Beobachtungstipp

Im Osten von lässt sich die Entstehung der Insel gut nachvollziehen. Foto: F. Weiß. Wangerooge, 20.10.2010.

Die Insel Wangerooge in Niedersachsen – Vogelbeobachten aus der Eisenbahn

angerooge liegt im Natio- besiedelt und befestigten Primär­ Seite der Dünen lagerte sich Schlick nalpark Niedersächsisches dünen, die weiter in die Höhe wuch- ab, der zunächst vom Europäischen WWattenmeer, dem 2009 von sen und schließlich vom Gewöhn- Queller (Salicornia europaea) besie- der UNESCO die Auszeichnung Welt- lichen Strandhafer (Ammophila delt wurde und sich schließlich zu naturerbe verliehen wurde. Sie ist die arenaria) besiedelt werden konnten, einer artenreichen Salzwiese entwi- östlichste der Ostfriesischen Inseln der charakteristisch für die jungen, ckelte. Von der Entstehung der Ost- und mit etwa 8 km2 die zweitkleinste. sogenannten Weißdünen ist. Auf friesischen Inseln hat man eine sehr Sumpfohreule und Kornweihe sind der dem Wattenmeer zugewanden gute Vorstellung, da sie noch heute stetige Brutvögel und im Frühjahr und Herbst lässt sich der Vogelzug Steinwälzer sind auf Wangerooge häufige Durchzügler und Wintergäste. eindrucksvoll beobachten. Foto: F. Weiß. North Uist, Schottland, 4.9.2009.

»»Landschaftsgeschichte und Lebensräume Wangerooge, die Insel (Oog) vor dem Wangerland, ist wie alle ostfrie- sischen Inseln eine Düneninsel und somit nach geologischen Zeitmaßstä- ben sehr jung. Sie entstand erst nach dem Ende der Eiszeiten. Die Insel ging aus einer Sandbank hervor, die sich in der Brandungszone zwischen offener Nordsee und Wattenmeer im Zusammenspiel von Strömung und Wellen bildete. Kleine vom Wind geformte Sanddünen wurden von der Dünen-Quecke (Agropyron pungens)

