DAS MMÄDCHENHEIMÄDCHENHEIM F FULDATALULDATAL

LANDELANDESWOHLFAHRTSVERBANDSWOHLFAHRTSVERBAND HESSENHESSEN 02 IMPRESSUM

IMPRESSUM

Herausgeber Gestaltung Landeswohlfahrtsverband Hessen Heiko Horn Öffentlichkeitsarbeit Ständeplatz 6-10 Abbildungen 34117 LWV Öffentlichkeitsarbeit, Archiv des LWV Hessen, Vitos Kurhessen Text Prof. Dr. Christina Vanja Druck Druckerei des LWV Hessen Redaktion Elke Bockhorst Stand Rose-Marie von Krauss Juni 2012

INHALT 03

BREITENAU, EIN HISTORISCHER ORT 4

WAS WAR HEIMERZIEHUNG 5

DAS MÄDCHENHEIM FULDATAL IN GUXHAGEN 7

AUFKLÄRUNG UND HILFE FÜR EHEMALIGE HEIMKINDER 9

GEDENKEN UND SOZIALES ENGAGEMENT - BREITENAU HEUTE 10

CHRONIK 11 04

BREITENAU, EIN HISTORISCHER ORT

Die Geschichte des Ortes Breitenau umfasst fast zentrationslager zur Inhaftierung von Regime­ 900 Jahre. Am Anfang stand die Gründung eines gegnern (1933/34) und nach Kriegsbeginn als Benediktinerklosters im Jahre 1113. Von diesem Straf- und KZ-Durchgangslager der Gestapo sind nur noch das Kirchengebäude, eine Zehnt­ Kassel für ausländische Zwangsarbeiter und scheune, ein Torturm sowie Reste des Klausurge­ deutsche Gefangene (unter denen sich auch bäudes und große Teile der Klostermauer erhal­ Juden befanden) genutzt. Bei der Befreiung 1945 ten. Das Kloster wurde 1527 im Zuge der Refor­ internierten die Alliierten an diesem Ort ehemali­ mation aufgelöst. Die hessischen Landgrafen als ge Nationalsozialisten. Das Arbeitshaus wurde neue Eigentümer verwendeten die Gebäude bis 1949 aufgelöst. Zu dieser Zeit befanden sich noch zum 19. Jahrhundert für unterschiedliche profane sehr unterschiedliche Gruppen, insbesondere Zwecke. Nachdem Hessen 1866 Teil des Königrei­ zivile Kriegsopfer und Flüchtlinge, in Breitenau. ches Preußen geworden war, erhielt der Bezirks­ 1952 richtete der Kommunalverband Kassel im kommunalverband Kassel, ein Rechtsvorgänger Mittelschiff des Kirchengebäudes ein Mädchenju­ des Landeswohlfahrtsverbandes (LWV) Hessen, gendheim ein. Dieses wurde 1953 vom neu die Anlage: Er richtete in Breitenau 1874 ein gegründeten LWV übernommen und bestand bis Arbeitshaus, eine „Korrektionsanstalt“ für straf­ 1973. In diesem Jahr endete die Geschichte von fällig gewordene Männer und Frauen ein. Hierzu Breitenau als geschlossenem Ort. wurde die Kirche halbiert: Neben dem verkleiner­ Heute befinden sich auf dem Gelände zwei offe­ ten Gottesdienstraum befinden sich die heute ne Einrichtungen von Vitos Kurhessen. Sie bieten leerstehenden Anstaltsräume. psychisch kranken Menschen vielfältige Hilfen In der Zeit des Nationalsozialismus wurden zum Leben in der Gesellschaft an. einzelne Gebäude zusätzlich für ein frühes Kon­ 05

WAS WAR HEIMERZIEHUNG?

