Arbeiterbewegung und Widerstand in

Das Gebiet des heutigen 6. Bezirkes wies im 19. Jahrhundert im Vergleich zu allen anderen Wiener Vorstädten die höchste Industriedichte auf. Es herrschten unter der absolutistischen Monarchie unhaltbare soziale Verhältnisse. Die Unzufriedenheit mit der elenden sozialen Lage der Arbeiterfamilien führte zu ersten organisierten Arbeiterzusammenkünften:

10. März 1848: erste Arbeiterversammlungen in Gumpendorf. 13. März 1848: Ausbruch der Revolution – Ziel: demokratische Verfassung, Sturz des Staatskanzlers Metternich. Oktober 1848: Niederschlagung des Arbeiteraufstandes mit militärischer Gewalt; Vorläufiges Ende der politischen Emanzipation der Arbeiter – Verbot jeglicher politischer Betätigung. 15. Dez. 1867: Gründungsversammlung Arbeiterbildungsverein Gumpendorf –Vereinslokal in der Mariahilfer Strasse 25; ab Mai 1868 im Hause Magdalenenstrasse 104 (heute: Linke 62). 1869: wurde Mitglied im Arbeiterbildungsverein Gumpendorf.1

1 Chlup, Peter: Arbeiterbewegung und Widerstand in Mariahilf. Entwurf zu einer Schautafel für das Bezirksmuseum Mariahilf. o.J. 2

Mariahilf war lange Zeit ein typisch kleinbürgerlicher Bezirk, Sitz zahlreicher HandwerkerInnen und Gewerbetreibender, spezialisiert auf Textilien, Schuhe und Möbel. Einen großen Anteil übernahm – speziell im Bereich des Textilgewerbes – die Heimarbeit. Durch die Lage des Bezirks an der ehemaligen Poststraße nach Linz entwickelte sich Mariahilf in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch immer mehr zu einem Arbeiterbezirk, der bald die größte Industriedichte aller Vorstädte Wiens aufwies. Die Bevölkerung stieg auf rd. 60.000 BewohnerInnen, allerdings zusammengepfercht auf 12.000 Wohnungen2. Besonders hoch war der Anteil der Arbeiter in den Fabriksvierteln von Gumpendorf. Es verwundert deshalb nicht, dass der heutige 6. Bezirk im Revolutionsjahr 1848 ein Zentrum der Rebellion war. Als am 6. Oktober 1848 kaiserliche österreichische Truppen von Wien aus gegen das aufständische Ungarn ziehen sollten, versuchten die mit den Ungarn sympathisierenden Wiener Arbeiter, Studenten und aufständischen Truppen den Abmarsch zu verhindern. Den Auftakt zur Wiener Oktoberrevolution markierte die Meuterei eines Grenadierregiments in der Arbeitervorstadt Gumpendorf, das den Befehl zum Auszug missachtete und die Einrichtungen seiner eigenen Kaserne beschädigte. Die Akademische Legion und Teile der bürgerlichen Nationalgarde schlossen sich den Revoltierenden an. Generalmajor Hugo von Bredy war mit der Führung einer kaiserlichen Gegenwehr beauftragt. Sein Versuch, die Bögen der beschädigten Taborbrücke, die von den Aufständischen zur Errichtung von Barrikaden verwendet worden waren, durch Pioniere wieder intaktsetzen zu lassen und somit den Abmarsch der Truppen nach Ungarn zu ermöglichen, scheiterte: In einem Gefecht mit den Aufständischen Verlor Bredy sein Leben und die regulären Truppen waren gezwungen, sich angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der Gegenpartei zurückzuziehen. Im Folgenden kam es zu weitreichenden Straßenkämpfen in der Wiener Innenstadt, wobei selbst im Stephansdom Menschen umkamen. Kriegsminister Graf Baillet von Latour, der den Abmarsch der Truppen befohlen hatte, wurde von der aufgebrachten Volksmenge gelyncht. Nachdem den Aufständischen die Eroberung des ergiebigen Zeughau- ses gelungen war, verließ das kaiser- liche Militär die Stadt, sodass Wien in Hand der Revolu- tionäre war. Der Hof floh mit Kaiser Ferdinand noch am 7. Oktober nach Olmütz, der Reichs- tag wurde am 22. Oktober nach Kremsier (Kroměř íž) verlegt.3

Bildquelle: BM Mariahilf

2 Heute: rd. 30.000 BewohnerInnen in 20.000 Wohnungen 3 Wikipedia, zitiert nach Wolfgang Häusler: Von der Massenarmut zur Arbeiterbewegung. Demo- kratie und soziale Frage in der Wiener Revolution von 1848. Wien 1979 und nachfolgende Werke 3

Der heutige Wohn- und Geschäftsbezirk Mariahilf steht wegen seiner frühen Industrialisierung gewissermaßen an der Wiege der Wiener Arbeiterbewegung. Am 8. Dezember 1867 wurde im Hotel "Zum blauen Bock", Mariahilfer Straße 814, das einen beliebten Ball- und Versammlungssaal besaß, der Wiener Arbeiter- Bildungsverein gegründet. Vorbereitet wurde diese Zusammenkunft von Arbeiterkomitees in Gumpendorf und Schottenfeld, den damaligen Zentren der Wiener Textilindustrie. Da der Zustrom zur Versammlung selbst die kühnsten Erwartungen übertraf, wurde das Treffen vertagt und fand schließlich am 15. Dezember in Schwenders Kolosseum in der äußeren Mariahilfer Straße statt. Die Zusammenkunft am 8. Dezember gilt dennoch als das Gründungsdatum des Arbeiter-Bildungsvereins Gumpendorf, der damit der erste Arbeiterverein Wiens war und sich rasch zu einer der aktivsten Organisationen in der Frühzeit der Wiener Arbeiterbewegung entwickelte. In der Mariahilferstraße 81, damals "Hotel Englischer Hof" hielten auch die Freidenker am 20.2.1887 ihre gründende Versammlung ab. Der Verein hieß ursprünglich noch "Verein der Confessionslosen", deren Gründern gingen auf eine "Freie Kirche der Vernunft", die in Mariahilf ihren Sitz hatte. Auch die Vordenker des Arbeiter-Feuerbestattungsvereins „DIE FLAMME“, gründeten ihren Verein nach unbestätigten Quellen 1885 im gleichen Haus, gemeinsam mit den Freidenkern. Sie hatten in einer Verkaufsniederlassung der Firma Siemens ein Modell eines Leicheneinäscherungsofens gesehen. Als offizielles Gründungsdatum wird allerdings 1904 angegeben. Das Zusammentreffen dieser drei Gedanken am gleichen Ort und zur gleichen Zeit ist nicht so zufällig: Die Arbeiterbewegung machte sich schon auch Gedanken, wie sie die damals vom Klerus besetzten Themen Bildung, Glaube und Tod mit ihren eigenen Institutionen besetzen sollte… Das erste Lokal des Arbeiterbildungsvereins befand sich im Haus Mariahilfer Straße 25, von 1868 bis zum Jahr 1890 befand sich der Vereinssitz in der Magdalenenstraße 1045 – allerdings mit Unterbrechungen: 1870 wurde der Bildungsverein vor dem Hintergrund des Hochverratsprozesses gegen führende Sozialdemokraten aufgelöst und noch im selben Jahr neu gegründet. In den folgenden Jahren stand der Bildungsverein auf der Seite der sogenannten "Radikalen". Nach der Verhängung des Ausnahmezustandes im Januar 1884 löste sich der Verein von selbst auf, um der Vermögensbeschlagnahme zuvor zu kommen. Im November 1885 begann der Verein seine Tätigkeit zum vierten Mal. 1890 zog der Arbeiterbildungsverein, der wenig später in der neugegründeten Sozialdemo- kratischen Arbeiterpartei aufging, schließlich in das Gebäude der Allgemeinen Arbeiter-Kranken- und Unterstützungskasse (s.u.) in der Gumpendorferstraße

4 Später Hotel Monopoly, Englischer Hof, Hotel Münchnerhof.Heute: Stadtsaal 5 Heute Linke Wienzeile 62 Dieser Text ist eine Anregung zum Mitmachen: Wenn Sie etwas ergänzen oder korrigieren wollen, dann lassen Sie es uns wissen (email: [email protected])! Ihre Beiträge werden im Text unter der Quellangabe „ZeitzeugInnen“ – auf Wunsch ohne Namensnennung – dokumentiert. Erstellungsdatum: 30.07.2015 4

626 ein, das bis zum Parteiverbot im Jahre 1934 Sitz der Bezirksorganisation Mariahilf blieb. Die Kasse selbst übersiedelte 1914 in das von Johann Rothmüller neu errichtete Gebäude in der nahen Mollardgasse 87 (s.u.).

