Deutscher Drucksache 19/14219

19. Wahlperiode 17.10.2019

Antrag der Abgeordneten , Stefan Schmidt, Dr. , Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, , Dr. , Gerhard Zickenheiner, Claudia Müller, Beate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stabil und zukunftsfest – Den Finanzplatz Europa zum Leitmarkt für Nachhaltigkeit machen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Dem Finanzplatz Europa stehen entscheidende Monate bevor. Im Rahmen der Umset- zung des Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums hat die EU-Kom- mission ein Maßnahmenpaket vorgelegt, mit dem sie das europäische Finanzsystem nachhaltig und an langfristigen Zielen ausrichten will. Bestehende Risiken in den Be- reichen Umwelt, Soziales und Governance sollen sichtbar, erfassbar und steuerbar ge- macht und vom Markt eingepreist werden. So sollen Kapitalflüsse aus nichtnachhalti- gen Investitionen abfließen und nachhaltige Investments ermöglicht werden (vgl. Kommission 2018 – Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums. Com (2018) 97 final). Die Finanzwende kann damit einen entscheidenden Beitrag zum erfolgrei- chen Gelingen des sozial-ökologischen Wandels in der Realwirtschaft leisten, der zur Erreichung der Nachhaltigskeitsziele der Agenda 2030 und der Klimaziele des Pariser Abkommens notwendig ist. Ein rechtzeitiges Umsteuern hat einen zweifachen Nutzen: Die fossilen Energieträger bleiben im Boden und Finanzkapital fließt in zukunftsträchtige Technologien, anstatt einem erheblichen Bewertungsrisiko ausgeliefert zu sein. Milliardenbeträge sind der- zeit auf den Finanzmärkten in Unternehmen investiert, deren Geschäftsmodell im We- sentlichen auf der Ausbeutung und der Nutzung fossiler Ressourcen beruht. Die Be- grenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur setzt eine umfassende Dekarbonisierung der Wirtschaft voraus, von der nahezu alle Sektoren betroffen sein werden. Die Berücksichtigung umweltpolitischer und sozialer Aspekte bei Finanzent- scheidungen trägt dazu bei, die mit der Klimakrise verbundenen finanziellen Risiken zu begrenzen und einer Destabilisierung des Finanzsystems vorzubeugen. Wer nicht nur auf die kurzfristige Rendite schaut, sondern sich über langfristige Risi- ken Gedanken macht, ist zudem für die Herausforderungen der Zukunft besser ge- wappnet. Die Vermeidung von Umweltschäden, aber auch von hohen Rechtskosten durch Gesetzesbrüche, wirkt sich erheblich auf den zukünftigen Erfolg von Unterneh- men aus. Sozial nachhaltig und ressourceneffizient wirtschaftende Unternehmen sind Drucksache 19/14219 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

