Plenarprotokoll 14/43

Deutscher

Stenographischer Bericht

43. Sitzung

Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

I n h a l t :

Nachträgliche Glückwünsche zu den Ge- Dr. PDS...... 3572 D burtstagen der AbgeordnetenHeide Matti- scheck, und Hans- , Bundesminister BMVg...... 3574 D Christian Ströbele...... 3561 A CDU/CSU...... 3577 B Tagesordnungspunkt 1: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 3578 D Antrag der Bundesregierung Günther Friedrich Nolting F.D.P...... 3579 C Deutsche Beteiligung an einer interna- Dr. Christoph Zöpel SPD...... 3580 B tionalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Um- Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU...... 3581 C feldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung einer Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Erklärung nach § 31 GO)...... 3583 C Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Tagesordnungspunkt 3: Nationen vom 10. Juni 1999 (Druck- sache 14/1133) ...... 3561 B Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zum Skandal der dioxin- Tagesordnungspunkt 2: verseuchten belgischen Lebensmittel ..... 3587 A Beschlußempfehlung und Bericht des Karsten Schönfeld SPD ...... 3587 B Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Wolfgang Zöller CDU/CSU ...... 3588 A Deutsche Beteiligung an einer interna- Marita Sehn F.D.P...... 3589 A tionalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Um- Kersten Naumann PDS...... 3589 D feldes für die Flüchtlingsrückkehr und , Bundesministerin BMG...... 3591 A zur militärischen Absicherung einer Friedensregelung für das Kosovo auf Heidemarie Wright SPD...... 3592 B der Grundlage der Resolution 1244 CDU/CSU...... 3593 A (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 (Druck- Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 3594 B sachen 14/1133, 14/1136) ...... 3561 D Jella Teuchner SPD ...... 3595 A Joseph Fischer, Bundesminister AA...... 3562 A CDU/CSU...... 3596 A CDU/CSU ...... 3565 B Karl-Heinz Funke, Bundesminister BML...... 3596 D Dr. Peter Struck SPD ...... 3567 B Dr. F.D.P...... 3570 D Nächste Sitzung ...... 3598 C II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Anlage 1 Dr. BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ...... 3601 D Liste der entschuldigten Abgeordneten...... 3599 A Dr. , Dr. , (Pforzheim) und Harald Friese (alle SPD)...... 3602 A Anlage 2 Christel Deichmann und Götz-Peter Lohmann Erklärungen nach Erklärung nach § 31 GO (Neubrandenburg) (beide SPD)...... 3602 B zur Abstimmung über den Antrag der Bun- Christian Sterzing, (Augsburg), desregierung – Deutsche Beteiligung an einer , Hans-Josef Fell und internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo Winfried Nachtwei (alle BÜNDNIS 90/DIE zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes GRÜNEN)...... 3602 C für die Flüchtlingsrückkehr und zur militäri- schen Absicherung einer Friedensregelung für Detlev von Larcher SPD...... 3602 D das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Anlage 3 Nationen vom 10. Juni 1999 – (Tagesord- nungspunkt 2) Zu Protokoll gegebene Reden zur Aktuellen Stunde: Haltung der Bundesregierung zum Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU ...... 3600 C Skandal der dioxinverseuchten belgischen Annelie Buntenbach, Monika Knoche, Steffi Lebensmittel (Tagesordnungspunkt 3) Lemke, Irmingard Schewe-Gerigk, Christian Dr. Harald Kahl CDU/CSU ...... 3603 A Simmert und Sylvia Voß (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 3601 B Helga Kühn-Mengel SPD ...... 3603 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3561

(A) (C)

43. Sitzung

Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Beginn: 10.00 Uhr

Vizepräsident : Die Sitzung ist er- Ausschüsse vorgeschlagen wird. Sind Sie damit einver- öffnet. standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Zunächst möchte ich einigen Kollegen nachträglich jeweils zu ihrem 60. Geburtstag gratulieren. Die Kolle- Zu den Ausschußberatungen unterbreche ich jetzt die gin Heide Mattischeck feierte am 26. Mai ihrenSitzung – in meinem Sprechzettel steht: für voraussicht- 60. Geburtstag, lich eine Stunde. Aber nach dem, was ich aus den Frak- tionen höre, und angesichts der Tatsache, daß die betei- (Beifall) ligten Ausschüsse gestern sehr ausführlich diskutiert ha- der Kollege Bernd Schmidbauer am 29. Mai ben, denke ich, daß es mit den Ausschußberatungen un- ter Umständen schneller gehen wird. Darauf bitte ich (Beifall) sich einzurichten. Der Wiederbeginn der Sitzung wird und der Kollege Hans-Christian Ströbele am 7. Juni; rechtzeitig durch Klingelsignal und über die Hausrufan- lage angekündigt – Herr Bundeskanzler, bis ins Kanz- (B) ich spreche ihnen im Namen des Hauses die herzlichsten (D) Glückwünsche aus. leramt hinein. (Beifall) Die Sitzung ist unterbrochen. (Unterbrechung von 10.03 bis 11.21 Uhr) Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung Vizepräsident Rudolf Seiters: Liebe Kolleginnen Deutsche Beteiligung an einer internationalen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder er- Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährlei- öffnet. stung eines sicheren Umfeldes für die Flücht- lingsrückkehr und zur militärischen Absiche- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: rung einer Friedensregelung für das Kosovo Beratung der Beschlußempfehlung und des Be- auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen schuß) zu dem Antrag der Bundesregierung vom 10. Juni 1999 Deutsche Beteiligung an einer internationalen – Drucksache 14/1133 – Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährlei- Überweisungsvorschlag: stung eines sicheren Umfeldes für die Flücht- lingsrückkehr und zur militärischen Absiche- Auswärtiger Ausschuß (federführend) Rechtsausschuß rung einer Friedensregelung für das Kosovo Verteidigungsausschuß auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen lung vom 10. Juni 1999 Haushaltsausschuß – Drucksache 14/1133, 14/1136 – Sie wissen, daß eine Aussprache nicht jetzt, sondern erst nach Vorliegen der Ausschußbeschlußempfehlung Berichterstattung: zu dem Antrag der Bundesregierung vorgesehen ist. Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel Karl Lamers Ich weise darauf hin, daß interfraktionell die Über- Dr. Helmut Lippelt weisung des Antrags der Bundesregierung auf Drucksa- Ulrich Irmer che 14/1133 an die in der Tagesordnung aufgeführten Wolfgang Gehrcke 3562 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Vizepräsident Rudolf Seiters (A) Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprachenicht durchsetzen dürfen. Seine Rechnung, den Westen (C) über die Beschlußempfehlung namentlich abstimmenspalten zu können, ist nicht aufgegangen. Er ist heute werden. vor dem internationalen Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien angeklagt. Ich bin mir Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sicher, er wird dort auch zur Rechenschaft gezogen wer- die Aussprache zwei Stunden vorgesehen, wobei die den. Die erfolgreiche Durchsetzung der Prinzipien der Fraktion der F.D.P. 15 Minuten erhalten soll. – Ich höre europäischen Zivilisation gegen die Gewaltherrschaft keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. von Milosevic ist ein wichtiges Signal, daß in Europa Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bun- Menschen- und Minderheitenrechte nicht mehr ohne desminister des Auswärtigen, . Risiko verletzt werden können. Deswegen war der gest- rige Tag auch ein großer Tag für die Durchsetzung von Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen Gerechtigkeit in Europa. (vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und Her- und bei der SPD) ren! Gestern war für die betroffenen Menschen im Ko- sovo, in Mazedonien, in Albanien, aber auch in Serbien, Die Entwicklung zeigt, daß die Politik der Bundesre- für uns alle in ganz Europa ein sehr guter, ja ein histori- gierung, getragen von der überwiegenden Mehrheit des scher Tag. Die Waffen schweigen. Der Frieden im Ko- Bundestages, richtig war. UnsereDoppelstrategie be- sovo ist jetzt, nachdem dieVN-Sicherheitsratsresolu- stand zum einen im Vertrauen auf die militärische tion verabschiedet wurde, erreichbar; er ist in Sicht. Der Festigkeit im Wissen darum, daß Milosevic sich nicht Abzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo hat be- durchsetzen darf, weil es dabei nicht nur um eine huma- gonnen. Die NATO hat ihre Luftschläge nach elf Wo- nitäre Frage geht, sondern auch darum, in welchem chen ausgesetzt. Auf diesen Tag haben die Menschen im Europa wir in Zukunft leben wollen und werden, und Kosovo und in Serbien, haben wir alle lange gewartet. zum anderen im Setzen auf eine diplomatische und poli- tische Lösung. Dies haben wir konsequent durchgehal- Der Krieg wird aber erst dann wirklich zu Ende sein, ten. So haben wir letztlich gemeinsam mit unseren Frieden wird erst dann wirklich herrschen, wenn die Bündnispartnern das Blatt wenden können. letzten bewaffneten Einheiten abgezogen sind und die internationale Friedenstruppe im Kosovo steht. Doch mit Deutschland hat mit seiner Beteiligung an den der gestrigen Einigung besteht die berechtigte Hoffnung, NATO-Luftschlägen eine große Verantwortung über- daß die weit über eine Million Flüchtlinge und Vertrie- nommen, gerade auch für die beklagenswerten zivilen benen in ihre Heimat zurückkehren können. Opfer und auch – das möchte ich hier betonen – für die (B) Nun kann ein umfassender Friedensprozeß für denunschuldigen zivilen Opfer auf serbischer Seite. (D) Kosovo und parallel dazu und eng eingebettet darin der (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Stabilisierungsprozeß für die Gesamtregion beginnen, an SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) dessen Ende die Ankoppelung Südosteuropas – ich be- tone hier ganz bewußt: einschließlich eines demokrati- Doch wieviel schlimmer wären die Folgen gewesen, schen Serbiens – an das Europa der Integration stehen wenn wir weiter weggeschaut und den brutalen völki- muß. schen Vertreibungskrieg hingenommen hätten? Wären wir dem Rat von Ihnen, Herr Gysi, gefolgt, wäre nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nur das Morden und Vertreiben im Kosovo weiterge- und bei der SPD sowie der Abg. Angelika gangen, das ja lange vor dem NATO-Einsatz begonnen Volquartz [CDU/CSU]) hat, sondern die Stabilität der gesamten Region wäre Dieser Krieg hat nicht vor elf Wochen begonnen. In weiterhin massiv bedroht worden; mehr noch, die Herr- Wirklichkeit ist es der vierte Krieg im ehemaligen Jugo- schaft der Gewalt hätte sich in einem Teil Europas ge- slawien in nur acht Jahren, ausgelöst von derselbengen die Herrschaft des Rechts durchgesetzt. Das hätte Politik, ausgelöst von derselben Regierung, denselben dieses Europa der Integration auf Dauer nicht ausgehal- Verantwortlichen, an deren Spitze Milosevic steht. Wir ten. hoffen, daß dies der letzte Balkankrieg gewesen ist. Wenn es gelingt, diese Region an das Europa der Inte- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gration heran- und in das Europa der Integration hinein- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der zuführen, besteht die Chance, daß dies der letzte Krieg CDU/CSU und der F.D.P.) in Europa gewesen ist. Entscheidend für den Erfolg war die Geschlossenheit Meine Damen und Herren, dies war kein Krieg alsder Staatengemeinschaft. Niemand, zuallerletzt diese Mittel der Politik, sondern dies war ein Krieg, damit der Bundesregierung und auch nicht ihre Vorgängerregie- Krieg als Mittel der Politik in Europa dauerhaft zugun- rung, wollte es zu Gewalt kommen lassen. Für mich ist sten der Herrschaft des Rechts und des Gewaltverzichts Appeasement kein Schimpfwort. Solange es Möglich- der Vergangenheit angehört. keiten gibt, auf Gewalt zu verzichten und eine politische Lösung herbeizuführen, sollte man dieses unbedingt ver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ suchen. Doch nach drei Balkankriegen, nach langen DIE GRÜNEN) qualvollen Verhandlungen, nach Angeboten, die im In- Milosevic hat sich mit seiner verbrecherischen Politik teresse Serbiens und Jugoslawiens lagen, aber abgelehnt des ethnischen Krieges nicht durchsetzen können undwurden, nachdem mit nichtmilitärischen Mitteln alles Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3563

Bundesminister Joseph Fischer (A) erfolglos versucht wurde, mußten wir diesmal defini-ist, daß Rußland eine konstruktive Rolle in den Verein- (C) tiv militärischen Widerstand leisten. Dies haben wir ge- ten Nationen sucht. Damit trägt es wesentlich zur Ge- tan. staltung nicht nur des europäischen, sondern auch des Weltfriedens bei. Die westlichen Staaten haben dies durchgehalten – trotz erheblicher innerer Schwierigkeiten, gerade auch Ich möchte ganz besonders die nicht nur militärische, bei uns. Es war eine der großen Fehlkalkulationen von sondern auch diplomatische Schlüsselrolle unseres Herrn Milosevic, darauf zu vertrauen, daß die NATOwichtigsten Bündnispartners, der USA, betonen. In die- nicht zusammenhalten würde. Deshalb möchte ich mich sem Zusammenhang nenne ich Madeleine Albright, namens der Bundesregierung bei der großen Mehrheit Strobe Talbott und ganz besonders Präsident Clinton, des Bundestages, Herr Präsident, für die volle Unterstüt- der mit seinem persönlichen Einsatz in den entscheiden- zung in dieser schwierigen Zeit, die uns fraktionsüber- den Phasen gemeinsam mit dem Bundeskanzler und mit greifend zuteil wurde, recht herzlich bedanken. Boris Jelzin dazu beigetragen hat, daß dieser Prozeß vorangegangen ist. Wir sind also den USA ebenfalls zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tiefem Dank verpflichtet. Ich denke, es ist klargeworden, und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der daß in diesem Konflikt die Kooperation zwischen Euro- CDU/CSU) pa, Rußland und den USA letztendlich dazu beigetragen Der Durchbruch wurde erreicht durch die erfolgreiche hat, daß sich diese Politik der ethnischen Kriegsführung, Mission des Sonderbeauftragten von Präsident Jelzin,die, historisch gesehen, die Politik einer blutigen Ver- Viktor Tschernomyrdin, und des finnischen Präsiden- gangenheit Europas ist, auf dem Balkan nicht durchset- ten Ahtisaari und durch die anschließende Einigung der zen konnte. G-8-Außenminister auf dem Petersberg in Bonn auf den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf für eine Sicherheitsratsresolution. Diese Eini- bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) gung war möglich, weil sich Europäer, Amerikaner und Russen trotz extrem unterschiedlicher innenpolitischer Die Bundesregierung hat ihre Doppelpräsidentschaft, und historischer Voraussetzungen auf eine Position für also die G-8-Präsidentschaft und die EU-Ratspräsident- eine dauerhafte europäische Sicherheit und Stabilität ge- schaft, dazu genutzt, unseren Beitrag zu leisten, um einigt haben und sich für eine gemeinsame Vorgehens- nicht nur die Politik der ethnischen Säuberungen mit weise entschieden haben. Dies ist ein großer, zukunfts- militärischen Mitteln zum Scheitern zu bringen, sondern weisender, ein vielleicht historischer Erfolg der Diplo- auch den Durchbruch für eine politische Lösung zu er- matie gewesen. Wir sollten über den Anlaß und über den reichen. Tag hinaus an diesem Erfolg festhalten, die daraus re- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sultierenden Ergebnisse fortentwickeln und die europäi- und bei der SPD) (B) sche Sicherheit in diesem Dreieck fest verankern. (D) Ich habe es vorhin schon gesagt: Wir haben von An- Aber auch die geschlossene Haltung derEuropäi- fang an auf diese doppelte Vorgehensweise gesetzt. Wir schen Union gilt es zu erwähnen, gerade im Vergleich haben die fünf Punkte und einen Friedensplan entwik- zu ihrer Haltung zu Beginn der jugoslawischen Tragödie kelt, mit dem die fünf Punkte umgesetzt werden sollen. 1991/92. Dieser Vergleich zeigt: Die Europäische Union Wir haben von Anfang an darauf Wert gelegt, daß die ist heute politisch wesentlich näher zusammengerücktEuropäische Union unter Einschluß der neutralen Län- und handlungsfähiger geworden. Sie hat diesen Kon-der in diesen Prozeß integriert wird. Das war die Aufga- flikt, diesen Krieg auch als Gestaltungschance begriffen, be unserer Ratspräsidentschaft. Es war eine bewußte um das Gewicht und die Handlungsfähigkeit Europas zu politische Entscheidung, daß im Rahmen des Ram- stärken. Deswegen geht unser besonderer Dank an Prä- bouillet-Prozesses die beiden ,,alten Nationen“, Frank- sident Ahtisaari, dessen Einsatz den Durchbruch in Bel- reich und Großbritannien, auf Grund ihrer historischen grad erst möglich gemacht hat. Beziehungen zu Belgrad – im Gegensatz zu unserer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, historisch belasteten Beziehung – in der ersten Reihe bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) versuchen sollten, eine entsprechende Vereinbarung mit Milosevic zu erreichen. Ich möchte aber auch ganz besonders und anerken- nend die Haltung Rußlands hervorheben. Unsere Aufgabe im Rahmen der Ratspräsidentschaft haben wir dahin gehend definiert, andere Länder in die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sen Prozeß zu integrieren. Für mich ist dies einer der bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) wichtigen Punkte über den Tag hinaus: Bevor die Mein Dank geht an Präsident Jelzin für sein persönliches NATO die fünf Punkte beschlossen hatte, hatten die Engagement und ganz besonders an Viktor Tscher-Staats- und Regierungschefs auf dem Sondergipfel in nomyrdin, seinen Sonderbeauftragten, aber auch anBerlin und davor der Allgemeine Rat der Europäi- meinen russischen Kollegen Igor Iwanow. schen Union unter Einschluß der neutralen Mitglieder diese fünf Punkte beschlossen. Das ist für mich ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wichtiger Schritt bei der Ausgestaltung des politischen bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) Subjekts der Europäischen Union in diesem Prozeß ge- wesen. Der Konflikt zeigt, wie wichtig es ist, daß Rußland Ver- antwortung für Frieden in Europa übernimmt und sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN konstruktiv verhält. Er zeigt außerdem, wie wichtig es und bei der SPD) 3564 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Bundesminister Joseph Fischer (A) Wir haben parallel dazu von Anfang an darauf ge-Ich meine das nicht nur kritisch in eine bestimmte(C) setzt, eine dauerhafte, langfristige, konfliktpräventiveRichtung: Hätte Rußland schon damals bedacht, welche Lösung durch das Heranführen dieser Region, der Bal- Konsequenzen sein Verhalten haben würde, wären wir kanregion, Südosteuropas, an das Europa der Integration vermutlich schneller weitergekommen. Das ist ebenfalls zu bewerkstelligen. Gestern ist es in Köln gelungen, den eine Überlegung, die man nicht vergessen darf. Stabilitätspakt zu verabschieden. Wir müssen ihn jetzt Nichtsdestoweniger sind wir heute so weit. Es geht mit Leben erfüllen. jetzt um die Umsetzung dieserSicherheitsratsresolu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tion. Den Rückzug aller militärischen, paramilitärischen und bei der SPD sowie bei Abg. der CDU/ und Polizeikräfte aus dem Kosovo bei gleichzeitigem CSU) Einsatz einer internationalen Friedenstruppe haben wir immer als die Voraussetzung dafür begriffen, den Kern Wir waren von Anfang an militärisch voll engagiert. der fünf Punkte, für die wir gekämpft und auf die wir Auf allen Ebenen haben wir uns militärisch beteiligt. Es uns verpflichtet haben, umzusetzen. Der Kern der fünf war geplant, daß wir uns an der Umsetzung des Ram-Punkte war die Rückkehr aller Vertriebenen, Deportier- bouillet-Abkommens beteiligen. Wir haben uns beteiligt, ten und Flüchtlinge. Dafür haben wir gekämpft, und das als es darum ging, Militäraktionen gegen Milosevichaben wir durchgesetzt. Dies soll im Auftrag des Deut- durchzuführen. Wir werden uns jetzt, so der Bundestag schen Bundestages, wenn Sie dies beschließen, die Bun- zustimmt, ebenfalls an der Um- und Durchsetzung des deswehr jetzt gemeinsam mit unseren Verbündeten, mit Waffenstillstandes und der Erreichung des Friedens be- Neutralen und auch unter Teilnahme Rußlands auf der teiligen. Grundlage einer Kapitel-VII-Resolution im Kosovo um- Ich möchte hier klar und deutlich aussprechen, daßsetzen. wir immer die politischen Möglichkeiten gesucht haben, Die Stationierung dieser „internationalen Sicherheits- daß wir versucht haben, sie zu nutzen. Aber dies ging nur präsenz“ ist das eine, die „zivile Sicherheitspräsenz“ ist auf der klaren Grundlage verläßlicher Positionierung im das andere, das wir mit aufbauen müssen. Wir befinden Bündnis und der Solidarität in den Militäraktionen, die uns hier im engsten Kontakt mit unseren Verbündeten. das Bündnis gegen die verbrecherische Politik Milose- Auf dem G-8-Treffen gab es dazu eine erste wichtige vics vorgenommen hat. Nur die Verbindung von beidem Orientierungsdiskussion. Die letzten Entscheidungen hat den Erfolg gebracht, nur die Verbindung von beidem muß der VN-Generalsekretär in Abstimmung mit den hat eine aktive Rolle Deutschlands zugelassen. IchVertretern der Unterorganisationen der UNO treffen. denke, es ist wichtig, dies für die Zukunft festzuhalten. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß die Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deswehr vor einem gefährlichen Einsatz steht. Das be- (B) und bei der SPD) trifft nicht nur die Bundeswehr, sondern auch unsere(D) Meine Damen und Herren, unsere Soldaten werden, Verbündeten. Das Risiko tragen alle gemeinsam. Das ist wenn der Bundestag zustimmt, den in den ersten Stun- das Wesen dieses Einsatzes. Alle beteiligten Soldaten, den und Tagen – ich hoffe, nicht Wochen – wohl ge-die am Boden eingesetzt werden, sehen einem sehr ge- fährlichsten Einsatz ausführen, den dieBundeswehr in fährlichen Einsatz entgegen. Wir wünschen allen eine ihrer Geschichte zu bewältigen hatte. gesunde Wiederkehr. (Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!) Aber die Voraussetzung für Frieden ist, daß die Völ- kergemeinschaft im Kosovo präsent ist und damit die Wir hatten hier immer eine breite Unterstützung für Abwesenheit von Gewalt – das ist die erste Vorausset- die Politik der Bundesregierung. Das war wichtig für die zung – sichert. Das Ziel ist eine zivile Implementierung Piloten, die im Einsatz waren. Ich denke, genauso wich- in Verbindung mit der Rückkehr der Vertriebenen und tig ist es, daß wir diesem hochgefährlichen Friedensein- Flüchtlinge in ein multiethnisches Kosovo innerhalb der satz – es ist ein Friedenseinsatz; es ist die UmsetzungGrenzen der Bundesrepublik Jugoslawien, damit dann einer Kapitel-VII-Resolution – als deutscher Gesetzge- hoffentlich eine Demokratisierung der gesamten Region ber mit breiter Mehrheit zustimmen. Ich möchte namens erreicht werden kann. Die Demokratiefrage ist die ent- der Bundesregierung nicht nur allen Soldaten für dasscheidende Frage, die wir Milosevic und allen Nationa- danken, was sie geleistet haben, sondern auch die Hoff- listen entgegenhalten müssen. nung aussprechen, daß alle gesund von diesem Einsatz zurückkehren mögen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU/CSU und der F.D.P.) bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) Die Herrschaft des Rechts gründet auf der freien Ent- Meine Damen und Herren, wir haben lange um diescheidung des Volkes. Das istDemokratie. Aber die Sicherheitsratsresolution gekämpft. Über den Tag hinaus freie Entscheidung des Volkes ist nicht dazu da, neue wird diese Sicherheitsratsresolution von Bedeutung sein. Willkür zu schaffen – das wäre ein Mißverständnis der Ich erinnere an den Oktober: Wie sehr hätten wir uns da Demokratie –, sondern dazu, die Herrschaft des Rechts – fraktionsübergreifend – eine Sicherheitsratsresolution zu sichern. Hierin bestand der Bruch in der europäischen gewünscht! Damals ging es noch um neue NATO-Geschichte nach 1945, und dies war die Grundlage für Diskussionen. Damals ging es noch um die Illusion, es die weitere Entwicklung. In diesem Jahrhundert wurden ginge ohne den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. zwei Weltkriege von Europa ausgelöst, vor allem der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3565

Bundesminister Joseph Fischer (A) zweite von unserem Land. Diese Kriege haben eineEs fällt mir nicht schwer, das anzuerkennen. Der Bun-(C) furchtbare Verheerung mit sich gebracht und habendeskanzler hat am Dienstag die Mitwirkung der Opposi- letztendlich dazu geführt, daß der europäische Eini-tion anerkannt. Damit, meine Damen und Herren, sollten gungsgedanke, die Herrschaft des Rechts und das Stre- wir es aber auch mit dem Selbstlob bewenden lassen und ben nach Überwindung der Grenzen in Verbindung mit hinzufügen, daß andere einen mindestens so großen Kooperation und schließlich Integration gesiegt haben. Anteil an diesem Ergebnis haben: der Finne Ahtisaari, Das war die Antwort der Europäer auf die historischeder Russe Tschernomyrdin, der russische Präsident Jel- Herausforderung nach den Weltkriegen. zin, alle anderen NATO-Partner und vorab die USA. Wenn wir heute darüber klagen, wie schwierig die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- Sicherung des Friedens in Jugoslawien und wie teuer sie wie bei Abgeordneten der SPD und des sein wird, dann sollten wir auf die Zeit nach 1945 in Eu- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ropa zurückblicken. Eine Kollegin hat beim G-8-Treffen Es wäre nicht nur unklug, es wäre auch ungerecht, ihnen darauf hingewiesen, wie Köln vor 50 Jahren aussah und wie es heute aussieht. Angesichts dessen ist die Aufga- den Part des Hauptkriegsführers und den Europäern den des Friedensbringers zuzuweisen. Sie, Herr Außenmini- be, die jetzt vor uns liegt, eine geringere Aufgabe als die ster, haben das heute gottlob nicht getan. damalige. Wir müssen uns ihr stellen, damit gerade auch Deutschland als eines der entscheidenden Länder in Meine Damen und Herren, wir stimmen dem Antrag der Europäischen Union seiner Verantwortung gerecht der Bundesregierung zu, wenn auch nicht ohne große wird. Sorgen und nicht ohne Bedenken. Wir werden zustim- Wir müssen in Jugoslawien nicht nur das Ende dermen, weil die Anwesenheit einer internationalen Sicher- heitspräsenz die Voraussetzung für die Rückkehr der Gewalt herbeiführen, dort nicht nur den Frieden gemein- Vertriebenen ist. Diese wiederum ist eine Voraussetzung sam mit unseren Verbündeten und den internationalen Organisationen schaffen, sondern diese Region auch– keineswegs die einzige – für einen wirklichen Frieden. Voraussetzung für das Funktionieren der Schutztruppe dauerhaft nach Europa führen. Das ist unsere Verant- sind der NATO-Kern und die NATO-Kommandostruk- wortung. tur, weil nur sie das Vertrauen der Vertriebenen begrün- Ich bedanke mich. den können. (Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE Wir glauben, daß diese Voraussetzung hinreichend GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abge- sicher ist; ganz ist sie es offensichtlich nicht. Wir hoffen ordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Abg. sehr, daß eine Regelung mitRußland gefunden wird Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE und daß sich die Meldung, die mir der Kollege Paul (B) GRÜNEN] und Abg. Albert Schmidt [Hitzho- Breuer gerade überreicht hat, nicht bestätigt. (D) fen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] überrei- Ich habe hier eine Agenturmeldung von „AFP“ von chen Bundesminister Joseph Fischer jeweils 11.11 Uhr vorliegen, in der es heißt: Nach Angaben der einen Blumenstrauß – Bundesminister Fischer unabhängigen jugoslawischen Nachrichtenagentur „Be- reicht je einen Strauß an Bundeskanzler Ger- ta“ sind am Freitag die ersten russischen Einheiten der hard Schröder und Bundesminister Rudolf künftigen internationalen Kosovo-Friedenstruppe in Ju- Scharping weiter) goslawien einmarschiert. Laut „Beta“ überschritt ein Kontingent, von Bosnien Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich gebe das Wort kommend, die Grenze; den genauen Ort nannte die für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem KollegenAgentur nicht. Die Moskauer Verhandlungen zwischen Karl Lamers. –- den USA und Rußland über die Modalitäten der russi- schen KFOR-Beteiligung wurden unterdessen auf unbe- Karl Lamers (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte stimmte Zeit unterbrochen. Dies meldete die russische Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind heute erleich- Nachrichtenagentur „Interfax“ unter Berufung auf den tert, weil Mord und Vertreibung nun ein Ende haben,russischen Delegationsleiter General Leonid Iwaschow. auch weil die schwere Last der Verantwortung für dieIwaschow hatte zuvor angekündigt, Rußland werde Opfer und die Zerstörungen durch die NATO-möglicherweise einen eigenen Sektor im Kosovo ohne Bombardierungen von uns genommen worden ist undAbstimmung mit den USA errichten. weil die NATO-Aktion letztlich erfolgreich war. Sie Die Sorgen, die wir in den vergangenen Tagen geäu- war nur deshalb erfolgreich, weil die NATO ihren Zu- ßert haben, scheinen sich als nicht unbegründet zu er- sammenhalt gewahrt hat. weisen. Ich hoffe zu Gott, daß diese Meldungen im Kern (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der nicht zutreffen; denn sonst war vieles von dem, was Sie, F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND- Herr Minister, gerade gesagt haben, vielleicht übereilt. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden zustimmen, weil sich Deutschland natür- lich an der internationalen Schutztruppe beteiligen muß. An dem jetzt erzielten Ergebnis hat die Bundesregie- Wir glauben, daß der von der Bundesregierung bean- rung tatkräftig mitgewirkt. tragte Umfang angemessen ist. Die Zustimmung – das (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des will ich sagen – wird uns durch den Umstand sehr er- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) leichtert, daß diese Aktion nun unter dem Dach der Ver- 3566 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Karl Lamers (A) einten Nationen stattfindet und damit eine Wunde ge-faire Ordnung ist, die auch den Serben die Chance gibt, (C) heilt wird, die uns alle beschwert hat. die heute weniger denn je gelöste nationale Frage zu be- antworten. Im Vordergrund unserer Sorgen steht die um das Le- ben der Soldaten. Sicher, der Abzug der serbischen Nur wenn das geschieht, werden sie ihre Augen oder Streitkräfte scheint hinreichend kontrollierbar, die Vor- – besser noch – ihre Herzen für die Verbrechen öffnen kehrungen, die die NATO getroffen hat, scheinen um- können, die von vielen ihrer Landsleute begangen wor- sichtig zu sein. Aber serbische Freischärler sind natür- den sind. Nur wenn das geschieht, werden sie sich von lich nicht auszuschließen, obwohl eine solche Gefähr- ihrer Verstocktheit befreien und der Propaganda von dung kurzfristig – ich betone: kurzfristig – eher unwahr- Milosevic widerstehen können, die jetzt gefundene Re- scheinlich ist. Von der ansässigen serbischen Bevölke- gelung als einen Sieg zu verkaufen. Nur wenn das ge- rung wird ja bestimmt kaum jemand im Kosovo bleiben. schieht, werden sie für die schreckliche Wahrheit frei werden können, daß wegen der verbrecherischen Politik Von den Waffen der UCK geht, wiederum kurzfristig von Milosevic Serbien alle vier Etappen des 1990 be- gesehen, dann eine Gefahr aus, wenn von serbischengonnenen Krieges verloren hat, zuletzt eben auch die Waffen eine Gefahr ausgeht, wenn es also zu Zusam-Schlacht um den Kosovo. menstößen kommt und die NATO-Soldaten dazwi- schengehen müssen. Mittelfristig besteht eine andere Sie haben sie nicht zuletzt deswegen verloren, weil Form der Gefährdung, weil die NATO-Vorstellungennach aller Wahrscheinlichkeit mehr oder minder alle von der endgültigen politischen Lösung im Kosovo von Serben den Kosovo verlassen werden. Der Verteidi- denen der UCK abweichen. Ihre Entwaffnung ist alsogungsminister hat uns im Ausschuß gesagt, daß 100 000 unbedingt notwendig; aber – machen wir uns nichts vor von etwa 200 000 dort lebenden Serben schon vor Tagen – sie wird ganz ungewöhnlich schwierig sein. Die be-den Kosovo verlassen haben. Inzwischen werden es rechtigte Sorge der NATO wegen der Waffen der UCK mehr sein, und mit dem Einzug der NATO und der wirft übrigens ein bezeichnendes Licht auf unser Ver- Rückkehr der Flüchtlinge wird kaum einer zurückblei- hältnis zu ihr und zu ihren Landsleuten, die die UCK be- ben. Natürlich, die NATO wird auch ihnen Schutz ge- schützen will und derentwegen wir in den Krieg gezo- währen wollen. Doch die Furcht vor Rache wird sicher- gen sind. lich alle flüchten lassen, und die Geflüchteten werden kaum zurückkehren – höchstens dorthin, wo eine gewis- Leider kann es nicht zweifelhaft sein – wir alle sagen se serbische Sicherheitspräsenz vorgesehen ist. Das kann es –: Dieser Einsatz der Bundeswehr ist ohne jeden ja nicht in großer Zahl der Fall sein. Sie würden mehr- Zweifel nicht nur der gefährlichste von den bisher be-heitlich doch nur zurückkommen, wenn sich die serbi- schlossenen, sondern er ist auch absolut gesehen gefähr- sche Herrschaft generell wieder durchsetzen würde. Das lich. Gefährlich heißt, daß wir mit Opfern aus den eige- (B) aber werden die albanischen Kosovaren mit allen Mit-(D) nen Reihen rechnen müssen. Für meine Fraktion möchte teln verhindern wollen – und mit ihnen die NATO. ich den Soldaten sagen: Unsere Gedanken begleiten Sie. Doch wir können mehr tun: Wir können alle Vorkeh- Die Beschwörung, der Kosovo werde Teil der Bun- rungen treffen, damit es keine Opfer gibt. Vor allendesrepublik Jugoslawien bleiben, ist, so fürchte ich, Dingen müssen wir für politische Rahmenbedingungen nicht mehr als ein durchsichtiger Firnis. Denn was nutzt sorgen, die eine Gefährdung so gering wie möglich ma- diese Souveränität, wenn sie jetzt und in absehbarer Zu- chen. Mit anderen Worten, wir müssen dafür sorgen, daß kunft mit keinerlei realer Herrschaftsausübung verbun- im Kosovo und in der ganzen Region wirklich Frieden den ist? Ist nicht ein multi-ethnischer Kosovo eine schö- einkehrt. Wenn jetzt so oft von Friedensplänen die Rede ne Wunschvorstellung, und nähert sich nicht die Souve- gewesen ist, dann habe ich das nicht verstanden. Auch ränität der Bundesrepublik Jugoslawien für den Kosovo das, was jetzt erzielt wurde, ist kein Frieden; vielmehr einer Fiktion? ist es die Chance für den Beginn eines langwierigen und Natürlich kann man sagen, die Serben hätten sich das ungewöhnlich schwierigen Friedensprozesses. alles selber zuzuschreiben. Aber ist das eine angemesse- Dieser wird ganz entscheidend von unseren Vorstel- ne Sichtweise? Ist das vor allen Dingen eine für uns lungen von der endgültigen Ordnung in der Region ge- Deutsche angemessene Sichtweise? Erinnern wir uns prägt sein. Es ist ohne jeden Zweifel richtig, wenn wir nicht, welche fatalen, ja wirklich schicksalhaften Folgen alle sagen: Frieden kann nur sein, wenn allenthalben,Versailles für die politische Stabilität und für die Demo- vorab aber bei dem größten Volk, dem serbischen, ein kratie in Deutschland hatte? Erinnern wir uns nicht, wie anderer, das heißt ein demokratischer Geist einkehrt, der ganz anders die Entwicklung in Deutschland nach 1945 das Gegenteil dieses ungezügelten und in gefährlichen ausgesehen hatte, nachdem dank der Weisheit einiger Mythen wurzelnden Nationalismus ist. Europäer und dank der Weitsicht und des Drucks der Vereinigten Staaten jedenfalls dem freien Teil Deutsch- Ein demokratischer Geist ist das Gegenteil von dem lands die unerhoffte Chance gegeben wurde, sich wieder Gefühl, das ganz offensichtlich im serbischen Volk vor- sehr schnell in den Kreis der demokratischen Völker herrscht: immer das Opfer zu sein. Es handelt sich um einzugliedern? ein Gefühl, das ganz gewiß auch jetzt wieder durch die NATO-Aktion verstärkt worden ist. Deswegen wird es Bitte entgegnen Sie mir jetzt nicht: Wir haben diese darauf ankommen, der – ich bin ganz sicher – überwäl- Perspektive im Stabilitätspakt für Serbien vorgesehen. tigenden Mehrheit des serbischen Volkes das Gefühl zu – Gewiß, wir unterstützen ihn mit allem Nachdruck. geben, daß die Friedensordnung, die wir anbieten, eine Aber wir wissen sehr genau, daß die Akzeptanz der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3567

