5. Internationales Symposium

Linz, 6. Mai 2011

Programm und Beiträge

Redaktion: Isabella Girstmair www.mkoe.at

Comité International de Mauthausen in Kooperation mit Mauthausen Komitee

Wissensturm Österreich Volkshochschule

Inhaltsverzeichnis

Tagungsprogramm ...... 3

Hans de Vries Mauthausen: ein besonderer Fall ...... 5

Alexander Prenninger Netzwerke der Deportierten...... 13

Titus Lenk Gibt es eine braune Internationale?...... 23

Szabolcs Szita Staatliche Kollaboration in Ungarn nach 1944 ...... 41

György Haraszti Von den Skinheads bis zur – die ungarische Rechte heute ...... 45

Monika Kokalj‐Kočevar Slowenien: Zwischen Oppression und Kollaboration ...... 53

Jean‐Marie Winkler Die Gaskammer von Hartheim im Netzwerk des Terrors ...... 59

Markus Rachbauer & Thomas Rammerstorfer Brauntöne: Rechtsextreme Musik in Österreich ...... 69

2 Tagungsprogramm

Tagungsprogramm

Zeit Programmpunkt/Titel des Vortrags ReferentIn

8:30 Einlass und Tagungsunterlagen, Büchertisch ‐‐‐

9:00 Begrüßung und Themenpräsentation Programmkomitee

9:30 Mauthausen: ein besonderer Fall Hans de Vries

Netzwerke der Deportierten. Mauthausen‐ 10:00 Häftlinge im System nationalsozialistischer Ter‐ Alexander Prenninger rorstätten

10:30 Die braune Internationale Titus Lenk

11:00 Kaffeepause ‐‐‐

11:30 Staatliche Kollaboration in Ungarn 1944 Szabolcs Szita

Von den Skinheads bis zur Jobbik – die ungarische 12:00 György Haraszti Rechte heute

12:30‐13:30 Mittagspause ‐‐‐

Slowenien: Zwischen Oppression und Kollaborati‐ 13:30 Monika Kokalj‐Kočevar on

Die Gaskammer von Hartheim als Berührungs‐ 14:00 Jean Marie Winkler punkt von verschiedenen Netzwerken des Terrors

14:30 Kaffeepause ‐‐‐

Markus Rachbauer & 15:00 Brauntöne: Rechtsextreme Musik in Österreich Thomas Rammerstorfer

Gibt es eine europaweite Vernetzung der ‐ 15:30 Programmkomitee Aktivitäten? Strategien und Abschlussdiskussion

16:30 Ende der Veranstaltung ‐‐‐

3 Hans de Vries

4 Mauthausen: ein besonderer Fall

Hans de Vries Mauthausen: ein besonderer Fall

Während der Besatzung der Niederlande wurden heit, ihren Antisemitismus auszuleben und diesen niederländische StaatsbürgerInnen – Juden Jüdin- durch Provokationen, Misshandlungen und Zer- nen und Nicht-Juden/-Jüdinnen – in verschie- störungen eindringlich zum Ausdruck zu bringen. dene Nazi-Lager deportiert. In ihrer Allgemein- Dieser Terror führte zu einer Vielzahl von Ge- heit weicht diese Tragödie nicht ab von jenen, die genreaktionen, nicht nur von den Betroffenen – sich in anderen Landen zugetragen haben; darum der jüdische Widerstand hatte schon sehr früh kann nicht von einer spezifisch niederländischen begonnen –, sondern auch in deren Umgebung. Deportationsgeschichte gesprochen werden. Zahlreiche Schlägereien fanden vorwiegend in In Mauthausen spielte sich in Bezug auf Gefan- Amsterdam statt, der Stadt, die etwa 60% aller in gene, die aus den Niederlanden kamen, hingegen den Niederlanden lebenden JüdInnen beher- neben der allgemeinen auch eine besondere Ge- bergte. Die Situation lief dermaßen aus dem Ru- schichte ab – in dem Sinne, dass dort 1941 und der, dass am 11. Februar 1941 ein niederländi- 1942, innerhalb sehr kurzer Zeit nach ihrer An- scher Nazi bei einer Schlägerei solche Verletzun- kunft, ungefähr 1.200 jüdische Gefangene, lauter gen erlitt, dass er daran starb. Männer, ermordet wurden. Inmitten der Schre- Diese Eskalation von Gewalttätigkeiten konnte cken, die in allen Nazi-Lagern stattfanden, haben von Seiten der Besatzer natürlich nicht unbeant- diese Massaker dem KZ Mauthausen in den Nie- wortet bleiben. Nicht nur wurde eine Anzahl von derlanden einen besonderen und berüchtigten Ruf Betroffenen bei den Schlägereien verhaftet, es verliehen. folgten außerdem weit reichende Maßnahmen. Diese Maßnahmen richteten sich fast ausschließ- Die Razzien von 1941 lich gegen JüdInnen. Nach dem Einmarsch der Deutschen im Mai Zunächst musste die sogenannte „Judenecke“, das 1940 bekamen die Niederlande eine zivile Be- Viertel, in dem ein großer Teil des traditionellen satzungsregierung, an deren Spitze ein Reichskom- jüdischen Proletariats wohnte, abgeriegelt werden, missar, Arthur Seyss-Inquart, stand. Dies bedeu- um zu verhindern, dass sich die jüdische Bevölke- tete, dass nicht so sehr die Wehrmacht, sondern die rung weiterhin versammeln konnte. Diese Maß- SS eine leitende Rolle im alltäglichen Lauf der nahme wurde übrigens ein paar Tage später wie- Dinge spielte. Obwohl es nach der nationalsozia- der zurückgenommen. Außerdem wurde von listischen Machtübernahme 1933 in Deutschland einigen bedeutenden Mitgliedern der jüdischen und Österreich zahllose Beispiele gegeben hatte, Gemeinschaft gefordert, so schnell wie möglich von denen man das schreckliche Schicksal der aus ihrer Mitte einen sogenannten Joodse Raad [dt. Juden und Jüdinnen herleiten konnte, so es Judenrat] zu berufen. Mit der Einrichtung dieses dazu in den ersten Monaten der Besatzung der Rats erhielten die Besatzer ein Instrument, um die Niederlande keinen Anlass. Zwar wurden ver- jüdische Bevölkerung fortan auch über deren schiedene Maßnahmen gegen die jüdische Bevöl- eigene Vertretung beherrschen und steuern zu kerung eingeführt, doch schienen diese verhält- können. nismäßig harmlos zu sein. Im Allgemeinen rea- Der Judenrat bekam ein eigenes Organ für die gierte die große Mehrheit der (späteren) Opfer, Öffentlichkeit, Het Joodsche Weekblad, das ab Juni aber auch die Umgebung, gelassen darauf. 1942 erschien. Die Zeitung hatte natürlich als Dennoch wurde schon in den letzten Monaten primäre Funktion, die JüdInnen über die gegen sie des Jahres 1940 deutlich, dass die Besatzer eine gerichteten Maßnahmen zu informieren. Die grundlegende Trennung von JüdInnen und Nicht- Besatzer wünschten im Prinzip, nicht mehr länger JüdInnen in der niederländischen Gesellschaft selbst mit der jüdischen Bevölkerung zu kommu- vornehmen wollten. Außerdem hatten niederlän- nizieren, sondern die für JüdInnen wichtigen dische NationalsozialistInnen nun die Gelegen- Mitteilungen über den Judenrat vorzunehmen.

5 Hans de Vries

Die vielen Unruhen stellten eine unangenehme wurde, dass sie anders behandelt wurden als an- Überraschung für die Besatzer dar, die größtmög- dere Gefangene. Sie mussten dort verschiedene liche Ruhe und Ordnung in der Gesellschaft an- Misshandlungen über sich ergehen lassen. strebten, worin sie bis dahin auch erfolgreich Diese Razzia hatte eine heftige Reaktion der Ams- gewesen waren. Vor allem dem Leiter des Repres- terdamer Bevölkerung zur Folge, die später als sionsapparates, dem Generalkommissar für das Februarstreik bekannt wurde. Der Streik dauerte Sicherheitswesen und Höheren SS- und Polizeiführer zwei Tage und wurde blutig niedergeschlagen. (HSSPF) Hans Rauter, waren die Unruhen ein

Dorn im Auge. Mit den nötigen Verdrehungen Bereits wenige Tage nach ihrer Ankunft wurden der Tatsachen und Übertreibungen berichtete er am 20. Februar 1941 ausführlich seinem Chef 390 Gefangene aus Schoorl abtransportiert. Sie Heinrich Himmler davon. Laut Rauter war eine kamen nach Buchenwald. „Dort war alles für unser Kommen vorbereitet worden”, so Max Nebig, einer der Situation entstanden, beiden Überlebenden des Transportes. „… daß mit aller Gewalt vorgegangen werden mußte. […] Schießereien sind an der Tagesordnung, sodaß ich „Wir sahen nach der Reise wirklich schrecklich aus. gestern und heute in schärfster Form vorgehen mußte.” Die ganze Zeit durften wir uns nicht waschen und rasieren, und gerade weil so viele dunklere Typen dabei In seinem Bericht zeigte er sich vor allem verär- waren, fiel das sehr auf. Sie haben dann noch einen gert über das Verhalten der JüdInnen. Ihr Wider- miesen Trick benutzt. Die Männer, die am schäbigsten stand schien sich nicht mehr auf Schlägereien zu aussahen, wurden herausgeholt und fotografiert. Die begrenzen. „Gestern Abend hat es auch im jüdischen Fotos wurden natürlich als abschreckendes Beispiel in Emigrantenviertel eine Schießerei gegeben”, schreibt er allen deutschen Zeitungen veröffentlicht.” verweisend auf einen Überfall der Ordnungspoli- zei in Amsterdam in einem Lokal, in dem sich In Buchenwald saßen bereits andere Niederländer eine „illegale Terrorgruppe“ aufgehalten haben soll. gefangen. Sie sahen, so schrieben zwei von ihnen, den betreffenden Transport „wohlgemut und voll Es sei auf die Polizisten geschossen und außer- dem Ammoniak in ihre Gesichter geschüttet Widerstand ankommen”, doch mussten sie einen worden. Mehrere Verhaftungen wurden vorge- Monat später feststellen, dass dieser Optimismus sehr schnell verschwunden war. nommen, und die Verhafteten, unter ihnen die Eigentümer, sollten am kommenden Tag vor das „Die Gruppe holländischer Juden musste von halb eins SS- und Polizeigericht in Den Haag gebracht werden. bis halb acht beim Appell stehen bleiben, sieben Stun- Dieser Zwischenfall war für Rauter ein willkom- den in Haltung, dann ist man der Erschöpfung sehr mener Anlass, um hart durchzugreifen. Der Tod nahe… Auch unter ihnen hat es bereits erste Tote des bereits erwähnten niederländischen National- gegeben, und ihre Zukunft erscheint völlig hoffnungs- sozialisten hatte ihm noch nicht genügend Hand- los…” habe geboten, um zur Tat zu schreiten. Doch Innerhalb von weniger als drei Monaten nach nun, da deutsche Polizeibeamte angegriffen wor- ihrer Ankunft in Buchenwald waren schon mehr den waren, hatte er, wie aus seinem Bericht deut- als 10% der Gruppe tot. Es gibt keinen Grund zu lich wird, ein überzeugendes Argument, um hart vermuten, dass die Nazis nicht zufrieden waren gegen die JüdInnen vorzugehen. damit, wie schnell die Gefangenen starben. Den- noch ging es ihnen offenbar zu langsam. Der Prozess gegen die Verhafteten fand am 27. Februar 1941 statt. Einer von ihnen, ein deutscher Im Mai 1941 kam der Befehl aus Berlin – höchst- Jude, wurde zum Tod verurteilt und einige Tage wahrscheinlich von Himmler persönlich –, den später erschossen – die erste Hinrichtung in den Rest der Gruppe von Buchenwald nach Mauthau- Niederlanden. Doch war schon mehr geschehen: sen zu bringen. Hierzu ist kein Dokument erhal- Am 22. und 23. Februar waren im Zentrum von ten geblieben, doch soll der Grund dafür gewesen Amsterdam 425 jüdische Männer im Alter zwi- sein, so einer der Vorsitzenden des Judenrates nach schen 20 und 35 Jahren unter großer Gewaltan- dem Krieg, dass der deutschen politischen Füh- wendung festgenommen worden. Sie kamen spä- rung der Ton der Korrespondenz des Judenrates ter ins Internierungslager Schoorl, wo bereits klar ihnen gegenüber nicht gefiel – eine Strafe also.

6 Mauthausen: ein besonderer Fall

Warum aber Mauthausen? Aufgrund der Ge- die gesamte Gruppe innerhalb von sechs Wochen schehnisse in Buchenwald war zwar bereits offen- tot war. Er wurde schwer misshandelt und woan- sichtlich, dass im Falle dieser Gefangenen die ders hingebracht. Ein „Grüner“ [Lagerjargon für „Rückkehr unerwünscht“ war. Zusätzliches Krite- kriminelle Häftlinge, Anm.], der weniger Skrupel rium war nun wohl der Zeitpunkt, wann sie nicht hatte, übernahm die Arbeit. Bei Kogon heißt es mehr am Leben sein sollten. Der Stand der Dinge weiter: rund um das Schicksal der Deportierten wurde „Am zweiten Tag nach Ihrer Ankunft wurden die von den Besatzern genauestens verfolgt. Juden in den Steinbruch gejagt. Sie durften die 148 Einige Monate vorher, am 2. Jänner 1941, hatte Stufen [sic!], die in die Tiefe führten, nicht hinunterge- Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshaupt- hen, sondern mussten im seitlichen Steingeröll hinunter- amtes, ein Rundschreiben an die Polizeileitung in rutschen, was vielen bereits den Tod oder zumindest Deutschland und den besetzten Ländern erlassen, schwere Verletzungen eintrug. Man legte ihnen dann die in dem er erklärte, welches Lager für welche Ge- zum Steine Tragen bestimmten Bretter über die Schul- fangenen geeignet sei. Unterscheidungsmerkmal tern und zwei Häftlinge wurden gezwungen, jedem war die Härte des jeweiligen Lager-Regimes. In Juden einen überschweren Stein auf das Brett zu heben. Heydrichs „Einstufung“ gehörte Buchenwald zur Dann ging es im Laufschritt die 148 Stufen aufwärts! Stufe II, während Mauthausen als einziges Lager Zum Teil fielen die Steine gleich nach hinten, sodass der dritten, d.h. schwersten Kategorie zugeteilt manchem Nachfolgenden die Füße abgeschlagen wurden. war –bestimmt für Gefangene, die als am meisten Jeder Jude, dem der Stein herunterfiel, wurde entsetzlich staatsgefährdend angesehen wurden: geschlagen, der Stein von neuem aufgeladen. Viele ver- „schwer belastete, insbesondere auch gleichzeitig krimi- übten aus Verzweiflung gleich am ersten Tage Selbst- nell vorbestrafte und asoziale d.h. kaum noch erziehbare mord, indem sie sich von oben in die Tiefe stürzten. Am Schutzhäftlinge.“ dritten Tag öffnete die SS ‚das Todestor’: man trieb die Juden unter furchtbaren Prügeln über die Postenkette, Im Lauf der Zeit verwischte sich diese Unter- wo sie von den Turmposten mit den Maschinengewehren scheidung hinsichtlich der Härte unterschiedlicher haufenweise niedergeschossen wurden. Tags darauf Lager, doch die Einteilung ist wichtig um zu ver- sprang jeweils nicht mehr bloß einer der Juden in die deutlichen, wie Himmler und Rauter die verhaf- Tiefe, sondern sie gaben einander die Hand, und der teten Juden einzustufen wünschten. erste zog neun bis zwölf Kameraden hinter sich her in Aller Wahrscheinlichkeit nach fand der betref- den schrecklichen Tod. Es dauerte nicht sechs, sondern fende Transport von Buchenwald nach Mauthau- knapp drei Wochen, und der Block war judenleer. Alle sen mit ungefähr 345 Gefangenen am 22. Mai 340 Mann haben durch Erschießen, Prügeln, andere statt. Über die Ankunft, die Gefangenschaft und Marter oder durch Selbstmord den Tod gefunden.” den schnellen Tod der „Februar-Gruppe“ ist Die ersten Sterbefälle in Mauthausen wurden am wenig bekannt. In seinem Klassiker „Der SS- 24. Mai registriert. Im Herbst waren die meisten Staat. Das System der deutschen Konzentrations- tot. lager“ (1949/1961) zitiert Eugen Kogon zwei Mauthausen-Häftlinge, die über die niederländi- schen Juden berichteten – eine außergewöhnliche Am 11. Juni 1941 fand in Amsterdam eine zweite Passage, die ich aus diesem Grund ausführlich Razzia statt. Einzelne Anschläge, die vom Wider- zitieren möchte. stand auf verschiedene Standorte der Wehrmacht „Der Transport der Buchenwalder kam um Mitter- und Luftwaffe in der Stadt verübt worden waren, nacht an. Die Mauthausener Lagerinsassen durften bildeten den Anlass dafür. Dabei hatte es keine morgens die Baracken nicht verlassen. 50 der neueinge- Opfer gegeben, und der materielle Schaden war troffenen Juden wurden vom Bad aus nackt in das gering. JüdInnen waren an diesen Anschlägen Lager getrieben und in die elektrische Umzäunung nicht beteiligt. Dennoch wurden als Folge davon gejagt. Alle übrigen kamen auf einen Block.” ungefähr 280 jüdische Männer verhaftet. Auch bei dieser Razzia waren verhältnismäßig viele junge Der Erste Blockschreiber, ein deutscher politischer Männer unter den Festgenommenen. Gefangener, weigerte sich dafür zu sorgen, dass

7 Hans de Vries

Zur Februar-Razzia gab es jedoch einen großen Die Häftlinge von 1942 Unterschied: Unter den Verhafteten befand sich Im Gegensatz zum vorhergehenden Jahr wurden eine große Anzahl Ausländer, die ohne Familie in 1942 keine großen Gruppen von Juden mehr den Niederlanden lebten. Nach dem Februarstreik festgenommen. Es waren hauptsächlich Einzel- befürchteten die Besatzer, dass eine neuerliche personen und jetzt auch Frauen. Alle waren Razzia wiederum große gesellschaftliche Unruhe „straffällig“, d.h. sie hatten gegen eine der inzwi- in Amsterdam hervorrufen würde. schen vielen anti-jüdischen Maßnahmen versto- Rauter hatte Himmler am 4. März über die Unru- ßen. hen in Amsterdam, über die Razzien, den Streik Diese betrafen inzwischen einen großen Teil des und die Rolle der KommunistInnen sowie den jüdischen Lebens. Auf eine der Maßnahmen weiteren Verlauf informiert. Auch in diesem Be- möchte ich näher eingehen: das Verbot eine/n richt hatte er maßlos übertrieben. Er wollte sich Nicht-Juden/Jüdin zu heiraten oder außereheli- die Unterstützung des Reichsführers SS für sein chen Geschlechtsverkehr zu haben. Damit wur- zukünftiges Auftreten sichern. Anlässlich der den die Nürnberger Rassegesetze in den Niederlanden Razzia im Februar hatte er bemerkt: ausgeführt. Das Verbot wurde in Het Joodsche „Diese Verhaftungen haben naturgemäß eine weitere Weekblad vom 27. März 1942 zum ersten Mal Erregung des Judentums hervorgerufen, welches sich nun erwähnt. Über eine mögliche Strafe bei Zuwider- – was für mich ohne Zweifel feststeht –, an die CPN handlung berichtet das Blatt allerdings nicht. [Kommunistische Partei Niederlande] gewandt hat und Diese wird jedoch eindeutig in einem Rund- versucht, von dort aus Unterstützung zu erhalten.” schreiben von BdS Harster vom 1. April 1942 Rauters Bericht hatte sicherlich Eindruck auf formuliert: Himmler gemacht. Per Telegramm gab er seinem „Alle Juden, die Aufgebote mit Nichtjuden beantragt HSSPF am 10. Juni den Auftrag, die betreffende haben oder in Zukunft beantragen, sind in Schutzhaft Razzia zu organisieren. zu nehmen und in das KL Mauthausen zu überstel- len.“ Auch diese zweite Gruppe von Verhafteten kam Die jüdischen Männer, die eine Zuwiderhandlung zunächst nach Schoorl. Von dort wurden sie begangen hatten, wurden von der deutschen Poli- direkt nach Mauthausen überstellt, wo sie am 25. zei als Strafgefangene im Lager Amersfoort, in der Juni ankamen. Nach einigen Monaten war auch Mitte der Niederlande gelegen, festgehalten. Die diese Gruppe nicht mehr am Leben. Dafür, wie Männer, die gegen das Verbot des sexuellen Kon- schnell die Gefangenen ihr Ende fanden, ist das takts mit einer nicht-jüdischen Frau verstoßen Sprachbild, das Rauter nach dem Krieg in seinem hatten, bekamen in Amersfoort ein großes gelbes Polizeiverhör benutzte, vielleicht am Treffends- „R” („Rassenschänder“) auf ihre Kleidung. Das ist ten: „Sie starben wie Fliegen im Herbst.“ nur eines der vielen Beispiele, die zeigen, wie jüdische Gefangene dort gepeinigt wurden. Die

Misshandlungen gingen jedoch noch viel weiter. Im September und Oktober 1941 fanden erneut Die Opfer wurden regelmäßig von verschiedenen Razzien gegen Juden statt, dieses Mal im Osten Bewachern und einzelnen niederländischen Funk- der Niederlande. Den direkten Anlass dafür bil- tionshäftlingen zusammengeschlagen. Einige dete eine Reihe von kleinen Sabotageaktionen. Dutzend starben in Amersfoort. Auch an diesen Widerstandsaktionen waren keine Nach Schätzungen wurden 1942 ungefähr 400 JüdInnen beteiligt. Dennoch wurden insgesamt „straffällige“ Juden, wiederum nur Männer, nach etwa 175 jüdische Männer nach Mauthausen ge- Mauthausen deportiert. Auch sie fanden schnell bracht. Auch sie starben sehr schnell. den Tod. 1943 war nur noch ein Einzelner am Insgesamt kamen 1941 ungefähr 800 jüdische Leben. Der Mauthausen-Gefangene Paul Tillard Männer in Mauthausen an. Am Ende des Jahres sah, was mit ihnen geschah. Das, was er in seinem waren nahezu alle tot. Buch „Mauthausen“ (1945) beschreibt, finde ich

8 Mauthausen: ein besonderer Fall jedoch zu schrecklich, um es hier einfach in einer Hause eingegangen waren. Die „Sonderausgabe“ Lesung auszusprechen. sollte die Menschen wieder zur Ordnung rufen: Die Deportationen von Juden nach Mauthausen „Juden, die nicht unmittelbar dem Aufruf für den wurden Ende November 1942 eingestellt, gut vier Arbeitseinsatz in Deutschland Folge leisten, die keinen Monate nach Beginn der „regulären“ Deportatio- Judenstern tragen oder die ohne Zustimmung der Auto- nen nach Auschwitz. ritäten ihren Wohnsitz oder ihre Wohnung wechseln, sie ______alle werden in das Konzentrationslager Mauthausen gebracht.”

Soweit der reine Bericht über die Strafdeportatio- nen nach Mauthausen. Ich möchte noch eine Die letzte Informationsquelle ist meiner Meinung Bemerkung hinzufügen. nach auch die wichtigste: die Todesnachrichten. Diese haben mehr als alles andere den Unheil

verkündenden Ruf von Mauthausen in den Nie- Inwieweit und auf welche Art und Weise konnte derlanden bestimmt. Wie Ihnen vermutlich be- die Bevölkerung darüber, direkt oder indirekt, kannt ist, war es in den Anfangsjahren des Krie- etwas wissen? Im Prinzip gab es eine Anzahl von ges gebräuchlich, dass die Familie über den Tod Informationsquellen: die freien Medien, die zen- einer in einem Konzentrationslager umgekomme- sierten Medien, insbesondere Het Joodsche nen Person informiert wurde. Als Grund wurde in Weekblad, und – last but not least – die Todes- der Regel eine erfundene medizinische Todesur- nachrichten. sache genannt. Über die freien Medien, d.h. die illegale Presse Solche Todesnachrichten kamen nun auch aus und die Sendungen von Radio Oranje, drang kaum Buchenwald und Mauthausen. Die ersten, aus Information von Bedeutung zur Bevölkerung Buchenwald, erreichten den Judenrat bereits im durch. Mai 1941. Es waren Todesnachrichten von jungen Konnte man etwas über die zensierten Medien Menschen, die kurz vorher kerngesund aus Ams- erfahren? Kaum. In einzelnen Tageszeitungen terdam abgeführt worden waren. Sie sollten an erschienen Todesanzeigen. Darin wurde Maut- den Folgen von sehr unterschiedlichen, für Ange- hausen jedoch nicht genannt. hörige bestürzende Krankheiten, wie zum Beispiel Dennoch wurden diese innerhalb kürzester Zeit Ruhr, Nierenentzündung und Blutkreislaufstö- verboten. Und dann Het Joodsche Weekblad? Auch rung, verstorben sein. Viele, Familien und Judenrat, hierin erschienen die Anzeigen, doch gaben sie schenkten diesen Berichten nicht sofort Glauben. ebenfalls keine direkten Hinweise auf das Schick- Sie brachten damit die Gerüchteküche in der sal der Verstorbenen. Ein Mal, in der Ausgabe jüdischen Gemeinschaft zum Brodeln – mit allen vom 6. Juni 1941, war das dennoch der Fall. Der sich daraus ergebenden, vor allem Angst verbrei- Betroffene schien am 29. Mai in Weimar-Bu- tenden Folgen. chenwald gestorben zu sein. Dies brachte den Vorsitzenden des Judenrates, die für die Redaktion Die Todesnachrichten schockierten nicht nur die verantwortlich waren, sofort eine Rüge ein. Solche Angehörigen und den Judenrat, sondern auch Traueranzeigen durften außerdem nicht mehr andere, wie z.B. die niederländischen Autoritäten. publiziert werden. Ein hoher Beamter, der Generalsekretär des In- Der Begriff Mauthausen fiel also nicht in Het nenministeriums, Frederiks, hatte darüber am 1. Joodsche Weekblad. Das heißt: bis zum 7. August November eine Unterredung mit Rauter – er 1942. An diesem Tag stand er auf Befehl der hatte selbst die Initiative dazu ergriffen. Aus ih- Besatzer in großen Buchstaben auf der ersten rem Gespräch wird überdeutlich, dass Rauter sich Seite. Unmittelbarer Anlass war die in den Augen sehr wohl des mörderischen Charakters Mauthau- der Besatzer enttäuschende Reaktion auf die ers- sens bewusst war. „Sie würden es dort”, so meldete ten Aufrufe zum sogenannten Arbeitseinsatz im er Frederiks, „kein halbes Jahr aushalten und ich viel- Osten, die ab Mitte Juli bei den Betreffenden zu leicht anderthalb Jahre.”

9 Hans de Vries

Mauthausen, so muss die Schlussfolgerung lauten, völkerung zu disziplinieren und auf die weiteren blieb abgesehen von diesem einen Moment in Het Deportationen vorzubereiten. Joodsche Weekblad und den Todesnachrichten fern von der Öffentlichkeit. Doch war der Begriff Damit komme ich zu den Opfern: Die Razzien, gerade darum tief verankert im Bewusstsein der die Deportationen, die Morde und die Berichter- jüdischen Bevölkerung. Eine fast abstrakte Größe, stattung rundherum schärften der übergroßen wodurch die Angst davor besonders zunahm oder Mehrheit der jüdischen Bevölkerung eindeutig wie es damals in jüdischen Kreisen auf den Punkt ein, dass das Befolgen der deutschen Maßnahmen gebracht wurde: „Mauthausen = Mordhausen“. die einzige Möglichkeit war, um die Besatzung überleben zu können. Das Nicht-Befolgen der Schlussfolgerung deutschen Befehle bzw. das daraus resultierende Die für die Niederlande so bezeichnende Maut- Risiko, nach Mauthausen geschickt und zum Tod hausen-Periode – einzigartig in Europa – trägt im verurteilt zu werden, wog nicht auf gegen eine Wesentlichen dazu bei, die extrem hohe Prozent- fügsame Haltung. zahl (fast 80%) der umgekommenen niederländi- Die Mauthausen-Periode ging gleichsam über in schen JüdInnen zu erklären. Sie verdeutlicht uns die der Deportationen nach Auschwitz und an- sowohl etwas über die Täter als auch über die dere Bestimmungsorte. Zunächst bereits chrono- Opfer. logisch, doch noch wichtiger erscheint mir, dass In Bezug auf die Täter: Aus dem 1941 und 1942 die Strafdeportationen von 1941/1942 den Ton ausgeübten Terror wird deutlich, wie es radikalen für die Zukunft angaben in dem Sinne, dass die Vertretern der SS gelang, die Judenverfolgung Opfer durch den Ruf von Mauthausen psychisch von Beginn der Besatzung der Niederlande an auf die Deportationen vorbereitet waren. ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen. Im Der Arbeitseinsatz im Osten – Auschwitz und Sobi- Zusammenhang mit der allgemeinen Politik, um bor waren noch unbekannte Begriffe – bot noch alle JüdInnen aus der niederländischen Gesell- eine Möglichkeit, Mauthausen nicht. schaft zu entfernen, wurde eine besondere Strate- gie für Häftlinge entwickelt – diejenigen, die be- Als der berühmte niederländische Shoah-Histori- vorzugt aus der Gesellschaft entfernt werden ker Jacques Presser in „Ondergang“ (1965), sei- sollten und nicht mehr zurückzukommen brauch- nem Standardwerk über die Judenverfolgung in ten. den Niederlanden, Mauthausen einführte, schrieb er: Das Ziel dieser Strafpolitik bestand aus drei Tei- „Mit diesem Namen taucht ein Wort auf, das mit fast len: der Vernichtung der oppositionellen Kraft magischer Kraft im Bewusstsein der damaligen nieder- der Juden – nach Mauthausen kamen Männer, ländischen Juden herrschen sollte, synonym mit dem zum größten Teil junge Männer –, so schnell und Vermuten eines unbekannten, aber in jedem Fall grau- radikal wie möglich; dem Einschüchtern und der samen Todes.“ Disziplinierung der übrigen JüdInnen und schließ- Diese Charakterisierung hat bis heute, fast 50 lich der Einschüchterung und Disziplinierung des Jahre nach dem Erscheinen seines Buches, noch nicht-jüdischen Widerstandes. nichts an Kraft eingebüßt. Diese Politik, die durch ein hohes Maß an Gewalt gekennzeichnet war, war äußerst effektiv und trug in bedeutendem Maße dazu bei, die jüdische Be-

10 Mauthausen: ein besonderer Fall

Dr. Hans de Vries, geb. 1947, Studium der Politik- und Sozialwissenschaften an der Universität Amsterdam. Seit 1975 tätig beim Niederländischen Institut für Kriegsdokumentation (Nederlands Instituut voor Oorlogsdocumentatie; NIOD), einem unabhängigen Informations- und Rechercheinstitut, gegründet im Mai 1945, das seit 1999 zur Königlichen Akademie der Wissenschaften gehört. Als Teilzeit-Wissenschafter Beschäftigung mit Schicksalen von NiederländerInnen in nationalsozialistischen Lagern, was zu Dutzenden Vorträgen in Europa, Israel und den USA sowie mehreren Publikationen geführt hat.

Publikationen (Auswahl): - Komplette Überarbeitung von The Underground Press, 1940-1945/Lydia E. Winkel, 1954 (1989)

- Juden aus Holland nach Theresienstadt, in: KARNY, Miroslav (Hrsg.): Theresienstadt in der „Endlösung der Judenfrage“ (1992)

- Holländische Staatsbürger im KL Groß-Rosen, in: KONIECZNY, Alfred (Hrsg.): Die Völker Europas im KL Groß-Rosen (1995) - Exploring Western archives in , in: The return of looted collections (1946-1996): an unfinished chapter: proceedings of an international symposium to mark the 50th anniversary of the return of Dutch book collections from Germany in 1946 (1997)

- „Sie starben wie Fliegen im Herbst“, in: VAN KEULEN-WOUDSTRA, Alice (Red.): Mauthausen 1938-1998 (2000) - Intern Camp Schoorl (june 1940-august 1941), in: Terugblik ‘40-‘45: monthly of the Documentatiegroep ‘40-‘45, vol. 41 (2003)

- Das Konzentrationslager Herzogenbusch bei Vught: „streng und gerecht?“, in: BENZ, Wolf- gang/DISTEL, Barbara (Hrsg.): Terror im Westen: Nationalsozialistische Lager in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg 1940-1945 (2004)

- Herzogenbusch (Vught) – Stammlager, in: BENZ, Wolfgang/DISTEL, Barbara (Hrsg.): Der Ort des Terrors: Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager (2008)

11 Alexander Prenninger

Mag. Alexander Prenninger, Historiker, seit 1995 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Ludwig Boltzmann- Instituts für historische Sozialwissenschaft, Wien/Salzburg; seit 2004 Lektor am American Institute for Fo- reign Study, Salzburg; 2007 bis 2009 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Geschichte der Uni- versität Salzburg tätig, derzeit Projektmitarbeiter am „Mauthausen Survivors Research Project“ (MSRP).

Forschungsschwerpunkte: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg, Konzentrationslager und KZ- Gedenkstätten, Rituale des Gedenkens, Oral History und KZ-Überlebende.

Publikationen (Auswahl): Die Erinnerung an die nationalsozialistischen Konzentrationslager (Hg., gem. mit A. Ehresmann, P. Neu- mann, R. Schlagdenhauffen; in Druck) „Gnade oder Recht“. Entwicklung der sozialen Sicherungssysteme. 40. Linzer Konferenz (Hg., gem. mit W. Garscha u.a., 2005) Berufsschädigungen in der nationalsozialistischen Neuordnung der Arbeit (gem. mit A. Mejstrik u.a., 2004).

12 Netzwerke der Deportierten

Alexander Prenninger Netzwerke der Deportierten. Mauthausen‐Häftlinge im System nationalsozialistischer Terrorstätten

Das nationalsozialistisch besetzte Europa (und Lagerarchipels, in dem die Häftlinge in „ewiger Nordafrika) war von einem bis heute kaum zah- Bewegung“ 2 waren. lenmäßig fassbaren Netz von Terrorstätten über- zogen.1 In der historiographischen Forschung wie Zugleich werden die Häftlinge in der Forschung auch in der öffentlichen Wahrnehmung stehen meist als Verfügungsmasse des Terrorapparats jedoch bis heute die Konzentrationslager im gesehen, über die je nach Bedarf bestimmt wurde Zentrum der Aufmerksamkeit. Dabei wird über- – nach den Erfordernissen der Verfolgungsappa- sehen, dass der überwiegende Teil der KZ- rate in den besetzten Gebieten, dem Bedarf an Häftlinge vor ihrer Ankunft in einem Konzentra- (Zwangs-)Arbeitskräften im Reich oder, gegen tionslager oft – und manchmal jahrelang – in Kriegsende, den Auswirkungen des Kriegsver- zahlreichen anderen Terrorstätten inhaftiert war laufs. Auch in den Lagern werden die Häftlinge bzw. innerhalb des KZ-Systems von einem Lager häufig als anonyme, entpersonalisierte Gruppe ins andere transportiert, in ein oder mehrere Ne- gesehen, als „serielle Zwangsmasse“; der „absoluten benlager überstellt oder unterschiedlichsten Au- Macht“ der SS wird die „absolute Ohnmacht“ der ßenkommandos zugeteilt wurde. Häftlinge gegenübergestellt.3 Dabei finden wir Mauthausen war für viele Häftlinge oft das letzte jedoch in den Erlebnisberichten der Überleben- Lager, in das sie überstellt wurden. Jene ca. 860 den eine völlig andere Sichtweise: Neuere For- Überlebenden, die im „Mauthausen Survivors schungen gehen deshalb eher davon aus, dass die Documentation Project“ interviewt wurden, wa- Häftlinge auch unter den extremen Bedingungen ren im Durchschnitt in mehr als fünf Gefängnis- der Lager ihre „soziale Identität“ zu bewahren ver- sen oder Lagern gewesen. Viele erlebten mehr als suchten – gerade um sich angesichts der traumati- zehn Haftstationen. sierenden Umgebung „ihrer eigenen Menschlichkeit und Sozialität“ zu vergewissern.4 In diesem Beitrag soll untersucht werden, wie Ein zweiter Schwerpunkt dieses Beitrags sind die diese Überlebenden die unterschiedlichsten Orte von den Deportierten selbst geknüpften Netz- ihrer Deportation erlebten, auch im Vergleich zu werke der Unterstützung und Hilfe innerhalb des Mauthausen, das für viele das schlimmste Lager nationalsozialistischen Terrorsystems. Ein zent- war. Da die Konzentrationslager-Forschung meis- raler Moment in der Erinnerung der Überleben- tens auf ein Lager fokussiert ist und auch über- den sind Mithäftlinge, die als FreundInnen und greifende Darstellungen vielfach nur die internen KameradInnen an den verschiedenen Haftorten Strukturen des KZ-Systems behandeln, ist der eine wesentliche Ressource des Überlebens bil- Zusammenhang der unterschiedlichen Lagerarten deten. Die gemeinsame Deportation oder das für die Deportation bisher kaum wahrgenommen Zusammentreffen an einem bestimmten Haftort worden. Tatsächlich sind die Gefängnisse, Auf- mit Familienangehörigen, Mitgliedern der gleichen fanglager, Durchgangslager, Zwangsarbeits- oder Widerstandsgruppe oder auch nur Menschen aus Kriegsgefangenenlager oder Ghettos Teil eines der Heimat war für viele Überlebende eine Mög- gigantischen „Netzwerks des Terrors“, eines

2 SOLSCHENIZYN, Alexander: Der Archipel GULAG, Reinbek 1988, hier v.a. der zweite Teil mit dem Titel „Ewige Bewegung“. 3 1 Vgl. ORTH, Karin: Nationalsozialistische Terrorstätten. SOFSKY, Wolfgang: Die Ordnung des Terrors. Das Orte nationalsozialistischer Exklusions-, Ausbeutungs- und Konzentrationslager, 3. Auflage, Frankfurt a.M. 1999, S. Vernichtungspolitik, in: BOTZ, Gerhard/FRITZ, Regina/ 36f. PRENNINGER, Alexander (Hg.): Mauthausen überleben 4 SUDERLAND, Maja: Ein Extremfall des Sozialen. Die und erinnern. Bd. 1: Wege nach Mauthausen (in Vorbe- Häftlingsgesellschaft in den nationalsozialistischen Kon- reitung). zentrationslagern, Frankfurt a.M./New York 2009, S. 21.

