Plenarprotokoll 15/92

Deutscher

Stenografischer Bericht

92. Sitzung

Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 19: Renate Künast, Bundesministerin BMVEL . . 8212 D Vereinbarte Debatte zur aktuellen Euro- CDU/CSU ...... 8214 A papolitik Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/ Dr. Angelica Schwall-Düren SPD ...... 8195 B DIE GRÜNEN ...... 8216 D CDU/CSU ...... 8197 A Matthias Weisheit SPD ...... 8217 D Rainder Steenblock BÜNDNIS 90/ Dr. Christel Happach-Kasan FDP ...... 8219 A DIE GRÜNEN ...... 8198 C Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD ...... 8221 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP . . 8199 C Dr. Christel Happach-Kasan FDP ...... 8222 D Michael Roth (Heringen) SPD ...... 8200 D (Weiden) CDU/CSU . . . . . 8202 B Tagesordnungspunkt 21: Joseph Fischer, Bundesminister AA ...... 8203 D Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Claudia Winterstein FDP ...... 8205 D , Dr. Norbert Röttgen, SPD ...... 8206 C weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs ei- CDU/CSU ...... 8207 A nes Gesetzes zur Ergänzung der Kron- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zeugenregelungen im Strafrecht und FDP ...... 8207 C zur Wiedereinführung einer Kronzeu- genregelung bei terroristischen Strafta- Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ...... 8208 B ten (KrzErgG) fraktionslos ...... 8210 D (Drucksache 15/2333) ...... 8223 B Axel Schäfer (Bochum) SPD ...... 8211 D Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU ...... 8223 C Joachim Stünker SPD ...... 8225 B Tagesordnungspunkt 20: Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ 8225 D Erste Beratung des von den Fraktionen der Jörg van FDP ...... 8227 A SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines BÜNDNIS 90/ Gesetzes zur Durchführung von Ver- DIE GRÜNEN ...... 8228 A ordnungen der Europäischen Gemein- (Heilbronn) CDU/CSU . . . . . 8229 A schaft auf dem Gebiet der Gentechnik und zur Änderung der Neuartige-Le- Tobias Marhold SPD ...... 8230 C bensmittel-und-Lebensmittelzutaten- Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU ...... 8231 D Verordnung (Drucksache 15/2397) ...... 8212 C Joachim Stünker SPD ...... 8232 D II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Tagesordnungspunkt 22: weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Schaffung einer nationa- Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/ len Küstenwache CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Drucksache 15/2337) ...... 8253 C NEN und der FDP: Roadmap wieder be- leben – Genfer Initiative unterstützen (Drucksache 15/2392) ...... 8234 B Tagesordnungspunkt 26: SPD ...... 8234 B Zweite Beratung des von der Bundesregie- Hermann Gröhe CDU/CSU ...... 8235 D rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Errichtung des Bundes- Dr. Ludger Volmer BÜNDNIS 90/ amtes für Bevölkerungsschutz und DIE GRÜNEN ...... 8237 B Katastrophenhilfe Dr. Rainer Stinner FDP ...... 8238 A (Drucksachen 15/2286, 15/2448) ...... 8253 D Dr. Christoph Zöpel SPD ...... 8239 A Hildegard Müller CDU/CSU ...... 8240 B Zusatztagesordnungspunkt 7: Joseph Fischer, Bundesminister AA ...... 8241 B a) Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Joachim Hörster CDU/CSU ...... 8242 D auf Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Haushaltsge- setz 2004 Tagesordnungspunkt 23: (Drucksache 15/2504) ...... 8254 B Antrag der Abgeordneten Klaus Hofbauer, Namentliche Abstimmung ...... 8254 D Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Gemein- Ergebnis ...... 8255 C schaftsaufgabe Verbesserung der regio- b) Antrag der Fraktionen der SPD und nalen Wirtschaftsstruktur als gesamt- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN deutschen Strukturförderungsrahmen auf Zurückweisung des Einspruchs des erhalten und fortentwickeln Bundesrates gegen das Nachtrags- (Drucksache 15/1986) ...... 8244 B haushaltsgesetz 2003 Klaus Hofbauer CDU/CSU ...... 8244 C (Drucksache 15/2505) ...... 8254 B Christian Müller (Zittau) SPD ...... 8246 B Namentliche Abstimmung ...... 8254 D Gudrun Kopp FDP ...... 8247 D Ergebnis ...... 8257 B Peter Hettlich BÜNDNIS 90/ c) Antrag der Fraktionen der SPD und DIE GRÜNEN ...... 8248 D des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Zurückweisung des Einspruchs des Robert Hochbaum CDU/CSU ...... 8250 A Bundesrates gegen das Gesetz zur Dr. Heinz Köhler SPD ...... 8251 A Änderung des Gesetzes über die Er- richtung einer Bundesanstalt für SPD ...... 8252 C Landwirtschaft und Ernährung (Drucksache 15/2506) ...... Klaus Hofbauer CDU/CSU ...... 8252 D 8255 B Namentliche Abstimmung ...... 8255 A

Tagesordnungspunkt 24: Ergebnis ...... 8260 A Zweite und dritte Beratung des von der Nächste Sitzung ...... 8262 B Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Be- schlusses (2002/187/JI) des Rates vom Anlage 1 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Be- Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 8263 A kämpfung der schweren Kriminalität (Eurojust-Gesetz – EJG) (Drucksachen 15/1719, 15/2484) ...... 8253 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung Tagesordnungspunkt 25: des Beschlusses (2002/187/JI) des Rates Antrag der Abgeordneten Wolfgang vom 28. Februar 2002 über die Errichtung Börnsen (Bönstrup), Dr. Ole Schröder, von Eurojust zur Verstärkung der Be- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 III kämpfung der schweren Kriminalität Annette Faße SPD ...... 8267 D (EJG) (Tagesordnungspunkt 24) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Joachim Stünker SPD ...... 8263 B CDU/CSU ...... 8269 A Michael Grosse-Brömer CDU/CSU ...... 8263 C Dr. Ole Schröder CDU/CSU ...... 8270 C Michael Stübgen CDU/CSU ...... 8264 D Jerzy Montag BÜNDNIS 90/ Rainder Steenblock BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 8265 D DIE GRÜNEN ...... 8271 B Jörg van Essen FDP ...... 8266 B Hans-Michael Goldmann FDP ...... 8271 D Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ 8266 D , Parl. Staatssekretärin BMVBW ...... 8272 B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Anlage 4 des Antrags: Schaffung einer nationalen Küstenwache (Tagesordnungspunkt 25) Amtliche Mitteilungen ...... 8273 C

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(A) (C) Redetext

92. Sitzung

Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : Wir sind ganz optimistisch, dass die irische Ratspräsi- Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die dentschaft etwas erreichen kann; denn sie arbeitet proak- Sitzung ist eröffnet. tiv und sie arbeitet dezent. Gespräche und Verhandlungen finden im Hintergrund statt. Die Kompromissmöglich- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: keiten sind in diesen Gesprächen auszuloten. Sie können nicht auf dem offenen Markt verhandelt werden. Vereinbarte Debatte zur aktuellen Europapolitik Wir wissen, dass in einem großen Teil Übereinstim- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für mung erzielt worden ist. Die Teilnehmer an Regierungs- die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich gipfeln sprechen immer von 90 Prozent. Aber es gibt höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. noch eine Reihe offener Fragen, für die sicherlich Lö- Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin sungen gefunden werden können, wenn sich alle aufei- Angelica Schwall-Düren, SPD-Fraktion, das Wort. nander zu bewegen. (B) (D) Der Hauptdissens betrifft das Prinzip der doppelten Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Mehrheit. Zunächst einmal will ich sagen, dass ich durchaus Verständnis für die Staaten habe, die sich auf Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- die geltende Vertragsgrundlage von Nizza berufen. Spa- gen! Wir diskutieren heute Morgen über die Europapoli- nien als langjähriges EU-Mitglied hat Erfahrung damit, tik und stehen am Beginn des Jahres 2004, eines Jahres, Interessendivergenzen in diesem europäischen Prozess das ein Schicksalsjahr für die Europäische Union ist. als Balance zwischen nationalen Interessen und europäi- Zehn weitere Staaten treten der Europäischen Union bei. schem Mehrwert auszuhandeln. Polen als Repräsentant Wir haben es mit einem großen Schritt zur europäischen einer Gruppe von Ländern, die über fünf Jahrzehnte Wiedervereinigung zu tun. Im Augenblick finden in praktisch keine Souveränität hatten, scheint sich zu er- New York noch Verhandlungen statt, um zu erreichen, hoffen, dass Einfluss auch über Verhinderungsmöglich- dass Zypern als Ganzes in die Europäische Union ein- keiten gesichert werden kann. treten kann. Gerade für ein Land mit einer Vergangen- heit als geteiltes Land hoffen wir sehr, dass ein Erfolg er- Die Erfahrungen in der Europäischen Union lehren reicht werden kann. uns aber, dass mit zunehmender Zahl von Staaten die Entscheidungsfindung immer schwieriger wird. Eine (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ größere EU mit ihren ehrgeizigen Zielen – denken wir DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der nur einmal an die Lissabon-Strategie – wird noch mehr FDP) Handlungsfähigkeit als in der Vergangenheit brauchen. Dieses Jahr bringt Wahlen zum Europäischen Parla- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ment. Ein neues Parlament, neue Kommissare, weitere zehn Kommissare werden dann die Zukunft unserer Eu- Deshalb ist zusätzliche Effizienz – gerade zur Überwin- ropäischen Union gestalten und werden die Lösung der dung des Wohlstandsgefälles – dringend erforderlich. wichtigen Fragen der finanziellen Vorausschau, die im Diese zusätzliche Effizienz ist nicht nur in europäischem Jahr 2005 beschlossen werden muss, vorbereiten. Interesse, sondern auch im Interesse Ungarns, Estlands, Polens und vieler anderer Staaten. Die Blockademinder- Wir alle hatten gehofft, dass die Vertiefung der Euro- heit muss überwunden werden, damit wir eine Gestal- päischen Union vor der Erweiterung zu erreichen ist. tungsmehrheit gewinnen. Wir hoffen nun, dass noch in diesem Jahr die europäi- sche Verfassung, aufbauend auf dem Ergebnis, das der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Konvent vorgelegt hat, verabschiedet werden kann. DIE GRÜNEN) 8196 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Dr. Angelica Schwall-Düren (A) Mit dem Prinzip der doppelten Mehrheit können weder Wir stimmen bei den politischen Prioritäten mit der (C) ein einzelnes Land noch eine Zweierachse noch ein Europäischen Kommission weitgehend überein; wir hät- Dreierdirektorium die anderen Länder majorisieren. ten uns bei der Ausgestaltung des Finanzrahmens aber mehr Realismus und Kohärenz gewünscht. Lassen Sie mich noch kurz etwas zu der nicht unkom- plizierten Lage zwischen Deutschland und Polen sagen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist in der Tat schmerzhaft, dass durch verschiedene Die Vorschläge der Kommission sehen nämlich ein deut- Ereignisse des Jahres 2003 das bereits entstandene Ver- liches Anwachsen des EU-Budgets vor. Das würde ins- trauensverhältnis zwischen Polen, unserem größten besondere die Hauptzahlerländer, Deutschland, Frank- Nachbarn im Osten, und Deutschland gestört wurde. Die reich, das Vereinigte Königreich, die Niederlande und Schatten der Vergangenheit haben die Beziehungen wie- Österreich, in hohem Maße belasten. derum überlagert. Ein unsensibler Umgang mit dem Thema Vertreibung durch den BdV, aber auch durch ei- Damit kein Zweifel aufkommt: Wir bekennen uns zur nige Kolleginnen von der CDU/CSU und Entschädi- europäischen Solidarität; aber es gibt Grenzen der Be- gungsforderungen haben die Beziehungen nachhaltig be- lastbarkeit. Deshalb unterstützen wir die von der Bun- einträchtigt. Wir alle wissen, dass die Regierung wie desregierung angemahnte Begrenzung des EU-Haushal- auch die große Mehrheit der Bevölkerung diese Entschä- tes auf 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens. digungsforderungen ablehnt. Wir haben die Bitte an Po- Meine Damen und Herren, die europäische Solidarität len, zu erkennen, dass Deutschland seine Interessen aus- ist keine Einbahnstraße. Deswegen müssen auch die schließlich in Übereinstimmung mit seinen Nachbarn Staaten, die bisher von der europäischen Struktur- und umsetzen will und umsetzen kann. Kohäsionspolitik profitiert und dadurch an wirtschaftli- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ cher Stärke zugenommen haben, Einschnitte hinnehmen. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Die bisherigen Empfängerländer müssen zusätzlich auf FDP) Mittel verzichten, denn Verlässlichkeit und Berechen- barkeit aufseiten der Empfänger und Zahler muss zu- Im Juni finden die Wahlen zum Europäischen Par- gleich mit Zumutbarkeit für die europäischen Steuerzah- lament statt. Kollegen aus den neuen Mitgliedstaaten ler verknüpft werden. werden an der Arbeit in der Europäischen Union teilneh- Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt hinweisen: men. Zehn neue Kommissare werden dabei sein. Die Es gibt einen eklatanten Widerspruch in der Argumenta- kommenden Jahre sind für die Umsetzung der Lissabon- tion der Europäischen Kommission. Während sie in der Strategie entscheidend. Neben dem, was auf nationaler Diskussion um den Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht (B) Ebene geleistet werden muss, ist und bleibt das Solidar- anerkannt hat, dass die Haushaltseinschnitte negativen (D) prinzip in der Europäischen Union ein Prinzip, das für Einfluss auf die Wachstumsaussichten haben, erklärt uns Kohäsion sorgt. Es gibt – man denke an Spanien und Ir- die Europäische Kommission nun, dass eine drastische land – erfolgreiche Beispiele. Ausweitung des EU-Haushaltes vorgenommen werden Mit der Mitteilung der Europäischen Kommission müsse, wolle man an dem Ziel der Stimulation des über die politischen und haushaltspolitischen Prioritäten Wachstums festhalten. Wir müssen im weiteren Verlauf der erweiterten Europäischen Union für die Zeit 2007 bis der Diskussion die Struktur- und Kohäsionspolitik sorg- 2013 und mit dem für die nächste Woche angekündigten fältig analysieren und intensiv diskutieren. Netzwerke Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusam- müssen gebildet und Synergieeffekte erreicht werden. menhalt hat die Debatte um die Zukunft der erweiterten Dann wird auch die weitere Entwicklung der EU positiv Europäischen Union eine neue Dynamik erreicht. In der verlaufen. Diskussion über den Finanzrahmen geht es um die (Beifall bei der SPD) Frage, wie die erweiterte Union die Herausforderungen der Zukunft meistern und auf welchen Gebieten sie poli- Europa steht vor großen Herausforderungen: Die tische und finanzielle Schwerpunkte setzen will. Integration von zehn Neumitgliedern muss gelingen. In drei Jahren steht der Beitritt von Bulgarien und Rumä- Zu den wichtigsten Prioritäten gehören die erfolgrei- nien an. Die Transformation von Nachbarländern der EU che Integration der neuen Mitgliedstaaten, die Weiter- muss im Interesse Europas aktiv unterstützt werden. Die führung einer erfolgreichen Politik des wirtschaftlichen schwierigen Verhandlungen für den Finanzrahmen 2007 und sozialen Zusammenhalts, die Reformierung der bis 2013 müssen schnell abgeschlossen werden, weil Agrarpolitik, neue Akzente in der Außen- und Sicher- dies Voraussetzung für Wohlstand und sozialen Zusam- heitspolitik, im Bereich Justiz und Inneres und bei der menhalt der EU und für das Behaupten im internationa- Fortführung der Lissabon-Strategie. Es geht aber auch len Wettbewerb ist. darum, wie hoch der EU-Haushalt insgesamt anwach- Wir wünschen der irischen Ratspräsidentschaft viel sen soll, um die Herausforderungen der Zukunft zu Geschick und Glück bei den Verhandlungen über eine meistern, gleichzeitig aber die finanziellen Möglichkei- europäische Verfassung. Zugleich freue ich mich auf die ten der Mitgliedstaaten nicht zu überfordern. Angesichts Feiern zum Beitritt der neuen Mitgliedstaaten am 1. Mai der enormen Anstrengungen, die die meisten Mitglieder dieses Jahres, die an vielen Orten in unserer so reichen bei der Konsolidierung ihrer nationalen Haushalte zu be- Europäischen Union stattfinden werden. wältigen haben, darf diese Frage nicht ausgeblendet wer- den. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8197

Dr. Angelica Schwall-Düren (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht in erster Linie zwischen Deutschland und Spanien, (C) DIE GRÜNEN) sondern zwischen Deutschland und den Staaten, die jetzt in die Europäische Union kommen und die zu Recht da- Präsident Wolfgang Thierse: rauf bauen, dass wir sie bei ihrem Aufholprozess nach Ich erteile das Wort Kollegen Peter Altmaier, CDU/ Kräften unterstützen. CSU-Fraktion. Drittens. Es gibt die alte Frontstellung zwischen dem alten und dem neuen Europa in der Irakkrise, bei der Peter Altmaier (CDU/CSU): die deutsche Bundesregierung durch ihre einseitige Fest- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle legung zu einem frühen Zeitpunkt verhindert hat, dass freuen uns, dass in wenigen Wochen mit dem Beitritt eine gemeinsame europäische Position zustande kommt. von zehn neuen Staaten die Europäische Union einen Wir haben den dadurch entstandenen Schaden im Übri- großen Erfolg feiern und dass damit auch das Ende des gen im Konvent erlebt, wo es nicht möglich war, Mehr- Kalten Krieges in Europa offiziell besiegelt wird. Wir heitsentscheidungen in der Gemeinsamen Außen- und haben die Erweiterung in den letzten Jahren trotz der Sicherheitspolitik durchzusetzen. Wir sehen den Scha- manchmal nicht einfachen Umstände gemeinsam über den auch jeden Tag bei den Beratungen mit unseren alle Parteigrenzen vorangetrieben und freuen uns nun Bündnispartnern in der NATO und in der Europäischen mit den Bürgerinnen und Bürgern der neuen Mitglied- Union. staaten. Meine Damen und Herren, es muss Ihnen doch auffal- Aber am Vorabend der Erweiterung steht die Europäi- len, dass Deutschland zum ersten Mal in diesen ganzen sche Union auch vor einer schweren Krise, möglicher- Streitigkeiten nicht als Vermittler auftritt, nicht agiert, weise der schwersten Krise seit langer Zeit. Die deutsche um Lösungen zustande zu bringen, sondern angesehen Bundesregierung steht inmitten dieser Krise hilflos und wird als jemand, der polarisiert und seine eigenen Inte- konzeptionslos da ressen vertritt. Wenn Sie auf diese Art und Weise agie- ren, dann werden Sie den deutschen und europäischen (Widerspruch bei der SPD) Interessen nicht nutzen, sondern ihnen schaden. und wird von den übrigen Mitgliedstaaten – erstmals in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Geschichte der Europäischen Union – nicht als Teil der Lösung gesehen, sondern zunehmend als Teil des Herr Bundesaußenminister, das Schlimmste, was pas- Problems. sieren kann, ist, dass jetzt eine Situation entsteht, in der all diese Probleme vermengt werden, in der Junktims (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (B) entstehen, in der versucht wird, durch Zugeständnisse (D) Michael Roth [Heringen] [SPD]: Das glaubst auf dem einen Gebiet Forderungen auf anderen Gebieten du doch selber nicht!) durchsetzen zu können. Deshalb dürfen wir nicht zulas- Meine Damen und Herren, es gab in der Europäischen sen, dass alles in einen Topf geworfen wird. Union schon seit langer Zeit nicht mehr eine derartige (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Das sagen Häufung von Spannungen, von Misstrauen, von Gegen- Sie mal der CDU!) sätzen und von Polarisierungen wie in den letzten Mona- ten. Die Tendenz ist leider Gottes wachsend. Wir haben Wir müssen dafür sorgen, dass ein Problem nach dem drei Bereiche, in denen eine starke Polarisierung anderen gelöst wird. Deshalb appellieren wir an Sie herrscht, die die Europäische Union zu lähmen und ihre – und bieten Ihnen unsere Unterstützung an –, alles zu Handlungsfähigkeit zu beschädigen droht. tun, damit die europäische Verfassung, die Europa und seine Bürger dringend brauchen, noch vor den Europa- Erstens. Es gibt eine Frontstellung zwischen großen wahlen am 13. Juni dieses Jahres zustande kommt. und kleinen Mitgliedstaaten, geprägt von tiefem Miss- trauen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Günter Gloser [SPD]: Quatsch!) Herr Bundesaußenminister, wir wissen, das ist keine leichte Aufgabe. Aber sehen Sie, wir erwarten von den Das fing im Konvent an und findet seine Fortsetzung bis beiden Volksgruppen auf Zypern, dass sie vor der Euro- in die jüngste Zeit. So wurde in den letzten Tagen vor ei- pawahl und dem Beitritt der zehn neuen Staaten im- nem Direktorium der großen Mitgliedstaaten gewarnt, stande sind, einen jahrzehntealten Konflikt zu lösen und das über die Köpfe der kleinen hinweg entscheidet. Das sich wieder zu vereinigen. Dann muss es doch auch betrifft nicht nur Italien, sondern auch die Niederlande möglich sein, dass die Europäische Union den Streit und viele andere Mitgliedstaaten, mit denen wir seit Jah- über die Stimmenverteilung im Ministerrat in derselben ren und Jahrzehnten gute und enge Beziehungen unter- Frist in annehmbarer und vorzeigbarer Weise löst und halten. dazu beiträgt, dass die Verfassung verabschiedet werden Zweitens. Es gibt eine Frontstellung zwischen dem und pünktlich in Kraft treten kann. reichen Europa und dem armen Europa. Im Zusammen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hang mit dem Finanzrahmen 2007 bis 2013 hat die neten der FDP) Bundesregierung eine Debatte auf den öffentlichen Markt getragen, die dazu geführt hat, dass in der Euro- Bei der Frage der Stimmengewichtung im Minister- päischen Union Misstrauen entstanden ist, und zwar rat geht es natürlich, wie bei anderen Fragen auch, um 8198 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Peter Altmaier (A) Interessen. Es geht aber auch um Vertrauen, das die Eu- nünftige Konzeption, um den Menschen zu zeigen, dass (C) ropäische Union braucht, und es geht um Regeln, die Ef- ihre Probleme von der Politik anerkannt und ernst ge- fizienz gewährleisten sollen. Wir müssen, wenn wir das, nommen werden. was auf dem Gipfel in Brüssel vor Weihnachten gesche- hen ist, ändern wollen, versuchen, einen Kompromiss zu (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) finden. Das heißt, die Spanier und die Polen müssen sich Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes sagen: bewegen, aber auch wir Deutschen müssen uns bewe- Wir sind bereit, Herr Bundesaußenminister, Sie in den gen, Herr Bundesaußenminister. Ich habe die Sorge, dass kommenden schwierigen Wochen und Monaten zu un- es uns genauso ergeht wie bei dem Gipfel in Brüssel: terstützen. dass wir wie die Katze um den heißen Brei herumschlei- chen und in diplomatischen Gesprächen versuchen, eine (Günter Gloser [SPD]: Auch die CSU?) Lösung zu finden, sich aber niemand bewegt und es am Wir haben in diesem Hause die gute Tradition, dass die Ende zu spät ist. Europapolitik trotz aller Unterschiede im Detail in der Herr Bundesaußenminister, ich glaube, Sie würden ei- großen Linie immer eine gemeinsame Politik aller de- nen großen Beitrag leisten, wenn Sie heute von dieser mokratischen Parteien ist. Aber wir erwarten von Ihnen, Stelle aus erklären: Alle müssen sich bewegen, auch wir. dass Sie die Anstrengungen unternehmen, die notwendig Entscheidend ist, dass letzten Endes ein Kompromiss ge- sind, um die Europäische Union aus ihrer Krise heraus- funden wird, der dazu beiträgt, dass die Europäische zuführen. Wir glauben, das lohnt jede Anstrengung und Union handlungsfähig wird und Blockademinderheiten jede Mühe. Dafür bieten wir Ihnen unsere Unterstützung reduziert werden. Da möchte ich der Frau Kollegin an. Schwall-Düren ausdrücklich zustimmen; das muss unser (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gemeinsames Ziel sein. Meine Damen und Herren, in der Haushaltsfrage Präsident Wolfgang Thierse: sind wir uns einig: Wir müssen auf allen Ebenen sparen, Ich erteile das Wort Kollegen Rainder Steenblock, von der kommunalen Ebene über die Länder- bis hin zur Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. Bundesebene. Das gilt natürlich auch für Europa. Aber eines geht nicht: dass Sie in Brüssel ständig neue Aufga- Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben und Zuständigkeiten für die Europäische Union be- NEN): schließen und sich anschließend weigern, der Europäi- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schen Union das Geld zur Verfügung zu stellen, das sie Lieber Kollege Altmaier, der Schluss Ihrer Rede klang (B) für diese Aufgaben und die Wahrnehmung der Zustän- etwas versöhnlicher. Aber das, was Sie am Anfang Ihrer (D) digkeiten braucht. Rede an Analyse geboten haben, hat mit der Entwick- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lung in Europa und mit der Rolle, die die Bundesregie- rung dabei gespielt hat, nur relativ wenig zu tun. Wir möchten daher ganz gerne von Ihnen wissen, wo denn gespart werden soll. Möchten Sie zulasten der neu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hinzukommenden Länder sparen? Möchten Sie zulasten und bei der SPD – Zuruf von der SPD: Gar der neuen Bundesländer sparen? – Nein! Da sind wir uns nichts!) einig. Wo wollen Sie also sparen? Wenn Sie dazu ein Sie haben den Konvent angesprochen und versucht, vernünftiges und überzeugendes Konzept vorlegen, dann deutlich zu machen, dass die Bundesregierung an dieser werden Sie uns auf Ihrer Seite haben. Stelle Teil des Problems ist. Sie selber waren weiß Gott genug damit befasst, um das besser wissen zu können: Lassen Sie mich noch ein Problem ansprechen, das in Gerade diese Bundesregierung und insbesondere ihr Au- diesen Tagen oft übersehen wird, aber ganz viele Men- ßenminister haben alles unternommen, um die Ergeb- schen, was ihre persönliche Situation betrifft, berührt. nisse, die in den Verhandlungen im Konvent erreicht Die Osterweiterung ist ein Experiment. In ihr liegt eine wurden, zusammenzuführen und mitzutragen. Das war großartige Chance für die Europäische Union und für die eine der Kernaufgaben der deutschen Europapolitik und Wirtschaft in den alten Mitgliedstaaten der Europäischen soweit es in diesem Rahmen möglich war, ist sie sehr er- Union. Aber natürlich sind damit auch Risiken verbun- folgreich bewältigt worden. Im Gegenteil, Sie waren es, den. Wir haben diese Tatsache parteiübergreifend aner- die durch neue Forderungen, die Sie im Deutschen Bun- kannt, indem wir Übergangsfristen im Bereich der Frei- destag erhoben haben, die Verhandlungen zum Konvent zügigkeit vereinbart haben. belastet und damit das Erzielen von Ergebnissen er- Mit dieser Erweiterung sind auch Risiken hinsichtlich schwert haben, während wir versucht haben, die Ergeb- der Unternehmensansiedlungen auf beiden Seiten der nisse zusammenzuführen. Dafür sollten wir dem Außen- Grenzen verbunden. Wir werden einen Wettbewerb bei minister dankbar sein, anstatt ihn nachträglich dafür zu den Lohnkosten erleben, von dem wir uns noch keine kritisieren. genaue Vorstellung machen können. Deshalb appelliere (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ich an Sie: Messen Sie den Problemen der Menschen in SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) den Grenzregionen, beispielsweise in Bayern, in Sach- sen und in Sachsen-Anhalt, mehr Aufmerksamkeit zu! Die Gespräche, die mit dem britischen Premierminis- Wir brauchen ein Grenzgürtelprogramm und eine ver- ter anlässlich seines gestrigen Besuches geführt wurden, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8199

Rainder Steenblock (A) machen deutlich, dass wir auf einem guten Weg sind, die Wir dürfen die Nettozahlerdebatte nicht so führen, (C) Probleme des letzten Jahres zu beherrschen und voran- dass wir nur davon ausgehen, dass es bei den Nettozah- zukommen. Gerade was die Gemeinsame Außen- und lern zu exorbitanten Ausgaben kommt. Die EU hat ange- Sicherheitspolitik angeht, gibt es ein neues Selbstver- boten, ein Rabattsystem einzuführen. Das halte ich für ständnis der großen Partner in Europa. Das ist positiv den richtigen Weg. Den müssen wir weiterverfolgen, so- und das sollten Sie nicht kritisieren. Es ist ein wichtiger dass wir zwischen den Beiträgen, die wir zu leisten ha- Schritt, um in den zentralen Fragen gemeinsam voranzu- ben, und den Mitteln, die wir zur Verfügung haben, ei- kommen. Wir sollten froh darüber sein, dass Großbritan- nen vernünftigen Kompromiss herstellen können. Das nien wieder mit im Boot ist. Das stärkt unsere Position darf nicht dazu führen, dass wir die neuen Aufgaben ge- und auch die Position Europas in der Welt. rade in der Außen- und Sicherheitspolitik und in der Technologiepolitik vernachlässigen. Hier brauchen wir Wenn Sie über Irritationen im Verhältnis zu Polen einerseits in Zukunft Schwerpunkte, das heißt mehr reden, lieber Kollege Altmaier, dann sollten Sie auch Geld. Andererseits müssen wir an anderen Stellen Spar- einmal Ihre Kollegin Steinbach ansprechen; denn sie ist potenziale finden. für viele Irritationen verantwortlich, die es in der Ver- gangenheit gegeben hat. Mit Blick auf die Verhandlungen über die Zukunft Europas, die jetzt folgen, sollten uns die beiden Pfeiler (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Solidarität und der Innovation bei der weiteren finan- und bei der SPD) ziellen Vorausschau leiten. Diese Argumentation zeigt, dass Sie mehr Probleme als Vielen Dank. Lösungsangebote haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir stehen in Europa vor zwei großen Aufgaben: und bei der SPD) Zum einen stehen wir vor der Vereinigung des Konti- nents nach jahrzehntelanger Trennung, zum anderen wollen wir die wettbewerbsfähigste und eine auf Wissen Präsident Wolfgang Thierse: basierte Volkswirtschaft werden. Dafür brauchen wir Ich erteile das Wort Kollegin Sabine Leutheusser- – ganz im Sinne der Göteborg-Strategie – eine nachhal- Schnarrenberger, FDP-Fraktion. tige Entwicklung in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Umwelt. Das sind unsere Ziele, die wir Europa vor Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): dem Hintergrund der schwierigen Haushaltssituation, in Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der sich alle Länder Europas befinden, ins Logbuch ge- Dem Schiff Europa, das so zuversichtlich mit neuen Pas- (B) schrieben haben. sagieren zu neuen Ufern aufbrechen sollte, wurde mit (D) Wir wollen den Motor Europa wieder anwerfen. Die dem Scheitern der Regierungskonferenz im Dezember Schwerpunkte, die in der neuen finanziellen Voraus- letzten Jahres abrupt der Wind aus den Segeln genom- schau gesetzt worden sind, sind dafür eine Grundlage. men. Nun treibt das Schiff in seichten Gewässern und Auf der einen Seite besteht die Aufgabe der Solidarität läuft Gefahr, auf Grund zu laufen. Während die Kapitäne gegenüber den Beitrittsstaaten. Auf der anderen Seite ist öffentlich oder auch hinter verschlossenen Türen um den in das Blickfeld zu nehmen, dass die Lissabon-Strategie zukünftigen Kurs streiten, regt sich Unmut unter den umgesetzt werden muss. Das heißt, es muss mehr Geld Passagieren, nämlich den europäischen Bürgerinnen und für Forschung, Innovation, Infrastruktur und die Trans- Bürgern. europäischen Netze bereitgestellt werden. Das brauchen Werfen wir doch einen Blick auf das letzte Eurobaro- gerade wir in Deutschland; denn unsere deutsche Volks- meter: Die Ergebnisse sind niederschmetternd und spie- wirtschaft ist die stärkste Exportwirtschaft auf dem Bin- geln wider, wie von den Bürgerinnen und Bürgern die nenmarkt der EU. Deshalb ist es im Interesse unserer Europapolitik wahrgenommen wird. Nur 39 Prozent der Wirtschaft und stärkt es unsere Wirtschaftsstruktur, deutschen Bevölkerung haben ein positives Bild von der wenn die Infrastruktur in den Beitrittsstaaten so rasch Europäischen Union. Die Institutionen wie das Europäi- wie möglich an das westeuropäische Niveau angeglichen sche Parlament haben einen Vertrauensverlust erlitten wird. Solidarität mit den Beitrittsstaaten ist ein Faktor, und mit dem Kapitän, dem Ministerrat, würden höchs- der die deutsche Wirtschaft stärkt. tens 32 Prozent gemeinsam in See stechen. Daher brauchen wir einerseits Aufwüchse. Die Das zeigt doch: Mit der Politik, wie wir sie hier in die- Schwerpunkte, so wie sie in der finanziellen Voraus- sem Hause formulieren, ist etwas nicht in Ordnung. Wir schau gesetzt worden sind – davon bin ich sehr über- vermitteln den Bürgerinnen und Bürgern nicht, worum es zeugt –, sind richtig. Andererseits müssen wir sparen. Es uns bei der europäischen Entwicklung geht. Es geht uns gibt in diesem Haushalt noch Ansätze zu sparen. Ich natürlich um einzelne wichtige Punkte: um doppelte halte es für schwer vermittelbar, dass es, gerade was die Mehrheiten – wobei 60 Prozent der EU-Bevölkerung re- Strukturfonds angeht, Haushaltsansätze gibt, die ständig präsentiert sein müssen –, um eine handlungsfähige zu Rückflüssen führen. Wir müssen in der Strukturpoli- Kommission, um eine geringe Zahl an Kommissaren. tik der EU realistische Haushaltsansätze finden. Wir müssen unsere Mittel auf die Schwächsten konzentrie- In Wirklichkeit geht es aber darum, den Bürgern end- ren, das heißt auf die Beitrittsländer der EU. Das ist eine lich zu sagen: Wir wollen ein demokratischeres, ein bür- zentrale Herausforderung, vor der wir stehen. gernäheres Europa, das natürlich handlungsfähig ist, das 8200 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (A) sich aber nicht darauf beschränkt, mit diesen Techniken und Sicherheitspolitik. Wir alle wissen, dass es ohne (C) Europapolitik zu betreiben. eine Stimme, die letztendlich in der Außen- und Sicher- heitspolitik für die Europäische Union spricht, und ohne (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Strukturen, die die Meinungsbildung erleichtern und Ini- der CDU/CSU) tiativrechte gewähren, jedenfalls im Rahmen der Euro- Deshalb müssen wir erreichen, dass in den nächsten Mo- päischen Union keine Weiterentwicklung geben wird. naten auch in der Öffentlichkeit stärker über den Wert Das Verkehrteste wäre, wenn sich das bewahrheiten der europäischen Verfassung und ihre Grundlagen gere- würde, worüber nachgedacht wird und was manche det wird. schon jetzt als große Gefahr erkennen: Man tut sich au- ßerhalb der Verträge zusammen und versucht, Außenpo- Ich habe erwartet, dass von den wichtigen Konsulta- litik zu betreiben. So sorgt man für mehr Kernspaltung tionen mit dem französischen Premierminister Chirac anstatt für Kernfusion innerhalb der Europäischen sowie gestern mit Herrn Blair – in der nächsten Woche Union. finden Konsultationen mit beiden zusammen statt – an- dere Signale ausgehen würden. Es sind nämlich keine Ich sage deshalb an dieser Stelle noch einmal: Wir positiven Signale von diesen Treffen ausgegangen. Es ist fordern von der Bundesregierung, dass sie ihre große keine Linie aufgezeigt worden, wie man gemeinsam ver- Verantwortung wahrnimmt und auf der Grundlage des suchen will, das dahindümpelnde Schiff wieder in tiefere EU-Konvents in den nächsten Wochen Kompromissbe- Gewässer zu bringen. Im Gegenteil: Die Reaktionen auf reitschaft zeigt. Das Prinzip der doppelten Mehrheit ist die Treffen zeigen doch, wie skeptisch diese Gespräche richtig. Wir unterstützen es aus vielerlei Aspekten. Die gesehen werden. Man hat nicht deutlich gemacht, dass Ausgestaltung des Prinzips der doppelten Mehrheit darf diejenigen, die für den europäischen Integrationsprozess aber nicht dazu führen, dass daran letztlich die entschei- entscheidend sind, Verantwortung dafür tragen, Kom- denden Verhandlungen zur Verfassung scheitern. Wir promisslinien aufzuzeigen. wollen bis Mitte dieses Jahres einen Kompromiss; wenn dieser nicht gelingt, dann – das ist unsere Meinung – (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten brauchen wir einen neuen Verfassungskonvent. der CDU/CSU) Vielen Dank. Das hat bei dem Treffen zwischen Schröder und Chirac in Genshagen sowie bei dem Treffen zwischen Schröder (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und Blair gefehlt. Die Reaktion darauf wird Zurückhal- der CDU/CSU) tung und Abwarten sein. Man fragt sich: Soll die Angst in der Europäischen Union wirklich stärker dominieren Präsident Wolfgang Thierse: (B) oder nicht? Genau das schafft das falsche Klima und die Ich erteile Kollegen Michael Roth, SPD-Fraktion, das (D) falsche Atmosphäre für die nächsten Monate. Wort. Die Iren sind mit ihrer vorsichtigen Art zu sondieren aus meiner Sicht Hoffnungsträger: Sie zeigen mögliche Michael Roth (Heringen) (SPD): Perspektiven auf und versuchen damit, alle zusammen- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zubringen. Zweifellos, liebe Frau Kollegin Leutheusser- Schnarrenberger, ist die Europäische Union in einer Ich erwarte aber, dass man sich in Deutschland nicht schwierigen Lage. Wir befinden uns in einer Krise. Was nur mit Chirac und Blair trifft. Ich erwarte, dass in den mich immer noch hoffnungsfroh stimmt, ist, dass es nächsten Wochen – natürlich vor dem 1. Mai – Gesprä- große Erwartungen gegenüber dem wunderbaren politi- che mit den Verantwortlichen aus anderen Mitgliedstaa- schen Projekt Europa gibt. Andererseits sinkt das Ver- ten – natürlich auch mit den Spaniern, selbst wenn es trauen in die EU – vor allem das Vertrauen in die Institu- noch so schwierig ist, natürlich mit den Portugiesen, tionen der Europäischen Union – rapide. Da haben Sie aber auch mit den Ungarn und den Tschechen – geführt völlig Recht. werden. Aber ich komme zu etwas anderen Schlussfolgerun- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gen als Sie. Ich sehe ein großes Problem, über das Sie, der CDU/CSU – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, nicht gesprochen ha- Auch mit der Opposition muss gesprochen wer- ben. Es lohnt sich, über den Kern der Idee eines verei- den!) nigten Europas zu reden, gerade weil die Bürgerinnen und Bürger spüren, ahnen und einige vielleicht sogar Sie alle haben nämlich ein Interesse daran, dass die Ost- wissen, dass das nationalstaatlich organisierte politische erweiterung, die Europäische Union der 25, gelingt und Handeln immer mehr an seine Grenzen stößt. Was ist die dass der 1. Mai nicht zu einem Datum wird, über das es Konsequenz daraus? Darauf haben Sie keine Antwort später einmal heißt: An diesem Datum hat der Rück- gefunden. Ich glaube, dass auch die FDP darauf keine schritt der Europäischen Union zu einer Wirtschafts- Antwort finden wird. union begonnen. – Wir brauchen nämlich eine politische Union. (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: In Europa bekommen wir die Antworten!) Wenn die Bürgerinnen und Bürger eines von der Euro- päischen Union erwarten – das zeigt das Eurobarometer Die Globalisierung ruft Ängste, Skepsis und Ableh- ganz deutlich –, dann ist es eine Gemeinsame Außen- nung hervor. Das spüren wir überall. Das liegt unter an- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8201

Michael Roth (Heringen) (A) derem daran, dass sich die EU im Bewusstsein der Men- – Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Kollege Müller. Kol- (C) schen zweifellos als funktionierender Binnenmarkt lege Altmaier hat soeben eine Rede gehalten, die hätte er profiliert hat. Aber das ist zu wenig. Die EU hat sich mit einmal in der CDU/CSU-Fraktion halten müssen. einer gemeinsamen Währung profiliert. Das ist ebenfalls (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Herr Fischer zu wenig. Sie hat sich mit einem Wettbewerbsmodell schläft schon ein bei Ihrer Rede!) profiliert. Auch das ist zu wenig. Die Europäische Union ist nur zukunftsfähig, wenn sie sich auch – da stimme ich Denn die Union versagt aus meiner Sicht als Europapar- Ihnen zu – als starker, verantwortungsbewusster interna- tei, und zwar immer mehr, weil Sie mit Ihrer Politik der tionaler Akteur, als Promoter von Bildung, Qualifizie- gespaltenen Zunge an Ihre Grenze stoßen. rung und Beschäftigung – so wie es Kollege Steenblock (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ausgeführt hat – profiliert. DIE GRÜNEN – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Sie muss sich aber auch als Garant einer nachhaltigen Jetzt wecken Sie den Fischer auf!) sozialen und ökologischen Politik mit klaren sozialen Lieber Kollege Altmaier – wir wissen hoffentlich, Regeln profilieren. Das europäische Sozialmodell ist dass wir uns gegenseitig schätzen –, ich habe ein Thema im internationalen Maßstab wettbewerbsfähig. Aber wir vermisst, und zwar das Thema Türkei, das vor allem müssen etwas dafür tun, damit dieses europäische So- Kollege Hintze wie eine Monstranz vor sich herträgt. zialmodell auch in Zukunft wettbewerbsfähig ist, dass Gerade damit wird der Populismus in der Europäischen die Bürgerinnen und Bürger spüren, dass die Politik sich Union genährt. Mit dieser unsäglichen Türkeidebatte ihrer Sorgen und Nöte annimmt und Antworten auf die werden Ängste geschürt. Jetzt betreiben Sie noch Hara- großen drängenden Fragen der Zeit findet. kiri in Sachen Europa, indem Sie, Kollege Müller und Kollege Singhammer, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Nur noch Tabus!) Deshalb bleibt uns gar nichts anderes übrig, als für das europäische Verfassungsprojekt zu streiten. Denn heute fordern, dass – auch bei einer Einigung im aktuel- len Streit um die Stimmengewichtung – die EU-Verfas- dieses Verfassungsprojekt hat deutlich gemacht: Die sung abzulehnen ist. Union ist nicht nur eine politische Kraft des Marktes, nein, sie ist auch eine Kraft, die für Werte eintritt. Sie ist (Günter Gloser [SPD]: Hört! Hört! – Dr. Gerd nicht nur eine Union der Staaten, sie ist ebenso eine Müller [CDU/CSU]: Der Fischer muss einmal Union der Bürgerinnen und Bürger. Die Vermittlung die- deutsche Positionen formulieren!) (B) ser Tatsachen ist bislang nicht in dem Maße gelungen, (D) Sie bauen doch immer höhere Hürden auf. Kürzlich, vor wie es eigentlich notwendig wäre. Ich bin davon über- wenigen Wochen, haben Sie noch gefordert – in diesem zeugt, dass das Verfassungsprojekt die Bürgerinnen und Punkt stimmt Herr Altmaier nicht mehr mit Ihnen und Bürger wieder näher an die EU heranführen kann, weil der CSU überein –, die Debatte über die finanzielle Vo- es zum Gelingen dieses Verfassungsprojektes keine ver- rausschau mit der Verfassungsdebatte zu verknüpfen. antwortbare Alternative gibt. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das macht er (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Weil das so doch!) sein muss, ist es so!) Sie stimmen in Ihren eigenen Reihen doch vorne und Wir müssen jetzt darüber nachdenken, wie und mit hinten nicht miteinander überein. Sie müssen erst einmal welcher Strategie wir in die nächsten Wochen gehen. Ich eine klare Position entwickeln. Dann können Sie hier plädiere für Kompromissbereitschaft. Aber es kann doch selbstbewusst auftreten und für Europa streiten. jetzt zu diesem frühen Zeitpunkt keine Festlegung auf (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ vermeintliche Kompromisse geben, die die EU weder DIE GRÜNEN – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: demokratischer noch handlungsfähiger machen. Deswe- Na also, endlich ein bisschen Feuer!) gen kann jetzt nicht darüber geredet werden, beispiels- weise die EU-Kommission immer größer werden zu las- Ich will aber nicht nur in Ihre Richtung kritische sen. Es kann nicht darum gehen, dass wir noch einmal Anmerkungen machen, sondern auch in Richtung derje- eine Debatte darüber führen, wo wir von dem Prinzip der nigen, die ab dem 1. Mai dieses Jahres mit uns zusam- Mehrheitsentscheidungen in der Europäischen Union ab- menarbeiten wollen und müssen. Was mich, liebe Kolle- weichen. Es kann auch nicht noch einmal eine Diskus- ginnen und Kollegen, bei vielen Gesprächen beunruhigt sion darüber geben, dass wir das Prinzip der doppelten hat, ist, dass nicht wenige in Mittelosteuropa die EU als Mehrheit infrage stellen. Es kann auch keine Diskussion Nachfolgeorganisation der Sowjetunion und Brüssel in darüber geben, dass wir die EU als internationale Frie- der Tradition des stalinistischen Moskau sehen. densmacht, als Garant der internationalen Sicherheit in- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Mit wem frage stellen. reden Sie denn da?) (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Über was darf Ich glaube, dass noch viele Gespräche und Diskussio- dann diskutiert werden, wenn lauter Tabus am nen und viel Überzeugungsarbeit notwendig sind. Denn Rande stehen?) die Faszination, die von der EU ausgeht, ist, dass wir 8202 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Michael Roth (Heringen) (A) demokratisch mitentscheiden können, dass wir an die- desregierung ist voller Widersprüche. Sie laden der Eu- (C) sem Projekt mitarbeiten können und dass jeder ge- ropäischen Union zusätzliche Aufgaben auf, sagen aber braucht wird: die Kleinen genauso wie die Großen und nicht, wie sie finanziert werden sollen. die Finanzschwächeren ebenso wie die Finanzstärkeren. (Günter Gloser [SPD]: Es wird nicht richtiger, Es ist doch gerade das Prinzip der Solidarität, das in an- wenn Sie es wiederholen!) deren politischen Systemen, die glücklicherweise zum Einsturz gekommen sind, vermisst wurde. Ich nenne drei konkrete Beispiele. Erstes Beispiel: Kanzler Schröder initiiert gemeinsam mit Herrn Chirac Daher kann ich der irischen Präsidentschaft, die ihre zweifelhafte europäische Investitionsprogramme ohne Sache, was das Management angeht, ganz hervorragend europäischen Mehrwert, ausschließlich um die nationa- macht, nur alles Gute wünschen. Ich bin mir sicher, dass len Haushalte zu entlasten. Das geplante Volumen be- wir während der irischen Präsidentschaft sehr weit kom- trägt 50 Milliarden Euro. men werden. Ich hoffe, dass es uns hier im Bundestag gelingt, dem Verfassungsprojekt neue Impulse zu verlei- Zweites Beispiel: Nach der Lissabon-Strategie soll hen. die Europäische Union der Motor für Innovation in Europa sein. Das Ergebnis finden Sie in der Finanzpla- (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das schaut nung der Kommission. Die Ausgaben für Forschung und nicht so aus!) Entwicklung werden glatt vervierfacht. Offensichtlich Mein Eindruck ist, dass Europa mehr kann, als der Ver- glauben die Regierungschefs, eine zentral gesteuerte eu- trag von Nizza zulässt. Um es deutlich zu sagen: Europa ropäische Innovationspolitik sei erfolgreicher als eine muss auch mehr können als das, was im Vertrag von nationale. Nizza festgelegt ist. Das sind wir den Bürgerinnen und (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das ist Bürgern in der Europäischen Union nämlich schuldig. Stamokap!) Vielen Dank. Ich glaube, das ist einer der größten Irrtümer der Lissa- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bon-Strategie schlechthin. Ganz im Gegenteil: Innova- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tionen erfolgen in geeigneten Mikrostrukturen, in dezen- tralen Clustern. Wir werden erleben, dass zig Milliarden Euro ohne Wirkung verpuffen werden. Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile Kollegen Albert Rupprecht, CDU/CSU- Drittes Beispiel: Wer der Türkei den Beitritt in Aus- Fraktion, das Wort. sicht stellt, muss auch sagen, wie er ihn finanzieren will; auch das ist gemeint, wenn wir von „Integrationsfähig- (B) (D) Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): keit“ reden. Die Vollmitgliedschaft der Türkei wird Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir Europa nach Berechnungen der Kommission 20 Milliar- alle erwarten die Erweiterung der Europäischen Union in den Euro pro Jahr kosten; davon entfielen auf Deutsch- 76 Tagen mit Spannung. Wir stellen aber auch fest, dass land 5 Milliarden Euro pro Jahr. Deutschland steht Kopf, die Situation zurzeit ziemlich verfahren ist: Die Finan- weil uns die Mautausfälle 2004 2,5 Milliarden Euro kos- zierung ist ungeklärt, der Stabilitätspakt ist massiv ange- ten. Der Beitritt der Türkei würde Deutschland jedes griffen, die institutionellen Fragen sind offen und die Zu- Jahr das Doppelte kosten, nämlich 5 Milliarden Euro. kunft des Verfassungsvertrages ist unsicher. Natürlich Erklären Sie das bitte der deutschen Öffentlichkeit! hat Helmut Schmidt Recht, wenn er sagt: Es war ein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Fehler, die Erweiterung zu vollziehen, bevor die Finan- zierung und die institutionellen Fragen geklärt sind. Statt die Aufgaben und damit auch die Ausgaben der Europäischen Union zu reduzieren, wollen Sie – ganz im Welchen Beitrag hat die Bundesregierung in der in- Gegenteil – die Kompetenzen der Europäischen Union tensiven Phase vor der Erweiterung geleistet? In einem mehren. Sie sagen aber wiederum nicht, wie Sie das fi- Punkt hat die Bundesregierung absolut Recht: Es ist nanzieren wollen. Nach Ihren Vorstellungen werden im vollkommen inakzeptabel, dass der Beitrag Deutsch- Verfassungsvertrag auf 30 Politikfeldern neue Kompe- lands zur Finanzierung des europäischen Haushalts in tenzen geschaffen und jedes neue Politikfeld führt natür- den nächsten zehn Jahren um sage und schreibe lich früher oder später zu Initiativen und zu höheren 43 Prozent ansteigen soll. Das entspricht rund 10 Mil- Kosten. liarden Euro mehr pro Jahr. Das ist schlichtweg nicht fi- nanzierbar und vollkommen unrealistisch. Am Mittwoch waren der Finanzminister und der Au- ßenminister im Europaausschuss. Eichel redet vom (Zuruf von der SPD: Sagen Sie das mal dem Sparen und von einer 1-Prozent-Obergrenze für den eu- sächsischen Ministerpräsidenten!) ropäischen Haushalt, Fischer freut sich dagegen über ein großes Europa mit vielen Aufgaben. Auch die grüne Insgesamt hat die Bundesregierung bei wesentlichen Haushaltskommissarin Schreyer war im Haushaltsaus- Fragen der Vorbereitung auf die Erweiterung in den ver- schuss anwesend und hat sich redlich bemüht, den bei- gangenen Monaten keine überzeugende Rolle gespielt. den Herren zu erklären, dass derjenige, der Europa stän- Ganz im Gegenteil: Die Bundesregierung hat die Kon- dig mit neuen Aufgaben zudeckt, auch sagen muss, wie flikte in Europa durch eine Vielzahl von Widersprüchen er es finanziert. verschärft. Das war auch beim Thema der Woche, der mittelfristigen Finanzplanung, so. Die Position der Bun- (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: So ist es!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8203