Die SPÖ stellte seit 1945 fünf BezirksvorsteherInnen im 6. Bezirk:

Franz Löwner (1945 bis 1946) Hubert Feilnreiter (1969 bis 1977) Werner Jank (1977 bis 1978) Renate Kaufmann (2001 bis 2014) Markus Rumelhart (2014 bis )

6 Baujahr 1840 („Zum blauen Hut“), Neuerrichtung nach 1954 (heute: Gemeindebau, ebenerdig aufgelassene KONSUM-Filiale mit kultureller Nutzung) 7 Heute u.a. Bezirksmuseum Mariahilf 5

Orte der Erinnerung8 Otto-Bauer-Gasse 7-9/Königsegggasse 10 Auf einem Teil des Areals der aufgelassenen Gumpendorfer Kaserne ließ der Verband der Genossenschaftskrankenkassen Wien 1903 bis 1905 nach Plänen von Wilhem Stiassny ein Vereins- und Versammlungszentrum erbauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erwarb die Gemeinde Wien das Gebäude und ließ es 1963/64 zum ersten „Haus der Begegnung“ umbauen. Es setzt die Tradition des Hauses als Organisations- und Veranstaltungszentrum in zeitgemäßer Form fort.

Mariahilfer Linien 1848 (heute Gürtel) Im 18. Jahrhundert begann die Industrialisierung, von der im 19. Jahrhundert die alten Handwerksbetriebe Mariahilfs ganz besonders betroffen waren. Die Wassermühlen am Wienfluss verschwanden und aus HandwerkernInnen wurden Heim- und FabriksarbeiterInnen. Frauen- und Kinderarbeit breitete sich aus. Zwischen 1703 und 1770 wurden mehrere große Fabriken in den Mariahilfer Vorstädten errichtet, unter anderem eine Lederfabrik, eine Metall- und Reißbleifabrik. In Folge von das heimische Gewerbe fördernden Maßnahmen Josephs II. entstanden in Gumpendorf mehrere Textilfabriken wie Samt-, Seiden- und Tuchwebereien. Zu den Webwarenfabriken gesellten sich bald Schafwollfabriken, aber auch eine Tapeten- und Möbelfabrik. Auch Handel und Gewerbe blühten gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf. Die große Anzahl von Fabriken und Gewerbetrei- benden im Bezirk stand in maßgeblichem Zusammen- hang mit den politischen Ereignissen um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die sozialen Verhältnisse unter dem abso- lutistischen Regime waren unhaltbar geworden und die Wiener ArbeiterInnen began- nen um ihre Rechte zu kämpfen. Am 28. Oktober greift am Mariahilfer Tor (heute Gürtel) auch die Artillerie ein. Zeitgenössische Litographie. Bildquelle: Beezirksmuseum Mariahilf

8 Dlabalja Albert (DÖW): Spaziergang zu den Stätten der Trauer und des Zorns. Wien 2005

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Auch die Mariahilfer Straße war 1848 in Aufruhr. Bei Ausbruch der Revolution richtete sich der Hass der Bevölkerung gegen die Verzehrungssteuerämter an den Linien, die für die Verteuerung der Lebensmittel verantwortlich gemacht wurden, und gegen die Maschinen in den Fabriken, die den kleinen Handwerker brotlos oder zum unselbständigen Arbeiter gemacht hatten. Im Oktober rissen Studenten, Arbeiter und Bürger Pflastersteine auf und verschanzten sich beim Mariahilfer Linientor in der Gegend des heutigen Gürtels. Im Oktober kam es zu folgenschweren Zusammenstößen zwischen den Garden, ArbeiterInnen und Studenten auf der einen und den kaiserlichen Truppen auf der anderen Seite.

Europaplatz (Westbahnhof) Am 1. April 1938, knapp drei Wochen nach dem Einmarsch der Truppen der Hitler-Wehrmacht, fährt vom Westbahnhof der erste Transport von Nazi-Gegnern in das Konzentrationslager Dachau ab. Die Gestapo nennt die 150 Personen umfassende Liste „1. Österreichertransport nach Dachau Prominententransport“. Im Dezember 1939 wird vom Bahnarbeiter Karl Kvas am Westbahnhof eine Zellenorganisation gegründet, die mit der KPÖ Kontakt über den Meidlinger Franz Fahs hält. Drei Jahre nach der großen Gestapo-Aktion gegen den Widerstand an der Westbahnstrecke werden 1944 dutzende Personen dieser Gruppe verhaftet. Die Anklage wirft Kvas und anderen Besprechungen vor, „bei denen die illegale Tätigkeit besprochen und auch die Notwendigkeit von Sabotageakten, nämlich Langsamarbeiten, Streuen von Sand und Eisenspänen in die Lager von Lokomotiven, Lockern von Schrauben und Muttern und so weiter erörtert wurden“. Nachgewiesen kann ihnen jedoch lediglich Verbreitung illegaler Schriften, die Sammlung von Unterstützungsgeldern und das Organisieren von Treffen werden. Zwei der Verhafteten werden zum Tode, die meisten anderen zu Zuchthausstrafen verurteilt. In einem der Urteile heißt es, „den Angeklagten könne geglaubt werden, dass sie keineswegs kommunistisch gesinnt seien. Wenn sie sich trotzdem zu Spendenleistungen für die Angehörigen verhafteter Kommunisten verstanden haben, so hat dabei sicher neben dem karitativen Moment das gerade beim Wiener Arbeiter hoch entwickelte Solidaritätsgefühl eine ausschlaggebende Rolle gespielt“. Nach der Darstellung eines Gestapo-Spitzels aus dem Sommer 1940 leitet der Schlosser Paul Grabatsch eine Zelle Revolutionärer Sozialisten an seiner Arbeitsstätte, einem Heizhaus des Westbahnhofs. Jedenfalls deckt der Spitzel Treffen und Verbindungen von Grabatsch zu anderen RSlern, unter anderem dem Schriftsetzer Glaserer, auf. Am 15. April 1945 tagen in einem Direktionssaal des Westbahnhofs sozialistische, kommunistische und christliche Vertrauensmänner aller ehemaligen Gewerkschaften. Die Gründung eines neuen, überparteilichen Gewerkschaftsbundes wird beschlossen.

7

Mariahilfer Straße 128/Ecke Neubaugürtel (Café Westend) “Ihr seids arm! Ihr seids zum Zusperr`n z`rechtkommen!”, so begrüßte am 12. Februar 1934 vor diesem Café August Forstner, der Vorsitzende der Transport- arbeitergewerkschaft, Bruno Kreeisky und Paula Mraz. Mit diesen Worten meinten sie die Niederlage der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs. Kreisky und Mraz hatten zuvor mit Franz Olah in einer Wohnung das von der Partei vorbereitete Flugblatt von zwei Seiten auf eine gekürzt. Bruno Kreisky erinnert sich: “Paula Mraz, die meine Art zu diktieren gewohnt war, nahm dem, der gerade anfangen wollte, den Text aus der Hand und gab ihn mir. So ist mir – obwohl mir das erst sehr viel später bewusst wurde – aufgrund der Stümperhaftigkeit, mit der alles vorbereitet war, eine historische Aufgabe zuteil geworden.” Auf einem alten Apparat wird der Aufruf vervielfältigt. Auf dem Weg zur Kampfleitung treffen die beiden August Forstner. Im Café Westend wird am 14. November 1938 in Zusammenhang mit dem Schlag der Gestapo gegen die erste zentrale Leitung der illegalen KPÖ im nationalsozialistischen Österreich der 28jährige Metaller Bruno Dubber verhaftet. Der Hamburger Dubber war seit seiner Jugend in der KPD tätig, war nach der Machtübernahme Hitlers in Deutschland von der Gestapo gesucht und nach Österreich geflohen. Hier stellt er sich mit Einverständnis der KPD der KPÖ zur Verfügung. Das Ergebnis der Beobachtungen und der bei Dubber – der unter dem illegalen Namen Georg Nürnberger in Baden lebt und den Decknamen “Walter” führt – gefundenen Aufzeichnungen ist, dass die Gestapo in Dubber das Haupt der zentralen Leitung sieht. “Das bei Dubber gefundene Schriftmaterial gibt u.a. wertvollen Aufschluss über die Methoden der illegalen Parteitätigkeit, vornehmlich in den Betrieben, ferner über den Stand der kommunistischen Bewegung in einzelnen Gauen der Ostmark, so in der Steiermark, Oberdonau, und Verbindungen mit dem Ausland über Zürich.” Selbst im Landesgericht organisiert Dubber unter den Verhafteten die Weitergabe von ihm verfasster Schulungsbriefe, z.B. einen mit dem Titel “Der imperialistische Kampf um den Weltmarkt in der letzten Zeit”. Die Briefe werden beim Spazieren- gehen der Häftlinge, beim Baden und nachts mittels Schnüren von Fenster zu Fenster weitergegeben. Dubber wird zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt. 1944 wird er von der Gestapo mit langsam tötenden Injektionen ermordet. In einem seiner letzten Briefe aus dem Gefängnis, wenige Tage vor seinem Tod, weist er – wegen der Zensur sehr vorsichtig foruliert – selbst darauf hin: “… Meine Krankheit ist keine Erkältungsgeschichte, sondern hat tiefere und andere Ursache…”

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Mariahilfer Straße 95 Im Herbst 1938 wird der hier wohnende Otto Felix Kanitz verhaftet, weil er nach Polizeibeobachtungen Verbindungen zu anderen revolutionären Sozialisten hat, die laut Gestapo Nachrichtensammlung für das Ausland und illegale Gewerk- schaftsarbeit durchführen. Ausgelöst wird diese größere Verhaftungswelle gegen die RS mit der Verhaftung des Rechtsanwaltsanwärters Roszmeissel, der “von der Stapo-Stelle Regensburg bereits als Kurier der RS ausgeschrieben” war, nach einer Zusammenkunft mit dem früheren National- und Gemeinderat Viktor Stein.