13 Alexander Prenninger lichkeit zur Aufrechterhaltung der eigenen Iden- wurde deshalb auch nach kurzer Zeit in den Rüs- tität und manchmal auch für gemeinsame Wider- tungsbetrieben der Außenlager zur Zwangsarbeit standsaktionen. Diese informellen Netzwerke der eingesetzt. Deportierten wurden meist durch die Verlegung in ein anderes Gefängnis oder Lager zerstört und Der lange Weg des Jean Courcier mussten dann neu geknüpft werden; manche Obwohl viele der interviewten Überlebenden erst konnten jedoch weite Wege der Deportation gemeinsam mit anderen zurücklegen. 1943/44 in Mauthausen ankamen, hatte ihr Ver- folgungsweg meist viel früher begonnen. Als ein

Beispiel dafür soll hier die Verfolgungsgeschichte Im Folgenden sollen diese Themen am Beispiel von Jean Courcier stehen.6 von französischen Überlebenden des Konzentra- Jean Courcier stammt aus der Bretagne. Im Alter tionslagers Mauthausen dargestellt werden. Ich von 16 Jahren beginnt er bei der französischen stützte mich dabei vor allem auf die Interviews Eisenbahngesellschaft SNCF in Rennes zu arbei- des MSDP, in dessen Rahmen 53 Franzosen und ten und erfährt dort auch seine Politisierung unter Französinnen befragt wurden. dem Einfluss der damaligen Volksfrontregierung Etwa 9.400 französische Häftlinge, darunter 588 im Milieu der Eisenbahnarbeiter. Er wird Mitglied Frauen, waren in Mauthausen inhaftiert. Weniger der Gewerkschaft CGT und der Kommunisti- als die Hälfte hat überlebt. Die ersten französi- schen Jugend. Unter dem Eindruck der deutschen schen Häftlinge – abgesehen von den republikani- Besatzung – auch die Eisenbahnwerkstätten in schen Spaniern, die bereits ab Sommer 1940 de- Rennes werden in einen Rüstungsbetrieb für die portiert wurden – kamen im Mai 1942 nach deutsche Kriegswirtschaft umgewandelt – beginnt Mauthausen, der Großteil in fünf Transporten im seine Widerstandstätigkeit. Er wird Teil einer März/April 1942 und im April 1943. Die weibli- Gruppe von kommunistischen Eisenbahnern und chen Häftlinge wurden erst im März 1945 mit Studenten, die eine Untergrundzeitung herausge- einem Evakuierungstransport aus Ravensbrück ben und arbeitet eng mit den studentischen Wi- nach Mauthausen überstellt. Die Deportation der derstandsführern zusammen. Anfang August wird französischen Häftlinge ist auf zwei wesentliche er zusammen mit sechs weiteren Kollegen von Faktoren zurückzuführen. Zum einen auf die der französischen Spezialpolizei verhaftet. Sie deutsche Besatzungspolitik in Frankreich, deren werden in das Militärgefängnis von Rennes über- Terrormaßnahmen sich bis zum Frühjahr 1942 stellt und in der Präfektur verhört. „Die Verfolgung auf zwei Gruppen konzentrierten: Kommunisten hat begonnen“, erinnert sich Courcier und fügt und Juden. Die bevorzugte Methode der „Befrie- hinzu, dass der Polizist, der ihn verhaftet hatte, zu dung“ waren Geiselexekutionen und die Depor- ihm sagte: „Ach wissen Sie, die Präfektur, das sieht tation von Nacht und Nebel-Häftlingen in Gefäng- nach einer schlimmen Angelegenheit aus.“ Courcier: „Ich nisse auf dem Territorium des Deutschen Reichs. wurde in Handschellen zur Präfektur gebracht, nur zur Die Massendeportationen ab Frühjahr 1942 sind Befragung. Die Befragung hat vier Jahre gedauert.“ dagegen nicht mehr nur als „Strafmaßnahmen“ Ein Monat später wurde er von einem Sonderge- gegen die wachsende Widerstandsbewegung zu richt des Vichy-Regimes zu zweieinhalb Jahren sehen, sondern hängen mit einem zweiten Faktor Haft verurteilt. Er und seine Gefährten ver- zusammen: dem Funktionswandel der Konzent- brachten diese 30 Monate im Zentralgefängnis rationslager und dem wachsenden Bedarf an von Poissy bei Paris, „dem härtesten Gefängnis Frank- Arbeitskräften im Reich.5 Der überwiegende Teil reichs“, wie er erzählt. „Wir wurden schlimmer als Tiere der nach Mauthausen deportierten Franzosen behandelt.“ Der Oberaufseher, erinnert er sich, habe ihnen gleich gesagt, dass sie als Kommunis- 5 DELACOR, Regina M.: L’évolution de la politique répres- ten das Gefängnis nur mit dem Kopf voraus, also sive pendant l'occupation allemande en France, in: GAR- NIER, Bernard/LELEU, Jean-Luc /QUELLIEN, Jean (Hg.): La Répression en France 1940-1945. Acte du colloque 6 AMM, MSDP, OH/ZP1/202, Interview mit Jean international 8, 9 et 10 décembre 2005, Mémorial de Caen, Courcier, Interviewerin: Juliette Montredon, 22.7.2002. Caen: Centre de Recherche d’Histoire Quantitative 2007, Alle Zitate aus dem Interview wurden durch den Autor S. 59-68. übersetzt.

14 Netzwerke der Deportierten in einem Sarg verlassen würden. Viele der in Pois- schiedenen Stationen von Rennes nach Mauthau- sy inhaftierten Kommunisten werden in dieser sen, von denen er die lange und schwere Haft in Zeit hingerichtet, da das Gefängnis der Be- Poissy besonders in Erinnerung hat. satzungsmacht als Geiselreservoir dient. Im Sep- Sein langer Weg nach Mauthausen entspricht nur tember 1943 werden schließlich alle 400 politi- bedingt der landläufigen Interpretation der De- schen Gefangenen ins Gefängnis von Melun portation, die meist einem Schema folgt: Men- überstellt. Und nach dem Ablauf seiner Strafe, im schen werden verhaftet, nach kurzer Haft in die Jänner 1944, wird er der deutschen Feldpolizei Konzentrationslager deportiert, wo sie bei ihrer übergeben und ins Gefängnis Fontainebleau ge- Ankunft feststellen, dass sie in einer völlig ande- bracht. Bereits am nächsten Tag werden die Ge- ren Welt gelandet sind und einen „Eingangs- fangenen mit Lastwägen abgeholt und über Paris, schock“ erleiden, von dem sie sich so schnell wie wo Courcier noch einmal verhört wird, ins Sam- möglich erholen müssen, um zu überleben, da sie mellager Compiègne gebracht. Dort trifft er seine sonst als Muselmann enden und früher oder später Haftkameraden aus Poissy wieder. Das Lager sterben. Die Deportation ist demnach der Über- Compiègne ist für Courcier eine große Verbesse- gang von einer Welt zu einer anderen. rung gegenüber den vorangegangenen Gefängnis- Bruno Bettelheim, der selbst 1938/39 in Buchen- sen: „Wir haben uns praktisch in Freiheit befunden.“ Er wald inhaftiert war, spricht in diesem Zusammen- kann sich innerhalb des Lagers frei bewegen, kann hang von einer „ursprünglichen Traumatisierung“, die Sport machen. Nach drei Monaten, im April 1944, völlig anders sei als der Schock „seiner bürgerlichen wird er mit dem letzten Massentransport nach Rechte beraubt und ungesetzlich einige Tage in einem Mauthausen deportiert. Die Fahrt dauert drei gewöhnlichen Gefängnis eingesperrt“ zu werden.7 Die- Tage; er befindet sich in einem Viehwaggon zu- sen Schock trennt er von der Erfahrung der ers- sammen mit 90 Männern. Am ersten Tag kann er ten „bewussten und übermäßigen Akte der Folter, denen noch einen Brief an seine Mutter aus dem Zug die Häftlinge [im Lager, AP] ausgesetzt waren“. Auch werfen, der tatsächlich sein Ziel erreicht. Als an Terrence Des Pres, einer der schärfsten Kritiker der Grenze einige Deportierte zu flüchten versu- von Bettelheims Thesen über das Überleben, chen, müssen alle ihre Kleidung abgeben und den kommt zu einen ähnlichen Diagnose: Rest der Reise nackt verbringen. Bei der Ankunft in Mauthausen versteht er kein Wort, da er kein „Die erste Begegnung mit dem Extrem warf die Häft- Deutsch spricht. Er erlebt die ersten Schläge und linge in eine Welt des reinen Terrors, eine Welt in der hat Streit mit einem anderen Franzosen, der ihm nichts Sinn machte und es keine Hoffnung gab. Der seine Lederjacke wegnehmen will. Nach der Auf- Aufprall war so überraschend und überwältigend, dass nahmeprozedur – Duschen, Rasieren, Desinfek- das Selbst ins Schleudern geriet und anfing sich aufzulö- 8 tion, Austeilen der Häftlingskleidung und Einwei- sen.“ sung in die Quarantäne – fragt er sich, wo er denn Auch für Des Pres gelingt es Häftlingen zu über- nun gelandet sei: „Eine Welt von Verrückten!“ leben, wenn sie sich von diesem Schock erholen und eine anschließende Phase der Anpassung

durchlaufen. Diese Sicht auf die Lagererfahrung Diese lange Geschichte von Jean Courciers Weg geht davon aus, dass die extremen Bedingungen von der Verhaftung in Rennes im August 1941 bis der Konzentrationslager in einem radikalen Ge- zu seiner Ankunft in Mauthausen Anfang Juli gensatz zur bisherigen Lebenswelt der Häftlinge 1944 – und schließlich seiner Befreiung Anfang stehen, aus der sie mit Gewalt gerissen wurden, Mai 1945 – ist aus mehreren Gründen bemer- und das Lager daher nicht nur die physische Exis- kenswert. tenz bedroht, sondern auch die psychische Integ- Seine Erzählung ist völlig anders strukturiert als rität. etwa Jorge Sempruns berühmter Bericht über die „große Reise“ ins Konzentrationslager Buchenwald. 7 BETTELHEIM, Bruno: Individual and mass behavior in Courciers Erinnerung an den Transport von extreme situations, in: DERS.: Surviving and other essays, Compiègne nach Mauthausen ist nur ein kleiner New York 1979, S. 48-83, hier 55. 8 Teil seiner langen Ausführungen über die ver- DES PRES, Terrence: The survivor. An anatomy of life in the death camps, Oxford u.a. 1980, S. 76.

15 Alexander Prenninger

Dagegen hat bereits der deutsche Historiker Falk von Fontainebleau. Dort traf er die Opfer einer Pingel darauf hingewiesen, dass Erfahrungen, die Razzia, denen er seine Geschichte erzählte: vor dem Konzentrationslager gemacht wurden, „Brave Franzosen, die nichts gemacht hatten. Es gab die Fähigkeit sich der Lagersituation anzupassen, auch Widerstandskämpfer, aber… Es war eine Un- beeinflussten. Ein Inventar an Verhaltensmustern, ordnung in diesem Gefängnis. Also ich sagte: ‚Ach gut, das in der vorkonzentrationären Zeit erworben es sind jetzt zweieinhalb Jahre, dass ich in Haft bin.‘ worden war, ermächtigte Häftlinge, die Lagersitu- Niemand hat mir geglaubt. Sie sagten: ‚Er ist ver- ation in den Lebenshorizont zu integrieren.9 rückt!‘ Niemand glaubte mir. Zwei Jahre, zwei Jahre Eine solche Sichtweise hilft, Jean Courciers lange und ein halbes.“ Erzählung über den Weg nach Mauthausen besser Seine diskrete Distanzierung von den „braven zu verstehen. Die Mehrheit der französischen Franzosen, die nichts getan hatten“, d.h. nicht wie Überlebenden des vorliegenden Samples war vor er im Widerstand waren sondern zufällige Opfer der Deportation nach Mauthausen über Monate einer Razzia, weist auf ein anderes Moment hin, oder Jahre in Haft – sowohl unter deutschen wie das für Courciers Überleben im Lager wichtig französischen Behörden. Mauthausen war für sie, war. Sein politisches Engagement im Rahmen des wie für viele andere, das letzte Lager, in das sie kommunistischen Widerstands lieferte ihm auch kamen. Die Erfahrungen, die sie in französischen eine Möglichkeit, seine Verhaftung und Deporta- und deutschen Gefängnissen, Sammellagern, tion im Rahmen einer Weltanschauung zu inter- Polizeilagern, Kriegsgefangenenlagern und ande- pretieren und seinem persönlichen Schicksal Sinn ren Konzentrationslagern gemacht hatten, waren zu geben.10 wichtige Voraussetzungen, um im Lager zu über- Auch Jeanne Bonneaux, die ebenfalls ihre politi- leben. sche Sozialisation im Rahmen der Kommunisti- Solche Verhaltensmuster waren nicht unbedingt schen Partei erfuhr, erklärt ihr Überleben vor auf vorangegangene Erfahrungen von Haft und diesem Hintergrund: Internierung beschränkt, sondern wurden oft „Was mir vielleicht geholfen hat, und was allen Proleta- bereits in der sozialen und materiellen Lebenswelt riern wie mir geholfen hat, und ich hatte mich damals vor Beginn der Verfolgung erworben. Courcier entschlossen, Proletarierin zu sein. Ich hatte das ge- war besonders stark durch das soziale und politi- wählt, denn ich hätte auch als Krankenschwester nach sche Milieu der Eisenbahnarbeiter beeinflusst Indochina gehen können. (…) Ja, ich denke, wenn man worden. In diesem Milieu hatte er sich der kom- ein so schweres Leben hat, dann ist man das eben ge- munistischen Jugendorganisation angeschlossen; wohnt. Das ist nichts Neues. Also natürlich war dieses hier kamen er und seine Freunde in Kontakt mit Leben [im Lager, AP] viel schwerer, aber ich denke, dem Widerstand – „unter der Anleitung der Älteren das hatte uns trotzdem einen gewissen Charakter ver- unter uns“, wie er sich erinnert; und hier lernte er liehen.“ 11 die Gesetze des Untergrunds. In seiner Erzählung über die verschiedenen Gefängnisse finden sich Etwas später erinnert sie sich, dass sie und ihre Kameradinnen, als sie auf den Evakuierungs- zwei Hauptthemen: die Tatsache, dass er die meiste Zeit mit seinen Kameraden aus dem Wi- transport von Ravensbrück nach Mauthausen derstand zusammen war, und die Bemühungen geschickt wurden, in guter körperlicher Verfas- sung waren: und Anstrengungen gegenüber den Wachen, ihre Lebenssituation in der Haft zu verbessern. Die „Aber es stimmt, dass, wenn man davor ein hartes einzigen Momente vor Mauthausen, die er von Leben hatte, das einen eben härter macht… Man ist seinen Kameraden getrennt erlebte, war eine nicht daran gewöhnt, verhätschelt zu werden oder so sehr kurze Zeit vor seiner Überstellung an die deut- vom Leben verwöhnt zu werden. (…) Nun aber, dort schen Behörden und der Aufenthalt im Gefängnis [in Mauthausen, AP], das war das absolute Böse.“

9 PINGEL, Falk: Häftlinge unter SS-Herrschaft. Wider- stand, Selbstbehauptung und Vernichtung im Konzentrati- 10 Vgl. PINGEL (1978): Häftlinge, S. 171. onslager, Hamburg 1978 (Historische Perspektiven, 12), 11 AMM, OH/ZP1/326, Interview mit Jeanne Bonneaux, S.12 f. Interviewerin: Julia Montredon, 26./27.10.2002

16 Netzwerke der Deportierten

Es wird schlechter… keine“ Viehwaggons benutzt. Auch die Größe der In allen Erzählungen über die Deportation findet Transporte von 1943/44 mit 1.000 bis 2.000 sich das Gefühl einer zunehmenden Verschlech- Menschen spielte eine Rolle. Vor 1943 bestanden terung der persönlichen Situation. Dass die Situa- Deportationstransporte aus kleinen Gruppen von tion ernst ist, erwähnt Courcier bereits bei der zehn, zwanzig oder fünfzig Personen und wurden Verhaftung; aber das erste Gefängnis war zu im Rahmen regulärer Personenzüge – in separaten ertragen: Abteilen oder Sonderwaggons – durchgeführt. „Wir wurden mehrere Male verhört, ohne allzu schlech- Allerdings ist der Topos der Verschlimmerung te Behandlung. Sicher, einige Rempler, aber letztlich: nicht immer eine konstant ansteigende Linie. Oft das war nicht schlimm, es gab noch keine Badewanne – wurden bestimmte Stationen auf dem Deportati- keine Folter.“ 12 onsweg auch als Verbesserung zum vorhergehen- den Ort empfunden. Courcier verbindet das Dass er zu 30 Monaten Haft verurteilt wurde, Sammellager Compiègne vor allem mit Freiheit. verschlimmert die Situation: Er durfte die Haft Eine Freiheit, die vor allem mit der geografischen nicht im Gefängnis des Departements in Rennes Ausdehnung des Lagers zu tun hat und die er als absitzen, sondern kam nach Poissy, für ihn das Befreiung aus den engen, überfüllten Gefängnis- schlimmste Gefängnis Frankreichs. zellen empfand. Außerdem kam er dort mit sei- Den Deportationstransport, vor allem im Rahmen nen Kameraden aus Poissy und Rennes wieder von Massentransporten, empfinden die meisten zusammen. Auch Jean Mansching, der aus Lyon als deutliche Verschlechterung. Ein anderer fran- nach Compiègne kam, hat in ähnlicher Weise das zösischer Überlebender, Henri Maître, erzählt Sammellager mit seinem früheren Gefängnis darüber: Montluc verglichen: „In Compiègne blieben wir nur einige Tage, bis zu dem „Als wir in Montluc (…) waren, waren wir sechs oder Tag, als der Aufruf kam. Ein neuer Transport war sieben in einer Zelle, 2,6 Meter auf 2,25 Meter. Sieben geplant. Wir wussten nicht, ob es in ein Konzentra- Kerle in sowas. Es war schrecklich, die sanitäre Situa- tionslager gehen würde, nur dass es schwerer werden tion, es roch schlecht, wir wuschen uns nicht (…) Ich würde, immer schwerer. Nichts im Vergleich zu dem, war nur vier Monate dort. Als wir nach Compiègne was wir schon erlebt hatten. Wir wurden in die Wag- kamen, war es ein Paradies, du konntest herumgehen, gons verfrachtet und wir wussten, dass es schwerer wer- du konntest dich waschen, wir hatten alle Kleidung, die 13 den würde, weil es Viehwaggons waren.“ uns die Eltern geschickt hatten, wir konnten tauschen Die Unsicherheit, wohin der Transport gehen und die Kleider waschen; es gab sogar ein Theater.“ 14 würde, taucht ebenfalls in vielen Interviews auf. Die gleiche Formulierung findet sich auch bei Courcier schrieb in dem Brief an seine Mutter, Henri Maître, der im Vergleich zu Mauthausen dass er nach Weimar in die Salzminen kommen das Sammellager in Compiègne als „ein kleines würde. Das Gefühl der Verschlechterung hat auch Paradies, ein kleines, ruhiges Paradies“ bezeichnet.15 damit zu tun, dass die Transporte nach Deutsch- Selbst die Nacht und Nebel-Häftlinge in deutschen land gingen und die Deportierten Frankreich Gefängnissen machten unterschiedliche Erfah- verließen. Das Überqueren der Grenze wird von rungen an verschiedenen Orten: manchmal wurde vielen erinnert. Der von Courcier erwähnte es besser, manchmal schlechter. Huguette Gallais, Fluchtversuch passierte genau am Grenzüber- die vor Mauthausen in einem Dutzend Gefäng- gang. Auch die Viehwaggons werden als Zeichen nissen und – nach einem Todesurteil mit an- der Verschlechterung gesehen. In den vielen vo- schließender Begnadigung – zwei Jahre in Einzel- rangegangenen Transporten von einem Gefängnis haft gewesen war, erlebte das Frauengefängnis in zum anderen und in die Sammellager wurden, wie Cottbus als große Erleichterung: Nicht nur die die Überlebenden retrospektiv erinnern, „noch Einzelhaft war zu Ende, sie traf auch ihre Mutter

12 Die „Badewanne“ verweist auf die von der Gestapo in und Freundinnen wieder, mit denen sie zusam- Frankreich besonders häufig angewandte Methode der Wasserfolter. 14 AMM, OH/ZP1/197, Interview mit Jean Mansching, 13 AMM, OH/ZP1/318, Interview mit Henri Maître, Interviewerin: Anne-Sophie Pico, 24.6.2002. Interviewerin: Maryline Tranchant, 6.6.2002. 15 AMM, OH/ZP1/318, Interview Maître.

17 Alexander Prenninger men verhaftet worden war. Als sie Cottbus verlie- der Speisesaal die Marseillaise sangen: „So was hatte ßen, erzählt sie: man in Poissy noch nicht gesehen!“ Der Erfolg dieser „Jetzt verlassen wir Cottbus, jedes Mal, wenn wir einen Feier zeigte sich für ihn auch darin, dass sie nicht Ort verließen, sagten wir: Wir dürfen nicht aufgeben! bestraft, sondern sogar von den übrigen Häftlin- Mädchen, es wird besser werden! Ja, aber dann kamen gen getrennt untergebracht wurden und die Un- wir nach Ravensbrück: Immer, es war immer schlim- tergrundaktivitäten nun verstärkt werden konn- mer“, ten. Das enorm gestärkte Selbstbewusstsein der Gruppe setzte sich auch fort, als die politischen und lacht dabei. Mauthausen, wo sie im März Häftlinge ins Zentralgefängnis von Melun verlegt 1945 ankam, war für sie der Gipfel, das „Sahne- wurden: häubchen“.16 „Während des ganzen Tages [der Zugreise, AP] haben

wir in unseren Abteilen demonstriert, wir haben gegen Netzwerke der Unterstützung die Fenster geschlagen, wir haben gesungen, und sie Das Beisammensein mit KameradInnen, mit haben uns machen lassen. Und als wir in Melun an- Familienangehörigen und FreundInnen ist für kamen, es gab dort schon politische Häftlinge, die waren viele Überlebende ein elementares Bedürfnis – glücklich uns zu sehen. Und ganz Melun sagte, das ist und das Alleinsein eine der schwierigsten Erfah- die Revolution.“ rungen. Die Verfolgungsmaßnahmen der Besat- Das Getrenntsein von den Kameraden war für zungsbehörden gegen die französische Wi- Courcier dagegen eine traurige und auch bedroh- derstandsbewegung führten häufig zur Verhaf- liche Erfahrung. Als die meisten politischen Ge- tung ganzer Gruppen von Personen, die in einem fangenen in andere Gefängnisse verlegt worden réseau (Netzwerk) organisiert waren. Courcier waren, blieben nur einige wenige, die bald entlas- wurde mit sechs weiteren Mitgliedern seiner sen werden sollten, zurück: Gruppe verhaftet; allen sieben wurde gemeinsam „Ich bin geblieben. Ich habe meine Freunde gehen sehen. der Prozess gemacht und alle sieben wurden nach Da hatte ich Tränen in den Augen, ich erinnere mich. Poissy verlegt. Der starke Gruppenzusammenhalt Mein kleiner Freund Rostaing, der nicht zurück- war jedoch auch mit einer deutlichen Abgrenzung gekommen ist, Pierrot Rostaing, wir waren immer gegenüber anderen Gruppen verbunden: zusammen, und Marcel Pérabe, der Bürgermeister von „Wir wurden mit den Ganoven zusammengelegt! Wir Arnouville-les-Gonesses, wir waren immer… wir waren waren nur sieben, sieben Junge da. Alle anderen (…) eine Dreier-Gruppe (…) Rostaing ist gegangen, ich das waren Diebe, Gangster, alles Mögliche, Gesindel, erinnere mich, ich hatte… wir weinten, ich weinte. Wir Lumpenproletariat [im Original Deutsch], wie man waren wie zwei Verliebte dort, wir weinten. Und wir sagt.“ haben ‚Ce n’est qu’un au revoir‘ gesungen.“ 17 Erst als immer mehr politische Häftlinge in das Auch im nächsten Gefängnis hatten seine neuen Gefängnis kamen und diese bald zahlenmäßig Mithäftlinge nichts mit ihm gemeinsam. In den dem „Gesindel“ überlegen waren, fühlte er sich in vorangegangenen Gefängnissen Poissy und Melun seiner eigenen Position gestärkt: hatte er dagegen nicht nur die mit ihm verhafteten „1943 waren fast 400 Kommunisten dort. Nicht nur, Kameraden seiner Widerstandsgruppe um sich, er aber sicher drei Viertel oder mehr. Mehr als 400. lernte auch zahlreiche wichtige Persönlichkeiten Dann haben wir uns organisiert, zwangsläufig (…) Die des kommunistischen Widerstands in Frankreich Stimmung hat sich trotzdem ein wenig geändert…“ kennen, darunter Artur London und der Verleger Das Gefühl der Stärke gegenüber den kriminellen René Hilsum, der die Untergrundzeitung der KP Häftlingen, aber auch gegenüber den Wärtern „L’Humanité“ mit Papier belieferte. Viele dieser kulminierte für ihn schließlich in einer deutlichen Personen traf er später wieder in Compiègne, mit Demonstration am 14. Juli, dem französischen einigen wurde er im gleichen Transport nach Nationalfeiertag, als alle politischen Häftlingen in Mauthausen deportiert.

17 Das Lied „Ce n’est qu’un au revoir“ ist die französische 16 AMM, MSDP, OH/ZP1/333, Interview mit Huguette Version von „Auld long syne“. Es gibt mehrere verschie- Gallais, Interviewerin: Julia Montredon, 25. 11. 2002. dene französische Textvarianten.

18 Netzwerke der Deportierten

Eine zweite Erfahrung des Alleinseins machte er Pierre Serge Choumoff erinnert sich dagegen, in Gusen, als er durch einen Zufall einem anderen dass ihm seine Sprachkenntnisse – seine Familie Arbeitskommando zugeteilt wurde. Am neuen war russischer Herkunft, und er hatte kurzzeitig in Arbeitsplatz angekommen, erinnert er sich: Polen gelebt – sehr halfen: „Ah, gut, ich sagte mir, schau! Ich wusste nicht, wo ich „Und tatsächlich habe ich innerhalb eines Jahres aus- war. Und dann hab ich bemerkt, dass mich alle angese- reichend Polnisch gelernt und ohne... ohne es später oft hen haben. Ich sah: es gab nur Russen in dem Kom- zu sprechen, aber nichtsdestotrotz habe ich, als ich ins mando. Ich fand… Ich suchte einen Franzosen, unbe- Lager kam, gleich die Möglichkeit gehabt, Dinge dingt, das erste, das ist, sich unter uns zu finden. Es sprachlich zu verstehen, was... was mir weitergeholfen gab keinen einzigen Franzosen dort. (…) Ich fragte hat.“ mich wo ich war. Ich war in der Roten Armee. (…) Er fügt aber auch sofort hinzu: Alle sahen mich an, ich war der einzige Franzose. „Aber durch nichts konnte die Freundschaft oder Ka- ‚Franzus!‘, ‚malo Franzus!‘, kleiner Franzose, auf meradschaft unter Franzosen ersetzt werden, die gemein- Russisch: ‚Malo, malo Franzus!‘ Ich hörte das, ich sam in Romainville waren [fröhlich] und, wie ich Ihnen verstand gar nichts, und ich bin acht Monate in dem bereits erzählt habe, mit Handschellen aneinander Kommando geblieben.“ gefesselt waren…“.20 Erst nach längerer Zeit kamen zwei weitere Fran- Die gemeinsamen Erfahrungen vor der Deporta- zosen in das Kommando, mit denen er mehr als tion als Bindeglied betont auch Jeanne Bonneaux, nur ein paar Worte wechseln konnte. als sie gefragt wird, ob sie auf dem langen Evaku- ierungstransport von Ravensbrück nach Mauthau- Die Tatsache, dass die meisten Überlebenden sich sen Bekanntschaften gemacht hat: „Das war keine auch im Lager häufig nur mit Angehörigen der Frage der Dauer…“ Auf die Frage, was denn Zu- eigenen Nation zusammentaten, ist auch durch sammengehörigkeit geschaffen hat, antwortet sie: die gemeinsame Sprache zu erklären. Jeanne Bon- „Die Résistance. Wir waren Widerstandskämpferin- neaux antwortet auf die Frage, ob sie auch mit nen, wir waren Widerstandskämpferinnen, diejenigen, Polinnen oder anderen Häftlingen in Verbindung die Kommunistinnen waren… nun, wir waren einfach kam: „Wir waren unter Französinnen. Wir sprachen Kommunistinnen, wir hatten unser Ideal, wir glauben Französisch miteinander.“ 18 Das Fehlen der verbin- an die die UdSSR, wir glaubten da alles.“ denden Sprache führte manchmal auch zu Kon- flikten. Gisèle Guillemot erinnert sich an solche Auch in dem geschilderten Konflikt zwischen den Probleme mit den Roma und Sinti-Frauen im Lager: Französinnen und den „Zigeunerinnen“ in Ra- vensbrück ging es nicht nur um die trennende „Sie sprachen nicht dieselbe Sprache […] wissen Sie, Sprache: Babel, das ist wirklich eine Strafe, weil, wenn man nicht dieselbe Sprache spricht und man es nicht schafft, „Es gab ununterbrochen Raufereien, ununterbrochen. sich zu verständigen, endet es immer mit Schlägen oder Und dann, ich sage es Ihnen ja, es waren nicht nur Beschimpfungen.“ 19 Widerstandskämpferinnen, nicht wahr. Also all diese Zigeunerinnen, die da waren, sie wussten nicht, warum Nur wenige Überlebende hatten weitergehende sie da waren, nur weil sie Zigeunerinnen waren mit Sprachkenntnisse und die Pidgin-Sprache des ihren kleinen Kindern, die sie verteidigten wie Wölfin- Lagers erlaubte nur eine beschränkte Kommuni- nen, immer bereit, uns etwas zu stehlen, um ihren Kin- kation mit Häftlingen anderer Nationalität. Als dern essen zu geben. Was normal war, nicht wahr. Courcier in der Quarantäne mit Häftlingen aus Also, nein, es lief sehr schlecht (…) Aber wir vermieden verschiedensten Nationen zusammen war, war es Konfrontationen, weil wir praktisch immer alle jene, alle die Sprachbarriere, die für ihn die Quarantäne NN waren, all jene vom Block 32, folglich alle Wider- unerträglich machte. standskämpferinnen, also wir wollten keine Konfronta-

18 AMM, MSDP, OH/ZP1/326, Interview Bonneaux. 20 AMM, MSDP, OH/ZP1/316, Interview mit Pierre 19 AMM, MSDP, OH/ZP1/331, Interview mit Gisèle Serge Choumoff, Interviewerin: Maryline Tranchant, Guillemot, Interviewerin: Julia Montredon, 1.8./26.9.2002. 14.11.2002.

19 Alexander Prenninger tionen, folglich hielten wir uns… hielten wir sie fern, Weil (…) man konnte nicht allein bleiben. Allein war nicht. (…) Wir waren wirklich zwei deutlich getrennte man tot. Man musste zusammenhalten.“ 21 Gruppen.“ Der Tod des Mädchens wird in dieser Passage Diese Schilderung birgt eine weitere Erklärung für direkt mir ihrer egoistischen Haltung verknüpft, die starke Gruppenbildung – der Kampf um die obwohl zugleich auch ein gewisses Verständnis – knappen Ressourcen des Lagers. In vielen Inter- „sie wollte eben überleben“ – spürbar wird. views findet sich der Topos der Solidarität oder Brüderlichkeit. Von manchen Überlebenden wird Die Einordnung in die eigene nationale Gruppe sogar vehement bestritten, dass es unter den ist für viele Überlebende eine Möglichkeit, ihre Häftlingen Konflikte gab. Häufiger, wie bei Gisèle Identität als Franzosen bzw. Französinnen, aber Guillemot, werden diese Konflikte zwischen auch als KommunistInnen und Widerstands- nationalen Gruppen geschildert – Guillemot ver- kämpferInnen in der Deportation zu bewahren. gleicht etwa die Roma und Sinti mit den Ungarin- Für viele ist jedoch die direkte Unterstützung nen, mit denen es „etwas besser“ ging. Henri Maître, durch Freunde und Freundinnen oft wesentlich der über ähnliche Konflikte mit Polen und Tsche- wichtiger. Jean Courcier hat in seiner Erzählung chen berichtet, zeigt aber auch Verständnis für über den Abschied der Kameraden in Melun sehr diese Haltung: emotional über seine Beziehung zu seinem „Wissen Sie, ein Tscheche, der wegen unseres Verhal- Freund Pierre Rostaing gesprochen. Gisèle Guil- tens gegenüber seinem Land auf einen Franzosen nicht lemot freundete sich im Gefängnis von Cottbus gut zu sprechen ist, den verstehe ich. Trotzdem, er wird mit einer Gruppe von Frauen an, die aus dem ihn deshalb nicht umbringen wollen. Aber wenn es um gaullistischen, intellektuellen Widerstand in Paris Hilfeleistung geht, um einen besseren Platz oder eine kamen. Eine dieser Frauen ihrer „Cottbuser Tracht Prügel, dann wird er seinen Freund bevorzugen, Gruppe“ wurde ihre mütterliche Freundin: dann erst kommen die anderen, mein Gott, ja.“ „Sie waren außergewöhnliche Mädchen. Ich hatte mich Die unbedingte Notwendigkeit unter den Bedin- ihnen sehr angenähert und unter ihnen gab es Odile. gungen der Haft und des Lagers Gruppenbezie- Und Odile, die mich freundschaftlich ins Herz geschlos- hungen aufrechtzuerhalten, die von den Überle- sen hatte, und ich empfand sehr, sehr große Bewunde- benden immer wieder betont wird, führt manch- rung für Odile. Es war jemand, den ich sehr mochte, mal aber auch zu einem Gruppendruck gegenüber wirklich, für den ich eine große, große Zuneigung emp- jenen, die sich verweigern. Jeanne Bonneaux fand. (…) Wir kümmerten uns gegenseitig umeinander. berichtet etwa über eine Mitgefangene im Frauen- Sie war sehr viel älter als ich, weil sie 50 Jahre alt war, gefängnis von Cottbus: und ich war nur 22 Jahre alt, aber wir standen zuei- „Und da gab es ein Mädchen, das sehr egoistisch war, nander, das war eine moralische Hilfe (…) Sie war für und das war schade, denn sie war eine Lehrerin. Man mich eine große moralische Stütze und dann war sie darf nicht egoistisch sein mit… Aber nun, sie dachte auch gebildet, sie brachte mir viele Dinge bei, die ich nur an sich. Und sie war mir schon aufgefallen, als ich nicht kannte, auch um zu überleben.“ in Cottbus war. Sie war… Nun, sie wollte eben überle- Gisèle Guillemot konnte diese enge Beziehung ben. Und ich hatte ihre Einstellung bemerkt, sie hatte von Cottbus über Ravensbrück bis nach Maut- kein Mitleid mit den Alten, kein Mitleid, das war… hausen aufrechterhalten. Als Odile nur wenige Sie musste durchkommen. Und--, einmal hat sie eine Tage vor der Befreiung starb, fühlte sich Guille- Knoblauchknolle gefunden. Also, eine Knoblauchknolle, mot plötzlich alleine gelassen: das war eine große Sache, eine Knolle, die konnte für „Ich habe nicht weinen können, denn einen Augenblick zumindest 20 Personen Überleben bedeuten. Sie hat die lang war ich auf sie böse. Ich verübelte es ihr, gestorben Knolle ganz allein für sich behalten. Ich weiß nicht, was zu sein.“ sie damit gemacht hat, weil… Nun, sie hat sie gegessen, natürlich, aber… Nun, danach war sie krank. Ich Ihre Verzweiflung über den Verlust ist am größ- weiß nicht, was sie hatte, irgendeinen Typhus, aber sie ten im Moment der Befreiung: ist gestorben, weil da keiner war, der ihr helfen konnte. 21 AMM, OH/ZP1/326, Interview Bonneaux.

20 Netzwerke der Deportierten

„Und am Tag ihres Todes und am Morgen des 20. die ungarischen Frauen aus unterschiedlichsten April, als ich neuerlich diese Stiegen hinaufgestiegen bin sozialen Milieus kamen und aufgrund dieser Hete- und diesen höllischen Steinbruch da durchquert habe rogenität eine Gruppenbildung kaum gelang.24 (…) An diesem Morgen, da war ich wirklich am Ende meiner Kraft und ich habe oben auf der Treppe zu Zusammenfassung weinen begonnen, indem ich sagte: ‚Niemals wieder werde ich sie hinaufsteigen, ich will lieber sterben. Es ist Viele Überlebende des Lagersystems Mauthausen aus, ich werde diese Stufen nicht mehr hinaufgehen!‘“ landeten in diesem Lager, nachdem sie einen langen Weg durch die Gefängnisse und Lager des Wie sehr Guillemot von dieser Beziehung geprägt nationalsozialistischen Terrorsystems zurückge- war, zeigt sich auch nach der Befreiung, als sie die legt hatten. Die Erfahrungen, die sie auf ihren orthodoxe Haltung der kommunistischen Genos- Deportationswegen machten, half vielen, die – sen immer kritischer sieht, weile diese „nur schwer auch im Vergleich zu den vorhergehenden Haft- akzeptieren, dass man anders denkt als sie, weil Odile, sie stationen – extremen Bedingungen in Mauthausen war keine Kommunistin.“ Selbst die Beziehung zu (bzw. seinen Außenlagern) besser zu meistern. ihrer Mutter wurde davon beeinflusst: Der Anfangsschock, den Bruno Bettelheim in „Ich habe nur von Odile gesprochen, daraufhin hat seiner eigenen, relativ kurzen Erfahrung unter den meine Mutter eine ziemlich seltsame Reaktion gezeigt, besonderen Bedingungen der Jahre 1938/39 in sie war auf Odile eifersüchtig. Sie sagte zu mir: ‚Was den Konzentrationslagern Dachau und Buchen- hat sie, was ich nicht habe?‘ Nun, sie war eifersüchtig. wald erlebt hatte, trifft für die hier vorgestellte Also, es ist schwer gewesen. Und da habe ich also auf- Gruppe nur zum Teil zu. Die schweren Haftbe- gehört zu reden.“ 22 dingungen in manchen Gefängnissen oder ande- Gisèle Guillemot und Jean Courcier, die beide ren Konzentrationslagern milderten diesen eine enge Beziehung zu einem Freund, einer Schock etwas ab, auch wenn der Weg der De- Freundin aufbauen konnten, entsprechen einem portation meistens als eine permanente Ver- Muster, das Elmer Luchterhand in seinen sozial- schlechterung der eigenen Situation und zuneh- psychologischen Untersuchungen von Überle- mende Bedrohung des Lebens empfunden wurde. benden von Mauthausen und Gusen als ganz wesentlich für das Überleben definiert hat: „Stabile Eine wesentliche Ressource für das Überleben Paarbeziehungen waren die elementare Einheit des Über- war auch das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein – lebens.“ 23 Der Verlust solcher stabiler Beziehun- hier jene der französischen, vorwiegend kommu- gen oder die Unfähigkeit solche aufzubauen, nistischen, WiderstandskämpferInnen. Die Her- schwächten die Überlebenschancen. Eine andere kunft aus einem bestimmten sozialen und politi- Studie von Herbert A. Bloch, der die Gruppenbe- schen Milieu und die im Widerstandskampf er- ziehungen von weiblichen ungarischen Überle- worbenen Fähigkeiten, sich im Untergrund zu benden des Mauthausener Außenlagers Lenzing organisieren, trugen ebenfalls dazu bei, auch unter mit denen von männlichen französischen Häftlin- den Bedingungen eines Konzentrationslagers, der gen des Buchenwalder Außenlagers Ohrdruf persönlichen Situation einen Sinn zu geben und verglich, zeigte aber auch, dass die Fähigkeit zur die vorkonzentrationären Erfahrungen auch im Gruppenbildung auch von der Struktur der Lager als Überlebensressource zu verwenden. Für Gruppe abhängig ist: Die französischen Überle- die Aufrechterhaltung einer sozialen Identität war benden waren politische Häftlinge mit Résistance- es daher in allen Stationen der Deportation not- Hintergrund, ähnlich wie die hier vorgestellten wendig, sich mit Gleichgesinnten bzw. Personen Überlebenden, und hatten wesentlich bessere gleicher (nationaler) Herkunft zusammenzutun Organisations- bzw. Segregationsmuster, während und sich gegen andere Gruppen abzugrenzen. Die

gerade von Überlebenden mit kommunistischem 22 AMM, OH/ZP1/331, Interview Guillemot. 23 LUCHTERHAND, Elmer G.: Social behavior of concen- tration camp prisoners: continuities and discontinuities with pre- and postcamp life, in: DIMSDALE, Joel E. (Hg.): 24 BLOCH, Herbert A.: The personality of inmates of Survivors, victims, and perpetrators: essays on the Nazi concentration camps, in: AMERICAN JOURNAL OF SOCI- Holocaust, Washington D.C. 1980, S. 259-282, hier 268. OLOGY 52.4, 1947, S. 335-341.