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an vielen Orten im Wattenmeer beob- Dünenkämmen bildeten sich feuchte, Ringelgänse, Weißwangengänse und achtet werden kann. So entstand auf vermoorte Senken. Blässgänse. diese Weise im 20. Jahrhundert der Die natürliche Abfolge der Lebens- Im Herbst ist Wangerooge ein aus- Hohe Knechtsand, eine kleine Insel räume ist auf Wangerooge noch vie- gezeichneter Ort zum Beobachten von zwischen Wangerooge und Neuwerk, lerorts, vor allem aber im Ostteil der Seevögeln. Wellenläufer und Dunkle die mittlerweile jedoch wieder ver- Insel, zu erkennen. Andere Bereiche Sturmtaucher werden alljährlich be- schwunden ist. der Insel wurden durch den Men- obachtet. Zu dieser Zeit beeindru- Aus den Weißdünen wurde mit der schen stark überformt. West- und cken auch die großen Schwärme ark- Zeit Kalk ausgewaschen und es bil- Ostinnengroden wurden durch Dei- tischer Limikolen. Alpenstrandläufer dete sich eine dünne Humusschicht che dem Einfluss der Nordsee ent- und Knutts sind besonders zahlreich. und Graudünen entstanden. Mit zogen und süßten aus. Kreisrunde, Kiebitzregenpfeifer, Sandregenpfeifer fortschreitender Bodenbildung wur- wassergefüllte Bombentrichter in den und Große Brachvögel sind jedoch den diese zu Braundünen, auf denen Wiesen sind Zeitzeugen des Zweiten ebenfalls allgegenwärtig. unter anderem Sanddorngebüsche Weltkriegs. Im Ort wachsen Bäume Ohrenlerchen, Berghänflinge, und Heiden wachsen. Zwischen den und Sträucher auf der ursprünglich Strandpieper und vereinzelt auch baumfreien Insel. Der Strand ist an Spornammern überwintern in Wan- vielen Stellen durch Buhnen befestigt gerooges Salzwiesen. Schneeammern Typische Vogelarten auf Wangerooge, deren Status und und die Dünen im Westen der Insel können vor allem auf dem Strand günstige Beobachtungszeit (in Klammern) sind teilweise durch ein Deckwerk beobachtet werden. An den Küsten- h = häufiger, r = regelmäßiger, s = seltener, aus Steinen und Asphalt ersetzt wor- schutzanlagen im Westen der Insel B = Brutvogel, W= Wintergast, D = Durchzügler, den. Ohne diese Küstenschutzmaß- überwintern Steinwälzer und Meer- N = Nahrungsgast nahmen würde Wangerooge immer strandläufer. Sanderlinge bevorzugen weiter nach Osten wandern. In den den langen Strand der Insel. Art Status (beste Beobachtungszeit) letzten 300 Jahren legte das Eiland Ringelgans hD, rW (Okt.–Mai) gut zwei Kilometer zurück. »»Beobachtungsmöglichkeiten Brandgans hB, hD, hW (ganzjährig) Spießente hD, rW (Okt.–April) »»Besondere Vogelarten und Wangerooge ist Teil des National- parks Niedersächsisches Wattenmeer. Eiderente hD, hW (ganzjährig) Reisezeit Lediglich der Ort, der Flugplatz und Wellenläufer sD (Sept.–Okt.) Sumpfohreulen und Kornweihen die besiedelten Flächen im Westen Dunkler Sturmtaucher sD (Sept.–Okt.) haben auf den Ostfriesischen Inseln der Insel gehören nicht zum Natio- Kornweihe sB, rD (April–Juli) ihren Verbreitungsschwerpunkt nalpark, die übrigen Bereiche sind Wanderfalke rN, rW (ganzjährig) innerhalb Deutschlands. Von April in drei Schutzkategorien mit unter- bis Juli hat man sehr gute Chancen, schiedlichen Betretungsregelungen Austernfischer hB, hD, hW (ganzjährig) die beiden Arten auf Wangerooge zu aufgeteilt. Die mit blauen Schildern Kiebitz hB, hD (März–Juli) beobachten. Die Wiesen im West- gekennzeichnete Ruhezone schützt Großer Brachvogel hD, hW (Juli–April) und Ostinnengroden sind ein bedeu- die empfindlichsten und wertvollsten Uferschnepfe hB (April–Juni) tendes Brutgebiet für Uferschnepfen Bereiche des Nationalparks und darf Pfuhlschnepfe hD (April/Mai, Juli–Sept.) und Kiebitze. In den Salzwiesen brü- nur auf ausgewiesenen Wegen betre- ten Austernfischer und Rotschenkel ten werden. Die Zwischenzone darf Rotschenkel hB, hD, rW (ganzjährig) in hoher Dichte. Feldlerchen und auch außerhalb der Wege betreten Grünschenkel hD (April, Juli–Sept.) Wiesenpieper kommen hier ebenfalls werden. Ausgenommen hiervon sind Steinwälzer hD, hW (Aug.–Mai) vor. Große Möwen- oder Seeschwal- Salzwiesen in der Brutzeit vom 1. Sanderling rD, rW (Aug.–Mai) benkolonien fehlen auf Wangerooge, April bis 31. Juli und die trittemp- Meerstrandläufer rW (Okt.–März) dennoch kommen Herings-, Silber-, findlichen Dünen. Die Erholungszone Sturm- und Lachmöwe als Brutvögel schließlich umfasst unter anderem Alpenstrandläufer hD, hW (Juli–Mai) vor. In den Dünen brüten Brandgänse den Strandbereich, der frei betre- Lachmöwe hB, hD, hW (ganzjährig) in zahlreichen Paaren. Im Ort leben ten werden darf. Wattwanderungen Heringsmöwe hB, hN, hD (April–Sept.) viele Dohlen und Türkentauben. Bir- sollten nur mit einem ortskundigen Zwergseeschwalbe sB (Mai–Juli) kenzeisige sind auf der Insel verbrei- Wattführer unternommen werden. Brandseeschwalbe hN, hD (April–Sept.) tete, aber unauffällige Brutvögel. Die Überfahrt nach Wangerooge Der Vogelzug ist im Frühjahr ist nur in einem kurzen Zeitraum vor Flussseeschwalbe hB, hN, hD (April–Sept.) besonders stark ausgeprägt. Die Kette und nach Hochwasser möglich. Die Feldlerche sB, hD (März–Nov.) der Ostfriesischen Inseln übt zu dieser Wattflächen stehen daher während Ohrenlerche rW (Okt.–März) Jahreszeit eine starke Leitlinienfunk- der Fahrt unter Wasser. Zahlreiche Wiesenpieper hB,hD (März–Nov.) tion aus, die auf dem Herbstzug in Eiderenten schwimmen in den fla- Strandpieper hW (Okt.–März) dieser Form nicht gegeben ist. Neben chen Gewässern zwischen Insel und tagziehenden Singvogelarten aus den Festland und Flussseeschwalben sind Berghänfling rW (Okt.–März) Familien der Finken, Lerchen, Pieper bei der Jagd zu beobachten. Schneeammer rW (Okt.–März) und Schwalben sind auch Entenvögel Der Hafen von Wangerooge (1) sehr zahlreich, vor allem Eiderenten, liegt an der Südwestspitze der Insel