Mariahilfer Straße 85 (sog. Klea-Haus beim Flotten) Im April 1935 wird in der Mariahilfer Straße 85, im sogenannten Klea-Haus, die zentrale Verteilerstelle der aus Brünn gelieferten Arbeiter Zeitung, der illegalen Zeitung der Metall und Bergarbeiter und der Monatszeitung Der Kampf sowie ein Teil des technischen Apparates aufgedeckt. Damit in Zusammenhang wird auch Franz Olah verhaftet, der seit Februar 1935 Mitglied des Zentralkomitees der Revolu- tionären Sozialisten und Wiener Organisa- tionsleiter ist. Olah ist außerdem in der illegalen Bau- und Holzarbeitergewerkschaft tätig. Als Olah, der den Decknamen “Holzer” führt, festgenommen wird, trägt er einen Drehstift bei sich, in dem Zettel mit Notizen über die illegale Tätigkeit verborgen sind. Lesende Arbeiter. Holzschnitt von O.R. Schatz aus „Die neue Stadt“ (Original im VGR) Olah ist auch bei den Verhandlungen beteiligt, die Anfang 1938 mit der Schuschnigg-Regierung geführt werden, um eine Auslieferung an die National- sozialisten zu verhindern. Knapp nach dem Einmarsch der Hitlerwehrmacht wird er verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Olah, schon während seiner Tätigkeit bei den Revolutionären Sozialisten der “Einheits- frontpolitik” gegenüber ablehnend, hat in Dachau “keine allzu große Sympathien” für Spanienkämpfer.

Mariahilferstraße 81 Am 8. Dezember 1867 wurde im Hotel "Zum blauen Bock", Mariahilfer Straße 81, das einen beliebten Ball- und Versammlungssaal besaß, der Wiener Arbeiter- Bildungsverein gegründet. Vorbereitet wurde diese Zusammenkunft von Arbeiterkomitees in Gumpendorf und Schottenfeld, den damaligen Zentren der Wiener Textilindustrie. Da der Zustrom zur Versammlung selbst die kühnsten Erwartungen übertraf, wurde das Treffen vertagt und fand schließlich am 15. Dezember in Schwenders Kolosseum in der äußeren Mariahilfer Straße statt. Die Zusammenkunft am 8. Dezember gilt dennoch als das Gründungsdatum des Arbeiter-Bildungsvereins Gumpendorf, der damit der erste Arbeiterverein Wiens 9 war und sich rasch zu einer der aktivsten Organisationen in der Frühzeit der Wiener Arbeiterbewegung entwickelte.9

Mariahilfer Straße 49 In der Wohnung des Dr. Adalber von Springer finden 1941 und 1942 laut Gestapo regelmäßig Besprechungen über die politische Lage zwischen Springer und kommunistischen Funktionären statt, die zu dieser Zeit, nach Festnahme Leo Gablers, eine neue Zentrale einrichteten. Springer war seit 1925 bei der sozialdemokratischen Partei. Von 1934 bis 1936 habe er, wie es im Urteil heißt, der NSDAP angehört, zur gleichen Zeit aber auch Beiträge für die Rote Hilfe entrichtet. Springer verfasste mehrfache Flugschriften. Die Wehrmacht bot in den ersten Jahren in gewissen Fällen Schutz vor der Gestapo, nicht aber bei Springer, wie der Hinweis der Gestapo zeigt: “Die Festnahme des Dr. Springer, der zuletzt Stabsarzt der Sanitätsabteilung Wien war, ist im Einvernehmen mit der Abwehrstelle im Wehrkreis XVII erfolgt. Der Wehrkreisbefehlshaber und der Wehrkreisarzt sind von der Festnahme unterrichtet worde.” Springer ist zum Tode verurteilt.

Mariahilferstraße 25 Das erste Lokal des Arbeiterbildungsvereins befand sich im Haus Mariahilfer Straße 25, von 1868 bis zum Jahr 1890 befand sich der Vereinssitz in der Magdalenenstraße 32 – allerdings mit Unterbrechungen: 1870 wurde der Bildungsverein vor dem Hintergrund des Hochverratsprozesses gegen führende Sozialdemokraten aufgelöst und noch im selben Jahr neu gegründet. In den folgenden Jahren stand der Bildungsverein auf der Seite der sogenannten "Radikalen". Nach der Verhängung des Ausnahmezustandes im Januar 1884 löste sich der Verein von selbst auf, um der Vermögensbeschlagnahme zuvor zu kommen. Im November 1885 begann der Verein seine Tätigkeit zum vierten Mal. 1890 zog der Arbeiterbildungsverein, der wenig später in der neugegründeten Sozial- demokratischen Arbeiterpartei aufging, schließlich in das Gebäude der Allgemeinen Arbeiter-Kranken- und Unterstützungskasse in der Gumpendorfer- straße 62 ein, das bis zum Parteiverbot im Jahre 1934 Sitz der Bezirksorgani- sation Mariahilf blieb. Die Kasse selbst übersiedelte 1914 in das neu errichtete Haus in der nahen Mollardgasse 8 (s.u.).10

9 Weblexikon der Wiener Arbeiterbewegung, Wien 2008 10 Vgl. ebd. Dieser Text ist eine Anregung zum Mitmachen: Wenn Sie etwas ergänzen oder korrigieren wollen, dann lassen Sie es uns wissen (email: [email protected])! Ihre Beiträge werden im Text unter der Quellangabe „ZeitzeugInnen“ – auf Wunsch ohne Namensnennung – dokumentiert. Erstellungsdatum: 30.07.2015 10

Linke Wienzeile 48 - 52 1888 wurde in Österreich nach deutschem Vorbild das Unfallversicherungsgesetz erlassen; Gegenstand der Versicherung bildete der Ersatz des Schadens, der durch Verletzung oder Tod entstand. Diese gesetzlichen Bestimmungen galten für alle Arbeiter; für die Eisenbahnbediensteten gab es darüber hinaus Sonderregelungen – schließlich bestand in diesem überaus gefährlichen Beruf bereits seit 1869 das österreichische "Eisenbahnhaftpflichtgesetz". Die "Berufs- genossenschaftliche Unfallversicherungsanstalt der österreichischen Eisenbah- nen" nahm ihre Arbeit am 1. November 1889 auf. Die Anstalt hatte ihren Sitz zunächst in einem Haus der Bundesbahnen, 1., Gauermanngasse 2. Infolge Raummangels übersiedelte man bald in das Haus 6., Theobaldgasse 9. Da auch diese Lösung nicht optimal war, beschloss man, ein eigenes Gebäude zu errichten. Das Haus an der Linken Wienzeile wurde nach Plänen des Architekten Hubert Gessner in den Jahren 1910-12 errichtet – die fünf überlebensgrossen Drei-Figuren-Gruppen stammen von Anton Hanak – und konnte kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs, im Jahr 1913, bezogen werden. Parallel dazu entwickelte sich durch das Bemühen der Gewerkschaften, für die die soziale Betreuung der Bediensteten ein Hauptanliegen darstellte, ein System von Unterstützungskassen, die nach Einführung des Arbeiterkrankenversicherungs- gesetzes im Jahr 1888 in Betriebskassen umgewandelt wurden. Entsprechend der großen Anzahl von Unternehmen gab es im Jahr 1890 nicht weniger als 29 Eisenbahn-Betriebskrankenkassen; erst mit der zunehmenden Konzentration (und Verstaatlichung) kam es auch hier zu einer Konzentration der Kranken- versicherungseinrichtungen. Nach Kriegsende wurde die "Berufsgenossenschaftliche Unfallversicherungs- anstalt der österreichischen Eisenbahnen", die mit dem Zerfall der Monarchie ihren Arbeitsbereich eingebüßt hatte, in ein einheitliches Unfallversiche- rungsinstitut für alle Eisenbahnbediensteten der jungen Republik umgewandelt. Maßgeb- lich daran beteiligt war Ferdinand Hanusch, Staatssekretär für soziale Verwaltung. Die neue Anstalt wurde "Unfallversicherungs- anstalt der Eisenbahnen in der Republik Österreich" und schließlich "Unfallversi- cherungsanstalt der österreichischen Eisen- bahnen" benannt.11 Bildquelle: Bezirksmuseum Mariahilf