am besten in der Lage, die Chancen, die sich aus dem Übergang zu einer emissionsar- men Wirtschaft ergeben, zu nutzen. Herzstück des Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums bildet die Ini- tiative der EU-Kommission, im Rahmen der sogenannten Taxonomie einen Konsens darüber zu erarbeiten, was Nachhaltigkeit im Wirtschaftskontext konkret bedeutet (vgl. FNG Marktbericht für nachhaltige Geldanlagen 2019). Ziel sollten klare, über- tragbare und skalierbare Nachhaltigkeitskriterien sein. Dieses Unterfangen ist tech- nisch anspruchsvoll und politisch heikel. Es darf nicht an kurzfristig orientierten, nati- onalen und altindustriellen Schutzinteressen, zum Beispiel bei fossiler und nuklearer Energiegewinnung, scheitern. Zudem ist Nachhaltigkeit ein ganzheitliches Konzept und hat eine ökologische, soziale und wirtschaftliche Dimension. Für den Erfolg und die Akzeptanz der Taxonomie ist es deshalb unverzichtbar, mittelfristig auch soziale Aspekte der Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. Mit der Schaffung eines einheitlichen Klassifizierungssystems hat Europa die Mög- lichkeit, sich an die Spitze der grünen Finanzmärkte zu setzen und zum Leitmarkt für Nachhaltigkeit zu werden. Dieser Vorsprung wird für Europa zum Wettbewerbsvor- teil, wenn bei zunehmenden Umweltrisiken auch andere Weltregionen den Ruf hören und Regeln für ein nachhaltiges Finanzwesen setzen. Europa hat jetzt die Gelegenheit, einen Nachhaltigkeitsstandard für Finanzakteure weltweit zu etablieren. Damit kann der Finanzmarkt befähigt werden, die ökologische Modernisierung der Realwirtschaft und die Ausweitung sozialer Standards weltweit voranzubringen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die langfristige Stabilität des Finanzsystems zu sichern und sich hierzu dafür ein- zusetzen, dass alle mit der Klimakrise im Zusammenhang stehenden Risiken (physische, Transformations-, Haftungs-, Reputations- und Klagerisiken) a. im Risikomanagement aller Finanzmarktakteure angemessen berücksichtigt werden; b. in den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (SREP) inte- griert und gegebenenfalls durch entsprechende Risikoaufschläge Eigenkapi- talanforderungen berücksichtigt werden; c. in die Bewertungsprozesse von Rating-Agenturen einbezogen werden; d. im Rahmen der Aufsichtspraxis über Klima-Stresstests für Banken und Ver- sicherer regelmäßig analysiert werden; 2. den deutschen und europäischen Finanzmarkt zum Leitmarkt für Nachhaltigkeit zu machen und sich hierzu im Rahmen des Prozesses zur Erarbeitung einer Ta- xonomie auf europäischer Ebene insbesondere dafür einzusetzen, dass a. neben grünen – nachhaltigen – auch klima- und umweltschädliche Wirt- schaftstätigkeiten sowie Abstufungen von Nachhaltigkeit definiert werden; b. eine umfassende Liste von Ausschlusskriterien etabliert wird, die festlegt, was unter keinen Umständen als nachhaltig gewertet werden kann – bei- spielsweise Atomkraft und fossile Energien; c. soziale Mindestschutzstandards vereinbart werden, die über die ILO-Kern- arbeitsnormen hinausgehen und zügig mit der Erarbeitung einer ganzheitli- chen Anlagesystematik begonnen wird, die auch gemeinsame Begriffe und Standards für die Bereiche Soziales und Unternehmensführung festlegt; d. die Taxonomie und Offenlegungsregeln zügig von allen Finanzmarktakteu- ren sowie auf die gesamte Breite der Finanzprodukte, nicht nur für als nach- haltig deklarierte, verbindlich anzuwenden sind; e. bestehende Berichtsstandards, beispielsweise in Richtlinie 2013/34/EU so Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/14219

