Wertanlage Mit Zahnspange Jedes Jahr Spielen Die Weltbesten Tenniskinder Ein Turnier in Südfrankreich
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Sport TENNIS Wertanlage mit Zahnspange Jedes Jahr spielen die weltbesten Tenniskinder ein Turnier in Südfrankreich. Die Leistungsschau gedrillter Teenager zieht Vermarktungsmanager magisch an. Gesucht wird eine neue Anna Kurnikowa. as Mädchen mit den schulterlangen Zöpfen, Ddem eine glänzende Zukunft vorausgesagt wird, hadert mit der Gegenwart: Es hat ein Tennisspiel ver- loren. Eine Niederlage in der ers- ten Runde. Schlimmer noch: eine Niederlage beim wichtigs- ten Turnier der Saison. Als Laura Siegemund, zwölf, die Tasche mit den Schlägern schultert und die Halle ver- lässt, blickt sie stumpf ins Nichts, als habe man ihr eben mitgeteilt, sie müsse das Schul- jahr wiederholen. Sonst gewinnt das Kind doch immer. 1999 war Laura Siegemund Deutsche Meiste- rin in der Altersklasse bis zwölf, im vorigen Jahr erneut, und im Dezember gewann sie in Miami gar die berühmte Trophäe Orange Bowl – in den Vereinigten Staaten fertigte sie gleichaltrige Konkurrentinnen aus aller Welt ab. So sollte es weitergehen. Laura war mit ihren Eltern Ende Januar nicht ins süd- französische Tarbes gefahren, um in der ersten Runde an ei- ner Schweizerin zu scheitern. Schließlich hat Tarbes für die globale Tennis-Elite der Ju- gendlichen eine ähnliche Au- / LAIF M. GONZALEZ FOTOS: ra, wie sie Wimbledon später Kroatische Jugendspielerin Zoriciƒ für Profis hat. Es gibt nichts „Das Wichtigste im Frauentennis ist der Sex-Appeal“ darüber. Das Turnier „Les Petits As“, das die Ver- fis herunter, die schon in Tarbes reüssier- anstalter als „einziges Grand-Slam-Turnier ten: Martina Hingis, Anna Kurnikowa, der 12- bis 14-Jährigen“ rühmen, gilt in der Lindsay Davenport, Anke Huber, Michael Branche als erster Meilenstein auf dem Chang, Richard Krajicek, Marat Safin. Weg zur Weltkarriere. Wer sich durchsetzt Knaebels Losung: „Hier bestehen nur die bei dieser Leistungsschau gedrillter Teen- Besten.“ ager, weiß: Die Richtung stimmt. Kam das Turnier also ein Jahr zu früh Turnierdirektor Jean-Claude Knaebel, für Laura? Harro Siegemund, der Vater, ein mit reichlich Goldschmuck verzierter will davon nichts wissen: „Es war ihre Geschäftsmann Mitte fünfzig, ist ein wenig eigene Entscheidung.“ Die Mutter sekun- zerstreut. Für den Nachmittag hat sich diert: „Sie macht das alles ganz spiele- die französische Sportministerin Marie-Ge- orge Buffet angesagt. Routiniert rattert * Der spätere Turniersieger nach dem Halbfinale gegen Monsieur dennoch die Namen illustrer Pro- den Briten Andrew Kennaugh. Russischer Jugendspieler Krasnoruzki*: Erster 176 der spiegel 7/2001 risch.“ Die Eltern sind gereizt. Sie wollen Matchball nicht als Tennis-Eltern gelten. Finalisten des Turniers Wenn seine Tochter im Ausland spielt, „Les Petits As“ in Tarbes reist Harro Siegemund immer mit. So geht sein Jahresurlaub bei der Regulierungs- Mädchen: Jungen: behörde für Telekommunikation und Post Hingis in Reutlingen drauf. Seine Frau Brigitta ist Anke Huber Richard Krajicek bei jedem Turnier dabei, auch in Deutsch- 1988 1985 OUTLINE AFP, M.AFP, PLATT / CORBIS REUTERS, FRANCKREUTERS, FIFE / land. Das geht ins Geld. 60000 Mark kostet Lindsay Davenport Michael Chang KIMIMASAFOTOS: MAYAMA / Lauras Sport im Jahr. Brigitta Siegemund 1990 1986 könnte hinzuverdienen, „etwa als Kassiere- Martina Hingis Magnus Norman rin“. Doch sie verzichtet auf einen Job, da- mit Laura jeden Tag überall hinkommt: 1991, 1992 1990 Anna Juan Carlos Kurnikowa Ferrero Chang 1994 1994 Kurnikowa zum Einzeltraining, zum Vereinstraining, Es könnte irgendetwas zerbrechen. zum Verbandstraining. Hans-Peter Born, der Gesandte des Als Laura in Miami gewann, druckte Deutschen Tennis Bundes in Tarbes, weiß „Sport Bild“ prompt eine Homestory: „Die auch keinen Rat. Er müsse sich zwingen, neue Steffi – Was kann sie schon?