Karl Lamers (A) Friedensordnung, die wir anbieten, wiederum die ent- Um auf die Meldungen einzugehen, die Sie, Herr(C) scheidende Voraussetzung für die Wirksamkeit vonKollege Lamers, gerade zitiert haben: Nach meiner In- wirtschaftlicher Hilfe ist. Wirtschaftliche Hilfe ihrerseits formation handelt es sich um ein Vorauskommando. ist natürlich wiederum eine wesentliche politische Vor- Dies ist mit den KFOR-Truppen abgestimmt worden aussetzung für eine stabile demokratische Entwicklung. und erfolgt in Zusammenarbeit mit und unter Zustim- Wie soll diese Entwicklung möglich sein, wenn jetzt in mung der NATO. Serbien zu den 250 000 serbischen Flüchtlingen aus der Krajina weitere 200 000 Flüchtlinge aus dem Kosovo Dies war eine Woche der gemischten Gefühle: zwi- hinzukommen? Wie soll da eine positive wirtschaftliche, schen Jubel und Schreck, zwischen zermürbendem soziale und politische Entwicklung stattfinden? Warten und Erleichterung. Von dem Kölner Gipfel und der Freude wegen der frohen Botschaft des finnischen (V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer) Präsidenten Ahtisaari bis zur gestrigen Resolution des Weltsicherheitsrates war ein gewaltiger diplomatischer Meine Damen und Herren, der außenpolitische Bera- Kraftakt nötig. Er hat endlich die Chance zum Frieden ter des Bundeskanzlers hat gestern in einem Interview gebracht. Und die Weltgemeinschaft hat Milosevic in mit dem „General-Anzeiger“ gesagt, daß der Westenseine Schranken verwiesen. eine Teilung des Kosovo ablehnt. – Das hat er richti- gerweise festgestellt. Er hat hinzugefügt: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wenn Sie teilen, plädieren Sie für ein nicht lebens- fähiges Gebilde, das am Tropf Europas hängt. Natürlich ist das Grund zum Aufatmen, zur Freude und zur Erleichterung. Deshalb ist allen zu danken, die Das wird es aber so oder so. An welchem Tropf soll der an dieser Anstrengung beteiligt waren, insbesondere Kosovo sonst hängen? Etwa am Tropf Serbiens, obwohl dem finnischen Präsidenten, Ahtisaari, dem Sonderbe- Serbien dort keinerlei Herrschaft mehr ausübt? auftragten des russischen Präsidenten, Viktor Tscherno- Die Bemerkung des außenpolitischen Beraters offen- myrdin, und dem stellvertretenden amerikanischen Au- bart ungewollt, so fürchte ich, das Fehlen einer Vorstel- ßenminister Strobe Talbott. lung von einer zukünftigen Ordnung nicht nur im Koso- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ vo, sondern auch auf dem ganzen Balkan. Wir werden DIE GRÜNEN) nicht aufhören – ich habe das hier schon vor einiger Zeit gesagt –, auf eine solche realistische Vorstellung vonUnser Dank gilt aber auch der Bundesregierung, die ihre einer endgültigen Ordnung im Kosovo und auf demEU-Ratspräsidentschaft erfolgreich zur Vorbereitung Balkan zu drängen. Denn sie ist die entscheidende Vor- dieser politischen Lösung genutzt hat. aussetzung für das Gelingen des Friedensprozesses, der (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) jetzt, wie ich schon sagte, gerade erst beginnen kann. DIE GRÜNEN) Unbeschadet der schweren Fehler, die in diesem Kon- Natürlich danken wir der Bundeswehr, allen unseren flikt auch von seiten der NATO gemacht worden sind, Soldaten, die mit ihrem schwierigen Einsatz zum Auf- sind wir unverändert der Meinung, daß wir handeln geben des Diktators beigetragen haben. Ich habe ge- mußten. Ich sage das auch angesichts der außerordent- meinsam mit einigen Kollegen meiner Fraktion vor zwei lich hohen Kosten und des hohen Preises, den wir alle Wochen in Mazedonien und Albanien die hervorragende dafür haben zahlen müssen. Aber nur die endgültige Bi- Arbeit der Bundeswehr auch im humanitären Bereich lanz wird Auskunft geben über das Plus und Minus, kennen und schätzen gelernt. Ich spreche den Soldaten auch über das moralische. Sie wird auch den Maßstab auch hier meinen Dank dafür aus. dafür bilden, ob unsere heutige Entscheidung, junge Deutsche, mit ihnen aber auch Franzosen, Briten, Nie- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS derländer, Amerikaner und Russen einem hohen Risiko 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten auszusetzen, richtig gewesen sein wird. der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Die gestrige Sicherheitsratsresolution bietet eine trag- fähige Grundlage für die Schaffung eines befriedeten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- Kosovo. Sie ist kein verwässerter Kompromiß. Nein, sie wie bei Abgeordneten der SPD) beinhaltet als prägenden Kern die von der NATO aufge- stellten Prinzipien für einen Friedensschluß. Diese Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Prinzipien sind: jetzt der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Peter Struck. Erstens. Beendigung der serbischen Gewalt im Koso- vo. Dr. Peter Struck (SPD): Frau Präsidentin! Meine Zweitens. Sofortiger und nachprüfbarer Rückzug aller Damen und Herren! Wir alle haben mit großer Erleichte- jugoslawischen militärischen, paramilitärischen und poli- rung und Freude die Entscheidungen in New York und zeilichen Kräfte. in Kumanovo aufgenommen. Endlich sind die Bedin- gungen für den Frieden gegeben. Wir haben dieseDrittens. Stationierung einer internationalen Sicher- Grundlage einer politischen Lösung des Kosovo-heitstruppe mit substantieller NATO-Beteiligung im Ko- Konfliktes in den letzten Tagen sehr herbeigewünscht. sovo. 3568 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Dr. Peter Struck (A) Viertens. Freie und sichere Rückkehr der kosovo-Wenn Sie sich am letzten Donnerstag noch nicht über(C) albanischen Vertriebenen in ihre Dörfer und Häuser. den von Ahtisaari ausgehandelten Friedensplan freuen wollten, dann freuen Sie sich doch wenigstens heute Fünftens. Abschluß eines politischen Rahmenab- endlich mit uns und der ganzen westlichen Staatenge- kommens, das Autonomie und Selbstregierung der Ko- meinschaft! sovo-Albaner im Rahmen Jugoslawiens gewährleistet. Ich habe diese Prinzipien noch einmal ausdrücklich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) genannt, um deutlich zu machen, daß die NATO ihren gesteckten Zielen treu geblieben ist. Es war von Anfang Sagen Sie nicht nur, Sie hätten das Vorgehen der Bun- an Kern aller Bemühungen, die Vertreibungen und Mas- desregierung ja mitgetragen. Geben Sie sich einen Ruck saker der serbischen Soldateska zu unterbinden. Dieund sagen Sie endlich: „Gute Arbeit, Herr Bundeskanz- NATO wollte den Kosovaren ein Leben in Freiheit und ler!“, wie der finnische Präsident die Arbeit von Gerhard Sicherheit ermöglichen. Dieses Ziel ist in greifbare Nähe Schröder gewürdigt hat. gerückt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Sagen Sie doch einfach: „Gute Arbeit, Herr Außenmi- Ohne die Festigkeit und Einheit der NATO, ohne ihren nister“, wie es die amerikanische Außenministerin leider notwendigen militärischen Druck hätte es diesen Albright am Ende der Verhandlungen zu Joschka Fi- Erfolg nicht gegeben. scher gesagt hat. Wir sollten aber auch Präsident Jelzin und der russi- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schen Regierung unsere Anerkennung aussprechen. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Und sagen Sie: „Alle Achtung, Herr Verteidigungsmi- nister, für Ihre Umsicht und Ihr Engagement in den Sie haben unter schwierigen innenpolitischen Bedingun- letzten Monaten!“, wie Rudolf Scharping international gen wesentlich zu dem politischen Erfolg der Vermitt- gelobt worden ist. lungsbemühungen beigetragen. Einen bedeutenden Anteil daran hat natürlich auch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die Bundesregierung. Nicht im Gegensatz zu den DIE GRÜNEN) NATO-Militäraktionen, sondern auf deren Grundlage Wenn Sie sich – es scheint ja so zu sein – dazu nicht entfalteten ihre diplomatischen Initiativen Wirkung. Ich (B) hergeben können, dann sagen Sie doch, was Sie wirklich (D) nenne noch einmal die wichtigsten Initiativen: umtreibt. Sie hatten erwartet, daß Rotgrün an dieser Erstens ist das der Kosovo-Friedensplan der Bundes- Aufgabe zerbricht. Aber die Koalition hat gestanden und regierung von Anfang April. Er wurde zum Kern dessich an diesen schwierigen Problemen bewährt. Wir sind politischen Handelns von EU und NATO und findet sich stolz darauf. in ihren Dokumenten wieder. Er wurde zur Grundlage der Petersberg-Prinzipien der G 8, und er blieb Grundla- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ge des von Milosevic unterzeichneten Friedensplans. DIE GRÜNEN) Zweitens nenne ich die wichtige Einbeziehung Ruß- So wichtig der gestrige Tag und die letzte Nacht in lands in die Vermittlung. Wir haben in diesem HauseNew York für den Friedensprozeß waren: Es ist nur der schon oft darüber diskutiert. Um sie hat sich die Bundes- Anfang auf einem langen, dornenreichen Weg zu wirkli- regierung neben anderen erfolgreich bemüht. chem Frieden. Wir dürfen den Menschen keine falschen Hoffnungen machen. Der Abzug der serbischen Truppen Drittens gehört dazu die Reise des Bundeskanzlers aus dem Kosovo bedeutet nicht, daß die Flüchtlinge ab nach China, bei der er nach der versehentlichen Bom- sofort zurückkehren können. Ihre Dörfer sind zerstört, bardierung der chinesischen Botschaft politischen Scha- die Straßen teilweise unpassierbar. Das Schlimmste aber: den begrenzen konnte. Das Kosovo ist möglicherweise ein einziges Minenfeld. Viertens ist das der Stabilitätspakt für Südosteuropa, Voreilige Rückkehr kann tödlich sein. Die internationa- der die Regionen mittel- und langfristig befrieden und len Truppen müssen diese Gefahr erst beseitigen. an Europa heranführen soll. Dies muß den Menschen klargemacht werden. Wir Alles zusammen hat diesen Erfolg operativer deut-werden noch über Monate mit den Bildern aus den scher Außenpolitik ausgemacht, ein Erfolg bei einerFlüchtlingslagern leben müssen. Nicht nur das: Wir Herausforderung, deren Bewältigung der Bundesrepu- werden einen Teil der Lager erst einmal winterfest ma- blik Deutschland erstmals abverlangt wurde. chen müssen, denn viele der Flüchtlinge werden ver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mutlich erst im nächsten Frühjahr in ihre Heimat zu- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rückkehren können. Das bedeutet auch, daß wir die in der Bundesrepublik aufgenommenenKosovo-Flücht- Vorgestern wurde von einem Oppositionsredner der linge nicht von heute auf morgen zurückschicken kön- Jubel von Köln als zu laut und zu früh kritisiert. nen. Die Vorstellungen des Berliner Innensenators ( [CDU/CSU]: Ja, das ist wahr!) Werthebach und des bayrischen Innenministers Beck- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3569

Dr. Peter Struck (A) stein sind abenteuerlich, wenn sie den Kosovaren ab so- schaft durch aktive Spenden dokumentieren, um auch(C) fort mit Ausweisung drohen. den NGOs, die viel helfen, jetzt in Albanien und Maze- donien und zukünftig im Kosovo die erforderlichen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Mittel zur Verfügung zu stellen. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir dürfen uns auch keinen Illusionen über die Ge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) fahren und Probleme für die internationalen Kräfte im Kosovo – natürlich für alle Soldaten, nicht nur für die Die internationale Übergangsverwaltung wird mit deutschen – hingeben. Aber für dieBundeswehr ist es enormen politischen Anforderungen konfrontiert sein. die schwierigste und gefährlichste Aufgabe in ihrer Ge- Der ungeklärte politische Endstatus des Kosovo wird schichte. Heckenschützen, Marodeure, verselbständigte von Serben und Kosovaren heftig umkämpft sein. Es paramilitärische Kräfte der Serben und unkontrollierte wird zu einem schwierigen Balanceakt werden, die UCK-Trupps sind zu befürchten. Selbständigkeit der Kosovaren im jugoslawischen Staatsgebilde sicherzustellen. Es steht zu befürchten, Mich hat berührt, daß in einem „ARD“-Bericht amdaß der machtgierige Diktator Milosevic diesen Prozeß Mittwoch abend ein junger Bundeswehrsoldat, der vor zu unterlaufen sucht; denn Wortbrüche, Zynismus und seinem Einsatz stand, gesagt hat: Ich habe Angst. Des- Machtgier wird dieser Mann nicht von heute auf morgen wegen gilt für uns: Die beste Ausrüstung für unsere Sol- aus seinem Repertoire gestrichen haben. Vor diesem daten ist gerade gut genug. Hintergrund bedarf es einer großen politischen Klarheit (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und Einigkeit der internationalen Gemeinschaft, beson- ders aber der Europäischen Union. Je besser und robuster die internationale Kosovo-Truppe ausgestattet ist, um so mehr kann ihre Sicherheit ge- Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Balkan Aus- währleistet werden. Gerade auch deshalb ist es richtig, gangspunkt für europäische Kriege und die Teilung des daß die NATO Kommando und Kern dieser Friedens- Kontinents. Am Ende des 20. Jahrhunderts besteht die truppe stellt. große Chance, daß der Balkan den europäischen Frieden und die Einheit des Kontinents vollenden kann. Wir, die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Europäische Union genauso wie die NATO, müssen die- [F.D.P.] – Zuruf von der se historische Chance ergreifen. CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – Nun machen Sie doch nicht Ihre kleinkarierten Zwi- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schenrufe über den Haushalt. Sie können sich offenbar Der Stabilitätspakt, über den der Außenminister ge- (B) nicht freimachen von der Situation, daß wir einen gro- sprochen hat, ist dafür der richtige Ansatz. Er ist darauf (D) ßen außenpolitischen Erfolg erzielt haben und Sie uns gerichtet, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den den nicht gönnen. Staaten dieser Region zu fördern. Die Länder sollen in (Beifall bei der SPD) den euroatlantischen Strukturen verankert werden. Ihr wirtschaftlicher Ausbau muß gefördert werden. Ich be- Unsere Soldaten sollen angesichts des schwierigengrüße es für meine Fraktion deshalb ausdrücklich, Herr Auftrages wissen: Der Bundestag steht geschlossenAußenminister, daß den Ländern dieser Region auf dem hinter ihnen und ihren Familien. Wir wissen um dieKölner EU-Gipfel die Perspektive der EU-Mitglied- schwierige Aufgabe. Wir wissen um die Gefährdungen, schaft eröffnet worden ist. Allein diese Perspektive die sie erwarten. Wir schicken sie nicht leichtfertig; wir wirkt positiv auf die Veränderungsprozesse in diesen teilen ihre Sorgen und Ängste. Ländern. Das haben wir in den mittelosteuropäischen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Staaten gesehen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein wichtiges Element sind die umfangreichen Neben den gravierenden militärischen Herausforde- Hilfsmaßnahmen für den Wiederaufbau der Region. rungen sieht sich die internationale Gemeinschaft gi-Hier bedarf es einer abgestimmten internationalen Un- gantischen Aufbau- und Reparaturarbeitengegen- terstützungsstrategie. Dabei sollte die EU die Koordinie- über. Hunderte von Dörfern sind von serbischen Kräften rung übernehmen. Eine Geberkonferenz muß möglichst systematisch zerstört worden. Es gibt größtenteils keine schnell durchgeführt werden. Der Kölner G-8-Gipfel in Wasser- und Stromversorgung. Die landwirtschaftlichen der nächsten Woche, Herr Bundeskanzler, kann dazu Existenzgrundlagen sind zusammengebrochen. Handel, schon wichtige Weichen stellen. Handwerk und Gewerbe stehen vor dem Nichts. Das Der Stabilitätspakt kann nur dann erfolgreich sein, Schul- und Gesundheitswesen muß neu aufgebaut wer- wenn alle Länder Südosteuropas umfaßt werden. Dazu den. Es wird ein Wettlauf mit der Zeit, die Bewohnbar- gehört auch Serbien. Darauf hat der Außenminister hin- keit der Häuser und Dörfer vor dem kommenden Winter gewiesen, darauf hat Herr Kollege Lamers hingewiesen; möglich zu machen. wir sind uns in diesem Punkte einig. Allerdings – das Dringend geboten ist daher die sofortige Bereitstel- möchte ich für meine Fraktion deutlich sagen – gilt das lung von Baumaterialien und Versorgungsgütern, mitnur für ein Serbien ohne Milosevic, das sich auf einen denen die Rückkehrer ihre Häuser instand setzen kön- demokratischen Weg begibt. nen. Dringend geboten ist weiterhin, daß die Bürger in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Bundesrepublik Deutschland ihre Spendenbereit- der F.D.P.) 3570 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Dr. Peter Struck (A) Meine Damen und Herren, die letzten Wochen waren Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union (C) für alle, die Entscheidungen, ob in Regierung oder Par- ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. lament, zu tragen hatten, nicht leicht. Nicht nur die phy- sische, sondern auch die psychische Belastung ging bis (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten an die Grenze des Zumutbaren. An dieser Stelle möchte des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, Ihnen, Herr Außenmi- Ebenso dienen die sicherheits- und verteidigungspoliti- nister, und Ihnen, Herr Verteidigungsminister, für Ihre schen Beschlüsse des Kölner Gipfels diesem Ziel. Arbeit ausdrücklich danken. Viertens. Die Sicherheit in Europa basiert heute und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) in Zukunft auf dem euroatlantischen Bündnis. Trotz al- Ich bedanke mich auch bei der Koalitionsfraktion der ler Eigenanstrengungen der EU ist das Engagement der Grünen, die, wie man nachvollziehen konnte, eineUSA in Europa für die Stabilität unseres Kontinentes schwierige Debatte geführt haben. Ich bedanke michunersetzlich. Wir müssen konstatieren, daß die jüngsten auch bei meiner eigenen Fraktion für die immer sehr fai- Krisen auf dem Balkan ohne den amerikanischen Ein- re inhaltliche Debatte und bei vielen, die die Entschei- satz nicht zu einem friedlichen Ende hätten gebracht dungen, die wir zu treffen hatten, mitgetragen haben, die werden können. Dafür gebührt unserem amerikanischen aber auch ihre Fragen gestellt haben. Mein ausdrückli- Partner und an dessen Spitze dem amerikanischen Präsi- cher Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen aus mei- denten, Bill Clinton, Dank und Anerkennung. ner Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bei der CDU/CSU) Fünftens. Eine Stärkung der Vereinten Nationen ist – Ich verstehe nicht, warum Sie darüber lachen können. dringend geboten. Um ihre politische Handlungsfähig- Offenbar scheint Ihnen bzw. Ihren Fraktionen nicht klar keit zu verbessern, bedarf es ihrer umfassenden Reform, zu sein, daß man schwierige inhaltliche Debatten führen insbesondere der des Sicherheitsrates. Nicht nur die Zu- muß und kann, ohne sich trotz gegenseitiger Stand-sammensetzung des Kreises seiner ständigen Mitglieder, punkte zu verletzen, und daß man stolz darauf sein kann, sondern auch deren Vetorecht bedürfen einer dringenden solche Debatten zu führen. Oder sind Sie etwa Überprüfung. ein schweigender Haufen? Das kann ja wohl nicht wahr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sein. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (B) Sechstens. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (D) DIE GRÜNEN) dürfen keine inneren Angelegenheiten eines Staates Lassen Sie mich die Erfahrungen und die Konse-mehr sein. Sein Souveränitätsanspruch ist dem Schutz quenzen der letzten Wochen zusammenfassen: und der Würde der Menschen unterzuordnen. Erstens. Die militärische Intervention – das sind die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Erfahrungen und die Konsequenzen der letzten Wochen DIE GRÜNEN) – war berechtigt und unausweichlich. Ein Europa, das Bei seinem Deutschlandbesuch im April hat UN- dem Frieden und den Menschenrechten verpflichtet ist, Generalsekretär Kofi Annan gesagt: Wenn die Bewoh- darf niemals ethnischen Säuberungen und Völkermord ner des Kosovo in Frieden und Sicherheit und unter zustimmen bzw. zuschauen. Die 200 000 Toten desvoller Achtung der bürgerlichen Rechte aller leben kön- Bosnien-Krieges haben das wahre Gesicht des Diktators nen, wird es ein Sieg für Europa, für die Vereinten Na- Milosevic gezeigt. Dennoch war die westliche Gemein- tionen und für die ganze Menschheit sein. – Diesem schaft trotz der Vertreibungen im Kosovo seit MärzSieg sind wir seit gestern einen wichtigen Schritt näher 1998 bis zum letzten um diplomatische Lösungen be-gekommen. müht. Milosevic hat diese ausgeschlagen oder Abma- chungen gebrochen. (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Die Einigkeit der NATO war der ent- scheidende Faktor für das letztendliche Nachgeben des Diktators. Erneut hat sich bestätigt, daß gewalttätige Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Diktatoren nicht durch Überzeugung, sondern nur durch jetzt der Abgeordnete Helmut Haussmann. Zwang zu friedlichem Verhalten bewegt werden können.