angepasst werden, dass die Unternehmen Kennzahlen über den Anteil nach- haltiger und schädlicher Aktivitäten taxonomiekonform offenlegen müssen; f. die Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen ausgewogen und repräsen- tativ besetzt wird, indem sowohl zivilgesellschaftlichen Gruppen und Akt- euren mit der notwendigen Fachexpertise als auch Unternehmen, die bereits an progressiven Berichterstattungssystemen arbeiten, eine angemessene Rolle eingeräumt wird, und dass die Plattform transparent arbeitet und ge- genüber dem Europäischen Parlament rechenschaftspflichtig ist; 3. nachhaltige Geldanlagen für Anlegerinnen und Anleger attraktiv zu machen, in- dem sie sich dafür einsetzt, dass a. zeitnah Regeln zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in der vorvertraglichen Anlageberatung und der Vermögensverwaltung verab- schiedet werden; b. die Nachhaltigkeit aller Finanzprodukte auf Grundlage der Taxonomie be- wertet und anhand eines leicht verständlichen EU-Klassifizierungssystems für Anlegerinnen und Anleger kenntlich gemacht wird; c. ein EU-Label für nachhaltige Finanzprodukte nach Vorbild des EU-Um- weltlabels eingeführt wird; d. ein EU-Standard für grüne Anleihen eingeführt wird, der Transparenz über die mit der Anleihe finanzierten Projekte schafft und Greenwashing verhin- dert; 4. eine Vorreiterrolle bei der Einleitung einer Nachhaltigkeitswende am Finanz- markt einzunehmen und hierzu insbesondere a. die Beschlüsse des Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung umgehend umzusetzen und die Kapitalanlage- und Förderpolitik des Bundes systematisch an den Zielen der Deutschen Nachhaltigkeitsstragie auszurich- ten; b. für alle Anlageportfolios in der Verantwortung des Bundes das Divestment aus fossilen Energieunternehmen sicherzustellen und umfassende und ver- bindliche Nachhaltigkeitskriterien zu erarbeiten, die zeitnah anzuwenden sind; c. für alle Anlageportfolios auf deren Anlagepolitik der Bund Einfluss hat, z. B. durch Sitze in entsprechenden Gremien, auf das Divestment aus fossi- len Energieunternehmen und die Erarbeitung umfassender und verbindlicher Nachhaltigkeitskriterien hinzuwirken, die zeitnah anzuwenden sind; d. einen Bürgerfonds für die zusätzliche Altersvorsorge als Basisprodukt ein- zuführen, dessen Anlageportfolio sich an umfassenden und verbindlichen Nachhaltigkeitskriterien ausrichtet, die Investitionen in fossile Energieun- ternehmen ausschließen; e. die Klimaziele der Bundesregierung konsistent und umfassend in die deut- sche Exportkreditagentur zu integrieren und keine neuen Exportkreditgaran- tien, Investitionsgarantien und ungebundenen Finanzkredite für Braun- und Steinkohleprojekte im Energiebereich sowie im Ressourcenabbau mehr zu bewilligen; f. Divestment aus fossilen Energieunternehmen auch auf Landesebene und kommunaler Ebene durch geeignete Formate zu fördern und sie dabei zu unterstützen, nachhaltige Aktienindizes zu entwickeln; g. im Zuge der Verhandlungen über eine neue Energierichtlinie für die Euro- päische Investitionsbank (EIB) im Verwaltungsrat der EIB für ein umfas- sendes Divestment der förderbaren Projekte einzutreten und die Förderung fossiler Energieträger auszuschließen; Drucksache 19/14219 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

h. den Sustainable Finance Beirat mit den notwendigen finanziellen und admi- nistrativen Ressourcen zur Wahrnehmung seiner Aufgabe, konkrete Hand- lungsempfehlungen für eine nationale Sustainable Finance-Strategie zu er- arbeiten, auszustatten; 5. mit klaren ökologischen Leitplanken und einer ökologischen Finanzreform einen stabilen Handlungsrahmen für den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft zu schaffen und hierzu insbesondere a. im Rahmen eines nationalen Klimaschutzgesetzes ambitionierte sektoren- spezifische Klimaschutzziele verbindlich zu verankern;

b. einen wirksamen Einstiegspreis von 40 Euro pro Tonne CO2 für die Sekto- ren Wärme und Verkehr als Aufschlag auf die Energiesteuer einzuführen, der die Lenkungswirkung hin zu klimaverträglichen Technologien und In- vestitionen deutlich verstärkt und durch die Senkung der Stromsteuer und die Auszahlung eines Pro-Kopf-Energiegeldes von 100 Euro aufkommens- neutral und sozial gerecht ausgestaltet wird;

c. zusammen mit anderen EU-Staaten einen CO2-Mindestpreis innerhalb des ETS einzuführen, der Anreize für klimafreundliche Produkte und Verfahren schafft und einen wirksamen Schutz der Wettbewerbsfähigkeit energieinten- siver Unternehmen z. B. durch Grenzausgleichsmaßnahmen beinhaltet; d. Ökologisch schädliche Subventionen und Steuervergünstigungen schritt- weise abzubauen und die eingesparten Mittel zur Finanzierung von Klima- schutzprogrammen einzusetzen; e. Unternehmen bei den für die ökologische Transformation notwendigen An- passungsmaßnahmen zu unterstützen und die betriebliche Mitbestimmung im Zuge der sozial-ökologischen Transformation zu stärken.