Albert Rupprecht (Weiden) (A) Ich stimme Frau Schreyer in ihrer Analyse zu, absolut. herausgebildet: Die ostdeutschen Ministerpräsidenten (C) Ich glaube nur, die Lösung ist eine andere: Es geht nicht machen mit der Kommission gemeinsame Politik gegen um mehr Geld, sondern es geht darum, Aufgaben end- Bundeskanzler Schröder, ganz vorne dabei die SPD-Mi- lich nach Deutschland zurückzuverlagern, wo immer es nisterpräsidenten. möglich ist. Es ist doch zum Haareraufen, dass alle dies- bezüglichen Versuche bisher im Sande verlaufen sind; (Günter Gloser [SPD]: Was? Das ist eine auch der Konvent war hier eine klare Enttäuschung. Unterstellung!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Minister Eichel quittiert dies lapidar mit: Die ostdeut- schen Ministerpräsidenten spielen unsere Spanier. Europa muss an vielen Stellen wesentlich schlanker wer- den, es muss sich auf seine Kernaufgaben konzentrie- (Günter Gloser [SPD]: Bayerisches Lügen- ren. Ich nenne Ihnen einen konkreten Vorschlag zur märchen!) Rückverlagerung: die Einführung der nationalen Kofi- Aber das ist doch wirklich abstrus: Die deutschen Minis- nanzierung der Landwirtschaft im Umfang von 50 Pro- terpräsidenten trauen eher dem französischen Kommis- zent. So spart Europa Geld und die nationale Verantwor- sar Barnier zu, Arbeitsplätze in Deutschland zu retten, tung für die Landwirtschaft wird gestärkt. als dem deutschen Kanzler Gerhard Schröder. Sehr geehrte Damen und Herren, widersprüchlich (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gerd Müller handelt die Bundesregierung nicht nur auf europäischer [CDU/CSU]: Da liegen sie auch richtig!) Ebene, sondern auch dort, wo Deutschland selbst betrof- fen ist. Das passiert, wenn man Vertrauen verspielt. ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie Dies sind nur einige Beispiele, die aber zweierlei zei- haben doch Ihre eigenen Widersprüche!) gen. Erstens. Die Europapolitik der Bundesregierung ist voll tiefer Widersprüche und dadurch unzuverlässig. Der Kanzler hat Weihnachten 2000 in seiner Weidener Erklärung über fünf Seiten ausgebreitet, wie er Deutsch- (Anna Lührmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- land, insbesondere die Grenzregionen, für die Ost- NEN]: Und die der Union nicht?) erweiterung fit machen will. Er hat unter anderem den Zweitens. Durch diese Widersprüche hat die Bundesre- Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, gierung und insbesondere der Kanzler massiv an Ver- Sachsen und Bayern ein „materiell unterlegtes Pro- trauen verloren, sowohl bei den Regierungschefs anderer gramm der Förderung der Grenzregionen“ versprochen. europäischer Staaten als auch bei den Menschen in (B) Dieses nationale Programm ist bis heute – drei Jahre spä- Deutschland selbst. Gerade Verlässlichkeit und Ver- (D) ter! – nach wie vor mit 0 Cent ausgestattet. trauen sind aber zwingend notwendig, um Europa aus Die Ministerpräsidenten der Länder an der Grenze zur den derzeitigen Konflikten herauszuführen. Tschechischen Republik und zu Polen sind natürlich in (Beifall bei der CDU/CSU) Sorge, denn der Standortwettbewerb wird hart werden. Je näher der 1. Mai kommt, desto panischer werden ins- besondere die Ministerpräsidenten der neuen Länder. Präsident Wolfgang Thierse: Deswegen kämpfen sie mit Zähnen und mit Klauen um Ich erteile das Wort dem Bundesminister Joseph die Erhaltung der europäischen Strukturförderung. Da Fischer. gibt es nun zwei Möglichkeiten. Möglichkeit eins: Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deutschen Regionen bleiben weiter europäische Förder- und bei der SPD – Gernot Erler [SPD]: Eine regionen. Dann wird – in der Konsequenz – der europäi- Erlösung!) sche Haushalt aufgebläht. Oder Möglichkeit zwei: Die deutschen Regionen fallen aus der Förderung heraus. Der Bund zahlt den betroffenen Regionen aber einen ad- Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: äquaten Ausgleich. Dann braucht Europa weniger Geld Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben und die horrenden Beiträge Deutschlands könnten redu- uns gerade vorgeworfen, die Politik der Bundesregie- ziert werden. rung sei widersprüchlich. Wenn ich aber die Rede des Kollegen Altmaier – ich teile zwar nicht alle, aber doch Eigentlich wäre die zweite Möglichkeit der wesent- die meisten seiner Grundannahmen – mit der seines lich bessere Weg. Nur, die deutschen Ministerpräsiden- Fraktionskollegen von der CSU vergleiche, dann muss ten trauen dem Kanzler nicht. Sie glauben nicht, dass es ich feststellen, dass zwischen diesen Reden Welten lie- wirklich einen deutschen Ausgleich geben wird. Nach gen. Sie vertreten völlig unterschiedliche Konzeptionen. der Erfahrung mit der Weidener Erklärung, ganz frei nach dem Motto „Wer einmal lügt, dem glaubt man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht“, ist das auch keine Überraschung. und bei der SPD) So hat sich nun in den vergangenen Wochen eine ab- Dieses Problem müssen aber nicht wir lösen, sondern solut bedenkliche und abstruse Konstellation Sie. Das wird offensichtlich nicht einfach werden. (Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE (Günter Gloser [SPD]: Nun ist Frau Merkel GRÜNEN]: Abstrus ist diese Rede!) nicht da!) 8204 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Bundesminister Joseph Fischer (A) Die Europäische Union steht vor einer ganz großen cherweise hätten Sie zuerst eine Antwort auf die Frage (C) Veränderung. Ich möchte, gerade unter dem Eindruck, finden müssen, warum es uns in Amsterdam nicht ge- den mir meine gestrige Reise nach Kaliningrad vermit- lungen ist, die anstehenden Probleme zu lösen. Diese Si- telt hat, unterstreichen: Die Überwindung der Teilung tuation hat über Nizza schlussendlich zum Konvent Europas führt dazu, dass Deutschland auf der Sonnen- geführt. Ich habe damals in der Opposition die Europa- seite dieser historischen Entwicklung steht. Dafür sind politik von Bundeskanzler Kohl in wesentlichen Teilen wir dankbar und dafür sollten wir auch dankbar sein. mit unterstützt, auch die Finanzierungskonsequenzen, die sich daraus ergeben haben. Sie wissen so gut wie ich, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dass es, bedingt durch die deutsche Einheit, durch das und bei der SPD) wesentlich komplexer werdende Europa und durch die Zum ersten Mal seit der Bildung des Nationalstaats ist Schwierigkeiten, die im Inneren liegen, schon in Ams- für Deutschland die Lage in der Mitte Europas nicht terdam nicht gelungen ist, die Fragen zu lösen, die dann Last. Sie wird in dem zusammenwachsenden Europa mit am Ende zum Konvent geführt haben. offenen Grenzen vielmehr zu einem völlig veränderten Sicherheitsumfeld führen. Die Konsequenz wird sein, Damals gab es eine andere Regierung. Weil es diesel- dass an allen unseren Grenzen die Situation so sein wird ben Themen sind, kann es also nicht daran liegen, dass wie schon heute an unserer Westgrenze. sich die Politik, dass sich das Verhalten etc. verändert haben. Vor allem, weil wir hier einen sehr breiten Kon- Dieses Europa wird zusammenwachsen. Die Natio- sens haben, verstehe ich, dass die Opposition das alles nen werden zwar bestehen bleiben, aber vieles von dem, vorbringen muss. Sie müssen aber auch sehen, dass was für uns heute noch eine bestimmte Bedeutung hat, schon in Amsterdam, wo noch andere die Verantwortung wird in dem sich vereinigenden und integrierenden Eu- trugen und das Vertrauen angeblich noch vorhanden war, ropa eine ganz andere Bedeutung bekommen. Europa der Konsens aufgrund derselben Probleme nicht möglich wird offen sein. Die Situation wird kooperativ werden, war. Für uns war es entscheidend, dass wir in Nizza zu- so wie wir das an den Westgrenzen als selbstverständlich gestimmt haben, obwohl wir um die Schwächen wuss- empfunden haben, und nicht mehr konfrontativ sein. ten, weil es ansonsten zu einer Blockade des Erweite- Deswegen ist der 1. Mai meines Erachtens ein histori- rungsprozesses gekommen wäre. Deswegen wurde sches Datum. während der französischen Präsidentschaft bereits in den Schlussfolgerungen von Nizza der Weg nach Laeken hin (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Nur hat es ein zum Konvent geöffnet. bisschen länger gedauert! Das ist doch die Sorge der Menschen!) Im Konvent ist es gelungen, einen Kompromiss zu er- (B) – Selbstverständlich hat es länger gedauert. Ich muss Ih- reichen. (D) nen dazu aber sagen: Die Frage der europäischen Inte- (Peter Altmaier [CDU/CSU]: Dabei haben wir gration ist 1989 mit dem Fall der Mauer entschieden Ihnen ja auch geholfen!) worden. – Wir bedanken uns dafür. Das ist bestens. Ich bedanke (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mich ebenfalls für die weitere Hilfe und bin mir sicher, und bei der SPD) dass es sie auch in Zukunft geben wird, weil wir jenseits Wir können die Idee der europäischen Einheit nicht auf aller Konfrontationsrhetorik wichtige Positionen teilen. einen kleinen westeuropäischen Ansatz reduzieren – ich Mit der CSU ist es etwas schwieriger. Wenn es aber am denke, darin waren wir uns immer einig –, wenn auch Ende Ernst wurde, sind auch sie immer dabei gewesen; die anderen Staaten, gründend auf Freiwilligkeit – das ist das finde ich auch gut und richtig. selbstverständlich –, dazugehören wollen. Und alle wol- Ich möchte hier den entscheidenden Punkt anspre- len dazugehören. Deswegen können wir keine künstli- chen: Wir brauchen in der 25er-Union ein transparentes chen neuen Grenzen ziehen, ohne schweren Schaden für und einfaches Entscheidungsverfahren. Am wichtigs- das Europa der Integration anzurichten. Das dürfen wir ten ist: Es geht hier nicht um das Prestige. Ich habe den nicht tun. Bundestag auch nie so verstanden, dass die Frage, ob Die Schwierigkeit, vor der wir stehen, besteht darin, Deutschland mit Frankreich, Großbritannien und Italien dass nun folgende drei Schritte unternommen werden gleichberechtigt ist, entscheidend ist. Das ist sie zumin- müssen: Die räumliche Erweiterung der Union muss um- dest aus Sicht der Bundesregierung nicht. Ich behaupte gesetzt werden. Gleichzeitig muss eine Vertiefung statt- auch, dass dies über alle Fraktionen des Deutschen Bun- finden; das heißt diese Union muss handlungsfähig und destages hinweg in weiten Teilen nicht unser Problem transparent werden und muss ein Akteur sein, der nach ist. Das Problem von Nizza ist, dass das dort verabschie- außen seine Interessen vertreten kann. dete Abstimmungssystem intransparent ist und dass es vor allen Dingen auf die Blockademöglichkeit von Min- (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das muss doch derheiten gründet. Das ist der entscheidende Punkt. Wir als Erstes kommen!) dagegen wollen Gestaltungsmehrheiten. Außerdem muss die Finanzierung dieser erweiterten Kollege Altmaier, damit komme ich zu einem weite- Union geklärt werden. ren wichtigen Punkt. Sie verlangen von uns, zu sagen, Auch ich könnte hier natürlich Polemik betreiben, alle müssten sich bewegen. Es stellt sich aber die Frage, Herr Kollege Altmaier, will das heute aber lassen. Ehrli- in welchem System dies geschehen soll. Man wird Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8205

Bundesminister Joseph Fischer (A) schwerlich sagen können, dass sich hier alle bewegen gewehrt werden. Das Thema wird emotionalisiert, ob- (C) müssen. Ich glaube, das wird nicht funktionieren. Sie ha- wohl wir hier über eine langfristige Perspektive reden ben anklingen lassen, es müsse das System der doppel- und es um eine rationale Abwägung geht. Ich kann Ihnen ten Mehrheiten geben. Genau das ist auch die Position eines prophezeien: Das wird nicht funktionieren. Im Ge- der Bundesregierung und der Koalition. Hier gibt es ei- genteil: Die Zusagen, die in der Vergangenheit gemacht nen breiten Konsens. Es wird versucht, das alles in die- wurden, wurden unter Teilhabe der CSU in allen Bun- sem Rahmen anzustreben. Ich muss Ihnen das doch nicht desregierungen gemacht. erklären. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Erzählen Sie Der Bundestag hat durch seine Ausschüsse enge doch keine Märchen! Das müssen Sie ganz al- Kontakte mit den Partnern. Sie wissen um die Schwie- lein und sonst niemand verantworten!) rigkeiten. Auf diese möchte ich nicht im Detail einge- hen. Es bedarf nicht Ihrer Aufforderung, dass wir uns Wir werden Sie aus dieser Verantwortung nicht entlas- mit den Briten, den Franzosen, den Spaniern, den Polen, sen. den Slowenen, den Ungarn und mit wem auch immer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nur, um einmal abzuarbeiten, mit wem wir in den letz- und bei der SPD) ten Tagen und Wochen über diese Fragen gesprochen ha- ben – treffen; denn diese Treffen sind selbstverständlich. Ich möchte unterstreichen: Die irische Präsidentschaft Präsident Wolfgang Thierse: hat unser volles Vertrauen. Ich denke, ihr Verfahrensvor- Herr Minister, Sie müssen bitte zum Ende kommen. schlag und ihr Engagement verdienen jede Unterstüt- zung. Diese erhält sie von uns auch. Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, eines verstehe ich Herr Präsident, ich komme zum Schluss. aber nicht: Die Probleme liegen nicht beim Konvent, sie Ich freue mich über die Unterstützung des Bundesta- liegen bei der Umsetzung der Ergebnisse. Es geht um ges, der an der Notwendigkeit einer Verfassung festhält. den Weg vom Konvent in die Nationalstaaten, also in die An der Kompromissbereitschaft und am Engagement der an der Regierungskonferenz beteiligten Regierungen. Bundesregierung wird es nicht mangeln, der irischen Sie sagen, entweder müsse die Umsetzung in diesem Präsidentschaft zum Erfolg zu verhelfen. Ich wünsche Frühjahr geschehen oder wir brauchten einen neuen mir, dass wir unter der irischen Präsidentschaft zu einer Konvent. Ich begreife nicht, wie uns das helfen sollte. Einigung kommen. Aber wenn nicht, dann wird die nie- Im Grunde genommen würde dadurch die Tür für einen derländische Präsidentschaft, die sich darauf schon vor- gewaltigen Rückschritt geöffnet werden. Jeder, der den (B) bereitet, in der Pflicht sein. Ich wünsche mir eine Lösung (D) Verfassungsprozess eher nicht wollte – ich will das Ge- noch in diesem Frühjahr. Ich denke, die Chancen dazu genteil; ich unterstütze diesen Prozess voll –, müsste ei- bestehen. Was wir dazu beitragen können, werden wir gentlich auf Ihren Vorschlag eingehen. Er müsste bis tun. Sommer blockieren, um danach einen neuen Konvent durchzuführen. Dann würde er den Faden neu aufziehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Am Ende gäbe es dann aber gar nichts. Davor möchte und bei der SPD) ich hier nachdrücklich warnen. Ehrlich gesagt scheint mir das nicht sinnvoll. Präsident Wolfgang Thierse: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich erteile das Wort Kollegin Claudia Winterstein, und bei der SPD) FDP-Fraktion. Wir befinden uns hier in einer schwierigen Situation. Herr Kollege Altmaier, ich möchte Ihnen nicht ausreden, Dr. Claudia Winterstein (FDP): das zu verbinden. Die Irakposition der Union ist im Volk Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und wirklich sehr mehrheitsfähig. Deshalb wünsche ich mir, Herren! Ich möchte auf die Agenda 2007 eingehen, weil dass Sie sie möglichst oft und möglichst laut in mög- dies in den kommenden Monaten in den einzelnen Mit- lichst vielen Varianten vertreten. gliedstaaten ein sehr wichtiges Diskussionsthema sein wird. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Für die FDP ist eine tragende Säule des europäischen Einigungsprozesses das Prinzip der Solidarität unter Wie Sie angesichts der Erfahrungen, die wir jetzt ge- den Mitgliedstaaten. Das heißt, die armen Mitgliedstaa- macht haben, die Position der Bundesregierung in die- ten müssen selbstverständlich unterstützt werden. Soli- sem Punkt noch kritisieren können, verstehe ich nicht. darität bedeutet aber auch, dass den Nettozahlern und Das geht nur um den Preis des völligen Gedächtnisver- insbesondere Deutschland, das die finanziellen Folgen lustes bezogen auf Ihre eigene Position. Ich möchte die der Wiedervereinigung zu tragen hat und den Stabilitäts- Irakposition hier aber weiß Gott nicht weiter diskutieren. pakt dreimal gebrochen hat, nicht zu viel aufgebürdet Ich freue mich ausdrücklich, dass die CDU die wird. Auch unsere Leistungsfähigkeit hat Grenzen. Inso- Türkeifrage jetzt wesentlich realistischer sieht. Bei der fern ist aus Sicht der FDP die Forderung der Bundesre- CSU ist das ganz offensichtlich noch anders einzuschät- gierung, die Ausgabenplanung der EU auf 1 Prozent des zen. Ihrer Meinung nach soll der Beitritt der Türkei ab- Bruttonationaleinkommens zu begrenzen, völlig richtig. 8206 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Dr. Claudia Winterstein (A) Offensichtlich scheinen dies die Grünen nicht ganz so Präsident Wolfgang Thierse: (C) zu sehen, denn Herr Steenblock hat vorgestern den Vor- Ich erteile das Wort Kollegen Gernot Erler, SPD- schlag der Kommission für die Erhöhung der EU-Aus- Fraktion. gaben als einen guten Kompromiss bezeichnet. Ich frage mich: Was gilt nun eigentlich? Die Bundesregierung hat Gernot Erler (SPD): noch im Dezember von 1 Prozent gesprochen. Herr Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Steenblock scheint nun die Grenze von 1,15 Prozent für erleben in diesem Jahr einen Höhepunkt des europäi- richtig und gut zu halten. Jedenfalls setzt offenbar die schen Wiedervereinigungsprozesses, eines Prozesses Kommission darauf, für die neuen Aufgaben zusätz- von historischer Dimension. Wir werden aber nicht den liches Geld zu bekommen. Das ist aber unserer Meinung Abschluss dieses Prozesses erleben. Verfassungsfragen nach der falsche Weg. und Finanzfragen sind außerordentlich wichtig und es ist Es darf nicht darum gehen, einfach aufzustocken. Das bitter, dass die Probleme im Moment nicht gelöst sind. Ziel muss sein, intelligent und zukunftsorientiert umzu- Diese Probleme dürfen aber dem historischen Prozess strukturieren. Einige Punkte will ich hierzu nennen. Die nicht in die Speichen greifen. Vielzahl der Fonds und Fördertöpfe muss verringert wer- Ich möchte für meine Fraktion erklären, dass ich doch den, um mehr Transparenz zu schaffen und zu einem sehr besorgt bin, dass einige Äußerungen gerade aus effizienteren Mitteleinsatz zu kommen. letzter Zeit aus den Reihen der CDU/CSU exakt die Funktion des In-die-Speichen-Greifens haben und die (Beifall bei der FDP) Probleme damit vergrößern. Wir sind uns dessen be- Wir brauchen auch eine neue Prioritätensetzung, zum wusst, dass die Erweiterung der Union von 15 auf 25 ein Beispiel für die Bereiche Forschung, Transeuropäische schwieriger Prozess wird, aber wir dürfen dabei nie ver- Netze, Sicherung der Außengrenzen und Kriminalitäts- gessen, welche enormen Schwierigkeiten in den Staaten bekämpfung. Diese neuen Aufgaben müssen natürlich überwunden worden sind, die jetzt das Recht auf Inte- angemessen ausgestattet, aber aus den vorhandenen Mit- gration in die Europäische Union erworben haben. teln bezahlt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ebenso müssen wir von der Gießkannenförderung weg und die Mittel tatsächlich auf die Schwächsten kon- Diese zwölf Jahre sind geprägt von einer enormen, zentrieren. Dabei ist klar, dass es Übergangsregelungen respektablen Leistung. Die müssen wir in Beziehung zu für diejenigen geben muss, die dann aus der Förderung den Problemen setzen, die wir vor uns haben. Das Min- herausfallen. Die FDP ist dafür, dass der Kohäsions- deste, womit wir auf diese Leistung reagieren, ist, dass (B) fonds mit der nächsten Finanzperiode, also bis 2013, dieser Integrationsprozess verlässlich bleibt und dass die (D) langsam ausläuft. Es muss auch so sein, dass andere Zusagen und Zeitpläne eingehalten werden. Länder, nämlich die armen neuen Mitgliedstaaten, noch in den Genuss dieses Fonds kommen. Die Länder Grie- In diesem Zusammenhang muss ich feststellen, dass chenland, Spanien, Portugal und Irland dürfen diese Gel- eine Infragestellung dieser Zeitpläne oder gar eine der nicht weiterhin erhalten. dumpf-populistische Ausgrenzungspolitik die falschen Antworten auf die Verfassungskrise sind. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die EU schiebt einen Berg von über 100 Milliarden DIE GRÜNEN) Euro an bewilligten, aber nicht abgeflossenen Mitteln Da muss ich eine Frage an Sie, Herr Wissmann, stellen. vor sich her. Das ist ein gesamter Jahreshaushalt der EU. Sie sind immerhin Vorsitzender des europapolitischen Es hapert offensichtlich entweder an förderfähigen Pro- Ausschusses. Sie haben Mitte Dezember plötzlich die jekten oder an der Kofinanzierung der Empfängerländer. von der EU beschlossenen Zeitpläne für Bulgarien und Das ist alles andere als eine effektive Einsetzung von Rumänien infrage gestellt. Wieso tun Sie das? Herr Geldern. Daher fordern wir generell kurze Verfallsfristen Stoiber hat vor drei Tagen plötzlich von der Notwendig- für die Mittel, die die EU für Projekte bereitstellt, wie es keit einer Erweiterungspause nach 2007 gesprochen. zum Beispiel neuerdings bei den Strukturfonds der Fall Wissen Sie eigentlich, was Sie damit anrichten? Wissen ist. Hier beträgt die Verfallsfrist drei Jahre. Ich halte das Sie eigentlich, wie viel Millionen von Menschen Sie mit für einen guten Weg, um die Gelder wirklich abfließen solchen unverantwortlichen Äußerungen verunsichern? zu lassen. Zurzeit gibt es Staus von über acht Jahren. Das Haben Sie eigentlich vergessen, welche friedenspoliti- halte ich für einen unhaltbaren Zustand. sche Bedeutung dieser ganze Integrationsprozess in den vergangenen zwölf Jahren hatte? (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die Verhandlungen mit den Ländern werden sicher nicht DIE GRÜNEN) leicht werden. Wir wissen, dass die Diskussion auch um andere Dinge geht. Es wird festzustellen sein, inwieweit Es gibt eine gesplittete Entwicklung in Osteuropa, wo Kompromisse gefunden werden können. Dennoch lautet die Integrationsperspektive einerseits tatsächlich zur Lö- unsere Forderung: umstrukturieren statt aufstocken. sung von Nachbarschaftskonflikten und Minderheiten- konflikten geführt hat. Andererseits wissen wir heute (Beifall bei der FDP) ganz genau, dass die Probleme auf dem Balkan mit vier Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8207

Gernot Erler (A) blutigen Kriegen auch etwas mit dem Fehlen einer ge- Präsident Wolfgang Thierse: (C) meinsamen europäischen Politik und mit dem Fehlen ei- Kollege Erler, gestatten Sie eine Zwischenfrage der ner Integrationsperspektive zu tun hatten. Deswegen hat Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger? die EU ihre Politik auch geändert. Denken Sie einmal an die Folgekosten von diesen Gernot Erler (SPD): Konflikten, wenn Sie schon über Kosten reden. Alleine Bitte sehr. für Bosnien-Herzegowina hat die Weltgemeinschaft seit 1995 mehr als 10 Milliarden Euro ausgegeben. Das wird Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): weitergehen. Die Kosten fallen auch im Kosovo, in Ma- Herr Kollege Erler, im Europaausschuss befassen wir zedonien und in der ganzen Region an. Der Integrations- uns intensiv mit der Fortführung der Erweiterung der prozess ist also auch ein Kosten sparender Prozess, ganz Europäischen Union um Bulgarien und Rumänien. Ich nebenbei gesagt. möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass Kommis- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sar Verheugen, als er das letzte Mal an einer Sitzung DIE GRÜNEN) des Europaausschusses teilgenommen hat, uns, den Ab- geordneten, gegenüber deutlich gemacht hat, dass er nicht richtig nachvollziehen könne, warum von den Präsident Wolfgang Thierse: Volksvertretern das Jahr 2007, sozusagen in Stein ge- Kollege Erler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des meißelt, als Datum für den Beitritt von Bulgarien und Kollegen Wissmann? Rumänien gesetzt worden ist. Ich frage Sie, inwiefern Sie die Position von Herrn Gernot Erler (SPD): Verheugen, der unserer Meinung nach eine hervorra- Herr Wissmann, bitte schön, gerne. gende Politik betrieben hat, die am 1. Mai zum Beitritt der zehn Länder führen wird, teilen und ob Sie auch der Matthias Wissmann (CDU/CSU): Auffassung sind, dass der Abschluss der Vorbereitungen Herr Kollege Erler, darf ich Sie fragen, wie Sie ei- in den einzelnen Kapiteln entscheidend für den Vollzug gentlich auf die Idee kommen, den Eindruck zu erwe- der Erweiterung ist. cken, ich hätte mich gegen die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien gewendet, wenn ich die Frage gestellt Gernot Erler (SPD): habe – die stelle ich auch hier –, wie wir eine weitere Er- Darin stimme ich Ihnen völlig zu. Das habe ich doch weiterung der Europäischen Union verantworten kön- gerade gesagt. Das entscheidende Kriterium muss sein, (B) nen, ohne vorher zu der von uns geforderten Vertiefung ob die Beitrittsvoraussetzungen erfüllt werden. (D) gekommen zu sein? Es ist doch wohl eine gemeinsame Position in diesem Haus, dass wir genau wissen, dass es (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: zwei Seiten einer Medaille gibt, nämlich Vertiefung und Eben nicht das Datum!) Erweiterung. Dass jeder von uns die Erweiterung um Es gibt – das weiß Herr Verheugen ebenso gut wie Sie Bulgarien und Rumänien wünscht, wenn die Bedingun- und ich – sehr klare Voraussagen, dass die Verhandlun- gen erfüllt sind, ist doch nie im Zweifel geblieben. gen mit Bulgarien sogar noch in diesem Jahr und die mit Rumänien auf jeden Fall im nächsten Jahr abgeschlossen Gernot Erler (SPD): werden können. Insofern sieht die Lage sehr gut aus. Herr Kollege Wissmann, schauen Sie einmal in die Welchen Sinn hat es, diese Länder und ihre politi- „Berliner Zeitung“ vom 16. Dezember letzten Jahres. schen Eliten, die diesen Verhandlungsprozess mit einem Darin werden Sie lesen, was Sie selber gesagt haben, großen persönlichen Risiko führen, zu verunsichern, in- nämlich dass Sie diesen Zeitplan infrage stellen. Sie wis- dem die Entscheidung, die in der EU schon gefällt wor- sen, dass ich mich besonders mit diesen beiden Ländern den ist, nämlich dass der Januar 2007 als Zielgröße gilt, beschäftige. Was Sie gesagt haben, ist unheilvoll. Es ist jetzt wieder infrage gestellt wird? Das ist doch nichts an- nicht mehr möglich, die von Ihnen verursachten Wogen deres als populistisches Gequatsche – wenn ich das ein- wieder zu glätten. Ihre Äußerung ist unverantwortlich. mal so nennen darf – im Zusammenhang mit der Europa- Es gibt zwar durchaus einen Zusammenhang zwi- wahl. schen Integrations-, Erweiterungs- und Vertiefungspro- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des zess, aber es geht nicht an, den Zeitplan infrage zu stel- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sabine len. Der Zeitplan hängt doch nur noch davon ab, ob die Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Das wer- betreffenden Länder ihre Vorbereitungen für den Beitritt den wir Herrn Verheugen mitteilen!) in den entsprechenden Kapiteln – das sind für Bulgarien sechs und für Rumänien noch elf – tatsächlich abschlie- – Ich kenne Herrn Verheugens Position zu Bulgarien und ßen. Dann muss es möglich sein, dass die Zusagen, die Rumänien sehr gut und weiß, dass er diesen Beitrittspro- diesen Ländern gegeben wurden, erfüllt werden. Das zess nicht infrage stellt. kann nicht wegen der Verfassungskrise infrage gestellt werden. Lassen Sie mich abschließend noch Folgendes anmer- ken. Ich habe vorhin über die Kosten gesprochen. Die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Erfahrung hinsichtlich der Friedenspolitik und der nach BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Beendigung von Konflikten anfallenden Kosten hat zu 8208 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Gernot Erler (A) einer Veränderung der europäischen Strategie geführt. deutschen Interesse ist und was uns in die Lage versetzt (C) Die Europäische Union verfolgt derzeit nur zwei Strate- – das ist historisch fast einmalig –, alte Teilungen zu gien: überwinden und eine bessere Zukunft zu gestalten. Des- wegen ist es gar keine Frage, dass das, was am 1. Mai Eine Strategie verfolgt die Erweiterung und den Inte- geschehen wird, in unserem gemeinsamen europäischen grationsprozess. Dabei ist völlig klar, dass Bulgarien und und nicht zuletzt in unserem nationalen Interesse liegt. Rumänien eine völlig unzweideutige Zusage gegeben werden muss, immer vorausgesetzt, dass die Beitrittsbe- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie dingungen im Laufe der Verhandlungen erfüllt werden. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Noch in diesem Jahr wird über den Beginn von Verhand- GRÜNEN) lungen mit der Türkei entschieden. Auch mit den fünf so genannten Westbalkanstaaten stehen Verhandlungen Herr Kollege Erler, trotz der Einigkeit über die Be- an. Kroatien hat schon einen entsprechenden Antrag ge- deutung dieses Datums ist es auch wahr, dass ein Groß- stellt, den die EU bis spätestens April dieses Jahres be- teil der Menschen der heutigen – das gilt auch für antworten wird. Wir erwarten demnächst einen Antrag Deutschland – und der künftigen Mitgliedstaaten der Eu- von Mazedonien. Des Weiteren sind Serbien/Montene- ropäischen Union noch nicht so sehr davon überzeugt ist gro, Bosnien-Herzegowina und Albanien zusammen mit wie – hoffentlich – Sie, ich und alle anderen in diesem den beiden anderen Ländern im Stabilisierungs- und Hohen Hause. Wir werden viel Arbeit haben, um die Assoziierungsprozess. Seit dem Europäischen Rat von Menschen zu überzeugen, dass dies in unser aller Zu- Thessaloniki ist klar, dass auch das eine Integrationsper- kunftsinteresse liegt und das Beste ist. Im Hinblick da- spektive darstellt. rauf ist es gefährlich, so wie Sie schon von den nächsten Beitritten zu sprechen. Wir müssen zuerst die Europäi- Die andere Strategie der EU besteht in der vertieften sche Union nach der Erweiterung um zehn neue Mitglie- Nachbarschaft, die sich auf die außerhalb der Europäi- der – das ist ein historischer Schritt – ein Stück weit kon- schen Union liegenden Länder, das „Wider Europe“, solidieren. bezieht. Eine dritte Strategie gibt es nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Ihre Kopfgeburten einer privilegierten Partnerschaft oder Ähnliches bedeuten einen europäischen Sonder- Ich rate hier zu äußerster Vorsicht. Sie könnten sonst die weg. Ich kann Ihnen nur raten: Hören Sie auf, sich für ei- Zustimmung der Bevölkerung zu dem europäischen nen europäischen Sonderweg einzusetzen! Europa wird Projekt mehr gefährden, als Sie und wir das wollen. seine Identität im Hinblick auf Frieden, Stabilität und Es ist besonders tragisch – darauf hat Peter Altmaier Wohlstand wahren, wenn es bei der Verlässlichkeit der bereits hingewiesen –, dass sich Europa ausgerechnet in (B) Aussagen zur Integration bleibt und wenn der Geleitzug dieser historischen Situation in einer schweren Krise be- (D) der europäischen Integration nicht bei der ersten großen findet. Das macht es nicht leichter, sondern schwieriger. Krise – in der wir uns zurzeit befinden – aus der Spur ge- Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Ein Grund war rät. das unterschiedliche Verständnis der Regierungen der Deswegen fordere ich Sie auf: Hören Sie auf, auf das heutigen und der künftigen Mitgliedstaaten der Europäi- Datum des Europawahlkampfes zu schielen! Hören Sie schen Union im Hinblick auf das Verhältnis Europas zur auf, für das beifällige Nicken von einigen Stammtischen atlantischen Partnerschaft und im Hinblick auf die die bisherige Verlässlichkeit infrage zu stellen! Rolle Europas angesichts der globalen Probleme. Es ist gut, dass wir dabei sind, dies zu überwinden. Aber das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ war eine der Ursachen. DIE GRÜNEN – [CDU/CSU]: Was haben Sie gegen den Stammtisch? – Eine andere Ursache ist natürlich der Streit über den Gernot Erler [SPD]: Dass Sie sich dort wohl Stabilitäts- und Wachstumspakt gewesen. Der Bun- fühlen, weiß ich! – Michael Glos [CDU/CSU]: desaußenminister war gestern anlässlich des 200. Todes- Es ist kein Wunder, dass man bei 24 Prozent tags von Immanuel Kant in Königsberg; das war auch liegt, wenn man die Stammtische verachtet!) gut so. Aber gegen den kategorischen Imperativ von Immanuel Kant ist verstoßen worden. Der Bundes- finanzminister hat gesagt, der Stabilitäts- und Wachs- Präsident Wolfgang Thierse: tumspakt sei nicht erfunden worden, um auf Deutsch- Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Schäuble, land angewandt zu werden. Ich kann dazu nur sagen: Die CDU/CSU-Fraktion. Regeln dieses europäischen Paktes gelten für große und kleine Staaten gleichermaßen. Das ist die Grundlage für Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Vertrauen. Wer dagegen verstößt, gefährdet das europäi- Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich sche Projekt. denke, es ist wichtig, in dieser Debatte noch einmal klar (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zu sagen – Peter Altmaier, der Bundesaußenminister und auch andere haben darauf schon hingewiesen –, dass die Beim Streit über die künftige Finanzausstattung der Erweiterung der Europäischen Union um zehn weitere Europäischen Union – das ist in dieser Woche im Euro- Mitglieder am 1. Mai dieses Jahres nicht nur etwas ist, paausschuss deutlich geworden – sind zwei Pole genau was historisch bedeutsam ist und was die europäische zu bedenken. Auf der einen Seite ist es wahr, dass dann, Spaltung überwindet, sondern auch etwas ist, was im wenn alle öffentlichen Haushalte, also die des Bundes, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8209

Dr. Wolfgang Schäuble (A) der Länder und der Kommunen, der Notwendigkeit der (Günter Gloser [SPD]: Das stimmt doch auch (C) Begrenzung von Ausgabezuwächsen unterliegen, dies nicht!) auch für den europäischen Haushalt gelten muss. Das Ich könnte vieles aufzählen, will es aber gar nicht tun. muss die Europäische Kommission verstehen und akzep- tieren. (Günter Gloser [SPD]: Ist Polen ein großes Land?) Aber wir müssen natürlich auf der anderen Seite se- hen, dass in den neuen Bundesländern – da sehen wir – Der Bundesfinanzminister – er heißt noch immer übrigens, wie schwer es ist, solche historischen Erweite- Eichel – hat gesagt, der Stabilitätspakt sei doch nicht er- rungen wirklich zu konsolidieren – noch immer erhebli- funden worden, um auf Deutschland angewandt zu wer- che Nachteile gegenüber den alten Bundesländern beste- den; er gelte für kleine Länder, aber nicht für Deutsch- hen. Wir hätten vor 15 Jahren vielleicht gar nicht land. So zerstört man Vertrauen. Das dürfen wir nicht geglaubt, dass es so sein würde, aber es ist die Wahrheit. fortsetzen. Das müssen wir korrigieren. Deswegen darf bei den Menschen in den neuen Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ländern natürlich unter gar keinen Umständen der Ein- druck entstehen, dass ausgerechnet sie nun durch Ver- Die Polen haben nicht zuletzt in den Auseinanderset- zicht auf die Regionalförderung, die sie bisher aus zungen von Frankreich und Deutschland den Eindruck Brüssel bekommen haben, die Zeche für die Osterweite- gehabt, sie hätten nicht die gleichen Rechte, sie seien rung bezahlen sollen. nicht gleichwertig. Ich würde Sie wirklich um eines bit- ten: Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Beschädigungen im wichtigen deutsch-polnischen Ver- So reden die Menschen. Darauf muss man die richtigen hältnis, das gut entwickelt war, wieder ein Stück weit re- Antworten finden und darf nicht einfach sagen – das pariert werden! Hören Sie nun wirklich auf, die Initiative macht überhaupt keinen Sinn –, man dürfe vor Stammti- für ein Zentrum gegen Vertreibungen für die Beschä- schen nicht einknicken. digung des deutsch-polnischen Verhältnisses verantwort- lich zu machen! Das ist nun wirklich ein grober Unfug. Bei der neuen Prioritätensetzung muss man mit der Kommission der Europäischen Union noch einmal inten- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Angelica siv darüber reden – anders wird es wohl nicht gehen –, Schwall-Düren [SPD]: Aber es ist so!) ob denn ihr Verständnis, dass jede mitgliedstaatliche Zu- – Frau Schwall-Düren, Sie hatten ja gleich gesagt: die ständigkeit für Regionalförderung gegen das Prinzip von CDU/CSU. Die Frau Steinbach ist eine sehr geschätzte Wettbewerb und Binnenmarkt verstößt, richtig ist. Das Kollegin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion; das ist (B) ist, glaube ich, der falsche Weg. Wenn wir in der euro- wahr. (D) päischen Politik neue Prioritäten setzen müssen – das müssen wir mit der Erweiterung –, dann müssen wir den (Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Auch Spielraum für Regionalförderung durch Mitgliedstaa- andere!) ten und Regionen erweitern. Das eine bedingt das an- Aber ist bedauerlicherweise immer noch dere. Das hängt zusammen. Nur so geht es. Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Es ist doch (Beifall bei der CDU/CSU) eine überparteiliche Initiative. Hören Sie vor allem auf, einigen in Polen die Ausrede zu liefern! Dabei ist es Um aus diesen Krisen herauszukommen, die sich doch so, dass sie sich selber vor manchen Aufgeregthei- beim Scheitern des Brüsseler Gipfels gezeigt haben, ten ein bisschen schützen müssen. Die Parole „Nizza müssen wir natürlich auch daran arbeiten, zerstörtes Ver- oder der Tod“ war auch eine Übertreibung. Es gibt Über- trauen wieder aufzubauen. Die Bundesregierung hat da treibungen, nicht nur auf einer Seite. eine Menge zu tun. Auf die Kritik von Peter Altmaier, die Bundesregierung sei an diesen Krisen mit schuldig, Sagen Sie Ihrem Parteifreund Verheugen, er solle auf- hat Herr Steenblock gesagt: Aber sie hat sich doch im hören, in einer unverschämten Weise solche Interviews Verfassungskonvent so sehr um die Verfassung be- zu geben wie das, das am Mittwoch in der „Süddeut- müht. – Das hat sie getan, aber das ist keine Antwort auf schen Zeitung“ zu lesen war! Wir lassen das nicht zu! die Kritik von Peter Altmaier. Die Bundesregierung hat (Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Unver- sich im Verfassungskonvent in der Tat bemüht. Wir un- schämt?) terstützen sie auch darin, dass die Blockademöglichkei- ten, die der Nizza-Vertrag bietet, abgebaut werden müs- – Ich kann es Ihnen vorlesen – ich habe es dabei –, will sen. Das ist zwischen uns völlig unstreitig. Aber das es aber gar nicht tun. ändert eben nichts daran, dass die Bundesregierung in Die Erklärung der beiden Staatsoberhäupter, des pol- anderer Beziehung Fehler gemacht hat und dass als nischen Staatspräsidenten und des deutschen Bundesprä- Folge davon Vertrauen zerstört worden ist. sidenten, zu dieser Frage war doch wirklich versöhnend (Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Welche und weiterführend. Diese Erklärung ist von der Präsi- denn?) dentin des Bundesverbands der Vertriebenen, der Kolle- gin , ausdrücklich begrüßt und un- – Beim Stabilitätspakt zum Beispiel. Dass die Regeln terstützt worden. Deswegen sollten wir es dabei belassen. nicht für alle in gleicher Weise gelten, hat unglaublich Mit einer – falschen – Legende zu den Ursachen der viel Vertrauen zerstört – bei Großen und bei Kleinen. Schwierigkeiten im deutsch-polnischen Verhältnis 8210 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Dr. Wolfgang Schäuble (A) machen wir die Dinge nicht besser, sondern erschweren Schwierigkeiten. Vor allen Dingen sollte man im europä- (C) sie eher. isch-atlantischen Bündnis darüber nachdenken, was wir gemeinsam tun können, um mit Russland besser zusam- Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten, das sen- menzuarbeiten, damit es mehr Verantwortung – das gilt sible Thema der Vertreibungen im europäischen Kontext sogar für seine Rolle im Nahen und Mittleren Osten – mit Polen und Deutschen gemeinsam in einer Weise zu übernimmt. lösen, die die Zukunft besser und nicht schwieriger macht! Aber lassen Sie uns auch daran arbeiten, dass die Wir haben eine sehr gute Chance, Russland, das sich Europapolitik der deutschen Bundesregierung keinen in einer kritischen Phase der Entwicklung befindet, in ei- Schaden anrichtet. ner positiven Weise zu beeinflussen, wenn wir die Posi- tion vertreten: Wir brauchen die Partnerschaft mit Russ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- land; Russland muss an Initiativen wie derjenigen, die in neten der FDP) München vorgestellt worden ist – Stichwort „Greater Herr Kollege Roth, Sie sind in dieser Debatte darauf Middle East“ –, teilnehmen; wir beziehen Russland ein; eingegangen, welchen Beitrag – Modelle der Sozialpoli- wir nehmen Russland in die Verantwortung; aber wir er- tik, der Bildungspolitik usw. – Europa leisten muss. Was warten von Russland auch einen konstruktiven Beitrag, Sie dazu gesagt haben, mag alles richtig sein. Ich füge der dem Verständnis von Russland als einer Großmacht hinzu: Bei manchen Punkten bin ich ganz froh, dass in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gerecht wird; nicht alles auf europäischer Ebene, sondern im Sinne der Russland muss mitverantwortlich sein. Das umzusetzen Subsidiarität und der Vielfalt durch die Mitgliedstaaten ist eine der großen Aufgaben eines Europas, das sich als geregelt wird. Teil der atlantischen Partnerschaft versteht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall des Abg. Erich G. Fritz [CDU/CSU]) neten der FDP) Wenn wir europäische Politik so betreiben, dann leis- Der wichtigste Beitrag, den Europa in diesem und in ten wir einen Beitrag zur globalen Stabilität und zur den kommenden Jahren leisten muss – auch um die Friedenssicherung. Wenn die Menschen Europa als ein Menschen für die Notwendigkeit des europäischen Pro- Projekt zur Herstellung von globaler Stabilität und Frie- jekts zu gewinnen –, ist ein Beitrag zu globaler Stabili- den verstehen, dann werden sie dieses Projekt auch wei- tät. Angesichts der globalen Herausforderung werden terhin unterstützen. wir uns entscheidend darauf konzentrieren müssen, die Vielen Dank. europäische Rolle im transatlantischen Verhältnis zu stärken. In diesen Zusammenhang gehört natürlich die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (B) Osterweiterung; das ist gar keine Frage. Europa wird (D) keine globale Rolle spielen, wenn es nicht einmal in der Präsident Wolfgang Thierse: Lage ist, die Teilung des europäischen Kontinents zu Ich erteile der Kollegin Petra Pau das Wort. überwinden. Wir sollten aber auch die Chancen sehen. Ich habe in Petra Pau (fraktionslos): der gestrigen Ausgabe der „Zeit“ mit großem Interesse Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die einen Aufsatz von Robert Kagan – über Äußerungen EU-Osterweiterung und die Annahme einer EU-Verfas- von ihm haben wir oft in anderen Zusammenhängen dis- sung sollten einen Höhepunkt in der Geschichte Europas kutiert – gelesen. In diesem Aufsatz steht Folgendes: werden. So klang es bei Hofe; doch die Glocken im Lande wollen einfach nicht jubeln. Zu Missklängen im Um den globalen Bedrohungen der Welt begegnen Zuge des Irakkrieges gesellte sich Krach um die künftige zu können, benötigen die Amerikaner die Legitimi- Hausordnung in Europa. Hinzu kommt jetzt Zoff um die tät, die Europa ihnen verschaffen könnte. gemeinsame Kasse. Es knirscht in nahezu allen Säulen, Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist geradezu die das europäische Werk stützen sollen. eine flehentliche Bitte von amerikanischer Seite – man Außerdem sinkt das Interesse der Bevölkerung, auch lernt dort auch aus Fehlern, die jenseits des Atlantiks ge- der deutschen, an der EU. Das ist im Vorfeld von Wahlen macht worden sind – nach einem einigen, handlungsfä- kein gutes Omen. Selbst die Medien überschlagen sich higen und stärkeren Europa. Wir werden uns in den eu- mit Eilmeldungen vom USA-Vorvorwahlkampf, wäh- ropäischen Debatten vor allen Dingen darauf rend die anstehenden Europawahlen überhaupt keine konzentrieren müssen. Auch deswegen möchte ich von Notiz wert sind. Das alles spricht für eine gründlichere der Bundesregierung, und zwar nicht nur durch den Aussprache im Deutschen Bundestag, zumal ich davon Sprecher der Bundesregierung in Bundespressekonfe- ausgehe, dass alle hier vertretenen Parteien proeuropä- renzen, etwas Genaueres zu der angeblichen deutsch- isch sind; die PDS ist es jedenfalls. britisch-französischen Initiative, verschiedene Batail- lone für schnelle Eingreifreserven aufzustellen, hören. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- tionslos]) Herr Bundesaußenminister – wenn ich richtig infor- miert bin, waren Sie gestern nicht nur in Kaliningrad, in Genau diese proeuropäische Position nährt allerdings Königsberg, sondern auch in Moskau –, ich hätte von auch unsere Kritik an aktuellen und grundsätzlichen Fra- Ihnen gern etwas zu den Meldungen gehört, Moskau ma- gen der EU-Debatte. Sie beginnt beim vorliegenden Ver- che im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung fassungsentwurf. Er enthält vieles, was zu mehr Demo- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8211

Petra Pau (A) kratie und zu mehr Transparenz führen kann. Das PDS will dies –, dann kommen Sie um die soziale Frage (C) begrüßen wir ausdrücklich. Er enthält aber auch eine nicht herum. Selbstverpflichtung zur Hochrüstung und Militarisierung Nun komme ich zum Schluss noch zu einer innenpoli- der EU. Das ist einmalig und widersinnig; das lehnt die tischen Frage im engeren Sinne. Es ist unübersehbar, wie PDS im Bundestag ab. auch auf EU-Ebene die Bürgerrechte und der Daten- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- schutz ausgehöhlt werden. Immer offensichtlicher ist, tionslos]) dass die Bundesrepublik hierbei zur Avantgarde gehört. Das trifft leider auch mit umgekehrtem Vorzeichen be- Ich weiß, über diesen Punkt reden Sie von Rot-Grün züglich der Haltung gegenüber einer humanen Flücht- nicht gerne; oder Sie reden, wenn doch, diesen Punkt der lings- und Asylpolitik zu. Der nach wie vor anhaltende Verfassung schön. Wahrscheinlich ist das aber auch der Streit um ein Zuwanderungsgesetz spiegelt hier nur die wahre Grund, warum SPD und Grüne eine Volksabstim- Auseinandersetzung um die zukünftige Haltung der EU mung in Deutschland über die EU-Verfassung auf jeden wider: entweder human und weltoffen oder aber bor- Fall verhindern wollten. Dann sollten Sie allerdings in niert geschlossen. Der aktuelle Stand – das sagt nicht der Debatte nicht weiter so tun, als seien SPD und Grüne nur die Europaabgeordnete der PDS, Sylvia-Yvonne die Parteien, die für mehr Demokratie und Bürgerrechte Kaufmann – ist einfach niederschmetternd. in Europa eintreten. Sie tun es nicht. und andere aus der Bundesregierung haben daran aktiv Anteil. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- tionslos]) Es gibt also viele gute und auch drängende Gründe, gründlicher über die künftige EU zu diskutieren, als es Mit der konservativen Opposition müssen wir, wie Ihnen bisher notwendig erschien. Die PDS wird es je- ich denke, zwei andere Punkte klären. Einerseits gerie- denfalls als Pro-Europa-Partei im beginnenden Wahl- ren Sie sich als oberste Hüter des so genannten Stabili- kampf tun. tätspaktes. Dieser Pakt schafft aber keine Stabilität, er nimmt politische Spielräume und verhindert so eine ak- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- tive Politik gegen die Massenarbeitslosigkeit. Deshalb tionslos]) war die PDS schon immer gegen eine Stabilitätspolitik, die zwar Bankgeschäfte bedient, aber für soziale Fragen Präsident Wolfgang Thierse: völlig taub ist. Ich erteile das Wort Kollegen Axel Schäfer, SPD- Fraktion. Vor diesem Hintergrund komme ich zur aktuellen Fi- (B) nanzdebatte. Die EU-Kommission rechnet überschaubar. (D) Sie sagt, die EU wird größer, also muss auch ihr Haus- Axel Schäfer (Bochum) (SPD): halt wachsen. Finanzminister Eichel rechnet ebenso Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Lassen übersichtlich. Er sagt, wir müssen Schulden abbauen, Sie uns so ernsthaft über Europa reden, wie es der Situa- also können wir nicht noch mehr Geld an die EU abfüh- tion angemessen ist, und lassen Sie uns vor allen Dingen ren. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: keine Krise herbeireden. Krise, das war Anfang 1999, Beide Argumente gehen am tatsächlichen Problem vor- als die Kommission zurücktrat, als wir im Kosovo zum bei. Der Stabilitätspakt ist eine Fessel, keine Hilfe. Die ersten Mal in kriegerische Auseinandersetzungen ver- fehlenden Finanzen resultieren wiederum aus einer fal- strickt waren, als wir einen neuen finanziellen Rahmen schen Steuerpolitik; darüber haben wir gestern sehr aus- bis 2006 schaffen mussten. Diese Krise ist durch diese führlich diskutiert. So entpuppt sich das vermeintliche Bundesregierung bewältigt worden. Wir haben gute Ent- EU-Problem als ein hausgemachtes Problem. scheidungen getroffen, was die Kommission, den Ko- sovo, die Friedenspolitik und die Finanzen anbelangt. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- Deshalb sollten wir die heutigen Schwierigkeiten nicht tionslos]) zu einer Krise hochreden, weil wir damit die Situation in Europa falsch beschreiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der ungeklärte Streit über die Zukunft der EU wird allerdings auch nicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ in dem auf Eis liegenden Verfassungsentwurf geklärt. DIE GRÜNEN) Zweimal ist in ihm von der Marktwirtschaft als bestim- Ein Wort zur Klage gegen den Stabilitäts- und Wachs- mender Wirtschaftsordnung die Rede. Einmal ist von ei- tumspakt. Dazu ist alles gesagt, was die Kommission an- ner sozialen Marktwirtschaft die Rede und ein weiteres belangt, die tatsächlich auf dem falschen Dampfer ist. Mal von einer offenen Marktwirtschaft. Ich wiederhole Alles gesagt hat derjenige, der damals, als der Pakt ge- gern: Die PDS setzt sich strikt für eine soziale Markt- schlossen worden ist, führend mit dabei war: Jean- wirtschaft und konsequent gegen eine offene Marktwirt- Claude Juncker, luxemburgischer Ministerpräsident. Er schaft ein. Ich fürchte, dass da unsere Auffassung nicht ist Christdemokrat; vielleicht sollten die Kolleginnen mit der der FDP, die auch heute vorgetragen wurde, und Kollegen von der CDU/CSU einmal lesen, was er übereinstimmt. Es ist aber keine abstrakte Frage, ob die gesagt hat; denn das bestätigt exakt die Position der Wirtschaft sozialen Zielen verpflichtet ist oder ob das deutschen Bundesregierung. Und das ist auch gut so. Soziale untergeordnet oder gar gestrichen wird wie bei der Agenda 2010. Wenn Sie die Bürgerinnen und Bürger (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Bundesrepublik für die EU gewinnen wollen – die DIE GRÜNEN) 8212 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Axel Schäfer (Bochum) (A) Lassen Sie mich zur finanziellen Vorausschau kom- Ich bin mir sicher, dass wir diese Balance hinbekom- (C) men. Es war richtig, dass sechs Länder Position bezogen men; denn wir haben die Erfahrungen von 1999. 1999 haben: Großbritannien, Frankreich, Österreich, die Nie- war deutlich: Diese Bundesregierung trägt entscheidend derlande, Schweden und Deutschland. zur Lösung von europäischen Problemen bei. Diejeni- gen, die das damals gemacht haben, sind – das ist eher (Jürgen Türk [FDP]: Wo war denn das die Ausnahme, wie Sie feststellen, wenn Sie sich die an- richtig?) deren europäischen Regierungen heute anschauen – auch Es war richtig, weil damit klar geworden ist, dass wir heute noch die Akteure, nämlich Bundeskanzler Gerhard eine Balance finden müssen zwischen den Notwendig- Schröder und Bundesaußenminister . Ich keiten in Europa einerseits und den Zwängen in den habe großes Vertrauen in die beiden, dass sie es auch Haushalten, auch den nationalen, andererseits. Dass es diesmal schaffen – gemäß unserer Prämisse, dass die eu- richtig war, sieht man vor allem, wenn man sich die Ent- ropäische Einigung das wichtigste nationale Interesse wicklung in den letzten zehn Jahren anschaut: Der pro- Deutschlands ist. Das ist in der Tat gut so. zentuale Anteil an der Verpflichtungsermächtigung auf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Ebene der EU ist von 1,27 auf 1,08 Prozent gesun- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ken. Bei den realen Ausgaben liegen wir bei 0,98 Pro- zent des Bruttonationaleinkommens. Das zeigt, dass wir Präsident Wolfgang Thierse: auf dem richtigen Weg sind. Die deutsche Position, die Ich schließe die Aussprache. richtigerweise in Zusammenarbeit mit anderen Ländern eingenommen worden ist, ist damit bestätigt worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Ich sage, gerade weil es um die Solidarität in Europa Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD – nicht nur, wie bisher, mit 15, sondern mit 25 Staaten – und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- geht: Es gibt eine Reihe der so genannten neuen Mit- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch- gliedstaaten, die die Positionierung bei 1 Prozent des führung von Verordnungen der Europäischen Bruttonationaleinkommens für richtig halten. Es musste Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gentechnik berücksichtigt werden, inwieweit die nationalen Haus- und zur Änderung der Neuartige-Lebensmit- halte die Mittel für Europa aufbringen können. Die tel-und-Lebensmittelzutaten-Verordnung neuen Staaten dürfen nicht überfordert werden. Wir – Drucksache 15/2397 – müssen fordern und fördern, wie dürfen aber nicht über- Überweisungsvorschlag: fordern. Deshalb ist der Weg richtig. Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und (B) Landwirtschaft (f) (D) (Beifall bei der SPD) Rechtsausschuss Finanzausschuss Wir sind ein Stück vorangekommen, was die Um- Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit strukturierung und neue Prioritätensetzung im europäi- Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung schen Haushalt anbelangt. Wir werden bis 2013 den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Agraranteil von 46 auf 37 Prozent senken. Das ist ein Technikfolgenabschätzung ganz wichtiger Fortschritt, der auf einer Position beruht, die wir gemeinsam vertreten. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich Ein spezieller Satz bezüglich einer deutschen Position höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. in Europa. Es war gut – ich glaube, auch die Christde- mokraten im Europäischen Parlament fanden das gut; Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Bun- ebenso sollten das die Christdemokraten im Deutschen desministerin Renate Künast. Bundestag gut finden –, dass diese Bundesregierung un- ter schwierigsten Bedingungen entscheidend dazu beige- Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher- tragen hat, dass ein Abgeordnetenstatut in Europa ver- schutz, Ernährung und Landwirtschaft: hindert wurde, das uns und den Kolleginnen und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun- Kollegen in Brüssel viele Probleme bereitet hätte. desregierung und die Koalitionsfraktionen haben ein Pa- ket zu Regelungen auf dem Gebiet der Gentechnik in Obendrein ist gut, dass die deutsche Bundesregierung der Landwirtschaft und in der Lebensmittelproduktion zu denen gehört, die bei der Frage des Anstiegs der Be- geschnürt: Am Mittwoch hat das Kabinett einen Gesetz- amtenbezüge in Brüssel immer auf der Bremse stehen. entwurf zum Schutz des gentechnikfreien Anbaus ver- Auch das spielt beim Thema Ausgaben und Sparmög- abschiedet. Heute geht es um ein Gentechnik-Durchfüh- lichkeiten eine wichtige Rolle. rungsgesetz der Koalitionsfraktionen, das Verstöße gegen die Kennzeichnungspflicht bei gentechnisch ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen jetzt am änderten Organismen regelt. Ab 18. April ist also drin, Beginn des Prozesses zur Verabschiedung der finanziel- was draufsteht. len Vorausschau. Wir wollen und müssen pro Jahr 4 Prozent unseres BNP im Rahmen des Transfers von Wie Sie wissen – das will ich vorab erwähnen –, sind West nach Ost zahlen und mit 1 Prozent unseres Haus- die zentralen Bausteine bereits auf EU-Ebene geregelt haltes zur Finanzierung Europas beitragen. Das ist alles worden. Mitte der 90er-Jahre wurden Genehmigungen richtig so, aber die Balance muss stimmen. für das In-Verkehr-Bringen von gentechnisch veränder- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8213

Bundesministerin Renate Künast (A) tem Mais und Soja in der EU erteilt. 2001 trat eine Frei- bensmittel- und in Zukunft auch Futtermittelkontrollen (C) setzungsrichtlinie in Kraft, die vor allem den Freilandan- tatsächlich funktionieren. bau gentechnisch veränderter Organismen in der Nach Umfragen sagen 70 Prozent der Menschen in Landwirtschaft regelt. Am 18. April dieses Jahres tritt Deutschland, sie wollen keine gentechnisch veränderten die europäische Verordnung über die Kennzeichnung Lebensmittel kaufen. von Lebens- und Futtermitteln in Kraft, was konkret be- deutet, dass ab dem 18. April 2004 in allen EU-Mitglied- (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Gestern staaten alle Produkte gekennzeichnet werden müssen, waren es nur 60 Prozent!) die gentechnisch veränderte Organismen enthalten, egal Landwirte – da haben wir fast die gleiche Prozentzahl – in welchem Ausmaß. fragen sich an dieser Stelle, was eigentlich mit ihrem Die Kennzeichnungspflicht ist wesentlicher Be- Acker passiert – deshalb sind diese Vorschriften wichtig –, standteil unserer und auch der europäischen Politik auf wenn es zum Beispiel Auskreuzungen gibt oder einmal diesem Gebiet. Diese Kennzeichnung geschieht zum nicht sorgfältig gearbeitet wird. Wir alle wissen, dass es Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich an dieser Stelle auch darum geht, den grundgesetzlich bewusst für ein bestimmtes Produkt entscheiden wollen. festgelegten Schutz des Eigentums für diejenigen sicher- Sie geschieht zum Schutz der Bäuerinnen und Bauern zustellen, die zum Beispiel nicht gentechnisch verän- – dabei ist es egal, ob es sich um konventionelle oder um derte Organismen anbauen wollen. Ich glaube, dass wir Ökolandwirte handelt –, die in Zukunft auf den Einsatz mit diesem Gesetz im Gesamtkontext des Regelwerkes der Gentechnik verzichten möchten. Solche Kennzeich- die dafür notwendigen Vorschriften geschaffen haben. nungsregelungen schützen auch Hersteller und Weiter- Sie wissen, dass wir mit der Novelle zum Gentechnik- verarbeiter, die Produkte ohne Gentechnik auf dem gesetz und der damit verbundenen Verordnung, in der Markt anbieten wollen und die für die gesamte Produk- die gute fachliche Praxis geregelt wird und die die Haf- tionskette zurückverfolgen müssen, dass keine Gentech- tungsregeln enthält, auch an anderer Stelle notwendige nik eingesetzt wurde. Sicherheitsvorschriften festlegen, dies immer unter dem Gesichtspunkt, dass man bei neuen Technologien darauf Es ist daher angemessen, dass wir uns in dieser Wo- achten muss, dass in Zukunft auch noch die bisherigen che noch einmal mit dem Thema Gentechnik in der Technologien praktiziert werden können und es nicht zu Landwirtschaft beschäftigen. Es geht jetzt darum, wie si- einer schleichenden Dominanz kommt. chergestellt werden kann, dass diese Regeln auch einge- halten werden. Die konkreten Fragen lauten: Was pas- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN siert bei Verstößen? Wie können Verbraucherinnen und und bei der SPD) (B) Verbraucher sicher sein, dass sich Produzenten an die Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen wäh- (D) Regeln halten? len können. Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist die Das Gentechnik-Durchführungsgesetz, das jetzt auf Ergänzung zu dem, was am 18. April dieses Jahres star- der Tagesordnung steht, regelt genau das. Wir haben in ten wird. Dann wird nämlich jede Verbraucherin und je- diesem Gesetz Sanktionen und Zuständigkeiten klar der Verbraucher, jede Landwirtin und jeder Landwirt je- und deutlich benannt. Dieses Gesetz sieht – dazu hat uns weils auf der Zutatenliste eines Produktes erkennen, die EU aufgefordert – Strafvorschriften vor: Bußgelder welche Bestandteile enthalten sind. Auf der Zutatenliste bis zu 50 000 Euro bei Verstößen gegen die Kennzeich- muss dann nämlich bei dem entsprechenden Bestandteil stehen, dass zum Beispiel genetisch verändertes Soja, nungspflicht bei gentechnisch veränderten Lebens- und genetisch veränderter Mais oder genetisch verändertes Futtermitteln und Haftstrafen bis zu drei Jahren bei Lecithin benutzt wurde. Das heißt, die Verbraucherinnen schwerwiegenden Verstößen. Darunter fällt, dass mit und Verbraucher können sich täglich im Supermarkt an- nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Organis- hand der Kennzeichnung entscheiden. Im Übrigen: Wi- men gehandelt wird. der viele andere Behauptungen gelten diese Regeln ab Wir regeln die Mitwirkung von Zolldienststellen und dem 18. April auch für den Wochenmarkt und die Res- Stellen, die für Lebensmittelkontrollen zuständig sind. taurants. Auch deren gute fachliche Arbeit wird von herausragen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Bedeutung sein. und bei der SPD) Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das zeigt, dass Le- Man kann insgesamt sagen: Wir haben mit diesem bensmittelkontrollen funktionieren können. In Bayern Gentechnik-Durchführungsgesetz einen Beitrag dazu ge- wurden illegal aus Hawaii eingeführte Papayas sicherge- leistet, die Kennzeichnungs- und Rückverfolgbarkeitsre- stellt. Aufgrund von Kontrollen konnte festgestellt wer- geln zum Tragen zu bringen. Wir sichern damit wirt- den, dass diese Produkte aus den USA, die hier keine schaftliche Aktivitäten. Wir verbinden ein Höchstmaß an Zulassung haben, auf den europäischen Markt gebracht Transparenz mit dem Schutz des Eigentums und werden worden sind. Wir haben uns an die Botschaft mit der damit meines Erachtens dem im Grundgesetz veranker- Aufforderung gewandt, dafür Sorge zu tragen, dass das ten Schutz des Eigentums gerecht. Wir müssen dies tun; deutsche bzw. europäische Recht eingehalten wird. wir haben es getan. Den Rest entscheiden die Verbrau- cherinnen und Verbraucher. Sie sehen, die hochsensibilisierten Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land können sich darauf ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lassen, dass wir und die Länder darauf achten, dass Le- und bei der SPD) 8214 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

