aus: verkehrspolitische Zeitschrift SIGNAL Heft 4/2020 (15.Nov. 2020) Berliner Fahrgastverband IGEB www.igeb.org • [email protected]

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S-Bf . Hier ist das städtebauliche Entrée des neuen Entwicklungsgebietes Siemensstadt 2.0 geplant. Im Hintergrund das historische - Schaltwerk-Hochhaus. Foto: Florian Müller

Berliner Fahrgastverband IGEB S‑Bahn trifft Straßenbahn Planungen für Straßenbahn nach jetzt beginnen! Noch vor wenigen Jahren hätten die meisten Menschen der dort gute Anschlüsse Richtung Westen bestehen – vor allem Siemensbahn zwischen und Gartenfeld allen‑ nach Hakenfelde. Es ist also unerlässlich, im Nordwesten Ber‑ falls eine Zukunft als Grünanlage oder Radweg zugebilligt. lins ein Netz von Bus- und Straßenbahnlinien zu schaffen, das Nun aber nehmen die Pläne zur Reaktivierung der 4,5 Kilo‑ Zubringerdienste zum Bahnhof Gartenfeld leistet, aber auch meter langen Strecke immer mehr Form an. Man kann davon die Region erschließt. Weil die erforderlichen Planungen und ausgehen, dass die Siemensbahn auch langfristig in Garten‑ Baumaßnahmen viel Zeit benötigen, muss der Berliner Senat feld enden wird. Soll die S‑Bahn ein Erfolg werden, müssen jetzt mit den Arbeiten starten!

Wie bereits im SIGNAL 2/2019 (Seiten Für Berliner Verhältnisse verblüffend lich, die aufgrund überholter Kriterien schon 15ff) berichtet, stellte der Siemens-Kon- schnell handelten hier die Beteiligten: Der so manches sinnvolle Projekt verzögert oder zern im Jahre 2018 das Projekt Siemens- Berliner Senat vereinbarte 2019 mit DB Netz verhindert hat. stadt 2.0 vor, ein neuer Stadtteil zum Ar- die Finanzierung zur Planung der Wiederin- beiten und Wohnen mit einem „Innova- betriebnahme dieser S‑Bahn-Strecke. Rasch Wiederaufbau der Bestandsstrecke – tions-Campus“. Bis zu 600 Millionen Euro machte sich die DB seit Bekanntwerden der ohne Verlängerung! sind für die Umsetzung dieser kühnen Pläne des Siemens-Konzerns ans Werk, die Eine Wiederinbetriebnahme der Siemens- Pläne vorgesehen. In dem Betrag nicht Trasse der Siemensbahn zu untersuchen. bahn bis 2029 – dem 100-jährigen Jubiläum enthalten sind die Kosten für die Wieder- Mehr noch: Im Januar 2020 wurde die Tras- der Strecke – ist aber nur zu schaffen, wenn inbetriebnahme der Siemensbahn. Deren se von der Vegetation befreit, die sich auf man bis auf Weiteres darauf verzichtet, Finanzierung und Realisierung hat das den Anlagen der seit 1980 brach liegenden die Strecke über Gartenfeld hinaus nach Land zugesagt. S‑Bahn-Strecke angesiedelt hatte. Hakenfelde zu verlängern und nur den Be- Was von all den ambitionierten Plänen für Wesentlich für dieses Projekt ist, dass die stand bis Gartenfeld wieder aufbaut. An- „Siemensstadt 2.0“ nachher realisiert wer- Strecke nie förmlich stillgelegt wurde. Sie ist dernfalls würde sich das Projekt um viele den kann, bleibt freilich abzuwarten. Gute nur „vorübergehend außer Betrieb“ und zur- Jahre verzögern. Aussichten jedenfalls hat die Reaktivierung zeit in einem „nicht befahrbaren Zustand“. Zwar läuft derzeit eine von DB Netz in der S‑Bahn zwischen Jungfernheide und Deshalb ist für den Wiederaufbau auch kei- Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie zur Gartenfeld. ne Nutzen-Kosten-Untersuchung erforder- Verlängerung der Siemensbahn Richtung

