Protokoll-Nr. 19/101

19. Wahlperiode Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Wortprotokoll der 101. Sitzung

Ausschuss für Wirtschaft und Energie Berlin, den 13. Januar 2021, 11:10 Uhr 10557 Berlin, Paul-Löbe-Allee 2 Paul-Löbe-Haus, Europasaal 4.900

Vorsitz: , MdB

Tagesordnung - Öffentliche Anhörung

Tagesordnungspunkt 1 Seite 4

Gesetzentwurf der Abgeordneten , Federführend: Ausschuss für Wirtschaft und Energie , Thomas L. Kemmerich, weiterer Mitberatend: Abgeordneter und der Fraktion der FDP Auswärtiger Ausschuss Entwurf eines Gesetzes zum umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) vom 30. Oktober 2016 zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten andererseits BT-Drucksache 19/14783

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Mitglieder des Ausschusses* Ordentliche Mitglieder Stellvertretende Mitglieder CDU/CSU Bleser, Peter Dött, Marie-Luise Durz, Hansjörg Grundmann, Oliver Grotelüschen, Astrid Holmeier, Karl Hauptmann, Mark Kemmer, Ronja Heider, Dr. Matthias Körber, Carsten Helfrich, Mark Kruse, Rüdiger Knoerig, Axel Linnemann, Dr. Carsten Koeppen, Jens Mattfeldt, Andreas Lämmel, Andreas G. Möring, Karsten Lenz, Dr. Andreas Nicolaisen, Petra Loos, Bernhard Nüßlein, Dr. Georg Metzler, Jan Pols, Eckhard Müller (Braunschweig), Carsten Ramsauer, Dr. Peter Pfeiffer, Dr. Joachim Schweiger, Torsten Rouenhoff, Stefan Steier, Andreas Stein (Rostock), Peter Stetten, Christian Frhr. von Willsch, Klaus-Peter Vries, Kees de SPD Freese, Ulrich Bartol, Sören Gremmels, Timon Jurk, Thomas Junge, Frank Kapschack, Ralf Katzmarek, Gabriele Miersch, Dr. Matthias Mohrs, Falko Raabe, Dr. Sascha Poschmann, Sabine Scheer, Dr. Nina Rimkus, Andreas Schmidt, Uwe Saathoff, Johann Stamm-Fibich, Martina Töns, Markus Thews, Michael Westphal, Bernd Weingarten, Dr. Joe AfD Chrupalla, Tino Bernhard, Marc Heßenkemper, Dr. Heiko Espendiller, Dr. Michael Holm, Leif-Erik Hollnagel, Dr. Bruno Komning, Enrico Kraft, Dr. Rainer Kotré, Steffen Sichert, Martin Müller, Hansjörg Spaniel, Dr. Dirk FDP Houben, Reinhard Bauer, Nicole Klinge, Dr. Marcel Dassler, Britta Katharina Neumann, Dr. Martin Kulitz, Alexander Todtenhausen, Manfred Reinhold, Hagen Ullrich, Gerald Solms, Dr. Hermann Otto Weeser, Sandra Theurer, Michael ______*Die unterschriebene Anwesenheitsliste sowie die Liste der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Video-/Telefonkon- ferenz werden dem Originalprotokoll beigelegt und sind während der laufenden und der darauf folgenden Wahlperi- ode im Sekretariat des Ausschusses für Wirtschaft und Energie und danach im Archiv des Deutschen Bundestages ein- sehbar.

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DIE LINKE. Beutin, Lorenz Gösta Dağdelen, Sevim Ernst, Klaus De Masi, Fabio Lutze, Thomas Riexinger, Bernd Meiser, Pascal Tatti, Jessica Ulrich, Alexander Wagenknecht, Dr. Sahra BÜNDNIS 90/DIE Dröge, Katharina Badum, Lisa GRÜNEN Janecek, Dieter Baerbock, Annalena Müller, Claudia Bayaz, Dr. Danyal Nestle, Dr. Ingrid Kotting-Uhl, Sylvia Verlinden, Dr. Julia Krischer, Oliver

Sachverständigenliste:

Prof. Gabriel Felbermayr, Ph.D. Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel)

Rupert Schlegelmilch Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission (EU-KOM)

Wolfgang Niedermark Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI)

Prof. Dr. Franz C. Mayer, LL.M. Universität Bielefeld

Alexander Bercht Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE)

Sigmar Gabriel Bundesminister a.D. Atlantik-Brücke e.V.

Thomas Fritz Freier Autor

Prof. Dr. Markus Krajewski Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU Erlangen-Nürnberg)

______*Die unterschriebene Anwesenheitsliste sowie die Liste der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Video-/Telefon- konferenz werden dem Originalprotokoll beigelegt und sind während der laufenden und der darauf folgenden Wahlperiode im Sekretariat des Ausschusses für Wirtschaft und Energie und danach im Archiv des Deutschen Bun- destages einsehbar.

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Tagesordnungspunkt 1 schaft Bergbau, Chemie, Energie per Videokonfe- renz. Herr Bercht? Gesetzentwurf der Abgeordneten Sandra Weeser, Reinhard Houben, Thomas L. Kemmerich, SV Alexander Bercht (IG BCE): Ich kann Sie weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP hören.

Entwurf eines Gesetzes zum umfassenden Der Vorsitzende: Wunderbar, haut auch hin. Dann Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) vom Sigmar Gabriel. Sigmar, kannst du uns auch 30. Oktober 2016 zwischen Kanada einerseits hören? und der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten andererseits SV Sigmar Gabriel, Bundesminister a.D. (Atlan- tik-Brücke e.V.): Ja, klar und deutlich. BT-Drucksache 19/14783 Der Vorsitzende: Wunderbar, passt auch. Dann haben wir Thomas Fritz. Thomas Fritz ist auch Der Vorsitzende: Ich begrüße ich Sie alle recht anwesend, Dankeschön. Und dann haben wir Pro- herzlich hier im Saal zu unserer Anhörung, auch fessor Dr. Markus Krajewksi von der Universität die Kolleginnen und Kollegen, die uns zugeschal- Erlangen-Nürnberg. Sie können uns auch hören? tet sind per Video. Zunächst bitte ich die Teilneh- mer, die uns zugeschaltet sind, ihre Technik auf SV Prof. Dr. Markus Krajewski (FAU Erlangen- stumm zu schalten, damit wir hier keine Nebenge- Nürnberg): Ja, guten Morgen, Grüßgott nach Ber- räusche haben. Unserer Anhörung liegt zugrunde lin. der Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zum Ent- wurf eines Gesetzes zum umfassenden Wirt- Der Vorsitzende: Okay, super. Dann haben wir das schafts- und Handelsabkommen (CETA) vom technisch gut gelöst und alles funktioniert bis da- 30. Oktober 2016 zwischen Kanada einerseits und hin. Dann begrüße ich des Weiteren natürlich die der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaa- Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses für ten andererseits, BT-Drucksache 19/14783. Ich be- Wirtschaft und Energie, die ja heute diese Anhö- grüße im Einzelnen unsere Sachverständigen. Das rung mitgestalten. Ich begrüße die Anwesenden, sind Herr Professor Felbermayr, ich hoffe, Sie selbstverständlich auch die, die uns zugeschaltet können uns hören. Geben Sie mir bitte eine kurze sind. Ich begrüße die Kolleginnen und Kollegen Rückmeldung, dass ich weiß, ob das alles funktio- von anderen Ausschüssen, die uns zusehen. Ich niert, Herr Felbermayr? begrüße von der Bundesregierung Herrn Parla- mentarischen Staatssekretär Wanderwitz, der uns SV Prof. Gabriel Felbermayr (IfW Kiel): Ja, ich ebenfalls per Videokonferenz zugeschaltet ist und kann Sie hören. Guten Tag, Herr Ernst. die Fachbeamten des BMWi, die ebenfalls der An- hörung folgen. Ich begrüße die Vertreter der Län- Der Vorsitzende: Wunderbar, Dankeschön. Dann der, die Vertreter der Medien und nicht zuletzt Herrn Rupert Schlegelmilch, Generaldirektion die Gäste, die der Anhörung über die Mediathek Handel der Europäischen Kommission (EU-KOM). des Deutschen Bundestages ebenfalls folgen kön- nen. So, jetzt kommen wir zum Ablauf. Da gibt es SV Rupert Schlegelmilch (EU-KOM): Ja, ich kann noch einige Erläuterungen zu geben: Wir haben Sie hören. Dankeschön. zwei Stunden Zeit und wir sind darauf angewie- sen, dass sich sowohl die fragenden Abgeordne- Der Vorsitzende: Wunderbar, funktioniert auch. ten, als auch die Sachverständigen möglichst kurz Dann haben wir Wolfgang Niedermark, der ist hier fassen. Die Fraktionen sind übereingekommen, im Saal. Willkommen, Herr Niedermark. Dann dass wir pro Wortmeldung eine maximale Rede- Professor Dr. Franz Mayer, auch anwesend, zeit insgesamt von vier Minuten für Frage und dankeschön, von der Universität Bielefeld. Dann Antwort vorsehen und die müssten auch eingehal- haben wir Alexander Bercht, Industriegewerk- ten werden, sonst müsste ich sodann geschäfts- führend eingreifen. Je kürzer die Frage, umso

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mehr Zeit steht für die Antwort zur Verfügung. ren Mitgliedstaaten sind teilweise auch noch da- Auch diese Bemerkung möchte ich noch machen. mit beschäftigt, die nötigen Vorbereitungen zu Noch einen Hinweis an die Kollegen, die die treffen. Wir haben also jetzt keinen direkten Frage stellen: Ich bitte Sie, zu Beginn jeweils den Punkt, wo wir sagen könnten, mit dem Tag wird Namen des Sachverständigen nennen, an den sich dort und dort die Entscheidung fallen. Vielleicht Ihre Frage richtet. Und ich möchte noch darauf noch auch ein Wort auch zu der schwierigen Situ- hinweisen, dass wir keine Eingangsstatements der ation auf Zypern, das haben Sie wahrscheinlich Sachverständigen vorgesehen haben, dazu reicht auch mitbekommen. Dort ist auch noch fraglich, auch die Zeit nicht. Ich verweise auf die schriftli- wie der Zeitplan weitergeht, nachdem es dort chen Stellungnahmen der Sachverständigen, die auch Stellungnahmen im Parlament gab. Also das als Ausschussdrucksachen verteilt worden sind. ist natürlich keine befriedigende Antwort, aber so Zu der Anhörung wird ein Wortprotokoll erstellt. sieht es leider aus. Zur Erleichterung derjenigen, die das Protokoll er- stellen, werde ich, nachdem ein Abgeordneter den Der Vorsitzende: Danke. Als nächstes fragt Herr Sachverständigen um eine Antwort bittet, den je- Westphal von der SPD, bitte. weils nochmal aufrufen, damit auch das Protokoll weiß, wer jetzt spricht. So, das waren meine Hin- Abg. (SPD): Vielen Dank, Herr weise. Und damit können wir mit unserer Anhö- Vorsitzender. Vielen Dank an die Damen und Her- rung beginnen. Als erstes spricht Herr Rouenhoff ren Sachverständigen, dass Sie uns zur Verfügung für die CDU/CSU-Fraktion. stehen. Ich habe eine Frage an Professor Mayer. Und zwar: Gibt es weitere Freihandelsabkommen, Abg. (CDU/CSU): Vielen Dank, die beim Bundesverfassungsgericht anstehen zur Herr Vorsitzender. Erlauben Sie mir zwei, drei Entscheidung? Können Sie da Aussagen zu ma- doch einleitende Worte. CETA ist ein sehr inten- chen? Gibt es rechtliche Rahmenbedingungen, die siv diskutiertes Abkommen. Ich bin froh, dass es das Parlament, sage ich mal, auffordern, jetzt gelungen ist, das Abkommen vorläufig zu ratifizie- zügig und zeitnah zu entscheiden oder gibt es da ren. Und jetzt geht es darum, den weiteren Weg eher eine politische Motivation? Und vielleicht aufzuzeichnen und das wollen wir heute diskutie- auch nochmal was die Ratifizierung angeht für ren. Ich möchte zunächst eine Frage stellen an den Zeitplan, was würden Sie da empfehlen, ob Rupert Schlegelmilch in Brüssel. Und zwar sieht wir auf die Entscheidung des Bundesverfassungs- es ja derzeit so aus, dass insgesamt 15 Mitglied- gerichts warten sollen? Vielen Dank. staaten CETA bereits ratifiziert haben. Weitere 12 Staaten stehen noch aus bei der Ratifikation. Der Vorsitzende: Herr Mayer, bitte. Ich würde ganz gerne einen Überblick bekommen was Sie, Herr Schlegelmilch, einschätzen, wie der SV Prof. Dr. Franz C. Mayer (Universität Biele- zeitliche Rahmen in den nächsten Monaten und feld): Ja, ganz herzlichen Dank, Herr Vorsitzender. Jahren sein wird und wo gegebenenfalls dann Herr Abgeordneter, vielen Dank für die Frage und auch Deutschland stehen wird am Ende der Ratifi- vielen Dank für die Einladung hier in den Aus- kation. schuss. Vielleicht stelle ich einfach im Zusam- menhang kurz dar, wie die Lage ist. Es gibt in der Der Vorsitzende: Herr Schlegelmilch, bitte. Tat eine Reihe von Verfahren, die Freihandelsab- kommen betreffen, die beim Bundesverfassungs- SV Rupert Schlegelmilch (EU-KOM): Ja, herzli- gericht noch anhängig sind. Die betreffen überwie- chen Dank. Es ist natürlich immer schwierig, über gend CETA, aber tatsächlich ist auch noch ein die Zeitpläne der anderen Parlamente zu spre- weiteres Freihandelsabkommen, das mit Singa- chen. Vielleicht so viel: Wir hatten eine Ratifizie- pur, beim Bundesverfassungsgericht anhängig. rung in den Niederlanden in Aussicht und mög- Anhängig sind auf der einen Seite seit 2016 4 Ver- licherweise auch in Frankreich - scheint sich zu fassungsbeschwerden, die jeweils zum Teil von verschieben. Dort wird sehr intensiv diskutiert. einer ganz großen Zahl von Beschwerdeführern Aber ich habe jetzt keine festen Daten. Die ande- getragen werden. Das sind kampagnenartige Ver- fassungsbeschwerden. 70 000 hat die eine,

