Neue Taxa bei Cichliden: Cyphotilapia gibberosa TAKAHASHI & NAKAYA, 2003

Heinz H. Büscher Überraschend deshalb, weil nicht die auffälligen Unterschiede des Farbkleides Grundlage der Neu- beschreibung waren. Seit langem besteht unter Liebhabern von Tan- ganjikasee-Cichliden die Meinung, die aus der Ge- Anhand von Beschuppung und Zeichnungsmuster gend von Kigoma stammende siebenstreifige Vari- unterscheiden die japanischen Ichthyologen T. ante von sei als Unterart zu Takahashi und K. Nakaya, die seit einigen Jahren betrachten. Formal ist diese Auffassung gegen- Buntbarsche des Tanganjikasees taxonomisch be- standslos, denn Unterarten sind nach den Inter- arbeiten, drei allopatrisch lebende Formen von nationalen Regeln für die Zoologische Nomen- Cyphotilapia: Populationen aus der südlichen See- klatur wie Arten zu behandeln und müssen ent- hälfte mit drei Schuppenreihen zwischen dem obe- sprechend beschrieben werden. Das ist aber nie ge- ren Ast und dem Beginn des unteren Astes der schehen, und so blieb die Gattung Cyphotilapia Seitenlinie und sechs Querbändern, wobei große REGAN, 1920 bisher monotypisch. Männchen die Bänder verlieren (in konserviertem Zustand; aus der Beschreibung geht nicht hervor, ob Nun hat sich der Status dieser Gattung durch die auch im Leben); Populationen mit zwei Schuppen- kürzlich publizierte Beschreibung einer zweiten Cyphotilapia-Art überraschend geändert. Cyphotilapia gibberosa aus Kazia, etwa 80 Kilometer südlich von Moba (Demokratische Republik Kongo)

164 DCG-Informationen 35 (7): 164–168 reihen und sechs Bändern, deren Vorkommen auf östlich von Mpulungu in Sambia. Zusätzlich wur- die nördliche Hälfte des Sees beschränkt ist sowie den weitere 13 Exemplare, die sowohl vom Fund- eine Population mit zwei Schuppenreihen und ort des Holotypus als auch von mehreren Orten in sieben Bändern, die nur in der Gegend von Kigoma Sambia, Demokratische Republik Kongo, und vorkommt. Tansania stammen und als Nicht-Typen aufgeführt sind, für die Beschreibung herangezogen. Als Das taxonomisch bisher nicht beachtete Merkmal Vergleich dienten der siebenstreifige Holotypus der unterschiedlichen Schuppenanzahl zwischen von C. frontosa aus Kigoma (die Beschreibung der den beiden Ästen der Seitenlinie betrachten die Art beruht einzig auf dem Holotypus) sowie 33 Autoren als wesentliches Charakteristikum für die Exemplare (Nicht-Typen) der sechstreifigen C.- Beschreibung der neuen Art Cyphotilapia gib- frontosa-Variante von acht Fundorten aus Burundi berosa. Im weiteren sehen sie bei einigen Zähl- und der Demokratischen Republik Kongo. und Messwerten statistisch signifikante Unter- schiede gegenüber C. frontosa. (C. gibberosa: Der Name der neuen Art, gibberosa, lehnt sich an größere Anzahl Schuppen in der Seitenlinie, gerin- das lateinische Wort gibbus für Buckel an. Diese gere Anzahl Zähne in der äußeren Reihe des Wahl ist unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Prämaxillare sowie im Vergleich zur Standardlänge auch C. frontosa einen ausgeprägten Stirnbuckel größere Körperhöhe, größere Prädorsallänge, län- besitzt, als artspezifisches Charakteristikum wenig gere Basis der Rückenflosse und längere Brust- einsichtig. flossen). Das Typusmaterial von C. gibberosa, das neben Befremdlich ist, dass die Autoren neben dem Holo- dem Holotypus 13 Paratypen umfasst, stammt von typus und den 13 Paratypen auch 13 Nicht-Typen der Ortschaft Kasenga und der Mutondwe-Insel. für die Beschreibung von C. gibberosa heranzogen. Beide Fundorte liegen wenige Kilometer nord- Um genau zu sein: Die Merkmalsbeschreibung be- zieht sich auf Holotypus und Paratypen; in die Cyphotilapia frontosa aus Kabimba (Demokratische (obligate) beschreibende Abgrenzung sowie in die Republik Kongo)

