Starke Bestandsabnahme Der Dohle Coloeus Monedula in Berlin, Analyse Der Ursachen Und Aktivitäten Zum Schutz
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Berl. ornithol. Ber. 24, 2014: 2 – 18 Starke Bestandsabnahme der Dohle Coloeus monedula in Berlin, Analyse der Ursachen und Aktivitäten zum Schutz JENS SCHARON & WINFRIED OTTO Zusammenfassung In den Jahren 2000/2001 wurden in Berlin 126 Brutpaare Dohlen Coloeus monedula (83 % an Gebäuden, 17 % in Bäumen) festgestellt. Gegenüber früheren Schätzungen ließ sich daraus bereits eine Bestandsabnahme erkennen, die sich in den Folgejahren fortsetzte. Als primäre Ursache wurde der Mangel an Niststätten infolge der anhaltenden Gebäudesanierungen ange- nommen. Im Rahmen verschiedener Artenhilfsprojekte wurden deshalb für die Dohle mindes- tens 182 Nistkästen zumeist im Bereich bestehender Brutvorkommen angebracht. Eine erneute Erfassung im Jahr 2012 ergab aber, dass der Brutbestand trotz dieser Maßnahme um mehr als die Hälfte auf mindestens 43 Brutpaare abgenommen hatte. In der gut erreichbaren Kolonie im Rathaus Köpenick und seinem Umfeld wurden mehrere Jah- re lang Untersuchungen durchgeführt, um die Ursachen für den sich abzeichnenden niedrigen Fortpflanzungserfolg zu ermitteln. Die hohe Sterblichkeit der Nestjungen kann auf nahrungs- ökologische Gründe zurückgeführt werden. Eine Rolle spielt an diesem Standort die Nahrungs- konkurrenz und das aggressive Verhalten der in hoher Dichte siedelnden Nebelkrähen Corvus cornix. In 14 Kontrolljahren wurden in den Nistkästen im Rathaus und in der St. Laurentiuskirche von Köpenick bei 72 begonnenen Bruten nur 25 Junge flügge (0,3 juv./ BP). Diese außergewöhnlich geringe Reproduktionsrate reicht in keiner Weise zum Erhalt der Bestandsgröße aus. Summary Sharp decline in the Western Jackdaw Coloeus monedula population in Berlin – analysis of the causes and conservation measures In the years 2000/2001, 126 breeding pairs of the Western Jackdaw Coleus monedula (83 % on buildings and 17 % in trees) were recorded in Berlin. In comparison to previous estimates a population decline, which continued in subsequent years, is evident. The primary cause for the decline was believed to be the shortage of nest sites as a result of ongoing building refurbish- ment. In the framework of various species conservation programmes at least 182 nest boxes, mostly in the vicinity of existing breeding occurrences, were therefore installed. Despite this measure however, a new count in 2012 established a decline in more than the half of at least 43 breeding pairs. Studies of the easily accessible colony on the Köpenick Town Hall and its environs were con- ducted over several years, in order to determine the causes of the emergent low reproduction success rate. The high mortality among the chicks in the nest can be attributed to nutritional- ecological causes. In this location, food competition with the Hooded Crow Corvus cornix, which settles here in high density, as well as their aggressive behaviour, also plays a role. In 14 years of checks, only 25 young birds fledged from 72 broods begun (0.3 juv./ BP) in the nest boxes on the Town Hall and the church of St Laurentius in Köpenick. This exceptionally low reproduction rate is in no way sufficient to maintain the size of the population. Keywords: Western Jackdaw Coloeus monedula, breeding numbers, population decline, breed- ing success 1. Einleitung punkt eines speziellen Artenschutzprogramms, da sich der Brutbestand dieser Art im davor lie- Zu Beginn der Jahrtausendwende stand die genden Jahrzehnt stark verringert hatte. Neben Dohle Coloeus monedula in Berlin im Mittel- dem Erhalt vorhandener Brutplätze, vornehm- SCHARON & OTTO : Starke Bestandsabnahme der Dohle in Berlin 3 lich in Schornsteinen, lag der Schwerpunkt im mensgebiete. Für alle Brutplätze wurden Or- Anbringen von Nistkästen an allen bekannten nithologen gewonnen, die diese Örtlichkeiten Koloniestandorten im Stadtgebiet. auf ihren aktuellen Brutbestand hin untersuch- Gleichzeitig wurde damit begonnen, die Ur- ten. Daneben wurde im gesamten Stadtgebiet sachen für den starken Bestandsrückgang zu er- auf unbekannte bzw. nur sporadisch besiedel- mitteln, was spezielle Untersuchungen an Ko- te Brutplätze geachtet. Ergänzend erfolgte ein loniestandorten erforderlich machte. Anschreiben an die Berliner Schornsteinfe- Über die Dohle liegt ein umfangreiches gerinnung mit der Bitte, einen Aufruf an die Schrifttum vor. Verschiedene Fragestellungen Berliner Schornsteinfeger mit dem Anlie- wurden bereits im Rahmen von Studienarbei- gen zu verteilen, die BOA über alle bekann- ten an der Universität Jena (Kolonie Autobahn- ten Dohlenvorkommen zu informieren. Die brücke Jena-Göschwitz) und der Universität Ergebnisse aller Aktivitäten zum Schutz der Bern (Kolonie im Schloss Murten im Kanton Dohle wurden von SCHARON & OTTO (2002) Freiburg) bearbeitet (z. B. BIONDO 1998, UNGER zusammengefasst. 