Plenarprotokoll 16/187

Deutscher

Stenografischer Bericht

187. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Inhalt:

Begrüßung des neuen Abgeordneten (CDU/CSU) ...... 19976 D Matthäus Strebl ...... 19963 B (Spandau) (SPD) ...... 19978 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung ...... 19963 B Ingrid Fischbach (CDU/CSU) ...... 19979 C Absetzung des Tagesordnungspunktes 21 a . . 19964 C Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 19980 C Nachträgliche Ausschussüberweisung ...... 19964 D Begrüßung des Präsidenten des Storting des Tagesordnungspunkt 16: Königreichs Norwegen, Herrn Thorbjørn a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Jagland ...... 19964 D rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Begrüßung von Parlamentarierinnen und zes zur Neuausrichtung der arbeits- Parlamentariern aus Afghanistan, Kasach- marktpolitischen Instrumente stan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan, (Drucksache 16/10810) ...... 19981 A Usbekistan und der Mongolei ...... 20025 B b) Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Tagesordnungspunkt 15: DIE LINKE: Arbeitslosenversicherung Erste Beratung des von der Bundesregierung stärken – Ansprüche sichern – Öffent- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur lich geförderte Beschäftigte einbeziehen Förderung von Familien und haushalts- (Drucksache 16/10511) ...... 19981 A nahen Dienstleistungen (Familienleistungs- , Bundesminister gesetz – FamLeistG) BMAS ...... 19981 B (Drucksache 16/10809) ...... 19965 A (FDP) ...... 19983 C Lydia Westrich (SPD) ...... 19965 B Carl-Ludwig Thiele (FDP) ...... 19967 B Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . 19985 C Dr. , Bundesministerin Kornelia Möller (DIE LINKE) ...... 19987 D BMFSFJ ...... 19968 D Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 19969 D DIE GRÜNEN) ...... 19989 B Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 19991 A DIE GRÜNEN) ...... 19971 D Karl Schiewerling (CDU/CSU) ...... 19992 B Ingrid Arndt-Brauer (SPD) ...... 19973 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 19974 C DIE GRÜNEN) ...... 19993 C Ina Lenke (FDP) ...... 19976 A Kornelia Möller (DIE LINKE) ...... 19994 A II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Tagesordnungspunkt 47: i) Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. , a) Erste Beratung des von der Bundesregierung weiterer Abgeordneter und der Fraktion eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes DIE LINKE: Stromübertragungsleitun- über die Feststellung des Wirtschafts- gen bedarfsgerecht ausbauen – Bürge- plans des ERP-Sondervermögens für rinnen- und Bürgerbeteiligung sowie das Jahr 2009 (ERP-Wirtschaftsplange- Energiewende umfassend berücksich- setz 2009) tigen (Drucksache 16/10663) ...... 19994 C (Drucksache 16/10842) ...... 19995 B b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wohngeld- Zusatztagesordnungspunkt 5: gesetzes a) Erste Beratung des von den Abgeordneten (Drucksache 16/10812) ...... 19994 D Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Jörg van Essen, Gudrun Kopp, weiteren Abgeord- c) Erste Beratung des von der Bundesregie- neten und der Fraktion der FDP einge- rung eingebrachten Entwurfs eines Such- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur dienstedatenschutzgesetzes (SDDSG) Wahrung der Rechtssicherheit bei der (Drucksache 16/10813) ...... 19994 D Telekommunikationsüberwachung und d) Erste Beratung des von der Bundesregie- anderen verdeckten Ermittlungsmaß- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- nahmen zes zu den Protokollen vom 9. Juli 2008 (Drucksache 16/10838) ...... 19995 C zum Nordatlantikvertrag über den Bei- b) Antrag der Abgeordneten Winfried tritt der Republik Albanien und der Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Republik Kroatien Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der (Drucksache 16/10814) ...... 19994 D Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Feinstaubreduktion im Straßenverkehr e) Erste Beratung des von der Bundesregie- fortsetzen – Filteraustausch umsetzen, rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Prüf- und Messverfahren für Dieselruß- zes zum Schengener Informations- partikelfilter einführen system der zweiten Generation (SIS-II- (Drucksache 16/9802) ...... 19995 C Gesetz) (Drucksache 16/10816) ...... 19994 D c) Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Dr. , Britta f) Erste Beratung des von der Bundesregie- Haßelmann, weiterer Abgeordneter und rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zes zu dem Protokoll vom 7. Dezember NEN: Transparenz an den Finanzmärk- 2005 zur Änderung des Abkommens ten schaffen – Anschleichtaktik bei ver- vom 20. Juni 1996 zwischen der Regie- deckten Unternehmensübernahmen rung der Bundesrepublik Deutschland, verhindern den Vereinten Nationen und dem Sekre- (Drucksache 16/10640) ...... 19995 D tariat des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaände- d) Antrag der Abgeordneten Dr. Karl- rungen über den Sitz des Sekretariats Theodor Freiherr zu Guttenberg, Eckart des Übereinkommens von Klaeden, (Lübeck), wei- (Drucksache 16/10815) ...... 19995 A terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten g) Antrag der Abgeordneten Undine Kurth Dr. Rolf Mützenich, (Quedlinburg), Bärbel Höhn, Ulrike (Wiesloch), , weiterer Abge- Höfken, weiterer Abgeordneter und der ordneter und der Fraktion der SPD: Nicht- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: staatliche militärische Sicherheitsunter- Die Gefangenschaft von Delfinen unver- nehmen kontrollieren züglich beenden (Drucksache 16/10846) ...... 19995 D (Drucksache 16/9102) ...... 19995 A e) Antrag der Abgeordneten Wolfgang h) Antrag der Abgeordneten Lutz Heilmann, Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin- Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Fraktion DIE LINKE: Pakistan und DIE LINKE: Schnellstmögliche Unter- Afghanistan stabilisieren – Für eine zeichnung und Ratifizierung der Euro- zentralasiatische regionale Sicherheits- päischen Landschaftskonvention konferenz (Drucksache 16/10821) ...... 19995 B (Drucksache 16/10845) ...... 19996 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 III

Tagesordnungspunkt 48: die Instandhaltung von Grenzbrücken in der Bundesrepublik Deutschland im a) Zweite und dritte Beratung des von der Zuge von Schienenwegen des Bundes, in Bundesregierung eingebrachten Entwurfs der Republik Polen im Zuge von Eisen- eines Gesetzes zur Umsetzung der bahnstrecken mit staatlicher Bedeutung Richtlinie 2005/36/EG des Europäi- (Drucksachen 16/10533, 16/10840) . . . . . 19998 B schen Parlamentes und des Rates über die Anerkennung von Berufsqualifika- h) Zweite und dritte Beratung des von der tionen in der Gewerbeordnung Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (Drucksachen 16/9996, 16/10599) ...... 19996 C eines Gesetzes zur Änderung des Stra- b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung ßenverkehrsgesetzes und zur Ände- des von der Bundesregierung eingebrach- rung des Gesetzes zur Änderung der ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Anlagen 1 und 3 des ATP-Übereinkom- Übereinkommen vom 25. Juli 2007 über mens die Beteiligung der Republik Bulgarien (Drucksachen 16/10534, 16/10583, und Rumäniens am Europäischen Wirt- 16/10849) ...... 19998 C schaftsraum i) Zweite und dritte Beratung des von der (Drucksachen 16/9997, 16/10608) ...... 19996 D Bundesregierung eingebrachten Entwurfs c) Zweite und dritte Beratung des von der eines Vierten Gesetzes zur Änderung Bundesregierung eingebrachten Entwurfs des Weingesetzes eines Vierten Gesetzes zur Änderung (Drucksachen 16/10552, 16/10875) . . . . . 19998 D des Straßenverkehrsgesetzes j) Zweite und dritte Beratung des von den (Drucksachen 16/10175, 16/10899) . . . . . 19997 A Fraktionen der CDU/CSU und der SPD d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes des von der Bundesregierung eingebrach- zur Änderung des Gesetzes zur Entlas- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem tung der Rechtspflege Protokoll vom 15. Oktober 2007 zur (Drucksachen 16/10570, 16/10893) . . . . . 19999 A Änderung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und k) Beschlussempfehlung und Bericht des der Russischen Föderation zur Vermei- Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- dung der Doppelbesteuerung auf dem entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- Gebiet der Steuern vom Einkommen neten Patrick Döring, und vom Vermögen vom 29. Mai 1996 (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), und des Protokolls hierzu vom 29. Mai weiterer Abgeordneter und der Fraktion 1996 der FDP: Abschaffung der Vorlage- (Drucksachen 16/10295, 16/10537, pflicht von Prüfbüchern – Modifikation der §§ 41, 42 der Verordnung über den 16/10817) ...... 19997 B Betrieb von Kraftfahrunternehmen im e) Zweite und dritte Beratung des von der Personenverkehr Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (Drucksachen 16/6797, 16/10238) ...... 19999 B eines Gesetzes zu den Abkommen vom 26. Mai 2006 zwischen der Regierung l) Beschlussempfehlung und Bericht des der Bundesrepublik Deutschland und Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- der Regierung der Sonderverwaltungs- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- region Hongkong der Volksrepublik neten Patrick Döring, Jörg Rohde, Horst China über die gegenseitige Rechtshilfe Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordne- in Strafsachen und über die Überstel- ter und der Fraktion der FDP: Änderung lung flüchtiger Straftäter des § 34 a der Straßenverkehrs-Zulas- (Drucksachen 16/10390, 16/10895) . . . . . 19997 C sungs-Ordnung – Mobilität von Roll- stuhlfahrern verbessern, Sicherheit f) Zweite und dritte Beratung des von der nicht vernachlässigen Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (Drucksachen 16/8545, 16/10562) ...... 19999 C eines Vierten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vor- m) – v) schriften (4. VwVfÄndG) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- (Drucksachen 16/10493, 16/10844) . . . . . 19998 A schusses: Sammelübersichten 464, 465, g) Zweite Beratung und Schlussabstimmung 466, 467, 468, 469, 470, 471, 472 und 473 des von der Bundesregierung eingebrach- zu Petitionen ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- (Drucksachen 16/10788, 16/10789, trag vom 26. Februar 2008 zwischen 16/10790, 16/10791, 16/10792, 16/10793, der Bundesrepublik Deutschland und 16/10794, 16/10795, 16/10796, 16/10797 der Republik Polen über den Bau und (neu)) ...... 19999 D IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Zusatztagesordnungspunkt 6: Tagesordnungspunkt 17: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Antrag der Fraktion der FDP: Missbilligung Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- der Amtsführung und Entlassung von Bun- menarbeit und Entwicklung zu dem An- desminister trag der Abgeordneten Thilo Hoppe, (Drucksache 16/10782) ...... 20014 B Ulrike Höfken, (Bre- men), weiterer Abgeordneter und der in Verbindung mit Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Überschüssige Mittel aus EU-Agrar- haushalt für Bekämpfung der Hunger- Zusatztagesordnungspunkt 7: krise nutzen (Drucksachen 16/10591, 16/10912) . . . . . 20000 D Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Missbilligung der Amtsführung und b) Beschlussempfehlung und Bericht des Entlassung von Bundesminister Wolfgang Ausschusses für Gesundheit zu der Unter- Tiefensee richtung durch die Bundesregierung: Vor- (Drucksache 16/10918) ...... 20014 C schlag für eine Richtlinie des Europäi- Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP) ...... 20014 C schen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) der grenzüberschreitenden Gesund- (CDU/CSU) ...... 20016 A heitsversorgung (inkl. 11307/08 ADD 1 Dorothée Menzner (DIE LINKE) ...... 20017 D bis 11307/08 ADD 3) KOM(2008) 414 endg.; Ratsdok. 11307/08 Patrick Döring (FDP) ...... 20019 A (Drucksachen 16/10286 A.55, 16/10911) 20001 A Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) c) Antrag der Abgeordneten , (CDU/CSU) ...... 20019 B , , weiterer (CDU/CSU) ...... 20019 C Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Internetnutze- Dorothée Menzner (DIE LINKE) ...... 20019 D rinnen und -nutzer nicht massenhaft Klaas Hübner (SPD) ...... 20020 A kriminalisieren – Novellierung des EU- Telekommunikationspaketes nicht für (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20020 D Urheberrechtsregelungen missbrau- chen Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) ...... 20022 C (Drucksache 16/10843) ...... 20001 A Jürgen Koppelin (FDP) ...... 20023 A Uwe Beckmeyer (SPD) ...... 20023 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Enak Ferlemann (CDU/CSU) ...... 20025 C Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Bahnchef Mehdorn ablösen, Namentliche Abstimmung ...... 20026 B Verkehrsminister Tiefensee entlassen, Bör- sengang der Deutschen Bahn endgültig Ergebnis ...... 20028 C absagen ...... 20001 B Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 20001 B Tagesordnungspunkt 18: Dr. Klaus W. Lippold (CDU/CSU) ...... 20002 C a) – Beschlussempfehlung und Bericht des Patrick Döring (FDP) ...... 20003 C Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung Klaas Hübner (SPD) ...... 20004 C des Einsatzes bewaffneter deutscher (DIE LINKE) ...... 20005 C Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terro- (CDU/CSU) ...... 20007 A ristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Sat- Dr. (BÜNDNIS 90/ zung der Vereinten Nationen und des DIE GRÜNEN) ...... 20007 D Artikels 5 des Nordatlantikvertrags Sören Bartol (SPD) ...... 20009 A sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats Enak Ferlemann (CDU/CSU) ...... 20010 A der Vereinten Nationen Iris Gleicke (SPD) ...... 20011 A (Drucksachen 16/10720, 16/10824) . . . 20026 C – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Dr. (CDU/CSU) ...... 20012 A mäß § 96 der Geschäftsordnung (SPD) ...... 20013 B (Drucksache 16/10915) ...... 20026 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 V b) Beschlussempfehlung und Bericht des (Neuruppin), weiterer Abgeordneter Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag und der Fraktion der SPD zu der Un- der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), terrichtung durch die Bundesregie- Dr. , Oskar Lafontaine und rung: Jahresbericht der Bundes- der Fraktion DIE LINKE: Keine deutsche regierung zum Stand der deutschen Beteiligung an der Operation Enduring Einheit 2007 Freedom in Afghanistan – zu dem Entschließungsantrag der Ab- (Drucksachen 16/6098, 16/7908) ...... 20026 D geordneten Joachim Günther (Plauen), c) Beschlussempfehlung und Bericht des Jan Mücke, Horst Friedrich (Bay- Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag reuth), weiterer Abgeordneter und der der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Fraktion der FDP zu der Unterrichtung Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, durch die Bundesregierung: Jahres- weiterer Abgeordneter und der Fraktion bericht der Bundesregierung zum DIE LINKE: Keine deutschen Soldaten Stand der deutschen Einheit 2007 für eine schnelle Eingreiftruppe zur – zu der Unterrichtung durch die Bun- Verfügung stellen – Rechtswidrige desregierung: Jahresbericht der Bun- Kriegshandlungen beenden desregierung zum Stand der deut- (Drucksachen 16/7890, 16/9710) ...... 20026 D schen Einheit 2007 (SPD) ...... 20027 A (Drucksachen 16/7015, 16/7014, Dr. (FDP) ...... 20031 A 16/6500, 16/8865) ...... 20042 C (CDU/CSU) ...... 20032 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- Monika Knoche (DIE LINKE) ...... 20033 C entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ neten Dr. , Dr. Gesine DIE GRÜNEN) ...... 20034 C Lötzsch, , weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Erhö- Eckart von Klaeden (CDU/CSU) ...... 20036 B hung von Transparenz und Ziel- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ genauigkeit des Mitteleinsatzes für die DIE GRÜNEN) ...... 20036 C ostdeutschen Bundesländer (Drucksachen 16/7567, 16/9120) ...... 20042 C (SPD) ...... 20037 B Wolfgang Tiefensee, Bundesminister Eduard Lintner (CDU/CSU) ...... 20038 B BMVBS ...... 20042 D Rolf Kramer (SPD) ...... 20039 A Joachim Günther (Plauen) (FDP) ...... 20046 B Robert Hochbaum (CDU/CSU) ...... 20040 A Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU) ...... 20048 A (BÜNDNIS 90/ Roland Claus (DIE LINKE) ...... 20049 C DIE GRÜNEN) ...... 20040 D Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20051 A Namentliche Abstimmung ...... 20041 C Andrea Wicklein (SPD) ...... 20052 D Ergebnis ...... 20044 C (CDU/CSU) ...... 20053 D Klaas Hübner (SPD) ...... 20054 D Tagesordnungspunkt 19: Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20055 D a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresbericht der Bundesregierung (CDU/CSU) ...... 20056 D zum Stand der deutschen Einheit 2008 (CDU/CSU) (Erklärung (Drucksache 16/10454) ...... 20042 A nach § 30 GO) ...... 20057 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung Tagesordnungspunkt 20: – zu dem Entschließungsantrag der Ab- Antrag der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, geordneten Arnold Vaatz, Ulrich , Dr. Barbara Höll, weiterer Abge- Adam, , weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kin- ordneter und der Fraktion der CDU/ dergelderhöhung sofort auch bei Hartz IV CSU sowie der Abgeordneten Klaas wirksam machen Hübner, Andrea Wicklein, (Drucksache 16/10616) ...... 20058 D VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) ...... 20059 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag Jörg Tauss (SPD) ...... 20060 A der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Franz Romer (CDU/CSU) ...... 20060 C Winfried Nachtwei, Irmingard Schewe- Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Heinz-Peter Haustein (FDP) ...... 20061 C Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) ...... 20062 D UN-Resolution 1325 – Frauen, Frieden und Sicherheit – Nationaler Aktions- Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) ...... 20063 C plan zur strategischen Umsetzung Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 16/4555, 16/8608) ...... 20076 B DIE GRÜNEN) ...... 20064 D Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) ...... 20065 C DIE GRÜNEN) ...... 20076 C Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 20077 A Tagesordnungspunkt 23: Anke Eymer (Lübeck) (CDU/CSU) ...... 20078 A a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (FDP) ...... 20079 C eines Fünften Gesetzes zur Änderung Brunhilde Irber (SPD) ...... des Filmförderungsgesetzes 20080 C (Drucksachen 16/10294, 16/10495, Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ 16/10833) ...... 20066 A DIE GRÜNEN) ...... 20081 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Monika Knoche (DIE LINKE) ...... 20082 A Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, Hartwig Fischer (Göttingen) SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (CDU/CSU) ...... 20083 A NEN: Das deutsche Filmerbe sichern Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 16/8504, 16/10831) ...... 20066 B DIE GRÜNEN) ...... 20083 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) ...... 20084 C schusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. , Christel Riemann-Hanewinckel (SPD) . . . . . 20085 A Dr. , Cornelia Hirsch, weiterer Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ Abgeordneter und der Fraktion DIE DIE GRÜNEN) ...... 20085 D LINKE: Finanzierung zur Bewahrung des deutschen Filmerbes sicherstellen (Drucksachen 16/10509, 16/10891) ...... 20066 B Tagesordnungspunkt 25: , Staatsminister a) Beschlussempfehlung und Bericht des BK ...... 20066 C Ausschusses für Kultur und Medien zu der Dr. Claudia Winterstein (FDP) ...... 20067 D Unterrichtung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien: Angelika Krüger-Leißner (SPD) ...... 20068 D Fortschreibung der Gedenkstättenkon- Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE) ...... 20070 D zeption des Bundes Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ Gedenken vertiefen DIE GRÜNEN) ...... 20071 D (Drucksachen 16/9875, 16/10285 Nr. 6, Philipp Mißfelder (CDU/CSU) ...... 20072 D 16/10565) ...... 20086 D (SPD) ...... 20073 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien . . . . 20087 A Dorothee Bär (CDU/CSU) ...... 20074 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Tagesordnungspunkt 22: Sitte, Sevim Dağdelen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: a) Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller Konzepte der Vermittlung des Wis- (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, sens zur NS-Zeit überprüfen und Marieluise Beck (), weiterer Ab- den veränderten Bedingungen an- geordneter und der Fraktion BÜND- passen ...... 20087 A NIS 90/DIE GRÜNEN: Sexuelle Gewalt gegenüber Frauen in der Demokrati- – zu dem Antrag der Abgeordneten schen Republik Kongo unverzüglich Katrin Göring-Eckardt, , wirksam bekämpfen Priska Hinz (Herborn), weiterer Abge- (Drucksache 16/9779) ...... 20076 B ordneter und der Fraktion BÜND- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 VII

NIS 90/DIE GRÜNEN: Systemati- Armut bekämpfen – Rechte wahrnehmen, sche Weiterentwicklung der politi- unabhängige Sozialberatung ausweiten und schen Bildung beim Thema Natio- Selbsthilfeinitiativen unterstützen nalsozialismus (Drucksachen 16/3908, 16/4826) ...... 20101 B (Drucksachen 16/8880, 16/8184, 16/10071) ...... 20087 A Tagesordnungspunkt 27: Bernd Neumann, Staatsminister BK ...... 20087 B a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Christoph Waitz (FDP) ...... 20088 C wurfs eines Gesetzes zur arbeits- Dr. h. c. (SPD) ...... 20089 D marktadäquaten Steuerung der Zu- wanderung Hochqualifizierter und Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) ...... 20091 B zur Änderung weiterer aufenthalts- rechtlicher Regelungen (Arbeitsmig- Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ rationssteuerungsgesetz) DIE GRÜNEN) ...... 20092 C (Drucksachen 16/10288, 16/10722, Wolfgang Börnsen (Bönstrup) 16/10914) ...... 20101 C (CDU/CSU) ...... 20093 C – Zweite und dritte Beratung des von Monika Griefahn (SPD) ...... 20094 D den Abgeordneten Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Gisela Piltz, Dr. , weiteren Abgeordneten und Tagesordnungspunkt 24: der Fraktion der FDP eingebrachten Antrag der Abgeordneten Miriam Gruß, Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- , Burkhardt Müller-Sönksen, rung des Gesetzes zur Steuerung weiterer Abgeordneter und der Fraktion der und Begrenzung der Zuwanderung FDP: Die Schaffung einer Individual- und zur Regelung des Aufenthalts beschwerde im Rahmen des Übereinkom- und der Integration von Unionsbür- mens über die Rechte des Kindes gern und Ausländern (Zuwande- (Drucksache 16/9096) ...... 20096 A rungsgesetz) (Drucksachen 16/9091, 16/10914) . . . 20101 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- Tagesordnungspunkt 29: nenausschusses zu dem Antrag der Abge- – Zweite und dritte Beratung des von der ordneten Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Dr. Heinrich L. Kolb, Patrick Meinhardt, eines Gesetzes zur Änderung des Geset- weiterer Abgeordneter und der Fraktion zes über die Überführung der Anteils- der FDP: Zuwanderung durch ein Punk- rechte an der Volkswagenwerk Gesell- tesystem steuern – Fachkräftemangel schaft mit beschränkter Haftung in wirksam bekämpfen private Hand (Drucksachen 16/8492, 16/10914) ...... 20101 D (Drucksachen 16/10389, 16/10896) . . . . . 20096 B – Zweite und dritte Beratung des von den Tagesordnungspunkt 28: Abgeordneten Dorothée Menzner, Dr. , Dr. Barbara Höll, wei- Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, teren Abgeordneten und der Fraktion DIE , , weiterer LINKE eingebrachten Entwurfs eines Ge- Abgeordneter und der Fraktion BÜND- setzes zur Änderung des VW-Gesetzes NIS 90/DIE GRÜNEN: Sicherung der inter- (Drucksachen 16/8449, 16/10896) ...... 20096 B kommunalen Zusammenarbeit (Drucksache 16/9443) ...... 20102 C Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ ...... 20096 C Tagesordnungspunkt 21: Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) ...... 20097 C b) – Zweite und dritte Beratung des von der Dorothée Menzner (DIE LINKE) ...... 20099 B Bundesregierung eingebrachten Ent- (SPD) ...... 20100 A wurfs eines Gesetzes zur Modernisie- rung und Entbürokratisierung des Steuerverfahrens (Steuerbürokratie- Tagesordnungspunkt 26: abbaugesetz) (Drucksachen 16/10188, 16/10579, Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- 16/10910, 16/10940) ...... 20102 D schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten , Klaus – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Ernst, Dr. , weiterer Abgeord- mäß § 96 der Geschäftsordnung neter und der Fraktion DIE LINKE: Verdeckte (Drucksache 16/10916) ...... 20102 D VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Tagesordnungspunkt 30: Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) ...... 20113 B Antrag der Abgeordneten , Rainer Dr. Rainer Tabillion (SPD) ...... 20114 C Brüderle, Ulrike Flach, weiterer Abgeordne- Rainer Brüderle (FDP) ...... 20115 D ter und der Fraktion der FDP: Mittelstands- förderung sichern – ERP-Vermögen aus Sabine Zimmermann (DIE LINKE) ...... 20116 B der KfW Bankengruppe herauslösen Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 16/8928) ...... 20103 A DIE GRÜNEN) ...... 20117 A Dr. h. c. (CDU/CSU) . . . . . 20103 B Garrelt Duin (SPD) ...... 20104 B Tagesordnungspunkt 35: Frank Schäffler (FDP) ...... 20105 B – Zweite und dritte Beratung des von der Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) ...... 20105 D Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ des Autobahnmautgesetzes für schwere DIE GRÜNEN) ...... 20106 B Nutzfahrzeuge (Drucksachen 16/10388, 16/10897) . . . . . 20117 D Tagesordnungspunkt 31: – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (Drucksache 16/10898) ...... 20117 D desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rahmen- bedingungen für die Absicherung flexibler Tagesordnungspunkt 36: Arbeitszeitregelungen (Drucksachen 16/10289, 16/10693, 16/10901) 20107 B a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Tagesordnungspunkt 32: Änderung des Vierten Buches So- zialgesetzbuch und anderer Gesetze Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- (Drucksachen 16/10488, 16/10903) . . 20118 A schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordne- mäß § 96 der Geschäftsordnung ter und der Fraktion DIE LINKE: Wohnungs- (Drucksache 16/10904) ...... 20118 B losigkeit vermeiden – Wohnungslose unter- b) Beschlussempfehlung und Bericht des stützen – SGB II überarbeiten Ausschusses für Arbeit und Soziales zu (Drucksachen 16/9487, 16/10906) ...... 20107 D dem Antrag der Abgeordneten Werner (CDU/CSU) ...... 20107 D Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) ...... 20108 D DIE LINKE: Verstöße gegen den Min- Heinz-Peter Haustein (FDP) ...... 20109 C destlohn im Baugewerbe wirksam bekämpfen Katja Kipping (DIE LINKE) ...... 20110 D (Drucksachen 16/9594, 16/10902) ...... 20118 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Peter Rauen (CDU/CSU) ...... 20118 C DIE GRÜNEN) ...... 20111 C Andreas Steppuhn (SPD) ...... 20120 A Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 20121 D Tagesordnungspunkt 33: Werner Dreibus (DIE LINKE) ...... 20123 A Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ desregierung eingebrachten Entwurfs eines DIE GRÜNEN) ...... Gesetzes zur Einführung Unterstützter Be- 20123 C schäftigung Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär (Drucksachen 16/10487, 16/10905) ...... 20112 D BMAS ...... 20124 B

Tagesordnungspunkt 34: Tagesordnungspunkt 37: Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, – Zweite und dritte Beratung des von der Martin Zeil, Birgit Homburger, weiterer Ab- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs geordneter und der Fraktion der FDP: Wirt- eines Investitionszulagengesetzes 2010 schaftliche Dynamik fördern – Gewerbe- (InvZulG 2010) anmeldungen entbürokratisieren (Drucksachen 16/10291, 16/10496, (Drucksache 16/9338) ...... 20113 B 16/10886) ...... 20125 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 IX

– Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Ulla Lötzer (DIE LINKE) ...... 20137 C § 96 der Geschäftsordnung Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Drucksache 16/10917) ...... 20125 B (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 20138 A Simone Violka (SPD) ...... 20125 C

Christian Ahrendt (FDP) ...... 20127 B Tagesordnungspunkt 41: Manfred Kolbe (CDU/CSU) ...... 20127 D – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Dorothée Menzner (DIE LINKE) ...... 20128 D eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ Gesetzes zur Änderung des Urheber- DIE GRÜNEN) ...... 20129 C rechtsgesetzes (Drucksachen 16/10569, 16/10894) . . . . . 20138 C – Zweite und dritte Beratung des von den Tagesordnungspunkt 38: Abgeordneten Jerzy Montag, (Köln), , weiteren Abgeordne- – Zweite und dritte Beratung des von den ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Fraktionen der CDU/CSU und der SPD GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines eingebrachten Entwurfs eines Ersten Ge- … Gesetzes zur Änderung des Urheber- setzes zur Änderung des Bundeseltern- rechtsgesetzes geld- und Elternzeitgesetzes (Drucksachen 16/10566, 16/10894) . . . . . 20138 C (Drucksachen 16/9415, 16/10689) ...... 20130 D Dr. Günter Krings (CDU/CSU) ...... 20138 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Dirk Manzewski (SPD) ...... 20140 B eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Bundeselterngeld- und Elternzeitgeset- (FDP) ...... 20141 A zes (Drucksachen 16/10118, 16/10689) . . . . . 20130 D Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) ...... 20141 D Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20142 D Tagesordnungspunkt 39: Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär Zweite und dritte Beratung des von der Bun- BMJ ...... 20143 C desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Zugang zu digitalen Geo- daten (Geodatenzugangsgesetz – GeoZG) Tagesordnungspunkt 42: (Drucksachen 16/10530, 16/10580, 16/10892) 20131 B Erste Beratung des von der Bundesregierung Ulrich Petzold (CDU/CSU) ...... 20131 C eingebrachten Entwurfs eines Fünften Geset- zes zur Änderung des Zweiten Buches (SPD) ...... 20132 D Sozialgesetzbuch (Drucksache 16/10811) ...... 20144 B Horst Meierhofer (FDP) ...... 20133 A Karl Schiewerling (CDU/CSU) ...... 20144 C Lutz Heilmann (DIE LINKE) ...... 20133 D Angelika Krüger-Leißner (SPD) ...... 20145 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20134 D Heinz-Peter Haustein (FDP) ...... 20146 B Katrin Kunert (DIE LINKE) ...... 20146 C

Tagesordnungspunkt 40: Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20148 D Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär desregierung eingebrachten Entwurfs eines BMAS ...... 20149 D Gesetzes über das Personal der Bundes- agentur für Außenwirtschaft (BfAI-Perso- nalgesetz – BfAIPG) Tagesordnungspunkt 43: (Drucksachen 16/10293, 16/10664, 16/10883) 20135 C Erste Beratung des von der Bundesregierung Erich G. Fritz (CDU/CSU) ...... 20135 D eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rolf Hempelmann (SPD) ...... 20136 B Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts Ulrike Flach (FDP) ...... 20137 A (Drucksache 16/10798) ...... 20150 B X Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Tagesordnungspunkt 44: Tagesordnungspunkt 46: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung des Raumord- Düngegesetzes nungsgesetzes und zur Änderung anderer (Drucksachen 16/10032, 16/10874) ...... 20152 B Vorschriften (GeROG) (Drucksachen 16/10292, 16/10332, 16/10900) 20150 C Nächste Sitzung ...... 20152 D

Berichtigung ...... 20153 A Tagesordnungspunkt 45: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Anlage 1 wurfs eines Gesetzes zur Änderung Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 20155 A des Staatsangehörigkeitsgesetzes (Drucksachen 16/10528, 16/10695, 16/10913) ...... 20151 A Anlage 2 – Zweite und dritte Beratung des vom Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- Renate Blank (CDU/CSU) zur namentlichen nes … Gesetzes zur Änderung des Abstimmung über die Anträge: Missbilligung Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) der Amtsführung und Entlassung von Bun- (Drucksachen 16/5107, 16/10913) . . . 20151 A desminister Wolfgang Tiefensee (Tagesord- nungspunkt 17 und Zusatztagesordnungs- – Zweite und dritte Beratung des von punkt 7) ...... 20155 B den Abgeordneten Josef Philip Winkler, Hans-Christian Ströbele, Monika Lazar, weiteren Abgeordne- Anlage 3 ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten wurfs eines Gesetzes zur Änderung Renate Gradistanac (SPD) zur namentlichen des Staatsangehörigkeitsrechtes Abstimmung über die Anträge: Missbilligung (Drucksachen 16/2650, 16/10913) . . . 20151 A der Amtsführung und Entlassung von Bun- desminister Wolfgang Tiefensee (Tagesord- b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nungspunkt 17 und Zusatztagesordnungs- nenausschusses punkt 7) ...... 20155 C

– zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, , Petra Anlage 4 Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einbürgerun- Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten gen erleichtern – Ausgrenzungen (CDU/CSU) zur namentli- ausschließen chen Abstimmung über die Anträge: Missbil- ligung der Amtsführung und Entlassung von – zu dem Antrag der Abgeordneten Bundesminister Wolfgang Tiefensee (Tages- Sevim Dağdelen, Wolfgang Nešković, ordnungspunkt 17 und Zusatztagesordnungs- Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter punkt 7) ...... 20155 C und der Fraktion DIE LINKE: Für die Abschaffung der Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsgesetz Anlage 5 – zu dem Antrag der Abgeordneten Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Sevim Dağdelen, Ulla Jelpke, Abstimmung über die Beschlussempfehlung Dr. Hakki Keskin, und der zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortset- Fraktion DIE LINKE: Klare Grenzen zung des Einsatzes bewaffneter deutscher für die Rücknahme und den Verlust Streitkräfte bei der Unterstützung der gemein- der deutschen Staatsangehörigkeit samen Reaktion auf terroristische Angriffe ziehen gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des (Drucksachen 16/1770, 16/9165, Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der 16/9654, 16/10913) ...... 20151 C Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 XI des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen beschwerde im Rahmen des Übereinkom- (Tagesordnungspunkt 18 a) mens über die Rechte des Kindes (Tagesord- nungspunkt 24) Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) ...... 20155 D Thomas Mahlberg (CDU/CSU) ...... 20160 C Lothar Mark (SPD) ...... 20156 C Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Wolfgang Spanier (SPD) ...... 20157 A (SPD) ...... 20161 C Dr. Rainer Stinner (FDP) ...... 20157 B Miriam Gruß (FDP) ...... 20162 B Lydia Westrich (SPD) ...... 20157 C Diana Golze (DIE LINKE) ...... 20163 B Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ Anlage 6 DIE GRÜNEN) ...... 20164 A Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes über die Überführung der Anlage 11 Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesell- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: schaft mit beschränkter Haftung in private Hand (Tagesordnungspunkt 29) – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Überführung der An- Thomas Bareiß (CDU/CSU) ...... 20158 B teilsrechte an der Volkswagenwerk Gesell- (CDU/CSU) ...... 20158 C schaft mit beschränkter Haftung in private Hand (CDU/CSU) ...... 20158 D – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des VW-Gesetzes Anlage 7 (Tagesordnungspunkt 29) Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Paul K. Friedhoff (FDP) ...... 20165 A Peter Albach, , , und Volkmar Uwe Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ Vogel (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über DIE GRÜNEN) ...... 20166 B den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Autobahnmautgesetzes für schwere Nutzfahrzeuge (Tagesordnungs- Anlage 12 punkt 35) ...... 20159 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Verdeckte Armut bekämpfen – Rechte wahr- Anlage 8 nehmen, unabhängige Sozialberatung auswei- Erklärung des Abgeordneten Volker Beck ten und Selbsthilfeinitiativen unterstützen (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur (Tagesordnungspunkt 26) Abstimmung über den Entwurf eines Peter Weiß (Emmendingen) Gesetzes zur Änderung des Bundesbesol- (CDU/CSU) ...... 20166 D dungsgesetzes (186. Sitzung, Tagesordnungs- punkt 8 c) ...... 20159 B Rolf Stöckel (SPD) ...... 20168 A Heinz-Peter Haustein (FDP) ...... 20169 C Anlage 9 Katja Kipping (DIE LINKE) ...... 20170 C Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung DIE GRÜNEN) ...... 20171 C des Telekommunikationsgesetzes (186. Sit- zung, Tagesordnungspunkt 11) Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär Anlage 13 BMWi ...... 20159 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur arbeits- marktadäquaten Steuerung der Zuwande- Anlage 10 rung Hochqualifizierter und zur Änderung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung weiterer aufenthaltsrechtlicher Regelun- des Antrags: Die Schaffung einer Individual- gen (Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz) XII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU) ...... 20187 D Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Wolfgang Grotthaus (SPD) ...... 20189 A Aufenthalts und der Integration von Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 20189 C Unionsbürgern und Ausländern (Zuwan- derungsgesetz) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 20190 D – Beschlussempfehlung und Bericht: Zu- Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ wanderung durch ein Punktesystem steu- DIE GRÜNEN) ...... 20191 C ern – Fachkräftemangel wirksam bekämp- Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär fen BMAS ...... 20192 B (Tagesordnungspunkt 27 a und b) (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 20172 D Anlage 17 Rüdiger Veit (SPD) ...... 20175 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) ...... 20176 B des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung Unterstützter Beschäftigung (Tagesordnungs- Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 20177 A punkt 33) Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ Hubert Hüppe (CDU/CSU) ...... 20193 A DIE GRÜNEN) ...... 20178 D Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) ...... 20194 B Dr. Erwin Lotter (FDP) ...... 20195 A Anlage 14 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) ...... 20195 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Sicherung der interkommunalen Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Zusammenarbeit (Tagesordnungspunkt 28) DIE GRÜNEN) ...... 20196 C Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 20179 C Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär BMAS ...... 20197 D Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . 20180 D Paul K. Friedhoff (FDP) ...... 20181 B Anlage 18 Ulla Lötzer (DIE LINKE) ...... 20182 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- DIE GRÜNEN) ...... 20182 C derung des Autobahnmautgesetzes für schwere Nutzfahrzeuge (Tagesordnungs- punkt 35) Anlage 15 Wilhelm Josef Sebastian (CDU/CSU) ...... 20198 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie- Uwe Beckmeyer (SPD) ...... 20200 A rung und Entbürokratisierung des Steuerver- Jan Mücke (FDP) ...... 20201 A fahrens (Steuerbürokratieabbaugesetz) (Ta- gesordnungspunkt 21 b) Lutz Heilmann (DIE LINKE) ...... 20201 D Manfred Kolbe (CDU/CSU) ...... 20183 A (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20202 D Gabriele Frechen (SPD) ...... 20184 C Achim Großmann, Parl. Staatssekretär Dr. Volker Wissing (FDP) ...... 20185 C BMVBS ...... 20203 B Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 20186 B Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20187 A Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe eines Ersten Gesetzes zur Ände- Anlage 16 rung des Bundeselterngeld- und Elternzeitge- setzes (Tagesordnungspunkt 38) Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung Ingrid Fischbach (CDU/CSU) ...... 20204 B der Rahmenbedingungen für die Absicherung Dieter Steinecke (SPD) ...... 20206 A flexibler Arbeitszeitregelungen (Tagesord- nungspunkt 31) Ina Lenke (FDP) ...... 20207 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 XIII

Jörn Wunderlich (DIE LINKE) ...... 20207 D Anlage 22 Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: DIE GRÜNEN) ...... 20208 C – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes

Anlage 20 – Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Staatsangehörigkeitsrechtes des Zugewinnausgleichs- und Vormund- schaftsrechts (Tagesordnungspunkt 43) – Beschlussempfehlung und Bericht: (CDU/CSU) ...... 20209 B – Antrag: Einbürgerungen erleichtern – Ausgrenzungen ausschließen (SPD) ...... 20210 D – Antrag: Für die Abschaffung der Op- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger tionspflicht im Staatsangehörigkeitsge- (FDP) ...... 20212 B setz – Antrag: Klare Grenzen für die Rück- Jörn Wunderlich (DIE LINKE) ...... 20213 B nahme und den Verlust der deutschen Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ Staatsangehörigkeit ziehen DIE GRÜNEN) ...... 20213 D (Tagesordnungspunkt 45 a und b) Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär Günter Baumann (CDU/CSU) ...... 20221 B BMJ ...... 20214 C Rüdiger Veit (SPD) ...... 20222 B Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) ...... 20223 B Anlage 21 Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 20224 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ des Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung DIE GRÜNEN) ...... 20225 D des Raumordnungsgesetzes und zur Ände- rung anderer Vorschriften (GeROG) (Tages- ordnungspunkt 44) Anlage 23 Enak Ferlemann (CDU/CSU) ...... 20215 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Düngegesetzes (Tagesord- Petra Weis (SPD) ...... 20216 C nungspunkt 46) Patrick Döring (FDP) ...... 20217 C Johannes Röring (CDU/CSU) ...... 20226 B (DIE LINKE) ...... 20218 C (SPD) ...... 20227 A Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) ...... 20227 D DIE GRÜNEN) ...... 20219 B Dr. (DIE LINKE) ...... 20228 B Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ BMVBS ...... 20220 A DIE GRÜNEN) ...... 20229 B