(A) Präsident Wolfgang Thierse: (Albert Deß [CDU/CSU]: Sie führen nur zu (C) Ich erteile das Wort Kollegen Helmut Heiderich, Wettbewerbsverzerrungen!) CDU/CSU-Fraktion. Sie wollen eine Subexistenz, eine Unterordnung der Bio- technologie unter die Ansprüche Ihrer rot-grünen Ideolo- Helmut Heiderich (CDU/CSU): gie in diesen Bereichen. Das werden wir nicht akzeptie- Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle- ren. gen! Es ist erstaunlich, dass die Koalition – und nicht das Ministerium, Frau Künast – schon jetzt, wenige Monate (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nach der Verabschiedung der Verordnungen auf EU- neten der FDP) Ebene, einen eigenen Gesetzentwurf zu diesem Thema Ich frage Sie: Wie passt das mit der Vorgabe Ihres vorlegt. Im Bereich der Bio- und Gentechnik sind wir Kanzlers zusammen – die man landauf, landab in allen von Ihnen anderes gewohnt. Reden zu hören bekommt – Bio- und Gentechnik in So haben Sie das Gentechnikgesetz, das Sie, wie eben Deutschland sei die Schlüsseltechnologie des 21. Jahr- von Ihnen ausgeführt, vor zwei Tagen endlich dem Kabi- hunderts? Wie passt das zusammen? Mir scheint, hier ist nett vorgelegt haben, seit dem Jahre 2001 vor sich herge- die Richtlinienkompetenz des Kanzlers – ich muss Herrn schoben. Die Umsetzungsfrist war schon 2002 abgelau- Müntefering fragen, ob diese ihm noch geblieben ist – fen. Da wir ja die ehemalige Bundesministerin der Justiz oder des großen Vorsitzenden gefordert. Es muss endlich hier haben, lassen Sie mich einflechten: Sie schieben die geklärt werden: Wollen Sie Bio- und Gentechnik als Biopatentverordnung Schlüsseltechnologie oder wollen Sie diese Technologie wie Frau Künast verhindern und das öffentlich als Sinn (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Die des Gentechnikgesetzes erklären? Richtlinie!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- – sehr wohl, die Richtlinie; man sieht, die Fachfrau ist neten der FDP – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ anwesend –, also die Biopatentrichtlinie seit 1998 vor DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!) sich her und sind bis heute nicht in der Lage gewesen, in diesem Hause darüber zu diskutieren. – Verehrte Frau Höfken, dass müssen Sie mit Ihrem Kanzler und mit Ihrem Koalitionspartner klären. Der (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gesetzentwurf ist so, wie Sie ihn vorgelegt haben, NEN]: Genau, weil sie schlecht ist!) Quatsch. Das Gentechnikgesetz, das Frau Künast eben ange- (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) sprochen hat und das dem Kabinett am vergangenen NEN]: Nein!) (D) Mittwoch vorgelegt worden ist, ist trotz der langen Zeit, die Sie gebraucht haben, keine reife Leistung, sondern – Doch. schlicht und einfach unbrauchbar. Es ist ebenso unsyste- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf machen Sie in matisch wie unlogisch und es ist ein Widerspruch in der eben angeführten Eile den zweiten Schritt vor dem sich. ersten. Insgesamt beinhaltet dieser Gesetzentwurf wie- Die Ministerin scheut sich nicht, öffentlich zu sagen – ge- der einmal eine völlig überzogene und unverhältnismä- rade hat sie es wieder getan –, das Gesetz schütze den ßige Regulierung. Er widerspricht damit auch den Ver- gentechnikfreien Anbau. ordnungen der Europäischen Union, in denen ausdrücklich steht, es werde eine verhältnismäßige Um- (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- setzung verlangt. NEN]: Das wollen Sie wohl nicht?) Ich will Ihnen das, da ich genügend Redezeit habe, Mit Verlaub, sie sollte einmal in den Gesetzentwurf hi- weiter erläutern. neinschauen. In § 1 heißt es, Sinn und Zweck des Geset- zes sei die Nutzung und Förderung der Bio- und Gen- (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es technik. ist auch sonst keiner von Ihnen da!) (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- In diesen Verordnungen geht es gerade nicht um die Re- NEN]: Das ist falsch zitiert!) gelung sicherheitsrelevanter Aspekte. Herr Müntefering, Sie werden das sicherlich verstehen. Es geht auch nicht Das hat, wie man hört, wohl auf Druck des Kanzleramtes um die Erhaltung gesundheitlich wichtiger Kriterien wie in dieses Gesetz hineingeschrieben werden müssen. Das, zum Beispiel bei der Ausweisung von Allergenen oder was Sie, verehrte Frau Künast, öffentlich verbreiten, ist den Abdruck von Diäthinweisen, wie wir sie aus dem genau das Gegenteil dessen, was in § 1 des Entwurfs ei- Lebensmittelbereich kennen. Nein, es geht in diesem nes Gentechnikgesetzes steht. Fall ausschließlich um eine Kennzeichnung zur Informa- tion des einkaufenden Verbrauchers. Das muss man wis- Sie haben gerade die Haftungsregelungen angespro- sen. chen, die im Gesetzentwurf vorgesehen werden. Diese sind ein nationaler Alleingang Ihrerseits; die entspre- Da es bei Ihnen immer in Vergessenheit gerät, möchte chenden Haftungsregelungen werden nicht zu einer Ko- ich noch einmal in Erinnerung rufen, dass es unsere existenz führen. Das haben auch Sie gerade deutlich ge- Fraktion war, die schon 2001, als Erste in diesem Ple- sagt. num, eine Kennzeichnung von Gentechnik beinhalten- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8215

Helmut Heiderich (A) den Produkten gefordert und dies mit der Forderung ei- wie in den Fällen, in denen im Produktionsprozess Gen- (C) nes einprozentigen Grenzwertes eingebracht hat. Ich technik eingesetzt wird, im Endprodukt aber kein gen- glaube, das haben wir heute fast erreicht. Sie können uns technisch verändertes Material mehr enthalten ist, die also nicht vorwerfen, dass wir an dieser Stelle nicht früh- Kennzeichnung erfolgen muss. zeitig unterwegs gewesen wären. (Matthias Weisheit [SPD]: Nicht mehr nach- (Matthias Weisheit [SPD]: Ich glaube, sie wird weisbar ist!) jubeln!) – Nicht mehr drin ist! Wenn nichts mehr drin ist, ist auch – Herr Weisheit, ich überlasse es ganz Ihnen, wie Sie das nichts mehr nachweisbar. nach außen darstellen wollen. (Lachen bei der SPD) Zurück zur Verordnung: Die Koalitionsfraktionen – Ganz ruhig. Ich will Ihnen das ein Stück weit auf der wollen, dass bei einem fahrlässigen Verstoß gegen die technischen Ebene erläutern. Vielleicht verstehen wir Kennzeichnungsvorschriften zur Information Sanktionen uns dann etwas besser. bis zu 50 000 Euro eingeführt werden. Das ist im Le- bensmittelrecht weder üblich noch angemessen. In ver- Lassen Sie mich diese technische Seite etwas näher gleichbaren Kennzeichnungs- und Etikettierungsvorschrif- betrachten. Beim Import von Soja, von dem wir seit Jah- ten, die es im LMBG gibt, werden maximal 15 000 Euro ren zigtausend Tonnen importieren, wird – so steht es im angesetzt, so beispielsweise beim Fehlen oder bei der Gesetz – per Zertifikat, das geprüft wird, mitgeteilt: kein fehlerhaften Angabe des Herstellers, beim Fehlen von gentechnisch verändertes Material enthalten. Staats- Verkehrsbezeichnungen, bei Nichtaufdruck der erforder- sekretär Berninger war so freundlich, mir das auf meine lichen Nährwertkennzeichnung. Hier geht der Ansatz, Fragen deutlich darzustellen. Die Importbehörden den Sie verfolgen, weit über die Verhältnismäßigkeit hi- schauen auf das Zertifikat und prüfen, ob das Zertifikat naus. mit dem äußerlichen Zustand des Soja übereinstimmt. Beispiel Brasilien: Brasilien zertifiziert immer: alles Auch der von Ihnen angeführte Vergleich mit der gentechnikfrei. Jeder Mensch weiß aber, dass in Brasi- Strafbewehrung in § 38 des Gentechnikgesetzes ist nicht lien seit Jahren Gensoja angebaut wird. plausibel. Bei dieser Vorschrift geht es nämlich aus- drücklich um Verstöße gegen Sicherheitsmaßnahmen. (Ulrich Heinrich [FDP]: Zunehmend!) Bei den heute vorgelegten Verordnungen geht es – wie Wie lautet die Regelung für den Importeur? Der Liefe- ich eben deutlich gesagt habe – jedoch um Hinweise für rant bestätigt ihm: gentechnikfrei. Nach Ihren Vorschrif- den Verbraucher und nicht um Sicherheitsmaßnahmen. ten hat der Importeur bislang jedenfalls nicht die Pflicht, (B) In beiden Bereichen ist also – das wird auch der Bun- eine Analyse vorzunehmen. Er nimmt sich das Zertifikat, (D) desrat heute, der parallel zu uns tagt, fordern – eine Har- sagt, es steht „gentechnikfrei“ drauf, also gebe ich meine monisierung mit dem übrigen Lebensmittelrecht ange- Produkte als gentechnikfrei weiter. Irgendwann in der sagt. Das bedeutet konkret eine maximale Strafgebühr Kette nimmt jemand eine Analyse vor und sagt: Halt, Be- von 25 000 Euro. trug! Diesen wollen Sie dann mit 50 000 Euro sanktionie- ren, obwohl Sie die Anwendbarkeit dieser Regel noch Ansonsten sind – auch das wird vom Bundesrat mo- nicht geklärt haben. Das ist ein Beispiel. niert – viele der von Ihnen verwendeten Rechtsbegriffe von einer erheblichen Unbestimmtheit. Die von Ihnen Es wird aber noch interessanter. Bei Soja kann man vorgelegten Gesetzesvorschriften müssen also auch in- wenigstens noch eine Analyse durchführen. soweit überarbeitet werden. (Zuruf von der SPD: Das war ziemlicher Eines ist aber noch viel wichtiger: Frau Künast, Sie Unfug!) haben vorhin gesagt, alle Inhaltsstoffe würden klar und – Das ist die Wahrheit und nicht Unfug. Das passiert täg- deutlich benannt und auf die Produkte werde draufge- lich. Sie sollten sich einmal in der Praxis umhören, dann schrieben, was drin ist. Frau Künast, dem ist nicht so. wüssten Sie auch, wovon Sie reden. Die Inhaltsstoffe werden von Ihnen weder klar und deut- lich benannt noch wird draufgeschrieben, was drin ist. Zweites Beispiel: Sie importieren jetzt nicht mehr Sie schreiben auch dann drauf, es handele sich um gen- Soja, sondern daraus erzeugte Stoffe, zum Beispiel Vita- technisch verändertes Material, wenn gar keine Gentech- mine aus China oder Südkorea, Futterzusatzmittel, Ami- nik drin ist. Das ist die Vorschrift, die auf europäischer nosäuren, Fermentationsprodukte. Bei diesen können Sie Ebene – mit Ihrer Zustimmung – erlassen worden ist, trotz Analyse keine gentechnisch veränderten Materia- und das ist etwas anderes. lien mehr nachweisen. Der Erzeuger im Ausland ist nun aber nicht an unsere Vorschriften gebunden. Er kennt ein Hier jedoch – und das wissen Sie genauso wie die Re- völlig anderes Recht. Für ihn gilt: Ich muss Gentechnik gierungsfraktionen – wissen wir noch nicht, wie diese nur dann zertifizieren, wenn sie analytisch nachweisbar Anwendungsregeln im Einzelnen aussehen sollen. Sie ist. Wenn Sie nicht nachweisbar ist, muss er auch nichts regeln also schon die Sanktionen, wissen aber über- zertifizieren. Diese Produkte werden nun also geliefert. haupt noch nicht, was genau sanktioniert werden soll. Per Analyse können Sie nicht mehr feststellen, ob ir- Ich will Ihnen das anhand einiger Beispiele belegen: So- gendwann im Produktionsprozess gentechnisch verän- wohl der Lebensmittelhandel als auch die Hersteller be- dertes Material verwendet worden ist. Das ist technisch klagen, dass bis jetzt völlig offen ist, ob und, wenn ja, nicht möglich. 8216 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Helmut Heiderich (A) Im Übrigen haben Sie bis heute auch noch keine Ana- Ich sage Ihnen: Es gibt keinen inhaltlichen Zusammen- (C) lyserichtwerte festgeschrieben. Sie haben auch noch hang. Wenn überhaupt, dann müssten Sie sich für das keine Referenzlabore festgelegt. Sie haben das ganze Umweltbundesamt entscheiden. Aber das Bundesamt für Verfahren überhaupt noch nicht geklärt, sagen aber trotz- Naturschutz hat da inhaltlich nichts zu suchen. dem: Wer dagegen verstößt, soll 50 000 Euro Strafe zah- (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- len. Hier wird wirklich das Pferd vom Schwanz her auf- NEN]: Natürlich! Das ist Monitoring!) gezäumt. Sie haben hier eine große Bringschuld, bevor wir dieses Gesetz überhaupt verabschieden können. Das – Ja, Frau Höfken. Der Bundesrat hat es selber so formu- ist jedenfalls meine Auffassung. liert: Die Beteiligung des Bundesamtes für Naturschutz wird als nicht sachgerecht erachtet. Vielmehr ist hierfür Wenn sich der Importeur auf diese Daten verlässt und das Umweltbundesamt vorzusehen. – Das ist also nicht entsprechend weitergibt, macht er sich dann strafbar nur meine Auffassung, sondern auch die einer ganzen oder nicht, weil er die Verwendung gentechnisch verän- Reihe anderer. derten Materials analytisch nicht nachweisen kann? Auch hier ist die Situation völlig offen. – Da Sie den Ich kann mir schon vorstellen, warum Sie so sehr da- Kopf schütteln, empfehle ich Ihnen, sich einmal mit den rauf drängen. Wir haben ja schon einmal über den Mann Experten auf europäischer Ebene zu unterhalten. Rufen an der Spitze dieses Amtes, Herrn Vogtmann, und seine Sie beim Europäischen Handelsinstitut an und lassen Sie Auffassung debattiert. sich sagen, welche Probleme es gibt! Die werden Ihnen (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das sehr ausführlich und deutlich vortragen. NEN]: Ja, da haben Sie auch verloren!) Ich meine, wir müssen in diesen Anwendungsberei- Jetzt lese ich, dass dort zum Thema Gentechnik ganz zu- chen erst einmal klären, wie die Probeentnahme erfolgt, fällig eine neue Abteilung geschaffen wird und Frau wo das Referenzlabor ist, welche Analytik vorgeschrie- Tappeser vom Ökoinstitut in Freiburg im BfN eingestellt ben ist und wie der entsprechende Nachweis erbracht wird. Das sind schon Zufälle! wird. (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. ) NEN]: Eine von allen absolut anerkannte Wis- senschaftlerin!) Erst dann können wir uns über Strafbewehrungen un- terhalten. Ich sage Ihnen einmal, welchen Eindruck ich habe: Sie sind dabei, das Bundesamt für Naturschutz zu einer Ich könnte noch weitere hübsche Beispiele nennen. Biotech-Blockadebehörde auszubauen. Deswegen wird (B) Aber so lang, dass ich sie hier vortragen könnte, ist es immer nach vorne geschoben. (D) meine Redezeit nicht. Das können wir allerdings gerne in einem persönlichen Gespräch nachholen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Entscheidende ist dabei Ihr politisches Ziel und Es freut mich, Frau Künast, dass die Lebensmittel- nicht die inhaltliche Auseinandersetzung. kontrolle in Bayern hervorragend funktioniert. Dieses Lob werden die Bayern sicherlich gerne mit nach Hause nehmen; denn Sie haben hier ja schon ganz andere Aus- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: sagen verbreitet. Dass man entdeckt hat, dass in Bayern Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Gen-Papayas aus Hawaii angeliefert wurden, ist sicher- Höfken? lich ein Fortschritt in der Lebensmittelkontrolle. Hier ha- ben die Bayern hervorragende Arbeit geleistet. Das ist Helmut Heiderich (CDU/CSU): erfreulich. Aber selbstverständlich. Das gibt mir Gelegenheit, ei- nen Schluck Wasser zu trinken. Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen, mit dem auch Sie sich jetzt massiv beschäftigen: die Frage der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zuständigkeit der Behörden für den Bereich der Gen- technik. In diesem Jahr haben Sie ja schon einmal in Sie haben ja auch nicht mehr viel Redezeit. Es wäre Form eines Vorschaltgesetzes den Anlauf unternommen, gut, das miteinander zu verbinden. das Bundesamt für Naturschutz hier als Benehmensbe- hörde zu installieren. Dazu gab es im Bundesrat zwar ei- Helmut Heiderich (CDU/CSU): nen langen Beratungsprozess; aber letztlich ist dies um- Ja, auf diese Weise verlängert sich meine Redezeit. gesetzt worden. Jetzt tun Sie dasselbe wieder. Ausgerechnet das Bundesamt für Naturschutz soll für Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Zulassung von Lebensmitteln zuständig sein. Da Ich übernehme gerne die Redezeit, wenn Sie weiter fragt sich doch wirklich jeder: Wo ist hier der inhaltliche Wasser trinken wollen. Zusammenhang? Ich frage Sie Folgendes: Erstens. Ist Ihnen bekannt, (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass im Rahmen des Gentechnikgesetzes die Umwelt- NEN]: Also wirklich! Es geht doch um Um- wirkungen zu beobachten sind, dass dafür selbstver- weltwirkungen! Bei Ihnen wäre wahrschein- ständlich eine Naturschutzbehörde sach- und fachge- lich Aventis zuständig!) recht zur Verfügung stehen sollte und dass mit dem Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8217

Ulrike Höfken (A) Monitoring kaum andere Aufgaben verbunden sind? kam das einem Gefälligkeitsgutachten sehr nahe – aus- (C) Zweitens. Welche Einwände haben Sie gegen Frau zuhebeln. Dieses Gutachten hat Ihnen die Argumenta- Tappeser und an welchen inhaltlichen Punkten machen tion geliefert, um gegen eine schon im Gang befindliche Sie sie konkret fest? Zulassung per Ministerdekret, wie bei den Apfelbäumen in Quedlinburg, einzuschreiten. (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Das würde uns auch interessieren!) Dass es da, aus meiner Sicht, sehr enge Zusammen- hänge gibt, können Sie mir, glaube ich, nun wirklich nicht absprechen. Deswegen halte ich Ihre Besetzung Helmut Heiderich (CDU/CSU): des BfN für sehr einseitig. Ich hoffe, dass ich Ihnen da- Frau Kollegin, zu Ihrer ersten Frage. Wir reden hier mit ausführlich gedient habe. nicht über das Gentechnikgesetz. (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): NEN]: Das haben Sie doch die ganze Zeit ge- Ich danke Ihnen für die Aussage, die sicherlich einer macht! – Heiterkeit bei der SPD und beim Überprüfung standhalten wird. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Dann haben Sie mir vielleicht nicht richtig zugehört. Helmut Heiderich (CDU/CSU): Wir reden hier über den Gesetzentwurf zur Durchfüh- Da bin ich mir ganz sicher. Ich kenne die wissen- rung der Verordnungen, den Ihre Fraktionen vorgelegt schaftliche Literatur so gut, dass meine Aussage einer haben. Überprüfung standhält. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich habe eine kurze Replik zum Gentechnikgesetz gege- Jetzt nicht zum Dialog, sondern zum schnellen Ende. ben. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Helmut Heiderich (CDU/CSU): DIE GRÜNEN) Nun zum schnellen Ende, Frau Vorsitzende. – Summa summarum: Der Gesetzentwurf, den Sie heute vorlegen – Frau Künast hat diese Argumentation eingeführt. Sie – so unscheinbar er daherkommt –, bedeutet aus meiner hat mit dem Thema Gentechnikgesetz begonnen, obwohl bzw. unserer Sicht erneut eine unverhältnismäßige Be- es gar nicht auf der Tagesordnung steht. Daher fühlte ich lastung der Bio- und Gentechnik. Er bringt erneut die mich veranlasst, Frau Künast zu replizieren. notwendige Innovation ins Stolpern, die der Kanzler will. – Ihr Oberster ist gerade gegangen; er kann es (B) (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Ja, ist doch (D) in Ordnung!) schon weitergeben. – Der Gesetzentwurf bringt dem Standort Deutschland weitere Benachteiligungen, Herr Das ist, wie ich denke, der normale parlamentarische Müntefering, und Sie wären gut beraten, den Kanzler zu Umgang, den wir hier haben. unterstützen, dass Bio- und Gentechnik eine Schlüssel- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) technik in Deutschland werden kann und nicht ständig von Frau Künast ausgebremst wird. Sie haben jetzt also zum Gentechnikgesetz gefragt und nicht zu den Gentechnikverordnungen; das sage ich Schönen Dank. nur, damit wir die Dinge auseinander halten. Beim Gen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) technikgesetz ist sicherlich für das Monitoring in dem schmalen Bereich, den Sie anführen, auch das Bundes- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: amt für Naturschutz mit einzubeziehen. Aber für den Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias Beurteilungsbereich in seiner vollen Breite hat das Bun- Weisheit. desamt für Naturschutz überhaupt nicht die Kompetenz. Es gibt ein Amt, das hier die breite Kompetenz hat, näm- lich das Umweltbundesamt. Das Umweltbundesamt hat Matthias Weisheit (SPD): das in der Vergangenheit auch immer gemacht, und zwar Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! erfolgreich. Offensichtlich hat das Umweltbundesamt Es war nichts anderes von Ihnen zu erwarten, Kollege aber nicht die Ergebnisse erbracht, die politisch er- Heiderich, und der Zeit angepasst war es fast eine Büt- wünscht sind. Deswegen wurde es weggeschoben und tenrede. stattdessen das BfN eingespannt, das – ich sage es noch (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Die Wahrheit einmal – von Ihnen jetzt auch personell zu einer Biotech- muss auf den Tisch! – Albert Deß [CDU/ Blockadebehörde ausgebaut wurde. Diesen Eindruck CSU]: Das war sachlich sehr überzeugend!) habe ich; das ist meine politische Beurteilung. Dass Sie das alles natürlich kritisieren – – Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht: Ich meine, dass es über die Person von Frau Tappeser in der wissen- (Abg. Helmut Heiderich [CDU/CSU] meldet schaftlichen Kommunität sehr eindeutige Auffassungen sich zu einer Zwischenfrage) gibt. Ich will darauf hinweisen, dass Sie Frau Tappeser – Ich lasse keine Zwischenfrage zu. schon zweimal in Anspruch genommen haben, um eine schon beschlossene Zulassung von modernen Biotech- (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Das ist nikprodukten mit einem Gutachten – aus meiner Sicht bedauerlich!) 8218 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Matthias Weisheit (A) – Wir können uns die Freundlichkeiten im Ausschuss – Deswegen heißt es im Gesetzentwurf auch „bis zu“. (C) noch in großem Umfange an den Kopf werfen, Wie hoch genau die Sanktion ausfällt, müssen die Ge- richte entscheiden. Meiner Überzeugung nach könnten (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Gerne!) die Sanktionen noch höher ausfallen. aber wir müssen hier heute die Zeit nicht unnötig verzö- Durch die Dokumentationspflicht und die Verpflich- gern. tung, die Rückverfolgbarkeit sicherzustellen, ist es also Ihre Rede war schon ganz bemerkenswert. Sie kriti- möglich, die Kennzeichnung von Produkten zu verlan- sieren immer, dass wir zu lange brauchen; das haben Sie gen, in denen gentechnisch veränderte Organismen ent- heute auch wieder gemacht. Dieses Mal waren wir halten sind, die man aber nicht mehr nachweisen kann. schnell. Das passt Ihnen aber auch nicht. Die Verbraucher haben inzwischen ein großes Interesse daran; hier hat eine tolle Entwicklung stattgefunden. Ich (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Sage ich kann Ihnen das an folgendem Beispiel deutlich machen: doch: Erstaunlich!) Greenpeace – für Sie ein Feindbild – hat eine Broschüre mit einer Erstauflage von 200 000 Stück herausgegeben, Dass wir diese drei EU-Verordnungen in nationales in der zu lesen ist, in welchen Produkten gentechnisch Recht umsetzen, ist schon bemerkenswert. Letztendlich veränderte Organismen enthalten sind und in welchen geht es darum, den Verbraucheransprüchen auf Klar- nicht. Diese Broschüre war wenige Tage, nachdem sie heit auf dem Etikett, auf Klarheit der Kennzeichnung auf den Markt gekommen ist, bereits vergriffen. Man be- nachzukommen. Wir kommen auch den Ansprüchen kommt sie nicht mehr. Dabei hätte ich sie gerne heute der Landwirtschaft nach, die wissen will: Können wir mitgebracht und gezeigt. – als Ökobauer oder als konventioneller Bauer, der gen- technikfrei produzieren will – uns darauf verlassen, dass (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Ich habe sie!) die Futtermittel, die wir einsetzen, auch tatsächlich gen- technikfrei sind? Dass die Futtermittel Gegenstand der Daran sehen Sie, welch hohes Interesse in der Bevölke- EU-Verordnung sind, ist also ganz wichtig. rung besteht, zu wissen, ob zum Beispiel für dieses be- stimmte Ketchup gentechnisch veränderte Tomaten ver- Das Problem des Nachweises ist altbekannt; Sie ha- wendet wurden oder nicht. ben das bereits angesprochen. Wir wissen sehr wohl, dass das eine oder andere Produkt aus gentechnisch ver- (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Das weiß änderten Organismen hergestellt ist, was am Produkt Greenpeace auch nicht! Das behaupten die selbst aber nicht nachweisbar ist. Deshalb haben wir bei nur!) (B) der Novel-Food-Verordnung, in der unter anderem die (D) Kennzeichnung geregelt war, darauf verzichtet, eine Re- – Man kann das kontrollieren, wenn man weiß, woher gelung aufzunehmen, dass man ein solches Produkt die Tomaten kommen, wer die Tomaten angebaut hat kennzeichnen muss. und ob sie gentechnisch verändert sind oder nicht. Das kann man in der Dokumentation eindeutig verfolgen. Indem die Herkunft dokumentiert werden muss und die Rückverfolgbarkeit sichergestellt ist, ist meiner Ich habe mich schon oft gefragt, warum man es nicht Überzeugung nach ein Weg gefunden worden, dass die deklariert und kennzeichnet, dass gentechnisch verän- Hersteller ausweisen müssen, dass gentechnisch verän- derte Organismen enthalten sind, wenn das so unbedenk- derte Organismen verwendet wurden, auch wenn dies im lich ist, wie immer behauptet wird. In diesem Fall Produkt nicht mehr nachweisbar ist. Sind sie im Einkauf könnte es sogar ein hervorragendes Werbemittel sein. irgendwann nachweisbar, dann erscheint das auch in der Ich hege folgenden Verdacht: Man möchte es natürlich Dokumentation. Eine solche Regelung ist auch im frei- nicht deklarieren, wenn man Lebensmittel aus gentech- willigen QS-System bei Futtermitteln vorgesehen. Es nisch veränderten Organismen durch die Hintertür ein- werden hohe Sanktionen verhängt, wenn jemand dage- führen will. Menschen, die über zehn Jahre und länger gen verstößt. Das hat die Wirtschaft freiwillig so gere- geglaubt haben, sie könnten sich gentechnikfrei ernäh- gelt. Warum soll man das also nicht auch in einem Ge- ren, erklärt man, das stimme nicht, weil man ihnen mit setz regeln? diesen oder jenen Produkten, die sie jeden Tag einkau- fen, seit langem heimlich gentechnisch veränderte Orga- Es muss möglich sein, entsprechend hohe Sanktio- nismen zugeführt habe, und dann fragt man sie, ob es ih- nen auszusprechen. Ich bin dafür, dass wir diesen Be- nen geschadet habe. Das ist eine Strategie verschiedener reich mit dem übrigen Lebensmittelrecht harmonisieren, Konzerne, die auf diesem Gebiet arbeiten, und in meinen allerdings in dem Sinne, dass die Sanktionen im übrigen Augen leider auch eine Strategie einiger Vertreter hier Lebensmittelrecht nach oben korrigiert werden. Ein gro- im Deutschen Bundestag. Diese Strategie darf nicht auf- ßer Konzern, der wissentlich und fahrlässig dagegen ver- gehen. stößt, lacht doch nur über 25 000 Euro. (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Ein kleiner (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht! Es gibt auch kleine Unternehmen!) DIE GRÜNEN) – Gibt es die wirklich noch? Wir brauchen daher eine klare Kennzeichnungsregelung, die Möglichkeit zur Rückverfolgung und eine Sanktions- (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Ja!) regelung. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8219

Matthias Weisheit (A) Ich sehe, ich bin mit meiner Redezeit richtig gut aus- Diese Verordnung sollte Lebensmittel und Futter- (C) gekommen. Ich hätte zwar noch ein paar Sekunden, aber mittel abdecken, die „aus“ einem GVO, jedoch die schenke ich dem nächsten Redner. nicht solche, die „mit“ einem GVO hergestellt sind. (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Der wird sich Bei Lezithin handelt es sich um ein Lebensmittel, das freuen!) mit einem GVO hergestellt worden ist. Es muss also nicht gekennzeichnet werden. Herzlichen Dank. Frau Ministerin, Ihre Falschaussagen auch hier im (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Parlament nehmen überhand. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Beim goldenen Reis haben Sie hier wider besseres Wis- sen Falschaussagen getroffen. Heute haben Sie es wieder Das ist eine seltene Großzügigkeit. – Das Wort hat getan. Bereiten Sie sich auf Ihre Regierungstätigkeit jetzt die Abgeordnete Christel Happach-Kasan. bitte ein bisschen besser vor!

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- rufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! GRÜNEN) Ich bedanke mich zunächst einmal bei der CDU/CSU und nun auch bei der SPD für die zusätzliche Redezeit. Kollege Weisheit, ich würde mir wünschen, dass Sie Ich bin das nicht gewohnt. Es ist aber eine Sitte, die die Kontrolle der Regierungsarbeit auch im Bereich der durchaus fortgeführt werden könnte. Gentechnik ein bisschen ernster nehmen. Zu Recht ha- ben auch Sie darauf hingewiesen, Bundeskanzler Frau Ministerin, Sie haben in Ihrem Redebeitrag ein- Schröder habe im Januar die Innovation hervorgehoben leitend gesagt, dass das Gentechnikgesetz, das am Mitt- und herausgestellt. Das war eine notwendige und sinn- woch im Kabinett verabschiedet worden ist, dem Schutz volle Initiative des Bundeskanzlers, um mehr Arbeits- des gentechnikfreien Anbaus dienen solle. Kollege plätze zu schaffen und unseren Kindern eine bessere Zu- Heiderich hat zutreffend darauf aufmerksam gemacht, kunft zu ermöglichen. Schon im Februar ist das aber dass im Gesetz etwas anderes steht. Als Ziel des Geset- wieder vergessen. zes steht unter Punkt 2 zum Beispiel, dass die Koexis- tenz von gentechnikfreiem Anbau mit gentechnisch mo- Das uns heute aus dem Hause Künast vorgelegte difizierten Organismen geregelt werden solle. kleinkarierte Gesetz macht deutlich, dass die Innova- (B) tionsinitiative des Bundeskanzlers eine Luftblase war. (D) Ich darf daran erinnern, dass der ökologische Anbau zurzeit ungefähr 4 Prozent ausmacht. Diese Landwirte (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten haben sich verpflichtet, die Gentechnik nicht zu nutzen. der CDU/CSU) Ich bin der Meinung, dass eine solche Minderheit sehr Im Regierungsalltag setzen sich grüne Pepitapolitiker wohl geschützt werden muss und dass das Gentechnik- durch, die in Lebensmitteln aus genetisch veränderten gesetz dazu dienen muss, die Produktionsmöglichkeiten Pflanzen den Untergang des Abendlandes wittern, ob- dieser Minderheit zu erhalten. Eine Minderheit darf eine wohl diese Lebensmittel seit langem in aller Munde Mehrheit aber nicht majorisieren. sind. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Kollege Weisheit, ich glaube nicht, dass dies eine Strategie der bösen Großkonzerne gewesen ist. So, wie sie es regeln, wird die Minderheit die Mehrheit majorisieren. Das ist schlichtweg nicht in Ordnung. (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wo leben Sie denn?) Ich darf daran erinnern, dass in der überregionalen Presse bezüglich Ihrer Politik von einem Veräppeln der Es sind schlicht und ergreifend sinnvolle praktische An- Forschung gesprochen wird. Genau das tun Sie, wenn wendungen. Denken Sie daran, dass Chymosin norma- die Forschung zwar zugelassen wird, Freisetzungen von lerweise aus Kälbern gewonnen wird! Denken Sie an das Ihnen aber kurzfristig unterbunden werden, wie dies bei- Verfahren! Es ist nicht gerade appetitfördernd. Genetisch spielsweise beim Apfelversuch in Pillnitz und Quedlin- hergestelltes Chymosin ist allemal die bessere Alterna- burg geschehen ist. Damit haben Sie gegen die Interes- tive. Dies wird gegessen und hat noch niemandem ge- sen der Obstbauern in Deutschland gehandelt, die darauf schadet. Der Käse schmeckt uns allen. warten, diese genetisch veränderten Organismen an- (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bauen zu können. NEN]: Ernähren Sie sich doch künstlich und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gehen Sie an den Tropf!) – Hören Sie in den hinteren Reihen doch auf zu pöbeln. Frau Ministerin, ich darf Ihnen auch sagen: Mit einer Das brauche ich nicht. Ihrer Aussagen liegen sie schlichtweg falsch. Gentech- nisch verändertes Lezithin wird auch in Zukunft nicht Sie, Frau Ministerin Künast, stehen wie ein begosse- angezeigt werden müssen. Ich erinnere an die Verord- ner Pudel da, seit Sie – darin unterstütze ich Sie nung 1829/2003. In Absatz 16 steht ausdrücklich: ausdrücklich – erklärt haben 8220 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Dr. Christel Happach-Kasan (A) (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tertür der Umsetzung von EU-Vorschriften an den Pran- (C) DIE GRÜNEN) ger zu stellen, ohne dass dafür ein sachlicher Grund vor- liegt. Der Gesetzentwurf ist handwerklich schlecht – hören Sie doch bitte zu, was Ihre Ministerin gesagt gearbeitet, so wie die Regierungsarbeit dieser rot-grünen hat! –, es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass von Koalition handwerklich schlecht ist, Lebensmitteln aus genetisch veränderten Pflanzen Gesundheitsgefährdungen ausgehen. Recht hat sie; das (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten muss man einmal sagen dürfen. der CDU/CSU) (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Das sagt sie weil er die notwendige Harmonisierung mit den Straf- aber selten!) vorschriften des Lebensmittel- und Bedarfsgegenstände- gesetzes unterlässt und neue Rechtsbegriffe einführt. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat Sie in dieser Frage richtig beraten. Daher ist jetzt die Richtlinienkom- (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- petenz des Bundeskanzlers gefragt; denn Sie, Frau Mi- NEN]: Sie wollen die Verbraucher weiter täu- nisterin, sind von den Gegnern der Gentechnik einge- schen!) bunden und gefesselt und daher nicht in der Lage, die – Man muss keine neuartigen Rechtsbegriffe einführen richtigen Konsequenzen aus der eigenen Erkenntnis zu und keine Wertungswidersprüche in ein Gesetz aufneh- ziehen. men, um die Verbraucherinnen und Verbraucher zu Ein Ergebnis Ihrer Unfähigkeit, die eigenen Erkennt- schützen. Das ist schlicht Humbug. Man kann ein sol- nisse umzusetzen, ist der Entwurf des Gentechnik- ches Gesetz fachlich und ordentlich sauber erarbeiten. Durchführungsgesetzes, das wir beraten. Drei bzw. fünf Die Verordnung 1829/2003 beschreibt als Ziel die Jahre Haft sowie Geldbußen bis zu 50 000 Euro werden Grundlage für ein hohes Schutzniveau für Leben und in den Strafvorschriften des Gesetzentwurfs gefordert. Gesundheit des Menschen sowie Gesundheit und Wohl- Das ist völlig überzogen. Damit werden bei Verfehlun- ergehen der Tiere. Dieses Ziel gehört eindeutig nicht zu gen gegen das Gentechnik-Durchführungsgesetz deut- den Kernaufgaben des Bundesamtes für Naturschutz. lich härtere Strafen als im Lebensmittel- und Bedarfs- Die rot-grüne Vorliebe für die Beteiligung des Bundes- gegenständegesetz gefordert, obwohl das Schutzgut naturschutzamtes bei der Umsetzung von Gentechnik- dasselbe ist und die möglichen Gefährdungen sogar eher gesetzen ist schon auffällig. Sie hat nichts mit Ihrem geringer sind. Interesse am Naturschutz zu tun, sondern gilt der perso- Die Straf- und Ordnungswidrigkeitsvorschriften nellen Ausgestaltung des Amtes als Hort des grünen sind in der Sache nicht gerechtfertigt. Sie müssen mit de- Fundamentalismus. (B) (D) nen des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ harmonisiert werden. Herr Kollege Weisheit, auch Sie DIE GRÜNEN) haben dies gefordert. Ich bedanke mich, dass wir hier ei- ner Meinung sein können. Diese Harmonisierung darf Das mag gut für grüne Karriereaussichten sein, aber es aber nicht auf zu hohem Niveau erfolgen, sondern es ist schlecht für den Naturschutz. muss zu einer praktikablen Lösung kommen. Meines Er- (Beifall bei der FDP) achtens kann man beispielsweise fehlende Kennzeich- nung nicht mit der Gefährdung von Leib und Leben Wir alle haben verfolgt, wie schlecht die FFH-Richt- gleichsetzen. Das ist einfach falsch. linie in Deutschland umgesetzt worden ist und wie viele Fehler das Bundesnaturschutzamt, grüne Minister und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Verwaltungen dabei gemacht haben. Es ist eine Katastro- der CDU/CSU) phe, in welcher Weise Naturschutz von Ihnen zugrunde gerichtet wird. Das wird der Sache überhaupt nicht ge- In dem Gesetz müssen jegliche Wertungswidersprü- recht. che vermieden werden; denn die Klärung darf in der Pra- xis nicht der Rechtsprechung überlassen werden. Dieser (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Gesetzentwurf ist unsauber ausgearbeitet. Es sollen für der CDU/CSU – Ulrike Höfken [BÜND- die Durchführung von drei EU-Verordnungen die zu- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist 15 Jahre her!) ständigen Behörden bestimmt und Strafvorschriften fest- gelegt werden. Es geht um die Rückverfolgbarkeit und Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Kennzeichnung genetisch veränderter Organismen, die Frau Kollegin, denken Sie daran, dass Ihre Redezeit Umsetzung des Cartagena-Protokolls und die Umset- abgelaufen ist. zung der Verordnung über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel. Es müssen zügig die gesetzlichen Vo- Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): raussetzungen für die Umsetzung dieser drei Verordnun- gen geschaffen werden; denn die Verordnungen müssen Das ist ausgesprochen schade. direkt umgesetzt werden. Aber dieser Aufgabe wird der (Peter Dreßen [SPD]: Das ist unanständig!) Gesetzentwurf nicht gerecht. – Das ist nicht unanständig. – Es ist eine Tatsache, dass Die Regierung missbraucht das Gesetz, um den Um- es keine genfreien Tomaten gibt und es sie niemals gege- gang mit genetisch veränderten Organismen und daraus ben hat. Ebenso gibt es keine gentechnikfreien Haus- hergestellten Lebens- und Futtermitteln durch die Hin- halte. Freiheit von Genen gibt es nicht. Der Verzicht auf Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8221

Dr. Christel Happach-Kasan (A) Gentechnik stellt – anders als Sie es uns weismachen ebenso ein Recht, von uns ernst genommen zu werden, (C) wollen – keinen Wert dar. wie diejenigen, für die Sie sich einsetzen. (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Ja!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, das könnte doch Ihr Schlusssatz gewe- Der zweite Punkt ist: Überlegen Sie einmal, warum sen sein. eigentlich Landwirte immer skeptischer gegenüber dem Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen werden. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Gegen die Ich bin beim letzten Satz. – Daher ist es an der Zeit, Regelung!) notwendige Regelungen mit geringstem bürokratischen Aufwand zu organisieren und sich vom Antigentechnik- Herr Heiderich, Sie sollten einmal den Bauern vor Ort popanz zu verabschieden. sagen, was Sie hier vorgetragen haben. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Da bin ich immer! Ich bin selber einer!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Jetzt ha- Sie sollten sagen, dass das die Auffassung der CDU ist. ben Sie uns aber den Appetit verdorben! – Ge- Dann hätten die auch ein Aha-Erlebnis. Die Argumente, genruf des Abg. [FDP]: Das die diese Menschen bringen, liebe Frau Happach-Kasan war der Sinn der Sache!) und werter Herr Heiderich, sind genauso viel wert (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Aber ja Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: doch!) Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Herta Däubler- Gmelin. wie die Argumente von den Leuten, die jetzt mit ihren Produkten, die sie für eine Schlüsseltechnologie halten, in den Landwirtschaftssektor drücken wollen. Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landwirte sagen deutlich: Langzeituntersuchun- Lassen Sie mich damit beginnen, dass ich sage: Ich finde gen wie zuletzt die der Universität von Iowa – Sie wer- es gut, dass wir in der ersten Lesung zu dem EG-Gen- den hoffentlich mitfahren, wenn der Ausschuss nach technik-Durchführungsgesetz, das helfen soll, mehrere Amerika fährt, um sich ein Bild zu machen – zeigen, EU-Verordnungen in deutsches Recht umzusetzen, auch dass sich die Heilsversprechen, nämlich dass man weni- (B) über Grundsatzprobleme reden. Aber mich macht der ger Pflanzenschutzmittel brauche, wenn man bestimmte (D) Stil der Auseinandersetzung gelegentlich etwas ver- gentechnisch veränderte Pflanzen anbaue, bei einem An- drießlich. bau über einen Zeitraum von mehreren Jahren nicht auf- rechterhalten lassen. Die Landwirte fragen dann, wozu Ich fand die Rede von Herrn Kollegen Heiderich aus- sie das alles machen sollen, wenn das noch mehr Geld gesprochen witzig und amüsant. kostet. (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Danke schön! Ich bin auch sachkundig!) (Abg. Helmut Heiderich [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Wir alle wissen: Er ist für die Gentechnik und er be- zeichnet sie als Schlüsseltechnik. Man muss diese Posi- – Gleich, Herr Heiderich. Ich bringe noch einige Punkte. tion aber nicht damit verbinden, dass man eine Ministe- Dann können Sie noch mehr fragen. rin oder alle Leute, die die Probleme nicht so sehen wie Wir werden natürlich auch über andere Bedenken re- Sie, verehrte Kollegin Happach-Kasan, persönlich an- den müssen. Viele Biobauern fragen: Wie kriegen wir greift, sie für dumme Jungs denn unsere guten, biologisch erzeugten Produkte an die (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Mädchen!) Verbraucher, wenn irgendjemand diese Produkte auf- grund von Heilsversprechen verunreinigt und dafür Ihrer hält oder sie abwertet. Meinung nach noch nicht einmal haften (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Nein!) DIE GRÜNEN – Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Das habe ich nicht gemacht!) bzw. für die Verunreinigung geradestehen soll? Wenn wir grundsätzlich über Gentechnik reden, dann Das ist übrigens völlig unabhängig davon, ob wirklich kann man die Probleme, die vorhanden sind, nicht ein- dauerhafte Schäden an der Gesundheit oder an der fach wegdefinieren, es sei denn, man wollte sich wirk- Umwelt festzustellen sind. Das kann im Übrigen heute lich dem Vorwurf aussetzen, man sei begrenzt oder nur niemand mit großer Sicherheit sagen. Man kann es ver- ein Lobbyist der Agrochemie. Sie brauchen sich doch muten. Es gibt bestimmte Anhaltspunkte dafür, es gibt nur einmal draußen umzuhören. Es sind die Verbrau- aber auch Argumente dagegen. Wir sind nicht dazu da, cher, die erhebliche Vorbehalte haben. Nun können Sie als Lobbyisten für die eine oder andere Seite einzutreten, sagen: Das interessiert mich nicht und ich mag das sondern dafür, die Argumente anzuhören und dann poli- nicht. – Aber selbstverständlich haben diese Leute tisch zu entscheiden. 8222 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Dr. Herta Däubler-Gmelin (A) (Beifall des Abg. Matthias Weisheit [SPD] und (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Ich habe im- (C) des Abg. [BÜNDNIS 90/ mer noch eine Wortmeldung!) DIE GRÜNEN]) – Ich mache es so wie Sie und lasse die Zwischenfrage Ich glaube, dass wir mit den Regelungen des EG- am Ende meiner Redezeit zu; dann kann ich sie verlän- Gentechnik-Durchführungsgesetzes auf dem richtigen gern. Das war ein guter Tipp. Weg sind. Deswegen ist es gut, dass man es jetzt einge- Aber neutral zu tun und dann zu erklären, das Gesetz bracht hat. Wir können doch nicht darüber hinwegsehen, sei richtig, das ist nicht akzeptabel. dass die EU die Grundfrage der Zulassung unter klaren Kontrollen und Vorbehalten geregelt hat. Das gilt übri- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gens für alle Seiten. Dass dann aber nicht nur die Vorbe- DIE GRÜNEN) halte und die Kontrollen, die Sicherungsmechanismen Ich komme zu einem weiteren Punkt. Notwendig ist und die Prinzipien der Wahrhaftigkeit, Transparenz, auf jeden Fall, dass die Rückverfolgbarkeit und die Kennzeichnung und Koexistenz durchgesetzt werden Rückholbarkeit sichergestellt werden, weil wir, wenn müssen, sondern auch die Möglichkeit der Rückholbar- wir ehrlich sind, alle nicht wissen, was im Einzelnen auf keit dieser Technologie gewährleistet werden muss, uns zukommt. Wenn ich mich mit Landwirten in Bayern wenn wir ehrlich bleiben wollen, daran besteht doch gar und Baden-Württemberg unterhalte, die – lassen Sie kein Zweifel. Aber wenn man Verfahren und Kontrolle mich das hinzufügen; Gott sei es geklagt – immer noch als rot-grüne Katastrophe – oder wie lauteten Ihre überwiegend die CDU wählen und ihnen Ihre heutigen freundlichen Worte? – bezeichnet, liebe Frau Happach- Ausführungen schildere, lieber Herr Heiderich, dann Kasan, dann liegt doch der Widerspruch bei Ihnen und wird das für die Landwirte ein starkes Aha-Erlebnis sein. nicht in einer vernünftigen Regelung. Sie können Gift darauf nehmen, dass ich das tue. Es geht um eine klare Kennzeichnung und Kontrolle. Ob noch Verbesserungen an dem Gesetz möglich sind, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: wird sich zeigen. Das werden wir genau prüfen. Frau Kollegin, es gibt zwei Wortmeldungen zu Zwi- schenfragen, nämlich der Kollegin Happach-Kasan und Bei Ihren Ausführungen aber, Herr Heiderich, habe des Kollegen Heiderich. ich mir einen Moment vorgestellt, alles, was Sie ange- sprochen haben, müsste in das Gesetz aufgenommen Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): werden. Ich bin mir sicher: Nicht nur ich würde schrei- Ich habe noch 50 Sekunden Redezeit. Ich habe das end vor einem solchen unlesbaren Horrorgesetz davon- genau berechnet, weil ich schließlich meine Redezeit laufen, sondern auch Sie würden das tun. (B) verlängern will. Das ist doch klar. (D) Wenn es Ihnen nur um eine Regelung des Verfahrens Wenn heute nicht die Mehrheit des Bundesrates den geht, was nicht im Gesetz erfolgen muss – davon gehe Haushalt 2004 sinnloserweise – weil wir das natürlich ich aus, weil ich Sie kenne –, dann macht es doch keinen zurückweisen werden – abgelehnt hätte, dann hätte ich Sinn, alle Ihre Anwürfe der Ministerin an den Kopf zu schon heute Nachmittag in Ulm/Ermingen angefangen. werfen. Ich mache Ihnen aber einen Vorschlag, Herr Heiderich. (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Doch! Sie Wir – CDU-Leute, die so denken wie Sie, und SPD- muss doch die Verfahrensregelungen schaf- Leute, die eine differenzierte und klare verbraucher- und fen!) landwirtsfreundliche Regelung anstreben – gehen ge- meinsam zu den Landwirten. Dann erleben wir hoffent- Ich komme zu einen weiteren Punkt. Ich fand das von lich, dass die Argumente korrigiert werden; vielleicht Ihnen angeführte Beispiel eines Importeurs von Soja- können wir sogar voneinander lernen. bohnen aus Brasilien merkwürdig. Wären Sie statt von Jetzt haben Sie die Möglichkeit zu Zwischenfragen. Sojabohnen von Automobilen und den entsprechenden Ich habe noch 6 Sekunden Redezeit. Sicherheitsvorschriften ausgegangen, dann wäre Ihnen – ich sehe, Sie lächeln schon – Ihr Gedankengang ko- (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Die will ich misch vorgekommen. Denn Sie wissen genau, dass da Ihnen nicht mehr nehmen!) bestimmte Standards eingehalten werden müssen. Wenn Bitte schön, Frau Happach-Kasan. dies nicht der Fall ist, haftet selbstverständlich auch der Importeur, wenn er Produkte einführt, die den geltenden Standards nicht entsprechen. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Man sollte die Chance für einen Dialog nutzen. Ich Warum das bei der Einfuhr von Pflanzen oder Futter- bedanke mich für die Möglichkeit einer Zwischenfrage. mitteln anders sein soll, erschließt sich, glaube ich, nicht Frau Kollegin Däubler-Gmelin, haben Sie zufällig zur nur mir nicht, sondern in Wirklichkeit auch Ihnen nicht. Kenntnis genommen, dass der Bundesrat eine sehr um- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) fangreiche Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf abge- geben und darin sehr deutlich verschiedene Kritikpunkte Hierbei zeigt sich, dass es wahrscheinlich klüger gewe- zum Ausdruck gebracht hat? Ist Ihnen bewusst – ich sen wäre, wenn Sie einfach gesagt hätten: Ich bin für denke, das ist der Fall –, dass ein solches Gesetz von den genveränderte Pflanzen, mir passt der ganze Kurs nicht. Ländern umzusetzen ist und dass der Bundesrat deswe- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8223