24 • www.signal-zeitschrift.de November/Dezember 2020 • SIGNAL 4/2020 (332) aus: verkehrspolitische Zeitschrift SIGNAL Westen mit -Querung. Allerdings Heft 4/2020 (15.Nov. 2020) dürften nicht zuletzt die gravierenden Aus- Berliner Fahrgastverband IGEB wirkungen der Corona-Pandemie auf die www.igeb.org • [email protected] öffentlichen Haushalte dafür sorgen, dass Tel. (030) 78 70 55 11 Berliner Fahrgastverband die Investitionsmittel für Eisenbahn-Infra- strukturen für einige Jahre wieder knapper ausfallen werden. Aus diesen Gründen wird man also mit dem entsprechend aufwändigen Bau einer S‑Bahn-Strecke im Tunnel oder im Einschnitt Richtung Hakenfelde wohl erst in fernerer Zukunft rechnen können – wenn überhaupt. Dessen ungeachtet ist es natürlich gebo- ten, nach Vorliegen der Machbarkeitsstudie eine Trasse für eine S‑Bahn-Verlängerung nach Hakenfelde nicht zu verbauen. Doch sprechen nicht nur die hohen Kosten ge- gen eine schnelle Verlängerung der Sie- mensbahn nach Hakenfelde, denn für die S-Bf Gartenfeld. Die Endstation der Siemensbahn muss zum Umsteigeknoten zwischen Erschließung der Region sind andere Lösun- S‑Bahn und Straßenbahn entwickelt werden. Foto: Florian Müller gen günstiger. Kritiker des Wiederaufbaus verweisen auf ströme Richtung Kurt-Schumacher-Platz, nes höhengleichen Zugangs zur Siemens- die innerhalb des Ortsteils Siemensstadt insbesondere zur künftigen „Urban Tech bahn würde dann entfallen. weitgehend parallel zur Siemensbahn ver- Republic“ (UTR) auf dem Gelände des am Darüber hinaus bietet sich Gartenfeld laufende U 7, die zur Erschließung ausreiche. 8. November geschlossenen Flughafens Te- gut für Fahrgäste mit Fahrrädern an: Nicht Aber viele Fahrgäste aus diesem Ortsteil gel. Um die verschiedenen Lastrichtungen nur diverse Wohn- und Gewerbegebiete, werden künftig die S‑Bahn nutzen, wenn zu bedienen und die (künftig) weitläufig sondern auch der südliche Tegeler See bzw. sie beispielsweise zum Hauptbahnhof oder besiedelte Region zu erschließen, ist die Saatwinkel lassen sich von dort durch recht zum Potsdamer Platz gelangen wollen. Und Straßenbahn die beste Lösung: mit Strecken kurze Fahrradfahrten bequem erreichen. am Endbahnhof Gartenfeld ist die U 7 keine von Hakenfelde Richtung Rathaus , Der S‑Bahnhof Gartenfeld dürfte also künf- Konkurrenz zur S‑Bahn, zumindest nicht im nach Hennigsdorf sowie über S‑Bahnhof tig nicht zuletzt eine erhebliche Bedeutung fußläufigen Einzugsbereich. Gartenfeld Richtung Haselhorst und Kurt- für Bike & Ride sowie für den Ausflugsver- Schumacher-Platz. kehr haben. Umsteigeknoten Gartenfeld Dabei an zentraler Stelle gelegen: der Ergänzend dazu bietet das noch vorhan- Der zu