Nach der deutschen Reichsgründung von 1871 erziehung als Kasernierung fort. Im Gegensatz wurden erste Fürsorgeerziehungsanstalten zur Hitlerjugend galten Fürsorgezöglinge als eröffnet. Die inzwischen anerkannte Bedeutung „minderwertig“, wurden zwangssterilisiert oder der Pädagogik als gesellschaftliche Aufgabe, die sogar im Rahmen der NS-„Euthanasie“ ermordet. Sorge um negative Auswirkungen von Industriali­ Ab 1940 wurden Konzentrationslager für Jugend­ sierung und Urbanisierung auf junge Menschen liche in Moringen und Uckermark eingerichtet; und schließlich das bevormundende viele Mädchen und Jungen fanden hier den Tod. (paternalistische) Selbstverständnis des Wilhel­ Mit dem Ende des nationalsozialistischen Re­ minischen Kaiserreichs waren Hintergrund für gimes nahmen diese Bedrohungen ein Ende. diese Gründungen. Der obrigkeitliche Fürsorge­ staat nahm bereits mit dem Fürsorgeerziehungs­ RIGIDE ERZIEHUNGSGRUNDSÄTZE gesetz von 1900 kriminelle Jugendliche und „Gefährdete“ in den Blick. Die soziale Vorsorge richtete sich auf Kinder und In den ersten Nachkriegsjahren galt es zunächst, Jugendliche aus den gesellschaftlichen Unter­ Not zu lindern. Viele junge Menschen hatten ihre schichten, auch nach dem Ersten Weltkrieg. Der Eltern verloren und waren heimatlos. Mit der neue Wohlfahrtsstaat der Weimarer Republik Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 behielt mit dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz setzte eine neue Phase der Heimerziehung ein. von 1924 nicht nur die herkömmlichen Einrich­ Die Verantwortlichen, darunter viele Gegner des tungen bei, sondern erweiterte das Spektrum Nazi-Regimes, knüpften an die Jahre der Weima­ noch um „Psychopathenheime“ für Jungen und rer Republik an. Es galt, von wenigen Änderungen Mädchen mit „Verhaltensauffälligkeiten“. Damit abgesehen, das Jugendwohlfahrtsgesetz von folgte die Heimerziehung dem damals modernen, 1924. Pädagogisch dominierten moralische aber äußerst unpräzisen psychiatrischen Konzept Ansprüche, welche die rigiden Erziehungsgrund­ der Entstehung von „Soziopathen“ durch negati­ sätze der Jahre vor 1933 noch steigerten. Dabei ves Erbgut und Erziehungsmängel. Nicht berück­ sichtigt wurde die anhaltende Kritik an Jugend­ heimen, die bereits 1910 einsetzt hatte. Unter anderem wurde die Heimerziehung in dem Thea­ terstück „Jungen in Not“ von Peter Martin Lampel 1928 kritisiert.

FACHLICHE KONZEPTE FEHLTEN

Die Vorwürfe waren berechtigt, da der Fürsorge­ erziehung (im Unterschied zu Privatinternaten) fachliche Konzepte und ausgebildete Pädagogen von Anfang an fehlten. Die Jugendheime folgten vielmehr dem allgemeinen Typus der „Anstalt“: Sie lagen abseits auf dem Lande, waren mehr oder weniger geschlossen und streng reglemen­ tiert, ließen keinerlei individuelle Entwicklung bei den jungen Menschen zu und erzogen zur Arbeit durch landwirtschaftliche und handwerkliche Beschäftigungen, die nichts mit der städtischen Herkunft der „Zöglinge“ zu tun hatten.