11 Weblexikon der Wiener Arbeiterbewegung, Wien 2008 11

Wiener Naschmarkt (Linke Wienzeile 2 - 64) 1927 hatte sich in Wien auch die Idee von Freiluftvorstellungen bereits soweit durchgesetzt, dass solche nun auch zu politischen Zwecke herangezogen wurden, etwa von der Sozialistischen Partei, die sich gleich einen der zentralsten Wiener Plätze für ihre Vorstellungen aussuchte: den Wiener Naschmarkt. Die Propagandafilme wurden auf einer 60 Quadratmeter großen Leinwand gezeigt, das Areal fasst über 10.000 Personen. Am Wiener Naschmarkt fand sich also das erste größere Freiluftkino in Wien. Bildquelle: Bezirksmuseum Mariahilf

Allgemeine Arbeiter-Kranken- und Unterstützungskasse (Mollardgasse 8) Am 8. Dezember 1867 fand in Wien eine Arbeiterversammlung statt, die den Beschluss fasste, einen Arbeiterbildungsverein zu gründen. Damit wurde der Gumpendorfer Arbeiterbildungs- verein in Wien-Mariahilf ins Leben gerufen. Bald folgten ähnliche Gründungen in allen Industrieorten und größeren Städten Österreichs. Mollardgasse 8 nach der Renovierung (2010). Bildquelle: Baryli Die Arbeiterbildungsvereine versuchten sich auch in praktischer Sozialpolitik. Da es noch keine gesetzliche Sozialversicherung gab, gründete der Wiener Arbeiterbildungsverein Gumpendorf schon im Januar 1868 eine Kranken- und Invalidenkasse für seine Mitglieder. Diese Kasse, die auf der Grundlage freiwilliger Solidarität tätig war, befand sich ursprünglich in der Gumpendorfer Straße 62, entwickelte sich jedoch so dynamisch, dass sie bald ein eigenes Gebäude benötigte. Dieses wurde 1913/14 hier als letzter Jugendstilbau in Wien errichtet. Die Kasse wurde 10 Jahre später aufgelöst, da es der Obrigkeit suspekt erschien, dass hier unkontrolliert Geld verwaltet wurde. Die Statuten der Kasse dienten aber der zwanzig Jahre später erkämpften Pflichtversicherung als Grundlage. Die Institutionen der Arbeiterbewegung wurden in der Zwischenkriegszeit entweder aufgelöst (Allgemeinen Arbeiter-Kranken- und Unterstützungskasse

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1924) oder verboten (Auflösung des Parlaments durch den Austrofaschismus 1933). Danach verwendete die Arbeiterschaft wenigstens ihre eigenen Gebäude als Treffpunkte oder zur Organisation des Widerstandes (Republikanischer Schutzbund 1923-1934; vgl. auch das Gebäude der Wiener Gebietskrankenkasse oder die Straßenbahnremise Rudolfsheim). Diesen Gebäuden gemeinsam sind

zahlreiche Zugänge und Fluchtwege, die oft nur der Arbeiterbewegung selbst bekannt waren.

Pressemeldungen zur Mollardgasse 8 aus 1934. Quelle: BM Mariahilf

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Die Geschichte nach 1938: „Also der Naschmarkt hatte damals mehr Stände, denn der Teil der heute Flohmarkt ist, hatte auch Naschmarktstände – es waren in etwa 900 Stände. Eine gute Arbeit von der Historikerkommission ist da gemacht worden, von Fritz Keller, die jetzt auch als Buch herauskommt, der hat alle Stände durchgegangen. Keller Fritz ist selbst ein Historiker, der am Naschmarkt arbeitet und der die Historiker- kommission für alle Wiener Märkte gemacht hat. Etwa ein Drittel der Stände wurde arisiert, vom Naschmarkt, also etwa ein Drittel der Stände war in jüdischem Besitz. Und was da die Restitution betrifft, war es so, dass die gesagt haben, na ja, wenn einer was zurückhaben will, muss er auch tatsächlich in Wien leben und diesen Stand dann auch betreiben, sonst hat er keinen Anspruch. Aber selbst wenn er nach Wien zurückgekommen ist, war das noch keine Garantie, dass er den Stand auch wirklich bekommen hat, weil oft sind dann nur Ersatzstände vergeben worden, also ein weniger guter Standort oder irgendein Stand eben. Und die, die nicht zurückgekommen sind, haben gar nichts gekriegt.“12

12 Stephan Tempel: Führung i.A. der Kulturkommission Mariahilf, OT. 2003

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Die Menschen

VICTOR ADLER (1852 - 1918)

Victor wurde als ältestes von fünf Kindern des jüdischen Kaufmanns Salomon Markus Adler und seiner Frau Johanna (geb. Herzl), in Prag geboren. 1855 übersiedelte die Familie, die erst 1851 vom mährischen Lipnik nach Prag gekommen war, nach Wien-. Erst in Wien konnte der Vater durch Realitätengeschäfte ein beträchtliches Vermögen erwerben. Victor war ein schmächtiges kleines Kind, das stotterte. Er absolvierte das Schottengym- nasium, eine der besten Schulen Wiens. Heinrich Friedjung war einer seiner wenigen jüdischen Mitschüler in der katholischen Schule. Adler studierte zunächst Chemie, anschlie- ßend 1872–1881 Medizin an der Universität Wien und wurde auf Initiative seines ehemaligen Mitschülers Engelbert Pernerstorfer Mitglied der Burschenschaft braune Arminia Wien. Er praktizierte als Assistent von Theodor Meynert an der Psychiatrischen Klinik des Allgemeinen Krankenhauses. 1878 lernte er Emma Braun (1858–1935) kennen, am 3. September 1878 heirateten die beiden und Sohn Friedrich kam 1879 zur Welt. Er arbeitete als Armenarzt und seit 1883 auch als Nervenarzt, ehe er sich journalistisch betätigte. 1882 bis 1889 wohnte und praktizierte er im 9. Wiener Bezirk im geerbten Haus in der Berggasse 19. (1891 ließ sich Sigmund Freud einem an dieser Adresse neu errichteten Haus nieder.) Schon seit 1870 trafen sich Victor, sein Bruder Siegmund (der später Rechts- historiker wurde), Heinrich Friedjung und Engelbert Pernerstorfer zu sonntäglichen Diskussionsrunden über die soziale und nationale Frage in der Adler'schen Villa in Wien-Döbling. Politisch stand Adler zunächst der deutschnationalen Bewegung um Georg von Schönerer nahe und war, wie sein Freund Friedjung, Mitautor ihres 1882 aufgestellten Linzer Programms. Nach dem Scheitern des Programms und weil er seine sozialen Forderungen in der deutschnationalen Bewegung kaum noch berücksichtigt sah, schloss sich Victor Adler Anfang der 1880er der Sozialdemokratie, in Form eines Arbeiterbildungsvereins an. Vor allem der rasch wachsende Antisemitismus der Deutschnationalen hatte ihn vertrieben. „Für Adler war das Judentum eine unsichtbare Ghettomauer, die ihn aus der Welt der europäischen Kultur ausschloß, in die er mit allem Fasern seines Wesens gehörte. ... und gerade als Führer einer gehaßten und 15