Drittens. Wir brauchen ein außenpolitisch handlungs- Dr. Helmut Haussmann (F.D.P.): Sehr geehrte Frau fähiges Europa, das in den internationalen Beziehungen Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir Gewicht hat und gleichberechtigter Partner der USA im teilen die Freude, daß der Frieden näher gerückt ist. Bündnis sein kann. Krisen und Konflikte in EuropaAber wir wissen, daß es sich bisher um notwendige, aber sollten von der EU in eigener Regie und in eigener Ver- keinesfalls um hinreichende Bedingungen für einen dau- antwortung gelöst werden können. Deshalb ist die Beru- erhaften Frieden handelt. Auch als Oppositionsfraktion fung Solanas zum Hohen Vertreter der Gemeinsamensind wir gerne bereit, der Bundesregierung zu diesem Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3571

Dr. Helmut Haussmann (A) Ergebnis zu gratulieren und allen Verhandlungspartnern derzeit kein Vertrauen mehr in die Zusagen aus Belgrad (C) für ihren Einsatz Respekt und Dank auszusprechen. haben. Nach Jahren der Unterdrückung, Vertreibung und Mord sitzen Angst, Trauer und Haß zu tief, als daß man (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- die zügige Herstellung von Voraussetzungen für ein ten der CDU/CSU und der SPD) friedliches Miteinander von Serben und Kosovaren er- Wir vergessen aber an einem solchen Tage nicht, wer warten könnte. Daß der Frieden eben nicht über Nacht zu diesem Ergebnis beigetragen hat. Dabei komme ich erreichbar ist, zeigt die bittere Erfahrung aus Bosnien, zu einer etwas anderen Wertung als Sie, verehrter Herr wo viereinhalb Jahre nach dem Abschluß des Dayton- Kollege Struck. Es ist immer interessant, daß dieVerei- Abkommens immer noch 30 000 SFOR-Soldaten damit nigten Staaten von Amerika an letzter Stelle genannt beschäftigt sind, feindliche Volksgruppen voreinander werden. Vielleicht ist das unbeabsichtigt. Ich glaubezu schützen. schon, daß Herr Clinton und Herr Talbott durch ihre Fe- Aus der Sicht der F.D.P. ist eines klar: Mit Milosevic stigkeit und ihre Klarheit einen entscheidenden Beitrag wird es weder im Kosovo noch in Serbien Stabilität ge- geleistet haben. ben. Kein Kosovare wird bereit sein, sich mit seinem (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- eigenen Schänder an einen Tisch zu setzen, um über ten der CDU/CSU) Wiederaufbauhilfe und zukünftige Autonomie zu ver- handeln. Es ist zu hoffen, daß sich im serbischen Volk Wir sind nicht der Meinung, daß es dieses Verhältnis immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, daß man die jetzt fair widerspiegelt, wenn die Amerikaner auf den militä- erreichten Ergebnisse bereits im Oktober ohne große rischen Teil und die Europäer auf den diplomatischenOpfer und ohne Zerstörungen durch die Unterschrift Teil verwiesen werden. Ich glaube, beide Komponenten unter den Vertrag vom Rambouillet hätte haben können. sind von enormer Wichtigkeit. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Interessant war auch die Bemerkung zu Rußland. Ich ten der CDU/CSU) entsinne mich der Diskussionen, in denen das besonders gute Verhältnis zwischen dem früheren Bundeskanzler Daraus müßten auch innenpolitisch Konsequenzen ge- Kohl und Herrn Jelzin – man muß schon sagen – ver-zogen werden. höhnt wurde, Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Resolution (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Diffamiert!) des Sicherheitsrates muß eine neueFriedensordnung für die gesamte Region einleiten. Der Kosovo-Krieg und daran, daß Herr Primakow schlecht behandelt wurde muß der letzte Balkankrieg gewesen sein. Angesichts und das, was Herr Kinkel mit Herrn Primakow verabre- der Vielzahl weiterer potentieller Konfliktherde in dieser (B) (D) det hat, unterschätzt wurde. Heute sieht man, wie wich- Region müssen mit dem angestrebten Stabilitätspakt tig persönliche Beziehungen mit führenden Politikern in dauerhafte Voraussetzungen für die Verwirklichung der Rußland sind. Wenn das eine Lehre war, dann hat es viel Menschenrechte, für Minderheitenschutz, für Demokra- gebracht. tie und für regionale Zusammenarbeit geschaffen wer- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) den. Wir sehen auch nach diesem Ergebnis, daß nicht ein- Dem wirtschaftlichen Wiederaufbau und der Ver- seitige Feuerpausen ohne Gegenleistung, sondern nurwirklichung der Marktwirtschaft muß unser dauerhaftes die wirkliche Aufrechterhaltung militärischen DrucksAugenmerk gelten. Es wird schwer genug sein, Bedin- bei gleichzeitiger politischer Initiative, die wir von An- gungen für privatwirtschaftliche und für mittelständische fang an gefordert haben, letztlich zu diesem Erfolg bei- Investitionen zu schaffen. Diese sind der wirkliche getragen hat. Wir sind selbstbewußt genug zu sagen:Schlüssel; denn ohne privates Engagement und ohne Ohne die dauerhafte konsequente Rückendeckung durch mittelständische Unternehmen wird es auch im Kosovo die Opposition wäre die Bundesregierung auf Dauerauf Dauer keine wirtschaftliche Weiterentwicklung ge- kaum in der Lage gewesen, den notwendigen Druck auf- ben. rechtzuerhalten. Insofern handelt es sich hier um eine Allen Staaten der Region muß die Einbindung in die gemeinsame Leistung des deutschen Parlaments. euroatlantischen Strukturen in Aussicht gestellt wer- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- den. Der Europäischen Union kommt dabei eine ent- ten der CDU/CSU) scheidende Bedeutung zu. Wir fordern, daß mit Albani- en, Mazedonien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina so- Die Sicherheitsratsresolution muß nun unverzüglich fort Verhandlungen über Assoziationsabkommen mit der umgesetzt werden. Weitere jugoslawische Verzöge-Europäischen Union aufgenommen werden. Das wäre rungstaktiken dürfen und können nicht hingenommenein wichtiges Aufbruchssignal auch für dringend not- werden. Zu oft hat sich Milosevic als skrupelloser und wendige internationale Investitionen. gerissener Machtpolitiker erwiesen. Nur durch den schnellen nachvollziehbaren Rückzug sämtlicher serbi- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- scher Sicherheits- und Polizeikräfte kann er beweisen, ten der CDU/CSU) daß er wirklichen Frieden will. Es wäre wichtig, daß – wie damals vom Volkswagen- Niemanden wird es verwundern, wenn die Vertriebe- werk in Sarajevo – privatwirtschaftliche Entscheidungen nen nach den vielen Wortbrüchen der Vergangenheitgetroffen werden, die auch kleinen und mittleren Unter- 3572 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Dr. Helmut Haussmann (A) nehmen zeigen, daß es sich auf Dauer lohnt, sich dort zu Mit der Sicherheitsratsresolution haben die Ver- (C) engagieren. einten Nationen die Verantwortung für die Durchfüh- rung des Friedensplans übernommen. Der UN- (Beifall der Abg. Michael Glos [CDU/CSU] Sicherheitsrat kann nunmehr seine traditionelle Rolle als und Walter Hirche [F.D.P.]) Hüter des Weltfriedens übernehmen und gestalten. Die Restjugoslawien muß der Weg nach Europa offen-Volksrepublik China hat durch ihre Enthaltung gezeigt, bleiben. Nach den Aufnahmebedingungen des Kopen- daß sie als bevölkerungsreichstes Land der Welt bereit hagener Gipfels ist aber klar, daß dafür demokratische ist, einen konstruktiven Beitrag zu leisten. Erneuerung sowie das Bekenntnis zu Menschenrechten Mit der Resolution werden die Voraussetzungen für und zum Völkerrecht Voraussetzungen sind. Diese kon- die Erreichung der eigentlichen Ziele der NATO- krete Perspektive der europäischen Integration könnte Intervention, des Endes von Terror und Vertreibung und durchaus Impulse freisetzen, die sich auf Dauer stärker der Rückkehr der – hoffentlich aller – Vertriebenen in als jahrhundertealte Animositäten erweisen. Es mußihre angestammte Heimat, geschaffen. Dies ist die endlich gelingen, den Teufelskreis aus Haß und Gewalt Grundlage für die längerfristige Gewährleistung eines auf dem Balkan zu durchbrechen. Dazu müssen wir –wirksamen, international garantierten Schutzes vor wei- Europäer und Deutsche – eine umfassende Anschubhilfe teren serbischen Repressalien. Ohne einen effizienten sowohl für den Wiederaufbau dieser Region als auch für Schutz durch die KFOR-Truppen und ohne weitgehende die Schaffung infrastruktureller und wirtschaftlicherKompetenzen für eine zukünftige Übergangsverwaltung Voraussetzungen zur Annäherung an die Europäischeim Kosovo wird es weder eine Rückkehr der Vertriebe- Union leisten. Gerade wir Deutschen, die dem Marshall- nen noch eine Autonomie für die Albaner im Kosovo plan viel verdanken, sollten dabei eine ganz besondere geben können. Verantwortung übernehmen. Meine Fraktion begrüßt, daß Deutschland an dieser (Beifall bei der F.D.P.) verantwortungsvollen Aufgabe für den Frieden in Euro- pa maßgeblich beteiligt ist. Eine Aufstockung des deut- Es muß jedoch klar sein, daß unsere Hilfe den Betroffe- schen Kontingentes ist gerade angesichts des Beitrags nen unmittelbar und direkt zugute kommen muß und daß der anderen Partner gerechtfertigt. sie eben nicht zur Stärkung des Milosevic-Regimes mißbraucht werden kann. Wir sind mit unseren Gedanken heute bei unseren Soldaten. Wir sind sicher: Wir werden unseren Beitrag Zum umfassenden Konzept der Stabilisierung Süd- leisten, daß für ihre Sicherheit das Menschenmögliche osteuropas gehört unverändert die zügigeErweiterung getan wird. der Europäischen Union um die mittel- und osteuro- (B) päischen Beitrittskandidaten. Gerade vor dem Hinter- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- (D) grund der aktuellen Krise auf dem Balkan sollte die ten der SPD und der CDU/CSU) deutsche Präsidentschaft den Mut aufbringen, nunmehr Die F.D.P.-Bundestagsfraktion unterstützt daher den ein konkretes Zieldatum für die Beitritte der in ihren Re- Antrag der Bundesregierung, sich an einer internationa- formen am weitesten vorangeschrittenen Länder wielen Sicherheitspräsenz im Kosovo aktiv zu beteiligen. Polen, Ungarn und Slowenien zu nennen, um damit auch allen anderen Kandidaten eine klare zeitliche Perspekti- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ve zu geben. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der F.D.P.) ten der SPD und der CDU/CSU) Für eine dauerhafte Friedensordnung ist die zentrale Rolle Rußlands von größter Bedeutung. Die Liberalen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat haben von Anfang an darauf gedrungen, Rußland voll in jetzt der Vorsitzende der PDS-Fraktion, Gregor Gysi. die Verhandlungs- und Implementierungsphase einzu- binden. Das Ergebnis gibt uns recht: Die Krise auf dem (PDS): Frau Präsidentin! Meine Kosovo hat auf dramatische Weise veranschaulicht, daß Dr. Gregor Gysi Damen und Herren! Im Namen der PDS-Fraktion be- eine verläßliche Sicherheitspartnerschaft mit Rußland grüße ich ausdrücklich das von Anfang an von uns ge- heute dringlicher denn je ist. Das erfolgreiche Engage- forderte Ende der Bombardierung Jugoslawiens durch ment von Tschernomyrdin und die Sicherheitsratsreso- die NATO lution zeigen, daß sich Rußland dieser großen Verant- wortung bewußt ist und auch in Zukunft bereit ist, eine (Beifall bei Abgeordneten der PDS) konstruktive Rolle in Gesamteuropa zu übernehmen. Ich begrüße daher und möchte ausdrücklich würdigen und – damit das Ende eines völkerrechtswidrigen An- auch als Oppositionspolitiker –, daß es der Bundesregie- griffskrieges. Ebenso begrüßen wir die Chance auf ein rung auf dem Europäischen Rat in Köln gelungen ist,Ende von Vertreibung, Mord und anderen Menschen- sich im Rahmen der ersten gemeinsamen Strategie imrechtsverletzungen im Kosovo. Bereich von Außen- und Sicherheitspolitik dem Ver- (Beifall bei der PDS) hältnis zu Rußland zu widmen. Das ist ein wichtiger Fortschritt, den es auch heute zu würdigen gilt. Daß Milosevic glauben konnte, mit einer systemati- schen Vertreibung durchzukommen, liegt zweifellos (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auch daran, daß der Westen bisher noch jede Vertrei- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3573

Dr. Gregor Gysi (A) bung hingenommen oder zumindest letztlich gebilligtNATO-Truppen in ganz Jugoslawien aufhalten sollten,(C) hat. so geht es jetzt nur um den Kosovo. (Widerspruch bei der SPD) (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann stimmen Sie doch zu! Sie haben Dabei will ich gar nicht auf die Geschichte nach 1945 beantragt, daß alle zurückgezogen werden!) eingehen, sondern vielmehr darauf hinweisen, daß Grie- chenland gezwungen wurde, die Vertreibung aller Grie- Ging es damals darum, der NATO zu ermöglichen, chen aus dem türkisch besetzten Teil Zyperns hinzu-jedes gewünschte Gebiet in Jugoslawien für ihre Zwecke nehmen, daß der Westen geschwiegen hat, als 200 000 in Anspruch zu nehmen, so ist jetzt davon keine Rede Serben aus der Krajina vertrieben wurden, und daß der mehr. Ebenso ist jetzt keine Rede mehr davon, daß die Westen nach wie vor dazu schweigt, daß schon überNATO in ganz Jugoslawien Manöver durchführen kann. 1 Million Kurdinnen und Kurden aus der Türkei vertrie- Ich sage das deshalb: Dadurch, daß dieser völlig ver- ben wurden oder flüchten mußten. Es bleibt deshalb zu fehlte militärische Teil des Rambouillet-Abkommens hoffen, daß ab jetzt gleiche Maßstäbe – zumindest invorgelegt wurde, haben Sie es, Herr Bundesaußenmini- Europa, besser: weltweit – gelten und Vertreibungen ge- ster, Milosevic ermöglicht, jetzt seinerseits von einem nerell nicht mehr hingenommen werden. Teilerfolg zu sprechen, indem er auf diese Unterschiede hinweist. Genau das wollten wir nicht. (Beifall bei der PDS) Sowohl die Regierung in ihrem Antrag als auch der Als zweites Ziel, Herr Bundesverteidigungsminister, Bundesaußenminister und andere Redner in der heutigen haben Sie damals ausgegeben, durch die Bombardierung Debatte haben erklärt, dieDoppelstrategie aus Krieg eine humanitäre Katastrophe im Kosovozu verhin- und Diplomatie sei erfolgreich gewesen. dern. Aber Tatsache ist, daß es seit Beginn des Krieges im Kosovo eine bis dahin vom Ausmaß her unbekannte (Walter Hirche [F.D.P.]: Genauso ist es!) humanitäre Katastrophe gibt. Obwohl schon nach zwei Bombennächten klar war, daß jugoslawische Armee und Diese These ist gefährlich; denn wenn es sich hierbei um Polizei den Krieg zur systematischen Vertreibung der ein Erfolgsrezept handelt, dann empfiehlt es sich ja zur Kosovo-Albaner nutzen, Wiederholung. Genau das darf nicht sein! (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der PDS) NEN]: Sagen Sie doch einmal etwas zur Zeit Der Krieg darf nicht als eine Ergänzung der Diplomatie davor!) verstanden werden; er muß als Mittel der Politik – gera- haben Sie nicht aufgehört, dieses falsche Mittel einzu- (B) de am Ende dieses Jahrhunderts, das so schrecklichesetzen. Damit haben Sie auch Mitverantwortung dafür(D) Kriege über die Völker gebracht hat – ausgeschlossenübernommen. werden. Gerade das jetzt beschlossene Ende des Krieges und die Chance auf Frieden – mehr ist es ja wohl noch (Beifall bei der PDS) nicht – zeigen, daß Mittel zur Bekämpfung von Men- Die Zeit davor war schlimm, aber es handelte sich schenrechtsverletzungen die Respektierung und nichteben noch nicht um eine Katastrophe. Der Bundesau- der Bruch des Völkerrechtes, der Einsatz von Politik und ßenminister weigert sich ja deshalb auch – Diplomatie und – je nachdem – auch wirtschaftlicher Druck oder Wirtschaftshilfe sein müssen. (Zuruf der Abg. Angelika Beer [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Es wird behauptet, der Krieg habe gebracht, was er bringen sollte. Das wirft die Frage auf, was der Krieg– Sie müssen sich das schon anhören; ich komme noch bewirken sollte. Wenn ich von dem ausgehe, was Bun- auf Ihre Einwände zu sprechen, Frau Beer –, zu erklä- desverteidigungsminister Scharping hier im Bundestag ren, weshalb sein Ministerium bis März 1999 gegenüber am Morgen nach Beginn des Bombardements erklärte, den deutschen Verwaltungs- und Oberverwaltungsge- dann stelle ich fest, daß nicht dies, sondern eher das Ge- richten zur Ermöglichung der Abschiebung der Kosovo- genteil erreicht worden ist. Albaner in das Kosovo verlauten ließ, daß es dort keine ethnische Säuberung und keine systematische Vertrei- (Beifall bei Abgeordneten der PDS) bung, sondern nur Übergriffe gebe. Damals, Herr Bundesverteidigungsminister, haben Sie (Beifall bei der PDS) hier gesagt, Ziel des Bombardements sei es, Milosevic Wenn es allerdings bei dem Krieg darum ging, eine dazu zu bringen, unverzüglich dasAbkommen von neue Rolle und Strategie der NATO, eine Art Interventi- Rambouillet zu unterschreiben. Davon kann überhaupt onsrecht zu installieren, dann mag das gelungen sein. keine Rede sein. Wenn Sie das, was jetzt militärisch be- Wenn es darum ging, Rußland und China ihre begrenzte schlossen wurde, mit dem vergleichen, was als militäri- Rolle im internationalen Geschehen deutlich zu machen, sches Ziel im Vertrag von Rambouillet unterschriftsreif dann ist das meines Erachtens nur begrenzt gelungen. vorlag, dann stellen Sie fest, daß es gravierende Unter- Das gilt auch insbesondere dann, wenn es den USA dar- schiede gibt. Ging es im Militärteil des Vertrages von um gegangen sein sollte, dieUNO und ihren Sicher- Rambouillet um die klare politische Hoheit der NATO, heitsrat zu schwächen; denn der Krieg konnte zwar ge- so ist jetzt die politische und juristische Hoheit der UNO gen den Willen Rußlands und unter Verletzung des Völ- festgeschrieben. Ging es damals darum, daß sich die kerrechts und des Gewaltmonopols des Sicherheitsrates 3574 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Dr. Gregor Gysi (A) geführt werden, aber der Frieden war nur mit Hilfediesen Punkt können wir uns verständigen. Es ist näm- (C) Finnlands, Rußlands und des Sicherheitsrates der UNlich wichtig, daß nun Frieden im Kosovo und in Jugo- auf der Grundlage des Völkerrechts möglich. Dadurch slawien herrscht. Ich bitte aber zu bedenken, ob es rich- wurde der Eindruck vermittelt – dies ist nicht meinetig ist, zu sagen: Hilfe im Kosovo ja, aber in Serbien Schuld –, die NATO sei für Krieg und die UNO fürerst, wenn dort demokratische Bedingungen nach unse- Frieden zuständig. Das trägt wahrscheinlich zur Stär-ren Vorstellungen herrschen. Ich finde, wir dürfen einen kung des Ansehens der UNO bei, was ein positives Er- Präsidenten nicht so wichtig nehmen. gebnis ist. (Lachen und Widerspruch bei der SPD, dem (Beifall bei der PDS – Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihre Wir dürfen die Bevölkerung nicht schon wieder kollek- begrenzte Sichtweise!) tiv bestrafen. Wenn es den USA zusätzlich darum gegangen sein (Beifall bei der PDS) sollte, die europäische Integration zurückzuwerfen, den Euro zu schwächen und die Anleger in den Dollar zuKrankenhäuser, Wohnungen und die Infrastruktur sind locken, dann ist dies allerdings voll gelungen. zerstört. All das trifft Milosevic nicht. Er hat genügend Wasser, Lebensmittel und Energie zum Heizen. Die In- (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ frastruktur für die Bevölkerung muß wieder aufgebaut DIE GRÜNEN]: So ein Schwachsinn!) werden. Eine Folge des Krieges – das können Sie überhaupt nicht leugnen – wirdHochrüstung sein. Sie wissen doch auch, daß in Rußland die Frage der militärischen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege Rüstung eine völlig andere Rolle spielt als in den letzten Gysi, achten Sie bitte auf die Zeit. neun Jahren – unabhängig davon, wer dort regiert hat. Sie wissen, welche Umrüstungspläne es in der NATO Dr. Gregor Gysi (PDS): Ja, Frau Präsidentin, ich bin gibt und welche Rüstungspläne andere Staaten inzwi-sofort mit meiner Rede am Ende. schen aufgestellt haben. Sie wissen auch, welche Gefah- ren damit verbunden sind. Deshalb sage ich: Der ent- Schauen Sie sich einmal die Geschichte an! Sie wer- scheidende Kriegsgewinnler während des Krieges und den dann die Erkenntnis gewinnen: Wohlfahrt hilft der bei der anschließenden Hochrüstung ist die Rüstungsin- Demokratie; Armut und Hunger befördern diktatorische dustrie. Strukturen. Deshalb sage ich: Wenn wir Demokratie in Jugoslawien wollen, müssen wir jetzt beim Wiederauf- Aber auch die Gesellschaft im Innern wird sich ver- (B) bau helfen. (D) ändern. Dazu haben gerade Sie, Frau Beer, einen Beitrag geleistet; denn Sie haben im Oktober 1998 Ihre Zustim- (Beifall bei der PDS) mung zur Androhung des Bombardements mit der Be- Dem Antrag der Bundesregierung können wir nicht gründung verweigert, daß diese Androhung völker-zustimmen, weil in ihm der Krieg nachträglich bestätigt rechtswidrig sei, weil es kein UN-Mandat gebe. Sie ha- wird. Dies ist mit unserer Position nicht vereinbar. Ich ben drei Monate später der Bombardierung zugestimmt, füge hinzu: Wir sind immer gegen NATO-Truppen als obwohl es immer noch kein Sicherheitsratsmandat gab. Friedenstruppen gewesen. Wir wollen Truppen aus neu- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tralen Staaten, weil diese am Krieg nicht beteiligt waren. NEN]: Weil ich nicht mit Blindheit geschlagen (Beifall bei der PDS) bin wie Sie!) Letztlich bringe auch ich die Hoffnung zum Aus- – Nein, am Sachverhalt hat sich nichts geändert, aberdruck, daß es im Kosovo ab jetzt – weder unter Zivili- Ihre Stellung hat sich geändert: Sie sind aus der Opposi- sten noch unter Soldaten – keine Toten mehr gibt und tion in das Regierungslager gewechselt. Damit – das gilt daß wir Stabilität in dieser Region durch Wiederaufbau auch für Sie, Herr Volmer – haben Sie der Politik einen erreichen. Dazu gehört aber auch Serbien, das wir nicht bleibenden Schaden zugefügt. vor der europäischen Tür stehen lassen dürfen. (Beifall bei der PDS) Danke schön. Das gilt nicht für den Außenminister; er hatte vorher (Beifall bei der PDS – Walter Hirche [F.D.P.]: schon ja gesagt. Das war eine schlimme Verzerrung der Wirk- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/ lichkeit!) DIE GRÜNEN) Sie aber haben es nicht getan und damit der Glaubwür- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat digkeit aller Politikerinnen und Politiker geschadet. jetzt der Herr Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping. Der Krieg hat viele Menschen verletzt und getötet; durch ihn wurden Krankenhäuser, Wohnungen, Infra- struktur und Wirtschaft zerstört und eine ökologische Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi- Katastrophe heraufbeschworen, zu der Sie ebenfalls ge- gung (von der SPD sowie von Abgeordneten des schwiegen haben. Jetzt geht es um Wiederaufbau. Über BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt): Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3575

Bundesminister Rudolf Scharping (A) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heute Wir machen die Erfahrung, daß das erste internationale(C) zu treffende Entscheidung kann man nicht allein imDokument, in dem gesagt wird, Menschenrechte seien Lichte der letzten elf Wochen betrachten. Es gibt einenicht alleine die innere Angelegenheit eines Staates, und viel längerfristige Perspektive, und leider liegt dieserdas auch in Europa verabschiedet worden ist, nämlich Entscheidung auch eine viel längere Entwicklung zu-die Schlußakte von Helsinki, Wirksamkeit entfalten grunde. Man könnte beispielsweise mit Fug und Recht kann – nicht nur bei der Ermutigung von Freiheits- und sagen, daß die Entwicklung mit der Aufhebung des Au- Bürgerrechtsbewegungen in Mittelosteuropa, sondern in tonomiestatuts für den Kosovo durch Milosevic am 23. Europa insgesamt. März 1989 begann. Es war der Bundesregierung von Anfang an bewußt, Bei der Lektüre eines Briefes, den der Träger desdaß sie eine große Verantwortung übernimmt und mit Nobelpreises für Literatur, Ivo Andric, geschrieben hat, dieser Verantwortung auch eine Möglichkeit zur Ge- ist mir eine Passage aufgefallen, von der ich glaube, daß staltung europäischer Verhältnisse. Sie greift dabei übri- sie in dieser Debatte einen guten Hinweis bietet. Ergens auf etwas zurück, was auch frühere Bundesregie- schrieb über Bosnien – dasselbe gilt für den Balkan –: rungen sehr deutlich ausgesprochen haben, beispielswei- Vielleicht sollte man in Bosnien se der damalige Außenminister Genscher am 17. April 1991 im Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit – also auf dem Balkan – einer Resolution, die den Irak betraf. Das hat, wie ich die Menschen warnen, sich auf Schritt und Tritt, bei denke, unverändert Aktualität. Damals sagte Bundesau- jedem Gedanken und bei jedem, selbst dem erha- ßenminister Genscher, daß bensten Gefühl vor dem Haß, dem angeborenen, erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen unbewußten, endemischen Haß zu hüten. Denn in in dieser Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht diesem rückständigen, armen Land, in dem vier (wird), daß die Mißachtung der Menschenrechte verschiedene Glaubensbekenntnisse zusammenge- den internationalen Frieden und die Sicherheit be- pfercht leben, brauchte es viermal mehr Liebe, ge- droht. Sie kann nicht mehr nur als innere Angele- genseitiges Verständnis und Verträglichkeit als in genheit eines Staates behandelt werden. Das ist eine anderen Ländern. wichtige Fortentwicklung des Völkerrechts. Künf- Später schreibt er dann mit Blick auf diese Passage: tig Aber wann wird diese Zeit kommen, und wer wird – so führte er damals aus – stark genug sein, dies alles auszuführen? Einmal wird der Tag kommen, ich glaube daran. kann sich keine Regierung, die Völkerrecht und Menschenrechte mit Füßen tritt, die die Bürger ih- (B) So schrieb Ivo Andric. Das war 1918, am Ende des er- res Landes unterdrückt und zur Flucht zwingt, dar- (D) sten Weltkrieges. auf berufen, daß solche Vorgänge eine innere An- Es sollte uns in dieser Debatte bewußt bleiben, daß gelegenheit sind, die der Mitsprache der Völkerge- die Kriege dieses Jahrhunderts auf dem Balkan einen meinschaft und der Vereinten Nationen entzogen Ausgangspunkt haben und daß jetzt die Chance besteht, sind. daß für eine lange, gute Zukunft auf dem Balkan dasIch halte es für wichtig, diese Kontinuität zu betonen Ende der Kriege in Europa gefunden wird. und daraus einige Schlüsse zu ziehen, die weit über das (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE erfreuliche Erreichen von Gewaltfreiheit und das erfreu- GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) liche Schweigen der Waffen hinausreichen. Mein Kollege Joschka Fischer hat ganz zu Recht ge- Es ist wahr, wir können auf ein erzieltes Ergebnis in sagt: Die Gewalt geht zu Ende. Damit ist eine Voraus- einem gewissen Umfang stolz sein. Aber jedes Triumph- setzung für Frieden geschaffen, aber noch lange nicht gefühl verbietet sich. Es ist wahr, wir können erleichtert der Frieden selbst. Ob Frieden entsteht, hängt von dersein, daß wir einZiel erreicht haben, das wir uns von inneren Haltung der Menschen und von den Rahmenbe- Anfang an gesteckt hatten, nämlich den Menschen im dingungen ab, bei denen wir helfen können. Wir können Kosovo ein sicheresLeben unter demokratischen nicht in diesem Sinne – daß die Menschen im Kosovo zu Umständen zu erleichtern und zu garantieren. Aber es einer guten inneren Haltung finden – Frieden schaffen. ist auch wahr, daß die Freude darüber nicht ungeteilt ist. Wir können aber dabei helfen, und wir wollen das tun. Wir haben auch unausweichlich Leid zugefügt, zum Dabei werden wir nicht vergessen, was in den letztenBeispiel vielen Zivilisten in Serbien. Folglich mischt Jahren geschehen ist. Wir werden uns erinnern, nicht im sich in unsere guten Gefühle von Stolz und Erleichte- Sinne von Rache oder Vergeltung, sondern im Sinne von rung natürlich auch Trauer. Wir haben nicht Leid im Aussöhnung und friedlicher Entwicklung, und wir wer- Sinne von Vergeltung anderen Leids zugefügt oder den auf längere Zeit wachsam bleiben müssen. heimgezahlt. Manches ist in solchen Auseinanderset- Welche Erfahrungen haben wir gemacht? Wir ma-zungen unausweichlich. Man sollte das auch als einen chen die Erfahrung, daß doch eine Chance besteht, anTeil der eigenen und der gemeinsamen Verantwortung die Stelle des Unrechtes der Macht die Macht erkennen. des Das hat die Bundesregierung versucht. Rechtes zu setzen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE DIE GRÜNEN sowie des Abg. Paul Breuer GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) [CDU/CSU]) 3576 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Bundesminister Rudolf Scharping (A) Auch wenn wir zwei Tage vor einer Wahl stehen, die schaften ist, diesen Krieg gemeinsam beendet. Wir soll- (C) genauso etwas mit Europa zu tun hat wie das, was wir ten uns darüber klar sein, daß dieWeiterentwicklung hier besprechen, sollte es uns dennoch ab Montag kom- der NATO nur dann sinnvoll eingebettet werden kann, mender Woche in einer etwas gelasseneren Rückschau wenn wir das transatlantische Bündnis insgesamt festi- gelingen, zu akzeptieren, daß die Bundesregierung, die gen und erweitern, ihm mehr Pfeiler geben als die wirt- Bundesrepublik Deutschland – auch dank der sehr brei- schaftliche Konkurrenz, die wir untereinander hier und ten Unterstützung hier im Deutschen Bundestag – dieda haben, ihm die gemeinsamen Überzeugungen hinzu- Einheit aus humanitärer Hilfe, unausweichlichen militä- fügen. rischen Maßnahmen und notwendigen intensiven politi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des schen Bemühungen immer erhalten und immer auch das BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Gleichgewicht zwischen diesen Maßnahmen hergestellt Abg. Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]) hat. Alle Initiativen für einepolitische Lösung des Konflikts gingen von der Bundesregierung, vom Bun- Der zweite Punkt ist: Wir können mit einigem Selbst- deskanzler und vom Bundesaußenminister aus. Ich sage bewußtsein sagen, daß wir in der Europäischen Union – das mit Anerkennung, nicht um den Bundeskanzler oder das ist eine große Hoffnung für die Zukunft – in einer einen geschätzten Kollegen zu loben, sondern um deut- ganz entscheidenden Bewährungsprobe in Europa zu- lich zu machen, daß auch durch die Gemeinsamkeit fast sammengehalten haben. Ich will auch das in eine größe- aller Abgeordneten im Deutschen Bundestag einere Perspektive stellen: Es ist noch gar nicht so lange her, Grundlage entstanden ist, die wir für die Zukunft erhal- daß wir den Abschluß des Westfälischen Friedens vor ten und, wenn es geht, ausbauen sollten. 350 Jahren und die Entstehung der territorialen Ordnung Europas gefeiert haben. Doch Bestandteil dieser territo- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rialen Ordnung war die Souveränität der Staaten. Sie DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der pflegen ihre Beziehungen untereinander. Aber wie sie CDU/CSU und der F.D.P.) mit ihren Bürgern umgehen, bleibt allein ihnen überlas- Ich wundere mich ein bißchen darüber – das ist diesen. einzige Bemerkung, die ich zu den Kuriositäten und Der Beginn der Überwindung dieses Gedankengutes Verrenkungen des Kollegen Gysi machen möchte –, daß liegt in der Schlußakte von Helsinki und in den nachfol- wir diese gelassene, freilich etwas durchmischte Freude genden Entwicklungen. Es ist von großer Bedeutung, nicht so zum Ausdruck bringen können, wie es ange-daß die in der Vergangenheit entstandenen und in die- sichts der herausragenden Rolle der Bundesrepubliksem Jahrhundert wirksamen – scheinbar traditionellen – Deutschland bei der Lösung eines außerordentlichBindungen zwischen einzelnen europäischen Völkern schwierigen Konfliktes eigentlich geboten wäre. und Staaten in diesem Konflikt keine entscheidende (B) Rolle mehr gespielt haben. Ich erinnere hier insbesonde- (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ re an Frankreich und Großbritannien. DIE GRÜNEN) Der dritte Punkt ist: Wir haben mitRußland – Gott Es ist ein Krieg zu Ende gegangen, der gegen euro- sei Dank – in dem Prozeß, der bis nach Paris geführt hat päische Werte und gegen die europäische Zivilisationund leider gescheitert ist, seit Anfang April zu einem geführt worden ist, und zwar über lange Zeit, viermalzunehmend kooperativen Verhältnis gefunden. Das wird auf dem Balkan und auch im Kosovo. Es ist ein Krieg zu durch die Nachrichten, die zum Teil übertrieben, zum Ende gegangen, der die Chance beinhaltet, Menschen- Teil falsch sind, in keiner Weise beschädigt. rechte und Menschenwürde sowie die Bedingungen, die man dafür braucht, wirklich zu sichern. Es ist ein Krieg Ich will im übrigen mit Blick auf die Bemerkungen des Kollegen Lamers darauf aufmerksam machen, daß zu Ende gegangen, der mit Sicherheit, wenn man die der Deutsche Bundestag in einem vergleichbaren Fall, militärischen Gegenmaßnahmen nicht getroffen hätte – nämlich bei der Entscheidung über das IFOR-Mandat in das ist nun Gott sei Dank keine spekulative Erörterung; Bosnien nach Dayton, fast zwei Wochen vor dem Be- wir wußten das angesichts von 600 000 Vertriebenen schluß des Weltsicherheitsrates der Vereinten Nationen schon vor dem März 1999 –, angesichts der Brutalitäten seine Zustimmung gegeben hat. Das passierte in einer und der Erfahrungen, die wir in den Jahren seit 1991 Situation, die mit der heutigen durchaus vergleichbar ist. gemacht haben, das Kosovo von seiner albanischstäm- migen Bevölkerung ebenso entleert wie auch alle Nach- Wenn der Balkan insgesamt eine gute Perspektive barstaaten destabilisiert hätte. Es entsprach also nichthaben soll, dann müssen wir dazu beitragen. Das richtet nur unseren Wertvorstellungen, sondern auch unserem sich an alle Nationen, an alle Völker, an die Menschen, Interesse, diese Entwicklung endgültig und dauerhaft zu die in den verschiedenen Staaten des Balkans leben, und stoppen. Wir haben das geschafft. zwar ganz unabhängig von ihrer ethnischen Abstam- mung. Wir haben eine große Chance, die Völker auf (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dem Balkan haben eine große Chance, auch das serbi- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der sche Volk. Unser Appell gerade an das serbische Volk CDU/CSU und der F.D.P.) lautet: Nehmt euer Schicksal in die eigene Hand! Über- In aller Kürze möchte ich darauf hinweisen, daß eslaßt es nicht einem Diktator, sondern kommt nach auch noch weitreichendere Erfahrungen und Perspekti- Europa! ven gibt. Der erste Punkt ist: Europäer und Amerikaner (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ haben im Rahmen einer militärischen Allianz, die zu- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der gleich ein Bündnis aus Demokratien und Wertegemein- CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3577

Bundesminister Rudolf Scharping (A) Wenn man das bedenkt, macht der Auftrag der inter- schwere Steine und Felsen, sondern auch Minen. Das ist (C) nationalen Friedenstruppe – und die deutsche Beteili-geistig und tatsächlich ein vermintes Gelände. gung daran – einen großen, einen guten, einen weit in Es gibt eine Reihe von Schwierigkeiten und Risiken, die Zukunft reichenden Sinn. die auf unsere Soldaten und auf die rückkehrende Be- Ich danke dem Deutschen Bundestag für die erwar- völkerung zukommen. Wir möchten, daß unseren Sol- tete, erhoffte – und hoffentlich gewährte – breite Unter- daten versichert wird – ich bin gewiß, das geschieht –, stützung. Vor allen Dingen aber danke ich denSoldaten daß ein so sicheres Umfeld, wie nur irgend möglich, ge- und ihren Familien. Sie leisten etwas für die Glaub- schaffen wird. Das wäre dann auch für die Flüchtlinge würdigkeit von Frieden, Freiheit, Menschenwürde und eine Gewähr. Ich weiß, es gibt viele Risiken, die man Menschenrechten. Sie leisten etwas für das internatio- nicht zu 100 Prozent ausschließen kann. Vor uns liegt nale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland. Sie lei- ein gefährlicher Weg. Wir wünschen unseren Soldaten, sten das unter einem großen Risiko, und das ist beson- denen wir herzlich danken – nicht nur denjenigen im ders anerkennenswert. Balkan, aber ihnen besonders –, dafür viel Glück. Es ist ihnen besonders dafür zu danken, daß sie es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- voller Überzeugung, voller Engagement tun, wissend ordneten der SPD und der F.D.P.) um das Risiko, wissend aber auch darum, daß man sie Wir bedanken uns auch bei ihren Familien. Ich traf braucht, wenn man die Werte durchsetzen und bewahren neulich in Mazedonien einen jungen Bundeswehrsolda- will, von denen wir heute gesprochen haben. Ich wün-ten, der mir erzählte, daß seine Frau zu Hause gerade sche – wie andere hier – auch den Soldaten eine gesunde das erste Kind erwartet. Er muß nun – er will es auch – Heimkehr. Ich versichere den Familien, daß wir alles für in den Kosovo einrücken. Aller Wahrscheinlichkeit nach die Sicherheit ihrer Väter und Söhne tun werden. wird das Kind in dieser Zeit zu Hause, hoffentlich ge- (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem sund, geboren werden. Versetzen wir uns in die Gedan- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der ken- und Gefühlswelt dieser Familie: Die Frau empfin- CDU/CSU und der F.D.P.) det Einsamkeit, weil ihr Mann in ungewissem Umfeld unterwegs ist und er ihr nicht beistehen kann. Unsere Soldaten sind keine Maschinen. Es sind Menschen mit Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat allen Gefühlen und allen Ängsten; sie brauchen die Un- jetzt der Abgeordnete Paul Breuer. terstützung des Deutschen Bundestages, um das zu tun, wofür wir sie einsetzen.