Der nationalsozialistische Staat führte die Heim­ 06

wurde insbesondere die religiöse Ausrichtung der des „Wirtschaftswunders“ gerieten die abseits Heimerziehung verstärkt. Die Mehrzahl der gelegenen, strukturell unterfinanzierten und Heime befand sich nun in konfessioneller Träger­ selten von pädagogischen Fachkräften betreuten schaft, während öffentliche Einrichtungen nicht Erziehungsheime immer stärker in diesen Gegen­ selten zu „Endstationen“ für „Schwererziehbare“ satz. Wirkliche Hilfe zur Integration leistete die degradiert wurden. Ganz offensichtlich war die Heimerziehung selten. Zwar bemühten sich die Gesellschaft der frühen Bundesrepublik gespal­ zuständigen Träger und einzelne Heimleiter um ten. Es ist auffallend, dass Jugendämter und Verbesserungen, z. B. durch Einführung neuer Vormundschaftsgerichte in erster Linie junge Ausbildungsberufe außerhalb landwirtschaftli­ Menschen in Heime einwiesen, die aus unvoll­ cher und handwerklicher Beschäftigung. Da man ständigen und sozial diskriminierten Familien jedoch am Typus der autoritären Heimerziehung stammten. Vor allem alleinerziehende Müttern trotz der in der Gesellschaft fortschreitenden galten als „sittlich ungefestigt“. Ihnen sprachen Demokratisierungsprozesse festhielt, blieben die auch Gemeindevertreter (Fürsorgerinnen, Lehrer, Reformen ohne Konsequenz. Es bedurfte der Polizisten) und Nachbarn die Erziehungskompe­ neuen, studentisch geprägten Jugendbewegung tenz ab. Aber auch die alleinerziehenden Eltern des Jahres 1968 um die umstrittenen Erziehungs­ fühlten sich isoliert und beantragten immer methoden zu beenden. Die Einrichtungen wur­ häufiger von sich aus die „Freiwillige Erziehungs­ den in den Folgejahren aufgelöst oder grundsätz­ hilfe“. Zu Beginn der 1960er Jahre erreichte die lich umgestaltet. Damit war die an vielen Orten Heimerziehung zur gesellschaftlichen Entwick­ lange Tradition „totaler Institutionen“ abgebro­ lung die größte Diskrepanz. Vor allem in der Zeit chen. 07