verfemten Partei wurde er jahrelang zur Zielschiene heftiger antisemiti- scher Angriffe.13“ 1886 gründete er in Wien mit dem Erbe seines Vaters die Wochenzeitung „Gleichheit“, in der er in einer Reihe von aufsehenerregenden Artikeln das Elend der Wienerberger Ziegeleiarbeiter schilderte. Den Ziegelarbeitern brachte seine Kampagne zunächst die Abschaffung des Trucksystems und nach dem Ziegelarbeiterstreik des Jahres 1895, weitere soziale Reformen. Nach dem Verbot der Gleichheit gründete Adler 1889 die „Arbeiter-Zeitung“. Mit 1. Jänner 1895 brachte er das Blatt als Tageszeitung heraus und gewann Friedrich Austerlitz als Chefredakteur. Während einer Reise nach Deutschland, der Schweiz und England als Vorbereitung auf eine (erfolglose) Bewerbung als Gewerbeinspektor, traf er sich unter anderem mit Friedrich Engels, August Bebel und Karl Liebknecht. Mit Engels und Bebel verband ihn bis zu dessen Tod eine enge Freudschaft. Adlers politische Tätigkeit brachte ihm zwischen 1887 und 1900 17 Anklagen vor Gericht und insgesamt 9 Monate Arrest ein. In Österreich führte die verspätete Modernisierung und die Konzentration der Industrie auf den deutschösterreichisch-böhmischen Raum zu einer kompakten Arbeiterbewegung mit straffer Organisationsstruktur und dem Übergewicht der zentralen Führungsfigur Victor Adler. Er überwand, obwohl er als Intellektueller und wegen seiner bürgerlichen Herkunft anfangs als Außenseiter betrachtet wurde, in den 1880er-Jahren die Richtungskämpfe der frühen Arbeiter- organisationen. Der Durchbruch gelang Adler 1885 bei einer Versammlung gegen die von Ministerpräsident Eduard Taaffe geplanten Sozialistengesetze, an der zum erstenmal seit langer Zeit wieder alle Richtungen der Arbeiterbewegung teilnahmen. Durch sein ausgleichendes Wirken kam es zu einer Resolution die „Radikale“ und „Gemäßigte“ akzeptierten. Adlers Formel, der Kampf der Arbeiterklasse sei mit allen zweckdienlichen und dem natürlichen Rechtsbewußtsein des Volkes entsprechenden Mitteln zu führen, überbrückte die Gegensätze erfolgreich.[10] Auf dem Hainfelder Parteitag vom 30. Dezember 1888 bis 1. Jänner 1889 vereinigte Victor Adler die verschiedenen sozialdemokratischen Gruppen – Gewerksvereine, Gewerkschaften und Genossenschaften, die „Radikalen“ und die „Gemäßigten“ im kaiserlichen Österreich und gilt damit als Begründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, SDAP, heute die Sozialdemokratische Partei Österreichs, SPÖ. Adler wurde zum ersten Vorsitzenden der neuen Partei gewählt. Das Charisma Adlers [...] festigte die Partei und hielt sie zusammen. Jedenfalls ist die Geschichte dieses Mannes die Geschichte seiner Partei, und den Mann zu verstehen, heißt: die gesellschaftlichen Kräfte begreifen, die er personifizierte.[11] Adler, der sich selbst als „Hofrat der Nation“ bezeichnete,

13 Karl R. Stadler: Victor Adler. In: Walter Pollak (Hrsg.): Tausend Jahre Österreich. Eine Biographische Chronik. Band 3: Der Parlamentarismus und die beiden Republiken. Verlag Jugend u. Volk, Wien 1974

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14 Allan Janik, Stephen Toulmin: Wittgensteins Wien. (Originalausgabe: Simon and Schuster, New York 1973) Hanser, München 1984 17 diese Politik, von seinen Gegnern als „Burgfriedenspolitik“ bezeichnet, wurde er heftig angegriffen. Zu Kriegsbeginn ließ Adlers antirussische Orientierung, die in einer zaristischen Fremdherrschaft das schlimmste sah, ihn an den Verteidigungscharakter des Krieges glauben. Er war bereit, die Politik im Krieg zum „Zwecke der Selbstverteidigung“ anzuhalten. Es gehe um die Existenz Deutschlands, um die Selbstbehauptung und Sein des deutschen Volkes, dessen Ziele, angesichts der russischen Bedrohung, mit denen des Proletariats identisch seien.[19] Hier brach Adlers ältere deutschnationale Einstellung, mit ihrer Fixierung auf Berlin und ihrer Angst vor Russland, wieder durch. Er hielt die Zustimmung der deutschen Sozialdemokraten zu Kriegskrediten und Burgfrieden im deutschen Reichstag für richtig. Er räumte ein, die österreichische sozialistische Partei hätte in einem arbeitsfähigen Parlament, ebenso votiert. Ende März 1916 beschloss die Reichskonferenz der deutschen sozialistischen Arbeiterpartei in Österreich: „Eine die Notwendigkeiten der Völker erfüllende, dauernd befriedigende Ordnung des Südostens von Europa kann nur durch die Ausgestaltung Österreich-Ungarns zu einem demokratischen Bundesstaat erzielt werden, in dem allen Nationen gleiches Recht und gleiche Entwicklungsmöglichkeiten verbürgt und ihre Kraft zu einem großen politischen und wirtschaftlichen Ganzen zusammengefasst wird und an das sich ein freies und unabhängiges Polen im Norden und ein unabhängiger Bund freier Balkanvölker im Süden im eigensten wie im gemeinsamen Interesse zu einem großen Verband anschließen könnten.15“ Eine wirtschaftliche Annäherung an Deutschland wurde nur akzeptiert, wenn freier Handel gewährleistet sei, ein protektionistisches Mitteleuropa wurde als imperialistisch abgelehnt. Renners Forderung nach einer umfassenden territorialen Neuregelung, um einen dauerhaften Frieden zu erreichen, rief die offene Kritik Adlers hervor. Aber auch Adler war wegen der Polenfrage gehindert, frühzeitig das populäre Schlagwort vom Frieden ohne Annexionen aufzugreifen. Bis Sommer 1916 rechnete Adler mit einem Sieg und trachtete daher das Einlenken der Westmächte nicht durch innenpolitische Opposition zu behindern. Im Herbst 1916 hatten sich die Haltung der Sozialisten und ihre Ziele jedoch entscheidend gewandelt. Die Reichskonferenz der deutschen sozialdemokratischen Partei Österreichs beschloss am 5. November 1916: „Die Regierung ist nachdrücklich aufzufordern, nach Vereinbarung mit den verbündeten Regierungen in einer öffentlichen Kundgebung deutlich zu erklären, dass die Mittelmächte jederzeit bereit seien, in Friedensverhand- lungen einzutreten unter der Bedingung, dass alle Mächte auf direkte und indirekte Annexionen und auf Kriegsentschädigungen verzichten.“

15 Rudolf Neck: Arbeiterschaft und Staat im Ersten Weltkrieg 1914–1918. (A. Quellen). Band 1: Der Staat (1. Vom Kriegsbeginn bis zum Prozeß Friedrich Adlers, August 1914 – Mai 1917). Europa-Verlag, Wien 1964, S. 160.

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Am 11. Dezember 1916 forderte die Landeskonferenz der deutschen Sozial- demokratie in Niederösterreich, neben einem annexionslosen Frieden, auch die vollständige und sofortige Freigabe der Erörterung der Kriegsziele, durch die Regierung, in Presse und Versammlungen.[24] Bei einer sozialdemokratischen Friedensversammlung am 28. Dezember 1916 reagierte Adler positiv auf das Friedensangebot der Mittelmächte, von dessen Ernst er überzeugt war. Diplomaten und Politiker hätten endlich die Gedanken des Friedens, die bei den Sozialdemokraten seit Kriegsbeginn verfolgt wurden, propagiert. Bisher sei das nicht möglich gewesen, denn wenn man stärker sei, wolle man den Frieden nicht machen; wenn man schwächer sei, könne man nicht, um kein Zeichen der Schwäche zu geben. Nun wolle man einen baldigen Frieden, in dem kein Staat gedemütigt werde, aber keinen Friedensschluss, der die Keime eines zukünftigen Krieges in sich trage. Seit der Oktoberrevolution war die russische Bedrohung vorbei und Adler gab seine ursprüngliche Politik resignativer Anpassung auf. Den seit Einberufung des Parlaments gewachsenen Einfluss der Partei setzte er ein, um innenpolitische Konzessionen und eine Verstärkung der Friedensbereitschaft der Regierung zu erreichen. Im Zusammenhang mit den Verhandlungen in Brest-Litowsk wurde Adler die Notwendigkeit, die Politik Außenminister Czernins, gegenüber den imperialistischen Ambitionen der Dritten Obersten Heeresleitung, zu unterstützen, klar. Zwischen dem 3. und 25. Jänner erfasste der so genannte Jännerstreik weite Teile der Monarchie. Über 700.000 Arbeiter traten in den Ausstand, vor allem wegen der materiell bedrängten Situation, aber auch wegen der durch Brest- Litowsk genährten Friedenserwartungen. Die Jännerstreiks, deren politische Ursachen auch die den Frieden gefährdenden deutschen Kriegsziele in Brest- Litowsk waren, benutzte Adler, um das Kabinett in Wien gegen die Annexionsforderungen in Brest festzulegen. Otto Bauer wiederum nützte sie zur Schwenkung der sozialdemokratischen Nationalitätenpolitik zugunsten des Selbstbestimmungsrechts der Völker und für eine großdeutsche sozialistische Allianz. Das neue Nationalitätenprogramm der Linken zielte in der Sache auf die Auflösung der Monarchie in selbständige Nationalstaaten und die Vereinigung der deutschen Gebiete mit dem Reich. Adler hingegen hielt am Programm einer Demokratisierung Österreichs und der Schaffung eines Nationalitäten- bundesstaates fest. Adler errang schließlich die Zustimmung zum Abbruch des Streiks, weil die Militärs nicht gezögert hätten, mit militärischer Gewalt gegen den Streik vorzugehen. Dennoch gelang es ihm die Einheit der Partei zu bewahren, indem er den linken Flügel mit Bauer als seinen Stellvertreter und designierten Nachfolger einbinden konnte. Die Parteiführung um Adler verlangte am 16. Januar 1918 in einem Aufruf den „Frieden ohne offene und ohne verhüllte Eroberungen, … [einen] Frieden auf der Grundlage des unverfälschten Selbstbestimmungsrechts beider Völker. … Ließe man die Verhandlungen in Brest-Litowsk an dieser Streitfrage scheitern, so müßten wir den Krieg gegen Russland weiterführen, damit der Kaiser von Österreich zum König von Polen gewählt werde, und damit der 19