Paul Breuer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (B) Damen und Herren! Bundesverteidigungsminister Schar- ordneten der F.D.P.) (D) ping hat der großen Mehrheit des Verteidigungsaus-Auch die Familien brauchen diese Unterstützung. schusses am heutigen Morgen für die Unterstützung sei- ner Arbeit in den letzten Wochen gedankt. Ich darf an Es geht darum, daß jetzt Vertrauen im Kosovo aufge- dieser Stelle Ihnen, Herr Minister Scharping, und allen baut wird. Es ist ein weiter Weg – ich stimme dem zu, anderen Beteiligten diesen herzlichen Dank erwidern. was Verteidigungsminister Scharping gesagt hat –, aus der Spirale von Gewalt und Rache herauszukommen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Rache muß vermieden werden. Wir können in die Situa- F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND- tion geraten, daß sich deutsche Streitkräfte zwischen NISSES 90/DIE GRÜNEN) Rachsüchtige und deren Opfer stellen müssen. Das kann man mit Verträgen leider nicht verhindern. Der kluge UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat gestern abend gesagt, dieser Waffenstillstand sei, so hof- Meine Damen und Herren, es sei mir gestattet, darauf fe er, der Anfang vom Ende eines der dunkelsten Kapitel hinzuweisen, daß wir alle die Haltung, die verbrecheri- in der Geschichte des Balkans. Er hat es als Hoffnungsche Art von Milosevic unterschätzt haben. Bedrückt hat ausgedrückt. Er hat dabei noch einmal deutlich gemacht, uns ja in den letzten Monaten, daß die Luftangriffe so daß die letzte Etappe der 79 Tage, die wir alle als be-lange anhalten mußten. In diesem Zusammenhang drückend empfunden haben – aber es war richtig, siemöchte ich davor warnen, möglicherweise auch die Ge- durchzustehen –, nicht so sehr im Fokus des Zeitraffers fahren, die vom Balkan, vom Kosovo ausgehen können, stehen darf. Dieser Konflikt hat zehn Jahre gedauert:zu unterschätzen. Wir brauchen viel Umsichtigkeit, und seitdem Milosevic die Autonomie des Kosovo aufgeho- wir müssen die richtigen Konsequenzen ziehen. Das läßt ben und damit die schlimmen Konflikte begründet hat, sich nicht allein mit militärischer Gründlichkeit beant- die wir danach erlebt haben. Das heißt, daß wir heuteworten, das bedarf einer umfassenden Kombination von Dankbarkeit und Erleichterung empfinden können. Wir militärischer Gründlichkeit und entsprechender diplo- wissen aber, daß wir uns auf einen schweren, langenmatisch-politischer Begleitung. Weg machen. Die jetzt auf uns zukommende Aufgabe ist für Dieser Waffenstillstand schafft durch das Abrücken Deutschland von historischer Bedeutung. Deutschland des serbischen Militärs, des Paramilitärs, der Banden,bzw. die Bundeswehr erhalten eine eigene Sicherheits- der Polizei, der Sonderpolizei und durch das Einrücken zone, in der wir zusammen mit unseren Partnern und der NATO-Kräfte die Möglichkeit, daß die Flüchtlinge Nachbarn, den Niederländern und den Österreichern, zurückkehren. Aber auf diesem Weg liegen nicht nurVerantwortung tragen. Dies ist eine geschichtlich be- 3578 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Paul Breuer (A) deutsame Situation. Wer hätte noch vor wenigen Jahr- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Für drei Fest- (C) zehnten gedacht, daß die Europäer bzw. gerade diestellungen fehlt Ihnen die Zeit. Herr Kollege Breuer, Nachbarn Deutschlands, zum Beispiel die Niederländer, versuchen Sie, diese in einem Satz zusammenzufassen. auf der Basis ihrer geschichtlichen Erfahrungen dazu be- reit wären, zusammen mit der Bundeswehr eine so schwierige Aufgabe anzugehen? Ich bin dankbar dafür, Paul Breuer (CDU/CSU): Frau Präsidentin, es ist daß die Regierungen der letzten Jahrzehnte und insbe- dann ein langer, aber guter Satz. sondere die Regierung und (Heiterkeit) eine Grundlage dafür geliefert haben, daß dies heute ge- schehen kann. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Dann los. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Gestern abend konnte man sehen – diese Möglichkeit (CDU/CSU): Ich bin mir sicher, daß Sie haben wir ja angesichts der vielen Fernsehkanäle, die es Paul Breuer die Geduld, die ich von Ihnen kenne, dafür aufbringen bei uns gibt –, wie in unseren Nachbarländern, in Hol- land und Österreich, darauf reagiert wird. Dazu muß ich werden. sagen: Das erfüllt mich ein Stück weit mit Befriedigung. Die Sicherheit Europas ist ohne die NATO und un- Wir haben eine gute politische Ausgangsbasis. sere transatlantischen Freunde in Nordamerika nicht Aber eine Feststellung im Hinblick auf die schwere denkbar. Wir sollten deshalb nicht die kritische Distanz, Aufgabe der Bundeswehr muß man hier treffen – auch sondern die selbstbewußte Nähe zu ihnen suchen. Die dies muß gestattet sein –: Die Bundeswehr wird da-Sicherheit Europas ist zudem nur gemeinsam mit Ruß- durch, daß sie auf lange Zeit eingesetzt wird – niemand land möglich. Und was die Meldungen des heutigen von uns kann sagen, wie lange der Einsatz dauern wird; Morgens angeht, so möchte ich die Bundesregierung ich befürchte, sehr lange –, bei der Bewältigung ihrerauffordern, alles zu tun, damit Rußland eingebunden Aufgabe bis aufs äußerste gefordert sein. 12 000 bzw. wird. 13 000 Soldaten – das heißt eine große Division – wer- Wir müssen den europäischen Pfeiler der Allianz den ständig im Kosovo im Einsatz sein. Da diese zwei- stärken und ständig die Frage an uns richten, ob unser mal im Jahr abgelöst werden, sind als Grundlage dreiBeitrag gut und angemessen ist. Dann bin ich mir sicher, Divisionen erforderlich. Nebenbei gesagt: Dazu sind un- daß wir auf dem richtigen Wege sind. geheure finanzielle Mittel notwendig. Die CDU/CSU hat sich zu diesem Weg bekannt, in Auf ein weiteres möchte ich hinweisen – ich weiß,den letzten Wochen zum Teil stärker als die rotgrüne (B) manche Sozialdemokraten empfinden angesichts der jet- Koalition. Auf diese Feststellung legen wir Wert. Wir(D) zigen Situation so wie ich –: Wenn der sonst so ge-haben zu diesem Prozeß einen guten Beitrag geleistet schätzte Kollege Kröning feststellt, daß der Bundeswehr und werden dem Antrag der Bundesregierung zustim- Geld entzogen werden müsse, bzw. nicht dazu bereit ist, men. für die Erfüllung der Aufgabe der Bundeswehr im Ko- sovo weiter Mittel bereitzustellen, ist das ein Mangel an Ich bedanke mich. Sensibilität. Wir müssen ihn gemeinsam – da wende ich (Beifall bei der CDU/CSU) mich besonders an die Sozialdemokraten – von diesem Weg abbringen. Das Wort hat (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: jetzt die Abgeordnete Angelika Beer. Angesichts der Tatsache, daß sich unsere Soldaten in dem schwierigsten Einsatz seit dem zweiten Weltkrieg befinden, kann man nicht meinen, man leiste einen an- Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau gemessenen politischen Beitrag, wenn man unseren in Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich der Demokratie großgewordenen und loyal zur Demo- denke, daß nicht nur mir und den meisten Mitgliedern kratie geführten Soldaten gleichzeitig das Geld entzieht des Hauses, sondern auch der Bevölkerung gestern um und die Kasernen abbricht. Das muß vermieden werden. 19 Uhr Wackersteine vom Herzen gefallen sind, als be- kannt wurde, daß der UN-Sicherheitsrat den Weg zu (Beifall bei der CDU/CSU) einem Friedensprozeß eröffnet hat und begleitet und in Zukunft stärken wird. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Breuer, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Breuer, ich will Ihnen eines sagen: Sie haben in Paul Breuer (CDU/CSU): Frau Präsidentin, ichden letzten schwierigen Monaten Angriffe gegen uns komme zum Schluß. unternommen in dem Versuch, die Regierung zu spalten, die Koalition auseinanderzutreiben. Eine solche Situati- (Beifall bei der SPD) on haben Sie in Ihrer Regierungszeit nie kennengelernt: Der Kosovo-Konflikt muß uns Lehre für die Zukunft Wir sind nicht die pflegeleichte Jasager-Koalitionspart- sein. Dazu möchte ich gern, wenn es mir gestattet wird, nerin, sondern Bedenkenträger. Ich glaube auch, daß das drei Feststellungen treffen. gut und richtig ist, gerade wenn es um Menschenrechte Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3579

Angelika Beer (A) und um einen Krieg geht, den wir so zum erstenmal füh- Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Frau Präsiden- (C) ren mußten. Diese Sorgen und Ängste haben nicht nur tin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Beer, Sie die politisch Handelnden umgetrieben – ich glaube, das haben der alten Koalition bis zum 27. September des bezieht sich auf alle Parteien –, sondern auch die Gesell- letzten Jahres die Militarisierung der Außenpolitik vor- schaft, mit zunehmender Dauer der NATO-Luftschläge, geworfen. um die ethnischen Säuberungen Milosevics endgültig zu beenden, stärker. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU) Die Bedenken, die wir geäußert haben, die auch heute noch diskutiert werden und mit denen wir auchIch glaube, man braucht nicht viel Phantasie zu haben, unserer Partei viel zugemutet haben – ich glaube, auch wie die heutige Diskussion verlaufen wäre, wenn Sie das war richtig so –, entsprechen einer Zäsur. Diese Be- heute noch in der Opposition wären: Sie, Frau Beer, und denken aber haben zu Ergebnissen geführt: Wir tragen Ihre Parteifreunde wären wahrscheinlich tagtäglich auf Verantwortung, nicht in Form von Lippenbekenntnissen, der Straße, um eine Demonstration anzuführen, und wie manch andere es bisher getan haben, sondern unter würden sich an Mahnwachen beteiligen. Anerkennung der Realität, Herr Gysi. Wir haben ent- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der schieden, daß der Militäreinsatz notwendig war, um die PDS) Kriegsführung von Milosevic zu beenden und die Koso- varen zu retten. Wir hatten keine andere Möglichkeit,Es ist schon eine verdrehte Politik. Ich glaube, nach der nachdem Ihre Regierung über Jahre hinweg alle präven- Wende hat man solche Leute als Wendehals bezeichnet. tiven Mittel ungenutzt gelassen hat. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so- (Karl Lamers [CDU/CSU]: Das ist doch eine wie bei Abgeordneten der PDS – Widerspruch Unverschämtheit!) der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zur Realität gehört aber auch, daß wir während der Luftschläge alle Friedensinitiativen , die insbesondere Im Kosovo ging es nicht um ein Kriegsziel der diese Regierung, aber auch die anderen Organisationen NATO, sondern um die Frage an freiheitlich verfaßte und Personen, die heute oft erwähnt worden sind, aktiv Gesellschaften, ob sie wegschauen wollen, wenn 55 Jah- unterstützt haben. Dies widerlegt den an uns gerichteten re nach Beendigung des zweiten Weltkrieges erneut Vorwurf. Viele gerade aus Ihrer Partei, Herr Gysi, haben europäische Volksgruppen gefoltert, ermordet und ver- gesagt, Rotgrün habe diesen Krieg erst möglich ge-trieben werden. Es ist schon bezeichnend, daß der Spre- macht. Ich sage Ihnen: Nein! Rotgrün hat es möglichcher der SED-Nachfolgeorganisation PDS den Sicher- gemacht, daß die Diplomatie immer im Vordergrundheitsratsbeschluß der UN einfach ignoriert, abtut (B) stand. Wir können heute sagen: Wir haben das Fenster (D) ( [F.D.P.]: Hört! Hört!) zum Frieden geöffnet, und das mit Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft. und, losgelöst von dieser Beschlußlage, Parlament und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Regierung Vorwürfe macht. Sie hätten bei Ihren Bemerkungen auch Stellung dazu nehmen können, wie und bei der SPD) es war, als Sie den Westen angegriffen haben, wer Zu dieser Realität – das möchte ich zum Schluß sagen eigentlich den Prager Frühling niedergeschlagen hat, – gehören nicht nur die Sorge und die Verantwortung für wer den Aufstand in Ungarn niedergeschlagen hat und die Flüchtlinge und die Vertriebenen, für die Entminung wer den Aufstand am 17. Juni niedergeschlagen hat. und für die präventive Politik der Zukunft, sondern auch Auch dazu hätten Sie sich heute äußern können, statt die Verantwortung für und das Wissen um den schweren den Westen hier einseitig anzugreifen. Einsatz der Bundeswehrsoldaten. Das heißt, es gilt, heute noch nicht endgültig aufzuatmen. Vielmehr wissen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- wir, daß nach dem Einsatz am 24. März jetzt die nächste ten der CDU/CSU) schwere Phase mit unendlichen Gefahren kommt. Meine Ich möchte mich für die F.D.P. bei allen bedanken, Fraktion und meine Partei unterstreichen ausdrücklich die dazu beigetragen haben, daß es zum Beschluß des die heute oft geäußerte Hoffnung und den Wunsch, daß Sicherheitsrates der UN gekommen ist. Die F.D.P.- die Soldaten diesen schwierigen Einsatz gut überstehen Bundestagsfraktion wird dem von der Bundesregierung und gesund zurückkommen; denn wir wissen, daß es ihr vorgelegten Antrag für die deutsche Beteiligung an der Ziel ist, nach der humanitären Arbeit der letzten Monate KFOR-Truppe für den Kosovo zustimmen. Wir tun jetzt diesen Menschen, die sie versorgt haben, die Rück- dies aus staatspolitischen Überlegungen, aus bündnis- kehr ins Kosovo zu erleichtern und den Frieden auf dem politischen Überlegungen und aus humanitären Grün- Balkan zu stabilisieren. den. Aber wir tun dies nicht ohne ernste Bedenken. Die- Vielen Dank. se Bedenken beziehen sich nicht etwa darauf, daß wir die Notwendigkeit bezweifeln, im Kosovo wieder zu ei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nem Frieden zu kommen, als vielmehr auf die Art und und bei der SPD) Weise, in der die Beschlußvorlage zustande gekommen ist. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Herr Minister Scharping, weil es um Krieg und Frie- jetzt der Abgeordnete Günther Nolting. den geht, haben wir die hektische Handlungsweise der 3580 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Günther Friedrich Nolting (A) Bundesregierung gegenüber dem Parlament in dieserschichte des 20. Jahrhunderts geschrieben hätte, hätte(C) Woche hingenommen. Wenn es um den Einsatz unserer sich geirrt. Soldaten geht, die dabei eventuell Leib und Leben ris- Das, was wir hinter uns haben, wurde auch moralisch kieren, dann ist keine Sitzung zuviel, keine Frage über- diskutiert, obwohl das nicht der Kern der Sache war. Der flüssig und keine Erläuterung unnötig. Kern der Sache war, daß die NATO wußte: Dieethni- Der SPD-Fraktionsvorsitzende hat den Hinweis auf schen Verfolgungen im ehemaligen Jugoslawien sind den Haushalt in einem Zwischenruf als „kleinlich“ ab- mit den Mitteln der NATO bekämpfbar. Wir haben in getan. Wir werden bei den weiteren Beratungen, wenn der jüngeren Geschichte genug ethnische Verfolgungen es auch um den Haushalt geht, darauf zurückkommen. erlebt – und erleben sie noch heute –, die nicht be- kämpfbar sind. Deshalb war es keine Frage der absolu- (Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.]) ten Moral. Gerade weil diese Verfolgungen bekämpft Es wird darum gehen, daß derVerteidigungsetat nicht werden konnten, wurden die Entscheidungen so schwie- weiter gekürzt wird. Herr Minister, in dieser Frage ha- rig. Für den Einsatz wurden sehr konkrete Bedingungen ben Sie unsere Unterstützung. festgesetzt, unter anderem, daß es zu keinem Verlust ei- gener Soldaten kommen sollte. Dies ist, von tragischen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Nebenunglücken abgesehen, gelungen. Unbeteiligte Zivilisten in Serbien haben mehr Scha- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege den genommen, als wir das wollten. Das hat damit zu Nolting, denken auch Sie bitte an die Zeit. tun, daß sich die meisten – ich schließe mich da mit ein – hinsichtlich der notwendigen Dauer dieser Ausein- andersetzung geirrt haben. Der Kern war aber: Wir Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Letzter Satz, konnten handeln. Deshalb stellte sich überhaupt erst die Frau Präsidentin. moralische Frage. Ich denke, es wäre gut gewesen, wenn Sie sich auch Handeln konnten wir nur, weil die NATO auf die zu den Finanzen geäußert hätten. Ich erinnere die Bun- Waffentechnik der USA gestützt ist. Das ist ohne jeden desregierung an ihre Aussagen, den Verteidigungsetat Zweifel deutlich geworden. Das festzuhalten ist richtig. nicht weiter zu belasten, und hoffe, daß sie dazu steht. Dennoch sollte ein realistisches und erwachsenesVer- Unsere Soldaten und ihre Familien brauchen diese Si- hältnis zu den USA jetzt nicht auf die Frage von Dank- cherheit. Ich sage Ihnen zu, Herr Minister, daß wir Sie in barkeit oder Undankbarkeit reduziert werden. dieser Frage unterstützen werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (B) (D) Vielen Dank. Insbesondere mit republikanischen Kollegen des ameri- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) kanischen Kongresses über diesen Krieg diskutiert zu haben, hat die meisten Äußerungen grüner Kollegen – angesichts der rabiaten Kritik, die Mitglieder des ame- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat rikanischen Kongresses an diesem Krieg geäußert haben jetzt der Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel. – zu harmloser Kritik werden lassen. Zu einem erwach- senen Verhältnis zwischen den Demokratien Europas und der USA gehört auch diese Erkenntnis. Dr. Christoph Zöpel (SPD): Frau Präsidentin! Mei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ne sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach be- DIE GRÜNEN) rechtigten Beklemmungen und Zweifeln in den vergan- genen Wochen ist dies heute unstreitig ein Tag derDer Dialog mit den Vereinigten Staaten – so wie ich Freude. Bei der Bewertung bin ich zurückhaltend. Si-ihn erlebt habe – hatte zwei Seiten. Auf der einen Seite cherlich werden diese Wochen in den Geschichtsbü-stellten Kollegen die Frage: Macht Europa bei den chern der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts NATO-Aktionen weiter mit? Man konnte darauf sehr breiten Raum einnehmen. Was in den Geschichtsbü-einfach antworten: Im Deutschen Bundestag gab es zu chern des 21. Jahrhunderts über Osteuropa stehen wird, dem Einsatz viel mehr Zustimmung als im amerikani- steht noch nicht fest. Auch das sollte heute gesagt wer- schen Kongreß. Auf der anderen Seite gab es die Frage: den. Warum regelt ihr Europäer das Kosovo-Problem nicht selber? Bei dieser Frage sind wir bei der Quintessenz Die Risiken kennen wir. Ich glaube, alles, was heute des europäisch-amerikanischen Verhältnisses: Was kön- durch Herrn Lamers und in den vergangenen Tagen vor nen wir, wenn Völkerrechts- und Menschenrechtsver- allem durch Mitglieder der Partei der Grünen hinsicht- stöße in Europa passieren, selber regeln? Ich glaube, die lich vorhandener Risiken geäußert worden ist, ist einer Beschlüsse des Ministerrats der WEU von Bremen und Demokratie würdig. Wir kennen friedliche Handlungs- jetzt des EU-Gipfels, eine europäische Sicherheitsiden- optionen und haben die Hoffnung, gewalttätige Hand- tität anzustreben, sind die richtige Antwort. Dazu sind lungsoptionen vermeiden zu können. Nur, am Anfang noch viele spannungsreiche Diskussionen mit den be- stand schon eine enttäuschte Hoffnung: die Hoffnung, freundeten Amerikanern zu erwarten. die in der Charta von Paris von 1989 niedergeschrieben ist, daß es so etwas – Völkermord und Bombenattacken (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – in Europa nicht mehr geben würde. Wer 1989 die Ge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3581

Dr. Christoph Zöpel (A) Das Verhältnis zur UNO hat in der Frage, wie der nicht die richtigen Konsequenzen. Alle Szenarien nützen (C) Sicherheitsrat effektiv werden kann, neue Realitätsein- dann nichts. sichten zugelassen: Europa kann mit China nicht nur Ich wünsche mir als entscheidende Voraussetzung für über Menschenrechte sprechen – so berechtigt das ist –, alles, was jetzt geschehen kann – Stabilitätspakt, Aufbau wenn Europa meint, man brauche China auch zur der Zivilverwaltung und ähnliches – folgende Vision. Lösung von Konflikten in Europa. Das mußte man ler- Wir möchten mit diesen Völkern in einem Europa nen. Ich hoffe, diese Erkenntnis bleibt. Daß Europa mit zusammenleben und erleben, daß Konflikte, die mit Rußland bei komplizierten Verhältnissen dauerhaft gute Gewalt verbunden sind – die es, wie in Nordirland oder Beziehungen pflegen muß, selbst wenn Menschenrechte im Baskenland, immer geben wird –, als Probleme der und Mafia kritisch im Spiel sind, hat man ebenfalls ge- inneren Sicherheit Europas von Europäern human gelöst lernt. Hier haben wir Fortschritte erzielt, und die UNO werden können. hat eine neue Realität hinzugewonnen. Herzlichen Dank. Die Aufgabe, die sich uns heute stellt, liegt mir am Herzen. Jeder, der sich dazu öffentlich äußert, sollte sich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ über das klar sein, was er tut. Dieser Krieg ist geführt DIE GRÜNEN) worden, um Menschen nicht zuVertriebenen werden zu lassen. Diese Menschen wurden allerdings trotzdem von Milosevic vertrieben, was durch die Attacken der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat NATO beschleunigt wurde. Jetzt sollen sie in ihre Hei- jetzt der Abgeordnete Christian Schmidt. mat zurückkehren. Nun weitherzig zu bedenken, wie deren Schicksal ist, ist unsere Aufgabe. Ich habe kein Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Frau Präsi- Verständnis dafür, schon heute darüber nachzudenken, dentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! So- wie sie schnell wieder aus den EU-Staaten verschwun- wohl das, was Kollege Zöpel gerade mit seinen Hinwei- den sein können. Das hat mit Humanität und Christen- sen auf die Kopenhagener Dokumente, auf die Charta tum nichts gemein. von Paris und auf all die diplomatischen und präventi- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ven Versuche, in Europa nach dem Fall des Eisernen DIE GRÜNEN) Vorhangs eine Friedensordnung zu erreichen, dargelegt hat, als auch die Politik von Volker Rühe, von Helmut Compassion – auch ich möchte diesen Begriff verwen- Kohl und von haben in den letzten Jahren den – gilt für mich ebenso für unser Verhältnis zu den die Grundlage dafür gelegt, daß wir heute an diesem Menschen in Serbien, soweit sie nicht schuldhaft in die- Punkt angekommen sind. sen Krieg verstrickt waren. (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ordneten der F.D.P.) Nun wende ich mich der Lösung zu. Wir können Kollegin Beer widerspricht dem zwar, aber ihre Rede Szenarien über eine zukünftige Ordnung auf dem war wohl eher an die eigene Partei gerichtet als an ir- Balkan malen, die jedoch alle nicht eintreten werden, gend jemand anderen. Ernst zu nehmen waren ihre Be- wenn nicht die eine Voraussetzung erfüllt ist: Nur wenn gründungen jedenfalls nicht. wir alle, die wir schon zur Europäischen Union gehören, fest davon überzeugt sind, daß auch Albaner, Mazedo- Wir müssen den Blick nach vorne richten und überle- nier und Serben Europäer sind, dann wird der Konflikt gen, wie die Kernfragen , die sich uns nach den Mili- gelöst werden. täraktionen in der heutigen Situation stellen, beantwortet (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten werden können. Diese Fragen gehen sehr in die Tiefe: Welche Kriegsziele verfolgte man? Waren sie überhaupt des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) klar genug definiert? Wenn ja, sind sie wirklich erreicht Die Voraussetzung ist, daß wir glauben, daß sie Euro- worden? Wie lange werden wir dort militärisch enga- päer und keine merkwürdigen Bergvölker sind. – Imgiert sein müssen? Sind wir uns über das Ausmaß des Zusammenhang mit den albanischen Bergvölkern, diepolitischen Engagements bewußt? Welche Gefahren etwas unzivilisiert sind, denke ich immer an Mutter Te- drohen in der kommenden Zeit noch aus Jugoslawien? resa. Vielleicht mag mancher darüber nachdenken, der Was können wir Europäer bzw. was sind wir Europäer so etwas selbst in Landtagen erzählt hat. verpflichtet zu tun? Welche Auswirkungen wird dieser Konflikt auf die zukünftige Struktur der Vereinten Na- Prinzipien Weil sie alle Europäer sind, müssen die tionen haben? Auch die Beantwortung dieser Frage be- von Kopenhagen, die der Bundesaußenminister er- darf einer langen Diskussion. Auch das bedarf einer lan- wähnt hat, eine andere Bedeutung erhalten. Diese Prin- gen Diskussion. Welche Lehren zieht die NATO aus zipien können nämlich zweierlei sein: entweder einedem Konflikt? Abwehr gegen solche, die wir nicht wollen, oder eine Einladung, sich uns anzuschließen. Wer im Europa von Herr Kollege Zöpel, ich darf an das anschließen, was heute die Prinzipien von Kopenhagen nicht als eineSie gesagt haben. Natürlich wird auch in Zukunft und Einladung an Albaner, Serben, Mazedonier und andere gerade bei Lösungen regionaler Konflikte in Europa das begreift, sich in Europa zu integrieren, und ihnen nicht europäische Engagement innerhalb der NATO anders mitteilt, daß wir mit ihnen in einem staatsähnlichenbewertet werden müssen, als es vielleicht vor Jahren europäischen Gebilde zusammenleben wollen, der zieht noch der Fall gewesen ist. Diese Fragen kommen nicht 3582 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Christian Schmidt (Fürth) (A) nur aus Washington – jawohl, auch daher –, sondernBefürchtung, daß die Freude des einen das Leid des an- (C) werden auch bei uns selbst gestellt. deren werden könnte. So ist es auch gekommen. Die nach Bosnien hinüberziehenden Truppen waren später Damit bin ich beim ThemaKosten . Ich erlaube es ein Teil der Kräfte, die Bosnien in die Knie zu zwingen mir nun doch noch, es einzubringen. Der Kollege Struck versuchten. hat zwar in seiner Rede, die er zunächst abgelesen hat – dann ging er zum freien Vortrag über – Drei Jahre später hat es auch Richard Holbrooke bei der Befriedung Bosniens durch das Dayton-Abkommen (Dr. Peter Struck [SPD]: Unverschämter nicht geschafft, die Frage des Kosovo einzubeziehen. Schnösel!) Der Kosovo war in Dayton nicht berücksichtigt worden – Diese parteipolitische Holzhackerei, die wir dabei er- und somit letztendlich schutzlos. Dreieinhalb Jahre nach lebt haben, war der heutigen Debatte nicht würdig. dem Dayton-Abkommen ist es nun gelungen, Frieden für den Kosovo wenigstens in Aussicht zu stellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir wissen, daß gewisse Entwicklungen in Montene- Der Kollege Struck hat zwar das Kostenargumentgro, in der Vojvodina und im Sandschak mit den dort beiseite gewischt. Aber wenn ich allein die Satelliten-lebenden Minderheiten nicht geregelt sind. aufklärung, die Frage der europäischen Möglichkeiten, auch militärisch aktiv zu werden, betrachte, dann mag (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Warum sagen, wer will – ich kann es nicht –, daß das für den lesen Sie das ab?) Haushalt ohne Relevanz wäre. Dabei sind wir natürlich Ich meine, Herr Kollege Schmidt, daß dies eine sehr bei zentralen Themen. Herr Verteidigungsminister, die ernste und sehr nachdenkenswerte Frage ist. Überholungen in der Wehrstrukturkommission sind durch Einwürfe des Kollegen Kröning oder des Herrn (Dr. Peter Struck [SPD]: Haben Sie gut vor- Finanzminister Eichel bereits in Frage gestellt. Wir müs- gelesen!) sen uns darüber in den nächsten Jahren schon sehr inten- – Im Gegensatz zu Herrn Struck habe ich meine Rede siv Gedanken machen. Wir sind dazu konstruktiv bereit. selber geschrieben. Das will ich für unsere Seite nur anbieten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Eines jedenfalls scheint klar zu sein: Der Kosovo- der F.D.P. – Konrad Gilges [SPD]: Behaupten Konflikt ist nicht ein singulärer Konflikt, sondern ein Sie!) Mosaikstein im Bild des auseinanderbrechenden Jugo- slawiens und der Machtarroganz des Slobodan Milose- Die Frage, wie wir in diesen Regionen Serbiens und vic. Auch unserer Zeit wird es nur schwer gelingen, die im ehemaligen Jugoslawien, in Montenegro den Schutz (B) Probleme dieser Region zu lösen – ich empfehle jedem der dort Lebenden sicherstellen können, ist nicht beant- (D) die Lektüre von Ivo Andric; er hat dies über den Laufwortet. Die serbische Armee zieht aus dem Kosovo ab. der Jahrhunderte an Beispielen literarisch hervorragend Wo zieht sie hin? In zerbombte Kasernen? Nein! Sie dargestellt –, den ewigen Frieden auf dem Balkan zu in- wird ein Unsicherheitsfaktor werden. Wir müssen wo- stallieren. Realistisch ist es, hier die eigenen Ansprüche möglich aufpassen, daß die Republik Montenegro nicht zu reduzieren und zu versuchen, möglichst den Grund- ins Zielfeuer und zur Zielscheibe von Herrn Milosevic stein für eine lange Phase des Friedens in diesem Teilgerät. Europas zu legen. Wir müssen dies gemeinsam mit den dort lebenden Menschen erarbeiten. Wir wären über- Sind diese Gefahren in den Verhandlungen der letz- heblich, wenn wir meinten, wir könnten das ohne dieje- ten Wochen berücksichtigt worden? Ich weiß es nicht. nigen, die davon betroffen sind und dort leben. Ich glaube, in dieser Hinsicht liegt noch ein schwieriger Teil des Weges vor uns. Das macht uns im Jubel etwas (V o r s i t z : Vizepräsident Rudolf Seiters) verhalten. Wir meinen, wir müssen alle Kräfte sammeln, um auch in den nächsten Jahren diplomatische und poli- Wenn es uns schon nicht gelingen wird, die Men- tische Anstrengungen zu unternehmen, die dahin zielen, schen zu verbessern – daran glaube ich nicht –, so muß den Balkan zu befrieden. es doch gelingen, die namentlich zu benennendenVer- ursacher der Verbrechen auszuschalten. Milosevic Zum Stichwort Wirtschaftsembargo . Soll Herr Mi- war Verursacher dieses Krieges. Er war auch Verursa- losevic Geld erhalten? Nein, auf keinen Fall. Aber die cher des Krieges zwischen Serben und Slowenen undTatsache, daß es auch zu Beginn des jetzt beendeten zwischen Serben und Kroaten, und er war – gemeinsam Konfliktes offensichtlich nicht gelungen ist, ein Ener- mit seinem Vasallen Karadzic – der Verantwortliche für gieembargo gegen Jugoslawien zu verhängen – als man den Bosnien-Krieg. Kann man einen solchen Despoten die Raffinerien bombardiert hat, bestand kein Ener- als Verhandlungspartner akzeptieren, obwohl wir doch gieembargo –, gibt kein ermutigendes Beispiel für die wissen, daß es noch ein paar Dominosteine gibt, die die- Zukunft. ser ideologisch verblendete Mensch auf dem Altar seiner großserbischen Vorstellungen und seiner Machterhal- Wir müssen auch darüber nachdenken, wie die Soli- tung opfern möchte? darität auf der Ebene derVereinten Nationen besser gesichert werden kann. Gott sei Dank haben die Chine- Als nach der Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweni- sen eingelenkt. Insgesamt aber hat die NATO die Über- ens die serbische Armee aus diesen Teilen Jugoslawiens zeugungsarbeit für die Art und Weise und für die abzog und in Bosnien Unterschlupf fand, hatten viele die Grundlagen ihrer politischen und militärischen Aktio- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3583