DAS MÄDCHENHEIM FULDATAL

Der LWV Hessen wurde im Jahre 1953 gegründet. unmodische Kleidung zu tragen, fort und endete Seine Träger sind die Kreise und kreisfreien Städ­ mit völligem Kontaktverbot zu Freunden und te in Hessen. Ein eigenes Parlament bestimmt die gegebenenfalls zu den Vätern ihrer Kinder. Frei­ Sozialpolitik, die er für das ganze Bundesland zeitbeschäftigungen, Radio- und Fernsehpro­ Hessen leistet. Dem LWV wurden von der hessi­ gramme - über alles bestimmte die Heimleiterin. schen Landesregierung die Fürsorgeerziehung Ab Mitte der 1960er Jahre wurden Schwangere und die freiwillige Erziehungshilfe übertragen. und junge Mütter mit Kindern aufgenommen, Als überörtlicher Träger der Erziehungshilfe wies allerdings lebten nun Mutter und Kind zusam­ er Kinder und Jugendliche einzelnen Heimen zu. men in Unfreiheit. In eigener Trägerschaft leitete er ursprünglich neun, später sechs öffentliche Jugendheime mit Fuldatal war im Unterschied zu anderen Jugend­ unterschiedlichen Aufgaben. heimen ein komplett geschlossenes Heim. Die Bei der Gründung des LWV Hessen bestand das völlige Isolation wurde pädagogisch begründet: Mädchenheim Fuldatal in Guxhagen bereits seit Die Mädchen sollten den schädlichen Einflüssen einem Jahr. Es hatte die Aufgabe, aus der Schule ihrer Familien und ihres früheren Lebensumfel­ entlassene Mädchen zwischen 14 und 21 Jahren des entzogen werden. Das Heim war für sie die zu erziehen. Die angeblich „aufsässigen“, von „letzte Chance“, sich als „gemeinschaftsfähig“ zu „sexueller Verwahrlosung“ bedrohten Mädchen erweisen. Die immer wieder dokumentierten kamen aus verschiedenen Gegenden der Bundes­ Entweichungen führten in der Regel nicht in die republik und aus Berlin. Freiheit. Entweder meldeten die Erziehungsbe­ rechtigten die heimgekehrten Mädchen beim Jugendamt, das sie erneut einwies; oder sie KAUM ÖFFENTLICHE FÖRDERUNG versuchten sich z. B. durch Prostitution zu ernäh­ ren, um bald von der Polizei aufgegriffen und mit In zweifacher Hinsicht nahm das Heim eine dem Polizeiwagen nach Breitenau gefahren zu besonders schlechte Position ein: Mädchen und werden. junge Frauen erfuhren im Rahmen des Heimer­ Der Heimaufenthalt in Guxhagen war für viele ziehungskonzepts der frühen Bundesrepublik Mädchen entsprechend ein Schock. Die Grenzen kaum eine öffentliche Förderung. Sie sollten im der Bewegungsfreiheit setzten nicht allein die Rahmen rigide gezogener Geschlechtergrenzen Mauern um das ehemalige Kloster, die Mädchen Ehefrauen und Mütter werden. Deshalb erhielten wurden auch im Haus bzw. nachts in den Schlaf­ sie weder einen guten Schulunterricht noch eine räumen eingesperrt. Bei Verstößen gegen die qualifizierte und zeitgemäße Berufsausbildung. Hausordnung konnten Vergünstigungen gestri­ Die rund 150 Mädchen in Breitenau leisteten chen oder Arresttage angeordnet werden. Als entweder einfachste Hilfsarbeiten in der Land­ Arresträume dienten die ehemaligen Zellen des wirtschaft sowie in gewerblichen Betrieben oder Arbeitshauses. Alle Versuche, die Mädchen durch erlernten hauswirtschaftliche Fertigkeiten. Zur hausinterne Feiern und Freizeitbeschäftigungen Weiterbildung wurden Berufsschullehrerinnen in für das Heimleben zu gewinnen, mussten am das Haus geholt; somit entfiel der Besuch öffent­ geschlossenen Ort letztlich scheitern. Dass auch licher Bildungseinrichtungen. In den 1960er die erwachsenen Frauen durch ihre „Heim­ Jahren kamen einfache Tätigkeiten für die Indust­ karriere“ stigmatisiert blieben, verwundert kaum. rie dazu. Die jungen Frauen waren weder im Hinblick auf die Altersrente sozial versichert noch DAS SOZIALE KONZEPT SCHEITERTE erwarben sie in der Regel einen regulären und zukunftsträchtigen Berufsabschluss. Besonders streng war für Mädchen zugleich die Überwa­ Dabei hatte der LWV mit einer eigenen Broschüre chung ihrer Sexualität. Dies begann mit einer 1956 noch für seine Jugendhilfe geworben. Ju­ demütigenden ärztlichen Untersuchung bei gendheime sollten gerade keine Gefängnisse ‚Aufnahme ins Heim, setzte sich im Zwang, sein, die jungen Menschen nicht ausgegrenzt, 08

