse beschäftigt sich damit, Nutzsignale aus den physischen

KUNST 22 Valentina Vuksic, 41

Die Medienkünstlerin in einem Atelier in KULTUR Zürich bei der Arbeit. 23 KUNST 24 Emissionen von elektronischen Geräten zu extrahieren. Beispiels- Szene weltberühmt gemacht. Der Weg von Norbert Möslang weise lassen sich aus den Schwankungen der Masse von leitenden und Andy Guhl war aber anders als der Ihrige: Sie sind von der Teilen eines Computergehäuses Rückschlüsse auf die Prozes­ frei improvisierten Musik in die Medienkunst geraten. sierung ziehen. Die Snowden-Enthüllungen der letzten Jahre wer- Das klingt interessant. Ich kenne Norbert Möslang, aber nicht fen ein ganz neues Licht auf die sonst akademisch anmutenden das Duo. Für mich waren beispielsweise der Künstler Martin Experimente. Howse und seine Arbeit PromiscuOS eine wichtige Inspiration, in der ein Betriebssystem von sämtlichen Kontrollmechanismen Haben die Geräte, mit denen Sie arbeiten, einen Charakter? befreit wird. Charakter würde ich nicht sagen, aber sie haben spezifische ­Eigenschaften. Und sie verändern sich mit der Nutzung. Ist das eine Art Guerilla-Taktik? Programme, Werkzeuge und Instrumente zweckentfremdet einzusetzen, also nicht so, wie Gibt es gute oder schlechte Computer, die in Ihrem Fall ja sie gedacht sind? Instrumente­ sind? Mir gefällt eine Mischung aus Guerilla und Poetik. Ich kann nicht mit Computern arbeiten, die direkt an das Strom- netz angeschlossen sind. Bei 230V hört man von den subtileren Lässt sich daraus eine bestimmte gesellschaftliche Haltung Veränderungen des Stromverbrauchs durch das Ausführen von ­gegenüber Technologie ganz allgemein ableiten? Software nur sehr wenig. Der statische Strom aus der Steckdose Ich vertrete keine dogmatische Position, sehe meine künstlerische übertönt alles. Arbeit aber durchaus in einer Gegenposition zum konsumorien- tierten Elektronik- und Apps-Markt. Meine Bedürfnisse richte In Ihrer Arbeit scheint mir der Zufall eine gewisse Rolle zu ich nicht nach dem aus, was die Industrie mir als Gerät oder als spielen. Betriebssystem vorgibt – ich versuche meine eigene Herange- Vom angehörten Resultat her betrachtet mag das stimmen. Für hensweise zu entwickeln. meine Arbeit aber gilt das nicht. Sie beginnt mit einem klaren Aus- gangspunkt. Für die Performance in Moskau ist es beispielsweise Wir sind ja alle Sklaven dieser elektronischen Gadgets gewor­ die Floppy Disk Tinfoil Hat Linux. Dieses kleine Betriebssystem den. Wie ist das bei Ihnen? Bis vor einem Jahr verzichtete ich auf ein Computer sind keine anonymen Gerätschaften. Firmen Smartphone. Dann beschaffte ich mir ein und Entwickler haben sich in sie hineingeschrieben. Jolla, eines der wenigen Smartphones, auf dem ein Opensource-Betriebssystem ins- “ Diesem Gedanken gehe ich in meiner Arbeit nach. talliert ist und keine Apps vorinstalliert sind. ” Programmtechnisch habe ich eine Vorliebe entstand 1998 in einer Szene, die sich vor Gehirnkontrolle und für Linux, weil es für Transparenz und einen unverschnörkelten Ausspähung durch elektromagnetische Strahlung schützen wollte. Zugang steht. Ich muss mich aber für einen Job auch anpassen. Ausgehend von dieser Floppy, deren Absicht gerade wieder seltsam Von den sozialen Netzwerken halte ich mich fern. Das kann ich mir aktuell ist, entwickle ich ein Thema – hier also Sicherheit und Un- als Künstlerin, die im Moment zwei bezahlte Jobs hat, leisten. sicherheit – und suche nach weiteren passenden Betriebssystemen. Erst dann spiele ich die dort vorhandenen Tools auf den Rechnern Wenn Sie zu 100 % von der Kunst leben möchten, ginge das aus meinem persönlichen Arsenal und suche die aus, die gut, also nicht mehr? vielfältig, klingen. Ab jetzt probe ich das Ausführen der Tools und Nein, auf keinen Fall. die Bewegung der Induktionsspulen wie ein Instrument.

Vor 30 Jahren hat Punkmusik das subversive Do-it-yourself- Prinzip bekannt gemacht: Pfeifen wir auf konventionelle Be­ rufsbilder und Marktstrukturen und machen unser eigenes Ding auf unsere Weise. Das trifft in gewisser Weise auf mich zu. Ich möchte einem Com- puter eine neue Funktion zuschreiben, um eine andere Erfahrung damit zu machen. Verglichen mit meinem herkömmlichen Beruf als Programmiererin war das schon eine riesige Umstellung, aber auch eine grosse Befreiung. Das Studium an der Kunsthochschule hat mir einen anderen, offenen und zugleich kritischen Umgang Valentina Vuksic (*1974) studierte zuerst Informatik in Stuttgart und später Medienkunst an der Zürcher Hochschule der Künste. mit Technologien aufgezeigt. Seit 2006 arbeitet sie als Entwicklerin und Künstlerin (trippingthroughruntime.net) in Zürich.

Kennen Sie das St. Galler Experimentalduo Voice Crack? Das Christian Pauli ist Leiter Kommunikation und Publikationen der Konzept der «geknackten Alltagselektronik» hat sie in der Hochschule der Künste Bern.

KULTUR 25 elches Vorurteil übers Jodeln stört Sie am Warum gerade zum Jodeln? meisten? Singen im Allgemeinen ist eine Tätigkeit, bei der man sich spüren Lange gestört hat mich, dass viele Leute den Jo- kann. In unserer Welt geht alles unglaublich schnell, man ist voll del mit der politisch rechten Seite in Verbindung vernetzt und an sieben Orten gleichzeitig. Beim Singen aber ist bringen. Heute ist das zum Glück anders als noch man ganz bei sich. Es ist eine Art von Meditation, und es tut ein- Wvor zehn Jahren. Es braucht Politik und Kultur. Gefährlich wird fach gut. Das bestätigen auch die Leute in meinen Kursen. es aber, wenn die Politik die Kultur instrumentalisiert. Das ist ­passiert, als man das Jodeln zur geistigen Landesverteidigung ver- Das klingt nach Achtsamkeitsseminar. einnahmte. Ich versuche diese Bereiche zu trennen. Ja, es geht in diese Richtung. Man kann nicht singen, wenn man unter Strom steht. Jodeln ist doch etwas für alte Leute. Das stimmt nicht mehr. Ich bin sehr oft von Jungen umgeben. Ge- Sie bieten auch Workshops für Firmen an. Hat Jodeln eine rade diesen Sommer habe ich ein Jodellager geleitet, wo viele teambildende Funktion? ­Kinder aus städtischer Umgebung dabei waren. Deren Eltern ha- Wenn ein Team gemeinsam jodeln lernt, ist es für alle etwa gleich ben gar nichts mit Jodeln am Hut, neu. Der Big Boss steht auf der­ aber die Kinder finden nun eben selben Stufe wie der Lehrling, die ­wieder cool, wovon sich ihre Eltern Hierarchie­ fällt weg. So zerfliesst abgewandt haben. Zudem sind viele Jodeln eine heterogene Gruppe in kurzer meiner Schüler etwa in meinem Al- Zeit miteinander. Ausserdem kann ter. Es findet tatsächlich ein Wandel man eine Gruppe relativ schnell statt, den man von aussen vielleicht statt Bauch- zum Klingen bringen, so dass Er- nicht so wahrnimmt. folgserlebnisse entstehen. Auch andere Schweizer Tradi­ tanzen Zur Verjüngung des Jodels hat tionen wie das Eidgenössische auch die 27-jährige Melanie Schwingfest oder Jassrunden wer­ Sie trägt Trachten und liebt doch die Oesch beigetragen, nachdem sie den bei Jungen immer beliebter. m­usikalischen Experimente: Jodlerin mit ihrer Volks­musikgruppe Bekommen Sie diese Entwicklung Oesch’s die Drit­ten in der Sen­ zu spüren? Nadja Räss über Heimat­verbundenheit, dung Die grössten Schweizer Natürlich. Auch deshalb, weil die künstlerische Selbstvermarktung und Hits einen Preis gewann. Was ­Medien das Thema gerne aufgreifen die Zukunft der Volksmusik. ­halten Sie von ihr? und ihm einen neuen, coolen An- Sie singt auf sehr hohem Niveau. strich geben. Das sieht man etwa da- Mir persönlich sagt dieser Stil Interview: Lena Rittmeyer ran, dass eine Volksmusiksendung aber weniger zu. Wenn ich gefragt wie Potzmusig ein Facelifting erhielt werde, ob es eine Musikrichtung und heute ein junger Moderator durch die Sendung führt. Die gibt, die mir nicht gefällt, dann ist es Schlager. Aber Melanie Oesch ­Medien haben stark mitgeholfen, Volksmusik in ein neues Licht ist bodenständig und geerdet. Das ist, was der Jodel braucht: zu rücken. ­authentische Personen.

Braucht der Jodel überhaupt ein neues Image? Grenzen Sie sich von anderen Szenen der Volksmusik ab? Ich würde nie sagen, wir müssen jetzt unbedingt die Jungen errei- Nein, nur Schlagermusik ist wirklich nicht meine Welt. Aber ich chen. Wandel findet statt, weil ihn die Leute vorantreiben und weil gehe sehr gerne auch mal an einen ganz urchigen Anlass, an dem Nachfrage besteht. Sobald wir fürs Jodellager keine Anmeldungen gejutzt und geörgelet wird. mehr bekommen, führen wir es auch nicht mehr durch. Sie kombinieren Jodel mit Jazz oder Klassik oder treten mit Wie erklären Sie sich diese Rückbesinnung auf Traditionen? Stimmkünstlern aus Asien oder Afrika auf. Was reizt Sie an Auch Schlaghosen waren mal modern, dann sind sie verschwun- solchen Experimenten? den, und irgendwann trägt man sie wieder. Mit der Volksmusik ist Vor allem, dass sie mich stimmlich herausfordern. es ähnlich. Zugleich hat es sicher mit der Globalisierung zu tun, dass wir uns wieder unserer Wurzeln bewusst werden wollen. In Und wie reagiert die Jodelszene darauf? meinen Kursen erzählen Teilnehmende immer wieder, wie sie im Am Anfang bin ich schon schräg angeschaut worden. Viele wissen Ausland gefragt werden, ob sie denn jodeln können. Dann realisie- aber, dass mir auch der traditionelle Jodel sehr am Herzen liegt. ren sie, dass sie ihr Brauchtum eigentlich gar nicht kennen. Des- Traditionalisten wird oft nachgesagt, dass sie engstirnige, ver- halb geht man heute eben nicht mehr ins Bauchtanzen, sondern bohrte Typen seien. Von ihnen habe ich aber in den letzten Jah- zum Jodeln. ren oft das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie respektieren,