Christian Schmidt (Fürth) (A) nen, für die auch wir uns entschieden haben, nicht sosönlichen Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsord-(C) intensiv betrieben, wie es hätte sein sollen. Wenn man nung. weiß, daß man im Sicherheitsrat ohne China keine Re- solution durchbringen wird, dann hätte es wohl doch der Klugheit entsprochen, die Chinesen von vornherein so- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weit wie möglich in die G-8-Gespräche, in die Informa- NEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- tionsarbeit und in Konsultationen einzubeziehen. Wirgen! Selbstverständlich bin auch ich erleichtert und froh sollten diese Dinge zukünftig genauso wie die Einbin- darüber, daß die Bombardierungen und die Vertreibun- dung Rußlands bedenken. gen im ehemaligen Jugoslawien gestern beendet wurden. Auch ich sehe und erkenne an, daß diese Bundesregie- (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rung – allen voran der Außenminister – beim Zustande- NEN]: CSU, die neuen Freunde Rußlands!) kommen dieser diplomatischen Lösung ein erhebliches Maß an Verdiensten haben. Auch die Einbindung der islamischen Länder ist ein ganz entscheidender Faktor. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Wir müssen bei der Frage der Kosten im übrigen dar- SES 90/DIE GRÜNEN) an denken, daß wir Deutschen die Kosten nicht allein Natürlich begrüße auch ich, daß die Russen in die tragen. Vielmehr muß das, was zu bezahlen ist und was Verhandlungen einbezogen worden sind und daß der geleistet werden muß, gleichmäßig und gerecht auf allen ganze Friedensprozeß im ehemaligen Jugoslawien durch Schultern verteilt werden. das Mandat der UNO gestern nun endlich auf eine völ- (Beifall bei der CDU/CSU) kerrechtliche Grundlage gestellt werden konnte. Denn Solidarität ist bekanntermaßen auch ein europäi- Auch ich lehne deshalb den Antrag der Bundesregie- sches Grundprinzip. Wir fordern das ein. Das wird dann rung und die deutsche Beteiligung an der Friedenssiche- aber wohl erfordern, daß über das, was in Berlin aufrung nicht ab. Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dem als „Erfolg“ apostrophierten Gipfel vereinbart wor- bei aller Freude und bevor hier der Stolz ausbricht, dür- den ist, noch einmal gehörig nachgedacht werden muß, fen wir doch nicht vergessen, daß der militärische Teil der Doppelstrategie der NATO zu Tausenden von Toten, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Kom- zu Tausenden von verletzten, verstümmelten Menschen men Sie endlich zum Schluß!) in Serbien und im Kosovo geführt hat, daß einem gan- sonst wird diese Gerechtigkeit in Europa nicht eintreten. zen Volk die Lebensgrundlage weggebombt worden ist und daß einem ganzen Land die Infrastruktur zusam- Zwei Tage vor den Europawahlen, bei denen wir die mengebombt worden ist. Das dürfen wir nicht verges- (B) Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zur europäi- sen. (D) schen Integration erbitten, Den Versuch der Bundesregierung, in ihrem Antrag (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr nachträglich zu rechtfertigen, daß der militärische Teil Präsident, die Zeit!) der Doppelstrategie der NATO ohne völkerrechtliche Grundlage gegen das Völkerrecht praktiziert worden ist, möchte ich schon mit aller Ernsthaftigkeit darauf ver- mit diesen fürchterlichen Folgen, mit diesem viel zu ho- weisen, daß das auch Konsequenzen für die Beachtung von Volksgruppen- und Minderheitenrechten habenhen Preis, lehne ich ab. muß. Dazu gehört auch – ich spreche das an, auch wenn Ich bin der Auffassung, daß in dem Antrag und in den auf der Regierungsbank Unruhe aufkommt – Papieren, auf die in dem Antrag Bezug genommen wird, erhebliche Risiken für den Friedensprozeß, im Kosovo und in den benachbarten Ländern übriggeblieben und Herr Kollege Vizepräsident Rudolf Seiters: nicht beseitigt worden sind. Ich will diese vierRisiken Schmidt, ich muß Sie jetzt bitten, zum Ende zu kom- nur kurz andeuten. men. Erstens. Die Rolle der russischen Soldaten ist nach wie vor ungeklärt. Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): – die Be- seitigung rechtlicher Altlasten wie zum Beispiel der Zweitens. Die Entwaffnung der UCK ist im Gegen- Beneš-Dekrete in der Tschechischen Republik. satz zur Entwaffnung der serbischen Militärs weitge- hend ungeklärt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drittens. Wenn man weiß, daß der neue Stabschef der Nach den Erfahrungen, die wir jetzt gemacht haben, UCK, ein Brigadegeneral aus Kroatien, an ethnischen müssen wir für die Zukunft die Einheit der Rechtsord- Säuberungen in Kroatien beteiligt war und direkte Ver- nung für ganz Europa festschreiben. Das ist unsere Auf- antwortung für die Vertreibung von Hunderttausenden gabe. von Serben aus der Krajina mitträgt, dann kann man die (Beifall bei der CDU/CSU) Angst und die Furcht der Serben im Kosovo vor Ver- treibungen und vor Massakern, die ihnen jetzt mögli- cherweise bevorstehen, verstehen. Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich gebe dem Kol- legen Hans-Christian Ströbele das Wort zu einer per- (Beifall bei Abgeordneten der PDS) 3584 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Hans-Christian Ströbele (A) Ich nenne ein letztes wesentliches Risiko, das nicht Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun- (C) beseitigt worden ist. Wenn man das tut, was hier vonmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung mehreren Rednern, auch von der Bundesregierung, an- des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bun- gekündigt worden ist, daß man Serbien keine ökonomi- desregierung zur deutschen Beteiligung an einer inter- sche Unterstützung gewähren wird, solange Milosevic nationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewähr- dort Präsident ist und dort keine demokratischen Ver-leistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlings- hältnisse hergestellt sind, dann nimmt man wiederumrückkehr und zur militärischen Absicherung einer Frie- die gesamte serbische Bevölkerung in Haftung für das, densregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Re- was Staatspräsident Milosevic verbrochen hat, undsolution 1244 des Sicherheitsrats der Vereinten Natio- nimmt in Kauf, daß diesem Volk die Lebensgrundlagen nen vom 10. Juni 1999, Drucksache 14/1133 und vorenthalten werden, daß es geradezu zur Flucht auch14/1136. Der Ausschuß empfiehlt, dem Antrag der Bun- nach Mitteleuropa gezwungen wird. desregierung zuzustimmen. Es ist namentliche Abstim- mung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Aus diesen Gründen lehne ich den Antrag der Bun- Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – desregierung zwar nicht ab, aber ich kann ihm auch Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne nicht zustimmen. Ich werde mich wie einige andere Kollegen aus der Bündnisgrünen-Fraktion enthalten. die Abstimmung. – (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine SES 90/DIE GRÜNEN) Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich schließe die nen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentli- Aussprache. chen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. Es sollen einige weitere Erklärungen nach § 31 unse- rer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben werden, und (Unterbrechung von 13.48 bis 13.55 Uhr) zwar eine Erklärung des Kollegen Wolfgang Börnsen (Bönstrup), eine gemeinsame Erklärung der Kollegen Annelie Buntenbach, Monika Knoche, , Vizepräsident Rudolf Seiters: Liebe Kolleginnen Irmingard Schewe-Gerigk, Christian Simmert und Syl- und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder er- via Voß, eine Erklärung von Dr. Antje Vollmer, eineöffnet. weitere gemeinsame Erklärung von Dr. Hermann Scheer, Dr. Axel Berg, Ute Vogt (Pforzheim) und Ha- Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführe- rinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- (B) rald Friese, eine weitere gemeinsame Erklärung von (D) Christel Deichmann und Götz-Peter Lohmann (Neu-mung über den Kosovo-Antrag der Bundesregierung be- brandenburg), eine weitere gemeinsame Erklärung von kannt: Abgegebene Stimmen 540. Mit Ja haben ge- Christian Sterzing, Claudia Roth (Augsburg), Winfried stimmt 505, mit Nein haben gestimmt 24, Enthaltungen Hermann, Hans-Josef Fell und Winfried Nachtwei sowie 11. Die Beschlußempfehlung ist angenommen. eine Erklärung von Detlev von Larcher.*) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem *) Anlage 2 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)

Endgültiges Ergebnis Peter Enders Karl-Hermann Haack Abgegebene Stimmen: 540; (Extertal) davon: (Heidelberg) Annette Faße Hans-Joachim Hacker ja: 505 Lothar Fischer (Homburg) Klaus Hagemann nein: 24 Klaus Brandner Manfred Hampel enthalten: 11 Anni Brandt-Elsweier Norbert Formanski Christel Hanewinckel Rainer Fornahl Alfred Hartenbach Rainer Brinkmann (Detmold) Hans Forster Anke Hartnagel Ja Hans-Günter Bruckmann Klaus Hasenfratz Dr. Michael Bürsch Lilo Friedrich (Mettmann) Nina Hauer SPD Hans Martin Bury Harald Friese Hans Büttner (Ingolstadt) (Köln) Reinhold Hemker Marion Caspers-Merk Arne Fuhrmann Frank Hempel Wolf-Michael Catenhusen Monika Ganseforth Dr. Barbara Hendricks Hermann Bachmaier Dr. Herta Däubler-Gmelin Konrad Gilges Christel Deichmann Iris Gleicke Monika Heubaum Günter Gloser Reinhold Hiller (Lübeck) Dr. Hans-Peter Bartels Peter Dreßen Uwe Göllner Stephan Hilsberg Eckhardt Barthel (Berlin) Rudolf Dreßler Renate Gradistanac Gerd Höfer (Starnberg) Detlef Dzembritzki Günter Graf (Friesoythe) Jelena Hoffmann (Chemnitz) Ingrid Becker-Inglau Dieter Dzewas Angelika Graf (Rosenheim) Walter Hoffmann Dr. Axel Berg Dr. Peter Eckardt Dieter Grasedieck (Darmstadt) Hans-Werner Bertl Ludwig Eich Frank Hofmann (Volkach) Friedhelm Julius Beucher Marga Elser Wolfgang Grotthaus Ingrid Holzhüter Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3585

Vizepräsident Rudolf Seiters (A) Eike Hovermann Adolf Ostertag Dr. Peter Struck Hartmut Büttner (C) Christel Humme Kurt Palis Joachim Stünker (Schönebeck) Barbara Imhof Albrecht Papenroth Joachim Tappe Peter H. Carstensen Brunhilde Irber Dr. Willfried Penner Dr. Gerald Thalheim (Nordstrand) Gabriele Iwersen Dr. Franz Thönnes Renate Jäger Georg Pfannenstein Uta Titze-Stecher Jann-Peter Janssen Johannes Pflug Adelheid Tröscher Ilse Janz Dr. Eckhart Pick Hans-Eberhard Urbaniak Thomas Dörflinger Dr. Uwe Jens Joachim Poß Rüdiger Veit Hansjürgen Doss Volker Jung (Düsseldorf) Karin Rehbock-Zureich Günter Verheugen Marie-Luise Dött Johannes Kahrs Margot von Renesse Simone Violka Maria Eichhorn Ulrich Kasparick Renate Rennebach Ute Vogt (Pforzheim) Sabine Kaspereit Bernd Reuter Hans Georg Wagner Susanne Kastner Dr. Edelbert Richter Hedi Wegener Dr. Hans Georg Faust Hans-Peter Kemper Reinhold Robbe Dr. Konstanze Wegner Ingrid Fischbach Klaus Kirschner Gudrun Roos Wolfgang Weiermann Axel E. Fischer Marianne Klappert Dr. Reinhard Weis (Stendal) (Karlsruhe-Land) Siegrun Klemmer Michael Roth (Heringen) Matthias Weisheit Hans-Ulrich Klose Birgit Roth (Speyer) Gunter Weißgerber Dr. Gerhard Friedrich Fritz Rudolf Körper Gerhard Rübenkönig (Erlangen) Karin Kortmann Thomas Sauer (Wiesloch) Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Hansjörg Schäfer Dr. Ernst Ulrich von (Hof) Nicolette Kressl Gudrun Schaich-Walch Weizsäcker Erich G. Fritz Volker Kröning Rudolf Scharping Dr. Jochen-Konrad Fromme Angelika Krüger-Leißner Bernd Scheelen Hildegard Wester Dr. Jürgen Gehb Horst Kubatschka Dr. Hermann Scheer Lydia Westrich Ernst Küchler Siegfried Scheffler Dr. Dr. Heiner Geißler Helga Kühn-Mengel Horst Schild Dr. Norbert Wieczorek Georg Girisch Ute Kumpf Helmut Wieczorek Michael Glos Konrad Kunick Dieter Schloten (Duisburg) Dr. Reinhard Göhner Dr. Uwe Küster Horst Schmidbauer Jürgen Wieczorek (Leipzig) Peter Götz Werner Labsch (Nürnberg) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Wolfgang Götzer (Aachen) Dieter Wiefelspütz Hermann Gröhe Brigitte Lange Silvia Schmidt (Eisleben) Heino Wiese (Hannover) Christian Lange (Backnang) (Meschede) Klaus Wiesehügel Carl-Detlev Freiherr von (B) Detlev von Larcher Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Hammerstein (D) Christine Lehder Regina Schmidt-Zadel Engelbert Wistuba Robert Leidinger Heinz Schmitt (Berg) Barbara Wittig Norbert Hauser (Bonn) Dr. Elke Leonhard Dr. Hansgeorg Hauser Eckhart Lewering Walter Schöler Verena Wohlleben (Rednitzhembach) Götz-Peter Lohmann Hanna Wolf (München) Ursula Heinen (Neubrandenburg) Karsten Schönfeld Waltraud Wolff (Zielitz) Manfred Heise Erika Lotz Fritz Schösser Heidemarie Wright Siegfried Helias Dr. Gerhard Schröder Hans Jochen Henke Dieter Maaß (Herne) Gisela Schröter Dr. Christoph Zöpel Ernst Hinsken Winfried Mante Dr. Mathias Schubert Peter Zumkley Dirk Manzewski Richard Schuhmann Klaus Hofbauer Tobias Marhold (Delitzsch) CDU/CSU Lothar Mark Brigitte Schulte (Hameln) Josef Hollerith Ulrike Mascher Volkmar Schultz (Köln) Dr. Karl-Heinz Hornhues Ilse Schumann Joachim Hörster Ingrid Matthäus-Maier Peter Altmaier Hubert Hüppe Ulrike Mehl Dr. R. Werner Schuster Peter Jacoby Ulrike Merten Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Georg Janovsky Dr. Angelica Schwall-Düren Günter Baumann Dr. Harald Kahl Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Ernst Schwanhold Bartholomäus Kalb Ursula Mogg Bodo Seidenthal Steffen Kampeter Christoph Moosbauer Erika Simm Dr. Sabine Bergmann-Pohl Siegmar Mosdorf Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Irmgard Karwatzki Jutta Müller (Völklingen) Dr. Cornelie Sonntag- Dr. Joseph-Theodor Blank Christian Müller (Zittau) Wolgast Dr. Volker Neumann (Bramsche) Wieland Sorge Peter Bleser Ulrich Klinkert Dr. Edith Niehuis Wolfgang Spanier Dr. Norbert Blüm Dr. Helmut Kohl Dr. Rolf Niese Dr. Margrit Spielmann Manfred Kolbe Jörg-Otto Spiller Norbert Königshofen Günter Oesinghaus Dr. Ditmar Staffelt Eva-Maria Kors Eckhard Ohl Antje-Marie Steen Dr. Wolfgang Bötsch Thomas Kossendey Leyla Onur Paul Breuer Rudolf Kraus Manfred Opel Rolf Stöckel Dr. Martina Krogmann Holger Ortel Rita Streb-Hesse Dr. Hermann Kues 3586 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Vizepräsident Rudolf Seiters (A) Karl Lamers Anita Schäfer Dr. Thea Dückert Nein (C) Dr. Karl A. Lamers Dr. Wolfgang Schäuble Franziska Eichstädt-Bohlig (Heidelberg) Hartmut Schauerte Dr. Uschi Eid SPD Dr. Heinz Schemken Hans-Josef Fell Dr. Paul Laufs Karl-Heinz Scherhag Andrea Fischer (Berlin) Uwe Hiksch Karl-Josef Laumann Gerhard Scheu Joseph Fischer (Frankfurt) René Röspel Peter Letzgus Norbert Schindler Katrin Göring-Eckardt Ursula Lietz Dietmar Schlee Rita Grießhaber CDU/CSU Walter Link (Diepholz) Bernd Schmidbauer Winfried Hermann Wolfgang Börnsen Eduard Lintner Christian Schmidt (Fürth) Antje Hermenau (Bönstrup) Dr. Klaus Lippold Dr.-Ing. Joachim Schmidt Kristin Heyne Siegfried Hornung (Offenbach) (Halsbrücke) Ulrike Höfken Dr. Manfred Lischewski Andreas Schmidt (Mühlheim) Michaele Hustedt PDS Wolfgang Lohmann Hans Peter Schmitz Dr. Angelika Köster-Loßack (Lüdenscheid) (Baesweiler) Dr. Helmut Lippelt Maritta Böttcher Julius Louven Dr. Dr. Reinhard Loske Eva Bulling-Schröter Dr. Michael Luther Reinhard Freiherr von Kerstin Müller (Köln) Schorlemer Winfried Nachtwei Dr. Dr. Martin Mayer Dr. Erika Schuchardt Christa Nickels Dr. (Siegertsbrunn) Cem Özdemir Wolfgang Gehrcke-Reymann Wolfgang Meckelburg Clemens Schwalbe Simone Probst Dr. Klaus Grehn Dr. Wilhelm-Josef Sebastian Claudia Roth (Augsburg) Dr. Gregor Gysi Dr. Heinz Seiffert Christine Scheel Dr. Barbara Höll Rudolf Seiters Rezzo Schlauch Carsten Hübner Bernd Siebert Albert Schmidt (Hitzhofen) Gerhard Jüttemann Meinolf Michels Christian Sterzing Dr. Evelyn Kenzler Dr. Gerd Müller Bärbel Sothmann Dr. Antje Vollmer Dr. Heidi Knake-Werner Bernward Müller (Jena) Andreas Storm Ludger Volmer Heidi Lippmann-Kasten Elmar Müller Dorothea Störr-Ritter Helmut Wilhelm (Amberg) Ursula Lötzer (Kirchheim) Margareta Wolf (Frankfurt) Heidemarie Lüth Matthäus Strebl Angela Marquardt Günter Nooke F.D.P. Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Franz Obermeier Dr. Rita Süssmuth Edeltraut Töpfer Hildebrecht Braun Gustav-Adolf Schur Friedhelm Ost (Augsburg) Dr. Hans-Peter Uhl (B) Norbert Otto (Erfurt) Jörg van Essen Enthalten (D) Dr. Peter Paziorek Andrea Voßhoff Ulrike Flach Gisela Frick SPD Dr. Friedbert Pflüger Dr. Theodor Waigel Peter Weiß (Emmendingen) Paul K. Friedhoff Christa Lörcher Dr. Wolfgang Gerhardt Gerald Weiß (Groß-Gerau) Dr. CDU/CSU Marlies Pretzlaff Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Dr. Helmut Haussmann Dr. Bernd Protzner Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Ulrich Heinrich Walter Hirche (Emstek) Helmut Rauber Klaus-Peter Willsch Birgit Homburger Peter Rauen BÜNDNIS 90/ Werner Wittlich Dr. Christa Reichard DIE GRÜNEN Dagmar Wöhrl Ulrich Irmer (Dresden) Dr. Klaus Kinkel Elke Wülfing Annelie Buntenbach Hans-Peter Repnik Dr. Heinrich Kolb Wolfgang Zeitlmann Monika Knoche Klaus Riegert Jürgen W. Möllemann Wolfgang Zöller Steffi Lemke Dr. Dirk Niebel Irmingard Schewe-Gerigk Franz Romer Günther Friedrich Nolting BÜNDNIS 90/ Christian Simmert Dr. Klaus Rose Gerhard Schüßler DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele Kurt Rossmanith Dr. Sylvia Voß Adolf Roth (Gießen) (Köln) Marita Sehn Norbert Röttgen Angelika Beer Dr. F.D.P. Dr. Christian Ruck Dr. Dieter Thomae Dr. Jürgen Rüttgers Ekin Deligöz Dr. Jürgen Koppelin

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete(r) Behrendt, Wolfgang, SPD Bierling, Hans-Dirk, Bühler (Bruchsal), Klaus, Haack (Extertal), Karl- Neumann (Gotha), Gerhard, CDU/CSU CDU/CSU Hermann, SPD SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU Zierer, Benno, CDU/CSU Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3587

Vizepräsident Rudolf Seiters (A) Bevor ich nunmehr die Aktuelle Stunde aufrufe, gebe den ebenfalls. Unsere Konkurrenten auf den wichtigen(C) ich Ihnen noch folgendes bekannt: Interfraktionell wird Exportmärkten lachen sich ins Fäustchen. Inzwischen vorgeschlagen, den Antrag der Fraktionen der SPD und räumen Handelsketten weltweit belgische Nahrungs- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/795 sowie mittel aus den Regalen. Auch deutsche Exporte sind den Antrag der PDS auf Drucksache 14/708, die beide schon von der Kettenreaktion erfaßt. Schließlich be- den Bau zweier Atomkraftwerke in der Ukraine betref- trachtet man in Asien und Amerika die Situation nicht so fen, nachträglich auch an den Finanzausschuß zur Mit- differenziert, wie wir es hier in Europa tun. Ein Le- beratung zu überweisen. bensmittelskandal in Belgien wird dann schnell zu einer gesamteuropäischen Sache. Auch teure Werbekampa- Des weiteren soll der bereits zur federführenden Be- gnen können das unnötig gestörte Vertrauen so schnell ratung an den Verteidigungsausschuß überwiesene An- nicht wiederaufbauen. trag der Fraktion der F.D.P. „50 Jahre Nordatlantisches Bündnis“, Drucksache 14/792, nunmehr dem Auswärti- Es hilft deshalb auch nicht, immer wieder nur darauf gen Ausschuß zur federführenden Beratung und demhinzuweisen, daß bei uns in Deutschland das Problem so Verteidigungsausschuß zur Mitberatung überwiesennicht entstanden wäre. Wir müssen auf europäischer werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Ebene die notwendigen politischen Konsequenzen aus Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. dem Dioxinskandal ziehen. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert zusätzliche Kontrollinstanzen der Europäischen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Union, damit in allen Nationalstaaten die Lebensmittel- kontrollen vorschriftsgemäß durchgeführt werden. Aktuelle Stunde (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Zweifelhafte Roh- und Ausgangsstoffe für Futter- mittel müssen von vornherein von der Verarbeitung und Haltung der Bundesregierung zum SkandalVerfütterung ausgeschlossen werden. Wir werden uns der dioxinverseuchten belgischen Lebensmittel deshalb auf europäischer Ebene für eine Präzisierung der Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für diefuttermittelrechtlichen Vorschriften einsetzen. SPD-Fraktion der Kollege Karsten Schönfeld. Im deutschen Futtermittelrecht sind alle erforderli- chen Regelungen enthalten, um in den Handel mit bela- Karsten Schönfeld (SPD): Herr Präsident! Liebe stenden Futtermitteln eingreifen zu können. Verstöße Kolleginnen und Kollegen! Hätte ein ehemaliger Bun- werden mit Geldbußen von bis zu 50 000 DM geahndet. desminister diesen Satz nicht in einem anderen Zusam- Wir müssen uns allerdings auch fragen, ob diese Höhe (B) menhang mißbraucht, könnte ich meine Rede mit einem als abschreckende Wirkung ausreicht. Hier müssen wir(D) optimistischen „Die Lebensmittel in Deutschland sind ernsthaft darüber nachdenken, ob eine Verschärfung sicher“ beginnen. notwendig ist. Unsere Einzelhändler in den Regionen an der Grenze Die SPD-Fraktion fordert seit Jahren eine offene De- zu Belgien erleben zur Zeit einen kräftigen Ansturm.klaration der Futtermittelinhaltsstoffe. Der mündige Das Vertrauen in unsere Nahrungsmittel ist mit RechtVerbraucher und auch der Landwirt als Verbraucher von weiterhin hoch. Nach Bekanntwerden des Dioxinskan- Futtermitteln müssen wissen, was in den Produkten ent- dals sind in allen Bundesländern Kontrollen durchge-halten ist. Wenn die Verbraucher genauer Bescheid führt worden. Bisher sind keine höheren Dioxinwerte in wüßten, dann würden sie beim Kauf genauer hinsehen. Lebensmitteln festgestellt worden. Ganz sicher geht der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Verbraucher, wenn er beim Einkauf auf deutsche Pro- dukte zurückgreift. Wir kämpfen in allen Bereichen für bessere Kennzeich- nungsregelungen. Das ist der entscheidende Schlüssel. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Um es ökonomisch zu formulieren: Marktwirtschaft Die belgische Taktik im Umgang mit dem Dioxin-kann nur dann funktionieren, wenn tatsächlich Transpa- skandal der Landwirtschaft ist von Bundesministerrenz auf den Märkten herrscht. Funke zu Recht scharf kritisiert worden. Es hätte alles (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dafür getan werden müssen, die Öffentlichkeit frühzeitig DIE GRÜNEN) und vollständig zu informieren. Die Bundesregierung hat sofort nach Bekanntwerden des Skandals die Öffent- Den wirksamsten Schutz – auch das muß gesagt wer- lichkeit umfassend informiert. Die öffentliche Aus-den – bestimmt der Verbraucher über sein Kaufverhalten schußsitzung am letzten Montag und die Aktuelle Stun- allerdings auch selbst. Solange der Trend zu niedrigen de heute zeigen, daß wir nichts zu verbergen haben und Preisen stärker ist als das Verlangen nach hoher Quali- daß wir den Dialog mit allen beteiligten und betroffenen tät, sind die Anreize hoch, bei der Produktion auch zu Menschen suchen. unerlaubten Mitteln zu greifen. Das ist zwar keine Aus- rede für kriminelle Machenschaften, aber eine Tatsache, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die wir bedenken sollten. DIE GRÜNEN) Wir werden uns für eine nachhaltige Landwirtschaft Trotzdem ist der Imageschaden für die Landwirt-auch bei den anstehenden WTO-Verhandlungen einset- schaft in ganz Europa enorm, der wirtschaftliche Scha- zen. Die Förderung überschaubarer regionaler Produk- 3588 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Karsten Schönfeld (A) tion, der regionalen Stoffkreisläufe und der regionalen wohl wissend um all die negativen Auswirkungen auf(C) Vermarktung ist eine wirkungsvolle Maßnahme, umunsere Landwirtschaft. Deshalb gilt es heute festzuhal- Skandale wie den, über den wir uns jetzt unterhalten, zu ten: Der Dioxinskandal ist in Belgien passiert. Wir müs- verhindern. sen alles unternehmen, um unsere Bürgerinnen und Bür- ger vor gesundheitlichen Schäden zu schützen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Horst Kubatschka [SPD]: Deswegen haben DIE GRÜNEN) wir eine Aktuelle Stunde!) Zu dem Vorschlag des SPD-Kollegen, eine bessere Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich gebe das Wort Deklaration würde das Problem lösen, kann ich nur fra- für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Wolfganggen: Glauben Sie wirklich, daß die Verbrecher in Belgi- Zöller. en auf die Deklaration schreiben würden, wir haben ein bißchen Dioxin in die Produkte gemischt? Wie blauäu- Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Herr Präsident! Mei- gig sind Sie eigentlich, daß Sie solche Forderungen er- ne sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie michheben? zur heutigen Aktuellen Stunde folgende Fragen stellen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und einige Anmerkungen machen. der F.D.P.) Erstens. Welchen Sinn soll die heutige AktuelleDrittens. In der gemeinsamen Sitzung des Gesund- Stunde haben? heitsausschusses und des Ausschusses für Ernährung, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Landwirtschaft und Forsten hat die Bundesregierung der F.D.P. – Dirk Niebel [F.D.P.]: Gute Frage! eine Vorgehensweise vorgeschlagen, die wir grundsätz- – Zuruf von der SPD: Geben Sie doch Ihre lich für richtig halten. Allerdings sehen wir in diesem Rede zu Protokoll!) Vorschlag zwei Schwachstellen: Zum einen haben sich Am 2. Juni dieses Jahres hat die CDU/CSU einen An- die eingeleiteten Maßnahmen, die uns vorgestellt wur- trag auf Sondersitzung des Gesundheitsausschusses ge- den, nur auf bestimmte Geflügelerzeugnisse beschränkt, stellt, der von der SPD abgelehnt wurde. als nicht ausreichend erwiesen. Aus diesem Grunde halte ich die Pressemitteilung des Gesundheitsministe- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Unsere riums vom 2. Juni für fachlich falsch. Darin schreibt die Aktuelle Stunde sollte verhindert werden!) Ministerin: Mit der Entscheidung, bestimmte Geflügel- Die SPD hat dann einen gleichlautenden Antrag einge- erzeugnisse vom Markt zu nehmen, ist der Verbraucher- (B) bracht. Sie wollte in der darauffolgenden Woche eineschutz gesichert. (D) Aktuelle Stunde abhalten. Gott sei Dank fand allerdings Zum anderen muß der Vertriebsweg des verseuchten am letzten Montag eine gemeinsame Sitzung des Ge-Materials klar nachvollziehbar sein, um die Folgepro- sundheitsausschusses und des Landwirtschaftsausschus- dukte ebenfalls vom Markt nehmen zu können. Eine sol- ses statt. che Maßnahme muß sehr schnell und gründlich durchge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und führt werden, um das Vertrauen in die Lebensmittel der F.D.P. – Zuruf von der CDU/CSU: Die wiederherzustellen. wollten nicht, daß wir hier über Schröder dis- kutieren!) Im übrigen kann ich nur jedem empfehlen: Kaufen Sie deutsche Produkte mit Qualitätsnachweis. Dies ist Dann stellte die SPD den Antrag, heute eine Aktuelleder beste Schutz vor verseuchtem Material. Stunde auf die Tagesordnung zu setzen. Was das mit Logik zu tun haben soll, muß mir erst einmal jemand er- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – klären. Er wird sich dabei auf jeden Fall schwertun. Karsten Schönfeld [SPD]: Da sind wir uns einig!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, den ich für sehr Man wird den Verdacht nicht los, daß die SPD mit wichtig halte. Das Strafmaß für solch kriminelles Han- einer vorgeschobenen Aktuellen Stunde das Anliegen deln muß schnellstmöglich europaweit wesentlich ver- der F.D.P., eine Aktuelle Stunde zu einem wichtigen schärft werden. Wer aus Profitgier wissentlich die Ge- Thema abzuhalten, verhindern wollte. Das hat mit De- sundheit der Menschen aufs Spiel setzt, darf nicht mit mokratie recht wenig zu tun. einer läppischen Geldstrafe davonkommen. Solchen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) skrupellosen Geldgeiern muß die Möglichkeit, mit Le- Zweitens. Ich begrüße ausdrücklich das Verhalten der bensmitteln zu handeln, auf Lebenszeit entzogen wer- zur Zeit noch in der Opposition befindlichen Fraktionen den. von CDU/CSU und F.D.P., Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- die nicht wie die frühere Opposition – wie zum Beispiel ordneten der SPD und der F.D.P. – Dr. Wolf- beim BSE-Skandal – den Eindruck erwecken, als sei gang Wodarg [SPD]: Der Beifall galt nur dem BSE in Deutschland und nicht in England ausgebrochen, letzten Satz!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3589