21 Alexander Prenninger

Hintergrund oft zitierte internationale Solidarität solcher Beziehungen bedrohte auch das eigene war tatsächlich eher eine national geprägte Solida- Leben. Die Häftlingsgesellschaft war geprägt rität. Darüber hinaus waren es jedoch vor allem durch soziale Strukturen, die denen außerhalb des die engen persönlichen Beziehungen zu einzelnen Lagers ähnelten und von den Häftlingen mit ins Mithäftlingen, die eine wichtige emotionale Res- Lager gebracht wurden. source des Überlebens darstellten. Der Verlust

Literatur:

BETTELHEIM, Bruno: Individual and mass behavior in extreme situations, in: DERS.: Surviving and other es- says, New York 1979, S. 48-83

BLOCH, Herbert A.: The personality of inmates of concentration camps, in: AMERICAN JOURNAL OF SOCI- OLOGY 52.4, 1947, S. 335-341

DELACOR, Regina M.: L’évolution de la politique répressive pendant l'occupation allemande en France, in: GARNIER, Bernard/LELEU, Jean-Luc /QUELLIEN, Jean (Hg.): La Répression en France 1940-1945. Acte du colloque international 8, 9 et 10 décembre 2005, Mémorial de Caen, Caen: Centre de Recherche d’Histoire Quantitative 2007, S. 59-68

DES PRES, Terrence: The survivor. An anatomy of life in the death camps, Oxford u.a. 1980

LUCHTERHAND, Elmer G.: Social behavior of concentration camp prisoners: continuities and discontinuities with pre- and postcamp life, in: DIMSDALE, Joel E. (Hg.): Survivors, victims, and perpetrators: essays on the Nazi Holocaust, Washington D.C. 1980, S. 259-282

ORTH, Karin: Nationalsozialistische Terrorstätten. Orte nationalsozialistischer Exklusions-, Ausbeutungs- und Vernichtungspolitik, in: BOTZ, Gerhard/FRITZ, Regina/ PRENNINGER, Alexander (Hg.): Mauthausen überleben und erinnern. Bd. 1: Wege nach Mauthausen (in Vorbereitung)

PINGEL, Falk: Häftlinge unter SS-Herrschaft. Widerstand, Selbstbehauptung und Vernichtung im Konzentra- tionslager, Hamburg 1978 (Historische Perspektiven, 12)

SOFSKY, Wolfgang: Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager, 3. Auflage, Frankfurt a.M. 1999

SOLSCHENIZYN, Alexander: Der Archipel GULAG, Reinbek 1988 (v.a. der zweite Teil mit dem Titel „Ewige Bewegung“)

SUDERLAND, Maja: Ein Extremfall des Sozialen. Die Häftlingsgesellschaft in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Frankfurt a.M./New York 2009

Interviews: AMM, OH/ZP1/326, Interview mit Jeanne Bonneaux, Interviewerin: Julia Montredon, 26./27.10.2002 AMM, MSDP, OH/ZP1/316, Interview mit Pierre Serge Choumoff, Interviewerin: Maryline Tranchant, 14.11.2002 AMM, MSDP, OH/ZP1/202, Interview mit Jean Courcier, Interviewerin: Juliette Montredon, 22.7.2002 AMM, MSDP, OH/ZP1/333, Interview mit Huguette Gallais, Interviewerin: Julia Montredon, 25. 11. 2002 AMM, MSDP, OH/ZP1/331, Interview mit Gisèle Guillemot, Interviewerin: Julia Montredon, 1.8./26.9.2002 AMM, OH/ZP1/318, Interview mit Henri Maître, Interviewerin: Maryline Tranchant, 6.6.2002 AMM, OH/ZP1/197, Interview mit Jean Mansching, Interviewerin: Anne-Sophie Pico, 24.6.2002

22 Gibt es eine braune Internationale?

Titus Lenk Gibt es eine braune Internationale?

Einführung: Was ist überhaupt die extreme Speziell bei der extremen Rechten im deutsch- Rechte? sprachigen Raum ist weiterhin zu finden: Bevor wir uns dem großen Fragenkomplex „Gibt • die Verherrlichung des Dritten Reichs als Vor- es eine braune Internationale?“, also ob es eine bild, international agierende extreme Rechte gibt, wid- • die Negierung oder zumindest die Ver- men, sollte erst einmal geklärt werden, was die harmlosung der NS-Verbrechen. extreme Rechte überhaupt ausmacht. Auf den Punkt gebracht: Extrem rechte Ideologie Die extrem rechte Ideologie ist eine Gesinnung, ist eine Spielart des Nationalismus, die vielfältiger, die Menschen in Gruppen einteilt, sie hierarchi- (politisch) „aktiver“ und extremer (Ultranationa- siert und danach (be)handelt. Extrem rechte Ide- lismus) auftritt als beim Rest der Bevölkerung. ologie beinhaltet folgende Komponenten in mehr Andererseits ist die extreme Rechte in ihrer in- 1 oder weniger ausgeprägter Form : haltlichen Ausrichtung nicht von großen Teilen • einen Nationalismus in aggressiver Form, des Rests der Bevölkerung zu trennen, wie die d.h. Feindschaft gegenüber AusländerInnen Studien „Deutsche Zustände“ oder die der Fried- und Minderheiten, die nicht zur eigenen rich-Ebert-Stiftung für die Bundesrepublik zeigen, Gruppe gerechnet werden; die regelmäßig die Verbreitung extrem rechter • „Intoleranz und den Glauben an ein Recht durch Ideologeme in großen Teilen der Bevölkerung Stärke, häufig verbunden mit einem elitär-unduld- nachweisen. Grundlegendes Element aller For- samen Sendungsbewusstsein und der Diffamierung men extrem rechter Ideologie ist, dass der natio- Andersdenkendender.2 nalen Gemeinschaft eindeutig Vorrang vor dem • die unbedingte Vorrangstellung und Unter- Individuum gewährt wird. ordnung des Individuums unter das Kollektiv („Rasse“, Nation, Volk). Im Folgenden wird die Frage nach der Existenz Oft auch, aber nicht zwingend, zu finden sind: einer Internationalen für zwei Flügel innerhalb • Antisemitismus in seinen verschiedenen der extremen Rechten gestellt: Spielarten und Rassismus, häufig verbunden a) die außerparlamentarische, teilweise neona- mit biologistischen und sozialdarwinistischen zistische und subkulturell auftretende ex- Theorien, treme Rechte, die systemkritisch bis sys- • Militarismus und „Führertum“, d.h. einen temfeindlich eingestellt ist, und antiegalitären und streng hierarchischen Auf- b) der parlamentarisch orientierte Rechtsex- bau als Ziel und Organisationsform der eige- tremismus, der eher systemkonform einge- nen Gruppe, stellt ist.4 • die Neigung zu Verschwörungstheorien, Die Zusammenlegung der systemkritischen und resultierend aus einem manichäischen Welt- systemfeindlichen extremen Rechten ist nicht bild, zwingend. So unterscheidet der Wissenschaftler • die „latente Bereitschaft zur gewaltsamen Pro- Richard Stöss eine gemäßigt nationalistische, eher pagierung und Durchsetzung der angestrebten Zie- systemkonforme Position, eine nationalistische le.“ 3 bzw. völkische, eher systemkritische Position und eine faschistische bzw. rassistische, eher system- 1 Vgl. Margaret Chatwin: Rechtsextremismus, lexi- feindliche Position (dies schließt neofaschistische kon.idgr.de/r/r_e/rechtsextremismus/rechtsextremis- und (neo)nazistische Tendenzen ein). Wir wollen mus.php, Zugriff: 01.01.2006 2 HUFER, Klaus-Peter: NPD als Wahl-O-Mat-Ergebnis?, aber im Folgenden der Zweiteilung folgen. 17.04.2010, http://www.bpb.de/methodik/NYUSBM,1,0,NPD_als_ WahlOMatErgebnis.html, Zugriff: 18.04.11 4 Diese Einteilung ist freilich idealtypisch, die Übergänge 3 Ebd. sind fließend!

23 Titus Lenk

Die außerparlamentarische extreme Rechte Diese Idee wurde vom extrem rechten US-Label Allgemeines „Panzerfaust Records“ aufgegriffen, das 100.000 „Although we are all Nationalists, here today we are Kopien eines „pro- samplers“ ankündigte. only one Nationality, White. It is not an American Das Motto hinter dieser Aktion lautete: “We don’t 9 fight, or a British fight or a German fight, it is a White just entertain racist kids, we create them!” fight and we have to win it.” Daneben wühlen Neonazis weltweit natürlich im Mark Cotterill, amerikanischer Neonazi, Fundus der NS-Vergangenheit und sind weiterhin 2. April 20015 fasziniert vom Dritten Reich. Dieser Trend er- streckt sich seit dem Fall des Eisernen Vorhangs

sogar auf Länder, die ehemalige Opfer des Ver- Die außerparlamentarische extreme Rechte ist auf nichtungskriegs im Osten waren. mannigfaltige Weise international verbunden. Die

Parole von „ worldwide“ ist nicht einfach nur eine Leerformel. Voraussetzung für Internationale Neonazi-Events diese Zusammenarbeit ist die Kommunikation, Neben Musikkonzerten mit Beteiligung aus ver- die durch die Verbreitung des Englischen als schiedenen Ländern bei den auftretenden Bands lingua franca und eine gute Online-Vernetzung und dem teilnehmenden Publikum gibt es auch heute viel günstigere Voraussetzungen hat als politische Groß-Veranstaltungen wie Demonstra- früher. tionen und Kundgebungen, an denen sich Ange- Besonders auffällig ist das bei der extremen Rech- hörige der außerparlamentarischen extremen ten, die subkulturell auftritt. Hier lassen sich in- Rechten aus verschiedenen Ländern beteiligen. ternationale, d.h. grenzübergreifende, Trends in Ein Beispiel, das inzwischen der Vergangenheit der extrem rechten Subkultur feststellen. Trotz angehört, waren die neonazistischen Aufmärsche 10 gewisser nationaler Eigenheiten gibt es Kleidung, in Wunsiedel bzw. der zugehörige Kult um den Musik, Namen oder Codes und Symbole, die von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß im Ausland. bestimmten extrem rechten Fraktionen überall Am 21. August 2004 versammelten sich in verwendet bzw. akzeptiert werden. Deshalb exis- Wunsiedel zwischen 3.800 und 4.500 Neonazis, tieren auch eine international vernetzte Musik- davon stammten etwa 20% aus dem Ausland szene und ein Musikmarkt, die grenzübergreifend (Großbritannien, Italien, Schweden, Tschechien, das Bedürfnis der jeweiligen extrem rechten Mu- Schweiz, Österreich, Norwegen, Dänemark, Nie- sik-Subkultur (RAC6, NSBM7, NSHC8 etc.) bedie- derlande, Belgien, Spanien, Russland)11. nen. Ein aktuelles Beispiel sind die extrem rechten Nicht selten kommen diese Modetrends in der Aufmärsche um den 13. Februar herum in Dres- extremen Rechten aus Großbritannien oder aus den. Obwohl es um ein sehr nationales Thema den USA, manchmal aber auch aus Deutschland. geht, nämlich die alliierte Bombardierung Dres- Beispielsweise war das „Project Schoolyard“ in dens im Rahmen des Kriegs gegen NS-Deutsch- den USA eine Nachahmung des deutschen „Pro- land, haben sich in den vergangenen Jahren Dele- jekt Schulhof“. Das in der Bundesrepublik von gationen aus dem Ausland an der Demonstration der NPD und parteifreien Neonazis initiierte beteiligt. TeilnehmerInnen kamen aus Schweden, Projekt versuchte vor allem mit kostenlos verteil- Tschechien, Spanien, Portugal, Ungarn und sogar ten Musik-CDs Einfluss auf Jugendliche und aus England, dem Land der ehemaligen Kriegs- junge Erwachsene zu gewinnen. gegner.

9 Zit. nach: Anti-Defamation League: White Supremacists 5 Zit. nach: Intelligence Report, Fall 2001, Issue Number: Target School Youth With White Power CD, 18.12.2008, 103, Hands Across the Water, http://www.splcenter.org/ http://www.adl.org/main_Extremism/White+Supremac- get-informed/intelligence-report/browse-all-issues/2001/ ists+Target+Youth.htm, Zugriff: 11.04.2011 fall/hands-across-the-water, Zugriff: 11.04.2011 10 Der am 17. August 1987 verstorbene Rudolf Heß wurde 6 „“: Rechtsrock, zumeist eine in Wunsiedel beerdigt. Form von „Oi“-Musik 11 Homepage der Kampagne „NS-Verherrlichung stop- 7 „National Socialist Metal“ pen“ (Wunsiedel), www.ns-verherrlichung-stoppen.tk, 8 „National Socialist Hatecore“ Zugriff: 01.12.2005

24 Gibt es eine braune Internationale?

Die Beteiligung von extrem Rechten aus Öster- reich ist ein Sonderfall, da die meisten von ihnen „Blood & Honour“ ist eine überparteiliche inter- ein deutschnationales Selbstverständnis haben, nationale neonazistische Skinhead-Organisation, d.h. sie betrachten sich selbst gar nicht als Aus- die v.a. Konzerte veranstaltet und versucht Ju- länder, sondern als Teil des „deutschen Volkes“. gendliche in ihrem Sinne zu beeinflussen.18 Ihr Es gibt noch eine Reihe von anderen extrem Begründer, der Sänger der britischen Rechtsrock- rechten Veranstaltungen mit starker internationa- band „Skrewdriver“, , fasste ler Beteiligung. Zum einen handelt es sich um es mit folgenden Worten zusammen: regelmäßige Veranstaltungen. Das sind beispiels- „Eine Gruppe zu hören, die man gut findet, macht viel weise: der jährliche Nazi-Aufmarsch um den 6. mehr Spaß als eine politische Versammlung. So errei- Dezember in Salem12 (Schweden), das Gedenken chen wir viel mehr Leute.“ 19 zum Todestag Francos am 20. November 1978 an Ziel der „Blood & Honour“-Bewegung ist neben seinem Mausoleum bei Madrid oder das von der Agitation von Jugendlichen auch die ideologi- parteifreien Neonazis in Thüringen veranstaltete sche Beeinflussung der rechten Skinhead-Szene Rechtsrock-Festival13 „Fest der Völker“14, an dem über die Musik. Damit schöpfen sie aus dem etwa am 10. Juni 2006 extrem rechte Funktionäre Potenzial von mehreren zehntausend „White aus zwölf Ländern teilnahmen. Power“-AktivistInnen in Europa und Nordame- Ein früherer Anzugspunkt für die rechte Szene rika. war das „Ijzerbedevaart“, ein jährliches Treffen Im Jahr 1987 wurde „Blood & Honour“ in Groß- Ende August im westflämischen Diksmuide15 britannien von Ian Stuart Donaldson gegründet. (Belgien), das dem Gedenken an die flämischen Bis heute bestehen bzw. bestanden Sektionen, Opfer des Ersten Weltkriegs gewidmet ist. genannt „Chapters“ (dt. „Divisionen“) in den

Ländern20 Australien, Österreich, Belgien, Bulga- „Blood & Honour“16– rien, Kanada, Chile, Kroatien, Tschechien, Finn- eine internationale NGO? land, Frankreich, Deutschland (offiziell verboten), “Europe awake for the white man‘s sake/ Griechenland, Niederlande, Ungarn, Italien, Neu- Europe awake before it’s too late / seeland, Großbritannien (England und Schott- land), Portugal, Serbien, Slowenien, der Ukraine Europe awake!” und den USA mit den jeweiligen Unter-Gliede- 17 Lied „Hail the new dawn“ der britischen rungen. Rechtsrockband „Skrewdriver”, 1984

Die deutsche Sektion wurde 1994 gegründet und

12 hatte auf ihrem Höhepunkt etwa 300 Mitglieder. Die Veranstaltung soll an den Tod von Daniel Wretström erinnern, einen 17-jährigen schwedischen Ihr Einfluss aber ist größer anzusetzen als diese Neonazi, der am 6. Dezember 2000 bei einer gewaltsamen geringe Mitgliederzahl scheinen lässt. ExpertIn- Auseinandersetzung mit Ausländern getötet wurde. 13 Axel Burchardt: Stellungnahme der Mitglieder der For- nen führten ein Drittel der 1999 veranstalteten schergruppe Discrimination and Tolerance in Intergroup extrem rechten Konzerte auf die Organisation Relations und der Jenaer Mitglieder des Internationalen Graduiertenkollegs Conflict and Cooperation between zurück. Am 14. August 2000 wurde die deutsche Groups der Friedrich-Schiller-Universität Jena zur geplan- Sektion von staatlicher Seite verboten. Es ent- ten rechtsradikalen Veranstaltung, dem sogenannten „Fest der Völker“, am 11. Juni 2005 in Jena, http://idw- online.de/pages/de/news115424, Zugriff: 06.06.2005; Homepage von „Fest der Völker“, Thüringen, http://www.n-w-j.de/festdervoelker/, Zugriff: 02.06.2008 17 http://www.lyricsmode.com/lyrics/s/skrewdriver/ 14 Titel eines Riefenstahl-Films europe_awake.html, Zugriff: 11.04.11 15 18 GOEBEL, Olaf: „Das eigene Volk zuerst“. Würstchen Margaret Chatwin: Blood and Honour, lex- und Hakenkreuze in Diksmuide, in: DER RECHTE RAND, ikon.idgr.de/b/b_l/blood-and-honour/blood-and- Nr. 30, August/September 1994, S. 17f; IDGR-Eintrag zu honour.php, Zugriff: 01.01.2006 Ijzerbedevaart, lexikon.idgr.de/i/i_j/ijzerbedevaart/ijzerbe 19 Vgl. http://www.zeit.de/archiv/2002/06/200206_titelei devaart.php, Zugriff: 01.01.2006 _nazi-jug.xml 16 Auf Deutsch: „Blut und Ehre“; diesen Spruch hatten 20 Homepage von „Blood&Honour“: Mitglieder der Hitlerjugend auf ihren Fahrtenmessern ste- http://www.bloodandhonourworldwide.co.uk, Zugriff: hen. 18.04.2011

25 Titus Lenk standen aber, teilweise unter dem Label „28“21, ger25 in Kanada, Spanien, Australien, Deutsch- Nachfolgestrukturen. land, Italien, Kroatien, Großbritannien und Por- Bis auf die Verbotsmaßnahmen in einzelnen Län- tugal verfügt. dern ist „Blood & Honour“ ein bis heute aktives Netzwerk. Es organisiert internationale Musik- Auch extrem rechte Frauen sind international in CD-Produktionen oder Konzerte mit starker mindestens einer eigenen Organisation organi- internationaler Beteiligung. Auf dem Rechtsrock- siert. Die „Women for Aryan Unity“ (WAU) ist Osterfest der „Veneto Fronte Skinheads“ in Ita- als Frauenorganisation Schwesterfraktion des lien 2008, hinter dem „Blood & Honour“ steckt, „Aryan Resistance Movement“, einer Gruppe des sollen nach Eigenangabe 2.000 Personen teilge- Ku-Klux-Klan. „WAU“ kommt ursprünglich aus nommen haben. den USA, „Chapter“ gibt es aber auch in Ungarn, Italien, Finnland, Portugal, der Ukraine, Spanien, Neben „Blood & Honour“ gibt es eine ganze Australien und Argentinien.26 Reihe weiterer extrem rechter NGOs, die interna- tional tätig sind (INGOs). Eine weitere extrem rechte INGO ist die „Pagan Die stärkste Konkurrenz zu „Blood & Honour“ Front“, eine Art von „Blood & Honour“ in der in der extrem rechten Naziskin-Szene sind die NSBM-Musikszene. Sie wurde 1998 gegründet, „“22, wobei teilweise mit „Blood & und ihre Mitglieder stammen aus Nordamerika, Honour“ ein Konflikt um das einträgliche Kon- Deutschland, Griechenland, Polen und Slowe- zert- und CD-Geschäft besteht. nien. Sie ist unterteilt in „Divisionen“. Die „Hammerskins“ wurden 1986 in den USA gegründet, ihr Dachverband nennt sich „Ham- Darüber hinaus existieren noch weitere extrem merskin Nation“. Sie selbst verstehen sich als „SS rechte Gruppierungen, auf die an dieser Stelle der Bewegung“23. nicht näher eingegangen werden kann. Gary Seit 1991 existieren sie auch in der der Bundesre- Lauck aus Lincoln (Nebraska) gründete 1972 mit publik, wo sie über 1.200 Mitglieder verfügen 19 Jahren in den USA die „NSDAP/AO“, deren sollen. Ihr Einfluss ist allerdings größer anzuset- Ziel die Wiedereinführung des Nationalsozialis- zen als diese geringe Mitgliederzahl vermuten mus ist. Diese Gruppe war über Propaganda- lässt. material (diverse Aktivitäten, Schriften in zehn Auch die „Hammerskins“ sind in vielen Ländern Sprachen) in den 1980ern und 1990ern auch in weltweit mit „Chapter“ vertreten24, darunter in Deutschland auffallend umtriebig. den USA (unterteilt in: Konföderation, Westen, Ebenso wie die „NSDAP/AO“ existieren Ableger Mitte, Nordwesten), Kanada, Frankreich, der verschiedenen Gruppen des Ku-Klux-Klan Deutschland, Italien, Spanien, Portugal, Ungarn, aus den USA auch in anderen Ländern, besonders Schweiz, Schweden, Australien und Neuseeland. expansiv soll „Ku-Klux-Klan – Invisible Empire“ Als neue Alternative und Konkurrenz zu „Blood mit Niederlassungen in Großbritannien, Kanada, & Honour“ und den „Hammerskins“ hat sich die Frankreich und Australien sein. neue Naziskin-Gruppe „Volksfront“ herausgebil- det, die in den USA entstanden ist und über Able-

21 Die Chiffre „28“ orientiert sich am zweiten und am achten Buchstaben des Alphabets, d.h. B und H. 22 GRUMKE, Thomas: „Solidarität ist eine Waffe“. Die rechtsextreme Internationale: Ideologie, Vernetzung und Kooperation, Opladen 2002), S. 383-384 23 GRUMKE, Thomas: „SS“ der Bewegung. Die Hammer- skins wollen keine Laufburschen der rechtsextremen 25 Parteien sein, in: BLICK NACH RECHTS, Ausgabe 17/2002 Homepage der „Volksfront“: vom 22.08.2002 http://www.volksfrontinternational.com, Zugriff: 24 Homepage der „Hammerskins“: 18.04.2011 http://www.hammerskins.net/chapters.html, Zugriff: 26 Homepage von „Women for Aryan Unity”, 18.04.2011 http://wau14.com/contact-us/, Zugriff: 18.04.2011

26 Gibt es eine braune Internationale?

Die parlamentarisch orientierte extreme und einen „befreiungsnationalistischen“ bzw. Rechte national-„revolutionären“ (neu)rechten Flügel, der Bei der Betrachtung der parlamentarisch orien- sich in einem kontinentalen Unabhängigkeits- tierten extremen Rechten sollen nur der europäi- kampf gegen die „raumfremde“ Macht USA und sche Raum bzw. der EU-Raum, also die Euro- die im Westen verorteten Ideen der bürgerlichen rechten und Eurofaschisten, betrachtet werden. Revolution sieht und Europa seit 1945 ideolo- gisch und militärisch kolonialisiert wähnt. Die Europäische Union stellt für die parlamenta- risch orientierten extremen Rechten eine neue Dazu gibt es noch einmal eine Unterströmung, politische Arena dar. nämlich den neuheidnisch orientierten Teil dieses Flügels. Dieser sieht den Beginn der Kolonialisie- Überwog früher eher noch die generelle Ableh- rung Europas schon im Anfang der Christianisie- nung des politischen Projekts EU aus national- rung Europas und konstruiert dabei als antisemiti- staatlich-protektionistischen Motiven27, so ist sches Feindbild ein „Judäo-Christentum“. heute eher eine Transformation der EU im eige- nen Sinne das Ziel. Plötzlich wird für eine Die frühere ideologische Klammer der beiden „Großmacht Europa“, ein „Vaterland Europa“ großen Flügel, teilweise auch mit den klassischen bzw. ein „Europa der Vaterländer“ agitiert. Bei Konservativen, war der Antikommunismus. Nach der extremen Rechten hat erkennbar eine Euro- dem Fall des Ostblocks hat dieses gemeinsame päisierung stattgefunden. Dabei ist für die parla- Feindbild stark an Bindungskraft verloren. In mentarische deutschnationale extreme Rechte letzter Zeit scheint der Islam an dessen Stelle Europa allerdings oft nur ein Synonym für ein getreten zu sein. „Großdeutschland“ bzw. deutschdominiertes Europa. Gemeinsamer Bezugspunkt: „Reich Europa“ Während der antiparlamentarische Neonazismus „Die Überwindung der jahrhundertelangen Bruder- offen vulgärrassistisch ist, tarnt die parlamentari- zwiste der europäischen Völker durch eine völkische sche Eurorechte ihren Rassismus als „Ethnoplu- föderalistische Zusammenarbeit in der Europäischen ralismus“, d.h. als eine Art gleichberechtigten Eidgenossenschaft.“ Rassismus.28 Das neue Subjekt sind die Europäer „Generalplan 1945“ der NSDAP, 3. April 194529 bzw. (EU-)Inländer, anstatt Arier. Doch es gibt durchaus auch Mischformen, z.B. die eurofa- schistische Konstruktion einer „Nation Europa“. „Vergeßt nicht, daß in den Kadern der Waffen-SS die Diese extrem rechte Ideologie einer „Nation ersten Europäer gefallen sind. […] Der Europa-Ge- Europa“, die Weltmachtstatus haben soll, geht auf danke ist das einzige politische Ideal, für das zu streiten den britischen Nationalsozialisten Sir Oswald sich heute noch lohnt. Nie waren wir seiner Verwirkli- Mosley zurück, der sich damit bereits 1948 an der chung näher.“ Reorganisation der europäischen extremen Rech- Paul Hausser, ehemaliger ten in Europa versuchte. Obergruppenführer der Waffen-SS, 195330

Generell lässt sich die parlamentarische Euro- Als gemeinsamer Bezugspunkt der Eurorechten rechte in zwei Flügel einteilen: einen eher rechts- existieren verschiedene Europa-Konzepte, die konservativen Flügel, der vor allem ein „christli- sich inhaltlich aber stark ähneln. Häufig ist die ches Abendland“ erhalten bzw. erschaffen will, Rede vom „Reich Europa“, „Eurasien“, „Europa der Vaterländer“ oder vom „christlichen Abend- 27 So lehnte im Jahr 1979 die NPD eine Teilnahme an der Europawahl noch ab land“. 28 Der Ethnopluralismus bzw. Ethnodifferenzialismus hat Die europäischen Ordnungsmodelle von rechts als gedankliche Grundlage eine „Rassen“-Trennung zum Erhalt der „nationalen Identität“. Die unterschiedlichen nehmen häufig direkt oder indirekt Bezug auf die ethnischen Gruppen sollen ihre vermeintliche kulturelle Homogenität erhalten, eine Vermischung wird abgelehnt (Parole: „Türkei den Türken, Deutschland den Deut- 29 Zit. nach: BESYMENSKI: Die letzten Notizen von Martin schen!“). Diesem Konzept liegt die Annahme, Völker Bormann, S.156 besäßen unveränderliche kulturelle Identitäten zu Grunde. 30 Zit. nach: HAUSSER: Waffen-SS im Einsatz, S.262

27 Titus Lenk von der Waffen-SS und von den Nationalsozialis- Während sich bei der Wahl 1979 unter der Ägide ten propagierte „Festung Europa“ 31. In einigen italienischer Neofaschisten eine (erfolglose) ge- rechten Strömungen ist der „Großmacht Eu- meinsame Plattform (Eurodestra) bildete, waren ropa“-Gedanke aber auch in eine „Großmacht die extrem rechten Parteien 1984-89 getrennt in Eurasien“-Idee umgewandelt worden. den Wahlkampf gezogen. Grundsätzlich soll das „Reich Europa“ zwei Ebe- Im Jahr 1984 zogen die französische Front Nati- nen haben: eine europäische Ebene nach außen, onal (FN) mit zehn, die Movimento Sociale als Gegenpol zu den USA und „dem Islam“, und Italiano (MSI) mit fünf Abgeordneten sowie ein ein ethnopluralistisches, also völkisches, Staaten- griechischer Abgeordneter der extremen Rechten gefüge nach innen, also eine Neuordnung der in das europäische Parlament ein. Kurz darauf Grenzen nach völkischen Kriterien. durch den Abgeordneten der nordirischen Ulster Teilweise ist der Versuch Europa als Großmacht Unionist Party34 (UUP) verstärkt, bildeten diese zu etablieren und im Inneren neu zu ordnen als Abgeordneten die „Fraktion der europäischen der Versuch einer Wiederauflage der klassischen Rechten“ unter dem Vorsitzenden Jean-Marie Le Geopolitik32 anzusehen33. Ein Beispiel dafür ist Pen. 35 die nationalistische Parole vom „Volk ohne Nach der Europawahl vom 18. Juni 1989 zog Raum“; der deutsche Geopolitiker Karl Hausho- auch die extrem rechte Republikaner-Partei aus fer forderte im Zusammenhang damit einen Füh- Deutschland mit 7,1% der deutschen Stimmen ins rungsanspruch der Deutschen innerhalb eines Europäische Parlament ein. Nach dieser Wahl mitteleuropäischen Kontinentalblocks, verbunden schlossen sich bis 1994 die FN mit zehn, die mit einer militärischen Expansion nach Osten. deutschen Republikaner mit sechs und der belgi- Neben diesen allgemeinen Raumordnungsmodel- sche Vlaams Blok (VB) mit einem Abgeordneten len für ganz Europa gibt es auch speziellere Plan- zur „Technischen Fraktion der europäischen spiele für Allianzen und Achsen. Deutsche extrem Rechten“ zusammen.36 Rechte spielen gerne mit dem Gedanken einer Treibende Kraft hinter diesen Einigungsbemü- Achse Paris-Berlin-Moskau. Die Bündnispartner hungen der parlamentarischen Eurorechten war wären aber nicht die Länder in ihrer heutigen die FN bzw. Le Pen. Zu dieser Zeit betrieb die Verfasstheit, sondern ein völkisches Frankreich FN auch eine sehr aktive eigene „Nebenaußenpo- und ein nationalistisches Russland. litik“, die sich z.B. in einem Besuch Le Pens beim Als Wunsch-Bündnispartner vieler extrem Rech- irakischen Diktator Saddam Hussein äußerte. ten gilt außerdem die arabische Welt bzw. Teile Neben Versuchen von extrem rechten Parteien, davon. eine eigene Fraktion zu begründen, gab es immer auch Bemühungen, sich bereits bestehenden Fraktionen anzuschließen. Die seit der Europa- Praktische Kooperation auf EU-Ebene in der wahl 1996 mit sechs Abgeordneten im Europäi- Vergangenheit schen Parlament vertretene Freiheitliche Partei Die Versuche der parlamentarischen Rechten, Österreichs (FPÖ) distanzierte sich deswegen sich auf EU-Ebene zu organisieren und zu koor- zeitweise aus taktischen Gründen von der FN, dinieren, sind schon recht alt und von wechselsei- konnte aber bei den Konservativen keinen An- tigem, aber immer nur temporärem Erfolg gezei- schluss gewinnen. tigt. In den Jahren 1997 bis 1999 kam es kurzfristig 31 Die nationalistisch-ausgrenzende Ideologie der „Festung zum Zusammenschluss „Europa der Nationalis- Europa“ hat bereits durchaus eine gewisse Entsprechung ten“ (Euronat) aus der Großrumänien-Partei, der auf der Ebene eines gesamteuropäischen Migrationsre- gimes. 32 Der Begriff „Geopolitik“ stammt vom schwedischen

Staatsrechtler Rudolf Kjellén (1864-1922) und bezeichnet 34 den Einfluss von geografischen Gegebenheiten auf die Die UUP ist eine protestantisch-sektiererische Partei in Politik. Nordirland. 33 Margaret Chatwin: Geopolitik, 35 SCHIEDEL, Heribert: Europäischer Rechtsextremismus, lexikon.idgr.de/g/g_e/geopolitik/geopolitik.php, Zugriff: in: ZOOM, 6+7/1998 01.01.2006 36 Ebd.

28 Gibt es eine braune Internationale?

Slowakischen Nationalpartei, der Front National tional, Vlaams Belang, Lega Nord und den ange- und einer ungarischen Partei. dachten Partidul Romania Mare sowie der bulgari- Nie waren die Zusammenschlüsse auf EU-Ebene schen Ataka aus den neuen EU-Mitgliedstaaten von Dauer. Eine Art konspiratives Treffen von nahmen Lega Nord und Vlaams Belang vorerst Vertretern der Eurorechten fand vom 11. bis zum wieder Abstand. Interessiert an einer Kooperation 13. November 2005 in Wien37 statt und wurde waren damals auch die Liga Polnischer Familien diesmal von der FPÖ organisiert. Ähnliche Vor- (LPR), die polnische Bauernpartei Samoobrona gängertreffen hatte es bereits 2001 und 2002 und Alessandra Mussolinis neofaschistisches gegeben. 2005 nahmen Vertreter der FN aus Bündnis Alternativa sociale (AS). Frankreich, Ataka aus Bulgarien, dem neofaschis- Ab Februar 2007 entstand dann aber doch die tischen Parteienbündnis Azione Sociale sowie der eurorechte Fraktion „Identität, Souveränität, Lega Nord aus Italien, der Alternativa Espanola Tradition“, die durch den Fraktionsstatus über 1,3 aus Spanien, dem Vlaams Belang aus Belgien, der Millionen Euro an Extra-Zuschüssen verfügte. Partidul Romania Mare (PRM) aus Rumänien teil, Ihre 23 Abgeordneten kamen von der FPÖ, der und die Dänische Volkspartei war mit einem Front National, dem Vlaams Belang, der Lega Grußwort vertreten. Es fand eine Diskussion über Nord, der Partidul Romania Mare, Ataka, Lista eine mögliche Kooperation statt, und Ziel war Mussolini und Ashley Mote von der United eine EU-Fraktion der Rechten im Wahljahr 2007. Kingdom Independence Party (UKIP), einer Bei diesem Treffen wurde die sogenannte „Wie- rechtspopulistischen Partei von britischen EU- ner Erklärung“ verabschiedet, in der es u.a. hieß, Gegnern. Ziel sei die „Schaffung eines Europa der freien und Damit war der Zusammenschluss zwar vorerst unabhängigen Nationen im Rahmen eines Staatenbundes gelungen, aber sehr heterogen. Die eurorechte 38 souveräner Nationalstaaten“. Daneben wurde in der Fraktion Identität, Souveränität, Tradition be- Erklärung ein Einwanderungsstopp und Wider- stand aus Separatisten (Vlaams Belang, Lega stand gegen die Globalisierung gefordert. Prakti- Nord), Europa-Skeptikern (UKIP), echten Fa- sches Ziel war, bis 2007 eine gemeinsame Frak- schisten und Rechtspopulisten. Neben dieser tion extrem rechter Parteien im EU-Parlament zu generellen Heterogenität bietet auch der generelle bilden. Ultranationalismus der extremen Rechten ein Konkret war dann auch für Dezember 2006 oder ideologisches Konfliktpotenzial. Ultranationalis- Januar 2007 die Gründung einer extrem rechten ten haben nicht selten irredentistische Gebietsan- Fraktion39 im Europäischen Parlament geplant. sprüche an die Nachbarländer bzw. fühlen sich Als mögliche Mitglieder benannt wurden: die berufen, die Minderheiten der eigenen Titularna- Front National (Frankreich), der Vlaams Belang tion in den Nachbarländern zu protegieren. Eine (Belgien), die Lega Nord (Italien), die Liga Polni- frühere eurorechte Kooperation war schon daran scher Familien (Polen) und die FPÖ (Österreich). zerschellt, dass sich die deutschnationalen Repub- Die für den ab 1. Januar 2007 geplante Fraktion likaner und die italienischen Faschisten über die der „Rechtsdemokraten“ mit einem Potenzial von Südtirol-Frage zerstritten hatten. 27 Sitzen schien aber zuerst zu scheitern40, denn Diesmal zerfiel die Fraktion, weil die italienischen von dem Zusammenschluss aus FPÖ, Front Na- Mitglieder begannen gegen rumänische EinwandererInnen zu hetzen, gemeint waren vor 37 DÖW: Treffen der Euro-Rechten in Wien, in den Anti- allem Roma aus Rumänien. Als die italienischen faschistischen Nachrichten 24-2005, Rechten bei ihrer Hetze aber nicht zwischen www.antifaschistische-nachrichten.de/2005/24/1euror echte.shtml Roma und ethnischen RumänInnen unterschei- 38 Nach: „Europa erwache!“ Zu den jüngsten Einigungs- den wollten, verließen die Mitglieder der Groß- bestrebungen der Euro-Rechten, in: ANTIFA-INFOBLATT, Nr. 70 – 1.2006, Seite 52-53 rumänien-Partei die Fraktion, die dadurch ihren 39 Eine Fraktion im EU-Parlament muß aus mindestens 19 Fraktionsstatus verlor. Abgeordneten bestehen, die aus mindestens fünf verschie- denen Ländern stammen. Spätere Einigungsversuche sind bisher fehlge- 40 mk: Rechtsextremisten Keine Fraktion für „Rechtsde- schlagen. Im Jahr 2008 wurde eine gemeinsame mokraten“ im EU-Parlament, http://www.redok.de/c ontent/view/465/36/, Zugriff: 06.12.2006 Organisation mit dem Arbeitstitel „Europäische

29 Titus Lenk

Freiheitspartei“ bzw. „Europäische Patriotische Viele extrem rechte Parteien haben keine bestän- Partei“ angekündigt. Die Beteiligung von FPÖ, digen Wahlergebnisse. Ausnahmen sind FN und Front National, Ataka, Vlaams Belang und der Vlaams Belang. Da rechte Parteien kurzfristige rechtspopulistischen Wählerformation Initiative rassistische und chauvinistische Stimmungen Pro Köln aus Deutschland war geplant, weitere ausnützen, sind hohe Wahlergebnisse häufig nicht potenzielle Mitglieder aus den Niederlanden, wiederholbar. So scheiterten die deutschen Re- Dänemark, Zypern, Kroatien und Serbien wurden publikaner 1994 bei der Europawahl an der Fünf- angedeutet. Doch kam dieses Projekt nicht über Prozent-Hürde, nachdem sie 1989 mit 7,1% der seine Ankündigung hinaus. Stimmen ins Europa-Parlament eingezogen wa- Der jüngste Versuch nennt sich „Allianz der eu- ren. ropäischen nationalen Bewegungen“ (AENM) Weil in einigen größeren EU-Mitgliedsstaaten und wurde am 24. Oktober 2009 in Budapest keine beständigen Kooperationspartner vorhan- gegründet. Es handelt sich um einen Vernet- den sind, schwanken auch die Kontakte. Beispiel- zungsversuch extrem rechter Parteien auf Eu- haft ist die Diplomatie der FN, die sich von den ropa-, nicht auf EU-Ebene. Mitglieder sind die immer erfolgloseren Republikanern der mehr Front National aus Frankreich, die Front National Erfolg versprechenden DVU zugewandt hat41. Im aus Belgien, Svoboda aus der Ukraine, Fiamma Jahr 1998 wollten FN und DVU zusammen ein Tricolore aus Italien, Partido Nacional Renovador Wahlbündnis für die nächsten Europaparla- aus Portugal, Movimiento Social Republicano aus mentswahlen bilden, aber ohne Erfolg. Generell Spanien und die Nationaldemokraterna aus fehlt auf Europa-Ebene ein starker deutscher Schweden. Bündnispartner, immerhin ist die Bundesrepublik Neben dem Scheitern des Zustandekommens das einwohnerstärkste Land der EU. einer eindeutig extrem rechten Fraktion im EU- Da in der Vergangenheit selten die notwendigen Parlament gibt es derzeit noch die Rechtsaußen- Sitze für eine eigene extrem rechte EU-Fraktion EU-Fraktion, die nicht durchgehend als extrem zusammenkamen, versuchten einige extrem rechte rechts kategorisiert werden kann. In der Rechts- Parteien den Anschluss an die konservativen außen-Fraktion Independence and Democracy, sowie die euroskeptischen konservativen Fraktion die von 2004 bis 2009 bestand, saßen bis zu 37 zu bekommen.42 Dazu mussten sie aus taktischen Mitglieder euroskeptischer Parteien. Neben rech- Gründen eine Kontaktsperre zu anderen extrem ten Populisten und Euroskeptikern waren auch Rechten aufrecht erhalten, um bei den Konserva- die extrem rechte Liga der Polnischen Familien, tiven anzubändeln. die rechtsradikale Laikos Orthodoxos Synagermos Neben diesen praktischen Unterschieden, gibt es (LAOS) aus Griechenland und die italienische auch ideologische Differenzen, zum Beispiel Lega Nord (bis 2006) zeitweise Mitglieder. zwischen einem radikal-völkischen und einem Als indirekter Nachfolger von Independence and eher zentralistisch-republikanischen Nationalis- Democracy entstand 2009 die rechte Fraktion mus, wie er eher in Spanien, Frankreich oder Europa der Freiheit und der Demokratie, in der Italien Tradition hat. unter anderen die rechtsgerichtete United Kingdom Independence Party (UKIP), die Lega Kooperation unterhalb der EU-Ebene am Nord, die ungarnfeindliche Slowakische Natio- Beispiel der Kontakte einzelner extrem rech- nalpartei und die rechtspopulistische Partei Wahre ter Parteien aus der Bundesrepublik Finnen vereint sind. Eine Beteiligung der FPÖ Auch unterhalb der Ebene der Europäischen wurde von verschiedenen Fraktionsmitgliedern abgelehnt. Union gibt es grenzübergreifende Kooperationen Die kurze Betrachtung der Organisationsversuche 41 der parlamentarisch orientierten extremen Rech- Eine „braune Internationale“? – Front National, deut- sche Rechte und ihre internationalen Beziehungen, ten zeigt eine Anzahl von grundsätzlichen Prob- www.vsp-vernetzt.de/soz/990507.htm, lemen. Zugriff: 18.04.2011 42 SCHIEDEL, Heribert: Europäischer Rechtsextremismus, in: ZOOM, 6+7/1998

30 Gibt es eine braune Internationale? oder Kontakte von parlamentarisch orientierten Partei (UNA), zur Pamjat47 (Russland), zur Partei extrem Rechten. Im Folgenden soll die kleine Wahre Finnen (Finnland), zur Partei national Außenpolitik von drei rechten Parteien aus orientierter Schweizer (Schweiz), zur tschechi- Deutschland näher betrachtet werden. schen Neonazipartei Dělnická strana sociální spravedlnosti (DSSS)48 oder zur Australian First Party (Australien). Kleine Außenpolitik der NPD43 Konkret äußern sich diese Bündnisse im Auftritt „Nationalisten in Deutschland, in Europa oder auch in prominenter Gastredner aus dem Ausland bei Amerika stehen einem gemeinsamen Feind aller Völker NPD/JN-Veranstaltungen oder in Solidaritätsak- gegenüber, dem internationalen Großkapital, das allen tionen. Im Jahr 2000 protestierte die russische geschichtlich gewachsenen Nationen zugunsten eines National-Patriotische Front (Pamjat) gegen ein multikulturellen ‚melting pot‘ den Todesstoß versetzen mögliches NPD-Verbot. Dabei ließ Dimitrij Was- will. Unser Kampf gegen die Weltherrschaftsbestrebun- siljew, Vorsitzender des Zentralkomitees der gen und den Wirtschaftsimperialismus multinationaler Pamjat, zu einem möglichen Verbot der NPD am Konzerne wird hart und entbehrungsreich sein – doch 26. November 2000 verlauten (Fehler im Origi- das Ziel einer wieder zu ihren Wurzeln zurückfinden- nal)49: den Völkergemeinschaft wird es wert sein, diesen harten Kampf und alle damit verbundenen Unannehmlichkei- „Unsere Kraft heißt Einigung! ten auf sich zu nehmen.“ Schroeder, Hände weg von der NDP! Holger Apfel, NPD-Kader, 199944 Patrioten der Welt, vereinigt euch! Es leben die NDP und die NPF Pamjat! Die NPD ist in der Bundesrepublik derzeit die Es leben Deutschland und Russland! erfolgreichste und aktivste extrem rechte Partei. Es lebe die weltweite Rechte Front! Sie ist aktuell in zwei Landtagen (Sachsen, Meck- Gott mit uns!“ lenburg-Vorpommern) vertreten ist. Bei den Bundes- oder Europawahlen hat die NPD aber bisher immer unter 5% der Stimmen erreicht. Am 2. April 2001 protestierte auch die National Die europäische Vernetzungsstrategie der NPD Alliance in Washington vor der deutschen Bot- schaft gegen ein eventuelles Verbot der NPD. zielt auf Bündnispartner ab, die über eine ähnlich neonazistische bzw. neofaschistische Ausrichtung Eher ein Kuriosum am Rande ist der Kontakt der wie sie selbst verfügen. NPD zum Regime in Nordkorea50, der dazu führ- te das 1998 eine NPD-Delegation die Berliner Es existieren unter anderem NPD/JN-Kontakte Interessenvertretung Nordkoreas besuchte. Das zur Falange45 (Spanien), zur Eisernen Garde (Ru- gemeinsame Element von NPD und Nordkorea mänien), zum „Bund heimattreuer Jugend“46 dürfte hier ein antiamerikanisch verbrämter An- (Österreich), zur National Alliance (USA), zur , zur Ukrainischen National- tiimperialismus sein.