“ Lauras Gehabe „nicht als störend zu emp- Das fand Herr Siegemund ärgerlich. finden“. Aber um Einfluss zu nehmen, fühlt „Laura ist Laura“, sagt er und meint damit er sich als Bundestrainer „zu weit weg“. auch: Harro ist nicht Peter. Vater Graf hat 1993 war Born zum ersten Mal beim Tur- seine Tochter als Dreijährige mit „Flam- nier der „Petits As“. Es kommt ihm vor, als bage“ belohnt, einem Vanilleeis mit hei- seien seither 20 Jahre vergangen. Er trinkt ßen Himbeeren, wenn sie den Filzball mit Espresso aus einem Pappbecher, schaut einem abgesägten Tennisschläger 50-mal sich im Foyer der Halle des „Parc des Ex- über die Couch im Wohnzimmer schlug. positions“ um und sagt: „Es hat sich viel Harro Siegemund liest Bücher über Psy- verändert hier.“ Damit meint er: Früher chologie und Trainingswissenschaft und war es besser. legt Wert auf die Feststellung: „Wir setzen Früher etwa begegnete er in Tarbes kei- Laura nicht unter Druck.“ nem Scout. Diesmal sind sechs da, vielleicht Wer das Mädchen auf dem Tenniscourt auch acht. Scouts sind fein angezogene beobachtet, wundert sich. Laura hat einen Menschen wie der Italiener Fabio Della Talent Siegemund, Bundestrainer Born Tick. Sobald ein Punkt gespielt ist, verfällt Vida von der Vermarktungsagentur IMG, „Nur eine Ware“ sie in eine Art Trance, als gehorche sie der Holländer Chris Vermeeren vom Sport- einer inneren Stimme. Wenn sie Bälle ein- artikel-Giganten Nike oder der leger ge- sammelt, marschiert sie nur parallel zu den kleidete Italiener Ugo Colombini von der weißen Linien über das Feld. Sie achtet Agentur Sports Marketing Consultants. penibel darauf, keine Linie mit dem Fuß zu Scouts suchen die Stars der Zukunft. Sie berühren. Dabei geht sie in Trippelschrit- riechen die Millionen, die noch nicht ge- ten, die einem nicht zu durchschauenden druckt sind. Rhythmus folgen. Kehrt sie dann zurück „Für die Vermarkter“, sagt Hans-Peter zur Grundlinie, dreht sie mit weit aufge- Born verächtlich, „sind die jungen Spieler rissenen Augen den Kopf nach links und doch nur eine Ware.“ Er liegt damit gar rechts, als werde sie verfolgt. nicht so falsch, und es kann irgendwann Ist der Ball wieder im Spiel, bewegt sich einmal passieren, dass Born deswegen auch Laura flink und gelöst. nicht mehr gebraucht wird. Das Big Bu- Der Mutter ist Lauras Spleen peinlich. siness, das immer tiefer in die Förder- Sie hat keine Erklärung dafür. Manchmal systeme der Verbände eindringt, schafft zischt sie ihre Tochter von der Tribüne her- allmählich eine neue Ordnung. unter an: „Schlaf nicht ein!“ Wenn es ihr In Tarbes bleibt Born von Abwerbungs- zu viel wird, geht sie aus der Halle und versuchen unbehelligt. Der DTB-Coach be- raucht eine Zigarette. „Keiner redet von treut drei Spielerinnen. Ann Kathrin Gerk Lauras Spiel“, klagt Brigitta Siegemund, scheidet wie Laura Siegemund in der ers- „alle fragen nur nach dieser Macke.