Berlin, den 24. September 2019

Katrin Göring-Eckardt, Dr. und Fraktion

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/14219

Begründung

Zu 1 Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken sind vielfältig und können auf unterschiedliche Weise finanzielle Einbußen nach sich ziehen: infolge wirtschaftlicher Schäden durch Stürme, Dürren, dem Meeresspiegelanstieg etc., die im Zuge des Klimakrise zunehmen werden (physische Risiken); über Haftungs- und Klagerisiken, denen die Verur- sacher der Klimakrise ausgesetzt sind, sowie Reputationsrisiken, die entstehen können, wenn Finanz- und Wirt- schaftsunternehmen die Umorientierung hin zu Klimafreundlichkeit und Nachhaltigkeit verpassen und sich Kun- den von ihnen abwenden und über die voraussichtlichen Wertverluste von Unternehmen im fossilen Sektor in- folge des Übergangs zu einer ressourcenschonenden und klimaneutralen Wirtschaft (Transitionsrisiken). Der Exekutivdirektor der deutschen Bankenaufsicht (BaFin), Raimund Röseler, warnt davor, dass Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken stärker in den Markt hineinwirken könnten, als es heute vorstellbar ist, und die Stabilität des Finanzsystems gefährden könnten (vgl. Röseler 2019: Nachhaltigkeit – Herausforderung und Chance für die Kreditwirtschaft. Aus: BaFin Perspektiven 2/2019 zum Thema Nachhaltigkeit). • Um Finanzmärkte krisenfest zu machen, müssen Nachhaltigkeitsrisiken in den Finanzanlagen transparent gemacht und angemessen berücksichtigt werden. Es muss insbesondere deutlich werden, welche Maßnahmen Unternehmen planen, die zur Minimierung der Klimarisiken im Rahmen einer umfänglichen Dekarbonisie- rungsstrategie beitragen. Ratingagenturen müssen Umwelt- und Klimarisiken konsequent bei ihren Bewer- tungen einbeziehen. • Auch große Finanzinstitute sollen ihre finanzielle Risikosituation gegen <2-Grad-Szenarien prüfen und in aussagekräftigen Kennzahlen regelmäßig berichten, beispielsweise durch die Anwendung von internen CO2- Preisen. Hohe ESG-Risiken sollten fester Bestandteil der zweiten Säule der Aufsicht werden – dem soge- nannten Aufsichtlichen Überprüfungsverfahren. Klimarisiken sollen auch in regelmäßige Stresstests durch Regulierungsbehörden einbezogen werden. Entsprechende Bewertungsmethoden existieren bereits und wer- den erfolgreich von privaten Investoren genutzt. • Eine solche systematische Berücksichtigung von Klimarisiken verbessert das Risikomanagement im Interesse der Versicherten und Anlegerinnen und Anleger sowie der gesamten Finanzstabilität. Und erhöht den Druck auf Banken und Versicherungen, ihr Angebot um klimarisikoarme Produkte zu ergänzen. • Ziel der Agenda für nachhaltige Finanzen ist es, die Finanzstabilität zu erhöhen und sie nicht durch Locke- rungen der Eigenkapitalvorschriften zu gefährden. Die Berücksichtigung von Klimarisiken erfordert deshalb eine Erhöhung des Eigenkapitals für Kredite, die von den Risiken betroffen sind. Kapitalerleichterungen sind nur gerechtfertigt, wenn das geringere Risiko einer grünen Investition nachgewiesen ist. Zu 2 Die Entwicklung einer Taxonomie auf europäischer Ebene ist der wichtigste Baustein für die Finanzwende. Ein einheitliches Verständnis davon, was nachhaltige Produkte sind, schafft Klarheit für alle Akteure und ist eine wichtige Grundvoraussetzung, damit ökologisch und sozial verantwortliche Anlageprodukte Breitenwirkung ent- falten können. Neben grünen nachhaltigen Bereichen, sollten auch braune, klima- und umweltschädliche Berei- che definiert werden, die unter keinen Umständen als nachhaltig bezeichnet werden können. Atom- und Kohle- kraftwerke gehören in kein nachhaltiges Finanzprodukt, denn sie würden den Ruf des noch jungen Marktes schä- digen und dem Vorwurf des Greenwashings aussetzen. In ihrer derzeitigen Form stellt die Taxonomie noch keine umfassende Definition nachhaltiger Wirtschaftsakti- vitäten dar, da sie vorerst maßgeblich auf wenige ökologische Ziele und hier speziell auf die Klimakrise abzielt. Damit finden wichtige Bereiche nachhaltiger Wirtschaft – die sozialen und auf eine verantwortungsvolle Unter- nehmensführung bezogenen Aspekte sowie weiter Umweltziele, wie Biodiversität – bislang kaum Berücksichti- gung. Daher muss die Kommission bald ihr Versprechen einlösen und neben klimarelevanten Faktoren, auch für die weiteren Umweltziele und für die Bereiche Soziales und Unternehmensführung eine Klassifizierung erarbei- ten, die gemeinsame Begriffe und Standards festlegt. Für die bis dahin vorgesehenen Mindeststandards sollte neben den Menschenrechten im Vordergrund stehen, dass die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer respektiert werden, die über die Minimum-Standards der IlO-Kernarbeitsnormen und des UN-Menschenrechts- rahmens hinausgehen. Eine Vernachlässigung der sozialen Dimension, kann zu größeren politischen Umwälzun- gen führen, die die Erreichung der Klimaziele untergraben. Für den langfristigen Erfolg ist deshalb eine ganz- heitliche Anlagesystematik unverzichtbar. Drucksache 19/14219 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