KUNST 26 Nadja Räss, 36

Die Musikerin vor und während eines Auftritts in St. Gallen. KULTUR 27 was ich mache. Manche sagen auch: Ich bewundere, was du alles Natürlich finde ich schön, wenn wahrgenommen und geschätzt kannst mit deiner Stimme, aber gefallen tut es mir nicht so. wird, was ich mache. Aber ich bin nicht so scharf auf Preise. Auf der Bühne stehe ich lieber zum Jodeln. Darf man in der Neuen Volksmusik alles? Es ist wunderbar, künstlerische Freiheit zu haben. Aber erst wenn Volksmusiker haben oft ein enges Verhältnis zum Publikum. man sich mit seinen Wurzeln auseinandersetzt, kann man sich Und Sie? auch musikalisch weiterentwickeln. Als ich mich mit dem alten Ich glaube, ich kann manchmal etwas distanziert und deshalb ar- Naturjodel befasst habe, hatte ich wieder Ideen für neue Stücke. rogant wirken. Aber so bin ich gar nicht. Ich bin grundsätzlich sehr leutselig, wenn auch ein wenig schüchtern. Leute aus dem Publi- Nahm man Sie in Musikerkreisen als Jodlerin immer ernst? kum meinen oft, ich müsste sie doch alle kennen, weil sie mich Ich hatte nie das Gefühl, dass man mich nicht ernst nahm. Viel- vorher auf der Bühne gesehen haben. Aber das ist halt nicht so. leicht wäre das vor 15 Jahren noch anders gewesen. Musiker sind untereinander sehr tolerant. Man muss als Jodlerin einfach Qua- Was wünschen Sie dem Jodel für die Zukunft? lität liefern, genau wie bei einem Instrument. Wenn ich zusam- Ich fände schön, wenn es einmal ein Schwerpunktstudium im men mit einem Klassikorchester auftrete, erwarte ich ja auch, dass Bereich Jodel gäbe. der erste Geiger seine Geige im Griff hat. Warum braucht es das? Als Leiterin der Institution KlangWelt Toggenburg befassen Zu oft bilden Laien heute Laien aus. Die Nachfrage nach Jodel­ Sie sich nicht nur mit heimischen, sondern auch mit fremden unterricht ist da, nur gibt es zu wenig gut ausgebildete Lehrer. Musikkulturen. Was interessiert Sie daran? ­Innerhalb der Jodlerszene befürchtet man allerdings, dass man das Ich bin verantwortlich für Programm und Inhalt unserer vier Jodeln durch eine Ausbildung verakademisiert. Aber das glaube Hauptprojekte – Klangkurse, Klangschmiede, Klangfestival Natur- ich nicht. Im Gegenteil, man trägt dazu bei, dass das Jodeln brei- stimmen und Klangweg. Hierbei habe ich sehr viel künstlerische ter erhalten bleibt und sich entwickeln kann. Freiheit. Die Themen sind aber immer im Brauchtum verwurzelt. Spannend wird es, wenn die Landesgrenzen verschwinden. Am letz- Was befürchten diese Kreise genau? ten Klangfestival zum Beispiel hat ein Kinderchor aus Madagaskar Dass der Jodel verklassifiziert wird. Schon heute hört man am eine Woche lang mit Schulkindern aus Alt St. Johann gesungen. Die ­Jodelfest ab und zu Jodlerinnen, die eine ausgebildete Stimme Kinder konnten sich kaum verständigen. Aber beim Abschied sind ­haben und nicht mehr so urchig klingen. Ich begreife diese Sorge, Tränen geflossen, so bewegend war dieses Erlebnis für sie. aber auch archaischen Gesang kann man unterrichten. Das Ziel der Ausbildung sollte sein, dass Studierende sowohl einen schrä- Ist Jodeln völkerverbindend? gen Muotathaler Jutz als auch ein neumodisches Jodellied singen Die Art des Singens, also wie man mit den Stimmregistern arbei- können. Es geht um einen breiten Zugang. tet, die findet man weltweit. Gemeinsam ist diesen traditionellen Gesängen, dass sie alle das klanglich Reine suchen. Ich persönlich Sorgen sich die Jodler, gesangstechnisch nicht mehr mithalten glaube, dass Singen eine Art Grundbedürfnis der Menschen ist, zu können? und das verbindet uns. Vielleicht. In der Zeit, als ich noch Schwyzerörgeli unterrichtet habe, erlebte ich eine ähnliche Situation. Wir wollten als eine Welche Rolle spielte die Schweizer Kulturförderung in Ihrer Gruppe von Lehrern das normale Notensystem einführen. Also Karriere? ­organisierten wir eine Informationsveranstaltung und sind erst ein- Am Anfang habe ich nur vom Unterrichten und von Auftritten mal auf Granit gestossen. Die Lehrer hatten Angst, dass ihnen et- gelebt. Die Unterstützung von Stiftungen kam erst später und war was weggenommen wird; sie leben schliesslich vom Unterrichten. vor allem projektbezogen. Ich habe gelernt, dass man als Künst- lerin auch wirtschaftlich denken soll; das habe ich bei meinen Pro- Wünschen Sie sich auch etwas für unsere Gesellschaft? jekten immer getan. Ich bin Musikerin, aber auch Geschäftsfrau. Ich wünsche jeder Person, dass sie die Möglichkeit hat, das Singen in ihr Leben zu integrieren. Das muss gar nicht in einem Chor, Wie meinen Sie das? sondern kann auch daheim für sich sein. Singen macht einfach Ich unterrichte, gebe Notenhefte heraus und vermarkte mich so, glücklich. Es setzt Endorphine frei. dass es noch gesund ist. Man kann sich auch übervermarkten, so dass die Kunst nicht mehr im Zentrum steht. Ich habe jedenfalls in meiner Karriere nie etwas gemacht, um jemandem zu gefallen Nadja Räss (*1979) studierte Gesangspädagogik an der oder erfolgreicher zu sein, sondern immer nur, was mich persön- HMT in Zürich. Sie ist künstlerische und operative Leiterin der KlangWelt Toggenburg und Initiantin des jährlichen lich gereizt hat. Manchmal eben auch schräge Sachen. internationalen Jodelsymposiums. www.nadjaraess.ch

Lena Rittmeyer (*1985) lebt in Bern und schreibt als freie Im Juni haben Sie den Prix Walo gewonnen und ihn der Jodler­ Kulturjournalistin über Musik, Theater und Popkultur. szene gewidmet. Mögen Sie es nicht, beklatscht zu werden? Ihre Texte erscheinen u.a. in Der Bund und im Tages-Anzeiger.

KUNST 28 An die Künstler­ der Zukunft

Über die Zukunft Relevantes zu sagen, ist «Verliert nicht aus den Augen, sich gute Absicht verantwortlich, dass Hu- schwierig. Und zwar aus dem Grund, dass manismus weltweit nicht mehr stattfindet. Zukunftsvisionen enorm schnell veralten, was wirklich getan werden Ich glaube, dieser Widerspruch wird sich denn sie sind in erster Linie eine Verklei- muss.» Ein Aufruf von Milo in den nächsten Jahrzehnten auch auf- dung, eine Transposition der Gegenwart. Rau, einem der derzeit grund der Klimakatastrophe weiter ver- Ein Beispiel dafür ist der Roman Unterwer- ­bedeutendsten ­Theatermacher schärfen. Er wird unerträglich werden. Ich fung von Michel Houellebecq. Seine Vision sehe es als die Aufgabe des Künstlers, des Aufeinandertreffens von Salafismus im deutschsprachigen Raum. ­diesen Widerspruch zu beleuchten: dass und identitärer, also islamfeindlicher Be- Wohlstand und Freiheit bei uns in Afrika wegung war schon im Moment ihrer Ver­ Aufzeichnung eines Telefongesprächs und im Nahen Osten (und natürlich auch öffentlichung­ überholt. Das Tagesgesche- durch Alexandra von Arx in anderen Weltteilen) Sklaverei, Bürger- hen hatte sich in eine andere Richtung krieg und Unterdrückung bedeuten. Denn entwickelt, die soziokulturelle Problemlage das ist das Gesetz des globalen Kapitalis- sich fundamental verschoben. Das einzige, Aussengrenzen geschehen. Alle machen mus: Import und Export von allem. Von was sich an vielen Zukunftsromanen je- Projekte über die Flüchtlingsströme und Waren, Menschen und Kriegen. weils mehr oder weniger bewahrheitet, beschäftigen sich vollzeit mit Populisten- sind die Aussagen in Bezug auf den techni- Bashing. Aber wer findet in Kunstkreisen Europa, ein Machtkoloss schen Fortschritt. Die Science-Fiction-­ Fremdenhass und Intoleranz denn toll? Unter fortschrittlichen, liberalen Künst- Romane vom Ende des 19. Jahrhunderts Es herrscht aktuell eine Art Hysterie der lern gab es lange das Dogma, die EU gut zu sahen den Mondflug und die Verbreitung Selbstversicherung, alle versichern sich finden − vor allem in der Schweiz. Dabei des Automobils voraus, in den 1920er-Jah- gegenseitig, dass sie gut sind und auf der musste der Widerspruch ausgehalten wer- ren imaginierten die russischen Futuristen «richtigen» Seite stehen. Die Künstler den, dass die EU offensichtlich nicht «gut» den Computer und die heutigen Biotech- ­reflektieren dabei gar nicht, dass die Real­ ist, sondern eine Festung aus ökonomi- nologien. George Orwell schliesslich sah politik jenes Europas, das sie wollen – ein schen Interessen. Es gibt die EU, weil die den totalen Überwachungsstaat voraus. In Europa des Wohlstands, der Toleranz, der Interessen unseres Kontinents national- allem anderen irrten sie sich aber. Vor­ Sicherheit, des starken Staates und der staatlich nicht mehr durchsetzbar sind. hersehbar sind nicht der Mensch und die Meinungsfreiheit – gerade bedingt, dass es Europa ist ein Macht-, ein Massenkoloss: ­Gesellschaft, vorhersehbar ist nur der tech- ein krasses Grenzregime gibt. Denn der to big to fail, wenigstens ist das die Hoff- nische Fortschritt. Reichtum Europas basiert auf einer De- nung der EU-Funktionäre. Man muss also konstruktion des Nahen Ostens und Afri- neue Verfahrensweisen des dialektischen Das wahre Gesicht kas, die zerfallenden Staaten und Flücht- Denkens in Bezug auf Europa und auch in Derzeit fürchte ich ein bisschen, dass die lingsströme sind keine Nebenwirkung, sie Bezug auf die Welt lernen. Der einzige Weg Kunst die Aufgabe des Dekorums an- sind das wahre Gesicht, ja: die Bedingung dahin ist es, Erfahrungen zu sammeln. Die nimmt. Wenn ich in meinen Facebook-­ unseres Reichtums und unserer Freiheit. Künstler müssen wieder Reisende werden. Account reingucke, dann sind seit ein paar Und das ist das eigentliche Problem: Jener Sie müssen sich in der Welt bewegen, sie Monaten alle damit beschäftigt, Fotos zu Kontinent, der sich als humanistischer müssen Distanz gewinnen zu ihrem Land, posten von den Schrecken, die an Europas bewahren will, ist gerade durch diese an zu ihrem Kontinent. Distanz in der Zeit