(A) Vizepräsident Rudolf Seiters: Als nächste Redne- schwarzen Schafe hart bestraft werden, um die Mehrheit (C) rin spricht die Kollegin Marita Sehn, F.D.P.-Fraktion. der vorbildlichen Betriebe zu schützen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Marita Sehn (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen ten der CDU/CSU) und Herren! Auch ich frage: Was ist eigentlich aktuell Denn das größte Kapital der Landwirte ist das Ver- an der heutigen Aktuellen Stunde? Die Fraktionen der trauen der Verbraucher in die Qualität erzeugter Pro- Grünen und der SPD wollen mehr über die Haltung der dukte, in die tatsächliche Anwendung der insbesondere Bundesregierung zum Skandal der dioxinverseuchtenin Deutschland hohen Umwelt-, Gesundheits- und Hy- belgischen Lebensmittel wissen. Hat sich die Haltunggienestandards und in die Verläßlichkeit der Verbrau- der Bundesregierung seit Montag, seit der gemeinsamen cheraufklärung. Kriminelle Machenschaften und Sitzung von Ernährungs- und Gesundheitsausschuß ver- Schlampereien, die zwar entdeckt, aber nicht konsequent ändert? Nein, vielmehr geht es heute einzig und alleinöffentlich gemacht und verfolgt werden, erschüttern die- darum, die von uns beantragte Aktuelle Stundeses Vertrauen nachhaltig. Sie schaden dem Verbraucher- zum Schröder/Blair-Papier zu verhindern. Das ist derschutz und dem Ansehen der Landwirte erheblich. Grund. Schnelles Handeln ist jetzt erforderlich. Die Verursa- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) cher müssen hart bestraft werden. Eine ausgedehnte neue Kennzeichnungsverordnung hilft nach meiner An- Die europäische Integration darf sich nicht nur auf sicht nicht weiter. Wer mit Dioxin verunreinigtes Fett Richtlinien und Verordnungen stützen, sondern muß vor verwendet, wird dies kaum auf das Etikett schreiben – allem von dem Vertrauen der Partnerstaaten untereinan- Pflicht hin oder her. der getragen werden. In dem Schröder/Blair-Papier, das die SPD am liebsten nicht öffentlich diskutieren will Aber was auch immer im einzelnen getan wird, eines – sie traut sich nicht, es hier im Deutschen Bundestagist grundsätzlich klar: Die Verbraucher in Deutschland vorzustellen –, steht: leben am gesündesten, wenn sie deutsche Produkte kau- fen. Die Skandale um BSE und Dioxin haben dies ein- Allzuoft wurden Rechte höher bewertet als Pflich- mal mehr bewiesen. ten . . . Geht der Gedanke der gegenseitigen Ver- antwortung verloren, so führt dies zum Verfall des Was soll man denn davon halten, wenn es in Belgien Gemeinsinns, zu mangelnder Verantwortung ge-Containersammelstellen gibt, in die jeder sein altes Fett genüber Nachbarn . . . und einer Überlastung des aus dem Haushalt entsorgen kann, und die gesammelten Rechtssystems. Fette dann verfüttert werden. In einem Brief an ihre Bot- schaften im Ausland hat die belgische Regierung die (B) (D) Nichts anderes steht in den Wiesbadener Grundsätzen hohe Qualität der Nahrungsmittel gelobt und festgestellt: der F.D.P. Ich bin darauf gespannt, wie Sie das Zauber- Die Belgier lieben ihr Essen. Dem kann ich nur entgeg- wort „Umdenken“ in Ihrer Partei demnächst behandeln nen: Und die Deutschen lieben ihre Gesundheit. werden. Angesichts der Weigerung Brüssels, potentiell ver- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- seuchte Milch vom eigenen Markt zu nehmen, kann ten der CDU/CSU) einem die belgische Bevölkerung, die unnötigen Risiken Der Verlauf des Dioxinskandals war leider nicht von ausgesetzt wird, nur leid tun. Wo bleibt hier der Ver- Verantwortung und Vertrauen geprägt. Wie kommt es, braucherschutz? daß zwar Paris und Den Haag von der belgischen Regie- Der wirtschaftliche Schaden für die unbeteiligten rung über die entdeckten Dioxinverseuchungen infor-deutschen Landwirte läßt sich derzeit noch nicht ab- miert wurden, aber nicht Deutschland als EU-Ratspräsi- schätzen. Aber die zahlreichen generellen Einfuhrbe- dentschaft und auch nicht die EU-Kommission? Was hat schränkungen von ungefähr 20 Drittländern verheißen Frankreich und die Niederlande daran gehindert, ihrer- nichts Gutes. Die Einkommensausfälle der Landwirte seits die Erkenntnisse weiterzugeben? müssen auf jeden Fall ausgeglichen werden. Die Haf- tung für die Ausfälle kann niemand anderes als der Ver- (Jörg van Essen [F.D.P.]: Zumal sie auch so- ursacher übernehmen: die belgische Regierung. zialistisch regiert werden!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Ich möchte daran erinnern: Die ersten Hinweise lagen ten der CDU/CSU) bereits Mitte Februar, die ersten Untersuchungsergeb- nisse Mitte März vor. Deshalb sind zusätzliche und in- tensivierte Kontrollmaßnahmen nicht der Weg in die Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die PDS- Zukunft, sondern nur ein Schritt zu noch mehr Bürokra- Fraktion spricht die Kollegin Kersten Naumann. tie und Regulierung, von denen alle Betriebe betroffen wären. Kersten Naumann (PDS): Herr Präsident! Meine Entscheidend ist vielmehr, daß die bereits bestehen- Damen und Herren! Sie sind sicherlich mit mir einer den Kontrollen nicht zum Selbstzweck verkommen. Was Meinung, daß die Gesundheit der Bürger eines der höch- nützt es, Erkenntnisse zu gewinnen, wenn diese nichtsten zu schützenden Güter ist. Die Gefahren, die von weitergegeben und verfolgt werden? Aufgedeckte Ver- dem hochtoxischen Seveso-Gift Dioxin ausgehen, sind stöße müssen zu Konsequenzen führen und die wenigen völlig unstrittig. Der feste Wille, alles dafür zu tun, daß 3590 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Kersten Naumann (A) dieses Gift nicht in die Nahrungskette gelangt, wirdfür den Verbraucher kann nur der ökologische Landbau (C) niemandem in der Bundesrepublik abgesprochen. Auch geben. das Kontrollsystem zur Verhinderung der Belastung von (Beifall der Abg. Eva Bulling-Schröter Nahrungsmitteln mit gesundheitsschädlichen Stoffen [PDS]) wird auf einem hohen Niveau als ausreichend einge- schätzt. Denn nur bei ökologischen Produkten mit dem Siegel der Verbände des ökologischen Landbaus ist geklärt, Schon am Montag wurde in einer gemeinsamen Sit- was den konventionellen Lebensmitteln fehlt. Das be- zung des Gesundheits- und des Agrarausschusses deut- trifft die Herkunftskennzeichnung, die strengen Kon- lich, daß alle ihre Hände in Unschuld waschen. Dertrollmechanismen und nicht zuletzt die Gewißheit über Hintergrund ist klar: Der Schwarze Peter wird der belgi- gesundheitliche Unbedenklichkeit. schen Regierung zugeschoben. Damit wird versucht, von den eigenen und wirklichen Versäumnissen in der Wer jedoch für Globalisierung plädiert, gibt nicht nur Lebensmittelsicherheit abzulenken. Auch Deutschland die Kontrolle über die Produktion aus der Hand. Auch hatte und hat seine Lebensmittelskandale. Ich denke nur der Steuerzahler muß dann für die Vernichtung der Le- an die 4 000 notgeschlachteten Hormonkälber in Nord- bensmittel oder Tiere, also mehr oder weniger für den rhein-Westfalen. gesamten Kostenaufwand, der einem Lebensmittelskan- dal anhängt, aufkommen und letztendlich mit seiner Ge- Die Dioxingefahr – nicht nur diese – begleitet unssundheit bezahlen. Die Globalisierung ermutigt dazu, stetig. Sie ist also kein speziell belgisches Problem. Er- aus Profitinteressen gesetzliche Vorschriften zu umge- innert sei nur an den Dioxinunfall im März dieses Jahres hen. in Duisburg und an die Dioxinwolke durch PVC bei der Schon vor 150 Jahren formulierte der Engländer Düsseldorfer Flughafenkatastrophe. Niemand soll nach Dunning folgendes: der heutigen Debatte sagen, in Deutschland seien keine neuen Fälle von Verletzungen des Lebensmittelrechts, Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von des Tier- und Umweltschutzes möglich. Profit . . . wie die Natur vor der Leere. Mit entspre- chendem Profit wird Kapital kühn. Die in der gemeinsamen Ausschußsitzung erhobenen Forderungen nach strengeren Strafen, nach Entzug der (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Sehr richtig!) Betriebsgenehmigung, nach Schaffung einer gesamteu- Er schrieb, bei 50 Prozent werde das Kapital waghalsig. ropäischen Kontrollinstanz setzen an den SymptomenFür 100 Prozent stampfe es alle menschlichen Gesetze an, nicht aber an der Ursache. Welche Forderungenunter seinen Fuß. Aber bei 300 Prozent existiere kein werden wir noch hören, wenn die Ernährungsindustrie Verbrechen, das es nicht riskiere, selbst auf die Gefahr vollständig globalisiert ist, in einer Handvoll weniger (B) des Galgens. – Meine Damen und Herren, es ist nicht zu (D) Multis liegt und Risikotechnologien, wie die Gentech- erkennen, daß sich an dieser Aussage von vor 150 Jah- nik, zum Alltag gehören? ren etwas gegenüber der heutigen Situation geändert hat. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) Wird nun jedes Land versuchen, mit Umwelt- und Ge- Was wir dringend brauchen, sind regionale Wirt- sundheitsstandards seine Grenzen dichtzumachen? Wer- schaftskreisläufe. Die Tierproduktion könnte zum Bei- den die Großen und Mächtigen dann die Kleinen noch spiel Bestandteil einer Vertragslandwirtschaft sein, bei stärker erpressen, um zum Beispiel ihr Hormonfleisch der sich die Partner auf ein strenges Produktionsregime abzusetzen? einigen. So können sie den Einsatz von gesundheitsge- fährdenden Stoffen ausschließen und die Herkunft der Es ist überhaupt nicht nachzuvollziehen, welcheErzeugnisse exakt nachweisen. Treten in einer solchen neuen Erkenntnisse durch die heutige Veranstaltung ge- Kette Pannen auf, dann ist von den Folgen nur diese wonnen werden sollen. Wenn die Bundesregierung hier Kette betroffen. Für die übrigen Landwirte halten sich heute keine Änderungen erreicht, warum hat dann diedie Auswirkungen in Grenzen. Zugleich haben die Ver- Regierung aus taktischen Gründen die Aktuelle Stunde braucher die Chance, durch ihre Kaufentscheidung di- über das Schröder/Blair-Papier aus der Debatte hinaus- rekt auf einen bestimmten Hersteller Einfluß zu nehmen. lanciert? Die erfolgreiche Bekämpfung der Ursachen von Le- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist bensmittelskandalen setzt neben der staatlichen auch ja merkwürdig!) eine gesellschaftliche Kontrolle der Produktion voraus. Sie darf sich nicht nur auf die Einhaltung bestimmter Doch sicher, weil es in seinem Kern wiederum auf die Vorschriften beschränken. Die Gestaltung der Produk- Sicherung von Profiten gerichtet ist. tion und die Verwendung der Gewinne sind vielmehr in (Widerspruch bei der SPD) diese gesellschaftliche Kontrolle einzuschließen. Für die soziale Sicherheit soll zukünftig jeder selbst ver- Danke. antwortlich sein. (Beifall bei der PDS) Nur durch die Veränderung der Agrarproduktion und der gesamten Kette der Nahrungsgüterwirtschaft können Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die Bundesre- viele Ursachen der Gesundheitsgefährdung reduziertgierung spricht nunmehr die Bundesministerin für Ge- werden. Sicherheiten sowohl in der Wirtschaft als auch sundheit, Frau Andrea Fischer. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3591

(A) Andrea Fischer, Bundesministerin für Gesundheit: chen. Das ist, wie gesagt, von der belgischen Regierung (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Politi- kritisiert, von den übrigen Mitgliedern des EU-Gesund- ker und Vertreter der Medien, die in den letzten Tagen heitsministerrats aber unterstützt worden. Diese EU-Ent- das, was in Belgien bei der Verunreinigung von Futter- scheidungen sind am 3. und 4. Juni gefallen. mitteln durch ungeeignetes Öl geschehen ist, als Skandal bezeichnet haben, haben recht. Dieser Skandal hat weit- Herr Kollege Zöller, im nachhinein haben Sie mit Ih- rer Kritik an meiner Presseerklärung recht. Am 2. Juni reichende Folgen für die Verbraucherpolitik. Er hat das haben wir aber noch nicht gewußt, daß diese Exportver- Vertrauen in die Lebensmittelsicherheit erschüttert. Er bote auch auf Schweine und Rinder aus Belgien ausge- hat das Vertrauen in die europäischen Institutionen, die dehnt werden. Wir sind davon ausgegangen, daß es nur diese Lebensmittelsicherheit zu wahren haben, erschüt- um Geflügelprodukte geht. – Wir haben die Information tert, und er hat das Vertauen in all diejenigen Produzen- nach Bekanntwerden aber sofort weitergegeben und dies ten und Händler erschüttert, die mit dieser Verunreini- mit einer Dringlichkeitsverordnung auf eine sichere gung gar nichts zu tun haben, weil sie anständig produ- rechtliche Grundlage gestellt. zieren. (Marita Sehn [F.D.P.]: Richtig!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Das ist ein Vertrauensverlust, der uns sicherlich noch lange beschäftigen wird und der vor dem Hintergrund Obwohl ich am Dienstag mit einer gewissen Erleich- dessen, was geschehen ist, nur sehr schwer zu heilenterung die Selbstkritik der belgischen Regierung im EU- sein wird. Gesundheitsministerrat vernommen habe, muß ich klar- stellen, daß wir noch immer nicht die Vertriebswege der Es ist soeben gesagt worden, daß wir alles auf dieLebensmittel tierischer Herkunft und der Lebensmittel- belgische Regierung schieben würden. Es tut mir leid: tiere, die mit diesem dioxinverseuchten Futter gefüttert Da uns die belgische Regierung über Wochen hinweg worden sind, kennen, auch nicht die Behörden, die diese nicht informiert hat und wir deswegen erst zu einem sehr Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausstellen. Es bleibt späten Zeitpunkt tätig werden konnten, muß ich fest-uns also überhaupt nichts anderes übrig, als ein Ver- stellen, daß die Ursache bei der belgischen Regierungmarktungsverbot für sämtliche Produkte aus Belgien liegt. auszusprechen. Wir verfügen nämlich nicht über Infor- mationen, um die Guten von den Schlechten unterschei- Auf dem Gesundheitsministerrat am letzten Dienstag den zu können. Das heißt: Die Verordnung trifft natür- hat übrigens der neue belgische Kollege, der für die Ge- lich auch die Erzeugnisse unbeteiligter Wirtschaftsak- sundheitspolitik zuständig ist, ausdrücklich zugegeben, teure. Angesichts dieser Politiklage aber ist die Situation daß die belgische Regierung einen Fehler gemacht hat. schwierig. (B) Die anderen Gesundheitsminister der Europäischen (D) Union haben – um es diplomatisch zu formulieren – ihre Wir haben aus Belgien bislang zehn Untersuchungs- Verärgerung über die Informationspolitik der belgischen ergebnisse mit deutlich erhöhten Dioxinwerten erhalten. Regierung zum Ausdruck gebracht und ihrer Befürwor- Zu meiner Erleichterung sind alle Messungen, die in tung der sehr drastischen Maßnahmen der EU-Kommis- Deutschland zum Abschluß gekommen sind – Sie wis- sion Ausdruck verliehen. Belgien hatte ja kritisiert, daß sen, das dauert seine Zeit –, negativ. Es gibt nur einen die EU-Kommission so sehr in den Handel eingegriffen einzigen Fall mit einem leicht erhöhten Dioxinwert. Wir hatte. Von seiten der anderen Gesundheitsminister der haben in Deutschland also bislang nur Produkte mit EU wurde Unterstützung für das Vorgehen der EU-gesundheitlich unbedenklichen Werten gefunden. Das Kommission signalisiert und klargemacht, daß ihnenwird uns jedoch nicht beruhigen. Wir werden weiter allen eine Lebensmittelkontrolle im Sinne eines vorbeu- daran arbeiten, auch daran, eine Dioxinbelastung zu genden Verbraucherschutzes sehr wichtig ist. vermeiden. Wir haben bereits am Montag dieser Woche im zu- Noch ein Nachtrag zur schlechten Informationspolitik ständigen Ausschuß über folgendes gesprochen: Jede In- der belgischen Regierung: Wir haben gestern von seiten stitution und jedes Regelwerk müssen ständig überprüft der belgischen Regierung den Hinweis bekommen, daß werden. Im Lichte der Erfahrungen der letzten Woche die Produkte zusätzlich noch auf PCB zu untersuchen wird man das tun müssen. Aber ich will darauf beharren: seien. Unsere Behörden haben aber ohnehin schon auf Jede Regelung bzw. jede Verabredung, die zum Beispiel PCB getestet. Wir hatten immer vorgeschlagen, dies in diesem Falle zwischen Staaten getroffen wird, ist nur sicherheitshalber zu tun. – Wir haben diesen Hinweis so gut wie diejenigen, die sich daran halten. gestern direkt an die Landesbehörden weitergegeben. Ich habe heute nachmittag gehört, daß es aus Belgien (Marita Sehn [F.D.P.]: Richtig! So ist es!) erste Werte gibt. Die Ergebnisse kann ich Ihnen noch Aus der Tatsache, daß ein Akteur einen Fehler gemacht nicht mitteilen; das wird zur Zeit beim Bundesinstitut hat, würde ich noch nicht schließen, daß das ganze Sy- für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinär- stem nicht taugt. Wir sollten klarmachen, daß ein sol-medizin geprüft. ches System nur funktionieren kann, wenn sich alle an dessen Regeln halten. Es ist wirklich sehr mißlich, mit welcher Verzöge- rung dies bei uns bekannt wird. Wir haben aber alles Die EU-Kommission hat, nachdem sie davon erfah- getan, die Informationen so weiterzugeben, wie es not- ren hat, Exportverbote für Lebensmitteltiere und Le-wendig ist. Ich hoffe, daß die Prüfungsergebnisse hier bensmittel tierischer Herkunft aus Belgien ausgespro-negativ sind. 3592 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Bundesministerin Andrea Fischer (A) Lieber Herr Kollege Zöller, ich will ausdrücklich26. April, um in Analysen hohe Dioxinkonzentrationen (C) sagen, daß ich es sehr schätze, daß die Opposition keine aufzuzeigen. Jedoch weder am 19. März noch am Panikmache gestartet hat. Die Lage ist zu ernst; wir26. April warnte das belgische Landwirtschaftsministe- müssen uns darum kümmern. Ich sehe es aber wie Sie: rium schnell, sondern erst, nachdem Domino um Domi- Es gibt zur Zeit keine Veranlassung zur Panikmache. no fielen, am 27. Mai in einer Pressemitteilung. Lassen Sie mich abschließend noch einen persönli- Die politische Mißachtung der europäischen Ebene chen Gedanken anschließen. Ich finde schon, daß es uns macht diesen Skandal, der – das betone ich – ein Skan- als Verbraucherinnen und Verbraucher nachdenklichdal in der Entsorgungsbranche ist, erst wirklich zu einem machen muß, wie oft wir in den letzten Jahren mit sol- Desaster für die Futtermittelbranche sowie zu einem chen Problemen konfrontiert worden sind. Ich spreche Fiasko für die belgische Landwirtschaft und ist ein hier ausdrücklich auch als Verbraucherin, die selberschwerer Schaden für den gesamten Verbraucherschutz. Lebensmittel kauft und ißt. Es sollte uns einmal inne- halten lassen, wie hoch dadurch, was wir kaufen, nach Festzuhalten ist: Für die deutschen Verbraucher wur- welchen Kriterien wir unsere Lebensmittel auswählen, de und wird alles getan, um kontaminierte Futter- und unser Anteil an einer industrialisierten Landwirtschaft Lebensmittel aufzuspüren und zu beschlagnahmen. ist. Nachher erst ärgern wir uns über die Folgen dessen. Festzuhalten ist: Die Bundesregierung hat angemessen Das sollte für uns alle Anlaß sein, noch einmal darüber und schnell gehandelt. nachzudenken. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Festzuhalten ist: Der deutsche Verbraucher kann sich und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der auf die Mechanismen der deutschen Kontrollsysteme F.D.P.) verlassen, und das muß auch so sein. Jede Schludrigkeit und jedes Nachlassen wären fatal.

Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die SPD- Hier will ich mit erhobenem Zeigefinger in Erinne- Fraktion gebe ich der Kollegin Heidi Wright das Wort. rung rufen, daß manches Mal über diese besonderen deutschen Kontrollen gestöhnt wurde und der Blick ge- rade in die belgische Nachbarschaft gerichtet wurde, wo Heidemarie Wright (SPD): Herr Präsident! Verehrte alles nicht so stur deutsch kontrolliert wird. Ich denke, Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Union be- Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Dies gilt insbe- steht weiß Gott nicht aus Bananenrepubliken, wenn-sondere im Zusammenhang mit landwirtschaftlicher (B) gleich wir ein europäisches Bananenproblem haben. Produktion. Wir dürfen doch mit gutem Selbstbewußt- (D) Die EU besteht aus 15 Nationen, die sich in europäi- sein unseren Verbrauchern gegenüber sagen, daß alles schen Verträgen, Richtlinien und Rechtsakten ihren poli- getan wird, um die Lebensmittelsicherheit ständig zu er- tischen und administrativen Rahmen geben. So wurdehöhen. So gibt es – um dies bei dem Skandalgift Dioxin im Oktober 1995 die Richtlinie 95/53 des Rates mit den aufzuzeigen – in Deutschland eine eigene Bund-Länder- Grundregeln für die Durchführung der amtlichen Fut-Arbeitsgruppe Dioxin. termittelkontrollen erlassen. Weiter hat die Europäische Aber natürlich ist der Verbraucher auch selbst ge- Union einen Ständigen Veterinärausschuß und fragt. ein Wer nur das billigste Lebensmittel nachfragt, wer Schnellwarnsystem. die Frage nach der Herkunft erst dann stellt, wenn der So weit, so gut, wenn nicht ein Dioxinskandal viaSkandal in der Zeitung steht, wer sich nicht darum Belgien uns wieder einmal eines Schlechteren belehren schert, wo, wie und von wem produziert wird, hat zwar würde. natürlich ein Anrecht auf Lebensmittelsicherheit, aber er macht diesen Weg der Lebensmittelsicherheit immer Zum Schnellwarnsystem. Vor dem Warnen gibt es ja schwerer. Deshalb sage ich: Sicherheit, Kontrolle und erst einmal Warnsignale, zum Beispiel wenn HühnerQualität haben ihren Preis, der auch offensiv zu vertre- schlecht schlüpfen, ein schlechtes Legeverhalten haben ten ist. Dieser Preis macht sich im Bauernladen, in der oder von der Stange fallen – nein, da sitzen sie ja schon Metzgerei, aber auch an der Konsumtheke in Mark und längst nicht mehr. Wenn diese Warnsignale jedoch, wie Pfennig fest. in unserem Nachbarland Belgien, nicht schnell beachtet, sondern unverantwortlich langsam, ja in unglaublicher (V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Ignoranz mißachtet werden, wird einem Skandal der Otto Solms) Weg bereitet, der in seinem Sog mehr und mehr Berei- Ich habe in dieser Woche meinen Futtermittelher- che mit sich zieht. Die Folgen sind horrende betriebs- steller vor Ort aufgesucht, von dem ich weiß, daß er kei- wirtschaftliche und volkswirtschaftliche Schäden und ner der ganz großen, aber einer der ganz tollen ist. Dort wieder einmal ein politisches Chaos, das seinesgleichen werden nämlich über die staatliche Kontrolle hinaus eine nur im BSE-Skandal findet. betriebseigene Laborüberwachung und eine Warenein- Kurz zum Ablauf und zum belgischen Umgang mit gangskontrolle durchgeführt. Das kostet natürlich etwas, dem Schnellwarnsystem. Am 19. März wurde das belgi- zunächst den Betrieb, dann den Abnehmer, schafft aber sche Landwirtschaftsministerium über Probleme in eini- auch etwas, nämlich Vertrauen und Sicherheit. Davon gen Tierbeständen unterrichtet und brauchte bis zumkönnen wir nicht genug haben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3593