reaktivierende S‑Bahnhof Gartenfeld S‑Bahnhof Gartenfeld, der zum Umstei- dene und zu erhaltende Bahnhofsgebäude hat ein herausragendes Potenzial für eine gen auch deshalb so gut geeignet ist, weil in Gartenfeld günstige Voraussetzungen, leistungsfähige Schnittstelle zwischen dem er ebenerdig liegt. Es müssen also keine dort ankommende Fahrgäste mit Informa- S‑Bahn- und dem Busnetz sowie künftig Treppen überwunden werden, um zu den tionen und Waren des täglichen Bedarfs zu zur Straßenbahn. Derzeit wird Gartenfeld weiterführenden Bus- und künftigen Stra- versorgen. tagsüber bereits durch die Busse X33 und ßenbahn-Linien zu gelangen. Im Falle einer In der direkten Umgebung des Bahnhofs 133 bedient. Wenn die S‑Bahn wieder fährt, Verlängerung der S‑Bahn nach Hakenfelde Gartenfeld wiederum hat bereits erhebliche dürften hier von diesen beiden Linien viele müsste die S‑Bahn in einen Tunnel oder in Bautätigkeit für Wohnungsbau begonnen. zusätzliche Fahrgäste umsteigen. Dammlage verlegt werden – der Vorteil ei- Auch das erfordert neben der S‑Bahn at- Wichtiger noch sind die Entwicklungen in der weiter westlich gelegenen Wasserstadt sowie im Ortsteil Hakenfelde des Bezirks Spandau. Seit einigen Jahren wird dort in großem Umfang gebaut – und der Trend hält an. Nicht nur immer mehr Familien zie- hen in diese Gegend, sondern es siedeln sich auch weitere Betriebe westlich der Havel an. Gartenfeld Das Bezirksamt Spandau beispielsweise hat bereits Teile seiner Verwaltung in das soge- Siemensstadt nannte Carossa-Quartier verlagert, gelegen Wernerwerk in der Streitstraße in Hakenfelde. Jungfernheide Die Gegend wird heute durch einen über- lasteten Busverkehr hauptsächlich in Nord- Süd-Richtung erschlossen, wodurch vor al- lem das Zentrum des Bezirks Spandau gut erreichbar ist. Aber die Busse sind überfüllt und oft unpünktlich. Auch wenn sich die BVG in den letzten Jahren durchaus Mühe gegeben hat, das Busnetz dort zu verbes- Der Berliner Senat plant drei Straßenbahnstrecken zum S-Bf Gartenfeld: Eine von Westen sern, erfordern die vorhandenen und die aus Hakenfelde, eine von Nordosten aus dem neuen Stadtteil auf dem bisherigen Flughafen noch zu erwartenden Fahrgastzahlen un- Tegel und eine von Süden vom U-Bf Paulsternstraße – dargestellt in der „Themenkarte Stra- bedingt den Anschluss der Gegend an den ßenbahn” zum Flächennutzungsplan. Auch im Zielnetz vom „Bündnis pro Straßenbahn” ist Schienenverkehr. eine Straßenbahnerschließung für diesen Raum vorgesehen (prostrassenbahn-berlin.de). Hinzu kommen werden in den nächsten Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, Stand Januar 2020, Jahren noch weitere erhebliche Verkehrs- Eintragung: IGEB