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19963

(A) (C) Redetext

187. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Beginn: 9.30 Uhr

Präsident Dr. : Überweisungsvorschlag: Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolle- Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) ginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ausschuss für Kultur und Medien Federführung strittig Ich begrüße Sie alle herzlich. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich Ihnen mittei- Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton len, dass der Kollege am 5. November Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Frak- auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag ver- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zichtet hat. (Zurufe von der SPD: Das ist aber schade! – Feinstaubreduktion im Straßenverkehr fort- Das bedauern wir aber!) setzen – Filteraustausch umsetzen, Prüf- und Messverfahren für Dieselrußpartikelfilter ein- (B) – Das ist Ihnen vor dieser ultimativen Entscheidung of- führen (D) fensichtlich nicht mit der gleichen Deutlichkeit vorgetra- gen worden, wie das jetzt nachträglich der Fall ist. – Je- – Drucksache 16/9802 – denfalls ergibt sich nun die definitive Konsequenz, dass Überweisungsvorschlag: als Nachfolger der Kollege Matthäus Strebl im Deut- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) schen Bundestag zu begrüßen ist, der uns bereits aus frü- Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie heren Wahlperioden bestens vertraut ist. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Technikfolgenabschätzung und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Lieber Kollege Strebl, ich begrüße Sie ganz herzlich. c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ihnen muss ich besonders wenig erläutern, in welcher Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Britta guten Gesellschaft Sie sich hier befinden. Wir freuen Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- uns, dass Sie wieder dabei sind und auf die weitere Zu- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sammenarbeit. Transparenz an den Finanzmärkten schaffen – Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- Anschleichtaktik bei verdeckten Unterneh- dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf- mensübernahmen verhindern geführten Punkte zu erweitern: – Drucksache 16/10640 – ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren (Ergänzung zu TOP 47) Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans- Innenausschuss Rechtsausschuss Joachim Otto (Frankfurt), Jörg van Essen, Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Gudrun Kopp, weiteren Abgeordneten und der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Verbraucherschutz Gesetzes zur Wahrung der Rechtssicherheit bei der Telekommunikationsüberwachung d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl- und anderen verdeckten Ermittlungsmaßnah- Theodor Freiherr zu Guttenberg, Eckart von men Klaeden, Anke Eymer (Lübeck), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie – Drucksache 16/10838 – der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Gert 19964 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Weisskirchen (Wiesloch), Gerd Andres, weiterer c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje (C) Abgeordneter und der Fraktion der SPD Staffelt, Jerzy Montag, Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Nichtstaatliche militärische Sicherheitsunter- DIE GRÜNEN nehmen kontrollieren Internetnutzerinnen und -nutzer nicht mas- – Drucksache 16/10846 – senhaft kriminalisieren – Novellierung des Überweisungsvorschlag: EU-Telekommunikationspaketes nicht für Auswärtiger Ausschuss (f) Urheberrechtsregelungen missbrauchen Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Drucksache 16/10843 – Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und LINKE: Entwicklung e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bahnchef Mehdorn ablösen, Verkehrsminis- Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin- ter Tiefensee entlassen, Börsengang der Deut- Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der schen Bahn endgültig absagen Fraktion DIE LINKE ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Pakistan und Afghanistan stabilisieren – Für eine zentralasiatische regionale Sicherheits- Missbilligung der Amtsführung und Entlas- konferenz sung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee – Drucksache 16/10845 – – Drucksache 16/10918 – Überweisungsvorschlag: Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie weit erforderlich, abgewichen werden. Verteidigungsausschuss Der Tagesordnungspunkt 21 a – dabei handelt es sich ZP 6 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- um das Jahressteuergesetz 2009 – muss abgesetzt wer- sprache (Ergänzung zu TOP 48) den. In der Folge sollen die Tagesordnungspunkte 23, 25, 29 und 21 b jeweils nach den Tagesordnungspunkten a) Beratung der Beschlussempfehlung und des 20, 22, 24 und 28 aufgerufen werden. – Das scheint nie- Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche manden wirklich zu beunruhigen, sodass wir das so ver- (B) Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Aus- einbaren können. (D) schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ulrike Höfken, Marieluise Beck (Bre- Schließlich ist vorgesehen, den Entwurf des Erb- men), weiterer Abgeordneter und der Fraktion schaftsteuerreformgesetzes auf den Drucksachen 16/7918 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und 16/8547 nachträglich gemäß § 96 unserer Ge- schäftsordnung zusätzlich an den Haushaltsausschuss Überschüssige Mittel aus EU-Agrarhaushalt zur Mitberatung zu überweisen: für Bekämpfung der Hungerkrise nutzen Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- – Drucksachen 16/10591, 16/10912 – gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform Berichterstattung: des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts Abgeordnete Anette Hübinger (Erbschaftsteuerreformgesetz – ErbStRG) Dr. – Drucksachen 16/7918, 16/8547 – Hellmut Königshaus überwiesen: Finanzausschuss (f) Thilo Hoppe Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- Verbraucherschutz schuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesre- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gierung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Sind Sie auch damit einverstanden? – Das ist offenkun- Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen dig der Fall. Dann ist das so beschlossen. Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschrei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentri- tenden Gesundheitsversorgung (inkl. 11307/08 büne hat der Präsident des Storting des Königreichs ADD 1 bis 11307/08 ADD 3) Norwegen, Herr Thorbjørn Jagland, mit seiner Dele- KOM(2008) 414 endg.; Ratsdok. 11307/08 gation Platz genommen. – Drucksachen 16/10286 A.55, 16/10911 – (Beifall) Berichterstattung: Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deut- Abgeordneter schen Bundestages, von denen Ihnen einige bereits in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19965

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) den letzten Tagen begegnet sind, begrüße ich Sie ganz gen beinhaltet haben, regelmäßig begleitet haben. Ich (C) herzlich. habe mindestens vier dieser Gesetze bereits mutig mit- gestalten können, und jedes von ihnen hat die Situation Sehr geehrter Herr Präsident, es ist uns eine große der Familien verbessert. Deswegen arbeite ich auch die- Freude, Sie und Ihre Begleitung zu einem offiziellen Be- ses Mal voll Lust daran mit, trotz aller Widrigkeiten, die such in Deutschland zu Gast zu haben. Der Deutsche uns bestimmt ins Haus stehen werden. Bundestag misst der Zusammenarbeit unserer Parla- mente – gerade wegen der immer größeren Bedeutung Als ich 1990 in den Bundestag kam, haben wir für der europäischen Kooperation – große Bedeutung bei. Kindergeld und Kinderfreibetrag umgerechnet gerade Ihr Besuch in Deutschland ist Ausdruck der freund- einmal 5,7 Milliarden Euro ausgegeben. 2005/2006, also schaftlichen und engen Beziehungen. Wir hatten schon 15 Jahre später, waren es dann über 35 Milliarden Euro. gestern Gelegenheit, unsere gemeinsame Freude darüber Das Volumen hat sich in dieser Zeit also verfünffacht, zum Ausdruck zu bringen, dass nicht nur die Beziehun- und jeder Cent davon ist gut angelegt. gen zwischen unseren Ländern exzellent sind, sondern dass sich auch und gerade die Beziehungen zwischen un- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten seren Parlamenten in den vergangenen Jahren in einer der CDU/CSU) erfreulichen Weise vertieft haben. Daran wollen wir wei- Mit diesem Gesetz kommen noch einmal terarbeiten. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen 2 Milliarden Euro hinzu. Der Kinderfreibetrag wird auf angenehmen und ergebnisreichen Aufenthalt in Deutsch- das neu ausgerechnete sächliche Existenzminimum für land. Herzlich willkommen! Kinder von 6 024 Euro angehoben. Im Gesetz steht zwar (Beifall) noch der Betrag von 6 000 Euro; hier war das Kabinett mit seiner Entscheidung schneller als die Rechner. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 15 auf: Schon bei der Einbringung können wir also diesen Än- Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- derungsantrag ankündigen. Noch einmal: Der Kinder- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förde- freibetrag beläuft sich auf 6 024 Euro. Das Kindergeld rung von Familien und haushaltsnahen Dienst- wird pro Kind um 10 Euro erhöht; ab dem dritten Kind leistungen (Familienleistungsgesetz – FamLeistG) kommen weitere 6 Euro hinzu. – Drucksache 16/10809 – „Das ist gut“, hat meine Mitarbeiterin gesagt, „da Überweisungsvorschlag: habe ich ja schon die Hälfte meiner Mieterhöhung wie- Finanzausschuss (f) der herein; jeden Monat 20 Euro mehr kann man gut Ausschuss für Arbeit und Soziales brauchen.“ Meine Nachbarin ist eine alleinerziehende (B) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Mutter und Studentin. Sie hat mir erzählt, dass sie nun (D) Ausschuss für Gesundheit endlich ein kleines Sparbuch anlegen wird. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung So bescheiden die Erhöhung für die einzelnen Fami- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO lien ausfällt, so summieren sich die Ausgaben ja doch Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für auf mehr als 2 Milliarden Euro. Dazu addieren Sie, liebe die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Kolleginnen und Kollegen, das Kindertagesstättenaus- Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so bauprogramm mit 4 Milliarden Euro, die letzten Reste verfahren. vom Ganztagsschulprogramm, die Abzugsfähigkeit von Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst Kinderbetreuungskosten, also für Kindergartenbeiträge, die Kollegin Lydia Westrich für die SPD-Fraktion. Tagesmütter usw., die Anhebung des BAföG, die Anhe- bung des Wohngeldes, das erfolgreiche Elterngeld und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Erhöhung des Kinderzuschlages. Damit erreichen der CDU/CSU) wir innerhalb von nur zwei Jahren eine mehr als statt- liche Summe, die die Große Koalition den Familien zur Lydia Westrich (SPD): Verfügung gestellt hat. Vielen Dank, Herr Präsident. – Guten Morgen, Kolle- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ginnen und Kollegen! Heute bringen wir den Entwurf ei- der CDU/CSU) nes Familienleistungsgesetzes ein, und darüber freue ich mich sehr. Vor kurzem habe ich in einer Zeitung gelesen, Bei all diesen Maßnahmen haben wir immer die indi- das Klügste, was ein Politiker oder eine Politikerin beim viduellen Lebensplanungen der Familien berücksichtigt, Thema Kindergeld machen könne, sei es, einfach zu also keine Direktiven ausgegeben, sondern Angebote schweigen. Wir können hierbei im Grunde nichts richtig unterbreitet, die die bunte Vielfalt der Lebensformen un- machen. Erhöhen wir das Kindergeld, dann ist es nicht terstützen und fördern. Dabei ist der Ausbau der Kin- genug; lehnen wir eine Erhöhung ab, dann sind wir na- dertagesbetreuung ein ganz besonders wichtiger Schritt türlich familienfeindlich. Erhöhen wir den Kinderfreibe- für uns gewesen, versehen mit einem Rechtsanspruch, trag, dann nützt es nur den Besserverdienenden; machen über den sich die SPD-Fraktion selbstverständlich be- wir es nicht, verstoßen wir gegen die Verfassung. sonders freut. Ich habe nicht geglaubt, dass wir für die Familien so weit vorankommen werden. Diese Zeitungsbeschreibung erinnert mich an einige Anhörungen, Briefe und Presseerklärungen aus den letz- Die Unterstützung der verschiedenen Familien- und ten Jahren, die unsere Gesetze, die Kindergelderhöhun- Lebensphasen gilt auch für den zweiten Bereich des Fa- 19966 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Lydia Westrich (A) milienleistungsgesetzes, das mit vollem Namen „Gesetz Das sind immer nur ganz kleine Facetten, aber – das (C) zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienst- müssen Sie zugeben, Kolleginnen und Kollegen – diese leistungen“ heißt. Versuche, die Rolle von Haushalten machen die Lebensqualität von Familien erst aus, und als Arbeitgeber zu forcieren und den hohen Anteil von das unterstützen wir bei Familien nachhaltig. Ich bin da- Schwarzarbeit in diesem Bereich zurückzudrängen, lau- von überzeugt, dass die Ausweitung und Vereinfachung fen schon seit vielen Jahren mit mehr oder minder viel der Förderung von haushaltsnahen Dienstleistungen ein Erfolg. guter Beitrag dazu ist. Es gibt viele Studien, die einen hohen Arbeitskräfte- (Beifall bei der SPD) bedarf im Bereich haushaltsnaher Dienstleistungen fest- stellen, aber so richtig im Fluss ist dies noch nicht, vor Der dritte wichtige Punkt des Gesetzentwurfs ist das allem im Hinblick auf legale, sozialversicherungspflich- Schulbedarfspaket. Das lässt mich nun wirklich mit ei- tige Beschäftigungsverhältnisse. Bisher waren die För- nem lachenden und einem weinenden Auge hier stehen. dermöglichkeiten in Regelungen hierzu in verschiedens- Lange, lange hat die SPD-Fraktion für dieses Schulbe- ten Bereichen versteckt, sodass die Leute sie kaum darfspaket gekämpft. Ich habe mich schon geschämt, finden konnten. Mit diesem Gesetz ist es nun gelungen, wenn die Caritas mir wieder Briefe geschickt hat, in de- alle Regelungen zu Steuerermäßigungen in Bezug auf nen sie auf die finanziellen Grenzen von Hartz-IV-Emp- haushaltsnahe Dienstleistungen und Beschäftigungsver- fängern bei der Schulbedarfsbeschaffung hingewiesen hältnisse übersichtlich in einem Paragrafen des Einkom- hat. Nun haben wir das Paket in diesem Gesetzentwurf mensteuerrechts zu verankern. Zudem haben wir den verankert. 100 Euro pro Kind pro Schuljahr, das ist eine Umfang der Förderung erheblich ausgeweitet. echte Hilfe für Familien, die ihren Kindern trotz Schul- 20 Prozent auf alles, angelehnt an einen bekannten Wer- buchgutscheinen und Ähnlichem nicht das erforderliche beslogan, kann man hier sagen. Ob Kochen, Putzen, Bü- Material – Schulranzen, Farbkästen, Hefte usw. – zur geln oder Pflegeleistungen zusätzlich zur familiären Verfügung stellen können. Ich freue mich schon auf den Pflege oder im betreuten Wohnen oder im Heim – die Brief, den ich jetzt an die Caritas schreiben kann. Kosten für diese Dienstleistungen mindern die tarifliche Einkommensteuer der Auftraggeber. Es sind nicht ein- Aber – das ist der große Wermutstropfen für mich und fach nur Freibeträge, die sich erst bei den Beziehern hö- die gesamte sozialdemokratische Bundestagsfraktion – herer Einkommen richtig vorteilhaft auswirken, sondern dieses Schulbedarfspaket ist bis zum 10. Schuljahr be- es ist ein Abzug von der Steuerschuld, der sich auch bei fristet, und das darf nicht sein. Gerade die Familien, die Beziehern kleiner Einkommen voll bemerkbar machen es trotz niedrigstem Einkommen schaffen, ihren Kindern wird. Ich bin sehr froh darüber, dass die SPD-Bundes- eine gute Schulausbildung zu ermöglichen, dürfen nicht tagsfraktion das durchsetzen konnte. im Regen stehen gelassen werden. (B) (D) (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN, des BÜNDNIS- Meine andere Nachbarin ist eine alte Dame, die zur SES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Carl- Familie ihrer Tochter gezogen ist, um dort besser ver- Ludwig Thiele [FDP]) sorgt zu werden. Sie hat ihr altes Haus im Dorf vermietet und zahlt deshalb etwas an Steuern. Sie hat richtig ge- Hinzu kommt natürlich, dass die Ausgaben in den höhe- strahlt, als ich ihr erklärte, dass sie die Kosten für ihre ren Schulklassen steigen. Bügelfrau aus der Sozialstation nun von der Steuer ab- setzen kann. Da könne sie sich nächstes Jahr noch ein Da appelliere ich noch einmal ganz ausdrücklich an paar Stunden mehr Hilfe von der Sozialstation erlauben, Sie, Frau Ministerin von der Leyen. Wir reden viel da- sagte sie. Das hat sie ganz glücklich gemacht. von, dass es darum gehen muss, Wege zu finden, die Kinderarmut zu bekämpfen. Wir dürfen Familien, die Das bewirkt genau das, was wir mit dieser Förderung Unterstützung zum Lebensunterhalt benötigen, doch erreichen wollen: Stabilisierung und Ausweitung sozial- nicht signalisieren: Eure Kinder unterstützen wir nur bis versicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse bei zur 10. Klasse, also Hauptschul- oder Realschulab- Sozialstationen, Dienstleistungsagenturen, Pflegediens- schluss. – Das ist undenkbar. ten oder wie sie alle heißen und Erleichterung der Fami- lienarbeit in all ihren Facetten, von der Kinderbetreuung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bis zur Hilfe bei der Pflege von Angehörigen. Das ist ein der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE wichtiger Baustein bei den Bemühungen, Familie und GRÜNEN) Beruf unter einen Hut zu bekommen. Alle bisherigen Studien, vor allem internationale, be- Für mich ist das eine ganz besondere Familienförde- anstanden in Deutschland die Undurchlässigkeit des rung. Der steuersubventionierte Einkauf von Leistungen Schulsystems. In keinem Land ist die Herkunft für das schenkt der Familie Zeit für sich und das Zusammenle- Bildungsfortkommen so maßgebend wie bei uns. Dass ben. Man muss nicht mehr sagen: „Schönes Wetter, aber wir diesen, wie ich finde, schrecklichen Makel unseres schade, ich muss Fenster putzen“, sondern kann mit den Landes, in dem doch alle Kinder mit ihren Talenten und Kindern unbeschwert den Gang ins Grüne antreten oder Fähigkeiten so dringend gebraucht werden, auch noch den genussreichen Friseurbesuch machen, während die durch ein Familienleistungsgesetz sozusagen festschrei- Oma gut versorgt zu Hause ist. ben, ist für uns Sozialdemokraten unvorstellbar. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19967

Lydia Westrich (A) Wir können doch nicht einen höheren Freibetrag für Kinder bereichern unsere Gesellschaft. Dass alle Teile (C) Kinder einführen, die an Privatschulen unterrichtet wer- der Gesellschaft von dieser Bereicherung profitieren, da- den – das tun wir, und das ist auch gut –, und fast gleich- für sollten wir uns alle gemeinsam einsetzen. zeitig entscheiden, dass wir die jährlich 100 Euro für (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Kinder aus Hartz-IV-Familien, die sich den Weg zum bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und Gymnasium sicher mehr als hart erkämpft haben, nicht des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) übrig haben. Deshalb halten wir es auch nicht für angezeigt, die ganze Der dritte Teil dieses Gesetzes bringt den Familien, Diskussion über Familien nur auf den finanziellen Teil die es brauchen, wirkliche Erleichterung. Aber die dorti- zu reduzieren. Das habe ich ja gerade in meinem Vor- gen Regelungen müssen entfristet werden. Ich kann mir wort dargestellt. Aber natürlich muss man sich, wenn das Signal, Bildung ernst zu nehmen, ganz anders vor- man sich mit der Situation der Familien beschäftigt, stellen: Wir könnten zum Beispiel Kindern aus Familien, auch damit auseinandersetzen, wie die gesellschaftliche die Zuschuss zum Lebensunterhalt benötigen und das Wirklichkeit in unserem Land für die Familien aussieht. elfte Schuljahr besuchen, einen höheren Schulbedarfs- Kinderfreundlichkeit der Gesellschaft ist die eine Seite satz zusprechen. Über die Höhe können wir ja noch ge- der Medaille. Kinder kosten aber auch Geld. meinsam diskutieren. Ich hoffe, dass wir uns auch in die- sem Punkt einigen. Dann, Kolleginnen und Kollegen, Die letzte Erhöhung des Kindergeldes und des Kin- wird das Gesetz ein weiterer Meilenstein hin zu einer derfreibetrages erfolgten 2002, also vor sieben Jahren. nachhaltigen Familienförderung sein. Wir haben mit der Wir alle wissen, dass seit diesem Zeitpunkt die Preise er- Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages, heblich gestiegen sind, nicht zuletzt durch die Mehrwert- mit der Ausweitung und Vereinfachung der steuerlichen steuererhöhung. Seitens der Koalition ist über die Jahre Absetzbarkeit von haushaltsnahen Dienstleistungen und nichts erfolgt, um den Familien zu helfen. Das haben wir mit dem Schulbedarfspaket zur Förderung der Bildung, schon oft kritisiert; das werden wir weiter kritisieren. über das wir sicher noch konstruktiv beraten werden, Das ist aber auch der Grund, warum wir uns konstruktiv schon bisher viel für die Familien getan und werden die- in das Gesetzgebungsverfahren einschalten werden. Wir sen Weg auch weitergehen. wollen nämlich erreichen, dass den Familien konkrete Hilfe zuteil wird. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wenn man sich anschaut, wann dieser Gesetzentwurf der CDU/CSU) vom Kabinett verabschiedet wurde, dann stellt man fest, (B) dass er am selben Tag verabschiedet wurde, an dem auch (D) Präsident Dr. Norbert Lammert: der einheitliche Beitragssatz zur Krankenversiche- Carl-Ludwig Thiele ist der nächste Redner für die rung festgesetzt wurde. Damit einher geht eine deutliche FDP-Fraktion. Mehrbelastung für Familien. Den Familien wurde nun zwar suggeriert, man gebe ihnen mehr Geld, aber das, (Beifall bei der FDP) was auf der einen Seite gegeben wurde, wurde auf der anderen Seite schon wieder einkassiert. Das halten wir Carl-Ludwig Thiele (FDP): für falsch. Wir wollen, dass ein klares und deutliches Si- gnal zugunsten von Kindern und Familien in unserer Ge- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten sellschaft gesetzt wird. Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Westrich, ich glaube, in einem Punkt stimmen wir bei (Beifall bei der FDP) den Beratungen über dieses Gesetz in diesem Haus über- In unserem Steuerprogramm für eine niedrige, ein- ein: Unsere Gesellschaft muss familienfreundlicher wer- fache und soziale Steuer sehen wir schon seit Jahren ein den. einheitliches Kindergeld von 200 Euro und einen ein- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) heitlichen Kinderfreibetrag von 8 000 Euro pro Kind vor. Um dieses Ziel zu erreichen, darf es nicht allein um die (Beifall bei der FDP) Frage gehen, welche finanziellen Leistungen gewährt werden, sondern es muss auch die Grundeinstellung Wir sind auf dem Wege dorthin und werden uns weiter unseres Landes hinterfragt werden, also wie unsere Ge- dafür einsetzen. Das haben wir im vergangenen Wahl- sellschaft mit Kindern umgeht. Es gibt leider Menschen, kampf gemacht. Das werden wir auch im nächsten ma- die in Bereichen unserer Gesellschaft leben, in denen es chen. Wir bitten Sie allerdings auch, zu prüfen, ob die gar keine Kontakte mehr zu Kindern gibt. Diese haben Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro ausreichend ist keine Kinder in ihrem Umfeld. Ich finde, wir alle sollten oder ob es nicht eventuell um 16 Euro erhöht werden hier gemeinsam dafür Sorge tragen, dass den Bürgern sollte. Denn eines muss man den Bürgern unseres Lan- vermittelt wird, welche Freude Kinder bereiten können. des ja sagen: Das Kindergeld belief sich immer auf glatte Natürlich bereiten Kinder nicht nur Freude, sondern ver- Zehnerbeträge: Bis 1996 waren es 70 DM, dann stieg es auf ursachen auch Stress und Anstrengungen, und von älte- 200 DM, 220 DM, 250 DM, 270 DM und dann auf ren Kindern wird man vielleicht auch als Vater oder 300 DM. Die 300 DM wurden krumm auf Euro umge- Mutter einmal kritisiert werden. Das gehört dazu. rechnet. Seitdem beläuft sich das Kindergeld auf 19968 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Carl-Ludwig Thiele (A) 154 Euro. Ich bitte zu prüfen, ob das weiter sein muss; Wir bitten Sie zu überprüfen, ob der Gesetzentwurf, (C) denn sonst kommt jemand auf die Idee, zu sagen: Mo- so wie er angedacht ist, richtig ist; denn im Gesetzent- ment, müssen es 164 Euro sein, oder sollen es nicht wurf findet sich aus meiner Sicht ein Passus, der disku- 164,50 Euro sein? An dieser Stelle passt es dann nicht tiert werden sollte. Dort heißt es: Wenn diese 100 Euro mehr richtig, sodass ich an Sie appelliere: Geben Sie gewährt werden, dann kann im begründeten Einzelfall sich einen Ruck und kehren Sie zurück zu den glatten ein Nachweis über die Verwendung des Geldes gefordert Beiträgen! werden. (Beifall bei der FDP) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich zitiere Finanzminister Steinbrück aus einem Interview Wir wissen um die Haushaltsnot. Das ist völlig klar. mit der Zeit vom 24. April dieses Jahres. Wir wollen auch nicht mit der Gießkanne über das Land gehen. Wir brauchen aber klare Regelungen und klare Bestimmungen, gerade in diesem Bereich. Insofern wäre Präsident Dr. Norbert Lammert: ich dankbar, wenn Sie im Gesetzgebungsverfahren hie- Herr Kollege Thiele. rüber noch einmal nachdenken könnten. Carl-Ludwig Thiele (FDP): Dieser Appell gilt insbesondere auch für den Kinder- Ich komme zum Ende, Herr Präsident. freibetrag; denn die Gewährung des Kinderfreibetrags ist kein Almosen des Staates. Sie beruht auf dem Recht Was ist besser für die Kinder, eine Kindergelderhö- eines jeden Bürgers, seine Existenz aus unversteuertem hung im Wert von zwei Schachteln Zigaretten be- Einkommen bestreiten zu dürfen. ziehungsweise drei Pils – oder der Ausbau der Be- treuungsinfrastruktur …? (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]) Insofern möchte ich an Sie alle appellieren. Wer will, dass dieses Geld tatsächlich bei den Kindern ankommt, Insofern ist dies eine Bringschuld, die der Staat zu erfül- die es benötigen, sollte überlegen, aus dieser Kannbe- len hat. Es ist schon erstaunlich, dass auf unsere Forde- stimmung eine Sollbestimmung zu machen. Konkret rungen auf Erhöhung hin in den vergangenen Jahren im- werden wir im Finanzausschuss erörtern, wie wir sicher- mer gesagt wurde, man könne noch nicht entscheiden, da stellen können, dass dieses Geld tatsächlich dort an- der Bericht zum Existenzminimum noch nicht vorliege. kommt, wo es unserer Meinung nach ankommen soll. Jetzt erleben wir, dass die Koalition entschieden hat, ohne dass der Bericht zum Existenzminimum vorliegt. Herzlichen Dank. An dieser Stelle zeigt sich, dass diese Argumentations- (Beifall bei der FDP) (B) kette über die vergangenen Monate und Jahre hinweg (D) überhaupt nicht gehalten hat und überhaupt nicht halten kann. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Bundesministerin Dr. Ursula (Beifall bei der FDP) von der Leyen. Sie wollten die Erhöhung des Kindesgeldes und des (Beifall bei der CDU/CSU) Kinderfreibetrages nicht. Haushaltszwänge konzedieren wir. Dass diese aber zulasten der Familien gegangen Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für sind, das halten wir für falsch. Familie, Senioren, Frauen und Jugend: (Beifall bei der FDP) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundes- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich regierung hat beherzte Schritte in der Familienpolitik un- möchte zum Schulbedarfspaket, das Sie angesprochen ternommen. Wir haben das Elterngeld eingeführt. Wir haben, Frau Kollegin Westrich, einige Ausführungen beschleunigen den Ausbau der Kinderbetreuung durch machen. Ich halte es für einen Fehler des Gesetzgebers, gezielte Investitionen in Höhe von 4 Milliarden Euro. dass seinerzeit im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzgebung Gerade bei diesen beiden Themen – Vereinbarkeit von die notwendigen Ausgaben für Bildung nicht berück- Familie und Beruf sowie frühkindliche Bildung – besteht sichtigt wurden. Man orientierte sich an den Erwachse- in Deutschland großer Nachholbedarf. Deshalb ist diese nen. Man unterstellte, dass sie bereits Bildung hätten. Investition richtig. Für die Kinder wurde analog zu den Erwachsenen ein niedrigerer Förderbetrag vorgesehen. Mit dem heute zu beratenden Familienleistungsgesetz wird eine dritte, ebenso unverzichtbare Säule gestärkt, In vielen Kommunen haben sich deshalb Bürgerinitia- nämlich die Ausgleichszahlungen an die Familien, die tiven gebildet. Viele Bürger haben gesagt: Wir sehen an Kinder erziehen. Familien mit Kindern – da stimme ich unseren Mitbürgern, welche Not die Einzelnen haben, mit Ihnen vollkommen überein, Herr Thiele – erfahren die nicht in der Lage sind, den Kindern Schulhefte, Stifte sicherlich ein ganz großes persönliches Glück durch und Ähnliches zu kaufen. Wir wollen hier tätig werden. diese Kinder. Aber Familien mit Kindern investieren Im ganzen Land verteilt gibt es inzwischen zig Ver- auch Tag für Tag Zeit, Kraft, Geld und Zuwendung in eine, wie zum Beispiel „Kinder in Not“ in Osnabrück, die nächste Generation. Davon profitieren alle in diesem die helfen und tätig werden wollen. Die FDP hat den Land. Deshalb ist es richtig, dass Familien mit Kindern Vorstand dieses Vereins zur Anhörung eingeladen. weniger besteuert werden als andere. Deshalb ist es auch Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19969

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) richtig, dass Familien mit Kindern, die kleine Einkom- das Kapitel des gestaffelten Kindergeldes aufschlagen. (C) men haben und die nicht von Steuererleichterungen pro- Damit wird die besondere Lage der kinderreichen Fami- fitieren, Ausgleichszahlungen über das Kindergeld be- lie berücksichtigt. kommen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) An alle diejenigen, die immer sagen, dass 10 oder Das sehen die Menschen in Deutschland auch so. Das 16 Euro nichts bringen würden und dass man das Geld in Kindergeld ist die familienpolitische Leistung mit dem andere Projekte stecken sollte, sage ich: Familien mit höchsten Ansehen in der Bevölkerung. drei Kindern verfügen demnächst über 432 Euro mehr im Jahr. Familien mit vier Kindern verfügen demnächst Seit 2002 ist das Kindergeld für das erste und zweite über 624 Euro mehr im Jahr. Das ist gut angelegtes Geld. Kind nicht mehr erhöht worden. Wir alle wissen, wie Das höhere Kindergeld ist also keine Förderung nach viele Güter des täglichen Bedarfs seitdem teurer gewor- dem Gießkannenprinzip, sondern wirkt zielgenau für den sind. Der Existenzminimumbericht liegt den Res- kinderreiche Familien, für Familien mit kleinen und sorts zur Abstimmung vor und wird nächste Woche im mittleren Einkommen in der Mitte der Gesellschaft und Kabinett behandelt. Dieser Bericht zeigt die Entwick- gegen Kinderarmut. lung sehr deutlich auf. Es wird also höchste Zeit, Fami- lien genau an dieser Stelle zu entlasten. Das Kindergeld Das Kindergeld ist nicht der einzige Baustein des Fa- ist Schutz vor Armut. Ohne das Kindergeld wären milienleistungsgesetzes. Kinder und Jugendliche aus Fa- 1,7 Millionen mehr Kinder von Armut betroffen. Das milien, die von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe le- zeigt: Das Kindergeld ist keine nachrangige Leistung, ben, bekommen bis zur 10. Klasse zu Beginn jedes sondern es schafft Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich Schuljahres 100 Euro für den Kauf nötiger Schulmateria- in diesem Land. lien. Hefte, Bücher, Stifte und Füller – das sind Bil- dungschancen zum Anfassen. Daran darf es keinem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Kind fehlen. neten der SPD und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der Kern des Familienleistungsgesetzes sind das er- höhte Kindergeld und das gestaffelte Kindergeld. Das Ein weiterer Baustein des Familienleistungsgesetzes gestaffelte Kindergeld ist eine ganz gezielte Leistung ist die Förderung von familienunterstützenden Dienst- – auch in anderen europäischen Ländern –, um kinder- leistungen. Das reicht von der Hilfe rund ums Haus bis reiche Familien zu stärken. Wir haben in der familien- hin zur Versorgung zu pflegender Angehöriger. Solche politischen Debatte zu Recht gefragt, warum die Kin- Dienstleistungen entlasten. Sie bedeuten ganz konkret (B) derlosigkeit in Deutschland so hoch ist. Das über Jahre Zeit für Familien. Aber in jedem Fall kosten sie auch (D) zu beobachtende Abnehmen der Kinderzahlen hat als Geld. In Zukunft können bis zu 20 000 Euro im Jahr für Ursache zwei Phänomene. solche Ausgaben steuerlich geltend gemacht werden. Das hat eine doppelte positive Wirkung: Erstens haben Das erste Phänomen ist, dass der Mut fehlte, Familien Familien mehr Entlastung im Alltag. Zweitens tragen die zu gründen; denn es ist schwierig gewesen – und ist es familienunterstützenden Dienstleistungen gleichzeitig zu zum Teil noch –, Beruf und Kindererziehung in Einklang Wachstum und Beschäftigung in Deutschland bei. Das zu bringen. Aber hier scheint sich eine positive Trend- ist in Zeiten einer nachlassenden Konjunktur wichtig. wende in den letzten anderthalb Jahren abzuzeichnen. Mehr Kindergeld, mehr steuerliche Förderung für Fa- Das zweite, weniger bekannte Phänomen ist, dass in milien mit Kindern, mehr familienunterstützende Deutschland viel schneller als in anderen Ländern die Dienstleistungen, ein Schulbedarfspaket – das sind vier kinderreiche Familie aus der Mitte der Gesellschaft ver- Maßnahmen, ein Familienleistungspaket, das zielgenau schwunden ist. Diese Familien brauchen ganz gezielt das wirkt. gestaffelte Kindergeld. Hier gilt nach wie vor der rich- tige Satz, dass Kinderreichtum nicht zur Armut führen Vielen Dank. darf. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Es ist unbestritten: Die kinderreichen Familien haben Dr. Barbara Höll ist die nächste Rednerin für die höhere Fixkosten. Sie brauchen eine größere Wohnung; Fraktion Die Linke. sie geben mehr Geld für Heizung, Lebensmittel und (Beifall bei der LINKEN) Kleidung aus; die Waschmaschine läuft häufiger. Das kann man nicht nur durch mehr Arbeit ausgleichen. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Ich habe eingangs gesagt, dass zuletzt 2002 das Kin- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir disku- dergeld für das erste und zweite Kind erhöht worden ist. tieren heute über den Entwurf des FamLeistG, des Fami- Für das dritte Kind und die folgenden Geschwister ist lienleistungsgesetzes, ein Gesetz zur Förderung von Fa- das Kindergeld seit zwölf Jahren, nämlich seit 1996, milien und haushaltsnahen Dienstleistungen. Dieser nicht mehr erhöht worden. Deshalb ist es gut – ich Gesetzentwurf beinhaltet zwei wesentliche Punkte: die danke, dass das heute gelingt –, dass wir endlich wieder Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages 19970 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dr. Barbara Höll (A) sowie die bessere steuerliche Absetzbarkeit von haus- kosten – eine Illusion, die mit der Realität wenig zu (C) haltsnahen Dienstleistungen. tun hat. Ehrlich gesagt erschließt sich mir nicht ganz der in- So die Frau Ministerin. Frau von der Leyen, reden Sie nere Zusammenhang zwischen der steuerlichen Förde- doch noch einmal mit Herrn Steinbrück. Er hat inzwi- rung, sprich der Subventionierung von Reichen und Su- schen sehr viel Geld gefunden für einen sehr großen perreichen am Starnberger See für ihre Hausangestellten Schirm für die Finanzwirtschaft. Er ist sogar bereit, sein und Gärtner, und der Erhöhung des Kindergeldes um unumstößliches Ziel eines schuldenfreien Haushaltes da- 10 Euro pro Kind für die Kinder dieser Hausangestell- für zu verschieben. ten. (Beifall bei der LINKEN) In der nächsten Sitzungswoche sollen mit dem Sollte uns die Gleichbehandlung aller Kinder nicht Jahressteuergesetz 2009 und dem Gesetz zur Umsetzung diese 15 Milliarden Euro Mehrausgaben wert sein? Ich steuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmenpakets Be- sage: Ja. schäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung zwei weitere Steuergesetze verabschiedet werden. Man hätte (Beifall bei der LINKEN) zumindest die zweite Hälfte des heute vorliegenden Ge- Ein kleiner Tipp von mir: Wenn Sie das Ehegattensplit- setzentwurfes dahin packen können. Vielleicht wollten ting endlich in eine Individualbesteuerung bei gegensei- Sie das auch ein bisschen; denn im letztgenannten Ge- tiger Übertragbarkeit des steuerfrei zu stellenden Exis- setz soll die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerker- tenzminimums umwandeln würden, hätten Sie 9 Mil- leistungen bei Instandhaltungs- und Modernisierungs- liarden Euro Steuermehreinnahmen pro Jahr. maßnahmen ausgeweitet und mit Wirkung zum 1. Januar nächsten Jahres auf 1 200 Euro erhöht werden. Im heute ( [CDU/CSU]: Fällt Ih- zu besprechenden Entwurf des Familienleistungsgeset- nen noch einmal etwas Neues ein?) zes wird vorgeschlagen, die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungs- Frau von der Leyen, dann bräuchten Sie mit Herrn und Modernisierungsmaßnahmen ebenfalls ab dem Steinbrück nur noch über ganze 6 Milliarden Euro zu 1. Januar 2009 mit maximal 600 Euro zu fördern. Das verhandeln. Das muss doch wohl möglich sein. bedeutet also alles in allem eine Senkung der zu zahlen- (Beifall bei der LINKEN – Johannes den Steuern um 1 800 Euro, allerdings nur dann, wenn Singhammer [CDU/CSU]: Warum gibt es in man im nächsten Jahr Handwerkerleistungen für min- Berlin besonders viele arme Kinder?) destens 10 000 Euro in Anspruch nehmen kann und wird. Die Anhebung des Kinderfreibetrages nutzt nur Frau (B) Schmidt, nicht jedoch Frau Beyer. Nur für 17 Prozent al- (D) Das ist nicht mehr als eine kleine Geste an die Bürge- ler Kinder kann der Freibetrag vorteilhaft angesetzt wer- rinnen und Bürger, aber nichts, was die Konjunktur den. Nur deren Eltern haben ein entsprechend hohes Ein- nachhaltig ankurbeln wird oder tatsächlich von der kommen. Mehrheit der Menschen in Anspruch genommen werden kann, da ihnen das Geld dafür fehlt, von einer solchen Ich gehe davon aus, dass Frau Schmidt Frau Beyer so- Subventionierung überhaupt profitieren zu können. zialversicherungspflichtig beschäftigt und anständig be- zahlt. Frau Beyer arbeitet gut und zuverlässig für deut- Da ich nicht davon ausgehe, dass die Hausangestellte lich mehr als den von uns vorgeschlagenen Mindestlohn am Starnberger See – nennen wir sie Frau Beyer – an von 8,50 Euro. Frau Beyer wird sich über die 20 Euro diesem Thema überaus interessiert ist, lassen Sie mich mehr pro Monat sehr freuen. Frau Beyer und allen ande- zur Kindergelderhöhung zurückkehren. Frau Beyer hat ren sei aber ganz klar gesagt: Sie müssen dafür nieman- zwei Kinder, ihre Arbeitgeberin und Villenbesitzerin, dem Danke sagen, weder der CSU noch der SPD, auch Frau Schmidt, ebenfalls. Frau Beyer wird ab dem der CDU nicht. Diese 10 Euro pro Kind stehen ihnen zu. 1. Januar 2009 pro Monat 20 Euro mehr an Kindergeld für ihre Kinder bekommen, das heißt insgesamt (Beifall bei der LINKEN) 328 Euro pro Monat, pro Kind 164 Euro. Frau Schmidt Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Es erhält jedoch 210 Euro pro Kind und Monat. Jedes Kind hat vorgegeben, dass der Staat das Einkommen der Steu- ist dem Staat gleich viel wert? Mitnichten! Für Kinder erpflichtigen so weit steuerfrei belassen muss, als es zur reicher Eltern tun Sie mehr – und das ist sozial unge- Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein men- recht. schenwürdiges Dasein benötigt wird. (Beifall bei der LINKEN) Die Verschonung gilt für alle Familienmitglieder und umfasst damit explizit auch den Bedarf der Kinder. Die Alternativen? Keine, so die lapidare Feststellung auf Höhe des steuerlich zu verschonenden Existenzmini- Seite 2 des Gesetzentwurfs. Ich zitiere Sie, Frau Ministe- mums hängt von den allgemeinen wirtschaftlichen Ver- rin: hältnissen und dem anerkannten Mindestbedarf ab. Da Wenn man das alles auf ein Niveau bringen will, dieses im Sozialhilferecht bestimmt ist, darf das von der dann kann man das Ganze doch wohl nicht auf das Einkommensteuer zu verschonende Existenzminimum niedrigste Niveau herunterstufen. Dann muss man diesen Betrag nicht unterschreiten. Demnach ist der im vielmehr lege artis auf das höchste gemeinsame Ni- Sozialhilferecht anerkannte Mindestbedarf die Maß- veau heraufstufen. Das würde 15 Milliarden Euro größe für das einkommensteuerliche Existenzminimum. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19971