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125 000 – erhoben durch „Mehr Demokratie“ – wurde also die Verfassungsbeschwerde schon die andere. Dann gibt es noch zwei weitere, unter vom Bundesverfassungsgericht beendet. Lassen anderem auch erhoben von den Abgeordneten der Sie mich jedenfalls deutlich sagen: in keinem an- Bundestagsfraktion DIE LINKE.. Ferner gibt es deren Mitgliedstaat gibt es eine derartig intensive zwei Organstreitverfahren, die beide von der Bun- gerichtliche Befassung. Der Kampagnencharakter desfraktion DIE LINKE. getragen werden. Das der Klagen und die politische Überinstrumentali- Bundesverfassungsgericht hat im Oktober und De- sierung des Bundesverfassungsgerichts sind nicht zember 2016 bereits zwei Eilentscheidungen erlas- unproblematisch. Dass die Bundesregierung vor sen, in denen deutlich wurde, dass es, was die Eil- der Ratifikationsgesetzgebung die CETA-Entschei- frage angeht, Beschwerdeführern und Antragstel- dung des Bundesverfassungsgerichts, vielleicht lern nicht folgen wollte. Im Oktober 2020, also vor auch die Entscheidung zu Singapur, abwarten knapp drei Monaten, hat der Zweite Senat des will, halte ich für nicht zu beanstanden. Dazu, wa- Bundesverfassungsgerichts eine mündliche Ver- rum das so ist, kann ich gerne vielleicht in der handlung zum Teilaspekt der parlamentarischen nächsten Fragerunde dann ausführen. Vielen Beteiligung der Entscheidung über die vorläufige Dank. Anwendung von CETA abgehalten. Das ist eine der beiden Organstreitigkeiten, der andere, Der Vorsitzende: Danke. Als nächstes Herr Müller, zweite Organstreit aus 2016, 2 BvE 4/16, Fraktion bitte, AfD. DIE LINKE.. Das Ziel ist hier die Feststellung, dass man 2016 eigentlich hätte ein Gesetz machen sol- Abg. Hansjörg Müller (AfD): Ja, Grüßgott zusam- len, ein deutsches Zustimmungsgesetz zur vorläu- men. Ich habe eine Frage an Herrn Gabriel, weil er figen Anwendung des europäischen Teils des uns als Einziger keinen schriftlichen Bericht ge- CETA. Es wird ja nur der europäische Teil des schickt hat. Und zwar, die Frage besteht aus CETA vorläufig angewendet. Ich halte das für drei Teilen. Teil Nummer 1: Sie vertreten ja hier rechtlich fernliegend und das schien mir auch die die Atlantikbrücke, sehe ich richtig, dass Sie für Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in der CETA sind? Weil CETA ja ein sehr cleveres Instru- mündlichen Verhandlung zu sein. Das wird aber ment ist, das zu Recht gescheiterte TTIP über den wohl als nächstes entschieden werden, darauf Umweg Kanada hier durch die Hintertür einzu- wird man achten müssen. Wir haben aktuell, was führen. Schätze ich Sie da richtig ein in Ihrer Po- diese CETA-Verfahren angeht, zur Hauptsache- sition? Das ist Frage Teil A. Frage Teil B, das Terminierung bisher überhaupt keine Hinweise GATT hat man 45 Jahre lang oder über 45 Jahre darauf, wann die Verfahren fortgesetzt werden. Es lang auch nur vorläufig angewendet, dann ist die ist sogar nicht auszuschließen, dass der Europäi- Frage Teil B, warum wird jetzt auf einmal ge- sche Gerichtshof vom Bundesverfassungsgericht drängt, CETA zu ratifizieren? Also vollkommen zu noch im Wege der Vorlageentscheidung befasst ratifizieren? Das kann man ja auch über 45 Jahre wird, was weitere Verzögerung bedeuten könnte. lang vorläufig anwenden, wie man das mit GATT Es gibt da einen Hintergrund mit dem Gutachten gemacht hat? Und Frage Teil 3: Es gibt in CETA, des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Freihan- sollte es ratifiziert werden, einen gemischten Aus- delsabkommen Singapur, wo manche eine ge- schuss, der weitreichende Vollmachten hat, rück- wisse Divergenz zu dem sehen, was das Bundes- wirkend auch wieder durch so eine Art Hintertür, verfassungsgericht 2016 ausgeführt hat, wozu man Regelungen zu ändern, die vorher eigentlich an- möglicherweise im Wege der Vorlage die Klärung ders ratifiziert worden waren. Wie beurteilen Sie herbeiführen könnte. Nun, das Freihandelsabkom- das vom Standpunkt der Rechtssicherheit aus? men Singapur, ein EU-only-Abkommen, ist auch Dankeschön. in Karlsruhe anhängig, das war ja die Eingangs- frage. Es ist wieder eine Massenverfassungsbe- Der Vorsitzende: Danke, Herr Gabriel, bitte. Mit schwerde, auch wieder eingelegt von „Mehr De- der Bitte, ich hoffe Sie sehen die Uhr auch auf mokratie“. Es sind in Teilen ähnliche Vorwürfe dem Video? erhoben. Da ist nach Eilrechtschutz Ende 2019 eine der Beschwerdeführerinnen, die auch bei SV Sigmar Gabriel, Bundesminister a.D. (Atlan- CETA dabei war, schon abgewiesen worden. Da tik-Brücke e.V.): Nee.

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für relativ abstrus gehalten habe. Zweitens, natür- Der Vorsitzende: Genau, das habe ich mir nämlich lich können Sie internationale Abkommen längere gedacht. Ich würde dann bitten, dass Sie vielleicht Zeit vorläufig in Kraft setzen. Die Frage ist, ob es selbst ein bisschen gucken. Und ich würde dann politisch klug ist. Wer sich die Welt derzeit an- klingeln, 10 Sekunden bevor die Redezeit abgelau- schaut, wird ja feststellen, dass sich seit den Ver- fen ist. Jetzt haben Sie aber ein bisschen mehr, handlungen mit CETA einiges getan hat, ob man weil ich dazwischen gebabbelt habe. wirklich Europa daran hindern will, wenigstens mit einem Land wie Kanada ein Freihandelsab- SV Sigmar Gabriel, Bundesminister a.D. (Atlan- kommen zu verabschieden. Kanada ist nach mei- tik-Brücke e.V.): Herr Vorsitzender, Sie scheinen ner Einschätzung europäischer als mancher euro- ja eine gewisse Voreingenommenheit meinen Re- päischer Mitgliedstaat, deswegen muss man sich debeiträgen gegenüber zu haben. fragen, ob man das politisch wirklich für richtig hält und wie eigentlich das Signal ist, wenn aus- Der Vorsitzende: Das ist die langjährige Erfahrung gerechnet Deutschland, das Land ist, dass das auf- aus dem , Sigmar. halten will. Damals gab es neben Deutschland nur ein einziges Land, das Widerstand geleistet hat, SV Sigmar Gabriel, Bundesminister a.D. (Atlan- und zwar in der Teilregion Wallonie in Belgien tik-Brücke e.V.): Ja, vielen Dank. Darauf will ich und der Widerstand hatte nur etwas damit zu tun, auch verweisen. Ich habe deshalb keine schriftli- dass die Regionalregierung der Zentralregierung che Stellungnahme abgegeben, weil die Ihnen vor- eines auswischen wollte. liegt. Und zwar das Sitzungsprotokoll vom 20. Ok- tober 2016. Dort habe ich damals in meiner Eigen- Der Vorsitzende: Sie sind schon deutlich drüber. schaft als Bundeswirtschaftsminister Stellung be- Als nächstes … ja ich höre ihm auch gerne zu, zogen zu der Frage der vorläufigen Inkraftsetzung schon jahrelang. und dem Abkommen. Und dort können Sie meine Positionen nachlesen, an denen hat sich nichts ge- SV Sigmar Gabriel, Bundesminister a.D. (Atlan- ändert. Zu Frage 1: Ich bin nicht für das Abkom- tik-Brücke e.V.): …der gemeinsame Ausschuss men, weil ich glaube, dass es ein Umweg für TTIP kann keine Rechtsetzungen verändern. Das kön- ist, im Gegenteil. In den Verhandlungen mit den nen nur die jeweiligen Rechtsetzungsgremien tun, Vereinigten Staaten zu TTIP, die ja etwa zeitgleich nicht der Ausschuss … mit CETA nicht stattgefunden, aber begonnen wurden, haben uns die Vereinigten Staaten deut- Der Vorsitzende: Die Eingangsbemerkung war, lich gemacht, dass sie das, was am Ende mit Ka- glaube ich, durchaus berechtigt, was die Zeit an- nada erreicht wurde, auf keinen Fall akzeptieren geht. Jetzt spricht als nächstes der Kollege Loos würden. Das Abkommen mit Kanada sei ihnen zu von der CDU/CSU. progressiv, insbesondere mit Blick auf ILO-Kern- arbeitsnormen, mit dem Thema Standards, mit Abg. (CDU/CSU): Ich muss das dem Thema Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit. Mikrofon herführen. Ich hoffe, ich werde verstan- Die Vereinigten Staaten haben diese Idee abge- den. Ich hätte eine Frage an den Herrn Wolfgang lehnt. Wenn Sie darauf abzielen, ob sozusagen Niedermark vom BDI. Wie bewertet der BDI die über das Abkommen mit Kanada sozusagen dann Regelungen zum Investitionsschutz? amerikanische Unternehmen, die in Kanada be- heimatet sind, darüber Vorteile in Europa hätten, Der Vorsitzende: Herr Niedermark, bitte. das können amerikanische Unternehmen schon seit vielen, vielen Jahrzehnten, wenn sie es woll- SV Wolfgang Niedermark (BDI): Vielen Dank, ten. Und zwar überall dort, wo Deutschland bila- Herr Loos, für die Frage. Wir halten das für ein terale immer noch geltende Freihandelsabkom- ganz zentrales Element eines modernen Handels- men hat oder die EU welche hat. Die Amerikaner abkommens. Ich glaube, es wäre Eulen nach sind in diesen Ländern in der Regel mit ihren Un- Athen zu tragen, Ihnen hier unsere Haltung noch- ternehmen auch vertreten. Insofern ist das eine mal zu erläutern, warum wir grundsätzlich dafür der Verschwörungstheorien, die ich schon immer sind, dass wir mit Handelsabkommen gerade als

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Deutschland, aber auch für Europa, eine positive sagt, Sie waren als Wirtschaftsminister maßgeb- Mitgestaltung der Globalisierung hier anstreben lich mit daran beteiligt, CETA zustande zu brin- und nicht nur auf „Teufel-komm-raus“ den Han- gen und deswegen würde ich ganz gerne Ihre Ein- del auszuweiten. Natürlich wollen wir auch schätzung nochmal dazu hören, dass jetzt 5 Jahre Wachstumsimpulse setzen, aber wir wollen eben später noch keine Ratifizierung stattgefunden hat. geopolitisch auch mitgestalten. Und da ist Investi- Aber auch, welche Bedeutung CETA für die inter- tionsschutz ein wesentliches Modernisierungs- nationale Handelspolitik hat. Welche Signale da- instrument solcher Abkommen. Das halten wir von ausgehen, dass ein so europäisch geprägtes hier bei CETA für eine wichtige Neuerung, die Land wie Kanada nach wie vor kein Handelsab- dann erstmalig auch so in dieser Form käme, kommen mit uns abschließen konnte und schadet wenn das auch ratifiziert wird. Wir halten das es uns nicht auch als EU glaubwürdig zu sein als Ganze in der Tat auch für einen politischen und Vertragspartner? Dankeschön. weniger rechtlichen Prozess. Herr Professor Mayer hat das ja in seiner Kernthese auch gesagt. Es gibt Der Vorsitzende: Herr Gabriel, bitte. eine Menge rechtliche Fragen, aber es ist ein poli- tischer Prozess. Und dass der jetzt wieder angesto- SV Sigmar Gabriel, Bundesminister a.D. (Atlan- ßen wird, Herr Gabriel hat es auch angedeutet, die tik-Brücke e. V.): Ja, vielen Dank. Ich muss zuerst Welt hat sich verändert seit 2016, seitdem das Ab- eine Sache korrigieren. Ich habe CETA nicht ver- kommen auf dem Tisch liegt. Wir brauchen mehr handelt, sondern als ich ins Amt kam, war der Gestaltung. Wir sehen, dass in anderen Regionen Verhandlungsprozess der EU-Kommission mit Ka- der Welt, insbesondere China, ja auch sehr aktiv nada bereits abgeschlossen. Da es dann aber er- mitgestaltet wird und wir nicht die Einzigen sind, hebliche Kritik gab, einige der Themen kennen die diese Ambitionen haben. Investitionsschutz Sie, und es einen glücklichen Umstand gab, näm- ist ein wesentliches Element. Es ist übrigens auch lich, dass in Kanada Neuwahlen stattgefunden nicht so, dass Investitionsschutz nur da besonders hatten und dort ein Premier war, der, sag ich mal, wichtig wäre, wo wir es mit rechtlich schwierigen den europäischen Argumenten oder Kritiken auf- Partnern in Schwellenländern, Entwicklungslän- geschlossen gegenüber war, ist es mir gelungen, dern zu tun hätten. Nach unserer Zählung ist ca. den Verhandlungsprozess nochmal zu öffnen und ein Drittel der Fälle, die auch bei Auseinanderset- zusätzliche Erklärungen und Präzisierungen zungen mit ausländischen Investoren im Ausland durchzusetzen, die ja durchaus von erheblicher anhängig sind, sind mit Industrieländern. Also Reichweite waren. Das war eines der Probleme, auch selbst mit so einem, Herr Gabriel hat es ge- dass das Abkommen, das merken Sie ja auch jetzt, sagt, sehr europäisch verfassten Land wie Kanada, als gemischtes Abkommen gestartet wird, aber am kann es natürlich Schwierigkeiten geben und Mei- Ende haben die Mitgliedstaaten dann eben nur die nungsverschiedenheiten. Und deswegen brauchen Möglichkeit, im Prinzip ja oder nein zu sagen, wir da auch den Investitionsschutz. Der aber in aber nicht selbst zu verhandeln. Zu Ihrer Frage, einer Form gestaltet ist, die den aktuellen Anfor- ich verstehe, dass die Bundesregierung und der derungen genügt und ja auch vom Europäischen Bundestag die Beschlüsse des Bundesverfassungs- Gerichtshof ganz explizit auch schon bezeichnet gerichts abwarten wollen. In meiner Erinnerung wurde als „mit europäischem Recht im Einklang“. ist es allerdings so, dass man, um dem Respekt Wenn wir also den Investitionsschutz als ein we- vor dem Verfassungsgericht nachzukommen, dort sentliches Element hier betrachten, dann ist das auch fragen kann, ob das Verfassungsgericht es ein Fortschritt, was wir bei CETA sehen, den wir als, sagen wir mal, Provokation empfinden würde, sehr begrüßen. wenn man die Entscheidung vorher trifft oder ob das Verfassungsgericht letztlich damit einverstan- Der Vorsitzende: Danke. Frau Weeser bitte, FDP. den wäre. Das kann man informell klären, wie ich höre, wäre sowas möglich. In der Sache selber ist Abge. Sandra Weeser (FDP): Vielen Dank. Meine es in der Tat so, dass, Sie müssen sich das mal Frage richtet sich ebenfalls an Sigmar Gabriel. Lie- vorstellen, wir diskutieren in Europa eine gemein- ber Herr Gabriel, Sie haben ja eben auch schon ge- same Außen- und Sicherheitspolitik und sind

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dann nicht mal in der Lage, in 5 Jahren ein ausge- Diskussion auch in Zypern. Das ist teilweise amü- handeltes Abkommen mit Kanada in Kraft zu set- sant, natürlich auch, wenn man dort mitbekommt, zen. Aus meiner Sicht ist das ein erheblicher poli- dass das Parlament gestolpert ist über die Frage tischer Widerspruch zwischen Anspruch und rea- der geographischen Herkunftsbezeichnungen, len Möglichkeiten und das wird in der Welt wahr- Schutzmechanismen für Halloumi, die fehlen. genommen und deswegen gilt Europa als, sagen Und wir haben dann natürlich eine sehr intensive wir mal, reich aber politisch letztlich unbedeu- Diskussion in den Niederlanden, wo es tatsäch- tend und nicht handlungsfähig. lich große Widerstände auch gibt aus dem Parla- ment gegen die vollständige Ratifizierung von Der Vorsitzende: Danke. Als nächstes der Kollege CETA. Und diese Argumente dort in der dortigen Meiser von den LINKEN. Diskussion beziehen sich in der Tat auf die soge- nannten Investor-Staat-Schiedsverfahren, die in Abg. (DIE LINKE.): Vielen Dank, CETA umgetauft worden sind in Investitions- Herr Vorsitzender. Meine Frage richtet sich an schiedsgerichtshof oder Investitionsgerichtshof. Herrn Fritz. Und zwar, wird ja auch immer wieder Und de facto handelt es sich bei diesem Mecha- heute behauptet, dass die Ablehnung von dem In- nismus nach wie vor, trotz aller Änderungen, die vestitionsschutzabkommen, jetzt auch mal von in CETA gegenüber traditionellen Verfahren ein- CETA, ein spezifisches deutsches Problem sei. geführt worden sind, immer noch um ein Sonder- Deswegen möchte ich jetzt nochmal an Sie die klagerecht für eine ganz spezifische Gruppe von Frage richten, als Kenner der europäischen Lage, Akteuren, nämlich ausländische Investoren. Die- wie Ihre Einschätzung zum Stand der Ratifizie- ses Klagerecht haben keine inländischen Akteure, rung insgesamt in der Europäischen Union in an- weder Investoren noch andere betroffene Grup- deren Mitgliedstaaten ist und insbesondere auch, pen, die auch betroffen sein können von ausländi- wie Sie die Diskussion da in den Niederlanden schen Investitionen. Es ist insofern natürlich nach bewerten, wo ja auch die Erste Kammer die Ratifi- wie vor eine Diskriminierung inländischer Ak- zierung abgelehnt hat? Vielen Dank. teure, die hier mit einem solchem Investor-Staat- Schiedsverfahren stattfindet. Dieses Verfahren Der Vorsitzende: Danke, Herr Fritz bitte. verstößt insofern natürlich auch gegen den Gleich- heitsgrundsatz der Europäischen Menschenrechts- SV Thomas Fritz (Freier Autor): Ja, vielen Dank konvention und er ist nach wie vor vollkommen für die Frage. Es gibt zurzeit in der Europäischen überflüssig zwischen der Europäischen Union Union durchaus einige Wackelkandidaten, wenn und Kanada wegen funktionierender Justizsys- man sich die Diskussion in denjenigen Ländern teme und es kommt des Weiteren hinzu, dass die anschaut, die noch nicht die vollständige Ratifi- reine Existenz eines solchen Mechanismus natür- zierung bzw. nationale Ratifizierung vollzogen ha- lich die Qualität der Justizsysteme der Europäi- ben. Das ist traditionell Belgien, auch aufgrund schen Union und Kanadas grundsätzlich in Zwei- der internen Struktur mit den verschiedenen Re- fel zieht. Wenn man tatsächlich der Meinung ist, gionalparlamenten, die dort Mitspracherecht ha- dass diese Justizsysteme defizitär sind, hätte man ben, und hier wäre ich durchaus optimistisch aus diese Defizite im Vorfeld benennen müssen, das meiner Perspektive, dass die vollständige Ratifi- ist nicht erfolgt, und dann hätte man natürlich in zierung zu Fall gebracht werden könnte. Wir ha- erster Linie die nationalen Justizsysteme auch ver- ben die ausstehende Diskussion in Deutschland bessern, reformieren, können. Das wäre eigentlich noch, die sich ja noch zuspitzen wird, wenn dann der empfehlenswerte Weg gewesen. Das ist nicht irgendwann das Vertragsgesetz dann auch tatsäch- geschehen. Insofern ist das Investor-Staat-Verfah- lich noch von der Bundesregierung vorgelegt ren in CETA nach wie vor ein Atavismus, ein Re- wird. Wir haben eine sehr intensive Diskussion in likt aus einer Zeit, von der man gehofft hätte, sie Frankreich, auch vor dem Hintergrund, dass das wäre lange vorüber und darüber können auch die Pariser Klimaschutzabkommen nicht in dem Ab- Veränderungen, die es jetzt in CETA gibt, gegen- kommen verankert worden ist, obwohl es vor der über den herkömmlichen Verfahren nicht hinweg- vorläufigen Inkraftsetzung von CETA schon ratifi- täuschen. ziert worden war. Wir haben eine sehr intensive