König von Preußen wirtschaftlich und militärisch über Kurland und Litauen verfüge!16“ Adlers Ablehnung der Zimmerwalder Bewegung beruhte auch auf der irrigen Auffassung, die deutsche Regierung sei im Frühjahr 1918 zu maßvollen Friedensbedingungen, vor allem im Westen, bereit, aber die deutschen Sozialdemokraten, die ihn dies glauben machten, konnten selbst nicht auf Elsaß- Lothringen verzichten. Adlers Fernziel im Osten war ein unabhängiges Polen, Galizien bliebe bei der Monarchie, was eine staatenbündische Lösung im Rahmen der Gesamtmonarchie oder eine mitteleuropäische Neuordnung verlangte. Adlers Haltung zum Krieg beruhte letztlich auf einer Fehleinschätzung der Kriegsziele der Mittelmächte. Am 21. Oktober 1916 erschoss einer der Söhne Victor Adlers, Friedrich, als Protest gegen die Kriegsdiktatur während des Ersten Weltkriegs den österreichischen Ministerpräsidenten Karl Stürgkh. Er wurde zum Tode verurteilt, aber zu lebenslänglichem Kerker begnadigt (und zum Ende der Monarchie 1918 freigelassen). Der äußerst erschütterte Vater schrieb diese Tat dem „beinahe pathologischen Idealismus“ des Kriegsgegners Friedrich zu. In einer Rede vor der provisorischen Nationalversammlung bezeichnete Adler den Zusammenbruch der Habsburgermonarchie als eine Teilerscheinung des allgemeinen Sieges der Demokratie in der ganzen Kulturwelt, die es ermöglichen werde, auf den Trümmern der kapitalistischen Weltordnung den Sozialismus aufzurichten. Er machte sich allerdings Illusionen über einen unblutigen Übergang zu einer demokratischen Gesellschaft. In dem am 30. Oktober 1918 bestellten Vollzugsausschuss (später Staatsrat) der Nationalversammlung Deutsch- österreichs, der von Renner geleiteten ersten Regierung des neuen Staates, war er, obwohl bereits schwer Herzkrank, bis zu seinem Tod am 11. November 1918 Staatssekretär für Äußere Angelegenheiten (Außenminister). Er vertrat, nachdem sein ursprünglicher Vorschlag eines demokratischen Nationalitätenbunds mangels Interesses der anderen Nachfolgestaaten der Monarchie gescheitert war, den Anschluss von Deutschösterreich an das Deutsche Reich. Dieser wurde von der provisorischen Nationalversammlung am 12. November 1918, dem Tag nach Adlers Tod, ebenso wie die Republik als definitive Staatsform, beschlossen. Otto Bauer schrieb später in der Einleitung zu Adlers Aufsätzen, Reden und Briefen: „Adler hat dem Kampf um die Demokratie in dem Glauben geführt, die Demokratie könne das alte Österreich umgestalten, modernisieren; in Wirklichkeit mußte sie es sprengen.“ Doch Adlers Politik sicherte der Ersten Republik einen gewaltlosen Übergang zu einer demokratischen Verfassung mit der Besonderheit der unmittelbaren Souveränität des Parlaments. Sein Wunsch eines Anschlusses an Deutschland lag auch in der Befürchtung, Österreich könne, aufgrund seiner autoritären inneren Strukturen und Traditionen, nicht alleine imstande sein Demokratie zu praktizieren.

16 Elisabeth Petru: Patriotismus und Kriegsbild der deutschsprachigen Bevölkerung Österreich- Ungarns 1914–1918. Ungedr. Diplomarb, Wien 1988, S. 155.

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Seine Politik des demokratischen Sozialismus verurteilte dessen Gegner innerhalb der Arbeiterbewegung auf Dauer zu einer unsignifikanten Minderheit Victor Adler wirkte als Armenarzt in Mariahilf (Windmühlg.30a, ab 1905 Gumpendorfer Strasse 54).

OTTO BAUER (1881 - 1938): Die Geschichte der Arbeiterbewegung insbeson- dere in der ersten Republik wurde durch Otto Bauer geprägt. Schon als Jugendlicher schoss er sich der sozialdemokratischen Bewegung an. 1907 erschien sein Erstlingswerk, das sich mit einer im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn hoch aktuellen Frage befasste: „Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie“. Es war Grundlage für die Position Otto Bauers als des bedeutendsten Theoretikers der österreichischen Sozialdemokratie, als Exponent der spezifischen Linie des Marxismus, der als Austromarxismus zu einem weltweit bekannten und geachteten Begriff wurde. Das Wesen des Austromarxismus war, dass er an den revolutionären Zielen des von Karl Marx entwickelten Historischen Mateialismus festhielt, aber sich dabei eindeutig zur parlamentarischen Demokratie bekannte und damit von den Kommunisten distanzierte. Bauer war 1907 einer der Mitbegründer der theoretischen Zeitschrift „Dder Kampf“. Im gleichen Jahr wurde er Klubsekretär der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion. Er war in dieser Funktion an der Ausarbeitung wichtiger Gesetze beteiligt. Besonders engagierte er sich in sozialpolitischen Fragen. So kam es, dass der Industriellensohn 1911 zum sozialpolitischen Redakteur der v“Arbeiter-Zeitung“ berufen wurde. Am 12. November 1918 wurde die erste Republik ausgerufen und Otto Bauer wurde nach Victor Adler Staatssekretär für Äußeres. Er bemühte sich besonders um den damals von allen Parteien geforderten Anschluss an Deutschland. Der neue Kleinstaat Österreich wurde von vielen als nicht lebensfähig angesehen. Im Anschluss an das große Deutschland sah man die einzige Chance für die Zukunft. Als die Anschlussidee am Widerspruch der Siegermächte, vor allem Frankreichs gescheitert war, legte Bauer am 27. Juli 1919 die Leitung des Außenamtes zurück. Er blieb jedoch bis 14. Oktober 1919 als Staatssekretär für Sozialisierung in der Regierung. Am 15. März 1919 wählte die Nationalversammlung eine Koalitionsregierung bestehend aus Sozialdemokraten und Christlichsozialen. Staatskanzler wurde Karl Renner. Das triumphale Wahlergebnis für die Sozialdemokraten bei den National- ratswahlen am 24. April 1927 war das eindeutige Verdienst Otto Bauers. 21

Die tragischen Ereignisse von Schattendorf (Heimwehrmänner sprengten mit Gewalt eine Versammlung des Republikanischen Schutzbundes – 2 Tote) und die darauffolgende große Arbeiterdemonstration auf der Ringstrasse – Justizpalastbrand am 15. Juli 1927) enthüllte jedoch die Ohnmacht der Arbeiterbewegung und zeigten deren Grenzen auf. 1930 Weltwirtschaftskrise, 1933 Polizeieinsatz gegen streikende Eisenbahner – heftige Auseinander- setzungen im Parlament – Bundeskanzler Dollfuß schaltet das Parlament aus. Februar 1934: Bürgerkrieg und Verbot der Sozialdemokratischen Partei. Im Februar 1934 floh Bauer in die Tschechoslowakei. 1. Mai 1934 Verkündung einer neuen Verfassung – autoritärer Ständestaat. Otto Bauer errichtete in seinem Exil in Brünn ein Auslandsbüro der österreichischen Arbeiterbewegung zur Unterstützung der Illegalen in Österreich und publizierte von Brünn aus die Arbeiter Zeitung. Im März 1938 übersiedelte er nach Paris und musste dort tatenlos die aussichtslose Situation der österreichischen Arbeiterbewegung beobachten. Otto Bauer wohnte in der nach ihm benannten Otto-Bauer-Gasse 2 (damals noch Kasernengasse)

HUBERT FEILNREITER (1911 - 2008) Hubert Feilreiter engagierte sich schon sehr früh in der Jugendarbeit der Arbeiterbewegung in . 1939 Übersiedlung nach Mariahilf und seit Kriegsende politisch im Bezirk aktiv. 1950 wurde er Bezirksrat, 1959 Bezirksvorsteher-Stellvertreter und 10 Jahre später Mariahilfer Bezirksvorsteher. 1977 trat er aus Altersgründen zurück. Als Nachfolger wurde Werner Jank als Bezirksvorsteher gewählt. Hubert Feilnreiter war aber auch danach noch viele Jahre als Vorsitzender des Kulturforums Mariahilf aktiv in der Mariahilfer Arbeiterbewegung tätig. Der Gemeindebau Linke Wienzeile 72-76 / Magdalenenstraße 3-7. (Architekt: Josef Seeberger 1964), ist seit 2010 nach ihm benannt.