486 Der Falke 57, 2010 und bietet bereits erste Eindrücke der Vogelwelt. Steinwälzer und einzelne Meerstrandläufer rasten auf dem Bahndamm und die Weidenbüsche hinter den Hafengebäuden wirken wie ein Magnet auf durchziehende Singvögel. Vom Hafen fährt die Inselbahn durch den Westaußengroden (2) in den Ort. Die Fahrt führt vorbei an Hochwasserrastplätzen von Großen Brachvögeln, Austernfi schern, Pfuhl- schnepfen und Ringelgänsen. Der Zug fährt langsam und die Vögel sind bis zu einem gewissen Grad an ihn gewöhnt, wodurch sich ausgezeich- nete Möglichkeiten zum Beobachten Neben Küstenvögeln brüten auf Wangerooge auch zahlreiche Singvogelarten. Dohlen und Fotografi eren bieten. Bei den sind im Ort allgegenwärtig und wenig scheu. Foto: F. Weiß. Wangerooge, 20.10.2010. im Oktober 2010 zum zweiten Mal in Nationalpark veranstalteten Zug- rungen werden im Sommerhalbjahr entlang der Küste zu beobachten. Vor vogeltagen wurde die Bahn erstmals vom Mellumrat e. V. angeboten, der allem Eiderenten und Gänse ziehen auch gezielt als rollendes Beobach- im Osten (4) und Westen (5) der Insel in großer Zahl durch. Bei Herbststür- tungsversteck eingesetzt. jeweils eine Station unterhält. Die men aus nordwestlicher Richtung Vom Bahnhofsgebäude im Ort ver- Termine richten sich nach den Gezei- sind Seevögel wie Basstölpel oder läuft die Zedeliusstraße nach Norden ten und hängen in den Schaukästen Dreizehenmöwen zu sehen. Im Som- zur Kurpromenade. Vorbei am alten an den Stationen aus. merhalbjahr patrouillieren am Strand Leuchtturm, der heute als Aussichts- Die Bäume um das Rosenhaus und stets Brandseeschwalben, im Winter turm dient, liegt nach etwa 300 m im angrenzenden Park sind zu den können Sanderlinge beobachtet wer- rechterhand der Rosengarten, an des- Zugzeiten beliebte Rastplätze von den. Die Gebäude am Schwimmbad sen östlichen Ende etwas versteckt Singvögeln. Vor allem Grau- und im Westen der Promenade bieten das Nationalpark-Haus „Rosenhaus“ Trauerschnäpper, Fitisse, Zilpzalpe Schutz vor Wind und Regen. (3) steht. Das Rosenhaus beherbergt und Rotkehlchen sind zu beobachten. Die Wiesen im Westinnengro- das ganzjährig geöffnete Informa- Regelmäßig wurden in den letzten den sind ein wichtiges Brutgebiet tionszentrum des Nationalparks mit Jahren im Oktober Gelbbrauen-Laub- für Uferschnepfen und Kiebitze, die einer umfangreichen Ausstellung zur sänger entdeckt. sich vom Deich (7) oder vom neuen Inselnatur. Die Mitarbeiter veran- Die Kurpromenade (6) am Ende der Leuchtturm aus beobachten lassen stalten zudem naturkundliche Füh- Zedeliusstraße ist im Frühjahr und (8). Bei Hochwasser rasten auf den rungen, unter anderem auch Watt- Herbst ein ausgezeichneter Ort, um Wiesen Herings- und Silbermöwen. wanderungen. Vogelkundliche Füh- den Zug von See- und Meeresvögeln Im Frühling äsen Ringelgänse das

Die Inselbahn als mobiler Beobachtungs- stand. Foto: F. Weiß. Wangerooge, 19.10.2010.