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Der Vorsitzende: Herzlichen Dank. Frau Dröge trale Problem des Investitionsschutzes sind von den GRÜNEN bitte. eigentlich die Standards, an denen da etwas ge- messen werden soll und das ist sozusagen das, Abge. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE was wir juristisch eben das materielle Recht nen- GRÜNEN): Ja, vielen Dank, Herr Vorsitzender. nen und da sind letztlich die gleichen Standards, Meine Frage richtet sich an Professor Markus die in den klassischen bilateralen Investitions- Krajewski. Herr Krajewski, schön, dass Sie da schutzabkommen stehen, die stehen in CETA na- sind. Wir müssen den CETA-Vertragstext ja in der türlich auch drin, die sind dort etwas präzisiert Sache bewerten und eines der Elemente, das am worden, das folgt einer Tendenz, die wir auch in kontroversesten diskutiert wurde, war ja das In- anderen Investitionsschutzabkommen kennen, vestor-Staat-Schiedsverfahren, ICS, auf das Herr aber die Kernelemente, nämlich Schutz an Ent- Fritz auch gerade eingegangen ist und meine Bitte schädigung auch bei indirekten Enteignungen, das wäre einfach an Sie, zu bewerten, wie sind aus Ih- ist ja etwas, was wir verfassungsrechtlich so auch rer Sicht die Regelungen gestaltet? Wo sehen Sie nicht kennen, aber da gibt es eben auch Entschä- Probleme und wo ist das ICS-System vielleicht digungen und dann eben auch Entschädigungen, auch eine Fortentwicklung? wenn eben der Standard der billigen und gerech- ten Behandlung „fair and equitable treatment“ Der Vorsitzende: Herr Krajewski bitte. verletzt wird. Die werden, wie gesagt, weiter kon- kretisiert und da kann man auch sagen, dass ist si- SV Prof. Dr. Markus Krajewski (FAU Erlangen- cherlich ein Stück weit eingeschränkt, aber es gibt Nürnberg): Ja, vielen Dank, Frau Dröge, vielen nach wie vor Baustellen, es wird nach wie vor Be- Dank Herr Vorsitzender, herzlichen Dank auch für zug genommen, auch auf legitime Erwartungen die Einladung. Es tut mir leid, dass ich aus be- der Investorinnen und Investoren an einigen Stel- kannten Gründen auch nicht in Berlin sein kann. len. Es wird gesagt, wenn das ganze eben unver- Ich glaube, wenn wir den Investitionsschutz, das hältnismäßig ist, dann kann es eben doch viel- Kapitel zum Investiionsschutz in CETA bewerten, leicht im Einzelfall eine indirekte Enteignung müssen wir zwei oder vielleicht drei Sachen dis- sein. Also das ist eigentlich der zentrale Punkt. kutieren. Das Eine ist die institutionelle Verände- Und dann, das ist der Dritte, ich sehe die Uhr rung des Streitschlichtungsmechanismus, also das auch nicht, ich hoffe, ich habe vielleicht noch wird ja oft in der politischen Diskussion genannt, 30 Sekunden. Es wird dann ja immer gesagt, jetzt dass die klassischen ad hoc Schiedsgerichte auf steht Ihnen CETA ja aber dieser besondere Schutz der einen Seite, so wie Deutschland sie auch in des „Right to regulate“, des staatlichen Regulie- vielen bilateralen Investitionsschutzabkommen rungsrechts, wenn wir uns da die Formulierung noch drin hat und eben in CETA ist das, was Herr aber genau angucken, dann muss man sagen, die Fritz eben auch schon gesagt hat, dieses Investi- hat letztlich rechtlich gar keinen Wert, denn na- tionsgerichtshofsystem, wenn man so möchte, die türlich behalten die Staaten das Recht zu regulie- Neuerfindung der Europäischen Kommission. Das ren, das kann ihnen ein Abkommen natürlich ist das Eine. Und wenn wir darauf schauen, muss auch nicht nehmen. Die Frage ist ja, wie sie Dinge man fairerweise sagen, da gibt es natürlich eine regulieren und wenn man eben, wir haben das ja ganze Reihe von Fortschritten. Das, was an Kritik beim Atomausstieg sehr gut gesehen oder werden an diesen alten Systemen geäußert wurde, dass das noch sehen, dass da eben durchaus ein Bun- das sozusagen nicht transparent ist, dass da die desverfassungsgericht zu einer ganz anderen Be- Schiedsrichter ausgewählt werden ad hoc, dass es wertung kommen kann, als ein internationales da keine sozusagen Einflüsse der Vertragsparteien Schiedsgericht, und ich vermute mal - das ist üb- gibt. Das ist in diesem neuen System alles verbes- rigens eine wunderbare Kameraeinstellung für die sert worden. Also da, glaube ich, kann man schon Expertinnen/Experten, wenn ich das mal ganz sagen, dass es ein Schritt in die richtige Richtung kurz der Regie sagen darf -, dass natürlich ein In- ist, aber, und das wäre mein Hauptargument, das vestitionsschiedsgericht im Rahmen des CETA ist eigentlich gar nicht das zentrale Problem im- sich an den Präzedenzfällen eben der klassischen mer gewesen, auch wenn das in den öffentlichen Schiedsgerichte orientieren wird und damit kann Diskussionen oft so rübergekommen ist. Das zen- ich mit einer Punktlandung enden.

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Der Vorsitzende: Dankeschön. Herr Töns von der Druck nochmal geöffnet worden. Ein wichtiger SPD bitte. Teil, der da eine Rolle gespielt hat, war dann auch das ganze Thema ILO-Kernarbeitsnorm, Ratifizie- Abg. Markus Töns (SPD): Ja, vielen Dank auch rung und die Frage des schon angesprochenen In- nochmal von meiner Seite. Meine Frage richtet vestitionsschutzes. Mit Blick auf die ILO-Kernar- sich an Alexander Bercht. Es ist jetzt viel darüber beitsnorm muss man feststellen, dass Kanada sich geredet worden, dass CETA einfach ein Vertrag ist bereit erklärt hat, die ILO-Kernarbeitsnorm kom- zwischen zwei Organisationen, wie der Europäi- plett zu ratifizieren, das auch mittlerweile getan schen Union und einem Staat, der Europa sehr hat, bereits in 2016 das Übereinkommen 138 zum nahe steht, wie Kanada und dass es ein weitrei- Mindestalter und im Jahr 2017 das Übereinkom- chendes und auch wegweisendes Handelsabkom- men 98 zu Vereinigungsrecht und das Recht auf men ist. Meine Frage geht in diese Richtung, Kollektivverhandlung, insofern hat da diese Rati- CETA ist ja seit September 2017 vorläufig in Kraft. fizierung und diese Zusage stattgefunden und das Die Frage ist, welche Erfahrungen haben Beschäf- sehen wir natürlich als eine positive Entwicklung tigte der von Ihnen vertretenden Branchen bisher im Rahmen dieses Abkommens. Was man gegebe- mit dem Abkommen? Welche Entwicklungen se- nenfalls noch zur Weiterentwicklung des Abkom- hen Sie, insbesondere bei der wirtschaftlichen Zu- mens sagen muss, was natürlich ein Punkt ist, der sammenarbeit mit Kanada, aber auch, und das ist zu kritisieren wäre, dass wir natürlich viele Be- eine ganz zentrale Frage bei den Sozialstandards, kenntnisse haben zum Schutz auch von Arbeits- hierzu? Vielen Dank. rechtstandards und Arbeitsschutzmaßnahmen. Das findet im Wesentlichen im nicht sanktionsbe- Der Vorsitzende: Herr Bercht bitte. werten Teil statt, was ein Punkt wäre, der mit Blick auf die Verbesserung dieses und anderer Ab- SV Alexander Bercht (IG BCE): Vielen Dank für kommen sicherlich ein Thema wäre, auf das wir die Einladung. Ich möchte das zweigeteilt viel- Wert legen werden. Soviel vielleicht dazu. leicht beantworten, weil das Eine war ja die Frage mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung, das Der Vorsitzende: Dankeschön. Als nächstes folgt will ich vielleicht nur ganz kurz machen, weil da Herr Lämmel von der CDU/CSU bitte. auch Experten am Tisch sitzen, die da vielleicht kompetenter nochmal zu etwas sagen und es sind Abg. Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Ich hätte ja auch diverse Stellungnahmen dazu abgegeben. nochmal eine Frage an Herrn Schlegelmilch. Aber was wir sehen, dass seit dem Abschluss des Wenn man davon ausgeht, dass seit 2017 CETA CETA-Abkommens sich auch der Warenaustausch teilweise in Kraft ist, wir mittlerweile Vietnam, erhöht hat. Wir hatten ja beim Warenaustausch Japan, Mercosur, China verhandelt haben. Ich zwischen 2015 und 2017 beim durchschnittlichen stelle mir eigentlich die Frage, ob die Strategie, Wachstum von 4,3 Prozent, das hat sich dann in die die Europäische Kommission verfolgt, eigent- den Jahren 2018 auf 6,3 Prozent und 2019 auf lich die Richtige ist? Dass wir immer zu Abschlüs- 11,6 Prozent erhöht, das vielleicht mal mit dem sen kommen, die Wirtschaft natürlich sehr froh Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Entwick- ist, dass diese Abschlüsse zustande kommen, aber lung. Wir sehen das auch in der Entwicklung im dann offensichtlich es nicht mehr gelingt, in Bereich, ich sag jetzt mal, einer unserer Kernbran- Europa die Verhandlungen, die ja von den europä- chen, der chemischen Industrie, wo wir gesehen ischen Ländern mitgetragen werden, dann wirk- haben, dass sich da das durchschnittliche Wachs- lich in Ratifizierungsprozesse umzusetzen? Und tum im Rahmen von 0,9 Prozent zwischen 2015 meine Frage wäre an Herrn Schlegelmilch, was und 2017 abgespielt hat und in den Jahren 2018 denken Sie denn in Brüssel, wie man Europa auf und 2019, das wo es durchschnittlich 5,8 Prozent diesem Gebiet wieder handlungsfähiger machen war. Vielleicht ein bisschen nochmal zur Frage kann? Sozialstandards, Sozialschutz. Sigmar Gabriel hat so ein bisschen auch mal eben auf den Prozess Der Vorsitzende: Herr Schlegelmilch bitte. hingewiesen. Das Abkommen war schon bereits fertig und ist dann auch durch gesellschaftlichen

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SV Rupert Schlegelmilch (EU-KOM): Ja, herzli- ten zu sichern. Das ist sicherlich sehr unbefriedi- chen Dank. In der Tat, Herr Lämmel, und das se- gend auch aus Sicht der europäischen Partner, die hen wir natürlich auch mit einer gewissen Sorge, zum Teil in dem europäischen Konzert sehen, was dass die Mandate, die die Mitgliedstaaten uns ge- für Gründe da spielen. Die deutsche Exportwirt- ben und die wir so gut wie möglich auch im Sinne schaft sieht dies mit einer gewissen Sorge, den Ra- der europäischen Interessen umsetzen, dann doch tifizierungsprozess in den anderen Staaten, weil einige Hürden – berechtigt, unberechtigt, wie wir am stärksten profitieren auch von CETA. Da auch immer – beinhalten und politisch sehr ist eben auch die Frage, wie man dann damit in schwierig werden. Da möchte ich vielleicht zwei Zukunft umgeht. Machen wir nur noch EU-Only- Antworten geben. Zum einen kann natürlich die Abkommen? Oder behalten wir das bisherige nationale Überzeugungsarbeit nicht nur von Brüs- System bei? Da wäre natürlich auch eine Lösung sel aus geleistet werden. Das findet in allen Spra- denkbar, die dazu führt, dass wir in Zukunft nur chen statt. Da kommen nationale Befindlichkeiten noch EU-Abkommen machen. Und auf die Kom- und auch Themen zur Sprache, Zypern wurde petenz der Mitgliedstaaten in den Abkommen ver- eben schon erwähnt, Belgien wurde schon er- zichten. Das wird alles diskutiert, aber endgültige wähnt, die, das will ich mal so vorsichtig sagen, Festlegungen gibt es da auch in Brüssel nicht. müssen nicht immer absolut hundertprozentig mit Dankeschön. dem Thema zu tun haben, sondern dürfen auch andere politische Dynamiken aufgreifen. Und Der Vorsitzende: Danke. Als nächstes geht die dann gibt es da Stolpersteine. Zum einen ist es so, Frage an Herrn Rouenhoff von der CDU/CSU- dass wir dann auch die nationale Regierung oder Fraktion. wir uns alle in die Verantwortung nehmen müs- sen und auch kommunizieren, besser kommuni- Abg. Stefan Rouenhoff (CDU/CSU): Ja, ich möchte zieren müssen. Es heißt immer Freihandelsabkom- nochmal eine Frage, zwei Fragen richten einmal men. Wir haben eigentlich einen an Regeln gebun- an Professor Mayer und einmal an Sigmar Gabriel. denen Handel, den wir hier verhandeln. Die Zölle Zum einen an Professor Mayer die Frage gerichtet, werden zwar weitgehend abgeschafft, aber wir ob denn aus Ihrer Sicht tatsächlich verfassungs- versuchen natürlich, auch gerade in den Nachhal- rechtliche, also ob Zweifel an der Verfassungsmä- tigkeitskapiteln die Globalisierung besser zu re- ßigkeit des Abkommens insgesamt bestehen. Und geln. Das gelingt uns aber nicht, das immer so zu wenn dies nicht der Fall ist, dann die Frage auch kommunizieren, dass wir hier eigentlich neue an Sigmar Gabriel. Herr Gabriel, sehen Sie die Standards setzen, die dafür sorgen, dass es gerech- Chance, dass wenn Deutschland im Ratifikations- ter zugeht in den weltweiten Wirtschaftsbeziehun- prozess jetzt voranschreitet, dass wir auch eine ge- gen. Eine gemeinsame Kommunikationslinie wisse Dynamik in anderen EU-Mitgliedstaaten im könnte da stärker sein. Es kommt auch durchaus Ratifikationsprozess sehen? vor, dass die Unterstützung, die wir in den Ver- handlungen selber bekommen, nicht immer in der Der Vorsitzende: Danke, mein Hinweis, dass, auch öffentlichen Debatte – auch aus politischen Grün- wenn die Frage geteilt ist, die Antwort nicht über den – Eins-zu-eins im nationalen Diskurs umge- die 4 Minuten Zeit hinausgeht. Als erstes Herr setzt wird. Das hat viele Gründe, aber das ist si- Mayer bitte, mit der Bitte, die Frage mit Herrn cherlich auch eine Sache, an der mehr daran gear- Gabriel zu teilen. beitet werden kann. Das Zweite ist natürlich, wir haben auch gesehen, dass die Mechanik, die hier SV Prof. Dr. Franz C. Mayer (Universität Biele- zum Tragen kommt, schwierig ist. Singapur war feld): Ja, vielen Dank, Herr Vorsitzender. Vielen EU-Only, will ich mal sagen. Hier sind CETA und Dank für die Frage. Nun, das ist letztlich die andere Abkommen gemischt. In der Materie geht Frage, die ja vorhin auch schon aufgeworfen es um einen relativ geringen Teil des Abkom- wurde, ob es jetzt eigentlich zu beanstanden ist, mens, aber das ganze Abkommen steht und fällt, dass die Ratifikationsgesetzgebung von der Bun- beziehungsweise die Ratifizierung ist jedenfalls desregierung noch nicht eingeleitet worden ist. rechtlich notwendig, um das endgültige Inkrafttre- Ich meine, das ist letztlich kein Problem. Zwar gibt es keine ungeschriebene oder geschriebene