Dr. Christel Happach-Kasan (A) gen ein sehr großes Interesse daran hat, dass die darin rung einer Kronzeugenregelung bei terroristi- (C) enthaltenen Regelungen vollziehbar und umsetzbar schen Straftaten (KrzErgG) sind? Vor diesem Hintergrund sind die Vorstellungen zu sehen, dass beispielsweise die Straf- und Bußgeldvor- – Drucksache 15/2333 – schriften harmonisiert und Wertungsunterschiede aufge- Überweisungsvorschlag: hoben werden sollen, dass die Regelung nicht der Praxis Rechtsausschuss (f) Innenausschuss des Strafvollzugs anheim gestellt werden darf und dass Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit auch Bundesbehörden beteiligt werden sollen, die über Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend entsprechende Erfahrungen verfügen, wie es beispiels- weise beim Umweltbundesamt der Fall ist, nicht aber Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die beim Bundesamt für Naturschutz. Wie stehen Sie dazu? Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als Erster Liebe Frau Happach-Kasan, wie Sie wissen, geben der Abgeordnete Dr. Norbert Röttgen. wir uns im Ausschuss große Mühe – übrigens seit 1998 ganz besonders –, in die Gesetzgebungsverfahren auch Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): die Länder einzubeziehen. Das wird auch bei dem vor- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! liegenden Gesetzentwurf der Fall sein. Gestern haben wir in diesem Haus über die jahrelange Das Einzige, was ich an Ihrer Fragestellung korrigie- Untätigkeit der Koalition bei der Regelung der Siche- ren würde, wenn Sie es gestatten, ist das Wort „zufällig“. rungsverwahrung von gefährlichen Wiederholungstä- Denn tern gesprochen. Jahrelang ist nichts geschehen, bis das Bundesverfassungsgericht jetzt interveniert und die (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Gestat- Reißleine gezogen hat. Heute reden wir über die jahre- tet!) lange Untätigkeit der Koalition hinsichtlich des Einsat- selbstverständlich habe ich die entsprechenden Äußerun- zes der Kronzeugenregelung im Kampf gegen den inter- gen gelesen. Ich gehe davon aus, dass Sie gehört haben, nationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität. was der Kollege Weisheit gesagt hat, und dass wir über Ob Sicherungsverwahrung, Kronzeugenregelung, gene- das eine oder andere noch nachdenken werden. tischer Fingerabdruck, Graffitibekämpfung oder Tele- fonüberwachung, das Muster Ihrer Rechtspolitik und Ich möchte Sie auffordern, bei den Beratungen über insbesondere Ihrer Politik auf dem Gebiet der inneren den vorliegenden Gesetzentwurf das zu tun, was wir Sicherheit ist immer gleich: Obwohl es ein Gebot zum (D) (B) – erfreulicherweise – immer machen, nämlich die Argu- Handeln gibt und die Mehrheit in diesem Hause handeln mente der Andersdenkenden, insbesondere derjenigen, möchte, handeln Sie nicht. die berechtigte Sorgen haben, sehr ernst zu nehmen und nicht so zu tun, als ob die anderen nur deswegen dumme (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Jungen oder rückwärts gewandte Ideologen wären, weil GRÜNEN]: Was? – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ sie der Meinung sind, dass die Agrochemie, wenn sie et- DIE GRÜNEN]: Sie sind ein Aktionist!) was haben möchte, nicht nur nachweisen solle, dass es – Sie sind eine Schnecke in der Politik; nützlich ist, sondern auch, dass es nicht gesundheits- schädlich und nicht umweltschädlich ist. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist in der Rechtspolitik besser als ein Aktio- Herzlichen Dank. nist! – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Wir sind (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hier nicht im Zoo!) DIE GRÜNEN) denn Sie kommen nicht zu Ergebnissen. Kein Wunder also, dass Ihnen unsere Initiativen schon als Aktionis- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: mus vorkommen. Ich danke auch und schließe damit die Aussprache. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- Es ist aber anders. Die Justizministerin übt sich in ih- wurfs auf Drucksache 15/2397 an die in der Tagesord- ren Lieblingsdisziplinen: prüfen, abwarten und ankündi- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es gen. Der Bundesinnenminister ist inzwischen nur noch andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die mit sich selber und dem Bundeskriminalamt beschäftigt. Überweisung so beschlossen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) Erste Beratung des von den Abgeordneten Es ist immer das Gleiche: Die innere Sicherheit ist bei Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, Hartmut Rot-Grün in schlechten Händen. Das ist der Tatbestand. Koschyk, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines (Beifall bei der CDU/CSU – Jerzy Montag Gesetzes zur Ergänzung der Kronzeugenrege- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie lungen im Strafrecht und zur Wiedereinfüh- sich mal im Land um!) 8224 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Dr. Norbert Röttgen (A) – Rhetorisch sind Sie ja immer auf der Höhe; das be- die katastrophale Dimensionen annehmen können. Das (C) streitet niemand. Aber Sie handeln nicht. Das Verwerfli- sind die Qualität und die Dimension der Bedrohung, vor che ist, dass die Bürger die Suppe, die ihnen die Koali- der wir stehen. Darum können wir nicht einfach kapitu- tion durch ihre politische Uneinigkeit und ihr Klein- lieren. Darum können wir uns das Klein-Klein der Koa- Klein eingebrockt hat, auslöffeln müssen. Sie tun zu we- lition nicht leisten. Es sind enorme Gefahren. Die größte nig für die innere Sicherheit. Das ist der Tatbestand. Bedrohung, die der Frieden in der Welt zu fürchten hat, geht vom internationalen, insbesondere islamistischen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Terrorismus aus. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lachhaft!) Dieser Terrorismus arbeitet organisiert. Er arbeitet ab- geschottet, sprachlich, organisatorisch und ethnisch ab- Wir stehen gerade im Bereich der inneren Sicherheit geschottet. Den Strafverfolgungsbehörden gelingt es nur vor großen Herausforderungen und vor schwierigen sehr schwer, in diese abgeschotteten Strukturen einzu- rechtsstaatlichen Abwägungsprozessen. Das ist schon in dringen. Es ist ein Panzer aus Sprache, aus Sitte und aus der gestrigen Debatte über die Sicherungsverwahrung Ethnie, der für die Strafverfolgungsbehörden nur schwer deutlich geworden. zu durchlöchern ist, um Straftaten zu verhindern. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Die Debatte Was wir vortragen, ist nicht nur eine politische Forde- gestern lief anders!) rung, sondern es ist fast schon der Hilferuf aus der Pra- Auch die Kronzeugenregelung ist ein schwieriger Fall. xis. Deshalb muss man eine klare Maxime haben, die deut- (Lachen des Abg. Joachim Stünker [SPD]) lich macht, wie man bei der inneren Sicherheit vorgehen will. Unsere Maxime ist, dass das rechtsstaatlich Mögli- Ich lese Ihnen jetzt einmal einen dieser Hilferufe vor. che und Vertretbare zugleich das rechtsstaatlich Gebo- tene ist. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Einen! – Zurufe von der SPD: Einen! – (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE NEN]: Welch eine absurde Idee!) GRÜNEN]: Lesen Sie mal, was der Richter- bund geschrieben hat!) Der Rechtsstaat hat zwei Aufgaben: Er hat natürlich die Aufgabe, Grundrechtseingriffen eine Grundlage und Er ist immerhin vom Vorsitzenden Richter am Oberlan- eine Begrenzung zu geben. Aber der Rechtsstaat hat desgericht Düsseldorf. auch die Aufgabe, die Bürger zu schützen und Rechtsgü- (Joachim Stünker [SPD]: Machen Sie sich nicht (B) terschutz zu betreiben. Diese Aufgabe blenden Sie völlig (D) aus. Das, was möglich ist, muss getan werden. lächerlich! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu dem kommen wir noch! Den (Hans-Peter Kemper [SPD]: Das machen wir kennen wir schon!) schon lange!) – Vielleicht hören Sie einfach einmal zu! Ich schlage – Sie machen nichts! Sie reden, aber Sie machen nichts. vor, dass wir denjenigen, die damit in der Strafrechtspra- Das ist der unbestreitbare Sachverhalt. xis betraut sind, einmal zuhören. Die Fähigkeit zum Zu- hören ist auch eine demokratische Fähigkeit. Ich bitte (Zurufe von der SPD) Sie, dem Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht – Ihre Unruhe bestätigt diesen Befund. Wenn Sie etwas Düsseldorf, der dem al-Tawhid-Verfahren vorgesessen vorzuweisen hätten, bräuchten Sie es einfach nur zu sa- hat, zuzuhören. gen. Außer Grummeln kommt von Ihnen leider nichts. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Es sind – das ist keine Frage – schwierige Fragen zu GRÜNEN]: Den Richterbund sollten Sie mal entscheiden. Bei der Kronzeugenregelung zahlt der zitieren!) Rechtsstaat seinen Preis. Niemand ignoriert die Schwie- Er sagt – ich zitiere aus dem Urteil; er hat es in sein rigkeiten. Kein Mensch sagt, dass das alles rechtsstaat- Urteil hineingeschreiben –: lich im leichtfüßigen Galopp zu machen ist. Eine Kronzeugenregelung ist zur Bekämpfung des (Hans-Joachim Hacker [SPD]: So, so!) organisierten Terrorismus unverzichtbar. ... Unser Aber man darf sich der Aufgabe und der Herausforde- Fall hier zeigt geradezu exemplarisch mehrere ... rung nicht entziehen, nur weil es schwierig ist. Sie schei- Aspekte auf: tern an der Herausforderung. Wir tun das nicht. Auch in den islamistischen Terrorgruppen finden Die Frage ist: Warum sind wir bereit, für eine Kron- sich Mitglieder, die unter bestimmten Gegebenhei- zeugenregelung den rechtsstaatlichen Preis zu zahlen, ten zum Ausstieg bereit sind, wie es sich im Falle der darin besteht, dass ein Straftäter, mindestens ein Be- des Angeklagten gezeigt hat. Es ist zu kurz gegrif- schuldigter, der Strafe, die er verdient hat, nicht zuge- fen, bei den Mitgliedern solcher Vereinigungen aus- führt wird? Warum sind wir bereit, diesen Preis zu zah- nahmslos von unbeugsam ideologisch verhafteten len? – Wir sind bereit, diesen Preis zu zahlen, weil der Islamisten auszugehen, die einer Ansprache mit Terrorismus die größte Friedensbedrohung unserer Zeit möglichen Strafvergünstigungen nicht zugänglich ist und weil der Terrorismus mit Gefahren verbunden ist, sind. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8225

(A) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (C) Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des GRÜNEN]: Und die anderen Richter?) Kollegen Stünker? Diesen Praktiker hören wir und wir nehmen das sehr ernst, was er aus seiner praktischen Erfahrung sagt, was Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): er Hilfe suchend an die Politik gewandt sagt. Ich würde gerne das Zitat beenden. Dann lasse ich die Zwischenfrage zu. Dass es bei dieser Frage in den Verbänden eine ein- heitliche Meinung gibt, ist nicht zu erwarten. Ich zitiere weiter: (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Die fehlende Möglichkeit der gesetzlich abgesi- GRÜNEN]: Doch, eine gegenteilige!) cherten Zusage einer Vergünstigung erschwert, ja behindert die Aufklärung begangener und die Ver- Ich nehme einen Praktiker, der betroffen ist und aus sei- hinderung weiterer terroristischer Straftaten. … nen Erfahrungen berichtet, sehr ernst. Wir halten die Auffassung, die er vertritt, für zutreffend. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hatte doch die Möglichkeiten! (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die stehen doch im Gesetz!) NEN]: Eine sehr dialektische Antwort!) Deshalb geht der dringende Appell an den Gesetz- Darum haben wir diesen Gesetzentwurf vorgelegt. Wir geber, sich aufgrund der Erfahrungen mit dem vor- haben ihn rechtsstaatlich eingebettet. Deshalb bestehen liegenden Strafverfahren erneut der (Wieder-)Ein- keine Bedenken, ihm zu folgen. Wir fordern Sie auf, führung einer Kronzeugenregelung anzunehmen. nicht nur von den Gefahren zu reden, sondern auch zu Hören Sie die Appelle! Hören Sie den Notruf der Pra- handeln, und zwar effektiv. xis! Verweigern Sie sich nicht – das ist unser Appell –, Danke sehr. weil Sie in der Regierung keine Einigkeit haben, meine Damen und Herren! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat denn der Richterbund geschrieben?) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (B) Jetzt ist die Redezeit schon zu Ende. Ich möchte nur (D) auf Folgendes hinweisen: Wir sollten es nicht zur Dauer- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- regel machen, auf diese Weise zu längeren Debatten zu desministerin der Justiz: kommen. Das ist, glaube ich, im Interesse von uns allen. Verehrte Frau Präsidentin! Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die innere Sicher- (Jörg van Essen [FDP]: Sehr guter Hinweis, heit ist bei Rot-Grün in guten Händen. Frau Präsidentin!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich lasse es jetzt noch einmal zu, aber dann nicht mehr. DIE GRÜNEN) Bitte. Seit wir in der Regierungsverantwortung sind, geht näm- lich laut Kriminalstatistik die Anzahl schwerer Straftaten Joachim Stünker (SPD): zurück und die Aufklärungsquote steigt. Herr Kollege Röttgen, Sie haben den Notruf der Pra- xis vorgetragen. Ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, dass Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von sowohl der Deutsche Richterbund als auch der Deutsche der Unionsfraktion, präsentieren heute aber wieder ein- Anwaltverein hierzu eine genau gegenteilige Stellung- mal einen Gesetzentwurf, den wir zum größten Teil nahme abgegeben haben? schon aus der vergangenen Wahlperiode kennen. Er hat bereits damals keinen Erfolg gehabt und – so viel vor- weg – ich kann mir kaum vorstellen, dass das diesmal Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): anders ausgeht. Mir ist bekannt, dass der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes eine andere Stellungnahme abgegeben Lassen Sie mich zunächst auf die absolute Neuigkeit hat Ihres Entwurfs eingehen, also auf Art. 1, der praktisch zum Wiederaufleben der alten Kronzeugenregelung bei (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- terroristischen Straftaten führen würde. Die alte Regelung NEN]: Aha! Eine Stimme der Praxis! – Hans- ist Ende 1999 nicht verlängert worden. Die Gründe dafür Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sind so oft und so intensiv erörtert worden, dass ich sie NEN]: Aha!) hier nicht wiederholen muss. Für einen Rechtsstaat ist es und der DAV ebenso. Aber der DAV ist nicht die Vertre- nun einmal kein einfaches und selbstverständliches Anlie- tung der Richterschaft. Ich habe einen richterlichen gen, einen Straftäter – das ist der Kronzeuge – mit einer Praktiker zitiert, der in seiner konkreten richterlichen geringeren als der eigentlich verwirkten Strafe davon- Tätigkeit mit Terroristenprozessen befasst ist. kommen zu lassen. 8226 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach (A) Ich bin mir außerdem sicher, dass Sie die Mehrheit Noch schwerer fällt es, mit Ihnen einen Erfolg ver- (C) dieses Hauses nicht zu einer Änderung der Entscheidung sprechenden Dialog zu führen, wenn man die Art. 2 bis 9 von 1999 bringen werden, wenn Sie in der Entwurfsbe- Ihres Gesetzentwurfs ansieht. gründung allein und pauschal – das haben Sie auch eben getan – auf die Erfahrungen in Verfahren gegen (Joachim Stünker [SPD]: Richtig! islamistische Terroristen hinweisen. Gerade da bietet Fürwahr, fürwahr!) sich nämlich in Wahrheit ein ausgesprochen zwiespälti- Wir haben in der Vergangenheit einen Dialog angeboten ges Bild: In einem Verfahren hat der von Ihnen zitierte und wir haben erklärt, was uns an diesem Entwurf rein Vorsitzende Richter – er hat im Moment große Proble- fachlich fehlerhaft zu sein scheint. Wir können leider me – für eine Kronzeugenregelung plädiert, weil das nicht feststellen, dass das in irgendeiner Form Nieder- Aussageverhalten eines Beschuldigten in diesem einen schlag gefunden hätte. konkreten Verfahren das nahe legte. Er hat ihn auch ohne diese Regelung verurteilt. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ha- ben Sie einen besseren Entwurf vorgelegt?) Bei anderen Beschuldigten aus diesem Umfeld sind sich die Experten aber weitgehend sicher, dass sie für Hier nur einige Stichworte: Unverändert streut der mögliche Anreize einer Kronzeugenregelung kaum emp- Entwurf 20 einzelne Kronzeugenregelungen quer durch fänglich wären. Das ist insbesondere angesichts des StGB und Nebenstrafrecht; das ist in seiner Unübersicht- ideologischen, religiös-fanatischen Hintergrunds der Be- lichkeit völlig unpraktikabel. Deshalb wurde der Ent- schuldigten auch nicht anders zu erwarten. Ein solcher wurf gerade von den Praktikern in der Anhörung des Hintergrund dürfte bei der Mehrheit der infrage kom- Rechtsausschusses im November 2001 regelrecht verris- menden Personen bestehen. sen. Immerhin wollen wir gerne mit Ihnen zusammen da- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: rüber nachdenken, welche Möglichkeiten zum Schutz der Bevölkerung vor schwersten Straftaten sinnvoll er- Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen scheinen. Röttgen?

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU] Ja, Sie den- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- ken schon lange nach!) desministerin der Justiz: – Herr Röttgen, hören Sie einem erfahrenen Praktiker Ich möchte weiterreden; er hat schon genug geredet. – einmal zu! Sie haben eben ja auch einen zitiert. Unverändert fehlt jede nachvollziehbare sachliche Erklä- rung dafür, weshalb Sie eigentlich bei diesen und jenen (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Delikten Kronzeugenregelungen vorsehen wollen, bei (D) DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ anderen jedoch nicht. Was soll einerseits eine Kronzeu- CSU]: Eigenlob stinkt!) genregelung im Ausführungsgesetz über das Chemie- Allerdings brauchen wir noch etwas mehr und substan- waffenübereinkommen, wenn Sie andererseits in Ihrem zielleren Hintergrund, als Sie ihn liefern. Entwurf nicht einmal dem kleinen Schläger am Rande einer kriminellen Organisation den Anreiz geben, über Wenn wir schon über ernsthafte Erörterungen spre- seine Bosse auszupacken? Nicht, dass mir der kleine chen, dann sollten Sie übrigens besser damit aufhören, Schläger sonderlich sympathisch wäre; im Gegenteil. die Kronzeugenregelung als Forderung „nahezu der ge- Aber hier kommen wir schnell wieder zur Grundsatz- samten Praxis“ zu bezeichnen. frage, ob man überhaupt eine Kronzeugenregelung vor- (Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD]) sehen sollte. Ich versuche im Moment also nur, Ihren Ansatz konsequent zu Ende zu denken, kann aber in Ih- Es wäre schön, wenn Sie als Beleg dafür eine Studie des rem Ansatz keine Konsequenz erkennen. Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen nicht nur zitieren, sondern diese Studie irgendwann auch Auch hinsichtlich anderer Delikte ist Ihr Ansatz in- einmal lesen würden. Der Rücklauf der bundesweiten konsequent. Ich kann leider aufgrund der zu Ende ge- Erhebung bestand im Wesentlichen aus 466 Fragebögen. henden Redezeit nicht weiter darauf eingehen, möchte 231 davon stammten aus dem Justizbereich – 231 Frage- nur noch einige Ungereimtheiten bezüglich der prozes- bögen bei etwa 15 000 Richtern der ordentlichen Ge- sualen Regelungen aufzeigen: Wie soll das zum Beispiel richtsbarkeit und etwa 6 000 Staats- und Amtsanwälten! mit dem Wiederaufnahmeverfahren gegen den lügenden Kronzeugen vonstatten gehen? Denken Sie doch bitte Dieses Zahlenverhältnis entwertet nicht diese Studie, einmal darüber nach, was Sie da in einer Strafprozess- der sich auf jeden Fall wertvolle Aspekte für eine sachli- ordnung anrichten, die sich bisher in ihren Grundzügen che Diskussion entnehmen lassen. Ihre Behauptung, die bewährt hat. Einführung einer Kronzeugenregelung entspreche einer Forderung „nahezu der gesamten Praxis“, kommentiert (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sich danach allerdings praktisch von selbst. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Von mir dazu nur noch der Hinweis – Herr Stünker Das kurze Fazit aus meinen Bemerkungen kann nur hat ihn schon gegeben –, dass sich der Deutsche Richter- lauten: Völlig unabhängig davon, wie man sich bezüg- bund ausdrücklich gegen eine Kronzeugenregelung aus- lich der Frage Kronzeugenregelung grundsätzlich ent- gesprochen hat. scheidet – pro oder kontra –, ist dennoch festzuhalten: Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8227

Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach (A) So wie Ihr Entwurf das vorsieht, darf man das nicht ma- dass man die Regelungen problemlos umsetzen könnte, (C) chen. Sie, Herr Röttgen, haben mit klingender Rhetorik möchte ich mit einem Fragezeichen versehen. Der Ver- nur Nebelkerzen geworfen, weil Ihnen die Sachargu- treter der Bundesregierung hat dies ja gerade auch schon mente während Ihrer Oppositionszeit offensichtlich ab- kritisiert. Aber ich denke, dass der Ansatz, den Sie dort handen gekommen sind. haben, richtig ist: Ein Pseudokronzeuge darf keine Straf- minderung bekommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In einem zweiten Punkt stimme ich mit Ihnen nicht überein. Für uns ist ganz wichtig, dass eine Verurteilung Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: nicht allein auf der Aussage eines Kronzeugen beruhen Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jörg van Essen. darf. Es muss auch weitere Mittel geben, die zur Fest- stellung der Schuld des Täters führen. Denn gerade die Kronzeugen kommen häufig aus einem zwielichtigen Jörg van Essen (FDP): Milieu und sind in schärfste Straftaten verwickelt. Man Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kann nicht ausschließen, dass sie die Dinge so darstellen, Wir haben die Frage der Kronzeugenregelung hier im dass sie selbst günstig wegkommen. Deshalb müssen Bundestag ja bereits häufiger debattiert. weitere Beweismittel hinzukommen. Eine entsprechende (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Regelung finde ich in Ihrem Gesetzentwurf nicht; Sie GRÜNEN]: Das stimmt!) schließen das ausdrücklich aus. Ich bedaure das. Ich habe für die Freien Demokraten deutlich gemacht, Ein weiterer Punkt, über den wir nachdenken müssen, ist, dass wir für eine Kronzeugenregelung sind. Ich betone ob es richtig ist, dass Sie sich an die Organisationsdelikte in dabei aber, wie ich es bisher auch immer unterstrichen § 129 a und 129 b Strafgesetzbuch anhängen. Ich selbst habe, dass wir für eine rechtsstaatliche Kronzeugenrege- bin in dem Bereich als Oberstaatsanwalt längere Zeit tä- lung sind. tig gewesen und ich weiß, wie schwierig es ist, ein Orga- (Beifall bei der FDP – Joachim Stünker [SPD]: nisationsdelikt nachzuweisen. Aber schwerste Straftaten, Sehr gut!) die für solche Organisationen typisch sind, können häu- fig nachgewiesen werden. Deshalb halte ich es für über- Warum sind wir dafür? Gerade im Bereich der orga- legenswert, ob man statt der Organisationsdelikte nicht nisierten Schwerstkriminalität kann man in den Kern besser einen Katalog der schwersten Verbrechen als An- der Organisationen nur eindringen, wenn man demjeni- knüpfungspunkt nimmt. Darüber sollten wir sprechen. gen, der bereit ist, einer solchen kriminellen Organisa- Ähnlich kritisch wie Staatssekretär Hartenbach bin (B) tion den Rücken zu kehren, die Hand reicht. Eine wich- (D) tige Möglichkeit, die Hand für die Zusammenarbeit mit ich bei den vielen Einzelregelungen, die Sie im Strafge- der Justiz zu reichen, bietet eine solche Kronzeugenrege- setzbuch, aber auch in den Nebengesetzen vorsehen. Ich lung. Das Ganze ist nicht unproblematisch, weil diese bin der Auffassung, dass wir gut beraten sind, wenn wir Straftäter natürlich in aller Regel eine schwere Schuld das auf einige wenige Fälle beschränken und keine Aus- auf sich geladen haben. Das macht deutlich, dass eine weitung vornehmen, beispielsweise auf den Tatbestand solche Kronzeugenregelung nur unter bestimmten Vo- des Betruges, wie Sie es vorsehen. Auch da sehe ich Ge- raussetzungen greifen kann und greifen darf. sprächsbedarf. Die CDU/CSU hat einen Entwurf vorgelegt, der, wie Alles, was Sie gerade von mir gehört haben, macht ich hoffe, uns Gelegenheit geben wird, die Fragen, die deutlich, dass die Liberalen eine rechtsstaatliche Kron- notwendigerweise diskutiert werden müssen, hier im zeugenregelung wollen. Ich denke, dass die heutige De- Deutschen Bundestag auch zu diskutieren. Dass ein sol- batte gezeigt hat, dass es genügend Gesprächsstoff für ches Vorgehen quer durch alle Fraktionen möglich ist, alle gibt. Ich appelliere noch einmal an uns alle – gerade hat der Umgang mit dem Vorschlag der FDP-Bundes- weil ich aus der Praxis komme, weil ich die Nöte meiner tagsfraktion hinsichtlich der heimlichen Aufnahmen ge- Kollegen, die in diesem schwierigen Bereich als Staats- zeigt. Am Anfang wurden zwar auch diese oder jene Be- anwälte ermitteln müssen, kenne –, dafür zu sorgen, dass denken geäußert, dann aber haben sich alle Fraktionen in wir zu einer rechtsstaatlichen Kronzeugenregelung kom- einem, wie ich finde, vorbildlichen Verfahren auf einen men. Der Weg dahin müsste eigentlich zu ebnen sein. gemeinsamen Gesetzentwurf verständigt. Das muss auch Ich appelliere insbesondere an die Kollegen von der hier gelingen. SPD, weil ich weiß, dass es bei Ihnen viele gibt, die ge- nauso denken wie ich. Ich will ein paar Punkte ansprechen, die für uns als FDP wichtig sind: Herzlichen Dank. Erstens. Wir wollen nicht, dass es einem Pseudo- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dirk kronzeugen gelingt, Strafvorteile zu erreichen. Einer, Manzewski [SPD]) der zunächst mit der Justiz zusammenarbeitet, dann aber beispielsweise im Prozess auf einmal Gedächtnislücken Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: hat und diese Zusammenarbeit einstellt, darf nicht von Das Wort hat jetzt der Kollege Montag, dem wir vor- der Kronzeugenregelung profitieren; das ist vollkommen weg zu seinem heutigen Geburtstag gratulieren. klar. Sie haben das in Ihrem Entwurf erfreulicherweise auch so vorgesehen. Ob das immer so geschehen ist, (Beifall) 8228 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

(A) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) Ganz herzlichen Dank für diese persönliche Erwäh- und bei der SPD) nung, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kolle- Nach der Frage der materiellen Richtigkeit der be- gen! Lieber Herr Kollege Dr. Röttgen, Ihre These, die Sie lastenden Aussagen stellt sich die zweite Frage: Wer heute hier vorgetragen haben – was rechtsstaatlich mög- soll in der Lage sein, einem solchen Menschen eine lich sei, das sei im Wege des Handelns auch geboten –, ist, rechtsverbindliche Zusicherung zu machen? verzeihen Sie mir bitte, absurd. Rechtsstaatlich möglich ist sehr vieles. Aber wir werden nur das machen, was ( [CDU/CSU]: Kann es sein, sachlich geboten ist. dass Sie es nicht begriffen haben?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie sagen dazu, das könne der Generalbundesanwalt und bei der SPD) sein. Wir sagen, dass es nur – wenn überhaupt; dafür gibt es Instrumentarien – das erkennende Gericht sein kann, Das, was sachlich geboten ist, entspricht nicht dem, was nachdem es selbst geprüft hat, ob die Aussage der Wahr- Sie hier vorgelegt haben; es ist unsachlich. Wir werden heit entspricht. diesem Weg nicht folgen. (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie zitieren Ich will den – wie ich befürchte, leider Gottes untaug- falsch!) lichen – Versuch machen, einen Begriff aus der Debatte zurückzuholen. Wir leben nicht in einer Monarchie, son- Das sind die beiden Fragen, um die es geht. dern in einer Demokratie. Bei uns ist die Staatsanwalt- schaft nicht die Vertreterin der Krone, sondern die der Herr Dr. Röttgen, ich komme jetzt zu der Frage, die Bürgerinnen und Bürger. Deswegen ist der Begriff des Sie angesprochen haben. Sie schreiben in Ihrem Gesetz- Kronzeugen, der auf das angelsächsische Recht zurück- entwurf auf der ersten Seite: geht und der besagt, dass die Exekutive einen Beschul- Wie jüngste Erfahrungen in Prozessen gegen isla- digten unter ihre Fittiche nimmt, die Erkenntnisse aus- mistische Terroristen bestätigen, sind Kronzeugen- wertet und ihn der Justiz vorenthält – das ist das Wesen regelungen in diesem Bereich unerlässlich. der Kronzeugenregelung –, auf unser Rechtssystem und auf das, was bei uns möglich ist, überhaupt nicht über- Tatsächlich sind Sie in der Lage, aus einem Urteil eines tragbar. OLG zu zitieren, in dem sich der Vorsitzende Richter in einer bestimmten Richtung geäußert hat. Schaut man Ich lehne es auch ab, von Verrätern zu sprechen, de- sich die Sache etwas genauer an, dann stellt man fest, ren Verrat man liebt. Aber lasst uns von den Straftätern dass dieser Vorsitzende Richter zu einer Zeit, als Sie die (B) (D) reden, die sich im Rahmen des Strafgesetzbuches Milde- Regierung stellten, im Bundesjustizministerium für die rung verdienen wollen, indem sie ihre Erkenntnisse den alte Kronzeugenregelung verantwortlich war. Ermittlungsbehörden zur Verfügung stellen! Die Frage ist: Braucht man dazu überhaupt neue gesetzliche Rege- Dieser ehemalige Mitarbeiter des Bundesjustizminis- lungen? In der Praxis ist man überwiegend der Meinung: teriums spricht als Vorsitzender Richter in einem Urteil Nein, das ist mit den geltenden Regeln sehr wohl zu ma- in einen Obiter Dictum eine rechtspolitische Fragestel- chen. lung an, die in dieses Urteil überhaupt nicht hineinge- hört. (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Woher wis- sen Sie das denn?) (Widerspruch des Abg. Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU] und des Abg. Thomas Strobl In diesem Zusammenhang muss man zwei Fragen [Heilbronn] [CDU/CSU]) stellen. Erste Frage: Welche Aussage wird belohnt: die wichtige oder die richtige? In § 1 Ihres Gesetzentwurfs Fakt ist nämlich, dass in diesem Verfahren, das Sie ange- stellen Sie ausschließlich darauf ab, dass die Aussage für sprochen haben, der Angeklagte einer Straftat verdächtig die Ermittlungsbehörden von Bedeutung sein muss. war, für die ein Strafrahmen von einem bis zehn Jahren Aber an keiner Stelle steht, dass die Aussage richtig sein vorgesehen ist. Er hat von diesem Gericht eine Strafe muss. von vier Jahren bekommen. Das Gericht hätte aber nach geltenden Regeln diesem Straftäter aufgrund seiner koo- (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist perativen Mitarbeit leicht eine Strafe von nur einem Jahr doch selbstverständlich!) geben können. Hören Sie genau zu: Der Verteidiger die- Völlig absurd sind die Regelungen in den folgenden ses Angeklagten hat das Urteil sofort angenommen und Paragraphen. Sie wollen nämlich jemanden, der seine direkt nach der Urteilsverkündung gesagt, dass er für falsche Aussage zugunsten der Wahrheit zurücknehmen seinen Mandanten keine Kronzeugenregelung gebraucht will, mit einer höheren Strafe bedrohen. hätte, weil das geltende Recht vollständig ausgereicht hätte. (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Er wird nicht bedroht! Er wird bestraft!) Zum Schluss will ich noch eines sagen, liebe Kolle- ginnen und Kollegen. Richter sprechen Recht. Manch- Das ist so rechtsstaatswidrig und so absurd, dass ich Ih- mal haben sie sogar Recht. Deswegen hören Sie auf die nen nur sagen kann: Ziehen Sie Ihren vorgelegten Ge- Richter des Deutschen Richterbundes, die am 26. Ja- setzentwurf schnellstens zurück! nuar 2004 zu diesem Thema gesagt haben – ich zitiere –: Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8229

Jerzy Montag (A) Das Kronzeugengesetz von 1989 hat die Erwartun- Herr Staatssekretär, Sie haben sich darauf bezogen, (C) gen der Praxis nicht erfüllt. dass wir einen solchen Gesetzentwurf bereits in der ver- gangenen Legislaturperiode eingebracht haben; das ist (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Darum lie- richtig. Diesen haben Sie damals abgelehnt. Sie können fern wir etwas anderes!) das heute wieder tun. Sie sollten nur berücksichtigen, Es besteht die Gefahr eines Missbrauchs: Um die dass vor zweieinhalb Jahren, am 11. September 2001, et- eigene Strafbarkeit zu verharmlosen, wird falsch was geschehen ist. ausgesagt und werden Dritte zu Unrecht belastet. (Dirk Manzewski [SPD]: Oh nein!) Weiter heißt es dann: Wir sind uns doch sicherlich alle darin einig, dass wir Bereits nach den geltenden Gesetzen kann die Koo- vor einer Herausforderung in einer ganz neuen und ande- perationsbereitschaft eines Beschuldigten ausrei- ren Dimension stehen: dem radikalen, internationalen chend berücksichtigt und „honoriert“ werden. islamistischen Terrorismus. Ziel unser aller Politik sollte es sein – jedenfalls ist es das Ziel der CDU/CSU –, Dies ist die Stimme der deutschen Richterschaft. Ich alles dafür zu tun, um unsere Bevölkerung vor dieser empfehle Ihnen, dass Sie Ihren Gesetzentwurf zurück- neuen Bedrohung zu schützen. Das heißt aber konkret, ziehen und sich dieser Auffassung anschließen. unseren Sicherheitsorganen alle rechtsstaatlichen Mittel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an die Hand zu geben, um die Bevölkerung wirksam und bei der SPD – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ schützen zu können. CSU]: Das können Sie auch an Ihrem Geburts- Dazu gehört selbstverständlich, entsprechende gesetz- tag nicht erwarten!) liche Regelungen zu schaffen. Das ist unsere Aufgabe. Im Rahmen eines Gesamtkonzepts, einer umfassenden Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: neuen Sicherheitsarchitektur müssen alle Sicherheitsor- Jetzt hat der Abgeordnete Thomas Strobl das Wort. gane in die Lage versetzt werden, vernetzt und effektiv gegen internationale Terrorgruppen vorzugehen. Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung ist Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- ein Baustein einer solchen Sicherheitsarchitektur. Ihr gen! In der deutschen Sicherheitsarchitektur gibt es ge- Ziel liegt vor allem im präventiven, also im vorbeugen- waltige Schwachstellen. Das Fehlen einer Kronzeugen- den Bereich, in der Verhinderung schwerer und schwers- regelung, wie wir sie heute in unserem Gesetzentwurf ter Straftaten. Deshalb bringen wir den Entwurf eines (B) einbringen, ist eine gravierende Sicherheitslücke. Gesetzes zur Wiedereinführung der Kronzeugenregelung (D) ein. Herr Kollege Montag, ich will einmal Praktiker der Strafverfolgungsbehörden zitieren – denn Sie haben ja das, Die überwiegende Anzahl der Praktiker unterstützt was Kollege Röttgen hier vorgetragen hat, bestritten –, und eine solche Regelung. zwar den Bund Deutscher Kriminalbeamter, (Dirk Manzewski [SPD]: Richter sind keine (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Praktiker?) NEN]: Sehr zuständig!) – Auch Richter sind selbstverständlich Praktiker. Es gibt der die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen und zwar bei den Richtern unterschiedliche Stimmen; aber insbesondere Ihren Kollegen Beck scharf kritisiert: die überwiegende Anzahl der Strafrechtspraktiker un- Es ist kaum zu glauben, in welcher Weise ein halbes terstützt die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung. Jahr nach den Terroranschlägen vom 11. September (Zurufe von der SPD: Nein! – Eben nicht! – die damalige Ankündigungspolitik zur Makulatur Das ist nicht die Wahrheit!) verkommt! Eine Kronzeugenregelung ist für die Aufklärung und Verhinderung schwerster Straftaten – Das ist doch ganz unstreitig. Herr Kollege, wenn Sie im Bereich des Terrorismus und der organisierten dies nicht glauben, dann fragen Sie einmal Ihren Nach- Kriminalität unabdingbar. Bereits vor zwei Jahren barn, den Kollegen Kemper. Er war ein paar Jahre länger hat die Innenministerkonferenz sich eindeutig in als Sie Kriminalbeamter. diesem Sinne festgelegt, im Herbst letzten Jahres hat die Bundesregierung dies als Reaktion auf die (Dirk Manzewski [SPD]: Ich bin kein Krimi- Terroranschläge nochmals bekräftigt. Im Ergebnis nalbeamter! Ich bin Richter!) ist nichts geschehen und jetzt will man dieses wir- kungsvolle Instrument zur Gewinnung von Ausstei- Kriminalbeamte sind ebenfalls Praktiker. Die haben so- gern aus hochkriminellen Szenen offenbar völlig gar einmütig eine Stellungnahme dazu abgegeben. auf Eis legen. Ich kann gerne auch einmal Bundesinnenminister Meine Damen und Herren, dem ist eigentlich nichts hin- Schily zitieren. zuzufügen. (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Welcher (Beifall bei der CDU/CSU) Partei gehört der denn an?) 8230 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Thomas Strobl (Heilbronn) (A) Der ist ja nun unverdächtig; zumindest ist er Mitglied Ih- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (C) rer Partei. Ich zitiere aus einer Bundestagsdebatte vom Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Tobias Marhold. 11. Oktober 2001: Eine Kronzeugenregelung kann … ein wichtiges Tobias Marhold (SPD): Hilfsmittel zur Verhinderung und zur Aufklärung Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- von Straftaten sein, legen! Die Bundesregierung ist sich der anhaltenden Be- drohung bewusst, die vom Terrorismus sowohl innerhalb (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) als auch außerhalb unseres Landes ausgeht. Davon kön- wenn sie so gestaltet ist, dass jemand im Hinblick nen Sie ausgehen, Herr Strobl. auf Sanktionen strafrechtlich milder behandelt wird, wenn er dazu beiträgt, eine Straftat zu verhin- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: dern oder sie aufzuklären. Aber sie tut zu wenig! Sie redet nur!) (Joachim Stünker [SPD]: Sehr richtig!) Mit den Antiterrorgesetzen infolge des 11. Septembers wurden bereits zahlreiche Maßnahmen Das ist beispielsweise der Fall, wenn er die Ermitt- einer wirksamen Antiterrorbekämpfung eingeleitet. lungsbehörden zu einem Sprengstoffversteck bzw. Wir haben unser Land sicherer gemacht. Das sei vorab zu einer konspirativen Wohnung führt oder in ande- einmal gesagt. rer objektiv nachweisbarer Weise dazu beiträgt, bei der Strafverfolgung zu helfen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – So Otto Schily am 11. Oktober 2001. Der Mann hat [CDU/CSU]: Aber nicht Recht. Wir danken dem Bundesinnenminister für die Be- die Botschaft in Kiew!) gründung unseres Gesetzentwurfes. Der uns heute vorliegende Gesetzentwurf der CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU) CSU sieht die Wiedereinführung einer Kronzeugenrege- Es war im Übrigen so, dass die 1999 ausgelaufene lung vor. Um es gleich zu sagen, liebe Kolleginnen und Kronzeugenregelung durchaus ein Erfolg gewesen ist. Kollegen von der CDU/CSU: Ihr Entwurf ist ein alter Sie ist zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus Hut, den wir uns nicht aufsetzen werden, und auch zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Der Hut ist unverzichtbar. Richtig ist, dass wir insbesondere bei der Ihnen eine Nummer zu groß!) Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit den üblichen Ermittlungsmethoden – Einsatz von verdeck- weil er garantiert nicht zu mehr Sicherheit führen wird. (B) ten Ermittlern und V-Leuten und Telefonüberwachung – (D) Probleme haben. Meine Damen und Herren von der Opposition, wir begrüßen es sehr, dass Sie eigene Vorschläge machen, (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aber Sie sollten doch genauer hinschauen, ob Ihre Vor- NEN]: Das sind alles keine üblichen Ermitt- schläge auch sinnvoll sind. Wir alle wissen, dass die lungsmethoden, das sind besondere!) Kronzeugenregelung in der Vergangenheit umstritten – Herr Kollege Montag, deswegen ist es insbesondere war, und zwar nicht ohne Grund. Die damalige Regelung aufgrund der Bedrohungssituation durch den internatio- war nicht in dem Maße erfolgreich wie erhofft. Sie nalen islamistischen Terrorismus, die Sie ja nicht in Ab- wurde nur auf einige wenige Fälle angewandt. Das ist rede stellen, umso notwendiger, dass wir die Kronzeu- zweifellos kein gutes Ergebnis. Daher haben wir die alte genregelung wieder einführen. Sie ermöglicht es, in den Kronzeugenregelung zum Jahr 2000 auslaufen lassen. Kern krimineller Strukturen einzudringen, diese zu Die bereichsspezifischen Lösungen, auf die Sie in Ih- sprengen und – ich wiederhole es – schwere und rem Entwurf setzen, führen in die Irre. Schon mit den be- schwerste Straftaten zu verhindern. stehenden Regelungen, die es etwa im Betäubungsmit- Ich gebe zu, die Kronzeugenregelung ist nicht das al- telgesetz gibt, ist es nicht gelungen, Strukturen lein selig machende Mittel, aber sie ist eine Chance und aufzudecken und an die „großen Fische“ zu kommen. ohne Zweifel ein wichtiger Baustein für die ermittelnden Das können Ihnen die Praktiker bestätigen. Behörden im Kampf gegen Terror und organisiertes Ver- (Jörg van Essen [FDP]: Na ja! In einigen brechen. Deshalb möchte ich uns alle auffordern: Ma- Fällen schon!) chen wir den Weg für eine wichtige Maßnahme im Kampf gegen Terror und organisiertes Verbrechen frei! Sie wollen mit Ihrem Entwurf auch eine Vielzahl von Schließen wir eine gravierende Sicherheitslücke, die seit Vorschriften des Strafgesetzbuches ändern. Doch denken Ende 1999 in Deutschland besteht! Sie auch einmal an die gesetzgeberische Klarheit, die in diesem sensiblen Bereich notwendig ist. Lassen Sie Herr Kollege van Essen, man kann in der Debatte mich an dieser Stelle gleich eines anmerken, was mich über manches reden, aber ich bin der festen Überzeu- doch sehr verwundert hat: Gestern wollte uns der Kol- gung, dass im Grundsatz der von uns eingebrachte Ge- lege Röttgen Nachhilfe in Sachen Schutz des Bürger- setzentwurf zur Wiedereinführung einer Kronzeugenre- wohls erteilen und heute wollen Sie eine Strafmilderung gelung absolut in die richtige Richtung geht. für Mörder durchsetzen, Besten Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU) DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8231

Tobias Marhold (A) und zwar mit dem Ergebnis, dass diese gefährlichen sensible Bereich der Terrorismusbekämpfung angespro- (C) Straftäter nach nur drei Jahren wieder in die Freiheit ent- chen ist, liegt meiner Ansicht nach auf der Hand. lassen werden können. So jedenfalls steht es in Ihrem Die Bekämpfung des Terrorismus, liebe Kolleginnen Entwurf, und zwar in Art. 1 § 3 Satz 2. Sie können es und Kollegen, hatte und hat für die Bundesregierung gern nachlesen. nach wie vor höchste Priorität und jegliche Formen von (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wie Ihr Extremismus und Gewalt müssen durch ein entschlosse- Innenminister!) nes, aber gleichzeitig auch besonnenes Handeln des Rechtsstaates bekämpft werden. Ich will mich nicht der Polemik und dem Populismus des gestrigen Tages anschließen, als wir über die nach- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Silke trägliche Sicherungsverwahrung gesprochen haben. Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Denken Sie bitte selbst darüber nach, ob diese Regelung NEN]) so vertretbar ist oder nicht. Ich persönlich habe da große Das betrifft auch die Frage, wie es uns gelingen kann, Bedenken. Aussagen von Tatbeteiligten zu erlangen, die dann zur Sie übersehen auch, dass im Strafrecht und im Straf- Aufklärung oder Verhinderung anderer Straftaten beitra- prozessrecht bereits Möglichkeiten bestehen, Strafen zu gen. mildern oder Verfahren einzustellen, wenn ein Tatbetei- Lassen Sie mich betonen: Hierüber müssen wir nach- ligter seine Kenntnisse dem Gericht umfassend zur Ver- denken. Viele Wege sind denkbar. fügung stellt. Das haben Sie in Ihrer Begründung überse- hen. (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Es kommt nicht viel raus!) Ein ist jedoch auch klar – lassen Sie mich das als In- nenpolitiker sagen –: Die organisierte Kriminalität und Das alles erfordert eine sorgfältige Prüfung, der wir uns international agierende Terrornetzwerke lassen sich nicht verschließen werden. Wir brauchen effiziente Re- oftmals nur von innen knacken; denn die Beteiligten ha- gelungen, die Sicherheitsbedürfnisse und Rechtsstaat- ben ihre Methoden verfeinert und von außen sind die lichkeit miteinander verbinden. Richtig ist – das ist auch Organisationsstrukturen nur schwer durchschaubar. kein Geheimnis –, dass im Hinblick auf diese Frage zwi- Die Beweisführung gegen diese Gruppen und Personen schen den Koalitionspartnern durchaus unterschiedliche ist daher keinesfalls einfacher geworden. Das wissen wir Bewertungen bestehen. Das halte ich aber für einen nor- alle. malen Vorgang und ich darf Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, daran erinnern, dass die Einführung der alten Wichtig ist es deshalb, rechtsstaatlich vernünftige Re- Kronzeugenregelung zu einigen Auseinandersetzungen (B) gelungen zu treffen, die Sicherheit schaffen. (D) mit Ihrem damaligen Koalitionspartner FDP führte. Das (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Zum Bei- haben Sie hoffentlich nicht vergessen. spiel? Nämlich?) Wir werden diese Frage, wie alle anderen auch, ge- Das betrifft durchaus auch den Bereich, in dem es darum meinsam klären und dann zu einer Lösung kommen. geht, Aussagen von Tatbeteiligten zu bekommen, die (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Ruhige dann wiederum helfen, Netzwerke und Gruppen aufzu- Hand!) decken und strafrechtlich zu verfolgen. Sicher ist, dass dabei Rechtsstaatlichkeit, Effizienz und (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Also doch gesetzgeberische Klarheit die Hauptrollen spielen wer- Kronzeugenregelung!) den. Ihr Entwurf aber, verehrte Kolleginnen und Kolle- gen von der CDU/CSU, ist dabei leider wenig hilfreich. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Tobias Marhold (SPD): DIE GRÜNEN) Nein, ich möchte gern im Zusammenhang vortragen. Die Bundesregierung hat hier schon einiges auf den Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Weg gebracht. Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wir warten auf den Zusammenhang!) Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): – Hören Sie einfach zu, vielleicht lernen Sie dann noch Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und etwas. – Denken Sie beispielsweise an das Zeugen- Herren! Ich bin eigentlich erstaunt, dass man hier so ent- schutzharmonisierungsgesetz. Seit 2001 können Aus- rüstet und grundsätzlich diskutiert. Ich halte den Ansatz sagen und andere Beweise, die für die Strafverfolgung des Kollegen van Essen eigentlich für ganz entschei- bislang wegen der Bedrohung von Zeugen nicht genutzt dend: Wenn man dem Wunsch mancher Praktiker – ich werden konnten, von den Gerichten verwertet werden, gebe zu: nicht aller – nach besseren Methoden zur Be- weil Zeugen jetzt besser geschützt werden können und kämpfung von Terrorismus und organisierter Krimina- deshalb aussagebereit sind. Dass dadurch besonders der lität nachkommen will, dann darf man nicht jahrelang 8232 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Wolfgang Zeitlmann (A) – das sind jetzt immerhin schon fünf Jahre – die Dinge (Beifall bei der CDU/CSU – Jerzy Montag (C) an die Wand spielen und so tun, als würden wir hier et- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen was ganz Entsetzliches vorschlagen. Gleichzeitig geben das nicht! – Gegenruf von der CDU/CSU: Das Sie, Herr Kollege Marhold, zu, dass es diese Regelung ist noch schlimmer!) im Rahmen des Betäubungsmittelgesetzes gibt. Dieses Meine sehr verehrten Damen und Herren, zusammen- apodiktische „Um Gottes willen“ und „Das ist von Übel fassend sage ich eines: Wenn der Gesetzentwurf, den wir und rechtsstaatlich undenkbar“ muss aufhören. eingebracht haben, wenigstens dazu führen würde, dass (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Ihre Ideologie ein bisschen zurückgedrängt wird und die GRÜNEN]: § 129 StGB!) Praktiker etwas mehr Möglichkeiten haben, um zu argu- mentieren, Es muss einem doch zu denken geben, dass Leute wie Freiberg und Kersten die Kronzeugenregelung als eine (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! Das Möglichkeit der Terrorismusbekämpfung sehen. Es han- ist der Punkt!) delt sich bei dieser Regelung um eine Kannbestim- dann wäre dies schon ein Erfolg an sich. mung. Es wird also niemand zu etwas gezwungen. Wenn sich für den Gesetzgeber eine Möglichkeit eröff- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. net und Praktiker sich diese Möglichkeit wünschen, (Beifall bei der CDU/CSU) müssten beim Gesetzgeber eigentlich die roten Lampen ausgehen und man müsste sagen: Diese Regelung ist rechtsstaatlich möglich und sie scheint für manche auch Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: hilfreich zu sein. Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Joachim Stünker. Ich erinnere mich noch sehr genau, dass im Vorfeld (Zuruf von der CDU/CSU: Oh! Jetzt bitte Be- der damaligen Kronzeugenregelung immer die Frage ge- ruhigungstabletten!) stellt wurde, ob es sich hinterher beweisen lässt, dass es aufgrund der Aussage des Kronzeugen einen Durch- bruch bei den Ermittlungen gab. Das ist natürlich eine an Joachim Stünker (SPD): sich unzulässige Fragestellung, denn beweisen kann man Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und das hinterher nicht immer. Denn die Verunsicherung im Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Milieu und im Terrorismusbereich wäre schon ausrei- chend. Der Richter selbst weiß doch, wann es passt und Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: wann nicht. Er kann die Materie vor Ort eingehend beur- Frau Präsidentin, bitte. (B) teilen und sagen, ob im Einzelfall wirklich etwas erreicht (D) wurde oder nicht. (Heiterkeit – Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt haben Sie ein Problem, Herr Stünker!) Ich glaube, dass Sie nie eine einvernehmliche Rege- lung schaffen können, der alle Richter, Praktiker und Joachim Stünker (SPD): Verbände zustimmen. Ohne Zweifel besteht auch für Sie – Entschuldigung, Frau Präsidentin. – Kollege Röttgen die Gefahr, dass – was Gott verhüten möge –, wenn wie- hat vorhin eingangs seiner Rede zu Recht den Zusam- der einmal ein terroristisches Ereignis stattgefunden hat, menhang zur gestrigen Debatte zur Sicherungsverwah- unter dem Druck einer Debatte und auch vieler Populis- rung hergestellt. ten doch entsprechende Regelungen geschaffen werden müssten. (Zuruf von der CDU/CSU: Da war Ihre Rede auch schon schlecht!) Seit fünf Jahren sagen Sie, unser Entwurf sei nicht ausreichend. Auch Herr van Essen hat ja Bedenken. Da- Herr Kollege Röttgen, eigentlich könnten die Gegen- rüber kann man reden. Man ist ja kompromissfähig. sätze zwischen uns nicht deutlicher werden als durch Aber nur Nein zu sagen und auf diesem Felde fünf Jahre das, was Sie am heutigen Tag zur Wiedereinführung der lang nichts zu tun, das scheint mir beim besten Willen Kronzeugenregelung ausgeführt haben. Diese Gegen- nicht angemessen und nicht richtig. Sie können von mir sätze sind für einen Strafrechtler in der Tat schwer ver- aus auch einen eigenen Entwurf vorlegen. Aber fünf daubar. Jahre lang, also seitdem die alte Regelung ausgelaufen (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das war bei ist, nichts zu tun, scheint mir eine ganz gefährliche Si- der Sicherungsverwahrung auch lange so!) tuation zu sein, die aber Sie zu verantworten haben. – Darum geht es doch nicht. – Um es anders auszu- (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Genau so drücken: Hier bestehen wirklich erhebliche Akzeptanz- ist es!) probleme. Denn nach dem 11. September 2001 haben wir hier gemeinsam – das war ja eine vernünftige Aktion Auch vom Vertreter des Ministeriums hätte ich erwartet, des Deutschen Bundestages – Vorkehrungen getroffen, dass er nicht nur die Mängel des jetzigen Entwurfs auf- um uns im Bereich der inneren Sicherheit besser gegen zeigt, sondern auch eine gewisse Bringschuld erfüllt und Anschläge zu wappnen. sagt, wie man eine solche Regelung seiner Meinung nach gestalten könnte und wo es richtige Entwicklungen Aber worüber reden wir eigentlich, wenn es heute um gibt. Ihren Entwurf geht? Hier muss man einmal in die Details Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8233

Joachim Stünker (A) gehen. Wir reden darüber, dass Sie mit der von Ihnen Solch eine Regelung ist ein Einfallstor für Lüge und De- (C) vorgeschlagenen Regelung zukünftig einen Mörder, ei- nunziation im Strafprozess. nen Totschläger, einen schweren Gewaltverbrecher, ei- nen Vergewaltiger oder sonstige Schwerstkriminelle ent- Eine andere Frage ist, was in diesen Fällen mit dem weder völlig straffrei lassen oder aber mit einer Opferschutz ist, den Sie gestern hier in der Debatte wie Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren davonkommen eine Monstranz vor sich hergetragen haben. lassen wollen. (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wir wollen Straftaten verhindern! Das ist präventiver Op- (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Um etwas ferschutz!) zu erreichen!) – Herr Kollege Röttgen, bei der von Ihnen vorgeschlage- Mit dieser Regelung wollen Sie die Androhung einer nen Regelung soll eindeutig Täterschutz vor Opferschutz lebenslangen Freiheitsstrafe durchbrechen, sodass ein gehen. Genau das werden wir nicht mitmachen. Mörder zukünftig mit einer dreijährigen Freiheitsstrafe davonkommen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie stellen die Dinge auf den Kopf! Wir wollen die Opfer Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des schützen, damit sie keine Opfer werden!) Kollegen Strobl? – Herr Kollege Röttgen, Sie haben vorhin wörtlich ge- Joachim Stünker (SPD): sagt, dass Sie rechtsstaatlich diesen Preis zahlen wollen. Ich sage Ihnen: Wir wollen diesen Preis nicht zahlen. Ich – Nein danke, Frau Präsidentin. Ich möchte gerne im sage Ihnen auch – wie schon in der letzten Legislaturpe- Zusammenhang vortragen. riode –: Mit solch einer Regelung tut sich eine gewaltige (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist ty- Gerechtigkeitslücke auf. Von daher ist solch eine Rege- pisch! Keine einzige Zwischenfrage wird zu- lung für uns nicht akzeptabel. gelassen! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sie Zu Ihren Vorschlägen, bereichsspezifisch im StGB können nur das vortragen, was Sie vorher auf- und in Nebenstrafgesetzen Kronzeugenregelungen ein- geschrieben haben! So flexibel sind Sie! – zuführen, Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Was für ein Zusammenhang? – Er hat eben keine Ant- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Jetzt wort parat!) (B) wird es interessant!) (D) – Herr Grindel, der Schreihals da vorne, verhält sich in garniert sogar mit einem Wiederaufnahmegrund zu- seinem Wahlkreis genauso. Sie sollten vielleicht einmal ungunsten des verurteilten Kronzeugen, wenn er als in Ruhe zuhören. Das würde Ihnen gut tun. Zeuge vorher falsch ausgesagt hat, kann ich Ihnen nur sagen: Die ganze Praxis, die Sie vorhin so beschworen (Zurufe von der CDU/CSU: Das ist bei Ihnen haben, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen an- auch notwendig! – Geben Sie Ihre Rede doch gesichts solch einer unpraktikablen Regelung. zu Protokoll!) (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wir schla- Die Voraussetzung hierfür, Herr Kollege Röttgen, soll gen die Hände zusammen bei Ihrer Rede!) sein, dass der Betreffende den Strafverfolgungsbehörden Kenntnisse vermittelt, die geeignet sind, das Begehen ei- Ich wiederhole, wie in der letzten Legislaturperiode: ner terroristischen Straftat zu verhindern, eine solche Die alte Kronzeugenregelung hat sich nicht bewährt; Sie aufzuklären oder die Täter zu ergreifen. Ich wiederhole: können das in allen Veröffentlichungen nachlesen. Mitteilung seines Wissens über Tatsachen, die geeignet (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wie sind – mehr ist nicht Voraussetzung dafür, dass ein Mör- bitte?) der zukünftig im Ergebnis mit nur drei Jahren Freiheits- strafe davonkommen kann. Der Erfolg als solcher muss Sie haben vorhin eine Stimme zitiert, sozusagen als Zeu- nicht einmal eingetreten sein. gen für die Berechtigung Ihres Gesetzentwurfes. Der Deutsche Richterbund in toto hat derartige Regelungen Dann stellt sich auch die weitere Frage: Welche Tatsa- in einer Stellungnahme abgelehnt, der Deutsche Anwalt- chen sind denn geeignet? Wer will beurteilen, welche verein, der sicherlich auch eine Stimme in diesem Land Tatsachen geeignet sind? Die Rechtsfolge ist immer weit hat, ebenfalls. Die Zitate dazu will ich mir schenken. gehend. Die Frage, die hier zu Recht von Ihnen gestellt wor- (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Der Rich- den ist und die auch der Kollege van Essen hier thema- ter! Wer sonst?) tisiert hat, ist ja: Was sind eure Vorschläge? Was schlagt – Schauen Sie in Ihren Gesetzentwurf hinein, da steht et- ihr vor, wenn wir hier eine Lücke haben? – Herr Kollege was anderes drin. van Essen, ich bin wie Sie der Meinung, dass wir da- rüber wirklich in Ruhe im Rechtsausschuss diskutieren (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Nein, es sollten. Unser Vorschlag wird dahin gehen, dass wir im steht nichts anderes drin!) Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches im Rahmen der 8234 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Joachim Stünker (A) Strafzumessungsregeln Kriterien einführen, etwa in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) Form eines §46bStGB, DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist dann rechtsstaatlich besser?) Aber unabhängig von dem Wann und Wie der Reali- sierung der Genfer Initiative bin ich der festen Überzeu- wonach kriminalpolitisch sinnvolles Aufklärungs- und gung, dass sie schon jetzt ein großer Erfolg ist. Denn sie Präventionsverhalten bei der Strafzumessung berück- gibt der stecken gebliebenen Roadmap eine konkrete sichtigt werden kann. Das ist etwas ganz anderes als das Perspektive und zeigt auf, wie eine tragfähige Zweistaa- Versprechen einer Straffreiheit für Schwerstkrimi- tenlösung aussehen kann. Ich glaube, das Fehlen dieser nelle, Herr Kollege Röttgen. Perspektive war einer der Fehler, welche die Roadmap (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des bislang aufwies. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Nun haben wir also eine Roadmap, die den Weg zum Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Darauf sind Frieden markieren soll. In der Genfer Initiative wird das Sie jetzt nach fünf Jahren gekommen?) Ziel dieses Weges beschrieben, und zwar, wie ich finde, Das ist der Hintergrund. Wenn Sie den Unterschied nicht in großer Klarheit. Jetzt müssen die politischen Führer in verstehen, können wir uns gerne im Rechtsausschuss Israel, in Palästina, in Europa und in den USA nach vie- darüber unterhalten. Das ist genau der gravierende Un- len Worten endlich den Mut haben, die notwendigen terschied. Genau das – das Zitat wurde vorhin ange- Schritte zu gehen, die nötig sind, um am Ende zum Frie- führt – hat auch der Innenminister gesagt. Genau diese den zu kommen. Auch daran hakte es bisher. Insbeson- Richtung hat er aufgezeigt. Genau in diese Richtung dere in Palästina und Israel ist es an der Zeit für klare werden wir auch gehen. und mutige Schritte; das sage ich an dieser Stelle sehr deutlich. Schönen Dank. Ich erwarte, dass Ministerpräsident Kurei keinerlei (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Zweifel daran aufkommen lässt, dass er und seine Admi- DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] nistration das Existenzrecht des Staates Israel uneinge- [CDU/CSU]: Dann handeln Sie und reden Sie schränkt anerkennen, und dass er das in dieser Deutlich- nicht nur! Sie müssen auch einmal handeln!) keit öffentlich sagt.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (Beifall im ganzen Hause) Ich schließe damit die Aussprache zu diesem Punkt. Von der palästinensischen Seite erwarte ich den Mut, die (B) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes bittere Wahrheit beim Flüchtlingsproblem auszuspre- (D) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse chen, die da heißt: Eine Perspektive für die Rückkehr al- vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? – Das ist ler Flüchtlinge nach Israel wird es nicht geben, wenn nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. man den Frieden wirklich will. Das muss die palästinen- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: sische Seite so sagen. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, (Beifall im ganzen Hause) der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE Ich habe es von Ministerpräsident Scharon als sehr GRÜNEN und der FDP mutig empfunden, dass er noch vor seiner Nominierung Roadmap wieder beleben – Genfer Initiative als Kandidat des Likud-Blocks und vor den israelischen unterstützen Wahlen klar gesagt hat, dass er für eine Zweistaatenlö- sung ist. Er ist der erste Likud-Führer, der das in dieser – Drucksache 15/2392 – Deutlichkeit ausgesprochen hat. Ich habe als sehr mutig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die empfunden, was wir in letzter Zeit von ihm und seiner Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Einen Regierung zur Räumung von Siedlungen haben hören Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen. können. Es war Scharon, der gesagt hat, dass bei ihm Bereitschaft auch zu schmerzhaften Konzessionen vor- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst handen ist. Ich sage aber speziell an ihn als Ministerprä- der Abgeordnete Dietmar Nietan. sidenten und an seine Regierung: Sie müssen nun die Stärke haben, den mutigen Worten auch mutige Taten Dietmar Nietan (SPD): folgen zu lassen. Das ist Aufgabe der israelischen Seite. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt ist die Zeit dafür gekommen. Viele Punkte des Entwurfs eines Abkommens über den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten endgültigen Status zwischen Israel und Palästina werden des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) am Ende – davon bin ich fest überzeugt – Bestandteil ei- nes Friedensabkommens zwischen diesen beiden Staaten Natürlich ist es die Pflicht einer jeden israelischen sein. Von denjenigen in den beiden Völkern, die den Ent- Regierung, die Sicherheit ihrer Bürgerinnen und Bürger wurf eines Statusabkommens heute noch ablehnen, wer- zu garantieren. Angesichts des schrecklichen und men- den sich etliche wundern, wie viel davon am Ende Reali- schenverachtenden Terrors durch Selbstmordattentate tät sein wird. Dies ist der richtige Weg hin zu einem entbehrt es nicht einer gewissen Logik, dass man auf die Frieden im Nahen und Mittleren Osten. Idee kommt, man könne durch die Errichtung eines Zau- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8235