Fotos: Heinz H. Büscher

DCG-Informationen 35 (7): 164–168 165 Karte des Tanganjikasees mit Fundorten von Cyphotilapia frontosa (Sterne) und C. gibberosa (Quadrate) nach Takahashi & Nakaya (2003) Abbildung: Heinz H. Büscher

166 DCG-Informationen 35 (7): 164–168 statistische Analyse der Zähl- und Messwerte das insgesamt sechs Streifen besitzt und schreibt gehen jedoch auch die 13 Nicht-Typen ein. Dieses im Text von „sechs Querstreifen, deren erster das Vorgehen steht offensichtlich nicht im Einklang Auge durchquert“. Entsprechend der detailge- mit den Internationalen Regeln für die Zoologische treuen Zeichnung, auf der zwei Schuppenreihen Nomenklatur, wonach bei Festlegung von Holo- zwischen den beiden Ästen der Seitenlinie sichtbar typus und Paratypen die gesonderte Erwähnung sind, handelt es sich nach dem Schlüssel von weiterer Exemplare (wie in der Beschreibung ge- Takahashi & Nakaya bei diesem Exemplar um C. schehen) eine Zugehörigkeit zur Typusserie und frontosa. damit eine Verwendung für irgendwelche Belange im Zusammenhang einer Beschreibung aus- Poll hat hier (wie auch später in seiner Revision der schließen. Tanganjikasee-Cichliden von 1986) die Existenz einer Form mit sechs Körperstreifen, die der Erst- Das gesamte untersuchte Material umfasst Exem- beschreibung dieser Art zugrunde liegt, ignoriert. plare von 42,5 bis 238,2 Millimeter Standardlänge. Einerseits übernahm er zahlreiche Abbildungen Zwischen beiden Geschlechtern innerhalb einer von Erstbeschreibungen aus Boulenger (1906) un- Art fanden die Autoren keine signifikanten Unter- verändert für den Ergebnisbericht der Expedition, schiede bezüglich Zähl- und Messwerten. Bei der doch ausgerechnet für C. frontosa veröffentlichte statistischen Analyse wurden daher sämtliche er eine neue Zeichnung. Andererseits war er sich Exemplare von C. gibberosa (n=27) und sämtliche bewusst, dass das Zeichnungsmuster variabel ist, Exemplare der sechsstreifigen Variante von C. denn in einer Publikation von 1946 beschreibt er frontosa (n=33) gepoolt. Bei diesem Vorgehen ist das Farbkleid mit „fünf bis sechs breiten Streifen zu bedenken, dass Körperproportionen sich mit der auf Rücken und Seite“ sowie „einem breiten Größe beziehungsweise dem Alter ändern können. senkrechten Streifen hinter (sic!) dem Auge“. Eine Leider machen die Autoren keine Angaben über die Erklärung für die spätere Vernachlässigung der Vergleichbarkeit bezüglich Größenverteilung inner- siebenstreifigen Variante könnte sein, dass mit halb der beiden Gruppen. Ausnahme des Holotyps von Kigoma in den wissen- schaftlichen Sammlungen und im Material der bel- Der Zeichnungsunterschied zwischen sechs- und gischen Expedition ausschliesslich sechsstreifige siebenstreifiger (Kigoma-) Variante wird ausdrück- Exemplare aus Burundi und Kongo vorhanden lich nicht als artspezifisches Merkmal sondern als waren, sodass dem einzigen Exemplar aus Kigoma innerartliche Variation, wie sie bei zahlreichen allenfalls der Status eines „Ausreissers“ einge- allopatrischen Populationen von Tanganjikasee- räumt wurde. Cichliden auftreten, diskutiert. Eingeräumt wird Es scheint vernünftig, dass die Autoren in Überein- jedoch, dass diese Auffassung bis zum Vorliegen stimmung mit Poll die Zahl sämtlicher Streifen für weiterer Daten von umfangreicherem Material der die Beschreibung des Zeichnungsmusters verwen- siebenstreifigen Variante vorläufig sei. Damit den. Da sich in der Aquaristik bei einigen Autoren nehmen die Autoren in Kauf, dass die neue Art in eine Zählweise eingebürgert hat, die nur die Bän- einigen Merkmalen von zwei Varianten abgegrenzt der auf dem Körper berücksichtigt, ist in der Ver- wird, deren eine möglicherweise mit der eigent- gangenheit eine gewisse Verwirrung entstanden. lichen Bezugsart C. frontosa gar nicht identisch ist. Ein Blick auf das Verbreitungsgebiet beider Arten Zur farblichen Charakterisierung der beiden For- gibt an der Westküste als nördlichsten Fundort von men zählen die Autoren die Gesamtzahl der Strei- C. gibberosa die Kilewa Bay an. Diese Benennung fen und sprechen von sechs- und siebenstreifiger ist nicht mehr in Gebrauch und findet sich heute Variante. Boulenger (1906) erwähnt in der Erst- auf keiner Karte mehr. Die Ortschaft Kilewa lag beschreibung von C. frontosa aus Kigoma (ur- am nördlichen Rand der Bucht von Moba, sie ge- sprünglicher Name Paratilapia frontosa) nur die hört jetzt zu Moba. Der belgische Hydrograph sechs Streifen auf dem Körper; die beigefügte Louis Stappers sammelte hier im Jahre 1912 das Abbildung lässt von einem Streifen durch das Auge Exemplar von C. gibberosa, das Takahashi & auch kaum etwas erkennen. Im Bericht der belgi- Nakaya in ihre Serie von Nicht-Typen einschlossen. schen Tanganjikasee-Expedition 1946/47 bildet Kilewa selbst kann jedoch nicht als Fundort in Poll (1956) dagegen ein Tier vom Cap Tembwe ab, Frage kommen, da das Gebiet weitläufig sandig ist.