KULTUR 29 und Distanz im Raum, denn das ist ja oft der Toleranz, der innereuropäischen Ge- müsste man diese Pavillons mit Wirklich- das gleiche. Die Klimakatastrophe zum genseitigkeit und Kameradschaftlichkeit. keit, mit Schrecklichkeit und Schönheit, Beispiel wird in einer NASA-Studie für In Zentralafrika hingegen sehe ich dieses mit Menschen und Dingen und Gedanken! 2075 vorausgesagt. Wir können sie uns Europa nackt, denn nur dort sieht man die Mit Utopie! Aber du arbeitest ein paar Jahre nicht vorstellen, weil sie 60 Jahre entfernt Rohstoffpolitik, wie sie tatsächlich funk­ in einem Betrieb, und schon sind deine ist. Solange ich sie mir aber nicht vorstel- tioniert. Und die Rohstoffe sind heute das Hoffnungen weg. Du weisst nicht mehr, len kann – körperlich und intellektuell – Entscheidende: das Coltan, der Zinn, das weshalb du eigentlich mit der Arbeit be- betrifft sie mich auch nicht. Das gleiche Gold, der Biodiesel. An ihnen hängt die Zu- gonnen hast – du arbeitest nur noch. Auch gilt für Afrika. Der ökonomische Genozid im Ostkongo mit seinen sechs Millionen Toten – das Fanal unserer Zeit – betrifft «Vorhersehbar sind nicht der Mensch und mich solange nicht, wie ich nicht dort war, wie ich dort nicht gelebt und gearbeitet die Gesellschaft,­ nur der technische Fortschritt.» habe, so wie wir es mit dem Kongo Tribu- nal getan haben. Und das meine ich: Der Künstler muss beginnen zu reisen, imagi- kunft Europas, Chinas, der USA. In Zent- ich merke immer wieder, wie ich mich in när und in der Realität. In die Vergangen- ralafrika sieht man die Wahrheit der NGOs, institutionellen Debatten verrenne. Wie ich heit, in die Zukunft und auf andere Kon­ der EU und selbst der UNO. Man sieht die mich zum Beispiel mit der Realismusde- tinente. Er muss – und das ist vielleicht Wahrheit dieses Kontinents, der sich aktu- batte im Theater aufhalte. Wie ich leiden- die Dialektik einer globalen Kunst – über ell in einem Rausch der Barmherzigkeit ge- schaftlich in den ewigen Zwist zwischen ­Distanz Nähe herstellen. Er muss sich Er- fällt. Ja, man kann nur ausserhalb Europas Stadttheater und freier Szene eingreife kenntnisweisen erarbeiten für eine Welt, zum Ethnologen des europäischen Den- oder Podiumsdiskussion führe zur Frage, die ökonomisch total globalisiert ist und in kens und der europäischen Praxis werden. wie viel Videoeinsatz auf der Bühne ange- der es Nähe nur noch im Privaten gibt. So wie man auch aus der Schweiz raus­ messen ist. Wenn man nicht verdammt gehen und wieder in sie zurückkehren aufpasst, wird man vom Künstler zum Kul- Wo liegt das wahre Europa? muss, um wirklich etwas über sie erzählen turschaffenden, zum verfeinerten Konsu- Brecht hat gesagt, wenn man eine Fabrik zu können. Es ist für mich immer wieder menten, der sich nur noch fragt: Soll ich von aussen abfotografiert, dann hat man unglaublich, wie vergrössert und verzerrt jetzt zwei Videoleinwände oder lieber drei noch nichts über das Funktionieren dieser die Dinge aus der Nähe aussehen. Künstler auf die Bühne stellen? Und wenn ich jetzt Fabrik erzählt. Dazu muss man in die Fa- verhalten sich ihrem Land gegenüber oft noch einen Schauspieler dazu nehme, brik reingehen, in ihr rumlaufen, mit den wie ein Sohn, der nie zuhause ausgezogen werde ich nochmals einen Förderantrag Arbeitern reden. Erst dann erfährt man ist: selbstgerecht, zynisch, fokussiert auf stellen müssen, oder wie machen wir das? ­etwas über die grosse Tragik des Fabrikar- ­irrelevante Details. Man lernt seine Eltern Natürlich: All das ist auch Teil der beiters oder eben über die Tragik unserer aber erst kennen, wenn man bei ihnen Kunst, gewissermassen ihr alltägliches Zeit. Und genau das ist die Aufgabe des ­auszieht, sie dann wiedertrifft und seinen Brot. Die Geschichte der Kunst ist, wie Künstlers: in die Maschinenräume unseres Frieden mit ihnen schliesst. Erst dann jede humane Praxis, eine letztlich automa- Zeitalters einzudringen und daraus etwas kann man sie und zugleich sich selbst und tische und unbewusste Reflexion ihrer zu erschaffen. Wir müssen die Katastro- die ­eigenen Beschränkungen erkennen. ökonomischen Grundlagen. Lebt man in phe, die gerade stattfindet, vorstellbar ma- Das ist der alte Trick der dichten Beschrei- einem reichen Land, wird man eine reiche chen, jenseits des Mitleids, jenseits der bung durch Distanznahme.­ Kunst haben, lebt man in einem armen Angst. Der Künstler kann sich dabei als Land, dann wird man arme Kunst haben. Chronist verstehen oder tatsächlich aktiv Vom Künstler zum Kulturschaffenden Und das geht bis in die höchsten formalen werden. Er kann die Utopie beschreiben Am Deutlichsten erlebe ich diese Proble- Verästelungen hinein. Vor einigen Mona- oder die Dystopie, das ist letztlich eine cha- matik, wenn ich mich als Dozent mit Kunst ten hatte ich ein interessantes Gespräch rakterliche Entscheidung. In jedem Fall auseinandersetze, wie kürzlich im Rahmen mit einer iranischen Künstlerin. Es war geht es darum zu verstehen, in welchen eines Workshops an der Biennale in Vene- jene Zeit, als Aktivismus gerade das grosse Zeiten des Übergangs wir eigentlich leben. dig. Viele Künstler verrennen sich in Mini- Ding war in der Kunstszene. Schönheit Ich sage es immer wieder: Das wahre maldifferenzen, das formale «Klein-Klein» und Selbstreferenz waren out, jeder wollte Europa liegt in Zentralafrika, in der Ukra- wird dann wahnsinnig wichtig. Wir haben Demos organisieren, Flüchtlinge nach Eu- ine, in Syrien und im Nordirak. Wenn ich uns die Länderpavillons angesehen, wo ropa einschleusen und so weiter. Eben ak- etwas über Europa wissen will, fahre ich wunderbare, aber fast ohne Ausnahme tiv sein. Die Iranerin sagte mir: Bei uns ist besser nach Moskau, nach Bukavu­ oder nur handwerklich interessante Arbeiten Schönheit politisch, Poesie ist im Iran eine Aleppo als nach Brüssel. In Brüssel finde ­ausgestellt waren und gedacht: «Da gibt Waffe. Aktivismus war für diese Iranerin ich nur Verwaltungsgebäude und stosse auf man euch eine solche politische Chance, uninteressant und «old style», etwas aus einen verlogenen Diskurs der Machbarkeit, und dann macht ihr das daraus?» Fluten den 1970er- und 80er-Jahren. Kurzum,

KUNST 30 man ist immer Teil von etwas, man re- alten Denkweisen festhält. Die die Welt Wir brauchen keine europäische, sondern agiert immer auf eine Situation,­ nur weiss nicht mehr vom Zweiten Weltkrieg, von eine globale Utopie. man es in der Regel nicht. Insofern ist das 1989, von 9/11 aus denkt, sondern von der Kunst wird aber nie Machtpolitik sein. die zentralste Aufgabe der Kunst: ein un- Möglichkeit von Geschichte überhaupt. Die Frage «Was muss man tun, damit die bewusstes Wissen, ein unbewusstes Tun zu Denn jetzt geht es wirklich um die Frage, Dinge sich ändern» ist eine machtpoliti- einem bewussten und damit moralisch was aus dieser Menschheit eigentlich wer- sche. Diese Frage kann die Kunst realpoli- und politisch fragwürdigen zu machen. Es den soll. tisch nicht beantworten, nur symbolisch. gab eine Zeit, da wurde das vom Journa­ Der Künstler ist ein Vor-Augen-Führer, ein lismus und von der Wissenschaft erledigt, Kunst wird nie Machtpolitik sein Vorbereiter, aber kein Politiker. Kunst und sogar von der Politik. Man stelle sich vor: Ich glaube also, man muss sich als Künst- Macht lassen sich nicht vereinen, das ist die Es gab noch vor 40 Jahren Parteien, die ler nun ein für allemal aus dem herrschen- spiessige Wahrheit. Ich kann mir ausden- das System umstossen­ wollten, die eine den «Klein-Klein» verabschieden und sich ken, was man alles tun könnte, um Afrika völlig andere Welt im Auge hatten! Da es der grossen Fragen annehmen. Die Kultur- fair zu behandeln. Ich kann sogar anfan- nun aber kaum noch investigativ­ arbei- szene ist extrem national orientiert. Ich gen, es zu tun. Gerade weil ich als Künstler tende Journalisten gibt, da Politiker Funk- merke oft, dass Dinge, die in Deutschland die Möglichkeit hatte, ein Jahr lang in Af- tionäre geworden sind und die Wissen- geschehen, in der Schweiz schon gar nicht rika zu reisen und mich mit unglaublich schaften unter dem Joch von Bologna mehr interessieren und umgekehrt. Das ist komplexen Fragestellungen zu beschäfti- keuchen, ist diese beständige Wander- insofern relevant, wenn man bedenkt, dass gen. Gerade weil ich mitten im Bürgerkrieg schaft im Raum und in der Zeit, dieses die Öffnung zu Europa der erste Schritt ist. ein Tribunal organisieren konnte, welches Fremdmachen des Eigensten, zu einer pri- Auch das europäische Denken ist pro­ die Tribunale, die eigentlich stattfinden mären Aufgabe der Kunst geworden. vinziell, in vielerlei Hinsicht ist es sogar müssten, eins zu eins vorzeigt. Und zwar provinzieller. Wie gesagt, die EU ist ein nicht mit Schauspielern, sondern mit den Überwinden alter Denkweisen ­verwaltungstechnisches Konstrukt, keine Akteuren, um die es geht: mit den richti- Ich habe einen schönen Satz über die gesellschaftliche Wahrheit. Es gibt nur ei- gen Akteuren. Ich konnte eine Realität «Flüchtlingskrise», wie die aktuelle Migra- nen einzigen Weltinnenraum, und in eben schaffen, die surreal ist, die unmöglich ist, tionsbewegung ja genannt wird, gelesen. diesem muss sich der Künstler bewegen. und das konnte ich nur als Künstler, nicht Es hiess dort: Euer Mitleid ist schön und Denn wenn die Wirtschaft global wird und als Politiker tun. Wäre ich Politiker oder die Willkommenskultur eine gute Sache. auch die Politik nur noch in der Verwal- Journalist, dann hätte man mich schon nach ein paar Wochen weggeräumt. Statt- dessen haben wir Armeegenerale vor Ge- «Künstler verhalten sich ihrem Land gegenüber­ oft richt gezerrt. Wir haben die Verbrechen der grössten Firmen dieser Welt aufgedeckt. wie ein Sohn, der nie zuhause ausgezogen ist: selbst­ Und so ist mein einziger Wunsch an die Künstler der Zukunft, dass sie sich auf gar gerecht, zynisch, fokussiert auf irrelevante­ Details.»­ keinen Fall von ihren Ängsten einschrän- ken lassen. Dass sie ihr Leben einsetzen, um diese Welt, um diese Menschheit zu ver- Aber es ist ganz egal, was ihr für Wörter er- tung der Globalisierung besteht, dann stehen. Um zu verstehen, warum wir mit findet und was ihr fühlt. Denn all dies fin- muss auch die Kunst diese Ebene betreten. offenen Augen in den Abgrund laufen – und det statt, völlig unabhängig von euch und Im 18. und 19. Jahrhundert, als die Idee der wie wir uns retten können. eurem Willen. Die Katastrophen werden Nation entstand, steckten die Schriftstel- Denn wenn wir das nicht tun, dann nun eintreten, die ökologischen, die huma- ler im Lokalismus­ fest. Es gab in vielen sind wir verloren, und wir haben es ver- nen, die philosophischen Katastrophen. Ländern nicht einmal eine Hochsprache, dient. Tut also, was nötig ist, auch wenn es Wenn unsere Kultur untergeht, dann ist ­Goethe schrieb noch in Frankfurter Lokal­ gefährlich ist. Tut das, was getan werden das «der Welt» genauso egal, wie wenn eine sprache. Dann kam die grandiose Idee der muss. Wir haben keine Ahnung, in was für Spinnenart verschwindet. Nein, unsere Ge- Nation auf und plötzlich fühlte man sich einer Zeit wir leben, ja: Wir wissen nicht, fühle zählen nicht mehr, der Mensch zählt als Franzose oder als Pole, Italiener oder was wir tun. Vergesst den Kunstbetrieb. Tut nicht mehr. Es ist nicht mehr relevant, wer Schweizer. Heute treten wir ins Zeitalter nur Dinge, die wirklich notwendig sind. zuschaut und was er sich subjektiv dabei der Imperien ein. Der Nationalismus muss denkt, sondern was objektiv passiert. Das sich in etwas verwandeln, was dem ent- ist eine totale Umkehr der bisherigen rea- spricht, und der Künstler muss diesen Milo Rau, geboren 1977 in Bern, ist künstlerischer Leiter des International Institute of Political Murder listischen Perspektive. Vielleicht braucht Schritt mitvollziehen. Der Antinationalis- (IIPM). Als Autor und Regisseur entwickelt er es, um das, was ich «globalen Realismus» mus, der ­Antipopulismus der letzten Jahr- politische Arbeiten, zuletzt das Erzählstück The Dark Ages, den Essayband Althussers Hände und das nenne, tatsächlich zu vollenden, eine neue zehnte reicht einfach nicht mehr. Auch Filmprojekt Das Kongo Tribunal. 2014 wurde er mit Generation. Eine Generation, die nicht an ­negativer Nationalismus ist Nationalismus. dem Schweizer Theaterpreis ausgezeichnet.