Dr. Barbara Höll (A) Da ich darauf schaue, sage ich Frau Beyer und allen an- (Beifall bei der LINKEN) (C) deren: Ihnen steht viel mehr zu; denn die Berechnung des Existenzminimums durch die Bundesregierung spie- Für mich ist es aber völlig unverständlich, dass Sie die- gelt die reale Entwicklung nicht wider. ses Schulgeld auf zehn Schuljahre begrenzen wollen. Meinen Sie zynischerweise, dass die Kinder von Hartz-IV- Zum Vergleich: Das sächliche Existenzminimum, Empfängerinnen und -Empfängern sowieso zu dumm für welches im Existenzminimumbericht 2008 mit 235 Euro das Abitur sind? Oder wollen Sie einfach dafür sorgen, pro Kind und Monat ausgewiesen wird, ist die eine dass die Ergebnisse der PISA-Studie auch in Zukunft Größe. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat nachge- Bestand haben, wonach in Deutschland der Schulab- rechnet: Für die Bedarfsdeckung hält er einen Regelsatz schluss vom Einkommensstatus der Eltern abhängt? in Höhe von 299 Euro pro Monat für notwendig, und zwar mindestens, da dieser Betrag nur für die Alters- Präsident Dr. Norbert Lammert: gruppe der 0- bis 6-Jährigen gilt und der Bedarf mit hö- Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit. herem Alter bekanntlich steigt. Grundlage der Berech- nung ist die Preisentwicklung bei Warengruppen und Dienstleistungen, die für die Versorgung von Kindern re- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): levant sind. Das lehnen wir ab. Machen Sie hier eine tatsächliche Erweiterung, zahlen Sie es bis zum Abschluss des Abi- Deshalb ist es notwendig, das Kindergeld sofort stär- turs, also zwölf oder 13 Jahre. ker zu erhöhen, und zwar auf mindestens 200 Euro und in der Folge auf 250 Euro. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Küm- mern Sie sich einmal um die armen Kinder in (Beifall bei der LINKEN) Berlin!) Für die unteren Einkommensgruppen fordern wir, dass Gehen Sie das Thema endlich richtig an – so wie die Fi- das Kindergeld durch einen entsprechend ausgestalteten nanzmarktkrise –, und sorgen Sie dafür, dass Kinder Kinderzuschlag so gestaltet wird, dass das Existenzmini- nicht mehr das Armutsrisiko in Deutschland sind! mum insgesamt gesichert ist. Die Verwirklichung dieser Vorschläge würde Frau Beyer helfen und Frau Schmidt Danke. nicht schlechter stellen. In Deutschland sind Kinder nun einmal das größte Armutsrisiko. Rund 2 Millionen Kin- (Beifall bei der LINKEN) der leben in Familien, die mit Hartz IV oder Sozialgeld auskommen müssen. Da ihre Eltern über kein eigenes Präsident Dr. Norbert Lammert: (B) Einkommen verfügen, ist das Kindergeld für sie eine Das Wort erhält nun die Kollegin Deligöz für die (D) reine Sozialleistung. Damit begründen Sie, dass die Er- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. höhung des Kindergeldes um 10 Euro pro Kind mit dem Familieneinkommen verrechnet wird. Das heißt im Klar- Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): text: Genau die Familien, die das geringste Einkommen haben, haben nichts von der Kindergelderhöhung. Das Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ist ein Skandal! Liebe Frau von der Leyen, Sie sind im Wahlkampf und auch am Anfang der Wahlperiode mit dem Versprechen (Beifall bei der LINKEN) angetreten, die Familienleistungen in Deutschland, die vielfältig und unübersichtlich, kompliziert und bürokra- Sie könnten sofort die Anrechnung aufheben bzw. tisch sind, zu überprüfen und zu effektivieren. Sie haben nicht durchführen, und zwar so lange, bis Sie die Regel- dazu ein Kompetenzzentrum einberufen, und Sie haben sätze so angepasst haben, dass sie den realen Bedarf de- uns viele Berichte geliefert. Herausgekommen ist nichts. cken. Wir fordern Sie auf, endlich ernsthaft Bedingun- gen zu schaffen, durch die alle Mütter und Väter in der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lage sind, ihre Existenz und die ihrer Kinder tatsächlich und bei der FDP) für sich selbst zu erarbeiten. Das umfasst neben einem dichten und qualitativ hochwertigen Netz von Kinderbe- Sie sind mit dem Versprechen angetreten, Gerechtig- treuungseinrichtungen eine angemessene Bezahlung. keit zu thematisieren, auch im Sinne der Armutsbekämp- Das erfordert gesicherte Arbeitsplätze und gleichen fung. Sie sind mit dem Versprechen angetreten, Erzie- Lohn für gleiche Arbeit für Männer und Frauen. Davon hung und Erziehungsleistungen ernst zu nehmen und zu sind wir weit entfernt. unterstützen. Herausgekommen sind 10 Euro mehr Un- terstützung. Das ist mager. Denn jetzt verpassen Sie ge- (Beifall bei der LINKEN) rade die letzte Chance in dieser Wahlperiode, eine wirk- liche Reform durchzuführen und all Ihre Versprechen, Abschließend noch ein Wort zu dem vorgeschlagenen die Sie gegeben haben, in die Realität umzusetzen. Statt- Schulgeld für Schülerinnen und Schüler im Rahmen des dessen verkaufen Sie uns diese 10 Euro Kindergelderhö- SGB II und XII, also Hartz IV und Sozialgeld. Wir be- hung als Errungenschaft. Sie wissen doch genau, dass grüßen dies grundsätzlich und ausdrücklich, vor allem diese 10 Euro nicht eine freiwillige Entscheidung dieser vor dem Hintergrund, dass Sie in der rot-grünen Koali- Regierungspolitik sind, tion, als Sie die Sozialhilfe umgewandelt haben, alle Sonderbedarfe gestrichen haben. Es wird endlich Zeit, (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was ha- dass Sie dies korrigieren. ben denn die Grünen in der Bundesregierung 19972 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Ekin Deligöz (A) gemacht? Von 2002 bis 2005 gab es keine Kin- Gehen Sie davon aus, dass diesen Familien diese Kos- (C) dergelderhöhung!) ten erst gar nicht entstehen? Oder finden Sie sich etwa damit ab – das wäre noch viel schlimmer –, dass die Si- sondern eine Konsequenz, die Sie aus dem Existenzmi- tuation so ist, wie sie ist, dass nämlich der Schulerfolg nimumbericht ziehen. Weil im Zuge dieses Berichts das eines Kindes von der sozialen Herkunft abhängt und nur Existenzminimum angepasst werden muss. Sie können die Kinder aus den Akademikerhaushalten die besseren keinen Wahlkampf durchstehen, wenn ausgerechnet die, Chancen haben? Das wäre schlimm. Dann würden Sie die am wenigsten verdienen, nichts bekommen. Deshalb nämlich sagen: Die Situation ist nun einmal so, und wir machen Sie das und verkaufen es auch noch als eine Er- können sie nicht ändern. Genau das aber ist unsere Auf- rungenschaft. Aber eine Errungenschaft ist es nicht. gabe. Wir dürfen uns nicht mit dieser Situation abfinden, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sondern müssen sie ändern. Was ist denn – damit will ich anfangen – mit den Fa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) milien im SGB-II- und SGB-XII-Bezug? Was ist mit Deshalb brauchen wir doch die Kinderbetreuung. Des- diesen Familien? Sie sagen, Sie unterstützen Familien. halb brauchen wir Ganztagsschulen. Deshalb brauchen Sie bekommen aber keine 10 Euro Kindergelderhöhung. wir die Infrastruktur. Deshalb brauchen wir aber auch Sind das etwa keine Familien? Sind das keine Erziehen- eine reelle und materielle Unterstützung der Familien. den, die Verantwortung übernehmen? Warum gehen sie Ein ganz großer Anteil der Familien gibt das Geld für leer aus, obwohl wir alle wissen, dass der Bedarf dort am die Kinder aus. Das ist eine Tatsache. allerhöchsten ist? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Noch etwas anderes: die Regelsätze. Auch darüber müssen wir reden. Auch da müssen Sie etwas tun. Wenn Antworten Sie doch einmal darauf. Sie sagen, 10 Euro wir sagen, dass das Existenzminimum zu niedrig bemes- seien gut angelegtes Geld. Kennen Sie denn die Realität sen ist, dann gilt das auch für die Regelsätze. nicht? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lydia Die Mehrwertsteuererhöhung haben Sie durchgeführt. Westrich [SPD]: Das weiß doch jeder!) Die allgemeinen Preissteigerungen und die Steigerung der Energiepreise – und des Weiteren, dass der Kauf- Dann gilt das auch für die Sätze der Kinder. Sie können kraftverlust des Kindergeldes seit 2002 fast 12 Prozent sich doch nicht blind und taub stellen. In allen Bereichen beträgt – müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Da sind reden Sie über Gerechtigkeit. Aber Sie reden nicht über 10 Euro nicht nur mager, sondern auch einfach nur sym- die Regelsätze. Wir brauchen endlich eine neue Form, (B) bolisch. Wenn Sie die Kindergelderhöhung ernst mei- wie wir die Regelsätze für Kinder berechnen. Es kann (D) nen, dann sollten Sie das auch ernst debattieren und sich nicht sein, dass wir sie an dem Erwachsenenbedarf nicht hinter einer Symbolpolitik verstecken. ausrichten oder das prozentual kalkulieren. Dahinter stecken kein Sinn und keine Logik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Sätze sind de facto zu niedrig. Nehmen Sie das Kommen wir dazu, was Sie machen. Sie sagen: Ei- zur Kenntnis. Tun Sie etwas! nige Kinder sind uns mehr wert als andere Kinder, die aus einem gut verdienenden Haushalt kommen, sind uns (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) besonders viel wert. Diejenigen, die in einem Haushalt mit ALG-II-Bezug aufwachsen, sind uns weniger wert. – Je länger Sie warten, desto größer wird die Spaltung in Der Staat erhöht das Kindergeld, das er aber sofort wie- dieser Gesellschaft. Irgendwann einmal wird uns diese der einkassiert. Das heißt, das ist so, als ob sich der Staat Spaltung einholen. Für diese Spaltung müssen wir die selbst Geld auszahlt und dann so tut, als seien in dieser politische Verantwortung übernehmen. Sache die Familien die Gewinner. Das sind sie aber nicht. Kommen wir zurück zu Ihren Versprechungen hin- sichtlich der Familienförderung. Ja, sie ist kompliziert, Kommen wir zu Ihrem 100-Euro-Schulbedarfspa- sie ist undurchsichtig. Sie ist bürokratisch. Alles, was ket. Den einen Eltern vertrauen Sie und gehen davon Sie machen, ist Stückwerk. Einfach auf die bestehende aus, dass sie das Geld für ihre Kinder ausgeben. Den an- Ungerechtigkeit – dass diejenigen, die mehr haben, mehr deren Eltern misstrauen Sie und glauben, dass Sie ihnen bekommen, und dass diejenigen, die weniger haben, we- gar kein Geld geben können. – Wissen Sie, was letztend- niger bekommen – etwas draufzulegen, wie uns das die lich bei den Menschen ankommt, wenn Sie fordern, dass Linke vorschlägt – einfach etwas hinzufügen, dann ist die Verwendung dieses Pakets von 100 Euro für den das Ganze schon gerecht –, macht die Sache eben nicht Schulbedarf kontrolliert werden muss, damit es wirklich gerechter. Vielmehr manifestiert das die Ungerechtig- nur für den Schulbedarf ausgegeben wird? Darüber hi- keit. naus gilt es nur bis zur 10. Klasse. – Ich frage Sie: Gehen Sie grundsätzlich davon aus, dass Kinder aus ärmeren Wir haben gute Ideen und gute Erkenntnisse. Wir ha- Haushalten erst gar nicht aufs Gymnasium oder ir- ben auch gute Strukturvorschläge auf dem Tisch liegen, gendeine andere weiterführende Schule gehen? wie man ein gerechtes Familienfördersystem aufbauen kann. Dazu gehört es auch, darüber zu reden, wie wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) besser Kinder und nicht den Trauschein fördern können. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19973

Ekin Deligöz (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sondern auch um die Kinder von Frau Öztürk. Es geht (C) Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Starke El- um alle Kinder. Hier haben wir eine Verpflichtung und tern sind das Beste für die Kinder!) sind in der Bringschuld. Das, was Sie machen, ist aber nur Symbolpolitik und hat mit der Realität der Familien Das Ehegattensplitting, Herr Singhammer, ist unser gar nichts zu tun. Lieblingsproblem. 60 Prozent der Familien bekommen heute nichts, keinen einzigen Cent durch das Ehegatten- Danke schön. splitting. Sie bekommen nichts, weil sie nicht verheiratet sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ist die (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sie können Kindergelderhöhung symbolisch oder nicht?) doch heiraten! Es gibt kein Eheverbot!) Wir reden über Eltern, die beide arbeiten müssen, um Präsident Dr. Norbert Lammert: überhaupt über das Existenzminimum zu kommen, die Die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer ist die nächste Red- Geringverdiener. Wir reden nicht über die Großverdie- nerin für die SPD-Fraktion. ner. Nur 5 Prozent der Haushalte im gesamten Osten profitieren vom Ehegattensplitting, aber 95 Prozent im (Beifall bei der SPD) Westen mit Schwerpunkt Süden. Das Ehegattensplitting ist überholt. Ingrid Arndt-Brauer (SPD): (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ist Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Heiraten etwas so Schlechtes?) Liebe Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Heute Morgen ging es ein bisschen kreuz und quer. Des- Lassen Sie uns doch endlich die Kinder und nicht den wegen versuche ich, ein wenig Systematik in unsere Dis- Trauschein fördern. kussion zu bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD) Bevor wir diesen Gesetzentwurf formuliert haben, Sie machen hier nur Symbolpolitik. Sie halten hier wurde auch in unserer Partei – aber natürlich nicht nur Ihre Ideologien hoch. Sie behalten damit Ihre Scheu- dort – über die grundsätzliche Frage diskutiert: Sollte klappen. Die Realität ist, dass Menschen, die Kinder er- man jetzt eine Kindergelderhöhung vornehmen, oder ziehen, alleine gelassen werden, dass wir durch Trans- sollte man lieber Geld in die Infrastruktur stecken? Ich fers den Trauschein fördern und unsere Kinder dabei zu (B) persönlich denke, es muss ein Sowohl-als-auch geben. (D) kurz kommen. 60 Prozent der Familien bekommen Denn alle, die seit der letzten Kindergelderhöhung im durch das Ehegattensplitting keinen Cent mehr. Weg da- Jahre 2002 Kinder erzogen haben, wissen, dass das Le- mit! Seien Sie mutig! Stehen Sie zu den Kindern, aller- ben mit Kindern seitdem teurer geworden ist. Deswegen dings nicht nur mit warmen Worten, indem Sie immer ist es wichtig, das Kindergeld zu erhöhen. wieder betonen, dass wir uns alle einig sind, wie wichtig Kinder sind! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was haben Sie gegen die Ehe?) Natürlich brauchen wir auch mehr Investitionen in die Infrastruktur. Allerdings haben wir auf diesem Gebiet Ich bin Mutter von zwei Kindern. Ich bekomme sehr in dieser Legislaturperiode schon eine Menge angesto- wohl mit, wie das Leben ist. Dafür brauche ich nicht ßen, und wir werden noch mehr tun. meine Nachbarn und Nachbarinnen. Ich kann Ihnen sa- gen: Die Eltern in diesem Land setzen sich für ihre Kin- Ich möchte auf eine Argumentation eingehen, die mir der ein, auch dann, wenn sie erwerbstätig sind. häufig begegnet und die auch heute von den Kollegen (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das der Linken vorgetragen wurde. Sie argumentieren nach bestreitet ja gar keiner!) dem Motto: Den Banken habt ihr 500 Milliarden Euro gegeben. Gebt doch auch den Familien ein paar Milliar- Sie möchten nicht auf große Almosen angewiesen sein. den Euro mehr! Für diese Familien, Herr Singhammer, brauchen wir Antworten. Für diese Familien haben Sie aber keine Wir alle hoffen, diese 500 Milliarden Euro nie auf den Antworten. Tisch legen zu müssen. In diesem Betrag sind Bürg- schaften und andere Absichtserklärungen enthalten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) diese Tatsache müsste mittlerweile in diesem Hohen Hause bekannt sein. Jetzt können wir nicht einfach sa- Sie verschenken die Chance, echte Reformen auf den Weg zu bringen. Sie verschenken die Chance, die Zu- gen: Wir nehmen davon mal eben 12 Milliarden Euro kunft unserer Kinder zu verbessern. Dabei geht es um weg. Dieses Geld geben wir dann den Familien, und die Banken bekommen ein bisschen weniger. Wir dürfen die Zukunft jedes einzelnen Kindes. Es geht nicht nur um die Kinder von Frau Meier und Frau Müller, diese Themen nicht vermischen. Eine verantwortungs- volle Familienpolitik hat auch mit Haushaltskonsolidie- (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Meinen rung zu tun. Dieses Ziel müssen wir bei allem, was wir Sie die Frau Müller aus dem Saarland?) tun, immer im Auge behalten. 19974 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Ingrid Arndt-Brauer (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir jetzt natürlich noch obendrauf setzen. Wir haben sie (C) der CDU/CSU) bisher aber noch nicht gefunden. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass die meisten Deswegen befinden wir uns in diesem schizophrenen Eltern – ich hoffe, über 95 Prozent – das Geld, das sie Zustand, dass wir die Schere auch schließen könnten, für ihre Kinder bekommen, auch für ihre Kinder ausge- wenn wir den Spitzensteuersatz auf 30 Prozent senken ben; würden. Ich warne also alle davor, zu sagen, wir bräuch- ten höhere Steuersätze, um die Schere schließen zu kön- (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es! nen. Bei unserer Systematik ist genau das Gegenteil der Genau! Richtig!) Fall. davon bin ich fest überzeugt, und das möchte ich beto- (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das stimmt nen. doch gar nicht!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dieses Problem können wir nicht so einfach lösen. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Diskussion darüber, dass eine Verrechnung mit der CDU/CSU) den Hartz-IV-Regelsätzen stattfindet, möchte ich nicht Ich denke, wir müssen das Kindergeld nach und nach vertiefen. Denn im Rahmen von Hartz IV gibt es Regel- erhöhen. Das ist unser ausdrücklicher Wunsch. Das geht sätze, die unabhängig vom Kindergeld gelten. Wenn aber nicht von einem Jahr aufs andere und auch nicht in- man der Meinung ist, dass sie zu niedrig bzw. falsch be- nerhalb einer Legislaturperiode. Das sollte aber natürlich messen sind und dass die Inhalte nicht stimmen, kann unser Interesse sein. man darüber an anderer Stelle reden. Das hat aber nichts mit dem Kindergeld zu tun. Wir wissen, dass Hartz-IV- Familien ein Äquivalent zum Kindergeld bekommen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Deswegen kann man ihnen diese Erhöhung nicht oben- Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der drauf geben. Kollegin Höll?

(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist Ingrid Arndt-Brauer (SPD): aber sehr unlogisch!) Ja, natürlich. – Das finde ich nicht unlogisch. Bei Gelegenheit kann ich Ihnen das einmal genauer erklären. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): (B) Liebe Kollegin, um das noch einmal ganz klar festzu- (D) Im SPD-Programm steht – das ist auch unser Wille –: halten: An die bestehende Systematik, die ja viel Gutes Jedes Kind sollte dem Staat gleich viel wert sein. Das ist hat, weil es dadurch eine gesicherte Grundlage hinsicht- schön und hört sich gut an. Aber die Systematik ist eine lich der Errechnung der notwendigen Höhe des Exis- andere. Das Bundesverfassungsgericht hat uns vorgege- tenzminimums für Kinder gibt, darf niemand herange- ben, dass wir das Existenzminimum steuerfrei stellen hen. Das ist ein festes Fundament. Wir müssen nur müssen. schauen, wie hoch wir das ansetzen. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ja! – Auf dieser Basis kann man eine Entlastung natürlich [CDU/CSU]: Genau! Das ma- so vornehmen – ich habe nicht umsonst die Familienmi- chen wir!) nisterin zitiert –, dass man das höchste Niveau – den Spitzensteuersatz – für alle ansetzt. Das ist in der Syste- Das Existenzminimum folgt der Sozialhilfe plus Wohn- matik nur davon abhängig, was wir wollen. Es kostet kosten, die vom Bauministerium festgelegt werden; mehr Geld. Ich habe die Summe von 6 Milliarden Euro diese Definition ist wichtig. Das Ganze ist ein Freibe- genannt, die letztlich noch notwendig wäre. trag; meine Kollegin hat schon kurz auf die Systematik eines Freibetrags hingewiesen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ein Freibetrag auf 6 000 Euro bzw. 6 024 Euro – an Frau Kollegin, eigentlich wollten Sie eine Frage stel- dieser Stelle werden wir wahrscheinlich nachbessern len. müssen – bedeutet bei einem Steuersatz von 45 Prozent, der für die ganz Reichen in Deutschland gilt, einen Vor- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): teil von 225 Euro. Bei einer Steuerbelastung in Höhe Stimmen Sie mir zu, dass das innerhalb des bestehen- von 42 Prozent bedeutet dieser Freibetrag einen Vorteil den Systems sehr wohl möglich und nur eine Frage des von 210 Euro. politischen Wollens und abhängig von den Finanzen ist? Jetzt existiert eine Schere, die uns als SPD, aber ich denke, auch vielen anderen, natürlich überhaupt nicht Ingrid Arndt-Brauer (SPD): gefällt. Wir erhöhen das Kindergeld für das erste Kind Es ist nur abhängig von den Finanzen. Wenn man das auf 164 Euro. Demgegenüber gibt es im Spitzensteuer- Geld irgendwo findet, dann kann man es natürlich ver- bereich einen wesentlich höheren Freibetrag. Die wenden. Wir haben es bisher aber noch nicht gefunden. 14 Milliarden Euro, die die Linken irgendwo gefunden Ich fände es Familien und Kindern gegenüber verant- und für eine Verwendung vorgeschlagen haben, könnten wortungslos, das über eine Verschuldung zu regeln. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19975

Ingrid Arndt-Brauer (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Meine Kollegin sagte schon, dass wir 37 Milliarden (C) der CDU/CSU) Euro für Kindergeld und Kinderfreibeträge ausgeben. Man kann sich immer mehr wünschen, was man sich Zu Herrn Thiele und seinen glatten Zahlen möchte ich aber vor allen Dingen wünschen sollte, ist, dass auch die sagen: Bei den Lohneinkünften bzw. Einkommen gibt es Länder ihre Verantwortung wahrnehmen. Ich denke, auch keine glatten Zahlen. Deswegen denke ich, dass die Lehrmittelfreiheit, kostenlose Nutzung der Schulbusse Familien auch mit 164 Euro rechnen und leben können. und auch das Essen in der Schule sind keine originären (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Mit 170 Euro Bundesangelegenheiten. Das müssen wir immer wieder ginge es aber auch!) einfordern. – Ginge es auch. Man könnte auch bei Lohnabschlüssen (Beifall bei der SPD) glatte Zahlen vereinbaren und sagen, dass jeder 6 000 Euro erhält. Das tun wir auch nicht. So wünschenswert es ist, dass wir das alles hier zen- tral regeln: Andere Dinge dürfen wir auch nicht zentral (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Dazu ist der gestalten. Solange noch jeder selber seine Fremdspra- Gesetzgeber nicht bereit!) chen festlegt, sollte er auch dafür sorgen, dass in den Ich denke also, dass das nicht sein muss. Von daher kann Schulen einigermaßen gute Zustände herrschen. das so bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Als Mutter von vier Kindern finde ich persönlich die Ich bin – ganz im Gegensatz zu Frau Höll – der Mei- Staffelung gut. nung, dass nicht nur die Bürgerinnen und Bürger am (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl! Starnberger See, sondern auch in Mecklenburg-Vorpom- Sehr gut!) mern profitieren, wenn wir haushaltsnahe Dienstleis- tungen absetzbar machen. Es geht nicht immer nur um Ich weiß, dass das viele anders sehen, aber aus meiner das Dienstmädchen, das in irgendeiner Form von Ihnen Lebenserfahrung heraus muss ich sagen: Das dritte Kind vorgeführt werden muss, ist das teuerste. (Ina Lenke [FDP]: Das Dienstmädchen! Das (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!) ist aber diskriminierend!) Ich weiß nicht, wie es mit dem fünften und dem siebten Kind aussieht. Das müsste mir vielleicht die Ministerin sondern auch um eine Entlastung der Familien, die viel- sagen. leicht dazu führt, dass beide Elternteile arbeiten können. (B) Wenn man sich eine Dienstleistung kaufen kann, die (D) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Beim fünften man steuerlich absetzen kann, dann geht es nicht darum, Kind kann ich auch noch helfen!) angenehm in der Sonne zu liegen. Vielmehr bringt es häufig Familien aus der Armut heraus, wenn beide El- Ich denke, irgendwann überwiegt in der Familie die Or- ternteile arbeiten können. Das möchte ich noch einmal ganisationsneigung gegenüber der Konsumneigung. Von festhalten. daher verschieben sich dann vielleicht auch gewisse haushalterische Gesichtspunkte innerhalb der Familie. Meiner Meinung nach gibt es nämlich keine Kinder- Ich persönlich denke aber, dass man mit der Staffelung armut, sondern nur Familienarmut. Kinder sind nicht sel- gut leben kann. ber arm und ihre Familie nicht. In einem solchen Fall ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der die gesamte Familie in einer schwierigen Situation, aus CDU/CSU) der wir ihr heraushelfen müssen, indem beide Elternteile in die Lage versetzt werden, dazuzuverdienen, wenn ein Das Wichtige für uns ist – das dürfen wir nicht aus Einkommen nicht reicht. Dann ist es nötig und sinnvoll, den Augen verlieren –, dass es in dieser Gesellschaft ei- sich entsprechende Dienstleistungen zu kaufen. nen gewissen Anteil von Menschen gibt, der sich gegen Kinder entscheidet. Das mag gute Gründe haben. Man- Alles in allem ist der Gesetzentwurf in einer ausge- che hätten auch gerne Kinder, können aber keine bekom- wogenen Form vorgelegt worden. Wir haben ein paar men. Deshalb brauchen diejenigen, die eine Familie wol- Kritikpunkte, die ohne Frage geändert werden müssen. len, Unterstützung dafür, mehr Kinder zu bekommen. Die Förderung bestimmter Zielgruppen kann nicht nach zehn Jahren aufhören. Das ist völlig klar. Aber wir sind Man muss sie zum dritten Kind ermutigen, sodass sie im Gesetzgebungsverfahren und werden noch einige Än- nicht sagen: Na ja, mit zwei Kindern geht es ganz gut, ab derungen vornehmen. dem dritten Kind brauchen wir aber eine neue Wohnung und ein neues Auto; das ist zu viel. – Ich denke, man Wir freuen uns auf die Diskussion mit Ihnen. Ich muss sie ermutigen und sagen: Wer sich grundsätzlich denke, als Vorlage kann man mit dem Gesetzentwurf gut für Kinder entscheidet, der sollte eine Erleichterung er- leben. halten, damit er die Finanzierung auch bei mehr Kindern noch sicherstellen kann. Ich danke Ihnen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CDU/CSU) der CDU/CSU) 19976 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bei der Diätenerhöhung waren Sie mit den Entschei- (C) Das Wort erhält nun die Kollegin Ina Lenke für die dungen schneller als der Schall. Da ging alles ganz FDP-Fraktion. schnell. Insofern bitte ich darum, dass Sie sich der Mehr- wertsteuerermäßigung noch einmal widmen. (Beifall bei der FDP) Weil die Ministerin dankenswerterweise anwesend ist und wir das Thema sonst nur im Ausschuss problematisie- Ina Lenke (FDP): ren, möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen zu sagen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als erstes dass alles, was Sie mit Ihren Gesetzen machen, Stückwerk möchte ich das Wort an meine Vorrednerin richten. Dass ist. Denn Sie haben die 153 ehe- und familienbezogenen gerade eine SPD-Kollegin von einem Dienstmädchen Leistungen in der Bundesrepublik Deutschland mit einem spricht, wundert mich sehr. Volumen von 185 Milliarden Euro bisher noch nicht (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Ich habe es zi- evaluiert. Sie haben das die ganze Zeit angekündigt. Im tiert! Ich habe es nicht gesagt!) Ausschuss wurde aber gesagt, dass die Fraktionen das selber machen können. Es gibt keine kritische Bewer- Ich habe eine Hilfe im Haushalt und bin sehr froh da- tung der ehe- und familienbezogenen Leistungen. Sie rüber, dass sie qualifizierte Arbeit macht. geben hier und da ein bisschen mehr. Aber das reicht nicht, um Familienpolitik aus einem Guss zu gestalten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das haben Sie in dieser Legislaturperiode nicht ge- der CDU/CSU) schafft. Nun komme ich zum Gesetzentwurf. „Investitionen in (Beifall bei der FDP) Familie sind Investitionen in die Zukunft“, heißt es ein- leitend im Gesetzentwurf. Das ist sicherlich eine tref- Da ich nur noch eine Minute Redezeit habe, will ich fende Formulierung. Befasst man sich aber mit den In- ganz kurz auf die Kinderbetreuungskosten zu sprechen halten, dann wird deutlich, dass nur sehr wenig für kommen. Keiner von Ihnen hat gesagt, dass die Kinder- Investitionen in Familie vorgesehen ist, etwa die 10 Euro betreuungskosten, wenn der Mann und die Frau oder Al- Kindergelderhöhung. Mein Kollege Carl-Ludwig Thiele leinerziehende arbeiten gehen, nur zu zwei Drittel von hat bereits darauf hingewiesen, dass die letzte Kinder- der Steuer abgesetzt werden können. Das kann ich, die gelderhöhung 2002 erfolgt ist. ich Steuerfachangestellte bin, mir überhaupt nicht erklä- ren. Warum sollen wir Frauen, die wir arbeiten gehen, Fakt ist: Die Große Koalition – und damit auch die ein Drittel der Kinderbetreuungskosten selbst tragen? SPD – zieht weiterhin den Familien das Geld aus der Ta- Das muss in diesem Gesetz unbedingt geändert werden. (B) sche. Das wird eine Forderung der FDP sein. (D) (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Die Mehrwertsteuererhöhung, von der Sie im Parla- Mein Fazit lautet: Das Steuerrecht bleibt weiter kom- ment nicht gerne hören, spüren wir Tag für Tag, und pliziert. Die Kindergelderhöhung ist unzureichend. Wei- auch die Familien spüren die Mehrwertsteuererhöhung terhin pflegen Sie von der Großen Koalition das Prinzip Tag für Tag. Denn am Ende des Monats ist bei Familien, „Rechte Tasche, linke Tasche“. Die Familien in der Bun- die rechnen müssen, nichts mehr in der Tasche. desrepublik Deutschland werden erst durch eine neue (Beifall bei der FDP) Regierung in der nächsten Legislaturperiode wirklich entlastet werden. Ich möchte mich nun der CDU zuwenden. Im Sommer vor einem Jahr haben Herr Pofalla und auch Sie (Beifall bei der FDP) von der CDU in einem Zehnpunkteprogramm verspro- chen, dass Sie die Mehrwertsteuer auf Pampers von Präsident Dr. Norbert Lammert: 19 Prozent auf den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von Das Wort erhält nun die Kollegin Patricia Lips für die 7 Prozent senken wollen. CDU/CSU-Fraktion. (Sönke Rix [SPD]: Es gibt auch andere!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was ist eigentlich daraus geworden? Haben Sie das mit der SPD besprochen? Patricia Lips (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Was Sie mit der SPD besprochen haben, ist, dass die ren! Zurzeit wird in diesem Haus über zahlreiche Maß- Skiliftbetreiber nur noch 7 Prozent statt bisher 19 Pro- nahmen auf allen Politikfeldern diskutiert, Maßnahmen, zent auf ihre Umsätze zahlen müssen. Das ist eine tolle die vor allem in naher Zukunft oder mittelfristig unserem Leistung. Land helfen sollen. Die Finanzmarktkrise hat die Real- (Beifall bei der FDP – Carl-Ludwig Thiele wirtschaft erreicht. Nahezu alle davon betroffenen Län- [FDP]: Das kann man wohl sagen!) der rüsten sich richtigerweise für die kommende Zeit. Der Fokus zahlreicher Maßnahmen richtet sich natürlich Aber wenn wir von der FDP seit Jahren einen Mehrwert- auf den wirtschaftlich-finanziellen Bereich; das ist auch steuersatz von 7 Prozent für Windeln fordern, dann sind richtig. Jede Maßnahme verdient es, dass man ihr die nö- Ihre Ohren verschlossen. tige Aufmerksamkeit schenkt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19977

Patricia Lips (A) Frau Höll, gestatten Sie mir, auf das Beispiel von Frau 2002 bis heute für Kinder bis sechs Jahre um 30 Prozent (C) Beyer zurückzukommen. Sie sagten, dass diese Frau gut gestiegen. und zuverlässig arbeitet. Das freut uns, und wir unter- stützen sie dabei. Wir bedauern aber, dass die Maßnah- (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) men, die im Rahmen des Paketes zur Stabilisierung des Finanzmarktes getroffen wurden, immer wieder ange- Wenn wir die Diskussion hier führen, dann sollten wir führt werden, um bestimmte Positionen und Bereiche in sie auch komplett führen. Deshalb ist es wichtig, dass unserer Gesellschaft gegeneinander auszuspielen. Das das noch einmal an dieser Stelle gesagt wurde. ist nicht richtig; das ist falsch. Die Maßnahmen zur Sta- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bilisierung des Finanzmarktes dienen auch dazu, dass neten der SPD) das Unternehmen, bei dem Frau Beyer arbeitet, in Zu- kunft die benötigten Kredite und Aufträge bekommt. Zweitens: eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Damit wird der Arbeitsplatz von Frau Beyer nachhaltig Pflege und Beruf. Die Anforderungen sind gestiegen. gesichert. Leider vergessen Sie das immer in Ihren Aus- Wir selbst fordern eine erhöhte Flexibilität am und für führungen. Deshalb ist es doppelt wichtig, das an dieser einen Arbeitsplatz. Gleichzeitig brauchen wir auch Stelle zu sagen. Frauen, die in Kontinuität und ohne ständigen Druck an der Arbeitswelt teilhaben können. Nicht nur Kinder- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) erziehung, auch die Pflege von Angehörigen spielt eine Wir begrüßen die Ziele, die mit dem vorliegenden immer größere Rolle. Sie hat unmittelbaren Einfluss auf Leistungsgesetz für Familien erreicht werden sollen. Es die Gestaltung einer Gemeinschaft, einer Familie. Oft sind ganz besonders die Familien, die das Fundament ei- geschieht dies nicht geplant, sondern in tragischen Fäl- ner stabilen Gesellschaft bilden. Gerade in wirtschaftlich len werden die Familien völlig unvorbereitet davon be- schwierigen Zeiten dürfen und wollen wir sie nicht am troffen. Rande stehen lassen. Auch deshalb ist dieses Gesetz so Drittens. Insbesondere die steuerliche Förderung von wichtig. Leistungen für Familien sind immer auch Inves- haushaltsnaher Beschäftigung und Dienstleistung soll titionen in die Zukunft. Mit dem Leistungsgesetz für Fa- neben der Erleichterung einer eigenen, individuellen Le- milien wollen wir – wir hörten das bereits – einen sehr bensplanung auch dazu beitragen, die Ausschöpfung eines erfolgreichen Weg fortsetzen. Elterngeld, erweiterter großen Potenzials zum Beschäftigungsaufbau voranzu- Kinderzuschlag, ausgeweitete Betreuungsangebote, Kin- bringen. Der private Haushalt soll noch mehr als bisher dertagesstätteneinrichtungen, Ganztagsschulen und so- zu einem Auftraggeber werden können und zur Schaf- ziale Frühwarnsysteme, dies sind nur einige Marksteine fung von legalen Beschäftigungsverhältnissen beitragen. (B) der jüngeren Vergangenheit. Kritik daran wird es immer (D) geben, hier und draußen. Man kann es nicht immer allen Wenn wir die Debatte heute verfolgt haben, dann stel- recht machen. Aber es wird kaum jemand bestreiten, len wir fest – gestatten Sie mir, dass ich das so sage –, dass innerhalb kurzer Zeit viele Maßnahmen auf den dass wir in der eher komfortablen Situation sind, dass Weg gebracht wurden. Diesen erfolgreichen Weg wollen wohl nahezu jeder hier im Haus die grundsätzliche Stoß- wir heute weitergehen. richtung aller Maßnahmen begrüßt. Dabei gibt es natür- (Beifall bei der CDU/CSU) lich nichts, auch nichts Gutes, was man nicht noch bes- ser machen könnte – selbstverständlich. Viele Dinge Die Erhöhung des Kinderfreibetrages ist – wir hörten wurden hier genannt, und es gibt immer jene, die ein schon mehrfach davon – ein richtiger und vor allem ein Mehr an Leistung fordern. Wie immer wird es so sein, verfassungsrechtlich notwendiger Schritt. Die Erhöhung dass nicht alles erfüllt werden kann. Doch wir stehen am des Kindergeldes sieht eine Staffelung vor, bei der Mehr- Anfang der Diskussion, und ich bin mir sicher, dass wir kindfamilien besonders berücksichtigt werden. 4,5 Mil- für vieles Regelungen finden werden. lionen Kinder leben in solchen Familien. Es gibt zudem Sonderzahlungen zum Schulbesuch, ein ganz neues Ele- Kindererziehung ist und bleibt Sache der Eltern. Der ment. Die Förderung von haushaltsnaher Beschäftigung Staat, die Gemeinschaft aller, unterstützt dabei vielfältig und Dienstleistung soll ausgebaut bzw. vereinfacht wer- und schreitet dort ein, wo Eltern nicht allein zum Wohl den. ihrer Kinder handeln können oder wollen. So soll es sein. Kinderfreundliche Unterstützungsmaßnahmen zu Was wollen, was können wir mit diesen Maßnahmen ergreifen, ist aber nicht nur eine Aufgabe des Deutschen bewirken? Ich möchte das an dieser Stelle in drei Punk- Bundestages, sondern wir sind auf allen Ebenen dazu ten zusammenfassen. verpflichtet, Regelungen zu finden. Das ist nicht allein eine politische Aufgabe, sondern es ist eine gesamtge- Erstens: die finanzielle Entlastung und Unterstüt- sellschaftliche Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Wir zung von Familien mit Kindern. Wir wollen wirt- wollen diese Leistungen zur Unterstützung hier und schaftliche Stabilität schaffen bzw. ausbauen. Vor allem heute an einer weiteren Stelle ergänzen. Das Ganze soll kinderreiche Familien sowie Familien mit mittleren und bereits im Januar in Kraft treten. Ich freue mich auf Ihre unteren Einkommen brauchen häufig verstärkt die Hilfe Mithilfe und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. der Gemeinschaft. An dieser Stelle möchte ich aus der aktuellen Debatte heraus die Gelegenheit nutzen, um auf (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- etwas hinzuweisen. Der Regelsatz im SGB II ist von neten der SPD) 19978 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Will die Union nicht, dass Bedürftige Abitur machen? (C) Das Wort erhält der Kollege Swen Schulz für die Um das Geld kann es an dieser Stelle ja nicht gehen. SPD-Fraktion. Auch der Bundesrat kann das übrigens nicht nach- (Beifall bei der SPD) vollziehen. In seinem Beschluss bezeichnet er diese Be- grenzung als – Zitat – „sachlich nicht gerechtfertigt“ und „kontraproduktiv“. Das ist eine finanzielle Benachteili- Swen Schulz (Spandau) (SPD): gung derjenigen, die einen höheren Bildungsabschluss Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und anstreben, und widerspricht der Zielsetzung, mehr und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Ent- bessere Bildung zu ermöglichen. Liebe Kolleginnen und wurf für ein Familienleistungsgesetz setzt sehr gute Si- Kollegen von der CDU/CSU, ich bitte Sie herzlich: Das gnale. Es geht um stärkere Unterstützung für Familien, kann so nicht bleiben. Geben Sie sich einen Ruck und und es geht um gesonderte Hilfe für bedürftige Schüle- stimmen Sie einer Änderung zu! rinnen und Schüler, weil wir auch nach denen schauen, die von der Kindergelderhöhung nicht profitieren wer- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den. Tatsächlich haben wir ein schwerwiegendes Pro- DIE GRÜNEN) blem im Bildungswesen. Die PISA-Studien zeigen deut- Uns ist klar, dass durch dieses Gesetz nicht alle Pro- lich, dass in keinem Industriestaat der Welt Kinder aus bleme gelöst werden. Die SPD will weitere, größere armen und bildungsfernen Familien so schlechte Bil- Schritte gehen. Wir wollen einen eigenständigen Regel- dungschancen haben wie in Deutschland. Der nationale satz für Kinder, deren Eltern arbeitslos sind. Bislang Bildungsbericht 2008 hat zum Beispiel festgestellt, dass wird der Bedarf für Kinder so festgelegt, als ob sie die Kinder von Beamten mit Hochschulabschluss zu kleine Erwachsene wären. Das bedeutet, dass sie dann, 95 Prozent studieren, dass es aber nur 17 Prozent der Ar- abhängig vom Alter, 60 oder 80 Prozent dessen bekom- beiterkinder bis an die Hochschule schaffen. Dabei wis- men, was Erwachsenen zugestanden wird, mit dem Ef- sen wir, dass die Kinder nicht dümmer oder klüger gebo- fekt, dass Kinder etwa für Alkohol und Tabak Geld be- ren werden. Nein, es sind die gesellschaftlichen kommen, nicht aber für Bildung und kindgerechte Bedingungen, die Bildungschancen ermöglichen oder Dinge. Ich glaube, da müssen wir noch einmal heran. eben auch verbauen. Dagegen müssen wir etwas tun. Das kann so nicht bleiben. Wir wollen optimale Unterstützung und Chancengleich- heit für alle in der Bildung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Darüber hinaus wollen wir die Gebührenfreiheit der (B) Kitas genauso wie der Hochschulen. Auch das Mittages- (D) Darum ist es so wichtig, dass wir in Bildungseinrich- sen in den Kitas und in den Schulen sollte für die Eltern tungen investieren, wie wir es etwa unter Rot-Grün mit kostenfrei sein. Ein Schüler-BAföG ist sinnvoll. Wir dem Ganztagsschulprogramm und dem Tagesbetreu- wollen gute Bildung für alle ermöglichen. Das ist wich- ungsausbaugesetz oder wie wir es auch in der Großen tig für unsere Volkswirtschaft. Das ist aber vor allem ein Koalition mit dem Kinderförderungsgesetz getan haben. Gebot der sozialen Gerechtigkeit. Dafür stehen wir ein. Darum wollen wir auch Familien, die nicht so viel Geld haben, unterstützen: damit sie für die Kinder Schulbe- (Beifall bei der SPD) darf kaufen können, also Ranzen, Hefte, Füller usw. Das Der Gesetzentwurf ist ein Schritt in die richtige Rich- ist ein guter Beitrag dazu, dass Kinder aufgrund der Ar- tung. Lassen Sie uns aber noch mutiger sein. Es gibt Ge- beitslosigkeit ihrer Eltern im schulischen Leben nicht legenheiten im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens; benachteiligt werden. Ich will einmal sagen: Es ist die die Kollegin Lips hat darauf hingewiesen. Ich werte das SPD gewesen, die das initiiert hat, die das in der Koali- als Signal dafür, dass mit der CDU/CSU darüber noch tion durchgeboxt hat. geredet werden kann. Ich glaube, dann wird es noch ein (Beifall bei der SPD) richtig gutes Gesetz. Ohne den Impuls von Franz Müntefering schon vor eini- Herzlichen Dank. ger Zeit hätte es das nicht gegeben. (Beifall bei der SPD) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind stolz auf euch!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist Aber wir wollen noch mehr erreichen, als in diesem die Kollegin Ingrid Fischbach, CDU/CSU-Fraktion. Gesetzentwurf vorgeschlagen wird. Mir ist vollkommen unklar, warum die CDU/CSU in den Koalitionsverhand- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lungen darauf bestanden hat, dass dieses Schulbedarfs- paket zeitlich begrenzt wird, es also nur bis zur zehnten Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Klasse in Kraft gesetzt wird. Warum nicht auch bis zum Abitur? Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich könnte fast wie immer nach solchen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Debatten hier im Deutschen Bundestag sagen: Viel Lärm des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) um nichts. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19979