“ ten Runde aus, Tatjana Malek scheitert im Laura schweigt. Sie mag über ihre Viertelfinale. zwanghaften Angewohnheiten mit den El- Keiner der Späher hat sich näher nach tern nicht reden. Auch ihr Vater weiß nicht, einem der Mädchen erkundigt. Auch nicht wie er das Thema zur Sprache bringen soll. Ivan du Pasquier. Seine Tochter erinnert ihn an eine „Som- Der Schweizer steht für das Big Busi- nambule“. Er will nicht, dass ihm Lauras ness. Alles, was er für seine Arbeit braucht, Meilenstein auf dem Weg zur Weltkarriere Karriere aus den Händen gleitet. hat er in einem Aluköfferchen verstaut: der spiegel 7/2001 177 Sport die aktuelle Rangliste des europäischen ben. Es war eine Bauchentscheidung. Ir- Tennisverbandes für „Jugendliche unter gendetwas an ihrem Spiel gefiel ihm nicht. 15“, einen vorgefertigten Fragebogen, ei- Er hat Katarinas Trainer einen Brief ge- nen Notizblock und eine Videokamera. schrieben, in dem er beiden alles Gute für In seinen Unterlagen hat er sich etliche die Zukunft wünschte. Spielerinnen vorgemerkt. Sie kommen aus Von der Tribüne aus wirkt das 13 Jahre Bulgarien, Jugoslawien, Polen und Kroa- alte Mädchen mit der Zahnspange wie eine tien. Der Mann mit der Yannick-Noah-Fri- Kopie der jungen Anna Kurnikowa. „Viel- sur, der für die Agentur UpturnOne.com leicht“, sagt du Pasquier, als er Zoriciƒ in aus Lausanne als „Chief Sport Selector“ Tarbes ein Match gewinnen sieht, „habe nach Tarbes geflogen ist, hat einen klaren ich mit diesem Brief den größten Fehler Auftrag: Er soll Spielerinnen aus dem meines Lebens gemacht.“ Osten rekrutieren. Die sind ergebener. An Iva Lisjak, bei den „Petits As“ auf „Mit jungen Französinnen oder Deut- Position eins gesetzt, hat du Pasquier kei- schen“, murrt der ehema- lige Tennisprofi, „können wir nichts anfangen.“ UpturnOne.com lockt mit viel Geld. 150000 Mark steckt die Agentur pro Jahr in die Ausbildung einer jun- gen Spielerin – um später an sämtlichen Einnahmen zu 30 Prozent beteiligt zu sein. Wer zahlt, bestimmt. Einmal pro Woche verlan- gen die Schweizer Ver- markter von den Heimtrai- nern aus dem Osten einen Report via Internet – und ein Agent vor Ort über- prüft die Fortschrittsmel- dungen mit Stichproben. / LAIF M. GONZALEZ Das Investment in die Kar- Vermarkter du Pasquier: Mit 18 in der Gewinnzone riere junger Mädchen ver- spricht schnelle Rendite. Gute Tennisspie- ne Zweifel. Die Kroatin hat das Balearen- lerinnen dringen spätestens mit 18 Jahren in Camp mit Bravour überstanden. Doch ihr die Gewinnzone vor, bei Jungen beginnt Vater zögert noch mit der Vertragsunter- die Erntezeit gewöhnlich zwei Jahre später. schrift. Er hat einen Rechtsanwalt einge- Zudem lassen sich im Frauentennis auch schaltet, der die sechs Seiten des Kontrakts Verliererinnen verkaufen – wenn sie nur noch einmal durcharbeiten soll. Die For- hübsch genug sind. Das Prinzip Kurnikowa derung nach mehr Geld hat der Advokat haben auch die Vermarkter der zukünftigen auch schon durchklingen lassen. Es ist Profigeneration längst verinnerlicht. „Das nicht mehr so einfach. Der Osten hat auf- Wichtigste im Frauentennis“, hält du Pas- geholt. quier ungerührt fest, „ist der Sex-Appeal.“ Du Pasquiers Lippen verengen sich zu Die Georgierin Tinatin Kawlaschwili fällt einem Strich. Lisjak und ihre Trainerin, bei der Sichtung in Tarbes deshalb durchs vermutet er, pokern mit der Konkurrenz. Sieb. Der Schweizer Scout ist von ihrer Er will unbedingt, dass sie bei ihm unter- Technik durchaus angetan, doch da gibt es schreibt. Das Mädchen, sagt er, sei eine ein unlösbares Problem: Kawlaschwili ist Bombe. klein und stämmig. „No way“, urteilt der Doch das Einzige, was er in der Hand Agent trocken.