Dietmar Nietan (A) nes mehr Sicherheit herstellen. Ich habe aber die Sorge, Am Ende heißt es auch, Verantwortung im Quartett (C) dass diese Denkweise kurzsichtig ist. Wir wissen, dass zu übernehmen. Ich hoffe, dass das, was ich an dieser sich der internationale Terrorismus durch Zäune nicht Stelle jetzt sage, niemand missverständlich auffasst: abhalten lässt. Er lässt sich nur bekämpfen, indem man Wenn es sich abzeichnen sollte, dass sich die Initiativen die Ursachen bekämpft. Ich befürchte, dass der Zaun der amerikanischen Seite, der Roadmap zum Durch- kurzfristig etwas mehr Sicherheit bringt, aber langfristig bruch zu verhelfen, nicht gerade überschlagen, dann Dünger für die Saat des Hasses ist, die in der arabischen müssen die Europäer stärker als bisher Verantwortung Welt ausgestreut worden ist. Man sollte besser den und Eigeninitiative übernehmen. Es wäre fatal, darauf zu Sumpf des Hasses gegen Israel trockenlegen. Ich glaube warten, bis eine US-Administration der Roadmap wieder nicht, dass die Errichtung des Zauns das geeignete Mittel die Aufmerksamkeit schenkt, die sie verdient hat. dafür ist. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Ich meine, dass die Initiative unseres Außenministers BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auf der Sicherheitskonferenz in München, mit der er ei- Ich kann in diesem gut behüteten Parlament eines nen Mittelmeerprozess angeregt hat, der gemeinsam von Landes, das nicht von solch schlimmen Terroranschlä- der NATO und der EU getragen wird, die Unterstützung gen heimgesucht wird wie Israel, nur dann so sprechen, des Parlaments verdient. Durch eine regionale Sicher- wenn ich von uns selber – von uns Parlamentariern, von heitskooperation sollen genau die Sicherheitsaspekte unserer Regierung und von unseren Ministern – einfor- eingeschlossen werden, die Israel benötigt. Gleichzeitig dere, dass auch wir diese mutigen Schritte unternehmen, wird mit der angestrebten Freihandelszone bis 2010 ge- die wir von anderen einfordern. Wir müssen deutlich nau die ökonomische Perspektive eröffnet, die zum Bei- machen, dass jede Regierung und jeder Vertreter der pa- spiel die Palästinenser dringend brauchen. Ich hoffe, lästinensischen Autonomiebehörde, die zu mutigen dass diese Initiative bei unseren Partnern in der NATO Schritten bereit sind, unsere volle Unterstützung haben. und in der EU sehr bald eine entsprechende Resonanz Es darf seitens der Europäer oder der deutschen Regie- findet. rung nicht nur warme Worte geben, es muss auch eine (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des klare Unterstützung für diese Kräfte des Friedens erfol- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gen. Der zweite Vorschlag des Außenministers war eben- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des falls genau richtig. Es geht darum, Eigenverantwortung BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zu übernehmen. Man muss anbieten, eine gemeinsame Erklärung abzugeben, nach der man zu einer gemeinsa- (B) Die deutsche Regierung darf deshalb keinen Zweifel da- (D) ran lassen – sie verhält sich entsprechend; das will ich men friedlichen Zukunft in dieser Region kommen will. hier ausdrücklich betonen –, dass die Bundesrepublik Daran müssen wir arbeiten und handeln. Deutschland zu allen Schritten bereit ist, die dazu die- Dafür kann der heute vorliegende Antrag, den ich nen, Sicherheitsgarantien für den Staat Israel aufzustel- ausdrücklich begrüße, nur ein erster Schritt sein. Auch len. für uns ist es jetzt Zeit zu handeln. Ich hätte mir an dieser Stelle gewünscht, dass mit dem Vielen Dank. heute vorgelegten gemeinsamen Antrag deutlich gewor- den wäre, dass wir nicht nur das Existenzrecht eines ano- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nymen Staates Israel unterstützen, sondern dass wir für DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der das Existenzrecht eines israelischen Staates jüdischen CDU/CSU und des Abg. Dr. Rainer Stinner Charakters einstehen, dass wir dem jüdischen Volk eine [FDP]) Zukunft geben wollen und dass wir für seine Sicherheit mit garantieren wollen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hermann Gröhe. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]) Hermann Gröhe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu den mutigen Schritten gehört aber auch, deutlich Durch den Antrag aller Fraktionen dieses Hauses zu machen, dass wir bereit sind, auch der palästinensi- „Roadmap wieder beleben – Genfer Initiative unterstüt- schen Seite Garantien zu geben, wenn sie zu einem um- zen“ wird deutlich, dass es einer erneuten politischen fassenden Frieden bereit ist. Wir müssen ökonomische Kraftanstrengung bedarf, die Roadmap, den Fahrplan und soziale Perspektiven für die Menschen in Palästina des Quartetts aus EU, USA, Vereinten Nationen und – für ihr persönliches Leben, für ihre Familien und für Russland, mit neuem Leben zu erfüllen. ihr Fortkommen – schaffen, damit sie erkennen können, dass sich der Frieden lohnt. Auch hier müssen wir zu un- Zugleich bringen wir mit diesem Antrag zum Aus- serem Wort stehen. druck, dass zivilgesellschaftliche Initiativen wie die mu- tige Genfer Initiative eine wichtige Ergänzung dieses (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Fahrplans sind, zeigt doch gerade das so genannte Gen- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der fer Abkommen auf, wie ein Friedensschluss, zu dem die CDU/CSU) Roadmap den Weg öffnen will, konkret aussehen kann. 8236 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Hermann Gröhe (A) Denen, die unter Federführung des früheren israelischen Die Palästinensische Autonomiebehörde muss ihre (C) Justizministers Beilin und des früheren palästinensi- Ankündigung, extremistische Gewalt bekämpfen zu schen Informationsministers Rabbo den Vertragsentwurf wollen, endlich glaubwürdig unter Beweis stellen. in zweieinhalb Jahren erarbeitet haben, gebührt dafür ein herzlicher Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall im ganzen Hause) Bislang ist Präsident Arafat hier seiner besonderen Ver- Der Hinweis darauf, dass dies ohne jedes offizielle antwortung nicht gerecht geworden. Wir bekennen uns Mandat und damit ohne jede Bindung der Regierenden in gleicher Weise aber auch zum legitimen Recht der Pa- geschah, mindert eine ganz entscheidende Leistung der lästinenser, in einem eigenen lebensfähigen und demo- daran beteiligten Politiker, Schriftsteller, Schauspieler, kratischen Staat zu leben. Ex-Generale, Friedensaktivisten und Geschäftsleute nicht. Ihre Initiative, die nahezu jedem israelischen und Dass in dieser Debatte, aber auch bei anderer Gele- palästinensischen Haushalt zugestellt wurde, leitet in genheit zu diesen Themen nicht zuletzt jüngere Bundes- beiden Gesellschaften einen Willensbildungsprozess, der tagskolleginnen und -kollegen aus allen Fraktionen das auch bisherige Tabuthemen einschließt, ein und treibt Wort ergreifen und sich damit zu den gemeinsamen ihn voran. Grundsätzen deutscher Nahostpolitik bekennen, macht deutlich, dass jedes törichte und gefährliche Schluss- Eindringlich formuliert der israelische Schriftsteller strichgerede im Hinblick auf die besondere Verantwor- David Grossmann, der an der Erarbeitung der Genfer tung Deutschlands Israel gegenüber, die sich für uns Initiative beteiligt war – ich zitiere –: Deutsche aus dem einzigartigen Verbrechen des Holo- Das Genfer Ankommen enthält schmerzhafte israe- caust ergibt, auch in der jüngeren Politikergeneration lische Verzichtsleistungen. Auch die Palästinenser keine Chance hat. haben ihrerseits harte Verzichte geleistet. Es ist kei- (Beifall im ganzen Hause) ner unter uns, der nicht Schmerz und Trauer über diese Zugeständnisse empfindet. Allerdings kann und will ich nicht verhehlen, dass mir selbst diese Solidarität mit Israel und die entschiedene In dieser Situation ist es eindrucksvoll, dass Umfragen Ablehnung aller Feinde Israels lange Zeit den Blick für zufolge ungefähr 40 Prozent der Palästinenser und der die berechtigten Interessen des palästinensischen Volkes Israelis diese Genfer Initiative unterstützen. verstellt hat. Erst mit dem beginnenden Friedensprozess Aber es gibt auch jene 250 Rabbiner in Israel, die die Anfang der 90er-Jahre habe ich seine Sicht der Dinge er- Unterzeichner in einem Urteilsspruch nach religiösem lebt. Zu der Abscheu über verbrecherische Selbstmord- (B) (D) Recht zu Verrätern erklärt haben, und islamistische Reli- attentate trat die Überzeugung, dass auch Art und Um- gionsvertreter haben eine Fatwa, eine Art Verurteilung, fang der Vergeltungsmaßnahmen der israelischen Si- gegen die palästinensischen Unterzeichner erlassen. cherheitskräfte, die anhaltende Demütigung der Besat- zung und die fortgesetzte Siedlungspolitik einem Das Eis der Feindschaft hat gerade erst begonnen zu friedlichen Miteinander von Israelis und Palästinensern schmelzen, wie dies symbolisch die Aktion „Breaking im Wege stehen. the Ice“ von sechs Männern und zwei Frauen, Israelis und Palästinensern, zum Ausdruck brachte. Diese Wenn – das ist sicher begrüßenswert – Ministerpräsi- Gruppe – unter ihnen zwei israelische Elitesoldaten, die dent Scharon nun erklärt, die jüdischen Siedlungen im früher in den besetzten Gebieten eingesetzt waren, und Gazastreifen weitgehend räumen zu wollen, so darf doch zwei Palästinenser, die in israelischen Gefängnissen ge- nicht übersehen werden, dass in den letzten drei Jahren sessen haben – hat in der Antarktis einen 1 000 Meter 36 000 neue Siedler ins Westjordanland gezogen sind hohen Berg bestiegen und ihn zum Berg der palästinen- und erst jüngst Pläne bekannt gegeben wurden, auf den sisch-israelischen Freundschaft ernannt. Es ist gut, wenn Golanhöhen 900 neue Familien anzusiedeln und damit wir solch mutigen Initiativen der Zivilgesellschaft den auch diese Siedlung massiv auszubauen. Gerade als Rücken stärken. Freunde Israels müssen wir diese fortgesetzte Siedlungs- politik kritisieren, wie auch den Bau des Sperrzauns (Beifall im ganzen Hause) zwischen Israelis und Palästinensern. Es ist gut, wenn dieser Antrag und die Tatsache, dass (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der wir ihn gemeinsam einbringen, deutlich macht, dass die SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Grundsätze deutscher Nahostpolitik von allen Fraktio- NEN) nen dieses Hauses gemeinsam geteilt werden. Dazu ge- hört das uneingeschränkte Bekenntnis zum Existenz- Dabei bestreiten wir natürlich nicht das Recht Israels, recht Israels. Wir verurteilen die verbrecherischen seine Bürger vor Terror und Gewalt zu schützen. Jenseits Terroranschläge palästinensischer Extremisten. der grünen Grenze verlaufend und palästinensisches Ge- biet durchtrennend, wirkt der so genannte Terrorabwehr- (Beifall im ganzen Hause) zaun jedoch als Provokation, die neues Unheil heraufbe- Immer wieder fallen ihnen unschuldige Zivilisten zum schwört. Was sollen die Menschen in der völlig Opfer. Erst vor zwei Wochen riss eine solche verab- eingeschlossenen Enklave Kalkilia, wo von 41 000 Ein- scheuungswürdige Tat in Jerusalem über zehn Menschen wohnern bereits über 4 000 Menschen in den letzten Wo- in den Tod. chen die Stadt verlassen haben, von der Zukunft erwar- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8237

Hermann Gröhe (A) ten? Es ist noch lange keine Rechtfertigung von Frieden zwischen einem sicheren Israel und einem sou- (C) verbrecherischen Anschlägen, wenn man mit Schimon veränen Palästina, herzustellen. Peres feststellt – ich zitiere –: Solange es Besatzung gibt, wird es Terror geben. Wir begrüßen insbesondere, dass die Genfer Friedens- initiative den Prozess vom Ende her denkt und nicht Gerade wir Deutsche müssen die Existenzängste Isra- mehr sagt, man werde sich Schritt für Schritt auf ein Er- els ernst nehmen. Durch die von Nazideutschland began- gebnis zubewegen. Vielmehr haben die Leute den Mut genen Verbrechen sind wir in tragischer Weise mit dem gefunden, sich zusammenzusetzen, um alle einzelnen Umstand verbunden, dass sich die stärkere der beiden Probleme anzupacken und für diese Probleme eine Lö- Konfliktparteien – jedenfalls heute ist das Israel – für die sung zu suchen. Und siehe da: Sie haben bewiesen, dass schwächere hält. Dürfen wir, die Deutschen, Israelis der Verhandlungsfrieden im Nahen Osten möglich ist. dazu auffordern, um des Friedens willen Risiken einzu- Wir sollten den Initiatoren dazu gratulieren und sie nach gehen, die sie für existenzbedrohend halten? Natürlich allen Kräften unterstützen. kann Israel kein existenzielles Risiko eingehen. Dabei wird es uns immer an seiner Seite haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Sie haben immer noch mit starken Widerständen zu kämpfen. Auf der palästinensischen Seite – so haben wir Was wäre das aber für eine Solidarität, wenn wir unsere gerade schon gehört – gibt es immer noch die verheeren- Überzeugung verschwiegen, dass eine bestimmte israeli- den, grauenhaften und durch nichts zu rechtfertigenden sche Politik nicht zuletzt den berechtigten Sicherheitsin- Selbstmordattentate. Sie sind auch nicht durch die teressen des eigenen Landes schadet und der Sehnsucht Flüchtlingsfrage zu rechtfertigen. Insbesondere die Ini- der allermeisten Menschen in dieser leidgeprüften Re- tiatoren der Genfer Initiative haben darauf hingewiesen, gion, endlich in Frieden leben zu können, entgegensteht? dass die Flüchtlingsfrage nicht so gelöst werden kann, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie wie sich das einige Hardliner auf palästinensischer Seite bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- wünschen. Es werden nicht alle Flüchtlinge an ihre Ur- NISSES 90/DIE GRÜNEN) sprungsorte zurückkehren können. Das ist eine realisti- sche Einsicht, die offensichtlich jetzt auch große Teile Unser gemeinsamer Antrag bringt dies in, im besten der Palästinenser haben. Wir Deutsche haben, um einen Sinne des Wortes, ausgewogener Weise zum Ausdruck – Seitenblick auf unsere Geschichte zu werfen, viel Ver- und in der richtigen Tonlage. ständnis für die Problematik und können der palästinen- (B) Ich danke Ihnen. sischen Seite nur gratulieren, dass sie von unhaltbaren (D) Maximalpositionen Abstand nimmt. (Beifall im ganzen Hause) Umgekehrt sehen wir immer noch das Problem der Siedlungspolitik, selbst wenn Präsident Scharon nun an- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: gekündigt hat, Siedlungen in Gaza zu räumen. Auch Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ludger Volmer. wenn wir das ausdrücklich begrüßen, so steht dahinter möglicherweise dennoch die Idee, die beiden Staaten in Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Form zu separieren, dass für den Palästinenserstaat Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nicht die Gebiete übrig bleiben, die auf der Basis der Wir sind uns alle einig – das kommt auch in dem Antrag grünen Linie von 1967 vorgesehen waren, sondern er- zum Ausdruck, den wir heute im Konsens verabschieden heblich weniger. werden –, dass die politischen Rahmenpläne zur Lösung des Nahostkonfliktes in der so genannten Roadmap zu- Wenn man sich den Verlauf des Zauns anschaut, die- sammengefasst sind. Das ist die offiziell verabredete und ser Sperranlagen, die uns fatal an so manches Mauer- völkerrechtlich verbindliche Linie. Wir hoffen, dass die werk erinnern, mit dem auch wir in unserer Geschichte Akteure, die sich auf die Roadmap verpflichtet haben, konfrontiert waren, dann sieht man, der Zaun durch- die Kraft und auch den Willen finden, diesen Prozess ih- schneidet palästinensisches Wohngebiet, er trennt Fami- rerseits von staatlicher Seite aus auf der internationalen lien und Nachbarn. Auf dieser Basis wäre ein Staat über- Ebene und durch bilaterale Maßnahmen endlich mit Le- haupt nicht lebensfähig. Deshalb begrüßen wir, dass die ben zu erfüllen. israelische Seite in dem Genfer Verhandlungsprozess deutlich gemacht hat, dass dieser Verlauf des Zauns ab- (Beifall bei der SPD) solut nicht akzeptabel ist. Weil es daran in den letzten Monaten gemangelt hat, be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN grüßen wir umso mehr, dass es nun aus der Tiefe der Ge- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der sellschaften Israels und Palästinas zivilgesellschaftliche CDU/CSU) Initiativen gegeben hat – getragen auch von Personen, die dem sicherheitspolitischen Establishment dieser bei- Es gibt leider auf beiden Seiten immer noch Kräfte, den Staaten angehörten –, die ihrerseits nun versuchen, die meinen, man könnte die andere Seite endgültig poli- die Roadmap mit Leben zu erfüllen und das, was als Ziel tisch besiegen und die eigenen Maximalpositionen der Roadmap angegeben ist, nämlich ein garantierter durchsetzen. Diese Position hat keine Zukunft. 8238 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Dr. Ludger Volmer (A) Es gibt keine Alternative zu einem Verhandlungspro- uns, den freien Parlamentariern des Deutschen Bundes- (C) zess, der von der Vorstellung Abschied nimmt, man tages, erwartet hätte. könnte die andere Seite in die Knie zwingen und ohne weiteres die eigenen Maximalpositionen durchsetzen. (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Nun zer- Ich meine, am besten kommt diese neue Haltung, die reden Sie doch nicht unsere Unterstützung!) sich auch in der Genfer Friedensinitiative findet, in ei- – Weshalb ist denn unser Antrag, der eine eindeutige nem Zitat des israelischen Schriftstellers Amos Oz zum Unterstützung vorsieht, nicht auf die Tagesordnung auf- Ausdruck, der vor vielen Jahren sehr treffend geschrie- genommen worden, Herr Pflüger? Das nehmen auch die ben hat: Beobachter zur Kenntnis, denen die Anträge bekannt Tragödien lassen sich auf zweierlei Weisen zu ei- sind. nem Ende bringen. Es gibt die Shakespeare-Lösung Der Geist dessen, was wir am 14. Januar gemeinsam einer Tragödie und es gibt die Tschechow-Lösung besprochen haben, kommt in dem vorliegenden Antrag einer Tragödie. In der Shakespeare-Tragödie ist die nicht zur Genüge zum Ausdruck. Das sehen übrigens Bühne am Schluss mit Leichen bedeckt, und viel- auch die Herren Rabbo, Beilin und Primor so, mit denen leicht, vielleicht schwebt die Gerechtigkeit hoch ich in den vergangenen Tagen gesprochen habe. Ich über ihnen, oder auch nicht. In der Tschechow-Tra- werde Beilin nächste Woche in Israel treffen. Dann wird gödie ist jedermann am Schluss desillusioniert, ver- sich zeigen, wie man darauf reagiert, Herr Pflüger. bittert, gebrochen, enttäuscht, zerschmettert, aber er lebt. Ich wünsche eine Tschechow-Lösung, keine Wir alle wissen, das die Genfer Initiative etwas Be- Shakespeare-Lösung der Nahost-Tragödie. sonderes ist. Darauf brauche ich nicht weiter einzuge- hen. Ich bin froh darüber, dass das auch die Kollegen der Ich möchte mich diesen Worten anschließen. anderen Fraktionen so deutlich zum Ausdruck gebracht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben. und bei der SPD sowie des Abg. Joachim ( [Wiesloch] [SPD]: Zer- Hörster [CDU/CSU]) reden Sie doch nicht den Antrag!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir alle wissen auch, dass die Genfer Initiative keinerlei Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Stinner. staatliche Legitimation hat. Wir erkennen aber an, dass Patrioten auf beiden Seiten bereit waren, den schmerz- haften Weg zu Kompromissen zu gehen. Das müssen wir Dr. Rainer Stinner (FDP): deutlich unterstützen. (B) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (D) Herren! Wir behandeln heute einen Antrag, dem wir alle (Beifall bei der FDP) zustimmen und der wiederholt die wesentlichen Grund- Wir wissen doch alle, dass die Lösung dieses ver- bestandteile einer gemeinsamen deutschen Nahost-Poli- hängnisvollen Konflikts nicht von außen kommen kann. tik zusammenfasst und darstellt. Wir stehen mit ganzer Sie kann nicht durch unsere Resolutionen erzielt werden. Kraft dahinter und ich begrüße es, dass wir heute einen Sie ist nur dann möglich, wenn die Akzeptanz in der Be- Konsens erzielen können. völkerung in Palästina und Israel nachhaltig vergrößert Anlass des Antrags war aber das gemeinsame Ge- wird. Dabei können wir unsere Unterstützung leisten. spräch mit Rabbo, Beilin und ihren Delegationen zum Darum haben uns Rabbo und Beilin ausdrücklich gebe- Genfer Abkommen im Auswärtigen Ausschuss. Von ten und wir haben ihnen das auch zugesagt. dem Geist dieses Gesprächs, von der eindeutigen Zu- stimmung und der emphatischen Unterstützung ist leider Ein Letztes: In dem gemeinsamen Antrag – diesem in dem Antrag nicht mehr genug zu spüren. Deshalb ha- stimmen wir zu, weil er richtig ist – fordern wir wieder ben wir darauf bestanden, dass auch unser eigener An- einmal alle anderen auf: Israel, Palästina, Syrien, den trag hier beraten wird. Zu unserem großen Erstaunen ha- Iran, Amerika – Gott und die Welt! Nur an uns selber, an ben Sie, Herr Weisskirchen, Herr Volmer und Herr die Europäer und insbesondere an die Deutschen, stellen Pflüger, es abgelehnt, unseren Antrag, der die Genfer wir keine Forderungen. Wir müssen aber weitergehen. Initiative viel stärker unterstützt als der vorliegende An- Wenn es stimmt, dass dieser Konflikt unsere vitalen Inte- trag, heute zu beraten. Darüber wundern wir uns sehr. ressen berührt – darüber sind wir uns ja einig –, dann Dabei müssen Wirkkräfte am Werk gewesen sein, die müssen wir selber als Europäer und insbesondere als wir nicht verstehen. Deutsche bereit sein, Leistungen zu erbringen. Was spricht denn dagegen, wenn wir die Bundesregierung (Beifall bei der FDP) auffordern, das aktiv zu unterstützen, und wenn wir die EU auffordern, Projekthilfe zur Unterstützung dieses Der Bundespräsident ist in dieser Frage weiter als wir. Anliegens zu leisten? Ich glaube, dass wir das deutlicher Anfang Mai findet in Schloss Bellevue unter der Schirm- zum Ausdruck bringen sollten, als wir das bisher tun. herrschaft des Bundespräsidenten ein Symposium zur Unterstützung der Genfer Initiative statt. Das ist die öf- Zum Schluss: Wir stehen voll hinter dem Antrag, den fentliche Unterstützung, wie wir sie Rabbo und Beilin wir heute gemeinsam verabschieden. Wir glauben aber, eigentlich versprochen haben. Das ist eine Unterstützung dass eine Chance für eine nachhaltigere und deutlichere mit der Kraft und Symbolhaftigkeit, die ich auch von Unterstützung der Genfer Initiative vertan worden ist. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8239

Dr. Rainer Stinner (A) Wir unterstützen mit ganzer Kraft die Genfer Initiative Die entsprechenden Schritte werden noch zu finden sein. (C) und werden das überall deutlich zum Ausdruck bringen. Sie erfolgen bislang nicht mangels Ideen, sondern man- gels Bereitschaft. Das ist das Tragische. Vielen Dank. Dritte Bemerkung, zu der moralischen Dimension: Im (Beifall bei der FDP) Jahr 2004, also in dem Jahr, in dem sich zum 200. Mal der Todestag von Kant jährt, ist für mich die moralische Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Antwort eindeutig. Wie wir Deutsche, wie die Amerika- ner und wie jeder andere leben auch die Menschen in Pa- Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Christoph lästina und Israel unter dem einen gestirnten Himmel. Zöpel. Sie leben nach demselben universellen Gesetz, das jeder Mensch in sich hat. Dr. Christoph Zöpel (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und Kollegen! Ich möchte drei Bemerkungen zu dem vorliegenden Antrag machen. Das ist die moralische Bewertung dieses Konflikts, nicht die Aufrechnung – darauf komme ich zurück – und auch Erste Bemerkung: Die Botschaft der von Jossi Beilin nicht die Aufrechnung von Verantwortlichkeiten kollek- und Mohammed Abbu Rabbo geführten Delegation, die tiver Identitäten. anlässlich ihres Berlinbesuchs auch bei uns im Auswärti- gen Ausschuss war, ist für mich wichtig. Dieser Delega- Wenn wir uns so an Kant orientieren, dann ist dort je- tion ging es um die Mobilisierung der Öffentlichkeit in der Mensch, der unter Berufung auf die Rechte kollekti- Israel und Palästina und auch um die der Weltöffentlich- ver Identitäten getötet wird, ein Toter zu viel. Es gehört keit. Beilin ist von seiner Zuordnung zur Zivilgesell- für mich zu den bedrückenden Erfahrungen meiner Be- schaft abgerückt, denn es gibt keinen Zweifel daran, dass suche in der arabischen Welt, dass der Präsident der ara- er und Rabbo in den politischen Systemen ihrer Länder bischen Majlis-al-Shura, ein muslimischer Geistlicher, tätig waren und es noch sind. Es geht ihnen um Öffent- nicht bereit ist, sich prinzipiell von Selbstmordattentä- lichkeit, weil sie offenkundig den Eindruck haben, dass tern zu distanzieren, sondern sagt, dies sei eine seelsor- in einer noch zu sehr staatlich vermachteten Welt die Di- gerische Frage, die nur im Einzelfall beantwortet werden plomatie der Staaten Lösungen nicht schafft, wenn die könne. Dies erschüttert mich. Weltöffentlichkeit sie nicht will. Ich glaube, wir erwei- sen dieser Initiative einen sehr guten Dienst, wenn wir (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (B) die heutige Debatte, deren Inhalte die Medien der deut- DIE GRÜNEN sowie der Abg. Hildegard (D) schen Öffentlichkeit vermitteln, nutzen, um über sie zu Müller [CDU/CSU]) sprechen, wenn wir Ja zu den Inhalten und den Metho- Selbstmordattentate, warum auch immer, müssen ver- den sagen, die Beilin und Rabbo vorgeschlagen haben, hindert werden. Es gibt keinen Grund, sie moralisch zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rechtfertigen. DIE GRÜNEN) (Beifall des Abg. Dr. [FDP] – und wenn wir ihr Anliegen unterstützen, die Weltöffent- Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Rich- lichkeit zu mobilisieren. Denn nur wenn sich die Weltöf- tig!) fentlichkeit gegen die vorgebliche Unlösbarkeit auch des Ich erlaube mir eine weitere Bemerkung. Die Art und Mittelostproblems engagiert, stellt sie sich hinter unsere Weise, in der sich der Staat Israel um seine Soldaten gemeinsame Einsicht, dass es aufgrund des Unvermö- kümmert, in der er zu verhindern sucht, dass sie sterben, gens der Diplomatie vermachteter Staaten bisher nicht sie zu befreien sucht, wenn sie gefangen genommen gelöst werden konnte. worden sind, sich sogar noch darum sorgt, dass sie ihrem Zweite Bemerkung, zur Lösung: Die Welt ist im Prin- Glauben gemäß bestattet werden können, sollte ein uni- zip der Lösung nicht nur näher gekommen, sie hat sie verselles Gesetz im Sinne von Kant sein; dieselbe Sorge vielmehr gefunden. Kein vernünftiger Mensch sieht eine sollte man auch jedem toten Palästinenser angedeihen Alternative zu dem, was vorgeschlagen worden ist: zwei lassen. Staaten mit sicheren Grenzen – Grenzen brauchen die (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie der beiden Staaten auch in einer Welt, in der sonst Grenzen Abg. Hildegard Müller [CDU/CSU]) überflüssig werden, weil das israelische und das palästi- nensische Volk zu sehr in Gewalttätigkeiten und Verlet- Das ist für mich die Grundlage der Verhältnismäßigkeit zungen verstrickt sind – und eine Garantie der internatio- der Mittel, auch bei Kriegsführung und Gefahrenabwehr nalen Gemeinschaft unter Beteiligung der Vereinigten von Staaten. Wenn wir das nicht sehen und den Fall des Staaten, weil nur sie über die notwendigen militärischen eigenen Toten weiter für einen Fall halten, der mehr Mittel verfügen, und jedes anderen Staates einschließlich Sorge verlangt als der des anderen Toten, werden wir Deutschland, wenn beide Länder das wollen. Das ist die keine auf Dauer friedliche Welt erreichen. Lösung. (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Abgeordneten der CDU/CSU) 8240 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Dr. Christoph Zöpel (A) Das ändert nichts daran, dass kollektive Identitäten in wurde. Ein weiteres Beispiel für eine ganz konkrete und (C) der Geschichte existiert haben. Solange wir von kollekti- praktische Initiative ist die von der Konrad-Adenauer- ven Identitäten sprechen und solange sich kollektive Stiftung begleitete Economic Working Group mit Reprä- Identitäten ihre Staaten suchen, sind sie eine Realität. sentanten der israelischen und der palästinensischen Re- Aber für mich bleiben sie nachrangig, und zwar den uni- gierung. Diese Arbeitsgruppe hat kein Interesse am Pres- versellen Moralgesetzen nachrangig. serummel, sondern arbeitet an konkreten praktischen wirtschaftlichen Fortschritten im Alltag. Das ist, glaube (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Sehr ich, eine sehr wichtige und friedensbildende Maßnahme. richtig!) All diesen gut gemeinten Initiativen steht jedoch der Nachrangig gibt es eine deutsche Verantwortung, aus Terror entgegen, ein Terror, den wir in Europa kaum er- der wir uns nicht stehlen können. messen können. Allein in den vergangenen 40 Monaten (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto hat es in Israel rund 18 000 Attacken der unterschied- Solms) lichsten Art gegeben. Diese 18 000 Terrorattacken sind Teil einer bislang nicht enden wollenden Spirale der Wir sollten uns aber darauf verständigen und auch mit Gewalt. Israelis und Palästinensern darüber sprechen: Wird es nicht wirklich einfacher, wenn wir uns – vor jeder Bevor wir also auf einen dauerhaften Frieden zwi- Schuldzuweisung an kollektiven Identitäten – dem Welt- schen zwei souveränen Ländern – einem jüdischen Staat ethos, dem Denken von Kant, der europäischen Aufklä- Israel einerseits und einem palästinensischen Staat ande- rung, die ohne die eminent wichtigen Beiträge jüdischer rerseits – hoffen können, muss es zu einem Ende des Denker in Europa nicht möglich gewesen wäre, ver- Terrors kommen. Dies bedeutet für mich auch, dass für pflichtet fühlen, eine umfassende Friedensregelung alle Angriffe auf Is- rael beendet werden müssen. Sie lassen sich in keiner (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Weise rechtfertigen und tangieren das berechtigte Dr. Werner Hoyer [FDP]) Schutzinteresse Israels. Schritt für Schritt von diesem Denken in kollektiven Der so genannte Schutzwall, dessen Errichtung wir Schuldzuweisungen weiter Abschied nehmen und eine Europäer sicher kritisch beobachten und über dessen Zukunft formulieren, in der jeder das gleiche Recht zum Verlauf besonders diskutiert werden muss, wäre auf kei- Leben hat? nen Fall nötig, wenn die palästinensische Autonomiebe- Herzlichen Dank. hörde ihre Ankündigung, extremistische Gewalt zu be- kämpfen, in die Tat umsetzte. (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP) SPD und der FDP) Herr Volmer, es sei mir der Hinweis erlaubt, dass die- Vizepräsident Dr. : ser Schutzwall – egal über welchen Punkt man in diesem Das Wort hat jetzt die Kollegin Hildegard Müller von Zusammenhang diskutiert – mit der Berliner Mauer un- der CDU/CSU-Fraktion. ter keinen Umständen vergleichbar ist. Mit der Berliner Mauer wurden die Bürger des eigenen Staates einge- Hildegard Müller (CDU/CSU): sperrt. Das lässt sich mit der Situation im Nahen Osten Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- nicht vergleichen. ren! Es gab schon viele Friedensprogramme für die Lö- (Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sung des Konflikts im Nahen Osten. Über zwei davon NEN]: Das haben wir auch nicht verglichen!) debattieren wir heute und lassen ihnen dadurch eine be- sondere Aufmerksamkeit zuteil werden. Dies ist sicher- Ich muss das an dieser Stelle erwähnen. Sie haben das lich richtig und wichtig. gerade etwas merkwürdig formuliert. Herr Stinner, ein Hinweis sei mir erlaubt: Wir haben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bewusst einen gemeinsamen Antrag zu diesem Thema neten der FDP – Dr. Ludger Volmer [BÜND- formuliert. Es ist auch gut so, dass sich das Parlament NIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) für einen gemeinsamen Antrag entschieden hat. Gerade Präsident Arafat müsste sich als Träger des Wir vergessen bei der Diskussion der Einzelpunkte Friedensnobelpreises der besonderen Verantwortung für allerdings oft, dass es eine Vielzahl von Initiativen ab- sein Volk bewusst sein. Dieser ist er bisher nicht gerecht seits des großen Medieninteresses gibt, mit dem bei- geworden. Im Sinne eines stabilen und dauerhaften Frie- spielsweise der Geneva Accord in Berlin bedacht wurde. dens ist es richtig, dass wir auf die Rolle der Nachbarn Es gibt viele weitere Bausteine für den Frieden. konkret Rücksicht nehmen. Ich bedauere zum Beispiel, dass etwa dem symboli- Wie schwierig sich die Situation auf israelischer Seite schen Handschlag in der Friedenspräambel des früheren darstellt, konnten wir in diesen Tagen erkennen. Die An- israelischen Sicherheitschefs Ayalon und des Präsiden- kündigung von Premier Scharon, die Siedlungen im Ga- ten der Ost-Jerusalemer al-Quds-Universität, Nusseibeh, zastreifen räumen zu lassen, ist richtig und von uns zu in Deutschland nicht dieselbe Aufmerksamkeit zuteil begrüßen und zu unterstützen. Mir ist unverständlich, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8241

Hildegard Müller (A) dass Herr Beilin diese Position zurzeit kritisiert. Wir dass wir das bei einer solchen Debatte nochmals unter- (C) brauchen diese Schritte. Sie werden jetzt zu Recht einge- streichen. fordert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der wichtigste Schritt ist die Umsetzung der und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Roadmap. Wir sollten die entsprechenden Punkte nicht CDU/CSU) vergessen. Die Roadmap ist der erste gemeinsame Text Meine Erfahrung ist, dass es unsere arabischen Part- der vier Hauptakteure im Nahen Osten. Es ist wichtig, ner und Freunde schätzen, wenn sie wissen, woran sie dass dem Nahostquartett und nicht immer nur den ande- sind. Es nützt nichts, hier einen Zweifel aufkommen zu ren, wie es gefordert wird, eine besondere Rolle zuge- lassen. Meine Erfahrung ist, dass man auch und gerade schrieben wird. mit der arabischen Seite viel vertrauensvoller umgehen Gerade dies ist ein Punkt, bei dem wir Europäer uns kann, wenn bei diesen Grundsatzfragen Klarheit besteht. an die eigene Nase fassen müssen. Es ist nicht nur nach- Die gegenwärtige Situation ist dadurch gekennzeich- haltig ärgerlich, sondern auch indiskutabel, dass sehr net, dass der Friedensprozess stagniert, dass die mörderi- wahrscheinlich Terroraktivitäten auch mit EU-Geldern schen Terroranschläge gegen Männer, Frauen und Kin- indirekt finanziert worden sind. Gerade wir Deutschen der in Israel fortgeführt werden. Auch auf der müssen konsequent darauf achten, dass die Gelder, die palästinensischer Seite kommen unschuldige Menschen wir für humanitäre Zwecke und zum Aufbau von Struk- – Kinder, Zivilisten – zu Tode. Das Leid hält also auf turen ausgeben, richtig verwendet und nicht zweckent- beiden Seiten an. fremdet werden. Präsident Arafat hat hierbei eine Schlüsselposition. Auch die Alternativen sind klar: Ich denke, dass man hier nochmals unterstreichen muss, was Präsident Bush Herr Außenminister, ich wäre Ihnen dankbar, wenn in seiner Rede am 4. Juni letzten Jahres definiert hat, Sie dies am Montag und Dienstag zusammen mit Ihren nämlich dass auf der Grundlage, dass zwei demokrati- belgischen und spanischen Kollegen vor Ort betonten: sche Staaten, Israel und Palästina, friedlich Seite an Seite Die Europäische Union ist keinesfalls bereit, zu akzep- leben, die Lösung gefunden werden muss. tieren, dass Gelder veruntreut werden. Nun zur Bedeutung der Genfer Initiative. Zunächst (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und lassen Sie mich festhalten, dass alle Elemente x-mal der SPD) durchdiskutiert worden sind. Alle Details bezüglich der Bevor wir also immer wieder von neuen Initiativen Wasserfrage, der Sicherheit und der territorialen Abgren- sprechen, sollten wir uns selbst an unsere Garantien und zung bis auf die Ebene der einzelnen Straßen usw. – man (B) Versprechen halten. In diesem Sinne hat insbesondere muss nur in die Schubladen beider Seiten greifen – sind (D) die Roadmap als staatliche Initiative, die wir unterstüt- nicht zehnmal, nicht hundertmal, sondern vermutlich zen können und müssen, auch weiterhin unsere Unter- tausendmal in den Verhandlungen durchdiskutiert wor- stützung verdient. Mein Appell ist es, diesem Weg zum den. Selbst Elemente zur Lösung der schwierigsten Fra- Frieden zum Erfolg zu verhelfen. gen, wie der Status von Jerusalem und das Rückkehr- recht der Flüchtlinge und Ähnliches, sind vorhanden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das eigentliche Problem ist also nicht, dass man nicht neten der SPD und der FDP) weiß, wie der Endstatus aussehen soll. Vielmehr geht es hier um eine Frage des politischen Willens und jenseits Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: davon auch der Mehrheits- und Zustimmungsfähigkeit Das Wort hat jetzt der Bundesminister Joseph Fischer. der Vorschläge. Die große Resonanz, die der Vorschlag einer Zwei- Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: staatenregelung, der von Privatleuten, also von Nichtre- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist zu gierungsmitgliedern, gekommen ist – darauf wurde hin- begrüßen, dass sich die Fraktionen hier auf einen ge- gewiesen –, international, aber auch in Israel und auf meinsamen Antrag geeinigt haben und dass die Grundpo- palästinensischer Seite gefunden hat, hat klar gemacht, sition des Hauses voll in der Kontinuität der bisherigen dass ein Vakuum existiert, was die Friedensperspektive deutschen Außenpolitik steht: Unser Sonderverhältnis zu betrifft. Die Genfer Initiative verdient genau unter dem Israel als Partner und Freund gründet auf der historischen Gesichtspunkt, dass ein historischer Kompromiss zwi- und moralischen Verantwortung unseres Landes für die schen diesen beiden Völkern in diesem langen tragi- Verbrechen des Holocaust. schen Konflikt denkbar geworden ist, weil Elemente zur Lösung vorhanden sind, Unterstützung. Daraus ergibt sich eine besondere Beziehung. Sie lässt sich daran festmachen, dass das Existenzrecht (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Richtig!) Israels – das heißt auch das Recht seiner Bürger, ohne Die Schwierigkeit liegt aber, wie gesagt, in dem Weg Angst vor Terror und Gewalttaten zu leben – für uns von dorthin. Hier ist es aus unserer Sicht unverzichtbar, an zentraler Bedeutung ist. Dieses Recht ist für uns unan- der Roadmap festzuhalten. tastbar und mit niemandem verhandelbar. Das sind die Grundlagen, die seit Konrad Adenauer unbeschadet der Bei allen Schwierigkeiten, die gegenwärtig groß sind, Zusammensetzung der Bundesregierung gelten und zu möchte ich folgende Erfahrung in Erinnerung rufen. den Grundfesten dieses Hauses gehören. Es ist wichtig, Eine Folge des Scheiterns des Abkommens von Camp 8242 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Bundesminister Joseph Fischer (A) David, wo die USA unter Präsident Clinton noch allein vorbeiführen können; denn alles andere würde dazu füh- (C) verhandelt haben, war, dass der frühere amerikanische ren, dass die demographische Struktur eines nicht allzu Senator Mitchell einen weiteren Anlauf unternahm und fernen Tages dem jüdischen Charakter des Staates Israel die so genannten Mitchell-Vorschläge unterbreitete. Was zuwider laufen würde. ist von diesen so genannten Mitchell-Vorschlägen ge- Das Dritte ist: Terror und Gewalt müssen ein Ende blieben? Zum ersten Mal in der Geschichte des Nahost- haben. Das Vierte ist: Die Palästinenser müssen eine konfliktes haben die wesentlichen internationalen Ak- Perspektive haben. Weiterer territorialer Verlust wird teure eine gemeinsame Position vertreten. Das mag auf von ihnen nicht hingenommen werden. Das sind die Ele- den ersten Blick wenig sein, aber die Gemeinsamkeit der mente, mit denen wir es beim Siedlungsbau und beim internationalen Staatengemeinschaft ist meines Erach- Abbau von Siedlungen in Wirklichkeit zu tun haben. tens von zentraler Bedeutung. USA, Europa, Russland und die Vereinten Nationen, vertreten durch den Gene- Ich kann Ihnen versichern: Die Bundesregierung wird ralsekretär, haben versucht, die Dinge in dieselbe Rich- weiterhin versuchen, den mühseligen Prozess der An- tung zu bewegen. nährung zu unterstützen, ihn zu begleiten, Ideen zu ent- wickeln, weil es sich um einen Konflikt handelt, der in Diese Erkenntnis ist in das Quartett, in dem Europa einer hochgefährlichen Region stattfindet. Sosehr ich für durch Javier Solana vertreten ist, mit eingeflossen. Inso- eine Initiative für den Nahen Osten bin, wie sie von ame- fern rate ich dringend dazu, dieses Element auf keinen rikanischer Seite nach den Ereignissen vom 11. Septem- Fall infrage zu stellen und aufzugeben. Es ist von überra- ber 2001 überlegt wird, glaube ich nicht, dass diese Ini- gender Bedeutung. Wenn dieses Quartett auseinander tiative erfolgreich sein wird, wenn man meint, sie um fallen würde, würden jeweils beide Seiten wieder versu- den Nahostkonflikt herum umsetzen zu können. Wir chen, wie wir es in den Jahrzehnten vorher oft erlebt ha- werden uns nicht zur Geisel dieses Konfliktes machen ben, unterschiedliche Positionen bei unterschiedlichen dürfen, aber wir werden ihn auch nicht ausklammern Partnern voranzubringen, getreu dem Motto: Funktio- dürfen. niert es diesseits des Atlantiks nicht, geht man auf die andere Seite und umgekehrt. Das sind für mich die ent- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) scheidenden Punkte, die für die Roadmap als eine Ver- Es ist notwendig, darüber in der Zukunft Diskussionen einbarung, die von der internationalen Staatengemein- mit unseren amerikanischen Partnern zu führen. schaft getragen wird, sprechen. Meine Damen und Herren, die Lösung des Nahost- Lassen Sie mich Folgendes in Richtung FDP sagen: konfliktes ist gewiss nicht alles. Der Nahostkonflikt ist Erstens glaube ich, dass die Tonalität eine große auch nicht für alle negativen Entwicklungen im Nahen (B) Rolle spielt. Wenn Ihr Antrag vom Deutschen Bundestag Osten verantwortlich; solchen Behauptungen muss man (D) angenommen worden wäre, dann hätten wir – das pro- entgegentreten. Seit der Gründung des Staates Israel im phezeie ich Ihnen – in Israel großen Interpretationsbe- Jahre 1948 wurde der Konflikt immer wieder dafür be- darf und hätten das Gegenteil von dem erreicht, was das nutzt, von dem Versagen von nationalen Eliten, unhalt- Haus will und was ich voll unterstütze. baren Zuständen, mangelnder Entwicklungsperspektive und Ähnlichem mehr abzulenken. Es wird jedoch, ohne (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Rich- dass der Nahostkonflikt auf dem Wege eines histori- tig!) schen Kompromisses gelöst wird, einen dauerhaften Frieden in der Region nicht geben. Auch das ist ein we- Gerade in diesem sensiblen Konflikt kommt es nicht nur sentlicher Punkt, den wir beachten müssen. darauf an, wie wir die Dinge sehen, sondern auch darauf, wie wir wahrgenommen werden. Unsere Geschichte ist Auf dieser Grundlage werden wir versuchen, den Pro- zwar oft Last, aber im Nahostkonflikt haben wir uns Ver- zess voranzubringen. Die Genfer Initiative war dafür ein trauenskapital auf beiden Seiten erworben, und zwar bedeutendes Signal und verdient als solches jede Unter- nicht erst diese Bundesregierung; ich habe vorhin darauf stützung. Aber klar muss auch sein: Der Weg führt über hingewiesen, dass das eine lange Tradition hat. Damit die Roadmap, über den Zusammenhalt der Staatenge- sollten wir sorgsam umgehen. Das heißt, mit allen, mit meinschaft und vor allen Dingen über die Beendigung denen wir sprechen, müssen wir aufgrund der existenz- von Terror und Gewalt. bedrohenden Situation und der Ängste, die auf Existenz- Ich danke Ihnen. bedrohung gründen, sehr sensibel umgehen. Deshalb freue ich mich, dass hier der Ton insgesamt – die Tonali- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, tät ist, wie gesagt, oft sehr wichtig im Nahostkonflikt – bei der SPD und der CDU/CSU) ein anderer ist. Mir fehlt jetzt die Zeit, um darauf näher einzugehen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ein zweites wesentliches Element, um das es gegen- Das Wort hat jetzt der Kollege Joachim Hörster von wärtig geht – diese Diskussion hat in Israel begonnen der CDU/CSU-Fraktion. und wird auf palästinensischer Seite schon länger ge- führt –, ist die Frage der Demographie. Wenn man die Joachim Hörster (CDU/CSU): demographische Struktur erhalten will – wir unterstützen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin das mit dem Existenzrecht Israels, eines jüdischen Staa- dankbar dafür, dass die Fraktionen dieses Hohen Hauses tes Israel –, wird an einer Zweistaatenlösung kein Weg den vorliegenden gemeinsamen Antrag zustande ge- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8243

Joachim Hörster (A) bracht haben. Ich glaube, das war die logische Konse- geht. Die palästinensische Gesellschaft, vor allem ihre (C) quenz aus der Anhörung der Vertreter der Genfer Initia- politische Führung, hat im Grunde genommen in der tive, die wir im Auswärtigen Ausschuss durchgeführt Vergangenheit weitestgehend versagt. Selbst wenn ich haben. Wir alle wissen, dass die Genfer Initiative zwar das in Rechnung stelle, was der Kollege Gröhe hinsicht- kein Abkommen ist und dass sie keine völkerrechtliche lich der Lebensbedingungen der Palästinenser zutreffend Qualität hat. Aber in folgendem Punkt möchte ich dem geschildert hat, muss ich sagen: Die Palästinenser haben Kollegen Volmer zustimmen: Es ist der erste Vorschlag, viele Chancen nicht genutzt. Sie haben beispielsweise der kein Detail ausgelassen hat, das geklärt werden nicht die Chance genutzt, mehr Demokratie zu schaffen. muss, damit man zu einer Lösung kommen kann. Des- Das wäre möglich gewesen; dieser Prozess wäre von Is- wegen finde ich, dass eine solche Initiative, die sich sehr rael nicht behindert worden. konkret auf die einzelnen Sachverhalte bezieht, in dem eigentlich bereits vorhandenen internationalen Rahmen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- notwendig war. neten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP) Ich erinnere daran, dass wir den Barcelona-Prozess und die Roadmap haben. Es gibt auch den Friedensplan Die Palästinenser hätten ein besseres Bildungssystem des saudischen Kronprinzen Abdullah, der von der Ara- schaffen können. Auch das wäre von Israel nicht behin- bischen Liga immerhin einstimmig beschlossen worden dert worden. Sie hätten ihrer Bevölkerung aufgrund der ist. Dieser Friedensplan wird nach meinem Dafürhalten Hilfen der Europäischen Union eine Friedensdividende zu wenig beachtet, vielleicht auch deswegen, weil er mit zukommen lassen können. Dann wäre es nicht dazu ge- einem Problem beginnt, das nicht so gelöst werden kann, kommen, dass heute viele Palästinenser unter der Ar- wie es im Friedensplan vorgesehen ist. Denn dort wird mutsgrenze leben. die Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge in ihre (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sehr frühere Heimat verlangt. Jeder, auch in der arabischen wahr!) Welt, weiß, dass das völlig unrealistisch ist. Mehr als 80 Prozent der palästinensischen Flüchtlinge sind in Die jetzige Situation hätte verhindert werden können. Syrien und Jordanien voll integriert. Aufgrund des Be- Sie ist die Folge des Versagens der palästinensischen Re- völkerungsgleichgewichtes stellen sie im Libanon ein gierung. Dafür sind nicht – das muss man festhalten – Problem dar. Dort muss eine Lösung gefunden werden. die äußeren Einflüsse verantwortlich zu machen. Aber in Tat und Wahrheit geht es ja darum – auch das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie wissen die arabischen Staaten –, eine Entschädigungs- bei Abgeordneten der SPD und des Abg. grundlage zu schaffen. Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) (D) Wir müssen einmal klarstellen: Die Kritik, die eben NEN]) geäußert worden ist, wir Deutschen und die Europäische Ich verfolge die Diskussion in der israelischen Ge- Union würden für die Lösung des Konfliktes zu wenig sellschaft, weil dort, wie ich glaube, der Schlüssel zur tun, ist nicht gerechtfertigt, Herr Stinner. Wenn es ums Lösung dieses Konflikts liegt. Diese Gesellschaft besitzt Zahlen und um die Leistung konkreter Hilfe geht, dann die größere Friedenskompetenz und den größeren Wil- tun wir das und haben das in der Vergangenheit in aller len, den Frieden herbeizuführen. Allerdings will ich die- Regel getan. Deswegen wird es eine Lösung bezüglich jenigen, die auf palästinensischer Seite an der Genfer der Flüchtlinge ohne unsere finanzielle Hilfe und ohne Initiative mitgearbeitet haben, nicht herabsetzen. Ganz unser wirtschaftliches Engagement nicht geben. Ich bin im Gegenteil: Angesichts des Kurses der palästinensi- der Auffassung, dass wir uns nichts vorzuwerfen haben. schen Führung muss man sagen, dass es sich um extrem Ich bin sehr zufrieden, dass der Bundesaußenminister mutige Menschen handelt. Auch deswegen müssen sie auf der Münchener Sicherheitskonferenz alle diese unterstützt werden. Initiativen, einschließlich der von der amerikanischen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Regierung angekündigten größeren Initiative für den Na- bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- hen und Mittleren Osten, zusammengefasst hat. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Nach meiner Meinung steht das Rahmenwerk. Wir Ich glaube, dass Uri Avnery Recht hat, wenn er die müssen jetzt dafür sorgen, dass die beiden betroffenen Situation in Israel wie folgt beschreibt: Parteien, nämlich Israel und Palästina, versuchen, die Vorschläge, die es im Rahmen dieser Friedensinitiative Während der letzten Monate ist in der öffentlichen für die Lösung der Probleme gegeben hat, nach und nach Meinung eine bemerkbare Wende eingetreten. Dies abzuarbeiten. Dann kommt man nach meinem Dafürhal- hat verschiedene Gründe: allgemeine Müdigkeit der ten weiter. Wenn diese Vorschläge nach und nach abge- endlosen Spirale des Blutvergießens, die Erkennt- arbeitet werden, dann wird damit das Vertrauen geschaf- nis, dass es keine militärische Lösung gibt, die Ver- fen, das auf beiden Seiten notwendig ist. Dass es bisher schlechterung der wirtschaftlichen Krise, die uner- nicht vorangegangen ist, liegt daran, dass in der einen müdliche Aktivität der radikalen Friedensgruppen. Gesellschaft kein Vertrauen in die jeweils andere Gesell- Die Liste der sich häufenden Symptome wird län- schaft vorhanden ist. ger: die Bewegung der jungen Leute, die den Ar- Ich habe das größte Zutrauen in die israelische Ge- meedienst in den besetzten Gebieten verweigern; sellschaft, wenn es um die Problemlösungskompetenz die Revolte der 30 Luftwaffenpiloten; die Ayalon- 8244 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Joachim Hörster (A) Nusseibeh-Initiative; das Statement der vier frühe- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der (C) ren Geheimdienstchefs; die Kritik vom General- CDU/CSU stabschef und in dieser Woche der öffentliche An- Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der re- griff der Reserveoffiziere auf die fortdauernde gionalen Wirtschaftsstruktur“ als gesamtdeut- Existenz der Siedlung Nezarim im Gazastreifen. schen Strukturförderungsrahmen erhalten Die Genfer Initiative gab dieser Wende in Israel ei- und fortentwickeln nen großen Auftrieb – und im Ausland ein ein- – Drucksache 15/1986 – drucksvolles Echo. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f) Die Teilnahme von internationalen Persönlichkei- Innenausschuss ten bei der feierlichen Zeremonie in der Schweiz Rechtsausschuss verliehen ihr Rang und Prestige. Finanzausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Im weiteren Verlauf dieses Artikels, der am Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen 6. Dezember des vergangenen Jahres erschienen ist, er- Ausschuss für Tourismus innert sich Uri Avnery an eine erste Konferenz mit Pa- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union lästinensern, die nach seiner Erinnerung vor 31 Jahren in Haushaltsausschuss Bologna stattgefunden hat. Er erinnert sich, dort gesagt Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die zu haben: Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich Der Vietnamkrieg wird in der amerikanischen Öf- höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. fentlichkeit gewonnen, der algerische Krieg in der Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile französischen Öffentlichkeit, und der palästinensi- ich das Wort dem Kollegen Klaus Hofbauer von der sche Krieg wird in der israelischen öffentlichen CDU/CSU-Fraktion. Meinung gewonnen werden. Unser Anteil kann darin liegen, dass wir unverrückbar Klaus Hofbauer (CDU/CSU): an dem Standpunkt der deutschen Politik festhalten, der Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und seit Konrad Adenauer – der Bundesaußenminister und Herren! Ohne jegliche Ankündigung, ohne Information andere haben es gesagt – gilt, nämlich dass das Existenz- der zuständigen parlamentarischen Gremien, ja in einer recht des Staates Israel in keiner Weise infrage gestellt Nacht-und-Nebel-Aktion hat die rot-grüne Bundesregie- rung den Bundesanteil der Gemeinschaftsaufgabe (B) werden kann, dass wir eine Sonderbeziehung haben, die (D) auch so bleiben wird. „West“ gestrichen. Selbst Übergangsregelungen sind nicht geplant. Meine persönliche Erfahrung ist im Übrigen: Wenn (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Unerhört!) man das arabischen Freunden und Gesprächspartnern genauso sagt, wird dies akzeptiert und auch anerkannt. Angesichts der aktuellen Diskussion über die europäi- sche Strukturpolitik ist dies ein völlig falsches Signal Ich danke für die Aufmerksamkeit. nach Brüssel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) neten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE Warum soll die EU Deutschland Strukturförderung GRÜNEN und der FDP) gewähren, wenn die rot-grüne Bundesregierung natio- nale Mittel streicht und damit selbst die Strukturpolitik Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: in der Bundesrepublik Deutschland infrage stellt? Ich schließe die Aussprache. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Richtig!) Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Die Bundesregierung beteuert immer wieder, auf euro- Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/ päischer Ebene um nationale Handlungsspielräume in Die Grünen und der FDP auf Drucksache 15/2392 mit der Strukturpolitik zu kämpfen. Aufgrund ihrer Ent- dem Titel „Roadmap wieder beleben – Genfer Initiative scheidung zur GA ist dies ein reines Lippenbekenntnis. unterstützen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist ein- So schaut es aus!) stimmig angenommen. Was macht es für einen Sinn, nationale Eigenverantwor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des tung zu fordern, wenn man die bewährten Instrumente BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ der nationalen Strukturförderung finanziell aushöhlt? Er- CSU und der FDP) lauben Sie mir diese zentrale Aussage: Wer die GA „West“ abschafft, ist nicht weit davon entfernt, die GA Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: „Ost“ auf null zu fahren. Das ist das zentrale Thema, das wir ansprechen müssen. Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Hofbauer, Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann, (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8245