KULTUR 31 ORTSZEIT

SAN FRANCISCO NEW YORK PARIS ROM KAIRO JOHANNESBURG NEW DELHI SHANGHAI VENEDIG

Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia unterhält ein weltweites Netz von Aussen­stellen. Sie dienen dem Kulturaustausch mit der Schweiz und erweitern die kulturellen Netzwerke.

Zwei Kurse, viele Geschichten­

KAIRO

Zwei Workshops mit unterschiedlicher Ausrichtung ermöglichen einen Blick hinter die Kulissen ägyptischer Theaterarbeit.

Von Menha el Batraoui – Jede künstlerische Kairo, einen zweijährigen Lehrgang Kreation hat ihre Geschichte. So wie im (2012 / 2013) für ägyptische Theaterschaf- Theater die Proben für die Beteiligten oft- fende ins Leben zu rufen. Für die geplan­- mals anregender sind als die öffentliche Vor- ten Workshops wurden daraufhin in der führung, so kann auch die Arbeit an einem­ Schweiz geeignete Leiter gesucht, deren künstlerischen Werk im Rahmen einer­ Fort- Arbeitsmethoden dem Erfahrungsniveau bildung mindestens ebenso interessant sein der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ent- wie das Endresultat. Der kreative Prozess sprechen sollten. Die drei ausgewählten lässt Motivationen und Intentionen zutage Experten Peter Schelling (Zürich), Marco treten und erfordert laufend Entscheidun- Cantalupo (Lausanne) und Philippe Olza gen, die ihrerseits wieder neue Optionen er- (Genf) reisten in der Folge nach Ägypten öffnen. Alles kann hinterfragt und umgestal- und besuchten – nicht in Kairo, das bereits tet werden, sei es durch die Veränderung über ein reiches Angebot an kulturellen des Tonfalls einer Textstelle oder durch den und künstlerischen Aktivitäten verfügt, Einbau einer Geste, die das gesprochene sondern in Alexandria – fünf Tage lang ver- Wort entweder untermalt oder aber bewusst schiedene Brennpunkte der lokalen Thea- ­kontrastiert. Schritt für Schritt, wie ein aus terarbeit wie die Zweigstelle der Akademie vielen verschiedenen Farben bestehendes der Künste, die geisteswissenschaftliche Gemälde, entsteht auf diese Weise das fertige Fakultät, die Institute für Schauspielkunst Stück. Auf diesem Prinzip basieren auch die und Theaterwissenschaften, den Kultur­ beiden ägyptischen Theaterprojekte, die im palast oder das Centre Rézodanse. In letz- Folgenden vorgestellt werden sollen. terem wurden später dann die Workshops unter der logistischen Leitung der Inter­ Erstes Projekt: Lies national Association for Creation and Trai-

Ausgangspunkt von Lies war der Beschluss ning IACT durchgeführt. Auf der Grund- Fotos: Mahmoud Abou Zeid; Marco Cantalupo des Verbindungsbüros von Pro Helvetia in lage ihrer Beobachtungen erstellten die Die Adaption von Urs Widmers Das Ende vom Geld fand bildgewaltig in der Regie von Adel Adawy im Kulturpalast von Qus in Oberägypten statt.

ORTSZEIT 32 Schweizer Experten anschliessend ein gen zu Gestik, Gesang und Improvisation Anspielung darauf, dass das Theater meist massgeschneidertes, sich über 24 Monate (Schelling), zu Choreografien (Cantalupo) nicht die Wahrheit nacherzählt), das 2014 erstreckendes Programm rund um drei je und zum Spiel mit Masken (Olza). Ziel die- mit dem Stück Lies and Songs & other dreiwöchige Seminare – ein deutlicher Ge- ses Kursteils war es, das «Ich» infrage zu Commodities auftrat, entwickelt auf der gensatz zu den verbreiteten, angeblich so stellen und das Bewusstsein für den eige- Grundlage der von Peter Schelling gelei­ praxisnahen und kaum eine Woche dauern- nen Körper zu schärfen, für seine Anato- teten Improvisationen. Im Oktober 2015 den Theaterkursen, deren Teilnehmer le- mie, seine Muskeln, seine Sprache, seine brachte das Kollektiv gemeinsam mit diglich vorgegebene Übungen nachahmen, Position im Raum oder sein Zusammen- ohne jedoch Sinn und Zweck des Ganzen spiel mit anderen Körpern. Jeder Körper zu verstehen. hat seinen eigenen Rhythmus und Charak- Das grösste Problem vieler ägypti- ter – beim Atmen, in Bezug auf die ange- scher Schauspieler ist, vor allem aufgrund borenen und erlernten Reflexe oder auch gesellschaftlicher Tabus, das Verhältnis im Schlaf – und drückt sich, ob alleine oder zu ihrem Körper. Diesem wurde daher in der Gruppe, auf andere Weise aus. Nach ein ­eigenes Zusatzmodul unter dem Titel Abschluss des Lehrgangs gründeten die ­Körper in Bewegung gewidmet, mit Übun- Teilnehmer das Kollektiv Lies – Lüge (in

Choreografieworkshop von Marco Cantalupo mit dem Kollektiv Lies.

Marco Cantalupo Die Konferenz der Vögel des persischen Dichters und Mystikers ­Fariduddin Attar auf die Bühne.

Zweites Projekt: Saïdturge 2014 präsentierte im oberägyptischen As- siut, einer Region mit einem sehr spärlichen kulturellen Angebot, das unabhängige Kul- turzentrum Ahmed Bahaa Eddin im Rah- men seines zum zweiten Mal stattfindenden Theaterfestivals das Stück Der Beweis des Gegenteils von Olivier Chiacchiari. Die Re- gisseurin Abir Ali leitete parallel dazu unter dem Titel Saïdturge einen mehrtägigen Dramaturgieworkshop rund um das Werk des Westschweizer Autors. Sie zeigte den Teilnehmenden, wie man sich einem Text aus dem Abendland annähert und dessen Tonfall erfasst. Dazu ist es hilfreich, das Stück mehrmals zu lesen, dabei unter- schiedliche Herangehensweisen anzuwen- den und es aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, um so eine Brücke zwischen Text und möglicher szenischer Umsetzung schlagen zu können. In einem weiteren, längeren Seminar zu Urs Widmers Das Ende vom Geld wurde ebenfalls betont, dass man sich nicht sklavisch an die Textvorlage Die Adaption von Urs Widmers Das Ende vom Geld fand bildgewaltig in der Regie von Adel Adawy im Kulturpalast von Qus in Oberägypten statt. halten muss, sondern sie wie einen Teig