Ein wichtiger Schritt sind auch die neuen Offenlegungsregeln und grünen Benchmarks. Klare Offenlegungsre- geln für Anlagestrategien und Finanzprodukte schaffen Transparenz und helfen, Greenwashing zurückzudrängen. Dies stärkt das Vertrauen in grüne Finanzmärkte und hilft, Europa zum Leitmarkt für nachhaltige Geldanlagen zu machen. Die Stabilität der Finanzmärkte wird gestärkt, wenn kleine wie große Investoren und Investorinnen die Umweltrisiken ihrer Anlagen kennen und sie frühzeitig berücksichtigen können. Dafür muss die Bilanzie- rungs-Richtlinie 2013/34/EU so angepasst werden, dass die Unternehmen in regelmäßigen Abständen auch ver- gleichbare Kennzahlen über den Anteil nachhaltiger und schädlicher Aktivitäten offenlegen. So erhalten Inves- toren die relevanten Informationen Nachhaltigkeitsaspekte in ihren Investitionsentscheidungen zu berücksichti- gen. Damit die Finanzwende gelingt, müssen die Taxonomie und die neuen Offenlegungsregeln für alle Finanzmarkt- akteure, insbesondere auch auf Kreditinstitute, gelten und für alle Finanzprodukte Anwendung finden und nicht nur die grüne Nische regulieren. Denn es geht nicht darum, Nachhaltigkeit zu finanzieren, sondern nachhaltig zu finanzieren. Die Entwicklung einer Taxonomie ist technisch anspruchsvoll und politisch heikel. Sie darf nicht an kurzfristig orientierten, nationalen und altindustriellen Schutzinteressen, zum Beispiel bei fossiler und nuklearer Energiege- winnung, scheitern. Für das Gelingen und die demokratische Legitimierung des Prozesses ist es deshalb von großer Bedeutung, dass die Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen transparent arbeitet und gegenüber dem Europäischen Parlament rechenschaftspflichtig ist. Außerdem sollte auf eine ausgewogene und repräsentative Besetzung geachtet werden, indem insbesondere der Zivilgesellschaft eine größere Rolle eingeräumt wird. Zu 3 Spätestens seit Erscheinen des EU-Aktionsplans im März 2018 zeichnet sich der Markt für verantwortliche In- vestments und nachhaltige Geldanlagen durch eine bis dahin nicht gekannte Dynamik aus. Die Summe Nachhal- tiger Geldanlagen erreicht mit 219 Milliarden Euro einen neuen Höchststand. Nachhaltige Fonds und Mandate verzeichnen ihr größtes Wachstum seit Beginn der Erhebung und legen um insgesamt 41 Milliarden Euro zu. Dies entspricht einem Zuwachs von 28,2 Prozent bei Nachhaltigen Geldanlagen. Mit einem Marktanteil von 4,5 Prozent ist der Anteil nachhaltiger Fonds und Mandate 2018 allerdings immer noch viel zu gering. Außerdem wird das Wachstum im Markt für Nachhaltige Geldanlagen in Deutschland