Die NPD hat sich mit anderen europäischen Nationalsozialisten und Faschisten in der Euro- 43 Die NPD ist nur bedingt zur parlamentarisch orientier- ten extrem Rechten zu zählen. Zwar ist sie eine Partei, die zu Wahlen antritt, aber ihr Ziel ist die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie zugunsten eines autoritären 47 Margaret Chatwin: Pamjat – National-patriotische Front, Systems. Dabei orientiert sich die NPD teilweise an der Russland, lexikon.idgr.de/p/p_a/pamjat/pamjat.php, NSDAP. Diese Tendenz wurde noch dadurch verstärkt, Zugriff: 01.01.2006 dass der NPD-Vorsitzende die Partei für parteifreie Neo- 48 ANDREASCH, Robert/SCHULTZ, Lara: Das „Manifest nazis („Freie Kameradschaften“) geöffnet hat. von Riesa“, in: BLICK NACH RECHTS vom 19.04.2011, 44 Aus dem Sammelband: Alles Große steht im Sturm. 35 http://www.bnr.de/content/das-ae-manifest-von-riesa-ae Jahre NPD – 30 Jahre JN – Geschichte einer jungen 49 „Erklaerung Der National-Patriotischen Front ‚Pamjat‘ gegen Partei, 1999 den Verbot der National-Demokratischen Partei Deutschlands, 45 Es handelt sich um eine Partei in der Tradition der Moskau [sic!]“, 26. November 2000, faschistischen Staatspartei Francos; es gibt mehrere Nach- www.pamyat.ru/vndp.html, Zugriff: 01.01.2007 50 folgeparteien der historischen „Falange“. GRUMKE, Thomas/WAGNER, Bernd (Hg.): Handbuch 46 Dieser ist keine Partei! Rechtsextremismus, 2002, S. 272

31 Titus Lenk pean National Front (ENF) zusammengefun- besuchte Anfang 2007 die Pro Köln bzw. Pro den51. Die ENF wurde von der NPD und der NRW.53 spanischen Falange initiiert und ist ein Zusam- Zu ihrer Anti-Moscheebau-Kundgebung am 16. menschluss von fünf neonazistischen oder -fa- Juni 2007 erhielt Pro Köln Verstärkung von schistischen Parteien aus Deutschland, Spanien, Heinz-Christian Strache (FPÖ) und Bart Debie Italien, Rumänien und Griechenland; weitere (Vlaams Belang). Über 30 Mitglieder der rechts- assoziierte Mitglieder kommen aus den Nieder- populistischen Jugend pro Köln und Jugend pro landen, Frankreich, Portugal und Bulgarien. Heute NRW reisten am 3. Mai 2008 nach Antwerpen ist die ENF vollständig inaktiv, aber auch früher zum „Tag der europäischen Rechtsjugend“, an war sie nicht sonderlich umtriebig. Eine der weni- dem sich extrem rechte Jugendorganisationen aus gen Aktivitäten bestand im Abschluss eines acht europäischen Ländern beteiligt haben sollen Freundschaftsvertrags der Falange mit der NPD (Jugendverbände der FPÖ, des Vlaams Belang, am Todestag Francos 2004. der italienischen Lega Nord, sowie verschiedener Parteien aus Frankreich, Ungarn, Spanien und Kleine Außenpolitik der Pro-Bewegung eine Beobachtergruppe der Jugendorganisation der amerikanischen „Robert Taft Group“, eines Die rechtspopulistische Pro-Bewegung ist zwar konservativen Zirkels um die US-Politiker Pat nicht die stärkste extrem rechte Partei, aber ver- Buchanan und dem Kongressabgeordneten Tom mutlich die Partei, die in ihrer kleinen Außenpoli- Tancredo). tik am aktivsten ist. Hervorgegangen ist die Pro- Bewegung aus der extrem rechten lokalen Wähler- Die jüngste außenpolitische Aktivität der Pro- formation Pro Köln, die 1996 gegründet wurde. Bewegung war die Teilnahme an einem Treffen in Im Jahr 2005 wurde dann Pro Deutschland und Antwerpen am 9. und 10. April 2011.54 Dabei 2007 Pro NRW gegründet. trafen sich Vertreter der Lega Nord (Italien), der Dänischen Volkspartei, der Schwedendemokra- Grenzübergreifend ist die Pro-Bewegung im Ver- ten, der FPÖ, des Vlaams Belang (Belgien), der bund „Euroregionale Kommunal“ bzw. dem Tea Party-Bewegung (USA), der Parteien Alsace europäischen „Städtebündnis gegen Islamisie- d’Abord und Bloc Identitaire (Frankreich) sowie rung“ organisiert, dem auch Vertreter von den Patrik Brinkmann, Judith Wolter, Markus Wiener Republikanern, der FPÖ, von Vlaams Belang und von der Pro-Bewegung und Johann Gärtner von eben auch Pro NRW angehören. den deutschen Republikanern. An der Abschluss-

veranstaltung sollen nach Eigenangaben über Schon früh knüpfte die Pro-Bewegung außenpo- 1.000 BesucherInnen teilgenommen haben. litisch Kontakte zu anderen extrem rechten Par- Für den 7. Mai 2011 plant die Pro-Bewegung in teien. Bereits im Oktober 2005 kam es in Wien zu Köln unter dem Titel „Marsch der Freiheit“ er- einem Treffen von Pro Köln und FPÖ. Auch neut eine Großveranstaltung. Dazu ist die Teil- planten Pro Deutschland, FPÖ und Vlaams Be- nahme von extrem Rechten aus Österreich lang eine „gemeinsame patriotische Liste bei künftigen (FPÖ), der Schweiz, Belgien (Vlaams Belang), Europawahlen“; allerdings ohne dass diese Pläne in Schweden, Spanien (Plataforma per Catalunya), die Tat umgesetzt wurden. Von der Pro-Bewe- Frankreich, Kroatien (Volim Hrvartsku – Ne u gung wurde aber die Unterstützung der kurzlebi- EU/Liebe Kroatien – Nein zur EU), Dänemark, gen eurorechten EU-Fraktion „Identität, Tradi- Tschechien, Ungarn und den USA („Youth for tion, Souveränität“ beschlossen. Western Civilization”) angekündigt. Zu Vlaams Belang existieren gute Kontakte.52

Eine 17-köpfige Delegation des Vlaams Belang

51 Homepage der European National Front, 53 Extrem rechte Großveranstaltung in Dormagen, www.europeannationalfront.org, Zugriff: 01.01.2007 24.03.2007,http://germany.indymedia.org/2007/03/17168 52 SCHMALENBERG, Detlef/RECKMANN, Jörg: „Wir brau- 6.shtml chen mehr solche Robocops“, in: Kölnischer Stadtanzeiger 54 Vgl. „Pro-Bewegung fester Bestandteil eines erfolgreichen europäi- vom 11.04.2007, www.ksta.de/html/artikel/117611326 schen Netzwerkes“, 11.04.2011, http://www.aktuell.pro- 3741.shtml koeln.org/?p=2187

32 Gibt es eine braune Internationale?

Außenpolitik der Partei Die Freiheit mit Beteiligung der israelischen Rechten statt. Die Partei Die Freiheit kann als rechtspopulisti- Teilnehmer waren René Stadtkewitz, Patrik sche Partei eingestuft werden, die eher gemäßigt Brinkmann (Unterstützer von Pro NRW), Elisa- auftritt.55 Kernpunkt ihres Programms ist das beth Sabaditsch-Wolff (Pax Europa), Heinz- Feindbild Islam. Sie wurde Anfang September Christian Strache (FPÖ), Andreas Mölzer (FPÖ), 2010 in Berlin vom ehemaligen CDU-Abgeord- Hilmar Kabas (FPÖ), Geert Wilders (PVV), Filip neten René Stadtkewitz gegründet. Dieser musste Dewinter (Vlaams Belang), Franck Creyelmans die CDU-Fraktion verlassen, nachdem er sich (Vlaams Belang), Kent Ekeroth (Schwedendemo- geweigert hatte, den von ihm nach Berlin eingela- kraten) und Vertreter aus Dänemark. Es kam u.a. denen niederländischen Rechtspopulisten Geert zu Gesprächen mit einzelnen israelischen Abge- Wilders wieder auszuladen. ordneten, wie dem Rabbiner Nissim Zeev von der ultrareligiösen Shas-Partei oder dem Minister des Während die Partei innerhalb Deutschlands auf rechtsnationalistischen Likud-Blocks, Ayood Distanz zur extremen Rechten geht und lieber am Kara. Im Ergebnis unterzeichnete Die Freiheit rechten Rand von Union und FDP fischt, pflegt gemeinsam mit der FPÖ, dem Vlaams Belang sie im Ausland Kontakte zur rechtspopulistischen Geert Wilders und den Schwedendemokraten eine FPÖ (Österreich), zur extrem rechten Partei „Jerusalemer Erklärung gegen Islamismus“. Vlaams Belang (Belgien), zur antimuslimischen Dänischen Volkspartei, zur Partei Vía Repräsentanten der „Generation Zukunft“, der Democrática (Spanien), zu Oskar Freysinger von Jugendorganisation von Die Freiheit reisten im der rechtspopulistischen Schweizerischen Volks- Dezember 2010 auf Einladung der Jugend der partei (SVP), zu den rassistischen Schwedende- Schwedendemokraten (Sverigedemokratisk mokraten, zur nationalistischen Partei Israel Ungdom, SDU) zum SDU-Jahreskongress in Beitenu (dt. Israel – unser Zuhause) und zu Wil- Stockholm (Schweden). ders Partij voor de Vrijheid (dt. Partei für die Am 18. Dezember 2010 nahm Die Freiheit am Freiheit), an die sich Die Freiheit u.a. mit ihrem Kongress „Gegen die Islamisierung unserer Län- Namen stark anzulehnen scheint. der” in Paris teil. Organisiert wurde die Veran- Weiters bestehen im Ausland Kontakte zu den staltung maßgeblich vom rechtsradikalen „Bloc US-Republikanern, so soll Sarah Palin, die ehe- Identitaire”, der hierfür neben René Stadtkewitz malige US-Vizepräsidentschaftskandidatin, Grüße auch VertreterInnen extrem rechter Organisatio- an René Stadtkewitz und seine Delegation nach nen aus ganz Europa eingeladen hatte. Israel geschickt haben. Auch plante Die Freiheit Anfang 2011 den republikanischen US-Präsident- Internationale (Zweck)Bündnisse: Ist der schaftskandidaten Mike Huckabee einzuladen. Feind meines Feindes mein Freund? In der extremen Rechten gibt es noch einen wei- Fast alle außenpolitischen Kontakte von Die teren Bereich der grenzübergreifenden Zusam- Freiheit sind persönliche Treffen von Parteifunk- menarbeit. Hierbei handelt es sich nicht um die tionären. ideologisch zu 100% kompatiblen Gesinnungsge- Ende November 2010 besuchte René Stadtkewitz nossInnen, sondern zumeist um Bündnisse auf auf Einladung der antimuslimischen Dänischen Basis gemeinsamer Feindbilder. Volkspartei einen Kongress in Kopenhagen, an Im Folgenden werden nur „echte“ Bündnisse dem mit Jimmie Akesson auch der Vorsitzende ausführlicher behandelt. Neben diesen gibt es in der rassistischen Schwedendemokraten als Redner der extrem rechten Szene auch noch Sympathie, auftrat. Vom 4. bis zum 10. Dezember 2010 fand Bewunderung und Schwärmereien, die aber nicht in Ashkelon (Israel) ein Treffen der „Alliance of zu echten Kontakten führen bzw. bisher geführt the European Freedom- and Civil Rights Parties” haben.

55 Lexikon-Eintrag im NETZ GEGEN NAZIS: http://www.netz-gegen-nazis.de/artikel/die-freiheit-2415, Zugriff: 11.04.2011

33 Titus Lenk

Die extreme Rechte und Gaddafis Libyen unter anderem in der faschistischen Traditions- Gegenwärtig (April 2011) scheint sich das Ende zeitschrift „Nation & Europa“58 geworben. Das des Gaddafi-Regimes in Libyen abzuzeichnen, Buch ist seit Ende November 2010 auch im Ver- doch hat der Oberst das Land seit 1969 be- sand des NPD-Hausverlags „Deutsche Stimme“ herrscht. Laut der Broschüre „Gaddafi – Mech- erhältlich. Die Sympathie-Bekundungen für den tersheimer – Schönhuber“ von Peter Kratz56 gab libyschen Diktator sind aber älteren Datums. Die es eine frühe Verbindung von Gaddafi zu den NPD-Parteizeitung „Deutsche Stimme“ begrüßte Deutschen Alfred Mechtersheimer und Franz in ihrer August-Ausgabe 2001, dass Gaddafi in Schönhuber. Letzterer war damals Vorsitzender einer Veröffentlichung den Zusammenbruch der der extrem rechten Republikaner; Ersterer war USA und die Entstehung eines „Vierten Deut- zwar parteiloser Abgeordneter der Grünen in schen Reiches“ prognostiziert hatte.59 Ebenso Baden-Württemberg, trat aber schon damals als kam Beifall aus Österreich: So propagierte 1990 Nationalpazifist in Erscheinung. Jedenfalls reiste das österreichische Naziblatt „Sieg“, Gaddafi sei Mechtersheimer 1988 nach Libyen und traf dort „einer der wenigen Staatsmänner auf der Welt, auf den wir Gaddafi, worüber er 2011 in der extrem rechten Deutsche hören sollten, da er unserem Volke wirklich Zeitung „National-Zeitung“ als „Gaddafi-Kenner moralisch beizustehen versucht“. 60 und Friedensforscher“ in einem Interview berichtete. Auch außerhalb des deutschsprachigen Raums Er soll auch an einem Stiftungsprojekt gearbeitet gab es in der extremen Rechten aus Sympathie haben, das mit 10 Millionen Dollar Gaddafi-Gel- Annäherungsversuche an Gaddafi. So arbeitete dern bezahlt werden und dessen Namen tragen die „National Front“ auch mit Gaddafi zusam- sollte. Mechtersheimer war angeblich als Mitglied men. In einem Text von Anton Maegerle beim des Stiftungsrates vorgesehen. Eine erfolgte Aus- Informationsdienst „Blick nach Rechts“ heißt es zahlung des Stiftungskapitals ist jedoch ungewiss hierzu: bis unwahrscheinlich. „Gemeinsam mit dem damaligen NF-Kader Griffin Ein deutscher Drehpunkt extrem rechter Auf- und dem Aktivisten Derek Holland besuchte Har- merksamkeit und Sympathie für Gaddafi war die rington im September 1988 auf Kosten des libyschen national-„revolutionäre“ Zeitschrift „wir selbst“, Staates das Gaddafi-Regime in Libyen. In Tripolis die bis 2002 im Bublies-Verlag mit Sitz in wurde dem Trio das Alleinvertriebsrecht von Gaddafis Schnellbach herausgegeben wurde. Glaubensgebäude, dargelegt in ‚Das Grüne Buch‘, für Großbritannien übertragen.“ 61 Die Leser- und Autorenschaft von „wir selbst“ konstatierte ideologisches Interesse an Gaddafis Erkennbar ist, dass die Sympathien für Gaddafi „Grünes Buch. Die Dritte Universaltheorie des besonders stark waren, als dieser sich im Konflikt libyschen Revolutionsführers“. In diesem Buch, mit den USA befand.62 Hier scheint das antiameri- dem Versuch eine eigene Ideologie zu stiften, kanische Feindbild, das bei Rechten häufig auch betreibt Gaddafi einen seltsamen Mischmasch aus noch antisemitisch aufgeladen ist, anzuschlagen. sozialistischen, islamischen und arabisch-nationa- Nach 1990 war aus derselben antiamerikanischen listischen Versatzstücken. Die deutschsprachige Motivation heraus eine Ablösung Gaddafis als Ausgabe erschien im national-„revolutionären“ Symbolgestalt bei den extremen Rechten durch Bublies-Verlag, der bis heute auf seiner Home- den – mittlerweile längst gestürzten und verstor- page verkündet: „Unser Verlag hat die Alleinvertriebs- benen – irakischen Diktator Saddam Hussein zu rechte des Grünen Buches im deutschsprachigen Raum.“ beobachten. 57. Dieses wurde auch im Frühjahr 2002 bei der extrem rechten „Staatsbürgerlichen Runde Bam- 58 MAEGERLE, Anton: Credo des „Revolutionsführers“, in: berg“ vorgestellt. Für die Veranstaltung wurde BLICK NACH RECHTS vom 01.03.11, http://www.bnr.de/ content/credo-des-ae-revolutionsfuehrers-ae 59 Ebd. 56 60 KRATZ, Peter: Gaddafi – Mechtersheimer – Schönhu- Ebd. ber, http://www.bifff-berlin.de/Gaddafi.htm, Zugriff: 61 Ebd. 18.04.2011 62 Libyen stand mit den USA nach dem Anschlag auf die 57 http://www.bublies-verlag.de/contents/de/d161.html Berliner Diskothek „La Belle“ im April 1986 und dem #p12, Zugriff: 18.04.2011 Lockerbie-Anschlag Ende 1988 im Konflikt.

34 Gibt es eine braune Internationale?

Die extreme Rechte und der Irak unter Einschub: Bruchlinie Israel, Islam und Sadam Hussein Judentum65 Die extrem rechte Sympathie und Unterstützung In jüngerer Zeit kam es zu einer Ausdifferenzie- für Saddam Hussein setzte vor allem im Zweiten rung der extremen Rechten in einen eher „kon- Golfkrieg (1990/91) zwischen dem Irak und einer servativen“ (antiislamischen, eher proisraelischen) US-geführten Militärkoalition ein. und einen national-„revolutionären“ (antisemiti- Der deutsche Neonazi-Führer Michael Kühnen schen/antizionistischen und antiamerikanischen) wollte 1991 sogar eine Söldnereinheit („Die Legi- Flügel. Dieser hat zu Israel, dem Islam und dem on“63) für Saddam Hussein aufstellen. Durch das Judentum konträre Einstellungen. schnelle Ende des Zweiten Golfkriegs wurde dieser Plan aber nicht mehr umgesetzt. Die extreme Rechte und die Palästinenser Für den Irak unter Saddam Hussein wurde in Besonders in der deutschsprachigen extremen Deutschland auch eine rechte NGO mit dem Rechten existiert traditionell ein ausgeprägter Namen „SOS Irak“ gegründet, für die es auch Antisemitismus. Nach der Gründung Israels 1948 Spendenaufrufe gab. Vorbild der „SOS Irak“- ging diese Feindschaft häufig auf Israel als ideel- Initiatoren war offenbar die französische Organi- len „Gesamtjuden“ über. Das führte zur Unter- sation „S.O.S. Enfants d'Irak“, die von Jany Le stützung und Sympathie für den als „Freiheits- Pen, der Ehefrau des Front National-Vorsitzen- kampf“ verklärten palästinensischen Terroris- den Jean-Marie Le Pen, geleitet wurde. In Öster- mus.66 reich wurde mit der „Irakisch-Österreichischen Angehörige der extremen Rechten (z.B. die Gesellschaft“ Anfang Mai 2001 unter starker „Wehrsportgruppe Hoffmann/Ausland“ im Li- FPÖ-Beteiligung eine ähnliche Organisation ge- banon) erhielten ebenso wie Linke von Palästi- gründet. Sowohl Le Pen64, als auch Jörg Haider nenser-Organisationen eine militärische Ausbil- (damals FPÖ) besuchten auch persönlich Saddam dung. Offenbar geschah dies in der Hoffnung, die Hussein, ebenso der russische Krawall-Nationalist Kombattanten später in Europa für die palästi- Schirinowski. nensischen Ziele aktivieren zu können. Bei linken Auffällig war in dem Verhältnis von extremen Gruppen war das der Fall, ob es auch bei extrem Rechten zum Zweiten Golfkrieg, dass sie plötz- Rechten geschah, die in den Lagern ausgebildet lich als „Pazifisten“ gegen den Irakkrieg und für worden waren, ist unklar. Saddam Hussein auftraten. In Deutschland ist Das parallele Training von linken und rechten hier eine gewisse Analogie zu den deutschen Gruppen unterschied sich teilweise hinsichtlich Nationalneutralisten während der 1960er und der Betreuung durch die unterschiedlichen PLO- 1970er Jahre erkennbar. Grundsätzlich sind die Fraktionen. Während Linke eher von der linken Motive für die plötzliche „Friedensliebe“ antiame- Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) aus- rikanisch, antisemitisch/antizionistisch und natio- gebildet wurden, war es bei den Rechten meist die nalistisch. Man wollte z.B. nicht, dass deutsche eher konservative El-Fatah. Soldaten für US-Zwecke sterben. Bei den Partei- funktionären ist das Motiv für die eigene Pro- Auffallend ist auch, dass der Nahostkonflikt im- Saddam-Außenpolitik auch im ökonomischen mer wieder ein wichtiges Thema in den rechten Medien gewesen ist. Dabei wird nicht selten NS- Bereich zu suchen, d.h. man versprach sich von den Kontakten zum Erdölstaat Irak einen Ge- Vernichtungs-Vokabular auf Israel angewandt, winn. wodurch bewusst oder unbewusst NS-Untaten relativiert werden.

65 Mobile Beratung im Regierungsbezirk Münster: Eine „deutsche Rechte ohne Antisemitismus“?, in: MOBIM- 63 Der Name sollte ganz offensichtlich an die deutsche ANALYSEN, 05/2011, 03.04.2011 Unterstützungseinheit „Legion Condor“ im Auftrag Hit- 66 Natürlich kämpfen viele PalästinenserInnen um ihre lers für Franco im Spanischen Bürgerkrieg erinnern. Freiheit im Sinne eines eigenen Staates. Mit „Terrorismus“ 64 Le Pen besuchte Saddam Hussein sogar zwei Mal: im gemeint sind aber Aktionsformen wie Bombenattentate November 1990 und im Juni 1996. gegen die Zivilbevölkerung.

35 Titus Lenk

Die extreme Rechte und Islamisten Die Bewertung der Septemberattentate in der „Die militärischen Angriffe auf die Symbole der Szene war sehr unterschiedlich, sie reichte von mammonistischen Weltherrschaft sind - weil sie vermit- grundsätzlicher Ablehnung bis hin zur offenen telt durch die Medien den Widerstandsgeist der Völker Freude. Schnell entwickelten sich auch antiameri- beleben und auf den Hauptfeind ausrichten - eminent kanische und kaum verhohlene antisemitische wirksam und deshalb rechtens.“ Verschwörungstheorien, die aber ebenso in der Mitte der Gesellschaft und bei vielen Linken zu Horst Mahler67 (deutscher Neonazi) finden waren.

Da viele extrem Rechte sehr vergangenheitsfixiert „Am ‚schwarzen Dienstag‘, dem 11. September 2001, sind, lohnt es sich, nach historischen Vorbildern bekamen die USA nun erstmals einen Schluck von der zu suchen. Tatsächlich gibt es eine gewisse Ana- eigenen Medizin verabreicht. Die Völkermordzentrale logie zum NS-Regime, auf die sich einige extrem ‚Pentagon‘ schwer getroffen, der [sic!] World Trade Rechte auch berufen und eine Erneuerung der Center ruht in Schutt und Asche – das Symbol der „Waffenbrüderschaft“ propagieren70. weltweiten Ausbeutung und Globalisierung ist gefallen!“ Insbesondere im deutschen Nationalsozialismus Aktionsbüro Norddeutschland68 sind diese historischen Vorbilder zu finden: So gab es damals muslimische Waffen-SS-Divisionen, „Sie müssen hier zwischen innen- und außenpolitischem und der islamische Mufti von Jerusalem war nicht Handeln unterscheiden. Wenn z.B. Deutschland im nur ein überaus treuer Hitler-Verbündeter, son- letzten Krieg Japan als Verbündeten hatte, so hieß das dern auch ebenso wie dieser ein radikaler Antise- doch nicht, daß die Japaner sich in Deutschland ansie- mit. deln sollten. Wir haben mehrfach erklärt, daß wir keine Darüber hinaus gibt es auch einige aktuelle Bei- Zukunft für Islamisten in Deutschland sehen und spiele für Bündnisse und Sympathien zwischen demonstrieren und agieren aus politischer Überzeugung Islamisten und extrem Rechten. Die 2003 in der gegen die weitere Vernichtung unserer Kulturlandschaft Bundesrepublik verbotene kleinere Islamisten- durch den Bau von Moscheen, die zumindest nicht in Organisation „Hizb ut-Tahrir“ (dt. Partei der der gewaltigen Zahl von über 2.400 in unser Land islamischen Befreiung), die 1953 in Ostjerusalem gehören. Außenpolitisch sind die islamischen Länder gegründet wurde, suchte auf einer Veranstaltung aber natürliche Verbündete im Kampf gegen den sich an der Technischen Universität (TU) Berlin am auswuchernden Imperialismus der USA.“ 27. Oktober 2002 den Schulterschluss mit NPD- Udo Voigt im Gespräch mit der Kadern.71 JN-Zeitschrift „Hier & Jetzt“, 200769 Auch außerhalb Deutschlands gibt es in der ext- remen Rechten Solidarität und Bewunderung für Besonders seit den September-Attentaten 2001 Islamisten. Neonazis vom Nationalen Widerstand gegen die USA wird von Teilen der extremen in Tschechien erklärten sich im August 2006 Rechten in Deutschland und anderswo über mög- bereit, auf der Seite von islamischen Staaten zu liche Vernetzungen zwischen dieser und islamisti- kämpfen und die „“ (AN) aus den schen Fundamentalisten spekuliert. USA solidarisierten sich 2006 mit dem Jihad.

67 70 Zit. nach CORINTH, Ernst: Indepence-Day live. „Deut- MAEGERLE, Anton/SCHIEDEL, Heribert: Krude Allianz. sches Kolleg“ rechtfertigt Terroranschläge, 22.09.01, Das arabisch-islamistische Bündnis mit deutschen und http://www.heise.de/tp/artikel/9/9625/1.html, Zugriff: österreichischen Rechtsextremisten, in: BLICK NACH 11.04.2011 RECHTS, 2001, 68 Zit. nach MAEGERLE, Anton/SCHIEDEL, Heribert: http://www.doew.at/frames.php?/thema/rechts/allianz.h Krude Allianz. Das arabisch-islamistische Bündnis mit tml, Zugriff: 18.04.2011 deutschen und österreichischen Rechtsextremisten, in: 71 MAEGERLE, Anton/SCHIEDEL, Heribert: Krude Alli- BLICK NACH RECHTS, 2001, anz. Das arabisch-islamistische Bündnis mit deutschen und 69 „Schwarzer Block“ und Islam: Udo Voigt im Gespräch österreichischen Rechtsextremisten, in: BLICK NACH mit der JN-Zeitschrift „Hier & Jetzt“, 24.09.07, RECHTS, 2001, http://www.npd-sachsen.de/index.php?s=9&aid=68, http://www.doew.at/frames.php?/thema/rechts/allianz.h Zugriff: 11.04.11 tml, Zugriff: 18.04.2011

36 Gibt es eine braune Internationale?

Auffällig sind außerdem Konvertierungen einzel- radikalen Muslimen starke Verbreitung. Auch ner Neonazis zum Islam, teilweise bei Fortbe- manichäischer Antiimperialismus („braune Frie- stand extrem rechter Überzeugungen. Ein Beispiel denstauben“) und Antiglobalismus (Antiamerika- wäre Ahmad Huber (1927-2008), ein 1962 zum nismus) finden sich oft bei beiden Gruppen, Islam konvertierter extrem Rechter aus der ebenso ein teilweiser Antimodernismus. Daraus Schweiz. Huber referierte im Oktober 2000 auf entspringt dann als Handlungsoption ein „Be- einem JN-Kongress zum Thema „Islam und freiungsnationalismus“ bzw. ein (brauner oder Neue Rechte“ und trat im September 2001 als islamistischer) Antiimperialismus. Redner bei einer NPD-Veranstaltung im sächsi- schen Grimma auf. In einem Interview mit dem Fazit und Prognose österreichischen Nachrichtenmagazin „Profil“ Bei der Betrachtung der Frage nach der Existenz nannte er als gemeinsames Ziel von Neonazis und einer „braunen Internationalen“ müssen grund- Islamisten: „die Herrschaft der Juden zu beenden“. sätzlich die veränderten Voraussetzungen der letzten Jahre beachtet werden. Es gibt eine ganze Ein weiteres Beispiel für eine grün-braune Quer- Reihe an neuen Bedingungen: Englisch als weit front ist der Holocaustleugner Frank-Eckart verbreitete Fremdsprache sorgt für schwindende Czolbe-Senft, der beim Al-Quds-Tag 2005 – Sprachbarrieren, der Fall des Eisernen Vorhangs einem vom Regime des „iranischen Gottesstaa- die (relative) Angleichung von sozioökonomi- tes“ installierten antizionistischen Ritual72 – in schen Lebenswelten im Westen oder der techni- Berlin mit marschierte73. sche Fortschritt, vor allem im Bereich Kommuni- Überhaupt gibt es deutliche Sympathien von kation (Internet, Handys) und Fortbewegung, Holocaustleugnern für den iranischen Präsidenten erleichtern Vernetzung. Mahmud Ahmadinedschad – selbst Holocaust- Das internationale „Weltnetz“ (rechter Szene- leugner und Antisemit – und seine Theokratie74, t. sprech für Internet) ist eine sehr hilfreiche inter- nationale Infrastruktur für grenzübergreifende Solche unsicheren und „kruden Allianzen“ entste- Vernetzungs- und Propagandaversuche und eben- hen fast immer über gemeinsame ideologische so als Rekrutierungsmittel. Im „World Wide Web“ bestehen zahlreiche juristische Löcher, die Bezugspunkte, meist Anti-Haltungen. Diese sind vor allem Antisemitismus, verkörpert im „jüdisch- es ermöglichen, z.B. über amerikanische oder zionistischen Feind“ in Gestalt von Israel (Antizi- russische Server, auch die härteste Nazi- Propaganda online zu stellen. onismus) oder der USA (Stichwort ZOG75). Ge- meinsam agitieren Neonazis und Islamisten gegen Allgemein lässt sich sagen, dass bei der „braunen den „Gaskammer-Schwindel“76. Rechte Schriften, Internationale“ die Struktur der Ideologie folgt. besonders Verschwörungstheorien, finden unter Erst eine gemeinsame Ideologie macht Kontakt- aufnahme, Treffen und schließlich Kooperation möglich. Die gemeinsame Ideologie fußt oft auf 72 Kampagne gegen die Al-Quds-Demonstration in Berlin, http://www.no-al-quds-tag.de/, Zugriff: 18.04.2011; gemeinsamen Feindbildern wie der ZOG, dem WIERTH, Alke: Ein bisschen Frieden … (über die Al- „internationalen Großkapital“ (Antisemitismus) Quds-Demonstration), in: taz Berlin lokal, Nr. 7807 vom 31.10.2005, oder sogenanntem „Rassenmix“. Carsten Hübner www.taz.de/pt/2005/10/31/a0258.nf/text.ges,1 schreibt dazu: 73 Al-Quds-Tag mit Rechter „Prominenz“, auf Indymedia, 29.10.2005, germany.indymedia.org/2005/10/130937.sh „Rechte Netzwerke und Kooperationen sind demnach in tml 74 allererster Linie Abwehrgemeinschaften gegen eine als MAEGERLE, Anton: Die iranische Rechtsextremisten- Connection, bedrohlich und nivellierend empfundene Multi- http://www.doew.at/thema/re_iran/maegerle.html, kulturalität, zu der potenziell auch immer der Partner Zugriff: 18.04.2011 der jeweiligen Kooperation zu rechnen ist.“ 77 75 Zionist Occupied Government“, eine Variante des Wahns von der jüdischen Weltverschwörung 76 Margret Chatwin: Der alte Judenhass. Holocaust-Leug- nung und Antisemitismus in arabischen Ländern, 77 In: Rechtsextreme Netzwerke und Parteien in Europa. www.idgr.de/texte/rechtsextremismus/antisemitismus/zc Eine Bestandsaufnahme vor der Europawahl 2009, De- cf-konferenz02.php, Zugriff: 01.01.2006 zember 2008

37 Titus Lenk

Um zur Ausgangsfrage „Gibt es eine braune Trotzdem nimmt innerhalb der extrem rechten Internationale?“ zurückzukommen: Es gibt weni- Szene die Zusammenarbeit über Staatsgrenzen ger eine Internationalisierung der extremen Rech- hinweg erkennbar immer mehr zu (Konzerte, ten, denn mehr eine Transnationalisierung. Au- CD-Produktion, (kostengünstigere) Produktion ßerdem ist auffällig, dass es bei Teilen der extre- von Propaganda, Versand). Extrem Rechte sind men Rechten eine neue Prioritätenordnung gibt. damit zum Teil eine Art internationale Nationalis- Diese stellt sich wie folgt dar: ten bzw. „globalisierte Antiglobalisierer“78 (Nick 1. Rassismus Lowles). 2. Antisemitismus 3. Ultranationalismus Diverse inhaltliche Bruchlinien stellen Hindernis- se für die Zusammenarbeit dar. Es gibt religiöse Da viele rechte Organisationen oder Gruppen Unterschiede (NPD: säkular bzw. neuheidnisch, einen radikalen Weltanschauungs-Antisemitismus Falange (Spanien): rechtskatholisch), es gibt ge- ablehnen, ist für sie der antimuslimische Rassis- genseitige Territorialansprüche (z.B. Polen und mus das Hauptfeindbild geworden. Deutsche) oder es gibt Dissens über historische

Ereignisse (NS-Besatzung, „Vertreibung“ der Dem pan-„arisch“ orientierten Teil der außerpar- Deutschen aus den Ostgebieten). Wie erwähnt lamentarischen Rechten gelingt es auf Basis des verhinderte etwa das „Südtirol-Problem“, dass „Rasse“-Konstrukts, mit dem Ziel der Bewahrung sich die italienischen Neofaschisten von der Partei und Stärkung der „weißen Rasse“ als Ideologie, MSI nach der Wahl 1989 einer gemeinsamen zusammenzuarbeiten. Extrem Rechte mit einer „Technischen Fraktion der europäischen Rech- Kollektividentität und Loyalität auch jenseits der ten“ anschlossen. eigenen Staatsangehörigkeit („weiße Rasse“, „christliches Abendland“) neigen naturgemäß An der Basis jedenfalls bestehen häufig rassisti- dazu, sich auch in diesem größeren Rahmen – sche Vorurteile weiter, z.B. von Russen als „Un- einem Nationalismus über nationale Grenzen termenschen“. Der Leserbrief eines Mitglieds von hinweg – zu vernetzen („race not geography”). „Blood & Honour Serbia“ im Magazin von

„B&H – Division Deutschland“, veröffentlicht Viele Neonazis sind dabei weitaus weniger anti- unter dem Titel: „Serben sind Freunde – Serbs are slawisch eingestellt als der historische Nationalso- Friends“ 79 zeugt davon. In ihm verlangt der Autor zialismus. Doch gibt es hier durchaus noch Ge- von den LeserInnen, nationalistische bzw. natio- gentrends; so sang die ehemalige Berliner Nazi- nal chauvinistische Vorbehalte zurückzustellen. Band „Landser“ in ihrem Lied „Polackentango“ von 1997: „Wenn ich das seh, bin ich echt sauer: Polackenlümmel schreien White Power. Und wie ich dieses Scheißvolk hasse, seit wann gehören Polacken zur arischen Rasse!“

Bündnisse sind teilweise eher von FunktionärIn- nen organisiert, während die Basis oft kritisch bleibt. Einfacher ausgedrückt: das einfache Fuß- volk fällt schnell in vulgärrassistische Beißreflexe zurück, während extrem rechte AnführerInnen 78 Abgeleitet von Globalismus, einer Verschwörungstheo- eher weitblickend agieren. rie, wonach die „Globalisten“ bewusst eine Völkervermi- schung und eine weltweite Kultur anstreben 79 Innenministerium NRW: Skinheads und Rechtsextre- mismus, April 2001, http://www.im.nrw.de/inn/dok s/vs/skins.pdf , Zugriff: 11.04.2011

38 Gibt es eine braune Internationale?

Verwendete Literatur und Quellen „Europa erwache!“, Antifaschistisches Info-Blatt, Nr. 70, 1/2006, S. 52f Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS, Deutscher Bundestag, Drucksache 14/5635, 14. Wahlperiode, 22.03.2001

BEER, Angelika (Hg.): MdEP: Europa im Visier der Rechtsextremen, o.O. 2009

BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZBERICHT Deutschland: 1999, 2000, 2001, 2004

BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG (BpB): Themendossier „Internationale Netzwerke des Rechtsextremismus“, http://www.bpb.de/themen/R2IRZM,0,0,Rechtsextremismus.html

CREMET, Jean: Für eine Allianz der „Roten“ und der „Weißen“, in: DERS./KREBS, Felix/SPEIT, Andreas: Jenseits des Nationalismus, Münster 1999, S. 91-127

FASCHER, Eckhard: Modernisierter Rechtsextremismus, Berlin 1994

FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Forum Berlin: Neue Entwicklung des Rechtsextremismus: Internationalisie- rung und Entdeckung der sozialen Frage, Ergebnisse der Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung vom 9. Dezember 2005, S. 25-73

GRUMKE, Thomas/WAGNER, Bernd (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus, Opladen 2002

GRUMKE, Thomas: „Solidarität ist eine Waffe“. Die rechtsextreme Internationale: Ideologie, Vernetzung und Kooperation, in: DERS./Wagner, Bernd (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus, Opladen 2002, S. 43-59

KRONAUER, Jörg: Multikulti auf Deutsch, in: Jungle World, Nr. 22 vom 31.05.2006

KRONAUER, Jörg: Die sehr unheilige Allianz, in: LOTTA, Nr. 43/Frühjahr 2011, S. 46-48

LASEK, Wilhelm: Internationale Verbindungen und Zusammenhänge, in: STIFTUNG DOKUMENTATIONSAR- CHIV DES ÖSTERREICHISCHEN WIDERSTANDES: Handbuch des Österreichischen Rechtsextremismus, Wien 1994, S. 515-529

LE MONDE DIPLOMATIQUE: Atlas der Globalisierung, 2. Auflage, o.O. 2003, S. 124f

LOWLES, Nick: Die Internationale des Hasses, in: DORNBUSCH, Christian/RAABE, Jan (Hg.): RechtsRock. Bestandsaufnahme und Gegenstrategien, Hamburg 2002, S. 233-263

STÖSS, Richard: Zur Vernetzung der extremen Rechten in Europa, Referat auf dem DVPW-Kongress 2000 in Halle im Rahmen der Sektion „Politische Soziologie“, 4. Oktober 2000, in: Arbeitshefte aus dem Otto- Stammer-Zentrum, Nr. 5, www.polwiss.fu-berlin.de/osz/dokumente/PDF/RexDVPW.pdf

VIRCHOW, Fabian: Gegen den Zivilismus, Wiesbaden 2006

39 Szabolcs Szita

Prof. Dr. Szabolcs Szita DSc., geb. Am 31. Mai 1945 in Sopron. Studierte in Budapest, promovierte mit einer Geschichte der Zwangsarbeit für die Kriegswirtschaft und wurde 1994 habilitiert (Thema: Rettung der Verfolgten des Nazionalsozialismus). Publizierte bislang 19 Bücher und zahlreiche Artikel in Zeitschriften. In den letzten Jahren zunehmende Beschäftigung mit dem Thema der Rettung jüdischen Lebens in Europa und der Hilfeleistung durch die Bevölkerung in Ungarn, in Österreich und in der Slowakei zur Zeit des Dritten Reichs, sowie der Tätigkeit der Gestapo. Gründer und von 1990 bis 2009 leitender Historiker des Holocaust Dokumentationszentrum in Budapest, Professor an der Jüdischen Universität, Budapest von 2001 bis 2009. Seit 2006 Professor an der Westungarischen Universität, seit 2009 Hauptdirektor des Budapester Holocaust Instituts. Leiter der EU Reg. Forschungsgruppe, Wiss. Hauptmitarbeiter an der Westungarischen Universität (1998 bis 2006), Mitglied der Leitung des Internationalen Auschwitz Komitees (seit 2001), Ungarischer Delegierter für die International Task Force for Co-operation on Holocaust Education, Remembrance and Research (seit 2002), Doktor der Akademie der Wissenschaften in Ungarn (seit 2005). Träger folgender Ehrungen und Preise: Großes Ehrenkreuz I. Klasse der Wissenschaft und Kunst (Wien, 2004), Ritterkreuz der Republik Ungarn (Budapest, 2005), Csatkai-Preis (1976), Scheiber-Preis (1996) und Radnóti-Preis (2010).