ORTSZEIT 33 ­behandeln darf, der sich zu verschiedenen Formen kneten lässt. So ist es durchaus Öffentliche Kunst im denkbar, in der Bühnenfassung einige Sze- nen wegzulassen, eine Figur zu streichen oder die Abfolge der Ereignisse umzustellen. globalen Dialog All dies ist Teil einer ebenso herausfordern- den wie lohnenswerten Vorgehensweise, die sich die jungen ägyptischen Theaterschaf- fenden nicht gewohnt sind. Eine besondere NEW DELHI Schwierigkeit besteht dabei, wie Abir Ali an- merkt, in der Übertragung der untersuchten Mit einer internationalen Konferenz in Mumbai wurde Texte aus ­einer stark kapitalistisch gepräg- im Juni Draft lanciert, ein einjähriges Programm rund um Kunst im ten Welt in ein Entwicklungsland. Die auf- gezeigten Strategien sollen helfen, die Ideen öffentlichen Raum. und Gedanken eines Textes aus einem ande- ren Kulturraum zu erfassen, zu verstehen und anzunehmen, ohne ihnen jedoch blind Von Rosalyn D’Mello – Die Sonne ist be- CAMP, sind einige Wolken aufgezogen. zu folgen. Im Herbst 2015 arbeitete die reits im Arabischen Meer versunken, als wir Dessen ungeachtet kommt die Party zum ­Regisseurin, mit Unterstützung der Büh- uns zu Fuss unseren Weg durch die Gassen Abschluss der Konferenz rasch in Schwung, nenbildnerin Frieda Schneider und assis- von Chuim bahnen, einem historischen und schon bald ist der Laptop, der die Mu- tiert von Absolventen der ersten beiden Viertel im pulsierenden Herzen von Ban- sikanlage steuert, Brennpunkt einer inter- ­Seminare, zusammen mit neuen Studieren- dra, einem Vorort von Mumbai. Angereist nationalen Kontroverse. Die gemeinsame den am Stück Der Bus von Lukas Bärfuss. sind wir per Bus aus Colaba, ganz im Süden Leidenschaft für die Kunst mag uns die Um das Programm abzu­runden und noch der Metropole, und hatten auf der Reise letzten Tage vereint haben, doch nun will besser auf die lokalen Bedürfnisse auszu- durch den abendlichen Stossverkehr reich- jede Nation ihren Musikgeschmack durch- richten, ist zudem ein Choreografiework- lich Gelegenheit, das ebenso chaotische wie setzen. Ein Ende hat das passiv-aggressive shop unter Leitung von Marco Cantalupo bunte Treiben in Indiens Finanzhauptstadt Gerangel erst, als Shaina Anand, Mitgrün- geplant. zu bestaunen. derin von CAMP, Choli Ke Peeche (Was ist Das wichtigste Merkmal beider Pro- Anlass unseres Aufenthalts in Mumbai unter deiner Bluse) auflegt, einen Bolly- jekte ist ihr mosaikartiger Aufbau. Alle Pro- ist die dreitägige Eröffnungskonferenz wood-Kultsong aus den Neunzigern: Plötz- grammteile greifen ineinander und bilden von Draft – Internationales Forschungs- lich spielen kulturelle Grenzen keine Rolle gemeinsam ein breites, solides Fundament und Praxisnetzwerk für Kunst im öffentli- mehr, und acht Minuten lang tanzen alle in für die zukünftige Arbeit der jungen Thea- chen Raum. Dieses Programm unter Fe- derselben Sprache. terautorinnen und -autoren beziehungs- derführung von Gitanjali Dang, Gründerin weise -regisseurinnen und -regisseuren in des Mumbaier Kulturlabors Khanabadosh, Die Wirkungskraft von Kunst Ägypten. Der internationale Austausch und Professor Christoph Schenker, Leiter Dieser spontane, besondere Moment auf ei- kommt aber auch der Schweizer Seite zu- des Instituts für Gegenwartskunst (IFCAR) ner indischen Terrasse wird zum Sinnbild gute, deren Werke durch die Übersetzung an der Zürcher Hochschule der Künste der engen Verbundenheit, die zwischen den weitere Verbreitung finden und deren (ZHdK), erstreckt sich über zwölf Monate Teilnehmenden der Konferenz entstanden Künstlerinnen und Künstler auf diese und bringt Künstler­kollektive­ aus neun ist. Drei Tage lang präsentierten die Vertre- Weise die Gelegenheit erhalten, neue, berei- Städten in aller Welt zusammen: Hamburg, ter der neun ausgewählten «Kreativstädte» chernde Erfahrungen zu sammeln. Hongkong, Kairo, Kapstadt, Mexiko-Stadt,­ ihre Antworten auf die Frage «Welche Ver- Mumbai, Sankt Petersburg,­ Shanghai und änderungen kann Gegen­wartskunst bewir- Die Journalistin Menha el Batraoui (*1946) Zürich. Ziel ist, dass jedes der Kollektive in ken?», die Dang in ihrer Begrüs­­sungsrede arbeitet als Theaterkritikerin bei El Ahram Hebdo und berichtet für die Fachzeitschrift seiner Stadt eigene­ Projekte durchführt, gestellt hatte, und debattierten über die El Beit über Architektur und Raumgestaltung. ausgehend von Workshops und in Zusam- Wichtigkeit einer in kollektive Strukturen Sie ist zudem als Übersetzerin und Dolmetscherin­ tätig. menarbeit mit verschiedenen Partnern wie eingebetteten kulturellen Praxis für wir- Kuratoren und Fachleuten für interdiszip- kungsvolle, dem jeweiligen soziopoliti- Aus dem Französischen von Reto Gustin linäre Ansätze. Die Eröffnungskonferenz in schen Umfeld angepasste künstlerische In- Mumbai diente in erster Linie dazu, ge- terventionen. meinsam zu untersuchen, wie zeitgenössi- «Draft will Veränderungen anstos­ sche Kunst Debatten über öffentlichen sen», erklärt Dang. «Eine davon ist ein Raum und urbane Gestaltung auslösen und ­tieferes und umfassenderes Verständnis der begleiten kann. Rolle der Kunst im soziopolitischen Dis- Als wir an unserem Bestimmungsort kurs vor sehr unterschiedlichen und doch ankommen, einer Terrasse neben dem Ate- irgendwie ähnlichen Hintergründen.» Dif-

lier des multimedialen Künstlerkollektivs ferenzen und Gemeinsamkeiten standen

ORTSZEIT 34 Künstlerkollektive aus neun Metropolen haben sich zur Eröffnungskonferenz in Mumbay zusammengefunden und diskutieren mögliche Ansätze und Umsetzungen von Kunst im öffentlichen Raum.

denn auch im Zentrum des Austausches russisch-englische Publikation What Is to Zwar gehe es bei Draft, so Dang und der Künstlerkollektive aus aller Welt. So Be Done? umfasst. Schenker, nicht in erster Linie um Städte, sind zum Beispiel Prasad Shetty und Rupali doch diene «dieses komplizierte Öko­sys­ Gupte der Auffassung, der urbane Raum sei Internationaler Ideenaustausch tem als Ausgangspunkt für künstlerische von Haus aus «inkohärent, unkontrolliert Die anhaltenden Nachwirkungen des Ko- und philosophische Überlegungen aus und instabil» und folge in seiner Ent­ lonialismus auf die künstlerische Praxis den verschiedensten Bereichen wie Ge- wicklung «chaotischen, zahllosen Einflüs- beleuchtete der Hongkonger Klangkünst- schichte, Urbanistik oder Politik». Nach sen unterliegenden Logiken». Die beiden ler Samson Young in seinem poetischen dem Auftakt in Mumbai richtet sich der Mumbaier Architekten und Urbanistiker Referat über den Aufbau von lokalen Or- Fokus nun auf die Realisierung indivi­ kartieren Städte, analysieren deren Prob- chestern: «Wie lassen sich die Strukturen dueller, ortsspezifischer Werke in den leme und konzipieren korrigierende Ein- der klassischen Musik ausserhalb der west- neun Städten bis Mitte 2016, wenn die griffe; methodisch bedienen sie sich dabei­ lichen Welt reproduzieren? Wie schreibt ­Abschlusskonferenz in Zürich ansteht. Wie einer breiten Palette, von Zeichnungen und ein asiatischer Komponist eine ‹Oper›, eine die Teilnehmer dabei vorgehen wollen, Mixed-Media-Arbeiten über das Schrei­ben ‹Sinfonie› oder eine ‹Bagatelle›? Wie erhält war Gegenstand intensiver Diskussionen – und Unterrichten bis zu Stadtspaziergän- man Zugang zu dieser so geschichtsträch- ganz im Sinne des Titels des Programms, gen und Gesprächen. Chto Delat­ aus Sankt tigen Form des Musizierens, und zu wel- betont doch Draft (zu Deutsch: Entwurf) Petersburg, ein 2003 gegründetes Kollektiv chem Preis?» Ein weiteres Thema der den kontinuierlichen Entwicklungsprozess von Künstlern, Kritikerinnen, Philosophen Konferenz war die Überbewertung des künstlerischer Ideen, der durch diesen in- und Autorinnen, betrachtet sich derweil als ­Urbanen, auf die der indische Journalist P. ternationalen Ideenaustausch sicherlich­ «selbstorganisierte Plattform für vielfältige Sainath in seinem Vortrag über den tragi- zusätzlich befruchtet wird. kulturelle Aktivitäten mit der Absicht, die schen Bedeutungsverlust des ländlichen ‹Produktion von Wissen› zu politisieren, Raums und traditioneller Lebensweisen in www.connectingspaces.ch

­indem wir eine engagierte Autonomie für Indien einging – eine Entwicklung, der er Rosalyn D’Mello ist in New Delhi als freie Auto- eine Kulturpraxis von heute neu definie- mit seiner Initiative The People’s Archive rin tätig. Zuvor war sie Chefredakteurin von BLOUIN ARTINFO Indien. In Kürze erscheint ren». Diese Verschmelzung von politischer of Rural India entgegenwirken will, ei- ihr Sachbuch A Handbook For My Lover. Theorie, Kunst und Aktivismus prägt das nem «lebendigen Journal und atmenden Wirken der Gruppe, das neben Projekten Archiv des alltäglichen Lebens alltäglicher Aus dem Englischen von Reto Gustin

Fotos: Draft und Kampagnen auch die viel beachtete Menschen».

ORTSZEIT 35 Auf einem langen Weg der Annäherung: Impressionen von den Proben zu Thinking about Medea im Kulturpalast in Durrës.

36 REPORTAGE Fettanzug statt Kindstod In Thinking about Medea debattiert eine albanisch-­ schweizerische Theaterproduktion über die Machtverhältnisse in Beziehungen und denkt über Vertrauen, Dominanz und Unterwerfung in der Liebe nach. Ein Probenbesuch in Durrës, Albanien.

Von Isabel Drews (Text) und Tristan Sherifi (Fotos)

Manchen mag es dämmern: Medea, das habe. Im Zuge der Öffnung dieses jahr- war doch diese betrogene Ehefrau, die zehntelang von der Aussenwelt abgekap­ ihre ­eigenen Kinder getötet hat. Doch wa- selten Landes werde das Rollenkorsett der rum ausgerechnet Medea? Warum zieht Geschlechter etwas lockerer. Doch die Ab- eine schweizerisch-albanische Theaterpro- hängigkeit der Frauen von Ehemann und duktion diesen angestaubten Racheengel Familie sei weiterhin stark. Erst kürzlich aus der Schatzkiste der griechischen Tra- hätten albanische Zeitungen den Medea- gödie, um über Machtverhältnisse in Be­ Topos wieder aufgegriffen, nachdem eine ziehungen und Rollenmuster zwischen von ihrem Ehemann und Ernährer ver­ Mann und Frau nachzudenken? Thinking lassene Albanerin ihr Kind getötet habe. Er about ­Medea – Duke menduar Medean – sei im Südbalkan nach wie vor fest im kol- so heisst das neueste Performance-Projekt lektiven Bewusstsein verankert. der Baslerin Beatrice Fleischlin. Entwickelt «Das kann man in der Schweiz so hat sie es gemeinsam mit dem albanischen nicht bringen», winkt Beatrice Fleischlin Choreografen Gjergj Prevazi, der in seiner ab, die in einer bäuerlichen Grossfamilie Heimat als treibende Figur des zeitgenös- im Luzernischen aufgewachsen ist. «Dass sischen Tanzes gilt. Frauen sich ihren Ehemännern derart aus- geliefert fühlen, dass sie sich nur über eine Verzweiflungstat als Auslöser so krasse Tat befreien können, entspricht «Das Medea-Thema war meine Idee», stellt nicht unseren Lebensverhältnissen», stellt Gjergj Prevazi in einer Pause während den die in Basel und Berlin lebende Performe- Proben in Durrës, einer Küstenstadt an der rin klar. «Das will ich auf der Bühne auch albanischen Adria, klar. Wir sitzen in einem nicht mehr reproduzieren.» Deshalb habe betont westlich aufgemachten Café im sie sich geweigert, die Medea wortgetreu zu Stadtzentrum. Mit Sorge beobachte er, so spielen: «In dem Moment, wo ich meine der Choreograf weiter, dass die häusliche Kinder töten sollte, komme ich stattdessen Gewalt in Albanien stark zugenommen in einem Fettanzug auf die Bühne. Medeas