DCG-Informationen 35 (7): 164–168 167 Erst die etwas weiter nördlich beginnende Fels- Literatur küste Richtung Mtoto dürfte der wahrscheinliche Boulenger, G. A. (1906): Fourth contribution to the ichthyology Sammelort sein. of . Report on the collection of fishes made by Dr. W. A. Cunnington during the third Tanganyika expedition, Vor einigen Jahren konnte ich im Küstenbereich 1904-1905. Transactions of the Zoological Society of London. 17(6): 537–576. der 30 Kilometer nördlich von Moba gelegenen Poll, M. (1946): Révision de la faune ichthyologique du lac Ortschaft Kyeso Cyphotilapia fotografieren, die Tanganika. Annales du Musée du Congo Belge. Zoologie, série sich als gibberosa bestimmen lassen. Von dort bis 1, tome 4 (3): 141–364. zum Cap Tembwe, wo laut Takahashi & Nakaya C. Poll, M. (1956): Poissons Cichlidae. In: Exploration Hydro- biologique du Lac Tanganika (1946–1947). Résultats scien- frontosa vorkommt, sind es etwa 35 Kilometer. tifiques. 3 (5B): 1–619. Institut Royal des Sciences Naturelles de Dazwischen muss also die Verbreitungsgrenze der Belgique, Bruxelles. beiden Arten liegen; Untersuchungen zur Frage Poll, M. (1986): Classification des Cichlidae du lac Tanganika, einer möglichen Hybridzone werden eine faszi- Tribus, genres et espèces. Mém. Cl. Sci., Acad. Roy. Belg., coll. in-8°, série 2, tome 45 (2): 1–163. nierende Herausforderung für die Zukunft sein. Takahashi, T. & K. Nakaya (2003): New of Cyphotilapia (Perciformes: Cichlidae) from Lake Tanganyika, Africa. Copeia Verwirrend ist das Foto eines Tieres, das ich bei der 2003 (4): 824–832. Insel Kibije, 18 Kilometer südlich von Kabimba machte. Hier sollte eigentlich Cyphotilapia fron- tosa vorkommen; dass mein Tier allerdings drei Typusfundort von Cyphotilapia gibberosa; Kasenga, Schuppen zwischen den Ästen der Seitenlinie be- Sambia. sitzt, gehört wohl bis auf weiteres zu den Mysterien Das Typusmaterial wurde hier in Tiefen von zwölf bis des Tanganjikasees. 34 Metern gefangen. Die geringe Neigung der Ufer- zone setzt sich unter Wasser zunächst fort; erst in einiger Entfernung fällt das Litoral steil ab Foto: Heinz H. Büscher

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