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frisch sprießende Grün und Goldre- seln sind zu erwarten und schon wanderungen nach genpfeifer rasten. Weißwangengänse mehrfach wurden hier durchziehende angeboten. Auf Minsener Oog brüten sind ganzjährig zu beobachten und Spornpieper beobachtet. Brand-, Fluss-, Küsten- und Zwerg- brüten hier auch. Kornweihen fl ie- seeschwalben. gen im niedrigen Jagdfl ug über dem » Weitere Freizeitmöglichkeiten Felix Weiß, Christopher König, Gelände und in der Dämmerung ist Christoph Moning, Christian Wagner dies ein guter Ort, um Sumpfohreulen Von Wangerooges Ostspitze blickt zu sehen. man auf die Nachbarinsel Minsener Ähnliche Arten sind auch im Ostin- Oog, die nur zeitweise von einem nengroden zu beobachten. Zudem Naturschutzwart des Mellumrats und Infomaterial/Literatur: bietet der Sielausfl uss vom Ostin- Wissenschaftlern des Instituts für Dierschke J, Lottmann R, Potel P 2008: nengroden (9) auch bei Niedrigwas- Vogelforschung bewohnt wird. Mit Vögel beobachten im Nationalpark Nie- ser sehr gute Beobachtungsmöglich- Ausnahme eines kleinen Besucher- dersächsisches Wattenmeer. Verlag der keiten. Ringelgänse, Pfeifenten und bereichs im Südteil, liegt die Insel Heinrichshofen-Bücher, . Moning C, Weiß, F 2007: Vögel beobach- Spießenten rasten hier gerne und die vollständig in der Ruhezone des ten in Norddeutschland – Die besten Salzwiesen mit ihren kurzen Queller- Nationalparks. Von Schillig, 15 km Beobachtungsgebiete zwischen Sylt und rasen bieten Nahrung für Ohrenler- östlich von Harlesiel, aus werden Niederrhein. Franckh-Kosmos-Verlag, chen und Berghänfl inge. Bei Hoch- im Sommerhalbjahr geführte Watt- Stuttgart. wasser rasten zahlreiche Austernfi - scher in diesem Bereich. Der breite Strand an der Ostspitze von Wangerooge (10) ist ein gro- Anfahrt ßer Hochwasserrastplatz, den vor Mit Bahn und Bus: allem Alpenstrandläufer, Knutts Der nächstgelegene Bahnhof ist Sande. Von und Kiebitzregenpfeifer nutzen. Die dort verkehrt der „Tidebus“ zum Fähranle- Schwärme sind sehr störungsemp- ger in Harlesiel. Die Fahrzeiten von Bus und fi ndlich und sollten daher nur aus Fähre sind aufeinander abgestimmt. Der gebührendem Abstand, am besten Fährverkehr ist von den Gezeiten abhängig. mit einem Spektiv, beobachtet wer- Abfahrtzeiten können bei der Reiseauskunft den. Am Strand halten sich im Win- der Bahn abgerufen werden. Die Überfahrt ter Schneeammern auf. dauert etwa 50 Minuten. In der Regel fi nden Zu den besten Beobachtungspunk- zwei Abfahrten am Tag statt. Vom Anleger an ten auf Wangerooge gehört eine der Westspitze Wangerooges verkehrt die Insel- Plattform (11) auf dem Dünenkamm bahn in den zentralen Ort. im Osten der Insel. Vor allem bei Mit dem Auto: schwachem Ostwind lässt sich hier Den Fähranleger in Harlesiel erreicht man über die A 29 bis Wilhelms- im Frühjahr und Herbst in den Mor- havener Kreuz und weiter über die B 210 Richtung „Wittmund/“. Bei genstunden spektakulärer Durchzug Wittmund wechselt man auf die B 461 Richtung „Carolinensiel“. Wanger- von Singvögeln und Gänsen beob- ooge ist eine autofreie Insel. Am Fähranleger in Harlesiel sind kostenpfl ich- achten. Zu den häufi gsten Durchzüg- tige Parkplätze vorhanden. lern gehören Rauchschwalben, Stare, Sing-, Rot- und Wacholderdrosseln, Adressen Wiesen- und Baumpieper, Bach-, Nationalpark-Haus (Rosenhaus) Wangerooge, Friedrich-August-Straße 18, Thunberg- und Wiesenschafstelzen, 26486 Wangerooge, Tel.: 04469/8397, E-Mail: nationalparkhaus.wangerooge@ sowie Buch- und Bergfi nken. Aber t-online.de, www.nationalparkhaus-wangerooge.de auch seltenere Arten wie Ringdros- Mellumrat e. V., Vogelwärterhaus im Osten (ganzjährig), Tel.: 04469/8174, im Westen (März-Oktober) Tel.: 04469/8179, www.mellumrat.de

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