REPORTAGE 37 Akt der Zerstörung ist radikal und final. und somit spannender wird, wenn die Rol- lange als das Nordkorea Europas – regiert Wir aber möchten die Möglichkeit einer lenverteilungen und Hierarchien nicht so vom kommunistischen Staatschef Enver Transformation erzählen, indem ich die klar sind», erläutert sie ihre Vorgehens- Hoxha, der aus Paranoia während seiner Bühne in rasender Wut verlasse, um kurze weise. Die Proben sind denn auch ein sich rund 40-jährigen Regentschaft sein Land Zeit später in einem grotesken, aufblasba- gegenseitiges Inspirieren und ein Austarie- mit schätzungsweise 750 000 Bunkern ren Fettsuit als Prinzessin wieder aufzutau- ren verschiedener Ideen. übersäte. chen. Damit öffnet sich ein neutraler thea- traler Raum.» In Beton gegossene Paranoia Theater als Propagandainstrument Auf der Bühne herrscht eine Auf- Labinot Rexhepi schätzt diese offene Ar- Gjergj Prevazi ist in Durrës aufgewachsen,­ bruchsstimmung zwischen Tradition und beitsweise, die wenig vorbestimmt ist und wo heute viele in der Schweiz lebende Al- Moderne, die in schnell aufeinanderfolgen- viel Raum für die eigene Kreativität lässt. baner, Mazedonier oder Kosovaren ihre den Sequenzen umgesetzt wird. Anstelle ­Badeferien verbringen. Der Wirtschafts­ ­einer stringenten Erzählung werden Frag- aufschwung nach dem Kommunismus hat mente, Passagen, Thesen und Gegenthesen hier seine Spuren hinterlassen: Zahlreiche aus zwei Quellen verwendet: der klassi- Protzbauten im wilden Stilmix prägen schen Grundlage des griechischen Autors mittlerweile die Skyline. In ihrem Schatten Euripides von 431 vor Christus und dem ducken sich die dem Verfall preisgegebe- Roman der DDR-Autorin Christa Wolf. Ge- nen Wohnsilos aus den langen Jahrzehn- sprochen werden sie in drei Sprachen: Eng- ten der kommunistischen Ära. Als das blei- lisch, Albanisch und Deutsch. erne Regime 1991 zerfiel, war Prevazi gerade mit dem Studium der Choreografie Vorurteil vom balkanischen Mann fertig und musste sich in der neuen Situa- Die von Patriarchat, Blutrache und Ma- tion zuerst einmal zurecht finden, wie er chismus geprägten Rollenmuster Albani- erzählt. Heute unterrichtet er an der Uni- ens kollidieren mit dem Schweizer Fokus, versität der Künste von Tirana Choreogra- wo viele Normen an Verbindlichkeit ein­ fie. Mit äusserst bescheidenem Budget gebüsst haben. In diesem Spannungsfeld Der 29-jährige Tänzer, der eigentlich stellt er zudem jährlich das Albania Dance steht das gemeinsam entwickelte Stück gerne Fussballer geworden wäre, einer wie Meeting auf die Beine. An diesem Festival Thinking about Medea. Der Medea-Mythos ­Shakiri, Xhaka und Co, wie er mit einem soll Thinking about Medea in Tirana ur- dient als Projektionsfläche, um über die Augenzwinkern erklärt, hat sein Engage- aufgeführt werden. Über die in Albanien ­eigenen Vorstellungen von Moral, von Frei- ment im staatlichen Ballett in Prishtina ge- heit und Befreiung nachzudenken. Den kündigt, weil es ihm dort zu wenig selbst- Theatermachern gelingt es auf eine er­ bestimmt, zu dirigistisch war – «wie in frischende Art, die Schwere der Thematik Moskau», meint er lapidar. Neben Rexhepi, ironisch zu durchbrechen. Entscheidend Prevazi und Fleischlin prägen bei dieser trägt dazu der kosovarische Tänzer Labinot ­interkulturellen Produktion auch zwei Lu- ­Rexhepi bei. Subtil spielt er mit Zärtlich- zerner Musiker das Geschehen auf der keit und Dominanz und unterläuft so das Bühne: Stefan Haas und Jesco Tscholitsch gängige Vorurteil vom balkanischen Mann vom Folk-Duo Heligonka. Sowohl Rexhepi als Macho. als auch Prevazi betonen, dass dieser Kul- Doch nicht nur unterschiedliche Rol- turaustausch für ihr künstlerisches Schaf- lenmuster prägen das Stück. Die interkul- fen eminent wichtig sei. Denn weder in turelle Arbeitsweise verlangt von allen viel ­Albanien noch im Kosovo gebe es eine freie Energie und Offenheit, sich auf neue Ter- Szene. Zeitgenössischer Tanz sei hier vorab rains vorzuwagen. Gjergj Prevazi spricht Volkstanz, berichtet der Choreograf mit von einem Suchprozess, und Beatrice leichter Bitterkeit. Gerade die albanischen Fleischlin konstatiert: «Wir befinden uns Kulturinstitutionen seien festgefahren und auf einem langen Weg der Annäherung.» kaum offen gegenüber dem Ausland, kriti- Sie und Gjergj Prevazi haben gemeinsam siert er. Zu stark wirke die Isolation unter die künstlerische Leitung inne. «Wir wol- dem kommunistischen Regime bis heute len die kulturelle Ästhetik des Anderen he- nach. Albanien galt im Westen denn auch rausfinden – kurz: wie er tickt.» Während Prevazi ausschliesslich vom «sicheren» Zu- schauerraum aus agiert, steht Fleischlin in ihrer Multifunktion auch auf der Bühne – «Wir wollen die kulturelle Ästhetik des Anderen und zwar aus Überzeugung: «Ich glaube, ­herausfinden – kurz: wie er tickt.» Beatrice Fleischlin dass ein Projekt uneindeutiger, hybrider

REPORTAGE 38 albanisch-schweizerische Theaterprojekt gerade in diesem geschichtsträchtigen Kulturpalast probe.

Mund-zu-Mund-Werbung Das in den langen Jahrzehnten der Isola- tion herrschende Klima der Angst hat auch in der Kunst Spuren hinterlassen. Der Cho- reograf arbeitet stark mit der Kraft von Symbolen. Ihnen kommt in einer Gesell- schaft, in der etwa Homosexualität bis heute ein Tabu ist, eine grosse Bedeutung zu. So spricht er oft vom metaphorischen Raum und vom Doppelbödigen, woran sich Beatrice Fleischlin erst mal gewöhnen musste. Doch darin ist sie geübt. Schliess- lich hat sie sich vor zwei Jahren zusam- men mit der deutschen Regisseurin Antje Schupp mit einem Pfefferspray in der Ta- sche aufgemacht, um den jüngsten Staat Europas kennen zu lernen. Daraus ist das Stück Love.State.Kosovo entstanden, eine witzige und sehr persönliche Annäherung an ein für viele Westeuropäerinnen und Westeuropäer zwar nahes, aber unbekann- tes Land. Bei diesem Projekt war Labinot Rexhepi als Tänzer auch schon mit von der Partie. Dank Mund-zu-Mund-Propa- ganda in den einschlägigen, von Kosovaren frequentierten Cafés ist es ihnen damals ­gelungen, mit ihrem kosovarisch-schwei- zerischen Kulturaustausch auch beim Pu- blikum anzukommen. «Die Reihen waren voll, rund die Hälfte davon waren Immig- ranten aus dem Südbalkan», erzählt die Produzentin Larissa Bizer. Zu hoffen ist, dass dieses Kunststück den Theaterma- chern auch dieses Mal auf ihrer Schweizer Tournee von Basel über Aarau nach Luzern gelingt.

Spieldaten: 13.-17.1.2016, Kaserne Basel; 6. – 9.4., Theater Tuchlaube Aarau. Nachdenken über Freiheit und Befreiung: der Tänzer Labinot Rexhepi. Weitere Vorstellungen in der Schweiz und im Balkan sind geplant. produktionswerkstatt.ch/projekte/ ­lebensnotwendigen «Beziehungen» hat der ­daneben steht die von einem Immo­ bilien­­ ­ thinking-about-medea/ Choreograf erwirkt, dass die Compagnie löwen wieder aufgebaute grosse Moschee. im «Pallati i Kulturës», dem Kulturpalast Diese war unter Hoxha halb zerstört und Isabel Drews ist Medienverantwortliche der Schweizer Kulturstiftung. Davor hat sie im Herzen von Durrës, proben kann. Das zum Jugendtheater umfunktioniert wor- im politischen Journalismus gearbeitet, Stadttheater hat Baujahr 1963. Die Plüsch- den, erzählt der seit je in Durrës lebende zuletzt als Bundeshauskorrespondentin der Bestuhlung ist von einem dumpfen Wein- Tristan Sherifi. Er wirkt in der Compagnie Neuen Luzerner Zeitung. rot. Von der Lichtanlage sprühen die Fun- als Fahrer und Fotograf in Personalunion. Tristan Sherifi, geboren 1968 in Durrës, ken, und am Eingang ist ein schläfriger Der Autokrat habe das religiöse Leben mit ­Albanien, ist gelernter Kameramann und Film- regisseur. Seit 2000 arbeitet er als freischaffen- Wachmann postiert. Die Institution fristet eiserner Faust bekämpft. Das Theater hin- der Fotograf und Kameramann, seit 2006 mit bescheidenen 20 Aufführungen pro gegen sei sein Propagandainstrument ge- als Technischer Direktor des Internationalen Jahr ein Schattendasein. Das war nicht wesen, so Sherifi. Das wirke bis heute nach. Tanzfestivals Albania Dance Meeting. ­immer so. Doch heute fliesst das Geld po- Und Gjergj Prevazi fügt an: Es sei ein wich- tenzieller Sponsoren anderswohin: Gleich­ tiges Zeichen an die Stadtoberen, dass das