40 Staatliche Kollaboration in Ungarn nach 1944

Szabolcs Szita Staatliche Kollaboration in Ungarn nach 1944

1. Die deutsche Besatzung und die jüdische Bevölkerung Ungarns Das Sondereinsatzkommando, auch Judenkommando Am 19. März 1944 wurde Ungarn gut vorbereitet genannt, kam ebenfalls nach Ungarn. Seine Auf- und ohne deutsche Verluste mit Waffenmacht gabe war es, die jüdische Bevölkerung zur Aus- besetzt. Der Bevollmächtigte Hitlers, Edmund führung der Endlösung zu sammeln und zu depor- Veesenmayer, führte eine Ordnung ein, welche tieren. Sein Anführer, SS-Obersturmbannführer die Besatzer von direkten Aufgaben der Verwal- Adolf Eichmann, war fest entschlossen, die soge- tung und Polizeimacht befreite. Die ungarische nannte Judenfrage Ungarns schnellstmöglich, radi- Regierung, die auf deutsche Anweisung aufgestellt kal, und tunlichst ohne größeres Aufsehen zu wurde, wurde von General Döme Sztójay, dem lösen. früheren ungarischen Botschafter zu Berlin ange- Eichmann schätzte im Zuge seines Prozesses in führt. Seine Minister, der Generalstab der ungari- Israel 1961 die Zahl der Mitglieder des Budapester schen Armee und die Verwaltungsorgane dienten Judenkommandos auf 15 bis 20 Mann. Fakten wider- sehr bald den deutschen Interessen. Viele Träger sprechen jedoch dieser Zahl. Seinem Stab gehör- höherer Ämter wurden abgelöst und in Gewahr- ten ca. 150 SS-Männer verschiedenen Ranges an. sam genommen. Am Anfang nahmen sie zusammen mit der Gesta- Nach dem Einmarsch der Wehrmacht waren die po – zur Einschüchterung – Geiseln. Die Inhaftie- Sondereinheiten der Sicherheitspolizei Herren der rungen auf dem Land unterstützte Márton Zöldi, Situation. Seit Jahren bezahlten sie – geheim oder ehemaliger Hauptmann der Gendarmerie, der völlig offen – hunderte von Spitzeln. Die Verhaf- schon früher kollaboriert hatte, in einer Offiziers- tungen wurden anhand kompletter Listen, die von uniform der SS. diesen Spionen kamen, durchgeführt. Leiter des Die deutschen Sicherheitsorgane quartierten sich SD in Budapest wurde Wilhelm Höttl, während in Budapest in Kurhotels auf dem Schwabenberg die Gestapo in Budapest von Alfred Trenker ange- ein. Dies war auch die Basis ihres alten, geheimen, führt wurde. gut bezahlten Dieners, Inspektor Péter Hain, des Die Agenten der Gestapo konnten nun ungestört Kommandanten der Staatsicherheitspolizei, die handeln, wie auch immer sie wollten. Sie fingen man auch als die Ungarische Gestapo bezeichnete. mit Hilfe ungarischer SympathisantInnen der Das Büro des Verbindungsoffiziers zwischen den Nazis die ungarischen BürgerInnen, die als ge- Deutschen und der ungarischen Gendarmerie, des fährlich für deutsche Interessen galten, innerhalb Gendarmerie-Vizeobersts László Ferenczy zog von Tagen ein. Mit ihnen auch zahlreiche Flücht- auch hierhin um. linge, die aus anderen von Hitler okkupierten Adolf Eichmann und seinem Trupp fiel die un- Länder geflohen waren und auf ungarischem eingeschränkte Vollmacht zur „Lösung der Judenfra- Boden Asyl gefunden hatten. Die meisten, beson- ge in Ungarn“ zu. Diese Wende überraschte die ders Polen, wurden in Konzentrationslager ver- Dreiviertelmillion ungarischer JüdInnen. Ihre schleppt. Anführer erhoben ihr Wort gegen den Terror der Die Verhaftungen lösten in Budapest eine Reihe Deutschen und die zentralisierten Maßnahmen. von Selbstmorden aus. In der Woche nach der Doch deren Aufschrei stieß auf taube Ohren. Besetzung wurden 3.076 ungarische Juden und Offiziellen Schutz bekamen sie von Ungarn nicht. Jüdinnen verhaftet. Wegen der zahlreichen Anzei- Eichmanns Stab brauchte die Unterstützung der gen nach dem 31. März 1944 schnitten die ungari- ungarischen Vollzugsmacht und bekam diese sche Polizei, die Gendarmerie und Verwaltungs- schon sehr bald. Ihre Ziele wurden hauptsächlich ämter überdurchschnittlich ab. Gemäß einer durch zwei Amtsträger – die aus deutschem Inte- Auflistung vom 8. Mai wurden 6.950 Internierte resse zu Staatssekretären ernannt worden waren – bewacht. erreicht: durch Dr. László Endre und durch dem

41 Szabolcs Szita pensionierten Gendarmerie-Major László Baky. in Ghettos berichtet. Am 26. Waren es 8.046 und Diese verkündeten gemeinsam mit anderen kolla- 140.000, zwei Tage später bereits über 8.225 und borierenden Amtsträgern und Beamten, dass sie 194.000. eine „historische Aufgabe“ durchführten. Es folgte In der Zwischenzeit stimmten die Abgesandten eine Welle von Maßnahmen gegen die jüdische Eichmanns in Wien über den Plan des Abtrans- Bevölkerung, vor denen diese kaum eine Chance ports dieser Menschen und die Aufgaben der hatte zu fliehen. Eisenbahngesellschaften ab. Die Arbeitsaufteilung Eichmann wandte das ganze Spektrum des Ter- war effizient: mit Einverständnis des Innenminis- rors an. Dazu setzte er Drohungen und Verspre- ters Andor Jaross verabschiedete László Endre chungen ein; entweder er schrie und schüchterte fortwährend Verordnungen in deutschem Interes- die Menschen ein oder er versuchte, alle zu beru- se. Staatssekretär László Baky stellte die notwen- higen. Auf seinen Befehl hin wurde am 20. März dige ungarische Exekutive bereit. Insgeheim oder in Budapest ein achtköpfiger Judenrat aufgestellt. völlig offen, jeder tat seine Arbeit. Die Ausfüh- Die deutschen Anordnungen für diesen Rat legten rung der „Maßnahmen“ verlief meist reibungslos. den Informationsaustausch und die Selbstvertei- digungsmöglichkeiten der jüdischen Bevölkerung 2. Das Judenkommando bei der Arbeit völlig lahm. Reichsverweser Miklós Horthy hielt sich in Bezug auf die Judenfrage im Hintergrund Am 29. und 30. März, kaum sechs Wochen nach der Besatzung, wurde je ein Zug mit JüdInnen und ließ der Sztójay-Regierung „freie Hand“. Die jüdische Bevölkerung vertraute vergebens auf die nach Auschwitz-Birkenau geschickt. Der Gen- ungarische Justiz, sie wurde ausgeliefert und blieb darmerie-Vizeoberst László Ferenczy ging bei der Erfüllung von Eichmanns Zielen energisch vor. sich selbst überlassen. Er überwachte die Gendarmerie-Einheiten, die Die meisten hofften und warteten ab. Sie wollten zur „Konzentrierung“ und zum Abtransport der nicht glauben, dass in Ungarn das gleiche gesche- JüdInnen eingesetzt wurden und war aktivster hen könnte wie in Deutschland und den umlie- ungarischer Vorantreiber der Deportationen. genden Ländern. Aber es geschah. Ab dem 5. April wurden alle ungarischen StaatsbürgerInnen, Die deutschen Besatzer „arbeiteten“ routiniert. Ihre eigentlichen Absichten versteckten sie immer die als Juden und Jüdinnen galten, verpflichtet einen gelben Davidstern auf ihrer Oberbekleidung gut. Die Kennzeichnung der JüdInnen und deren zu tragen. Außerdem wurde die Praxis eingeführt, Konzentration in Ghettos nahm die ungarische Bevölkerung zur Kenntnis. An die demütigende dass die örtlichen Judenräte die unmenschlichen Befehle der Besatzer zwangsweise ausführen Behandlung gewöhnte man sich, der Großteil der mussten. Gesellschaft war passiv und gleichgültig. Viele sahen nur zu, welche unmenschlichen Verord- Die Hetzjagd auf die UngarInnen, die als JüdIn- nungen verabschiedet wurden. Anderen kam die nen klassifiziert waren – und die von den SD- Arisierung der Wohnungen und Vermögen von Offizieren sowie den Angehörigen der ungari- JüdInnen zu Gute. Der Plan der Besatzer ging schen Regierung konsequent verneint wurde – auf: der Großteil der nicht-jüdischen ungarischen hatte sich bald voll entfaltet. Nach den „Ratschlä- Bevölkerung nahm die Verfolgung gleichgültig gen“ von Eichmann und seinen Offizieren erfuhr hin. Die Deutschen, die die Deportationen leite- die jüdische Bevölkerung völlige Entrechtung. ten, waren kaum wahrzunehmen, meist agierten Am 16. April wurden in der Karpatenukraine und sie im Hintergrund. Staatssekretär Endre hatte in Ostungarn alle JüdInnen, jung und alt, in Ghet- vorgeschrieben, dass sich lokale Behörden in tos gepfercht. Das rasche Zusammentreiben der allem um die Bequemlichkeit der Deutschen Massen, die Hetzkampagne der Presse, der Ein- kümmern sollten. satz der SS und die weit verbreitete Ergebenheit Am Abend des 14. Mai begannen die Massende- spielten den Besatzern in die Hände. Die Deut- sche Botschaft zu Budapest vermeldete schnelle portationen. Der Weg der sogenannten „Arbeiter- und effektive Maßnahmen. Am 20. April wurde frachten“ war ungehindert. Veesenmeyer, der Statthalter Hitlers, fasste die Zuschriften Eich- von 7.493 Einzelinhaftierten und 38.000 JüdInnen

42 Staatliche Kollaboration in Ungarn nach 1944 manns am 11. Juli zusammen: „bis zum vorigen Tag 3. Geschichtliche Verantwortung hat man in 147 Zügen 437.402 Juden aus Ungarn Die Verfolgung der ungarischen JüdInnen (oder deportiert.“ In der Zwischenzeit war auch die Ver- genauer gesagt derer, die nach NS-Rassegesetzen als schickung der Budapester JüdInnen gut geplant solche galten) schuf 600.000 Opfer. worden. Als erste Maßnahme wurden sie bis zum Im Sommer und Herbst 1944 wurde mit den 24. Juni in sogenannte „Sternhäuser“ um- bzw. ungarischen JüdInnen die größte noch existieren- zusammengesiedelt. All das wurde nach nazideut- de jüdische Gemeinschaft Europas vernichtet. scher Rezeptur durch den Judenrat veranlasst. Diese und die 15.000 – 16.000 Menschen, die Eichmann rechnete ursprünglich auch mit Waf- früher nach Ungarn geflohen waren, hätten den fengewalt und Aufständen, einem zweiten War- Krieg wahrscheinlich ohne größere Verluste über- schau. Seine Bedenken waren jedoch unnötig. Der leben können, wäre das Land der deutschen Be- Einsatz der beinahe gesamten Polizei in den Städ- satzung erfolgreich ausgewichen. ten sowie der Gendarmerie und deren brutales Der schnelle und erfolgreiche Einsatz der Wehr- Auftreten verschonten ihn vor Aufregung. Er macht, die Maßnahmen der deutschen Sicherheits- bewegte sich aus Budapest kaum weg, weil die kommandos, darunter die geübte und zielgerichtete Ungarnaktion, die von ihm persönlich angeführt Tätigkeit des Eichmann-Kommandos verhinderten wurde, ungehindert lief. So blieb ihm mehr Zeit dies jedoch. Die direkte Intervention der Nazis in zur Erpressung und Requirierung jüdischen Ver- Ungarn war eine der Hauptursachen der fast mögens für die SS geblieben. vollständigen Vernichtung der ungarischen Jü- Er feierte den erfolgreichen Beginn der Deporta- dInnen innerhalb weniger Monate. tionen mit den Staatssekretären Endre und Baky Als zweite Ursache können wir den Großteil der sowie mit SS-Hauptmann Dieter Wisliceny, der ungarischen politischen Elite nennen. Sie warteten die Judenrat-Mitglieder erfolgreich manipuliert auf ein Wunder, verhielten sich rückgratlos, leiste- hatte,. ten keinen Widerstand, dienten den Besatzern und kollaborierten auf Staatsebene. Die Sztójay- Der SS-Offizier Dr. Otto Hunsche, ein alter Ka- Regierung, Administrationsorgane und Exekutive merad Eichmanns im sogenannten Judenkomman- wirkten bereitwillig bei der Verschleppung der do, trieb in Budapest sein Unwesen. Manchmal JüdInnen mit. Sie trugen entscheidend dazu bei, gab er sich als „juristischer Sachverständiger“ aus, dass die Pläne der zu allem entschlossenen Besat- in den Tagungen des ungarischen Innenministeri- zer bzw. des Judenkommandos schnell verwirklicht ums fungierte er als „Berater“ und vergewisserte werden konnten. Nur wenige weigerten sich oder sich danach persönlich über die Einführung der hielten sich irgendwie aus der Durchführung ungarischen behördlichen Maßnahmen. Er be- heraus. Diejenigen aber waren die Hüter der Ehre schäftigte sich mit Eigentumsfragen, Versiche- der Nation, ihrer müssen wir mit Ehre gedenken. rungsangelegenheiten, d.h. mit dem „Erwerb“ Im Juli 1944 änderten der Regent Miklós Horthy ungarischer Vermögensgegenstände, aller beson- und die Regierungspolitik zwangsweise wegen deren Wert – und Kunstgegenstände. Aus dem internationaler Proteste ihre Richtung. Eichmann Hintergrund steuerten Franz Novak, Theodor deportierte die JüdInnen vom Land bis Anfang Dannecker und SS-Hauptsturmführer Dr. Siegfried Juli, aber ohne die Hilfe der Exekutive des „zö- Seidl sowie der bereits erwähnte Wisliceny die gernden Vasallen“ waren die Besatzer nicht fähig, Deportationen. Sie alle verließen Budapest vor mit den Deportationen fortzufahren. Die JüdIn- dem 24. Dezember 1944 – also vor der Schlie- nen Budapests waren bis zum Herbst 1944 sicher. ßung des sowjetischen Belagerungsrings – mit Nachdem aber die ungarischen Nazis Ferenc reicher Beute. Szálasi an die Macht gebracht hatten, trat mit 15. Über die Lügen, Erpressungen und Plünderungen Oktober erneut eine Veränderung ein: Die neuen der Mitglieder des Judenkommandos sowie Fakten Vasallen unterstützen die Ziele der Deutschen. und Daten zur Zerstörung des ungarischen Juden- 60.000 bis 70.000 JüdInnen aus der Hauptstadt tums könnte hier noch viel aufgezählt werden. wurden – meist zu Fuß – den Deutschen überge-

43 Szabolcs Szita ben. Diejenigen, die vorher hatten fliehen oder tungsorgan“ tätig gewesen. Sie hätten ihre „Erfah- sich versteckt halten können, wurden nun ausge- rungen zur Entjudung“ vermittelt oder auf Anfrage liefert. Ghettos überprüft. Sie hätten nie Gewalt gesehen, Die Deportationen gingen bis Ende März 1945 und wüssten auch nichts darüber. Für die Selbst- beinahe ununterbrochen weiter. Von deutscher morde in den Ghettos und für eventuell gesche- Seite brauchte kaum Druck ausgeübt zu werden. henen Missbrauch sei einzig und allein die ungari- Die Pfeilkreuzler übergaben auch Christen (unter sche Gendarmerie verantwortlich. ihnen auch Amtsträger der Kirche), die ihnen Zuletzt einige Angaben zu den Prozessen der unangenehm werden hätten können, politische Mitglieder des Judenkommandos. Es ist wohl kaum GegnerInnen in großer Zahl und Roma. Zehntau- übertrieben, dass die meisten von ihnen wegen sende sogenannte Leihjuden wurden als Zwangsar- Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen der beiter bei den Befestigungsarbeiten nahe der aktiven Teilnahme an dem geplanten industrie- Grenze eingesetzt. Rudolf Höß, früherer Lager- mäßigen Völkermord mit harten Strafen bestraft kommandant von Auschwitz, entschied dort über werden hätten sollen. In drei Fällen wurden To- ihr weiteres Schicksal. desurteile vollstreckt: Eichmann wurde 1962, Dr. Seidl 1947 und Wisliceny 1948 nach einem To- desurteil hingerichtet. Nach dem Krieg gaben sich die Mitglieder des Judenkommandos vor Gericht (wie auch Eichmann Die anderen blieben in Gewahrsam, aber auch in seinem Prozess in Jerusalem) als einfache Bü- sehr oft auf freiem Fuß. Krumey, Hunsche und rokraten aus, die nur Befehle ausgeführt hatten. Novak leugneten alles in ihren Prozessen. Wo sie Gleichzeitig erwähnten sie gerne und mit Aner- konnten, wiesen sie die Verantwortung von sich. kennung die Kollaboration der ungarischen Re- Krumey wurde letztendlich im August 1969 zu gierung und Exekutive. Ihre eigene Tätigkeit lebenslanger Haft verurteilt, das Urteil wurde aber bagatellisierten sie und versuchten fortwährend, erst im Januar darauf rechtskräftig. Den SS- die Verantwortung auf die ungarischen Organe zu Brigadeführer Veesenmeyer verurteilte das Nürn- schieben. Sie wiederholten immer wieder, dass berger Militärgericht 1949 zu 20 Jahren Haft, er nicht sie, sondern die Regierung unter Sztójay die kam aber bereits im Dezember 1951 durch Am- unzähligen antisemitischen Verordnungen verab- nestie frei. Über seine Nazivergangenheit schwieg schiedet hatte. In den einzelnen Fällen sollten die er bis zu seinem Tod. Staatssekretäre Endre oder Baky, andere Male Viele ungarische Politiker, Träger höherer Ämter Vizeoberst László Ferenczy oder die ungarische sowie mehrere Befehlshaber und Offiziere der Gendarmerie solche „Maßnahmen“ ergriffen Gendarmerie wurden bereits früher gerichtlich haben. Ihre eigene Rolle führten sie meist darauf belangt. Nach einem Gerichtsprozess und Urteil zurück, dass die ungarische Regierung sie als wurden Döme Sztójay, László Baky, László Endre „Berater“ gebraucht hätte. und Andor Jaross, die mit den Nazis kollaboriert „Berater“ wurde ein Schlüsselwort. In den Pro- hatten, im Frühjahr 1946 hingerichtet. Auf gleiche zessen konnte sich keiner der Angeklagten an Weise beendeten außerdem László Ferenczy, konkrete Orte und Situationen, Terrormaßnah- Ferenc Szálasi, Gábor Vajna, Emil Kovarcz und men oder Raubzüge der Nazis erinnern. Die Mit- noch zahlreiche andere, die Verbrechen gegen die glieder des Judenkommandos hätten mit so etwas Menschlichkeit verübt hatten, ihr Leben. nichts zu tun gehabt, sie seien lediglich als „Bera-

44 Von den Skinheads bis zur Jobbik – die ungarische Rechte heute

György Haraszti Von den Skinheads bis zur Jobbik – die ungarische Rechte heute Die Geschichte der Nationalradikalen und extremen Rechten nach dem Fall des kommunistischen Systems in Ungarn

PolitologInnen verwenden in Ungarn die Be- mit Angriffen gegen in Ungarn studierende aus- zeichnung „Rechtsextreme” für jene Teilnehme- ländische farbige Studenten auf sich aufmerksam. rInnen des öffentlichen Lebens, die sich mit Na- Sie begannen, Äußerlichkeiten des „freien” Wes- tionalradikalen und Parteien der rechten Seite der tens mit ungarischem Nationalismus zu vermi- politischen Palette verflechten, aber noch wesent- schen. Die Ideologie der frühen ungarischen lich radikalere und aggressivere Ideen verbreiten. Skinheads war gekennzeichnet durch Systemkri- Die nationalradikalen Organisationen verstehen tik, Ablehnung des Kommunismus und des (Frie- sich als Nationalisten, ihre „Gegenkultur“ stellt dens-)Vertrags von Trianon1, durch Zurückgrei- sich gegen die Prinzipien einer liberalen Weltan- fen auf Traditionen der Zwischenkriegszeit und schauung und (zumindest in Worten) die Grund- Abneigung gegen Roma und Sinti. sätze der Konsumgesellschaft. Die ungarischen rechtsextremen Bewegungen In der öffentlichen Meinung (zum Beispiel des nach dem Systemwechsel verfügen über verschie- ungarischen Staatspräsidenten Sólyom László im dene Hintergründe. Eine Gruppe bilden die ein- Dezember 2007) gelten die Nationalradikalen als gangs genannten im Ausland lebenden „Hunga- Teil der extrem rechten Szene, und oft werden die risten“, die die heimischen Rechtsextremen unter- Ausdrücke „rechtsradikal” und „rechtsextrem” stützen. Eine andere Gruppe ist der ultranationale synonym verwendet. Die Radikalen selbst jedoch Flügel der ungarischen Opposition der 1980er weisen diese Auffassung scharf zurück, da diese Jahre. Die dritte Gruppe ist die bereits erwähnte ihre Organisationen der faschistischen, national- aus der Gegenkultur der 1980er Jahre stammende sozialistischen Ideologie zuordnet. Nach der Skinhead-Bewegung, welche am Beginn des einhelligen Meinung der Nationalradikalen dürfen nächsten Jahrzehnts mit mehreren Gewaltakten nur winzige nationalsozialistische Gruppen (auf auf sich aufmerksam gemacht hatte. Schon bald Ungarisch: „Hungaristen“), die sich selbst offen nach 1989/1990 erschienen die verschiedenen zum Faschismus bekennen, als Rechtsextreme rechtsextremen Organisationen im pluralen politi- betrachtet werden. Auch diese letzteren Organisa- schen Raum. Bisher verbotene antisemitische tionen haben schon seit zwei Jahrzehnten ihre Schriften, wie zum Beispiel „Die Protokolle der Abspaltung von den Nationalradikalen erklärt. Weisen von Zion“, wurden veröffentlicht. Die auf Bekanntlich wurden während des kommunisti- der politischen Bühne erschienenen rechtsextre- schen Regimes sämtliche von der Ideologie der men Gruppen deklarierten spätestens um Kommunistischen Partei abweichenden politi- 1993/94 ihre Unterschiede zu den traditionellen schen Meinungen staatlich verfolgt, unter ande- rechten und nationalradikalen Bewegungen und rem auch die der extrem Rechten. Vor 1956 er- Parteien, aber ihr Einfluss auf die Letzteren ist bis folgte die völlige politische Ausschaltung der heute stark spürbar. Mitglieder der bekanntesten rechtsextremen Be- Zu den ersten offen rechtsextremen Organisatio- wegung aus der Zeit vor und während des Zwei- nen gehörte die Gruppe um István Györkös ten Weltkrieges, der sogenannten Pfeilkreuzler (die (*1940) in Győr (Raab), die von der Bewegung Anhänger des Pfeilkreuzlerführers Szálasi Ferenc); der in Emigration tätigen „Hungaristen“ (Anhän- viele von ihnen wurden hingerichtet, wenn sie ger und geistige Erben Ferenc Szálasis) unter- nicht nach Westen geflohen waren. Trotz der Unterdrückung aber existierten schon seit Anfang 1 Anm. der Red.: Der (Friedens-)Vertrag von Trianon der 1980er Jahre kleinere Skinhead-Gruppen, die bezeichnet einen der Pariser Vorverträge, die den Ersten einer neuen rechtsextremen Ideologie zugerechnet Weltkrieg formal beendeten. Große Teile des Territoriums werden können. Diese Grüppchen schufen eine des historischen Königreichs Ungarn bzw. Österreich- Ungarns fielen damit Nachbarstaaten zu (z.B. eigenständige städtische Subkultur und machten Karpatoukraine, Galizien, Siebenbürgen, Slowakei etc.).

45 György Haraszti stützt wurde. Die Gruppe vertritt das nationalso- aggressive Hetze dieser Partei gegen politische zialistische Gedankengut der Pfeilkreuzler. Im Jahr Gegner und religiöse bzw. ethnische Minderhei- 1989 gründete Györkös die „Nationalsozialisti- ten beträchtliche Empörung in der Öffentlichkeit sche Aktionsgruppe“ (Nemzetiszocialista Akcióc- auslöste, wurden ihre Demonstrationen seitens soport), die jedoch bald verboten wurde. Darauf- der Behörden lange geduldet. Man spekulierte hin gründete er die sogenannte „Ungarische Nati- darüber, dass Szabó eigentlich ein (Geheim- onale Front“ (Magyar Nemzeti Arcvonal, MNA), )Agent der sozialistischen Horn-Regierung sei, der welche sich zu Beginn auf Skinheads stützte, aber im Dienste der Regierung versuche, die erstarkten niemals ernstlich Masseneinfluss gewinnen konn- nationalradikalen Kräfte zu schwächen. Auf einer te. Versammlung des „Ungarischen Volkswohl- Neben kleineren Skinheadgruppen der frühen fahrtsbundes“ hetzte Szabó am 23 Oktober 1996 1990er Jahre, wie zum Beispiel den „Hungaria offen gegen das Judentum. Wegen dieser Rede Skins“, erregte die von Albert Szabó (*1955) wurde er im Jahr 1997 zu drei Jahren Gefängnis gegründete und geführte „Weltnationale Volks- (auf Bewährung) verurteilt. herrschaftspartei“ (Világnemzeti Népuralmista Zu Beginn des neuen Jahrtausends gruppierten Párt) vorübergehend Aufsehen. Vor dem Fall des sich die ungarischen Skinheads im „Blut und Ehre kommunistischen Systems war Szabó nach Aust- Kulturverein” (Vér és Becsület Kulturális Egyesü- ralien emigriert (im Jahr 1986), kehrte aber bald let)2, Ende Oktober 2005 aber wurde auch diese (1993) – mit geistiger und finanzieller Unterstüt- Organisation verboten. Zu dieser Zeit erregte zung der in Australien lebenden „Hungaristen“ – außerdem eine Universitätsstudentin namens zurück, um die nationalsozialistische Bewegung in Diána Bácsfi, vorübergehend mit ihrem Verband Ungarn wieder aufzubauen. Die „Weltnationale „Gruppe Ungarische Zukunft” (Magyar Jövő Volksherrschaftspartei“ löste mit spektakulären Csoport) das Interesse der Medien. Sie glorifizier- Aufmärschen Entrüstung und Medienaufmerk- te den pfeilkreuzlerischen „Führer der Nation” Fe- samkeit aus. Szabó war eine der fragwürdigsten renc Szálasi und setzte eine Plakatkampagne mit Gestalten im politischen Leben des ersten Jahr- pfeilkreuzlerischen Symbolen in Gang. Die anderen zehnts nach dem Systemwechsel. Ein Teil der rechtsextremen Organisationen – unter anderen Nationalradikalen und Rechtsextremen hielt bzw. der „Blut und Ehre Kulturverein” hielten Bácsfis hält ihn noch heute für einen Schwindler und nationalsozialistische, pfeilkreuzlerische Gruppe für Provokateur. eine Art Kunstskandal, für eine Provokation von Die „Weltnationale Volksherrschaftspartei“ wur- Seiten der Regierung. Nach einem Universitäts- de am 11 Oktober 1993 eingetragen. Diese Partei disziplinarverfahren zog sich Diána Bácsfi bald vereinigte sich bald – am 20 April (Adolf Hitlers ins Privatleben zurück. Geburtstag) 1994 – mit der von István Györkös Die (genannten) rechtsextremen Gruppen sind in geführten „Ungarischen Nationalen Front“ und ständiger Umstrukturierung und existieren oft nur mit dem „Verband der Verfolgten des Kommu- kurze Zeit. In Krisensituationen aber wächst ihre nismus“ (Kommunizmus Üldözötteinek Szövet- Bedeutung. Auch diese Organisationen nahmen sége, KÜSZ). Der Gründer und Präsident letzte- an den Herbstdemonstrationen gegen die sozialis- rer Organisation war Ekrem-Kemál György, ein tische Gyurcsány-Regierung im Jahr 2006 teil. Alle Befürworter der außerparlamentarischen Politisie- Medien hoben die massenhafte Anwesenheit von rung. Diese drei Organisationen sowie die „Unga- Mitgliedern der Skinhead-Subkultur bei diesen rische Bewegung der Hungaristen“ (Magyar Demonstrationen hervor. Hungarista Mozgalom) wurden bald verboten. Nach dem Verbot des „Blut und Ehre Kulturver- Am 20 September 1994 gründete Szabó die dezi- eins” entstand die Gruppe „64 (ungarische) diert pfeilkreuzlerische Organisation „Ungarischer Gespanschaften“ (auch: „64 Komitate – Hatvan- Volkswohlfahrtsbund“ (Magyar Népjóléti négy Vármegye Ifjúsági Mozgalom, HVIM), der Szövetség, MNSZ). Er selbst war bis zur staatlich bekannteste und wichtigste nationalradikale Ju- verordneten Auflösung dieser Gruppierung im

Jahr 1998 deren Präsident. Obwohl die offene, 2 Ungarischer Ableger von „Blood and Honour“

46 Von den Skinheads bis zur Jobbik – die ungarische Rechte heute gendverband. Diese Bewegung hat László Toro- Organ der Bewegung. Am 4. Juni 2005 organisier- ckai (*1978 in Tóth) im April 2001 in Szeged ins ten die „64 Gespanschaften” im Interesse der in Leben gerufen. Ihr Name geht auf die 64 Komita- den Nachbarländern lebenden UngarInnen wieder te bzw. Gespanschaften Ungarns (ohne Kroatien) eine anti-Trianon Fackeldemonstration mit etwa aus der Zeit vor dem Friedensvertrag von Trianon 8.000 TeilnehmerInnen. Auch die erst seit 2003 zurück. Von 17. bis 19. August 2001 hielten die existierende „Jobbik Partei“ („Bewegung für ein „64 Gespanschaften” ihr erstes gesamt- besseres Ungarn“ – Jobbik Magyarországért Moz- ungarisches Jugendtreffen ab (Vorgängerveran- galom) war als Partnerorganisatorin tätig; daneben staltung des „Ungarischen Inseltreffens“, 2002 – unterstützen etwa ein halbes Dutzend kleinere Magyar Sziget Kismaros). Zu diesem Treffen Organisationen diese Demonstration. erschienen etwa 100 bis 150 Jugendliche aus dem Seit 2003 nahmen die Mitglieder der „64 Gespan- gesamten Karpatenbecken und auch einige Per- schaften” – gelegentlich gemeinsam mit dem sönlichkeiten des öffentlichen Lebens. zwischenzeitlich rechtsradikal gewordenen „Welt- Am 10 November 2001 organisierte diese Bewe- verband der Magyaren“ (Magyarok Világszövetsé- gung eine Protestdemonstration vor der rumäni- ge) und der Jobbik Bewegung – an mehreren schen Botschaft in Budapest wegen der Atrozitä- nationalen Demonstrationen und Protestkundge- ten gegen die in Siebenbürgen lebende ungarische bungen teil. Dabei ging es um Autonomieforde- Minderheit, an der einige hundert Menschen rungen ehemals ungarischer und von UngarInnen teilnahmen. Nach der am nächsten Tag herausge- bewohnter Gebiete der Nachbarländer (Sieben- gebenen Erklärung des Bukarester Außenministe- bürgen, Südslowakei, Woiwodina). Sie organisier- riums hatte eine „revisionistische ultranationale” De- ten auch antiliberale Demonstrationen und betei- monstration vor dem Gebäude der rumänischen ligten sich an Kundgebungen und Aufmärschen Botschaft stattgefunden. Am 23. Februar 2002 gegen die sozialistische Regierung. Mit Kampag- ereignete sich eine ähnliche Protestdemonstration nen und Propaganda unterstützen die Aktivisten vor der slowakischen Botschaft in Budapest we- der „64 Gespanschaften” die Sache des durch den gen ungarnfeindlicher Äußerungen im slowaki- „Weltverband der Magyaren“ propagierten schen Parlament im Rahmen der Diskussion um „Volksabstimmungskampfs“ um die Doppel- das sogenannte Statusgesetz. Die Demonstran- staatsbürgerschaft der ungarischen Minderheiten tInnen protestierten auch gegen slowakische in den Nachbarländern. politische Kräfte, welche den UngarInnen in der Die typischen Merkmale der rechtsextremen Slowakei Angst einjagen wollten. Außerdem for- Bewegungen nach dem Systemwechsel waren derten sie die Abschaffung der Dekrete des ehe- bzw. sind versteckter, dann öffentlicher Juden- maligen tschechoslowakischen Staatspräsidenten hass, Feindseligkeit gegen Israel und oft gegen die Eduard Benes und die Einsetzung eines katholi- Vereinigten Staaten von Amerika. Großes Aufse- schen Bischofs ungarischer Nationalität in der hen erregte am 11. Januar 2004 die Verbrennung Slowakei. einer israelischen Fahne während einer national- Am 4 Juni 2002 veranstalteten die „64 Gespan- radikalen Demonstration gegen einen liberalen schaften” vor der französischen, jugoslawischen, „christentumsfeindlichen“ Rundfunksender. rumänischen und slowakischen Botschaft in Bu- Hauptthema der ungarischen Rechtsextremen ist dapest einen Fackelzug, der auf den Vertrag von jedoch Rassismus in Form von Hetze gegen Ju- Trianon Bezug nahm. Zwischen 14. und 18. Au- den und Jüdinnen sowie die Roma und Sinti. In gust 2002 wurde wieder ein Magyar Sziget Treffen diesem Feldzug ist die Kuruc.info-Webpage mit veranstaltet, welches in den nächsten Jahren zum ihrem provokativen Ton und rechtsextremen größten nationalen Jugendtreffen im Karpatenbe- Zügen zu nennen. Diese wahrscheinlich bekann- cken mit mehreren tausend TeilnehmerInnen teste rechtsextreme Internetseite wurde im Jahr wurde. Im Februar 2003 gab László Torockai als 2004 gegründet. Heute agiert sie von einem nord- Chefredakteur die erste Ausgabe der Wochenzeit- amerikanischen Server aus, um dem Verbot durch schrift „Ungarische Gegenwart” (Magyar Jelen) die ungarischen Behörden zu entgehen. heraus. Dieses Blatt gilt bis heute als offizielles