weiterhin maßgeblich von institutio- nellen Investoren getrieben (93 Prozent; vgl. FNG Marktbericht Nachhaltige Geldanlagen 2019). Dabei haben Umfragen gezeigt, dass ein großer Teil der deutschen Sparer gerne nachhaltig investieren würde (vgl. Union Investment 2018: https://unternehmen.union-investment.de/startseite-unternehmen/presseservice/pressemittei- lungen/alle-pressemitteilungen/2018/Studie--Anlegerbarometer-Nachhaltigkeit-Q3-2018.html). Ein in verschie- denen Umfragen immer wieder genannter gewichtiger Grund ist, dass Ihnen Informationen fehlen und sie bisher nicht von ihren Anlageberatern auf die Möglichkeiten nachhaltiger Anlage hingewiesen wurden. Deshalb sieht die EU-Kommission in ihrem „Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ vor, dass Nachhaltigkeitserwägungen in der Finanzberatung einbezogen werden sollen. Bereits jetzt müssen Wertpapier- firmen und Versicherungsvertreiber nach den entsprechenden Richtlinien bei der Beratung „geeignete“ Produkte anbieten, die den Bedürfnissen ihrer Kunden gerecht werden. Neben seinen Risikopräferenzen soll der Kunde in Zukunft explizit befragt werden, ob ihm die Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) in seiner Geldanlage wichtig sind. Diese sind dann entsprechend in der Produktauswahl zu berücksichtigen. Gleich- zeitig muss dann auch dargelegt werden, wie diese berücksichtigt werden. Um nachhaltige Geldanlagen auch für private Anleger attraktiv zu machen, sollten diese Regeln zeitnah verbind- lich verabschiedet werden und auf Grundlage der Taxonomie ein EU-Label für grüne Finanzprodukte nach Vor- bild des EU-Umweltlabels eingeführt werden. Zu 4 Während die Bundesregierung einerseits ethisches Verhalten von privaten Investoren fordert, investiert sie an- derseits – beispielsweise mit dem Versorgungsfonds für Bundesbeamte – in fossile Wirtschaft und andere Ge- schäfte, die nicht nachhaltig sind. Dieses inkonsequente Anlageverhalten ist mit erheblichen Bewertungsrisiken behaftet und untergräbt die Glaubwürdigkeit der Nachhaltigkeitsstragie der Bundesregierung. Es ist daher an der Zeit, dass die Bundesregierung Verantwortung übernimmt, Schmutzkapital abzieht, nachhaltig anlegt und so die grüne Wende am Finanzmarkt einleitet: Handelt die öffentliche Hand in ihrer Kapitalanlagepolitik nachhaltig, gibt sie privaten Anlegern wertvolle Orientierung am Finanzmarkt und verleiht der Finanzwende Breitenwirkung. Die Bundesregierung sollte ihre eigene Kapitalanlagepolitik systematisch an den Zielen der Deutschen Nachhal- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/14219