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Regel, dass man bei anhängigen Verfahren natürlich endet das in jedem Fall mit diesem kriti- alles weitere einfach ruhen lässt. Es ist letztlich schen Blick, dass Deutschland der Bremser euro- völlig unabhängig von der Frage, wie sich die ver- päischer Entwicklung ist. fassungsrechtliche Würdigung im Einzelnen dar- stellt. Ich will vorab dabei deutlich machen, dass Der Vorsitzende: Danke, Kollege Westphal hat die ich bin in den Verfahren der Verfahrensbevoll- nächste Frage. mächtigte der Bundesregierung und bin schon von daher – aus verschiedenen Gründen – davon über- Abg. Bernd Westphal (SPD): Vielen Dank, Herr zeugt, dass das letztlich alles gut ausgehen wird. Vorsitzender. Ich habe eine Frage an Herrn Sigmar Die Dinge, die jetzt noch in den Hauptsachever- Gabriel. Ich glaube, jedem ist klar, dass Deutsch- fahren in Rede stehen, das sind einmal die Aus- land wie kein anderes Land von Exporten und da- schussstrukturen und zum anderen diese Investor- mit auch vom Zugang zu den Märkten abhängig Staat-Streitigkeiten, genauer die Beilegungsme- ist. Das sichert Wohlstand und auch Arbeits- chanismen dafür, die „ISDS“, heute „ICS“, und plätze. Und nun ist CETA natürlich so, Sigmar, bei beiden Themen hat man jedenfalls das Gefühl, wie du das zumindest auf den letzten Metern zu- dass das Bundesverfassungsgericht da einfach mal mindest mitverhandelt hast, schon ein Benchmark grundsätzlich reingucken will. Ich glaube, wir tun bei Investitionsschutz, bei ILO-Kernarbeitsnor- gut daran – warum, das kann ich heute gerne, men, bei Verbraucherschutz. Und von daher ist auch vielleicht in einer anderen Runde, nochmals die Frage, sind das Standards, von denen aus jetzt vertiefen –, dann eben doch zu warten, um hier zukünftige Handelsverträge abzuschließen sind nicht eine Doppelung im Verfahren zu haben. Auf oder brauchen wir das eher als politisches Gestal- der anderen Seite sehe ich nicht wirklich, wo tungsinstrument, als Instrument der Entwicklung, denn am Ende durchgreifende Einwände dazu auch um anderen Ländern eine Chance zu geben führen sollen, dass Deutschland letztlich als einzi- von solchen Handelsbeziehungen zu partizipie- ger Staat in der Welt aus Gründen des nationalen ren? Verfassungsrechts solche Dinge nicht mitmachen darf. Also am Ende wird alles gut ausgehen, wenn Der Vorsitzende: Herr Gabriel bitte. Sie das beruhigt. SV Sigmar Gabriel, Bundesminister a.D. (Atlan- Der Vorsitzende: Danke, Herr Gabriel, bitte. tik-Brücke e.V.): Ja, die Antwort hat die Europäi- sche Kommission damals mit der Kommissarin SV Sigmar Gabriel, Bundesminister a.D. (Atlan- Malmström selbst gegeben und hat gesagt, CETA tik-Brücke e.V.): Ja, ich weiß nicht, ob die Zustim- setzt sozusagen den Benchmark für die Verbesse- mung oder die Ratifizierung Deutschlands eine rung der bereits existierenden Handelsabkommen, Dynamik auslöst in anderen Ländern. Was sie aus- die alle natürlich schlechtere Standards haben als lösen würde, ist eine negative Dynamik zu stop- CETA. Das ist doch eine Frage, die Sie als Politi- pen. Wenn das größte und stärkste Land Europas kerinnen und Politiker sowieso jeden Tag, in je- nicht bereit ist, in einer relativ überschaubaren dem Feld beantworten müssen. Ist ein Prozess, Frage seine Zustimmung zu erteilen, das führt na- den man eingeleitet hat, … bringt der einen dahin, türlich dazu, dass der Blick auf Deutschland ein dass sozusagen das Paradies erreicht ist oder dass kritischer ist. Ich kann Ihnen einfach mal zitieren, alle Forderungen zu 100 Prozent erfüllt sind? was in einem der letzten Ministerräte, die ich als Oder ist es ein Prozess, bei dem man Bestehendes Wirtschaftsminister erlebt habe, mir in einem in- so sehr verbessern kann, dass man verantworten formellen Ministerrat gesagt wurde. Da wurde ge- kann, ihm zuzustimmen, obwohl vielleicht noch sagt: „Ihr Deutschen, ihr seid so reich und so fett, nicht alles so geregelt ist, wie man sich das ihr könnt euch sogar erlauben, Exportabkommen wünscht. Und ich würde sagen, CETA ist garan- zu stoppen.“ Ende des Zitats. Das ist der Ein- tiert ein Meilenstein in der Handelsentwicklung druck, den Deutschland vermittelt und das ange- und von dem aus müssen natürlich weitere Fort- sichts der ansonsten öffentlich von allen gehalte- schritte ausgehen, gar keine Frage! Vor allen Din- nen Reden zu einer Stärkung Europas in viel gen aber zieht er einen neuen Benchmark ein und schwierigeren Fragen. Deswegen würde ich sagen,

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ich hatte am Anfang schon gesagt, in Verhandlun- warum Sie trotzdem zu einem anderen Ergebnis gen mit den USA und der Obama Regierung haben gekommen sind? uns die Verhandlungsbevollmächtigten der USA klar zu verstehen gegeben, dass sie ein solches Der Vorsitzende: Herr Felbermayr, bitte. Abkommen, das so progressiv sei wie mit Kanada, nicht in den Vereinigten Staaten durchkriegen SV Prof. Gabriel Felbermayr (IfW Kiel): Ja, vielen würden. Das sollten wir uns bitte mal nicht einbil- Dank für die Frage. Ja, was ich in meiner Ausar- den. Vielleicht ändert sich das auch jetzt. Aber da- beitung zitiere, das ist ein Gutachten des Beirats – ran können Sie ermessen, wie groß die Fort- des wissenschaftlichen Beirats im Bundeswirt- schritte bei CETA gewesen sind – auch, wenn schaftsministerium. Das bin also nicht nur ich, doch völlig klar ist, dass mit diesem Abkommen sondern das ist eine ganze Reihe von Kolleginnen nicht sozusagen alles erledigt ist. Aber es ist eben und Kollegen – auch Juristen -, die sich da mitge- ein Meilenstein nach vorne und ich hoffe, dass äußert haben. In der Tat, es handelt sich um eine die Kommission das tut, was sie gesagt hat, näm- Abwägung. Sigmar Gabriel hat ja eben sehr zu lich, dieses Abkommen zum Standard zu erklären, Recht gesagt, dass es auch in dem CETA-Abkom- auch für andere Abkommen. men immer noch Punkte gibt, die man kritisieren kann. Ein Punkt, den wir kritisieren, ist der Inves- Der Vorsitzende: Danke. Die nächste Frage hat titionsbegriff, der zugrunde liegt, der ist aus unse- Herr Müller von der AfD. rer Perspektive zu breit gefasst. Aber die neuen Standards, die eingezogen werden, die begrüßen Abg. Hansjörg Müller (AfD): Ich habe eine Frage wir, begrüße ich mit aller Nachdrücklichkeit. Wir an Herrn Professor Felbermayr. Ich möchte begin- würden auch gerne mal dieses neue System in der nen mit einem kleinen Zitat aus der Ausarbeitung, Praxis erleben. Wir sprechen gerne von Reallabo- hier von Herrn Fritz. Da steht drin, dass vor allem ren. Wir können theoretisieren darüber, was alles ein nicht zu rechtfertigendes Sonderrecht für aus- passieren könnte oder nicht passieren kann. Das ländische Investoren darin besteht, dass natürlich bleibt sozusagen alles Schall und Rauch, wenn nur ausländische Investoren sich dann an den In- wir das nicht auch einmal ausprobieren. Und mit vestitionsschiedsgerichtshof oder wie auch immer welchem Land wollen wir so ein System testen, wenden können, dass das inländischen Investoren wenn nicht mit Kanada, wo wir ja keine großen per Definition nicht zur Verfügung steht. Und da Divergenzen haben im Verständnis von Recht? gibt es ja auch dann dazu die Ausarbeitungen des Wie ist es mit den Sonderrechten? Und natürlich, Deutschen Richterbundes, die relativ deutlich es stimmt, es sind Investoren in Kanada, die hier sind dahingehend, dass diesem internationalen ein Klagerecht haben, gleichzeitig aber eröffnet Investitionsschutzrecht bis heute die materi- das Abkommen auch europäischen und deutschen ell-rechtlichen Grundlagen fehlen. Was natürlich Investoren dasselbe in Kanada, das darf man ja dann dazu führt, dass sich das Recht selbst schafft nicht vergessen. Das ist ein System auf Reziprozi- dort. Und ich möchte auf Folgendes hinarbeiten: tät, dass wir gewinnen für unsere Investition in Sie schreiben auch, dass Sie das durchaus kritisch den USA, eben auch diese Sonderrechte… Warum sehen in Ihrer Ausarbeitung, treffen dann aber gibt es überhaupt Investitionsschutzabkommen? eine Abwägung und sagen, trotz dieser Schwä- Darüber kann man sozusagen lange diskutieren, chen sind aber die Sachen, die gut sind, wichtiger. da reicht die Zeit nicht, aber ein Grund, warum Und deswegen möchte ich Sie von Volkswirt zu wir das machen, ist, dass die Unparteilichkeit der Volkswirt doch nochmal fragen, für mich ist das, Gerichtssysteme, die ist zwar natürlich überall in was Herr Fritz hier sagt, das Herzstück einer jegli- Verfassungen festgeschrieben und das wollen wir chen klaren eindeutigen Wettbewerbsordnung. immer hochhalten, aber in der Praxis kann man Und wenn man das Herzstück rausreißt, kann in da vor allen in Krisenzeiten doch auch Fragezei- meinen Augen selbst die Summe der sonstigen chen daran machen. Da können viele Fälle zitiert Vorteile auf der anderen Seite das nicht abwiegen, werden und auch aus ökonomischer Perspektive wenn man das Herzstück eigentlich einer transpa- gilt es natürlich, die Interessen der eigenen Inves- renten Wettbewerbsordnung hinausreißt. Können toren im eigenen Land möglicherweise anders zu Sie das vielleicht doch noch einmal darstellen, bewerten als die von Ausländern. Deswegen

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haben wir dieses Abkommen und da wird nicht sind. Wir haben das jetzt gerade bei dem Investiti- etwas schief gemacht, das vorher gerade war, son- onsschutz durchdekliniert, wo da die Fortschritte dern die Idee ist sozusagen eine Ungleichheit, die liegen bei CETA. Ich will da aber auch nochmal ohne dieses Abkommen, ohne diese Sonderrechte auf das Nachhaltigkeitskapitel kommen. Das ist da wäre, diese Ungleichheit gerade zu ziehen. Das jetzt noch nicht riesig. Man wird solche Schritte ist der Anlass, warum wir das machen. jetzt auch nicht ultimativ zu einer endgültigen Lö- sung bringen, die dann aber nur noch mit sehr we- Der Vorsitzende: Herr Felbermayr, Sie sind am nigen Partnern weltweit mitgegangen werden kön- Ende der Redezeit angelangt. Dankeschön. nen. Indien, das Abkommen ist gescheitert daran, dass die Inder überhaupt nicht bereit waren, diese SV Prof. Gabriel Felbermayr (IfW Kiel): Ich bin Nachhaltigkeitskapitel mitaufzunehmen. Wir auch am Ende, vielen Dank. müssen also Fortschritte erzielen – Step by Step, wie es Herr Gabriel auch gerade schon richtig ge- Der Vorsitzende: Herr Lämmel von der CDU/CSU sagt hat. Und diesen Punkt finde ich halt sehr hat die nächste Frage. wichtig. Der von Ihnen explizit nachgefragte Punkt: Natürlich freuen wir uns über weitere Im- Abg. Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Ja, ich pulse im bilateralen Handel zwischen Europa und möchte die Frage richten an Herrn Niedermark. Kanada. Und das ist hier auch schon ganz klar ab- Die Diskussion bzw. die Entwicklung der Han- lesbar. Wir haben jetzt in den Zeiten der, in den delsabkommen, ob das nun CETA, TTIP oder an- Jahren der vorläufigen Anwendung haben wir dere sind, wird ja auch immer sehr intensiv von schon einen Zuwachs um ungefähr 25 Prozent, der Wirtschaft begleitet, weil diese Handelsab- ein gutes Viertel, ist da schon erkennbar. Und das kommen werden für die Wirtschaft abgeschlossen. ist, glaube ich, auch erst der Anfang. Das wird Und meine Frage wäre: Wie sieht man das denn auch noch von uns so eingeschätzt, dass da noch jetzt im Bereich der Wirtschaft, dass zwar Ver- zusätzliche Dynamik entsteht. Das heißt, diesen handlungserfolge erzielt worden sind in den letz- Teil der Ambition erfüllt das Abkommen allemal. ten Jahren, aber diese abgeschlossenen Abkom- Und das ist in beiden Richtungen der Fall mit un- men dann nicht wirklich Inkrafttreten können in terschiedlichen Ausprägungen. Es ist auch für vollem Umfang? Und vielleicht können Sie am einige Länder unterschiedlich. Aber insgesamt ist Beispiel von CETA mal kurz skizzieren, wie sich das eine Erfolgsgeschichte – auch jetzt trotz dieser die Situation seit 2017 im Austausch, im Waren- nur vorläufigen Anwendung und auch nur der austausch zwischen Europa und Kanada entwi- teilweisen Anwendung. Also insofern betrachten ckelt hat. wir das sehr positiv und halten es für gut, wenn das auch noch weiter fortgesetzt wird. Und ich Der Vorsitzende: Herr Niedermark, bitte. will nochmal betonen, diese Beispielsetzung, die wir hier mit CETA geben, die ist uns ein ganz SV Wolfgang Niedermark (BDI): Ja, vielen Dank, wichtiges Anliegen, weil wir weit über Kanada Herr Lämmel. Vielleicht vorweg geschickt: Ja, das hinaus bewerten, dass wir hier in der richtigen ist ein Abkommen auch für die Wirtschaft. Aber Richtung unterwegs sind mit der Gestaltung pro- Wirtschaft und Gesellschaft sind hier nicht zu gressiver Handelsabkommen. trennen. Wir haben hier durchaus weitreichende Interessen der Mitgestaltung, des Miteinanders in Der Vorsitzende: Dankeschön. Als nächstes geht einer globalisierten Welt. Und die Nachhaltig- die Frage an Herrn Theurer, FDP. keitskapitel, die dann eben auch sehr positive ge- sellschaftliche Ausstrahlungseffekte haben, die Abg. (FDP): Vielen Dank, Herr sind ja hier auch mitadressiert. Das ist also jetzt Vorsitzender. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur wirtschaftspolitisch der Wachstumsim- also nachdem, was wir jetzt von den Sachverstän- puls, den wir sehen, sondern das hat eben auch digen hier hören, frage ich mich, warum eben hier Step by Step – und das will ich hier nochmal be- die regierungstragenden Fraktionen nicht die Rati- tonen – eben auch positive wirtschaftliche ge- fikation dieses Abkommens schaffen. Ich habe in samtpolitische Ambitionen, die hier zu sehen