47 György Haraszti

Generell sind die nationalradikalen Medien größ- „verraten“, indem sie die KommunistInnen nicht tenteils im Internet zu finden, aber auch die ge- aus dem öffentlichen Leben entfernte und statt- druckte Presse spielt eine wichtige Rolle: Wo- dessen die Vertreter völkisch-nationaler Prinzi- chenzeitungen und andere Periodika, Bücher und pien aus der Parteiführung verdrängte. Csurka so weiter. Der Schreibstil der AutorInnen ist hart, und seine Anhänger griffen weiterhin den ukrai- provokant und absichtlich bemüht, die Prinzipien nisch-ungarischen Grundvertrag heftig an, weil der politischen Korrektheit nicht zu erfüllen. die Antall-Regierung nach ihrer Auffassung damit Abgesehen von Radiosendern im Internet verfü- einer Revision des Friedensvertrags von Trianon gen die Nationalradikalen über keine Radio- oder symbolisch entsagte. Sie waren der Meinung, mit Fernsehkanäle. Neben ihren eigenen Medien der Wiedervereinigung Deutschlands sowie dem nutzen sie auch die Hauptorgane der übrigen Zusammenbruch von drei früheren kommunisti- rechtsgerichteten Medien, wie zum Beispiel Echo schen Staatsgebilden (Sowjetunion, Tschechoslo- TV, Magyar Nemzet, Magyar Hírlap, Magyar wakei und Jugoslawien) hätten die Verträge von Demokrata, Lánchíd Rádió. Auf den Webseiten der Jalta und Trianon ihre Gültigkeit verloren. Weite- (inzwischen eingestellten) Bombenfabrik rer Grund für die Abspaltung Csurkas und seiner (Bombagyár), Kuruc.info, oder Atom Blog Anhänger von der MDF war außerdem, dass die tauchen regelmäßig rechtextreme, sogar offen MDF-Regierung nicht versuchte, die unter dem nationalsozialistische Artikel auf. Diese Artikel kommunistischen System erhöhte ausländische hetzen nicht „nur“ gegen eine Gemeinschaft, Staatsschuld streichen zu lassen. sondern sie feuern an zum Genozid an JüdInnen, Die „Partei für ungarisches Recht und Leben“ Roma und Sinti sowie anderen Minderheiten, definierte sich als radikalnationale konservative bestimmten politischen Gruppen und Personen. Partei. Nach ihrer Parole – weder rechts- noch Die Rechtsextremen leugnen eifrig den Holocaust links, sondern „christlich und magyarisch“ – kann und die anderen Verbrechen des nationalsozialis- man die Ideologie dieser Partei als eine „Richtung tischen Regimes, verherrlichen Ferenc Szálasi, des dritten Weges“ definieren. Das Parteipro- und sonstige nationalsozialistische gramm ist seit 2005 unverändert geblieben. Ne- und faschistische Führer. Sie agitieren gegen die benbei erwähnt ist die MIÉP in bestimmten Fra- USA und insbesondere Israel, das ihrer Meinung gen mit der zwischen 1998 und 2002 und seit die Welt beherrschen will und Ungarn direkt 2010 wieder regierenden Partei Fidesz-KDNP bedroht. Mit allen Mitteln fördern sie antiisraeli- (Bund der jungen Demokraten – Christlich- sche Propaganda und versuchen sich mit sämtli- demokratische Volkspartei – Fiatal Demokraták chen (terroristischen) Organisationen und Staaten Szövetsége – Kereszténydemokrata Néppárt) (zum Beispiel Iran), die Israel vernichten wollen, einverstanden. zu verbünden. Im Zuge der Parlamentswahlen 1994 erreichte die Unter den nationalradikalen Bewegungen mit MIÉP nur 1% der Stimmen. Im Jahr 1998 waren rechtsextremem Gedankengut war die MIÉP es aber bereits 5,5%, wodurch die Partei eine („Partei für ungarisches Recht und Leben“ – selbständige Fraktion bilden konnte, 2002 erhielt Magyar Igazság és Élet Pártja) die erste bedeuten- sie kein Mandat. Im Parlamentswahlkampf des de Partei. Sie wurde im Jahr 1993 durch István Jahres 2006 bildete die „Partei für ungarisches Csurka und seine Anhänger gegründet, die von Recht und Leben“ mit der „Bewegung für ein der damals regierenden Partei Ungarisches De- besseres Ungarn“ (Jobbik Magyarországért Moz- mokratisches Forum (Magyar Demokrata Fórum, galom) und mit dem Rest der Kleinwirte-Partei MDF) ausgeschlossen worden waren. eine Wahlkoalition unter dem Namen „MIÉP – Csurkas Meinung nach hatten die mäßig rechten Jobbik – Dritter Weg”. Das Ziel des Wahlbünd- Mitglieder der MDF einen Pakt mit den Ultralibe- nisses war der Zusammenschluss der rechtsradi- ralen, den Anhängern des „Bundes der Freien kalen Kräfte, weil die MIÉP mittlerweile und die Demokraten“ (Szabad Demokraták Szövetsége, Jobbik noch zu schwach für eine eigenständige SZDSZ), geschlossen. Die führende Regierungs- Kandidatur waren. Nachdem das Wahlbündnis partei hatte ihr wichtigstes Wahlversprechen aber die 5%-ige Hürde nicht nehmen konnte,

48 Von den Skinheads bis zur Jobbik – die ungarische Rechte heute wurde die Zusammenarbeit nicht fortgesetzt. Die der LMP-Partei („Politik kann man auf andere Art „Partei für ungarisches Recht und Leben“ existiert machen“ – Lehet Másképp is a Politika). Ihrer formell noch heute, konnte aber während der Meinung nach ist die LMP nur eine Nachfolger- Europa-Parlamentswahlen im Jahr 2009 und der partei des inzwischen (2010) aufgelösten ultralibe- ungarischen Parlamentswahlen im Jahr 2010 keine ralen Bundes der Freien Demokraten. Die Jobbik- Kandidaten aufstellen. Bewegung kritisiert auch die derzeitige Regie- Zu Beginn stützte sich die führende Kraft des rungskoalition, da sie die Fidesz-Partei und Regie- heutigen nationalen Lagers, die „Bewegung für rung als zu liberal und als Handlanger fremder ein besseres Ungarn“ (Jobbik Magyarországért Interessen ansieht. (Gleichzeitig benutzt die po- Mozgalom, kurz Jobbik), teilweise auf die frühe- pulistische Fidesz ihrerseits die Jobbik im politi- ren WählerInnen und Anziehungskreise (vor schen Kampf gegen die Sozialsten und die LMP- allem in Nordwest-Ungarn) der MIÉP-Partei. Der Partei, aber lehnt die Extreme der „Bewegung für Vorgänger der Jobbik war die 1999 gegründete ein besseres Ungarn“ strikt ab.) „Jugendgemeinde der rechten Seite“ (Jobboldali Am Anfang versuchte die neue Partei ihren Be- Ifjúsági Közösség, Jobbik), welche hauptsächlich kanntheitsgrad mit Aufmerksamkeit erregenden UniversitätsstudentInnen um sich scharte. Die Aktionen zu erhöhen. Zu Weihnachten im Jahr „Jugendgemeinde der rechten Seite“ ließ sich am 2003 stellten AktivistInnen der Partei an vielen 24. Oktober 2003 als Partei eintragen. Die Grün- Stellen in der Hauptstadt Kreuze auf, um die der der neuen Partei wollten nach dem Zerfall ursprüngliche christliche Bedeutung des Festes zu und Zurücktreten der MIÉP den rechtsradikalen betonen. Seither wiederholen sie diese Aktion WählerInnen eine reale Alternative bieten. Die jedes Jahr großflächig im ganzen Land, doch diese „Bewegung für ein besseres Ungarn“ entwickelte wird bis heute heftig kritisiert. Neben der Frage sich bald zur bekanntesten Formation der ungari- der Nutzung öffentlicher Plätze kommen scharfe schen rechtsradikalen Szene. kritische Bemerkungen gegen die Mitglieder der Hauptziel der Jobbik-Bewegung – der eigenen Jobbik wegen der politischen Verwendung kirch- Gründungserklärung zufolge – ist „die Vollendung licher Symbole, auch von Seiten einiger kirchli- des Systemwechsels und Schaffung einer gerechteren Gesell- cher Würdenträger. Im Jahr 2006 deckten sie die schaft als der heutigen“. Nach ihrer Selbstdefinition Gedenktafel eines kommunistischen Märtyrers, ist die Jobbik eine „konservative, prinzipientreue radi- Endre Ságvári (im 2. Bezirk der Hauptstadt), zu. kale national-christliche Partei, die mit ihrem Programm Im Dezember dieses Jahres wählten sie als offi- die ganze Nation vertreten will“. Die Mitglieder der zielle Farbe und Symbol der Partei die sogenannte Jobbik bekennen sich stolz zum Nationalismus, Árpádenfahne mit rot-silbrigen Streifen: diese weisen aber zurück, dass sie Chauvinisten gewe- Fahne erinnert an pfeilkreuzlerische Zeiten, als sie sen seien. Die Jobbik befürwortet eine konfödera- ein öffentliches Symbol war. Die Partei nahm an tive wirtschaftliche Zusammenarbeit unter den den Herbstdemonstrationen auf dem Kossuth europäischen Ländern, lehnt aber die Politik der Platz gegen die Gyurcsány-Regierung teil: Tamás Globalisierung heftig ab, welche in ihren Augen Molnár, eine Führerfigur der Demonstrationen, die stufenweise Einschränkung der Unabhängig- war früher auch Vizepräsident der „Bewegung für keit der einzelnen Mitgliedstaaten und den Verlust ein besseres Ungarn“ gewesen. der charakteristischen nationalen Besonderheiten Im Jahr 2007 wurde das Parteiprogramm veröf- zur Folge habe. Unter diesem Vorwand nahm die fentlicht. Dieses deklariert, dass Ungarn nach der Jobbik an den Europa-Parlamentswahlen im Jahr deutschen Okkupation im Jahr 1944 die Rechts- 2004 nicht teil und erhob Einspruch gegen den – beständigkeit verloren hatte und es seither eine ihrer Meinung nach – verfrühten ungarischen „Verfassungskrise“ gebe. Um diese zu lösen sei es EU-Beitritt. notwendig, die historische Verfassung (auf den In der Öffentlichkeit und im Ungarischen Parla- Prinzipien der Lehre der Heiligen Krone von ment ist die „Bewegung für ein besseres Ungarn“ Ungarn) wieder herzustellen. Das Programm politische Gegnerin der Ungarischen Sozialisti- fordert außerdem unter anderem die Nationalisie- schen Partei (Magyar Szocialista Párt, MSZP) und rung der strategischen Wirtschaftszweige, die

49 György Haraszti

Revision der Privatisierung, die Abschaffung der Bei den Europa-Parlamentswahlen im Jahr 2009 „Masseneinwanderung asozialer Elemente“ nach Un- erreichte die Jobbik bereits 14,77% der Stimmen. garn, die staatliche Beurkundung kirchlicher Diese „neue Kraft“ konnte damit drei Abgeord- Trauungen, den obligatorischen Ethik- oder Reli- nete ins Europäische Parlament schicken. Die gionsunterricht in den Grund- und Mittelschulen, Partei hat sich keiner parlamentarischen Fraktion die Deklaration der Árpádenfahne zum gesamt- angeschossen, also ihre Abgeordneten vertreten nationalen Symbol und die Aufstellung einer selbständig ungarische Interessen in Brüssel. Die speziellen Polizeieinheit zur Bekämpfung der „Bewegung für ein besseres Ungarn“ erlebte sogenannten „Zigeunerkriminalität“ (cigánybűnö- diesen Wahlsieg als einen riesengroßen Erfolg zés). und hat die Parole „Dritte Kraft“ seither in den Die Jobbik reduziert die weitreichende gesell- Mittelpunkt ihrer Kommunikation gerückt. schaftliche, wirtschaftliche, politische Frage der Am 13. Juni 2009 unterschrieb die Jobbik einen Roma und Sinti in Ungarn – kurz und bündig: das Kooperationsvertrag mit der „Ungarischen Gar- Problem der Integration der Roma und Sinti in de“ und mit der Jugendbewegung „64 Gespan- die ungarische Gesellschaft – auf die „Zigeunerkri- schaften“. Auch László Torockai und György minalität“. Diese ist inzwischen zum wichtigsten Budaházy, die zwei Galionsfiguren der heutigen und auffälligsten Element der Parteipropaganda extremen Rechten, unterzeichneten diesen. (Sie und der Aktivitäten der Bewegung geworden. gehören zu Gruppen, die sich nicht vor der au- Einige Zeit gab es eine eigene Webseite dazu, ßerparlamentarischen, verfassungsverletztenden ciganybunozes.com (die schließlich eingestellt wurde). ultraradikalen Politik verschließen.) Die Jobbik Im Juni 2007 wurde auch die formell unabhängi- pflegt weitreichende internationale Verbindungen ge, aber in der Praxis als Privatarmee der Jobbik- mit den nationalen Rechts-Parteien in Europa, Bewegung tätige „Ungarische Garde“ zum Zweck unter anderem auch mit der Freiheitlichen Partei der „Wiederherstellung der Ordnung“ ins Leben geru- Österreichs. fen. Gábor Vona, der Präsident der Jobbik(seit Vor den Parlamentswahlen im Jahr 2010 stellte November 2006), hat die „Ungarische Garde“ mit die Jobbik ihr neues Programm unter dem Titel Unterstützung der Partei als einen Verein gegrün- „Radikale Änderung“ vor. Neben den alten The- det und einschreiben lassen. Laut Gründungsur- men („Zigeunerkriminalität“, Staatsschulden, Über- kunde strebt die Garde an, ein Teil oder das stützung multinationaler Firmen) findet man in „Rückgrat“ der zukünftigen Nationalgarde gemäß diesem Programm viele populäre Parolen, wie dem Programm der Jobbik sein. Unter den Zielen zum Beispiel die Betonung der Wichtigkeit der und Tätigkeitsbereichen der „Ungarischen Garde“ Verhinderung von Politikerkriminalität, unter findet man neben der Unterstützung und Organi- anderem das Verbot von Mehrfachfunktionen für sation sozialer und karitativer Dienste, der Besei- PolitikerInnen. Während der Parlamentswahlen tigung von Katastrophenfolgen und Bürgerschutz im Jahr 2010 erlangte die Jobbik 16,67% der auch die Absicht der „Stärkung der nationalen Selbst- Stimmen und konnte damit die drittgrößte Frakti- verteidigung“ und die Wahrnehmung der Aufgaben on (mit 47 Abgeordneten) im neuen Parlament des Ordnungsschutzes. Seit der Gründung der bilden. Zum Führer der Fraktion wurde Gábor Garde steht diese Organisation im Kreuzfeuer der Vona, der Präsident der Partei, gewählt. Heute politischen Debatte, weil sie und (nach deren kritisiert die Jobbik als parlamentarische Opposi- Verbot) ihre Nachfolgerorganisationen den Roma tionspartei die FIDESZ-Regierung von rechts. und Sinti im ganzen Land Angst eingejagt hatte.

50 Die ungarische Rechte heute

Universitätsprofessor Dr. György Haraszti, geb. 1947 in Nyíregyháza/Ostungarn. Leiter der historischen Abteilung des 1998 neu gegründeten Landesseminars – Jüdische Universität (OR-ZSE), ein Nachfolgerinsti- tut des früheren Budapester Rabbinerseminars. Promovierter Chemieingenieur (Műszaki Egyetem [Budapes- ter Technische Hochschule], 1970), 1973 Doktortitel mit summa cum laude in Biochemie. In den folgenden Jahren Studium der Computerwissenschaften, dann Geschichte an der Lorand Eötvös Universität (Budapest) studiert und zwanzig Jahre später (2004) Ph.D. (OR-ZSE) im Fach Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Zwischen 1982 und 1987 Abteilungschef, danach wissenschaftlicher Sekretär des Budapester Stadtarchivs. Seit 1987 am Institut für Geschichte der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (UAW) als wissenschaft- licher Hauptmitarbeiter tätig. Sein Forschungsgebiete: ungarische Sozial- und Wirtschaftsgeschichte bzw. jüdische Geschichte in Ungarn der frühmodernen Periode (16. bis 18. Jahrhundert). Ausgedehnte Forschungen zu diesen Themen in Eisens- tadt, Linz, Wien, München, Zagreb, Klausenburg/Siebenbürgen und in den Archiven der Slowakischen Re- publik. Mehrmals als Gastprofessor in Frankreich und Israel tätig. Zwischen 1992 und 1997 Generaldirektor der 1990 gegründeten traditionellen jüdischen Gesamtschule „Massoret Avoth – American Endowment School”, gleichzeitig Direktor des Jüdischen Archivs in Budapest. Für seine pädagogische Tätigkeit 1996 mit dem „Goldenem Kreuz der ungarischen Republik” durch den ungarischen Staatspräsident ausgezeichnet. Von 1999 bis zum Ablauf seines Mandats 2003 Direktor der Privatstiftung „Europa Institut” bei UAW. Verfasser zahlreicher Abhandlungen, von denen einige auch in englischer und deutscher Sprache veröffent- licht wurden. Seine letzten Bücher (auf Ungarisch): Scheidewege – Studien zur Geschichte des ungarischen Judentums (Budapest 1999); Jüdische Friedhöfe in Budapest (Budapest 2004); Die Auschwitz Protokolle, (Budapest 2005, 2006) und Geständnisse aus dem Hause der Toten. Die Aufzeichnungen des Generalmajors István Ujszászy in Gefan- genschaft der ungarischen Geheimpolizei (Budapest 2007).

51 Monika Kokalj‐Kočevar

Mag.a Monika Kokalj-Kočevar, geb. 1963 in Ljubljana. Studium der Geschichte und Englisch an der Filosofska fakulteta, Ljubljana; derzeit Vorbereitung des Doktorats (PhD) zum Thema Oral History. Seit 1995 Kuratorin, Vorsitzende der Oral History-Abteilung des Nationalmuseums der Zeitgeschichte Sloweni- ens. Forschungsschwerpunkte: Kollaboration mit Achsenmächten in Slowenien, zur Wehrmacht zwangsrekrutierte Slowenen, slowenische Zwangs- und SklavenarbeiterInnen im Zweiten Weltkrieg und politische EmigrantIn- nen nach 1945. Hat einige Bücher und zahlreiche Artikel zu diesen Themen publiziert und Vorträge auf einigen Konferenzen gehalten, z.B. XVI IOHA Kongress in Prag 2010, XV IOHA Kongress in Guadalajara 2008, OHS Konferenz in London 2005. Mitglied von: ICOM, ICMAH, ICOMAM, IOHA (International Oral History Association), OHS (Oral histo- ry Society) und Comité International de Mauthausen (CIM)

Publikationen (Auswahl): - The Upper Carniola Home Defense Force, Axis Europa books, USA 1999 - Gorenjski domobranec, Ljubljana 2000 - 1995- 2006: Mitarbeit als Autorin oder Mitautorin bei sechs großen Austellungen und Katalogen mit Bezug auf den Zweiten Weltkrieg - Zwangsrekrutierte Slowenen in der Wehrmacht, 2005 (Film) - Slowenien in den Zweiten Weltkrieg«, OHS, London, 2005 (Referat) - 2005-2006: Mitarbeit beim internationalen Projekt Zwangs- und Sklavenarbeiter; Stiftung Erinne- rung, Verantwortung und Zukunft.

52 Slowenien: Zwischen Oppression und Kollaboration

Monika Kokalj‐Kočevar Slowenien: Zwischen Oppression und Kollaboration

Am 6. April 1941 besetzte die deutsche Besat- der im Steirischen Heimatbund oder im Kärntner zungsmacht die slowenischen Teile der Steier- Volksbund organisiert waren, galt doch eine sol- mark, Oberkrains und Kärntens. Auf einer Fläche che Mitgliedschaft als untrügliches Zeichen für von 10.261 km² lebten dort damals 798.000 Men- „Heimattreue“. schen. Dieses Gebiet wurde auf zwei temporäre Nachdem im Januar 1942 bereits zum zweiten Zivilverwaltungen aufgeteilt: Die Untersteiermark Mal der formalrechtliche Anschluss dieser Gebie- stand unter der Leitung von Dr. Sigfried te an das Deutsche Reich verschoben worden war, Uiberreither, das besetzte Kärnten und Oberkrain beschlossen die zuständigen Organe im Frühjahr – bis zum Februar 1942 auch Südkärnten genannt 1942, mit diesem Akt bis nach Kriegsende zu – wurde von Franz Kutschera geführt. Die Unter- warten. steiermark und Oberkrain waren dem 18. Militär- Im Rahmen der Germanisierung war außerdem kreis mit Sitz in Salzburg untergeordnet. vorgesehen, bis zu 260.000 SlowenInnen zu ver- Da diese Gebiete schnellstmöglich dem Deutschen treiben. Unter diesen sollten zunächst slowenische Reich angeschlossen werden sollten, galten dort Intellektuelle mit ihren Familien sein. In einem unmittelbar nach der Besetzung nationalsozialisti- zweiten Schritt war die Aussiedlung der Slowe- sche Gesetze. Zudem waren die Rohstoffe, alle nInnen, die erst nach 1914 in die entsprechende Erzeugnisse dieser Gegend, ebenso wie die Ar- Gegend gezogen waren, geplant. BewohnerInnen beitskraft der Bevölkerung den Bedürfnissen des des Rings um die Flüsse Sava und Sotla waren im Deutschen Reiches untergeordnet. Gleichzeitig be- Rahmen einer dritten Phase zur Aussiedlung gann die NS-Besatzungsmacht mit der massenhaf- bestimmt und als viertes sollten diejenigen folgen, ten Aussiedlung von SlowenInnen sowie der die eine Mitgliedschaft im Steirischen Heimat- gezielten Ansiedlung von Deutschen und der bund und dem Kärntner Volksbund verweigerten. Eindeutschung der Bevölkerung. Schon bald Zur Aussiedlung vorgesehen war somit ein Drittel entstand deshalb ein dicht geknüpftes Netz von der Bevölkerung dieser besetzten Gebiete. Organisationen, und in großer Zahl wurden ent- Die beiden zuständigen Umsiedlungsstäbe waren sprechende Verlautbarungen erlassen. Innerhalb den bereits erwähnten Chefs der Zivilverwaltun- von fünf Jahren sollte die Germanisierung dieser gen untergeordnet. Gemeinsam mit ihren Refera- Gegend abgeschlossen sein, so der Plan der zu- ten erstellten sie Listen aller Auszusiedelnden, ständigen Besatzungsorgane. Deutsch war schon untersuchten die Bevölkerung nach politischen bald die Amtssprache, Familien- und Ortsnamen und rassischen Merkmalen und waren für die orga- wurden eingedeutscht, zudem die Namen der nisatorische Durchführung des Verfahrens zu- Berge. Die slowenische Sprache wurde ebenso ständig. Die ersten Verhaftungen im Zusammen- verboten wie alle slowenischen Vereine, und hang mit den Aussiedlungen führte die national- slowenischsprachige Bücher waren nicht mehr sozialistische Schutzpolizei und Gendarmerie auf öffentlich zugänglich. der Grundlage von Listen durch, die sie aus Berlin Mit einer gesetzeskräftigen Verlautbarung vom bekommen hatten, ergänzt durch Angaben von 14. Oktober 1941, verkündet vom Ministerrat für Mitgliedern des deutschen Kulturbundes. Reichsverteidigung, erhielten Deutsche, die ihren Gleichzeitig errichtete die nationalsozialistische ständigen Wohnsitz in den inzwischen besetzten Besatzungsmacht in der Untersteiermark und in Gebieten hatten, die ständige deutsche Staatsbür- Oberkrain ein Netz von Gefängnissen und Um- gerschaft. Menschen mit deutschem oder dem siedlungslagern. Bereits in der zweiten Aprilhälfte deutschen ähnlichen „Blut“ erhielten die deutsche entstand so ein Umsiedlungslager in einer Kaser- Staatsbürgerschaft bis auf Widerruf. Eine solche ne in Maribor. Dort führte man die Menschen erhielten auch SlowenInnen, die politisch und zusammen, die für eine Zwangsverschickung nach rassisch als zuverlässig galten und überdies entwe- Serbien, Kroatien und Bosnien vorgesehen waren.

53 Monika Kokalj‐Kočevar

Zudem nutzten die Besatzer alle Gefängnisse der Institutionen. Parallel dazu gab es flächendecken- Vorkriegszeit. de Propaganda zur Einberufung in Zeitschriften, Auch das Umsiedlungslager im Schloss Flugblättern, öffentlichen Reden und Versamm- Rajhenburg bei Krško hatten die Besatzer bereits lungen in den Ortsgruppen des Steirischen Hei- am 25. Mai 1941 übernommen. In den nächsten matbundes und des Kärntner Volksbundes. Den knapp vier Jahren verschickte der Umsiedlungs- Rekruten drohte man gleichzeitig mit einer Aber- stab im Rahmen von 62 Transporten mehr als kennung ihres Heimatrechts, damit dass ihre 36.000 Vertriebene in verschiedene deutsche Eltern aus dem Heimat- bzw. Volksbund ausge- Provinzen, meist nach Schlesien und Sachsen. schlossen und in Lager gesteckt würden. In der Steiermark betrafen die Einberufungen die Jahr- In den Gefängnissen in Celje, vor allem im soge- gänge 1906 bis 1928 und in Oberkrain diejenigen nannten Stari pisker, waren schon wenige Wo- von 1916 bis 1926. chen nach Kriegsbeginn, im Mai 1941, etwa 700 SlowenInnen eingesperrt. Auch Schloss Borl bei Aufgrund dieser Zustände ist es nicht verwunder- Ptuj war zu einem zentralen Umsiedlungslager lich, dass bereits im Sommer 1941 in der Umge- und Gefängnis umfunktioniert worden. bung größerer Städte erste Partisanengruppen entstanden. Die nationalsozialistischen Besatzer In Oberkrain entstand ein Umsiedlungslager in gingen gegen diese mit aller Härte vor. Da die Begunje im Schloss Katzenstein, und bereits im Zivilbevölkerung in großer Zahl mit der Be- Mai 1941 kamen die ersten Gefangenen dorthin. freiungsfront zusammenarbeitete und die Partisa- Im Šentvid, oberhalb von Ljubljana, wurde in der neneinheiten unterstützte, war auch sie bald Op- zweiten Maihälfte 1941 in den Bischöflichen fer des Terrors und der Gewalt. Eine Antwort der Heimen ein Lager eingerichtet. Außerdem gab es deutschen Besatzer auf den bewaffneten Aufstand im ehemaligen bischöflichen Schloss in Goričane war am 28. Juni 1941 die Einführung der Polizei- bei Medvode ein Umsiedlungslager für die Fami- stunde und Verlautbarungen über Geiselerschie- liengehörigen von Partisanen und erschossenen ßungen. Zur Verurteilung von Partisanen und Geiseln. In der Zeit von August 1942 bis August ihren MitarbeiterInnen wurde außerdem ein Son- 1944 wurden von dort etwa 7.000 Menschen in dergericht geschaffen. Geiseln wurden unter den nationalsozialistische Lager überstellt. Häftlingen der Gestapo-Gefängnisse in Begunje Die Kreisgrundschule in Celje fungierte ab dem 3. ausgewählt. Für jeden gefallenen Slowenen, der August 1942 als Sammelunterkunft bzw. Zwi- mit den Nationalsozialisten sympathisierte, sollten schenstation für verhaftete Familien vor ihrer fünf und für einen ermordeten Deutschen zehn Aussiedlung, unter diesen waren auch 526 Kinder. Geiseln erschossen werden. Die meisten Geiseler- Männer und Frauen kamen von dort ins Kon- schießungen fanden im Sommer 1942 statt, zentrationslager Auschwitz, Kinder in deutsche manchmal waren es aber auch Erhängungen. Lager, vor allem nach Bayern. Dort übernahm sie Gerne wählten die Besatzer Orte für die Liquidie- die Organisation Lebensborn. Die Jüngsten unter rungen, an denen Partisanen- oder Sabotageaktio- ihnen wurden deutschen Familien zur Adoption nen stattgefunden hatten. Meist wurden die Opfer angeboten. im Tal Draga bei Begunje begraben. Zur Ein- Die nationalsozialistische Regierung glaubte schüchterung der Bevölkerung wurden die Na- fälschlicherweise, die Einführung der deutschen men der Hingerichteten auf Plakaten veröffent- Staatsbürgerschaft könne einen Germanisierungs- licht. Vom 2. August 1941 bis zum 17. April 1945 prozess beschleunigen und zu einer stärkeren wurden in Oberkrain in 127 Gruppen 849 Geiseln Bindung der slowenischen Bevölkerung an das erschossen oder erhängt. Deutsche Reich führen. Männern drohte außerdem die Mobilisierung in Die Geiselerschießungen in der Steiermark fanden die Deutsche Wehrmacht. Seit 1942 verlief diese über ohne vorheriges Gerichtsurteil statt. Über das die Mobilisierungsstellen. An der Organisation Schicksal der Geiseln entschied allein der Kom- beteiligt waren auch Gemeinderäte und Bürger- mandant der Sicherheitspolizei und des Sicherheits- meister sowie die entsprechenden politischen dienstes. Vor einer Erschießung schickte er seine

54 Slowenien: Zwischen Oppression und Kollaboration

Liste an General Erwin Rösener, der diese durch und Gendarmen, ergänzt durch Einheimische, ein Telegramm oder ein entsprechendes Schrei- bestanden. Aufgabe dieser Gegenbanden war es, ben bestätigte. mit Hilfe der Partisanentaktik Mitglieder und Wie bereits erwähnt, fanden die Geiselerschie- Kuriere der Befreiungsfront zu enttarnen. Mithilfe ßungen zunächst an Orten von Partisanen- oder der Einheimischen unter ihnen gestaltete sich dies Sabotageaktionen statt. Doch von August 1941 nicht besonders schwierig. Die halbmilitärische bis 1943 wurden Geiseln in erster Linie im Hof Organisation der Wehrmannschaft zählte in der der Gefängnisse in Maribor und im Gefängnis Steiermark etwa 1.000 Mann, doch in Oberkrain Stari pisker in Celje erschossen. bestand sie nur auf dem Papier. In den Jahren 1944 und 1945 kam es zu einer Im Herbst 1942 kam es zu dem vergeblichen erneuten Änderung. Nun waren die potentiellen Versuch, in Oberkrain sogenannte Dorfwehren Opfer unter bereits Inhaftierten in Maribor und zu errichten. Jedoch entstand Mitte 1943 ein Celje ausgesucht worden, und man ermordete sie Provinzunterausschuss der Tschetniks, d.h. serbi- wiederum an Orten von Partisanenaktion. Ihre schen Milizen, für Oberkrain. Nach der Kapitula- Leichen wurden nach Graz gebracht und im tion der italienischen Regierung zogen sich die Krematorium des dortigen Friedhofs verbrannt. Kommandos der Tschetniks von Oberkrain und Vom 30. Juli 1941 bis zum 3. April 1945 wurden dem Küstenland gemeinsam mit den Dorfwehren in der Steiermark in 66 Gruppen 1.590 Geiseln nach Vrhnika bei Ljubljana zurück und schlossen erschossen. sich später den dortigen Domobranci (Heimweh- ren) an.

Als Folge der Kapitulation Italiens liefen viele Im Kampf gegen die Nationale Befreiungsfront Dorfwehren, die im italienischen Teil der Provinz knüpfte die deutsche Besatzungsmacht ein Netz Ljubljana aktiv gewesen waren, zu den deutschen von Polizei- und Gendarmeneinheiten, die in der Besatzungskräften über. Es kam außerdem zu Steiermark und in Oberkrain auch Einheimische Verhandlungen über die Gründung der in ihre Reihen aufnahmen. Domobranci zwischen der Führung der sloweni- Bereits Ende 1942 entstanden in der Steiermark schen Volkspartei (SLS – Slovenska Ljudska auch Landwehren. Diese waren den örtlichen Stranka) und dem deutschen General und Polizei- Gendarmenstationen untergeordnet, Waffen kommandant des 18. Wehrkreises Erwin Rösener, bekamen sie von den Wehrmannschaften. Dieses dem auch die Provinz Ljubljana unterstand.1 Der System der Landwehren bestand bis zum Februar bisherige Bürgermeister von Ljubljana, Leon 1945. Rupnik, wurde zum Vorsitzenden der Provinz- In den Dörfern des Aussiedlungspasses an den verwaltung in Ljubljana ernannt. Bereits am 23. Flüssen Sotla und Sava entstand, zum Schutz der September 1943 erschien in der Zeitung neu angesiedelten Menschen, der sogenannte „Slovenec“ eine Aufforderung zur Meldung als Gottscheer Selbstschutz. In diesen waren etwa Freiwillige für die Domobranci.2 Für die deut- 1.000 Gottscheer und Besserabische Deutsche schen Besatzungsorgane hatten die slowenischen organisiert. Im Frühjahr 1943 wurden zusätzlich Domobranci den Status einer Hilfspolizei.3 Nach Reservepolizisten der älteren Jahrgänge einberu- Absprache nahmen sie ausschließlich an Kämpfen fen, die für eine Mobilisierung in die Deutsche auf slowenischem Territorium teil und waren Wehrmacht nicht (mehr) vorgesehen waren. verantwortlich für die Aufrechterhaltung von Für den unmittelbaren Kampf gegen die Nationa- Ruhe und Ordnung. Ein sogenannter Aufbaustab le Befreiungsfront entstanden im November 1942 war für die Organisation und Kontrolle der Ein- sogenannte Alarmkompanien der Wehrmann- heiten zuständig; die Domobranci erhielten von schaft. In Oberkrain brachte jedoch die Grün- dung der Wehrmannschaften und der Landweh- 1 MLAKAR, Boris: Slovensko domobranstvo v Ljubljanski ren nicht den erhofften Erfolg, daher entstanden pokrajini, in: MATI, domovina, Bog, MNZS (Muzej novejše zgodovine Slovenije), Ljubljana 1999, S. 11 dort im November 1942 besondere Polizeieinhei- 2 Zeitschrift „Slovenec“ vom 23.9.1943 ten, sogenannte Gegenbanden, die aus Polizisten 3 MLAKAR, Boris: Slovensko domobranstvo, Ljubljana 2006

55 Monika Kokalj‐Kočevar diesem auch personelle Unterstützung, die gleich- Ab September 1944 stellten Angehörige der slo- zeitig den deutschen Einfluss gewährleisten sollte. wenischen Domobranci im Rahmen des Polizei- Zehn deutsche Offiziere halfen bei der Grün- sicherheitsrats4 die Wachleute in den Gefängnis- dung, der Führung und dem Drill der Einheiten sen von Ljubljana. der Domobranci. In organisatorischen, personel- Die Mitarbeiter der Polizei der Domobranci hat- len und finanziellen Fragen waren die Einheiten ten es sich zur Gewohnheit gemacht, die Men- der Domobranci ihrem slowenischen Organisati- schen zu Hause zu verhaften. Aus den Gefängnis- onsstab untergeordnet, in operativer und takti- sen in Ljubljana fanden dann Überstellungen in scher Hinsicht dem deutschen Kommando. Im verschiedene Polizeigefängnisse statt. Manch einer Jahr 1943 finanzierte die Provinzverwaltung in wurde sogar entlassen oder – das andere Extrem Ljubljana die Domobranci und danach der Höhere – nach Deutschland geschickt. Eine häufige Zwi- SS- und Polizeiführer Rösener. Gleichzeitig plante schenstation von Ljubljana aus waren 1944 die Dr. Friedrich Rainer, Oberster Kommissar der Gefängnisse in Begunje. Operationszone Adriatisches Küstenland, die Gründung Im Museum für Neuere Geschichte Sloweniens in einer slowenischen SS-Division, doch kam es Ljubljana sind aus der Zeit von 1943 bis 1945 dazu nicht mehr. Es war auch Rainer, der den noch fünf Gefängnisbücher mit detaillierten An- Status der Domobranci gesetzlich festschrieb. gaben zu den Häftlingen erhalten.5 Dort finden Veröffentlicht wurde diese Entscheidung in einem sich neben den Geburtsdaten auch Haftgründe, Amtsblatt im Dezember 1943, in dem auch die wer die Verhaftung durchgeführt hatte, das Da- Problematik des Wehrdienstes in der Operationszo- tum der Verhaftung, abgenommene Gegenstände ne geregelt wurde. Und zwar konnte jeder wehr- sowie der Ort der Überstellung. 1944 waren in pflichtige Bewohner seiner Dienstpflicht in einer den Polizeigefängnissen 3.964 Männer einge- militärischen, polizeilichen oder zivilen Formation sperrt, und 1945 waren es immer noch 905. „Poli- nachkommen. Insgesamt gab es sieben solche tisch“ war der häufigste Haftgrund, und die Voll- Möglichkeiten, und die Domobranci waren eine strecker der Verhaftungen wurden mit Vor- und davon. Neben diesen gab es in der Provinz Ljubl- Zunamen vermerkt. So wurden beispielsweise in jana ähnliche Formationen, auch in Oberkrain der Zeit vom 6. Oktober bis 6. November 1944 in und im Küstenland; Letztere waren jedoch nicht die Polizeigefängnisse 230 Männer6 eingesperrt, mit jenen in Ljubljana verbunden. Die nationalso- von diesen dann 90 freigelassen. Hinter den Na- zialistischen Besatzer wollten keinen zu starken men der Übrigen steht mit Rotstift vermerkt, dass Zusammenschluss slowenischer Kräfte. Insge- sie nach Deutschland überführt wurden. In den samt waren in diesen Organisationen etwa 20.000 Ljubljanaer Gefängnissen warteten die Inhaftier- Männer organisiert. ten zwischen zwei Tagen und zwei Monaten auf In der Steiermark hingegen existierte keine solche eine Überstellung. Eine Freilassung erfolgte nur antirevolutionäre Organisation. Ab 1944 gab es auf Anordnung des Polizeidirektors, Dr. Hacin. lediglich ein Steirisches Kommando der Häufig waren auch hier auf dem Weg nach Tschetniks. Deutschland die Gefängnisse in Begunje eine Die gesamte Polizei in der Provinz Ljubljana Zwischenstation. So finden wir zum Beispiel den unterstand dem Höheren SS- und Polizeiführer des Zimmermaler Jože Vidergar (Nr. 3.255)7 in den 18. Wehrkreises. Listen der Ljubljanaer Gefängnisse, in den Listen In Ljubljana hatten der Kommandant des SD und von Begunje und auf der Transportliste nach der SiPo für Oberkrain ihre Außenstelle errichtet. Mauthausen.8 Genauso war Anton Kosmač aus Dieser Außenstelle war die slowenische Polizei Moravč, arretiert am 6. November 1944, am 16. mit Dr. Lovro Hacin an der Spitze untergeordnet. Dezember 1944 mit dem Transport nach In ihren Zuständigkeitsbereich fielen die Gefäng- nisse in Ljubljana, die voll waren mit Menschen, 4 NOSE, Aleš: Domobranci zdravo-Bog daj, Ljubljana die von einheimischen Mitarbeitern im Polizei- 2008, S. 227 5 MNZS, AŠ 57-59 dienst bei den Domobranci und deren Polizei 6 MNZS, AŠ 57 verhaftet worden waren. 7 Ebd. 8 FILIPIČ, France: Slovenci v Mauthausnu, Ljubljana 1998

56 Slowenien: Zwischen Oppression und Kollaboration

Deutschland geschickt worden (so steht es im Ende 1944 monatlich im Schnitt zu Verhaftungen Gefängnisbuch) bzw. kam am 19. Dezember 1944 von zehn ZivilistInnen und noch 1945 wurden 14 zunächst nach Begunje und dann ins Konzentra- Menschen nach ihrer Gefangennahme erschossen. tionslager Mauthausen.9 Kosmač starb am 22. Im Dezember 1944 entdeckten sie außerdem ein April 1945 und Vidergar am 12. März 1945, beide Partisanenkrankenhaus und erschossen mehrere in Mauthausen. Verletzte. 1944 waren in den Polizeigefängnissen in Ljublja- In den Gefängnissen von Begunje13 waren die na 1.916 Frauen interniert. Bis zum Februar 1945 Schutzpolizei sowie die Gestapo aktiv. Für jeden wurden diese Gefangenen massenhaft nach Häftling bekamen die Gefängnisse einen Einliefe- Deutschland geschickt (auch hier sind die Anga- rungsschein als Beleg.14 Mehrheitlich kamen sie ben mit Rotstift vermerkt). Manchmal ist dort zu aus den Außenstellen der Gestapo, des SD und der lesen, die Frauen seien zur Arbeit nach Deutsch- SiPo. Neben den persönlichen Angaben zu den land, ab März 1945 zum Arbeitseinsatz geschickt Gefangenen war auf diesen Scheinen auch ver- worden. merkt, wer sie verhaftet hatte; dies war in den Bis zum 4. Mai 1945 fanden in Ljubljana Verhaf- meisten dokumentierten Fällen entweder die tungen statt, und bereits einen Tag später zogen Gestapo, die Gendarmerie oder die Grenzpolizei. sich die Domobranci zurück und flohen nach Leider sind auf diesen Scheinen die Einheiten der Österreich. für die Verhaftung verantwortlichen Institutionen nicht vermerkt. Aus den Niederschriften der In den Gefängnisbüchern steht jedoch nur bei Kommission zur Feststellung der Verbrechen der einigen wenigen Gefangenen, dass die Verhaftung Okkupanten geht jedoch wiederholt deutlich von einer Einheit der Domobranci durchgeführt hervor, dass auch die Domobranci Menschen – worden war; ein solches Beispiel ist Marija entweder eigenständig oder gemeinsam mit der Zupančič, Nr. 1.232, laut Eintragung wurde sie Gestapo – verhafteten; diese kamen dann nach dann ins Deutsche Reich geschickt.10 Begunje. Die Gründe für eine Inhaftierung laute- Aus den Gerichtsgefängnissen überstellte man die ten meist: Mitarbeit in der Befreiungsfront, Mitar- Gefangenen sehr bald, meist nach zwei Tagen, in beit in der KP, Unterstützung von Banditen oder eines der anderen Gefängnisse.11 Hier sind als gar gefangen genommener Bandit... Auch das Akteure der Verhaftungen dennoch auch Mitglie- Urteil wurde schriftlich festgehalten. Dies lautete der der Domobranci notiert. Bis zum Sommer meist: „vor der politischen Strafkammer verurteilt zu …“ 1944 wurden auf diese Weise 1.860 Männer ver- 15 haftet. Die Strafkammer in Oberkrain tauchte in den Nach Durchsicht der Angaben gegenüber der Listen erstmalig am 26. Februar 1943 auf. Der Kommission zur Feststellung der Verbrechen der Angeklagte hatte während des Verfahrens auch 12 Okkupanten und ihren Helfern wird deutlich, einen Fürsprecher, einen Anwalt aus Radovljica. dass auch in Oberkrain Stützpunkte der Die Kosten des Gerichtsverfahrens hatten die Domobranci aktiv waren. Sie betätigten sich ört- Gefangenen selbst zu tragen. Diese politische lich innerhalb eines engen Radius; hauptsächlich Strafkammer verhängte sowohl Gefängnis- als waren sie als Wachmänner eingesetzt. In Aktion auch Todesstrafen. traten sie nur mit der Genehmigung der Sicher- Vorher war ein Sondergericht tätig gewesen, das heitspolizei, dieser bedurften sie ebenso bei Verhaf- vom Chef der Zivilverwaltung des besetzten Gebietes tungen, und nach dem Verhör mussten sie die Oberkrain und des slowenischen Kärntens am 29. Gefangenen umgehend der nächst gelegenen Juli 1941 gegründet worden war und das mit Hilfe Außenstelle der Gestapo übergeben. Durch die eines dreiköpfigen Gerichtssenats fungierte. Mitglieder des Stützpunkts der Domobranci in Domžale, der etwa 120 Mitglieder zählte, kam es Die Mehrheit der vor dieses Gericht gestellten Personen wurde zu einer Gefängnisstrafe bis zu

9 Ebd. 10 MNZS, AŠ 59 13 Gorenjski muzej, Begunjske zaporne knjige 11 MNZS, AŠ 58 14 MNZS, AŠ 55 und 56 12 ARS II, KUZ, Akte 906 15 MNZS, AŠ 55-56.