REPORTAGE 39 PRO HELVETIA AKTUELL

Nichts wie raus! Kulturfokus auf die Peripherie

Ein grosses Kulturangebot wird oft Kulturproduktion fördern, deren ­genannt, wenn es um die Vorzüge der ­Sichtbarkeit erhöhen oder eine kreative Stadt gegenüber den ländlicheren ­Auseinandersetzung mit lokalen ­Gebieten geht. Opernhäuser, Theater, ­Traditionen suchen. Auch überregionale Jubiläum des CCS in Paris. ­Kinos, Konzertsäle und vieles mehr Vernetzungsprojekte und Residenz­ ­versammeln sich geballt in urbanen programme sind Möglichkeiten, um Zentren. Doch zu meinen, Kultur finde zur Stärkung und Verbreitung des nur dort statt, wäre weit gefehlt. ­Kulturschaffens in den Regionen bei­ Ob in Tälern und Dörfern, Kleinstädten zutragen. Zwölf Projekte wurden Zum oder in der Peripherie: Hochkarätige von Pro Helvetia in Zusammenarbeit mit und innovative­ kulturelle Veranstaltun- ­Kantonen und Städten ausgewählt, gen gibt es überall. Die Initiative die in einem Zeitraum von 2015 bis 2019 30. Geburtstag Kulturelle­ Vielfalt in den Regionen von realisiert werden. Los ging es dieses Pro Helvetia­ setzt dort an, wo die Visi­ Jahr bereits mit ­Künstlerresidenzen am Zum Abschluss des Jubiläumsjahres bilität von tollen Projekten gestärkt wer- Verzasca Foto Festival, mit Veranstal­ ­erscheint am 11. Dezember eine Publi- den, zur Vernetzung beigetragen­ oder tungen zur ­Engadiner Baukultur, Strate- kation zur Rolle und Wahrnehmung des bessere finanzielleVoraussetzungen ­ ge- gien für die Weiterentwicklung des Centre Culturel Suisse (CCS) in Paris. schaffen werden können. Sie unterstützt ­Delémont Comic-Festivals und einem Beginnend bei den Vorbereitungen Massnahmen in Gebieten ausserhalb Networkingprojekt für darstellende Ende der 1970er-Jahre ermöglicht sie der urbanen­ Zentren, welche die Künste im Berner Jura. ­einen Überblick über dreissig Jahre Rahmenbedingungen­ für die regionale www.prohelvetia.ch ­Arbeit im ältesten Kulturzentrum von Pro Helvetia­ im Ausland. Charles Beer, aktueller Präsident­ der Stiftung, hat das Vorwort geschrieben. Anschliessend­ folgen eine reich bebilderte Chronologie und ein gemeinsames­ Interview mit vier Direktoren­ des Schweizer Schau- fensters für Kultur in Paris: Werner ­Düggelin (1988 – 1991), Daniel Jeannet (1991– 2002) und den beiden amtieren- den Paul Felley und Olivier Kaeser (2008 – heute). Nebst Archivmaterial ­präsentiert der Band eine Artikel- serie zu 30 Schweizer Kunstschaffenden, die das CCS von 1985 bis 2015 geprägt haben, verfasst von 30 renommierten Autorinnen und Autoren. Gestaltet wird die Publikation von Ludovic Balland, veröffentlicht wird sie in Zusammen­ arbeit mit dem Verlag Noir sur Blanc. www.ccsparis.com

Eine Bewohnerin von Sonogno blickt in einen Ausstellungsraum am

Verzasca Foto Festival. Fotos: Christian Lutz; Ludovic Balland, CCS Paris

PRO HELVETIA AKTUELL 40 Christian ­Kerez bespielt den Schweizer ­Pavillon

Der Zürcher Architekt Christian Kerez, bekannt geworden unter anderem mit seinem Neubau­ des Schulhauses Leutschenbach, einem Bürohochhaus im chinesischen Zhengzhou oder ­ seinem grossräumigen Projekt für sozia- len Wohnungsbau in Brasilien, wird nächstes Jahr den Schweizer Pavillon an der 15. Ausgabe der Architekturbiennale von Venedig bespielen. Dies haben die Mitglieder der Architektur-Jury­ von Pro Helvetia aufgrund seines einneh- menden Projekt-Vorschlags entschieden. Christian Kerez ist an der ETH Zürich,­ wo er auch studiert hat, Professor für ­Architektur und Entwurf. Als offizielles Begleitprogramm ­findet auch nächstes Jahr der von der Schweizer Kulturstiftung ins Leben gerufene­ Salon Suisse im Palazzo ­Trevisan statt. Salonnière ist die an der Universität­ Genf lehrende Leïla el-Wakil, die über historisch gewachsene Lebens- räume im Orient und Okzident forscht. Die Architektur-Biennale findet vom 28. Mai bis 27. November 2016 statt. Christian Kerez’ Neubau des Schulhauses Leutschenbach mit seiner filigranen Struktur www.biennials.ch und der Turnhalle im obersten Geschoss.

men, tauschen sich aus und knüpfen Schweizer Brennpunkt neue Kontakte. Nach Israel, Dänemark und Frankreich steht 2016 die Schweiz imFokus der Messe. Mit einer Swiss in ­Bremen Night wird das prall ­gefüllte ­Programm eröffnet: Acht ausgewählte Schweizer Vom 21. bis zum 24. April Bands stellen hier die ­musikalische 2016 ver­sammelt sich Vielfalt des dies­jährigen Partnerlandes in Bremen zum elften unter Beweis. Neben dem speziellen Mal das Who is who der ­Auftritt an der Messe erhält die Schweizer Jazzszene. jazz­ahead!, Kultur­szene zudem mit einem drei­ die Messe mit integrier- wöchigen Kulturfestival eine einmalige tem Showcase-Festival, Plattform über den Jazz hinaus. gilt als international Das Programm ­erstreckt sich über alle ­bedeutendster Treffpunkt Kunstsparten und entsteht in enger im Bereich des Jazz. ­Kooperation mit ­zahl­rei­chen Kultur­ Hier kommen Agenturen, institutionen Bremens. Das Kulturfesti- ­Labels, Künstlerinnen val Schweiz findet vom 7. bis zum und Künstler, Medien­ 24. April 2016 statt. vertretende, Produzen- www.jazzahead.de Doppelte Präsenz der Schweiz 2016 in Bremen: Nicht nur tinnen und Produzenten an der Messe jazzahead!, sondern auch am Kulturfestival sowie Veranstalterinnen ist sie Gastland. Fotos: Dario Pfammatter; Frank Pusch und Veranstalter zusam-

PRO HELVETIA AKTUELL 41 Von Elsbeth Gugger – Ein hoher Zaun mit PARTNER ausgewählt. In der letzten Phase müssen elektronisch gesichertem Tor bildet die sie vor einer aus renommierten internati- Grenze zwischen Kunst und Alltag. Drin- onalen Kunstschaffenden zusammenge- nen, in der Abgeschiedenheit der zu einem setzten Kommission ihre Eignung münd- Künstlerrefugium umfunktionierten ehe- Erfolg dank lich erläutern. Nur wer Arbeiten von hoher maligen Kavallerie-Kaserne, sind 50 Kunst- Qualität vorweise und Entwicklungs­ schaffende in ihren Ateliers tätig, während potential habe, komme durch, weiss Susan draussen auf der zentral gelegenen Sarpha- der Kaserne ­Gloudemans. Dass die Jury meist richtig tistraat das Amsterdamer Leben pulsiert. liegt, zeigt sich jeweils im November, wenn Wer nicht befugt ist, das klassizistische Weltweit gibt es hunderte Museumsdirektoren, Kuratorinnen und ­Gebäude mit imposanten 85 Längen- und Angebote für Künstlerinnen Galeristen aus der ganzen Welt zur Werk- 56 Breitenmetern zu betreten, dem ent- schau eingeflogen werden. geht, dass hier die Kunstelite von morgen und Künstler, die als Ein Residenz-Platz kostet jährlich am Werk ist. Artist in Residence eine Weile 65 000 Euro und wird zur Hauptsache aus Immerhin waren an der diesjährigen den Standort wechseln wollen. dem Budget der Reichsakademie finan- Art Basel 35 (ehemalige oder gegenwärtige) Aber keines ist so Erfolg ziert. Ein Kunstschaffender muss einzig in «Residents» mit ihren Arbeiten vertreten, seinem Herkunftsland 15 000 Euro für den an der Biennale in Venedig 11 und an der ­versprechend wie jenes der Lebensunterhalt organisieren. Im Hinblick Art Brussels 33. Und ihre Werke sind im Rijksakademie van beeldende auf diese Kosten gibt es in einigen Län- Centre Pompidou in Paris (37) zu sehen, im kunsten in Amsterdam. dern eine strukturelle Zusammenarbeit MoMA in New York (26) oder im Migros mit festen­ Partnern. Für die teilnehmen- Museum in Zürich (7). Das ist eine stolze den Schweizer Nachwuchskünstlerinnen Bilanz. Trotzdem gehe es nicht darum, und -künstler ist das Pro Helvetia. Kann ein die Teilnehmenden für den Kunstmarkt Künstler − etwa aus einem Drittweltstaat − zu trimmen, sagt Susan­ Gloudemans. Als kein Geld auftreiben, hilft ihm die Akade- ­Direktorin des Trustfonds ist sie für die mie beim Anbohren einer anderen Quelle. Finanzierung­ des maximal zweijährigen Nach den zwei Jahren seien die «Resi- Residenz-Programms an der Rijksakade- dents» besser für die Kunstwelt gewappnet. mie van beeldende kunsten zuständig. Die Sie hätten ihre Position verstärkt, ihr Netz- Absolventen, die im Schnitt 30 Jahre alt werk vertieft und ihr künstlerisches Tätig- sind, sollen die Zeit bestmöglich nutzen – keitsfeld verbreitert, sagt Susan Gloude- zur Entfaltung und Vertiefung, für Experi- mans. Die Schweizer Künstlerin Marianne mente mit anderen Materialien oder zum Flotron, die 2007 – 2008 in Amsterdam ver- Austausch mit Studienkolleginnen und brachte, kann dem nur zustimmen. Diese -kollegen und dem Kunstberater-Team. Da- zwei Jahre ohne finanzielle Sorgen seien für stellt die Reichsakademie der bildenden für sie sehr wichtig gewesen: «Die ermög- Künste neben einem eigenen Atelier zehn lichte Konzentration war ausschlaggebend, zusätzliche Werkplätze zur Verfügung. um einen theoretischen Unterbau zu mei- Dort können die «Residents» unter fachli- ner Arbeit zu schaffen.» cher Anleitung ihnen unbekannte Techni- ken ausprobieren, von Malerei, Keramik, www.rijksakademie.nl/ENG/residency

Feinmechanik, Holz- und Metallbearbei- Pro Helvetia arbeitet im Rahmen der Nach- tung bis zu den neusten Grafik-, Foto- oder ­Zeitungsausschnitten. Braucht sie eine far- wuchsförderung auch mit folgenden Residenz- partnern zusammen: Gasworks, London; Audiomethoden. bige Vergrösserung, geht sie ins Labor und AIR Berlin Alexanderplatz – ABA, Berlin; A-I-R Dank diesem grosszügigen Angebot lässt diese drucken. Der kreative Prozess, ­Laboratory, Center for Contemporary Art pröbelt der deutsche Künstler Johann davon ist die 32-Jährige überzeugt, werde ­Ujazdowski Castle, Warschau; WIELS, Brüssel.