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diesem Zusammenhang, weil ja die vorläufige An- man es trotz dem Ratifizierungsprozess, trotz der wendung dazu führt, dass Teile nicht in Kraft ge- ausstehenden Gerichtsurteile in Gang setzt oder setzt werden, noch einmal eine Frage an Herrn nicht, ist ein bisschen eine politische Ge- Sigmar Gabriel. Sigmar, vielen Dank, dass du be- schmacksfrage. Man kann sagen, der Respekt vor reit bist, auch an dieser Anhörung teilzunehmen. dem Verfassungsgericht gebietet es, das nicht zu Ich habe wahrgenommen, dass du es dir nicht vor- tun. Wenn man das doch aus politischen Gründen stellen konntest vor Jahren, dass das Abkommen machen will, dann, das hatte ich vorhin gesagt, immer noch nicht ratifiziert ist. Jetzt spielen ver- setzt man sich am besten mit dem Verfassungsge- fassungsrechtliche Bedenken hier in der Diskus- richt ins Benehmen und versucht zu klären, wie sion eine Rolle. Waren denn die schon Gegen- die Befindlichkeit dort auf Seiten des Verfas- stand der damaligen Diskussion innerhalb der sungsgerichtes ist. Das ist kein unübliches Verfah- Bundesregierung? Also gab es damals schon ver- ren, das zu tun. Und man wird schnell merken, ob fassungsrechtliche Bedenken? Und könntest du das geht oder nicht. In der Sache selbst, glaube vielleicht noch einmal auf die Signalwirkung ich, das habe ich jetzt mehrfach schon gesagt, ich einer Ratifikation eben auch für das transatlanti- kann das nur wiederholen, ich glaube einfach, sche Verhältnis eingehen? Denn im transatlanti- dass Europa vor einer so enormen Anstrengung schen Verhältnis ist es ja eben nicht nur die USA, steht, den – ein bisschen lax gesagt – den Laden sondern auch Kanada. Und Kanada ist in vielem zusammenzuhalten. Sie haben das beim Haushalt uns sehr viel näher als die Vereinigten Staaten. gesehen, beim Recovery Fund, bei der Bekämp- fung der Pandemie, in der Außen- und Sicher- Der Vorsitzende: Herr Gabriel, bitte. heitspolitik. Wenn wir jetzt nicht einmal als Deut- sche, die immer für sich in Anspruch nehmen SV Sigmar Gabriel, Bundesminister a.D. (Atlan- und auch zu Recht aufgefordert werden, Füh- tik-Brücke e.V.): Vielen Dank. Es gab in der Bun- rungsfunktionen in Europa zu übernehmen, wenn desregierung – jedenfalls in der Zeit, in der ich ihr nicht einmal eine solche Frage wie das Freihan- angehört habe – keine Bedenken, auch nicht ver- delsabkommen mit Kanada klären können, weil fassungsrechtlicher Art. Was es gab, waren Kla- wir der Überzeugung sind, dass es sozusagen bei gen, die sind ja auch erwähnt worden, vor dem einigen Fragen noch Verbesserungsmöglichkeiten Verfassungsgericht, die verhindern sollten, dass gibt, dann werden viele in Europa nur den Kopf das Abkommen einstweilig in Kraft gesetzt wird. schütteln und uns sagen: „Die Deutschen machen Die Frage, die dort zu beantworten war, es ging immer ihren eigenen Bauchnabel zum Maßstab für immer um die Frage, werden damit die Rechte des alle anderen.“ Das wird man Ihnen nicht so deut- Bundestages auf Dauer eingeschränkt? Ich habe lich sagen, aber unter vier Augen kriegen Sie ge- damals selbst als Minister an der Planung teilge- nau das in den Gesprächen mit den Kolleginnen nommen und dort auch gesprochen und das Er- und Kollegen aus anderen Ländern zu hören. Und gebnis war, dass jedenfalls in dem damaligen Ver- Sie müssen ja nun einmal das, was vorhin ge- fahrensstand das Verfassungsgericht diese Gefahr nannt wurde, an Einwänden in den Niederlanden nicht gesehen hat. Allerdings hat es ein paar Auf- oder in Zypern mal ins Verhältnis setzen zu der lagen gemacht, die wir dann auch im Europäi- Größenordnung… schen Rat sogar durchsetzen konnten. Das Verfas- sungsgericht hatte nur gefordert, dass die Bundes- Der Vorsitzende: Redezeit beachten, bitte. Danke. regierung zu bestimmten Fragen Stellung nimmt und sich erklärt. Wir haben das damals sogar SV Sigmar Gabriel, Bundesminister a.D. (Atlan- durchsetzen können als Stellungnahme des ge- tik-Brücke e.V.): Bin fertig. samten Europäischen Rates. Also, die Fragen, die heute eine Rolle spielen, haben natürlich auch da- Der Vorsitzende: Dann kommt als nächstes der mals inhaltlich eine Rolle gespielt. Es ging aller- Kollege Meiser. dings um ein einstweiliges Rechtschutzverfahren. In der Sache selber haben Sie Herrn Mayer gehört, Abg. Pascal Meiser (DIE LINKE.): Vielen Dank, ich teile die Auffassung absolut. Ich glaube nicht, Herr Vorsitzender. Ich finde diese Allianz aus dass am Ende das Verfahren nicht gut ausgeht. Ob FDP und SPD, vertreten durch Herrn Gabriel, ist

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in dieser Frage wirklich bemerkenswert. Aber das betreiben, sondern auch in der ambulanten Pflege ist ein gesonderter Punkt. Meine Frage richtet sich tätig sind. Und da gibt es auch große französische an Herrn Fritz. In Ihrer Stellungnahme machen Unternehmen, Orpea ist eines, an denen kanadi- Sie ja wirklich einen brisanten Punkt auf, wenn sche Pensionfonds beteiligt sind. Und zurzeit gibt Sie schreiben, dass Investoren das System der In- es große Klagen der Pflegeheimbetreiber hier in vestitionsschutzabkommen auch für Kompensati- Deutschland, dass es zu wenig Unterstützung der onsklagen gegen die aktuellen Corona-Maßnah- Bundesregierung gibt bei den jetzt verpflichten- men nutzen könnten. Können Sie diese Befürch- den Corona-Schnelltests in den Pflegeheimen. tung erläutern und welche der in Deutschland ge- Durchaus wichtig, dass es so etwas gibt, über- troffenen Maßnahmen könnten aus Ihrer Sicht im haupt gar keine Frage. Aber wenn die privaten schlechtesten Fall auch für solche Kompensati- Pflegeheimbetreiber zu dem Schluss kommen soll- onsklagen durch ausländische Investoren genutzt ten, die Unterstützung der Bundesregierung ist werden? hier nicht ausreichend gewesen, wäre es durchaus denkbar, dass sie sagen, versuchen wir doch mal Der Vorsitzende: Herr Fritz, bitte. später, wenn die Pandemie vorüber ist, auch einen solchen Streitmechanismus zu nutzen, um SV Thomas Fritz (Freier Autor): Vielen Dank für dann halt Entschädigungen einzufordern. Hinzu- diese Frage. In der Tat, vor dem Hintergrund der kommen natürlich weitere Risiken, das ist schwer aktuellen Situation ist es wichtig, sich vor Augen abzuschätzen, natürlich noch schwerer abzuschät- zu führen, welche Risiken in einem solchen Ab- zen. Sollte die Bundesregierung, was aus meiner kommen stecken können auch vor dem Hinter- Sicht durchaus wünschenswert wäre, zu dem In- grund, dass wir mit der Corona-Pandemie zur Zeit strument von Benutzungsanordnungen intensiver zu kämpfen haben. Vorausschicken möchte ich und auch zu Zwangslizenzen greifen, dann wür- allerdings auch, dass das natürlich ein Stückweit den natürlich die Patentrechte von Pharmaunter- nicht absehbar ist und wie wir uns hier auf dem nehmen, aber möglicherweise auch Medizintech- Feld letzten Endes auch der Spekulation befinden, nikunternehmen hier in Deutschland in Frage ge- wenn wir Szenarien entwickeln. Und mehr kann stellt, möglicherweise ausgesetzt. Und dieses das nicht sein. Szenarien, welche möglichen Kla- könnte dann natürlich auch zu Entschädigungs- gen könnten entstehen, wenn denn dieses Inves- forderungen führen. Man muss sehen, dass auch tor-Staat-Schiedsverfahren von CETA in Kraft ge- an diesen Unternehmen nordamerikanisches und setzt werden sollte. Eine Möglichkeit, die denkbar kanadisches Kapital beteiligt ist. Einige der Unter- wäre, sind die Auseinandersetzungen, die es gibt nehmen sitzen auch in Kanada. im Bereich der Kliniken. Privatkliniken haben sich beschwert gleich bei der ersten Welle dar- Der Vorsitzende: Danke. Als nächstes Bernhard über, dass die Kompensationen, die sie erhalten Loos von der CDU/CSU, bitte. haben von der Bundesregierung dafür, dass sie aufschiebbare Behandlungen verschoben haben, Abg. Bernhard Loos (CDU/CSU): Vielen Dank. Ich nicht ausreichend gewesen wären, sie finanzielle würde ganz gerne meine Frage splitten, also an Probleme haben. Wir müssen da vor dem Hinter- zwei richten. Zunächst an Herrn Professor Felber- grund sehen, dass wir durchaus Klinikketten in mayr. Welche Lehren aus CETA können für eine Deutschland haben, an denen nordamerikanische transatlantische Handelsagenda mit den USA ge- Investoren, auch kanadische Investoren, beteiligt zogen werden? Das wäre die erste Frage. Die sind. Und deren Einkünfte durch diese Investition zweite Frage würde ich dann, also bitte dann auf- wären dann natürlich geschädigt, wenn es tatsäch- teilen die Zeit, an den Herrn Niedermark noch lich die Einschätzung der Privatkliniken wäre, einmal stellen. Und zwar, welche handelspoliti- dass hier die Bundesregierung zu wenig getan hat, schen Themen sollten mit der neuen US-Admi- um die Kliniken zu unterstützen. Das ist ein Sze- nistration als Erstes angegangen werden? Danke. nario. Ein weiteres Szenario ähnlicher Natur kann man sich vorstellen im Bereich der Pflegeketten. Der Vorsitzende: Herr Felbermayr, bitte. Wir haben sehr große private Pflegeketten mittler- weile in Deutschland, die nicht nur Pflegeheime SV Prof. Gabriel Felbermayr (IfW Kiel): Eine erste

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Lehre liegt auf der Hand. Herr Schlegelmilch hat Wenn wir also diese modernen Abkommen voran- das schon angesprochen. Also, ich glaube, es wäre bringen wollen, dann doch bitte mit den Partnern gut, gerade auch mit den USA ein schlankes Ab- zusammen – Kanada, USA und anderen like- kommen zu schreiben mit möglichst hoher Trans- minded – um in diesem Wettbewerb auch in die parenz und das EU-Only Abkommen, sodass wir Vorhand zu kommen. Und unsere Wertvorstellun- nicht in diese Hängepartie hineingeraten, in der gen, wie der internationale Handel gestaltet wer- wir mit CETA sind. Zweite Lehre, denke ich, dass den soll, auch zum Wohle der Gesellschaft, dann wir eines jetzt schon sehen können bei CETA, hier mit einzubringen. Das wäre ein ganz wichti- dass die relativ komplexen Ursprungsregeln Prob- ger Aspekt. Und wenn es das dann zusätzlich leme machen. Die Präferenzausnutzungsrate im noch mit den Amerikanern gelingen würde, wäre Abkommen ist nicht sehr hoch. Jetzt kann man sa- das ein erheblicher Gewinn, den wir hier erzielen gen, okay, es ist noch nicht sehr lange in Kraft, ja, könnten in diesem Systemwettbewerb mit China, das ist alles noch sehr vorläufig, aber das scheint den ich an dieser Stelle gar nicht genug betonen mir schon ein Problem zu sein. Die Wertschöp- kann. Das ist ein ganz wesentlicher Treiber auch fungsketten sind sehr komplex innerhalb des unserer Motivation. Denn wenn wir das den chi- nordamerikanischen Wirtschaftsraumes und die nesischen Partnern überlassen, die Dinge, dann Frage ist, können die kanadischen Unternehmen auch in Lateinamerika, in Afrika, im Nahen und zollfrei nach Europa exportieren, wenn sie Inputs Mittleren Osten und sonst wo in der Welt nach ih- aus den USA haben und umgekehrt, auch das rem Gusto zu gestalten, dann kommen wir echt wird sich, glaube ich, stellen. Über das MCA ist ja ins Hintertreffen und dann werden wir unsere auch da, ein neues Abkommen in Nordamerika, politischen Ziele, die damit verbunden sind, wirk- Kanada, USA, Mexico. Das wird nochmal auch lich nicht erreichen können. eine Implikation haben für CETA selber, aber würde sehr viel Sinn machen, diesen Wirtschafts- Der Vorsitzende: Danke. Die nächste Frage geht an raum zusammen anzusehen, also Kanada, USA, die Kollegin Dröge. Mexico, wenn man über die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen insgesamt nachdenkt. So- Abge. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE viel dazu. GRÜNEN): Ja, vielen Dank, Herr Vorsitzender. Vielleicht vorab eine kurze politische Anmerkung Der Vorsitzende: Danke, Herr Niedermark, bitte. zum Sachverständigen Gabriel, der ja auch über- wiegend politisch bislang argumentiert hat. Wer SV Wolfgang Niedermark (BDI): Dem kann ich immer wieder argumentiert mit der These, mit mich nur anschließen. Das wäre wirklich vorteil- wem, wenn nicht mit Kanada sollte man ein gutes haft, wenn uns das gelänge, das in der jetzt um- Abkommen machen, sollte vielleicht auch poli- schriebenen Weise mit den Amerikanern umzu- tisch den Nachweis erbringen, dass er sich in rele- setzen. Und da ist CETA dann auch ein wirklich vanten Fragen dafür eingesetzt hat, dass das auch guter Zwischenschritt, den wir dann jetzt auch ein gutes Abkommen wird. Meine Frage in der Sa- liefern müssen, um das Benchmark auch zu set- che richtet sich an Markus Krajewski und die zen. Und dann wären wir in einer Situation in Ausgestaltung der gemischten Ausschüsse und diesem vom mir schon angesprochenen, globalen Sonderausschüsse in CETA. Können Sie uns dazu Setup, in dem globalen Wettbewerb, gerade auch vielleicht nochmal sagen, wie die Erfahrungen mit China, einheitlich aufzutreten. Wir sehen sind, die wir bereits auf Grundlage der vorläufigen doch mit RCEP, mit dieser großen ostasiatischen Anwendung haben? Inwiefern sind aus Ihrer Sicht Handelszone, dass China selbst vom Ruletaker die Kompetenzen dieser Ausschüsse hinreichend zum Rulemaker wird. Und das wird diese Position klar beschrieben und inwieweit ist die Rückbin- auch nicht wieder verlassen wollen. Es wird die dung an die Parlamente geklärt. Regeln mitgestalten wollen. Wir sind dort an einem Punkt angelangt, wo es da auch um einen Der Vorsitzende: Danke. Herr Krajewski, bitte. Wettbewerb geht. Wessen Regeln werden denn eigentlich gelten? Wenn Sie sich RCEP angucken, SV Prof. Dr. Markus Krajewski (FAU Erlangen- da steht nichts drin von Nachhaltigkeitskapiteln.

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Nürnberg): Vielen Dank. Also der gemischte Aus- nicht gilt. Und das wäre etwas, da will ich viel- schuss und die Sonderausschüsse sind ein neues leicht auf das zurückkommen, was eben auch Herr System, jedenfalls ein weiterentwickeltes System Meyer gesagt hat. Es ist natürlich das eine, der im Rahmen des Abkommens mit Kanada. Herr Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht, das Schlegelmilch hat es schon gesagt, es geht eben andere ist aber natürlich, dass es durchaus sein auch um regelbasierte Gestaltung. Das sind mo- kann, dass in den Entscheidungen des Bundesver- derne Freihandelsabkommen. Und das ist natür- fassungsgerichts da dann auch nochmal etwas lich jetzt eine spannende Frage. Der gemischte Klärendes zu gesagt wird, wie jedenfalls das Bun- Ausschuss hat ja schon getagt, vor zweieinhalb desverfassungsgericht diesen Begriff der internen Jahren zum ersten Mal, auch die Sonderaus- Anforderung verstehen würde oder möglicher- schüsse, auch das Forum für Regulierungskoope- weise, wenn es eben dem EuGH auch nochmal ration hat getagt. Soweit ich das sehen kann, dass vorliegt, fragt, wie das europarechtlich zu verste- also dann die Informationen, die auch öffentlich hen ist. Und das hat dann natürlich auch wieder einsehbar sind, da ging es bislang vor allen Din- Auswirkungen auf ein mögliches Begleitgesetz, gen um das Agendasetting. Es ging um Berichter- das eben, wenn die Ratifikation dann ansteht, stattung und gegenseitige Informationen. Das auch noch mal diskutiert werden wird. Also inso- heißt also, es ging noch nicht unbedingt jetzt um fern glaube ich schon, dass es nicht nur eben eine die Entscheidungen zur Weiterentwicklung des verfassungspolitische Höflichkeit ist, sondern Abkommens. Vielleicht kann ich dazu einmal den dass durchaus das Verfassungsgericht auch da Corpus Delicti, also das Abkommen selber hier zi- nochmal zur Klärung beitragen kann. Und diese tieren. Das ist der Artikel 30.2, Absatz 2, da geht Klärung hat dann wieder Auswirkungen oder es eigentlich gar nicht mehr um den Ausschuss, kann wieder Auswirkungen auf den Gesetzge- sondern in dem Artikel 30.2 geht es ja um die Än- bungsprozess haben. Also das ist durchaus eine derung des Abkommens selbst. Im Absatz 1 heißt Baustelle, die auch verfassungsrechtlich noch ge- es halt, die Vertragsparteien können das natürlich nauer zu bewerten ist. Danke. ändern und dann heißt es im Absatz 2, dass der gemischte Ausschuss beschließen kann, Proto- Der Vorsitzende: Herzlichen Dank. Als nächstes kolle und Anhänge des Abkommens zu ändern. geht die Frage an Herrn Töns, SPD. Also, das Abkommen selber sozusagen, die mate- riellen Teile, die in diesen Protokollen stehen. Abg. Markus Töns (SPD): Vielen Dank. Meine Und dann heißt es eben, die Vertragsparteien kön- Frage richtet sich an Professor Meyer. Und das nen den Beschluss des gemischten Zehneraus- sind eigentlich zwei Fragen. Das eine ist, Sie ha- schusses im Einklang mit ihren in Kraft tretenden ben vorhin schon ausgeführt, dass das Verfas- Änderungen erforderlichen internen Anforderun- sungsgericht hier noch Zeit bedarf, dass auch der gen und Verfahren billigen. Was damit gemeint EuGH gegebenenfalls nochmal angerufen wird. ist, ist natürlich offen. Da muss man auch fairer- Vielleicht können Sie nochmal erläutern, warum weise sagen, wir haben auch in Deutschland da das auch aus Sicht des Bundestages und der Bun- relativ wenig Erfahrung, was das jetzt bedeutet. desregierung wichtig ist, hier nochmal ein Stück- Für verfassungsrechtlich interne Anforderungen weit zuzuwarten, bis dort eine Entscheidung ge- und Verfahren bedeutet das, dass das vielleicht fallen ist. Und in dem Zusammenhang ist ja hier doch so eine Art kleine Vertragsänderung ist, die auch häufig die Kritik aufgekommen zu dem dann doch auch der Zustimmung des Bundestages Thema des Sonderklagerechts im Investitions- oder eben des Europäischen Parlaments unterfal- recht. Inwieweit können Sie vielleicht dazu Aus- len würde. Das ist nicht unproblematisch, weil führungen machen, inwieweit das eine Rolle natürlich diese Anhänge teilweise eben, wie ich spielt in diesen Verfassungsfragen und warum Sie gesagt habe, auch materielle Regeln enthalten. Es der Auffassung sind, dass das positiv ausgehen gibt dann wieder eine Ausnahme zu dieser Rege- wird. lung, dass das eben nicht für Investitionen und Dienstleistungen gilt. Da weiß man auch nicht so Der Vorsitzende: Danke. Herr Mayer bitte. ganz genau, ob nur diese internen Verfahren gel- ten oder ob insgesamt die Änderungskompetenz