57 Monika Kokalj‐Kočevar

20 Jahren verurteilt. Es konnte jedoch auch pas- April 1944 zehn junge Frauen ins KZ Ra- sieren, dass die Strafe herabgesetzt oder gar voll- vensbrück… Diese grausamen Prozederen wie- ständig erlassen wurde (so gab es zum Beispiel derholten sich am 7. April 1944, am 29. April jährlich anlässlich des Geburtstages von Adolf 1944, am 10. Mai 1944 usw. bis zum Kriegsende. Hitler eine bestimmte Anzahl von Begnadigun- Am 6. November 1944 kam aus Ljubljana eine gen). Gefangen genommene Partisanen wurden in große Gruppe von 239 Gefangenen nach der Regel zum Tode verurteilt. Es kam aber auch Begunje, die zur Zwangsarbeit nach Salzburg zu Strafversetzungen von Partisanen in die Deut- weiter geschickt wurden. Im Jahr 1944 waren sche Wehrmacht oder zu den Domobranci. So wur- insgesamt 1.196 Personen aus Ljubljana nach de zum Beispiel Erzar Lovrenc aus Pšenične Begunje gebracht worden. Police am 24. April 1944 aus Begunje entlassen, Auch diejenigen, die sich auf einer Liste der zur jedoch bei Brezje von den Domobranci aus Erschießung verurteilten Geiseln befanden, wur- Cerkelj verhaftet und ermordet.16 den mitunter aufgrund von undurchsichtigen Wie bereits erwähnt, wurden sehr viele Gefangene „Zufällen“ weiter ins KZ Mauthausen geschickt, in nationalsozialistische Konzentrationslager so zum Beispiel Jože Vraničar aus Loke und Aleš geschickt. Ins KZ Mauthausen kamen 892 Men- Jelenc aus Dražgoš.17 schen. Der erste der zahlreichen Transporte aus

Begunje verließ das besetzte Slowenien im August

1941. Am 20. April 1942 wurden im KZ Mauthausen 49 Die deutschen Besatzungsorgane hatten – wie Häftlinge aus den Gefängnissen von Begunje dargelegt – während des Krieges gezielt und äu- ßerst durchdacht verschiedene Netze geknüpft, erschossen. Mit dem Hinweis „Als KL Häftling auf den Loibl überstellt“ ging 1945 ein Transport mit 55 zu unterschiedlichen Zwecken. Zu nennen sind Gefangenen ins Außenlager Loiblpass. beispielhaft: das Organisationsnetz zur Germani- sierung der Bevölkerung, das Netz von militäri- Gefängnishäftlinge kamen aber auch nach Da- schen Einheiten, die mit Hilfe einheimischer chau, Ravensbrück, Sachsenhausen, Flossenbürg UnterstützerInnen alle Widerstandsorganisationen und Auschwitz. Manchmal verliefen solche Rou- gnadenlos verfolgten. Fügen wir noch die weite- ten jedoch auch in eine umgekehrte Richtung, ren Besatzungsorgane hinzu, so wird deutlich, nämlich aus Dachau, Natzweiler, Auschwitz und dass in den besetzten Gebieten Sloweniens ein Mauthausen zurück ins Gefängnis. So wurden dichtes, nahezu undurchdringliches Netz von neun Gefangene aus Begunje, die einen Tag vor- Gewalt und Terror entstanden war. Auch 70 Jahre her aus Mauthausen angekommen waren, am 31. nach Kriegsbeginn sind die Erinnerungen der Jänner 1944 in Šentvid als Geiseln erschossen. Überlebenden an diese entscheidenden Jahre Zurückgeschickt aus Mauthausen nach Begunje, noch sehr lebendig, und es gibt außerdem Objek- wurden zwölf weitere Häftlinge und per Ge- te aus dieser Zeit, die für sich sprechen. richtsbeschluss zur Zwangsarbeit in die National- politische Erziehungsanstalt in Šentvid geschickt.

1944 war es beinahe die Regel, dass Häftlinge aus den Gefängnissen in Ljubljana über Begunje ins KZ Mauthausen überstellt wurden. Am 17. Jänner 1944 beispielsweise traf es eine Gruppe von 53 Personen, die aus diesen Gefängnissen nach Mau- thausen geschickt wurden; 49 von ihnen starben dort durch Erschießung. Am 8. März war es eine weitere Gruppe von 34 Menschen, die von Ljubl- jana nach Mauthausen überstellt wurde, am 15.

17 Cveto Kobal, Interview 2006, Kopie im Besitz des 16 AS, KUZ, Akte 42, g-2042. MNZS.

58 Die Gaskammer von Hartheim im Netzwerk des Terrors

Jean‐Marie Winkler Die Gaskammer von Hartheim im Netzwerk des Terrors Von der NS‐Euthanasie zum Holocaust

Die Gaskammer in Schloss Hartheim, unweit von Selektionen durch die Ärztekommission wurden Linz, nahe Alkoven an der Donau, steht histo- die PatientInnen aus den Anstalten nach risch gesehen in verschiedenen Netzwerken des Hartheim zur Vergasung gebracht. Manche von Terrors an entscheidender Stelle. Ab 1940 diente ihnen wurden in Bussen direkt nach Hartheim die sogenannte Anstalt C neben den anderen fünf gefahren, andere in Niedernhart eingeliefert, wo Euthanasie-Instituten zur planmäßigen Tötung der sie auf den Weitertransport nach Hartheim warte- Kranken und Behinderten aus der Ostmark. In ten – oder vor Ort durch Injektionen umgebracht einem Brief an einen Kollegen, der zu jener Zeit wurden, wobei Letzteres in der „Hartheimer mit der Waffen-SS in Norwegen eingerückt war, Statistik“ nicht geführt werden sollte, die sich schrieb der deutsche Psychiater Dr. Fritz lediglich auf die Opfer in den Gaskammern be- Mennecke am 29. Juni 1940 Folgendes: schränkt. „Was mich selbst betrifft, so wird es mir leider nicht Als organisierte Geheimaktion nimmt die NS- mehr vergönnt sein, an irgend einer äußeren Front die Euthanasie die äußere Form eines wahren Netz- ‚letzte Rate‘ des Krieges mitzuerleben, so wie ich die werks des Terrors an: Unter der Leitung der T4- ‚erste Rate‘ mitmachen konnte. Ich bin zum Zwecke Zentrale und der Kanzlei des Führers entsteht eine einer wichtigen Sonderaufgabe durch die Adjutantur des administrative Vernetzung aller Anstalten des Führers aus dem Führerhauptquartier u.-k. gestellt Reichs, mit Versand von Formularen, die auszufül- worden, so daß die nach dem 10.5. [1940] erfolgte len und zurückzuschicken sind. Jeweils vier Be- Aufhebung meiner U.-K.-Stellung nun wieder rückgän- gutachtungen, die auf eine unheilbare Erkrankung gig geworden ist. Im Rahmen dieser ‚Sonderaufgabe‘ war hindeuten, entsprechen dem sicheren Tod in einer ich vom 4.6. [1940] bis gestern (3 ½ Wochen) mit der Gaskammern der geheimen Reichssache. Damit einer Kommission aus der Kanzlei des Führers Berlin in die Geheimhaltung der Tötungen nicht gefährdet der Ostmark. Unsere Aktion umfasste fast alle ost- wird, tauschen die verschiedenen „Heilanstalten“ märkischen Anstalten, es ging von Oberdonau über die Sterbeurkunden untereinander aus. Die Niederdonau (Wien), Steiermark, Kärnten nach Salz- Hartheimer Opfer sind offiziell nach kurzer, burg. Ich schrieb Ihnen eine Karte, die Sie wohl noch schwerer Erkrankung im fernen Thüringen ge- nicht erhalten haben. Den Sinn der Sonderaufgabe storben. Zur Vorbeugung von Seuchen seien die erfahren Sie später, da es sich vorläufig noch um eine Opfer dort eingeäschert worden, die Familie ‚geheime Reichssache‘ handelt.“ 1 könne jedoch auf Anforderung die Aschenurne Hinter den Begriffen Sonderaufgabe und geheime zugeschickt bekommen. Auf den offiziellen Bestä- Reichssache steht der planmäßige Patientenmord tigungen der Einlieferung in die „Heilanstalt“ (Codename Aktion T4 2), der zwischen 1940 und steht der amtliche Vermerk, Besuche seien jeweils 1941 laut einer anonymen T4-Statistik3 mehr als 14 Tage vorher anzumelden. Dies um zu vermei- 70.000 Menschen das Leben kostete.4 Nach den den, dass Familienangehörige ihre Bekannten besuchen kommen, die in Wirklichkeit mehrere

1 Friedrich Mennecke. Innenansichten eines medizinischen hundert Kilometer entfernt zu finden wären – Täters im Nationalsozialismus. Eine Edition seiner Briefe. wenn sie nicht bereits ermordet wurden. Die Bearbeitet von Peter Chroust, Forschungsberichte des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Band 1, Ham- Bürokratie der T4-Zentrale stellt nämlich Todes- burg 1998. Dok. 51, S.159 scheine mit einem fingierten späteren Todesda- 2 Der Sitz der Zentrale in Berlin war in der Tiergarten- straße 4, deshalb die Abkürzung T4. tum aus, wobei die „Heilanstalten“ für den Zeit- 3 D.h. die sogenannte „Hartheimer Statistik“, die 1945 von raum zwischen der realen Ermordung und dem Major Dameron entdeckt wurde. 4 Vgl. KEPPLINGER, Brigitte/MARCKHGOTT, Gerhart/ amtlichen Todestag (manchmal mehrere Wochen) REESE, Hartmut (Hg.): Tötungsanstalt Hartheim, Ober- die gesetzlichen Kostenzuschüsse zur vermeintli- österreich in der Zeit des Nationalsozialismus, Band 3, 2. erw. Ausgabe, Oberösterreichisches Landesarchiv, Linz chen Pflege der Patienten einkassieren. Nach der 2008

59 Jean‐Marie Winkler

Bombardierung der Berliner Zentrale wird die T4 Maßnahmen im Sommer 1941 nicht mehr ganz anschließend nach Hartheim verlegt, wo auch die geheim waren und bei bestimmten Teilen der gesamten Akten untergebracht werden. Dazu reichsdeutschen Bevölkerung auf Missbilligung stie- später mehr (siehe unten: Ziereis). ßen. Dies mag auch erklären, warum die soge- nannte Euthanasie niemals zum Gesetz wurde, wie dies Dr. Mennecke irrtümlicher Weise in seinem Die Verknüpfung zwischen dem Netzwerk der T4 Brief aus dem Jahr 1940 andeutete, indem er und dem Netzwerk der Konzentrationslager er- schrieb, die Sache sei „vorläufig“ noch geheim. Es folgte in mehreren Schritten. Eigenartiger Weise ist zudem erwiesen, dass die NS-Euthanasie auch wurden die Standorte der Tötungsanstalten derge- nach dem sogenannten Euthanasie-Stopp weiter- stalt ausgesucht, dass jeweils ein Konzentrations- ging, und zwar in den Anstalten, als „wilde Eutha- lager in unmittelbarer Nähe zu finden war: z.B. nasie“. Der Übergang von T4 zu 14f13 entspricht Bernburg unweit von Buchenwald, Hartheim konkret der Tatsache, dass die T4-Gaskammern unweit von Mauthausen. In Sachen Mauthausen ab 1941 den Konzentrationslagern zur Verfügung ist erwiesen, dass sowohl der Lagerführer Ziereis gestellt wurden, um dort KZ-Häftlinge umzu- als auch der SS-Lagerarzt Dr. Krebsbach die bringen. Die nach dem Euthanasie-Stopp freige- Hartheimer Vergasungen mit Interesse verfolgten. wordene Tötungskapazität wurde demzufolge in Es bestand die Möglichkeit, vom Arkadenhof aus den Dienst anderer Tötungsaktionen gestellt. Für durch ein Guckloch in die Gaskammer zu sehen, die Jahre 1941 und 1942 ist erwiesen, dass die was Anlass zu regelrechten Vorführungen war, Ärztekommissionen der Aktion T4 in die Kon- denen die Granden des Regimes beiwohnen zentrationslager geschickt wurden, wo sie nun konnten. Ziereis gab auf dem Sterbebett zu Pro- Häftlinge selektierten, die für die Gaskammer tokoll, die Idee, in Mauthausen eine Gaskammer bestimmt waren. Anhand der Korrespondenz des errichten zu lassen, gehe auf den SS-Lagerarzt Dr. Dr. Mennecke, die erhalten ist, lässt sich die Rei- Krebsbach zurück, nachdem dieser in Hartheim seroute dieser medizinischen „Experten“ rekon- Vergasungen beigewohnt habe. Die Gaskammer struieren.5 Nach der Selektion wurden die Melde- in Mauthausen wurde ab dem Sommer 1941 bögen anfangs noch nach Berlin geschickt. Die gebaut und erst im Frühjahr 1942 in Betrieb ge- Häftlinge wurden mit Bussen in die verschiedenen nommen, was z.B. erklärt, warum in der Mau- „Heilanstalten“ verfrachtet, wo sie vergast wur- thausener Gaskammer Zyklon B benutzt wurde den. Für Mauthausen war dies ab August 1941 der (d.h. dass diese neuerer Bauart war), während die Fall. Der amtliche Diskurs spricht von „Invaliden- Gaskammer in Hartheim (älterer Bauart, weil transporten“ oder von „arbeitsunfähigen“ oder „unheil- ehemalige T4-Gaskammer) mit Kohlenmonoxid bar kranken“ Häftlingen, die selektiert wurden, „arbeitete“. Vor Anfang 1942 verfügte Mauthau- und stellt somit eine Kontinuität zwischen T4 und sen also über keine eigene Gaskammer. 14f13 her. HistorikerInnen sind sich darüber nicht

einig, ob rein medizinische Kriterien6 zur Selekti- Die eigentliche Verknüpfung zwischen T4 und on der Häftlinge herangezogen wurden. Aus der den Konzentrationslagern erfolgte im Sommer

1941 unter dem Codenamen 14f13. Am 24. Au- 5 Siehe LEY, Astrid: Die „Aktion 14f13“ in den Konzentra- gust 1941 wurde von Berlin aus der sogenannte tionslagern. In: MORSCH, Günter/PERZ, Bertrand (Hg.): Neue Studien zu nationalsozialistischen Massentötungen Euthanasie-Stopp verhängt und die Aktion T4 offi- durch Giftgas. Historische Bedeutung, technische Ent- ziell eingestellt. Es bleibt unklar, ob dieser amtli- wicklung, revisionistische Leugnung, Berlin 2011, S. 231- che Euthanasie-Stopp auf das Wirken der Kirchen 243 6 Aus den Selektionen in Dachau, die 1941 stattfanden, zurückgeht (z.B. Bischof von Galen) oder ob die während die Transporte erst 1942 anfingen, ist bekannt, Aktion deshalb eingestellt wurde, weil die ange- dass einige Häftlinge zum Datum des Abtransports wieder gesund bzw. arbeitsfähig waren. Sie wurden trotzdem mit strebten Zahlen (70.000 Opfer) im Sommer 1941 dem „Invalidentransport“ nach Hartheim gebracht. Anderen erreicht worden waren. Ein weiterer Grund könn- Zeitzeugenberichten zufolge sollen neben den gebrechli- chen und arbeitsunfähigen älteren Häftlingen auch ge- te darin liegen, dass das NS-Regime nach dem sunde junge Männer ausgesucht worden sein. Unter den in Angriff auf die Sowjetunion andere Prioritäten Hartheim ermordeten reichsdeutschen Häftlingen findet man einen nicht unbedeutenden Anteil an Asozialen bzw. Zigeu- hatte. Wobei die sogenannten Euthanasie- nern und Berufsverbrechern.

60 Die Gaskammer von Hartheim im Netzwerk des Terrors

Korrespondenz des Dr. Mennecke geht hervor, durch SS-Offiziere hingegen konnte im Sommer dass die jüdischen Häftlinge nicht weiter unter- 1944 nahezu unbemerkt durchgeführt werden. sucht werden mussten. Es genügte, den Grund Rein administrativ gesehen bedeutet 14f13, dass ihrer Verhaftung auf den Meldebogen zu übertra- die Verwaltung der Massentötungen durch Gift- gen. Auch die Haltung der Häftlinge im Lager war gas nun den einzelnen Konzentrationslagern ein möglicher Grund, für einen sogenannten obliegt und nicht mehr der T4-Zentrale in Berlin. „Invalidentransport“ selektiert zu werden. Im Falle Darin steckt jedoch eine administrative Quadratur eines selektierenden Arztes, der auch SS-Offizier des Kreises, denn die Genauigkeit der NS- war, und je nachdem einen weißen Ärztekittel Buchführung, wie sie für die Lager zutrifft, ver- oder die SS-Uniform trug, bleibt die rein medizi- langt, dass man Morde registriert, die offiziell nische Dimension dieser Häftlings-Selektionen nicht stattgefunden haben, da es sich um eine zumindest fragwürdig. Die Aktion 14f13 blieb geheime Reichssache handelt.8 Serge Choumoff hat in ebenso geheime Reichsache wie die Aktion T4, was seinen Studien bereits bewiesen, dass die Trans- deutlich aus den Telegrammen hervorgeht, die an porte vom Lager zur Tötungsanstalt sowie die die verschiedenen Lagerkommandanten ausgin- anschließenden Registrierungen der Todesfälle in gen, um ihnen die Ankunft einer Expertenkom- der Buchführung des Lagers formale Anzeichen mission anzukündigen. Ebenso aus der Korres- für Verbrechen waren, die entweder geleugnet pondenz zwischen den Lagern und den Tötungs- oder vertuscht werden sollten. Die Präzision der anstalten, etwa zwischen Buchenwald und Bern- NS-Buchführung hält hier das Netzwerk des burg, worauf der Vermerk „geheim“ oder „geheime Terrors schriftlich fest, selbst wenn die Codena- Reichssache“ erschien. Die Hartheimer Ärzte Dr. men wiederum als Tarnungen fungieren sollen: Lonauer und Dr. Renno fuhren 1941 mehrmals 14f deutet auf Tod 14f13 durch Vergasung; offizi- zu Selektionen nach Mauthausen7 und nach Gu- ell gingen die „Invalidentransporte“ in ein „Sanatori- sen – was Dr. Renno bestritt, was jedoch u.a. aus um“, ja in das „Häftlingssanatorium Dachau“ 9, spä- den Zeugenaussagen der ehemaligen Häftlinge ter in ein „Erholungslager“. Wären diese Häftlinge – Casimir Climent-Sarrion, Juan de Diego und ähnlich wie diejenigen bei der Aktion K – in Mau- Stanislaw Nogaj deutlich hervorgeht. thausen selbst umgebracht worden, so wären sie Die Vernetzung der T4-Tötungsanstalten mit den zusammen mit den anderen „Verstorbenen“ oder Konzentrationslagern hat zur Folge, dass die „Entlassenen“ geführt worden, und man könnte Verwaltung der Konzentrationslager in den Ver- dieser Spur der Verbrechen im Einzelnen nicht nichtungsapparat mit einbezogen wird. Im Laufe mehr nachgehen. Gerade die Vernetzung von T4- der Zeit übernehmen zunehmend die SS-Ärzte Tötungsorten und einer Vernichtungsaktion im die Selektionen, ja sogar der Lagerkommandant Dienste der Konzentrationslager hat in Form von selbst, wodurch die Anwesenheit einer Ärzte- Transportlisten administrative Spuren hinterlas- kommission von außen spätestens ab 1942 nicht sen. Wodurch die Namen der Opfer zu erfassen mehr notwendig wird. Die Selektionen verlagern sind, insofern die Transportlisten erhalten sind. sich zudem ins Revier, wodurch diese von den Dies gilt auch für 14f13- Transporte vom realen übrigen Häftlingen nicht mehr wahrgenommen Dachau nach Hartheim. werden. Ebenso kompliziert ist vom administrativen Eine Selektion von 2.000 Häftlingen auf dem Standpunkt her die Registrierung der Todesfälle. Appellplatz in Gusen im Frühsommer 1941 konn- Im Falle eines Transports in das vermeintliche te im Lager wohl nicht lange geheim gehalten werden. Eine nächtliche Selektion von 70 bis 80 8 Vgl. WINKLER, Jean-Marie: Gazage de concentration- naires au château de Hartheim. L’ «action 14f13» en Au- Häftlingen im Revier durch den Lagerarzt oder triche annexée. Nouvelles recherches sur la comptabilité de la mort. Collection «Ces Oubliés de l’Histoire», Paris 2010. Insbesondere das Kapitel: „Erreurs comptables et Incohé- rences. Comment les documents nazis dévoilent ce qu’ils 7 Vgl. BAUMGARTNER, Andreas: „Die Kranken sind dann veulent dissimuler“, S. 63-86 vergast worden.“ Die Ermordung von KZ-Häftlingen in 9 Die Transportlisten von Gusen in das „Häftlingssanatorium Hartheim. In: Wert des Lebens. Gedenken. Lernen. Be- Dachau“ wurden nach der Befreiung von Casimir Climent- greifen. Begleitkatalog zur Ausstellung des Landes Ober- Sarrion sichergestellt und dienten zur Anklage in Nach- österreich in Schloss Hartheim 2003, S. 74-79 kriegsprozessen.

61 Jean‐Marie Winkler

„Häftlingssanatorium Dachau“ wären die Todesfälle Beim Begriff „Netzwerk des Terrors“ denkt man durch das reale Konzentrationslager Dachau zu unweigerlich an den Holocaust. Man wird ein- behandeln und zu registrieren gewesen. Von wenden können, weder Mauthausen noch diesen Transporten fehlt in Dachau aber jede Hartheim als solche seien als Produkt der Endlö- Spur, was darauf hindeutet, dass das Ziel fiktiv sung entstanden. Dies mag stimmen, doch ist die war. Gäbe es nicht die akribische Genauigkeit der Sachlage auch in diesem Punkt komplizierter. Der NS-Buchführung, so würde sich die Spur jener Übergang von T4 zum Holocaust erfolgt ab Transporte10 nicht weiter verfolgen lassen. Nach- 1941/1942, als die Belegschaften der Tötungsan- dem die Todesfälle (d.h. die Vergasungen in stalten in der Aktion Reinhard eingesetzt wurden. Hartheim) der mathematischen Exaktheit wegen Aus Hartheim stammten die Leiter und das füh- irgendwie registriert werden sollten, war die Mau- rende Personal der Vernichtungslager Belzec, thausener „Buchhaltung“ durch die Politische Abtei- Sobibor und Treblinka – was zur Folge hatte, dass lung dafür zuständig. Was dazu führte, dass Häft- einige der Vernichtungslager im Osten nicht zum linge, die vermeintlich nach Dachau überführt moderneren Zyklon B übergingen, sondern wei- worden waren, anschließend als in Mauthausen terhin Kohlenmonoxid benutzten. Franz Stangl verstorben gemeldet wurden. Dies kommt daher, soll beim Anblick der neu errichteten Gaskammer dass eine externe Todesmaschinerie (die Gas- in Sobibor gesagt haben, er habe sofort gewusst, kammer in Hartheim) in der internen Buchfüh- worum es sich handelte, denn dieser Raum habe rung des Lagers registriert werden sollte. Anhand ähnlich ausgesehen wie die Gaskammer in dieser administrativen Unstimmigkeiten konnte Hartheim. Franz Stangl und andere stehen für Serge Choumoff die Existenz einer Tötungsan- jene Massenmörder des Holocaust, die in stalt beweisen, die sich hinter dem Codenamen Hartheim ausgebildet wurden. Die „Schule der „Sanatorium Dachau“ verbirgt. Um die Spuren Mörder“, so Simon Wiesenthal. Der Bezug von möglichst zu verwischen, hatte die Mauthausener Mauthausen zum Holocaust lässt sich ebenfalls Buchführung des Todes im Falle 14f13 die Me- herstellen. Nicht von Anfang an, denn es steht thoden der T4 übernommen. Die Todesfälle fest, dass das 1938 errichtete Konzentrationslager erhielten eine natürliche Ursache und wurden erst Mauthausen für politische Häftlinge bestimmt war mehrere Wochen, ja mehrere Monate nach der – was aus der Zusammensetzung der Häftlinge realen Ermordung registriert. Eine wahrheitsge- und deren Herkunft deutlich hervorgeht. In der treue Registrierung hätte in der Mauthausener letzten Phase des Lagers (etwa ab Mitte 1944) Buchführung paradoxer Weise eben jene Morde erfolgte jedoch eine grundlegende Veränderung dokumentiert, die im Rahmen einer geheimen innerhalb der Bevölkerung des Lagers: die mas- Reichssache vertuscht, ja geleugnet werden sollten. senhafte Ankunft der „ungarischen Juden“ (so die Somit wurden die Todestransporte erst im Nach- NS-Kategorisierung) stellte Mauthausen faktisch hinein registriert und die Listen in Form von in den Dienst des Holocaust. Ebenso die spätere Namensgruppen (zwischen 10 und 30 Namen pro Ankunft der Evakuierungsmärsche aus den Ver- Tag) allmählich in die Veränderungsmeldungen nichtungslagern, etwa mit den Transporten aus eingetragen. Einziges Anzeichen für diese fingier- Auschwitz Anfang 1945, womit der Holocaust in te Buchführung: Die Opfer starben in alphabeti- Mauthausen bis Anfang Mai 1945 weiterging, scher Reihenfolge, was bereits der Häftlingsfunk- während Ausschwitz und die anderen Vernich- tionär Stanislaw Nogaj bemerkt hatte, als er die tungslager im Osten nicht mehr in Funktion wa- Namen der Verstorbenen aufschreiben musste, ren. Die Gaskammer in Mauthausen diente bis die man ihm jeden Tag telefonisch durchgab. zum Schluss zur Ermordung der Kranken aus dem Revier, wobei sehr viele dieser Opfer Juden waren, welche die Evakuierungen überlebt hatten. Die erhaltenen Dokumente des Häftlingsarztes 11 10 Es gibt in der Tat Transporte aus Konzentrationslagern, Dr. Zoltan Klar , der als „ungarischer Jude“ im von denen nach dem Abgang jede Spur fehlt. Etwa bei Evakuierungstransporten aus Dora-Mittelbau im März/April 1945. In diesem Fall wurden auch keine To- 11 Vgl. WINKLER (2010), S. 281-338: «Les archives clandes- desmeldungen mehr aufgestellt. tines du Dr Zoltan Klar».

62 Die Gaskammer von Hartheim im Netzwerk des Terrors

Block 6 des Reviers, dem sogenannten Judenblock, von A (Vilmos Abisch, „ungarischer Jude“) bis F tätig war, liefern ein beeindruckendes Bild der (Kalman Friedmann, „ungarischer Jude“). Der ord- Zustände in Mauthausen Anfang 1945. nungsgemäß am Ende der Liste stehende sowjeti- Diese historischen Tatsachen sind weitgehend sche Kriegsgefangene (Wasilij Westrikis) gehört erforscht. Weniger bekannt ist die Vernetzung mit dem Anfangsbuchstaben „W“ alphabetisch von 14f13 mit dem Holocaust. Das heißt: Inwie- gesehen zum ersten Namensblock. Die Namen fern wurden jüdische Häftlinge aus Mauthausen der am 20. Dezember registrierten „ungarischen und den Außenlagern in Hartheim umgebracht, Juden“ reichen somit von A bis F (insgesamt 20 und in welchem Zusammenhang stehen diese Namen). Auf dem darauf folgenden Zettel vom Morde mit der sogenannten Endlösung? Beim 21. Dezember 1944 stehen 36 Namen, allesamt Betrachten der Todesmeldungen aus dem Jahr „ungarische Juden“ mit Anfangsbuchstaben von F 1944 mit der Überschrift „verstorben im Erholungsla- (Leo Friedmann) bis N (Hermann Noe). Und auf ger“ fällt auf, dass die „ungarischen Juden“ neben den dem darauf folgenden Blatt vom 22. Dezember sowjetischen Kriegsgefangenen zahlreiche Opfer 1944 stehen 24 Namen, allesamt „ungarische Juden“ zählen.12 Allein die Tatsache, dass aus Ungarn von N (Moric Noti) bis W (Rudolf Weiss). Da- nach Mauthausen deportierte Juden 1944 in durch, dass die Namen der „ungarischen Juden“ Hartheim vergast wurden, stellt den faktischen einander in exakter alphabetischer Reihenfolge Bezug zum Holocaust her. Im Einzelnen lassen folgen, wird sichtbar, dass es sich hier um einen sich administrative Spuren dieser Vernetzung Todestransport von Gusen nach Hartheim ge- auffinden. Betrachtet man die amtlichen Todes- handelt haben muss, der aller Wahrscheinlichkeit meldungen vom 20. bis zum 22. Dezember 1944, nach aus rund 80 „ungarischen Juden“ bestand und so fällt auf, dass bis auf sechs Häftlinge auf diesen dessen Registrierung auf drei Tage verteilt wurde. drei Blättern alle als „ungarische Juden“ kategorisiert Ein zusätzliches Mittel zur Tarnung war die um- sind. gekehrte alphabetische Reihenfolge auf dem Zet- tel vom 20. Dezember, von F bis A – und nicht Die tägliche Todesmeldung vom 21. Dezember etwa von A bis F. Sonst wäre nämlich der letzte besteht aus 36 „ungarischen Juden“, jene vom 22. Nachname auf der Liste (Friedmann) mit dem Dezember aus 31 „ungarischen Juden“. Am 20. De- ersten auf der folgenden Liste (ebenfalls Fried- zember findet man 24 „ungarische Juden“ auf der mann) identisch gewesen, wodurch die administ- Todesmeldung. Betrachtet man die alphabetische rative Konstruktion offensichtlicher geworden Reihenfolge der Registrierungen, so fällt auf, dass wäre. Eine gezielt selektierte Gruppe von 80 die Todesmeldung vom 20. Dezember eigentlich „ungarischen Juden“, die für die Gaskammer in aus zwei Namensblöcken besteht: einem Na- Hartheim bestimmt war, erscheint aus heutigem mensblock von O (Jerzy Olszewski, „polnischer Gesichtspunkt durchaus als Bestandteil des Holo- Schutzhäftling“) bis W (Jakub Wortsmann, „polni- caust. Anhand der Häftlingsnummern lässt sich scher Jude“) – und einem zweiten Namensblock dank Hans Maršálek rekonstruieren, dass jene „ungarischen Juden“ am 28. Mai 1944 bzw. am. 8., 12 Vgl. WINKLER (2010), S. 235-338: «Liste alphabétique 13. und 19. Juni 1944 aus dem KL Auschwitz des convois vers Hartheim en provenance du Sanitätslager. ‘Liste polonaise’ 1944 ou 1945». Die darin abgedruckte, nach Mauthausen transportiert worden waren. Es unvollständige Liste der 14f13-Opfer des Sommers 1944 ist selbst anhand der neulich von uns entdecken umfasst mehr als 1.000 erhaltene Namen unter den 2.394 13 Häftlingen, die laut diesem Dokument vom Mauthausener Materialien nicht möglich, das reale Todesdatum Revier nach Hartheim überstellt wurden. Die „polnischen dieser Häftlinge aus Gusen zu bestimmen. Juden“ oder „ungarischen Juden“ machen darin knapp 100 Namen aus (ca. 10%), was angesichts der Vielfalt der in Aus einem Vergleich mit amtlichen Todesmel- den Opferlisten vertretenen Nationalitäten nicht unbe- dungen von Dezember 1944, die Häftlinge aus deutend ist. Eine weitere Zielgruppe sind die Sowjetrussen (entweder als Zwangsarbeiter oder als Kriegsgefangene). dem Mauthausener Revier betreffen und für die Die „Schutzhäftlinge“ aus ganz Europa bilden auch im jeweils ein genaues Todesdatum bestimmt werden Sommer 1944 die Mehrheit der in Hartheim ermordeten Häftlinge aus Mauthausen. Insofern ist dieses Bild nicht kann, geht jedoch hervor, dass diese 80 „ungari- typisch für den Holocaust, der zudem andere Größenord- schen Juden“ aus dem Außenlager Gusen aller nungen annahm und im Zuge dessen nach dem Abtrans- port in die Vernichtungslager bekanntlich keine Listen mehr entstanden. 13 WINKLER (2010), S. 235-338

63 Jean‐Marie Winkler

Wahrscheinlichkeit nach im August 1944 in seinen Namen nannten. Dr. Renno leugnete Hartheim umgebracht worden waren. Ihre De- ebenso konsequent, unmittelbar vor dem Euthana- portation führte sie nach Auschwitz und endete in sie-Stopp in Hartheim gewesen zu sein. Er habe im Hartheim, nach Zwischenstationen in Mauthau- Juli 1941 seinen regulären Diensturlaub gehabt, sen und Gusen, wodurch die Vernetzung der doch habe ihn eine Darmgrippe daran gehindert, Tötungsmaschinerien erkennbar ist. seinen Dienst wieder anzutreten, sodass er erst am Tag des Euthanasie-Stopps wieder in Hartheim gewesen sei. Von Häftlingstransporten soll er Auch der allererste Transport von Häftlingen aus nichts gewusst haben, und sowieso habe er einen Mauthausen, die in Hartheim vergast wurden14, solchen ins Lager zurückgeschickt, als dieser in wirft Fragen auf und beleuchtet die Problematik Hartheim eingetroffen sei. Ob ihm die Richter eines Netzwerks des Terrors. Am 11. August damals diese Geschichte glaubten, bleibt unge- 1941 wurden 70 allesamt jüdische Häftlinge in klärt. Der Prozess wurde 1970 eingestellt, da der Hartheim umgebracht. Die Transportlisten sind Angeklagte vernehmungsunfähig gesprochen erhalten, ebenso die Eintragungen im Verände- wurde. Das ansonsten lückenhafte Gedächtnis des rungsbuch des KL Mauthausen. Zunächst bleibt Dr. med. Georg Renno, dem seine Kollegen akute zu bemerken, dass jener Transport vom 11. Au- Gehirndurchblutungsprobleme bescheinigten, gust 1941 noch vor dem offiziellen Euthanasie- konnte sich also knapp dreißig Jahre danach an Stopp liegt. Es wäre somit historisch gesehen eine sommerliche Darmgrippe im August 1941 falsch zu behaupten, 14f13 habe T4 abgelöst. Als erinnern. Ein für ihn wohl glücklicher Zufall, der erste Transport von Häftlingen in Hartheim denn sonst wäre vor Gericht aufgekommen, dass vergast wurde, war die NS-Euthanasie offiziell womöglich Dr. Renno den Gashahn drehte, als noch nicht eingestellt worden. Fügt man hinzu, am 11. August 1941 ein Transport von 70 jüdi- dass Selektionen der Ärzte-Kommission in Mau- schen Häftlingen in Hartheim vergast wurde. Was thausen und Gusen bereits für Juni 1941 belegt sogar den Holocaust vorwegnehmen könnte, und sind, so erscheinen T4 und 14f13 in diesem Fall zwar mehrere Monate vor der Wannseer Konfe- als zeitgleich. Bei seinem Nachkriegsprozess gab renz im Januar 1942. Dr. Georg Renno, stellvertretender Leiter der Tötungsanstalt Hartheim, zu Protokoll, er habe Betrachtet man die erhaltene Transportliste vom selbst den telefonischen Befehl vom Euthanasie- 11. August 1941 genauer, so fällt auf, dass es sich Stopp erhalten und den eben ankommenden bei den darin als „Juden“ geführten Häftlingen in Transport von Häftlingen aus Mauthausen ins der Mehrzahl um holländische Aktivisten handelt, Lager zurückgeschickt. Danach habe er die Tö- die nach dem Generalstreik im Februar 1941 in tungsräume bis zum Kriegsende nicht mehr betre- Amsterdam und anderen Städten verhaftet und ten, und – so fügte er hinzu – die Euthanasie habe über die Lager Schoorl und Buchenwald nach ja seines Wissens nicht wieder eingesetzt. Die Mauthausen transportiert worden waren. Von den Leugnung der Morde an den Häftlingen durch ursprünglich 400 trafen 368 im Juni 1941 in Mau- den NS-Massenmörder beruht auf dem Negieren thausen ein. Der politische Terror über Europa der Netzwerke und deren Zusammenhänge: die führte zur Deportation jener holländischen Akti- „ausgebrannten, seelenlosen Hülsen“ (Zitat Dr. Renno) visten, die von Gauleiter Eigruber als Kommunis- der Behinderten habe man lediglich von einem ten dargestellt wurden, und als „Juden“ den sym- „lebensunwerten“ Dasein erlöst, worauf der Kinder- bolischen Auftakt zu 14f13 in Hartheim lieferten. arzt Dr. Renno bis zum seinem natürlichen Tod Auch dies eine Vernetzung des Terrors, über die im Jahr 1997 beharrte. Doch leugnete er konse- Grenzen und über die Kategorien hinweg. Die quenter Weise, in Hartheim KZ-Häftlinge vergast HistorikerInnen und Hartheim-ExpertInnen zu haben, trotz der Zeugenaussagen von Casimir hatten vermerkt, der erste Häftlingstransport nach Climent-Sarrion und Juan de Diego, welche beide Hartheim habe aus 70 meist holländischen Juden bestanden. Denn unter den 70 „Juden“ befanden sich auch einzelne Häftlinge, die nicht zur Ziel- 14 Vgl. WINKLER (2010), S. 51-62: «La Shoah avant la Shoah. Le premier convoi de concentrationnaires pour gruppe der holländischen Aktivisten gehörten. Hartheim (11 août 1941)».