sondern in die Gesellschaft integriert werden. im November 1969 und verfasste eine kritische Dass dieses soziale Konzept in Breitenau schei­ Radioreportage für den Hessischen Rundfunk. Vor tern musste, hatte auch spezifische Gründe. Ort war bereits zuvor ein Wissenschaftler aus dem Baulich war das alte Kloster zur Unterbringung Marburger Institut für Sonderschulpädagogik, der eines modernes Jugendheimes völlig ungeeignet; sich mit dem Thema Legasthenie befasste. Er fand die Spuren der Vergangenheit als Korrektionsan­ in Gesprächen mit den Mädchen und jungen stalt und Lager waren deutlich sichtbar. Hinzu Frauen in Guxhagen heraus, dass diese nicht kam eine den Ansprüchen moderner Jugendhilfe gefördert und gebildet, sondern in ihrer Entwick­ nicht gewachsene Heimleiterin. Sie brachte für lung negativ beeinflusst wurden. Seine Ergebnisse die zweifellos schwierige Arbeit mit fast erwach­ wurden nicht nur an der Universität, sondern auch senen jungen Frauen nur Kenntnisse als gelernte bei der Presse bekannt. Schließlich solidarisierten Fürsorgerin ein. Pädagogisch und psychologisch sich Schülerinnen und Schüler aus Melsungen mit ausgebildete Mitarbeiterinnen standen ihr an­ den gleichaltrigen Mädchen im Heim. fangs nicht zu Seite. Die Einstellung qualifizierten Das Mädchenheim Fuldatal wurde am 31.12.1973 Personals strebte der LWV zwar frühzeitig an, aufgegeben. Der öffentliche Protest und die tief­ hatte jedoch nicht die Mittel, dieses Ziel zu reali­ greifende Infragestellung der Einrichtung führten sieren. So blieb es in allen Jugendheimen des zu einer schnell absinkenden Belegung (von 1968 Verbandes zunächst bei internen Fortbildungs­ bis 1972 von 138 auf 30). Durch die zunehmende kursen. Minderauslastung und die Einstellung zusätzli­ Die Journalistin Ulrike Meinhof, die später zum chen qualifizierten Personals erhöhte sich der engeren Kreis der RAF gehören sollte, engagierte Pflegesatz von 22,00 auf 50,00 DM. Die Einrich­ sich besonders für sozial benachteiligte und tung trug sich auch ökonomisch nicht mehr. ausgegrenzte Mädchen; sie besuchte Breitenau