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SV Prof. Dr. Franz C. Mayer (Universität Biele- niger national darstellt, weniger national orien- feld): Ganz herzlichen Dank für die Frage, Herr tiert darstellt. Und dann kann das ja schon auch Abgeordneter. In der Tat ich meine, dass der Um- ein Aspekt dafür sein, dass man abwartet. Und vor stand, dass die Bundesregierung mit der Ratifika- allem: Es sind ja noch weitere kampagnenartige tionsgesetzgebung jetzt noch abwarten will, nicht Verfassungsbeschwerden gegen das nationale Ra- zu beanstanden ist und man da auch schon etwas tifikationsgesetz angekündigt und in Sicht. Man mehr sagen kann als nur „kann man so oder kann hätte also nochmal dasselbe wie 2016: Eilverfah- man auch anders machen“. Dazu vorab nochmals ren und das Ganze. Möglicherweise würde das der deutliche Hinweis: Aus meiner Sicht ist die Bundesverfassungsgericht an der Stelle dann die Verzögerung kein Problem. Es hat gerade einmal nationale Ratifikation auf Halt stellen. Man wäre die Hälfte der Mitgliedstaaten ratifiziert. Deutsch- also letztlich keinen Schritt weiter. Ich meine da- land fällt da überhaupt nicht aus dem Rahmen, her schon, dass es besser ist, dass man das Bun- das fällt jetzt nicht wirklich auf. Die vorläufige desverfassungsgericht klarstellen lässt, wie das Anwendung läuft und sie läuft offenbar auch eini- aussieht mit den verfassungsrechtlichen Einwän- germaßen reibungsfrei und erbringt schon Vor- den, die, wie ich denke, allesamt nicht durchgrei- teile. Und dann nochmals der Hinweis: wir sind fen. Das Bundesverfassungsgericht will hier etwas hier letztlich im Völkerrecht unterwegs. Das Völ- grundsätzlicher hineinschauen, das habe ich kerrecht kann mit langen Zeiträumen umgehen. schon gesagt. Für den unwahrscheinlichen Fall, Ich will jetzt nicht den völkerrechtlichen Teufel dass das Bundesverfassungsgericht nach seiner an die Wand malen, aber das GATT war 40 Jahre Prüfung dann doch noch den einen oder anderen lang in der vorläufigen Anwendung – das hat Hinweis hat, zum Beispiel zur Parlamentsbeteili- auch funktioniert. Auf der einen Seite ist es wich- gung, dann muss man das irgendwie organisieren. tig, zu sehen: Es gibt keine geschriebene oder un- Das könnte man dann bei der nationalen Ratifika- geschriebene Regel, dass man bei anhängigen Ver- tion gleich berücksichtigen und müsste das nicht fahren alles im erweiterten Themenkreis dazu im- nochmal nachholen und nachbessern. Es ist also mer auf Eis legen muss. Das hieße ja, keine Frei- letztlich eine politische Frage, wann man die Rati- handelsabkommen mehr bis geklärt ist, wie das fikation anschiebt. Die besseren rechtspolitischen Bundesverfassungsgericht das sieht. Wenn das so und verfassungspolitischen Gründe sprechen aber wäre, hätten wir ein großes Problem mit der Zu- dafür, das nicht ausgerechnet jetzt zu machen. stimmung Deutschlands im Rat in Brüssel zum Und natürlich hat das auch was mit dem politi- Brexit-Abkommen. Das ist nämlich auch ein Frei- schen Umfeld zu tun, und da glaube ich nicht, handelsabkommen. Und von daher meine ich in- wie vorhin gesagt worden ist, dass wir uns beim formell nachzufragen, ob das Bundesverfassungs- Investitionsschutz mit atavistischen Konzepten gericht beleidigt sein könnte – also das ist gar herumschlagen. Man hat ja gerade letzte Woche in nicht das Thema. Und ich würde auch insgesamt den USA gesehen, wie schnell rechtsstaatliche Ge- – weil vom Sachverständigen Gabriel dieser Hin- wissheiten ins Rutschen kommen können und weis zweimal gegeben wurde – von informellen von daher glaube ich eben gerade nicht, dass wir Anfragen beim Bundesverfassungsgericht abraten. hier von Atavismen sprechen. Der Investitions- Es ist nichts, was man ausverhandelt, was das schutz insbesondere… Bundesverfassungsgericht entscheidet. Dazu nach- fragen ist, wie ich nochmals nachdrücklich beto- Der Vorsitzende: Herr Mayer, Sie müssen auch nen möchte, keine gute Idee. Es gibt letztlich zum Schluss kommen. Sie sind weit über die Zeit. keine Regel: Man könnte auch nicht abwarten, aber das ist eine Frage der Prozessökonomie und SV Prof. Dr. Franz C. Mayer (Universität Biele- eine Frage, wie ich meine, der Klugheit, dass man feld): Ich weiß. Den Halbsatz noch. doch abwartet. Man kann jetzt – ganz banal – zum Beispiel auf die Richterbank schauen und mal Der Vorsitzende: Als nächstes spricht Herr Rouen- überlegen, wie sieht es denn dort aus, wie entwi- hoff. Sie haben sicher nochmal die Möglichkeit in ckeln sich die Dinge, gibt es Anhaltspunkte dafür, der nächsten Runde … dass sich das jetzt doch so über die Zeit eher we-

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SV Prof. Dr. Franz C. Mayer (Universität Biele- handlung und dann können wir vielleicht noch- feld): Aber… mal so drei, vier, fünf Wochen draufschlagen. Also, das ist so alles noch im Jahre 2021 machbar. Der Vorsitzende: Sie sind 20 Sekunden drüber – Ob das vor der Bundestagswahl dann noch in die 30! Herr Rouenhoff, bitte. entsprechende Gesetzgebung einfließen kann, das scheint mir dann vor dem zeitlichen Hintergrund Abg. Stefan Rouenhoff (CDU/CSU): Zwei Fragen, eher unwahrscheinlich. Das ist richtig. Aber ich direkt dann nochmal an Herrn Mayer und an wiederhole nochmal, dass ich letztlich aus Grün- Herrn Schlegelmilch. Zum einen an Herrn Mayer den der verfassungspolitischen Klugheit es nicht die Frage, wie lange warten wir denn noch nach für angezeigt halte, hier das nationale Ratifikati- Ihrer Einschätzung? Weil wir warten ja jetzt nicht onsverfahren dann einfach ein stückweit blind an- erst seit zwei, drei Monaten auf die Verfassungs- zuschieben. Hintergrund ist natürlich auch, das gerichtsentscheidung und ich habe die Sorge, dass ist aber ein Thema, dass die 4 Minuten deutlich wir am Ende vielleicht solange warten, dass wir sprengt, dass das Bundesverfassungsgericht eine gar nicht mehr in der großen Koalition darüber gewisse Rechtsprechungslinie entwickelt hat, die entscheiden können, was ich eigentlich sehr gerne es sehr einfach macht, zum Verfassungsgericht zu möchte. Und die zweite Frage, die sich dann gehen. Das Bundesverfassungsgericht hat deswe- stellt, ist die, dessen was Herr Niedermark auch gen in diesen europäischen, internationalen Din- gesagt hat, auch sehr deutlich ausgeführt hat, sol- gen sehr viel zu tun. Der zuständige Berichterstat- che Abkommen dienen dazu, internationale Stan- ter Huber, im Zweiten Senat, hat besonders viel dards zu setzen und zu festigen. Meine Frage an zu tun mit diesen Dingen. Der hat halt den Herrn Schlegelmilch ist dahingehend, wie schät- Schreibtisch voll. Und deswegen kann man hier zen Sie es ein, dass solche Abkommen auch Ein- letztlich nur hoffen, dass entsprechende Prioritä- fluss auf die globale Standardsetzung haben? Und ten gesetzt werden. Viel anderes kann man dazu das frage ich nicht nur mit Blick auf CETA, was nicht sagen. Außer, Sie wollen wirklich ans Syste- aus europäischer Sicht sicherlich positiv ist, son- mische ran: Was kann das Verfassungsgericht hier dern auch mit Blick auf RCEP, was sicherlich prüfen, sinnvollerweise, und was nicht? Aber das einen anderen Stellenwert für die Europäische ist eine ganz andere, große Debatte. Ich sehe an Union hat. der Stelle außer mit informellen Anfragen – wie lange dauert es denn noch und so weiter – wenige Der Vorsitzende: Herr Mayer, schon haben Sie Möglichkeiten, auf den Ablauf einzuwirken. Also wieder das Wort. nochmal: Hoffentlich im Laufe von 2021, nicht noch weitere 40 Jahre, aber mit Karlsruhe muss SV Prof. Dr. Franz C. Mayer (Universität Biele- man dann eben Geduld haben. feld): Ja, vielen Dank, dann sage ich meinen Satz noch zu Ende. Es ist kein Atavismus, sondern Der Vorsitzende: Herr Schlegelmilch, Sie hätten rechtliche Bindungen in der internationalen Welt noch 30 Sekunden. sind vielleicht wichtiger denn je. Nun zu der Frage, wie lange das noch dauern kann. Es wird SV Rupert Schlegelmilch (EU-KOM): Vielen keine 40 Jahre dauern, davon kann man ausgehen. Dank. Also, ich kann die Frage von Stefan Rouen- Ich würde vermuten, dass es sich möglicherweise hoff, für die ich mich herzlich bedanke, nur posi- im Laufe des Jahres 2021 dann doch konkretisiert. tiv beantworten. Natürlich setzen wir hier ein Bei- Wir rechnen schon damit, dass es nochmal eine spiel für die multilaterale Diskussion. Die Zusam- mündliche Verhandlung gibt. Schon, weil auch menarbeit mit Kanada auch in der sogenannten ein Organstreit mit anhängig ist, der regelmäßig Otawa-Gruppe, wenn es dann in die WTO geht, ist mit mündlicher Verhandlung abläuft – außer alle exemplarisch gut. Initiativen, die wir hier mit Ka- Beteiligten verzichten auf die mündliche Ver- nada schon gemacht haben aufgrund des Abkom- handlung, um die Dinge zu beschleunigen. Das mens auch über Klimaschutz und Handel, über wird mit einer Vorlaufzeit von einigen Wochen Geschlechtergleichstellung oder auch KMU, was angekündigt, dann gibt es die mündliche Ver- für die Wirtschaft auch wichtig ist, das schafft na-

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türlich eine gewisse Basis, um dann auch mit an- rungskurs fahren müssen, weil Sie sich dazu ver- deren Partnern zu reden. Das sehen Sie auch, dass pflichtet haben im Paris-Abkommen oder auch viele von den Ideen auch im Investitionsschutz, einfach aus eigenen Gründen es wollen. Und des- der meiner Ansicht nach durch die Modernisie- wegen sind die Idealvorstellungen sicherlich die, rung durch CETA sehr gut vorangekommen ist. dass man nicht im Alleingang Europa allein ein Das haben wir dann auch in anderen Abkom- Grenzsausgleichssystem schafft, sondern mit men… einem möglichst großen Klimaclub von Ländern, die auch bereit sind, ihre Ziele zu verschärfen und Der Vorsitzende: Herr Schlegelmilch, Sie müssten dann mit Europa gemeinsam einen Mindestpreis zum Schluss kommen, bitte. für CO2 einzuführen. Und diesen Klimaclub könnte man dann nach Außen absichern mit SV Rupert Schlegelmilch (EU-KOM): Nur zu sa- einem Grenzausgleich, der darin besteht, dass gen, in der Tat, wir haben hier eine Vorreiterrolle, man Importe aus Ländern, die keine CO2-Preise die wir so gut wie möglich und ständig versuchen, haben, mit dem heimischen CO2-Preis nachbelas- dann auch auszuweiten im multilateralen Kon- tet. Am besten nach dem CO2-Gehalt dieser Im- zert. porte und potentiell auch, wenn das rechtlich dar- stellbar ist, Exporte in diese Länder, die keinen Der Vorsitzende: Danke. Die nächste Frage stellt CO2-Preis haben, von der heimischen Bepreisung Herr Holm von der AfD, bitte. ausnimmt. Man darf ja nicht vergessen, dass wir mit dem CO2-Preis in Europa aus eigenem Antrieb Abg. Leif-Erik Holm (AfD): Vielen Dank, Herr Vor- natürlich, aber doch einen Wettbewerbsnachteil sitzender. Meine Frage geht an Professor Felber- haben im internationalen Vergleich, der durch mayr. Ich möchte ein Problem adressieren, über den Ausgleich gerade gezogen wird. Also, wenn das wir uns in Zukunft wahrscheinlich öfter noch im Ausland gesagt wird, ihr diskriminiert uns austauschen müssen. Das ist das Thema der dadurch, dann stimmt das nicht. Auch das Wort Klimadebatte und der CO2-Zölle. Sie, Herr Felber- „Ausgleich“ deutet ja darauf hin, dass man, ähn- mayr, sind ja selber ein Befürworter des Grenzaus- lich wie bei der Mehrwertsteuer auch, sozusagen gleichsystems, andere Ökonomen sehen das eher einen Ausgleich an der Grenze macht, um das le- kritisch. Und gerade jetzt im Zusammenhang mit vel playing field herzustellen, das ohne diesen Freihandelsabkommen und auch mit CETA Ausgleich nicht gegeben ist. Aber wie gesagt, möchte ich Sie fragen, welche Auswirkungen Sie wenn wir jetzt über CETA sprechen oder über das denn sehen, gerade für ein bestehendes, wenn transatlantische Verhältnis, dann würde ich sehr auch vorläufiges Handelsabkommen wie CETA stark darauf drängen, dass man diese Klima- und darüber hinaus bei anderen Abkommen auch schutzfragen gemeinsam mit anderen gleichge- in Zukunft. Gleiten wir da nicht wieder in Protek- sinnten Ländern angeht. Die Wahrscheinlichkeit tionismus ab? Provozieren wir damit nicht die hierfür, die ist nicht klein. Wir haben ja schon da neuen Handelskriege in der Zukunft? Also, wie ist auch Beispiele gesehen, als man in Europa ver- Ihre Auffassung zu dieser schwierigen Problema- sucht hat, den internationalen Flugverkehr mit tik? CO2-Preis zu belegen. Da gab es großen Wider- stand. Es gab auch verschiedenste Erklärungen Der Vorsitzende: Herr Felbermayr, bitte. von unseren Handelspartnern, die skeptisch sind. Und um diese Vergeltungsproblematik möglichst SV Prof. Gabriel Felbermayr (IfW Kiel): Vielen auszuräumen, ist das Vorgehen in einer größeren Dank. Es ist in der Tat eine schwierige Problema- Gruppe deutlich vorzuziehen, als wenn wir unila- tik und wenn ich sage, wir müssen nachdenken teral vorgehen. Ich denke, dass die Chancen auch darüber, wie wir innerhalb Europas dekarbonisie- höher sind, als in den letzten 4 Jahren. Und wenn ren, ohne dabei zu deindustrialisieren, dann ich eine Priorität sehe für die transatlantische Zu- glaube ich, ist das ein Thema, dass auch Kanada sammenarbeit in den nächsten Jahren, dann die, oder die USA und viele andere Industriestaaten dass man mit den USA versucht, am Grenzaus- angeht, die auch einen ähnlichen Dekarbonisie- gleich ins Gespräch zu kommen. Alle existieren- den Vorschläge, da gibt es eine ganze Reihe, in