Ingrid Fischbach (A) (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- gerade die Eckregelsätze derjenigen Menschen, für die (C) SES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeord- Sie sich hier so stark machen, so zu erhöhen, dass sie da- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) von profitieren. Sie haben jedoch genau die gleichen Re- gelsätze wie die anderen Bundesländer auch, nicht einen Ich würde mich freuen, wenn Sie von der Opposition Euro mehr. Daran müssen Sie sich messen lassen. Sie – jetzt schaue ich auch die rechts sitzende FDP an – uns sollten sich nicht hier hinstellen und so tun, als ob Sie et- einmal attestieren würden: In den letzten Jahrzehnten ist was änderten. Machen Sie es vielmehr da, wo Sie in der für die Familien nie so viel wie in den letzten drei Jahren Verantwortung sind! Da können Sie etwas verändern, getan worden. und da sollten Sie es auch tun. (Beifall bei der CDU/CSU – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie [SPD]: In den letzten drei Jahren?) bei Abgeordneten der SPD) Frau Deligöz, Sie stellen sich hier hin und sagen: Meine Damen und Herren, ich will noch einmal ver- 10 Euro mehr, das ist mager. – Ich schaue einmal zurück deutlichen, dass wir nicht nur mit der jetzt vorgesehenen auf die Zeit, in der Sie in der Regierungsverantwortung Erhöhung des Kindergeldes und des -freibetrages ein waren: Sie haben 2002 zum letzten Mal das Kindergeld deutliches Zeichen setzen, sondern dass während der erhöht. Man könnte vermuten, das hätten Sie getan, weil letzten drei Jahre einige Dinge als Leistung der großen Sie die Probleme der Familie erkannt hätten. Koalition auf den Weg gebracht wurden, die gerade den (Caren Marks [SPD]: Im Gegensatz zu Ihnen Familien zugutekommen. – Der Präsident blinkt schon? haben wir das getan!) Aber ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Es war Präsident Dr. Norbert Lammert: das Verfassungsgerichtsurteil von 1998, das sich eindeu- Nein, ich wollte nur fragen, ob Sie bereit sind, eine tig zur Kinderbetreuung geäußert hat. Zwischenfrage der Kollegin Höll zu beantworten. (Caren Marks [SPD]: Was die CDU-Politik Ingrid Fischbach (CDU/CSU): kritisiert hat!) Nein, heute nicht. Ich mache es sonst immer gern, Im November 1998 kam das Urteil, und daraufhin haben aber ich möchte es nicht. Sie 2000 reagiert, aber nicht, weil es Ihnen ein Grundbe- dürfnis war. (Zurufe von der LINKEN) (Dr. Hans-Ulrich Krüger [SPD]: Und welche Poli- – Ich möchte es heute nicht. Nein, regeln Sie das in Ber- (B) tik hat das Verfassungsgericht verurteilt?) lin! Da haben Sie eine Menge zu tun, und wir reden jetzt (D) hier weiter. Man muss noch einmal sagen, dass dies eine Reaktion war. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Heute nicht! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Seit 2002 ist nichts mehr geschehen. Obwohl Ihnen Beim nächsten Mal!) das Thema Armut immer so wichtig ist, haben Sie nicht erkannt, dass gerade Familien mit drei und mehr Kin- Wir haben, wie gesagt, einiges auf den Weg gebracht, dern ein erhöhtes Armutsrisiko tragen. Deshalb ist es was gut und richtig ist. Wir haben nicht nur das Eltern- richtig und wichtig, dass wir jetzt ein gestaffeltes Kin- geld eingeführt, wir haben nicht nur den Ausbau der dergeld nach vorn bringen. Kinderbetreuung auf den Weg gebracht. Wir haben beim Kinderzuschlag – jetzt beziehe ich (Beifall bei der CDU/CSU – Johannes mich auf die zweite Gruppe, die stark von Armut betrof- Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl, so muss es fen ist – die Alleinerziehenden noch einmal ganz beson- sein!) ders in den Fokus genommen und die Absicht bekundet, Darauf sind wir stolz, und wir können es mit Recht sein. dass hier eine Verbesserung gerade für sie erfolgen soll. Das haben wir auch getan, und deshalb, Frau Westrich, Frau Höll, ich bin jedes Mal sprachlos, wenn die habe ich die Aussage in Ihrer Rede nicht verstanden Linke hier steht und suggeriert, sie wolle das Beste für – das muss ich jetzt doch einmal kritisch sagen –, dieses das Volk. Gesetz habe allein die SPD auf den Weg gebracht. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ja!) (Zustimmung bei der CDU/CSU) Sie reden über Eckregelsätze, die man erhöhen müsse, Ich glaube, wir waren durchaus wichtig und haben uns und davon, dass wir die Sätze viel zu niedrig ansetzten. an einigen Stellen sehr deutlich bemerkbar gemacht. Sie wissen aber, wie wir sie auf Bundesebene berechnen: Die sozialrechtlichen Eckregelsätze werden von den (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ja, das war Landesregierungen bestimmt; daraus berechnen wir das gerade das Problem!) Mittel. Ich komme noch einmal zum Stichwort „haushalts- Ich habe einmal nachgesehen, was Sie in Berlin ma- nahe Dienstleistungen“. Ich bin zwar schon etwas älter, chen, wo Sie regieren und entsprechende Möglichkeiten aber mein Gedächtnis ist noch sehr gut. Ich kann mich haben. Es müsste Ihnen doch ein Grundanliegen sein, erinnern, dass unsere ersten Vorschläge gerade von Ih- 19980 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Ingrid Fischbach (A) nen immer mit der Bemerkung abgetan wurden, das sei deutliches Zeichen dafür, dass wir die Familien ernst (C) eine Unterstützung der gut- und besserverdienenden Fa- nehmen. milien. Frau Ministerin, wir sind auf einem guten Weg. Wir (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) begleiten Sie weiterhin; denn das tun wir für die Fami- lien in Deutschland. Heute stellen Sie sich hier hin und sagen, das sei das, was die SPD immer gewollt habe. Das hätten wir dann (Beifall bei der CDU/CSU) schon viel eher haben können. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der CDU/CSU – Carl-Ludwig Um die zu Recht hervorgehobene Bedeutung dieses Thiele [FDP]: So war es! – Dr. Norbert Themas zu unterstreichen, gestattet das Präsidium jetzt Röttgen [CDU/CSU]: Wenn sie es heute gut noch eine Kurzintervention, und zwar der Kollegin Höll. finden, ist es auch etwas! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Über verlorene Söhne freuen wir Ich mache aber noch einmal darauf aufmerksam, dass uns, wenn sie zurückkehren!) wir aus guten Gründen keinen Rechtsanspruch auf Kurz- interventionen haben. Schon gar nicht gibt es eine Rege- Uns hatten Sie da immer auf Ihrer Seite, und Sie werden lung, nach der die Abgeordneten, die in der Debatte uns dabei immer auf Ihrer Seite haben. ohnehin zu Wort gekommen sind, sich anschließend in Form von Kurzinterventionen zusätzliche Redezeit ver- Gerade damit wollen wir nicht nur erreichen, die Fa- schaffen. milien in finanzieller Hinsicht besserzustellen, bessere Betreuungsangebote vorzuhalten – und jetzt kommt der Frau Kollegin Höll. Dreiklang, den die Ministerin sehr gut auf den Weg ge- bracht hat –; vielmehr wollen wir auch dafür sorgen, (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Also dass Eltern wieder mehr Zeit für ihre Kinder haben. eine kurze Kurzintervention!) Wenn wir wollen – dies ist gerade auch in Ihrer Partei, Frau Westrich, ein großer Wunsch –, dass die Frauen Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): nach der Geburt eines Kindes ganz schnell in den Beruf Herr Präsident, ich danke Ihnen. – Ich möchte auch zurückkehren, dann müssen wir Ausgleichsmöglichkei- nur ganz kurz auf den gegen mich erhobenen Vorwurf ten schaffen, damit die Eltern, wenn beide berufstätig bezüglich Berlins reagieren. sind, Zeit für die Kinder haben. Sie haben sie nur dann, wenn sie bestimmte Aufgaben auslagern können. Erstens. Frau Kollegin, Sie sollten hier nicht so tun, (B) als ob der rot-rote Senat für die prekäre Haushaltssitua- (D) Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir ein deutli- tion von Berlin verantwortlich wäre. Dafür trägt vor al- ches Signal setzen, indem wir sagen: 20 Prozent der lem die Berliner CDU die Verantwortung. Stehen Sie ge- Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen sind fälligst dazu! von der Steuerschuld absetzbar, und dies mit der Ober- grenze von 20 000 Euro. Das ist ein richtiges, wichtiges (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- und deutliches Signal, und ich bin auch dem Finanz- neten der SPD – Johannes Singhammer [CDU/ minister sehr dankbar, dass er dem Ganzen zugestimmt CSU]: Sie ist aber nicht an der Regierung!) hat. Zweitens. Wenn Sie hier solche Vorwürfe erheben, Meine Damen und Herren, ich kann nur noch einmal sollten Sie sich vielleicht doch etwas gründlicher infor- deutlich machen, dass wir in den letzten drei Jahren eine mieren. Berlin regelt die Wohnkostenübernahme für Menge auf den Weg gebracht haben. Ich habe das auch Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger und damit anhand dessen feststellen können, wie oft ich in dieser auch für ihre Kinder in der großzügigsten Art und Weise. Legislaturperiode im Vergleich zu den letzten geredet Das Berliner Modell ist das beste Modell, das wir derzeit habe. Da ich immer für die Familienpolitik zuständig in der Bundesrepublik haben – und das trotz der ange- war, kann man das gut vergleichen. Es ist eine deutliche spannten Haushaltssituation. Berlin tut in dem sehr Steigerung; das können Sie im Internet nachlesen. engen Rahmen, den es hat, das Bestmögliche. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Sönke Rix [SPD]: Weil die Union im Bundes- neten der SPD) rat auch nicht mehr blockiert! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Chefsache statt Ge- döns!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Das zeigt einfach, dass wir sehr viele Themen besetzt haben, die Familien betreffen, und dass wir Dinge auf Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- den Weg gebracht haben. wurfs auf Drucksache 16/10809 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich an den Wir haben auch geschafft – das freut mich noch Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- mehr –, dass unsere Debatten im Plenum des Deutschen abschätzung vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor- Bundestags zur Kernzeit stattfinden. Das war früher schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überwei- nicht üblich. Auch dafür ein Dankeschön. Das ist ein sung so beschlossen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19981

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b die wir in der letzten Legislaturperiode begonnen haben, (C) auf: so bewertet: Zum ersten Mal seit langem ist es gelungen, dass die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt mit a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- einem Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit einher- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuaus- geht. Zum ersten Mal ist es gelungen, dass innerhalb ei- richtung der arbeitsmarktpolitischen Instru- nes Konjunkturzyklus auch insgesamt eine strukturelle mente Verbesserung festgestellt werden kann. Schließlich ist es – Drucksache 16/10810 – nicht mehr so, dass die Arbeitslosigkeit erst dann zu- Überweisungsvorschlag: rückgeht, wenn das Wirtschaftswachstum über 2 Prozent Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) liegt. Das alles haben wir zustande gebracht. Das muss Rechtsausschuss in diesen Tagen auch einmal gesagt werden. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO der CDU/CSU) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kornelia Warum ist uns das gelungen? Es ist uns gelungen, Möller, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weite- weil wir uns die Sache nicht so einfach gemacht haben rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE und nicht auf die hereingefallen sind, die einfache Lö- Arbeitslosenversicherung stärken – Ansprü- sungen propagieren: Die einen sagen hier, man müsse che sichern – Öffentlich geförderte Beschäf- den Arbeitsmarkt so organisieren, dass er keine Halteli- tigte einbeziehen nien hat, also sozialstaatliche und soziale Regelungen abschaffen, um ihn hochmobil zu halten. Die anderen sa- – Drucksache 16/10511 – gen, man dürfe gar nichts ändern. Wir haben dagegen ei- Überweisungsvorschlag: nen Arbeitsmarkt geschaffen, der unter sozialstaatlichen Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Rahmenbedingungen hoch funktionsfähig und hoch mo- Rechtsausschuss bil ist. Genau das hat zum derzeitigen Rückgang der Ar- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie beitslosigkeit beigetragen. (Unruhe) Natürlich müssen wir jetzt alles dafür tun, damit es – Sobald die notwendige Aufmerksamkeit für die gemel- dabei bleibt. Es ist deshalb richtig, dass dem Schutz- deten Redner hergestellt ist, können wir fortfahren. – Es schirm für die Finanzmärkte auch ein Schutzschirm für wäre auch schön, wenn in der Fraktion Bündnis 90/Die den Arbeitsmarkt folgt. Darüber diskutieren wir heute Grünen die offenkundig dringlichen Besprechungen we- ja auch, nachdem zuvor darüber schon in den Fraktionen (B) nigstens im Sitzen stattfinden könnten. und anderen Gremien beraten worden ist. Ich halte das (D) (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: für notwendig. Für ganz besonders notwendig halte ich Das kriegen die gar nicht mit!) in diesem Zusammenhang aber die Maßnahmen, die wir im Bereich der Arbeitsmarktpolitik zusätzlich auf den Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Weg gebracht haben. Soziales, Olaf Scholz. So haben wir angesichts der derzeitigen Situation ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sagt: Wir verlängern die Dauer des Bezugs von Kurzar- der CDU/CSU) beitergeld. Es wird nicht nur, wie im Gesetz vorgese- hen, sechs Monate gezahlt, sondern kann bis zu 18 Mo- Olaf Scholz, Bundesminister für Arbeit und Sozia- nate gewährt werden. Das starke Signal, das davon an les: die Unternehmen ausgeht, lautet: Haltet an euren Be- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schäftigten fest! schwierige Zeiten, aber in diesen schwierigen Zeiten (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der gibt es auch gute Meldungen – die müssen besprochen CDU/CSU) und zur Kenntnis genommen werden –: Das erste Mal seit 16 Jahren ist die Zahl der Arbeitslosen wieder unter Entlasst sie nicht, wenn es jetzt Schwierigkeiten gibt, 3 Millionen gesunken. Das ist das Ergebnis vieler guter sondern behaltet sie bei euch! Ihr werdet sie schneller Entwicklungen in der Konjunktur. Das ist das Ergebnis wieder brauchen, als ihr denkt! von Entscheidungen, die Unternehmerinnen und Unter- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nehmer getroffen haben. Das ist das Ergebnis der An- strengungen vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Wir unterstützen in dieser Situation die Unternehmen mer. Aber das ist auch das Ergebnis guter Politik. mit der Verlängerung der Bezugsdauer des Kurzarbeiter- geldes. Dies verbinden wir mit einem weiteren Angebot, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) das wir im Übrigen auch mit Maßnahmen der Arbeits- Mit den Reformen auf dem Arbeitsmarkt, die wir marktpolitik auf den Weg gebracht haben. Wir sagen: zustande gebracht haben, haben wir einen Beitrag dazu Qualifiziert, statt zu entlassen! Wir wollen also, dass je- geleistet, dass die Arbeitslosigkeit schneller zurückgeht, mand, der in Kurzarbeit ist, die Möglichkeit hat, sich als sie ohne diese Reformen zurückgegangen wäre. Wer weiterzuqualifizieren. Dafür werden wir die Vorausset- das bezweifelt, kann sich jetzt noch einmal neu beim zungen schaffen. Wir wollen aber auch, dass generell in Sachverständigenrat erkundigen. Er hat die Reformen, den Betrieben häufiger diese Möglichkeit wahrgenom- 19982 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Bundesminister Olaf Scholz (A) men wird. Deshalb werden wir für eine umfassende Nut- Es geht darum, passgenau für jeden Arbeitsuchenden das (C) zung des Programms WeGebAU, das wir aufgelegt ha- Richtige zu tun. Das kann nicht funktionieren, wenn wir ben, werben. Wir werden den mittelständischen einen Katalog haben, der so lang ist, dass man allein mit Unternehmen nahelegen, dafür zu sorgen, dass gering dem Wälzen der Unterlagen möglicher Maßnahmen qualifizierte Arbeitnehmer ausgebildet werden, dass sie seine Zeit verbringt. Vielmehr muss es zusammenge- mehr Qualifikation bekommen und nicht entlassen wer- fasste Instrumente geben. Sie müssen passgenau sein so- den. Wir werden auch dafür sorgen, dass ältere Arbeit- wohl für den Bereich SGB III als auch für den Bereich nehmer nachqualifiziert werden, sodass sie für die Her- SGB II, für die Versicherungskunden und für diejenigen, ausforderungen der Zukunft gerüstet sind. Auch das die Arbeitslosengeld II erhalten. gehört zu den Dingen, die wir jetzt tun. Zudem muss die Möglichkeit gegeben sein, etwas Im Übrigen werden wir auch dafür Sorge tragen, dass Neues zustande zu bringen, etwas, das bisher noch nicht die Zahl der Vermittler bei der Bundesagentur für Arbeit darin enthalten war, und zwar nicht erst, nachdem der noch einmal ausgeweitet wird. 1 000 zusätzliche Ver- Deutsche Bundestag einen weiteren Einfall für einen mittler sollen als Job-to-Job-Vermittler dafür sorgen, weiteren Paragrafen hatte; diese Handlungsmöglichkeit dass diejenigen, die in der jetzt rauer und schwieriger muss generell gegeben sein. Das ist mit diesem Gesetz- werdenden wirtschaftlichen Situation arbeitslos werden entwurf gegeben. Die wachsende Flexibilität und die und einen neuen Arbeitsplatz suchen, umgehend und in- bessere Unterstützung der Arbeitsuchenden bedeuten ei- tensiv betreut werden können. Das ist ein wichtiges Sig- nen guten und richtigen Zug, den wir gemeinsam als Ko- nal an diejenigen, die in der derzeitigen Situation Angst alition voranbringen. um ihren Arbeitsplatz haben. Wir werden sie nicht al- leinlassen, sondern sie unterstützen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich will ausdrücklich sagen, dass es eine gemeinsame der CDU/CSU) Sache ist, dafür Sorge zu tragen, dass die Zahl der Instru- Nicht nur mit dem Job-to-Job-Zusatzprogramm, son- mente reduziert wird. Wir betrachten dies nicht als et- dern ganz generell ist es schon gelungen, die Zahl derje- was, was man irgendwie machen musste. Es geht viel- nigen, die Vermittlungsarbeit leisten, zu erhöhen. So ha- mehr darum, dass man mit weniger, zusammengefassten, ben wir dafür gesorgt, dass die Zahl der Vermittler bei mehr Einzelfallgerechtigkeit ermöglichenden Instrumen- den Arbeitsagenturen noch einmal erhöht wird, sodass ten besser vorankommt als mit den Instrumenten, die bei den jüngeren Arbeitslosen ein Vermittler 75 Arbeit- letztlich nur ein bürokratisches Monster sind. Insofern suchende betreut und bei den älteren Arbeitslosen ein hoffe ich, dass es für dieses Vorhaben über die Koali- (B) Verhältnis von 1 : 150 erreicht werden kann. Das sind tionsfraktionen hinaus Unterstützung gibt. (D) notwendige Standards, damit Arbeitsuchende in einer Lassen Sie mich im Hinblick auf die Instrumente, ins- schwierigen Situation ihres eigenen Lebens gut unter- stützt werden können. besondere auf einen Punkt, der mir wichtig ist, eingehen. Wenn wir uns über die Frage Gedanken machen, wie Ich finde, dass wir hier etwas Richtiges auf den Weg sich der Arbeitsmarkt der Zukunft entwickeln wird, dann gebracht haben, und zwar ganz unabhängig von dem ge- müssen wir uns ganz klar vor Augen halten: Der Arbeits- planten Konjunkturpaket. Noch deutlicher wird dies, markt der Zukunft ist entweder einer mit genügend wenn man sich überlegt, wie die Situation früher war. Zu Fachkräften und geringer Arbeitslosigkeit oder ein Ar- Zeiten der Bundesanstalt für Arbeit waren gerade einmal beitsmarkt, in dem es eine nicht ausreichend große An- 10 Prozent der dort Beschäftigten für Vermittlung zu- zahl von Fachkräften und eine hohe Arbeitslosigkeit von ständig. Jetzt ist fast die Situation erreicht, leider noch nicht qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- nicht ganz, dass die Hälfte der Beschäftigten mit Ver- mern gibt. Genau hier muss man ansetzen. Es kann nicht mittlung befasst ist. Ich will das ausdrücklich sagen, weil sein, dass 500 000 von 3 Millionen Arbeitslosen keinen ich glaube, dass Vermittlung im Mittelpunkt stehen Schulabschluss haben, die fast alle langzeitarbeitslos muss. Wir wollen, dass die Menschen Arbeit finden, sind, und wir nichts dagegen unternehmen. Es kann auch dass den Bürgerinnen und Bürgern, die ohne Arbeit sind, nicht angehen, dass wir wissen, dass die Hälfte der Möglichkeiten eröffnet werden, einen Arbeitsplatz zu Langzeitarbeitslosen über keinen Berufsabschluss ver- finden. Das geht nur, wenn wir uns mit vielen Personen, fügt und wir nichts dagegen unternehmen. Wir müssen die gut qualifiziert sind, um sie kümmern. Sie müssen, mit unseren Möglichkeiten etwas dagegen unternehmen. wenn sie eine Agentur, eine Arbeitsgemeinschaft oder Nicht alles können wir vom Deutschen Bundestag aus ein Jobcenter aufsuchen und Unterstützung brauchen, bewegen. Nicht alles können die Arbeitsgemeinschaften wissen, dass hier alles für sie getan wird. Das geht nur, und die Agenturen machen. Dass wir es jetzt aber ge- wenn sich viele Personen darum kümmern. schafft haben, dass jedem Mann und jeder Frau lebens- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) lang das Recht zugesprochen wird, sich auf den Haupt- schulabschluss gefördert vorzubereiten und ihn Die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instru- nachzuholen, das ist ein großer Fortschritt für diese mente reiht sich da ein. Es geht darum, dafür zu sorgen, 500 000 Arbeitsuchenden. Es ist aber nicht nur ein gro- dass wir nicht im großen Maßstab alles nach Detailhube- ßer Fortschritt, sondern auch ein Zeichen für unsere Ge- reien organisieren, sondern dass wir den Arbeitsvermitt- sellschaft, dass man sein Leben verbessern kann, wenn lerinnen und -vermittlern mehr Flexibilität ermöglichen. man sich Mühe gibt. Darum geht es auch bei dem, was Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19983

Bundesminister Olaf Scholz (A) wir hier machen. Ich bin froh darüber, dass dies jetzt Vizepräsident Dr. : (C) möglich geworden ist. Als nächster Redner hat der Kollege Dirk Niebel von der FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Ebenso werden wir Sorge dafür tragen, dass all dieje- nigen, die über Sprachprobleme verfügen und deshalb Dirk Niebel (FDP): Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben, jetzt un- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und terstützt werden und dies ändern können. Ich glaube, Herren! Am Elften Elften 2005 – ich kann nichts für das auch das ist eine gute Sache, die wir zustande bringen. Datum – hat die Große Koalition den Koalitionsvertrag Dabei geht es darum, Maßnahmen nicht mal hier und unterschrieben, in dem festgelegt ist, dass Sie die ar- mal dort zu ergreifen, sondern flächendeckend. Auch das beitsmarktpolitischen Instrumente überprüfen und die wird passieren. Beantwortung der Frage, welche Instrumente sinnvoll Beide Dinge, die ich hier angesprochen habe, betref- sind und welche nicht, bis zum Ende des Jahres 2006 ab- fen im Übrigen Maßnahmen, die in der Fläche, vor Ort geschlossen haben wird. Sie hat vereinbart, dass man immer mal wieder ausprobiert worden sind. Das ist mit spätestens im Jahr 2007 die arbeitsmarktpolitischen In- verschiedenen Instrumenten – manchmal auch mit In- strumente neu geregelt haben will. Jetzt haben wir den strumenten, die nicht vom Gesetz vorgesehen waren – November 2008. Das heißt, drei Jahre sind vergangen, gemacht worden. Diese Erfahrungen vor Ort in den Ar- seit vereinbart wurde, die arbeitsmarktpolitischen Instru- beitsgemeinschaften, die Experimente, die durchgeführt mente daraufhin zu überprüfen, ob sie sinnvoll sind. worden sind, haben wir nicht einfach weiter betrachtet, Jetzt legt uns der Bundesminister einen Gesetzent- sondern wir haben gesagt: Das soll nicht Experiment wurf vor, von dem er meint, dass er das Versprechen im bleiben. Das soll etwas Regelhaftes werden, das für alle Koalitionsvertrag umsetzt. Arbeitsuchende überall in Deutschland flächendeckend zur Verfügung steht, also nicht nur dort, wo sich beson- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das ders Engagierte darum bemüht haben. Auch das ist ein stimmt doch auch!) gesetzgeberischer Fortschritt, den wir jetzt zustande Das ist mitnichten der Fall. Sie haben die Zeit der guten bringen. Konjunktur zwar genossen, aber Sie haben sie nicht ge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nutzt. Sie haben die Zeit verschwendet; denn seit Januar 2006 liegt der Evaluierungsbericht über die Hartz-Re- Wir wollen Flexibilität erhöhen. Bisher gibt es sie ei- formen I bis III vor. Dies ist nicht ein Bericht der bösen (B) gentlich nicht. Es gibt derzeit sonstige weitere Leistun- Opposition, sondern ein Bericht der Bundesregierung. In (D) gen, um ein beliebtes Thema anzusprechen. Diese stehen ihm ist die Feststellung enthalten, dass ein Großteil der neben den Instrumenten der Regelförderung zur Verfü- vorhandenen arbeitsmarktpolitischen Instrumente nicht gung. Sie sind aber oft genutzt worden als eine Möglich- nur nicht hilft bei der Integration Arbeitsuchender, son- keit zur freien Förderung, als ein Spielraum, etwas zu dern oftmals den Menschen, die damit „beglückt“ wer- machen, das bisher keine gesetzliche Grundlage hatte. den, überproportional schadet; denn sie werden teilweise Darin unterscheiden sie sich von anderen Instrumenten. zusätzlich stigmatisiert und daran gehindert, einen Ar- Mit dem neuen Gesetz wird es zum ersten Mal im Be- beitsplatz zu finden. reich der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine freie (Beifall bei der FDP – [SPD]: Förderung geben. Dieses Instrument wird neu geschaf- Das ist eine Grundlogik, die wirklich peinlich fen. Es ist richtig, dass der Deutsche Bundestag in ist!) Kenntnis der Bedenken des Haushaltsausschusses, der alle Regelungen auf eine rechtlich einwandfreie Grund- Der Bundesarbeitsminister hat versprochen, die An- lage stellen will, sagt: Es soll ein Experimentierfeld ge- zahl der Instrumente zu halbieren. Dass er das nicht ge- ben, auf dem weitere Neuerungen, die wir heute noch schafft hat, verwundert nicht angesichts der Tatsache, nicht kennen, getestet werden können. Nachdem sie vor dass in der Antwort der Bundesregierung vom 25. Juli Ort ausprobiert worden sind, können bewährte Maßnah- – das ist die Drucksache 16/10048 – auf unsere Kleine men später vielleicht verallgemeinert werden. Anfrage bemerkt wird: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Für die Zählung der Instrumente bzw. Leistungen der CDU/CSU) der aktiven Arbeitsmarktpolitik gibt es in Deutsch- land kein, zwischen den unterschiedlichen Akteu- Meine Damen und Herren, die Arbeitsmarktpolitik ist ren bei der Bundesagentur für Arbeit, der Bundes- gut, wenn sie für die Bürgerinnen und Bürger, die Arbeit regierung und der Wissenschaft, gemeinsam suchen, gut ist, wenn die Menschen im Mittelpunkt ste- festgelegtes Konzept. hen und eine Chance erhalten, ein besseres Leben zu Das bedeutet übersetzt nichts anderes, als dass die Bun- führen. Darum bemühen wir uns mit diesem Gesetz. Ich desregierung keine Ahnung hat, wie viele arbeitsmarkt- freue mich auf den Beginn der Gesetzesberatungen. politische Instrumente es überhaupt gibt. Mit dem jetzt Schönen Dank. vorgelegten Gesetzentwurf schafft sie zwar 27 vorhan- dene Instrumente ab, die sie offenkundig gefunden hat, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) aber sie schafft gleichzeitig fünf neue, die teilweise das 19984 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dirk Niebel (A) beinhalten, was mit den anderen abgeschafft worden ist. schaffung der Hauptschule. Hier will sie den Rechtsan- (C) So kann man keine Menschen in den Arbeitsmarkt inte- spruch auf einen Hauptschulabschluss mit den Mitteln grieren. Aber das muss das Hauptziel sein. der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Ar- beitslosenversicherung einführen, (Beifall bei der FDP) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Unglaublich!) Die Bundesagentur versinkt in Bürokratie bei dem Versuch, Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten. 1,5 Mil- während man sich auf der Kultusministerkonferenz zeit- lionen Menschen ohne Arbeitsplatz werden in arbeits- gleich darüber berät, ob die Qualitätsstandards bei der marktpolitischen Maßnahmen geparkt, ohne in der Hauptschule abgeschafft werden sollen, weil 50 Prozent Arbeitslosenstatistik aufzutauchen. der Hauptschulabgänger sie nicht erreichen. Glauben Sie denn im Ernst, dass ein 47-jähriger arbeitsloser Ange- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Darum geht es lernter mit einem Hauptschulabschluss die Chance auf eigentlich!) einen neuen und vielleicht auch besseren Arbeitsplatz Das ist versteckte Arbeitslosigkeit, die nur politisch be- hat? Das ist weltfremd, das ist Symbolpolitik, die Sie un- gründet werden kann. glaubwürdig macht im Vergleich zu dem Verhalten, das Sie auf Landesebene in der Bildungspolitik zeigen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Wenn jemand, der sich mit einem sogenannten 1-Euro- Job etwas hinzuverdienen will, nicht als arbeitslos einge- Sie haben die Paragrafen zur Mobilitätsförderung stuft wird, dann ist das absolut unredlich. Wozu dienen gestrichen. Das ist folgerichtig, wenn man sich den diese 1-Euro-Jobs überhaupt? Doch nur dazu – wie auch Kompromiss zur Erbschaftsteuer anschaut. Wenn ein alle anderen staatlich geförderten Arbeitsverhältnisse, Kind nur dann erbschaftsteuerfrei im Haus der Eltern die einen separaten Arbeitsmarkt kreieren –, Menschen, wohnen kann, wenn es mindestens zehn Jahre in diesem die den Bezug zur Arbeitswelt verloren haben, wieder an Haus bleibt, dann braucht es keine Mobilitätsförderung den Arbeitsprozess heranzuführen oder auch, um die Ar- mehr. beitsbereitschaft zu überprüfen. Aber nur für derartige (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) Fälle kann dieses Instrument genutzt werden. In allen anderen Fällen führt es zu Verwerfungen, Verzerrungen Was Sie hier einführen wollen, ist im besten Fall eine und Mitnahmeeffekten. Aufforderung zu Melderechtsverletzungen, aber mit Si- cherheit nichts, was in einer mobiler werdenden Arbeits- Vermittlungsgutscheine sind ein probates Mittel, welt dazu führt, dass Menschen, die an einem bestimm- wenn sie marktgerecht ausgestaltet sind. Die Vermitt- ten Arbeitsplatz benötigt werden, ihn auch annehmen, (B) (D) lungsgutscheine, die die Bundesregierung vorschlägt, dass man Arbeitsplätze mit qualifizierten Leuten beset- sind in der Höhe der Bezahlung nach wie vor nur an der zen kann, die man benötigt. Dauer der Arbeitslosigkeit ausgerichtet. Das Alter, die Qualifikation und mögliche Vermittlungshemmnisse Sie sind auch hier auf einem falschen Dampfer. Sie werden überhaupt nicht berücksichtigt. Das ist keine haben die guten Jahre der konjunkturellen positiven Ent- marktgerechte Ausgestaltung. Deswegen gibt es für pri- wicklung nicht genutzt. Sie versteifen sich jetzt auf ei- vate, aber nach meinem Dafürhalten auch für staatliche nen kleinen Randbereich – zugegeben, auf einen not- Arbeitsvermittler, die sich durch die Einnahmen aus Ver- wendigen Randbereich in der Arbeitsmarktpolitik – und mittlungsgutscheinen refinanzieren könnten, keinen An- suggerieren, dass damit alle Probleme gelöst werden. reiz, sich tatsächlich um diejenigen zu kümmern, die es Arbeitsmarktpolitische Instrumente sind immer nur ein am nötigsten hätten. Wir haben ja festgestellt, dass die Werkzeugkasten zum Reparieren anderer Fehler. Wir gute konjunkturelle Situation gerade im Bereich der So- brauchen keine Konjunkturprogramme, bei denen je- ckelarbeitslosigkeit, der Langzeitarbeitslosigkeit keine mand durch 100 Euro weniger Kfz-Steuer motiviert wer- wirklich durchschlagenden Erfolge brachte. den soll, ein 30 000-Euro-Auto zu kaufen, sondern wir brauchen Strukturprogramme, die bewirken, dass tat- Die freie Förderung, die Sie bei den Optionskommu- sächlich Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen nen einschränken wollen, preisen Sie hier völlig zu werden. Das werden Sie mit einem derartigen Instru- Recht als ein probates Mittel für ortsnahe Lösungsmög- mentenkasten nicht leisten können. lichkeiten. Lassen Sie den Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittlern vor Ort viel Freiraum. Geben Sie ih- (Beifall bei der FDP) nen Kompetenz. Engen Sie sie nicht ein. Lassen Sie sie Hierfür müssten Sie eine echte Steuerstruktur- entscheiden, welches Instrument in Passau richtig ist, reform durchführen. Wenn der Instrumentenkasten aus- und zwingen Sie sie nicht, das Instrument zu nehmen, gelichtet wird, hat er einen entscheidenden positiven Ef- das vielleicht in Rostock wirkungsvoll sein kann. fekt: Dies führt dazu, dass die Beitragsmittel effizient (Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD: eingesetzt werden und Beitragssenkungsspielräume ge- Keiner zwingt! – Das tut keiner!) schaffen werden. Das führt wiederum dazu, dass Arbeit billiger und dadurch sicherer wird und dass für Arbeit- Wir brauchen auch keinen flächendeckenden Rechts- nehmer Konsum leichter möglich wird. Aber in der anspruch auf einen Hauptschulabschluss, auch wenn Gesamtschau dessen, was notwendig ist, um die Arbeits- der Bundesminister dies hier wie eine Monstranz vor marktsituation auch im kommenden Jahr zu stabilisie- sich herträgt. In den Ländern fordert die SPD die Ab- ren, brauchen Sie Veränderungen der strukturellen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19985

Dirk Niebel (A) Rahmenbedingungen. Das geht nur mit einer Steuer- Nahles [SPD]: Herr Müller, geben Sie sich (C) strukturreform, die den Menschen und den Betrieben Mühe! Obwohl, der ist ja von der CSU! Oh mehr Netto vom Brutto lässt. Das geht nur mit Flexibili- je!) sierungen und mehr Spielräumen im Arbeitsrecht. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Jetzt Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): kommen Sie wieder mit Ihren ganzen Laden- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die hütern!) Große Koalition hat in den letzten drei Jahren deutlich mehr erreicht, als viele, vor allem Sie, liebe Kolleginnen Gerade dann, wenn es schwierig ist, Belegschaften zu und Kollegen von den Oppositionsfraktionen, uns zuge- halten, muss man sich Gedanken darüber machen, das traut haben. Man kann sich immer mal wieder die Frage Arbeitsrecht zu flexibilisieren – ein Thema, das in der stellen: Was hätten Sie für Feste in diesem Hause gefei- gesamten Regierungszeit von Schwarz-Rot nicht ange- ert, wenn Sie diese Erfolge vorzuweisen gehabt hätten? sprochen wurde. Ich vermute, dass das, was wir hier machen, bescheiden (Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: ist gegenüber dem, was Sie, liebe Frau Pothmer, hier ge- Weil die ja nichts zustande bringen!) sagt und getan hätten, wenn Sie in der gleichen Funktion gewesen wären, wenn Rot-Grün weiterregiert hätte. Das geht nur, wenn ideologische Scheuklappen wegfal- len. Die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt sind unüberseh- bar: Wir haben einen Rückgang bei der Arbeitslosigkeit, Damit komme ich noch einmal zum Thema Erb- wir haben einen Aufwuchs bei den sozialversicherungs- schaftsteuer. Die Basis unserer Wirtschaft sind die fami- pflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, wir haben liengeführten Betriebe in Deutschland. mehr Ältere im Erwerbsleben und weniger junge Ar- beitslose. Natürlich hat die Politik dieser Großen Koali- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) tion einen ganz maßgeblichen Anteil an diesen Erfolgen, Wenn der Aktionär eines DAX-Unternehmens stirbt, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das am aller- wird dem Betrieb kein Cent des Vermögens entzogen. wenigsten!) Wenn ein mittelständischer Inhaber stirbt, ist dies aller- dings der Fall. Deswegen sind die Vorschläge, die Sie im nämlich aufgrund der Reformen der vergangenen Jahre, vierten Superkompromiss dieser Koalition gefunden ha- vor allem aufgrund der Senkung des Arbeitslosenversi- ben, mit Sicherheit eines: mittelstandsfeindlich. Sie sind cherungsbeitrages. familienfeindlich, aber sie sind auch mittelstandsfeind- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hatten wir lich; (B) gestern Abend schon!) (D) (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Die – Wir haben gestern zu später Stunde darüber geredet. bayerische FDP wird das schon wissen!) Weil da schon alle Kameras ausgeschaltet waren, sollte denn kein Unternehmen kann am Rande einer Rezession dieses Thema heute früh noch einmal angesprochen wer- seine Lohnsumme für zehn Jahre festschreiben. Wenn den. ein Unternehmen erbschaftsteuerfrei übergeben werden Herr Niebel, soll (Dirk Niebel [FDP]: Hier!) (Andrea Nahles [SPD]: Thema verfehlt! Wir reden hier über arbeitsmarktpolitische Instru- es ist ja nicht so, dass wir auf den Evaluationsbericht aus mente! Das ist keine Erbschaftsteuerdebatte, dem Jahr 2006 nicht reagiert haben. Es hat entspre- Herr Niebel!) chende Schlussfolgerungen gegeben. Dazu werde ich gleich etwas sagen. und die Lohnsumme für zehn Jahre festgeschrieben ist, das Unternehmen dann aber in eine Schieflage gerät, hat Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute in erster Le- man die dramatische Situation, dass man den Umfang sung beraten, geht es uns darum, die Bundesagentur für des Personals nicht anpassen kann und zusätzlich mit der Arbeit schlagkräftiger aufzustellen, vor allem – der Herr Erbschaftsteuer belastet wird. Das kostet weit mehr Ar- Minister hat darauf hingewiesen –, weil wir nicht wis- beitsplätze, als Sie mit Ihrem kleinen Instrumentenkästle sen, wie sich die Finanzmarktkrise auf den Arbeitsmarkt jemals reparieren können. in Deutschland auswirken wird. Das heißt, wir wollen darüber reden, wie die Bundesagentur für Arbeit zu ei- (Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb nem leistungsfähigen Dienstleister am Arbeitsmarkt ent- [FDP]: Da können Sie Vermittler einstellen, so wickelt werden kann. viele Sie wollen! Da kommt nichts bei rum!) Herr Niebel, Sie haben eine für Ihre Verhältnisse er- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: staunlich konstruktive Rede gehalten. Ich will das aus- drücklich anerkennen. Das Wort hat jetzt der Kollege Stefan Müller von der CDU/CSU-Fraktion. (Dirk Niebel [FDP]: Wundert Sie das?) (Beifall bei der CDU/CSU – Brigitte Pothmer Allerdings haben Sie am Ende Ihrer Rede wieder Ihren [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt aber mal liberalen Ladenhüter hervorgeholt: Schafft den Kündi- zur Sache, anders als Herr Niebel! – Andrea gungsschutz ab; dann haben wir automatisch mehr Ar- 19986 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Stefan Müller (Erlangen) (A) beitsplätze. – Lassen Sie sich doch einmal etwas Neues Wenn Sie den Gesetzentwurf durchlesen, werden Sie (C) einfallen. Es wird doch dadurch nicht richtiger, dass Sie feststellen, dass wir in der Tat unwirksame Instrumente es ständig wiederholen. abschaffen, zum Beispiel die Jobrotation, den Eingliede- rungszuschuss bei Neugründungen, den Arbeitgeberzu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schuss zur Ausbildungsvergütung und vieles andere der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Lesen Sie doch mehr. Diese Maßnahmen werden gestrichen, weil sie einmal nach, ob ich das Wort „Kündigungs- nichts genutzt haben, weil sie die arbeitsmarktpoliti- schutz“ überhaupt gebraucht habe!) schen Ziele nicht erfüllt haben, also einfach, weil sie un- Zur Erbschaftsteuer. Das ist zwar nicht unser wirksam waren. Eine ganze Reihe von Maßnahmen Thema, lassen Sie mich aber trotzdem sagen: Ich glaube, – unterstützende Leistungen und vieles andere mehr – dass die bayerische FDP verantwortungsbewusst genug wird, zum Beispiel im Vermittlungsbudget, zu einem ist, um mit dem Thema Erbschaftsteuer ordentlich um- neuen Instrument zusammengefasst, sodass wir entge- zugehen, und keine Nachhilfe von Ihnen, Herrn gen dem, was hier gesagt worden ist, zu einer Reduzie- Westerwelle, oder sonst jemandem von der Bundespartei rung der Zahl der Arbeitsmarktinstrumente kommen. Ich braucht. Ich bin da sehr zuversichtlich. Lassen Sie die sage aber ausdrücklich dazu: Diese Reduzierung ist kein bayerischen Kollegen in Ruhe mit uns zusammenarbei- Selbstzweck. Wir reduzieren die Zahl der Instrumente ten. Dann kommt auch etwas Anständiges raus. nur, um dem Ziel näher zu kommen, die Vermittlung zu verbessern und den Arbeitsuchenden, also denen, die un- Wir wollen die Bundesagentur zu einem schlagkräf- sere Hilfe und Unterstützung brauchen, noch wirksamer tigen Dienstleister am Arbeitsmarkt entwickeln. Es mag helfen zu können. Darum geht es. ja sein, dass Sie, liebe Kollegen von der FDP, daran kein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Interesse haben. Sie wollen die Bundesagentur lieber ab- der SPD) schaffen. Wir setzen mit dem, was wir Ihnen heute vorlegen, (Dirk Niebel [FDP]: Nein! Auflösen!) den bisherigen Kurs der Großen Koalition fort. Herr – Auflösen. Den Unterschied müssen Sie mir einmal er- Niebel, ich habe Ihnen angekündigt, dazu noch etwas zu klären. – Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bundesagen- sagen. Natürlich haben wir auf die Evaluationsberichte tur irgendwann einmal abgeschafft oder aufgelöst wird, reagiert ist so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, dass die FDP ir- (Dirk Niebel [FDP]: Mit Panik, aber nicht mit gendwann einmal in Deutschland mit absoluter Mehrheit Gesetzen!) regiert. und auf so manches, was durch die Hartz-Kommission (B) (D) (Dirk Niebel [FDP]: Oder die CSU 17 Prozent und die Hartz-Reformen auf den Weg gebracht worden verliert!) ist. Ich will Sie daran erinnern, dass wir zum Beispiel die Personal-Service-Agenturen abgeschafft haben, weil sie Das ist sehr unwahrscheinlich. Ich finde, das ist auch gut nichts gebracht haben. Ich will daran erinnern, dass wir so. die Ich-AG abgeschafft und in Verbindung mit dem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Überbrückungsgeld ein neues Instrument, den Grün- der SPD) dungszuschuss, geschaffen haben. Selbst Sie müssten einräumen, dass dieser neue Gründungszuschuss die Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für eine Zielgruppe erreicht, die er erreichen soll, und das bei we- SGB-III-Reform verfolgen wir im Wesentlichen drei niger Mitteleinsatz. Dadurch können wir denen helfen, Ziele: Erstens. Wir wollen mehr Übersichtlichkeit und die unsere Hilfe ganz dringend brauchen. eine bessere Handhabbarkeit der Instrumente, um da- durch eine bessere Vermittlung in den Arbeitsmarkt ge- (Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Niebel währleisten zu können. Wir wollen zweitens mehr Ent- [FDP]: Das haben wir schon vorher ge- scheidungsspielräume für die Agenturen und die braucht!) Mitarbeiter der Agenturen vor Ort. Drittens wollen wir Zweitens: mehr Entscheidungsspielräume für die erreichen, dass die Mittel, die der Bundesagentur für Ar- Vermittler vor Ort. Das Vermittlungsbudget wird hier beit zur Verfügung stehen, wirtschaftlicher eingesetzt eine zentrale Rolle einnehmen. In diesem Vermittlungs- werden können, damit das Geld der Beitragszahler so ef- budget wird eine ganze Reihe von Leistungen zusam- fizient und effektiv wie möglich eingesetzt werden kann. mengefasst, die bisher in einer Reihe von Einzelvor- schriften geregelt wurden. Wichtig ist, dass die Lassen Sie mich zu den drei Punkten einige kurze Be- Entscheidung, ob Hilfe gewährt wird, tatsächlich dem merkungen machen: Erstens. Bessere Übersichtlichkeit Vermittler vor Ort überlassen bleibt. Dadurch können heißt für mich auch mehr Transparenz. Wir haben im stärkeres Ermessen und stärkere Handlungsspielräume Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Zahl der Instru- der Vermittler vor Ort gewährleistet werden. Die Ver- mente reduziert werden soll. Vor allem aber sollen die mittler kennen ihre Kunden schließlich am besten und vorhandenen Instrumente auf ihre Wirksamkeit geprüft können daher am besten entscheiden, ob eine Maßnahme werden. Das heißt, wir wollen wirksame Instrumente sinnvoll ist oder nicht. fortentwickeln und unwirksame Instrumente abschaffen oder streichen, und wir haben uns vorgenommen, dass (Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Niebel gleichartige Instrumente zusammengefasst werden. [FDP]: Mehr davon!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19987