tigkeitsstrategie ausrichten. Öffentliche Vermögen wie der Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsor- gung und der Versorgungsfonds für Bundesbeamte sind für nachhaltige Anlagestrategien besonders geeignet: Ihr langfristiger Anlagehorizont korrespondiert mit der langfristigen Aufgabe einer nachhaltigen Entwicklung. Dafür braucht es Anlagerichtlinien, die neben Liquidität, Rendite und Stabilität auch Nachhaltigkeit als gleichberech- tigtes Kriterium enthalten. Auch für Anlageportfolien, bei denen der Bund nur einer von mehreren Akteuren ist, muss er sich für eine nachhaltige Anlage einsetzten. Eines der wichtigsten Beispiele ist die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) mit einem Portfolio von fast 40 Mrd. Euro. Eine überzeugende und transpa- rente Nachhaltigkeitsstrategie gibt es bis heute nicht. Auch wenn der Bund hier nicht alleine zuständig ist, muss er über seine Mitglieder in Vorstand und Verwaltungsrat auf die nachhaltige Anlage der Gelder hinwirken. Das Land Hessen sammelt bereits seit 2007 gute Erfahrungen mit Nachhaltigkeitskriterien für den Versorgungsfonds für Landesbeamte. Laut Bundesbank lag die jährliche Rendite bei vergleichbarem Risiko um 2 Prozentpunkte pro Jahr höher als bei der nichtnachhaltigen Anlage des Bundes. Daher sollen Nachhaltigkeitskriterien für die Kapitalanlagepolitik des Bundes sowie bundesunmittelbarer Stiftungen und Körperschaften des öffentlichen Rechts verbindlich festgelegt und regelmäßig überprüft werden (Drucksache 18/12381). Auch die Förderpolitik der öffentlichen Hand darf die Umsetzung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und der Agenda 2030 nicht volkswirtschaftlich verteuern, sondern sollte diese durch nachhaltige Förderkriterien un- terstützen. Und auch für Exportgarantien braucht es eine Divestment-Strategie. Bürgschaften für Investitionen in die fossile Energiewirtschaft sollten ausgeschlossen sein. Außerdem sollten zur Finanzierung nachhaltiger Inves- titionen grüne Bundesanleihen herausgegeben werden (Drucksache 18/12381). Auf europäischer Ebene wird aktuell über eine neue Energierichtlinie für die Europäische Investitionsbank ver- handelt. Der Ursprungsentwurf enthielt einen weitgehenden Ausschluss der Förderung fossiler Energieträger und sollte unterstützt werden. Zu 5 Ein nachhaltiges Finanzsystem kann als Rahmenordnung die richtigen Anreize schaffen, Kapital in nachhaltige Investitionen zu lenken. Es stellt aber keine Alternative zu grünen Zukunftsinvestitionen und entschiedener Um- weltgesetzgebung dar. Die sich verschärfende Klimakrise erfordert einen tiefgreifenden Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft. Damit Unternehmen den wichtigen Schritt zum klimafreundlichen Wirtschaften gehen können, brauchen sie verbindli- che Regelungen für die eigene Investitions- und Planungssicherheit. Und auch aus Sicht der Finanzmarkstabilität ist nach Erkenntnissen eines vom BMF im Auftrag gegebenen Gutachtens „ein geordneter Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft mit klaren, längerfristigen Signalen“ erstrebenswert, um Transitionsrisiken zu re- duzieren (South Pole Group 2016 – Mögliche Auswirkungen des Klimawandels auf die Finanzmarktstabilität). Denn selbst wenn Transitionsrisiken auf Teilbereiche und Sektoren beschränkt bleiben, besteht dringender Hand- lungsbedarf, damit es keine abrupten Strukturbrüche gibt, sondern der Übergang in eine kohlenstoffarme Wirt- schaft aktiv gestaltet werden kann. Hierfür bietet die bisherige Gesetzeslage keine verlässliche Grundlage. Laut einer Studie der European Climate Foundation liegt Deutschland derzeit auf dem vorletzten Platz, beurteilt man die EU-Staaten danach, inwiefern sie ihre nationalen Klimaziele auch mit ihren nationalen Klimaplänen erreichen können (vgl.: https://european- climate.org/wp-content/uploads/2019/05/Planning-for-Net-Zero.-Assessing-the-draft-NECPs.pdf). Trotz Akti- onsplänen und Programmen sind die Treibhausgasemissionen in Deutschland in den letzten Jahren nicht genug gesunken und in manchen Sektoren sogar angestiegen (vgl.: www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhaus- gas-emissionen-in-deutschland#textpart-1). Damit wird das Vertrauen in die Verbindlichkeit des Pariser Klima- schutzabkommens und in die internationale Klimapolitik untergraben. Deswegen braucht es nun umgehend ein Klimaschutzgesetz, welches alle Sektoren und Bereiche mit verbindli- chen Zielen und Verantwortlichkeiten berücksichtigt. Klar festgelegte Ziele und Zwischenziele, verknüpft mit einem verbindlichen Monitoring der Maßnahmen und Ergebnisse sowie automatisierten Korrekturmechanismen, geben klare ökologische Leitplanken vor und schaffen einen stabilen Handlungsrahmen für den Transformati- onsprozess (vgl. Drucksache 19/6103). Außerdem brauchen wir Preise, die die ökologische Wahrheit sagen. Wer Umwelt und Klima belastet, darf dies nicht weiter umsonst tun. Eine am CO2-Gehalt orientierte Energiebesteuerung entfaltet eine ökologische Len- kungswirkung. Sie belohnt Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger, die mit Ressourcen pfleglich umgehen und Emissionen senken. Das setzt Anreize klimafreundliche Techniken zu entwickeln und kann am Markt einen Drucksache 19/14219 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