64 Die Gaskammer von Hartheim im Netzwerk des Terrors

Mit der niedrigeren Häftlingsnummer 448 zählt Die Gründe dafür sind wissenschaftlich noch Heinz Friedeberg ebenso wenig zu jenen jungen nicht erforscht. Die massenweise Vernichtung der Holländern wie Chiel Lipszyc (Nr. 761) und Hugo Juden und Jüdinnen hatte in anderer Form bereits Nathan (Nr. 917). Und noch weniger der die im Osten begonnen, etwa in Polen und in der Häftlingsnummer 1 tragende polnische Häftling Sowjetunion mit den Erschießungen und ersten Israel Felder. Es scheint somit, dass ein Transport Versuchen mit Giftgas. Die HistorikerInnen sind aus 70 ausschließlich jüdischen Häftlingen künst- sich größtenteils darüber einig, dass die prinzipiel- lich zusammengestellt wurde. Für diese Selektion le Entscheidung, die JüdInnen Europas nicht etwa von Juden, die für die Gaskammer bestimmt zu vertreiben (Madagaskar-Plan) oder durch waren (wohlgemerkt: im August 1941), gibt es Zwangsumsiedlung allmählich auszurotten, son- keine Belege aus den Zeitzeugenaussagen. Doch dern systematisch zu vernichten, auf den Sommer liefert die Zusammensetzung des Transports 1941 zurückgeht. Es stellte sich somit nur noch einen stichhaltigen Hinweis, wodurch die admi- die Frage nach dem „Wie“. nistrative Genauigkeit wiederum das verrät, was Auch wenn dies nur eine Hypothese sein mag: sie eigentlich vertuschen sollte. Am Ende der Zwischen den eingeweihten Lagerkommandanten Liste sind zwei Namen durchgestrichen: Hartog entstand faktisch eine Konkurrenz, und der wie und Meyer Ovarste (Nr. 2684 u. 2685). Für diese immer auf Erfolg und Anerkennung bedachte beiden Brüder oder Cousins aus Holland steht im Mauthausener Lagerkommandant Ziereis (der zur Veränderungsbuch, „siehe verstorben“. Was bedeu- gleichen Zeit umfangreiche Bauarbeiten im Lager tet, diese beiden für die Gaskammer selektierten angeordnet hatte) hatte somit einen Vorsprung Häftlinge seien noch vor dem Transport ums gegenüber dem Lagerkommandanten von Leben gekommen. Ob durch Exekution, Flucht- Auschwitz erlangt. Die erste „Probevergasung“ in versuch oder Selbstmord ist nicht näher be- Auschwitz erfolgte im September 1941, also etwa stimmbar. Um auf die runde Zahl 70 zu kommen, einen Monat später, und die selektierten Opfer wurden zwei andere Häftlinge auf die Liste ge- waren sowjetische Kriegsgefangene. Mit der voll- setzt, jeweils mit der wiederholten Ranglisten- zogenen ersten „Judenvergasung“ in einer mit nummer 69 und 70. Es fällt auf, dass die Häftlinge einem Konzentrationslager vernetzten Gaskam- Isaac Pam und Josef Pach die alphabetische Rei- mer hatte Ziereis ein unverkennbares Zeichen henfolge nahtlos fortsetzen. Somit ist auf die gesetzt, das rechtfertigen konnte, unter die Opfer Existenz einer früheren Liste zu schließen, aus symbolisch den Häftling mit der Häftlingsnum- welcher die „nötigen“ Häftlinge der alphabeti- mer 1 zu stellen. Wobei der zweite Transport, am schen Reihenfolge nach abgeschrieben wurden. 12. August 1941, den Häftling mit der Nummer 2 Da die erhaltene Liste der 70 (eigentlich: 72) Op- aufweist, ebenfalls ein Pole, diesmal aber ein fer von A bis P reicht, ist eine Größenordnung „Schutzhäftling“ – auch dies wohl kein Zufall, son- von 100 Namen für die frühere, ursprüngliche dern ein administratives Zeichen nach Berlin. Liste wahrscheinlich. Dies bedeutet, man führte in Dass die in Hartheim praktizierte „Technik“ Mauthausen Anfang August 1941 eine Selektion (Gaskammer mit Kohlenmonoxid auf dem Gebiet von etwa 100 jüdischen Häftlingen durch, die des Altreichs) schließlich nicht zum Holocaust gezielt als erste Opferkategorie der Vergasungen führte, sondern das „Konkurrenzmodell“ Ausch- in Hartheim ausgesucht wurden. Die darauf fol- witz (Gaskammer im Osten mit Zyklon B), mag genden Transporte entsprechen der damaligen den Lagerkommandanten Ziereis enttäuscht ha- Bevölkerung des Lagers: einige Reichsdeutsche („Be- ben. In seinem Geständnis auf dem Sterbebett rufsverbrecher“ oder „Asoziale“), zahlreiche Spanier sprach er von mehreren Millionen Menschen, die („Rotspanier“) und Polen (davon die meisten in Hartheim ermordet worden seien, und deren „Schutzhäftlinge“). Anhand des Transports vom 11. Akten er im Keller des Schlosses gesehen habe. August 1941 wird sichtbar, dass der Holocaust Diese Zahl kann unmöglich auf T4 oder 14f13 symbolisch in Hartheim begonnen haben mag. zutreffen – auch nicht auf beide zusammen. Eine solche Größenordnung kann sich nur auf den Holocaust beziehen. Es ist gewiss nicht auszu-

65 Jean‐Marie Winkler schließen, dass der schwer verwundete Ziereis die Zahlen durcheinander gebracht hatte. Die Hypo- these von Serge Choumoff ist aber eher, dass Ziereis sich nicht in der Größenordnung geirrt hatte, sondern dadurch sagen wollte, dass das Aktenmaterial der Aktion Reinhard in Hartheim gelagert war. Das Aktenmaterial in Hartheim war von den Nazis Ende 1944 vernichtet worden, was mehrere Monate in Anspruch genommen hatte. Die Papiere wurden anschließend in eine Papier- mühle gebracht, sodass diese schriftlichen Bewei- se für immer verloren sind. Sollte der Keller im Schloss Hartheim jemals neben den Akten der Euthanasie auch das Aktenmaterial zur Aktion Reinhard beherbergt haben, so wäre die Vernet- zung zwischen den großen Tötungsaktionen des Dritten Reiches dort auf engstem Raum zu finden gewesen.

Andreas Baumgartner fasst dies wie folgt zusam- men: „Es ist jedoch unabdingbar, die Kontinuität von der ‚T4‘-Aktion über die ‚Aktion 14f13‘ zu den Massen- vergasungen in den Vernichtungslagern hervorzuheben. Die Massenmorde in den Vernichtungslagern wären ohne die ‚T4‘-Experten nicht oder nicht in dieser relativ kurzen Zeit möglich gewesen. Die Verschleierungsme- thoden der SS und die Selektionen in den Konzentrati- onslagern wurden im Rahmen der ‚Aktion 14f13‘ erprobt, bevor sie z.B. in Auschwitz-Birkenau zum Einsatz kamen. Auch innerhalb des Mauthausensystems darf diese Aktion nicht gesondert betrachtet werden. Es muss hier der Gesamtkontext der Vergasungen in den Häftlings- baracken in Gusen, der Vergasungen in den Gaskam- mern von Hartheim und Mauthausen sowie der Ein- satz des Gaswagens gesehen werden.“ 15

Die historische Bedeutung der Aktion 14f13, welche das Bindeglied zwischen T4 und dem Holocaust bildet, als die Hartheimer Gaskammer in den Dienst des Konzentrationslagers Mauthau- sen gestellt wurde, liegt in der Verknüpfung meh- rerer Tötungsaktionen, die somit nicht mehr separat zu betrachten sind.

15 BAUMGARTNER (2003), S. 79

66 Die Gaskammer von Hartheim im Netzwerk des Terrors

Literatur:

BAUMGARTNER, Andreas: „Die Kranken sind dann vergast worden.“ Die Ermordung von KZ-Häftlingen in Hartheim. In: Wert des Lebens. Gedenken. Lernen. Begreifen. Begleitkatalog zur Ausstellung des Landes Oberösterreich in Schloss Hartheim 2003, S. 74-79

CHROUST, PETER: Friedrich Mennecke. Innenansichten eines medizinischen Täters im Nationalsozialismus. Eine Edition seiner Briefe. [Bearbeitet von Peter Chroust.] Forschungsberichte des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Band 1, Hamburg 1998

WINKLER, Jean-Marie: Gazage de concentrationnaires au château de Hartheim. L’ «action 14f13» en Autriche annexée. Nouvelles recherches sur la comptabilité de la mort. Collection «Ces Oubliés de l’Histoire», Paris 2010. Kepplinger, Brigitte/Marckhgott, Gerhart/Reese, Hartmut (Hg.): Tötungsanstalt Hartheim, Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus, Band 3, 2. erw. Ausgabe, Oberösterreichisches Landesarchiv, Linz 2008

LEY, Astrid: Die „Aktion 14f13“ in den Konzentrationslagern. In: MORSCH, Günter/PERZ, Bertrand (Hg.): Neue Studien zu nationalsozialistischen Massentötungen durch Giftgas. Historische Bedeutung, technische Entwicklung, revisionistische Leugnung, Berlin 2011, S.231-243

Prof. Dr. Jean-Marie Winkler, geb. 1960, Universität Rouen, Lehrstuhl für Österreichforschung, Equipe de Recherches Interdisciplinaires sur les Aires Culturelles (ERIAC, EA 4307). Mitglied der Amicale de Mauthau- sen (Paris). Vorstandsvorsitzender der Thomas-Bernhard Privatstiftung, Wien (1998-2008). Forschungsschwerpunkte: das „rote“ Wien (Jura Soyfer), Exilforschung (Alfredo Bauer), österreichische Literatur (Mitherausgeber der Theaterstücke von Thomas Bernhard), Mauthausen (Gesamtkoordinator der internationalen Fotoausstellung Das sichtbare Unfassbare, 2005) und Hartheim. Träger des Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst (Wien, 2007) und des Silbernen Verdienstzeichen des Landes Oberösterreich (Linz, 2009).

Publikationen (Auswahl): Claude Winkler-Bessone & Jean-Marie Winkler: Les camps d’internement français (1939-1942). Témoignages d’un dessinateur autrichien en exil. Bil Spira. Préface de Serge Klarsfeld. Publications de l’Université de Rouen, 2000. Claude Bessone & Jean-Marie Winkler: L’euthanasie nationale-socialiste. Mauthausen – Hartheim (1940- 1944). Photographies de Hartmut Reese, collection «Ces oubliés de l’Histoire», éditions Tirésias, Paris, 2005 Claude Bessone & Jean-Marie Winkler: Le „Douaumont de la Déportation“. Le projet d’ossuaire du camp de concentration de Mauthausen. Exhumation des cimetières et «retour des corps». Préface de Hans Marsalek. Coll. „Ces Oubliés de l’Histoire“, Paris, 2007 Andreas Baumgartner, Ingrid Bauz & Jean-Marie Winkler (Hg.): Zwischen Mutterkreuz und Gaskammer. Frauen im Nationalsozialismus (Tagungsband), Wien 2008 Jean-Marie Winkler: L’ «action 14f13» 1941-1945 en Autriche annexée. Nouvelles recherches sur la comptabi- lité de la mort. Préface Yves Ternon. Collection «Ces Oubliés de l’Histoire», Paris 2010

67 Markus Rachbauer & Thomas Rammerstorfer

Mag. Markus Rachbauer, geb. 1979, Studium der Politikwissenschaft in Salzburg, Begleiter/Vermittler des Lern- und Gedenkortes Schloss Hartheim und der KZ-Gedenkstätte Mauthausen bzw. des MKÖ. Diplomar- beit zum Thema NS-Euthanasie an kranken ausländischen ZivilarbeiterInnen in Oberdonau. Aktuelles For- schungsprojekt zu selbigem Thema mit Fokus auf das Gebiet der Alpen- und Donaugaue. Buchbeitrag zum Thema Welser Opfer der NS-Euthanasie (erscheint 2011 im Band 2 der Reihe Nationalsozialismus in Wels).

Thomas Rammerstorfer, geb. 1976, Mitarbeiter beim Infoladen Wels und der Liga für emanzipatorische Entwicklungzusammenarbeit (www.leeza.at). Recherchiert zu Migration, Integration, österreichischem und türkischem Rechtsextremismus und Jugendkulturen; zahlreiche Vorträge dazu in Österreich und Deutsch- land. Mitarbeit im Rechercheteam von Corinna Milborn für das Buch Gestürmte Festung Europa (2006), Artikel und Beiträge in verschiedenen anderen österreichischen Periodika.

68 Brauntöne: Rechtsextreme Musik in Österreich

Markus Rachbauer & Thomas Rammerstorfer Brauntöne: Rechtsextreme Musik in Österreich

Der Aufstieg des „Rechtsrock“, also oder regional verankerten Gruppen wie den nationalistisch/rechtsextrem bis neonazistisch „Veneto Fronte Skinheads“ (diese beschränken orientierter Musik, begann Ende der 1970er Jahre ihre Aktivitäten auf den norditalienischen Raum), mit der britischen Band „Skrewdriver“, die die alljährlich Konzerte, die von bis zu mehreren Rebellion der Punk-Musik mit dem Klassen- und tausend BesucherInnen frequentiert werden. In Nationalbewusstsein der britischen Skinheads den letzten Jahrzehnten wurden weltweit ebenso vereinte. Die 1977 als Punkband gegründeten Tausende rechtsextreme bis neonazistische „Skrewdriver“ verwandelten sich im Zuge des Musikgruppen unterschiedlicher Stilrichtungen Wiederauflebens der Skinheadkultur zu einer gegründet,2 die eine entsprechende Anzahl von Skin-Band, der Sänger Ian Stuart Donaldson trat Tonträgern veröffentlicht haben. der rechtsextremen British National Front bei und Die thematischen Schwerpunkte in den betätigte sich auch in anderen einschlägigen Liedtexten rechter Skinheadbands reichen von Netzwerken. Die Gruppe wurde zu einer der Fußball, Alkohol und Gewalt bis zu offenem populärsten Bands dieses Milieus, 1987 verließ Rassismus, Antisemitismus, Mordaufrufen und Donaldson die National Front wieder und Verherrlichung des Nationalsozialismus.3 Im beteiligte sich an der Gründung des offen rechten Flügel des Dark Wave/der Gothik-Musik, nationalsozialistisch auftretenden Neonazi- der/die Ende der 1980er Jahre entstand, nehmen Netzwerks „Blood and Honour“. Auch in Bands positiven Bezug auf faschistische Ikonen anderen Ländern, etwa in Deutschland, gründeten wie Julius Evola oder Corneliu Codreanu. Die sich ab Anfang der 1980er politisch rechts religiöse Orientierung am Heidentum, die orientierte Skinhead-Bands. Nach der deutschen Beschäftigung mit rassistischen Theorien und Wiedervereinigung und vor allem ab Mitte der germanischen Runen und die 1990er kam es zu einem wahren Rechtsrock- Instrumentalisierung von NS-Ästhetik sind in Boom; die Zahl der Veröffentlichungen und dieser Szene von Bedeutung. In der Black Metal- Konzerte rechtsextremer Bands stieg an. Musik entstand in den 1990er Jahren ebenso ein Maßgeblich für die Organisation von Konzerten rechter Flügel. Neben dem Satanismus orientiert verantwortlich waren neben anderen man sich im Black Metal vielfach am Heidentum Gruppierungen auch hier lokale Ableger des und germanischen Traditionen. Die angestrebte Neonazi-Musiknetzwerks „Blood and Honour“, Verkörperung des „Bösen“ versuchen Bands und das im Jahr 2000 in Deutschland verboten wurde. Mitglieder dieser Subkultur durch positive Bezüge Schon in den 1980ern, dann vor allem aber auch auf Hass, Gewalt, Krieg und Tod zu erreichen. ab Mitte der 1990er entstanden auch jenseits der Die christliche Religion bzw. Gesellschaft wird Skinheadmusik einschlägige Musikprojekte. abgelehnt. Im neonazistischen Spektrum der Rechtsextreme und neonazistische Inhalte wurden Szene, dem NS-Black Metal, erfolgt eine starke fortan auch durch LiedermacherInnen und Orientierung am Heidentum sowie an Schlagermusik, Dark Wave-, Techno-, Hardcore- rassistischen und antisemitischen Vorstellungen.4 bzw. Hatecore- sowie Metal-Bands und -Projekte Selbst im ursprünglich emanzipatorisch und verbreitet.1 Nach wie vor veranstalten – in zahlreichen Staaten weltweit existierende – 2 Häufig sind/waren einzelne Bandmitglieder in mehreren Bands – teilweise auch unterschiedlichen Stils – aktiv. „Blood and Honour“-Gruppierungen neben 3 Vgl. FLAD, Henning: Trotz Verbot nicht tot – Ideologie- anderen Neonazi-Gruppen, wie etwa den produktion in den Songs der extremen Rechten. In: DORNBUSCH, Christian/RAABE, Jan (Hg.): RechtsRock – ebenfalls international aktiven „Hammer Skins“ Bestandsaufnahme und Gegenstrategien, Münster 2002, S. 91-123 4 Vgl. LOHMANN, Johannes/WANDERS, Hans: Evolas 1 Vgl. DORNBUSCH, Christian/RAABE, Jan: 20 Jahre Jünger und Odins Krieger – Extrem rechte Ideologien in RechtsRock – Vom Skinhead-Rock zur Alltagskultur. In: der Dark-Wave und Black-Metal-Szene. In: DORNBUSCH, DIESELBEN (Hg.): RechtsRock – Bestandsaufnahme und Christian/RAABE, Jan (Hg.): RechtsRock – Bestandsauf- Gegenstrategien, Münster 2002, S. 19-50 nahme und Gegenstrategien, Münster 2002, S. 287-307

69 Markus Rachbauer & Thomas Rammerstorfer gesellschaftskritisch orientierten Hardcore In Österreich gab/gibt es – wohl unter anderem schaffte es die rechte Szene in den 1990er Jahren, aufgrund des NS-Verbotsgesetzes – nur relativ ein Einfallstor zu finden. NS-Hardcore- bzw. NS- wenige rechtsextreme und neonazistische Hatecore-Bands verbreiten einerseits ebenso wie Musikgruppen, die sich stark an der deutschen rechte Skinhead-Bands Inhalte, die den Neonazi-Szene orientieren bzw. orientierten und Nationalsozialismus propagieren, unterscheiden es zumindest teilweise geschafft haben, szene- sich von den Skins aber durch Kleidung bzw. intern einen internationalen Bekanntheitsgrad zu Design, die von der traditionellen Hardcore-Szene erlangen. Als Beispiele sind hier etwa die kopiert wurden. Mitglieder der NS-Hardcore- Vorarlberger Band „Stonheads“, deren Mitglieder Szene ernähren sich mitunter vegetarisch und im Jahr 2005 wegen Verhetzung zu Geldstrafen trinken keinen Alkohol, tragen modische verurteilt wurden7, und die ebenfalls aus Turnschuhe sowie T-Shirts, die in Graffiti- Vorarlberg stammende Band „Tollschock“, die ähnlichem Stil bedruckt sind, ihre Körper jahrelang ungehindert in einem Raum eines schmücken sie mit Piercings.5 Auf den ersten öffentlichen Jugendzentrums proben konnte,8 zu Blick sind die Bands somit häufig nicht nennen. Beide Bands sind einem Vorarlberger unterscheidbar von nicht-rechten Bands dieses „Blood & Honour“-Ableger zuzurechnen. Als Genres. Ein großes Problem hinsichtlich der einer der aktivsten braunen Barden Österreichs Verbreitung von Neonazi-Musik, die vielfach als betätigt sich seit 1997/98 der aus Suben „Einstiegsdroge“ in die rechte Szene bezeichnet (Oberösterreich) stammende „Liedermacher wird, stellt das Internet dar: Internetseiten, -foren Bernhard“ (Bernhard K.). Er trat am 20. April und Blogs werden von Neonazis genutzt, um ihre 1999 (Geburtstag von Adolf Hitler) bei einem menschenverachtende Ideologie zu verbreiten. Konzert in Ried im Innkreis erstmals öffentlich Der deutsche Politologe Hajo Funke meinte etwa auf. K. wurde im Jahr 2004 wegen NS- über das Internet-Videoportal „YouTube“, auf Wiederbetätigung verhaftet und verbüßte mit dem tausende Videos mit neonazistischen Unterbrechungen bis zum Jahr 2007 mehrere Inhalten – oftmals jahrelang – abrufbar sind: Jahre in Haft.9 „Liedermacher Bernhard“ ist „Dass YouTube frei Nazi-Propaganda offeriert und weiterhin einschlägig aktiv, so trat er etwa im Jahr Jugendliche das zu Hunderttausenden anklicken, ist ein 2009 bei einer Veranstaltung der NPD in Passau Verbrechen an der Jugend.“ 6 und bei einem Konzert des kroatischen Ablegers von „Blood & Honour“ auf. Bei der Auch soziale Netzwerke wie „Facebook“ und letztgenannten Veranstaltung unterstützte ihn „Myspace“ stehen im Fokus neonazistischer auch die aus Wien stammende Liedermacherin Agitationsarbeit. Auf „Blogspot“/„Blogger“, dem „Isi“. Diese kommt aus dem Umfeld einer Wiener Blog-Angebot des „Google“-Konzerns, werden „Blood and Honour“-Gruppe und ließ sich auf zahlreiche braune Online-Seiten betrieben, auf Fotos gemeinsam mit Alexander Christian denen unzählige Alben mit Musik rechtsextremer ablichten: Christian ist ehemaliger Generalsekretär Bands kostenlos und rund um die Uhr bezogen der österreichischen Bundesrechtsanwaltskammer werden können. Vielfach gehen die – er musste im Jahr 2010 von seinem Amt BetreiberInnen der Portale und Netzwerke, z.B. zurücktreten, nachdem seine Kontakte zur „YouTube“, nur sehr zögerlich gegen die Hass rechtsextremen Szene öffentlich wurden.10 verbreitenden Inhalte vor – ein Umstand, der von Neonazis genutzt wird. 7 ANTIFASCHISTISCHES PRESSEARCHIV UND BIL- DUNGSZENTRUM, ÖSTERREICH: Stoneheads – Nazi Band vor Landesgericht (Teil II), http://www.turnit down.de/316.html, 2005 8 DER STANDARD: Rechtes Liedgut im Jugendhaus ge- 5 Vgl. FROMM, Rainer: We play NS-Hardcore! Die Mythi- probt, http://derstandard.at/1508266, 11.12.2003 sierung rechten Gedankenguts in der Musik, 9 „Myspace“-Seite von „Liedermacher Bernhard“, http://www.bpb.de/themen/F2U2XB,0,We_play_NSHar http://www.myspace.com/liedermacherbernhard, zuletzt dcore!.html., 2008 abgerufen am 21.6.2009 (Die Seite ist mittlerweile offline) 6 Zitiert nach: Süddeutsche Zeitung: Youtube verbreitet 10 DER STANDARD: Anwaltskammer trennt sich von rechtsradikale Videos, http://www.sueddeutsche.de/ umstrittenem Generalsekretär, http://derstandard.at/ politik/ard-magazin-berichtet-youtube-verbreitet-rechtsra 1285199612406/Anwaltskammer-trennt-sich-von-umstr dikale-videos-1.770872, 27.8.2007 ittenem-Generalsekretaer, 29.9.2010

70 Brauntöne: Rechtsextreme Musik in Österreich

Ebenfalls aus Wien stammt die 2005 gegründete Liedermacher und NPD-Politiker Jörg Hähnel für Band „Service Crew Vienna“. Diese konnte durch die Wiener Burschenschaft „Olympia“,14 in der mehrere Auftritte bei Neonazi-Konzerten auch der Dritte (österreichische) außerhalb Österreichs Bekanntheit in der rechten Nationalratspräsident Martin Graf Mitglied ist. Szene erlangen. Im Jahr 2008 spielten „Service Neonazistischen Liedermachern eine Crew Vienna“ im Rahmen ihres ersten Auftritts Auftrittsmöglichkeit zu bieten, hat bei den gemeinsam mit anderen Neonazi-Bands wie „Olympen“ offenbar bereits Tradition: So hatte „White Rebel Boys“, „Honor“ sowie „Lunikoff man 199315 und im Jahr 200016 auch Frank und die Verschwörung“ bei einem Konzert in Rennicke und 2003 (den 2009 verstorbenen) Ungarn, das zu Ehren des 1993 verstorbenen Michael Müller zu Gast.17 Auch die – vor allem in „Blood and Honour“-Mitbegründers Ian Stuart Oberösterreich in den 2000er Jahren aktive – Donaldson stattfand.11 Derartige „Memorial“- Neonazi-Gruppierung „Bund freier Jugend“ lud Konzerte werden alljährlich in zahlreichen immer wieder braune Barden zum „Gesang“, Ländern weltweit durchgeführt. Ihren einzigen darunter auch einen der bekanntesten Neonazis bekannten Auftritt in Österreich absolvierte die Österreichs: Gottfried Küssel, ehemaliger Kader Band 2009 in ihrer Heimatstadt Wien. Es der 1986 gegründeten Gruppe „Volkstreue handelte sich um eine Solidaritätsveranstaltung für Außerparlamentarische Opposition“ und – nach den wegen Mordes an einem Passanten langjährigem Gefängnisaufenthalt wegen NS- angeklagten und ebenfalls aus dem „Blood and Wiederbetätigung – nach wie vor politisch aktiv. Honour“-Umfeld stammenden Jürgen K., der Viele der Konzerte in Österreich wurden auch mit schließlich zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde.12 Skinhead-Bands bestritten, wobei die meisten Während die Anzahl der aktiven rechtsextremen Veranstaltungen in Oberösterreich und Vorarlberg Musikgruppen in Österreich relativ niedrig ist, und vielfach auch ungestört von Polizei und fanden in der Vergangenheit immer wieder Behörden stattfanden. Im Dezember 2006 Konzertveranstaltungen auch mit rechtsextremen spielten zum Beispiel in einer Diskothek in der Bands und Liedermachern aus anderen Ländern, Nähe von Ried/Innkreis die Bands „Indiziert“, etwa aus Deutschland, den USA und „Feldherren“ und „Braune Brüder“. Nachdem der Großbritannien, statt. In den letzten zwei Verlauf des Konzerts von der Polizei anfänglich Jahrzehnten beläuft sich die Zahl der Konzerte so dargestellt wurde, als habe dieses nicht mit rechtsextremen Musikgruppen/Lieder- stattgefunden, kamen erst im Jänner 2007 durch macherInnen (exklusive Konzerte mit ein heimlich gedrehtes Video, das dem ORF rechtsextremen Black Metal-Bands) laut den zugespielt und im Rahmen eines Fernsehbeitrags Recherchen der Autoren dieses Beitrags auf mehr der Sendung „Thema“ öffentlich gezeigt wurde, als 70.13 die Tatsachen ans Licht. 200 Neonazis konnten ungestört feiern – dies obwohl Parolen wie „Blut Der Großteil der Konzerte fand ab Ende der muss fließen knüppeldick, wir scheißen auf die Freiheit 1990er Jahre statt – ein Zusammenhang mit dem dieser Judenrepublik“ gegrölt wurden und die gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck in Österreich neonazistische Orientierung der Bands und der Regierungsbeteiligung der FPÖ ab 2000 ist offensichtlich. Im Jahr 2008 spielte etwa der 14 DIE GRÜNEN: Burschenschaft Olympia: Budensänger Hähnel freigesprochen, http://www.stopptdierechten.at 11 THIAZI-FORUM: Germanische Weltnetzgemeinschaft, /2010/12/01/burschenschaft-olympia-budensanger- ISD Memorial und 10 Jahre Deutsch-Ungarisches Freund- hahnel-freigesprochen, 1.12.2010 schafts-Konzert, 15 ANTIFASCHISTISCHES AUTORENKOLLEKTIV: Drahtzie- http://forum.thiazi.net/showthread.php?t=136732 her im braunen Netz. Ein aktueller Überblick über den 12 DIE GRÜNEN: Wien: Solidaritätskonzert für Nazi- Neonazi-Untergrund in Deutschland und Österreich, Totschläger, http://www.stopptdierechten.at/2009/0 Hamburg 1996, S. 155 6/20/wien-solidaritatskonzert-fur-nazi-totschlager, 16 DOKUMENTATIONSARCHIV DES ÖSTERREICHISCHEN 20.6.2009; DIE GRÜNEN: Wien: 20 Jahre Haft für brutalen WIDERSTANDES: Neonazi bei AFP und Olympia, Mord, http://www.stopptdierechten.at/2009/09/11/ http://www.doew.at/projekte/rechts/chronik/2000_06/r wien-20-jahre-haft-fur-brutalen-mord, 11.9.2009 ennicke.html, 2000 13 Auflistung von in Österreich von 1990 bis 2010 stattge- 17 DOKUMENTATIONSARCHIV DES ÖSTERREICHISCHEN fundenen Konzerten mit rechtsextremen und neonazisti- WIDERSTANDES: Olympia-Liederabend mit Neonazi schen Musikgruppen, erstellt von Thomas Rammerstorfer, http://doew.at/frames.php?/projekte/rechts/chronik/20 2011. 03_01/olympia.html, 2003

71 Markus Rachbauer & Thomas Rammerstorfer offensichtlich war. Als Veranstalter der auf eine zahlenmäßig überschaubare, „Skinhead“- und Liedermacher-Konzerte eingeschworene Gemeinschaft beschränkt, die fungierten neben der rechtsextremen darüber hinaus häufig auch durch Gäste aus den Burschenschafter-Szene und dem „Bund freier Nachbarländern Österreichs vergrößert wird, Jugend“ unter anderem lokale Gruppen von dürfte die Anzahl der KonsumentInnen „Blood and Honour“ und den „Hammer Skins“ einschlägiger Musik hingegen viel größer sein. sowie die „Skinheads Steiermark“ und der braune Das Marktpotential brauner Musik in Österreich Kulturverein „Objekt 21“. liegt zwar im Dunkeln, ein Indiz liefern Auch in der relativ kleinen österreichischen Black dahingehend aber etwa Informationen, die durch Metal-Szene waren in den letzten Jahren mehrere einen Hack des neonazistischen „Aufruhr“- Konzerte mit rechten bis neonazistischen Bands Versands Anfang 2009 öffentlich wurden. Allein zu verzeichnen, wobei sich die Protagonisten hier unter den – anonym im Internet publizierten nicht selten als „unpolitisch“ oder „nicht KundInnendaten – dieses einen Versands fanden rechtsextrem“ bezeichnen, obwohl sie sich rund 240 Personen mit österreichischer einschlägige Inhalte in Liedtexten sowie in Wohnadresse.18 Auch in sozialen Netzwerken wie Interviews verbreiten. Verschiedene kleine etwa „Facebook“ tummeln sich dutzende bis Internet-Versände boten Veröffentlichungen hunderte – oft junge – Frauen und Männer aus neonazistischer Black Metal-Bands zum Kauf an. Österreich, die mit rechtsextremem bis So konnte man etwa bei „Racheschwur Records“ neonazistischem Gedankengut sympathisieren aus Bad Ischl monatelang Tonträger von Bands und dies teilweise auch dadurch kundtun, dass sie wie „Hakenkreuz Nocturna“ und „Aryan Art“ Links mit Videos von Neonazi-Bands in ihren erwerben, bis der Versand schließlich im Frühjahr Mitgliedsprofilen veröffentlichen. 2008 durch eine polizeiliche Hausdurchsuchung und Beschlagnahme der angebotenen CDs aufgelöst wurde. Im Bereich der Rap- bzw. Hip-Hop-Musik versuchte ein aus der Nähe von Mauthausen in Oberösterreich stammender junger Mann unter dem Namen „Nox One“ nationalsozialistische Verbrechen zu glorifizieren. In dem 2006 im Internet veröffentlichten Lied „L‘état c‘est moi“ heißt es wörtlich: „(...) wer jagt Homos wie die SS (...)“, „(...) ich geh mit Molotov-Cocktails in die Stadt und zünde einen Schwulen-Club nach dem anderen an (...)“ und „(…) ich bin Hardcore so wie Adolf Hitler (...)“. Mittlerweile gibt es vor allem in Deutschland bereits zahlreiche vergleichbare Neonazi-Projekte, die in dieser Musiksparte angesiedelt sind. Als Beispiele sind hier „Zyklon Beatz“, „Dissau Crime“ und „Sprechgesang zum Untergang“ zu nennen. Auch aus dem Kreis von MigrantInnen kommen Rap- und Hip-Hop-Acts, die nationalistisch, volkstümelnd und rechtsextrem orientiert sind. In Österreich stellen vor allem die Aktivitäten der türkischen „Grauen Wölfe“ ein 18 Unter den Bestelldaten fand sich etwa Armin Sippel, zu bisher kaum beachtetes Problem dar. diesem Zeitpunkt Klubchef der FPÖ Graz. Sippel stritt Während sich der Kreis der BesucherInnen von den Vorwurf, beim „Aufruhr“-Versand bestellt zu haben, dennoch ab, vgl. KLEINE ZEITUNG: „Auch ohne Sonne Neonazi-Konzerten in Österreich aufgrund der braun“ – FPÖ-Politiker sorgen für Aufruhr, konspirativen Durchführung und Bewerbung eher http://www.kleinezeitung.at/steiermark/1747194/index.d o, 27.1.2009

72 Brauntöne: Rechtsextreme Musik in Österreich

Literatur:1

ANTIFASCHISTISCHES AUTORENKOLLEKTIV: Drahtzieher im braunen Netz. Ein aktueller Überblick über den Neonazi-Untergrund in Deutschland und Österreich, Hamburg 1996, S. 155.

ANTIFASCHISTISCHES PRESSEARCHIV UND BILDUNGSZENTRUM: Österreich: Stoneheads – Nazi Band vor Landesgericht (Teil II), http://www.turnitdown.de/316.html, 2005.

DER STANDARD: Anwaltskammer trennt sich von umstrittenem Generalsekretär, http://derstandard.at/1285199612406/Anwaltskammer-trennt-sich-von-umstrittenem-Generalsekretaer, 29.9.2010.

DER STANDARD: Rechtes Liedgut im Jugendhaus geprobt, http://derstandard.at/1508266, 11.12.2003.

DIE GRÜNEN: Burschenschaft Olympia: Budensänger Hähnel freigesprochen, http://www.stopptdierechten.at/2010/12/01/burschenschaft-olympia-budensanger-hahnel-freigesprochen, 1.12.2010.

DIE GRÜNEN: Wien: 20 Jahre Haft für brutalen Mord, http://www.stopptdierechten.at/2009/09/11/wien- 20-jahre-haft-fur-brutalen-mord, 11.9.2009.

DIE GRÜNEN: Wien: Solidaritätskonzert für Nazi-Totschläger, http://www.stopptdierechten.at/2009/06/20/wien-solidaritatskonzert-fur-nazi-totschlager, 20.6.2009.

DOKUMENTATIONSARCHIV DES ÖSTERREICHISCHEN WIDERSTANDES: Neonazi bei AFP und Olympia, http://www.doew.at/projekte/rechts/chronik/2000_06/rennicke.html, 2000.

DOKUMENTATIONSARCHIV DES ÖSTERREICHISCHEN WIDERSTANDES: Olympia-Liederabend mit Neonazi, http://doew.at/frames.php?/projekte/rechts/chronik/2003_01/olympia.html, 2003.

DORNBUSCH, Christian/RAABE, Jan: 20 Jahre RechtsRock – Vom Skinhead-Rock zur Alltagskultur. In: DIE- SELBEN (Hg.): RechtsRock – Bestandsaufnahme und Gegenstrategien, Münster 2002, S. 19-50.

FLAD, Henning: Trotz Verbot nicht tot – Ideologieproduktion in den Songs der extremen Rechten. In: DORNBUSCH, Christian/RAABE, Jan (Hg.): RechtsRock – Bestandsaufnahme und Gegenstrategien, Münster 2002, S. 91-123.

FROMM, Rainer: We play NS-Hardcore! Die Mythisierung rechten Gedankenguts in der Musik, http://www.bpb.de/themen/F2U2XB,0,We_play_NSHardcore!.html, 2008.

KLEINE ZEITUNG: „Auch ohne Sonne braun“. FPÖ-Politiker sorgen für Aufruhr, http://www.kleinezeitung.at/steiermark/1747194/index.do, 27.1.2009.

LOHMANN, Johannes/WANDERS, Hans: Evolas Jünger und Odins Krieger. Extrem rechte Ideologien in der Dark-Wave und Black-Metal-Szene. In: DORNBUSCH, Christian/RAABE, Jan (Hg.): RechtsRock – Bestands- aufnahme und Gegenstrategien, Münster 2002, S. 287-307.

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG: Youtube verbreitet rechtsradikale Videos, http://www.sueddeutsche.de/politik/ard-magazin-berichtet-youtube-verbreitet-rechtsradikale-videos- 1.770872, 27.8.2007.

DER STANDARD: Anwaltskammer trennt sich von umstrittenem Generalsekretär, http://derstandard.at/1285199612406/Anwaltskammer-trennt-sich-von-umstrittenem-Generalsekretaer, 29.9.2010.

1 Hinweis der Autoren: Alle Online-Quellen wurden, wenn nicht anders angegeben, zuletzt abgerufen am 10.4.2011.

73 Markus Rachbauer & Thomas Rammerstorfer

Sonstige Quellen: Auflistung von in Österreich von 1990 bis 2010 stattgefundenen Konzerten mit rechtsextremen und neona- zistischen Musikgruppen, erstellt von Thomas Rammerstorfer, 2011. „Myspace“-Seite von „Liedermacher Bernhard“, http://www.myspace.com/liedermacherbernhard, zuletzt abgerufen am 21.6.2009 (Die Seite ist mittlerweile offline). Thiazi-Forum – Germanische Weltnetzgemeinschaft, ISD Memorial und 10 Jahre Deutsch-Ungarische Freundschafts-Konzert, http://forum.thiazi.net/showthread.php?t=136732.

74