Stefan Müller (Erlangen) (A) Ich will ausdrücklich sagen: Wir haben bei der Bun- Lassen Sie mich zum letzten Punkt kommen. Das (C) desagentur für Arbeit gute Mitarbeiter. Wir vertrauen auf Ziel, das wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen wol- die Entscheidungsfähigkeit und das Verantwortungsbe- len, ist ein wirtschaftlicher Mitteleinsatz. Es ist die wusstsein der Mitarbeiter vor Ort. Auch das ist eine we- Aufgabe der BA, dafür zu sorgen, dass die Mittel der sentliche Neuerung gegenüber dem, was wir in den ver- Beitragszahler wirklich verantwortungsvoll eingesetzt gangenen Jahrzehnten erlebt haben. Nur hilft mehr werden, dass damit sorgsam umgegangen wird und sie gesetzliche Entscheidungsfreiheit vor Ort gar nichts, eben nicht in irgendwelchen unwirksamen Arbeitsmarkt- wenn diese vom Gesetzgeber gewollte Entscheidungs- programmen verpuffen. Die bisherige Politik zeigt, dass freiheit durch irgendwelche Anweisungen der Zentrale wir dieser Verantwortung gerecht geworden sind. Nur aus Nürnberg zunichtegemacht wird. Deswegen sage ich die Einsparung steht aber nicht im Mittelpunkt dieses ganz deutlich: Es kann nicht sein, dass wir hier ein Ge- Gesetzentwurfes. setz auf den Weg bringen und die Zentrale in Nürnberg dann den Mitarbeitern vor Ort so viele Dienstvorschrif- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ten macht, dass diese Entscheidungsspielräume nicht der SPD) mehr bestehen. Wer glaubt, dass wir 20 Instrumente einsparen, um ein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Viertel des Geldes ausgeben zu können, der täuscht sich neten der SPD und der FDP – Dirk Niebel gewaltig. [FDP]: Da hat sich ja doch etwas von unserem (Katja Mast [SPD]: Sehr richtig!) Vorschlag durchgesetzt!) Wir brauchen diese freien Finanzmittel, um denen helfen Ich finde, die Zentrale wäre gut beraten, diese Spiel- zu können, bei denen der Aufschwung am Arbeitsmarkt räume zuzulassen. noch nicht angekommen ist. Im Mittelpunkt sollen nicht mehr die Fragen stehen, Zusammenfassend will ich sagen, dass mit diesem welche Leistungen es gibt, welche Leistungen beantragt Gesetzentwurf die Arbeitsmarktinstrumente wirkungsvoll werden können und aus welchen Töpfen man Geld holen weiterentwickelt, Entscheidungsspielräume erhöht wer- kann, sondern im Mittelpunkt sollen die Fragen stehen, den und wir die BA in die Lage versetzen, ihren arbeits- welche Hemmnisse bei dem jeweiligen Arbeitsuchenden marktpolitischen Aufgaben noch besser nachzukommen. beseitigt werden müssen und was getan werden kann, Sie sehen also, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die um eine Integration in den Arbeitsmarkt zu erreichen. Große Koalition versteht die Arbeitsmarktpolitik als ei- Das heißt, es wird nur noch dann eine Förderung geben nes ihrer zentralen Handlungsfelder. Ich würde mich – auch das liegt im Ermessen des Vermittlers –, wenn freuen, wenn die Opposition die jetzt beginnenden Bera- (B) Aussicht besteht, dass durch diese Maßnahme tatsäch- tungen in den Ausschüssen in gleichem Maße begleitet. (D) lich Erfolge am Arbeitsmarkt verzeichnet werden kön- nen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Ich möchte insgesamt feststellen, dass dieses Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) mittlungsbudget eine flexible, bedarfsgerechte und un- bürokratische Förderung gewährleisten wird. Die Flexi- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: bilität, die wir durch das Vermittlungsbudget erreichen, Als nächste Rednerin hat die Kollegin Kornelia setzen wir mit dem Experimentiertopf fort, den wir Möller von der Fraktion Die Linke das Wort. ebenfalls einführen werden und von dem wir uns ver- sprechen, dass innovative Ansätze der aktiven Arbeits- (Beifall bei der LINKEN) förderung erprobt werden können. Wir haben da in den vergangenen drei Jahren, Herr Minister, gute Erfahrun- Kornelia Möller (DIE LINKE): gen gemacht, zum Beispiel mit der Initiative „50 plus“, Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und bei der es im Kern darum geht, dass der Bund Geld für Herren! In einem Jahr sind Bundestagswahlen. Die bestimmte Modellregionen, für bestimmte Modellkom- Langzeiterwerbslosigkeit ist hierzulande nach wie vor munen zur Verfügung stellt, die dann selber entscheiden einer der Brennpunkte. Die Koalition von CDU/CSU dürfen, für welche Instrumente sie es einsetzen. Dabei und SPD hätte die Chance gehabt, wirklich etwas Nach- sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Es geht da- haltiges zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit auf den rum, in den Regionen passende Instrumente zu finden, Weg zu bringen. Leider hat sie diese Chance vertan. Die- ohne dafür einen gesetzlichen Rahmen zu haben, aber ser Gesetzentwurf ist offensichtlich mit der heißen Nadel auch zu lernen, was in den einzelnen Regionen und in genäht. Wieder einmal wird klar, dass der Vorrat an Ge- den Agenturen vor Ort an Sinnvollem und Richtigem ge- meinsamkeiten in der Arbeitsmarktpolitik längst aufge- macht werden kann, um Rückschlüsse für die Zukunft braucht ist. der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu ziehen. Nun hat man sich nach langen Verhandlungen auf den Wir werden dafür sorgen, dass die Beratung und die kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Das heißt, Ein- Betreuung durch eine Potenzialanalyse und durch Ein- sparung von Beitrags- und Haushaltsmitteln zulasten der gliederungsvereinbarungen verbessert werden. Diese Langzeiterwerbslosen, Dinge haben wir teilweise schon im SGB II eingeführt. Dazu ist es notwendig, dass auch die Ausbildung der (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das Mitarbeiter noch weiter verbessert wird. stimmt doch gar nicht!) 19988 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Kornelia Möller (A) statt der Eröffnung neuer zukunftsfähiger Wege aus der Erfahrungen derjenigen einbezogen werden, die von die- (C) Erwerbslosigkeit durch wirkungsvolle Instrumente. Not- sem Gesetz betroffen sind, wendig wären andere Weichenstellungen. Eine Vielfalt von Impulsen kommt dazu aus Gewerkschaften, Wohl- (Beifall bei der LINKEN) fahrtsverbänden und auch von Arbeits- und Sozialminis- und die Erfahrungen derjenigen, die es umsetzen müs- tern aus verschiedenen Bundesländern. Ich möchte hier sen. Die BAG Arbeit hat in ihrem Positionspapier gefor- einige dieser Vorschläge beispielhaft aufgreifen, die dert – ich kann es Ihnen vorlesen –: Ziehen Sie dieses auch unserer Intention entsprechen. Gesetz zurück! Damit hat sie recht. Erstens. Das Land Berlin schlägt vor, die Regelungen (Beifall bei der LINKEN) zu ABM im SGB II unbedingt beizubehalten, weil sich die entsprechenden Förderinhalte bei Wegfall von ABM Ihnen scheint die Expertenmeinung aber völlig im Regelkreis des SGB II nicht, wie in der Gesetzesbe- gleichgültig zu sein. So wundert es uns auch nicht, dass gründung ausgeführt, durch Arbeitsgelegenheiten in der die Große Koalition mit diesem Gesetz nichts an den er- Entgeltvariante ersetzen lassen. wiesenermaßen gescheiterten Arbeitsmarktinstrumen- ten und -experimenten ändert. Die Flops waren zahl- (Beifall bei der LINKEN) reich: Ein-Euro-Jobs, Leiharbeit, Minijobs, privatisierte ABM sind strukturwirksam und vergabefähig und haben Arbeitsvermittlung und nicht zuletzt die weitere Ausdeh- gerade für die neuen Bundesländer vor allem deshalb nung des Niedriglohnsektors mit ihren verheerenden nach wie vor große Bedeutung, weil sie die Möglichkeit Folgen für die Entwicklung der Binnennachfrage. der Verzahnung von Aufträgen der öffentlichen Hand (Beifall bei der LINKEN) mit der Beschäftigungsförderung sichern. Armut und soziale Gegensätze sind durch Ihre Politik Zweitens. Viele kritische Hinweise aus Wohlfahrts- gewachsen. Das ist der eigentliche Skandal. verbänden und Gewerkschaften beziehen sich auf das Vorhaben, § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II, also die sonstigen (Beifall bei der LINKEN – Stefan Müller [Er- weiteren Leistungen, zu streichen. Bereits während der langen] [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) Sonderkonferenz der Amtschefs für Arbeit und Soziales am 24. April dieses Jahres hatten alle Bundesländer ge- – Das ist kein Quatsch. Das ist die Realität, Herr Müller. schlossen gefordert, die restriktive Auslegung des § 16 Sie sollten sich ihr stellen. Abs. 2 SGB II aufzuheben. Der Handlungsspielraum der Langzeitarbeitslose gehen bei Ihrem Gesetz leer aus. lokalen Akteure, der bisher durch diese Generalklausel Die dringend notwendige neue Qualität geförderter be- ermöglicht wurde, muss erhalten bleiben, (B) ruflicher Weiterbildung wird damit nicht eingeleitet. (D) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Aus unserer Sicht wäre das aber ein Hauptkettenglied neten der FDP – Katja Mast [SPD]: Es gibt zukunftsfähiger Arbeitsmarktpolitik. Stattdessen setzen keine Generalklausel!) Sie in Ihrem Gesetz enge zeitliche Grenzen für Weiter- bildungs- und Trainingsmaßnahmen, um noch mehr zu da sonst die erforderlichen, am Einzelfall und an den ar- sparen. Das nenne ich Ausgrenzung der Langzeit- beitsmarktbezogenen Gegebenheiten vor Ort ausgerich- erwerbslosen. teten Eingliederungsbemühungen nicht mehr in der nöti- gen Flexibilität und Einzelfallgenauigkeit durchgeführt (Beifall bei der LINKEN) werden können. Für wen haben Sie eigentlich Ihre Bildungsoffensive (Dirk Niebel [FDP]: Da hat sie recht, die Frau gestartet? Auf jeden Fall nicht für die ALG-II-Beziehen- Möller!) den. Dabei verweist gerade der Nationale Bildungs- bericht 2008 auf den engen Zusammenhang zwischen – Natürlich habe ich recht. Danke, Herr Niebel. Langzeitmaßnahmen der beruflichen Weiterbildung und (Dirk Niebel [FDP]: Gerne! – Karl guten Eingliederungsquoten besonders für Ältere. An- Schiewerling [CDU/CSU], zur FDP gewandt: dere Instrumente sollen mit der Begründung geringer Ich freue mich, wie oft ihr übereinstimmt!) Anwendung ersatzlos gestrichen werden, zum Beispiel die beschäftigungsbegleitenden Eingliederungshilfen Aus der umfangreichen Liste kritischer Hinweise zu oder die Weiterbildung durch Vertretung. Im Gegensatz den Auswirkungen, die der vorgelegte Gesetzentwurf zu hier bereits vorgetragenen Meinungen halte ich die auf die Ausbildung junger Leute hätte, möchte ich ganz Jobrotation für ein ganz wesentliches Instrument. kurz nur die Forderung nach einheitlicher Ausbildungs- vermittlung durch die für die Arbeitsförderung zuständi- (Beifall der Abg. Brigitte Pothmer [BÜND- gen Stellen der BA sowie nach Weiterführung der Förde- NIS 90/DIE GRÜNEN]) rung des Jugendwohnheimbaus nennen. Selbstverständlich müssen Unternehmen wieder stär- Sie alle wissen, dass der Bundesrat über 50 Anregun- ker in die Weiterbildungspflicht genommen werden. gen – ich wiederhole: über 50 Anregungen – vorgelegt (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Macht hat. Daran wird deutlich, dass hier ein Gesetz am grünen doch mal vor, wie das funktioniert!) Tisch zusammengeschustert wurde. So sehen gute Ge- setze nicht aus. Gute Gesetze sehen anders aus. In jedem Dass der Anteil der Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Fall gehört zu einem guten Gesetz, dass im Vorfeld die und Mitarbeiterinnen Weiterbildung angeboten haben, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19989

Kornelia Möller (A) zwischen 1999 und 2005 erheblich gesunken ist, ist ein Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ach, (C) Skandal. Frau Pothmer!) (Beifall bei der LINKEN) Das ist nicht nur meine Meinung, sondern das ist auch die Meinung aller Experten, die sich bis jetzt zu Wort Die fortgesetzte Benachteiligung der Erwerbslosen, gemeldet haben. die ALG II beziehen, ist ein weiterer sehr gravierender Mangel Ihres Gesetzentwurfes. Dass Sie die aufschie- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wel- bende Wirkung bei Widersprüchen und Klagen weiter che Experten haben Sie denn gefragt?) eingrenzen, ist nicht hinnehmbar. Dass sogenannte Auf- Diese Statements liegen auch Ihnen vor. Ich will hier nur stocker tatsächlich ihren Job aufgeben müssen, um einen einige wenige zitieren: Ein-Euro-Job annehmen zu können, ist ebenfalls nicht hinnehmbar. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Eine sehr selektive Wahrnehmung!) (Beifall bei der LINKEN) „Die Ziele der Reform wurden mit diesem Gesetzent- Dies bestärkt uns in unserer Forderung. wurf verfehlt“ – Kooperationsverbund Jugendsozialar- Wenn ich mir Ihren Gesetzentwurf ansehe, muss ich beit. „Die Instrumentenreform weist in die falsche Rich- sagen: Die durch die Hartz-Gesetze verursachte unsin- tung“ – Diakonie Bundesverband. „Der Gesetzentwurf nige Trennung der Arbeitsmarktpolitik in zwei Rechts- ist als Instrumentenreform grundsätzlich verfehlt“ – kreise ist durch die Gestaltung einer einheitlichen Ar- BAG Arbeit. beitsmarktpolitik mit gleichen Rechten und gleichen Herr Minister, Sie treiben die Betroffenen und dieje- Pflichten für alle Erwerbslosen, wie auch von Verdi ge- nigen, die mit dem Murks, den Sie hier angerichtet ha- fordert, zu ersetzen. ben, umgehen müssen, wirklich zum Äußersten. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Dies würde auch dabei helfen, ein Problem zu lösen, das des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) Sie, die Sie auf der Regierungsbank sitzen, aufgrund Das muss man sich einmal vorstellen: Die Stadt Wiesba- konträrer Positionen in dieser Wahlperiode wohl nicht den hat in ihrer Verzweiflung eine Unterschriftenaktion mehr bewältigen werden, nämlich die gute Organisation gegen diese Pläne gestartet, weil die Verantwortlichen der Betreuung und Förderung langzeiterwerbsloser Men- einfach Angst haben, dass mit diesem Instrumentenkas- schen vor Ort im Rahmen des geltenden Grundgesetzes. ten die Integrationschancen der Arbeitssuchenden mas- siv verschlechtert werden. (B) Ich komme noch kurz auf unseren Antrag zu spre- (D) chen. Wir fordern die volle Versicherungspflicht für Der CDU-Sozialminister Laumann aus Nordrhein- sämtliche vergütungspflichtige Tätigkeiten innerhalb der Westfalen klassifiziert diesen Instrumentenkasten als Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik. Dies würde al- „stalinistisches Korsett“. len Erwerbslosen mehr soziale Sicherheit bringen, alle öf- fentlich geförderten Beschäftigungsverhältnisse gleich- (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stellen und die Arbeitslosenversicherung, die Sie durch NEN]: Hört! Hört! – Stefan Müller [Erlangen] die gestern beschlossene Beitragssatzsenkung ge- [CDU/CSU]: Das hat aber mit der Reform schwächt haben, stärken. nichts zu tun! – Wolfgang Meckelburg [CDU/ CSU]: Das war vor der Reform!) (Beifall bei der LINKEN) Ich sage das hier ganz eindeutig: Mir gefällt diese Wort- Ich kann das Gesagte von gestern nur wiederholen: wahl nicht. Unabhängig von der Frage, ob man diese Beerdigen Sie auch diesen Gesetzentwurf, stimmen Sie Wortwahl nun gut und richtig findet, müssen Sie aber auch hier unserem Antrag zu; denn Arbeitsmarktpolitik zur Kenntnis nehmen, Herr Minister, dass Sie diese muss immer Politik für und nicht gegen die Menschen Fachleute, diese Experten nicht einfach als Schafsnasen sein! und Deppen abtun können. Sie müssen auf diese Leute Ich danke Ihnen. hören und ihre Einwände berücksichtigen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vor knapp einem Jahr haben Sie uns allen hier bei Ih- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: rem Amtsantritt versprochen, Sie wollten die weltbeste Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer von Arbeitsvermittlung schaffen. Bündnis 90/Die Grünen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die weltgrößte Arbeitsvermittlung vielleicht!) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Außerdem haben Sie uns Vollbeschäftigung verspro- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Mi- chen. Sie haben gesagt, „Mehr Chancen auf Arbeit“ solle nister Scholz, ich sage es nicht gerne, aber Ihr Gesetzent- der Maßstab sein, den Sie anlegen, wenn Sie den Instru- wurf taugt einfach nichts. mentenkasten reformieren. Der Instrumentenkasten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- sollte kleiner und die arbeitssuchenden Bürgerinnen und wie der Abg. Kornelia Möller [DIE LINKE] – Bürger sollten zielgerichteter unterstützt werden. 19990 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Brigitte Pothmer (A) Der Instrumentenkasten ist kleiner geworden. Das ist (Andrea Nahles [SPD]: Was? – Dr. Heinrich L. (C) allerdings das Einzige, was Sie von Ihren Versprechen Kolb [FDP]: Danach hat er sich aus dem Staub wirklich eingelöst haben. Zielgerichteter und besser ist gemacht!) hier gar nichts geworden. Ich betone ausdrücklich, dass wir Grünen immer gesagt haben: Ja, man kann diesen In- – Liebe Frau Nahles, begreifen Sie das als das, was es strumentenkasten reformieren; einige Instrumente könn- wirklich ist: Es ist eine Kampfansage an das Parlament ten durchaus wegfallen. – Wenn es aber weniger Instru- als Gesetzgeber. mente gibt, dann müssen die dann vorhandenen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Instrumente flexibler und individueller einsetzbar sein; sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN KEN und des Abg. Stefan Müller [Erlangen] sowie bei Abgeordneten der FDP) [CDU/CSU]) weil die Problemlagen der Menschen ja nicht weniger Es ist insbesondere eine Kampfansage an die Fraktionen, individuell und vielfältiger geworden sind. die diese Regierung tragen. Ich will hier im Übrigen auch noch einmal betonen: Hören Sie auf, sich das gefallen zu lassen und sich Manche Instrumente waren gut und erfolgreich. Die von dieser Regierung am Nasenring durch die Manege „weiteren Leistungen“ zum Beispiel waren wirklich ziehen zu lassen! Wehren Sie sich endlich dagegen! ein Garant für die individuelle Hilfe. Viele Jugendliche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN konnten dadurch den Schulabschluss nachmachen und sowie bei Abgeordneten der LINKEN) haben den Einstieg in Ausbildung gefunden. Alleinerzie- hende haben mit kombinierten Maßnahmen davon profi- Dieser Gesetzentwurf atmet den Geist einer tiefsit- tiert und in Arbeit zurückgefunden. Auch vielen Migran- zenden Misstrauenskultur tinnen und Migranten ist es über die „weiteren Leistungen“ gelungen, wieder den Weg in die Arbeit zu (Dirk Niebel [FDP]: Der Frau Nahles miss- gehen. traue ich auch!) Lieber Herr Müller, hören Sie mir doch einmal zu. gegenüber dem Parlament als Gesetzgeber, gegenüber den eigenen Regierungsfraktionen, gegenüber den Ak- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ich teuren vor Ort und gegenüber den Arbeitslosen. bin ganz Ohr!) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So viel Miss- Das sind wirklich keine unwirksamen Instrumente. Ihr trauen war nie!) (B) Versprechen, nur unwirksame Instrumente fallen zu las- (D) sen, ist doch nicht eingelöst worden. Dieser Gesetzentwurf verschärft die Sanktionsrege- lungen und verschlechtert die Situation der ALG-I- und (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Lesen ALG-II-Empfänger zusätzlich. Die bisherigen Erfahrun- Sie doch einmal den Evaluationsbericht! Da gen haben eines deutlich gezeigt: Die Bekämpfung der steht es doch drin!) Arbeitslosigkeit ist nicht mit dirigistischen Maßnahmen Dieses Instrument ist gestrichen worden, obgleich es ei- möglich. Sie erfordert Vertrauen und Verantwortungsbe- nes der erfolgreichsten war. wusstsein, gut qualifiziertes Personal, gute Rahmenbe- dingungen, Handlungsfreiheit vor Ort und ein Instru- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – mentarium, das sich an den Bedarfen der Menschen Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie ausrichtet, statt dass sich die Menschen nach den Maß- können sich nur von diesem ganzen Quatsch nahmen richten müssen. nicht lösen!) (Zuruf von der SPD: Das machen wir doch al- Kommen Sie mir nicht damit, dass die freie Förde- les!) rung ein Ersatz dafür sei. Die freie Förderung ist weder quantitativ noch qualitativ ein Ersatz dafür. 2 Prozent Aber die Politik, die Sie hier machen, folgt einem ande- des Budgets: Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. ren Geist. Deswegen kann sie nicht erfolgreich sein. Ich weiß, dass Sie das in der Regierungskoalition ge- nauso sehen. Sie wollen die 2 Prozent signifikant aufsto- Die Arbeitslosen in diesem Land verdienen etwas cken. Besseres. Etwas Besseres als diesen Instrumentenkasten finden sie allemal. (Andrea Nahles [SPD]: Richtig!) Ich danke Ihnen. Ich unterstütze Sie gerne dabei. Ich fürchte aber, dass es den Betroffenen nicht hilft. Denn es gibt eine tiefe Miss- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trauenskultur dieser Regierung auch gegenüber den Re- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gierungsfraktionen im Parlament. Staatssekretär Scheele hat auf der Sitzung der BAG Arbeit am letzten Montag Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Folgendes angekündigt: Sollte sich das Parlament mit Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Katja Mast von diesem Vorhaben durchsetzen, dann würde es einen – ich der SPD-Fraktion. zitiere – „Drahtverhau“ von Regelungen geben, der den flexiblen Einsatz dieser Instrumente verhindert. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19991

(A) Katja Mast (SPD): (Beifall bei der SPD) (C) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung ist allerdings der Meinung, dass Die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente will für die freie Förderung 2 Prozent der Eingliederungsleis- die Regelungen für die aktive Arbeitsmarktpolitik über- tungen ausreichen. Leider kann ich hier nicht die Ein- sichtlicher gestalten. Das leistet der vorliegende Gesetz- schätzung des Kanzleramts und des Arbeitsministeriums entwurf. Schon das ist ein Erfolg. teilen. Doch damit nicht genug. Die Reform stärkt die aktive (Dirk Niebel [FDP]: Der erste Lichtblick!) Arbeitsmarktpolitik, indem präventive Ansätze wie die Vorbereitung auf das Nachholen eines Hauptschulab- Ich finde, 2 Prozent sind nicht genug. Wir müssen im schlusses verbindlich eingeführt werden. Die Kultur der zweistelligen Bereich landen. zweiten Chance wird gestärkt. Denn Bildungspolitik ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der aktive Arbeitsmarktpolitik. Das gilt nicht nur auf dem CDU/CSU) Papier, sondern wird mit diesem Gesetzentwurf erneut umgesetzt. Mit dieser Einschätzung bin ich nicht allein. Zum Glück entscheidet am Ende das Parlament. Auch für diese gute (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Gesetzesvorlage gibt es noch einen parlamentarischen CDU/CSU) Prozess. Da geht es um die Höhe der freien Förderung. Bei 500 000 Arbeitslosen ohne Schulabschluss – der (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Sehr gut!) Bundesarbeitsminister hat es bereits angesprochen – und bei jährlich 70 000 Schulabgängern ohne Abschluss Da geht es um alle weiteren Aspekte, wie zum Beispiel wäre diese gesetzliche Verankerung schon lange sinnvoll darum, ob es noch weiterer detaillierter Regelungen zum gewesen. Jetzt kommt sie endlich. Einen kleinen Wer- Hauptschulabschluss bedarf. mutstropfen gibt es dabei: Wir müssten im Bundestag Doch eines ist klar: Wer dieses Gesetz beurteilt, darf nicht handeln, wenn die Bundesländer ihrer Verantwor- nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, sondern muss eins tung für die Bildungspolitik an dieser Stelle nachkom- und eins zusammenzählen. Die neue Qualität dieses Ge- men würden. setzentwurfs ist nicht daran zu messen, ob in der freien (Andrea Nahles [SPD]: Allerdings!) Förderung das gesamte Budget des bisherigen § 16 Abs. 2 eingegangen ist; denn mit Sprachkursen und Aber das ist ein anderes Thema. Hauptschulabschluss sind wesentliche Kostenblöcke aus (Beifall bei der SPD) dem alten § 16 Abs. 2 herausgelöst. Über rechtswidrige Verwendung will ich hier gar nicht reden. Hinzu kommt, (B) (D) Wir von der SPD-Bundestagsfraktion sind auf jeden dass die Vermittler mit dem Vermittlungs- und Aktivie- Fall stolz darauf, dass es uns gelungen ist, das Recht auf rungsbudget enorme Handlungsspielräume bekommen. die Vorbereitung auf den Hauptschulabschluss mit die- Diese werden finanziell vonseiten des Gesetzgebers sem Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen. Hinzu nicht gedeckelt. Zusätzlich kommt die freie Förderung kommt, dass der nachträgliche Erwerb der deutschen hinzu. Sprache – das ist vor dem Schulabschluss die erste Hürde auf dem Weg zur erfolgreichen Integration – (Andrea Nahles [SPD]: Richtig!) ebenfalls zu einem Recht der Arbeitsuchenden wird. Also lassen Sie mich eins und eins zusammenzählen: Die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente Hauptschulabschluss und Spracherwerb in die Regelför- stärkt aber auch die Entscheidungs- und Handlungskom- derung, Vermittlungs- und Aktivierungsbudget zur de- petenz vor Ort, und zwar rechtssicher, obwohl schon zentralen Entscheidung und dann noch die freie Förde- mehrfach das Gegenteil behauptet wurde. Rechtssicher rung, das ist ein guter Ersatz für Rechtsunsicherheit und bedeutet, dass es eben nicht sein kann, dass ein Gesetz, schafft Handlungsspielräume, das ausschließlich dafür gedacht war, individuelle Unter- (Beifall bei der SPD) stützung in Einzelfällen zu finanzieren, dafür verwendet wird, Projektförderung zu betreiben. Handlungsspielräume für die Vermittlung in Arbeit und damit für die Beseitigung der größten Armutsfalle (Beifall bei der SPD) Deutschlands. Uns geht es darum, Menschen besser in Arbeit zu vermitteln. Deshalb schaffen wir mit diesem Gesetz ein Vermitt- lungs- und Aktivierungsbudget, also die Regelungen Ich bin auf unsere Anhörung im Ausschuss für Ar- des SGB III in §§ 45 und 46, die identisch für die Ar- beit und Soziales gespannt. Ich glaube, dass wir an der beitslosengeld-II-Empfänger gelten. Hier schaffen wir einen oder anderen Stelle noch mehr für die Arbeits- für die Vermittler und die Akteure vor Ort die Möglich- marktintegration Jugendlicher machen könnten. Ich bin keit, Projekte zu fördern und auszustatten, wo dies die aber auch darauf gespannt, weil ich weiß, dass sich viele bisherige Rechtsgrundlage nicht hergab. Natürlich wis- Fachverbände mit diesem Gesetzentwurf intensiv aus- sen wir, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht einandergesetzt und gute Vorschläge unterbreitet haben. immer gleichbleibt und man deshalb vor Ort Luft Unsere Aufgabe als Gesetzgeber wird es sein, diese Vor- braucht, um neue Ideen auszuprobieren. Wir alle kennen schläge abzuwägen und für Mehrheiten im Parlament zu das aus unseren Wahlkreisen. Mit der neuen freien För- sorgen. Ich weiß mich dabei in guter Gesellschaft mit derung verschaffen wir Luft. unserem Koalitionspartner, der zwar beim Hauptschul- 19992 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Katja Mast (A) abschluss zuerst nicht mitmachen wollte, aber am Ende Wirtschaft und die Tarifpartner durch verantwortungs- (C) unseren guten Argumenten nicht widerstehen konnte. volle Abschlüsse etc. (Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Die Worum es hier geht, ist, dass wir den Menschen, die haben Sie gezwungen! Die haben Sie wahr- ohne fremde Hilfe keine Perspektive haben, Unterstüt- scheinlich mit der Erbschaftsteuer erpresst!) zung zuteil werden lassen. Wir nennen dies nüchtern Ins- trumente und reden gerade so, als ginge es um irgend- Den sozialen Trägern vor Ort, die unser Gesetzes- welche Apparatschiks; es geht aber darum, Menschen vorhaben kritisch begleiten, will ich klar sagen: Wir wis- Perspektiven zu geben, damit sie mit ihrer eigenen sen, es geht um die Menschen; wir wissen aber auch, Hände und ihres eigenen Kopfes Arbeit den Lebensun- dass gerade ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darun- terhalt für sich und ihre Familien verdienen können. ter leiden, dass wir am Anfang bei den Reformen am Ar- beitsmarkt durch die Ausschreibungspraxis Fehler ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) macht haben. Diese haben wir korrigiert, aber das reicht Diese Hilfen sind im Sozialgesetzbuch III beschrie- nicht. Uns von der SPD geht es darum, auch in der Trä- ben und geregelt. Davon sind 30 Prozent aller Arbeitslo- gerlandschaft die Verbindlichkeit von Mindestlöhnen si- sen betroffen. Das sind diejenigen, die bis zu einem Jahr cherzustellen. Uns geht es darum, dass der Unterbie- erwerbslos sind. Die Hilfen derjenigen, die länger ar- tungswettbewerb bei Ausschreibungen ein Ende hat. beitslos sind, sind im SGB II geregelt. Das sind immer- Deshalb fordere ich auch jede Abgeordnete und jeden hin 70 Prozent aller derjenigen, die letztendlich betrof- Abgeordneten, auch diejenigen von der FDP, auf, der fen sind. Darunter sind auch viele junge Menschen, die Festlegung von Mindestlöhnen bisher keine Ausbildung angefangen haben bzw. eine (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Mindestlohn ist Ausbildung nicht abschließen konnten. Darunter sind der Jäger 90 des neuen Jahrtausends! – Dirk auch diejenigen, die viele Jahre erwerbslos sind, viele Niebel [FDP]: Wir schaffen lieber Mindestein- Vermittlungshemmnisse haben und die den Tag nicht kommen!) strukturieren können. Darunter sind auch diejenigen ohne Schulabschluss und diejenigen, die qualifiziert und von verbindlichen sozialen Mindeststandards beim sind, die aber aufgrund hoher Arbeitslosigkeit in ihrer Vergaberecht in den kommenden Wochen zuzustimmen. Region keinen Arbeitsplatz finden. Für alle diese Men- schen braucht es zielgenauer Hilfen. (Beifall bei der SPD) Man sollte nun vermuten, dass für jede beschriebene Dann wird dieses Gesetz auch zu einem guten Gesetz, Situation ein eigenes Instrument und ein detailliertes nicht nur für die betroffenen Arbeitsuchenden, sondern Hilfeangebot notwendig sind. Das hat es in der Vergan- (B) auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den genheit gegeben. Das hat zu viel Bürokratie, aber nicht (D) Trägern vor Ort. unbedingt zu mehr Effizienz geführt. Wir brauchen we- Dieses Gesetz leistet viel: Nicht Menschen in Schub- niger Instrumente; deren Wirkungsgrad muss aber brei- laden stecken, sondern dem Einzelfall durch Budgets ter sein. Genau das beabsichtigt dieses Gesetz. Spielraum geben, nicht Menschen abschreiben, sondern (Beifall bei der CDU/CSU) die Kultur der zweiten Chance verankern. Ich gestehe gerne zu, dass man über die Streichung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des einen oder anderen Instruments diskutieren kann. der CDU/CSU) Frau Kollegin Möller, ich glaube, dass die Frage des Ju- gendwohnens wichtig ist; daher begrüße ich ausdrück- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: lich, dass die Bundesfamilienministerin diese Frage auf- Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt greift und das Jugendwohnen in ihrem Haus evaluieren erteile ich nun dem Kollegen Karl Schiewerling von der lässt. Ich bin sicher, dass wir auf Dauer zu vernünftigen CDU/CSU-Fraktion das Wort. und guten Lösungen kommen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU) neten der SPD) Bei den Menschen, die im Arbeitslosengeld-II-Bezug sind, bedarf es besonderer Hilfen. Das bedeutet, dass Karl Schiewerling (CDU/CSU): diese Hilfen auch deren persönliches und soziales Um- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! feld berücksichtigen müssen. Daher ist es gut, wenn Frau Kollegin Pothmer, viele Fallmanager in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bei der BA übernommen werden. Allein in diesem Jahr werden es 3 000 sein, die neue Dauerstellen bekommen. NEN]: Ja, hier bin ich!) Dadurch kann besser und intensiver betreut und vermit- Arbeitsplätze werden nicht durch Instrumente geschaf- telt werden. Jemand, der Ringe unter den Augen hat, fen, sondern durch die Wirtschaft in einer gut laufenden weil er nicht weiß, wie lange er selbst in der Beschäfti- Konjunktur. gung ist, kann schlecht Menschen beraten, die auf Ar- beitssuche sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn es darum geht, Arbeitsplätze zu schaffen, dann sind nicht die Instrumente dafür zuständig, sondern die Insofern ist das eine gute Entscheidung. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19993

Karl Schiewerling (A) Wichtig ist allerdings auch, dass die Qualifizierung den. Wenn sie diese Erfahrung einmal gemacht haben, (C) der Fallmanager sichergestellt ist, weil sie ihre Aufgaben dann sind sie auch bereit, Abschlüsse zu machen. sonst letztendlich nicht werden wahrnehmen können. Daher ist es notwendig – auch das sage ich Ihnen in aller (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Deutlichkeit –, für die Optionskommunen im Rahmen neten der SPD) der laufenden Organisationsklärung Rechtssicherheit zu schaffen; denn auch dort brauchen die Fallmanager Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: und die Verantwortlichen Klarheit über ihre beruflichen Herr Kollege Schiewerling, erlauben Sie eine Zwi- Perspektiven. schenfrage des Kollegen Kurth von Bündnis 90/ Die Grünen? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was heißt denn „Rechtssicherheit“, Herr Karl Schiewerling (CDU/CSU): Schiewerling? Können Sie das einmal erläu- Ja. tern?) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir brauchen vor Ort flexibel einsetzbare Hilfs- und Förderangebote für die Menschen, damit sie wieder in Bitte schön. Beschäftigung kommen. Daher ist es hilfreich, dass mitt- lerweile in § 16 f des SGB II nur die freie Förderung Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): aufgenommen wurde. Allerdings – Frau Kollegin Mast Sie haben eben über die Freiheiten, die vor Ort mög- hat darauf hingewiesen – müssen wir noch über die lich sein sollen, gesprochen. Halten Sie es denn dann an- Höhe sprechen und die Bedingungen gestalten, damit gesichts der Äußerungen des Staatssekretärs Scheele für mehr Gestaltungsspielraum besteht; denn sonst werden sinnvoll, die Verordnungsermächtigung für das Bundes- die Instrumente nicht wirken. Sie werden nur dann wir- ministerium für Arbeit und Soziales in dem Gesetz zu ken, wenn ihre Handhabung so gestaltet ist, dass vor Ort streichen? Sollte man die Verordnungsermächtigung auch mit der entsprechenden Freiheit entschieden wer- nicht mindestens, wie es offensichtlich Herr Laumann den kann. aus NRW vorschlägt, von der Zustimmung der Länder abhängig machen? (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hier müssen wir allen Mitarbeiterinnen und Mitarbei- Karl Schiewerling (CDU/CSU): tern, die dafür zuständig sind, Mut machen, entspre- Ich halte es für notwendig, sich zwischen der ersten (B) chend frei zu handeln. Wir müssen dafür sorgen, dass sie Lesung dieses Gesetzes und der zweiten und dritten Le- (D) nicht sofort, wenn irgendein Fehler passiert, mit Sanktio- sung dieses Gesetzes das eine oder andere noch einmal nen belegt werden. Wir müssen allerdings auch dafür genau anzusehen. sorgen, dass sich diejenigen, die dafür Verantwortung tragen, am Vermittlungserfolg messen lassen; sie müssen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und am Schluss das verantworten, was sie getan haben. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Dann machen wir das mal!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir brauchen für die Bezieher von Arbeitslosen- geld II verlässliche, langfristig angelegte Hilfen und sta- Es ist gut, dass gerade junge Menschen die Möglich- bile Hilfestrukturen. Gerade deshalb müssen wir noch keit erhalten, einen Schulabschluss nachzuholen; schließ- einmal über die Dauer von bestimmten Maßnahmen lich gibt es zwischen Wissen und Arbeitslosigkeit einen sprechen. Alles in allem brauchen wir mehr örtliche Ent- Zusammenhang. Aber es wird auch nötig sein, Schul- scheidungsfreiheit, weil die Lebenssituation der Men- abschluss und praktische Erfahrung mehr als bisher mit- schen unterschiedlich ist. Das betrifft nicht nur die ein- einander zu verknüpfen. Hier entwickelt sich dann Bil- zelnen Menschen, sondern auch die unterschiedlichen dung, und hier heißt es dann, dass Menschen etwas Regionen. Arbeitslosigkeit in Stralsund sieht anders aus prägen, verändern und auch sich selbst prägen lassen. als Arbeitslosigkeit am Starnberger See. Entsprechend muss gehandelt werden. Der Kollege Müller hat hier in Bewährte Bildungsträger haben hier gute Erfahrun- seiner Rede auf das hingewiesen, was da zu tun ist. gen. Gerade jungen Menschen fällt es – aus welchen Gründen auch immer – im klassischen Schulsystem Wir müssen die Hilfen, die für Menschen geschaffen schwer, den Schulabschluss nachzuholen. Eine Reihe wurden, die nur kurzfristig arbeitslos sind, hinsichtlich von ihnen ist gescheitert. Daher brauchen wir – auch ihrer Wirkung für die Menschen überprüfen, die schon wenn wir den Schulabschluss nun in den Instrumenten- länger arbeitslos sind. Zudem brauchen wir für den bereich aufnehmen – Methoden und Wege, durch die SGB-II-Bereich ein eigenes Instrumentarium, in dem Schulabschluss und praktische Erfahrung so miteinander dies passgenau entsprechend formuliert wird. Vor allen verbunden werden, dass die jungen Menschen Erfolg se- Dingen sollten wir uns hüten, die Entscheidungen über hen. Sie brauchen nicht mehr weiter „durchgekurst“ zu den Einsatz dieser Hilfsangebote oder Instrumente nur werden, sondern können erkennen, dass sie mit ihrer unter dem Gesichtspunkt finanzieller Zuständigkeiten zu Hände Arbeit etwas schaffen können und so ihren Erfolg sehen. Subsidiarität bedeutet, der jeweiligen Ebene, die bekommen. Dadurch spüren sie, dass sie gebraucht wer- für die Lösung einer Aufgabe zuständig ist, diese auch 19994 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Karl Schiewerling (A) zu überlassen und sie, wenn sie dies aus eigener Kraft spektive entwickeln können. Wir wollen, dass kein (C) nicht schaffen kann, dazu in die Lage zu versetzen. Mensch verloren geht. Dazu müssen die Hilfen gebün- delt und optimiert werden. Dieses Gesetz bietet dazu Vo- Wenn wir bei der Reform der arbeitsmarktpolitischen raussetzungen und Rahmen. Instrumente zu einer Lösung kommen, dann wird es si- cherlich auch möglich sein, in dem eigentlichen, zentra- Herzlichen Dank. len Bereich des SGB II, dem Bereich der Aktivierung, hinsichtlich der Organisationsstruktur zu einer Lösung (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zu kommen, die zurzeit zwischen Bund, Ländern, Kom- munen und anderen noch strittig ist. Ich sehe hierin ei- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: nen wesentlichen Punkt. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: den Drucksachen 16/10810 und 16/10511 an die in der Herr Kollege Schiewerling, erlauben Sie auch eine Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Zwischenfrage der Kollegin Möller? Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Karl Schiewerling (CDU/CSU): Ich rufe die Tagesordnungspunkte 47 a bis 47 i sowie Ja. die Zusatzpunkte 5 a bis 5 e auf:

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 47 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Bitte schön, Frau Möller. gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP- Sondervermögens für das Jahr 2009 (ERP- Kornelia Möller (DIE LINKE): Wirtschaftsplangesetz 2009) Vielen Dank, Herr Präsident, vielen Dank, Herr Schiewerling. – Sie sagten gerade, dass die Vergabe von – Drucksache 16/10663 – Maßnahmen nicht von finanziellen Gegebenheiten ab- Überweisungsvorschlag: hängig sein solle. Nun gab es gestern Abend um Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) 21.36 Uhr eine Nachricht in Spiegel Online, die besagt, Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dass die Bundesagentur für Arbeit im nächsten Jahr mit Ausschuss für Tourismus einem Minus von mindestens 5,8 Milliarden Euro zu Haushaltsausschuss rechnen habe. Glauben Sie nicht auch, dass sich dieses (D) (B) Minus in irgendeiner Form auf die Vergabe der Maßnah- b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- men auswirken könnte? gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ge- nau so wird es sein!) – Drucksache 16/10812 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Rechtsausschuss Erstens. Meine Aussage zu den Finanzen bezog sich Ausschuss für Arbeit und Soziales auf die Gesamtmittel, die im Bundeshaushalt zur Verfü- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gung gestellt werden, und nicht auf einzelne Maßnah- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO men. c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Suchdienstedaten- Zweitens. Die Bundesagentur für Arbeit hat dank ex- schutzgesetzes (SDDSG) zellenter Konjunktur und Aufwuchs von neuen sozial- versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen – Drucksache 16/10813 – sowie durch kluges steuerpolitisches Handeln der Bun- Überweisungsvorschlag: desregierung so viele Rücklagen gebildet, dass es an die- Innenausschuss (f) sen Fragen nicht scheitern wird. Rechtsausschuss (Andrea Nahles [SPD]: Richtig!) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Pro- Dies haben sowohl die Bundesagentur als auch der Bun- tokollen vom 9. Juli 2008 zum Nordatlantik- desminister in aller Klarheit deutlich gemacht. Deswe- vertrag über den Beitritt der Republik gen glaube ich es nicht. Albanien und der Republik Kroatien (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- – Drucksache 16/10814 – neten der SPD) Überweisungsvorschlag: Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Auswärtiger Ausschuss (f) Schluss kommen. Reform der Instrumente heißt nichts Verteidigungsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union anderes, als die Hilfsangebote für die Menschen, die ohne fremde Hilfe keine Perspektive auf eine Beschäfti- e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gung haben, so zu gestalten, dass diese eine solche Per- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schen- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19995

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) gener Informationssystem der zweiten Gene- Verbraucherschutz (C) ration (SIS-II-Gesetz) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und – Drucksache 16/10816 – Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) ZP 5a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans- Rechtsausschuss Joachim Otto (Frankfurt), Jörg van Essen, Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Gudrun Kopp, weiteren Abgeordneten und der f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- Gesetzes zur Wahrung der Rechtssicherheit tokoll vom 7. Dezember 2005 zur Änderung bei der Telekommunikationsüberwachung und des Abkommens vom 20. Juni 1996 zwischen anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- – Drucksache 16/10838 – land, den Vereinten Nationen und dem Sekre- Überweisungsvorschlag: tariat des Rahmenübereinkommens der Ver- Rechtsausschuss (f) einten Nationen über Klimaänderungen über Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) den Sitz des Sekretariats des Übereinkommens Ausschuss für Kultur und Medien Federführung strittig – Drucksache 16/10815 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Überweisungsvorschlag: Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine NIS 90/DIE GRÜNEN Kurth (Quedlinburg), Bärbel Höhn, Ulrike Feinstaubreduktion im Straßenverkehr fort- Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion setzen – Filteraustausch umsetzen, Prüf- und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Messverfahren für Dieselrußpartikelfilter ein- Die Gefangenschaft von Delfinen unverzüglich führen beenden – Drucksache 16/9802 – – Drucksache 16/9102 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (B) Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und (D) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lutz Scheel, Dr. Gerhard Schick, Britta Haßelmann, Heilmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN DIE LINKE Transparenz an den Finanzmärkten schaffen – Schnellstmögliche Unterzeichnung und Ratifi- Anschleichtaktik bei verdeckten Unterneh- zierung der Europäischen Landschaftskon- mensübernahmen verhindern vention – Drucksache 16/10640 – Überweisungsvorschlag: – Drucksache 16/10821 – Finanzausschuss (f) Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Verbraucherschutz i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl- Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Theodor Freiherr zu Guttenberg, Eckart von Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Klaeden, Anke Eymer (Lübeck), weiterer Abge- DIE LINKE ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Gert Stromübertragungsleitungen bedarfsgerecht Weisskirchen (Wiesloch), Gerd Andres, weiterer ausbauen – Bürgerinnen- und Bürgerbeteili- Abgeordneter und der Fraktion der SPD gung sowie Energiewende umfassend berück- sichtigen Nichtstaatliche militärische Sicherheitsunter- nehmen kontrollieren – Drucksache 16/10842 – Überweisungsvorschlag: – Drucksache 16/10846 – Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Auswärtiger Ausschuss (f) 19996 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Innenausschuss (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Nein, bei (C) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie mir steht etwas anderes!) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe – Doch, so ist es. Dem haben Sie widersprochen, und mit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und diesem Widerspruch haben Sie Erfolg gehabt. Entwicklung e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin- Fraktionen von CDU/CSU und SPD abstimmen. Danach Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der soll die Federführung beim Rechtsausschuss liegen. Wer Fraktion DIE LINKE stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überwei- Pakistan und Afghanistan stabilisieren – Für sungsvorschlag ist mit umgekehrtem Stimmverhältnis eine zentralasiatische regionale Sicherheits- angenommen. Die Koalitionsfraktionen und die Fraktion konferenz Die Linke haben ihm zugestimmt, die Fraktion der FDP und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben ihn ab- – Drucksache 16/10845 – gelehnt. Damit liegt die Federführung beim Rechtsaus- Überweisungsvorschlag: schuss. Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einver- Verteidigungsausschuss standen? – Das scheint der Fall zu sein. Dann sind die Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- Überweisungen so beschlossen. ten Verfahren ohne Debatte. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 48 a bis 48 v sowie Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an Zusatzpunkte 6 a bis 6 c auf. Es handelt sich um die Be- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu schlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Ausspra- überweisen. Die Federführung zur Vorlage auf Druck- che vorgesehen ist. sache 16/10838 – Zusatzpunkt 5 a – ist jedoch strittig. Tagesordnungspunkt 48 a: Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Federführung beim Rechtsausschuss; die Fraktion der Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- FDP wünscht Federführung beim Ausschuss für Wirt- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes schaft und Technologie. zur Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates über Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der die Anerkennung von Berufsqualifikationen in Fraktion der FDP abstimmen, das heißt Federführung der Gewerbeordnung (B) beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Wer (D) stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gegen- – Drucksache 16/9996 – stimmen? – Enthaltungen? Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Soll ich die Abstimmung wiederholen? ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus- schuss) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein, wir haben gegen die PDS – die Linke – gewonnen! – Drucksache 16/10599 – Sorry!) Berichterstattung: – Der Fairness halber lasse ich die Abstimmung wieder- Abgeordneter Garrelt Duin holen, damit die beiden Regierungsfraktionen die Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt Chance haben, sich daran zu beteiligen. in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10599, (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein, die haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache sich enthalten!) 16/9996 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der FDP, sung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegen- das heißt Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in und Technologie? Ich bitte um das Handzeichen. – Wer zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überwei- tionen, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bünd- sungsvorschlag ist abgelehnt. Für ihn haben FDP und nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Bündnis 90/Die Grünen gestimmt, gegen ihn die Koali- Linke angenommen. tionsfraktionen und die Fraktion Die Linke. Dritte Beratung (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das war und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- unser Antrag!) stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – – Nein, ich habe es richtig vorgetragen; ich kann es aber Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen auch noch einmal wiederholen. Der Überweisungsvor- Stimmverhältnis angenommen. schlag war der Antrag der FDP; nur damit es keine Tagesordnungspunkt 48 b: Zweifel gibt. Die FDP hat beantragt, dass die Federfüh- rung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Zweite Beratung und Schlussabstimmung des liegen soll. von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19997

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 15. Oktober 2007 zur Änderung des Abkom- (C) 25. Juli 2007 über die Beteiligung der Repu- mens zwischen der Bundesrepublik Deutsch- blik Bulgarien und Rumäniens am Europäi- land und der Russischen Föderation zur Ver- schen Wirtschaftsraum meidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom – Drucksache 16/9997 – Vermögen vom 29. Mai 1996 und des Proto- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- kolls hierzu vom 29. Mai 1996 ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus- – Drucksachen 16/10295, 16/10537 – schuss) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- – Drucksache 16/10608 – schusses (7. Ausschuss) Berichterstattung: – Drucksache 16/10817 – Abgeordnete Lena Strothmann Berichterstattung: Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt Abgeordnete Manfred Kolbe in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10608, (Heidelberg) den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/9997 anzunehmen. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 16/10817, den Gesetzent- Zweite Beratung wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/10295 und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem und 16/10537 anzunehmen. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Zweite Beratung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Ent- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – haltung der Fraktion Die Linke angenommen. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Tagesordnungspunkt 48 c: ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. gierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrs- Tagesordnungspunkt 48 e: (B) gesetzes Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- (D) – Drucksache 16/10175 – regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Abkommen vom 26. Mai 2006 zwischen Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung land und der Regierung der Sonderverwal- (15. Ausschuss) tungsregion Hongkong der Volksrepublik China über die gegenseitige Rechtshilfe in – Drucksache 16/10899 – Strafsachen und über die Überstellung flüchti- Berichterstattung: ger Straftäter Abgeordneter Patrick Döring – Drucksache 16/10390 – Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick- Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf schusses (6. Ausschuss) Drucksache 16/10899, den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung auf Drucksache 16/10175 in der Ausschussfas- – Drucksache 16/10895 – sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent- Berichterstattung: haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen- bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion mit den Stimmen Schwenningen) der übrigen Fraktionen angenommen. Dr. Jörg van Essen Dritte Beratung Wolfgang Nešković und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- Jerzy Montag stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen empfehlung auf Drucksache 16/10895, den Gesetzent- Stimmverhältnis angenommen. wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10390 an- Tagesordnungspunkt 48 d: zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zwei- von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen bei Ent- eines Gesetzes zu dem Protokoll vom haltung der Fraktion Die Linke angenommen. 19998 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Dritte Beratung Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick- (C) lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- Drucksache 16/10840, den Gesetzentwurf der Bundes- stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – regierung auf Drucksache 16/10533 anzunehmen. Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen. Zweite Beratung Tagesordnungspunkt 48 f: und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Alle Fraktionen ha- regierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten ben dem Gesetzentwurf zugestimmt, und er ist damit an- Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfah- genommen. rensrechtlicher Vorschriften (4. VwVfÄndG) Tagesordnungspunkt 48 h: – Drucksache 16/10493 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- schusses (4. Ausschuss) regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes – Drucksache 16/10844 – und zur Änderung des Gesetzes zur Änderung der Anlagen 1 und 3 des ATP-Übereinkom- Berichterstattung: mens Abgeordnete Ralf Göbel Siegmund Ehrmann – Drucksachen 16/10534, 16/10583 – Gisela Piltz Ulla Jelpke Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 16/10844, den Gesetzent- – Drucksache 16/10849 – wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10493 in Berichterstattung: der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, Abgeordneter Patrick Döring die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick- Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera- lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10849, den Gesetzentwurf der Bundes- (B) tung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Ge- (D) genstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der regierung auf Drucksachen 16/10534 und 16/10583 in FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, angenommen. die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- men wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Dritte Beratung Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem tung einstimmig angenommen. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Dritte Beratung Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Tagesordnungspunkt 48 g: Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Zweite Beratung und Schlussabstimmung des ist einstimmig angenommen. von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Tagesordnungspunkt 48 i: eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 26. Fe- bruar 2008 zwischen der Bundesrepublik Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Deutschland und der Republik Polen über den regierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Bau und die Instandhaltung von Grenzbrü- Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes cken in der Bundesrepublik Deutschland im – Drucksache 16/10552 – Zuge von Schienenwegen des Bundes, in der Republik Polen im Zuge von Eisenbahnstre- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- cken mit staatlicher Bedeutung ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz (10. Ausschuss) – Drucksache 16/10533 – – Drucksache 16/10875 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Berichterstattung: (15. Ausschuss) Abgeordnete Julia Klöckner Gustav Herzog – Drucksache 16/10840 – Dr. Edmund Peter Geisen Berichterstattung: Dr. Kirsten Tackmann Abgeordnete Dorothée Menzner Ulrike Höfken Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19999

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und nung über den Betrieb von Kraftfahrunter- (C) Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- nehmen im Personenverkehr lung auf Drucksache 16/10875, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10552 in der Aus- – Drucksachen 16/6797, 16/10238 – schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die Berichterstattung: dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen Abgeordneter Heinz Paula wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent- haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- ratung mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung lung auf Drucksache 16/10238, den Antrag der Fraktion der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. der FDP auf Drucksache 16/6797 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim- Dritte Beratung men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Frak- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- tion Die Linke bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 48 l: Tagesordnungspunkt 48 j: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten der Abgeordneten Patrick Döring, Jörg Rohde, Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordne- Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege ter und der Fraktion der FDP – Drucksache 16/10570 – Änderung des § 34 a der Straßenverkehrs- Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- Zulassungs-Ordnung – Mobilität von Roll- schusses (6. Ausschuss) stuhlfahrern verbessern, Sicherheit nicht ver- nachlässigen – Drucksache 16/10893 – – Drucksachen 16/8545, 16/10562 – Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen- Berichterstattung: Schwenningen) Abgeordneter (B) (D) Joachim Stünker Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Mechthild Dyckmans lung auf Drucksache 16/10562, den Antrag der Fraktion Wolfgang Nešković der FDP auf Drucksache 16/8545 für erledigt zu erklä- Jerzy Montag ren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge- Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- empfehlung auf Drucksache 16/10893, den Gesetzent- lung ist einstimmig angenommen. wurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe- Drucksache 16/10570 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, titionsausschusses. die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Tagesordnungspunkt 48 m: Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die ausschusses (2. Ausschuss) Linke angenommen. Sammelübersicht 464 zu Petitionen Dritte Beratung – Drucksache 16/10788 – und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem tungen? – Sammelübersicht 464 ist einstimmig ange- Stimmenverhältnis angenommen. nommen. Tagesordnungspunkt 48 k: Tagesordnungspunkt 48 n: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und ausschusses (2. Ausschuss) Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag Sammelübersicht 465 zu Petitionen der Abgeordneten Patrick Döring, Horst Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), – Drucksache 16/10789 – weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Abschaffung der Vorlagepflicht von Prüfbü- hält sich? – Sammelübersicht 465 ist mit den Stimmen chern – Modifikation der §§ 41, 42 der Verord- der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge- 20000 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) genstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Tagesordnungspunkt 48 t: (C) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Tagesordnungspunkt 48 o: ausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Sammelübersicht 471 zu Petitionen ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 16/10795 – Sammelübersicht 466 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- – Drucksache 16/10790 – hält sich? – Sammelübersicht 471 ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- genstimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion tungen? – Sammelübersicht 466 ist einstimmig ange- Bündnis 90/Die Grünen angenommen. nommen. Tagesordnungspunkt 48 u: Tagesordnungspunkt 48 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 472 zu Petitionen Sammelübersicht 467 zu Petitionen – Drucksache 16/10796 – – Drucksache 16/10791 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Sammelübersicht 472 ist mit den Stimmen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/ hält sich? – Sammelübersicht 467 ist mit den Stimmen Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bünd- der Fraktion Die Linke angenommen. nis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 48 v: Tagesordnungspunkt 48 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 473 zu Petitionen Sammelübersicht 468 zu Petitionen – Drucksache 16/10797 (neu) – (B) – Drucksache 16/10792 – (D) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Sammelübersicht 473 ist mit den Stimmen hält sich? – Sammelübersicht 468 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Opposi- aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die tionsfraktionen angenommen. Linke angenommen. Zusatzpunkt 6 a: Tagesordnungspunkt 48 r: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- ausschusses (2. Ausschuss) sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Sammelübersicht 469 zu Petitionen Ulrike Höfken, Marieluise Beck (Bremen), weite- – Drucksache 16/10793 – rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Überschüssige Mittel aus EU-Agrarhaushalt hält sich? – Sammelübersicht 469 ist mit den Stimmen für Bekämpfung der Hungerkrise nutzen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion angenommen. – Drucksachen 16/10591, 16/10912 – Tagesordnungspunkt 48 s: Berichterstattung: Abgeordnete Anette Hübinger Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Dr. Sascha Raabe ausschusses (2. Ausschuss) Hellmut Königshaus Sammelübersicht 470 zu Petitionen Alexander Ulrich Thilo Hoppe – Drucksache 16/10794 – Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- lung auf Drucksache 16/10912, den Antrag der Fraktion hält sich? – Sammelübersicht 470 ist mit den Stimmen Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10591 abzu- der Regierungsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – genstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bahn hat für den Fall des Börsenganges 1,4 Millionen (C) Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Euro allein für Bahnchef Mehdorn beschlossen. Das ist Linke angenommen. der letzte dicke Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Zusatzpunkt 6 b: (Beifall bei der LINKEN) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- Herr Mehdorn übrigens nannte diese Boni nur „Möhr- schuss) zu der Unterrichtung durch die Bundes- chen“; ich erinnere an die Peanuts von Herrn Kopper. regierung (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was sind Sie Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen denn so grantig?) Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschrei- Minister Tiefensee hat diese Boni verschwiegen, weil er tenden Gesundheitsversorgung (inkl. 11307/08 den Börsengang nicht gefährden wollte. ADD 1 bis 11307/08 ADD 3) Ich kann Ihnen sagen: Die Menschen haben die Nase KOM(2008) 414 endg.; Ratsdok. 11307/08 voll von raffgierigen Managern, denen der ursprüngliche Zweck öffentlicher Güter gleichgültig ist und die Worte – Drucksachen 16/10286 A.55, 16/10911 – wie Gemeinsinn, Solidarität und Daseinsfürsorge aus ih- Berichterstattung: rem Wortschatz ausgemerzt haben. Abgeordneter Jens Spahn (Beifall bei der LINKEN) Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich- Die Menschen haben die Nase voll von Politikern, die tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für jahrelang mitgemacht haben, wenn es darum ging, das diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Volkseigentum Deutsche Bahn zu verschleudern. Ich Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den habe nicht die Zeit, alle Politiker von CDU, CSU und Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD aufzuzählen, die die Privatisierung der Bahn voran- Oppositionsfraktionen angenommen. getrieben haben, um danach in den gut bezahlten Dienst Zusatzpunkt 6 c: der Deutschen Bahn zu wechseln, und zwar nicht als Schaffner. Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje Staffelt, Jerzy Montag, Manuel Sarrazin, weiterer Der wichtigste Grund für die Entlassungen, die wir Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ fordern, ist aber die gescheiterte Bahnpolitik, die Minis- (B) DIE GRÜNEN ter Tiefensee und Bahnchef Mehdorn über Jahre ohne (D) Rücksicht auf Verluste betrieben haben. Es ist doch ab- Internetnutzerinnen und -nutzer nicht mas- surd, dass Herr Tiefensee erklärt, dass der Börsengang senhaft kriminalisieren – Novellierung des nur aufgeschoben und nicht aufgehoben sei. Er hat im- EU-Telekommunikationspaketes nicht für Ur- mer noch nicht verstanden, dass wir uns in der schwers- heberrechtsregelungen missbrauchen ten Finanzkrise aller Zeiten befinden. – Drucksache 16/10843 – (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Ja, reden Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Sie es noch herbei!) Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustim- Die Banken sind nicht mehr bereit, Geld zu verleihen. In mung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der den USA, in Großbritannien und Frankreich werden Fraktion Die Linke abgelehnt. Banken verstaatlicht, damit ihr Zusammenbruch verhin- dert wird. Opel und Ford schreiben Briefe an die Kanzle- Jetzt geht es in der Debatte weiter. Wir kommen zum rin und fordern Milliarden aus der Staatskasse für die Zusatzpunkt 2: Autoindustrie. Aktuelle Stunde In dieser Situation meinen der Verkehrsminister und auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE der Bahnchef, auf den leergefegten internationalen Fi- Bahnchef Mehdorn ablösen, Verkehrsminis- nanzmärkten privates Geld für die Bahn zu bekommen. ter Tiefensee entlassen, Börsengang der Deut- Dieses absurde Ansinnen zeigt doch, dass die beiden Pri- schen Bahn endgültig absagen vatisierer überhaupt noch nicht verstanden haben, welch ökonomischer Tsunami gerade über uns hereinbricht. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort als Rednerin für die antragstellende Fraktion Die Linke der (Beifall bei der LINKEN) Kollegin Dr. Gesine Lötzsch. Auch wenn der Börsengang der Bahn nun verschoben (Beifall bei der LINKEN) ist – Herr Steinbrück hat uns gestern im Ausschuss infor- miert, dass er den Börsengang schon im September ver- schoben haben will –: Die Bahn wurde von Mehdorn Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): und Tiefensee auf Rendite getrimmt. Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Aufsichtsrat der Deutschen (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Sehr gut!) 20002 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dr. Gesine Lötzsch (A) Die Bürgerinnen und Bürger mussten das schmerzhaft Vielen Dank. (C) erfahren. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Stimmt nicht!) SPD: Nur abgeschrieben!) Der zurückgetretene Aufsichtsrat der Deutschen Bahn Voscherau kritisiert die Bundesregierung zu Recht. Der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bund hat in den vergangenen Jahren akzeptiert, dass die Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Klaus Lippold von Bahn sich zu einem internationalen Logistikdienstleister der CDU/CSU-Fraktion. mit angehängtem Personenverkehr entwickelt hat. Ge- nau das ist das Problem. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Dr. Andreas Scheuer [CDU/ (Beifall bei der LINKEN) CSU]: Der bringt Kompetenz in die Debatte!) Die Bahnkunden werden von der Bundesregierung und vom Bahnvorstand nur noch als lästiges Anhängsel be- Dr. Klaus W. Lippold (CDU/CSU): trachtet. Dafür nur drei Beispiele: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens. Ich Erstens. Seit Herr Mehdorn Bahnchef ist, sind die werde der Ablösung von Bahnchef Mehdorn aufgrund Fahrkartenpreise um 22 Prozent in die Höhe geschossen. dieses Antrages nicht zustimmen; ich nehme an, meine Er presst die Bahnkunden aus, um seine Renditeziele Fraktion auch nicht. Zweitens. Ich werde der Entlassung und damit seine maximale Leistungszulage von von Verkehrsminister Tiefensee nicht zustimmen; ich 3 Millionen Euro zu sichern, die zu seinem Festgehalt nehme an, meine Fraktion auch nicht. Und wir werden hinzukommt. auch nicht den Börsengang der Bahn endgültig absagen. Zweitens. Seit Herr Mehdorn Bahnchef ist, wird an (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der Sicherheit gespart. Es treten immer wieder schwer- Wer weiß, Kollege!) wiegende Sicherheitsmängel auf. Ich erinnere nur an den ICE Wolfsburg, der mit 250 Reisenden an Bord am Frau Lötzsch, Sie haben Herrn Mehdorn angespro- 9. Juli nur aufgrund eines glücklichen Zufalls nicht ver- chen. Man muss zu ihm eines sagen: Wir haben mit ihm unglückte. sicherlich einen unbequemen Partner, aber einen erfolg- (Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist aber ganz reichen. übel, was Sie hier machen! – Enak Ferlemann (Zurufe von der LINKEN: Erfolgreich?) [CDU/CSU]: Das ist das Allerletzte!) (B) Rechts hinter Ihnen sitzt ein ebenso unbequemer Politi- (D) Drittens. Seit Herr Mehdorn Bahnchef ist, werden ker, aber ein gescheiterter. Sehen Sie, das ist der Unter- Minderjährige, die einen falschen Fahrschein gelöst ha- schied: Der eine macht sich als Minister bei Nacht und ben, aus dem Zug geworfen. Wenn jetzt die Verantwor- Nebel aus dem Finanzministerium, als wäre er ein Dieb, tung auf die Schaffner abgewälzt wird, dann entspricht der sich davonschleicht. das der Politik der Bahn und der Bundesregierung, nie selbst Verantwortung zu übernehmen und immer jeman- (Widerspruch bei der LINKEN) den im Visier zu haben, auf den man die Schuld abwäl- Ja, man muss doch einmal in Erinnerung rufen, welche zen kann. Gestalten in Ihren Reihen sind! (Beifall bei der LINKEN – Uwe Beckmeyer (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der [SPD]: Das ist ein Niveau! Das ist unangemes- FDP) sen für dieses Haus! – Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Muss Herr Mehdorn jetzt in je- Das sind diejenigen, die hinterher andere kritisieren. dem Zug mitfahren oder was?) Drehen Sie sich um und kritisieren Sie den Mann hinter Wir Linke fordern eine endgültige Absage des Bör- sich. Fordern Sie ihn auf, den Populismus zu lassen und sengangs der Bahn, mehr Investitionen in die Bahninfra- zu vernünftigen Aussagen zurückzukehren. struktur, insbesondere in die Bahnsicherheit, und den Jetzt kommen wir zu dem, was eine Linke immer sa- Verzicht auf die zum Ende dieses Jahres geplante Fahr- gen muss: Wir brauchen keine Renditebahn. Natürlich preiserhöhung. nicht. Womit investieren wir dann? Nur mit Staatsmit- (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Das geht ja teln? Wir wollen Staatsmittel hineinstecken, aber wir schon nicht auf!) wollen auch eine Bahn, die Rendite erwirtschaftet, damit mehr Geld in die Infrastruktur und den Service investiert Die Bürger wollen keine Börsenbahn, sondern sie werden kann. Das alles wollen Sie zwar, die Schaffung wollen eine Bürgerbahn. der Voraussetzungen für eine bessere Bahn und eine stär- (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Fünf Mi- kere Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene verhindern Sie aber aufgrund Ihrer populisti- nuten können echt hart sein!) schen Einstellung. Das Schlimme ist, dass Sie das noch Die Bürgerinnen und Bürger wollen die Bahn sicher und nicht einmal begreifen, sondern in alter Manier wie zu zu vernünftigen Preisen nutzen können. Alle Privatisie- DDR-Zeiten auf Defizite setzen und glauben, damit rung ist ein Wahn, der hier beendet gehört. könne man in Zukunft Erfolg haben. Das geht nicht! Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20003

Dr. Klaus W. Lippold (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Wer lesen (C) neten der SPD) kann, ist klar im Vorteil!) Ich gehe davon aus, dass meine Kollegen detaillierter Wir werden für eine bessere Bahn sorgen. Wir werden auf das eingehen werden, was Sie mit Sicherheitskrise für mehr Geld für Investitionen in die Bahn und mehr gemeint haben. Davon kann in dieser Form nicht die Geld für Service sorgen. Wir als Koalition werden damit Rede sein. Es gibt in einem Riesenunternehmen immer erfolgreich sein. wieder Vorgänge, die sauber geprüft werden müssen. Herzlichen Dank. Das machen wir. Dagegen gibt es nichts zu sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Auf einen Punkt will ich noch eingehen. Wir stellen eindeutig klar, dass der Börsengang für diese Legislatur- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: periode nicht ad acta gelegt ist. Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Döring von der (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: So ist es!) FDP-Fraktion. Es gab dazu missverständliche Äußerungen. Sie sind (Beifall bei der FDP) dankenswerterweise vom Chef des Kanzleramtes de Maizière ausgeräumt worden. Wir stehen dazu: Wir hal- Patrick Döring (FDP): ten den Börsengang für richtig; denn wir brauchen Geld Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So- für die Bahn. Die Bahn braucht mehr Eigenkapital, und eben sprach ein Freund der Großen Koalition, einer der wir brauchen mehr Geld für die Bereiche Schiene und wenigen, die es noch gibt. Service. Auch das hat mit dem Börsengang zu tun. (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Zu berücksichtigen ist dabei, dass das Ergebnis der Was? – Na! Na!) sogenannten Roadshow abgewartet werden muss. Sie in Geschätzter Kollege Lippold, in einem haben Sie natür- Ihrer Schlauheit wissen alles schon vorher. Wieso ei- lich recht. Herrn Mehdorn kann man sehr viel vorwer- gentlich, wenn es noch nicht zu Ende durchgeführt wor- fen. Aber dass er sich in der aktuellen Debatte auf einen den ist? von einem früheren Bundesminister, einem früheren be- (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Das sind amteten Staatssekretär und zwei Arbeitnehmervertretern alles Populisten! – Zuruf von der LINKEN: unterschriebenen Vertrag beruft und sagt, das sei mit ihm Wir haben es in England gesehen!) vereinbart und dazu stehe er, bis er eine andere Aussage hat, kann man ihm nicht vorwerfen. (B) Sie haben keine Ergebnisse, wir haben auch keine. Aber (D) Sie fällen ein vorschnelles Urteil. Das kommt davon, Damit kommen wir zu dem, was man dem Minister Frau Lötzsch, wenn man sich mit der Sache nicht inhalt- vorwerfen muss. Da sind wir mit der Fraktion Die Linke lich auseinandersetzt, sondern hier nur billige Sprüche ganz einig, und darüber werden wir ja auch noch debat- ablässt. Das ist so nicht haltbar. tieren. Man muss Ihnen, Herr Minister Tiefensee, vor- werfen, dass Sie die Detailregelungen – alles, was in die- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sem Zusammenhang im Börsenprospekt aufgeschrieben wurde – des wichtigsten Projekts dieser Legislaturperio- Da ich Freund der Großen Koalition bin, kann ich de im Verkehrsbereich, der größten Privatisierung in die- gleichzeitig festhalten, dass es einige Punkte gibt, die ich ser Legislaturperiode, also des Börsengangs der Bahn etwas kritisch betrachte. Der erste Punkt, Herr Minister, mit dem jetzt gewählten Modell, der von Ihnen in jeder ist die Informationspolitik. Da wird es erhebliche Ver- Rede offensiv verteidigt wird, angeblich nicht haben zur besserungen geben müssen. Der zweite Punkt ist die Kenntnis nehmen wollen oder können. Das ist das Füh- Entscheidungsstruktur. Es kann nicht angehen, dass sich rungsversagen, das man Ihnen vorwerfen muss. die Hausspitze vor wesentlichen Entscheidungen nicht abstimmt. Sie haben zugesagt, das zu ändern. Ich gehe (Beifall bei der FDP) davon aus, dass das mittlerweile geändert wurde. Denn Das Parlament hat das Recht, Ihnen das vorzuwerfen, das ist entscheidend und notwendig. Der dritte Punkt ist, weil es die Hand dafür gehoben hat, diese Privatisierung dass im Hause Klarheit herrschen muss, dass der Bör- durchzuführen. Man muss sich darauf verlassen können, sengang nicht irgendetwas ist. Wenn unwidersprochen in dass sich das Ministerium, also auch der Minister, inhalt- der Financial Times steht, dass Ihr Sprecher gesagt hat, lich mit der Sache auseinandersetzt. dass Sie den Flyer für den Börsengang gar nicht hätten kennen müssen, dann zeigt das ein erschreckendes Aus- (Beifall bei der FDP) maß von Unkenntnis. Das muss abgestellt werden; das Ganz verblüffend ist auch die Antwort auf folgende sprechen wir offen an. Frage: Was ist eigentlich ein erfolgreicher Börsengang? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Sie selbst haben mehrfach öffentlich gesagt: Wir erwar- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE ten zwischen 5 und 8 Milliarden Euro. Sie selbst haben GRÜNEN) diese Latte in der öffentlichen Debatte eingeführt: min- destens 5 Milliarden Euro für 24,9 Prozent. Irgendwann Aber ich sage auch: Das ist jetzt kein Grund, dem Antrag kam dann der Betrag 3,5 Milliarden Euro ins Spiel. Da der Linken zu folgen. kann man schon darüber diskutieren, wie viel der Anteil, 20004 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Patrick Döring (A) den der Bund verkaufen will, wert ist. Dann sagen auch sichtsrat ziehen, sowie andere verkehrspolitische Fehlleis- (C) noch Mitglieder des Aufsichtsrates – Herr Müller, der tungen, etwa beim Thema Deutsche Flugsicherung – an- frühere Bundeswirtschaftsminister, ist ja vom Eigentü- dere Themen brauche ich nicht auch noch zu nennen –, mer als Mitglied in den Aufsichtsrat geschickt worden, zeigen, dass Sie wieder einmal mit warmen Worten da- um die Interessen der AG im Aufsichtsrat, aber natürlich vonkommen wollen. Das werden jedenfalls wir Ihnen auch die Interessen der Eigentümer zu vertreten –: Unab- nicht durchgehen lassen. hängig vom Erlös, ob 1, 2, 3 oder 4 Milliarden Euro, gibt es – ich zitiere aus dem Börsenprospekt – eine „Event- Herzlichen Dank. Tantieme“ für die Mitglieder des Vorstandes. Der Bör- (Beifall bei der FDP) sengang der DB AG ist doch kein Event, sondern eine wahrlich ernst zu nehmende politische Entscheidung. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das Wort hat der Kollege Klaas Hübner von der SPD- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Fraktion. Deshalb komme ich zurück zu dem Führungsversa- (Beifall bei der SPD) gen des Ministers, nicht des Staatssekretärs. Sie als Bund haben alle Mitglieder des Aufsichtsrates, die nicht Ar- Klaas Hübner (SPD): beitnehmervertreter sind, berufen. Natürlich sind sie Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- nicht weisungsgebunden. Wenn aber Mitglieder des Auf- ren! Dieser und der nächste Tagesordnungspunkt sind sichtsrates seit Wochen dem, was der Bundesverkehrs- ein klares Zeugnis der inhaltlichen und strukturellen minister möchte, öffentlich und mehrfach widersprechen Schwäche der hier vertretenen Oppositionsparteien. – übrigens ist bis heute nicht dem widersprochen wor- den, was sie angeblich dem Kollegen Hübner erzählt ha- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf ben, dass Sie bereits im Juni im Ministerium ein Ge- von der CDU/CSU: Das ist wahr! – Fritz Kuhn spräch geführt hätten und dass dabei über diese Event- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blasen Sie und Erfolgstantiemen gesprochen worden sei; der Kol- sich nicht so auf, mein Lieber!) lege Hübner spricht gleich, dann kann er das klarstellen –, Ich komme zur inhaltlichen Schwäche: Während sich wenn solche Aufsichtsräte weiterhin unwidersprochen in eine starke Regierung und eine handlungsfähige Koali- dem Konzern ihre aktienrechtliche Aufgabe für den Ei- tion darum kümmern, wie man der Finanzmarktkrise gentümer Bund wahrnehmen, dann müssen Sie sich fra- beikommen, wie man die Realwirtschaft stärken und wie gen lassen, ob Handeln und Sagen noch zusammenpas- man einen Beschäftigungsschirm aufbauen kann, neh- sen. (B) men Sie zwei Stunden Debatte dafür in Anspruch, einen (D) Sie können diese Aufsichtsräte durch eine außeror- Kleinst- und Nebenkriegsschauplatz aufzumachen, mit dentliche Hauptversammlung abberufen. Die kann in dem Sie schon im Ausschuss am Mittwoch gescheitert 30 Tagen stattfinden. Warum machen Sie das nicht, sind, um etwas zu erörtern, was die Menschen momen- wenn Ihnen diese Leute fortwährend auf der Nase her- tan wirklich nicht interessiert. Deutlicher kann man umtanzen, Herr Minister? seine Konzeptionslosigkeit in den entscheidenden Fra- gen unserer Gesellschaft nicht dokumentieren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) GRÜNEN) Ich komme zur strukturell schwachen Opposition: Da Es ist nicht redlich, wie Sie öffentlich mit dem Thema sind Sie sich schon einmal in dem für mich nicht nach- umgehen. Das Parlament legt Wert darauf, dass sich der vollziehbaren Wunsch einig, den Minister zu entlassen, Minister der Sache seriös und vernünftig annimmt. Das und schaffen es noch nicht einmal, sich auf eine gemein- haben Sie in der Vergangenheit nicht getan. Wenn Sie same Formulierung in einem gemeinsamen Antrag zu ei- dann öffentlich sagen, Sie hätten sich durchgesetzt, weil nigen. Da muss die Linke zu einem Tagesordnungs- der Börsengang und die Tantiemen nicht kommen, dann punkt, der ordentlich aufgerufen ist, noch einmal eine kann man nur sagen, dass Sie die Dimension der letzten Aktuelle Stunde beantragen. Das ist Populismus pur. Das drei Jahre und der Debatte um diese Frage politisch nicht ist Klamauk vor Inhalt. einordnen können und auch nicht verstanden haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) der CDU/CSU – Widerspruch bei der LIN- KEN) Darum hat meine Fraktion – die Debatte darüber wird sich an diese anschließen – einen Antrag gestellt, in dem Die zwei Vorsitzenden der Linkspartei – Herr Lippold die Bundeskanzlerin von diesem Haus aufgefordert hat zu Recht darauf hingewiesen und das muss man im- wird, Sie zu entlassen. Ich denke, dass der Umgang mit mer wieder erwähnen – hätten zweimal Verantwortung der Frage, wer für die Diskussion um den Börsengang übernehmen können, der eine als Senator in Berlin, der der DB AG verantwortlich ist, das ganz offensichtliche andere als Bundesfinanzminister, aber sie sind dann, als Auseinanderfallen des Redens und des Handelns des es darauf ankam, diese Verantwortung wahrzunehmen, Bundesverkehrsministers im Aufsichtsrat und die Tatsa- weggelaufen. Dieser Minister läuft nicht weg. Er steht zu che, dass Sie keine Konsequenzen in der aufsichts- und seiner Verantwortung. Darum hat er auch unsere Unter- der börsenrechtlichen Struktur Ihrer Vertreter im Auf- stützung. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20005