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GERTRUDE FRÖHLICH-SANDNER (1926 - 2008) Fröhlich-Sandner begann 1947 ihre berufliche Laufbahn als Volksschullehrerin und engagierte sich bei den Kinderfreunden, wo sie in der Zentralstelle Wien die Hortarbeit betreute und die Horterzieherin- nenschulung aufbaute. Sie war Chefredakteurin der Zeitschrift Du und dein Kind (heute: Elternblatt) 1959 wurde sie Gemeinderätin. In Mariahilf war Gertrude Fröhlich-Sandner zuerst in der Frauen- arbeit tätig und anschließend in diversen Vorstands- funktionen. 1965 wurde sie Stadträtin für Bildung, Jugend und Familie, stellvertretende Vorsitzende des Frauenkomitees und Obmännin der Frauen Mariahilfs, Stadträtin und 1969 Vizebürgermeisterin. Als Felix Slavik im Dezember 1970 die Nachfolge von Bruno Marek als Bürger- meister antrat, war sie bereits seit einem Jahr Vizebürgermeisterin der Stadt. Nachdem sie fast 15 Jahre dieses Amt innehatte, legte sie es im September 1984 zurück, da Bundeskanzler Fred Sinowatz sie in die Bundesregierung als Ministerin für Familie, Jugend und Konsumentenschutz berief. Dieses hohe Amt übte sie bis Jänner 1987 aus. Gertrude Fröhlich-Sandner ist der Arbeiterbewegung in Mariahilf nach wie vor eng verbunden und ist deren Ehrenvorsitzende.

MINNA LACHS (geb. Schiffmann), (1907 – 1993)

Frau Hofrat Dr. Minna Lachs war eine bedeutende Persönlichkeit des österreichischen Bildungswesens. Ihre Familie kam während des ersten Weltkrieges nach Wien. Bereits als Gymnasiastin übersetzte sie unter dem Pseudonym „Noemi“ hebräische Kurzgeschichten für die Neue Freie Presse. In der jüdischen Jugendbewegung machte sie die Bekanntschaft Manés Sperbers. An der Wiener Universität absolvierte sie das Studium der Romanistik, Germanistik und Psychologie (Vorlesungen unter anderem bei Charlotte Bühler, zu deren engem MitarbeiterInnenkreis sie bald gehörte) und schloss mit der Lehramtsprüfung und 1932 mit der Promotion ab. Im gleichen Jahr heiratete sie den Juristen und Sozialdemokraten Ernst Lachs. Sie unterrichtete dann an der Privatschule „Universum“. Nach Jahren in der Emigration (England, Schweiz, Spanien, USA) kehrte Minna Lachs 1947 nach Wien zurück. 1954 wurde sie Direktorin einer Wiener Mittelschule, 1956 Vorsitzende der österreichischen Unesco-Kommission. Aktiv in der sozialistischen Bewegung war sie unter anderem Vorsitzende der Frauen- Arbeitsgemeinschaft des Bundes Sozialistischer Akademiker. Sie wurde mit den 23 goldenen Ehrenzeichen der Republik Österreich und für Verdienste um das Land Wien ausgezeichnet. Werke: Was schaust Du zurück? Erinnerungen 1907-1941 (1986), Schulbücher für den Englisch-Unterricht, ein Werk über Fremdsprachen-Unterricht im Allgemeinen, eine Lyrik-Anthologie, mehrere Kinderbücher Der Park Ecke Millergasse/Mittelgasse ist nach Minna Lachs benannt.

KARL LEUTHNER (1869 - 1944): Der Sohn eines Bergbauingenieurs studierte in Wien Rechtswissenschaft (ohne Abschluss) und betätigte sich früh als Journalist. Leuthner schloss sich zunächst den Liberalen an, befasste sich aber intensiv mit den Lehren von Marx und Lassalle. Als er am 14. März 1893 in den Sofiensälen eine Rede zum 10. Todestag von Karl Marx hielt, wurde er von einem Ehrenrat der Armee seiner Charge als Reserveleutnant der Kavallerie für verlustig erklärt und zum gewöhnlichen Infanteristen degradiert. Vermutlich brachte ihn dieses Erlebnis in engeren Kontakt zur Sozialdemokratie. Als die Arbeiter-Zeitung ab 1. Januar 1895 täglich erschien, wurde Karl Leuthner Redakteur des Blattes für Außen- und Militärpolitik. Leuthner war nicht nur ein hervorragender Journalist, sondern auch ein blendender Redner. Er sprach in unzähligen Versammlungen und war wegen seines enormen Wissens auch eine dominante Persönlichkeit im Bildungswesen der Partei. Von 1911 bis 1918 war Karl Leuthner, der dem rechten Flügel der Sozialdemo- kratischen Arbeiterpartei zugerechnet wurde, Mitglied des Reichsrates, und ab 1918 Mitglied der Provisorischen und der Konstituierenden Nationalversammlung sowie von 1920 bis 1934 Abgeordneter zum Nationalrat, wo er sich v.a. mit Fragen der Außenpolitik befasste. Nach 1934 zog sich Leuthner völlig ins Privatleben zurück. Karl Leuthner war einer der bedeutendsten Vorkämpfer des Freidenkertums in Österreich und zog unablässig gegen die politisierende Kirche zu Felde. In seiner Broschüre „Religion und Sozialdemokratie“ schreibt er unter anderem: „Alle Kirchen widerhallen von Schmähworten gegen die Sozialdemokratie, von Hassreden gegen die Arbeiterschaft. Im Beichtstuhl wird vor allem an den Frauen Seelenfang betrieben. Und der Katechet in der Schule scheut davor nicht zurück, den Religionsunterricht in politische Propaganda zu verwandeln, durch die Kinder die Eltern politisch zu beeinflussen, ja die Kinder der Arbeiter zu Ungehorsam gegen ihre eigenen Eltern aufzuhetzen.“ Die in den Jahren 1931/32 nach Plänen von Georg Rupprecht errichtete Wohn- hausanlage Mollardgasse 89 / Linke Wienzeile 182, neben der Feuerwache wurde nach ihm Leuthnerhof benannt.

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ANDREAS LIBERDA (1893 – 1975?) Das langjährige Mitglied der Arbei- terbewegung hatte während des Krie- ges politisch illegal weiter gearbeitet, antinationalsozialis tische Flugschriften verteilt und gegen das Hitler-Regime angekämpft. Foto aus der Erkennungsdienstlichen Kartei der Gestapo Wien Er kam ins Konzentrationslager Buchenwald. Nach Kriegsende wurde er erster Mariahilfer Bezirksobmann und Bruno Marek wurde für einige Monate sein Stellvertreter. Andreas Liberda hat in dieser äußerst schwierigen Zeit ent- scheidend zum Wiederaufbau der Organisation der Arbeiterbewegung in Mariahilf beigetragen.17 Am 15. April 1945 kam es zur konstituierenden Sitzung der Bezirksorganisation Mariahilf in der Sandwirtgasse 16. Die dringlichste Aufgabe war die tatkräftige Mitarbeit am Wiederaufbau der Stadt und des Bezirkes – eine beachtliche Leistung! Die Zweigorganisationen entstanden neu: Die Frauenorganisation in der Otto Bauer Gasse 9, die Freie Schule Kinderfreunde in der Mollardgasse 28, die Sozialistische Jugend am Loquaiplatz 11, der freie Wirtschaftsbund in der Otto Bauer Gasse 9, weitere Zweigorganisationen waren die Naturfreunde, die Mieter- vereinigung (Obmann Alfred Porges), die Vereinigung tschechischer Sozialisten sowie der Arbeiter Turn- und Sportverein.18

17 Meldeanschrift: Linke Wienzeile 128/3 von 25.6.1938 – 7.1.1949. Quelle: MA8, 30.12.2011 18 Rudolf Trifter: Mariahilfer Chronik. Wien 1995 25

BRUNO MAREK (1900 - 1991) Bruno Marek wurde im eher bürgerlichen Mariahilf als Sohn eines Schneidermeisters geboren, der sein Geschäft an der Mariahilfer Straße hatte. Der kaufmännische Angestellte trat 1918 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei und war ab 1924 Funktionär der Bezirksorganisation Mariahilf. Seit 1924 war er auch Angestellter der Wiener Messe AG und Redakteur einer Jagdzeitschrift. Nach dem 12. Februar 1934 war Marek vorübergehend inhaftiert und verlor seinen Posten bei der Messe. Als überzeugter Kriegsgegner und Antifaschist war Marek während des Krieges im Widerstand tätig. Nach Kriegsende Gemeinderat und von 1949 bis 1965 Landtagspräsident. Im Juni 1965 wurde Marek als Nachfolger von Franz Jonas Wiener Bürgermeister. Er war Präsident des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes und Ehrenbürger der Stadt Wien. Aus Altersgründen trat er Ende Dezember 1970, kurz vor seinem 71. Geburtstag zurück.