Arens nun mit Wärmeverformungen von intensiver durch den einfachen Zugang zu Elsbeth Gugger, geboren 1958 in Bern, Plexiglas. Es ist ein teures Material. «Ich Material und Methoden. lebt seit 1992 in Amsterdam. Als Niederlande- und ­Belgien-Korrespondentin berichtet sie könnte mir gar nicht erlauben, mich da über die internationalen (Straf-)Gerichtshöfe durchzutesten», sagt er in seinem hohen Strenges Selektionsverfahren in Den Haag sowie über Politik, Kultur und Arbeitsraum in der ehemaligen Kasernen- Jedes Jahr bewerben sich weit mehr als ­Gesellschaft für Schweizer Radio SRF und die NZZ am Sonntag. manege, wo er kolossale Installationen ­tausend Interessierte aus der ganzen Welt ­kreiert. Ein Stockwerk über ihm arbeitet für einen der 25 Plätze. Daraus werden in Die Rubrik Partner stellt nationale und ­internationale öffentliche wie private die Argentinierin Aimée Dito Lemma an ei- einem strengen, dreistufigen Selektions­ Kulturförderer­ vor. ner wandfüllenden Collage aus Fotos und verfahren 37 Bewerberinnen und Bewerber Illustration: Raffinerie

PARTNER: RIJKSAKADEMIE 42 CARTE BLANCHE Kunst und ­Krise

Von Eric Vautrin – Der europäische Konti- nent scheint in den letzten Jahren in einen Strudel geraten zu sein, der sich unaufhör- lich ausweitet. Wir erleben eine Periode grosser Veränderungen, die oft als «Krise» betitelt wird. Entwicklungen wie die wach- sende Kluft zwischen den Reichsten und den Ärmsten oder das langsame Bewusst- werden der Verantwortung jedes Einzelnen für eine nachhaltige Nutzung der natürli- chen Ressourcen weisen schon seit einiger Zeit auf die Fragwürdigkeit unserer Art der Lebensführung hin. Die Wirtschaftskrise und das Los, das die Politik breiten Bevöl­ kerungsschichten zudachte, während sie zugleich Banken rettete und «Anleger be- ruhigte», haben aufgezeigt, wie das Politi- sche, also die kollektive Gestaltung der Grundsätze des Zusammenlebens, hinter wahrhaft zeitgenössisch, wenn sie zum über Demut und Mitgefühl; Daria Deflorian die Interessen der Wirtschaft zurücktrat – Nachdenken über komplexe, unerwartete und Antonio Tagliarini mit ihrem Stück insbesondere hinter diejenigen, die den Be- Zusammenhänge und die Welt von morgen über vier griechische Rentner, die, weil sie sitzstand der Reichsten wahren. anregt. Der Künstler François Tanguy nicht mehr gebraucht werden, Selbstmord Nicht kaltlassen kann einen aktuell spricht diesbezüglich vom «Vertrautma- begehen wollen; oder Augustin Rebetez, der auch das Schicksal von Zehntausenden von chen mit dem Unvertrauten». aus alltäglichen Dingen ein archaisches und Flüchtlingen – Menschen auf der Suche Mit diesem Anspruch ist Tanguy nicht absurdes Universum entstehen lässt. Sie nach einem besseren Leben, die vor nicht alleine. So beleuchtete zum Beispiel diesen alle erwecken auf unterschiedlichste Weise allzu langer Zeit, als es sich bei ihnen vor- Frühsommer Milo Rau – zunächst im kon- die Bühne zum Leben, hinterfragen die nehmlich um Europäer handelte, noch als golesischen Bukavu und anschliessend in Leitplanken, nach denen wir unser Leben «Migranten» bezeichnet wurden. Sie flüch- Berlin – mit dem Kongo Tribunal den ausrichten, und erinnern uns daran, dass ten vor Kriegen, an denen Europa nicht un- schrecklichen Konflikt im zentralafrikani- die Welt von morgen nicht vorbestimmt ist schuldig ist, oder vor untragbaren Lebens- schen Land; Andrea Marioni zeigte am Fes- und wir immer eine Wahl haben. bedingungen. Das Mittelmeer, die Wiege tival Far° in Nyon einen Krieg der Welten, Diese Werke liefern keine Patentlö- unserer Kultur, ist zu einem düsteren Mas- der anhand der Suche nach ausserirdi- sungen, sondern lediglich Anregungen und sengrab geworden. Lager werden errichtet, schem Leben eine Konfrontation mit dem setzen, wie es der Komponist Helmut Grenzzäune gebaut und Boote in interna- Unbekannten thematisiert, die nur in all­ ­Lachenmann formulierte, auf «sichere Un- tionale Gewässer zurückgedrängt, wo die gemeines Misstrauen münden oder aber sicherheit anstelle unsicherer Sicherheit». Flüchtlinge ein stiller Tod erwartet. durch Poesie beigelegt werden kann; und Sie tragen dazu bei, aus diesem Territorium Welche Rolle kann die Kunst in einer Michel Schröder schuf mit Human Resour- im Herzen Europas statt einer behüteten, solchen «Krise» spielen? Die Frage ist nicht ces für das Theater HORA, das geistig be- der Vergangenheit zugewandten Insel eine neu. Ein Kunstwerk stellt stets eine mehr hinderten Schauspielern eine professionelle lebendige Drehscheibe für Begegnungen oder minder beabsichtigte Störung der öf- Plattform bietet, einen Raum der Begeg- und neue Erfahrungen zu machen – bereit fentlichen Ordnung dar, indem es fremde, nung für die Darstellerinnen und Darsteller und offen für alles, was kommen mag. andersartige und unvertraute Aussagen in seines eigenen Ensembles und desjenigen das Kontinuum unserer Leben einfliessen von HORA. Im Théâtre de Vidy präsentieren Eric Vautrin ist Dramaturg am Théâtre de Vidy in Lausanne, Dozent am CNRS (Laboratoire lässt. Zugleich bietet die Kunst aber auch wir diese Saison unter anderem Simon Thalim) und Co-Leiter des Forschungspro- den Rahmen für Analyse und Diskussion ­McBurney, der eine Reise ins Amazonasbe- gramms Nouvelles Théâtralités (nothx.org). unterschiedlichster Ansichten und für die cken mit der Erforschung des eigenen Be- Aus dem Französischen von Reto Gustin Objektivierung von Ängsten und Vorur­ wusstseins vermengt; Romeo Castellucci teilen. Die Kunst unserer Zeit ist dann mit seinen eindrücklichen Betrachtungen Foto: Loan Nguyen. www.madameloan.com

CARTE BLANCHE 43 SCHAUFENSTER Daniel Karrer

Daniel Karrer, 1983 in Binningen, Basel-Landschaft, geboren, lebt und arbeitet in Basel. 2010 schloss er mit einem Master in Fine Arts an der Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGK) Basel ab. 2011 erhielt er einen Werkbeitrag des Kunst­ kredits Basel-Stadt, 2015 wurde er von Pro Helvetia für die Collection Cahiers d’Artistes ausgewählt. Er erhielt vom Atelier Mondial der Christoph Merian Stiftung ein Atelierstipendium für 2016 in Berlin. Seine Bilder waren in diversen Aus­ stellungen im In- und Ausland zu sehen. www.herrmanngermann.com

Nächste Termine: Insight #1, 2013 Einzelaustellung: Herrmann Germann ­Contemporary in Zürich, Herbst 2016. Öl auf Leinwand, 120 × 120 cm Gruppenausstellungen: CCHA, Cultuurcentrum Hasselt, Belgien, zusammen mit Virginie Bailley, Januar 2016. Untitled, 2013

Kunstmuseum Olten, Februar 2016. Öl, Gouache, Holz, 32 × 26 cm Bilder: Courtesy Herrmann Germann Contemporary and the artist; Credit Suisse Collection

Wir schalten 2016 eine Denkpause ein

Passagen, das Magazin der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, berichtet über ­Schweizer­ Kunst und Kultur und den Kulturaustausch mit der Welt. Passagen erscheint zweimal jährlich in über 60 Ländern – auf Deutsch, Fran­zösisch und Englisch. IMPRESSUM ONLINE PASSAGEN

Herausgeberin Passagen Zuletzt erschienene Hefte: Pro Helvetia Das Kulturmagazin von Pro Helvetia online: Schweizer Kulturstiftung www.prohelvetia.ch/passagen www.prohelvetia.ch Über die Grenze Pro Helvetia aktuell passagen Nr. 64 Redaktion Aktuelle Projekte, Ausschreibungen und Redaktionsleitung und Redaktion deutsche Programme der Kulturstiftung Pro Helvetia: Ausgabe: Alexandra von Arx www.prohelvetia.ch Mitarbeit: Isabel Drews, Lirim Etemi, Eva Pro Helvetia Aussenstellen Über die Grenze Stensrud Vom Verschieben, Überschreiten und Aufl ösen Schweizer Kunst in Kochi: an der indischen Biennale Erwachsenwerden in Südafrika: Mats Staubs Erinnerungsprojekt Musikschaffende im Aufwind: Nachwuchsförderung in der Westschweiz DAS KULTURMAGAZIN VON PRO HELVETIA, NR. 64, AUSGABE 1/2015 Redaktion und Koordination Johannesburg/Südafrika französische Ausgabe: www.prohelvetia.org.za Marielle Larré Kairo/Ägypten Erlebnis Raum Redaktion und Koordination www.prohelvetia.org.eg passagen Nr. 63 englische Ausgabe: Marcy Goldberg New Delhi/Indien www.prohelvetia.in Redaktionsadresse New York/Vereinigte Staaten

Pro Helvetia Erlebnis Raum www.swissinstitute.net Der Siegeszug der Szenografi e In Rom: Kunst und Wissenschaft im Dialog In New York: das Frühwerk des Künstlers David Weiss Schweizer Kulturstiftung In St. Petersburg: russisch-schweizerische Theaterkooperation

DAS KULTURMAGAZIN VON PRO HELVETIA, NR. 63, AUSGABE 2/2014 Redaktion Passagen Paris/Frankreich Hirschengraben 22 www.ccsparis.com CH-8024 Zürich T +41 44 267 71 71 Rom, Mailand, Venedig/Italien Kunst aus der Cloud F +41 44 267 71 06 www.istitutosvizzero.it passagen Nr. 62 [email protected] San Francisco/Vereinigte Staaten Gestaltung www.swissnexsanfrancisco.org Raffinerie AG für Gestaltung, Zürich Shanghai/China Kunst aus der Cloud www.prohelvetia.cn Digitale Kultur & Kreation Eine Meisterin im Verlieren: die Performancekünstlerin Anthea Moys Druck Forschungsreisender im Grenzgebiet: der Künstler Adrien Missika China: Schaufenster für junges Schweizer Design Druckerei Odermatt AG, Dallenwil DAS KULTURMAGAZIN VON PRO HELVETIA, NR. 62, AUSGABE 1/2014

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Die Stiftung Pro Helvetia fördert und vermittelt Schweizer Kultur in der Schweiz und rund um die Welt. Sie setzt sich für die Vielfalt des kulturellen Schaffens ein, ermöglicht die Reflexion kultureller Bedürfnisse und trägt zu einer kulturell vielseitigen und offenen Schweiz bei.

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IMPRESSUM 47 Das Medium sollte ­immer im Dienst der Idee

Lautmaler und Klangpoet stehen. Christian Marclay, S. 14 Erst wenn man sich mit seinen Wurzeln auseinandersetzt, kann man sich auch musikalisch­ Jodeln statt Bauchtanzen ­weiterentwickeln. Nadja Räss, S. 26 Wir müssen die Katastrophe, die gerade stattfindet, vorstellbar machen, jenseits des An die Künstlerinnen und Künstler der Zukunft ­Mitleids, jenseits der Angst. Milo Rau, S. 29 www.prohelvetia.ch/passagen

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