Klaas Hübner (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) der CDU/CSU – Widerspruch bei der LIN- Das Wort hat jetzt der Kollege Oskar Lafontaine von KEN) der Fraktion Die Linke. Die Fraktion der Grünen kommt hier ein bisschen (Beifall bei der LINKEN – Enak Ferlemann spät. Alles ist zwar schon gesagt, aber noch nicht von je- [CDU/CSU]: Um Gottes willen! Muss das dem. Darum mussten sie einen mit dem der FDP wort- sein?) gleichen Antrag mit gestrigem Datum noch hinterher- schieben. Damit es auch jeder merkt, wurde dieser zur Oskar Lafontaine (DIE LINKE): sofortigen Abstimmung gestellt. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Genau so ist ren! Es geht heute um einen Ministerrücktritt. Daher es!) bitte ich Sie, mir vorweg eine persönliche Bemerkung zu gestatten: Ich werde seit Jahren immer dann, wenn in Sie mahnen so oft, dass wir eine ordentliche Beratungs- der Sache nichts zu sagen ist, auf meinen Rücktritt an- dauer bei vielen Regierungsentwürfen brauchen. Aber gesprochen. Ich will dazu nur so viel sagen: Es gibt Si- wenn es um Ihren Entwurf geht, dann wollen Sie gar tuationen, in denen ein Minister Verantwortung überneh- keine Beratungsdauer in Anspruch nehmen. Was ist das men und zurücktreten muss. für eine parlamentarische Kultur? (Beifall bei der LINKEN) Dann haben wir da noch die FDP, das kann ich Ihnen Das gehört zu einem funktionierenden Parlamentaris- leider nicht ersparen, lieber Herr Kollege Döring. Sie ha- mus. Als jemand, der jahrzehntelang öffentliche Verant- ben – das ist Ihr gutes Recht – am vergangenen Mitt- wortung getragen hat, habe ich allerdings die Erfahrung woch eine Ausschusssondersitzung einberufen, um dort gemacht: Es ist immer schwer, zurückzutreten. mit dem Minister einige angeblich offene Fragen zu klä- ren und um ihm Gelegenheit zu geben, Missverständ- (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Ihnen glaube nisse auszuräumen. Aber das wollten Sie gar nicht. ich das sofort!) Schon vor der Sitzung haben Sie sich nämlich entschlos- Es gibt eine weitere Erfahrung, die ich gemacht habe sen, den Antrag auf Entlassung des Ministers einzubrin- und die ich Ihnen mitteilen möchte: Politische Würst- gen. Damit haben Sie dem Ausschuss keinen Gefallen chen treten nie zurück, weil sie dazu viel zu feige sind. getan. Wenn es Ihnen wirklich um Aufklärung gegangen wäre, dann hätten Sie zumindest diese Sitzung abgewar- (Beifall bei der LINKEN – Thomas tet. Das haben Sie aber nicht getan. Sie waren vorfestge- Oppermann [SPD]: Oh! Dann waren Sie also (B) legt. Man kann einen Ausschuss auch als Zeitvernich- mutig! Dann war Ihr Rücktritt ja eine Helden- (D) tungsmaschine missbrauchen. Das, was Sie an dieser tat! – Heiterkeit bei der SPD) Stelle getan haben, kommt dem sehr nahe. – Ich hoffe, dass die Kamera jetzt auf die erste Reihe der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten SPD zeigt. Dann weiß nämlich jeder, was ich gemeint der CDU/CSU – Patrick Döring [FDP]: Wir je- habe. denfalls werden vor der Sitzung nicht vom (Volker Kauder [CDU/CSU], zur SPD ge- Aufsichtsratsvorsitzenden angerufen!) wandt: Habt ihr gehört? Dann tretet mal alle Kurzum, die Situation ist wie folgt: Auf der einen schön zurück, ihr Würstchen! – Heiterkeit bei Seite haben wir eine handlungsfähige und handlungs- der CDU/CSU) starke Koalition Nun komme ich zur Sache. Die Bahnpreise sind in der letzten Zeit erheblich gestiegen, und ein öffentliches Un- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Oh ja! Und ternehmen steht in der Kritik. In einer solchen Situation wie!) schaut die Bevölkerung natürlich genau hin. Hier geht es sowie eine gute Bundesregierung und einen guten Bun- nicht um einen Nebenkriegsschauplatz, wie es einer der desminister. Auf der anderen Seite sehen wir eine zer- Redner der Regierungsfraktionen formuliert hat, sondern strittene Opposition: darum, wie sich die Bundesregierung zu Kernfragen, über die zurzeit diskutiert wird, verhält. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine dieser Kernfragen ist die Privatisierung. Es ist eine Linkspartei, die vor der Verantwortung wegrennt, eine Tatsache, dass die Privatisierung insbesondere an- eine FDP, die sich auf Kleinstschauplätzen verrennt, und gesichts der gegenwärtigen Finanzkrise zu einem regel- eine Grünen-Fraktion, die in diesem Fall leider ziellos rechten Rohrkrepierer wird. Privatisierte Betriebe wer- hinterherrennt. Das sind die Gegensätze in diesem Parla- den erhebliche Arbeitsplatzverluste zu verzeichnen ment. haben, es kommt nach wie vor zu Lohndrückerei und Leiharbeit, und Leiharbeiter sind immer die Ersten, de- Vielen Dank. nen gekündigt wird. Es ist so, als gingen Sie blind durch die Gesellschaft und als würden Sie nicht zur Kenntnis (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nehmen, welche schädlichen Folgen bereits eingetreten der CDU/CSU – Patrick Döring [FDP]: Was sind. hat Ihnen Herr Müller denn erzählt? Dazu ha- ben Sie kein Wort gesagt!) (Beifall bei der LINKEN) 20006 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Oskar Lafontaine (A) Die Privatisierung der Bahn ist nicht irgendein Neben- nengehälter gezahlt werden und auf der anderen Seite (C) kriegsschauplatz. Wie kann man nur ein solches Fehlur- Hartz-IV-Empfänger zur Kasse gebeten werden, wenn teil abgeben! Die Privatisierung der Bahn ist ein Thema, sie einmal mit der Bahn fahren. Dafür haben die Men- das viele Menschen in der Bundesrepublik beschäftigt. schen überhaupt kein Verständnis. Um eines in aller Klarheit zu sagen: Der Hauptakteur (Beifall bei der LINKEN) ist nicht die Bundesregierung. Der Hauptakteur und der Als jemand, der im Gegensatz zu den Personen auf Verantwortliche für die Geschäfte der Bahn ist ihr Vor- der ersten Bank hier lange Jahre Gesellschafterrechte standsvorsitzender. Im Grunde genommen leitet er die ausgeübt hat, sage ich Ihnen: Wenn man Gesellschafter- Bahn, nicht die Bundesregierung. Sie ist mehr oder we- rechte ausübt, dann muss man die Geschäftspolitik des niger ein Mitspieler, dem der Bahnchef hin und wieder Unternehmens mitbestimmen und in der Lage sein, dem – in welcher Form auch immer – Möhrchen hinhält, da- Vorstand Grenzen aufzuzeigen. mit sie so funktioniert, wie er es gern hätte. Die Bahn ist ein klassisches Unternehmen, in dem der Vorstand alles (Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist aber eine ar- bestimmt und in dem der Gesellschafter nichts zu sagen rogante Rede!) hat. Das haben wir zu kritisieren. Dies ist offensichtlich völlig aus der Mode gekommen, (Beifall bei der LINKEN) insbesondere bei dem Bundesunternehmen Bahn. Das wäre ein Grund, denjenigen, der dort den Gesell- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schafter vertritt, zurückzuziehen. Es kann doch nicht sein, dass der Vorstand eines öffentlichen Unternehmens Vielmehr ist es so, dass sich der Vorstand die Politik macht, was er will! mehr oder weniger, so sage ich einmal, geneigt macht. Deswegen ist der Vorstandsvorsitzende vielleicht auch Es gibt auch in den Gemeinden und in den Ländern geeignet, Vorsitzender eines Kaninchenzuchtvereins zu öffentliche Unternehmen. Hier muss zumindest gewähr- werden, weil er sich hervorragend auf die Möhrchenfüt- leistet sein, dass die Verantwortlichen die Gesellschaf- terung versteht. terrechte richtig wahrnehmen. Das können sie offen- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) sichtlich aber nicht. Auf der anderen Seite hat er aber überhaupt nicht erken- Ich habe immer wieder versucht, an einem Beispiel, nen lassen, dass er aus der letzten Zeit Konsequenzen das auch Sie schon angesprochen haben, deutlich zu ma- gezogen hat. Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass chen, dass Ihnen die Zusammenhänge gar nicht bewusst die ganze Diskussion über die Leidtragenden der Finanz- sind. Wenn die Bundesregierung die Begrenzung von (B) krise und diese Maßlosigkeit, die überall Platz gegriffen (D) Managerbezügen zum Thema macht, dann zeigt das, hat, zu keinerlei Konsequenzen bei der Bahn führt. dass Sie das, was Sie sagen, überhaupt nicht ernst mei- nen. Denn in dem Unternehmen, an dem sie 100 Prozent (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert hält, lässt sie zu, dass genau das Gegenteil von dem ge- Winkelmeier [fraktionslos]) schieht, was sie angeblich will. Man gewinnt den Ein- druck, dass nicht der Aufsichtsrat die Höhe der Mana- Wir sagen auf jeden Fall: Die Bundesregierung ist un- gerbezüge bestimmt, sondern dass der Vorstand selbst glaubwürdig, wenn sie etwas über das Managerverhal- sagt, wie viel er haben will, und dass dies dann von allen ten, die Begrenzung von Managergehältern usw. sagt, anderen abgenickt wird. Das sind doch die Zustände, die wenn sie im eigenen Laden nicht für Ordnung sorgt. Für bei der Bahn zu beobachten sind. uns ist diese Bahn mehr oder weniger – ich möchte es einmal so sagen – ein ungeordneter Betrieb (Beifall bei der LINKEN) (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Was? – Gerade in der gegenwärtigen sensiblen Zeit haben Sie Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: So eine das Thema Bonuszahlungen in die Diskussion gebracht. Unverschämtheit!) Der Minister allerdings weiß gar nicht, ob er sie mitzu- – ich vermeide einen anderen Begriff –, in dem ein Ein- verantworten hat oder nicht. Vieles wird aus Ihren öf- ziger das Sagen hat und alle anderen mehr oder weniger fentlichen Äußerungen gar nicht klar. Dass es überhaupt an der Leine mitführt. möglich ist, dass bei einem öffentlichen Unternehmen mit einer solchen Gehaltsstruktur auch noch Bonuszah- (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Keinen lungen thematisiert werden, zeigt, dass dort alle Maß- blassen Dunst von einer Ahnung! – Weiterer stäbe verlorengegangen sind. Deshalb müssen die Ver- Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!) antwortlichen aus unserer Sicht Konsequenzen ziehen. Das ist nicht der Auftrag, den die Bahn hat. Die Bahn (Beifall bei der LINKEN) sollte von der Bundesregierung geleitet und geführt wer- den und nicht bestimmen, worüber in diesem Hause ab- Statt über Bonuszahlungen und weitere Gehaltserhö- gestimmt wird. hungen für die oberen Etagen zu diskutieren, sollte man lieber die Fahrpreiserhöhungen – meine Kollegin hat (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert dies gefordert – zumindest reduzieren, wenn nicht ganz Winkelmeier [fraktionslos] – Volker Kauder unterlassen; das wäre besser. Denn die Menschen haben [CDU/CSU]: Jetzt ein Möhrchen! – Zuruf von kein Verständnis dafür, dass auf der einen Seite Millio- der SPD: Für Oskar!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20007

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C) Das Wort hat jetzt die Kollegin Renate Blank von der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) CDU/CSU-Fraktion. Für Minister sollte es zwar nicht die Gnade der späten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Geburt geben, aber die Entscheidung über den Minister liegt bei der SPD und bei ihm selbst. Vielleicht wäre es Renate Blank (CDU/CSU): auch gut, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende Werner Müller – er wurde heute schon genannt –, der früher Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich Bundesminister war und deshalb die Befindlichkeit der mir den Titel der Aktuellen Stunde anschaue, dann sehe Politik und auch der Menschen kennen müsste, im Aus- ich, dass dort „ablösen“, „entlassen“ und „absagen“ schuss einige Fragen klären könnte. steht. Warum schreiben Sie dann nicht auch noch „Ver- haftung von Personen“, wie Ihr Bundespräsidentenkan- Es ist schon seltsam, dass ein Transnet-Mitglied, frü- didat, der die Handschellen einmal zu viel hat klicken her im Aufsichtsrat und jetzt im Vorstand, lassen, vielleicht angeregt hat oder angeregt hätte? (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) NEN]: SPD-Mitglied!) Es fehlt auch noch das Wort „Enteignung“ in Ihrem An- keinerlei Anmerkungen zu den Gehältern und Bonuszah- trag. lungen macht, obwohl die Bonuszahlungen um ein Hun- dertfaches den Betrag übersteigen, den die GdL für ihre (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mitglieder gefordert hat. Das alles sind Dinge, zu denen ich sagen muss: Der An- (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE trag ist doch ein bisschen unglaubwürdig. Sie wollen LINKE]: Da hat sie recht!) einfach keinen Börsengang. Die Bahnreform 1993/1994 war auf den Börsengang (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) ausgerichtet. Ich muss dazu sagen: Wir wollen den Börsengang, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Des- und ich bin froh, dass wir ihn erreichen werden. Es wa- halb haben wir das abgelehnt!) ren vor allen Dingen die Minister Steinbrück und Glos, die uns bei der Vorbereitung des Börsengangs in der jet- Der Börsengang wird jetzt aufgrund der allgemeinen zigen Form sehr geholfen haben. Wenn wir nach dem Wirtschafts- und Finanzkrise verschoben; er ist aber da- Vorschlag des Bahnchefs Mehdorn und des Ministeri- durch nicht aufgehoben. (B) ums vorgegangen wären – es handelte sich um das Ei- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr genau!) (D) gentumssicherungsmodell –, dann hätten wir das Netz der Deutschen Bahn überlassen. Das hätte nicht unsere Wir wollen den Börsengang, damit sich die Deutsche Zustimmung gefunden; denn das wäre wirklich eine Ver- Bahn in unternehmerischer Verantwortung weltweit auf- schleuderung von Volksvermögen gewesen. So bleibt stellen kann. Aber der Bund als Netzeigentümer muss das Netz in der Verantwortung des Bundes, und der Ei- sich in Zukunft auch mehr um das Netz kümmern und gentümer Bund hat das Sagen. Ich verhehle aber auch die entsprechenden Mittel dafür zur Verfügung stellen, nicht, dass hier vielleicht noch etwas mehr Transparenz damit so etwas wie Streckenüberlastung nicht mehr erreicht werden muss und dass der Eigentümer etwas möglich ist. mehr zum Bereich Netz zu sagen haben sollte. Wir wollen auch den Wettbewerb auf der Schiene. Aus unserer Sicht ist die Trennung von Netz und Be- Dafür brauchen wir den Börsengang. trieb aber notwendig; denn die Deutsche Bahn ist ein in- Vielen Dank. ternationaler Logistikkonzern und für den Betrieb verantwortlich. Das liegt in der unternehmerischen Ver- (Beifall bei der CDU/CSU) antwortung und ist Angelegenheit des Unternehmens. Wie gesagt: Es muss eine saubere Trennung geben, Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Dr. Anton Hofreiter das Wort. damit wirklich Transparenz erreicht wird und der Bund seiner Verantwortung stärker gerecht werden kann. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kolleginnen und Kollegen, Bonuszahlungen bei Pri- NEN): vatunternehmen, die an die Börse gehen, sind durchaus Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und üblich. Es ist Aufgabe des Aufsichtsrats, Boni festzule- Kollegen! Liebe Renate Blank, spannend an deiner Rede gen. Allerdings bin ich der Meinung, dass der Aufsichts- war, dass du den meisten Zwischenapplaus nicht von der rat die Brisanz hier vielleicht nicht richtig eingeschätzt CDU/CSU, sondern von den Grünen bekommen hast. hat. Im Grunde genommen sollten das Ministerium und (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Ihr wollt der Minister natürlich rechtzeitig über diese sensible doch nur wieder in die Koalition kommen!) Materie informiert gewesen sein. Auch das Parlament hätte Interesse daran gehabt, über den Fortgang und den Wir stehen selbstverständlich auf deiner Seite, wenn es Börsengang laufend informiert zu werden. um die Durchsetzung der Trennung von Netz und Trans- 20008 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dr. Anton Hofreiter (A) port geht. Leider hat deine kluge Erkenntnis innerhalb vorstellen, dass Herr Mehdorn einen Bonus bekommt. (C) der Großen Koalition noch keinen entsprechenden Aber was liefert uns denn die Bahn Tag für Tag? Ich Durchschlag gefunden. weiß nicht, ob Sie alle von der Großen Koalition nur Auto fahren oder fliegen, aber ich persönlich besitze (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kein Auto und bin deshalb auf die Bahn angewiesen. Der Kollege der SPD-Fraktion ist kein Mitglied des Man erlebt jeden Tag bei der Bahn, dass die Züge un- Verkehrsausschusses und erlebt deshalb Herrn Tiefensee pünktlich sind. Es funktioniert nicht. Wichtige Verbin- nicht so intensiv, wie wir ihn im Verkehrsausschuss lei- dungen werden von heute auf morgen gestrichen. Das der erleben müssen. jüngste Beispiel, das ich gerade in Bayern erlebt habe, ist Augsburg. Diese Stadt mit einer Viertelmillion Einwoh- (Lachen bei der LINKEN) ner wurde von heute auf morgen vom Fernverkehr Rich- Ich muss leider feststellen, dass ich selbst als Mitglied tung Norden nahezu abgehängt. Der Herr Minister der Opposition mir einen anderen Minister wünschen schweigt dazu. Er hat keine Kompetenzen. Das Maxi- würde. Wir brauchen keine lange Ausschussberatung mum dessen, was Sie von der Großen Koalition tun, ist, darüber, ob wir ihn für geeignet halten. Wir haben ihn dass Sie sich über Maßnahmen des Bundesrats lustig über Jahre erlebt, und er hat sich leider als ungeeignet er- machen. wiesen. Fragen Sie Ihre Kollegen im Verkehrsausschuss – Sie müssen es ja nicht öffentlich machen –; sie werden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) es Ihnen bestätigen. Sie können auch Herrn Großmann So geht es weiter. Das Gleisnetz wird immer maroder. fragen. Er wird es Ihnen auch bestätigen. Kleine Bahnhöfe verrotten. ICEs werden auf Verschleiß (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – gefahren, wie das jüngste Beispiel der defekten Achsen Christian Carstensen [SPD]: Das ist unglaub- zeigt. Die Fahrpreise werden immer weiter erhöht. Als lich!) Begründung müssen die höheren Energiekosten herhal- ten. Nun ist der Ölpreis nur noch halb so hoch. Trotzdem Aber kommen wir zur DB AG. Welche verqueren passiert nichts. Die Fahrpreise sinken nicht. Die Liste Vorstellungen innerhalb der DB AG herrschen, zeigen der Probleme ließe sich beliebig fortsetzen. zum Beispiel die Aussagen von Herrn Voscherau als Mitglied des Aufsichtsrates. Er hat geäußert, dass die Was hat der Minister getan? Der Minister hat sich Politik endlich einsehen möge, dass es sich bei der über drei Jahre mit einem gescheiterten Privatisierungs- DB AG um einen internationalen Logistikkonzern mit modell nach dem anderen aufgehalten. Ich will gar nicht angehängtem Personenverkehr handelt. Das Problem ist: aufzählen, wie viele verquere und seltsame Modelle vor- Die Politik bzw. Ihr Minister hat zugelassen, dass diese gestellt wurden. Was hat er nicht getan? Er hat sich nicht (B) (D) Beschreibung zutrifft. Das ist der eigentliche Skandal. um die Bahn gekümmert. Er hat sich nicht um einen ent- sprechenden Ausbau der Bahn und die Einführung eines (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vernünftigen Taktfahrplans gekümmert. Er setzt auf ein- und bei der LINKEN) zelne, überholte Großprojekte wie die Strecke Nürn- Der Aufsichtsrat, der von der Politik entsandt wird, berg–Erfurt hat immer wieder Zukäufe von Logistikunternehmen ge- nehmigt, zuletzt eine rumänische Straßenspedition, die (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Die tolle der Bahn mit Dumpinglöhnen Konkurrenz auf der Straße Y-Trasse!) macht. Das ist ein Skandal. mit 5 Milliarden Euro – selbst die Bundesregierung gibt Damit kommen wir zu Herrn Lippold, der von den zu, dass hier nur anderthalb Züge pro Stunde fahren – Renditen gesprochen hat. und das „schöne“ Projekt Stuttgart 21 mit 8 Milliarden Euro, das keinen Nutzen für den Hafenhinterlandverkehr (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Sehr richtig!) hat. Das heißt, er hat letztendlich keine eigenen Kon- Herr Lippold, Sie wissen doch selber – im Ausschuss ist zepte entwickelt. Währenddessen laufen die Güterver- es uns allen bekannt –, dass die Renditen der Bahn AG kehrsstrecken über. nicht in die notwendige Sanierung des Schienennetzes Was wollen wir? Wir wollen eine Bahn mit Personen- fließen, sondern in den Zukauf von internationalen verkehr an erster Stelle und einem integrierten Taktfahr- Logistikunternehmen. Sie fließen weder in die Bahnhöfe plan, mit sauberen und pünktlichen Zügen mit entspre- noch in den Güterverkehr oder in die Sanierung des vor- chender Anschlusssicherung für die Fahrgäste und einen handenen Schienennetzes. Sie wissen es selbst besser. kapazitätsgestützten Ausbau des Güterverkehrs, um die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Engpässe zu beseitigen. Mit dem vorhandenen Personal und bei der LINKEN sowie des Abg. Gert ist das aber kaum denkbar. Deshalb müsste neben Herrn Winkelmeier [fraktionslos]) Tiefensee, der sowieso keinen Einfluss auf die Bahnpoli- tik hat, vor allem und zuerst Herr Mehdorn ausgetauscht Was wollen wir? Wir wollen keine Bahn mit ange- werden, der über Jahre auf die falsche Strategie gesetzt hängtem Personenverkehr, sondern eine Bahn nach hat. Schweizer Vorbild, die eine perfekte Reisekette für die Menschen bereitstellt. Wenn die Bahn die entsprechende Qualität – regelmäßige, pünktliche, saubere und zuver- Vizepräsidentin Petra Pau: lässige Züge – bieten würde, dann könnten wir uns sogar Kollege Hofreiter, achten Sie bitte auf die Redezeit. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20009

(A) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Arbeit im Ausschuss zurückkommen und uns diesen (C) NEN): Fragen wirklich widmen. Dafür ist es nun Zeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Minister Wolfgang Tiefensee hat unsere Interessen und bei der LINKEN) und die Interessen des Bundes als Eigentümer gegenüber der DB AG vertreten. Der Minister hat das, was falsch Vizepräsidentin Petra Pau: gelaufen ist, korrigiert. Der Minister hat zur Frage der Das Wort hat der Kollege Sören Bartol für die SPD- Boni eine klare Position bezogen. Der Minister hat sich Fraktion. mit dem Bahnvorstand zu Recht angelegt, als es darum ging, einen Bedienzuschlag einzuführen, den wir, glaube (Beifall bei der SPD) ich, fraktionsübergreifend für absoluten Schwachsinn gehalten haben. Da gilt es, ihm den Rücken zu stärken. Sören Bartol (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gesine Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lötzsch [DIE LINKE]: Legenden!) Liebe Frau Lötzsch, lieber Herr Lafontaine, ich glaube, dass Ihre Reden außer Beleidigungen der Abgeordneten Wir sollten die Einflussmöglichkeiten, die wir zu Recht in der ersten Reihe der SPD-Fraktion inhaltlich nichts zu haben wollen, nutzen und als Eigentümer dafür sorgen, bieten hatten. Die Menschen draußen wollen keine Re- dass die Bahn so funktioniert, wie wir uns das vorstellen. den von Leuten hören, die vom Thema überhaupt keine Dazu gehört auch, dass wir jetzt im Ausschuss vernünfti- Ahnung haben, die Dinge von sich geben, die völlig ab- gerweise die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung strus sind. Die Menschen brauchen Antworten auf die weiterbearbeiten, um die Bahn an die Zügel zu nehmen wirklich wichtigen Fragen nach der Mobilität der Zu- und in die Richtung zu bringen, die wir wollen. kunft, auf die Frage, wie es in Zukunft mit der Bahn wei- (Beifall bei der SPD) tergeht. Das wollen die Menschen hören und nicht das, was Sie in dieser Debatte gesagt haben. Noch ein Wort zum Börsengang der Bahn. Verant- wortliche Politik zeichnet sich dadurch aus, dass man (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dann, wenn man erkennt, dass das Umfeld den Börsen- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE gang nicht zulässt, sagt: Im Moment geht es einfach GRÜNEN – Frank Spieth [DIE LINKE]: Gott nicht. – Diesen Schritt ist die Bundesregierung gegan- sei Dank erleben die Menschen die Realität!) gen, diesen Schritt sind wir gemeinsam gegangen; denn es geht eben nicht darum, Volksvermögen zu verschleu- (B) (D) Wir alle von der Koalition können nachvollziehen, dern, wie immer wieder behauptet wird, sondern es geht dass die Opposition in dieser Debatte gern ihr Mütchen darum, die Kapitalbasis der Bahn zu verbreitern, damit kühlen möchte. Es ist Ihnen schon im Verkehrsausschuss sie ihre Aufgaben in der Zukunft vernünftig wahrneh- in keiner Weise gelungen, auch nur einen Pflock einzu- men kann. schlagen. Sie waren absolut zahnlos. Auch der Kollege Döring, der hier eine gute Rede gehalten hat, aber im Zum Schluss noch ein kritisches Wort in Richtung Ausschuss nicht so viel hinbekommen hat, muss zuge- Bahnvorstand. Ich glaube, dass der Bahnvorstand aufhö- stehen, dass das Ganze im Sande verlaufen ist. ren muss, sich immer nur damit zu beschäftigen, welche Abgeordneten, welche Minister und welche Bürgermeis- (Patrick Döring [FDP]: Weil der Minister nur ter als nächstes zu beschimpfen sind. Der Bahnvorstand vom Zettel abliest und nicht auf die Fragen hat in nächster Zukunft genug zu tun, sich zu überlegen, antwortet! So einfach ist das! – Zuruf des Abg. wie es mit der Bahn weitergeht, wie die Kundenfreund- Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lichkeit weiter verbessert werden kann und wie das inak- NEN]) zeptable Verhalten einzelner Schaffner gegenüber Kin- – Kollege Hermann, dazu komme ich gleich noch. dern unterbunden werden kann. Ich hoffe, dass die Bahn schnellstmöglich daran arbeitet. Es gibt aber noch an- Liebe Kolleginnen und Kollegen, versuchen wir wie- dere Dinge, Stichwort Boni. Ich kann nicht verstehen, der, uns den inhaltlichen Themen zu widmen. Es geht dass man als Manager in einer solchen Situation den Bo- doch darum, wie es mit der Verkehrspolitik und der nus in Anspruch nimmt. Da ist mehr Fingerspitzengefühl Bahn weitergeht. Die SPD-Fraktion ist der Meinung gefragt. – und Sie alle sollten daran ein Interesse haben –, dass (Patrick Döring [FDP]: Das gilt auch für die wir eine starke Bahn brauchen. Wir brauchen eine wett- Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat!) bewerbsfähige Bahn. Wir brauchen eine Bahn, die in Deutschland einen anständigen Verkehr organisieren Das gilt auch für den „Zug der Erinnerung“. Ich bin im- kann. Wir brauchen aber auch eine Bahn, die sich dem mer noch der Meinung, dass sich die Bahn an dieser liberalisierten europäischen Wettbewerb stellen kann Stelle falsch verhalten hat. und eine Chance hat, den Verkehr in Europa vernünftig (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des zu organisieren. Wir brauchen eine Verlagerung des Ver- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) kehrs von der Straße auf die Schiene. An der Erreichung dieses Zieles müssen wir gemeinsam arbeiten. Ich hoffe, Zum Schluss: Lassen Sie uns nach dieser Debatte dass wir nach dieser Debatte wieder zu einer sachlichen sachlich daran weiterarbeiten, wie wir die Mobilität der 20010 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Sören Bartol (A) Zukunft gestalten. Ich glaube, dass uns als Mitgliedern sen die gesamte Infrastruktur zu 100 Prozent beim Staat. (C) des Verkehrsausschusses allen daran gelegen sein sollte, Da wird überhaupt nichts privatisiert. Das bleibt in der dass die Bahn dabei eine bedeutende Rolle spielt. Hand des Staates. Vielen Dank. Was aber teilprivatisiert werden soll, das sind die Be- triebsgesellschaften. Da muss ich Sie einmal fragen: Mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten welcher Berechtigung soll der deutsche Steuerzahler ei- der CDU/CSU) nen internationalen Logistikkonzern finanzieren? Das ist nicht seine Aufgabe. Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Enak (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Das machen Ferlemann das Wort. Sie doch! – Dr. Anton Hofreiter [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage stellt sich (Beifall bei der CDU/CSU) wirklich!) Seine Aufgabe ist es vielmehr, für das Wachstum dieses Enak Ferlemann (CDU/CSU): großen Bereichs Kapital zu besorgen. Das machen wir Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und über die Privatwirtschaft, und das ist richtig, und das ist Herren! Die Linke hat deutlich gesagt, was eigentlich gut so. Ziel der heutigen Debatte neben dem ganzen Klamauk ist: Man will die Bahnreform stoppen. Das Problem ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nur bei den Linken: Wie immer sagen sie zwar, was sie neten der SPD – Oskar Lafontaine [DIE nicht wollen, aber sie sagen nicht, was sie wollen. LINKE]: Sie treten als Experte auf und wissen überhaupt nicht, wie der Laden funktioniert! – (Zuruf des Abg. Oskar Lafontaine [DIE Widerspruch des Abg. Dr. Anton Hofreiter LINKE]) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Verehrter Herr Kollege Lafontaine, Sie mit Ihrer Ah- nungslosigkeit über Verkehrspolitik haben heute wieder Warum ist das erforderlich, Herr Kollege Hofreiter? den Beweis angetreten. Ihre Rede war ein Nichts. Es war Auch Ihnen habe ich es von dieser Stelle aus schon keine einzige Lösung dabei. Gar nichts war das. mehrfach erklärt: Es ist notwendig, in der Öffnung der europäischen Märkte die Marktanteile für diese Gesell- (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Nein! Haben schaften zu erhalten. Wenn wir wollen, dass Europa auf Sie es nicht kapiert?) der Schiene zusammenwächst, dann muss auch die (B) DB AG in neue Züge, in neue Lokomotiven, übrigens (D) Das haben wir jedes Mal bei dieser Debatte, weil Sie von auch in neues Personal investieren können. Dafür der Bahn einfach nichts verstehen. Wahrscheinlich fah- braucht man Geld – Geld, das der Staat dieser Gesell- ren Sie auch nicht mit der Bahn. Dann kann man das na- schaft nicht geben kann, weil wir davon für solche Zwe- türlich auch nicht erwarten. cke nicht genug haben. Deswegen ist es richtig, eine (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Teilprivatisierung vorzunehmen. Die Konsequenz der Patrick Döring [FDP] – Oskar Lafontaine Bahnreform von 1994 wird umgesetzt. Sie wird ihre [DIE LINKE]: Dummes Gesabber!) Früchte tragen. Ich möchte nur den vielen Menschen, die uns an den (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Fernsehschirmen zuschauen, erklären, warum wir die GRÜNEN]: Die Trennung!) Bahnreform eigentlich so gemacht haben und warum wir sie so fortsetzen. Worauf wir als öffentliche Hand, als Staat uns kon- zentrieren müssen, das ist die Infrastruktur. Da gebe ich (Frank Spieth [DIE LINKE]: Hoffentlich hö- Ihnen recht: Wir müssen mehr in Bahnhöfe, in Schienen- ren alle Bahnfahrer zu!) wege, in die Weichen, in die Signalanlagen, in die mo- derne Technik investieren. Darauf müssen wir uns kon- Sie dient nicht dazu, die Menschen zu ärgern. Von Ihnen zentrieren. Dafür brauchen wir das öffentliche Geld. kommen nur Fehlinformationen. Nein, die Bahnreform, Wenn wir eine gute Infrastruktur haben, bekommen wir die 1994 von einer großen Mehrheit dieses Hauses be- viel Betrieb. Wo viel Betrieb ist, ist viel Wettbewerb, schlossen wurde, wird weiter konsequent umgesetzt, und wo Wettbewerb ist, ist den Menschen gedient, weil weil sie richtig ist. Es wird immer vertuscht, leider auch mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert von den Kollegen der Grünen, dass wir im Grunde ge- wird. Das ist eine der Kernaussagen der Bahnreform. nommen längst zwei Bahngesellschaften haben, nämlich eine, die ein internationaler Logistikkonzern geworden Deshalb unser klares Fazit: Die Linken können wei- ist – mit einem Riesenerfolg –, die DB ML AG, und zum terhin ihre Parolen bringen. Sie sind leider substanzlos, anderen Bahngesellschaften, die sich um die Infrastruk- und leider bieten sie keine Alternative zu unserem Kon- tur kümmern. Nun wird so getan, als wenn in Deutsch- zept. Deswegen wird die Bahnreform kommen. land alles dem privaten Kapital zum Fraß vorgeworfen wird. Das ist mitnichten richtig. Diese Koalition hat es (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – nach schwierigen Diskussionen hinbekommen – da gebe Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Sie haben ich Ihnen recht –, eine Trennung vorzunehmen. Wir las- keine Ahnung! Sie sind ahnungslos!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20011

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: nicht beteiligen. Für mich ist Herr Mehdorn ein wirklich (C) Das Wort hat die Kollegin Iris Gleicke für die SPD- schwieriger – das kann ich aus langjähriger Erfahrung Fraktion. sagen –, aber ein anständiger Mensch, der viel für die Bahn geleistet hat. Ich glaube, das beurteilen zu können, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) weil ich mich immerhin anderthalb Jahrzehnte mit Ver- kehrspolitik beschäftigt habe. Iris Gleicke (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was Sie, Frau Kollegin Lötzsch, da gerade gemacht Meine Damen und Herren! Es gibt so Tage, da verstehe haben, das ist unanständig. Ihre abschätzigen Zwischen- ich die Welt nicht mehr. Ich gebe zu: Heute ist so ein rufe während der Debattenbeiträge der Kolleginnen und Tag. Heute debattieren wir allen Ernstes darüber, ob ein Kollegen hier, Herr Lafontaine, waren in meinen Augen Minister zurücktreten muss, weil er verhindert hat, dass ebenfalls unanständig. sich ein paar Manager in einem Staatsunternehmen einen (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Aber Sie ordentlichen Schluck aus der Pulle genehmigen. meinen, Sie könnten hier permanent Beleidi- (Joachim Günther [Plauen] [FDP]: Nein, des- gungen loslassen!) wegen nicht! – Patrick Döring [FDP]: Nein, Ich glaube, dass Mehdorn nicht mit den billigen Raff- deswegen nicht! Sie haben es nicht verstan- kes zu vergleichen ist, erst recht nicht mit den inkompe- den! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Er tenten Finanzjongleuren, die versucht haben, ganze hat es überhaupt nicht verhindert!) Volkswirtschaften in Schutt und Asche zu legen. Ich verstehe das nicht. Mehdorn gehört zu denen, die etwas aufbauen wollen; Ich sehe nicht ein, warum jemand seinen Hut nehmen (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ soll, weil er das ganz normale und gesunde Gerechtig- DIE GRÜNEN]: Ist das ein Nachruf?) keitsempfinden wie jeder andere Bürger und jede andere Bürgerin auf der Straße hat. aber manchmal setzt dieser Mann, wie wir alle wissen, zu echten politischen Geisterfahrten an. (Patrick Döring [FDP]: Nur zwei Monate zu spät! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Er Ich bin froh darüber, dass wir in der Bundesregierung hat im Ausschuss erklärt, er könne es gar nicht einen Minister haben, der sich dem regelmäßig entge- verhindern! Das ist die Wahrheit!) genstellt, zum Beispiel bei den Bonuszahlungen. Manchmal kann man sich wirklich nur noch die Au- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Patrick (B) gen reiben. Da erklärt ein Mitglied des Aufsichtsrats der Döring [FDP]: Autosuggestion!) (D) Bahn dieser Tage allen Ernstes, es sei ganz unmöglich, Es ist schon unerträglich, dass der Herr Bahnchef die wie die Regierung mit der Bahn umgehe. Bonuszahlungen als „Möhrchen“ bezeichnet. Dazu sage (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Zu Recht!) ich: Nur Esel brauchen Bonuszahlungen, um in Gang zu kommen. Er schimpft darauf, dass immer noch der Eigentümer, also wir Abgeordnete, die Bundesregierung und jeder (Beifall bei der SPD) Bürgermeister von Flensburg bis Garmisch, mitreden dürfe. Ich gebe ganz ehrlich zu: Das ist doch dreist. Jetzt Erinnern Sie sich bitte mit mir an ein paar andere sind es also die bösen Politiker. Vielleicht müsste einmal Dinge. Wolfgang Tiefensee war gerade einmal ein paar jemand dem Herrn Eggert Voscherau erklären, dass diese Tage im Amt, als Herr Mehdorn erklärte, er wolle mit Politikerinnen und Politiker aller Ebenen demokratisch der Bahnzentrale vom Potsdamer Platz nach Hamburg gewählt sind, so richtig vom Volk in freier, gleicher und umziehen. Wolfgang Tiefensee und Klaus Wowereit ha- geheimer Wahl. ben das verhindert. Ich bin beiden dankbar dafür. (Zurufe von der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Ich weiß gar nicht, warum Sie sich gerade so aufregen. Das mag an meiner ostdeutschen Befindlichkeit liegen. Ich fand es nämlich überhaupt nicht lustig, dass eine der (Patrick Döring [FDP]: Weil die Bundes- wenigen Konzernzentralen, die wir überhaupt in Ost- regierung den gewählt hat!) deutschland haben, nun auch noch in den Westen umzie- Es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit von hen sollte. Wolfgang Tiefensee hat das gestoppt. uns, von diesen Volksvertretern, darauf zu achten, dass Dann fand es Herr Mehdorn aus mir bis heute uner- die Interessen der Bürgerinnen und Bürger eben nicht findlichen Gründen nicht gut, auf den Bahnhöfen eine unter die Räder der Deutschen Bahn AG geraten. Ausstellung über die Deportation jüdischer Kinder in die (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Patrick Vernichtungslager und Konzentrationslager zu zeigen. Döring [FDP]: Ihre Bundesregierung hat den Tiefensee hat sich auch in dieser Frage durchgesetzt. doch gewählt!) Heute gibt es eine solche Ausstellung. Sie wird auch im kommenden Jahr gezeigt. Im Moment ist sie im Mün- Ich will auch etwas zu Herrn Mehdorn sagen. Es ist in chener Hauptbahnhof zu sehen. unserem Land geradezu zu einem Volkssport geworden, auf Herrn Mehdorn einzuprügeln. Daran will ich mich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 20012 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Iris Gleicke (A) Das dritte Beispiel, das ich anführen will, ist die wenn sie uns als Verkehrspolitiker stärken würden, wenn (C) geniale Idee der Schaltergebühren. Sie alle können sich sie nicht dazu führen würden, hier über Personen zu dis- daran erinnern. Ich habe mich da gefragt, ob sich das die kutieren und sie zu diskreditieren, sondern dazu beitra- gleichen Oberstrategen der Bahn ausgedacht haben, die gen würden – das gilt für alle Kolleginnen und Kollegen damals das Preissystem der Bahn reformieren wollten. aus der Opposition –, dass im Verkehrsbereich die Infra- Auch hier hat sich der Minister eindeutig dagegenge- strukturmittel ansteigen. Wenn Sie solche Anträge stellt; Mehdorn hat wieder den Kürzeren gezogen. schreiben würden, bei denen es darum geht, dass wir alle zusammen helfen, dass die notwendigen Investitionen in Herr Döring, ich wiederhole: Das ist kein Zeichen die Infrastruktur – in die Schiene, in die Straße, in die von Führungsschwäche, sondern ein Zeichen von Wasserstraße – zustande kommen, dann wären Sie kon- Durchsetzungsstärke; denn diesen ganzen Quatsch hat zeptionell auf dem richtigen Weg. Sie sind es nicht, Minister Tiefensee verhindert. Dafür gebühren ihm wenn Sie mit solchen Aktuellen Stunden und in der Dank und Anerkennung und vor allem die Unterstützung Folge mit Missbilligungsanträgen Personen diskreditie- des ganzen Hauses. ren. Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU – Horst Friedrich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten [Bayreuth] [FDP]: Das ist das Angebot zur Re- der CDU/CSU) gierungsübernahme durch uns!) Frau Kollegin Gleicke hat einige Sätze über Bahnchef Vizepräsidentin Petra Pau: Mehdorn gesagt. Jeder weiß, dass Herr Mehdorn etwas Der Kollege Dr. Andreas Scheuer hat nun für die stur und seiner eigenen Person gegenüber vielleicht et- CDU/CSU-Fraktion das Wort. was zu unkritisch ist. Aber er führt einen erfolgreichen (Beifall bei der CDU/CSU) Konzern. Dieser Konzern – mein Kollege Enak Ferlemann hat darauf hingewiesen – agiert weltweit. Ein solcher Erfolg ist eben nur zu erreichen, wenn man ein Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): harter Hund ist. Frau Präsidentin! Verehrte Damen im Sitzungsvor- stand! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Verlauf Natürlich könnte man kritisieren, dass der Bahn-Bör- der Debatte in dieser Aktuellen Stunde, die wir heute sengang so spät über die Bühne gehen sollte, bedingt ausgerechnet auf Antrag der Linken erleben, ist wirklich auch dadurch, wie Mehdorn uns als Parlamentarier be- traumhaft; man kann sich als Redner an Ihrer Vergan- handelt hat. Insofern ist er vielleicht sogar eine tragische genheit abarbeiten. Es tut Ihnen wirklich weh; denn als Figur. Wenn Mehdorn im parlamentarischen Verfahren (B) Nachfolgeorganisation der SED sind Sie dafür zustän- viel zügiger mitgearbeitet hätte, hätten wir den Bahn- (D) dig, dass die Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundes- Börsengang schon längst. ländern marode war, dass es eine Deutsche Reichsbahn Wir haben uns auf ein Modell verständigt, das die gab, die heute noch auf Schienen herumeiern würde, die Trennung von Netz und Betrieb beinhaltet. Der Punkt nicht sicher sind. ist, dass die Deutsche Bahn AG für die Zukunft im Be- (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Das war der trieb Erfolg hat. Vor dem Hintergrund sollten wir in die- Althaus!) sem Hohen Hause nicht jede Maßnahme schlechtreden, sondern den Erfolg herausstellen und vor allem auf die Sie stellen sich hier hin und wollen die moderne Deut- Deutsche Bahn AG stolz sein. sche Bahn AG kritisieren. Das ist doch wirklich skurril. Erinnern tut bei Ihnen weh. Deswegen werden wir, die (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ CDU/CSU, immer gegen das Vergessen der Bürgerinnen DIE GRÜNEN]: Fahren Sie mal mit der und Bürger ankämpfen, für welches System Sie als Bahn?) Nachfolgeorganisation der SED stehen. Die Deutsche Bahn AG agiert als weltweiter Logistiker (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- über die Grenzen hinweg, und das ist auch ein Qualitäts- neten der SPD – Oskar Lafontaine [DIE ausweis für den Standort Deutschland. LINKE]: Der Schalck-Golodkowski war bei euch!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Vor – Herr Lafontaine, Sie können gerne mit Zwischenrufen lauter weltweit ist ihnen der Regionalverkehr glänzen. Sie haben sich als Vorsitzender zu diesen scheißegal!) Schrottkönigen des 20. Jahrhunderts dazugesellt. Das spricht Bände. Das Ministerium, Herr Bundesminister Tiefensee, hätte manches Interview des Bahnchefs Mehdorn, zum (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE Beispiel als er von „Möhrchen“ gesprochen hat – auch LINKE]: Gucken Sie mal, was bei Ihnen alles wieder ein skurriler Begriff –, etwas stärker hinterfragen rumsitzt! – Zuruf des Abg. Oskar Lafontaine können. Ich gebe also in die Diskussion hinein, dass die [DIE LINKE]) Kommunikation mit den Vertretern des Bundes im Auf- sichtsrat offenbar nicht funktioniert hat. Das soll uns Anträge der Opposition wären hilfreicher, eine Lehre für die Zukunft sein. Diesen Fall möchte ich (Zuruf von der LINKEN: Aha!) nicht für die Vergangenheit bewerten, Herr Bundes- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20013