VIKTOR MATEJKA (1901 - 1993) Geboren am 4. Dezember 1901 im niederösterreichischen Korneuburg als Sohn eines Gerichtsdieners und eines Dienstmädchens wächst unter sieben Geschwistern in ärmlichen Verhältnissen auf. Von seinem Ministrantengeld bezahlt er die Gebühr für die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium, zu der er sich ohne Wissen der Eltern anmeldet. Die Reifeprüfung legt er mit Auszeichnung ab und studiert an der Wiener Universität Geschichte und Geographie. Aus einer katholisch-konservativen Studen- tenverbindung, der er auf Wunsch der from- men Mutter beigetreten war, wird er „cum infamia“ ausgeschlossen. Das Studium schließt er 1925 mit einer Promotion über das Völkerrecht ab. Nach dem Studium arbeitet Matejka an verschiedenen Zeit- schriften mit. In den „Berichten zur Kultur- und Zeitgeschichte“ veröffentlicht er, der

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Verehrer von Karl Kraus und überzeugte Pazifist, einen Aufsatz mit dem Titel „Zwischenspiel Hitler“, in dem er bereits 1932 vor einem künftigen Krieg warnt. Schon kurz nach seinem Erscheinen hatte er Hitlers „Mein Kampf“ gelesen und sah weit blickend die drohende Gefahr voraus. Nach dem Putsch und Dollfuß- Mord von 1934 wird Matejka „Bildungsreferent der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien“. Er schließt sich der „Weltvereinigung für den Frieden“ an. Nach dem „Anschluss“ Österreichs wird er durch eine Sekretärin bei der NSDAP denunziert, sofort verhaftet und mit dem „Prominententransport“ vom 1. April 1938 ins KZ Dachau gebracht. Dort erreicht ihn seine Dienstenthebung. In Dachau wird Matejka Häftlingsbibliothekar in der Lagerbibliothek. Hier ist er einerseits bestrebt, die Bildung seiner Mithäftlinge zu fördern, indem er Bücher in die Baracke mitnimmt und unter den Zimmergenossen verteilt. Andererseits gelingt es ihm, verbotene Bücher, wie „Die letzten Tage der Menschheit“ des verehrten Karl Kraus einzuschmuggeln. Von seiner Frau lässt er sich, als dies den Häftlingen erlaubt wird, verschiedene Zeitschriften schicken. Aus diesen verfertigt er die für ihn charakteristisch gewordenen „Pickbücher“, das heißt, er klebt Zeitschriftenaufsätze, die die Verlogenheit des NS-Regimes bloßstellen sollen, auf Buchseiten, die von befreundeten Häftlingen in der Buchbinderei des Lagers zu richtigen Büchern in Postkartengröße gebunden werden. Diese „Pickbücher“ werden dann nur an vertrauenswürdige Häftlinge verliehen. Am 7. Juli 1944 wird Matejka auf Betreiben seiner Frau, die einen in Berlin tätigen österreichischen SS-Mann mobilisiert, vorzeitig aus der KZ-Haft entlassen. Es gelingt ihm, Militäruntauglichkeit bescheinigt zu bekommen, und so erlebt er den Einmarsch der Roten Armee am 10. April 1945 in Wien. Erst 1945 tritt Matejka einer Partei bei, der KPÖ. Er unterwirft sich aber nie einer Parteidisziplin, kritisiert öffentlich Stalin, indem er ihn mit Hitler vergleicht, und versucht die Partei aus ideologischen Verkrustungen herauszuführen. Bereits am 20. April 1945 wird er Stadtrat für Kultur und Volksbildung. Für die KPÖ ist er als ehemaliger KZ-Häftling und in seiner neuen politischen Funktion ein Aushängeschild - auch das ein Grund dafür, dass er innerparteilich „Narrenfreiheit“ genießt. In seinem Stadtratsamt betreibt er sofort den Wiederaufbau des Wiener Kulturlebens unter der Devise: „Die Kultur eines Staates ist die Kultur der 24 Stunden des Tages.“ Doch auch um Kultur im traditionellen Sinne bemüht er sich, etwa beim Aufbau der Wiener Oper, der Rückholung prominenter Wiener Intellektueller aus dem Exil, wie den Maler Oskar Kokoschka, oder die Gründung des Wiener Kulturfonds. Daneben kehrt er zu seinen Ursprüngen zurück, indem er die Volkshochschule wieder aufbaut. Im Jahr 1949 legt er sein Amt als Stadtrat nieder, im Jahr 1957 zieht er sich auch aus dem Zentralkomitee der Wiener KPÖ zurück. Auch als Privatmann äußert er seine Meinung selbstbewusst und unabhängig. Hoch betagt stirbt er am 2.4.1993 in seiner Heimatstadt, die ihn mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet hat. Matejkas Lebensmotto „Widerstand ist alles“, so der Titel seiner Erinnerungen, ist bestimmend für ihn. Niemals lässt er sich ideologisch vereinnahmen. Er behält den aufrechten Gang und die unabhängige Meinung, im Alltag des Lagerlebens wie danach in der Politik der Nachkriegszeit. Bildung und Wissen ist für ihn nie eine Sache der Wenigen, Elitären, er versucht in seinem ganzen Leben, Bildung 27 zu vermitteln. Unter widrigsten Umständen ist ihm die im Konzentrationslager Dachau gelungen. Und so konnte er zu einem glaubhaften Vorbild der Nachkriegsgeneration werden. Werke: Widerstand ist alles, 1983; Anregung ist alles, 1991; Das Buch Nr. 3, 1993.

Literatur: F. R. Reiter (Hg.), Wer war V. M.?, 1994. Viktor Matejka wohnte viele Jahre lang in der Theobaldgasse. Die Stiege in der Eggerthgasse ist nach ihm benannt.

ALFRED PORGES (1902 - 1978)

Seine berufliche Laufbahn begann er als Parlamentsstenograph. 1919 kam Alfred Porges zur Sozialdemokratischen Partei und wurde später Sektionsleiter und Bezirks- vorstandsmitglied in Mariahilf. 1934 wurde Alfred Porges verhaftet und verlor Anstel- lung und Wohnung. Mit anderen Genossen hat er in den Jahren des Faschismus illegale Verbindungen aufgebaut war ständig Verfolgungen ausgesetzt. Ab 1945 über- nahm Porges wieder die Leitung einer Sektion und zahlreiche Beratungs- tätigkeiten im Rahmen der Bezirkorganisation Mariahilf, war Obmann der Mietervereinigung sowie Bezirksrat und Bezirksobmann. Später wurde er in den Nationalrat entsandt und zog dann in den Bundesrat ein. 1946 trat er als Pressereferent in die Wiener Messe AG ein, deren Vorstandsdirektor er 1966 wurde. Als Direktor der Wiener Messe AG wie auch als Wirtschaftsfachmann war Porges im In- und Ausland geschätzt. Besondere Verdienste erwarb er sich als Vizepräsident des Freien Wirtschaftsverbandes, seine Leistungen wurden durch hohe Auszeichnungen gewürdigt. Er wurde Ehrenbürger des Stadt Wien und erhielt auch die Victor-Adler-Plakette. Alfred Porges starb am 8. Oktober 1978. Gedenktafel am Alfred Porges Hof in der Gumpendorfer Straße 62

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JOHANN ROTHMÜLLER (1882 - 1965)

Nach Plänen von Johann Rothmüller wurde in den Jahren 1913/14 das Haus in der Mollardgasse 8 für die "Allgemeine Arbeiter-Kranken- und Unterstützungs- kasse" errichtet19.. Er war auch an der Planung der Feuerwache in Wien Gumpen- dorf beteiligt20. Rothmüller konzipierte für diesen Bau erste Großraumbüros – ein politisches Anliegen, da alle, die dort arbeiten gleich sein sollten. Die Räume, auch die Schlafräume für PatientInnen, sind dadurch ausgezeichnet, dass sie nach allen vier Himmelsrichtungen über Fenster und Licht verfügen. Alle Geschoße sind durch moderne Aktenaufzüge und Alamklingeln verbunden. Es finden sich Gemeinschafts- küchen, Wäschereien Wohn- räume und Schulugsräume. Bildquelle: BM Mariashilf

Weitere Bauten: 1914 Hauptfeuerwache Mariahilf 1922 Löwenkino, Wien 3, Löwengasse 33 (mit Alfred Mautner) 1924-26 Entbindungsheim Gersthof, Wien 18, Wielemansgasse 28 (mit Alfred Mautner, heute: Orthopädisches Krankenhaus d. Stadt Wien, teilweise verändert 1930 Gebietskrankenkasse, Wien 23, Dr.-Neumann-Gasse 9 (mit Leopold Schumm) weiters zahlreiche Wohnhausanlagen (u.a. Felleis-Hof, 1928; Goethe-Hof, 1930)

Text: Erich Dimitz

19 Heute u.a.: Bezirksmuseum Mariahilf 20 Lexikon der Sozialdemokrate. www.dasrotewien.at