Heidemarie Wright (A) Vielen Dank. es kaum vorstellbar, daß sowohl der französische wie(C) auch der niederländische Landwirtschaftsminister ihr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten frühzeitiges Wissen über diesen Futtermittelskandal, der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mittlerweile mehrere Staaten umfaßt, für sich behalten konnten. Vizepräsident Rudolf Seiters: Als nächster Redner Der Bundesregierung will ich keinen Vorwurf über hat das Wort der Kollege Peter Bleser vondie Art der und Weise machen, wie sie nach dem Bekannt- CDU/CSU-Fraktion. werden der Ereignisse reagiert hat. Was ich Ihnen aber vorwerfe, ist, daß Sie nach diesem Lebensmittelskandal, Peter Bleser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine der nur das vorläufige Ende einer Serie darstellt – ich Damen und Herren! Auch wenn es weh tut, ich muß es erinnere nur an den BSE-Skandal –, keine weitreichen- noch einmal sagen: Diese Aktuelle Stunde ist aus par- den Veränderungen in der europäischen Agrarpolitik teitaktischen Gründen zustande gekommen, durchsetzen wollen. Im Gegenteil: Mit den Agenda- Beschlüssen wird die europäische Agrarpolitik völlig an (Widerspruch bei der SPD) den Interessen der Verbraucher und der Landwirte vor- weil die Sozialdemokraten gefürchtet haben, das Schrö- bei in eine Sackgasse manövriert. der/Blair-Papier zu diskutieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie ist Die Verbraucher haben nach diesem Vorfall, bei dem ausschließlich von der Sache her bestimmt!) Abfälle in Futtermittel gemischt wurden, den letzten Ich kann das nur so werten, daß Sie eine panische Angst Rest von Vertrauen in die europäische Agrarpolitik ver- vor den Folgen der Eskapaden Ihres Bundeskanzlers und loren. Es dreht sich einem buchstäblich der Magen um, vor der Diskussion hier im Plenum haben. wenn man daran denkt, was für Schweinereien in Euro- pa möglich sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD) Wir brauchen erstens eine offene Deklaration bei den Futtermitteln. Trotzdem hat diese Aktuelle Stunde etwas Gutes. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jella (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr Teuchner [SPD]: Das ist ja etwas ganz Neues! richtig!) – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was hat denn die frühere Regierung in dieser Hin- Deshalb ist sie notwendig. Das Thema ist es auch wert, sicht gemacht?) (B) in diesem Saal diskutiert zu werden. (D) Ich weiß, daß ich damit eine eventuell etwas unbequeme Der Dioxinskandal in Belgien hat für mich zunächst Haltung einnehme. Wir brauchen zweitens eine Ver- einmal drei Aspekte. Erstens: die strafrechtliche Verfol- schärfung der Strafvorschriften, eine Verbesserung der gung der Täter. Zweitens: die politischen Konsequen- Kontrolle und eine Verbesserung der Informations- zen, die daraus zu ziehen sind. Drittens: Wie können wir stränge innerhalb der EU. das Vertrauen der Verbraucher dauerhaft zurückgewin- nen? (Beifall der Abg. Heidemarie Wright [SPD]) Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, daß beiWir brauchen drittens eine generelle Änderung der eu- der Verfolgung der Verantwortlichen für diesenropäischen Agrarpolitik, die sich an den Wünschen und schlimmen Lebensmittelskandal die volle Härte des Ge- den Qualitätsvorstellungen der Verbraucher orientiert. setzes angewendet wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Horst Kubatschka [SPD]: Deswegen diskutie- ordneten der SPD) ren wir ja hier!) Dabei darf die wissenschaftliche Unbedenklichkeit von Der Schaden allerdings, der über 2 000 landwirtschaftli- Nahrungsmitteln nicht das einzige Kriterium dafür sein, chen Betrieben, die dieses Futter ahnungslos verwand- was erlaubt ist und was nicht. Vielmehr müssen auch der ten, entstanden ist, aber auch der Schaden der Handels- vorbeugende Verbraucherschutz und die Art und Weise unternehmen und der Verbraucher, muß ersetzt werden. der Produktion berücksichtigt werden. Tierschutz, Um- Ich verlange diesen Ersatz zur Not auch vom belgischen weltschutz und Erhalt der Kulturlandschaft stehen für Staat, wenn bei den Unternehmen nichts mehr zu holen die meisten Verbraucher in einem engen Zusammen- sein sollte. hang mit der Qualität von Lebensmitteln. (Zuruf von der SPD: Scheint doch ein wichti- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der ges Thema zu sein!) SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darüber hinaus haben die politisch Verantwortlichen, Ich fasse zusammen und komme zum Schluß: Der wenn sie es noch nicht getan haben, die Konsequenzen belgische Lebensmittelskandal wird nicht der letzte sein, zu ziehen. Auch die Mitwisserschaft über einen Le-wenn wir es nicht schaffen, von der Weltmarktideologie bensmittelskandal muß geahndet werden. Offensichtlich im Nahrungsmittelbereich wegzukommen. In dieser funktioniert nämlich die Unterrichtung zwischen denIdeologie wird das Produzieren von Schrauben mit der Mitgliedstaaten der EU überhaupt nicht; denn sonst wäre Produktion von Nahrungsmitteln auf eine Ebene gestellt. 3594 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Peter Bleser (A) Die Ernährung jedoch gehört für die Menschen zu den als Rohstoffe für unsere Verarbeitungsindustrie. Auf den (C) sensibelsten Angelegenheiten. Die Politik hat deshalbProdukten steht dann zwar ein deutscher Name drauf: die Pflicht, die Bedürfnisse unserer Mitbürger in denProdukt sowieso, in Ulm oder sonstwo hergestellt, aber Mittelpunkt zu stellen. An diesem Kriterium gemessen, natürlich sind darin Rohstoffe aus allen Ländern Euro- Herr Minister Funke – jetzt sind Sie wieder an pas der enthalten. Das macht das Problem nun gerade aus. Reihe –, ist der unter Ihrer Moderation zustande ge- Bei Dioxinen – um das noch einmal ganz klar zu sa- kommene Agenda-2000-Beschluß der Weg in die fal- gen – handelt es sich wirklich um die giftigsten Stoffe, sche Richtung. die es überhaupt gibt. Selbst kleinste Konzentrationen – (Beifall bei der CDU/CSU) kaum über der Nachweisgrenze – sind schädigend. Man kann das in Experimenten sehen. Schon nach kurzer Ex- Ich fordere Sie auf, im Rahmen der WTO-Verhand-positionszeit sind beispielsweise befruchtete Fischeier lungen für eine Umkehr dieser Politik zu sorgen. Für uns schwer geschädigt, bei Konzentrationen, die etwa in ei- in der CDU/CSU jedenfalls sind der Schutz der Gesund- ner Menge von einem Mikrogramm pro Tonne vorhan- heit, eine artgerechte Haltung und Fütterung von Tieren den sind. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was hat Es handelt sich hier um 80 Tonnen verseuchter Fut- denn Herr Borchert vorher gemacht?) termittel. Man kann sich leicht vorstellen, welche Di- sowie der Erhalt unserer Kulturlandschaft über wirt-mensionen eine solche Schädigung annehmen kann. schaftliche Erwägungen zu stellen. Hier geht es nicht um Panikmache, sondern darum, sich einfach bewußt zu werden, was für ein Spiel getrieben Ich bedanke mich. und mit welcher Fahrlässigkeit hier Körperverletzung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) betrieben wird. Aber, es ist auch schon erwähnt worden, da ist auch Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als der wirtschaftliche Schaden. In Belgien, sagt man, be- nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Höfken,läuft er sich zur Zeit auf 1,6 Milliarden DM. Würde man Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. ihn in Deutschland schätzen, käme man, glaube ich, auf ähnliche Summen. Das sind enorme Summen, die den Bauern und der verarbeitenden Industrie einfach so zur Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr Last fallen. Das ist wirklich ein Skandal. geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Her- ren! Mir bleibt ja glatt die Sprache weg. Peter Bleser Was mich maßlos ärgert, ist, daß bis heute die Listen, kommt – sozusagen geklärt durch die neue Oppositions- die ja angeblich vorhanden sein sollen, nicht vorliegen. (B) rolle – zu richtigen Erkenntnissen. Wir haben heute das Inkrafttreten der Dringlichkeitsver- (D) ordnung. Aber die Verarbeiter, die beispielsweise aus (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Belgien Rohstoffe beziehen und bezogen haben, haben und bei der SPD) diese Liste der angeblich lokalisierten Betriebe nicht. Das heißt, hier wird doch von Dehaene, dem belgischen Er gehörte einer Bundesregierung an, die jahrelang ver- Ministerpräsidenten, im Rahmen des Wahlkampfes die hindert hat, daß es zu einer verbraucher-, umwelt- und Situation noch weiter ausgenutzt und unter Wahlkampf- tiergerechten Produktion kommt. Ich meine, man hat ja gesichtspunkten bewußt und fahrlässig weiterer Schaden Gelegenheit, immer neu zu lernen. Ich hoffe, da gibt es initiiert. Ich denke, eine solche Regierung darf wirklich entsprechende Konsequenzen. nicht mehr unterstützt werden und wird das hoffentlich Um die politischen Konsequenzen geht es in diesem von den Wählerinnen und Wählern auch nicht mehr, Fall tatsächlich. Ich will ein bißchen Wasser in denwenn die Wahl ansteht. Wein schütten. Also, unsere Minister in Deutschland, Aber zu Deutschland. Ich denke, wir müssen uns in- Frau Fischer und Herr Funke, können so genial sein, wie tensiv dafür einsetzen, daß es zu einer EU-weiten und sie wollen. deutschlandweiten offenen Deklaration aller Inhaltsstof- (Zuruf von der SPD: Sie sind genial!) fe der Futtermittel kommt. Das erhöht die Transparenz. Auch wenn immer von krimineller Energie gesprochen Sie haben schnell und gut gehandelt. Aber so, wie diewird: Transparenz ist ein wichtiges Gegenmittel gegen Situation ist, können sie nur Nachsorge betreiben. Das diese kriminelle Energie. Kind ist schon in den Brunnen gefallen. Das heißt, man muß sich doch hier über die Ursachenbekämpfung und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über eine neue, qualitativ ausgerichtete Agrarpolitik Ge- und bei der SPD) danken machen. Da haben wir natürlich auch Konse- Außerdem brauchen wir EU-weite Sicherheitsstan- quenzen zu ziehen. Das ist richtig. dards. Das ist doch auch die Konsequenz aus diesem Ich will aber noch ein Wort darüber verlieren, umSkandal. Sowohl im Kontrollbereich als auch im Stan- was es hier eigentlich geht. Das geht in der Diskussion – dardbereich muß es ein EU-weites Vorgehen geben. wo immer gesagt wird, wir in Deutschland sind so sicher Man braucht auch eine entsprechende Personalausstat- – ein wenig verloren. Wir leben im Binnenmarkt. Genau tung, sowohl bei den Ländern als auch auf der Bun- da fangen ja die Schwierigkeiten an. Tonnenweise gehen des- und der EU-Ebene. Dafür muß Sorge getragen wer- jeden Tag die belgischen Lebensmittel über die Grenze: den. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3595

Ulrike Höfken (A) Als letztes will ich noch sagen: Wir als Grüne stehen giftung von Lebensmitteln in Zukunft festgestellt wird,(C) für eine umweltgerechte und ökologische Produktionbevor die vergifteten Lebensmittel gegessen werden. und für eine Stärkung dieser Produktionsarten. Dafür stehen wir auch mit unserem Europaprogramm. Wir (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wollen erreichen, daß diese Art und Weise der Produk- DIE GRÜNEN) tion, die dazu beiträgt, solche Schäden überhaupt zu Der Dioxinskandal muß daher weitreichende Konse- verhindern, europaweit gestärkt wird und daß auch dies quenzen haben: eine Überprüfung der europäischen im Rahmen des Europäischen Parlaments mit einer star- Vorschriften zur Verwendung von Rohstoffen in Fut- ken grünen Fraktion der Fall ist. termitteln und eine verstärkte Überwachung der vorge- Danke. schriebenen Durchführung von Lebensmittelkontrollen. Es muß ausgeschlossen werden, daß über Futtermittel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lebensmittel vergiftet werden. Wenn die Verwendung und bei der SPD) aufbereiteter Fette für Futtermittel das Risiko einer Ver- giftung von Lebensmitteln mit sich bringt, dann dürfen diese eben nicht verwendet werden. Wenn die Unbe- Als Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: denklichkeit der Tiermehlfütterung nicht sichergestellt nächste Rednerin hat die Kollegin Jella Teuchner von werden kann, dann muß eben auf die Tiermehlfütterung der SPD-Fraktion das Wort. verzichtet werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Jella Teuchner des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Meine Damen und Herren! Die bekannte Chronologie PDS) der Ereignisse zeigt eine Seite des Dioxinskandals auf. Die belgische Informationspolitik läßt sich nur mit man- Die europäischen Vorschriften müssen in diesem gelndem Verantwortungsbewußtsein erklären. Statt wie Sinne überprüft und eventuell auch angepaßt und har- vorgeschrieben die Kommission und die EU-Mitglied- monisiert werden. Denkbar wäre es zum Beispiel, nur staaten sofort nach Bekanntwerden der Vergiftung von Futter aus einheimischen Futtermitteln zuzulassen. Hühnerfutter zu informieren, wurde gewartet, bis dieEbenso muß aber auch sichergestellt werden, daß die durch dieses Futter belasteten Lebensmittel bereits ver- vorgeschriebenen Lebensmittelkontrollen durchgeführt braucht wurden. und die notwendigen Konsequenzen aus den Ergebnis- sen der Lebensmittelkontrollen gezogen werden. Die andere Seite des Skandals ist der Verkauf von di- oxinbelasteten Fetten. Noch ist nicht klar, wie das Di- Für die Lebensmittelkontrollen sind die einzelnen (B) oxin in die Fette gelangte. Ein beim Umgang mit Le-EU-Mitgliedstaaten verantwortlich. Die Durchführung(D) bensmitteln in keinster Weise angemessener Mangel an der Lebensmittelkontrollen muß in Zukunft auch durch Sorgfalt ist eine Möglichkeit. die EU kontrolliert werden. Wir müssen uns dafür ein- Das Ergebnis dieses Skandals sind zu Recht verunsi- setzen, daß auf EU-Ebene die Standards bei der Probe- cherte Verbraucher und ein Verlust an Vertrauen in Le- nahme und auch bei den Untersuchungsverfahren an Le- bensmittel. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß bensmitteln vereinheitlicht werden; denn nur dann kön- nach dem jetzigen Stand der Dinge in deutschen Le-nen wir von einem gleichen Niveau ausgehen. bensmittel keine erhöhten Dioxinwerte festgestellt wur- Eine Maßnahme zur Stärkung des Vertrauens in die den. Festzuhalten bleibt allerdings, daß die bestehenden Unbedenklichkeit der Lebensmittel muß auch eine Ver- Kontrollen nicht ausreichten, Lebensmittel vor Schlam- besserung der Kennzeichnung von Lebensmitteln sein. perei und Verantwortungslosigkeit zu schützen. Die vollständige Deklaration von Inhaltsstoffen, wie sie Die Vergiftung eines Rohstoffes der Futtermittelher- heute freundlicherweise auch vom Kollegen Bleser an- stellung wurde erst durch die Erkrankung damit gefüt- gesprochen wurde, sollte genauso eine Selbstverständ- terter Hennen festgestellt. Notwendige Schutzmaßnah- lichkeit sein wie die Herkunftsangabe der Lebensmittel men konnten nicht oder nur sehr verspätet ergriffenim Klartext. werden, weil eben versäumt wurde, schnell und umfas- Aus dem Dioxinskandal müssen Konsequenzen ge- send zu informieren. Wegen der schwerwiegenden Ver- zogen werden. Mängel in der Lebensmittelkontrolle säumnisse – Einzelheiten der seit März bekannten Ver- müssen aufgedeckt werden. Die Verantwortung gegen- giftungen wurden erst im ständigen Futtermittelausschuß über dem Verbraucher steht im Umgang mit Lebens- am 31. Mai bekanntgegeben – droht der belgischen Re- mitteln an erster Stelle. Der Verbraucher muß sich auch gierung die Einleitung eines Verfahrens wegen Ver-in Zukunft darauf verlassen können, daß die Vorschrif- tragsverletzung durch die Europäische Kommission. ten eingehalten werden und daß er gesunde Lebensmittel Sollte sich herausstellen, daß den Produzenten derbekommt. vergifteten Fette oder einem Zulieferer rechtswidriges (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Verhalten nachgewiesen werden kann, müssen harte DIE GRÜNEN) Strafen folgen. Das ist heute auch schon des öfteren ge- sagt worden. Um allerdings das Vertrauen der Verbrau- cher in die Unbedenklichkeit der Lebensmittel wieder- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als herzustellen, werden diese Maßnahmen alleine nichtnächster Redner hat der Kollege Peter Altmaier von der ausreichen. Es muß sichergestellt werden, daß die Ver- CDU/CSU-Fraktion das Wort. 3596 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

(A) Peter Altmaier (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine telbare Kontrollen vor Ort – unangemeldet und in jedem (C) Damen und Herren! Der eigentliche Skandal, Frau Mi- Betrieb – durchzuführen? nisterin Fischer und Herr Minister Funke, besteht doch (Bundesminister Karl-Heinz Funke: Schon ge- darin, daß wir jetzt – nur wenige Monate nach dem schehen!) BSE-Skandal – schon wieder einen Lebensmittelskandal in der Europäischen Union haben, bei dem die Öffent- Es gibt einen entsprechenden Kommissionsvorschlag, lichkeit um Wochen zu spät, unvollständig und dannder im Ministerrat bisher keine Mehrheit gefunden hat. auch noch widersprüchlich informiert wird. Die Politik Die Kommission kann zwar die Kontrolleure kontrollie- aus allen Mitgliedsländern steht offenbar hilflos vor die- ren; aber sie hat keine Möglichkeit, direkt in die Betrie- sem Skandal. Sie rennt den Ereignissen hinterher, statt be zu gehen. Was nutzen uns die besten Kontrollen in sie zu gestalten; sie ist nicht imstande, rechtzeitig Abhil- Deutschland oder sonstwo, wenn es in anderen Mit- fe zu schaffen, und offenbar auch außerstande, Lehren gliedstaaten laxere Kontrollen gibt, die sich über den aus den Skandalen der Vergangenheit zu ziehen. Dann Export auch bei uns auswirken? dürfen wir uns doch nicht wundern, wenn sich die Ver- braucher – auch bei uns in Deutschland – die Fragen Drittens. Das Frühwarnsystem, das wir in der Richtli- stellen, was sie überhaupt noch essen dürfen, wie sie ge- nie über die Produkthaftung festgelegt haben, muß über- schützt werden, welches Ei unbedenklich ist und wel-prüft und verschärft werden. Es ist so, daß die belgische ches nicht! Regierung diese Richtlinie offenbar anders als die Kommission und alle anderen Mitgliedstaaten auslegt. Es ist rührend, daß die Vertreter der Koalition derWäre es nicht eine Überlegung wert, eine Mißachtung Regierung ein Unbedenklichkeitsattest ausstellen, ob-der Informationspflichten in dieser Richtlinie durch ganz wohl wir sie noch nicht einmal angegriffen und bislang konkrete Geldbußen für den betroffenen Mitgliedstaat keinerlei öffentliche Vorwürfe gegen die Bundesregie- zu sanktionieren, um deutlich zu machen, daß die In- rung erhoben haben. formationen, wenn sie vor Ort vorhanden sind, auch weitergegeben werden müssen, und zwar nicht erst mit (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber mehrwöchiger Verspätung? die Bürger haben ein Interesse daran, infor- miert zu werden!) Viertens. Der Kollege Bleser hat die Futtermittelver- ordnung angesprochen. Es gibt einen Vorschlag der Eu- – Ja, Herr Kollege Schmidt, für den Bürger – das ist das ropäischen Kommission, nach dem darauf verzichtet Entscheidende – ist es völlig egal, ob das Versagen inwerden soll, Tiermehl zu Futtermitteln zu verarbeiten. Belgien, bei der Europäischen Kommission, bei derDie Mitgliedstaaten sind dieser Empfehlung bislang deutschen Bundesregierung oder sonstwo zu lokalisieren nicht gefolgt. Mich würde interessieren, Herr Minister ist. Der Bürger erwartet von der Politik insgesamt, daß (B) Funke, ob die Bundesregierung denn bereit ist, mit gu- (D) sie dafür sorgt, daß er seine Lebensmittel ohne Beden- tem Beispiel voranzugehen und festzuschreiben, daß ken kaufen und verzehren kann. Tiermehl, das von Kadavern verendeter Tiere stammt, (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt nicht mehr verarbeitet werden darf. [Salzgitter] [SPD]: Darum reden wir heute Meine Damen und Herren, die heutige Aktuelle Stun- darüber!) de hat sich dann gelohnt, wenn nicht nur Beruhigungs- Wenn wir vermeiden wollen, daß ein Vertrauensver- pillen für die Öffentlichkeit verteilt und Fensterreden lust entsteht, müssen wir dafür sorgen, daß Konsequen- gehalten werden, sondern wenn die Bundesregierung ih- zen gezogen werden: Erstens. Herr Minister Funke, wir re Ratspräsidentschaft, die noch drei Wochen dauern sind uns einig, daß in diesem Fall der Fehler in ersterwird, dazu nutzt, aus diesem Skandal die Lehren zu zie- Linie bei der belgischen Regierung liegt. Welche Kon- hen, wenn es konkrete Arbeitsaufträge an die Europäi- sequenzen werden denn daraus gezogen? Ist die Bundes- sche Kommission gibt und wenn der Wille der politisch regierung bereit, die Kommission zu ermuntern, einVerantwortlichen deutlich wird, das, was als notwendig Vertragsverletzungsverfahren gegen Belgien einzulei- erkannt worden ist, auch endlich umzusetzen. ten? Vielen Dank. (Bundesminister Karl-Heinz Funke: Schon ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schehen!) Denn das ist die Voraussetzung, damit in der Folge die- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als ses Skandals Amtshaftungs- und Entschädigungsansprü- nächster Redner hat das Wort der Bundesminister für che geltend gemacht werden können. Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Karl-Heinz (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Deshalb Funke. ist das schon geschehen!) Zweitens. Ein ähnlicher Skandal kann sich jederzeit Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung, in einem anderen EU-Mitgliedstaat wiederholen. Wel- Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine sehr che Schlußfolgerungen ziehen wir daraus auf europäi- verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eines scher Ebene? Herr Minister und Frau Ministerin, ist die vorweg sagen: Ich bin sehr dankbar, daß wir im Grund- Bundesregierung bereit, darüber nachzudenken, ob man satz einig sind über das, worum es hier geht, und auch in Zukunft der Kommission das Recht einräumt, unmit- über die Schlußfolgerungen, die zu ziehen sind. Ich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3597

Bundesminister Karl-Heinz Funke (A) finde es auch sehr gut, daß dieser Skandal in diesergenden geboren werden. Auch Holland und Frankreich(C) sachlichen Form diskutiert wird. sind zu spät, allerdings eher als wir, und zwar per Fax informiert worden – ich habe mir das von der zuständi- Ich schließe mich völlig denen an, die darauf hinge- gen holländischen Staatssekretärin schildern und bestä- wiesen haben, daß die Kennzeichnungsregelungen viel- tigen lassen –, also auch völlig unzureichend, als wäre fältigster Art, die wir in Europa haben, unvollkommen das ein Geschäftsgang unbedeutender Art, der sich ne- sind. Wir haben einige Kennzeichnungsregelungen, aber benbei vollzöge. Auch sie sind entschieden zu spät in- längst nicht in der gebotenen Klarheit und in dem not- formiert worden. Entsprechende Kritik ist auch dort ge- wendigen Umfang. übt worden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich will noch auf einen Gedankengang hinweisen, weil ich meine, daß wir uns jetzt auch darum zu küm- Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, Frau Kollegin mern haben – wir tun das –: Das sind die Maßnahmen, Sehn, daß Sie auch darauf hingewiesen haben, daß man die Drittländer ergriffen haben. Sie haben zum Beispiel nicht immer sofort nach neuen Regelungen, nach neuen auch den Import – aus unserer Sicht den Export – deut- Sanktionsmechanismen rufen sollte – was die Bestra-scher Waren generell gesperrt. Ich halte diese Maßnah- fung anbelangt, sind wir uns einig –, sondern daß man men von Drittländern für völlig unakzeptabel. Wir ha- zu prüfen hat, ob das, was wir haben, ausreicht, ob nicht ben die Botschaften eingeschaltet, den CMA- der Mangel vielmehr im Vollzug liegt. Ich glaube, so ist Absatzfonds bemüht, um deutlich zu machen, daß man es: Im Regelungs- und Maßnahmenvollzug liegt die ent- nicht etwa wegen dieser Vorfälle in Belgien deutsche scheidende Ursache auch für das, was wir hier als Skan- Waren nicht mehr importieren kann. Ich hielte es für dal zu bezeichnen haben. schlimm, wenn die Lebensmittelbranche und die Land- Herr Kollege Altmaier, es ist nämlich so: Das Ver-wirtschaft bei uns auf diese Weise in Mitleidenschaft tragsverletzungsverfahren bezieht sich ausdrücklichgezogen würden. Wir haben entsprechende Maßnahmen auch auf die Richtlinie, die Belgien an sich dazu ge-ergriffen. zwungen hätte – das ist das Schnellmeldeverfahren –, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE sofort die entsprechenden Institutionen der Europäischen GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) Kommission und die Mitgliedstaaten zu unterrichten. Das ist also ein Teil dieses Vertragsverletzungsverfah- Ich will noch ganz schnell zwei Gedanken aufgreifen. rens. Ich war doch sehr überrascht über das, was die Kollegin Naumann hier zum ökologischen Landbau, zur regiona- Im übrigen sind wir uns völlig darüber einig – die len Vermarktung gesagt hat, als sei das nun das Mittel, Bundesregierung hat das von Anfang an gesagt –, daß um mit solchen Skandalen fertig zu werden. In den fünf (B) dieses Vertragsverletzungsverfahren anzustreben ist. Da (D) neuen Ländern sprechen Sie immer von „unseren geht es um die Frage: Wer haftet eigentlich für die um- Strukturen“. Die Strukturen, die dort überwiegend be- fänglichen Schäden in allen Bereichen, die betroffen stehen, sind lediglich dazu geeignet, für anonyme sind? Das geht bis hin zu der Frage: Wer bezahlt eigent- Märkte zu produzieren. Wenn Sie konsequent sind, le- lich die umfangreichen Kontrollen, die zusätzlich – teuer gen Sie jetzt Umstruktierungsprogramme für einen genug – durchgeführt werden müssen? Großteil der Landwirtschaft in den fünf neuen Ländern Wir haben bereits Ende Mai, als diese Thematik auf- vor, sonst machen Ihre Äußerungen wirklich keinen kam, mit dem Agrarkommissar darüber geredet – das ist Sinn. genau das, was Sie eben angesprochen haben; darin wa- ren wir in der gemeinsamen Sitzung des Ernährungs- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der und des Gesundheitsausschusses auch völlig einig –, daß CDU/CSU und der F.D.P.) es darauf ankommt, daß die EU auch kontrolliert, obIn der Heimat des Kollegen Bleser, dessen Argumente das, was längst zwingend vorgeschrieben und geboten ich auch nicht ganz nachvollziehen kann, wären die ist, auch in allen Mitgliedstaaten enstprechend umge-Strukturen eher dazu geeignet, so etwas zu machen, in setzt und vollzogen wird – das ist das Entscheidende –, den fünf neuen Ländern aber überhaupt nicht. damit nicht in dem einen Mitgliedstaat so gehandelt wird, während ein anderer großzügig darauf verzichtet Ich bitte auch darum, technische Unfälle, die es zuge- oder unter ganz anderen Voraussetzungen darangeht.gebenermaßen in Betrieben gegeben hat und immer Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß sich hier seitwieder gibt, nicht mit diesem Lebensmittelskandal in dem 1. Januar 1993, mit dem gemeinsamen Markt, ge- Belgien zu vergleichen. Dagegen wehre ich mich ent- genüber früher etwas geändert hat und daß eine solche schieden. Damit betreibt man keine Aufklärung, sondern Aufsicht, eine solche Kontrolle der Kontrolle, unbedingt wiederum Verschleierung, nur von einer anderen Seite notwendig ist. Ich schließe mich dieser Forderung aus- her. Das können wir nicht gebrauchen. drücklich an. Ihre Fragen, ob die Bundesregierung das Es hilft auch nicht, auf die Agenda zu verweisen. Es nachdrücklich unterstützt, kann ich also eindeutig mit Ja scheint, daß man die Agenda für alles verantwortlich beantworten. Das ist bereits in den ersten Tagen, an de- machen kann. Ich bin überzeugt, daß dann, wenn es im nen wir uns mit diesem Thema auseinanderzusetzenkommenden Winter eine überdurchschnittliche Zunah- hatten, geschehen. me von Wintersportunfällen gibt, der Agenda dafür die Ich will Ihnen etwas sagen, was Holland und auchSchuld gegeben wird. Ich sehe das kommen, daß einige Frankreich anbelangt, damit da nicht irgendwelche Le- es so drehen werden, daß die Agenda sowie Funke und 3598 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

Bundesminister Karl-Heinz Funke (A) Fischer dafür verantwortlich sind. Von mir aus sollen Vielen Dank, meine Damen und Herren. (C) sie das machen. Aber weder durch die Agenda noch durch die Weltmarktorientierung oder die Globalisie- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rung ist es zu diesem Skandal gekommen. Ich möchte DIE GRÜNEN) deutlich sagen, daß er nicht durch die Globalisierung zu- stande gekommen ist. Allenfalls könnte man anmerken – Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Es sind ich halte auch diese Konstruktion schon für gewagt; Sie zwei Reden, nämlich die des Kollegen Dr. Harald Kahl von der CDU/CSU dürfen da ruhig mit dem Kopfund die der Kollegin Helga Kühn-Mengel, zu Protokoll schütteln –, daß der Binnenmarkt am 1. Januar 1993 ge- gegeben worden.*) schaffen wurde, ohne zu fragen, welche zusätzlichen Maßnahmen bei der Lebensmittelkontrolle und -über- Ich hoffe, daß Sie damit einverstanden sind. – wachung, in der Veterinärüberwachung und der Gewer- beaufsicht notwendig sind, um mit einem größerenDamit sind wir am Ende dieser Aussprache und am Markt ohne Grenzen fertig zu werden. Ich könnte esSchluß der Tagesordnung. nachvollziehen, wenn das Problem in diesem Zusam- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- menhang gesehen wird; einen anderen kann ich über-destages auf Mittwoch, den 16. Juni 1999, 12 Uhr ein. haupt nicht sehen. Die Sitzung ist geschlossen. Das, was Sie, Herr Kollege Bleser, zu WTO II und zu den Gesundheitsstandards gesagt haben, halte ich für (Schluß: 14.57 Uhr) richtig. Im Gegensatz zur früheren Bundesregierung werden wir darauf drängen, daß solche Standards bei den WTO-Verhandlungen eine Rolle spielen. *) Anlage 3

(B) (D) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3599

(A) Anlagen zum Stenographischen Bericht (C)