PROTEST GEGEN ERZIEHUNGSMETHODEN: Demonstration vor dem Mädchenheim 09

AUFKLÄRUNG UND HILFE FÜR EHEMALIGE HEIMKINDER

In der Zeit von 1949 bis 1975 lebten in der Bun­ den 50er und 60er Jahren“ ein. Seine Aufgabe war desrepublik Deutschland zwischen 700.000 und eine erste Analyse der Geschehnisse in der Heim­ 800.000 Kinder und Jugendliche in Heimen. Ihre erziehung unter den damaligen rechtlichen, Schicksale waren jedoch bis zur Jahrtausendwen­ pädagogischen und sozialen Bedingungen. Unter de weitgehend vergessen. Seit 2004 gingen dem Vorsitz von Dr. Antje Vollmer, der ehemali­ zunächst einzelne Petitionen, dann eine Sammel­ gen Bundestagsvizepräsidentin, trafen sich zwei petition ehemaliger Heimkinder beim Deutschen Jahre lang Vertreter der Heimkinder, des Bundes­ Bundestag ein. Wenig später bildete sich ein tages, des Bundes und der Länder, der Jugendäm­ Verein, der Entschädigungsleistungen forderte. ter sowie staatlicher, kirchlicher und nicht kon­ Anlass für die Klagen waren zunächst Versor­ fessioneller Träger von Erziehungsheimen; hinzu­ gungslücken der heute über 50-Jährigen bei der gezogen wurden Fachleute von Jugendinstituten Altersrente wegen nicht gezahlter Sozialversiche­ und Wissenschaftler. Ende 2010 legte der Runde rungsbeiträge. Die negativen Kindheitserlebnisse Tisch einen Abschlussbericht vor, der im Internet und der Heimaufenthalt hatten dauerhafte abgerufen werden kann. körperliche und psychische Schäden zur Folge. Nicht wenige ehemalige Heimkinder blieben FINANZIELLE HILFEN auch im Erwachsenenalter traumatisiert. Bereits 2004 hat der LWV ehemalige Heimkinder, die in den Jahren 1953 - 1975 in seinen Einrich­ In der Folge wurden zum 1. Januar 2012 in allen tungen betreut wurden, zu einer ersten Ausspra­ Bundesländern Beratungsstellen eingerichtet. che in das Sozialpädagogische Zentrum Kalmen­ Mit ihrer Hilfe erhalten die Betroffenen dann eine hof nach Idstein eingeladen. Bei diesem Treffen finanzielle Unterstützung, wenn dauerhafte wurde auch der „Verein ehemalige Heimkinder“ Beeinträchtigungen (Traumatisierungen und gegründet. Vor allem das Buch des Spiegel-Autors andere Folgeschäden) bestehen oder eine Minde­ Peter Wensierski, „Schläge im Namen des Herrn“, rung von Rentenansprüchen durch fehlende mit der eindrücklichen Darstellung von Einzel­ Sozialversicherungsbeiträge vorliegt. In den schicksalen machte den Heimskandal 2006 einer Fonds „Heimerziehung West“ haben Bund, Län­ breiten Öffentlichkeit bekannt. der und Kirchen eingezahlt. Das Archiv des LWV Hessen verfügt über umfang­ reiche Aktenbestände zur Erziehungshilfe und zu DER LWV ENTSCHULDIGT SICH den einzelnen Heimen, auch zum Mädchenheim Fuldatal in Guxhagen. Das Archiv hilft den ehe­ Der LWV Hessen war einer der ersten, der sich bei maligen Heimkindern bei ihrer Suche nach Doku­ den ehemaligen Heimkindern entschuldigte. Am menten; Mitarbeiter des LWV begleiten diese 9. Juni 2006 veranstaltete er mit dem Nachrich­ Archivbenutzer auf Wunsch bei ihrer vielfach tenmagazin Der Spiegel und der Internationalen schmerzhaften Lebensrückschau. Im Sommer Gesellschaft für erzieherische Hilfen im Kalmen­ 2011 hat der LWV ein umfangreiches For­ hof die Tagung „Aus der Geschichte lernen - die schungsprojekt an Wissenschaftlerinnen der Heimerziehung in der 50er und 60er Jahren, die Universität Kassel in Kooperation mit der Kunst­ Heimkampagne und die Heimreform“. Auf dieser hochschule Kassel vergeben. Im Zentrum der Veranstaltung wurde erstmals die Forderung Studie stehen eine breite und komplexe Akten­ nach Einrichtung eines „Runden Tisches Heimer­ analyse sowie Interviews mit Zeitzeuginnen und ziehung“, in Berlin erhoben. Inzwischen erkann­ Zeitzeugen. Die Ergebnisse des Projekts werden ten der Bundestag und zahlreiche ehemalige in einer Wanderausstellung visualisiert, die im Heimträger das erlittene Unrecht und Leid, das Ständehaus in Kassel eröffnet und dann zur Kindern und Jugendlichen in Erziehungsheimen Öffentlichkeitsarbeit und an Bildungseinrichtun­ widerfahren war. Auf Empfehlung aller Fraktio­ gen verliehen wird. nen richtete der Deutsche Bundestag Ende 2008 in Berlin einen „Runden Tisch Heimerziehung in 10

GEDENKEN UND SOZIALES ENGAGEMENT - BREITENAU HEUTE

Der Standort Breitenau, der Jahrhunderte hin­ Die Gedenkstätte Breitenau, eine Gründung der durch ein überwiegend geschlossener Raum war, Universität Kassel, leistet wichtige historisch- ist heute Teil der Gesellschaft. politische Bildungsarbeit, auch mit Unterstüt­ zung des LWV Hessen. Täglich führen pädagogi­ Bis zu 37 Menschen leben in zwei Wohngruppen sche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor allem der Vitos begleitenden psychiatrischen Dienste junge Menschen im Rahmen außerschulischen auf dem Gelände, es sind Männer und Frauen mit Lernens in die Geschichte des Nationalsozialis­ dauerhaften psychischen Erkrankungen. Die mus ein. Am historischen Ort erfahren sie, welche gemeinnützige Gesellschaft Vitos Kurhessen, ein Konsequenzen die Menschenfeindlichkeit des Unternehmen des LWV Hessen, biete ihnen eine Regimes für seine Opfer hatte. Eine von Stephan Lebensraum und Unterstützung im Alltag. Es gibt von Borstel künstlerisch gestaltete Ausstellung, Angebote der Arbeits- und Beschäftigungsthera­ Führungen durch das Gelände und Möglichkeiten pie, einen Kulturtreff und ein Bewohnercafé. zur Arbeit mit historischen Dokumenten ermögli­ Vitos Rehabilitation für psychisch kranke Men­ chen einen nachdenklichen Rückblick und eine schen Guxhagen unterstützt überwiegend junge Reflexion über die Gestaltung der heutigen De­ Männer und Frauen, die persönlich und beruflich mokratie. Die evangelische Kirchengemeinde wieder Fuß fassen wollen. Die Mitarbeiterinnen nutzt den abgetrennten östlichen Teil der ehema­ und Mitarbeiter beraten zu allen Lebensberei­ ligen Klosterkirche in den Sommermonaten für chen, organisieren und begleiten berufliche Gottesdienste. Praktika. Während der Zeit der Rehabilitation können sie in Breitenau wohnen oder auch am­ bulant begleitet werden. 11