Klaus Hofbauer (A) Die Strukturpolitik der verschiedenen Ebenen, ange- Wir wissen nicht, wie die Verhandlungen zur Struk- (C) fangen von den Kommunen bis hin zu Europa, hat in den turpolitik auf europäischer Ebene ausgehen werden. Es letzten Jahren bei uns in Deutschland viel Positives be- ist leichtfertig, ich möchte sagen, es ist unverantwort- wirkt. lich, in dieser Phase der europäischen Diskussion über (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist wohl die Strukturpolitik die Mittel für die GA zu kürzen. Ich wahr!) möchte ein ganz klares Bekenntnis der CDU/CSU-Bun- destagsfraktion zur GA in den neuen Bundesländern ab- Der Auftrag des Grundgesetzes, gleichwertige Lebens- legen. bedingungen zu schaffen, wurde vielfach erreicht. Be- stimmte begrüßenswerte Ereignisse, zum Beispiel die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wiedervereinigung Deutschlands, die EU-Osterweite- rung, die Globalisierung usw., erfordern auch in den Es ist für mich wichtig, festzustellen, dass es auch in nächsten Jahren eine zukunftsorientierte nationale Struk- den westlichen Bundesländern verschiedene Problemge- turpolitik. biete gibt. Ich denke an das ehemalige Zonenrandgebiet, (Beifall bei der CDU/CSU) an die Küstenregionen und die strukturschwachen Ge- biete, die es nach wie vor gibt. Im ehemaligen Zonen- Für mich ist entscheidend: Strukturpolitik hat mit randgebiet, an der Grenze zwischen Niedersachsen und Subventionen nichts zu tun. Strukturpolitik ist ein ent- den neuen Bundesländern, gibt es bereits ein ganz ge- scheidender Beitrag zur Schaffung, Sicherung und Er- waltiges Fördergefälle. Wir können die Förderung doch haltung von Arbeitsplätzen, insbesondere im ländlichen nicht auf null herunterfahren. Raum. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Der Herr Bundesverteidigungsminister ist jetzt anwe- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) send. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten eine Diskussion um die Reduzierung der Bundeswehr- Bei der GA beweist die Bundesregierung schon seit standorte führen. Herr Minister der Verteidigung, Sie Jahren Konzeptlosigkeit. Ich darf kurz erinnern: Noch haben gesagt, strukturpolitische Überlegungen spielten im Sommer 2002 beschloss die rot-grüne Mehrheit in bei Ihren Standortentscheidungen keine Rolle. Natürlich diesem Hause einen eigenen Antrag mit dem Titel „Die spielen Bundeswehrstandorte eine ganz wichtige struk- Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen turpolitische Rolle. Sie befinden sich überwiegend in Wirtschaftsstruktur als regelgebundenes Fördersystem ländlichen Räumen. Wenn diese strukturpolitischen erhalten“. Nach der Bundestagswahl wurde dieser An- Überlegungen für die Bundeswehr – ich habe Verständ- trag vergessen. nis für diese sachliche Entscheidung – keine Rolle spie- (B) In den rot-grünen Haushaltsberatungen wurde die GA len, dann müssen wir uns Instrumente überlegen, um den (D) „West“ ganz gestrichen und die Mittel für die GA „Ost“ Wegfall der Bundeswehrstandorte abzufedern und die wurden weiter gekürzt. Damit setzt Rot-Grün die Ge- dadurch entstehenden strukturpolitischen Probleme zu meinschaftsaufgabe in ganz Deutschland aufs Spiel. lösen. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regio- nalen Wirtschaftsstruktur“ ist das wichtigste nationale Ich möchte noch einen Punkt konkret ansprechen, der Instrument der Strukturförderung. Sie ist ein bewährter die Grenzregionen zu den EU-Beitrittsländern be- Ordnungs- und Koordinierungsrahmen, der Subven- trifft. Diese Gebiete werden nicht nur einem ganz gewal- tionswettläufe wirksam verhindert. Die GA – das ist ein tigen Fördergefälle ausgesetzt sein, sondern auch einem zentraler Punkt – wirkt direkt in die Unternehmen hi- Lohn- und Wohlstandsgefälle. In den Grenzregionen be- nein. In meinem Wahlkreis laufen zurzeit noch 17 An- trifft das besonders den Mittelstand und das Dienstleis- träge zur GA mit einem Investitionsvolumen von tungsgewerbe. Deswegen möchte ich noch einmal klar 37 Millionen Euro. Allein diese Zahl beweist, dass sich und deutlich an das gewaltige Versprechen erinnern, das mittelständische Unternehmen zum Beispiel auf die EU- der Herr Bundeskanzler vor wenigen Jahren in Ostbay- Osterweiterung vorbereiten wollen und deshalb investie- ern abgegeben hat. Er hat gesagt: ren. Wenn im Rahmen von 17 Anträgen 37 Millionen Euro investiert werden, dann ist das der Beweis, dass Das gehört zusammen: ein vernünftiges, auch mate- insbesondere unsere mittelständischen Firmen eine riell unterlegtes Programm der Förderung der konkrete Hilfe erhalten. Grenzregionen, aber auch die Chance, dass wir mit unseren regionalen und nationalen Förderinstru- (Beifall bei der CDU/CSU) menten, ohne dass dies als Beihilfe aus Brüssel be- Meine sehr geehrten Damen und Herren, die GA griffen wird, Strukturpolitik nicht nur bereden, son- weist – wie sonst kaum ein anderes Programm auf euro- dern wirklich machen können. Dies beides gehört päischer Ebene – eine nachvollziehbare Erfolgskon- zusammen und wir haben für beides zu sorgen. trolle auf. Als so genannter Wessi möchte ich klar und deutlich zum Ausdruck bringen: Die GA wird auch in (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da hat er Recht!) Zukunft in den neuen Bundesländern eine ganz entschei- dende Rolle spielen. – Er hat Recht. Bisher ist aber nichts geschehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gilt das gebrochene Wort!) 8246 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Klaus Hofbauer (A) Ich fordere den Bundeskanzler jetzt auf, sich endlich vorgetragen. Mindestens das soll an dieser Stelle er- (C) für diese Aussage zu rechtfertigen bzw. entsprechend zu wähnt werden. Es kann ja wohl keinesfalls darum gehen handeln oder sich wieder bei den Menschen zu entschul- – Sie unterstellen das aber –, dass die Koalition dabei digen. Das hat er schon oft gemacht, wenn er falsche sei, nach der GA „West“ nun auch noch die GA „Ost“ Aussagen getroffen hat. Meine zentrale Forderung lau- abzuschaffen. Erstens sprechen die Tatsachen dagegen tet: Herr Bundeskanzler, entweder Sie entschuldigen und zweitens ist das auch nicht unser Ziel. Ich finde, an- sich für diese Aussage oder Sie handeln endlich und hal- gesichts der Komplexität dieses Themas, die auch mit ten die Zusagen, die Sie gemacht haben, ein. den Beziehungen zwischen Bund und Ländern zu tun hat, ist das eine zu einfache Argumentation. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Dann erwähnten Sie dankenswerterweise unseren An- Ich glaube, dass es in dieser wichtigen Entschei- trag auf Drucksache 14/9242 aus dem Jahre 2002, den dungsphase insbesondere im Hinblick auf die Diskus- der Deutsche Bundestag beschlossen hatte und der – das sion in Europa darum geht, die Gemeinschaftsaufgabe können Sie ja nachlesen – mit einem ähnlichen Titel aus- insgesamt in der Bundesrepublik zu erhalten. Es wird gestattet war. Sie meinen nun, dieser Antrag sei verges- unsere zentrale Forderung sein, die Strukturpolitik wei- sen. Ich kann Ihnen nur sagen: Ganz im Gegenteil; denn terzuentwickeln. In diesem zentralen Punkt besteht dieser Antrag hat noch heute seine Funktion. Damals al- Handlungsbedarf. lerdings war er eine notwendige Reaktion des Deutschen Bundestages auf den Beschluss der Ministerpräsidenten Aus Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ergeben der Länder vom Juni 2001, die Finanzbeziehungen zwi- sich daher folgende grundsätzliche Forderungen, die schen Bund und Ländern neu zu ordnen. Demnach soll- auch in dem von uns eingereichten Antrag enthalten ten beispielsweise auch die Gemeinschaftsaufgaben auf- sind. gegeben werden. Erstens. Die GA muss als regelgebundenes System ei- (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: ner gemeinsamen Regionalförderung von Bund und Das ist doch eine ganz andere Frage!) Ländern auf Dauer erhalten bleiben. – Geschätzter Kollege, das ist keine andere Frage. Denn (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Peter wer die Mischfinanzierung abschaffen will, muss logi- Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) scherweise auch über die Gemeinschaftsaufgabe „Ver- Zweitens. Die GA ist perspektivisch zu einem ge- besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ reden. samtdeutschen Strukturförderungsinstrument fortzuent- Das tut mir Leid. wickeln. (B) Im Übrigen ist dies damals aufgrund einer Initiative (D) Drittens ist für mich eines von ganz entscheidender der Ministerpräsidenten von Bayern und Nordrhein- Bedeutung: Angesichts des Haushaltsvermerks für das Westfalen zustande gekommen. Auch dies soll der Kor- Jahr 2004 frage ich mich, warum dies nicht umgesetzt rektheit halber erwähnt werden. Im Kontrast dazu hatten wird. Welche Streitpunkte gibt es zwischen dem Finanz- der Wirtschaftsminister des Bundes und die der Länder und Wirtschaftsministerium, die zu Verzögerungen füh- im Mai 2002 ihrer Absicht Ausdruck verliehen, die Ge- ren? Hier muss Klarheit geschaffen werden, damit diese meinschaftsaufgabe zu erhalten. Auch das gehört zu dem Gelder ausgereicht werden können. sehr interessanten Konzert von Meinungen, die wir heute kennen. Es reicht nicht, eine Sicherheit lediglich für das Jahr 2004 zu bekommen, sondern dies muss auf Dauer Der heute vorliegende Antrag der CDU/CSU greift geregelt werden. Wir brauchen auch in Zukunft eine na- dieses Thema wieder auf und setzt in seinen wesentli- tionale Strukturpolitik. Sie muss entsprechend gestaltet chen Zielen gleiche Akzente, die bereits Gegenstand des werden. Deswegen bitte ich Sie, dem Antrag der CDU/ Beschlusses des Deutschen Bundestages waren. Aller- CSU-Bundestagsfraktion zuzustimmen. dings – das ist korrekt – hat sich die Situation um die GA im Jahr 2003 verändert. Im Zuge der Haushaltsberatun- Herzlichen Dank. gen des vergangenen Jahres begründete der Wirtschafts- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- minister seine Position, nach der die GA „West“ bis zum neten der FDP – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jahr 2006 auslaufen soll. Seitens des Bundes sollten da- Eine sehr gute Rede!) her ab dem Haushaltsjahr 2005 keine neuen Verpflich- tungsermächtigungen zur Verfügung gestellt werden. Da Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: aber bis 2006 ein genehmigtes Fördergebiet vorliegt, Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Müller von könnten die westdeutschen Länder bis dahin von dieser der SPD-Fraktion. Förderkulisse Gebrauch machen. Die Koalitionsfraktionen gelangten im Zuge der Christian Müller (Zittau) (SPD): Haushaltsberatungen jedoch zu der Auffassung, dass es, Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- gerade unter Bezug auf die Beschlusslage des Deutschen ren! Lieber Herr Hofbauer, Sie sprachen eben von einer Bundestages, als nicht sinnvoll erscheint, durch eine rein Nacht-und-Nebel-Aktion des Bundeswirtschaftsminis- haushaltspolitische Entscheidung einem fachpoliti- ters. Das war es doch wohl nicht. Denn er hat seine Posi- schen Entscheidungsprozess über die Mischfinanzierun- tion immerhin ausführlich, zeitig und auch begründet gen vorzugreifen. Wir sind nämlich der Ansicht, dass Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8247

Christian Müller (Zittau) (A) dies nicht pauschal geschehen darf, sondern dass zwi- und sollen nicht auch noch von mir erwähnt werden. Je- (C) schen den verschiedenen Formen von Mischfinanzierun- denfalls wissen wir, dass meistens die ohnehin struktur- gen und Gemeinschaftsaufgaben abgewogen werden schwachen Regionen – sehr oft sind es ländliche – davon muss. Wesentlich ist: Wir als Deutscher Bundestag wol- betroffen sind. len uns dazu natürlich auch äußern dürfen. Deshalb begrüßen wir – im Unterschied zu Ihnen – Die parlamentarische Beratung des vorliegenden das von der Bundesregierung formulierte Ziel, im Zuge Antrags allein wird diesen komplizierten Abwägungs- einer Begrenzung des nationalen Beitrags zum Haushalt prozess zwischen Bund und Ländern allerdings nicht der Europäischen Union und deren Strukturpolitik Spiel- auflösen können. Deswegen rate ich Ihnen von der Op- räume für eine eigenständige Regionalpolitik zurückzu- position, nicht zu sehr mit dem Finger auf die Bundesre- gewinnen. gierung zu zeigen; denn es wird, wenn es um die Finanz- beziehungen zwischen beiden Partnern geht, auch sehr (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des auf die Haltung der Bundesländer ankommen. Auch BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des das Agieren Bayerns, dessen Ministerpräsident immer- Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU]) hin für die Abschaffung der Mischfinanzierung gewesen Dies bedarf jedoch eines verlässlichen und erprobten In- ist, sollte in diesem konkreten Zusammenhang sehr auf- struments, das bei aller Flexibilität als regelgebundenes merksam betrachtet werden. System Subventionswettläufe zu verhindern in der Lage (Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist. Wir meinen, dass die Gemeinschaftsaufgabe, wie wir NEN]: Hört! Hört!) sie kennen, diese Bedingung sehr gut erfüllt. Es wäre also nicht sinnvoll, dieses Instrument aus der Hand zu Eine anders lautende, offizielle Position kenne ich bis geben. Im Gegenteil – darauf verweist auch der Koali- heute nicht. tionsantrag vom Juni 2002 eindeutig –: Die GA, die Um für diesen Klärungsprozess, der notwendig ist, Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen genug Zeit zu haben, haben die Koalitionsfraktionen in Wirtschaftsstruktur“, ist ein geeigneter Koordinie- einer gründlichen Abwägung verschiedener Positionen rungsrahmen auch für die künftigen raumwirksamen mithilfe eines Haushaltsvermerks im Titel der GA „Ost“ Politiken des Bundes und der Länder. Den wollen wir 100 Millionen Euro zur Verwendung für die GA „West“ entwickeln, meine Damen und Herren. zur Verfügung gestellt, den Planungsausschuss der Ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des meinschaftsaufgabe mit der Umsetzung betraut und den BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutschen Bundestag um einen Bericht dazu gebeten. Deshalb werden wir die GA auch für die Zeit nach (B) Wir gehen davon aus, dass dies – zunächst einmal für (D) den Nahbereich – zu einem erträglichen Kompromiss 2006 in Angriff nehmen und auf den Weg bringen. Aller- führt. dings – das ist meine abschließende Bemerkung zu die- sem Thema – müssen auch die Länder klar sagen, ob sie Die Kritik im vorliegenden Antrag hinsichtlich der dies so wollen, und sich vor allen Dingen darauf verstän- generell sinkenden Mittelausstattung muss jedoch digen, mit welchem Instrument die zurückzugewinnen- deutlich relativiert werden. Erstens ist dies ein bedauerli- den Handlungsspielräume ausgefüllt werden sollen. Wir cher Prozess, den wir bereits vor acht Jahren, zu Zeiten sind der Meinung, dass dies die GA sein kann, aber ohne einer anderer Regierung, konstatiert und auch kritisiert die Länder wird es nicht gehen. haben. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist wahr!) Zweitens muss die aktuelle Lage bei der Mittelaus- stattung im Kontext der Haushaltslage des Bundes und Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. der Länder und der unabweisbaren Notwendigkeit zur (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Einsparung von Haushaltsmitteln gesehen werden. Drei DIE GRÜNEN) Jahre ohne Wachstum haben ihre Spuren hinterlassen; das wissen Sie. Auch daran sollte die Opposition den- ken, die keine Gelegenheit auslässt, den Bundesfinanz- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: minister wegen zu hoher Neuverschuldung zu kritisie- Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Kopp von der ren. FDP-Fraktion. Drittens sollten Sie sich einen Überblick darüber ver- Gudrun Kopp (FDP): schaffen, in welchem Umfang die bereitgestellten Mittel Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! von den Ländern, insbesondere auch den ostdeutschen Ohne Zweifel gibt es am Wirtschaftsstandort Deutsch- Ländern, kofinanziert werden können und dort abflie- land riesengroße Probleme. Die Verhältnisse in den je- ßen. weiligen Regionen sind sehr unterschiedlich. Das hat Die Koalitionsfraktionen wollen die Gemeinschafts- Ursachen, die wir alle kennen. Die rot-grüne Bundesre- aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschafts- gierung hat es bis heute nicht geschafft, verlässliche struktur“ als regelgebundenes Instrument der Regio- Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln, und nalförderung erhalten. Entwicklungsprobleme von zwar für ganz Deutschland, bereitzustellen. Das ist der Regionen, regionale Disparitäten werden auch künftig Hauptkritikpunkt. Angesichts der jetzt Jahrzehnte zu- eintreten; die Ursachen dafür sind hinlänglich bekannt rückliegenden Aufgaben- und Finanzverflechtungen 8248 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Gudrun Kopp (A) im Zeichen der Vereinheitlichung der Lebensverhält- Ich erinnere daran: Wir von der FDP haben erst ges- (C) nisse scheint ein besonderer Bedarf an einer Entflech- tern das ausgearbeitete Konzept einer Steuerreform vor- tung vorzuliegen. gelegt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Dr. Dieter Thomae [FDP]: Ein ganz vorzüg- der CDU/CSU) liches!) In einem System, in dem alle mitreden und alle ge- Wir haben zur Stärkung der Gemeinden beispielsweise meinsam bezahlen und meist der kleinste gemeinsame ein eigenes Konzept zur Gemeindefinanzreform auf Nenner als Kompromiss herhalten muss, trägt kaum je- den Tisch gelegt. mand Verantwortung. In einem solchen System wird (Dr. Dieter Thomae [FDP]: Auch ganz vorzüg- vielmehr das Monopol des Stillstands gefestigt, ohne lich!) dass Anreize zu Innovation und Kreativität gegeben wer- den. Wir halten es für absolut notwendig, Verkehrsinfra- strukturmaßnahmen voranzubringen, damit sich die Nach Art. 30 des Grundgesetzes sind für die Regio- Regionen entwickeln können. nalförderung die Länder zuständig. Gemäß Art. 91 a des (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Grundgesetzes wirkt der Bund bei den Gemeinschafts- der CDU/CSU) aufgaben mit. Die Frage, die sich angesichts dessen stellt, lautet, wie wir einen gesunden Wettbewerb beför- Lassen Sie mich zum Schluss folgenden Hinweis ge- dern. Dazu scheint, wie ich finde, der vorliegende An- ben: Wir müssen von der Auffassung wegkommen, der trag der CDU/CSU-Fraktion leider nicht beitragen zu Staat könnte auf Dauer Gelder bereitstellen, ohne dass können. Auch wir Liberale, wir von der FDP, wollen das nötige Konzept vorliegt, wohin die Reise gehen soll nicht, dass hier ein kurzsichtiger Kahlschlag stattfindet. und wie strukturelle Unterschiede aus eigener Kraft, aus Es ist aber unsere Aufgabe, aufzuzeigen, wohin die dem Wissen der jeweiligen Region heraus ausgeglichen Reise gehen soll. Die bisherige Förderung auf Dauer und werden können. Staatsmittel stehen nicht unbegrenzt zur trotz des wachsenden Europas so beizubehalten, das Verfügung. Wir brauchen also Mut für durchgreifende werden wir nicht durchhalten. Dieser realistischen Sicht- Reformen. Diesen Mut wünsche ich uns allen. Er ist weise müssen wir uns stellen. Eine Fortführung der Ge- dringend notwendig. meinschaftsaufgaben auf ewig ist unrealistisch. Vielen Dank. (Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten NEN]: Das wollen wir ja auch nicht!) (B) der CDU/CSU) (D) Realistisch ist dagegen, die Notwendigkeit zu erken- nen, dass wir versuchen müssen, eine neue Föderalis- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: musdebatte zu führen, die überfällig ist. Wir müssen Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Hettlich vom klären, wer wofür zuständig ist und wer wofür Verant- Bündnis 90/Die Grünen. wortung übernimmt. Wir brauchen eine Agenda, die folgende Punkte beinhaltet: mehr Wettbewerb; mehr Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kompetenzen auf regionaler Ebene; weniger Mischfi- Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen nanzierung; Aufgabenentflechtungen; eindeutige Zuord- und Kollegen! Vor zwei Wochen haben wir an dieser nung von Verantwortlichkeiten in bestimmten Berei- Stelle das Investitionszulagengesetz 2005 in erster Le- chen. sung behandelt. Wir waren uns fraktionsübergreifend ei- (Beifall bei der FDP) nig, dass die Verlängerung der Geltungsdauer dieses Förderinstrumentes für den weiteren wirtschaftlichen Wir müssen gemeinsam an der Erstellung eines ent- Aufholprozess in den neuen Bundesländern unverzicht- sprechenden Rahmenkonzepts arbeiten, mit dem der bar ist. Die Frage, ob und wie die Investitionszulage ökonomische Niedergang unseres Landes wirksam be- über das Jahr 2006 hinaus verlängert werden kann, kann kämpft werden kann. Wir haben im Moment eine struk- heute allerdings noch nicht richtig beantwortet werden. turelle Reformunfähigkeit – das sagte ich schon –, die Die Investitionszulage und der Investitionszuschuss die rot-grüne Bundesregierung zu verantworten hat. aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regio- Diese gilt es auszumerzen. nalen Wirtschaftsstruktur“ bilden gemeinsam ein (Beifall bei der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Kernstück deutscher regionaler Strukturpolitik. Diese re- Der Missbrauch des Namens „Merz“ muss be- gionale Förderung soll dem Ausgleich von Standort- endet werden!) nachteilen der geförderten Regionen dienen und deren Chancen im Wettbewerb um Unternehmensansiedlungen Strukturelle Reformen unserer politischen Institutio- verbessern. nen verdienen dann diesen Namen, wenn sie zu mehr (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Richtig!) Wettbewerb, mehr Kreativität und mehr Innovations- freude führen. Nur dann werden wir den ökonomischen Die Gemeinschaftsaufgabe hat sich seit 1972 als ein und sozialen Strukturwandel überhaupt bewältigen kön- erfolgreiches Förderprogramm für benachteiligte Ge- nen. biete bewährt. In den alten Bundesländern wurden damit Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8249

Peter Hettlich (A) die ehemaligen Zonenrandgebiete, die vom Strukturwan- keiten wären die harten Konsequenzen. Daher ist es un- (C) del betroffenen Industrieregionen, die Küstenregionen erlässlich, intensiv über die Frage nachzudenken, wie und die ostbayrischen Grenzregionen unterstützt. eine regionale Wirtschaftsförderung – noch dazu EU- konform – weitergeführt werden kann, und sie im Inte- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist auch resse der betroffenen Regionen schnell zu beantworten. richtig!) Ich erinnere daran – das hat der Kollege Müller eben Nach 1990 ist die GA auch in den neuen Bundesländern auch getan –, dass der Bundestag dies bereits in seinem zu einem unverzichtbaren Förderinstrument geworden. Beschluss vom 5. Juni 2002 gefordert hat. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Auch das Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute stimmt!) über die Gemeinschaftsaufgabe diskutieren, dann kom- men wir nicht umhin, die ebenfalls noch ungeklärte Zu- Ich möchte besonders hervorheben, dass es ein kunft der EU-Strukturförderung anzusprechen. Mit Hauptziel der Förderung war und ist, Investitionen zu der EU-Osterweiterung werden die regionalen Entwick- unterstützen, die insbesondere der Schaffung und der Si- lungsunterschiede in der EU erheblich zunehmen. Das cherung von Arbeitsplätzen dienen. Allein in den Jah- könnte bedeuten, dass sich die Einstufungen der bisheri- ren 2000 bis 2002 wurden laut Bundesministerium für gen deutschen Förderzielgebiete ab 2007 zu deren Un- Wirtschaft und Arbeit mit einem Mitteleinsatz von rund gunsten erheblich verändern werden. Wir sollten uns 8 Milliarden Euro Investitionen von rund 32 Milliarden dann aber auch die Frage stellen, ob wir es uns leisten Euro angestoßen. Damit konnten rund 310 000 Arbeits- wollen, über eine Erhöhung des EU-Haushaltes – quasi plätze gesichert und rund 120 000 Arbeitsplätze neu ge- über die Hintertür – die bisherigen Förderzielgebiete zu schaffen werden. Auf die neuen Bundesländer entfielen erhalten und unserer nationalen regionalen Förderpolitik dabei 267 000 bzw. 68 000 Arbeitsplätze. Diese beein- einen größeren Freiraum zu verschaffen. Auch das hat druckenden Zahlen sprechen für sich und für eine Fort- der Kollege Müller eben angesprochen. Das ist nur dann führung dieses regionalen Förderinstrumentes. möglich, wenn wir die Gemeinschaftsaufgabe „Verbes- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jawohl!) serung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ als ein regel- gebundenes System und als Koordinierungsrahmen einer Zwischen 1991 und 2001 flossen rund 27 Milliarden gemeinsamen Regionalförderung von Bund und Ländern Euro an GA- und EFRE-Mitteln in die neuen Bundeslän- erhalten. der. Davon gingen rund 90 Prozent an kleine und mit- telständische Unternehmen. Dies ist insofern beson- Zum Schluss sei auch noch das heikle Thema der un- ders bemerkenswert, da hoch subventionierte Industrien terschiedlichen Finanzausstattung der GA „Ost“ und der (B) wie beispielsweise die Chipindustrie in Dresden, die GA „West“ angesprochen. Wir alle wissen, dass die An- (D) Werften in Mecklenburg-Vorpommern oder die Auto- zahl der Fördergebiete in den alten Bundesländern durch fabriken in Thüringen und Sachsen in der Öffentlichkeit die Vorgaben der EU-Kommission stark eingeschränkt viel stärker wahrgenommen wurden. Daher müssen un- ist. Es könnte daher der Eindruck entstehen, dass sich die sere Bestrebungen auch in Zukunft auf die Stärkung von ungleiche Verteilung der GA-Mittel zwischen West und kleinen und mittelständischen Unternehmen gerichtet Ost im Verhältnis von eins zu neun als Argument für sein. eine Debatte über West-Ost-Transfers anbietet. Als dann – wie in den Beratungen zum Haushalt 2004 gesche- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hen – die GA „West“ ganz gestrichen werden sollte, DIE GRÜNEN sowie des Abg. bestand tatsächlich die Gefahr dafür. Diese konnte aller- [Zingst] [CDU/CSU]) dings dadurch abgewehrt werden, dass die Ver- pflichtungsermächtigungen der GA Ost zugunsten der Diese haben ihre Investitionen weniger in Rationalisie- GA West um 100 Millionen Euro gekürzt wurden. rungsmaßnahmen gesteckt als geförderte Großunterneh- men, wodurch sie einen deutlich größeren Beitrag zum Es darf nicht sein, dass wir die Diskussion um die Zu- Erhalt und zur Schaffung von Arbeitsplätzen geleistet kunft der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der re- haben. Dies kann nur in unserem Interesse liegen. gionalen Wirtschaftsstruktur“ dazu missbrauchen, die wirtschaftlich benachteiligten Regionen gegeneinander (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auszuspielen. Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen kleinen Rück- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN blick. Im Juni 2001 hatten die Länder auf Initiative der und bei der SPD sowie des Abg. Werner Kuhn Ministerpräsidenten Clement und Stoiber beschlossen, [Zingst] [CDU/CSU]) die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Es liegt vielmehr in unserer Verantwortung, hier auch in Bund und Ländern anzugehen. Insbesondere sollten Zukunft für Kontinuität und für die Verlässlichkeit be- die Mischfinanzierungen und die Entflechtungen der Ge- währter Förderinstrumente einzutreten. meinschaftsaufgaben vereinbart werden. Das macht ja durchaus Sinn, allerdings dürfen wir die Folgen nicht ne- Ich danke für die Aufmerksamkeit. gieren; denn ein zunehmendes Auseinanderklaffen der regionalen wirtschaftlichen Entwicklung, Wettbewerbs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verzerrungen und ein Deutschland zweier Geschwindig- und bei der SPD) 8250 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: dem ständigen Versuch der Regierung, die Situation (C) Das Wort hat jetzt der Kollege Robert Hochbaum von schönzureden, ist also davon übrig geblieben. der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was geschieht nun in der nahen Zukunft? Der Anpas- sungsdruck des Ostens im regionalen Standortwettbe- Robert Hochbaum (CDU/CSU): werb steigt weiter. Den strukturschwachen Regionen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und bleibt kaum eine Atempause. Das Wachstum in den Kollegen! Der Saldo von Unternehmensgründungen von neuen Ländern war in den letzten Jahren mehr als ver- 19 400 im Jahre 1998 auf 5 300 im Jahre 2002 ist gesun- halten und brachte beim relativen Pro-Kopf-Einkommen ken. Die Bruttowertschöpfung ist von 0,6 auf 0,3 Prozent kaum Fortschritte. Der wirtschaftliche Umstrukturie- reduziert. Der Wohnbevölkerungsanteil ist von 22,9 Pro- rungsprozess ist also noch lange nicht abgeschlossen und zent auf 18,9 Prozent gefallen. Die Arbeitslosigkeit erfordert auch weiterhin besondere Maßnahmen der Re- steigt mit einem Plus von 2,6 Prozent zum Vorjahresmo- gionalpolitik. nat. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäf- tigten verzeichnet im Vergleich zum Vorjahr ein Minus Nicht vergessen werden darf dabei, dass die bevorste- von 122 347. Das sind keine Fantasiezahlen, meine Da- hende EU-Osterweiterung weit reichende politische, so- men und Herren von der Koalition, sondern die Tatsa- ziale und vor allem auch wirtschaftliche Auswirkungen chen aus dem aktuellen Bericht der Bundesagentur für auf ganz Deutschland, insbesondere aber auf die Regio- Arbeit und dem letzten von Ihnen verfassten Jahresbe- nen im Osten und speziell auf die Grenzregion haben richt zur deutschen Einheit. Diese Zahlen spiegeln die wird. Realität im Osten wider: fehlendes Wirtschaftswachs- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tum, steigende Arbeitslosigkeit und stetige Abwande- rung. Schlagworte wie der „statistische Effekt“ und „Wegfall Es ist schon eigenartig, im Jahresbericht zur deut- als Ziel-1-Gebiete“ stehen in diesem Zusammenhang schen Einheit beispielsweise folgenden Satz zu lesen: drohend im Raum. „Der angestoßene wirtschaftliche Entwicklungsprozess Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn sagte dazu in der ist auf dem richtigen Weg.“ Auch in der gestrigen Rede „Welt“, die Fördermittel der EU würden deutlich redu- des Wirtschaftsministers war zu hören, dass die Wirt- ziert und fehlten künftig beim Ausbau der Infrastruktur schaftspolitik der Regierung erfolgreich ist. Ich kann mir in Ostdeutschland. Dabei handele es sich um einen kaum vorstellen, meine Damen und Herren von Rot- schleichenden Prozess, der die Entwicklung in Ost- (B) Grün, dass dies die Arbeitslosen im Osten genauso sehen deutschland mindestens noch über zehn bis 15 Jahre be- (D) und – so wie Sie gestern – dazu noch Beifall spenden. einträchtigen werde. Da ich Ihnen von der Koalition aber keine unlauteren Absichten unterstellen will, kommt es mir so vor, als Wie reagiert die Bundesregierung darauf? Sie beab- hätten Sie Ihren Realitätssinn in der Frage der wirt- sichtigt, bei den Mitteln der GA zu sparen. Hierzu hat sie schaftlichen Entwicklung und speziell in der im Osten zuerst einmal die GA-Mittel der alten Länder auf null vollkommen verloren. gesetzt, um danach aus dem schon geschmälerten Ost- haushalt 100 Millionen Euro auf das Westkonto zu bu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) chen. Diese Art der Kürzung in West wie in Ost kann nur Dazu passt die seit einiger Zeit andauernde Diskus- als Versuch gewertet werden, einen Keil in die Solidari- sion über die weitere Förderung im Bereich der Gemein- tät zwischen ostdeutschen und westdeutschen Ländern schaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirt- zu treiben. Dies ist mit uns nicht machbar. schaftsstruktur. Die Bundesregierung versucht nicht nur, (Beifall bei der CDU/CSU) sich hier schrittweise aus der Verantwortung zu stehlen. Eines muss hierbei ganz klar gesagt werden: Es geht (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: nicht darum, die westdeutschen Länder bei der Verbesse- Unerhört!) rung der regionalen Wirtschaftsstruktur außen vor zu Nein, sie versucht in dieser Frage sogar, von sich abzu- lassen. Ganz im Gegenteil. Natürlich gibt es auch in den lenken, indem sie die alten und die neuen Bundesländer alten Ländern inzwischen zunehmend Problemregionen, gegeneinander ausspielt. Das ist nicht nur kontraproduk- in denen eine Förderung von Investitionsmaßnahmen tiv, sondern auch in hohem Maße verantwortungslos. dringend erforderlich ist. Gerade daran zeigt sich übri- gens ganz besonders das wirtschaftliche Versagen dieser (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Regierung. Doch erinnern wir uns: Es ist noch gar nicht lange her (Beifall bei der CDU/CSU) – es klingt schon wie ein Märchen –, dass die Angele- genheit Aufbau Ost zur Chefsache erklärt wurde. Die Darum fordere ich Rot-Grün auf: Nehmen Sie Ihre Funktion Staatsminister Ost wurde ins Leben gerufen, Verantwortung für die regionale Wirtschaftsentwick- die es in dieser Form inzwischen allerdings nicht mehr lung, die Sie nicht zuletzt durch das Grundgesetz haben, gibt und deren Stelleninhaber von seinen Wählern für wahr und fördern Sie Ost und West, ohne die Mittel ge- die Aufbauarbeit im Osten „belohnt“ wurde. Nichts au- geneinander aufzurechnen! Denn wer bei Investitionen ßer großen Worten, den negativen Wirtschaftszahlen und spart, spart sich ein Stück seiner Zukunft weg. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8251

Robert Hochbaum (A) Danke schön, meine Damen und Herren. – Das nehme ich nicht zurück, weil ich es gehört habe. (C) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In Berlin als Gralshüter der Gemeinschaftsaufgabe auftreten und sich in Bayern vor der Politik der Landes- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: regierung ducken und wegtauchen – so geht das nicht. Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ erteile ich dem Kollegen Dr. Heinz Köhler von der SPD- DIE GRÜNEN) Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Hofbauer, klären Sie erst einmal in Ih- rer eigenen Partei, was nun eigentlich gilt. Gemein- Dr. Heinz Köhler (SPD): schaftsaufgabe ja oder nein? Stoiber oder Hofbauer? Es Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- geht nur eines. ren! Der Antrag der CDU/CSU ist überflüssig. Er bietet nichts Neues. Alles, was darin steht, ist bekannt und war (Heiterkeit bei der SPD) Gegenstand von Diskussionen im Plenum im Juni 2002, Wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen, ge- also vor anderthalb Jahren. Es gibt also keine Notwen- nauso wie wir es Ihnen nicht durchgehen lassen, wenn digkeit für eine neue Debatte im Bundestag, denn die aus Ihren Reihen offensichtlich die Unwahrheit gesagt Koalition steht zur Gemeinschaftsaufgabe. Im Übrigen wird. will ich anmerken: Wir haben das im Haushalt bewiesen, während sich die CDU/CSU nicht an der Abstimmung In Presseerklärungen im bayerischen Raum heißt es, beteiligt hat. Wäre es nach Ihnen von der CDU/CSU ge- die Bundesregierung werde das Grenzgebietförderpro- gangen, dann wäre überhaupt nichts gewesen. Das ist die gramm Interreg der Europäischen Union nicht weiter Wahrheit. unterstützen. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ach Gott!) (Zuruf von der SPD: Quatsch!) Ich lese Ihnen aus dem Eckpunktepapier vom Dezember Jeder in diesem Haus weiß: Das föderale System der 2002 vor, wie die Bundesregierung tatsächlich darüber Bundesrepublik Deutschland steht auf dem Prüfstand. denkt: Wir haben eine Föderalismuskommission, wir haben Absprachen des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsi- Für die Beibehaltung einer begrenzten EU-Struk- denten, wir reden über den Abbau von Mischfinanzie- turpolitik außerhalb von Ziel 1 sprechen integra- rungstatbeständen, wir reden seit Jahr und Tag über Ent- tions- und regionalpolitische Überlegungen sowie flechtungen und wir reden darüber, ob und, wenn ja, der horizontale Ansatz des Europäischen Sozial- (B) welche Gemeinschaftsaufgaben heute noch sinnvoll fonds. Infrage kommen horizontale Fördermaßnah- (D) sind. Aber es ist in diesem Bereich noch nichts entschie- men mit einem besonders hohen europäischen den. Wir befinden uns vielmehr mitten in der Debatte, Mehrwert, vor allem: Netzwerke, Erfahrungsaus- die in Kommissionen und Gremien des Bundestages und tausch … sowie grenzüberschreitende, interregio- des Bundesrates geführt wird. Deshalb ist das ein Antrag nale und transnationale Zusammenarbeit. zur Unzeit. Das heißt, Interreg wird doch beibehalten. Bitte bleiben (Beifall bei der SPD) Sie bei der Wahrheit! Warum aber stellt die CDU/CSU einen solchen An- Wir sind uns darin einig, dass uns die EU-Osterweite- trag? Die Antwort: Es geht ihr nicht um die Sache, son- rung zu einer Neuorientierung der europäischen Struk- dern es geht ihr nur darum, Sand ins Getriebe zu streuen. turpolitik und damit auch der nationalen Strukturpolitik zwingt. Wir sind uns auch darin einig, dass die europäi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sche Regionalpolitik schon aus finanziellen Erwägungen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nach 2006 nicht mehr in der derzeitigen Form fortge- Es geht ihr um Parteitaktik. Es geht darum, die Regie- führt werden kann. rungsfraktionen und die Bundesregierung auseinander Wir alle in diesem Haus sollten ein Interesse daran zu treiben. Das wird Ihnen, meine Damen und Herren haben, dem Bundesfinanzminister in Brüssel den Rü- von der Union, nicht gelingen. cken zu stärken. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist schade!) (Beifall bei der SPD) Wir finden besonders interessant, dass Sie, Herr Sie haben die Gelegenheit, das an dieser Stelle auch öf- Hofbauer, eine öffentliche Debatte führen wollen. Bitte fentlich zu tun. schön, kann ich nur sagen. Es ist doch Ihr Ministerpräsi- dent, der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, Wir werden die nationalen Spielräume der Regional- der seit Jahr und Tag gegen die Gemeinschaftsaufgabe politik wieder vergrößern. Das gilt für den Bund, aber „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ wet- auch für die Länder und Kommunen. Wichtig ist dabei, tert und sie lieber heute als morgen abgeschafft wissen dass wir in Zukunft noch stärker als bisher die Raum- will. wirksamkeit der Politik auf Bundes- und Länderebene beachten und sie so weit wie möglich zu konsistenten (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das stimmt Regionalentwicklungskonzepten weiterentwickeln. In nicht! Das nehmen Sie sofort zurück!) den vergangenen Jahren ist hierfür schon einiges getan 8252 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Dr. Heinz Köhler (A) worden. Dieser Weg muss konsequent fortgesetzt wer- liegen – erteile ich das Wort der Kollegin Bettina (C) den. Hagedorn von der SPD-Fraktion. Die Raumwirksamkeit der Arbeitsmarktpolitik der (Unruhe) Bundesagentur für Arbeit ist – allein schon wegen ihrer finanziellen Volumina – viel wichtiger als die Regional- – Einen Moment noch, Frau Hagedorn. Liebe Kollegin- politik der Gemeinschaftsaufgabe. Der Nettotransfer der nen und Kollegen, ich bitte, ein wenig ruhiger zu sein, Bundesagentur für Arbeit von West nach Ost betrug bei- damit die Kollegin zu Wort kommen und sich Gehör ver- spielsweise im Jahr 2001 12,5 Milliarden Euro und da- schaffen kann. mit doppelt so viel wie die Transfers im Rahmen des Bitte schön, Frau Hagedorn. Länderfinanzausgleichs mit 5,8 Milliarden Euro. Die knapp 1 Milliarde Euro, die der Bund für die Gemein- schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt- Bettina Hagedorn (SPD): schaftsstruktur“ aufwendet, nimmt sich dagegen gera- Vielen Dank, dass Sie mir das Wort erteilen, um die dezu bescheiden aus. Zeit überbrücken zu helfen. Bei der Renationalisierung der regionalen Strukturpo- Meine Kurzintervention bezieht sich auf die Rede des litik muss es uns darauf ankommen, die hinsichtlich der Kollegen Hofbauer. Ich stimme meinem Vorredner zu, Raumwirksamkeit entstehenden Effekte der Ausgaben- dass es überflüssig ist, sich im Bundestag mit dem An- politik der einzelnen Gebietskörperschaften noch stärker trag der CDU/CSU zur Gemeinschaftsaufgabe zu be- als bisher zu beachten und zu bündeln. schäftigen. Wenn wir uns aber schon mit dem Antrag Ih- rer Fraktion auseinander setzen, sehr geehrter Herr Ich möchte noch ein weiteres Thema anschneiden. Kollege, dann ist es meiner Meinung nach ausgespro- Wir befinden uns im Jahr 14 nach der Wiedervereini- chen wichtig, dass Sie bei der Wahrheit bleiben. Ihre gung. Ich meine, die Aufteilung zwischen einer Aussage, dass sich das, was im Haushaltsausschuss auf Gemeinschaftsaufgabe Ost und einer Gemeinschafts- Antrag von Rot-Grün beschlossen worden ist, nämlich aufgabe West kann und muss jetzt beendet werden. Un- 100 Millionen Euro für die Gemeinschaftsaufgabe zur terschiedliche Haushaltstitel sind nicht mehr zeitgemäß Verfügung zu stellen, auf 2004 beziehe, stimmt nicht. und tragen nur zu einer weiteren Spaltung zwischen Ost Vielmehr gilt das für den Zeitraum von 2005 bis 2007. und West bei. Nach allem, was Sie angeführt haben, um deutlich zu (Beifall bei Abgeordneten der SPD) machen, wie wichtig der CDU/CSU die Förderung der Im Ruhrgebiet oder auch im bayerischen Grenzraum regionalen Wirtschaftsstruktur ist, bitte ich Sie um Auf- (B) gibt es Regionen, denen es schlechter geht als mancher klärung darüber – das ist für mich die wichtigste Frage –, (D) Region in Sachsen und Thüringen. Das ist für Dresden, warum die Union dem Antrag von Rot-Grün auf Erhalt Leipzig oder Jena positiv. Trotzdem müssen wir auf der Verpflichtungsermächtigung im Umfang von diese Entwicklung reagieren. Deshalb meine ich, dass es 100 Millionen Euro im Haushaltsauschuss nicht zuge- in Deutschland nur eine Gemeinschaftsaufgabe geben stimmt hat. Im Übrigen hat auch die FDP unseren An- darf, die sich unabhängig von West und Ost nach der trag abgelehnt. Ich kann Ihnen versichern – mir liegen Strukturschwäche richten muss. sogar Dankesschreiben der IHKs vor –: Rot-Grün hat hier tatsächlich gehandelt. Aber Sie haben heute nur ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des redet. Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/ CSU]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Selbstverständlich wird der Osten auch in Zukunft noch wesentlich stärker gefördert werden müssen als der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Westen, weil die Indikatoren wesentlich schlechter sind. Herr Kollege Hofbauer, wollen Sie erwidern? – Bitte Aber die Aufteilung in eine Ost- und Westförderung ist schön. nicht zeitgemäß.

Ich komme zum Schluss. Es ist richtig, dass wir eine Klaus Hofbauer (CDU/CSU): Politik für strukturschwache Regionen brauchen. Sie Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Kollegin! Erste Be- kann aber nicht losgelöst vom Umbau unseres föderalen merkung: Ihre Aussage trifft nicht zu, weil bis heute Staatswesens, den wir in einer großen Anstrengung zu keine klare und endgültige Entscheidung betreffend die bewältigen haben, gestaltet werden. Für parteitaktisches 100 Millionen Euro für die Gemeinschaftsaufgabe ge- Klein-Klein bleibt dabei kein Raum. troffen worden ist. Dieser Haushaltsvermerk hilft uns im (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Grunde genommen nicht weiter. Man hat das nur an den des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Planungsausschuss verwiesen. Dieser konnte bisher nicht entscheiden, weil sich das Bundesfinanzministe- rium sowie das Bundeswirtschafts- und das Bundesar- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: beitsministerium hierüber nicht einig sind. Das, was Sie Zu einer Kurzintervention – die Wortmeldung habe behauptet haben, trifft also nicht zu. ich zuvor übersehen; sie wird uns helfen, die Zeit zu überbrücken, bis die Ergebnisse aus dem Bundesrat vor- (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8253

Klaus Hofbauer (A) Zweite Bemerkung: Sie behaupten, eine Entschei- der Bekämpfung der schweren Kriminalität, Druck- (C) dung bis 2007 getroffen zu haben. Es ist aber lediglich sache 15/1719. Der Rechtsausschuss empfiehlt auf eine Entscheidung für 2004. Schließlich diskutieren wir Drucksache 15/2484, den Gesetzentwurf in der Aus- nicht über den Haushalt 2006 oder 2007. Das bedeutet schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die also, dass Sie keine Entscheidung getroffen haben, um dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen die Gemeinschaftsaufgabe West auf Dauer zu sichern. wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen! – Ent- haltungen? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Be- Ich habe den Eindruck, dass Sie mit den Diskussionen ratung einstimmig angenommen. in den letzten Wochen ein völlig falsches Zeichen so- wohl nach innen als auch nach außen gesetzt haben. Die Dritte Beratung Wirtschaft ist jedenfalls mit Ihrer Entscheidung nicht zu- frieden; denn insbesondere die mittelständische Wirt- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- schaft wünscht sich die Gemeinschaftsaufgabe. Sie ha- stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen! – ben die falschen Akzente gesetzt. Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange- nommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ich schließe die Aussprache. Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dr. Ole Schröder, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf und der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 15/1986 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Schaffung einer nationalen Küstenwache verstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die – Drucksache 15/2337 – Überweisung so beschlossen. Überweisungsvorschlag: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) Innenausschuss Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Rechtsausschuss gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Finanzausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und zur Umsetzung des Beschlusses (2002/187/JI) Landwirtschaft des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errich- Verteidigungsausschuss tung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämp- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (B) (D) fung der schweren Kriminalität (Eurojust-Ge- Auch zu diesem Punkt sollen die Reden zu Protokoll setz – EJG) genommen werden. Es handelt sich um die Reden der – Drucksache 15/1719 – Kollegin Annette Faße von der SPD-Fraktion und der Kollegen Wolfgang Börnsen und Dr. Ole Schröder, (Erste Beratung 69. Sitzung) CDU/CSU, Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grü- Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- nen, Hans-Michael Goldmann, FDP-Fraktion sowie der schusses (6. Ausschuss) Parlamentarischen Staatssekretärin Angelika Mertens für die Bundesregierung.2) – Drucksache 15/2484 – Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Berichterstattung: Drucksache 15/2337 an die in der Tagesordnung aufge- Abgeordnete Joachim Stünker führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Michael Grosse-Brömer verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Jerzy Montag so beschlossen. Jörg van Essen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Es ist vereinbart, die Reden zu Protokoll zu nehmen. Es handelt sich um die Reden der Kollegen Joachim Zweite Beratung des von der Bundesregierung Stünker von der SPD-Fraktion, Michael Grosse-Brömer eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die und Michael Stübgen von der CDU/CSU-Fraktion, Jerzy Errichtung des Bundesamtes für Bevölke- Montag vom Bündnis 90/Die Grünen, Jörg van Essen rungsschutz und Katastrophenhilfe von der FDP-Fraktion und für die Bundesregierung die Rede des Parlamentarischen Staatssekretärs Alfred – Drucksache 15/2286 – Hartenbach.1) (Erste Beratung 86. Sitzung) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur schusses (4. Ausschuss) Umsetzung des Beschlusses des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung – Drucksache 15/2448 –

1) Anlage 2 2) Anlage 3 8254 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Berichterstattung: setz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung ei- (C) Abgeordnete Gerold Reichenbach ner Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung Einspruch einzulegen. Gisela Piltz (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rücküberweisung an den federführenden Innenausschuss Es liegen drei Anträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Zurückweisung der Einsprü- Eine Aussprache ist heute nicht vorgesehen. – Wie ich che des Bundesrates vor. sehe, sind Sie damit einverstanden. Interfraktionell ist vereinbart, den Gesetzentwurf auf Bevor wir gleich zur Abstimmung über die Anträge Drucksache 15/2286 sowie die Beschlussempfehlung kommen, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für einige und den Bericht des Innenausschusses dazu auf Drucksa- Hinweise zum Abstimmungsverfahren. Es ist jeweils na- che 15/2448 zur Beratung an den Innenausschuss zu- mentliche Abstimmung verlangt. Nach Art. 77 Abs. 4 rückzuüberweisen. Eine Mitberatung durch andere Aus- des Grundgesetzes ist für die Zurückweisung eines Ein- schüsse ist nicht vorgesehen. Sind Sie damit spruchs des Bundesrates die Mehrheit der Mitglieder des einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann ist Deutschen Bundestages erforderlich, das sind mindes- so beschlossen. tens 302 Stimmen. Wer den Einspruch zurückweisen will, muss mit Ja stimmen. Sie benötigen außer Ihren Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ergebnisse der Stimmkarten auch Ihre Stimmausweise in den Farben Abstimmungen des Bundesrates liegen noch nicht vor. Grün, Rosa und Blau. Die Farbe des zu verwendenden Es ist aber absehbar, dass sie in Kürze vorliegen werden. Stimmausweises werde ich bei der jeweiligen Abstim- Ich bitte Sie daher, hier zu bleiben. mung bekannt geben. Die Stimmausweise können Sie, soweit noch nicht geschehen, Ihrem Stimmkartenfach Ich unterbreche die Sitzung bis zum Vorliegen der Er- entnehmen. Bitte achten Sie darauf, dass Stimmkarten gebnisse. und Stimmausweise Ihren Namen tragen. Bevor Sie Ihre (Unterbrechung von 14.23 bis 14.31 Uhr) Stimmkarte in die Urne werfen, übergeben Sie bitte den jeweiligen Stimmausweis einem der Schriftführer an der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Urne. Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder, liebe Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich, Kolleginnen und Kollegen. darauf zu achten, dass Stimmkarten nur von Kolleginnen Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord- und Kollegen in die Urnen geworfen werden, die vorher (B) nung um die Beratung der Anträge der Fraktionen von ihren Stimmausweis in der richtigen Farbe abgegeben (D) SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Zurückweisung haben. von Einsprüchen des Bundesrates zu erweitern und diese Wir kommen jetzt zur ersten namentlichen Abstim- jetzt als Zusatzpunkte 7 a bis 7 c aufzurufen. – Ich sehe, mung. Sie benötigen Ihren Stimmausweis in der Farbe Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Grün. Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der Ich rufe somit die Zusatzpunkte 7 a bis 7 c auf: SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Zurückwei- sung des Einspruches des Bundesrates gegen das Haus- a) Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der haltsgesetz 2004 auf Drucksache 15/2504. SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Zurückweisung des Einspruchs des Bundes- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die rates gegen das Haushaltsgesetz 2004 vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sie sind offensicht- lich eingenommen. Dann eröffne ich die Abstimmung. – Drucksache 15/2504 – Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen sich ei- b) Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der nen Moment gedulden, weil einige Mitglieder des Bun- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN desrates noch auf dem Weg hierher sind. auf Zurückweisung des Einspruchs des Bundes- rates gegen das Nachtragshaushaltsgesetz 2003 Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- – Drucksache 15/2505 – nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später c) Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der bekannt gegeben. SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Wir setzen die Abstimmungen fort. Wir kommen zur auf Zurückweisung des Einspruchs des Bundes- zweiten namentlichen Abstimmung. Sie benötigen jetzt rates gegen das Gesetz zur Änderung des Ge- Ihren Stimmausweis in der Farbe Rosa. Abstimmung setzes über die Errichtung einer Bundesanstalt über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bünd- für Landwirtschaft und Ernährung nisses 90/Die Grünen auf Zurückweisung des Ein- – Drucksache 15/2506 – spruchs des Bundesrates gegen das Nachtragshaushalts- gesetz 2003 auf Drucksache 15/2505. – Ich eröffne die Der Präsident des Bundesrates hat soeben schriftlich Abstimmung. mitgeteilt, dass der Bundesrat in seiner heutigen Sitzung beschlossen hat, gegen das Haushaltsgesetz 2004, gegen Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme das Nachtragshaushaltsgesetz 2003 sowie gegen das Ge- abgegeben? – Dann schließe ich die Abstimmung und Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8255

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der (Unterbrechung von 14.48 bis 15.01 Uhr) (C) Auszählung zu beginnen. Wir setzen die Abstimmungen fort. Wir kommen jetzt Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zur letzten namentlichen Abstimmung. Sie benötigen Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und nun Ihren Stimmausweis in der Farbe Blau. gebe Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schrift- Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD führern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Ab- und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Zurückweisung stimmungen bekannt. des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Zunächst zum Ergebnis der namentlichen Abstim- Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Bun- mung zur Zurückweisung des Einspruches des Bundes- desanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, Drucksa- rates gegen das Haushaltsgesetz 2004. Abgegebene che 15/2506. – Ich eröffne die Abstimmung. Stimmen 586. Mit Ja haben gestimmt 306, mit Nein 280. Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme Der Antrag ist mit der erforderlichen Mehrheit ange- abgegeben? – Das ist der Fall. Dann schließe ich die Ab- nommen. Der Einspruch des Bundesrates ist damit zu- stimmung. rückgewiesen. Wir unterbrechen jetzt die Sitzung so lange, bis die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Abstimmungsergebnisse vorliegen. DIE GRÜNEN)