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den USA zum CO2-Preis dort, haben den Grenz- wo es ja umfangreichere Regelungen gibt sogar als ausgleich mit dabei. Nichts davon hat es geschafft, in CETA vereinbart und im Roadmap vereinbart Gesetz zu werden, aber es gibt eine ganze Reihe wurde zur Ratifizierung der ILO-Kernarbeitsnor- von Bills, von Vorschlägen, und da, glaube ich, men in Form 87. Und das wäre eigentlich auch wäre es gut, drauf anzusetzen. Deutschland sollte unser politisches Wollen, zu sagen, dass die Stan- sich da jetzt auch dafür stark machen, dass wir in dards, die mit CETA geschaffen worden sind, diesen Dialog eintreten. auch Standards sind, die Maßstab sein müssen für weitere Handelsabkommen zumindest als untere Der Vorsitzende: Danke, Herr Felbermayr. Es Haltelinie. Inwieweit das sozusagen mit weiteren spricht als nächstes Herr Westphal, bitte. Abkommen, Sigmar Gabriel hat ja durchaus die Probleme eben beschrieben, was bedeutet das für Abg. Bernd Westphal (SPD): Vielen Dank, Herr TTIP? Das würden wir sozusagen natürlich deut- Vorsitzender. Zwei Fragen an Herrn Bercht von lich kritischer sehen, wie die Diskussionen da bis- der IG BCE. Das eine ist, sind die Regelungen in her gelaufen sind. Also auch da wäre ja die Frage, CETA auch Basis für eine Auswirkung auf die EU- inwieweit ist das überhaupt möglich, diese Stan- Handelspolitik insgesamt, was Arbeitnehmer- dards da einzuhalten. Aber das wäre zumindest rechte angeht? Wir haben da ja auch aktuell ein eine Anforderung, die wir da hätten, die Bench- paar Vereinbarungen, die noch abzuschließen marks von CETA als untere Haltelinie auch für sind. Also hat das eine positive Ausstrahlung, weitere Abkommen. China, inwieweit das da bis- auch was die Gewerkschaftsthemen dort angeht her erfolgt ist, kann ich gegenwärtig mit Blick auf bei Mercosur, bei Investitionsabkommen, EU, die Texte noch gar nicht abschließend beurteilen. China und anderen? Eine zweite Frage ist, es gibt Biotechnologie ist sicherlich ein sensibles Thema. einen Dialog, Kooperationen sind in vielen Berei- Was ja, glaube ich, wichtig ist, wir sehen ja, dass chen im CETA angelegt. Zum Beispiel im Bereich das Thema wirtschaftlich weltweit an Bedeutung der Biotechnologie. Wie bewertet das die Gewerk- gewinnt. Im Rahmen, da spielt ja, da ist ja das Ab- schaft als Impuls, als Innovation auch für einen kommen sehr stark auf den Dialog ausgelegt. Eine Impuls des Wirtschaftsstandortes Deutschland in andere Frage ist, inwieweit das Abkommen, ich so wichtigen Fragen, die ja auch globale Probleme sage mal, den Zwang zur Liberalisierung enthält. sicherlich Lösungsmöglichkeiten entwickeln las- Gerade mit Blick auf das ganze Thema Regelungen sen für die Beschäftigung in Deutschland? zu gentechnischen veränderten Organismen, gäbe es da die Befürchtung, Druck zur Liberalisierung, Der Vorsitzende: Danke. Jetzt spricht… Herr die man selber in Europa nicht haben will. Das se- Bercht bitte. hen wir nicht. Also da, wo es das fördert, würden wir das begrüßen, aber da wo ein Liberalisierungs- SV Alexander Bercht (IG BCE): Vielen Dank für druck entstehen würde, den man in Europa poli- die Frage. Ich sage mal, zur Beantwortung der ers- tisch autonom nicht will, wäre das natürlich zu ten Frage sehen wir ja schon eine gewisse Verän- kritisieren. Das sehen wir in dem Abkommen aber derung. Das ist ja heute schon mehrfach angespro- nicht angelegt. chen worden. Man kann sich ja dem Thema von zwei Seiten nähern. Was würde man selber aufs Der Vorsitzende: Danke, Herr Bercht. Es spricht Papier schreiben, wenn man es selber machen als nächstes der Kollege Lämmel. dürfte? Und was ist eigentlich die Welt vor CETA und was ist die Welt nach CETA? Wir kommen ja Abg. Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Ich musste jetzt natürlich eher auch aus der Diskussion her- mir mehrmals ins Ohr kneifen, weil ich nicht aus, was hat sich verändert? Und die Diskussion mehr genau wusste, ob ich jetzt im Wirtschafts- durch CETA sieht man nach unserer Auffassung ausschuss 2016 sitze oder 2021. Also für verschie- schon bei ein paar aktuellen Diskussionen, also dene Fragestellungen, die hier auf den Tisch ka- die Frage der Ratifizierung, Kernarbeitsnorm hat men, die haben wir eigentlich ausgiebig behandelt ja bei weiteren Handelsabkommen eine Rolle ge- und es wundert mich schon, dass wir das alles spielt. Bei Singapur war das der Fall. Wir sehen heute nochmal erörtern mussten. Aber gut, ich das jetzt auch bei dem Abkommen mit Vietnam, hätte eine Frage an Herrn Niedermark und an

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Herrn Schlegelmilch. Kurze Frage. Mittlerweile natürlich ganz klar, dass hier eine Agenda gesetzt seit 2016, seitdem wir die Diskussion geführt ha- wird. Auch durch das, was nicht im Abkommen ben, gab es in der Welt allerhand Bewegung. Es drin ist. Wir sind ja nicht abwesend in Asien. Wir gibt mehrere große Abkommen im asiatischen haben Abkommen mit Vietnam. Wir sind am Ver- Raum. Und, Herr Niedermark, Sie schreiben in Ih- handeln mit Indonesien, wir haben jetzt das Ab- rer Stellungnahme, das sollte ein Weckruf für kommen mit China getroffen über den Investiti- Europa sein. Meine Frage ist eigentlich jetzt an onsbereich, nicht im Schutzbereich, im Investiti- Sie, an den Vertreter der Wirtschaft, ob Sie mei- onsbereich. Aber es ist ganz klar, die Gewichte nen, dass dieser Weckruf in Europa angekommen verschieben sich und wir müssen darauf reagie- wäre nach diesen Diskussionen auch heute. Und, ren. Wir haben nämlich andere Ansprüche, wie Herr Schlegelmilch, vielleicht auch an Sie die das schon gesagt wurde. Höhere Ansprüche daran, Frage, ob der in Brüssel angekommen ist, dieser wie Globalisierung geregelt werden soll. Und wir Weckruf. müssen aber Angebote für diese Staaten haben.

Der Vorsitzende: Danke für die Frage. Als erstes Der Vorsitzende: Danke. Als nächstes fragt Herr Herr Niedermark, bitte. Houben, bitte.

SV Wolfgang Niedermark (BDI): Ja, Herr Lämmel, Abg. Reinhard Houben (FDP): Ich möchte bitte ich stimme Ihnen da zu. Das ist eine Frage, die nochmal Sigmar Gabriel ansprechen. Zwei Vorbe- man sich wirklich stellen muss. Ich hoffe und ich merkungen: Erstens, Frau Dröge, natürlich debat- denke, dass der Weckruf angekommen ist. RCEP tieren wir hier politisch. Wir sind ja im Wirt- ist sogar mehr wahrgenommen worden, als es schaftsausschuss des Deutschen Bundestages, wir eigentlich verdient hätte. Es ist nämlich gar nicht sind hier ja nicht in einem juristischen Seminar. so ein weitreichender Fortschritt, es ist ein trade Natürlich sind die Verfassungsfragen wichtig, aber facilitation agreement, was eben unseren Ansprü- am Ende muss eine politische Entscheidung ge- chen an Modernität, Investitionsschutz, Nachhal- troffen werden. Zweite Vorbemerkung, das Klage- tigkeitskapitel gar nicht trägt. Aber es ist insofern recht ausländischer Investoren ist ja eine deutsche ein wichtiger Weckruf, und da hat einfach die Erfindung, weil gerade die deutsche Wirtschaft schiere Größe der beteiligten Volkswirtschaften diese entsprechende Unterstützung brauchte. Das und die Beteiligung Chinas geholfen, dass da ein hängt mit unserer Historie zusammen. Vor diesem Blick entsteht, dass wir nicht die Einzigen sind, Hintergrund die Frage an Herrn Gabriel: Wenn die sich um die Gestaltung der globalen Handels- CETA Goldstandard ist, wie gehen wir denn dann ordnung bemühen. Und insofern würde ich sagen, mit anderen Verträgen, die wir jetzt vor der Brust ja, das funktioniert und im Zusammenspiel mit haben, um? Ich sage mal Mercosur. Machen wir dem, was jetzt gerade auch auf der transatlanti- Ratifizierungen solcher Verträge abhängig von den schen Agenda die ganze Zeit diskutiert wurde, aktuellen politischen Entscheidungen in diesen denke ich schon, dass wir hier im Moment ein demokratischen Ländern anhand ihrer jeweiligen großes Momentum haben. Und was zusätzlich ein Wahlergebnisse? Wie kommen wir weiter? Denn Argument dafür sein sollte, dass wir mit CETA ich bin überzeugt, wir sind auf solche Verträge an- einen wichtigen Schritt jetzt auch endlich ma- gewiesen. Wie kommen wir weiter, wenn wir chen, um in diesem Spiel auch mit dabei zu sein einen Goldstandard definiert haben, den wir dann und Handlungsfähigkeit zu beweisen. Also, Weck- hoffentlich irgendwann beschließen, wie gehen ruf ist angekommen, glaube ich. wir mit den anderen Verträgen um?

Der Vorsitzende: Danke. Herr Schlegelmilch bitte. Der Vorsitzende: Herr Gabriel bitte.

SV Rupert Schlegelmilch (EU-KOM): Ich kann SV Sigmar Gabriel, Bundesminister a.D. (Atlan- mich da mehr oder weniger anschließen. Es ist tik-Brücke e.V.): Vielen Dank. Sie, bzw. die Euro- wohl in der Tat so, denn nach unserer Analyse ist päische Union wird immer wieder entscheiden das Abkommen weniger wirtschaftsbedeutsam im müssen, ob sozusagen aus dem Goldstandard Sinne von Liberalisierung zusätzlich, aber das ist

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noch mehr gemacht werden kann, ein wertvolle- nicht so ganz überzeugt, dass man mit der neuen res Edelmetall erreicht werden kann oder ob man Administration in den USA es leichter haben sich manchmal auch mit Silber zufrieden geben wird, als wir es bisher hatten. Aber wie können muss. Das ist ja die Güterabwägung, wie groß das vertiefte transatlantische Handels- und Investiti- nationale und das europäische Interesse ist gegen- onsbeziehungen Schrittmacher für die Fortent- über dem, was es sozusagen in Anführungsstri- wicklung eines globalen Regelwerkes werden und chen „hergeben“ oder auf was man verzichten welche Rolle kann dabei die WTO zum Beispiel muss, damit die andere Seite da zustimmt. Also spielen? Das ist ja auch eine wichtige Frage. da kann ich keine generelle Antwort geben. Nur, Danke dass die Europäische Kommission damals in Form von Frau Malmström gesagt hat, dass sie es als Der Vorsitzende: Danke. Herr Felbermayr, bitte. ihre Aufgabe ansehen würde, jetzt auch die bereits existierenden alten Abkommen, manche sind ja SV Prof. Gabriel Felbermayr (IfW Kiel): Vielen auch noch nationaler Natur. Deutschland ist, Dank, Herr Loos. Also die Frage, wie bilaterale glaube ich, das Land mit den meisten Abkommen Abkommen zum multilateralen System sich stel- in Europa, die dem heutigen Standard mit CETA len. Das ist eine alte Frage, die seit vielen Jahr- nicht mehr entsprechen würden, dass sie sich vor- zehnten diskutiert wird und strittig ist. Aber ich genommen hat, die Europäischen Abkommen mit denke, dass in der Literatur die Sicht überwiegt, Blick auf CETA zu modernisieren. Das war die die bilateralen Abkommen als Bausteine auch für Aussage. Eine letzte Bemerkung noch zu Herrn die multilaterale Ordnung zu sehen, weil dort et- Mayer. Herr Mayer, ich habe gar nichts dagegen was ausprobiert werden kann und etwas vorgelebt gegen den Inhalt Ihrer Aussage. Nur eines will ich werden kann, das, wenn es klappt und funktio- sagen, es ist zwischen der Bundesregierung und niert, dann eben auch ins multilaterale Handels- dem Verfassungsgericht absolut üblich, dass man recht übernommen werden kann. Und da denke Dinge auch miteinander bespricht und das Verfas- ich, ist Europa immer noch in einer sehr, sehr gu- sungsgericht sagt dann sehr klar, wenn es der Mei- ten Position. Wir sind für sehr viele der 164 WTO- nung ist, dass die Frage der Bundesregierung zu Mitglieder der wichtigste Handelspartner. Wenn weit geht. Da muss man keine Sorge haben, man sich ein kleines Land fragt, nach welchen Stan- mische sich in die richterliche Unabhängigkeit dards richte ich mich aus, dann wird natürlich ein. Aber dass in einer solchen Frage geklärt wer- immer das Land mit den größten Handelsanteilen den kann, ob etwas dagegen spricht, den Ratifizie- ein großes Gewicht haben. Und da ist Europa in rungsprozess in Gang zu setzen, glaube ich, dage- einer Situation, wo es auch gestalten kann. Und gen gibt es überhaupt nichts einzuwenden. Ich wir sehen das auch zum Beispiel bei der DSGVO glaube, dass das sogar schon passiert ist, aber das sehr deutlich und in anderen Bereichen. Manche müssten Sie dann die zuständige Regierung fra- Kollegen, Wissenschaftler sprechen davon, dass gen. Aber in der Sache habe ich keine Probleme die Europäische Union eine Regulierungssuper- mit Ihrem Hinweis, weil ich wie Sie glaube, dass macht ist. Wir haben kein Großes, wir sind viel- das Verfassungsgericht am Ende alle Beschwerden leicht auch im Finanzsystem nicht ganz vorne, ablehnen wird. nicht bei den Top-Unternehmen, was den Kapital- wert angeht, aber im Regulierungsbereich, da ist, Der Vorsitzende: Danke. Als nächstes geht die glaube ich, der Befund schon ein sehr positiver. Frage an Herrn Loos. Deswegen glaube ich, dass gerade, wenn Europa mit den transatlantischen Partnern, vor allem mit Abg. Bernhard Loos (CDU/CSU): Ui, da ist das den USA am Ende Lösungen findet für große The- Ding runtergefallen. Also, meine Frage geht wie- men, ich habe vorher das Thema Grenzausgleich der an den Herrn Professor Felbermayr. Ich stelle angesprochen, dass das durchaus auch, wenn es mir natürlich insgesamt die Frage, wir haben es ja denn funktioniert, etwas sein kann, das man in jetzt gesagt, dass wir ein bisschen mehr politisch die multilaterale Ordnung übernehmen kann. Das und weniger juristisch die Sache angehen. Inwie- ist jedenfalls die Geschichte auch der WTO-Run- weit kann denn nämlich dieses CETA auch Vor- den, der unterschiedlichen, gewesen, dass, was bild für andere Dinge sein? Und ich bin jetzt da