SIGNAL 4/2020 (332) • November/Dezember 2020 www.signal-zeitschrift.de • 25 aus: verkehrspolitische Zeitschrift SIGNAL Heft 3/2020 (28. Juli 2020) Berliner Fahrgastverband IGEB und auf dem einstigen Flughafengelände www.igeb.org • [email protected] und in dessen Umgebung großräumig ein

Tel. (030) 78 70 55 11 Berliner Fahrgastverband Straßenbahnnetz geschaffen werden, das für Verbindungen nicht nur Richtung Kurt- Schumacher-Platz, Wittenau und Pankow, sondern auch nach Gartenfeld, Hakenfelde, Jungfernheide und Rathaus Spandau sorgen würde.

Spandauer Straßenbahnnetz planen Was durchaus noch etwas wie eine ferne Utopie klingt, ist immerhin bereits im Flä- chennutzungsplan enthalten: Der Berliner Senat hat auf der Grundlage des Bedarfs- plans zum Nahverkehrsplan eine Themen- karte für ein Straßenbahnnetz erstellt (siehe SIGNAL 2/2019, Seite 19). Demnach sollen künftig Straßenbahnen zwischen Kurt- Schumacher-Platz und Jungfernheide so- wie nördlich des Saatwinkler Damms über das Gelände des einstigen Flughafens Tegel nach Hakenfelde verkehren, darüber hinaus Auf der Insel Gartenfeld sind Arbeiten zur Baufeldfreimachung im Gange. Anstelle der In- zwischen Hakenfelde nach Haselhorst sowie dustrie- und Lagerhallen soll ein großes Wohngebiet entstehen, das mit längeren Fußwegen Richtung Spandauer Zentrum. an den historischen Bahnhof Gartenfeld angebunden ist. Eine Straßenbahn soll das neue Dabei ist es nicht zwingend, dass das Wohngebiet hineinfahren. Foto: Florian Müller Spandauer Straßenbahnnetz von Anfang an gleismäßig mit dem Berliner Netz verbun- traktive Bus- und Straßenbahnstrecken in teuer (275 bis 607 Millionen Euro), teilweise den sein muss. Es könnte zu Beginn auch verschiedene Richtungen. nur schwer umsetzbar, weil Bauwerke oder ein eigenständiges „Spandauer Inselnetz“ Straßen im Weg sind, und sie würden auf mit Betriebshof sein, das perspektivisch mit U65-Projekt zu den Akten legen! der U 6 wohl zur Ausdünnung des Angebots dem Berliner Netz zusammenwächst. So Für die Erschließung des Nordwestens nach Alt-Tegel führen. Lediglich für eine der ließen sich die verkehrlich dringlichen Ab- ist außerdem das seit einigen Monaten vorlie- Varianten werden 15 000 Fahrgäste täglich schnitte in Spandau schon früher in Betrieb gende inoffizielle Ergebnis der Untersuchung prognostiziert. Selbst wenn es schließlich nehmen. einer als U 65 bezeichneten Zweigstrecke von etwas mehr werden sollten: Die Nachfrage Weil der Nordwesten Berlins immer stär- der U 6 bedeutsam. Die U 65 soll nördlich des lohnt den Aufwand bei weitem nicht. ker besiedelt wird und weitere Projekte in U‑Bahnhofs Kurt-Schumacher Platz Richtung Nachteilig wäre zudem, dass für den Bau den Startlöchern stehen, ist es unerläss- Westen abzweigen und den erwähnten künf- der Ausfädelung der U 65 aus der U 6 auf lich, die geplanten Straßenbahnstrecken tigen Forschungs- und Industriepark UTR an dem nördlichen Abschnitt für mehrere Jah- rasch zu realisieren. Mit der Reaktivierung das U‑Bahn-Netz anbinden. re keine Züge mehr fahren könnten. Tegel der Siemensbahn ist diese Aufgabe noch Keine der untersuchten U 65-Varianten wäre vom U‑Bahn-Netz abgekoppelt. dringlicher geworden! Weil ein solches Vor- kann indessen überzeugen: Sie sind allesamt Daher sollte die Überlegung einer von der haben einer zeitaufwändigen Planung und von den Baukosten her mehr oder minder U 6 abzweigenden Stichstrecke aufgegeben einer sorgfältigen Bürgerbeteiligung bedarf, muss der Berliner Senat unverzüglich mit den Arbeiten beginnen, damit zeitnah zur Wiederinbetriebnahme der Siemensbahn auch das ergänzende Straßenbahnnetz zur Verfügung steht! Bis zur Fertigstellung eines örtlichen Straßenbahnnetzes sollte zunächst eine Metrobus-Linie eingerichtet werden, die vom Kurt-Schumacher-Platz via S‑Bahnhof Gartenfeld Richtung Hakenfelde führt. Der heutige Bus 139 ist zu erhalten und mittelfristig seinerseits zum Metrobus aufzuwerten. Am S‑Bahnhof Wernerwerk erreicht er die Siemensbahn. Heute wer- den die Flächen dort noch in erheblichem Umfang lediglich als Parkplätze genutzt. Dies gilt es künftig zugunsten einer dich- teren Bebauung einzuschränken, und die verbleibenden unverzichtbaren Stellplätze sind so weit wie möglich in Tiefgaragen zu verlegen. An der Daumstraße in Haselhorst wachsen die Wohnhäuser in die Höhe. Auch in der Nachbar- Die Wiederinbetriebnahme der Siemens- schaft wird an beiden Ufern der Havel („Wasserstadt Oberhavel“) der Wohnungsbau vorange- bahn sollte also – im doppelten Sinne des trieben. Eine Verkehrserschließung besteht bisher nur durch (überlastete) Busse – und das eigene Wortes – richtungsweisend für einen at- Auto. Die Straßenbahn zum S-Bahnhof Gartenfeld würde die Situation deutlich verbessern. Des- traktiven Bus- und Straßenbahnverkehr im halb muss umgehend mit den Planungen begonnen werden. Foto: Florian Müller Nordwesten Berlins sein! hjb

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