CHRONIK

1113 Gründung des Benediktinerklosters Breitenau 1527 Auflösung des Konventes, profane Nutzung 1870/71 Gefangenenlager für französische Soldaten 1874 Einrichtung der Korrektionsanstalt Breitenau 1877 zusätzlich Einrichtung der Landarmenanstalt Breitenau 1933/34 Frühes Konzentrationslager für politische Gegner 1940 Arbeitserziehungs- und Konzentrationssammellager für ausländische Zwangs­ arbeiter und deutsche Gefangene der Geheimen Staatspolizei Kassel 1945 Beschlagnahme durch die amerikanische Besatzungsmacht, Internierung von Nationalsozialisten; zugleich Versorgung von heimatlosen Jugendlichen, alten Leuten, Fürsorgezöglingen und geschlechtskranken Frauen 1949 Auflösung der Korrektionsanstalt durch die amerikanische Militärregierung 1952 Einrichtung des Landeserziehungsheims Fuldatal für Mädchen 1953 Übernahme durch den Landeswohlfahrtsverband Hessen 1969 Proteste gegen die Heimerziehung in Breitenau 1973 Auflösung des Mädchenjugendheimes 1974 Nutzung als Außenstelle des Psychiatrischen Krankenhauses Haina 1981 Außenstelle des Psychiatrischen Krankenhauses Merxhausen 1984 Einrichtung der Gedenkstätte Breitenau 1995-2009 Wohn- und Pflegeheim für Menschen mit seelischer Behinderung Seit 2009 Vitos begleitende psychiatrische Dienste Kurhessen Seit 2000 Vitos Rehabilitation für psychisch kranke Menschen Guxhagen

Weitere Informationen finden Sie unter: www.rundertisch-heimerziehung.de www.lwv-hessen.de www.vitos-kurhessen.de www.gedenkstaette-breitenau.de

DerDer LandeswohlfahrtsverbandLandeswohlfahrtsverband HessenHessen istist einein ZusammenschlussZusammenschluss derder Landkreise undLandkreise kreisfreien und Städte, kreisfreien dem Städte, soziale demAufgaben soziale übertragen Aufgaben wurden.übertragen wurden.

 Er Er unterstütztunterstützt behinderte,behinderte, psychipsychisschch krankekranke undund sozialsozial benachteiligtebenachteiligte MenschenMenschen inin ihremihrem AlltagAlltag undund imim Beruf.Beruf.  Er Er betreutbetreut Kriegsbeschädigte,Kriegsbeschädigte, derenderen AngehörigeAngehörige undund Hinterbliebene.Hinterbliebene.  Er Er istist TrägerTräger vonvon FörderschulenFörderschulen undund Frühförderstellen.Frühförderstellen.  Er Er istist AlleingesellschafterAlleingesellschafter derder VitosVitos GmbH,GmbH, didiee eineneinen wesentlichenwesentlichen TeTeilil derder psychiatrischenpsychiatrischen VersorgungVersorgung in Hessen sicherstellt. www.lwv-hessen.dewww.lwv-hessen.de