Endgültiges Ergebnis Marion Caspers-Merk Rolf Hempelmann Ute Kumpf Abgegebene Stimmen: 586; Dr. Dr. Barbara Hendricks Dr. Uwe Küster davon Dr. Herta Däubler-Gmelin Petra Heß Christian Lange (Backnang) ja: 306 Martin Dörmann Monika Heubaum Christine Lehder nein: 280 Peter Dreßen Gisela Hilbrecht Waltraud Lehn Detlef Dzembritzki Gabriele Hiller-Ohm Dr. Elke Leonhard Ja Stephan Hilsberg Eckhart Lewering Siegmund Ehrmann Gerd Höfer Götz-Peter Lohmann SPD Jelena Hoffmann (Chemnitz) Gabriele Lösekrug-Möller (B) Marga Elser Walter Hoffmann Erika Lotz (D) Dr. Lale Akgün Gernot Erler (Darmstadt) Dr. Petra Ernstberger (Wismar) Dirk Manzewski Ingrid Arndt-Brauer Karin Evers-Meyer Frank Hofmann (Volkach) Tobias Marhold Annette Faße Eike Hovermann Lothar Mark Hermann Bachmaier Elke Ferner Klaas Hübner (Neuruppin) Christel Humme Rainer Fornahl Lothar Ibrügger Dr. Hans-Peter Bartels Gabriele Frechen Brunhilde Irber Eckhardt Barthel (Berlin) Renate Jäger Ulrike Mehl (Starnberg) Lilo Friedrich (Mettmann) Jann-Peter Janssen Petra-Evelyne Merkel Sören Bartol Iris Gleicke Klaus-Werner Jonas Ulrike Merten Sabine Bätzing Günter Gloser Johannes Kahrs Angelika Mertens Uwe Göllner Ulrich Kasparick Ursula Mogg Renate Gradistanac Dr. h.c. Susanne Kastner Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Angelika Graf (Rosenheim) Christian Müller (Zittau) Dieter Grasedieck Hans-Peter Kemper Gesine Multhaupt Hans-Werner Bertl Klaus Kirschner Franz Müntefering Hans-Ulrich Klose Dr. Rolf Mützenich Gabriele Groneberg Astrid Klug Volker Neumann (Bramsche) (Heidelberg) Achim Großmann Dr. Heinz Köhler (Coburg) Dietmar Nietan Wolfgang Grotthaus Dr. Erika Ober Gerd Friedrich Bollmann Karl-Hermann Haack Fritz Rudolf Körper Holger Ortel Klaus Brandner (Extertal) Karin Kortmann Heinz Paula Hans-Joachim Hacker Rolf Kramer Johannes Pflug Bettina Hagedorn Joachim Poß (Hildesheim) Klaus Hagemann Ernst Kranz Dr. Wilhelm Priesmeier Hans-Günter Bruckmann Alfred Hartenbach Nicolette Kressl Michael Hartmann Volker Kröning Dr. Marco Bülow (Wackernheim) Angelika Krüger-Leißner Karin Rehbock-Zureich Anke Hartnagel Dr. Hans-Ulrich Krüger Gerold Reichenbach Dr. Michael Bürsch Nina Hauer Horst Kubatschka Dr. Carola Reimann Hans Martin Bury Ernst Küchler Christel Riemann- Hans Büttner (Ingolstadt) Reinhold Hemker Helga Kühn-Mengel Hanewinckel 8256 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Hedi Wegener (Augsburg) (C) Reinhold Robbe Andreas Weigel Krista Sager René Röspel Reinhard Weis (Stendal) Christine Scheel Dr. Hans Georg Faust Dr. Petra Weis Irmingard Schewe-Gerigk Albrecht Feibel Karin Roth (Esslingen) Gunter Weißgerber Rezzo Schlauch Michael Roth (Heringen) Matthias Weisheit Albert Schmidt (Ingolstadt) Ingrid Fischbach Gerhard Rübenkönig Gert Weisskirchen (Berlin) Hartwig Fischer (Göttingen) (Wiesloch) Petra Selg Dirk Fischer (Hamburg) Marlene Rupprecht Dr. Ernst Ulrich von Ursula Sowa Axel E. Fischer (Karlsruhe- (Tuchenbach) Weizsäcker Rainder Steenblock Land) Thomas Sauer Jochen Welt Silke Stokar von Neuforn Dr. Anton Schaaf Dr. Hans-Christian Ströbele Klaus-Peter Flosbach Axel Schäfer (Bochum) Lydia Westrich Jürgen Trittin Gudrun Schaich-Walch Inge Wettig-Danielmeier Marianne Tritz Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Hubert Ulrich (Hof) Bernd Scheelen Andrea Wicklein Dr. Antje Vogel-Sperl Erich G. Fritz Dr. Jürgen Wieczorek (Böhlen) Dr. Antje Vollmer Jochen-Konrad Fromme Siegfried Scheffler Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Ludger Volmer Dr. Michael Fuchs Horst Schild Dr. Dieter Wiefelspütz Josef Philip Winkler Hans-Joachim Fuchtel Otto Schily Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Margareta Wolf (Frankfurt) Dr. Horst Schmidbauer Engelbert Wistuba (Nürnberg) Barbara Wittig Nein (Aachen) Dr. Silvia Schmidt (Eisleben) Verena Wohlleben CDU/CSU Georg Girisch (Meschede) Waltraud Wolff Michael Glos Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (Wolmirstedt) Ralf Göbel Heinz Schmitt (Landau) Heidi Wright Dr. Reinhard Göhner Peter Altmaier Tanja Gönner Walter Schöler Manfred Helmut Zöllmer Josef Göppel Dr. Christoph Zöpel Peter Götz Dr. Karsten Schönfeld Dr. Wolfgang Götzer Günter Baumann Fritz Schösser BÜNDNIS 90/DIE Ernst-Reinhard Beck Wilfried Schreck GRÜNEN Kurt-Dieter Grill (Reutlingen) Reinhard Grindel (B) Gerhard Schröder (Bremen) Dr. Hermann Gröhe (D) Brigitte Schulte (Hameln) (Köln) Michael Grosse-Brömer Reinhard Schultz Dr. Markus Grübel (Everswinkel) Clemens Binninger (Spandau) Karl-Theodor Freiherr von Dr. Angelica Schwall-Düren Grietje Bettin und zu Guttenberg Dr. Martin Schwanholz Ekin Deligöz Dr. Maria Böhmer Holger-Heinrich Haibach Erika Simm Dr. Thea Dückert Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Jutta Dümpe-Krüger Wolfgang Börnsen Klaus-Jürgen Hedrich Dr. Cornelie Sonntag- Franziska Eichstädt-Bohlig (Bönstrup) Helmut Heiderich Wolgast Dr. Uschi Eid Dr. Wolfgang Bötsch Ursula Heinen Wolfgang Spanier Hans-Josef Fell Klaus Brähmig Siegfried Helias Dr. Margrit Spielmann Joseph Fischer (Frankfurt) Dr. Uda Carmen Freia Heller Jörg-Otto Spiller Katrin Göring-Eckardt Monika Brüning Dr. Ditmar Staffelt Jürgen Herrmann Verena Butalikakis Rolf Stöckel Antje Hermenau Hartmut Büttner Ernst Hinsken Christoph Strässer Peter Hettlich (Schönebeck) Rita Streb-Hesse Ulrike Höfken Cajus Caesar Robert Hochbaum Dr. Peter Struck Thilo Hoppe (Emstek) Klaus Hofbauer Joachim Stünker Michaele Hustedt Peter H. Carstensen Joachim Hörster Jörg Tauss (Nordstrand) Hubert Hüppe Jella Teuchner Renate Künast Susanne Jaffke Dr. Gerald Thalheim Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Wolfgang Thierse Markus Kurth Dr. Egon Jüttner Franz Thönnes Dr. Reinhard Loske Albert Deß Bartholomäus Kalb Hans-Jürgen Uhl Anna Lührmann Steffen Kampeter Rüdiger Veit Jerzy Montag Vera Dominke Irmgard Karwatzki Simone Violka Kerstin Müller (Köln) Thomas Dörflinger Bernhard Kaster Jörg Vogelsänger Marie-Luise Dött Siegfried Kauder (Bad (Pforzheim) Christa Nickels Maria Eichhorn Dürrheim) Dr. Marlies Volkmer Friedrich Ostendorff Hans Georg Wagner Simone Probst (Lübeck) Gerlinde Kaupa Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8257

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Bernward Müller (Gera) Georg Schirmbeck FDP (C) Jürgen Klimke Dr. Gerd Müller (Münster) Julia Klöckner Hildegard Müller Christian Schmidt (Fürth) Kristina Köhler (Wiesbaden) (Bremen) Andreas Schmidt (Mülheim) Manfred Kolbe Henry Nitzsche Dr. Ernst Burgbacher Norbert Königshofen Dr. Ole Schröder Helga Daub Hartmut Koschyk Bernhard Schulte-Drüggelte Jörg van Essen Thomas Kossendey Günter Nooke Rudolf Kraus Dr. Georg Nüßlein Wilhelm Josef Sebastian (Bayreuth) Franz Obermeier Günther Krichbaum Kurt Segner Dr. Günter Krings Melanie Oßwald Matthias Sehling Hans-Michael Goldmann Dr. Martina Krogmann Rita Pawelski Marion Seib Joachim Günther (Plauen) Dr. Hermann Kues Dr. Peter Paziorek Heinz Seiffert Dr. Werner Kuhn (Zingst) Ulrich Petzold Bernd Siebert Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Karl A. Lamers Dr. (Heidelberg) Sibylle Pfeiffer (Homburg) Dr. Dr. Friedbert Pflüger Klaus Haupt Beatrix Philipp Erika Steinbach Ulrich Heinrich Barbara Lanzinger Birgit Homburger Karl-Josef Laumann Dr. Werner Hoyer Daniela Raab Andreas Storm Peter Letzgus Dr. Heinrich L. Kolb Ursula Lietz Hans Raidel Matthäus Strebl Gudrun Kopp Eduard Lintner Dr. Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. Klaus W. Lippold Helmut Rauber Jürgen Koppelin (Offenbach) Peter Rauen Lena Strothmann Christa Reichard (Dresden) Michael Stübgen Ina Lenke Dr. Michael Luther Markus Löning Dorothee Mantel Hans-Peter Repnik Edeltraut Töpfer Klaus Riegert Dr. Hans-Peter Uhl Günther Friedrich Nolting (Recklinghausen) Dr. Detlef Parr (Altötting) Volkmar Uwe Vogel Conny Mayer (Baiersbronn) Franz-Xaver Romer Andrea Astrid Voßhoff Gisela Piltz Dr. Martin Mayer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Gerhard Wächter Dr. Günter Rexrodt (B) (Siegertsbrunn) Dr. Klaus Rose Marko Wanderwitz Dr. Hermann Otto Solms (D) Wolfgang Meckelburg Kurt J. Rossmanith Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Rainer Stinner Dr. Dr. Norbert Röttgen Gerald Weiß (Groß-Gerau) Dr. Dieter Thomae Dr. Dr. Christian Ruck Annette Widmann-Mauz Jürgen Türk Vo l k e r R ü he Klaus-Peter Willsch Dr. (Hamm) Albert Rupprecht (Weiden) Matthias Wissmann Dr. Claudia Winterstein Werner Wittlich Doris Meyer (Tapfheim) Peter Rzepka Dr. Anita Schäfer (Saalstadt) Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Dr. Wolfgang Schäuble Fraktionslose Abgeordnete Klaus Minkel Hartmut Schauerte Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller Stefan Müller (Erlangen) Norbert Schindler Willi Zylajew Dr. Gesine Lötzsch

Wir kommen nun zum Ergebnis der namentli- Antrag ist mit der erforderlichen Mehrheit angenom- chen Abstimmung zur Zurückweisung des Einspru- men. Der Einspruch des Bundesrates ist auch hier ches des Bundesrates gegen das Nachtragshaushalts- zurückgewiesen. gesetz 2003. Abgegebene Stimmausweise 586, ab- gegebene Stimmen ebenfalls 586. Mit Ja haben ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ stimmt 306, mit Nein haben gestimmt 280. Der DIE GRÜNEN) 8258 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Endgültiges Ergebnis Dieter Grasedieck Dr. Elke Leonhard Fritz Schösser (C) Abgegebene Stimmen: 584; Monika Griefahn Eckhart Lewering Wilfried Schreck davon Kerstin Griese Götz-Peter Lohmann Ottmar Schreiner Gabriele Groneberg Gabriele Lösekrug-Möller Gerhard Schröder ja: 304 Achim Großmann Erika Lotz Brigitte Schulte (Hameln) nein: 280 Wolfgang Grotthaus Dr. Christine Lucyga Reinhard Schultz Karl-Hermann Haack Dirk Manzewski (Everswinkel) Ja (Extertal) Tobias Marhold Swen Schulz (Spandau) Hans-Joachim Hacker Lothar Mark Dr. Angelica Schwall-Düren SPD Bettina Hagedorn Caren Marks Dr. Martin Schwanholz Klaus Hagemann Christoph Matschie Dr. Lale Akgün Rolf Schwanitz Alfred Hartenbach Hilde Mattheis Gerd Andres Erika Simm Michael Hartmann Markus Meckel Ingrid Arndt-Brauer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Wackernheim) Ulrike Mehl Rainer Arnold Dr. Cornelie Sonntag- Anke Hartnagel Petra-Evelyne Merkel Hermann Bachmaier Wolgast Nina Hauer Ernst Bahr (Neuruppin) Ulrike Merten Wolfgang Spanier Hubertus Heil Doris Barnett Angelika Mertens Dr. Margrit Spielmann Reinhold Hemker Dr. Hans-Peter Bartels Michael Müller (Düsseldorf) Jörg-Otto Spiller Eckhardt Barthel (Berlin) Rolf Hempelmann Christian Müller (Zittau) Dr. Ditmar Staffelt Klaus Barthel (Starnberg) Dr. Barbara Hendricks Gesine Multhaupt Ludwig Stiegler Sören Bartol Gustav Herzog Franz Müntefering Rolf Stöckel Sabine Bätzing Petra Heß Dr. Rolf Mützenich Christoph Strässer Uwe Beckmeyer Monika Heubaum Volker Neumann (Bramsche) Rita Streb-Hesse Klaus Uwe Benneter Gisela Hilbrecht Dietmar Nietan Dr. Peter Struck Dr. Axel Berg Gabriele Hiller-Ohm Dr. Erika Ober Joachim Stünker Ute Berg Stephan Hilsberg Holger Ortel Jörg Tauss Hans-Werner Bertl Gerd Höfer Heinz Paula Jella Teuchner Petra Bierwirth Jelena Hoffmann (Chemnitz) Johannes Pflug Dr. Gerald Thalheim Rudolf Bindig Walter Hoffmann Joachim Poß Wolfgang Thierse (Darmstadt) Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Wilhelm Priesmeier Franz Thönnes Iris Hoffmann (Wismar) Florian Pronold Kurt Bodewig Hans-Jürgen Uhl Frank Hofmann (Volkach) Dr. Sascha Raabe Gerd Friedrich Bollmann Rüdiger Veit Eike Hovermann Karin Rehbock-Zureich Klaus Brandner Simone Violka Klaas Hübner Gerold Reichenbach Willi Brase Jörg Vogelsänger Christel Humme Dr. Carola Reimann (B) Bernhard Brinkmann Ute Vogt (Pforzheim) (D) Lothar Ibrügger Christel Riemann- (Hildesheim) Dr. Marlies Volkmer Hans-Günter Bruckmann Brunhilde Irber Hanewinckel Renate Jäger Walter Riester Hans Georg Wagner Edelgard Bulmahn Hedi Wegener Ulla Burchardt Jann-Peter Janssen Reinhold Robbe Klaus-Werner Jonas René Röspel Andreas Weigel Dr. Michael Bürsch Reinhard Weis (Stendal) Hans Martin Bury Johannes Kahrs Dr. Ernst Dieter Rossmann Ulrich Kasparick Karin Roth (Esslingen) Petra Weis Hans Büttner (Ingolstadt) Gunter Weißgerber Marion Caspers-Merk Dr. h.c. Susanne Kastner Michael Roth (Heringen) Matthias Weisheit Dr. Peter Danckert Ulrich Kelber Gerhard Rübenkönig Gert Weisskirchen Dr. Herta Däubler-Gmelin Hans-Peter Kemper Ortwin Runde (Wiesloch) Karl Diller Klaus Kirschner Marlene Rupprecht Dr. Ernst Ulrich von Martin Dörmann Hans-Ulrich Klose (Tuchenbach) Weizsäcker Peter Dreßen Astrid Klug Thomas Sauer Jochen Welt Detlef Dzembritzki Dr. Heinz Köhler (Coburg) Anton Schaaf Sebastian Edathy Walter Kolbow Axel Schäfer (Bochum) Dr. Rainer Wend Siegmund Ehrmann Fritz Rudolf Körper Gudrun Schaich-Walch Lydia Westrich Hans Eichel Karin Kortmann Rudolf Scharping Inge Wettig-Danielmeier Marga Elser Rolf Kramer Bernd Scheelen Dr. Margrit Wetzel Gernot Erler Anette Kramme Dr. Hermann Scheer Andrea Wicklein Petra Ernstberger Ernst Kranz Siegfried Scheffler Jürgen Wieczorek (Böhlen) Karin Evers-Meyer Nicolette Kressl Horst Schild Heidemarie Wieczorek-Zeul Annette Faße Volker Kröning Otto Schily Dr. Dieter Wiefelspütz Elke Ferner Angelika Krüger-Leißner Horst Schmidbauer Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Gabriele Fograscher Dr. Hans-Ulrich Krüger (Nürnberg) Engelbert Wistuba Rainer Fornahl Horst Kubatschka Ulla Schmidt (Aachen) Barbara Wittig Gabriele Frechen Ernst Küchler Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Wolfgang Wodarg Dagmar Freitag Helga Kühn-Mengel Dagmar Schmidt (Meschede) Verena Wohlleben Lilo Friedrich (Mettmann) Ute Kumpf Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Waltraud Wolff Iris Gleicke Dr. Uwe Küster Heinz Schmitt (Landau) (Wolmirstedt) Günter Gloser Christine Lambrecht Carsten Schneider Heidi Wright Uwe Göllner Christian Lange (Backnang) Walter Schöler Uta Zapf Renate Gradistanac Christine Lehder Olaf Scholz Manfred Helmut Zöllmer Angelika Graf (Rosenheim) Waltraud Lehn Karsten Schönfeld Dr. Christoph Zöpel Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8259

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) BÜNDNIS 90/DIE Dr. Wolf Bauer Peter Götz Dorothee Mantel (C) GRÜNEN Günter Baumann Dr. Wolfgang Götzer Erwin Marschewski Ernst-Reinhard Beck Ute Granold (Recklinghausen) Kerstin Andreae (Reutlingen) Kurt-Dieter Grill Stephan Mayer (Altötting) Marieluise Beck (Bremen) Veronika Bellmann Reinhard Grindel Conny Mayer (Baiersbronn) Volker Beck (Köln) Dr. Christoph Bergner Hermann Gröhe Dr. Martin Mayer Cornelia Behm Otto Bernhardt Michael Grosse-Brömer (Siegertsbrunn) Birgitt Bender Dr. Rolf Bietmann Markus Grübel Wolfgang Meckelburg Matthias Berninger Clemens Binninger Manfred Grund Dr. Michael Meister Grietje Bettin Renate Blank Karl-Theodor Freiherr von Dr. Angela Merkel Alexander Bonde Peter Bleser und zu Guttenberg Friedrich Merz Ekin Deligöz Antje Blumenthal Olav Gutting Laurenz Meyer (Hamm) Dr. Thea Dückert Dr. Maria Böhmer Holger-Heinrich Haibach Doris Meyer (Tapfheim) Jutta Dümpe-Krüger Jochen Borchert Gerda Hasselfeldt Maria Michalk Franziska Eichstädt-Bohlig Wolfgang Börnsen Klaus-Jürgen Hedrich Hans Michelbach Dr. Uschi Eid (Bönstrup) Helmut Heiderich Klaus Minkel Hans-Josef Fell Dr. Wolfgang Bötsch Ursula Heinen Marlene Mortler Joseph Fischer (Frankfurt) Klaus Brähmig Siegfried Helias Stefan Müller (Erlangen) Katrin Göring-Eckardt Dr. Ralf Brauksiepe Uda Carmen Freia Heller Bernward Müller (Gera) Anja Hajduk Monika Brüning Michael Hennrich Dr. Gerd Müller Winfried Hermann Georg Brunnhuber Jürgen Herrmann Hildegard Müller Antje Hermenau Verena Butalikakis Bernd Heynemann Bernd Neumann (Bremen) Peter Hettlich Hartmut Büttner Ernst Hinsken Henry Nitzsche Ulrike Höfken (Schönebeck) Peter Hintze Michaela Noll Thilo Hoppe Cajus Caesar Robert Hochbaum Claudia Nolte Michaele Hustedt Manfred Carstens (Emstek) Klaus Hofbauer Günter Nooke Fritz Kuhn Peter H. Carstensen Joachim Hörster Dr. Georg Nüßlein Renate Künast (Nordstrand) Hubert Hüppe Franz Obermeier Undine Kurth (Quedlinburg) Gitta Connemann Susanne Jaffke Eduard Oswald Markus Kurth Leo Dautzenberg Dr. Peter Jahr Melanie Oßwald Dr. Reinhard Loske Hubert Deittert Dr. Egon Jüttner Rita Pawelski Anna Lührmann Albert Deß Bartholomäus Kalb Dr. Peter Paziorek Jerzy Montag Alexander Dobrindt Steffen Kampeter Ulrich Petzold Kerstin Müller (Köln) Vera Dominke Irmgard Karwatzki Dr. Joachim Pfeiffer Winfried Nachtwei Thomas Dörflinger Bernhard Kaster Sibylle Pfeiffer (B) Christa Nickels (D) Marie-Luise Dött Siegfried Kauder (Bad Dr. Friedbert Pflüger Friedrich Ostendorff Maria Eichhorn Dürrheim) Beatrix Philipp Simone Probst Rainer Eppelmann Volker Kauder Ronald Pofalla Claudia Roth (Augsburg) Anke Eymer (Lübeck) Gerlinde Kaupa Ruprecht Polenz Krista Sager Georg Fahrenschon Eckart von Klaeden Daniela Raab Christine Scheel Ilse Falk Jürgen Klimke Thomas Rachel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Hans Georg Faust Julia Klöckner Hans Raidel Rezzo Schlauch Albrecht Feibel Kristina Köhler (Wiesbaden) Dr. Peter Ramsauer Albert Schmidt (Ingolstadt) Enak Ferlemann Manfred Kolbe Helmut Rauber Werner Schulz (Berlin) Ingrid Fischbach Norbert Königshofen Peter Rauen Petra Selg Hartwig Fischer (Göttingen) Hartmut Koschyk Christa Reichard (Dresden) Ursula Sowa Dirk Fischer (Hamburg) Thomas Kossendey Katherina Reiche Rainder Steenblock Axel E. Fischer (Karlsruhe- Rudolf Kraus Hans-Peter Repnik Silke Stokar von Neuforn Land) Michael Kretschmer Klaus Riegert Hans-Christian Ströbele Dr. Maria Flachsbarth Günther Krichbaum Dr. Heinz Riesenhuber Jürgen Trittin Klaus-Peter Flosbach Günter Krings Hannelore Roedel Marianne Tritz Herbert Frankenhauser Dr. Martina Krogmann Franz-Xaver Romer Hubert Ulrich Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Hermann Kues Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Antje Vogel-Sperl (Hof) Werner Kuhn (Zingst) Dr. Klaus Rose Dr. Antje Vollmer Erich G. Fritz Dr. Karl A. Lamers Kurt J. Rossmanith Dr. Ludger Volmer Jochen-Konrad Fromme (Heidelberg) Dr. Norbert Röttgen Josef Philip Winkler Dr. Michael Fuchs Dr. Norbert Lammert Dr. Christian Ruck Margareta Wolf (Frankfurt) Hans-Joachim Fuchtel Helmut Lamp Volker Rühe Dr. Peter Gauweiler Barbara Lanzinger Albert Rupprecht (Weiden) Norbert Geis Karl-Josef Laumann Peter Rzepka Nein Roland Gewalt Vera Lengsfeld Anita Schäfer (Saalstadt) Eberhard Gienger Peter Letzgus Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU Georg Girisch Ursula Lietz Hartmut Schauerte Ulrich Adam Michael Glos Eduard Lintner Andreas Scheuer Ilse Aigner Ralf Göbel Dr. Klaus W. Lippold Norbert Schindler Peter Altmaier Dr. Reinhard Göhner (Offenbach) Georg Schirmbeck Dietrich Austermann Tanja Gönner Patricia Lips Bernd Schmidbauer Norbert Barthle Josef Göppel Dr. Michael Luther Christian Schmidt (Fürth) 8260 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Andreas Schmidt (Mülheim) Michael Stübgen FDP Gudrun Kopp (C) Dr. Andreas Schockenhoff Jürgen Koppelin Antje Tillmann Daniel Bahr (Münster) Dr. Ole Schröder Sibylle Laurischk Edeltraut Töpfer Angelika Brunkhorst Bernhard Schulte-Drüggelte Ina Lenke Dr. Hans-Peter Uhl Ernst Burgbacher Uwe Schummer Markus Löning Arnold Vaatz Helga Daub Wilhelm Josef Sebastian Dirk Niebel Jörg van Essen Horst Seehofer Volkmar Uwe Vogel Günther Friedrich Nolting Otto Fricke Kurt Segner Andrea Astrid Voßhoff Detlef Parr Horst Friedrich (Bayreuth) Matthias Sehling Gerhard Wächter Cornelia Pieper Rainer Funke Marion Seib Marko Wanderwitz Gisela Piltz Dr. Wolfgang Gerhardt Heinz Seiffert Dr. Günter Rexrodt Peter Weiß (Emmendingen) Hans-Michael Goldmann Bernd Siebert Dr. Hermann Otto Solms Gerald Weiß (Groß-Gerau) Joachim Günther (Plauen) Thomas Silberhorn Dr. Rainer Stinner Annette Widmann-Mauz Dr. Karlheinz Guttmacher Johannes Singhammer Dr. Dieter Thomae Klaus-Peter Willsch Dr. Christel Happach-Kasan Jens Spahn Jürgen Türk Christoph Hartmann Erika Steinbach Matthias Wissmann Dr. Guido Westerwelle (Homburg) Christian von Stetten Werner Wittlich Dr. Claudia Winterstein Klaus Haupt Gero Storjohann Dagmar Wöhrl Dr. Volker Wissing Andreas Storm Ulrich Heinrich Elke Wülfing Max Straubinger Birgit Homburger Fraktionslose Abgeordnete Matthäus Strebl Wolfgang Zeitlmann Dr. Werner Hoyer Thomas Strobl (Heilbronn) Wolfgang Zöller Michael Kauch Martin Hohmann Lena Strothmann Willi Zylajew Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Gesine Lötzsch

Schließlich zum Ergebnis der Abstimmung zur Zu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das DIE GRÜNEN) Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung Der Antrag ist mit der erforderlichen Mehrheit ange- einer Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. nommen. Der Einspruch des Bundesrates ist auch hier Abgegebene Stimmausweise und Stimmen wiederum zurückgewiesen. 586. Mit Ja haben gestimmt 307, mit Nein haben ge- Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages- stimmt 279. ordnung.

(B) (D)

Endgültiges Ergebnis Kurt Bodewig Gabriele Frechen Gisela Hilbrecht Abgegebene Stimmen: 586; Gerd Friedrich Bollmann Dagmar Freitag Gabriele Hiller-Ohm davon Klaus Brandner Lilo Friedrich (Mettmann) Stephan Hilsberg Willi Brase Iris Gleicke Gerd Höfer ja: 307 Bernhard Brinkmann Günter Gloser Jelena Hoffmann (Chemnitz) nein: 279 (Hildesheim) Uwe Göllner Walter Hoffmann Hans-Günter Bruckmann Renate Gradistanac (Darmstadt) Ja Edelgard Bulmahn Angelika Graf (Rosenheim) Iris Hoffmann (Wismar) Marco Bülow Dieter Grasedieck Frank Hofmann (Volkach) SPD Ulla Burchardt Monika Griefahn Eike Hovermann Dr. Michael Bürsch Kerstin Griese Klaas Hübner Dr. Lale Akgün Hans Martin Bury Gabriele Groneberg Christel Humme Gerd Andres Hans Büttner (Ingolstadt) Achim Großmann Lothar Ibrügger Ingrid Arndt-Brauer Marion Caspers-Merk Wolfgang Grotthaus Brunhilde Irber Rainer Arnold Dr. Peter Danckert Karl-Hermann Haack Renate Jäger Hermann Bachmaier Dr. Herta Däubler-Gmelin (Extertal) Jann-Peter Janssen Ernst Bahr (Neuruppin) Karl Diller Hans-Joachim Hacker Klaus-Werner Jonas Doris Barnett Martin Dörmann Bettina Hagedorn Johannes Kahrs Dr. Hans-Peter Bartels Peter Dreßen Klaus Hagemann Ulrich Kasparick Eckhardt Barthel (Berlin) Detlef Dzembritzki Alfred Hartenbach Dr. h.c. Susanne Kastner Klaus Barthel (Starnberg) Sebastian Edathy Michael Hartmann Ulrich Kelber Sören Bartol Siegmund Ehrmann (Wackernheim) Hans-Peter Kemper Sabine Bätzing Hans Eichel Anke Hartnagel Klaus Kirschner Uwe Beckmeyer Marga Elser Nina Hauer Hans-Ulrich Klose Klaus Uwe Benneter Gernot Erler Hubertus Heil Astrid Klug Dr. Axel Berg Petra Ernstberger Reinhold Hemker Dr. Heinz Köhler (Coburg) Ute Berg Karin Evers-Meyer Rolf Hempelmann Walter Kolbow Hans-Werner Bertl Annette Faße Dr. Barbara Hendricks Fritz Rudolf Körper Petra Bierwirth Elke Ferner Gustav Herzog Karin Kortmann Rudolf Bindig Gabriele Fograscher Petra Heß Rolf Kramer Lothar Binding (Heidelberg) Rainer Fornahl Monika Heubaum Anette Kramme Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8261

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Ernst Kranz Dr. Hermann Scheer Jürgen Wieczorek (Böhlen) Dr. Antje Vollmer (C) Nicolette Kressl Siegfried Scheffler Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Ludger Volmer Volker Kröning Horst Schild Dr. Dieter Wiefelspütz Josef Philip Winkler Angelika Krüger-Leißner Otto Schily Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Margareta Wolf (Frankfurt) Dr. Hans-Ulrich Krüger Horst Schmidbauer Engelbert Wistuba Horst Kubatschka (Nürnberg) Barbara Wittig Fraktionslose Abgeordnete Ernst Küchler Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Wolfgang Wodarg Dr. Gesine Lötzsch Helga Kühn-Mengel Silvia Schmidt (Eisleben) Verena Wohlleben Ute Kumpf Dagmar Schmidt (Meschede) Waltraud Wolff Dr. Uwe Küster Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (Wolmirstedt) Nein Christine Lambrecht Heinz Schmitt (Landau) Heidi Wright Christian Lange (Backnang) Carsten Schneider Uta Zapf CDU/CSU Christine Lehder Walter Schöler Manfred Helmut Zöllmer Ulrich Adam Waltraud Lehn Olaf Scholz Dr. Christoph Zöpel Ilse Aigner Dr. Elke Leonhard Karsten Schönfeld Peter Altmaier Eckhart Lewering Fritz Schösser BÜNDNIS 90/DIE Dietrich Austermann Götz-Peter Lohmann Wilfried Schreck GRÜNEN Norbert Barthle Gabriele Lösekrug-Möller Ottmar Schreiner Kerstin Andreae Dr. Wolf Bauer Erika Lotz Gerhard Schröder Marieluise Beck (Bremen) Günter Baumann Dr. Christine Lucyga Brigitte Schulte (Hameln) Volker Beck (Köln) Ernst-Reinhard Beck Dirk Manzewski Reinhard Schultz Cornelia Behm (Reutlingen) Tobias Marhold (Everswinkel) Birgitt Bender Veronika Bellmann Lothar Mark Swen Schulz (Spandau) Matthias Berninger Dr. Christoph Bergner Caren Marks Dr. Angelica Schwall-Düren Grietje Bettin Otto Bernhardt Christoph Matschie Dr. Martin Schwanholz Alexander Bonde Dr. Rolf Bietmann Hilde Mattheis Rolf Schwanitz Ekin Deligöz Clemens Binninger Markus Meckel Erika Simm Dr. Thea Dückert Renate Blank Ulrike Mehl Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Jutta Dümpe-Krüger Peter Bleser Petra-Evelyne Merkel Dr. Cornelie Sonntag- Franziska Eichstädt-Bohlig Antje Blumenthal Ulrike Merten Wolgast Dr. Uschi Eid Dr. Maria Böhmer Angelika Mertens Wolfgang Spanier Hans-Josef Fell Jochen Borchert Ursula Mogg Dr. Margrit Spielmann Joseph Fischer (Frankfurt) Wolfgang Börnsen Michael Müller (Düsseldorf) Jörg-Otto Spiller Katrin Göring-Eckardt (Bönstrup) Christian Müller (Zittau) Dr. Ditmar Staffelt Anja Hajduk Dr. Wolfgang Bötsch (B) Gesine Multhaupt Ludwig Stiegler Winfried Hermann Klaus Brähmig (D) Franz Müntefering Rolf Stöckel Antje Hermenau Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Rolf Mützenich Christoph Strässer Peter Hettlich Monika Brüning Volker Neumann (Bramsche) Rita Streb-Hesse Ulrike Höfken Georg Brunnhuber Dietmar Nietan Dr. Peter Struck Thilo Hoppe Verena Butalikakis Dr. Erika Ober Joachim Stünker Michaele Hustedt Hartmut Büttner Holger Ortel Jörg Tauss Fritz Kuhn (Schönebeck) Heinz Paula Jella Teuchner Renate Künast Cajus Caesar Johannes Pflug Dr. Gerald Thalheim Undine Kurth (Quedlinburg) Manfred Carstens (Emstek) Joachim Poß Wolfgang Thierse Markus Kurth Peter H. Carstensen Dr. Wilhelm Priesmeier Franz Thönnes Dr. Reinhard Loske (Nordstrand) Florian Pronold Hans-Jürgen Uhl Anna Lührmann Gitta Connemann Dr. Sascha Raabe Rüdiger Veit Jerzy Montag Leo Dautzenberg Karin Rehbock-Zureich Simone Violka Kerstin Müller (Köln) Hubert Deittert Gerold Reichenbach Jörg Vogelsänger Winfried Nachtwei Albert Deß Dr. Carola Reimann Ute Vogt (Pforzheim) Christa Nickels Alexander Dobrindt Christel Riemann- Dr. Marlies Volkmer Friedrich Ostendorff Vera Dominke Hanewinckel Hans Georg Wagner Simone Probst Thomas Dörflinger Walter Riester Hedi Wegener Claudia Roth (Augsburg) Marie-Luise Dött Reinhold Robbe Andreas Weigel Krista Sager Maria Eichhorn René Röspel Reinhard Weis (Stendal) Christine Scheel Rainer Eppelmann Dr. Ernst Dieter Rossmann Petra Weis Irmingard Schewe-Gerigk Anke Eymer (Lübeck) Karin Roth (Esslingen) Gunter Weißgerber Rezzo Schlauch Georg Fahrenschon Michael Roth (Heringen) Matthias Weisheit Albert Schmidt (Ingolstadt) Ilse Falk Gerhard Rübenkönig Gert Weisskirchen Werner Schulz (Berlin) Dr. Hans Georg Faust Ortwin Runde (Wiesloch) Petra Selg Albrecht Feibel Marlene Rupprecht Dr. Ernst Ulrich von Ursula Sowa Enak Ferlemann (Tuchenbach) Weizsäcker Rainder Steenblock Ingrid Fischbach Thomas Sauer Jochen Welt Silke Stokar von Neuforn Hartwig Fischer (Göttingen) Anton Schaaf Dr. Rainer Wend Hans-Christian Ströbele Dirk Fischer (Hamburg) Axel Schäfer (Bochum) Lydia Westrich Jürgen Trittin Axel E. Fischer (Karlsruhe- Gudrun Schaich-Walch Inge Wettig-Danielmeier Marianne Tritz Land) Rudolf Scharping Dr. Margrit Wetzel Hubert Ulrich Dr. Maria Flachsbarth Bernd Scheelen Andrea Wicklein Dr. Antje Vogel-Sperl Klaus-Peter Flosbach 8262 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Herbert Frankenhauser Norbert Königshofen Ronald Pofalla Gerhard Wächter (C) Dr. Hans-Peter Friedrich Hartmut Koschyk Ruprecht Polenz Marko Wanderwitz (Hof) Thomas Kossendey Daniela Raab Peter Weiß (Emmendingen) Erich G. Fritz Rudolf Kraus Thomas Rachel Gerald Weiß (Groß-Gerau) Jochen-Konrad Fromme Michael Kretschmer Hans Raidel Annette Widmann-Mauz Dr. Michael Fuchs Günther Krichbaum Dr. Peter Ramsauer Klaus-Peter Willsch Hans-Joachim Fuchtel Günter Krings Helmut Rauber Matthias Wissmann Dr. Peter Gauweiler Dr. Martina Krogmann Peter Rauen Werner Wittlich Norbert Geis Dr. Hermann Kues Christa Reichard (Dresden) Dagmar Wöhrl Roland Gewalt Werner Kuhn (Zingst) Katherina Reiche Elke Wülfing Eberhard Gienger Dr. Karl A. Lamers Hans-Peter Repnik Georg Girisch (Heidelberg) Klaus Riegert Wolfgang Zeitlmann Michael Glos Dr. Norbert Lammert Dr. Heinz Riesenhuber Wolfgang Zöller Ralf Göbel Helmut Lamp Hannelore Roedel Willi Zylajew Dr. Reinhard Göhner Barbara Lanzinger Franz-Xaver Romer Tanja Gönner Karl-Josef Laumann Heinrich-Wilhelm Ronsöhr FDP Josef Göppel Vera Lengsfeld Dr. Klaus Rose Daniel Bahr (Münster) Peter Götz Peter Letzgus Kurt J. Rossmanith Angelika Brunkhorst Dr. Wolfgang Götzer Ursula Lietz Dr. Norbert Röttgen Ernst Burgbacher Ute Granold Eduard Lintner Dr. Christian Ruck Helga Daub Kurt-Dieter Grill Dr. Klaus W. Lippold Volker Rühe Jörg van Essen Reinhard Grindel (Offenbach) Albert Rupprecht (Weiden) Hermann Gröhe Patricia Lips Peter Rzepka Otto Fricke Michael Grosse-Brömer Dr. Michael Luther Anita Schäfer (Saalstadt) Horst Friedrich (Bayreuth) Markus Grübel Dorothee Mantel Dr. Wolfgang Schäuble Rainer Funke Manfred Grund Erwin Marschewski Hartmut Schauerte Dr. Wolfgang Gerhardt Karl-Theodor Freiherr von (Recklinghausen) Andreas Scheuer Hans-Michael Goldmann und zu Guttenberg Stephan Mayer (Altötting) Norbert Schindler Joachim Günther (Plauen) Olav Gutting Conny Mayer (Baiersbronn) Georg Schirmbeck Dr. Karlheinz Guttmacher Holger-Heinrich Haibach Dr. Martin Mayer Bernd Schmidbauer Dr. Christel Happach-Kasan Gerda Hasselfeldt (Siegertsbrunn) Christian Schmidt (Fürth) Christoph Hartmann Klaus-Jürgen Hedrich Wolfgang Meckelburg Andreas Schmidt (Mülheim) (Homburg) Helmut Heiderich Dr. Michael Meister Dr. Andreas Schockenhoff Klaus Haupt Ursula Heinen Dr. Angela Merkel Dr. Ole Schröder Ulrich Heinrich Siegfried Helias Friedrich Merz Bernhard Schulte-Drüggelte (B) Birgit Homburger (D) Uda Carmen Freia Heller Laurenz Meyer (Hamm) Uwe Schummer Dr. Werner Hoyer Michael Hennrich Doris Meyer (Tapfheim) Wilhelm Josef Sebastian Michael Kauch Jürgen Herrmann Maria Michalk Horst Seehofer Dr. Heinrich L. Kolb Bernd Heynemann Hans Michelbach Kurt Segner Gudrun Kopp Ernst Hinsken Klaus Minkel Matthias Sehling Jürgen Koppelin Peter Hintze Marlene Mortler Marion Seib Sibylle Laurischk Robert Hochbaum Stefan Müller (Erlangen) Heinz Seiffert Klaus Hofbauer Bernward Müller (Gera) Bernd Siebert Ina Lenke Joachim Hörster Dr. Gerd Müller Thomas Silberhorn Markus Löning Hubert Hüppe Hildegard Müller Johannes Singhammer Dirk Niebel Susanne Jaffke Bernd Neumann (Bremen) Jens Spahn Günther Friedrich Nolting Dr. Peter Jahr Henry Nitzsche Erika Steinbach Detlef Parr Dr. Egon Jüttner Michaela Noll Christian von Stetten Cornelia Pieper Bartholomäus Kalb Claudia Nolte Gero Storjohann Gisela Piltz Steffen Kampeter Günter Nooke Andreas Storm Dr. Günter Rexrodt Irmgard Karwatzki Dr. Georg Nüßlein Max Straubinger Dr. Hermann Otto Solms Bernhard Kaster Franz Obermeier Matthäus Strebl Dr. Rainer Stinner Siegfried Kauder (Bad Eduard Oswald Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. Dieter Thomae Dürrheim) Melanie Oßwald Lena Strothmann Jürgen Türk Volker Kauder Rita Pawelski Michael Stübgen Dr. Guido Westerwelle Gerlinde Kaupa Dr. Peter Paziorek Antje Tillmann Dr. Claudia Winterstein Eckart von Klaeden Ulrich Petzold Edeltraut Töpfer Dr. Volker Wissing Jürgen Klimke Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Hans-Peter Uhl Julia Klöckner Sibylle Pfeiffer Arnold Vaatz Fraktionslose Abgeordnete Kristina Köhler (Wiesbaden) Dr. Friedbert Pflüger Volkmar Uwe Vogel Manfred Kolbe Beatrix Philipp Andrea Astrid Voßhoff Martin Hohmann

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Die Sitzung ist geschlossen. destages auf Mittwoch, den 3. März 2004, 13 Uhr, ein. (Schluss: 15.02 Uhr) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8263

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten der einzelnen Mitgliedstaaten dienen, soweit diese das Gebiet mehrerer Staaten betreffen.

entschuldigt bis Eurojust ist heute keine Staatsanwaltschaft, Eurojust Abgeordnete(r) einschließlich könnte jedoch zu einer europäischen Staatsanwaltschaft ausgebaut werden, um insbesondere die Ermittlungen im Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 13.02.2004 Rahmen der Bekämpfung der grenzüberschreitenden or- ganisierten Kriminalität effektiver gestalten zu können. Braun, Helge CDU/CSU 13.02.2004 Ich meine, eine mit dieser Aufgabenstellung ausgestat- tete europäische Staatsanwaltschaft wird bereits in naher Dr. Gehb, Jürgen CDU/CSU 13.02.2004 Zukunft Wirklichkeit werden. Ich zumindest begrüße die Entwicklung nachdrücklich. Hermenau, Antje BÜNDNIS 90/ 13.02.2004 DIE GRÜNEN Der vorliegende Entwurf regelt nun die nationale Be- nennung bzw. Abberufung eines deutschen Mitgliedes Hoffmann (Chemnitz), SPD 13.02.2004 von Eurojust durch das Bundesministerium der Justiz. Jelena Weiter geregelt werden die Bennennung unterstützender Personen, die Durchführung der Informationsübermitt- Leibrecht, Harald FDP 13.02.2004 lung zwischen Eurojust und den jeweiligen Mitgliedstaa- ten, die Benennung der nationalen Anlaufstellen und Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 13.02.2004 zudem haftungsrechtliche Fragen. Die justizielle Sach- leitung bleibt unberührt. Otto (Godern), Eberhard FDP 13.02.2004 Eurojust bildet eine gute Wegstrecke auf dem Weg Dr. Pinkwart, Andreas FDP 13.02.2004 zur koordinierten Kriminalitätsbekämpfung im vereinten Europa. Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 13.02.2004

Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 13.02.2004 Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Kein Sicher- heitsexperte streitet heute ernsthaft über das Ausmaß der (B) organisierten, grenzüberschreitenden Kriminalität in der (D) Welt und in Europa. Es ist deutlich zu hoch und fast täg- Anlage 2 lich hören wir Meldungen über Terroranschläge, Men- schen- und Drogenhandel, Kinderpornographie, Geld- Zu Protokoll gegebene Reden wäsche oder Geldfälschung. zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Beschlusses (2002/187/JI) des In der Öffentlichkeit wird mancher europäischen In- Rates vom 28. Februar 2002 über die Errich- stitution oder Behörde und mancher Entscheidung und tung von Eurojust zur Verstärkung der Be- Maßnahme mit Mißtrauen begegnet. Niemand hat aber kämpfung der schweren Kriminalität (EJG) Zweifel an der Notwendigkeit einer effektiven polizeili- (Tagesordnungspunkt 24) chen Zusammenarbeit in Europa. Dass wir erfolgreich arbeitende Stellen und Maßnahmen in Europa für den Kampf gegen schwere, grenzüberschreitende Kriminali- Joachim Stünker (SPD): Ich denke, wir alle begrü- tät benötigen, ist unstreitig. ßen die heutige Verabschiedung des Eurojust-Gesetzes. Seit dem 6. März 2002 ist der entsprechende Beschluss Auf Anregung der deutschen Regierung wurde ab des Rates der Europäischen Union in Kraft getreten, und 1991 darüber nachgedacht, ob man nicht ein europäi- die Umsetzungsfrist zur Umsetzung des Beschlussinhal- sches Polizeiamt brauche. 1993 entstand als dessen Vor- tes in innerstaatliches Recht ist im September 2003 ab- läufer die Europäische Drogeneinheit, EDU, für die gelaufen. Betäubungsmittelkriminalität und 1995 kam in Form ei- nes völkerrechtlichen Vertrages das Europol-Überein- Eurojust wurde zur Bekämpfung der schweren, grenz- kommen zustande. Es folgte 1998 die Errichtung des Eu- überschreitenden Kriminalität geschaffen. Hierbei steht ropäischen Netzes, EJN, einer Verbindung der mit sicherlich die organisierte Kriminalität im Vordergrund. Rechtshilfeaufgaben befassten nationalen Justizstellen. Die neue Behörde soll zur Bekämpfung der schweren or- ganisierten Kriminalität eine sachgerechte Koordinie- Zusätzlich zur grenzüberschreitenden Ermittlungsbe- rung der nationalen Staatsanwaltschaften erleichtern, die hörde Europol und dem EJN forderten Rechtsgelehrte, strafrechtlichen Ermittlungen unterstützen und die Erle- Praktiker und die Politik eine europäische Zentralstelle digung von Rechtshilfeersuchen vereinfachen. zur Koordinierung der Polizeiarbeit in Europa. Eurojust soll zudem der optimalen Koordinierung von Mit der Einrichtung Eurojust mit Sitz in Den Haag Ermittlungsverfahren und Strafverfolgungsmaßnahmen wurde dieser Forderung entsprochen. 8264 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

(A) Rechtsgrundlage von Eurojust ist der Beschluss des Erstens. Die in § 4 Abs.6 des Gesetzentwurfes nor- (C) Rates vom 28. Februar 2002 zur Verstärkung der Be- mierte Zustimmungsbefugnis des BMJ vor der Wei- kämpfung der schweren Kriminalität, den wir heute per tergabe von Informationen ist formalistisch und be- Gesetzentwurf national umzusetzen und abschließend zu einträchtigt zudem die oben schon beschriebene debattieren haben. Länderkompetenz. Art. 27 des Eurojust-Beschlusses schreibt diese Vorgehensweise auch nicht vor, sondern Die CDU/CSU-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf gibt dem nationalen Vertreter nur auf, „gegebenenfalls heute zustimmen. Wir halten Eurojust für ein geeignetes die zuständigen Behörden des Mitgliedstaates zu konsul- Instrument im notwendigen Kampf gegen organisierte tieren“. Schon dem Wortlaut nach können dies also meh- Kriminalität in Europa. Es geht hier nicht um mehr Bü- rere Behörden und nicht nur das BMJ sein. Nicht nur im rokratie, sondern im mehr Schlagkraft. Sinne einer hohen Effizienz, sondern auch um den Inte- ressen der Länder gerecht zu werden, erscheint hier eine Nur eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen Nachbesserung angezeigt. Polizei und Justiz wird Erfolge in den Fällen bringen, in denen es um Kriminalität geht, die sich auf dem Gebiet Zweitens. Selbstverständlich muss auch Eurojust bei mehrerer Mitgliedstaaten ausgebreitet hat. Hier ist der täglichen Arbeit eine Abwägung zwischen den Frei- Eurojust tätig und soll es auch weiterhin sein. heitsrechten der Bürger und den zur Verbrechensbe- kämpfung notwendigen Instrumentarien beachten. Wenn Wichtig ist dabei aus Sicht meiner Fraktion, dass die Eurojust aber schnell und wirksam arbeiten soll, so sind Aufgabenbereiche von Eurojust klar definiert sind. Es dafür umfangreiche Informationen und Datenbanken kann nicht das Ziel von Eurojust sein, Rechtshilfe zwi- sinnvoll und nötig. Der Datenaustausch ist ein wichtiges schen den Mitgliedstaaten abzuschaffen, sondern sie dort Instrument, um Ermittlungen zu beschleunigen und zu ergänzen und zu verbessern, wo es notwendig ist. Doppelermittlungen zu verhindern. In vielen Fällen der Wir unterstützen Eurojust einerseits als Koordinati- Vergangenheit wurden von den Mitgliedstaaten eigen- ons- und Kommunikationsinstrument zwischen den na- ständige Ermittlungen gegen dieselben Tätergruppen na- tionalen Justizbehörden mit dem Ziel, Ermittlungsver- tional begonnen, obwohl bei rechtzeitiger Information fahren auf europäischer Ebene zu beschleunigen. Und eine internationale Koordinierung möglich gewesen wir unterstützen Eurojust andererseits als Servicestation wäre. für die nationalen Strafverfolgungsbehörden, damit die Zeitverlust und Mehrfacharbeit waren die Folge. Ge- justizielle Zusammenarbeit und die Ermittlungen vor Ort nau dies soll Eurojust künftig verhindern und muss des- verbessert werden. halb auch personenbezogene Daten verarbeiten. (B) Aufgrund dieser Aufgabenstellung ist es auch richtig, Ein übertriebenes Datenschutzverständnis wie es in (D) diese Stelle mit erfahrenen Fachleuten, also nationalen § 7 des Entwurfes teilweise zum Ausdruck kommt, ist Staatsanwälten und Richtern zu besetzen, die von den deshalb kontraproduktiv. Zudem könnten sich Ausle- einzelnen EU-Mitgliedsstaaten entsandt werden. gungsprobleme im Hinblick auf die §§ 483, 487 Abs. l StPO ergeben: Datenverarbeitung und Übermittlung ge- Wieso allerdings allein das BMJ diese Fachleute ohne speicherter Daten. Um wirksam arbeiten zu können, Länderbeteiligung benennen und abberufen können soll, muss eine dauerhafte Speicherung von Rumpfdaten ist dem Bundesrat in seiner Empfehlung vom 16. Sep- möglich sein und darf sich nicht nur auf befristete Ar- tember 2003 nicht eingängig gewesen. Meine Fraktion beitsdateien erschöpfen. teilt die Bedenken der Länder in diesem Punkt, weil das deutsche Mitglied von Eurojust auf dem Gebiet der Verletzungen des Datenschutzes sind meiner Ansicht Rechtshilfe und der Strafverfolgung und mithin in Berei- nach nicht zu befurchten, da EUROJUST über einen ei- chen tätig wird, die originäre Länderkompetenzen be- genen Datenschutzbeauftragten und eine gemeinsame treffen. Da allerdings aktuell der ständige Vertreter des Kontrollinstanz verfugt. deutschen Delegierten aus den Ländern nominiert Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass mit wurde, haben wir de facto einen Zustand, der akzeptabel Eurojust eine Stelle geschaffen wurde, die pragmatisch erscheint. Es wäre schön, wenn diese Konstellation auch als Bindeglied grenzüberschreitende Kriminalität be- künftig, vielleicht auch wechselnd bei der Berücksichti- kämpfen kann. Sie ist ständig erreichbar, überwindet gung des ordentlichen Mitgliedes üblich würde – selbst- Sprachbarrieren, ermittelt und hilft gemeinsam zu ermit- verständlich unter Beachtung der notwendigen Sach- teln, plant, informiert und dokumentiert mit dem Ziel ei- kompetenz. ner höheren Sicherheit in Europa. Multilateral werden Wenn wir heute die Beteiligung Deutschlands an dann Erfolge erzielt, wenn flexibel und unbürokratisch Eurojust und die Umsetzung des Eurojust-Beschlusses gearbeitet wird. Eurojust kann diese Arbeit leisten. debattieren, so ist aber auch darauf einzugehen, wie wir Wünschen wir Eurojust eine wachsende Bekanntheit uns an der Effizienz von Eurojust beteiligen können. und eine dauerhafte Akzeptanz in allen Mitgliedstaaten mit dem Ziel einer schnellen und wirksamen Verbre- Dabei gilt aus der Sicht meiner Fraktion der Grund- chensbekämpfung in Europa. satz, dass Doppelzuständigkeiten und Bürokratie zu ver- meiden sind. Michael Stübgen (CDU/CSU): Wir beraten heute in Ich möchte dies an zwei Beispielen verdeutlichen: zweiter und dritter Lesung das Eurojust-Gesetz, welches Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8265