Wettbewerb um die umweltfreundlichsten Lösungen entfachen. Eine ökologisch sinnvolle und sozial faire Ge- staltung des CO2-Preises muss durch die Senkung der Stromsteuer und die Auszahlung eines Energiegeldes mit den generierten Mehreinnahmen des Staates an alle Bürgerinnen und Bürger gewährleistet werden. Zudem müs- sen endlich die ökologisch schädlichen Subventionen für schwere Dienstwagen, Kerosin oder Diesel abgebaut werden. Mittlerweile belaufen diese umwelt- und klimaschädlichen Subventionen auf jährlich über 57 Milliarden Euro (vgl. Umweltbundesamt 2017 – Umweltschädliche Subventionen in Deutschland 2016). Schmutzige Tech- nologien und Wirtschaftsformen erhalten so keine Anreize sich umzustellen. Davon ließen sich bereits kurz und mittelfristig mindestens 12 Milliarden Euro abbauen (vgl. Antrag der AG Haushalt der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Subventionsabbau und Einnahmeverbesserung“ zu Tagesordnungspunkt 52 Beratung über den Einzelplan 60 des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2019 (Anlage zur Drucksache 19/3400, Ein- zelplan 60 vom 8. November 2018). Zusätzliche Einnahmen aus dem Abbau umweltschädlicher Subventionen müssen wieder in den Klimaschutz investiert werden und z. B. dafür genutzt werden, Haushalte mit geringerem Einkommen beim Klimaschutz und Energiesparen zu unterstützen. Auch kleine und mittlere Unternehmen brau- chen Unterstützung bei der ökologischen Modernisierung, indem etwa Ausgaben für Forschung und Innovation steuerlich gefördert werden können. Der ökologische Wandel in den Unternehmen soll zudem durch umfassende Förderprogramme für eine klima- freundliche Wirtschaftsweise, gute Bedingungen für CO2-freie Industrieprozesse etwa bei Abschreibungen und Eigenproduktion und Nutzung von erneuerbarem Strom sowie durch eine konsequent klimafreundliche öffentli- che Beschaffung unterstützt werden. Darüber hinaus brauchen Unternehmen ausreichend Möglichkeiten, um ihre Beschäftigten nachhaltig zu qualifi- zieren. Eine nachhaltige Transformation unserer Wirtschaft wird nur gelingen, wenn sie auch für die Beschäftig- ten mit Chancen und neuen Perspektiven für gute Arbeit verbunden ist. Häufig sind es die Betriebsräte, die auf nachhaltige und innovative Investitionen im Unternehmen drängen. Daher wollen wir im Zuge der sozial-ökologischen Transformation die betriebliche Mitbestimmung stärken, indem Be- triebsräte stärker bei der Personalentwicklung eingebunden werden und die Mitbestimmungsrechte bei der Wei- terbildung erweitert werden.

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