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dort umgesetzt wurde, schon auch vorher in bila- Kraft getreten ist, in den Anwendungsbereich die- teralen Abkommen ausprobiert wurde. Ob es ser gemeinsamen Handelspolitik miteinbezogen. leichter wird mit der neuen Administration, das Das ist also eigentlich EU-only. Das Problem, das werden wir jetzt sehen. Ich denke, klar ist, dass man hier hat, ist allerdings, dass man das Ganze – die neue US-Administration zunächst einmal ge- also bis zum Vertrag von Lissabon – eigentlich auf waltige Hausaufgaben wird lösen müssen. Das ha- das WTO-System zugeschnitten hatte – auch von ben wir ja in den letzten Tagen ja nochmal drama- diesen Kompetenzbegriffen her. Und ab 2009 tisch vor Augen geführt bekommen und dass das kann man beobachten, dass die WTO eher etwas Hauptaugenmerk nicht auf der Außenhandelspoli- in den Hintergrund tritt und man mehr auf diese tik liegen wird. Und wenn für uns in Europa jetzt umfassenden Freihandelsabkommen setzt. Und das große Thema Klimaschutz ganz vorne steht, daraus ergeben sich dann bestimmte Reibungsef- und das muss man ja so lesen als Beobachter, fekte. Nun ist es so, dass wenn die EU ein Abkom- wenn man Äußerungen der Kommissionspräsi- men mit Drittstaaten oder mit internationalen Or- dentin hört zum Beispiel, aber auch weiß, dass ganisationen schließt, das Verpflichtungen ent- das in der Demokratischen Partei einen hohen hält, zu denen die Union keine Kompetenzen hat Stellenwert hat, dann glaube ich, wäre hier sozu- – also zum Beispiel Strafbewehrung bei Urheber- sagen ein Thema für Zusammenarbeit wo wir mit rechtsverletzungen, Raubkopien oder so, Straf- Nachdruck rangehen können. Und Kanada gehört recht ist aber keine Kompetenz der EU – dann da ganz dringend dazu, weil eben Kanada und eben die Mitgliedstaaten mit an Bord und auch USA ein unglaublich stark integrierter Wirt- Vertragsparteien sein müssen. Das sind dann eben schaftsraum ist. die gemischten Abkommen, wo die Kompetenzen von EU und Mitgliedstaaten zusammen dafür sor- Der Vorsitzende: Die nächste Frage stellt Herr gen, dass man gegenüber dem Drittstaat die ent- Töns, bitte. sprechende Rechtsmacht hat. Das heißt: Probleme gibt es dann, Fragen stellen sich dann, wenn die Abg. Markus Töns (SPD): Vielen Dank. Meine EU keine Kompetenz hat und wenn es bestimmte Frage richtet sich nochmal an Professor Mayer. Überschneidungen gibt zwischen den mitglied- Und zwar ist die Kompetenzabgrenzung zwischen staatlichen und den Unionskompetenzen. Wenn der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten es da Unklarheiten gibt, dann hat man für die vor- in der Handelspolitik aus verfassungsrechtlicher läufige Anwendung – in der wir uns ja gerade be- Sicht vollständig geklärt und wenn nicht, welcher finden und wo das noch einmal eine Rolle spielt, Klärungsbedarf ergibt sich eigentlich auf europäi- weil man ja nur den Unionsteil vorläufig anwen- scher Ebene? det, der nationale Teil, der bleibt ja weiter auf Eis gelegt – eine pragmatische Lösung. Das sind die Der Vorsitzende: Herr Mayer bitte. sogenannten rechtswahrenden Erklärungen, mit denen man beim Vertragsabschluss klarstellt, dass SV Prof. Dr. Franz C. Mayer (Universität Biele- die vorläufige Anwendung im Bereich der geteil- feld): Vielen Dank für die Frage. Also, eigentlich ten Zuständigkeiten die Kompetenzverteilung ist das schon relativ klar. Die EU ist zuständig: ja. zwischen EU und Mitgliedstaaten unberührt lässt. Es gibt im entsprechenden Primärrecht, in Arti- Und nochmals: auch unter diesem Aspekt, diesen kel 207 AEUV, ganz klar die Aussage, dass die EU Themenkreis im Blick, macht es Sinn, dass man über die Kompetenzen im Abschluss von Han- mit der Ratifikation wartet, weil das Bundesver- delsabkommen verfügt. Und die Bestimmungen fassungsgericht diesen, wenn Sie so wollen, un- zu dieser gemeinsamen Handelspolitik, wie das scharfen Bereich 2016 etwas anders vermessen dann im Europarecht heißt, die sind Teil der ganz hatte als der Europäische Gerichtshof ein Jahr spä- seltenen Kategorie der ausschließlichen Zustän- ter im Singapur-Gutachten, im Gutachten zum digkeiten der EU. Der Handel mit Dienstleistun- Freihandelsabkommen mit Singapur. Nun ist ein- gen, insgesamt Handelsaspekte des geistigen fach nicht ganz klar, wie das Bundesverfassungs- Eigentums und dann die ausländischen Direktin- gericht damit umgeht, ob das Bundesverfassungs- vestitionen, all dies ist überhaupt erst seit dem gericht sagen wird: „Okay, der EuGH hat es ausge- Vertrag von Lissabon, also seit 2009, als der in legt, sieht es ein bisschen anders, aber der EuGH

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ist zuständig, dann sehen wir das auch so.“ Oder für den Mittelpunkt der derzeitigen öffentlichen ob vielleicht dann doch im Wege der Vorlageent- Debatte, das kann aber wieder dazu werden, na- scheidung dann nochmal der EuGH vom Bundes- türlich. Die Frage ist, ob man dem dadurch aus- verfassungsgericht angerufen wird, nochmals weichen kann, dass das Verfassungsgericht ein nachgefragt wird, weil man glaubt, der EuGH habe Urteil fällt. Ein bisschen sieht das ja auch danach etwas übersehen. Oder ob man möglicherweise so- aus, dass man als Politiker nicht den Mut hat, zu gar einen offenen Gegensatz sucht: Wir haben ja einer Sache zu stehen, die man selbst für richtig letztes Jahr im Kontext PSPP, Europäische Zent- findet, sondern hofft, dass das Verfassungsgericht ralbank gesehen, dass das Bundesverfassungsge- das tut, damit man dann sagen kann, guck mal, richt sich auch traut, diesen Konflikt offen einzu- das Gericht hat es ja entschieden. Also das ist jetzt gehen, was sicher nicht klug war, vielleicht wird eine bisschen böse Interpretation, aber wie sich das auch nicht unmittelbar wiederholt. Aber es ist die öffentliche Meinung dazu vollzieht, dazu kann hier auch nicht völlig ausgeschlossen. Also, das ich wenig sagen. Ich weiß, dass das damals als in sind Dinge, die die Ratifikation dann auch betref- der Tat, da haben Sie Recht, nach massivem fen und von daher, ich komme nochmal auf mei- öffentlichen Druck auch Verhandlungsergebnisse nen Punkt: Es ist klüger, an der Stelle zu warten. mal offen gelegt wurden, dass Texteinsicht, ich er- innere mich, dass ja selbst der Deutsche Bundes- Der Vorsitzende: Dankeschön. Die nächste Frage tag zu bestimmten Verhandlungsprozessen an- werde ich selbst stellen. fänglich keinen Zugang haben sollte. Dass dann, als das möglich war, sich kaum einer für die Do- Abg. Klaus Ernst (DIE LINKE.): Und ich richte sie kumente interessiert hat. Auch das gehört zur an Sigmar Gabriel. Die erste Frage ist: Wir haben Wahrheit. Es gab ja, nachdem dann zum Beispiel ja momentan den New Green Deal auf der europä- bei TTIP und anderen Verfahren Dokumente vor- ischen Ebene. Und in diesem New Green Deal ha- lagen, fast niemanden, der da reingeguckt hat. Es ben wir die Forderung nach regionalen Wirt- hat auch niemanden interessiert. Man hat trotz- schaftskreisläufen. In welcher Weise kommen wir dem öffentlich weiterhin das Gleiche behauptet, eigentlich damit in Konflikt zu der Liberalisie- obwohl in den Dokumenten was anderes steht. rung, zu der Ausweitung des internationalen Han- Also das ist ein bisschen Spekulation. Zu Ihrer dels, der ja eigentlich einen Zielkonflikt darstellt ersten Frage, ob prinzipiell die Liberalisierung, zwischen dem einen und dem anderen Wert. Und die wir vornehmen, ein Widerspruch ist gegen- die zweite Frage: Es war ja nun ein großer Ver- über einer stärkeren politischen Vorgabe, das ist dienst der Zivilgesellschaft, diese Geheimniskrä- eine interessante Frage. Weil, ich glaube schon, merei um diese Handelsabkommen auf der euro- dass es auf der einen Seite nach den letzten päischen Ebene in die Öffentlichkeit zu rücken 30 Jahren unter der Überschrift Liberalisierung und dabei auch eine entsprechende Stimmung oder Öffnung aller Grenzen für Daten, Finanzen, und auch einen entsprechenden Druck auf Verän- für Waren, am Ende auch für Menschen, jetzt eine derungen zu erzeugen, der sich dann auch durch- umgekehrte Debatte, nämlich wo ist die Grenze gesetzt hat. In welcher Weise könnte denn die der Öffnung? Das ist die Frage nach Sicherheit, öffentliche Meinung in dieser Frage wieder um- nach gemeinsamen Verabredungen. Die werden schlagen, wenn jetzt relativ schnell ohne das Ver- Sie aber in internationalen Abkommen wie dem fassungsgerichtsurteil abzuwarten, eine Entschei- Klimaschutzabkommen klären müssen und die dung auf parlamentarischer Ebene stattfinden werden Sie sozusagen nicht grundsätzlich lösen könnte. können, indem Sie sagen, ich bin gegen Handels- abkommen oder ich bin dafür. Wir werden versu- Der Vorsitzende: Sigmar Gabriel bitte. chen müssen, die Handelsabkommen immer wei- terzuentwickeln und dabei nach Möglichkeiten, SV Sigmar Gabriel, Bundesminister a.D. (Atlan- solche Fragen, wie Sie sie jetzt aufwerfen nach so- tik-Brücke e.V.): Zur letzten Frage, das ist Speku- zialen, nach ökologischen, nach Klimaschutzthe- lation. Das kann ich nicht sagen. Ich glaube, dass men, stärker aufgreifen. Früher waren die über- zurzeit außer den Experten niemand weiß, dass haupt nicht Gegenstand solcher Abkommen. Und das noch gar nicht in Kraft ist. Ich halte das nicht

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gleichzeitig natürlich parallel dazu nach der Mög- zu senken, um Investitionen anzuziehen. Das ist lichkeit, rechtsverbindliche internationale Ab- also auch so eine Art faires Wettbewerbsargument. kommen zum Klimaschutz zu schließen. Da wer- Dann gibt es aber, das haben wir ja auch eben ge- den wir sehen, dass selbst der amerikanische Prä- hört, Verpflichtungen im internationalen Abkom- sident Joe Biden wieder keine Mehrheit haben men, eben zu ratifizieren, ILO-Kernarbeitsnormen wird, einen rechtsverbindlichen Vertrag zu unter- bzw. diese auch umzusetzen im Umweltbereich. zeichnen. Er kann nur zurück ins Klimaabkom- Und da stellt sich natürlich die spannende Frage, men per Executive Order, wie sein Vorgänger per wie wird das eigentlich umgesetzt. Und das ist, Executive Order ausgeschieden ist. Also das wird glaube ich, etwas, was auch zu Recht immer wie- unser schwieriger Weg der Verbindlichkeit sol- der kritisch gesehen wird. Diese Nachhaltigkeits- cher Abkommen, den werden wir durch nichts kapitel sind eben nicht dem normalen zwischen- anderes erspart bekommen. Auch nicht durch staatlichen, also auf der einen Seite ist die EU, die noch so gute Handelsabkommen. ist ja kein Staat, aber jedenfalls dieser zwischen- staatliche Streitbeilegungsmechanismus, der ja ty- Der Vorsitzende: Danke. Als letzte Fragestellerin pischerweise in den Freihandelsabkommen drin dieser Anhörung Frau Dröge bitte. ist, eben nicht unterworfen. Das heißt, eine Verlet- zung würde eben hier gar nicht sozusagen in den Abge. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE normalen Streitbeilegungsmechanismus einbezo- GRÜNEN): Ja, ganz herzlichen Dank. Meine Frage gen werden. Da gibt es ein eigenes Verfahren, da richtet sich zum dritten Mal an Professor gibt es ein Expertenpanel. Gegen Expertenpanel Krajewski. Ich würde Sie bitten, weil das jetzt ist ja nichts einzuwenden, aber wenn man sich da auch öfter um das Thema Klimaschutz, Nachhal- genau anschaut, was macht dieser Expertenpanel, tigkeit in Handelsverträgen ging, einmal Stellung da darf ich auch nochmal vielleicht kurz den Text zu nehmen zu der Ausgestaltung, der konkreten zitieren. Also die geben dann einen Bericht ab, Ausgestaltung der Nachhaltigkeitskapitel in CETA das ist ja auch in Ordnung, und was ist mit die- und zu der Frage, inwieweit hier Regelungen sem Bericht? Naja, dieser Bericht, der soll dann eigentlich durchsetzbar sind aus Ihrer Sicht. Und eben von den Vertragsparteien, den Streitparteien die zweite Frage wäre, inwiefern aus Ihrer Sicht sozusagen zur Kenntnis genommen werden, wenn das europäische Vorsageprinzip ausreichend im sie sich überlegen, wie sie mit dem Streit jetzt Vertragstext verankert ist. eigentlich umgehen. Das heißt also am Ende, selbst wenn man sagt, da war eine Verletzung Der Vorsitzende: Danke. Herr Krajewski bitte. eben dieses Nachhaltigkeitskapitels, dann gibt es da keine echten Sanktionen. Und vielleicht darf SV Prof. Dr. Markus Krajewski (FAU Erlangen- ich an der Stelle eine Fußnote setzen, es wird ja Nürnberg): Ja, vielen Dank. Also CETA ist ja, das dann ja oft auch gerne erzählt, dass andere Ver- ist ja jetzt schon mehrfach angesprochen worden, tragsparteien das überhaupt gar nicht wollen, kommt ja mit der Aura des Golden Standards. Na- Nachhaltigkeit. Ich habe mit jemandem gespro- türlich auch im Bereich der Nachhaltigkeit folgt chen aus Indonesien, der den indonesischen Ver- CETA dem neuen Modell des Europäischen Frei- handlungsprozess sehr gut kennt und der hat mir handelshandelsabkommens. Manchmal ist es ein eine ganz andere Geschichte erzählt. Der hat ge- ganzes Kapitel, manchmal sind es Unterkapitel sagt, natürlich wollen wir Nachhaltigkeit in dem zum Thema Handel und Nachhaltigkeit. Das wird Kapitel haben und wir wollen das eben auch ver- dann meistens aufgesplittet in einmal ein Thema bindlich haben. Wir wollen verbindliche Stan- Handel und Umwelt und ein Kapitel zu Handel dards und wir wollen, dass im Zweifelsfall, auch und Arbeit. Wir haben ja eben schon mehrfach wenn die Europäische Union sich nicht daran über die ILO-Standards gesprochen. Und typi- hält, es natürlich dann hier eine verbindliche scherweise enthalten diese Abkommen dann Streitbeilegung gibt. Also das ist, glaube ich, ein auch, dass CETA eben eine Reihe von Verpflich- Punkt, über den man auch zukünftig diskutieren tungen, eine ist zum Beispiel, dass die Vertrags- soll und ich da auch sagen würde, also da ist der parteien sich wechselseitig versprechen, ihre Standard jedenfalls nach meinem Dafürhalten in Standards im Umwelt- und Arbeitsbereich nicht

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der Wertigkeit von Edelmetallen nicht einmal sil- Kollegen. Ich möchte vielleicht noch eine ab- bern. Das Vorsorgeprinzip ist in CETA nicht wei- schließende Bemerkung machen. Wir haben ja ter ausgeflaggt. Das bewegt sich im Prinzip auf der zurzeit wieder eine ganze Reihe von Abkommen. Ebene, auf der sich das im WTO-Bereich auch be- Eines, das ich ansprechen möchte, ist das Abkom- wegt. Kanada hat natürlich in seinen eigenen nati- men mit China. Und ich habe den Eindruck, wir onalen Gesetzen das Vorsorgeprinzip auch veran- müssen aufpassen, dass da nicht derselbe Fehler kert, aber es gibt hier nichts, was das CETA sozu- passiert, der schon gemacht wurde. Den Abgeord- sagen auf völkerrechtlicher Ebene das Vorsorge- neten des Deutschen Bundestags liegt das Abkom- prinzip weitertragen würde, als das eben im Be- men noch nicht vor. Wir wissen nicht, was da reich von WTO und anderen Abkommen auch drinsteht. Aber es wird überall diskutiert. Also schon geregelt wäre. Dankeschön. auch da würde ich dringend darum bitten, dass Der Vorsitzende: Recht herzlichen Dank. Wir sind man möglichst schnell Transparenz herstellt, da- damit am Ende der Anhörung angelangt. Ich mit auch dort eine fachkundige und sachliche Dis- möchte mich bei allen Sachverständigen recht kussion stattfinden kann – auch mit allen Beteilig- herzlich bedanken für das, dass Sie einerseits hier ten. Mit dieser Bemerkung möchte ich schließen. waren, aber andererseits auch zur Verfügung stan- Ich wünsche Ihnen einen guten Nachhauseweg den, auch wenn es per Video war. Ich möchte und uns allen noch eine angenehme Sitzungswo- allen danken, die an dieser Befragung teilgenom- che. men haben von Seiten meiner Kolleginnen und

Schluss der Sitzung: 12:59 Uhr Pau/Axe/Ka/Schu

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