(A) in der Öffentlichkeit bislang wenig diskutiert worden ist sich hervorragend bewährt. Das kann man schon daran (C) und auch in Zukunft wenig Diskussionsstoff in der Öf- erkennen, dass Europol immer weitere Zuständigkeiten fentlichkeit bieten wird. Weder meine Vorredner noch bis hin zur Terrorismusbekämpfung bekam. Die Arbeit ich werden heute Abend in den Nachrichten erscheinen von Europol ist bei den europäischen Bürgern wenig be- und morgen früh die Titelseiten der Presse füllen. kannt, aber bei den Kriminellen gefürchtet. Das Eurojust-Gesetz ist zwischen den Fraktionen un- Es ist längst überfällig, dass die justizielle Zusam- streitig und erhält die nahezu volle Zustimmung des menarbeit in Europa auf ein ähnliches Fundament ge- Deutschen Bundestages. Wenn Sie sich das Gesetz an- stellt wird. schauen, werden Sie merken, dass es voll technischer Regeln und Verfahrensabläufe ist, die ich Ihnen an dieser Die Praxis wird jetzt zeigen, wie positiv sich Eurojust Stelle ersparen möchte. Denn die Erläuterung des Ge- auswirken wird. Die Organisationsabläufe von Eurojust setzes ermüdet genauso wie das Lesen. Trotzdem ist das folgt dem bewährten Modell von Europol. Eurojust-Gesetz, welches wir heute mit einjähriger Ver- Die heutige Zustimmung zu Eurojust ist nicht das spätung verabschieden, ein wichtiger Meilenstein auf Ende des Weges. Gleichwohl es ein wichtiger Schritt ist. dem Weg zu einer stärkeren und effizienteren europäi- Es bleibt das Problem, dass in einem massiv erweiterten schen Zusammenarbeit in der Verbrechensbekämpfung. Europa ohne Grenzen die Bekämpfung der grenz- Dabei möchte ich in diesem Zusammenhang auf zwei überschreitend organisierten Kriminalität und die wach- wichtige Punkte hinweisen: sende Gefahr des internationalen Terrorismus die nationalen Strafverfolgungsbehörden zunehmend über- Erstens. Die Einrichtung von Eurojust wird die fordern. Deshalb brauchen wir in absehbarer Zukunft Schnittstelle der nationalen Strafverfolgungsbehörden europäische Organisationen zur Verbrechensbekämp- sein. Schon auf Beschluss des Europäischen Rates in fung. Dabei müssen noch viele nationale Bedenken Amsterdam 1998 ist die Grundlage zur Schaffung des so überwunden werden. Aber mit kontinuierlicher Arbeit genannten Europäischen Justitiellen Netzes gelegt wor- können diese Hindernisse überwunden werden. Wir den. EJN besteht aus Kontaktstellen in den Mitgliedstaa- brauchen für das künftige Europa eine funktionsfähige ten, die in Rechtshilfeangelegenheiten Unterstützung europäische Staatsanwaltschaft in Zusammenhang mit leisten. Des Weiteren liefern diese nationalen Kontakt- der Errichtung eines europäischen Strafgerichtshofes. stellen praktische Informationen über das Recht und die Dieses Ergebnis zu erreichen, ist erklärtes Ziel der Bun- Anwendung der mitgliedstaatlichen Straf- und Strafver- desregierung. Meine Fraktion wird sie darin unterstüt- fahrensgesetze. zen. Die Nachteile dieses Systems liegen aber auch klar (B) (D) auf der Hand: Diese nationalen Auskunftsstellen stehen Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der nicht rund um die Uhr zur Verfügung und es gibt gele- Europäische Raum von Sicherheit, Recht und Freiheit gentlich Sprachprobleme. Diese Nachteile drücken sich hat in den letzten Jahren rasant Konturen gewonnen. Da- in einem teilweise erheblichen Zeitverlust aus. Ähnlich bei ist es mit der gemeinsamen Sicherheit schneller und wie Europol wird Eurojust jetzt die Kommunikation problemloser gegangen als mit der Vereinheitlichung des zwischen den Mitgliedstaaten vereinfachen und verbes- Rechts und gleichen Freiheiten für die Unionsbürgerin- sern und die Strafverfolgung in Europa deutlich effizien- nen und Unionsbürger sowie alle Menschen, die in der ter machen. Die Einschaltung von Eurojust folgt im We- Europäischen Union leben. Geheimdienste und Polizei- sentlichen pragmatischen Gesichtspunkten: Eurojust behörden arbeiten eng und effektiv zusammen, nach wird permanent erreichbar sein und mindert das Problem OLAF, dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung, der Sprachenvielfalt. ist mit Europol eine starke Vorstufe zu einer europäi- Allerdings muss man darauf aufmerksam machen, schen Polizei entstanden. Einen europäischen Staatsan- dass Eurojust eine Servicestelle und keine europäische walt, einen europäischen Ermittlungsrichter, eine unab- Staatsanwaltschaft ist, bestenfalls ein Vorläufer. Viele hängige europäische Justiz und eine effektive, Kritiker beklagen die gegenwärtig mangelhafte justi- grenzüberschreitend – eben wie auch die Ermittlungsbe- zielle Kontrolle besonders von Europol. Dieses Defizit hörden – agierende Verteidigung sucht man vergebens. in der europäischen Verbrechensbekämpfung wird sich Wir bekommen in den nächsten Monaten als neues mit Eurojust nicht substanziell verändern. Eurojust hat Strafverfolgungsinstrument einen europäischen Haftbe- gegenüber Europol keine Weisungs- und keine Sank- fehl und werden damit erstmals seit Bestehen der Bun- tionsrechte. Sollte – was ich in Zukunft für notwendig desrepublik Deutschland deutsche Staatsangehörige an halte – Europol operative Befugnisse erhalten, wird die das europäische Ausland ausliefern müssen. Gemein- Klärung dieser Frage unumgänglich sein. same Standards eines rechtsstaatlichen Strafprozesses Zweitens. Anders als in den klassischen Nationalstaa- sind nicht in Sicht, von einem vereinheitlichten materiel- ten, wo eine die polizeiführende und -kontrollierende len Strafrecht ganz zu schweigen. Die europäische Staatsanwaltschaft mindestens gleichzeitig installiert Verfassung, deren Geburt noch blockiert ist, wird we- wird, sind wir in der EU einen anderen Weg gegangen. nigstens prozessuale Grundrechte bringen, die den Men- Auf dem Europäischen Rat in Maastricht wurde 1991 schen direkt zugute kommen. Dies wäre ein riesiger mit dem Beschluss zur Errichtung von Europol die Insti- Fortschritt, da die Europäische Menschenrechtskonven- tutionalisierung der polizeilichen Zusammenarbeit in tion als zwischenstaatlicher Vertrag bisher unmittelbar Europa beschlossen. Die Einrichtung von Europol hat nur zwischen den Signatarstaaten gilt. 8266 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

(A) Die Errichtung von Eurojust, noch keine eigenstän- zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Krimina- (C) dige europäische Staatsanwaltschaft, aber möglicher- lität geschaffen. Die FDP hat sich immer zu Eurojust be- weise eine Vorstufe dazu, ist deshalb in der Verwirkli- kannt und wird dem Gesetzentwurf heute daher auch zu- chung eines europäischen Raums von Sicherheit, Recht stimmen. In keinem Zuständigkeitsbereich hat Eurojust und Freiheit ein, wenn auch kleiner, Fortschritt. Und konkret die Aufgabe, sich mit nationalen Staatsanwalt- deshalb ist es auch richtig und wichtig, das Gesetz zur schaften der beteiligten Mitgliedstaaten über laufende Umsetzung des Beschlusses 2002/187/JI des Rates vom Verfahren auszutauschen und die Möglichkeit und Not- 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur wendigkeit koordinierter Aktionen zu prüfen. Eurojust Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität soll eine sachgerechte Koordinierung der nationalen voranzubringen. Staatsanwaltschaften, einen entsprechenden Informa- Mit diesem Gesetz werden die Grundlagen geschaf- tionsaustausch sowie die Erledigung von Rechtshilfe fen, damit deutsche Strafverfolgungsbehörden und an- und Auslieferungsersuchen erleichtern. dere staatliche Institutionen mit Eurojust praktisch, Eurojust besteht aus nationalen Staatsanwälten, Rich- schnell und unbürokratisch zusammen arbeiten können. tern oder Polizeibeamten, die von den EU-Mitgliedstaa- Dabei sind und bleiben deutsche Behörden an das inner- ten entsandt werden. Damit Eurojust funktionstüchtig ist staatliche Recht gebunden. Persönlichkeitsrechte von und seine Aufgaben wahrnehmen kann, bedarf es noch Betroffenen sind nach den in Deutschland geltenden der Benennung eines nationalen Mitgliedes sowie die Standards zu wahren. Im Zweifel haben deutsche Behör- Regelung der damit verbundenen organisatorischen und den das Recht, die Zusammenarbeit und die Anlieferung haftungsrechtlichen Fragen. Dies geschieht mit dem vor- von Daten und Fakten an Eurojust abzulehnen. Den da- liegenden Gesetzentwurf. Bis zu einer völlig harmoni- mit einhergehenden möglichen Verlust an Effektivität sierten europäischen Rechtspolitik ist es jedoch noch ein bei der Strafverfolgung müssen wir so lange hinnehmen, weiter Weg. Wie wichtig es ist, große Anstrengungen zur wie die von mir geschilderte und beklagte nachhinkende Vereinheitlichung der Standards in Strafverfahren anzu- Entwicklung prozessualer und von Beschuldigtenrechte strengen, zeigt die aktuelle Diskussion um die Einfüh- Realität ist. rung des europäischen Haftbefehls. Ein europäisches Auch wenn Polizeibehörden unmittelbar mit Eurojust Strafprozessrecht und einheitliche Verfahrensgarantien in Kontakt treten, soll die innerstaatliche justizielle sind noch in weiter Ferne. Hier wäre ein größeres En- Sachleitung unberührt bleiben. Das kann nur bedeuten, gagement der Bundesregierung auf europäischer Ebene dass die Polizeibehörden gehalten sind, die zuständigen wünschenswert. Als Motor auf dem Wege zu einer Har- Staatsanwaltschaften umfassend zu informieren. Da wir monisierung der europäischen Innen- und Rechtspolitik (B) uns mit der Regelung dieser Kontakte auf Neuland bege- ist Deutschland zurzeit wahrlich nicht zu erkennen. (D) ben, bleiben das Parlament wie die Bundesregierung aufgerufen, die Entwicklung zu beobachten, und gegebe- Die FDP spricht sich grundsätzlich dafür aus, den nenfalls gesetzlich nachzufassen, wenn die justizielle Ausbau der europäischen Strafverfolgungsmöglichkei- Sachleitung in der Praxis ausgehöhlt werden sollte. Die ten rechtlich und institutionell voranzutreiben. Ziel muss Staatsanwaltschaften sind aufgefordert, sich bei der Ver- nach wie vor die Schaffung einer europäischen Staats- folgung schwerer Kriminalität das Heft des Handelns anwaltschaft sein. Die Bemühungen der EU-Mitglied- nicht aus der Hand nehmen zu lassen. staaten dazu sind allerdings insgesamt nicht besonders stark ausgeprägt. Wenn es uns gelingt, Eurojust zu einer Soweit für die Informationsweitergabe an Eurojust effektiven Behörde im Kampf gegen grenzüberschrei- automatisierte Arbeitsdateien anzulegen sein werden, tende schwere bzw. organisierte Kriminnlität zu machen, hat das Bundesjustizministerium durch Rechtsverord- wird vielleicht auch dieser Prozess beschleunigt werden. nungen die notwendigen gesetzlichen Grundlagen dafür zu schaffen. Der Rechtsausschuss hat in diesem Zusam- menhang empfohlen, im Gesetz selbst darauf hinzuwei- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der sen, dass die Grundsätze des deutschen Datenschutz- Bundesministerin der Justiz: Heute ist ein guter Tag für rechts dabei zur Geltung kommen. die Strafverfolgung im gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Heute stimmen Sie über Das Gesetz hat in der Form der Empfehlungen des den Entwurf des Eurojust-Gesetzes ab. Rechtsausschusses die Zustimmung aller Fraktionen ge- funden. Dies zeigt, dass bei gutem Willen auch in Fragen Die Geburtsurkunde von Eurojust ist bekanntlich der der Sicherheit eine gemeinsame Position aller Fraktio- Errichtungsbeschluss des Rates vom 28. Februar 2002. nen zu finden ist, wenn wir uns auch in der Verteidigung Die eigentliche Geburtsstunde von Eurojust war aber der und Entwicklung des Rechts und der Freiheit in Europa Europäische Rat von Tampere im Oktober 1999. Gerade einig wissen. Deutschland hat sich dort und in der Folgezeit maßgeb- lich an der Schaffung von Eurojust beteiligt. Deshalb ist Jörg van Essen (FDP): Der Gesetzentwurf, den wir die Umsetzung des Ratsbeschlusses von 2002 ein wichti- heute mit den Stimmen aller Fraktionen des Hauses be- ger Schritt im Entstehungsprozess von Eurojust. Ein schließen, ist ein weiterer Mosaikstein zu dem Aufbau wichtiger Schritt auf dem Weg, den der Entwurf des eines gemeinsamen europäischen Raumes der Freiheit, Konvents für einen europäischen Verfassungsvertrag der Sicherheit und des Rechts. Bereits im Jahre 2002 aufzeigt: die Fortentwicklung von Eurojust bis hin zu ei- wurde Eurojust als Einrichtung der Europäischen Union ner Europäischen Staatsanwaltschaft. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8267

(A) Das besondere Engagement Deutschlands für Euro- men für die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit Eu- (C) just hat sich bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Euro- rojust wird schon durch den Beschluss selbst gesetzt; da- just-Beschlusses fortgesetzt. Der Entwurf stellt eine gute hinter darf also auch das Umsetzungsgesetz nicht Balance dar: Auf der einen Seite gingen die Vorstellun- zurückbleiben. gen dahin, Eurojust eher formlos als einen ständigen runden Tisch zu konzipieren, der aktuelle Fragestellun- Zur Erfüllung der Aufgaben von Eurojust ist die Zu- gen im Bereich der europäischen strafrechtlichen Zu- sammenarbeit der deutschen Vertreter mit den nationalen sammenarbeit abklärt. Dem standen auf der anderen Strafverfolgungsbehörden das wesentliche Element. In Seite Überlegungen gegenüber, Eurojust müsse als eine der Ausgestaltung dieser Beziehungen liegt deshalb auch europäische Institution stärker formalisiert werden. In das Schwergewicht des Gesetzentwurfs. Außerdem ent- dem Ratsbeschluss finden sich beide Elemente wieder. hält der Gesetzentwurf Regularien insbesondere zur Er- Hierbei galt es – wie häufig im europäischen Alltag – für nennung und Abberufung des nationalen Mitglieds und alle Beteiligten, über den jeweiligen Schatten zu sprin- der es unterstützenden Personen. Weitere Bestimmungen gen, was nach meinem Dafürhalten im Ergebnis aber betreffen die Errichtung von nationalen Anlaufstellen für überaus gut gelungen ist. die deutschen Eurojust-Vertreter sowie – last but not least – die Umsetzung datenschutzrechtlicher Vorgaben Ziel des Eurojust-Beschlusses und Aufgabe von Eu- des Eurojust-Beschlusses. rojust ist die wirksame Verbesserung der justiziellen Zu- Mit dem Gesetz wird die Wahrnehmung der Eurojust sammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen übertragenen Aufgaben durch Deutschland in vollem Union bei der Bekämpfung der schweren Kriminalität. Umfange sichergestellt. So ermöglichen die Regelungen Eurojust erreicht dies als eine Einrichtung der Europäi- zum direkten Informationsaustausch zwischen dem deut- schen Union, die Ermittlungsverfahren und sonstige schen Eurojust-Mitglied und den deutschen Strafverfol- Strafverfolgungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten, soweit gungsbehörden eine intensive und schnelle Kooperation. das Gebiet mehrerer Mitgliedstaaten betroffen ist, koor- Nichts wäre fataler, als eine neue europäische Einrich- diniert. Hierbei geht es nicht zuletzt um ein konstrukti- tung zu schaffen, die mangels der für ihre Arbeit erfor- ves Miteinander von Justiz und Polizei bei der strafrecht- derlichen Informationen lediglich auf dem Papier lichen Zusammenarbeit. Dementsprechend sieht Art. 26 stünde! Eine reibungslose direkte Informationsübermitt- des Eurojust-Beschlusses vor, dass Eurojust und Europol lung zwischen Eurojust und den zuständigen deutschen eine enge Zusammenarbeit pflegen. Um diese Worte mit Stellen ist vielmehr das Lebenselixier dieser zentralen Leben zu erfüllen, haben Eurojust und Europol mittler- justiziellen Stelle auf europäischer Ebene. weile den Entwurf einer Vereinbarung zur Zusammenar- beit erstellt, der den europäischen Gremien zur Be- Eurojust zu ermöglichen, das zu tun, wofür es ge- (B) schlussfassung vorliegt. schaffen wurde, dient ferner die in dem Gesetzentwurf (D) vorgesehene Möglichkeit deutscher Strafverfolgungsbe- Mit Eurojust wird eine neue Qualität im System der hörden, von sich aus tätig zu werden und Informationen europäischen strafrechtlichen Zusammenarbeit geschaf- sozusagen „spontan“ an Eurojust zu übermitteln, wenn fen. Insbesondere soll hierdurch die strafrechtliche Zu- diese Informationen zur Erfüllung der Aufgaben von Eu- sammenarbeit zwischen den Staatsanwaltschaften und rojust beitragen. Strafgerichten auf ein der bereits erreichten polizeilichen Zusammenarbeit in Europa vergleichbares Niveau geho- Eurojust arbeitet außerdem eng mit dem Europäi- ben werden. Eurojust stellt sich dabei als das justizielle schen Polizeiamt Europol, dem Europäischen Amt für Pendant zu Europol dar. Betrugsbekämpfung OLAF sowie dem Europäischen Justiziellen Netz zusammen. Diese Möglichkeiten wer- Die strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäi- den durch das Gesetz für das deutsche Eurojust-Mit- schen Union befindet sich derzeit insgesamt in einem glied, soweit erforderlich, konkretisiert. dynamischen Entwicklungsprozess. Nationale Funkti- onsprinzipien können dabei für uns nicht mehr die allei- Die Bundesregierung unternimmt – unter Beachtung nigen Entscheidungsmaßstäbe sein; andererseits stellen rechtsstaatlicher Grundsätze – alles, was notwendig und die nationalen Rechtsordnungen eine wichtige Erkennt- angemessen ist, um die schwere Kriminalität in der Eu- nisquelle für den europäischen Gesetzgeber dar. Der ropäischen Union wirksam und nachhaltig zu bekämp- Beitrag von Eurojust zu einer wirkungsvolleren Be- fen. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Gesetz hierzu kämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität wird einen wichtigen Beitrag leisten wird. vor diesem Hintergrund vor allem auf der Ebene eines intensiven Informationsaustausches zwischen Eurojust und den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten Anlage 3 liegen. Zu Protokoll gegebene Rede Der Eurojust-Beschluss enthält mehrere Bestimmun- gen, die eine Anpassung der bestehenden innerstaatli- zur Beratung des Antrags: Schaffung einer chen deutschen Rechtslage erforderlich machen. Diesem nationalen Küstenwache (Tagesordnungs- Ziel dient der vorliegende Gesetzentwurf. Bei der Aus- punkt 25) gestaltung der Regelungen mussten wir berücksichtigen, dass der Beschluss bereits als geltendes europäisches Annette Faße (SPD): Nicht nur der 11. September Recht die Bundesrepublik Deutschland bindet. Der Rah- 2001 hat ungeahnte Ängste heraufbeschworen, sondern 8268 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

(A) auch die Erfahrungen aus den Schiffshavarien vor der die Zusammenarbeit unter neuen Anforderungen zu ver- (C) deutschen Küste erfordern angemessene Reaktionen im bessern. Bereich des Havariemanagements und der polizeilichen Gefahrenabwehr. Lassen Sie mich kurz auf das Havariekommando ein- gehen. In dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion wird be- Priorität hatte dabei für uns zunächst die Straffung der hauptet, die Schaffung des Havariekommandos habe nationalen deutschen Strukturen für das Unfallmanage- „keine wesentliche Verbesserung“ gebracht. ment. Seit dem 1. Januar 2003 haben wir in Cuxhaven das Havariekommando eingerichtet. Hier wurde in bei- Wollen Sie nicht sehen, dass das Verkehrsministerium spielhafter Kooperation zwischen dem Bund und allen und die Küstenländer eine beispielhafte Organisation zur fünf Küstenländern eine gemeinsame Einrichtung ge- Bewältigung von Havarien geschaffen haben? In dem schaffen, die ein einheitliches und damit wesentlich ef- Antrag ist von „informellen Koordinierungsverbünden“ fektiveres Unfallmanagement bei schweren Havarien ge- die Rede und es wird vollkommen ignoriert, dass im währleistet. Mit unseren Nachbarstaaten Dänemark, Ernstfall unverzüglich und schlagkräftig agiert werden Niederlande, Schweden und Polen bestehen Koopera- kann. tionsvereinbarungen. Sollen also die gelebten und bewährten föderalen Zu- Im polizeilichen Bereich werden angesichts der ver- ständigkeiten und Abläufe des Alltagsbetriebs geopfert änderten Gefährdungslage und neuer internationaler Ver- werden, ohne dass es notwendig wäre? Dem können und pflichtungen zur Abwehr terroristischer Bedrohungen wollen wir nicht zustimmen. Ich empfinde das auch als umfangreiche nationale Maßnahmen eingeleitet, um im Beleidigung der Männer und Frauen, die heute in diesen Bereich der Gefahrenabwehr weitere Verbesserungen Strukturen eine hervorragende Arbeit leisten. und eine höhere Effizienz zu erreichen. Die an der Ar- Ein Wort noch zu Herrn Kollegen Goldmann. Ich beitsgruppe „Küstenwache – neu“ beteiligten Bundes- habe heute seine Äußerung in der „Süddeutschen Zei- ressorts prüfen derzeit im Dialog mit den Ländern, wie tung“ gelesen. Ich finde das schon ein starkes Stück, die Küstenwache in Bezug auf den Aufgabenvollzug op- wenn er sagt: „Kein Mensch weiß, welche Rechte der timiert werden kann. Wir erwarten die Ergebnisse dieser Leiter des Havariekommandos eigentlich hat.“ Prüfung in wenigen Monaten. Er soll dann weiter behauptet haben, der Leiter sei auf Das ist ein Grund, warum wir dem Antrag der Frak- den Goodwill und die Boote anderer Einheiten angewie- tion nicht zustimmen können: Wir wollen die Empfeh- sen. Der Kollege Goldmann behauptet hier Dinge – er lungen der Arbeitsgruppe „Küstenwache – neu“ abwar- war, wie ich höre, ja in Cuxhaven –, von denen er sehr ten. genau weiß, dass sie mit der Realität nichts zu tun haben. (B) (D) Ich bin zuversichtlich, dass die Arbeitsgruppe uns Das ist unredlich, weil Sie sehr genau wissen, dass der eine sachlich und wirtschaftlich optimale Lösung aufzei- Leiter umfassende Einsatzbefugnisse hat. Diese Befug- gen wird. nisse zu schaffen, die wir jetzt Gott sei Dank haben, dazu waren CDU/CSU und FDP während ihrer Regierungs- Weniger zuversichtlich bin ich allerdings, ob diese zeit nicht in der Lage. Lösung Ihrem Antrag nahe kommt. Denn es besteht zur Optimierung der Gefahrenabwehr keine Notwendigkeit, Eine vergleichbar flexible Organisation wie das Ha- das Grundgesetz zu ändern – darauf läuft es beim Antrag variekommando sollte auch die neue Küstenwache wer- doch hinaus. Ich bin mir sicher: Die notwendigen Maß- den. So wie das Havariekommando seit dem 1. Januar nahmen lassen sich im Rahmen der bestehenden Zustän- 2003 in Cuxhaven im Dienst ist, um die Arbeiten im digkeiten beim Bund und bei den Ländern vernünftig lö- Falle einer schweren Havarie zu koordinieren, so könnte sen. Die Zusammenarbeit zwischen den Bundes- und zum Beispiel auch die neue Küstenwache an einem Landesbehörden funktioniert. Das können Sie nicht Standort konzentriert werden. Eines ist jedoch klar: Den leugnen. im CDU/CSU-Antrag heraufbeschworenen Kompetenz- wirrwarr aufgrund einer terroristischen Bedrohung wird Ich sehe darum keinen Grund, eine Bundesküstenwa- es in der Realität nicht geben. che mit eigener Rechtspersönlichkeit zu schaffen: Es sind zum Teil sehr unterschiedliche Aufgaben mit hoch Ein solcher Ernstfall, von dem wir natürlich hoffen, spezialisierten Fahrzeugen und Personal zu erledigen. dass er niemals eintreten wird, löst eine polizeiliche Son- Denken Sie dabei nur an die Wartung der Seezeichen, derlage mit entsprechend straffen Strukturen und Zu- eine Routineaufgabe der Wasser- und Schifffahrtsver- ständigkeiten aus. Jedes dann jeweils zuständige Ressort waltung, und die grenzpolizeiliche Sicherung, eine origi- erhält umfassende Kompetenzen und Weisungsbefug- näre Aufgabe des BGS. Durch eine neue Einheitsbe- nisse. hörde würden hier sicher – neben den bestehenden Ein Satz noch zur Bundesmarine: Es wird beklagt, Problemen – zusätzliche neue Probleme geschaffen. dass diese zurzeit nicht zur Unterstützung gegen terroris- Der heutige Koordinierungsverbund Küstenwache, tische Angriffe angefordert werden kann. Nun, das wird auf den die Damen und Herren von der Opposition zu ih- auch auf absehbare Zeit so bleiben; denn es herrscht un- rer Regierungszeit sehr stolz waren, hat sich im Grunde ter den beteiligten Ressorts Einverständnis darüber, dass bewährt. Die Zusammenarbeit zwischen dem Koordinie- die Bundesmarine keine polizeilichen Aufgaben wahr- rungsverbund Küstenwache und dem Havariekommando nehmen soll. Im Rahmen der Amtshilfe bzw. nach dem funktioniert gut. Natürlich wird trotzdem alles getan, um Seerechtsabkommen ist der Einsatz jederzeit möglich. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8269

(A) Lassen Sie mich abschließend zusammenfassen: Die- und alle personellen wie logistischen Voraussetzungen (C) ser Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist über- hat, aus dem zivilen Katastrophen-Einsatz auszuklam- flüssig, denn das generelle Ziel, die Gefahrenabwehr auf mern. Wir pochen auf föderale, traditionelle Zuständig- See zu optimieren, wird schon verfolgt. Bald werden uns keiten, ohne uns zu vergegenwärtigen, dass es zur Si- die Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Küstenwache – neu“ cherheit von Mensch und Meer nur eine einheitliche vorliegen. Diese werden wir dann umzusetzen haben. zentrale Gefahrenabwehr geben kann. Wir praktizieren Sicherheitsprovinzialismus und blenden aus, dass für Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Fol- eine europäische Seesicherheits-Agentur eine nationale gende Tickermeldung könnte uns heute, am 13. Februar Küstenwache die Voraussetzung ist. 2004, hier in Berlin erreichen: Drama vor der deutschen Wir müssen alles tun, um Anschläge und Unfälle auf Nordseeküste! Öl-Supertanker, von Terroristen mit See zu verhindern. Aber Seesicherheit aus einer Hand Sprengstoff bestückt, treibt führungslos auf Emden zu. gibt es bei uns immer noch nicht. Auch wenn durch zahl- Eine Kollision mit einem Off-Shore- Windpark außer- reiche Kooperationsverträge die Zusammenarbeit der halb des Küstengewässers kann nicht ausgeschlossen Behörden, Ministerien und Institutionen etwas ge- werden. Eine Umweltkatastrophe droht! schmeidiger geworden ist, eine effiziente Eingreiftruppe mit eigenständigen Kompetenzen ist nicht vorhanden. Folgendes Eingreifszenario entspräche der Rechtslage: Der BGS wird alarmiert, um die Bomben zu entschärfen, Wir, die Union, haben eine zentrale Seesicherheit be- das Bundesverkehrsministerium, um der Kollisionsgefahr reits vor fünf Jahren gefordert. Sie ergab sich als Konse- zu begegnen, das Bundesumweltministerium, um den quenz aus dem Drama um die „Pallas“. Bundeskompe- Ölaustritt zu begrenzen, und das Bundesverteidigungs- tenz war das Gebot der Stunde. Auch der gesamte ministerium, damit der SAR-Hubschrauber eingesetzt Landtag von Schleswig-Holstein hat sich dieser Einsicht werden kann. Das Ministerium für Verbraucherschutz, offen gegenüber gezeigt. Auf Antrag meines Kollegen Ernährung und Landwirtschaft sorgt mit seinen Fische- Heinz Maurus und der CDU-Fraktion haben sich auch reischutzbooten für den Abzug bedrohter Fischerboote. die Sozialdemokraten, die FDP und die Bündnis-Grünen Das Havariekommando und die Küstenwachen der Län- für Führung und Verantwortung aus einer Hand ausge- der versuchen, den Einsatz zu koordinieren. Doch das sprochen. Der Weg dazu setzt eine Grundgesetzänderung Leck geschlagene Schiff treibt in stürmischer See weiter bzw. einen Staatsvertrag voraus. Bisher hat die Bundes- aus den Hoheitsgewässern in die Küstengewässer. regierung noch keine konkrete Initiative für die See dazu unternommen. Eine neue Rechtslage tut sich auf: Jetzt ist für das Entschärfen der Bombe die Polizei von Niedersachsen Jetzt jedoch hat die Bayerische Staatsregierung im (B) zuständig, für die Ölabwehr das dortige Umweltministe- Bundesrat eine Verfassungsänderung vorgelegt, die für (D) rium. Würde der Wind drehen und der Riesentanker auf die Luft- und Seesicherheit gleichermaßen gilt. Auch in die Küste Schleswig-Holsteins zutreiben, ergibt sich der Föderalismus-Kommission gibt es Aufgeschlossen- wieder eine neue Zuständigkeit. heit dafür von allen Beteiligten aus allen Fraktionen. Dieses Horrorszenario ist nicht Realität geworden. Aber hier im Bundestag blockieren SPD und Bünd- Noch nicht! Aber auch fünf Jahre nach der Havarie der nis-Grüne diese Unionseingabe. Man verweist auf das „Pallas“ gibt es noch immer bei uns keine Küstenwache Havariekommando und die beiden Küstenwachen. Man aus einem Guss. Und 15 Monate nach dem folgenschwe- verschweigt, dass man durch vier verschiedene Ver- ren „Prestige“-Unglück vor Spanien fehlt es in Deutsch- kehrsminister in fünf Jahren die Angelegenheit nicht land an Rechtsklarheit im See-Katastrophenfall. Seit energisch genug angepackt hat. Zuletzt ist Manfred dem Terror Anschlag auf das World Trade Center in Stolpe am Widerstand starker Abteilungen, die eine Auf- New York hat nicht nur die Luft-, sondern auch die See- lösung befürchten müssen, gescheitert. Dabei würde die sicherheit eine neue Dimension erhalten. Ob die Kape- Schaffung einer nationalen Küstenwache nicht nur Kos- rung eines Kreuzfahrtschiffs im Hafen von Lübeck, ob ten in Milliardenhöhe senken, sondern auch einen Bei- der Überfall auf einen Chemikalientanker im Nord-Ost- trag zur Entbürokratisierung leisten. see-Kanal, ob eine gewollte Schiffskollision in der Ka- detrinne vor Fehmarn, die jährlich von 60 000 Schiffen Dass jetzt Begehrlichkeiten aus dem Bundesinnenmi- befahren wird, nach dem 11. September 2001 ist nichts nisterium erkennbar werden, die aus gut 100 Booten mehr undenkbar. bestehende Bundesflotte allein zu dirigieren, hat sich Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe selber zuzu- Wir, die Bundesrepublik, sind weder auf Terrorakte schreiben. Hinzu kommt, dass Otto Schily für den Terro- noch auf ökologische Katastrophen vorbereitet. Wir leis- rismus zuständig ist. Doch auch ihm würde der Durch- ten uns ein heilloses Behörden-Durcheinander. Wir ver- griff versagt bleiben. Was in Dänemark, Frankreich, teilen immer noch die Seesicherheits-Kompetenzen auf Italien, Portugal und Spanien schon seit langem prakti- fünf verschiedene Bundesministerien, die Küstenländer ziert wird, ist bei uns nicht möglich: Im Ernstfall können sowie neun Behörden mit 16 Dienststellen. Über 25 Ver- BGS und Bundesmarine nicht direkt angefordert wer- träge, Vereinbarungen und Abkommen gibt es für die den. Kooperation. Seit Jahren lehnt die Bundesregierung einen profes- Wir leisten uns den Luxus, die Bundesmarine, die sionellen Einsatz der Marine in Krisenfällen ab. Diese 24 Stunden rund um die Uhr in Einsatzbereitschaft ist Ausgrenzung gilt es zu ändern. Integration aller Kräfte 8270 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

(A) im Rahmen eines Krisenmanagements muss die Zielset- Auch der Bundesrechnungshof und der Haushaltsaus- (C) zung sein. Einen begrüßenswerten Ansatz für mehr Bun- schuss des Bundestags fordern seit Jahren die Konzen- deskompetenz gibt es bereits bei der Ausweisung der tration aller Seesicherheitsdienste, aus Kosten- wie aus 40 Notliegeplätze bei Havarien. Doch ob es demokrati- Effizienzgründen. Eine parlamentarische Anhörung zur schen Prinzipien entspricht, diese Aufstellung als Ge- Thematik halte ich für geboten. heimpapier unter Verschluss zu halten, muss bezweifelt werden. Die „Pallas“- und „Prestige“-Havarie sollte Grund ge- nug zum Handeln sein. Der 11. September 2001 in New Vor dem Hintergrund der wachsenden terroristischen York hat uns allen die Brutalität des Terrors ausreichend Bedrohung und dem immer noch nicht gelösten Kompe- vor Augen geführt. Mehr Sicherheit, ob auf See oder in tenzwirrwarr zwischen den im Ernstfall zuständigen Mi- der Luft, ist das Gebot der Stunde. nisterien, muss sofort gehandelt werden. Wir brauchen jetzt eine nationale Küstenwache. Nur so können das Dr. Ole Schröder (CDU/CSU): Wer erinnert sich einzigartige Ökosystem von Nord- und Ostsee und das nicht an die Havarien der „Pallas“, der „Erika“ und der Leben der Bevölkerung ausreichend geschützt werden. „Prestige“ und die verheerenden Auswirkungen auf die Zudem schafft eine bundesweite Finanzierung eine ge- Ökosysteme. Wir hoffen alle, dass solche Katastrophen rechtere Lastenverteilung. Jedes Bundesland in Deutsch- in Zukunft ausbleiben. Doch alleine hoffen wird nicht land profitiert von den Meeren und sicheren Seegrenzen. reichen. Ich versichere Ihnen: Der nächste Seeunfall ist Die Kosten werden derzeit hauptsächlich von den Küs- lediglich eine Frage der Zeit. Wer von Ihnen möchte tenländern getragen. dann den Bürgern erklären, dass ein Aufbau effektiver Strukturen zur Sicherung von See und Küsten nicht Was wir brauchen, ist Rechtsklarheit, Organisations- möglich war? Anstelle einer schlagkräftigen einheitli- klarheit und Kompetenzklarheit. chen nationalen Küstenwache leisten wir uns einen Erstens. Die Bundesregierung hat dafür zu sorgen, Kompetenzwirrwarr sondergleichen. dass Eindeutigkeit in der Zuordnung der nationalen Küs- In die tägliche Arbeit sind: BGS, Zoll, Wasser- und tenwache besteht. Wem soll sie unterstehen? Dem Ver- Schifffahrtsverwaltung, Bundesanstalt für Landwirt- kehrsminister, dem Innenminister, oder soll eine eigen- schaft und Ernährung sowie die Marine und die Deut- ständige Behörde eingerichtet werden? sche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger involviert. Zweitens. Die Bundesregierung hat dafür zu sorgen, Parallel dazu erstrecken sich diese Befugnisse im Küs- dass Eindeutigkeit über den Standort einer nationalen tenmeer auf mehrere Landesbehörden. Seit den 50er- Küstenwache geschaffen wird. Die bestehende Küsten- Jahren wird versucht, diese unterschiedlichen Kompe- (B) wache wird derzeit von zwei Standorten aus koordiniert: tenzen durch immer weitere Kooperationsvereinbarun- (D) Neustadt an der Ostsee und Cuxhaven an der Nordsee. gen zu koordinieren. Mittlerweile gibt es 25 Verträge. Das Havariekommando hat seinen Sitz in Cuxhaven. In Das Ergebnis ist ein Nebeneinander von Einheiten und beiden Städten ist fachliche Kompetenz konzentriert, Zuständigkeiten, das mittlerweile selbst von Experten sind die Voraussetzungen für eine zentrale Institution ge- kaum noch überblickt werden kann. geben. 1994 wurde die deutsche Küstenwache gegründet. Sie ist leider auch nur ein Koordinierungsverbund – nicht Drittens. Die Bundesregierung ist aufgefordert, für ei- mehr als eine Verabredung. Daher sind auch die Küsten- nen Rechtsrahmen für die Einfuhrung von BGS und wachzentren in Cuxhaven und Neustadt nach wie vor Bundesmarine zu sorgen. Wir brauchen Klarheit über keine echten Führungszentren. Sie dienen im Alltagsbe- den Umfang der Integration von Bundesmarine und trieb allenfalls der gegenseitigen Tagesinformation über BGS. Aus ideologischen Gründen die Bundesmarine die vorgesehenen Revierfahrten. Eine gemeinsame weiter ins Abseits zu stellen kommt einer Diskriminie- Einsatzplanung gibt es nicht. Das einzig Verbindende rung gleich. zwischen den Einsatzfahrzeugen des Bundes aus den un- Viertens. Die Bundesregierung ist gehalten, baldmög- terschiedlichen Fachressorts ist die Aufschrift „Küsten- lichst für eine Seerechtssicherheit zu sorgen. Dafür gibt wache“. Das letzte Kapitel der unendlichen Koordinie- es zwei Möglichkeiten: eine Änderung des Grundgeset- rungsgeschichte stellt das neue Havariekommando dar. zes oder Staatsverträge zwischen Bund und Ländern. Es soll bei Eintritt eines so genannten „komplexen Scha- Nur wenn der rechtliche Rahmen feststeht, können Ma- densfalls“ die Führung übernehmen. Klare Befehlsstruk- rine und BGS effektiv eingreifen. turen sind nicht geschaffen worden. Wir können von Glück reden, dass das Havariekommando noch nicht in Fünftens. Schließlich ist die Bundesregierung in der einem wirklichen Ernstfall getestet wurde. Verpflichtung, einen zeitlichen Umsetzungsrahmen zu setzen. Die EU konzipiert derzeit an einer Europäischen Wo liegen die Ursachen für die geschilderten Pro- Küstenwache. Unser Beitrag dazu muss sein, wann bleme? Wie ist es zu diesem Kompetenzwirrwarr ge- Brüssel mit einem einheitlichen deutschen Konzept kommen? rechnen kann. Die EU erwartet einen Ansprechpartner. Erstens: Ressortegoismus zwischen den Bundesmi- nisterien. Erst wenn Klarheit über die angesprochenen Punkte herrscht, können wir uns auf den Meeren vor unserer Zweitens: die Kompetenzverteilung zwischen Bund Haustür ein Stück sicherer fühlen. und Land. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8271

(A) Der Bund ist, anders als für den Luftraum, nicht für Allerdings ist der Bundestag nicht der einzige Ort, an (C) die gesamte Gefahrenabwehr auf See zuständig. Daraus dem die Aufstellung einer nationalen Küstenwache ent- folgt diese absurde Aufgabenverteilung: Der Bund ist schieden werden sollte. Vielmehr kann die Föderalis- beispielsweise dafür zuständig, zu kontrollieren, dass die muskommission schneller mit den beteiligten Bundes- Schiffe kein Schweröl verlieren. Sobald dann aber doch ländern zu einer Vereinbarung über die Neuverteilung Schweröl ins Wasser gelangt ist, hat der Bund keine der Aufgaben gelangen. Hier haben wir von Bündnis 90/ Kompetenz mehr. Die Bundesbeamten müssen dann das Die Grünen die Idee einer nationalen Küstenwache be- Umweltministerium des Landes anrufen und höflich da- reits eingebracht. Diese Frage muss in diesem Jahr von rum bitten, ein Schiff vorbeizuschicken. Erklären Sie das der Föderalismuskommission auch entschieden werden. einmal einem Beamten auf See. Die Bündelung der nationalen Vollzugszuständigkei- Beenden wir die gescheiterten Koordinationsversu- ten ist zwar ein wichtiger, aber nicht der einzige Schritt, che. Lassen Sie uns einen wirklichen Neuanfang wagen um Nord- und Ostsee besser vor Umweltkatastrophen zu und die unterschiedlichen Kompetenzen in einer natio- schützen. Denn nicht nur die großen Schiffsunglücke der nalen Küstenwache bündeln. letzten Jahre waren der Grund für massive Verschmut- zungen der See. Auch die alltägliche Schadstoffbelas- Welche Vorteile bringt eine nationale Küstenwache? tung, beispielsweise durch illegale Schiffstankreinigun- gen, muss verringert werden. Dies haben die in den Erstens: Auf aktuelle Gefährdungslagen kann schnel- letzen Tagen im Wattenmeer gefundenen Tausenden von ler reagiert werden. verölten Vögeln abermals bewiesen. Auch hier müssen dauerhafte Strukturen geschaffen werden, um diese Be- Zweitens: Effizienz – durch die Bündelung aller auf lastungen deutlich zu verringern. See eingesetzten Schiffe kann intensiver überwacht wer- den. Deshalb müssen wir zur nachhaltigen Stärkung der Sicherheit auf den Meeren: erstens mehr Gebiete als be- Drittens klare Ansprechpartner: Auch in der Zusam- sonders empfindliche Meeresgebiete – PSSA – auswei- menarbeit mit anderen Ländern ist eine einheitliche Küs- sen, zweitens die Versicherungs- und Haftungssummen tenwache als Ansprechpartner von Vorteil. den tatsächlichen Schadensereignissen anpassen, drit- Dies ist auch für die Kooperationen der nationalen tens eine strengere Hafenstaatenkontrolle einführen und Küstenwache mit der Marine von Vorteil. Wir wollen viertens die internationalen Standards in der Ausbildung nicht wie bei der US-Coastguard einen grundsätzlichen der Seeleute erhöhen. Einsatz der Marine im Inneren. Es ist aber unabdingbar, (B) dass die Marine genauso wie die Luftwaffe bei terroristi- Hans-Michael Goldmann (FDP): Die CDU/CSU, (D) schen Angriffen auf klaren rechtlichen Grundlagen Hilfe um in der Fußballersprache zu bleiben, hat mit ihrem leisten kann. Antrag den richtigen und notwendigen Anstoß gegeben, das Spiel ist jetzt gemeinsam, das heißt fraktions- und Wir brauchen für die notwendige Änderung der aufgabenübergreifend zu gestalten. Jetzt muss „Butter Art. 87 und 89 GG alle Parteien an Bord. Stimmen Sie bei die Fische“. Und als Aufgaben nenne ich: Reform unserem Antrag zu! der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, Havariekom- mando und/oder nationale Küstenwache, Küstenwache Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mit Wasserschutzpolizei und Änderung des Grundgeset- NEN): Auch ich begrüße den Antrag der Opposition zur zes, Port Security – also Sicherheit im Hafen –, Sicher- Einrichtung einer nationalen Küstenwache. Die Bünde- heit aber auch auf den Schiffen usw. lung der derzeit auf Bundes- und Landesebene verteilten Die FDP ist für gründliche Reformschritte. Bereits Überwachungs- und Vollzugsaufgaben ist richtig und zum Jahreswechsel 1992/93 gab es eine interfraktionelle notwendig. Denn eine solche Führungskonzentration er- Initiative im Deutschen Bundestag mit dem Ziel, eine na- leichtert eine schnelle und effektive Reaktion auf tionale Küstenwache zu schaffen. In den letzten elf Jah- Schiffsunfälle, aber auch auf Menschenschmuggel oder ren gab es nicht nur das Pallas-Unglück mit den daraus Zollvergehen. resultierenden 24 Empfehlungen der Grobecker-Kom- mission, die unter anderem die Einrichtung einer natio- Das gemeinsame Havariekommando ist ein erster be- nalen Seewache forderte, sondern auch die Landtage von grüßenswerter Schritt in diese Richtung. Aber er reicht Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern ha- nicht aus. Denn wir haben auch weiterhin ein Nebenei- ben sich für die Einrichtung einer solchen Küstenwache nander von vielfältigen Kompetenzen bei der Seesicher- ausgesprochen und ihre Bereitschaft signalisiert, Länder- heit, der Überwachung, dem Zoll, dem BGS, der Fische- kompetenzen für eine solche Küstenwache an den Bund reiaufsicht sowie dem Seenot- und Rettungsdienst. Die abzugeben. jeweiligen Akteure können im Havariefall gut zusam- menarbeiten, wenn sie untereinander harmonieren. Die Es ist an der Zeit, die notwendigen Schritte zu mehr Strukturen der Zusammenarbeit an sich begünstigen aber maritimer Sicherheit zu gehen. Das Havariekommando nicht zwangsläufig eine gute Kooperation. Deshalb se- reicht nicht. Trotz aller gegenteiligen Versicherungen ist hen auch wir Grünen Handlungsbedarf, um zu einer stär- das Havariekommando nach wie vor auf den guten Wil- keren Konzentration der Vollzugszuständigkeiten zu ge- len aller Beteiligten angewiesen. Gesetzliche Bestim- langen. mungen über die Kompetenzen des Havariekommandos 8272 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

(A) und Regelungen zu Haftungsfragen sind nicht klar. Auch Die Erfahrungen aus den jüngsten Schiffshavarien (C) die Bemühungen, über einen Koordinierungsverbund die auch vor der deutschen Küste und die erhöhte generelle Einsätze der auf See zuständigen Abteilungen der unter- Gefährdung durch terroristische Übergriffe erfordern an- schiedlichen Bundesministerien und der Wasserschutz- gemessene Reaktionen nicht nur im Bereich des Hava- polizeien besser zu verknüpfen, sind nicht überzeugend. riemanagements, sondern auch bei der polizeilichen Ge- fahrenabwehr. Wir brauchen einen ganzheitlichen Lösungsansatz für die Safety- und Security-Probleme der Schifffahrt. Dabei Der derzeit bestehende Koordinierungsverbund Küs- muss auch die Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffs- tenwache hat sich bei der Abwicklung des Alltagsge- verkehrs gewährleistet sein. Eine nationale Küstenwache schäftes als durchaus erfolgreich erwiesen. Die Schiffe kann – bei gewolltem Miteinander – die Chance des effi- und Dienststellen der Wasser- und Schifffahrtsverwal- zienten Küstenschutz bieten, bei dem es im Fall von Un- tung sorgen für sichere Verkehrswege und für die Sicher- fällen nicht erst lange Koordinierungsschwierigkeiten heit und Leichtigkeit des Verkehrs, dabei werden sie von gibt und ein Kompetenzwirrwarr entsteht. Eine effiziente den Zoll- und BGS-Booten bei der Überwachung der Personalverwaltung kann auf diesem Weg ebenso er- Einhaltung der Verkehrsvorschriften unterstützt. Die reicht werden wie ein effizientes Beschaffungswesen, BGS-Boote ihrerseits gewährleisten den grenzpolizeili- Doppelarbeit wird vermieden! chen Schutz, das heißt, sie verhindern das illegale Ein- reisen und bekämpfen organisierte Schlepper- und Unter Einbeziehung bisheriger Aufgaben der Länder Schleuserkriminalität. sichert eine Küstenwache einheitliche Standards für die Schifffahrt und eine faire Lastenteilung; denn von siche- Der Zoll wiederum überwacht den Warenverkehr, vor ren Zufahrtswegen zu See profitieren nicht nur die Küs- allem auf Einhaltung der bestehenden Verbote, und er si- tenländer, sondern alle Länder der Bundesrepublik. chert die Erhebung von Einfuhr- und Ausfuhrabgaben. Doch eine Küstenwache ist leichter gefordert als um- Die Schiffe der Bundesanstalt für Landwirtschaft und gesetzt. Eine nationale Küstenwache greift nämlich Ernährung schließlich kümmern sich um den Fischerei- weitgehend in die Kompetenzen bestehender Ministe- schutz, und die Wasserschutzpolizeien der Länder stellen rien, Ämter und Behörden ein. So ist davon die Wasser- den allgemein-polizeilichen Schutz in den Küstengewäs- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes davon ebenso sern und in den Häfen sicher. betroffen wie zum Beispiel der Bundesgrenzschutz. All dies ist kein „buntes Durcheinander“ und keine Wir brauchen den großen Wurf. Denn sinnvollerweise „unsinnige Zersplitterung“, sondern Ausdruck einer sollten wir zusammen mit der Küstenwache auch die art- komplexen Wirklichkeit an der deutschen Küste mit ho- hen Anforderungen an die unterschiedlichsten Qualifika- (B) verwandten Probleme endlich lösen. Insbesondere muss (D) in diesem Zusammenhang auch die Reform der Wasser- tionen. und Schifffahrtsverwaltung endlich zu einem sinnvollen Und dieser Realität können wir nicht dadurch begeg- Abschluss gebracht werden. Bis zum 1. Juli dieses Jah- nen, indem wir mal eben am Grünen Tisch entscheiden, res müssen wir außerdem den ISPS-Code national umge- derart hoch spezielle und vielfaltige Aufgaben mit teil- setzt haben und auch hier ergeben sich Überschneidun- weise unterschiedlichen Interessen seien ab sofort von gen mit einer nationalen Küstenwache. einer einzigen Behörde in gleicher Qualität und bei glei- cher Akzeptanz zu erledigen. Deshalb sieht die FDP zu diesem Thema noch einen intensiven Beratungsbedarf. Wir sollten im Rahmen der Was sinnvoll ist, wird auch getan: Die Seegehenden Ausschussberatungen unbedingt eine Expertenanhörung Einheiten des Bundes und der Länder haben ihre Aktivi- durchführen. täten miteinander verzahnt und aufeinander abgestimmt, ohne an den bestehenden und bewährten Zuständigkei- Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- ten zu rütteln. Und zur schnellen Reaktion auf alltägliche desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Die Gefahren und Störungen erfolgt zusätzlich der Einsatz Antragsteller fordern die Schaffung einer zentralen na- der übrigen Fahrzeuge der Küstenwache entsprechend tionalen Küstenwache mit umfassenden örtlichen und der jeweiligen Lage. sachlichen Zuständigkeiten zur Gefahrenerforschung Mir sind keine ernst zu nehmenden Klagen über die und zur Gefahrenabwehr auf See. Aufgabenwahrnehmung an der deutschen Küste zu Oh- Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die ren gekommen; wir haben es hier im Gegenteil mit hoch Bundesregierung die Zielrichtung Ihres Antrages unter- motivierten Beamten von ausgesuchter Kompetenz zu stützt. Auch wir sehen vor allem unter dem Eindruck der tun, die bei teilweise schwierigsten Bedingungen tagaus, veränderten Sicherheitslage nach dem 11. September tagein einen prima Job machen. 2001 die Notwendigkeit, alle Einsatzkräfte des Bundes Aber es ist auch völlig unstrittig, dass die Küstenwa- und der Länder im Einsatzfall zu bündeln und unter eine che einer kritischen Überprüfung insbesondere daraufhin schlagkräftige Führung mit kurzen Entscheidungswegen bedarf, was ihre Schlagkraft in einer so genannten Son- zu stellen. derlage angeht. Diese hoffentlich rein theoretischen Mo- mente verdienen unsere ganze Aufmerksamkeit. Ich freue mich aber auch, Ihnen mitteilen zu können, dass wir dieses Ziel mit erheblich weniger Aufwand und Die interministerielle Arbeitsgruppe „Küstenwache – Rummel erreichen werden, als hier vorgeschlagen wird. neu“ unter Leitung des Bundesministeriums des Innern Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004 8273

(A) hat daher Eckpunkte zur Verbesserung der Zusammenar- die Abarbeitung der jeweiligen Aufgaben zu nutzen. (C) beit vereinbart und mit der Erarbeitung von Konzepten Unbestritten ist dabei, dass im Ernstfall das jeweils zu- zur Optimierung der Aufgabenerledigung begonnen; sie ständige Ressort umfassende Kompetenzen und Wei- legt ihr Hauptaugenmerk auf das Management von be- sungsbefugnisse erhält: Bei einer Havarie führt der Ha- sonderen Gefahrensituationen. variekommandant; im Falle einer terroristischen Bedrohung hat selbstverständlich ein Polizist das Sagen. Nach dem heutigen Erkenntnisstand bedarf es zu ei- ner Optimierung der Gefahrenabwehr sowohl im Be- Das in dem Antrag beschriebene Szenario einer terro- reich safety als auch im Bereich security keiner Grund- ristischen Bedrohung wird demgemäß ohne langes Hin gesetzänderung. und Her sofort eine polizeiliche Sonderlage mit entspre- chend straffen Strukturen und Zuständigkeiten auslösen. Die notwendigen Maßnahmen lassen sich im Rahmen Das von Ihnen befürchtete „Kompetenzwirrwarr“ kön- der bestehenden Zuständigkeiten beim Bund und bei den nen Sie zu den Akten legen. Ländern vernünftig, zielführend und vor allem kosten- günstig durch geeignete aufbau- und ablauforganisatori- Eine ständige organisatorische Einbindung der Bun- schen Maßnahmen lösen. desmarine in die Aufgaben der maritimen Sicherheit ist derzeit nicht Gegenstand der Überlegungen. Ebenso we- Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit, den nig haben erste Gedankenspiele über den Ausbau der bestehenden Koordinierungsverbund Küstenwache Europäischen Agentur für Seesicherheit, der EMSA, zu durch eine Bundesküstenwache mit eigener Rechtsper- einer europäischen Küstenwache Auswirkungen auf un- sönlichkeit zu ersetzen. Die Zusammenarbeit der ver- sere Konzepte. Außerdem ist die EMSA gerade erst da- schiedenen Bundes- und Landesbehörden funktioniert bei, ihre generelle Arbeitsfähigkeit herzustellen. und hat sich bewährt. Dies schließt nicht aus, diese Zu- sammenarbeit weiter auszubauen und Optimierungsbe- Der Antrag des Kollegen Börnsen, weiterer Abgeord- darf zu erkennen und entsprechend umzusetzen. Und es neter und der CDU/CSU-Fraktion muss als nicht zielfüh- wird auch geprüft, ob und gegebenfalls wie die bereits rend abgelehnt werden. jetzt gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen dem Koordinierungsverbund Küstenwache und dem Havarie- kommando weiter optimiert werden kann. Anlage 4 Mit dem Havariekommando hat das Bundesmiste- Amtliche Mitteilungen rium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen gemeinsam Der Vermittlungsausschuss hat in seiner 20. Sitzung mit den Küstenländern und unter Beteiligung der an der zu dem vom Deutschen Bundestag am 6. November (B) Küstenwache beteiligten Ressorts eine beispielhafte Or- (D) 2003 beschlossenen ganisation zur Bewältigung von Havarien geschaffen, um die wir im Übrigen in der Europäischen Union benei- – Ersten Gesetz zur Änderung des Verfütterungs- det werden. Sie ermöglicht im Ernstfall – wir nennen das verbotsgesetzes „komplexe Schadenslage“ – unverzüglich schlagkräftige Strukturen, ohne die gelebten und bewährten föderalen das Verfahren ohne Einigungsvorschlag abgeschlossen. Zuständigkeiten und Abläufe im Alltagsbetrieb zu beein- Die Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mit- trächtigen. geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Dieses Prinzip ist uns außerordentlich wichtig. Und es Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der gilt in besonderer Weise für den schifffahrtspolizeilichen nachstehenden Vorlage absieht: Vollzug und die Verkehrslenkung. Die Abwicklung von jährlich circa 160 000 Schiffs- Finanzausschuss bewegungen allein in der Deutschen Bucht ist eine hohe – Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungs- organisatorische Herausforderung. Die hierfür eingerich- hofes teten Strukturen – ich nenne hier einmal an vorderster Bericht nach §§ 99 BHO über die Steuerausfälle bei der Stelle die Verkehrszentralen – sind von weltweit aner- Umsatzsteuer durch Steuerbetrug und Steuervermei- kannter Qualität und der Schifffahrt bestens vertraut. dung – Vorschläge an den Gesetzgeber – Die an der Küstenwache beteiligten Ressorts sind da- – Drucksache 15/1495 – her übereingekommen, die bestehenden Strukturen im Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Alltagsbetrieb möglichst unverändert zu lassen und für mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- die an einem Standort zu konzentrierende neue Küsten- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische wache eine flexible Organisation nach Alltagsbetrieb Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- und Sonderlage, unter Beiziehung der Erfahrungen mit tung abgesehen hat. dem Havariekommando, zu schaffen.

Wir streben an, die in der Seesicherheit tätigen Behör- Auswärtiger Ausschuss den und die Küstenwache unter einem Dach zusammen- Drucksache 15/1547 Nr. 2.3 zuführen und mittels eines gemeinsamen Maritimen La- Drucksache 15/1765 Nr. 2.11 gezentrums die Informationen aller zu bündeln und für Drucksache 15/1765 Nr. 2.15 8274 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. Februar 2004

(A) Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (C) Drucksache 15/1948 Nr. 1.22 Drucksache 15/1948 Nr. 1.17 Drucksache 15/2217 Nr. 2.15 Drucksache 15/2028 Nr. 2.11 Drucksache 15/2217 Nr. 1.2

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Drucksache 15/2104 Nr. 2.9 Drucksache 15/2104 Nr. 1.1 Drucksache 15/2104 Nr. 2.16 Drucksache 15/2104 Nr. 1.3 Drucksache 15/2104 Nr. 2.17 Drucksache 15/2104 Nr. 2.15 Drucksache 15/2104 Nr. 2.18 Drucksache 15/2104 Nr. 2.24 Drucksache 15/2104 Nr. 2.26 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Drucksache 15/2217 Nr. 1.5 Reaktorsicherheit Drucksache 15/2217 Nr. 2.4 Drucksache 15/2217 Nr. 2.10 Drucksache 15/1547 Nr. 2.127 Drucksache 15/2217 Nr. 2.18 Drucksache 15/1948 Nr. 1.20 Drucksache 15/2217 Nr. 2.24 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Verbraucherschutz, Drucksache 15/2217 Nr. 2.20 Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 15/2373 Nr. 2.30 Drucksache 15/2217 Nr. 1.6 Drucksache 15/2217 Nr. 2.7 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Drucksache 15/2217 Nr. 2.8 Union Drucksache 15/2217 Nr. 2.12 Drucksache 15/1613 Nr. 1.6 Drucksache 15/2217 Nr. 2.22 Drucksache 15/2104 Nr. 2.23 Drucksache 15/2217 Nr. 2.26 Drucksache 15/2217 Nr. 2.13 Drucksache 15/2217 Nr. 2.30 Drucksache 15/2217 Nr. 2.16

(B) (D)

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