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Hoffmann (Wismar), Iris SPD 11.6.99 entschuldigt bis Abgeordnete(r) Holetschek, Klaus CDU/CSU 11.6.99 einschließlich Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 11.6.99 Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 90/ 11.6.99 Jünger, Sabine PDS 11.6.99 DIE GRÜNEN Dr.-Ing. Kansy, Dietmar CDU/CSU 11.6.99 Austermann, Dietrich CDU/CSU 11.6.99 Kemper, Hans-Peter SPD 11.6.99 Balt, Monika PDS 11.6.99 Kolbow, Walter SPD 11.6.99 Dr. Bartsch, Dietmar PDS 11.6.99 Kopp, Gudrun F.D.P. 11.6.99 Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 11.6.99 Marieluise DIE GRÜNEN Koschyk, Hartmut CDU/CSU 11.6.99 Behrendt, Wolfgang SPD 11.6.99 * Dr.-Ing. Krüger, Paul CDU/CSU 11.6.99 Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 11.6.99 ** Kutzmutz, Rolf PDS 11.6.99 Bläss, Petra PDS 11.6.99 Lehn, Waltraud SPD 11.6.99 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 11.6.99 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 11.6.99 Bonitz, Sylvia CDU/CSU 11.6.99 Lenke, Ina F.D.P. 11.6.99 Brähmig, Klaus CDU/CSU 11.6.99 Lensing, Werner CDU/CSU 11.6.99 Dr. Brauksiepe, Ralf CDU/CSU 11.6.99 Leutheusser- F.D.P. 11.6.99 Dr. Brecht, Eberhard SPD 11.6.99 Schnarrenberger, Sabine Brinkmann (Hildesheim), SPD 11.6.99 Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 11.6.99 Klaus W. (B) Bernhard (D) Brüderle, Rainer F.D.P. 11.6.99 Dr. Luft, Christa PDS 11.6.99 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 11.6.99 * Mattischek, Heide SPD 11.6.99 Buwitt, Dankward CDU/CSU 11.6.99 Meckel, Markus SPD 11.6.99 Dehnel, Wolfgang CDU/CSU 11.6.99 Metzger, Oswald BÜNDNIS 90/ 11.6.99 DIE GRÜNEN Deß, Albert CDU/CSU 11.6.99 Müller (Kiel), BÜNDNIS 90/ 11.6.99 Edathy, Sebastian SPD 11.6.99 Klaus Wolfgang DIE GRÜNEN Eppelmann, Rainer CDU/CSU 11.6.99 Müller (Berlin), Manfred PDS 11.6.99 Ernstberger, Petra SPD 11.6.99 Müntefering, Franz SPD 11.6.99 Fink, Ulf CDU/CSU 11.6.99 Nahles, Andrea SPD 11.6.99 Follak, Iris SPD 11.6.99 Neumann (Bremen), CDU/CSU 11.6.99 Friedrich (Bayreuth), F.D.P. 11.6.99 Bernd Horst Neumann (Gotha), SPD 11.6.99 ** Fuchtel, Hans-Joachim F.D.P. 11.6.99 Gerhard Funke, Rainer F.D.P. 11.6.99 Ostrowski, Christine PDS 11.6.99 Gebhardt, Fred PDS 11.6.99 Otto (Frankfurt), F.D.P. 11.6.99 Hans-Joachim Großmann, Achim SPD 11.6.99 Parr, Detlef F.D.P. 11.6.99 Haschke (Großhenners- CDU/CSU 11.6.99 dorf), Gottfried Pau, Petra PDS 11.6.99 Haupt, Klaus F.D.P. 11.6.99 Pieper, Cornelia F.D.P. 11.6.99 Hedrich, Klaus-Jürgen CDU/CSU 11.6.99 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 11.6.99 Hempelmann, Rolf SPD 11.6.99 Reinhardt, Erika CDU/CSU 11.6.99 3600 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

(A) entschuldigt bis Anlage 2 (C) Abgeordnete(r) einschließlich Erklärungen nach § 31 GO Dr. Rexrodt, Günter F.D.P. 11.6.99 zur Abstimmung über den Antrag der Bundes- Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 11.6.99 regierung – Deutsche Beteiligung an einer in- Hannelore ternationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für Dr. Rössel, Uwe-Jens PDS 11.6.99 die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Ronsöhr, CDU/CSU 11.6.99 Absicherung einer Friedensregelung für den Heinrich-Wilhelm Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheit srats der Vereinten Na- Rühe, Volker CDU/CSU 11.6.99 tionen vom 10. Juni 1999 – (Tagesordnungs- Rupprecht, Marlene SPD 11.6.99 punkt 2) Schenk, Christina PDS 11.6.99 Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Wie alle von Schmude, Michael CDU/CSU 11.6.99 anderen Mitglieder in diesem Parlament bin ich der Auf- Schnieber-Jastram, CDU/CSU 11.6.99 fassung, der Balkan braucht Frieden; aber nicht um je- Birgit den Preis. Die Menschen- und Bürgerrechte gilt es zu gewährleisten. Aber kann ein Krieg, der Tausende von Schultz (Everswinkel), SPD 11.6.99 zivilen und militärischen Opfern fordert, dafür ein ver- Reinhard antwortbares Mittel sein? Schulz (Leipzig), BÜNDNIS 90/ 11.6.99 Wir entscheiden heute über den bisher größten und Werner DIE GRÜNEN gefährlichsten Einsatz von deutschen Soldaten nach dem Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 11.6.99 Zweiten Weltkrieg. Neben den 8 500 Bundeswehrsol- Christian daten für das Kosovo sind es insgesamt 12 500 Angehö- rige unserer Bundeswehr, die in der Krisenregion Bal- Seehofer, Horst CDU/CSU 11.6.99 kan stationiert sind. Für unsere Soldaten wie für die ge- Siemann, Werner CDU/CSU 11.6.99 samten NATO-Streitkräfte muß höchster Schutz ihrer Sicherheit gelten, trotz aller Notwendigkeit der Rück- Späte, Margarete CDU/CSU 11.6.99 kehr der Flüchtlinge in ihre Heimat. Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 11.6.99 (B) Allen Äußerungen der militärischen Sachverständi-(D) Dr. Stadler, Max F.D.P. 11.6.99 gen – bis hin zum Generalinspekteur der Bundeswehr, General von Kirchbach – zufolge wird mit Kampfhand- Dr. Staffelt, Ditmar SPD 11.6.99 lungen für die Friedenstruppen gerechnet. Um so mehr Steiger, Wolfgang CDU/CSU 11.6.99 muß alles getan werden, um die Risiken für unsere Sol- daten zu minimieren. Steinbach, Erika CDU/CSU 11.6.99 Das gilt insbesondere für das Minen- und Blindgän- Dr. Frhr. von Stetten, CDU/CSU 11.6.99 gerrisiko. Hunderttausende von Minen sind vor dem Wolfgang Einzug der Friedenstruppe von denen zu räumen, die sie Tauss, Jörg SPD 11.6.99 gelegt haben und um ihre Lokalisierung wissen. Es muß Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 11.6.99 das Prinzip Räumung vor dem Truppeneinzug gelten. Das gilt jedoch besonders für die nachweisbare Ent- Thierse, Wolfgang SPD 11.6.99 waffnung der voll ausgerüsteten UCK-Kämpfer, von de- Türk, Jürgen F.D.P. 11.6.99 nen es allein 15 000 im Kosovo gibt. Eine nachweisbare Entwaffnung dieser unkontrollierbaren Truppe muß Uldall, Gunnar CDU/CSU 11.6.99 Vorrang haben. Das gilt aber auch für die von der Wettig-Danielmeier, SPD 11.6.99 NATO vermuteten, durch serbische Soldaten gelegten Inge Sprengstoffkörper in Häusern und im unzugänglichen Gelände. Auch diese sind vor einem Einzug der NATO- Willner, Gert CDU/CSU 11.6.99 Truppen – zum Schutze unserer Soldaten – zu beseitigen. Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 11.6.99 Wir entsenden, wie die Bundesregierung betont, „ro- Wolf, Aribert CDU/CSU 11.6.99 buste“ Friedenstruppen in das Kosovo, das heißt Kampfverbände, die nach Meinung unseres Militärs sehr Dr. Wolf, Winfried PDS 11.6.99 wohl in Sperrfeuersituationen geraten können. Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 11.6.99 Was ist, wenn US-Truppen oder die der Engländer in Zierer, Benno CDU/CSU 11.6.99 einen solchen Angriff verwickelt werden und es dann ——————— zum Bodenkampf kommt? Werden wir dann noch unser ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- Veto einlegen, werden wir uns einem solchen Bodenein- lung des Europarates satz noch entziehen können? Wer verhindert eine Eska- ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union lation? Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3601

(A) Ist nicht ein Bodenkampf mit all den schrecklichen Wir lehnen allerdings den Versuch in dem Antrag der (C) Folgen bei einer Kommandostruktur, die nicht eine ein- Bundesregierung, die NATO-Luftangriffe auf Jugosla- deutige NATO-Führung gewährleistet, sondern auchwien nachträglich durch dieses Ergebnis zu legitimieren, Eigenständigkeit russischer Truppen – die zu den Serben ab. Nach 75 Tagen Bombardierungen durch die NATO ein ganz anderes Verhältnis haben, als zum Beispielund nach den jetzt getroffenen Vereinbarungen sehen die Amerikaner – vorsieht, durch die Hintertür denkbar? wir weiterhin erhebliche Risiken für eine friedliche Ist dadurch eine neue Konfrontation zwischen denEntwicklung der Region, die nicht allein mit der UN- Konfliktparteien und der NATO-Schutztruppe ausge-Mandatierung über Kapitel VII (Friedenserzwingung) schlossen? zusammenhängen. Wir werden deshalb mit Enthaltung stimmen. Es gilt, alle machbaren, ausschaltbaren Risiken zu be- seitigen, bevor die Friedenstruppen in das Kosovo ge- Die Luftangriffe der NATO haben die humanitäre hen. Mir ist klar, daß es trotz aller Minimierung weiter- Katastrophe im Kosovo nicht verhindert. Mit Beginn der hin höchste Gefahren für die Truppe geben wird. Bombardierungen hat sich die Situation der Menschen dramatisch verschlechtert. Das Milosevic-Regime hat Es geht mir aber um die höchstmögliche Sicherheitdie Militärschläge als Kulisse für eine brutale Vertrei- für unsere und die Soldaten der NATO nach einembungspolitik genutzt. Damit haben die NATO-Bomben Krieg, der zu über 860 000 Flüchtlingen und Vertriebe- auch dieser menschenverachtenden Strategie in die nen, zu Gefolterten und Heimatlosen geführt hat, zuHände gespielt. Durch die NATO-Bomben wurden viele über 14 000 Bombenabwürfen und dessen Kriegsziele Menschen im Kosovo und in ganz Jugoslawien getötet nicht einmal im Ansatz erreicht worden sind und des-und verletzt, ihre Lebensgrundlagen wurden zerstört und halb fragwürdig bleiben. unermeßliche ökologische Schäden angerichtet. Wurde eine humanitäre Katastrophe verhindert? Die dauerhaft dominante Präsenz der NATO als Nein! Kriegspartei ist eine Hypothek für den Friedensprozeß und ein kaum geeignetes Instrument für die notwendige Wurde die Stabilität der Balkanregion erreicht? Nein! Konfliktdeeskalation. Die Rolle Rußlands in der Kom- Wurde das serbische Militär zerschlagen? Nein! mandostruktur ist weitgehend ungeklärt. Über die künftige Rolle der bewaffneten Kräfte der Hat Milosevic kapituliert, ist der Diktator entmach- UCK besteht Unklarheit. Die Vergangenheit des neuen tet? Nein! Generalstabschefs der UCK, des kroatischen Brigadege- Haben die Albaner ihr Ziel einer Unabhängigkeit des nerals Ceku, der eine zentrale Rolle bei der ethnischen Kosovo erreicht, die Serben ihr Ziel, den Kosovo alsSäuberung und der Vertreibung von fast 200 000 Serben (B) (D) rein serbische Provinz zu sichern? aus der kroatischen Region Krajina gespielt hat, ist für die serbische Bevölkerung im Kosovo Grund zu Angst Trotz des Krieges sind die ursächlichen Konflikte ge- und Flucht. Die Forderungen von UNO und NATO nach blieben. Vermutlich über Jahre werden Friedenstruppen Entwaffnung der UCK, ohne eine verbindliche Zusage für die Gewährleistung des Waffenstillstandes sorgenund Garantie durch die UCK, reichen nicht, um der ser- müssen. Mit viel Geld aus den NATO-Staaten ist jetzt bischen Bevölkerung die Ängste zu nehmen. das aufzubauen, was durch serbische Truppen und die Die Ankündigung, der Bevölkerung im serbischen Bombenangriffe zerstört wurde. Ich teile nicht die Auf- Teil Jugoslawiens keine Wiederaufbauhilfe zur Verfü- fassung der rotgrünen Bundesregierung, daß erst durch gung zu stellen, solange Milosevic Präsident ist, halten einen Krieg eine Befriedung des Kosovo und im ge- wir für unverantwortlich, nachdem mit NATO-Bomben samten Balkan möglich geworden ist. Der Preis ist zu die Infrastruktur des zivilen Lebens im Land und unzäh- hoch. lige zivile Arbeitsplätze zerstört und der Zivilbevölke- rung die Existenzgrundlage damit genommen wurde. Annelie Buntenbach, Monika Knoche, Steffi Lemke, Ein weiteres Mal soll die Zivilbevölkerung in Haftung Irmingard Schewe-Gerigk, Christian Simmert undfür die Menschenrechtsverletzungen von Milosevic ge- Sylvia Voß (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Endlich nommen werden. sind die Kampfhandlungen im Kosovo und die Bom- bardierungen der NATO beendet. Wir sind darüber Für die Wiederherstellung der Lebensgrundlagen der sehr erleichtert und sehen darin eine zentrale Voraus-Bevölkerung in ganz Jugoslawien, die durch serbische setzung für den Frieden und für die Rückkehr der Ver- Minen, NATO-Bomben, abgereichertes Uran aus triebenen und Flüchtlinge in das Kosovo. Wir begrüßen, NATO-Munition und serbische Brandschatzung ver- daß durch die gerade von seiten des deutschen Außen- nichtet wurden, tragen NATO, EU-Staaten und die BRD ministers forcierten Verhandlungen ein Ende der Kämp- besondere Verantwortung. fe vereinbart werden konnte. Von zentraler Bedeutung ist, daß Rußland in den Verhandlungen und bei der Dr. Antje Vollmer(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lösung eine wichtige Rolle spielt und daß ein Mandat Da für den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der der UNO zur Grundlage des Waffenstillstandes undKFOR-Friedenstruppe ein Mandat des UN-Sicherheits- einer Friedenslösung erreicht wurde. Wir lehnen des-rats erfolgt ist, stimme ich dem Antrag der Bundesregie- halb den Antrag der Bundesregierung und die deutsche rung mit Überzeugung zu. Der Einsatz einer internatio- Beteiligung an der Friedenssicherung im Kosovo nicht nalen Schutztruppe auf dem Balkan braucht eine klare ab. völkerrechtliche Legitimation und die Akzeptanz der 3602 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

(A) ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats. Die völker-Flüchtlinge abgesichert werden kann. Humanitäre Hilfe (C) rechtliche Grundlage des bisherigen Vorgehens derist dringend und in großem Umfang erforderlich und NATO war unzureichend, und es ist ein großer Fort-muß – angesichts der Situation im Gebiet des Kosovo – schritt, daß diese jetzt unmißverständlich klargestellt ist. militärisch begleitet werden. Trotzdem möchte ich zu einem Punkt meine Beden- Wichtig ist für uns, daß dieser Einsatz deutscher Sol- ken zum Ausdruck bringen. Im Kosovo lebten ehemals daten in einer Krisenregion außerhalb des Bündnisge- 200 000 Serben, von denen jetzt nur noch die Hälfte an biets auf der Grundlage des Beschlusses des Sicherheits- Ort und Stelle geblieben ist. Deren Sicherheit kann inrates der Vereinten Nationen erfolgt, um die UN- und den nächsten Wochen unmittelbar betroffen sein. Wäh- andere Hilfsorganisationen in ihrer Arbeit zu unterstüt- rend mit der serbischen Armee ein militärisch-zen. Wichtig ist aber auch, daß mit diesem Einsatz der technisches Abkommen über den Abzug getroffen wur- Beginn des Aufbaus einer Zivilgesellschaft eingeleitet de, fehlt bisher eine schriftliche Vereinbarung über eine wird. Hauptaufgabe ist und bleibt die Erarbeitung eines Entwaffnung der militanten albanischen Widerstands- dauerhaften Stabilitätspaktes für die gesamte Region, kämpfer (insbesondere der UCK). Da während desdamit Prävention vor Reaktion geht und nicht neue Kri- Krieges tiefe Gräben zwischen den Ethnien entstanden senherde aufflammen. sind, halte ich das Verhalten der bewaffneten Gruppen für nicht vorhersehbar. Aus diesem Grunde sollte, auch Christian Sterzing, Claudia Roth (Augsburg), Win- im Interesse der internationalen Friedenstruppe, diefried Hermann, Hans-Josef Fell und Winfried Nacht- Entwaffnung der UCK vertraglich geregelt werden. wei (alle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Wir sind er- Aufgabe der internationalen Friedenstruppe ist es,leichtert, daß es der internationalen Staatengemeinschaft die Rückkehr der Flüchtlinge zu ermöglichen und, so- – unter maßgeblicher Beteiligung des deutschen Au- weit überhaupt möglich, die multiethnische Kultur des ßenministers – gelungen ist, mit der UN-Sicherheits- Kosovo zu bewahren. Ein Exodus der Serben aus dem resolution 1244 (1999) vom 10. Juni 1999 eine fried- Kosovo (Ähnliches passierte nach Abschluß vollere des Perspektive für die Menschen im Kosovo zu er- Dayton-Abkommens in Bosnien) würde letztlich dieöffnen, und stimmen deshalb dem Antrag der Bundes- Bemühungen der internationalen Staatengemeinschaft regierung zu. konterkarieren. Wir wollen heute unserer Hoffnung Ausdruck verlei- hen, daß mit derselben Intensität in der gesamten Region Dr. Hermann Scheer, Dr. Axel Berg, Ute Vogt nun mit politischer, materieller und finanzieller Unter- (Pforzheim) und Harald Friese(alle SPD): Der deut- stützung insbesondere der EU der zivile Wiederaufbau schen Beteiligung an der internationalenSicherheit s- vorangetrieben wird. Hierzu gehört neben der freiwilli- (B) präsenz auf der Grundlage des Mandats des gen UN- Rückkehr der Flüchtlinge, dem Aufbau wirtschaftli- (D) Sicherheitsrates stimme ich uneingeschränkt zu. Meine cher und demokratischer Strukturen auch der Schutz der Zustimmung bezieht sich jedoch nur auf die Maßnah-serbischen Minderheit im Kosovo und eine Demilitari- men und bezieht nicht alle Teile der Begründung dessierung der UCK. Antrags ein. Den von der NATO eigenmächtig geführten Bom- Wir teilen nicht die Auffassung, daß die „Doppel- benkrieg habe ich für den falschen Ansatz gehalten, um strategie einer Kombination aus militärischen Maßnah- die humanitäre Katastrophe im Kosovo abzuwenden und men und gleichzeitigen diplomatischen Bemühungen“ Gewalthandlungen zu unterbinden. Daß die NATO-die einzige Möglichkeit zur Beendigung des Krieges Bombeneinsätze eine unerläßliche Ultima ratio gewesen war. Die Bombardierung durch die NATO kann nicht als sei, steht in meinen Augen schon deshalb in bleibendem Modell für die zukünftige Konfliktlösung in Europa oder Zweifel, weil vorbeugende Maßnahmen politischenin anderen Erdteilen dienen. Vielmehr muß in den näch- Drucks auf die jugoslawische Staatsführung, zum Bei- sten Jahren die Weiterentwicklung einer präventiven spiel ein Ölembargo, nicht konsequent versucht wurden. Politik – auch und gerade in der Europäischen Union – Schon gar nicht war die gezielte Bombardierung ziviler betrieben werden. Dieses muß nach unserer Über- Objekte auch weit außerhalb des Kosovo und ihren weit- zeugung – als Konsequenz aus elf Wochen Bombardie- reichenden sozialen und ökologischen Folgen legiti-rung – die vorrangige politische Aufgabe der Zukunft mierbar. sein.

Deshalb kann ich die Begründung des Antrags nicht Detlev von Larcher (SPD): Ich stimme dem Antrag teilen, die die „Doppelstrategie“ militärischer Maßnah- der Bundesregierung: men und diplomatischer Bemühungen hervorhebt. Eine kritische Bewertung dieser „Doppelstrategie“ ist auch Deutsche Beteiligung an einer internationalen Si- im nachhinein nötig, damit sie nicht für künftige Kon- cherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung fliktfälle als Vorbild bemüht wird. eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrück- kehr und zur militärischen Absicherung der Frie- Christel Deichmann und Götz-Peter Lohmann densregelung für das Kosovo auf der Grundlage der (Neubrandenburg) (beide SPD): Wir stimmen dem Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Antrag der Bundesregierung zu. Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 Unsere Hoffnung ist, daß mit diesem Einsatz eineauf Drucksache 14/1133 zu, nicht aber jedem einzelnen schnelle und vor allem auch geordnete Rückkehr derSatz der Begründung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999 3603

(A) Anlage 3 als auch den Lebensmittelüberwachungsbehörden er-(C) möglicht, die Herkunft des Lebensmittels zu identifi- Zu Protokoll gegebene Reden zieren. zur Aktuellen Stunde: Haltung der Bundesregie- Wir erwarten von der Bundesregierung ebenfalls, daß rung zum Skandal der dioxinverseuchten bel- sie sich dafür einsetzt, daß Belgien umgehend einen Be- gischen Lebensmittel (Tagesordnungspunkt 3) richt über Ursachen, Zeitraum und Umfang der Konta- mination sowie über die Vertriebswege der kontami- Dr. Harald Kahl (CDU/CSU): Kaum haben sich die nierten Produkte vorlegt und daß die Europäische Union Wogen um den BSE-Skandal geglättet, blicken verunsi- mit harter Hand gegen die schwarzen Schafe aus der cherte Verbraucher angesichts des Skandals um dioxin- Tiermastbranche vorgeht. verseuchtes Tierfutter erneut nach Brüssel: Wieder ein- Weiterhin muß es mehr die Aufgabe der EU-Kontrol- mal waren offensichtlich Kontrollmechanismen nicht leure sein, vor einem möglichen Ereignis präventiv zu ausreichend. Wieder einmal erschwerte eine völlig unzu- wirken und nicht erst dann, wenn das Kind in den Brun- reichende Informationspolitik, diesmal seitens der belgi- nen gefallen ist. Schließlich dürfen der Ruf nach niedri- schen Regierung, schnelles gemeinsames Handeln in- gen Verbraucherpreisen und die Massentierhaltung kein nerhalb der EU. Wieder einmal haben Schlamperei oder Anreiz für Erzeuger und Händler sein, Schaden für mögliche kriminelle Energie obsiegt über offensichtlich Mensch und Tier verantwortungslos in Kauf zu nehmen. lückenhafte europäische Regelwerke. Und: Es ist ganz einfach nicht hinnehmbar, daß die belgische Regierung, Das heutige Thema eignet sich weder zur Verharmlo- die offensichtlich schon Monate vorher Information über sung oder Vertuschung noch zu übertriebener Panikma- kontaminiertes Tierfutter hatte, es bewußt verabsäumte, che. Vielmehr kann nur durch schonungslose Offenheit in- und ausländische Behörden davon in Kenntnis zuund Transparenz sowie durch koordiniertes Vorgehen setzen. der Mitgliedstaaten verlorengegangenes Vertrauen in die Mit dem Namen „Dioxine“ verbindet sich Europäische die Union zurückgewonnen werden. schreckliche Katastrophe von Seveso im Jahr 1976. Die besondere Toxizität von Dioxinen ergibt sich aus der Helga Kühn-Mengel (SPD): Das Bestürzende an die- Tatsache, daß sie sich im Fettgewebe anreichern undsem belgischen Dioxinskandal ist ja, daß er ein weiteres schon in geringsten Mengen erhebliche Organschädi-Mal belegt: Wieder einmal geht skrupellose Geschäfte- gungen an Leber, Niere sowie am Immunsystem hervor- macherei im Bereich der Nahrungsmittelproduktion im rufen und Ursache von Krebserkrankungen sein können. Verbund mit mangelnder Transparenz im Bereich eines Zwar nehmen wir täglich mit unserer Nahrung undMitgliedstaates der Europäischen Union voll zu Lasten (B) durch die Luft Spuren von Dioxinen auf und erkranken der Verbraucherinnen und Verbraucher, voll zu Lasten (D) dennoch nicht daran, doch wenn im Falle der in Belgien deren Gesundheit. untersuchten Eier und Geflügelfette diese Werte um ein Während die belgischen Stellen den Skandal lange Vielfaches überschritten wurden, ist das Veranlassung Zeit durch ihre mangelhafte Informationspolitik vor sich genug, sofort und umfassend zu handeln. her geschoben haben, handelten die zuständigen Behör- Die Bundesregierung hat, das will ich ausdrücklich den auf europäischer Ebene und in Deutschland diesmal betonen, sofort nach Bekanntwerden der Dioxinkonta- erfreulicherweise sehr zügig. minationen mit dem Verbringungsverbot für belgische Es ist gut, daß nach kurzer Zeit vom Ständigen Vete- Lebensmittel im Rahmen der „Verordnung zum Schutz rinärausschuß der Europäischen Union ein sofortiges der Verbraucher durch Dioxin in bestimmten Lebens-Vermarktungsverbot für Geflügel und Eier aus Belgien mitteln tierischer Herkunft“ entsprechend ihrer Auf-ausgesprochen wurde. Nur so konnte ein gesundheits- sichtspflicht gehandelt und damit den Vertrieb politischer in Flächenbrand verhindert werden. Dieser wäre Deutschland unterbunden. Auch das deutsche Rechtzweifellos eingetreten, wenn wir zugelassen hätten, daß bietet meines Erachtens mit dem Fleischhygienegesetz, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union verbo- dem Geflügelfleischhygienegesetz sowie deren Verord- tene Produkte kurzerhand in einen anderen Staat expor- nungen und dem Futtermittelgesetz eine hohe Sicherheit tiert werden können. für den deutschen Verbraucher. Ein solcher Skandal wie in Belgien wäre in Deutschland nicht möglich. Für die Gleichermaßen ist zu begrüßen, daß das Bundes- deutsche Bevölkerung scheint nach den bisher bekannt- ministerium für Gesundheit umgehend eine Verordnung gewordenen Untersuchungsergebnissen keine Gefahr zu zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor bestehen. Das ist zwar erfreulich. Aber wir sehen dieGefährdung durch Dioxin in bestimmen Lebensmitteln Bundesregierung, namentlich im Rahmen ihrer EU-Prä- tierischer Herkunft erlassen hat. Dadurch sind die sidentschaft, in der Pflicht, energisch darauf hinzuwir- Länder ermächtigt, die notwendigen lebensmittel- und ken, daß eine Zertifizierung durch belgische Behörden veterinärrechtlichen Vorschriften zu erlassen und sofort nach einheitlichem Standard erfolgt, schon wegen des zu vollziehen. ländereinheitlichen und für die Bevölkerung transpa- renten Vollzuges. Während früher oft zögerlich und halbherzig gehan- delt wurde, um die wirtschaftlichen Interessen eines Wir erwarten weiterhin von der Bundesregierung, daß Mitgliedstaats zur Geltung zu bringen, wurde nun dem sie für eine europaweite einheitliche KennzeichnungZiel eines gleichen und hohen Schutzes der Verbrauche- von Lebensmitteln eintritt, die sowohl den Verbrauchern rinnen und Verbraucher in der gesamten Europäischen 3604 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Juni 1999

(A) Union ein höheres Gewicht beigemessen. Leider konnte mittel das Vertrauen der Verbraucher in die Lebensmit- (C) aber auch in diesem Fall erst dann gehandelt werden, als tel stärken. Die Kennzeichnung der Lebensmittel sollte die Nachricht von dem Dioxinskandal öffentlich be-weiter verbessert werden, damit die Herkunft der Pro- kanntgeworden ist. Es sind die belgischen Behörden, die dukte europaweit unzweifelhaft auf der Verpackung an- es hier in äußerst beklagenswerter Weise an der notwen- gegeben ist. Es ist gut, daß die Minister und Ministerin- digen Transparenz haben mangeln lassen. nen gestern auf der Gesundheitsministerkonferenz in Trier in ihrem Abschlußpapier eine entsprechende Auf- Dies wirft die Frage auf, ob die Gemeinschaft nicht forderung beschlossen haben. durch schärfere Verbote und Kontrollen bereits in einem früheren Stadium des Produktionsprozesses dafür sorgen Ich denke, wir brauchen keinen weiteren Skandal, um kann, daß die gesundheitlichen Risiken für die Verbrau- diese von Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen cher und Verbraucherinnen gemildert werden. Doch bis seit langem vertretene Forderung endlich ernst zu neh- dahin ist es noch ein beträchtlicher Weg. Der neuenmen! Bundesregierung ist es während ihrer EU-Präsident- Auch in anderen Bereichen, die für den Gesundheits- schaft auch im Bereich des Verbraucher- und Umwelt- und Verbraucherschutz von Interesse sind, wird die schutzes gelungen, neue Akzente zu setzen: Im Hinblick Politik trotz tapferer Rufer in der Wüste noch einige Zeit auf den aktuellen Dioxinskandal sind hier EU-weite benötigen, um zu erreichen, daß seit langem gewachsene Verbote verschiedener Futtermittelzusätze und die Kon- Produktionsstrukturen verbessert werden. So sind die trolle der Verwendung bestimmter Tierarzneimittel er- zum Teil anzutreffenden Formen der Massentier- und wähnenswert. Doch dies alles hat offensichtlich nicht ge- Käfighaltung bei der Geflügelproduktion ja nicht nur ei- reicht, zu verhindern, daß der jüngste Skandal erfolgt ist. ne Gefahr in bezug auf den Tierschutz. Hier geht es um Ob noch strengere Vorschriften notwendig sind oder massive gesundheitliche Gefährdungen. Nur in einem ob die bestehenden Normen nur besser kontrolliert wer- derartigen Umfeld können skrupellose Praktiken der den müssen, bedarf einer Prüfung, sobald sämtlicheFütterung gedeihen und Folgen hervorrufen, wie sie jetzt Fakten auf dem Tisch liegen. Eines steht fest: Kriminelle beim Dioxinfall eingetreten sind. Hier ist ein Umdenken Energie und Verantwortungslosigkeit wird es trotz guter in Deutschland und auf europäischer Ebene erst in An- Gesetze wohl weiterhin geben. Wir müssen auch darauf sätzen zu erkennen. achten, daß die Strafen dem Ausmaß des Schadens und Ich höre immer wieder das Gejammer um den Wirt- der kriminellen Energie entsprechen. Zu geringe Sank- schaftsstandort, wenn ein Land es wagt, als Vorreiter in tionen wirken eher lächerlich, erzeugen den Eindruck, es der Europäischen Union mutig Standards zu setzen. So handele sich um ein Kavaliersdelikt, sind nicht geeignet, brauchen wir möglichst europaweite Normen auf hohem das öffentliche Bewußtsein und das der Produzenten für Niveau. In diesem Zusammenhang ist es der neuen Bun- den kriminellen Unwert solcher Taten zu schärfen. (B) desregierung gelungen, daß während ihrer (D) EU- Wir werden als SPD-Bundestagsfraktion demnächst Präsidentschaft eine grundsätzliche Einigung im Bereich in einem Entschließungsantrag noch einmal deutlichder ökologischen Tierhaltung in der Europäischen Union machen, daß wir von der Bundesregierung eine genaue erzielt werden konnte. Damit wird den Prinzipien des Prüfung zu der Frage erwarten, ob zur Verbesserung des ökologischen Landbaus auch bei der Erzeugung tieri- Verbraucher- und Umweltschutzes aus dem aktuellenscher Produkte Rechnung getragen. Hierzu wurde die Dioxinskandal Konsequenzen gezogen werden müssen, endgültige Verabschiedung auf den Weg gebracht. Ich um das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbrau- hoffe, daß sich im letzten Moment kein Mitgliedsland cher in die landwirtschaftliche Produktion zu stärken.mehr dagegen wehrt. Dies liegt im gesundheitspolitischen Interesse ebenso Schließlich wirkt der Dioxinskandal, so bestürzend er wie im Interesse der landwirtschaftlichen Produzenten. auch ist, möglicherweise als Alarmsignal, das uns den So können die vorgeschriebenen Lebensmittelkon-Mut gibt zu neuen Wegen, hin zu einer stärkeren Ge- trollen innerhalb der EU verstärkt überwacht werden,wichtung der gesundheitlichen und ökologischen Ziele. damit sich die Verbraucher besser darauf verlassen kön- Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden nen, daß Vorschriften eingehalten werden. Künftigden Weg in verantwortungsvoller Weise beschreiten und könnte eine europaweite Kontrollinstanz für Lebens-keinen Stillstand dulden.

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