1999). Darüber hinaus haben sich auch andere Es wurden seit 2003 mehrere Studien- Ornithologen mitunter über Jahrzehnte mit dem arbeiten (HILS B ERG 2005, ROGALL 2004, LE Leben der Dohle beschäftigt (z. B. SCHMIDT W ANZIK 2006) an der Humboldt-Universität 2012). zu Berlin und je eine Bachelor- (APELT 2008) Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick und Masterarbeit (HÜ B NER 2012) an der Hoch- über die Ergebnisse verschiedener Aktivitäten, schule für nachhaltige Entwicklung Eberswal- die eine Bestandsstabilisierung der Dohle zum de (FH) initiiert, um die Bestandsveränderun- Ziel hatten. Daneben erbrachten die Beobach- gen zu dokumentieren und auch die Ursachen tungen und Untersuchungen Erkenntnisse über für die geringe Reproduktion der Dohlen zu Gefährdungsursachen der Dohle in Berlin. erforschen. Wegen der guten Erreichbarkeit der Niststätten im Rathausturm von Köpenick 2. Material und Methoden wurden die Studien vorwiegend an dieser Ko- lonie durchgeführt. Die Ergebnisse aus diesen Zur Darstellung der Bestandsveränderungen Arbeiten werden hier zusammenfassend ab- insbesondere in ehemaligen Koloniestandor- gehandelt. ten wurden die Daten aus den Karteien der Da die Dohle 2012 vom NABU zum Vo- ehemaligen OAG Berlin (West) und der Fach- gel des Jahres gewählt wurde, rief die BOA gruppe Ornithologie herangezogen. 1991 be- erneut zur Meldung von Brutplätzen auf. Da- schloss die Berliner Ornithologische Arbeits- bei wurden auch Eintragungen in ornitho.de gemeinschaft (BOA) ab 1992 ein Programm ausgewertet. Im Rahmen einer Masterarbeit der Revierkartierung ausgewählter seltene- wurde allen Beobachtungen nachgegangen, rer Brutvogelarten im gesamten Stadtgebiet um aktuelle Bestandszahlen für den Berliner durchzuführen. Dieses Programm ist formal Dohlenbestand zu ermitteln (HÜ B NER 2012). 1994 beendet worden, obwohl nicht alle Stadt- gebiete, insbesondere die innerstädtischen 3. Bestandsveränderungen Gebiete, in denen aber gerade die Dohlen zu 3.1 Gesamtes Stadtgebiet erwarten waren, flächendeckend kontrolliert werden konnten. Im Auftrag der Senatsver- Für das Stadtgebiet liegen sich gut ergänzen- waltung für Stadtentwicklung und Umwelt- de Angaben über die Verbreitung der Doh- schutz wurden die Ergebnisse der Revierkar- le aus den für beide Stadthälften Ende der tierungen schließlich aufgearbeitet. 1970er- /Anfang der 1980er-Jahre erarbeite- Die Ermittlung des Brutbestands der Doh- ten Brutvogelatlanten vor. Der Atlas der Brut- le in den Jahren 2000 und 2001 erfolgte durch vögel von Berlin (DEGEN & OTTO 1988) zeigt eine gezielte Kontrolle bekannter Vorkom- die Verbreitung der zwischen 1978 und 1982 4 Berl. ornithol. Ber. 24, 2014 durchgeführten Rasterkartierung im damali- lediglich 97 Reviere, so dass Anfang der gen Ostteil Berlins. Zwischen 1976 und 1983 2000er-Jahre von einem Bestand von 90 – 120 erfolgte ebenfalls eine Rasterkartierung im Brutpaare (BP) ausgegangen wurde (OTTO & Westteil, deren Ergebnisse im Brutvogelat- WITT 2002). las Berlin (West) (OAG BERLIN (WEST ) 1984) Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Brutsitu- veröffentlicht wurden. Ergänzende Informati- ation aller Gebäudebrüter durch die anhaltende onen bis 1989 für den Westteil der Stadt liefert Gebäudesanierung, besonders im Ostteil Ber- eine weitere Veröffentlichung (OAG BERLIN lins, verschlechtert. Das veranlasste die Senats- (WEST ) 1990). Die Verbreitung der Dohle im verwaltung für Stadtentwicklung einen Auftrag Ergebnis der Rasterkartierungen zeigt Abb. 1 zur Schaffung von Grundlagen für ein Arten- in einer rein qualitativen Darstellung. Die Be- hilfsprogramm Dohle an die BOA zu vergeben. standsangaben für die Dohle aus o. g. Veröf- Bei der daraufhin in den Jahren 2000 und 2001 fentlichungen sind in Tab. 1 zusammengestellt. durchgeführten Erfassung wurden 126 BP, da- Ergänzend ist die erste Abschätzung des Brut- von 105 BP (83 %) an Gebäuden (inkl. sieben bestandes für Berlin aus dem Jahr 1991 aufge- Nistkästen) und 21 BP (17 %) in Bäumen fest- führt (WITT 1991). Zu diesem Zeitpunkt wur- gestellt (SCHARON & OTTO 2002). Die Verteilung de zwar mit einer Bestandsabnahme gerechnet der erfassten Brutvorkommen zeigt Abb. 3. aber noch keine Einstufung der Dohle in die Die nach dieser planmäßigen Erfassung Rote Liste Berlins vorgenommen. in den Folgejahren gemeldeten Reviere sind Für den Zeitraum 1991 – 1994 konnten in Abb. 4 dargestellt. Dabei handelt es sich in summarisch 209 Reviernachweise dokumen- den meisten Jahren um Zufallsbeobachtungen tiert werden und der Bestand wurde auf 220 ohne gezielte Kontrolle der bekannten Brut- bis 300 Brutreviere geschätzt (BOA 1995). plätze. Im Jahr 2012 erfolgte erstmalig wieder Die hier ermittelte Bestandsgröße ging noch eine Kontrolle der früheren Koloniestandorte in eine Arbeit über die Situation der Vögel im in Berlin (HÜ B NER