Dr. Andreas Scheuer (A) minister, sondern vor allem für die Zukunft. Wir als Par- wir als Volksvertreter hier sitzen. Nun frage ich mich: (C) lament, als Eigentümer Bundesrepublik Deutschland Haben diese sich Politik so vorgestellt? Ich hoffe, dass müssen unsere Vertreter im Aufsichtsrat beim Bahn-Bör- zum Beispiel Sie hier auf den Besuchertribünen sagen: sengang so koordinieren, dass die Kontrolle auch funk- Nein, nein, so eigentlich nicht. – Ich befürchte aber, dass tioniert. vielleicht gerade die Jüngeren sagen: Doch, na klar ha- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ben wir uns das so vorgestellt. Es ist doch klar, wir sind der FDP) im Deutschen Bundestag. Da gibt es das Ritual, dass die Opposition den Rücktritt von irgendeinem Minister for- Im parlamentarischen Prozess haben wir Verkehrs- dert und sich alle gegenseitig beschimpfen, aber am politiker uns in zig Stunden von Anhörungen – vielleicht Ende die Mehrheit das ablehnt. Das ist ja auch egal. hat das zu sehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt- Hauptsache, die Opposition ist am nächsten Tag mit ei- gefunden – fleißig Modelle um die Ohren gehauen und ner Schlagzeile in den Zeitungen vertreten. Darum geht tagelang Experten für Experten angehört. Solcher Fleiß es doch. der Parlamentarier sollte damit belohnt werden, dass die Deutsche Bahn AG ohne Umschweife Informationen an Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube das Parlament weitergibt. Ich verlange für die Zukunft, nicht, dass es so sein sollte. Wir sollen hier vielmehr da- dass dies bei einem Bahn-Börsengang passiert, sodass für sorgen, dass die Fragen, Interessen und Ideen der die Kontrolle durch das Parlament funktionieren kann. Menschen zur Sprache kommen, dass deren Probleme Was Informationen zur Zukunft und zur Ausrichtung der angesprochen werden. Das tut die Große Koalition, und Deutschen Bahn AG angeht, so ist das keine Holschuld das tut unser Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee. der Abgeordneten, sondern eine Bringschuld der Deut- (Frank Spieth [DIE LINKE]: Ei, jetzt geht es schen Bahn AG. los!) Für die Zukunft bitte ich darum, dafür zu sorgen, auch Die Verkehrspolitik wurde in Richtung Nachhaltig- im Bundesministerium, dass diese Koordinationsarbeit keit und Klimaschutz ausgerichtet. von Verkehrspolitikern, Parlament und Eigentümer ge- leistet wird. Dann schaffen wir die Kommunikationspro- (Zuruf von der LINKEN: Aha! – Lachen des bleme, die in der Vergangenheit bestanden haben, aus Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE der Welt, dann funktioniert die Kontrolle, und dann ha- GRÜNEN]) ben wir eine erfolgreiche Deutsche Bahn AG. – Sie sind nicht im Verkehrsausschuss, deswegen sage Herzlichen Dank. ich es Ihnen gerne: zum Beispiel mit dem Nationalen In- novationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellen- (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (D) technologie. 1 Milliarde Euro stehen hierfür zur Verfü- gung. Wir sagen: Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee! Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege (Beifall bei der SPD) Christian Carstensen. Mit dem Masterplan „Güterverkehr und Logistik“ (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wurden die Weichen für einen wirtschaftlich erfolgrei- chen und zugleich umweltfreundlichen Güterverkehr ge- stellt. Flughafen- und Hafenkonzept werden folgen. Wir Christian Carstensen (SPD): sagen: Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha- ben eine Stunde lang eine wirklich überflüssige Debatte (Beifall bei der SPD – Zurufe von der LIN- erlebt. KEN) (Zurufe von der LINKEN) Die Verkehrssicherheit wurde deutlich verbessert: vom Alkoholverbot für Fahranfänger bis zur Nachrüst- Schlimm daran finde ich: Diese Aktuelle Stunde ist noch pflicht von Lkw-Spiegeln, um den toten Winkel zu ver- nicht einmal aktuell; denn bereits vor einer Woche – das kleinern. ist hier schon angesprochen worden – hat die FDP das gleiche Thema schon in Antragsform gegossen. Es war (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE also klar, dass wir heute darüber reden würden. Die GRÜNEN]: Geht es noch kleinteiliger?) Linke hat sich wieder mal nur angehängt, um billige Ef- Noch nie gab es so wenige Verkehrstote auf deutschen fekthascherei zu betreiben. Deswegen hat auch niemand Straßen nach Unfällen. Ein Erfolg für uns alle. Gut ge- von ihren Verkehrspolitikerinnen und -politikern gespro- macht, Herr Minister Tiefensee! chen. Es ging nur um Klamauk. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Noch schlimmer aber ist, dass von den wirklichen Problemen der Menschen kein einziges angesprochen Mit dem Nationalen Verkehrslärmschutzpaket wur- wurde. Nun frage ich mich die ganze Zeit, die Stunde, den die Sorgen und Nöte der Menschen an großen Ver- die ich hier sitze, wie das eigentlich auf die Zuhörerin- kehrswegen, insbesondere an den Schienenwegen, die nen und Zuhörer an den Fernsehschirmen, vor dem Ra- täglich von Verkehrslärm betroffen sind, aufgegriffen. dio und hier auf der Besuchertribüne wirkt, also auf die 50 Millionen Euro standen zu Anfang dieser Legislatur- Menschen, für die wir eigentlich tätig sein sollen, für die periode dafür zur Verfügung. Wir haben diesen Betrag 20014 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Christian Carstensen (A) auf 100 Millionen Euro verdoppelt. Wir werden jetzt den ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktion BÜND- (C) nächsten Schritt tun. Wir sagen: Gut gemacht, Herr Mi- NIS 90/DIE GRÜNEN nister Tiefensee! Missbilligung der Amtsführung und Entlas- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe sung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE – Drucksache 16/10918 – GRÜNEN) Über die beiden Anträge werden wir später nament- Klimaschutz- und Energieeinsparmaßnahmen bei Ge- lich abstimmen. bäuden wurden auf den Weg gebracht. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen DIE GRÜNEN]: Gut gemacht!) Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Seit 2006 wurden durch das CO2-Gebäudesanierungs- programm schon über 750 000 Wohneinheiten saniert. Horst Friedrich für die FDP-Fraktion. Ganz nebenbei wurden dadurch bis zu 220 000 Arbeits- (Beifall bei der FDP) plätze erhalten bzw. neu geschaffen. Wir sagen: Gut ge- macht, Herr Minister Tiefensee! Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): (Beifall bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Autosuggestion!) Kollegen! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf den Antrag zu sprechen komme, noch ein Wort zu Herrn Die soziale Absicherung von rund 800 000 Mieter- Kollegen Klaas Hübner von der SPD. Das genau ist Ihr haushalten wurde durch die Erhöhung des Wohngeldes Problem, Herr Kollege Hübner. Sie blenden für sich und verbessert. Wir sagen: Gut gemacht, Herr Minister die SPD die Realität aus und malen sich die Welt so, wie Tiefensee! Sie glauben, dass sie tatsächlich ist. Genau deswegen ha- ben Sie soeben so unheimlich kraftvolle Erfolge in Bay- (Patrick Döring [FDP]: Wollen Sie Staatsse- ern und Hessen gefeiert. Ihr Problem ist, dass Sie gar kretär werden?) nicht mehr wahrnehmen, worin die eigentlichen Pro- Vielleicht als letztes Beispiel: Ab 2009 werden mit bleme bestehen, und versuchen, es der Opposition im der Förderung seniorengerechten Umbaus des Woh- Deutschen Bundestag madigzumachen, diese anzuspre- chen. Vielleicht denken Sie über diese Worte einmal (B) nungsbestandes die Interessen der Menschen, die auch (D) im Alter länger in den eigenen vier Wänden leben wol- nach. len, aufgegriffen. Auch da sagen wir: Gut gemacht, Herr (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Minister Tiefensee! DIE GRÜNEN) (Lachen bei der LINKEN) Jetzt zum Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es geht nicht darum, inhaltlich die Bahnreform zu bewer- Bei all diesen Punkten – man könnte diese Liste noch ten. Es geht eindeutig nur um die eine Frage: Welche fortführen – hat der Minister unsere Unterstützung ver- Verantwortung hat ein Minister persönlich zu überneh- dient und nicht irgendeinen durch Anträge hervorgerufe- men, wenn etwas, was von ihm aus unserer Sicht lange nen Klamauk, der uns zwei Stunden von den eigentli- Zeit vorher gewusst, gedeckt und bestätigt wurde, auf- chen Themen ablenkt. kommt? Hat er dann auch politische Konsequenzen zu ziehen? Verantwortung besteht nämlich auch in der Vielen Dank. Größe, freiwillig zurückzutreten. An dieser Stelle be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten steht ein Dissens. der CDU/CSU – Patrick Döring [FDP]: Ein- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ deutig eine Bewerbungsrede als Parlamentari- DIE GRÜNEN) scher Staatssekretär!) Ich will es kurz fassen. Der Minister hat gesagt: Ich bin zwar Minister, aber beim größten verkehrspoliti- Vizepräsidentin Petra Pau: schen Ereignis dieser Periode spiele ich die Geschichte Die Aktuelle Stunde ist beendet. vom Hasen. Ich weiß von nichts. Mir sagt nämlich nie- mand etwas. – Das Problem ist allerdings, dass dies rela- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatz- tiv unglaubwürdig ist, Herr Minister. punkt 7 auf: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 17 Beratung des Antrags der Fraktion der FDP Eine Ihrer ersten Anweisungen zu Beginn Ihrer Amts- Missbilligung der Amtsführung und Entlas- zeit als Minister lautete: Auf Weisung des Ministers soll sung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee der Kopfbogen für Schreiben des Ministers geändert werden. Die Schriftgröße der Funktionsbezeichnung – Drucksache 16/10782 – „Bundesminister“ wird von 9 Punkt auf 11 Punkt vergrö- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20015

Horst Friedrich (Bayreuth) (A) ßert. Die Ministerschreiben sind ab sofort mit dieser Än- senprospekt sei am 27. August 2008 der BaFin übersandt (C) derung zu fertigen. worden, die Erstellung des Börsenprospekts sei intensiv von BMVBS, BMF und BMWi begleitet worden, und (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und dem die Zusammenarbeit der Ressorts sei sehr kooperativ ge- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wesen. Dagegen kann man nichts einwenden. Liebe Kolle- Selbst wenn in dem Protokoll nicht steht, dass der ginnen und Kollegen, ein Minister aber, der sich so im Herr Minister etwas davon wusste, spätestens zu diesem Detail um sein Ministerium kümmert, der kann uns nicht Zeitpunkt hätte man wenigstens nachfragen können, was drei Jahre später erklären, er habe eine der wesentlichen im Börsenprospekt steht. Bedingungen des Börsenganges nicht gewusst. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Deswegen bleibe ich dabei: Die Beschlusslage für die Der Aufsichtsrat ist nicht vom Himmel gefallen. Alle Bonuszahlungen ist nicht vom Vorstand vorgegeben Mitglieder des Aufsichtsrates sind von der Bundesregie- worden, sondern diese hat der Personalausschuss des rung benannt und bestimmt worden. Unter den Auf- Aufsichtsrates bestätigt. Es wäre das erste Mal in der sichtsratsmitgliedern gibt es auch drei Staatssekretäre. Geschichte der Bahnprivatisierung, dass es von Auf- (Zuruf von der FDP: Hört! Hört!) sichtsratssitzungen kein Protokoll im Verkehrsministe- rium gegeben hätte. Es würde mich sehr überraschen, Im Aufsichtsrat vertreten sind das Verkehrsministerium, wenn dem so wäre. Die Realität sieht doch völlig anders das Wirtschaftsministerium und das Finanzministerium. aus. (Zuruf von der FDP: Und Sie haben alle nichts Es gibt noch ein weiteres Problem. Offensichtlich hat gewusst!) der Minister gemerkt, dass Bonuszahlungen für die Be- Überraschenderweise haben offensichtlich die Minister völkerung anrüchig sind. Diese Haltung kann man ver- für Finanzen und Wirtschaft von ihren Staatssekretären treten. Aber die Bedingungen für diese Zahlungen hat gewusst, dass es Bonuszahlungen gibt; denn bis Diens- der Minister mitbestimmt. Wenn man Bonuszahlungen tag vergangener Woche haben diese beiden Minister ausschließlich davon abhängig macht, dass ein gewähl- mehrfach öffentlich erklären lassen, sie hätten kein Pro- ter Vorstand den Börsengang überhaupt schafft, dann blem mit den Bonuszahlungen. Spätestens dann hätte der darf man sich nicht wundern, dass es Widerspruch gibt. dritte und federführende Minister wissen müssen, dass Wer ist eigentlich in der Lage, Berechnungsgrößen fest- zulegen? Warum kommt aus dem Hause Tiefensee nicht (B) Bonuszahlungen vereinbart worden sind. (D) die Vorgabe, dass es Bonuszahlungen erst ab einem Bör- Herr Tiefensee ist sowieso der Rekordminister. Wenn senwert von beispielsweise 8 Milliarden Euro gibt und ich mich richtig erinnere, ist Herr Tiefensee der erste Mi- dass man bei einem Börsenwert von unter 5 Milliar- nister, der in seiner Amtszeit drei Staatssekretäre entlas- den Euro erst gar nicht über das Thema zu reden sen hat. Begonnen hat er mit Ralf Nagel, dann kam Jörg braucht? – Was macht der Minister? Von ihm ist dazu Hennerkes und jetzt Matthias von Randow. nichts zu hören. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Am Mittwoch letzter Woche wurde uns gesagt, dass wechseln schneller als die Minister!) es keine Bonuszahlung gibt, weil der Börsengang nicht Wie viele Staatssekretäre muss er noch aus dem Amt stattfindet, und dass deswegen der Minister auch keine entlassen, bis er endlich selbst die Konsequenzen zieht? Verantwortung übernehmen muss. Vom Kollegen Das ist das eigentliche Problem. Lippold haben wir heute gehört, dass das Kanzleramt diese Position korrigiert hat; denn der Börsengang ist (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ nicht abgesagt. Damit sind auch die Bonuszahlungen DIE GRÜNEN) nicht vom Tisch. Der Aufsichtsratsbeschluss gilt also noch. Er hat Matthias von Randow Ende Oktober mit der öffentlichen Aussage entlassen, er habe erst vor wenigen Ich habe schon letzte Woche gefragt, wann der Minis- Tagen erfahren, dass es Bonuszahlungen gibt. Dieser ter gedenkt, den Aufsichtsratsbeschluss zu ändern. Als Termin wurde dann auf den 2. Oktober, auf den Termin Antwort konnte man immer nur die gleiche Platte hören: der Veröffentlichung des Börsenprospekts vorverlegt. „Das Vertrauensverhältnis ist gestört, das Vertrauensver- Daraufhin kam die Antwort aus dem Hause Tiefensee, hältnis ist gestört, das Vertrauensverhältnis ist gestört.“ diesen habe er noch nicht gelesen. Mittlerweile gesteht Es gibt aber keine konkrete Antwort auf die Frage, wann er wenigstens zu, dass er seit Mitte September weiß, dass es eine Initiative des Ministers gibt. Bonuszahlungen vereinbart worden sind. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Herr Minister, ehrlich gesagt glauben meine Fraktion DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der und ich Ihnen das nicht; denn am 27. August hat im Ver- LINKEN) kehrsministerium eine Abteilungsleiterkonferenz statt- Offensichtlich ist das Problem noch nicht gelöst. gefunden – das Protokoll liegt vor –, an der der Minister teilgenommen hat. Unter anderem hat der Hauptabtei- Nun kann man sagen: Er hat mal wieder Glück ge- lungsleiter E. zur Teilprivatisierung mitgeteilt, der Bör- habt. Durch die famosen Vorgänge bei der kraftvollen 20016 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Horst Friedrich (Bayreuth) (A) SPD in Hessen ist sein Stuhl ein bisschen sicherer ge- Bereich, mit dem sich die Schienenverkehrspolitik be- (C) worden. Aber Realität ist weiterhin: Der Minister bleibt schäftigt. angeschlagen; er ist einer der schwächsten Verkehrsmi- Es ist auch nicht Aufgabe des Staates, auf den Schie- nister, die diese Republik je erlebt hat. nen Güter von A nach B zu transportieren. Wir haben (Beifall bei der FDP) heute Hunderte von leistungsfähigen, guten Unterneh- mern, die beweisen, dass man mit unternehmerischem Wenn der Minister noch einen Funken Anstand hat Mut und Kraft sehr gute Angebote im Güterschienenver- und demokratische Spielregeln für ihn wichtig sind, kehr machen und sehr große Erfolge erzielen kann. Ich dann sollte er den Hut nehmen und zurücktreten. Sich al- habe in meinem Wahlkreis einen Unternehmer, der vor lein aufgrund der Mehrheit der Großen Koalition am wenigen Jahren am Bahnhof von Hof Flächen gepachtet Stuhl festzuhalten, trägt nicht. Der Minister ist ange- und einen Containerterminal errichtet hat. Dieses Unter- schlagen. Die Verkehrspolitik in Deutschland hat einen nehmen transportiert heute täglich Container von Hof in besseren Minister verdient. Bayern in den Hamburger Hafen. Dazu braucht er den Danke. Staat nicht. Das kann ein Unternehmer leisten; das ist nicht Aufgabe des Staates. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ist es Aufgabe des Staates, Personenverkehr auf der Schiene zu verantworten? Ja, das ist Aufgabe des Staa- tes. Deswegen tut das der Staat auch, indem der Bund Vizepräsidentin Petra Pau: Jahr für Jahr Milliarden an die Länder auszahlt und die Nun hat der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich das Länder über Ausschreibungen Schienenverkehr für Per- Wort für die CDU/CSU-Fraktion. sonen organisieren und einkaufen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich halte es für überflüssig, dass der Staat selber Fahr- zeuge kauft und Beamte diese Fahrzeuge fahren lässt. Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist al- Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kol- les nicht das Thema, lieber Hans-Peter!) leginnen und Kollegen! Ich weise den Antrag der FDP- Fraktion auf Entlassung des Bundesverkehrsministers Es reicht vielmehr aus, wenn der Staat die Ausschrei- zurück und nehme Bezug auf all das, was meine Kolle- bung vornimmt und im Wettbewerb leistungsfähige Un- gen von der CDU/CSU-Fraktion vorhin in der Aktuellen ternehmen gewinnt. An den Bahnhöfen dieser Republik Stunde gesagt haben. Der Minister hat klar und deutlich können Sie viele verschiedene leistungsfähige Verkehrs- (B) auf alle Fragen sowohl im Verkehrsausschuss als auch unternehmen in allen Farben sehen, die dieses Angebot (D) im Haushaltsausschuss geantwortet. des Staates in die Realität umsetzen. Der Betrieb auf der Schiene ist keine Staatsaufgabe. Das kann im Wettbe- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Du warst werb erfolgen, und es erfolgt im Wettbewerb. gar nicht dabei! Du kannst es gar nicht wis- sen!) Schienenverkehrspolitik bedeutet – hier fordere ich einen höheren Einfluss der Verkehrspolitiker als in der Meine Damen und Herren von der Opposition, was Vergangenheit, als in den letzten 10, 15 Jahren, die übri- ich nicht zurückweisen kann und will, ist die generelle gens auch die FDP und die Grünen während ihrer Regie- Kritik der Bürger an der Schienenverkehrspolitik in rungszeit mitzuverantworten haben – eine Verstärkung Deutschland. Menschen fragen uns, wer denn eigentlich der Daseinsvorsorge, der Zurverfügungstellung von In- über die Schienenverkehrspolitik in Deutschland be- frastruktur: stimmt: Aufsichtsräte, Manager und Vorstände oder die (Beifall bei der CDU/CSU – Horst Friedrich von uns gewählten Politiker? Weil wir auf dieses Unbe- [Bayreuth] [FDP]: Dies ist weder das Thema hagen reagieren müssen, meine sehr verehrten Damen noch eine Frage an die Opposition! Ihr habt und Herren von der Opposition, insbesondere von der doch die Mehrheit! Ihr könnt dies doch be- FDP, bitte ich Sie, das Vertrauensverhältnis bei der Zu- schließen! Warum macht ihr es denn nicht?) sammenarbeit mit der Bundesregierung, den Koalitions- fraktionen und dem Minister nicht weiter zu belasten. Leistungsfähige Schienen, elektrifizierte Schienen, sau- Die Kritik der Bevölkerung sollte vielmehr aufgenom- bere Bahnhöfe – das sind die entscheidenden Dinge, die men und beantwortet werden. der Staat, der Bund, Ja, die Schiene hat in den letzten Jahren eine Renais- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE sance erfahren. Wir müssen uns überlegen, wie wir als GRÜNEN]: Sind Sie in der Opposition oder in Verkehrspolitiker und wie die Politik im Allgemeinen der Regierung?) wieder mehr Einfluss auf die Gestaltung der Schienen- gewährleisten muss. Hier sind die entscheidenden Auf- verkehrspolitik in Deutschland nehmen kann. Da muss gaben der Politik. man zunächst die Frage stellen, was eigentlich Schienen- verkehrspolitik in Deutschland ist. Ich beginne damit, Wir haben in dieser Woche – der Herr Minister hat festzuhalten, was sie nicht ist. Das Unternehmen Schenker, dazu eine Pressekonferenz abgehalten – eine unter- das in Deutschland, Europa und in der Welt mit Lkw schriftsreife Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung Güter auf der Straße transportiert, gehört nicht zu dem vorgelegt bekommen, mit der der Einfluss der Politik auf Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20017

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (A) den Schienenverkehr gestärkt wird. Wir haben in dieser gefährden. Das haben wir mit den Gewerkschaften ver- (C) Woche ein Sonderprogramm dieser Bundesregierung in einbart. Das haben wir ihnen versprochen. Dazu müssen Milliardenhöhe vorgelegt bekommen, in dem mehr Aus- wir stehen. gaben für die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Schieneninfrastruktur in Deutschland vorgesehen sind. Ob es richtig ist, dass der Vorstandsvorsitzende der So wird die Schienenverkehrspolitik in Deutschland ge- Betriebsgesellschaft DB ML, Herr Mehdorn, gleichzei- stärkt. tig der Vorstandsvorsitzende der Infrastrukturgesell- schaft ist, daran mache ich ein großes Fragezeichen. Ich halte es für dramatisch, dass es uns in der Vergan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – genheit nicht gelungen ist, wichtige Schienenverbindun- Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir gen in Deutschland instand zu setzen oder auf Vorder- auch!) mann zu bringen, Schienenverbindungen, die notwendig sind, um den Investitionsstandort Deutschland zu er- Wir sollten uns überlegen, wie wir eine klare Trennung schließen. Ich nenne nur als Beispiel die Verbindung von Netz und Betrieb auf den Weg bringen können. Das München–Mühldorf–Freilassing. Die chemische Indus- doppelte Lottchen Mehdorn halte ich für keine günstige trie will in dieser Region Investitionen in Milliardenhöhe Lösung. tätigen. Sie kann diese Investitionen nicht vornehmen, weil wir keine leistungsfähige Schienenverbindung ha- Lassen Sie mich zu Herrn Mehdorn aber etwas Allge- ben. Dort muss der Staat handeln. meines sagen: Ich schätze diesen Mann in besonderer Weise. Er hat als kluger und hervorragender Manager (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: So ist es!) dieses internationale Unternehmen auf Vordermann ge- bracht. Die Leistungsfähigkeit dieses Unternehmens ist Der Minister selber hat den Bau einer dritten Start- beeindruckend. Er hat zum Wohle seines Unternehmens bahn auf dem Flughafen München als ein Projekt von und zum Wohle der Arbeitnehmer die Spielräume ge- nationaler Bedeutung bezeichnet. Wir können dies den nutzt, die ihm die Politik eingeräumt hat, die wir alle Menschen nur zumuten, wenn wir auch die Frage beant- ihm eingeräumt haben. Nun müssen wir die Frage stel- worten, wie dieser Flughafen an ein leistungsfähiges len: Wo müssen wir die Grenze für ihn ziehen? Die Schienennetz angebunden wird, weil wir den Menschen, Grenze ist an der Stelle zu ziehen, an der wir jetzt die die in der Umgebung dieses Flughafens wohnen, alles Trennung auf den Weg bringen sollten. Ich hoffe, dass andere nicht zumuten können. Hier besteht Handlungs- wir das mit Unterstützung der Grünen – Ihr Beifall hat bedarf in der Schienenverkehrspolitik. bei mir Optimismus aufkommen lassen –, aber auch mit Das Gleiche gilt für den Güterbereich. Hier haben wir Unterstützung der FDP machen werden. Herr Minister, (B) die Problematik, dass wir die Güter aus unseren Häfen in ich bin überzeugt, dass Sie, wenn wir dieses Thema vo- (D) Hamburg, Bremen und von wo auch immer nicht schnell rantreiben, die wohlwollende Unterstützung dieser bei- genug herausbringen, weil leistungsfähige Verbindungen den Oppositionsfraktionen gewinnen werden. Dann wird nach Süden fehlen. Der Güterverkehrsknoten Fürth ist der Antrag, der heute von der FDP gestellt wird, obsolet überlastet. Wir schaffen es nicht, es über den Bau eines sein. Bypasses zwischen Reichenbach im Vogtland, lieber Vielen Dank. Kollege Günther, Hof und Regensburg zu ermöglichen, Güter möglichst schnell und leistungsfähig auf der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Schiene zu transportieren. neten der SPD) (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist alles nicht das Thema!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dorothée Menzner für die Hier muss die Schienenverkehrspolitik handeln. Fraktion Die Linke. Wir müssen begreifen, was Kollege Ferlemann gesagt (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert hat: Die Deutsche Bahn AG besteht heute aus zwei Un- Winkelmeier [fraktionslos]) ternehmen: Das erste Unternehmen ist ein internationa- ler Logistikkonzern. Dieser kann sehr gut und beeindru- Dorothée Menzner (DIE LINKE): ckend im Wettbewerb agieren. Deswegen kann er auch privatisiert werden, und zwar zu einem Zeitpunkt und in Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! einer Form, dass er das Geld einbringt, das er wert ist. Die Oppositionsfraktionen missbilligen die Amtsfüh- Dieses Geld muss in die Schieneninfrastruktur in rung von Minister Tiefensee und fordern seine Entlas- Deutschland reinvestiert werden. sung. Ich sage ganz deutlich: Das Problem ist nicht nur Minister Tiefensee, sondern mindestens gleichermaßen Das zweite Unternehmen ist die Staatsaufgabe Infra- Bahnchef Mehdorn. struktur. Hier muss der Einfluss der Politik stärker wer- den. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Richtig!) Was Rücktritte überfällig macht, sind die unerträgli- Wir müssen die Trennung von Netz und Betrieb über den chen Ereignisse der vergangenen Wochen. Wir haben erreichten Stand hinaus vorantreiben, ohne – ich sage schon einiges gehört, was ich nicht wiederholen möchte. das ausdrücklich – den konzerninternen Arbeitsmarkt zu Ich nenne nur das Stichwort Bahn-Bonuszahlungen. 20018 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dorothée Menzner (A) Gibt es Konsequenzen, etwa Initiativen aus dem Minis- stecken. Hart am Rande des Zulässigen durfte Herr (C) terium zur Rückgängigmachung dieses Beschlusses? Mehdorn versuchen, die Bahn umzustrukturieren und Fehlanzeige. Wenn der Minister es zulässt, dass ein ihm die Mobility Logistics AG zu gründen, die nun an die unterstelltes Staatsunternehmen – das ist die DB AG noch Börse gehen soll. Weil das aufgrund der Weltfinanz- – ihm auf der Nase herumtanzt, dann hat das nichts mehr marktkrise nicht genug bringen würde, ist jetzt sogar im mit Autorität zu tun, dann ist keine Autorität mehr vor- Gespräch, doch an der Börse vorbei zu privatisieren und handen. anders zu veräußern. Das ist in unseren Augen Politik nach Feudalherrenart und einer Demokratie unwürdig. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Das gilt insbesondere dann, wenn die Bahn-Führung Winkelmeier [fraktionslos]) nicht einmal davor zurückschreckt, Minister, Regierung Schon im April dieses Jahres haben die Verkehrs- und Parlamentarier medial zu kritisieren, sogar mit Kla- minister der Länder bei einem Treffen in Wernigerode gen droht. Allein dafür hätten Minister Tiefensee und Herrn Tiefensee zu Recht die gelbe Karte gezeigt. Sie Kanzlerin Merkel Herrn Mehdorn und andere Mitglieder fühlten sich genauso wenig einbezogen wie wir Parla- des Vorstandes und des Aufsichtsrates längst entlassen mentarier. Das ist ein Beweis dafür, dass die Koalition müssen. parlamentarische Kontrolle und Beteiligung offensicht- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- lich gering schätzt. Das ist deutlich zu kritisieren. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Das ist aber nur möglich, wenn man gegenüber Herrn Winkelmeier [fraktionslos]) Mehdorn handlungsfähig ist. Im Fall der Bahn ist die Über die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, Bundesregierung aber offensichtlich – das wird immer die uns diese Woche vorgelegt wurde, wurde schon ge- deutlicher – nicht mehr Herr im eigenen Haus. Hier we- sprochen. Sie beinhaltet, dass wir über 15 Jahre jährlich delt ganz eindeutig der Schwanz mit dem Hund und 2,5 Milliarden Euro an die Bahn geben sollen. nicht umgekehrt. Der DB-Vorstand und nicht das Haus Tiefensee – das ist von Kollegen der Koalition angespro- (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Nein! Falsch! chen worden – macht in diesem Land Bahnpolitik. Das Nix 15 Jahre! – Patrick Döring [FDP]: Fünf Parlament hat bei der Teilprivatisierung nichts mehr zu Jahre!) sagen, Mehdorn hat es nicht fertiggebracht, dass wir bis heute (B) (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Quatsch!) einen Netzzustandsbericht bekommen, der seinen Na- (D) obwohl das 1994 eigentlich ganz anders verabredet men verdient. Ich möchte erst einmal wissen, was mit wurde. Konsens war, dass alle Schritte im parlamentari- dem Geld in der Vergangenheit passiert ist, bevor wir be- schen Verfahren vollzogen werden. Nicht umsonst setzt schließen, weitere Milliarden Steuergelder bereitzustel- das Grundgesetz für Privatisierungsaktionen bei der len. Bahn enge Grenzen: Die Bahn ist und bleibt Daseinsvor- (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Das stimmt sorge. nicht! Korrigieren Sie das einmal! – Rainer (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Fornahl [SPD]: Das ist ja fürchterlich! Prüfen Winkelmeier [fraktionslos]) Sie einmal, was Sie vorgelegt bekommen!) Politik am Parlament vorbei wurde auch bei den Man könnte wirklich den Verdacht bekommen, dass Bahn-Immobilien gemacht. Ich will dieses Thema nur diese Finanzzusagen nur Investoren locken sollen, dass ganz kurz anreißen. Ich nenne das Beispiel Aurelis. Es das die Motivation ist. ist eine Bankrotterklärung des Hauses Tiefensee, dass Grundstücke der Bahn, zusammengefasst in der Firma Das Versagen des Ministers Tiefensee geht weiter. Es Aurelis, mit einem Wert von insgesamt einigen Milliar- betrifft auch andere Großprojekte, wie zum Beispiel das den Euro, ohne das Parlament zu informieren, nebenbei Berliner Stadtschloss. Ich kann das nicht im Detail aus- verkauft und verhökert wurden. Wir sind nach wie vor führen. Es betrifft auch Stuttgart 21. Immer wieder erle- zusammen mit anderen mit der Aufklärung dieses Vor- ben wir, dass Großprojekte verfolgt werden, statt Ver- gangs beschäftigt. Alles deutet darauf hin, dass wir uns kehrsinfrastruktur in diesem Land zu erhalten und für die damit noch einmal sehr ernsthaft und konsequent ausein- Bürger zur Verfügung zu stellen. andersetzen müssen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert All dessen ungeachtet machen Mehdorn und Winkelmeier [fraktionslos]) Tiefensee weiter mit dem Ausverkauf, mit den Versu- Großprojekte berauben uns der Möglichkeiten, Infra- chen, fremdes Kapital an der Bahn zu beteiligen. Bis struktur für Menschen auszubauen. Ich nenne nur das heute wird uns das Märchen erzählt, es werde um Geld- Berliner Stadtschloss, die A 39, Stuttgart 21 oder die für geber gerungen, die ein Interesse an der Bahn haben. Die die Lösung der Probleme ungeeignete Y-Trasse. Wahrheit ist aber: Hier werden Kapitalgeber in Kauf ge- nommen, die innerhalb weniger Jahre das Doppelte und (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und Dreifache dessen herausholen wollen, was sie rein- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20019

Dorothée Menzner (A) Notwendig ist die Sanierung der bestehenden Infra- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Können (C) struktur, zum Beispiel der Schiene und der Straße. Der wir das als Ziel aufschreiben?) Ausbau von Lkw-Stellplätzen an der Autobahn ist nötig, um die Arbeitsbedingungen und die Verkehrssicherheit weitere Änderungen, notfalls auch am Börsenprospekt, an den Autobahnen für die dort arbeitenden Menschen vorzunehmen, die wir als Politiker für richtig halten. Wir und alle, die dort unterwegs sind, zu gewährleisten. All müssen uns allerdings gut überlegen, welche Schritte wir das sind Versäumnisse des Ministers. im Einzelnen vorschlagen. Ich bin dezidiert dafür, eine Interessenverquickung zwischen der DB ML und der (Rainer Fornahl [SPD]: Ist das ein linkes DB AG zu untersagen und nach Möglichkeit eine Perso- Projekt, oder was ist das?) nalunion in den Vorständen zu vermeiden. Aus unserer Sicht ist das Elementarste, was man von einem Verkehrsminister erwarten kann, dass er die Pro- Vizepräsidentin Petra Pau: bleme der Menschen, die tagtäglich unterwegs sind, löst. Zu einer weiteren Kurzintervention hat nun der Kol- Sie sind nicht angegangen worden. Von daher unterstüt- lege Ferlemann das Wort. zen wir den Antrag der Oppositionsfraktionen. Ich danke Ihnen. Enak Ferlemann (CDU/CSU): Frau Kollegin Menzner, ich möchte Sie noch einmal (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert direkt ansprechen. Ich hatte das schon mit einem Zwi- Winkelmeier [fraktionslos]) schenruf gemacht, aber Sie haben die von mir ange- mahnte Korrektur nicht vorgenommen. Deswegen will Vizepräsidentin Petra Pau: ich Sie in dieser Form ansprechen. Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Döring das Sie haben behauptet, die Leistungs- und Finanzie- Wort. rungsvereinbarung würde einen Zeitraum von 15 Jahren umfassen. Sie haben am Dienstag dieser Woche den ak- Patrick Döring (FDP): tuellen Entwurf der Leistungs- und Finanzierungsverein- Herr Kollege Friedrich – ich meine Hans-Peter barung erhalten. Sie haben schon am gestrigen Mittwoch Friedrich von der CDU/CSU –, ich muss noch einmal mit uns gemeinsam eine Anhörung zu dieser Leistungs- auf Ihre Bemerkung zum doppelten Lottchen zurückkom- und Finanzierungsvereinbarung beschlossen, kennen men, auf Ihre kritische Bemerkung, dass es vielleicht also die Inhalte. nicht zu einer stärkeren Interessentrennung zwischen Netz und Betrieb kommt, wenn der Vorstandsvorsitzende per- Ich darf § 23 Abs. 1 der Leistungs- und Finanzie- (B) (D) sonenidentisch ist. Im Gegensatz zum Bundesminister rungsvereinbarung – Vertragsdauer und Kündigung – zi- habe ich den Börsenprospekt gelesen. tieren: (Rainer Fornahl [SPD]: Was?) Diese Vereinbarung tritt am 1. Januar 2009 in Kraft. Sie hat eine feste Laufzeit bis zum 31. Dezember Darin steht – ich lese das jetzt einmal vor –: 2013. Zur Sicherung einer integrierten Konzernführung Nach meiner Rechnung sind das 5 Jahre, nicht 15 Jahre. ist beabsichtigt, dass der Vorstand der DB ML AG Angesichts der Bedeutung dieser Angelegenheit bitte ich und der Vorstand der DB AG ihre Vorstandssitzun- Sie, sich dafür zu entschuldigen und die Korrektur hier gen regelmäßig gemeinsam durchführen. vorzunehmen. Sind Sie mit mir der Meinung, dass auch dieser Satz aus (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dem Börsenprospekt sehr dafür spricht, dass die von der neten der SPD und der FDP) CDU/CSU und auch von der FDP beabsichtigte Interes- sentrennung zwischen Netz und Betrieb gar nicht ge- wollt ist? Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Menzner hat das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dorothée Menzner (DIE LINKE): Kollege Ferlemann, Sie haben eben gesagt, wir hätten Vizepräsidentin Petra Pau: die Unterlagen – sie umfassen einen Leitz-Ordner – am Sie haben die Möglichkeit zu einer Erwiderung, Kol- Dienstag bekommen. Ich kann es konkretisieren: Diens- lege Friedrich. tag, 19.40 Uhr. Mittwoch früh war die Ausschusssit- zung. Wahrscheinlich waren auch Sie nicht in der Lage, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): das in Gänze zur Kenntnis zu nehmen. Lieber Herr Kollege Döring, Sie haben auf einen (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das wichtigen Punkt hingewiesen. Sie wissen, dass der Bör- sind zwei Zeilen!) sengang verschoben worden ist. Man sollte jetzt die Ge- legenheit vor dem nächsten Anlauf, den wir nehmen Es kann gut sein, dass mir ein Fehler unterlaufen ist. werden, sobald der DAX auf 8 000 Punkte – ich glaube, Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir mit die- diesen Wert sollte er erreichen – gestiegen ist, nutzen, ser Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung langjäh- 20020 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dorothée Menzner (A) rig hohe Zahlungen an die DB festlegen und beschließen lage in dieser Debatte ist für uns die Frage: Was haben (C) wollen. wir im Koalitionsvertrag beschlossen, und was ist davon abgearbeitet? Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das, was Sie sollte aufgestockt werden; das ist erfolgt. Den Master- ausgesagt haben, ist nicht richtig!) plan Güterverkehr und Logistik, ein wichtiges Projekt, Auf der anderen Seite wurde uns bis heute – das hat hat der Minister gerade erst umgesetzt bzw. auf einen auch der Minister nicht geschafft – kein Netzzustandsbe- guten Weg gebracht. Die Verkehrsinvestitionen wurden richt aus dem Hause Mehdorn vorgelegt, anhand dessen erhöht. Im Jahre 2005 betrugen sie 9 Milliarden Euro, wir kontrollieren könnten, ob die in der Vergangenheit im Jahre 2009 werden sie bei 11 Milliarden Euro liegen. geflossenen Steuergelder wirklich zweckbestimmt ver- Die Erhöhung der Mittel für die Eisenbahninfrastruktur wendet wurden. ist über die LuFV erfolgt. Der Vertrag über die Fehmarn- belt-Querung wurde abgeschlossen. Ich könnte diese (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was Sie gesagt Aufzählung ewig fortführen. haben, war falsch! Punkt! – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Wo habt ihr denn die Kurzum: Herr Minister, Sie haben die meisten 15 Jahre her?) Punkte, die im Koalitionsvertrag enthalten sind, abgear- beitet; dafür danken wir Ihnen. Darum haben wir keiner- Vizepräsidentin Petra Pau: lei Grund, den vorliegenden Anträgen zuzustimmen. Im Gegenteil, wir müssen sagen: Wir haben einen guten Mi- Nun hat der Kollege Klaas Hübner für die SPD-Frak- nister, und wir stehen hinter Ihnen; wir sind an der Stelle tion das Wort. bei Ihnen.

Klaas Hübner (SPD): (Zuruf von der SPD: „Hinter ihm“ ist aber ein Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und bisschen missverständlich! – Heiterkeit bei Herren! Wir haben eben eine Aktuelle Stunde zum glei- Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und chen Thema gehabt. Da habe ich gesagt, es mache wenig des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sinn, hier eine Showveranstaltung zu machen. Dass das – Ja. eine ist, das hat Herr Ferlemann eben klargemacht. Das gilt übrigens auch für den Ausschuss. Dort hat er Frau Menzner, jedem können Fehler passieren. Aber seinerzeit die Bonifikationen thematisiert. Auch in die- wenn Sie sich explizit darauf berufen, was irgendwo sem Fall hat der Minister richtig gelegen. Der Kollege steht, obwohl Sie es vorher nicht gelesen haben, dann ist Carstensen hat im Ausschuss gefragt: Wer in diesem das, gelinde gesagt, eine schlechte Vorbereitung. Damit (B) Parlament ist eigentlich nicht der Meinung des Minis- (D) zeigen Sie auch deutlich, dass Sie dieser Debatte inhalt- ters, dass die Bonifikationen nicht in Ordnung sind? – lich nichts beimessen, sondern dass Sie einfach nur eine Alle haben gesagt – auch Sie –, dass sie der Meinung des Showveranstaltung machen wollen. Deswegen wäre es Ministers sind. Darum sage ich Ihnen: Geben Sie sich ei- am einfachsten, wenn wir alle unsere Redebeiträge aus nen Ruck, und loben Sie den Minister dafür, dass er ein der Aktuellen Stunde zu Protokoll geben würden; denn wichtiges Thema auf die richtige Art und Weise ange- es wird bei dieser Debatte das Gleiche herauskommen. sprochen hat! Damit wäre der Sache dann am besten gedient. Ich danke Ihnen. Aber Sie haben doch etwas gesagt, worauf ich noch eingehen möchte. Frau Menzner, Sie haben wieder ein- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mal erklärt, dass die DB AG eine Institution der Da- der CDU/CSU) seinsvorsorge ist. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass seit 1994 die DB AG de facto privatisiert ist und dass die Vizepräsidentin Petra Pau: Länder über die Regionalisierungsmittel selber entschei- Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun den, bei wem sie Fahrleistungen bestellen. Das muss der Kollege Fritz Kuhn. nicht bei der DB AG sein. Das können sie auch bei je- dem anderen Unternehmen tun. Diese Aussage ist sach- Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): lich richtig. Aber Sie tun immer wieder so, als ob die DB AG für die Daseinsvorsorge zuständig ist. Nein, wir Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- sind es, die das über das Netz darstellen müssen. Die legen! Die Formulierung, dass die SPD hinter Ihnen Länder können entscheiden, bei wem sie Fahrleistungen steht, können Sie, Herr Minister, natürlich auch als Dro- bestellen wollen. Hören Sie auf, die Menschen mit sol- hung verstehen. Sie mussten ja selbst lachen, als Sie sa- chen unsachlichen und unrichtigen Aussagen zu verunsi- hen, dass diese Deutung gerade in Ihren eigenen Reihen chern. aufkam. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich will Ihnen erklären, warum wir diese Debatte füh- ren und warum wir unseren Antrag gestellt haben. Das Da ich in der Tat auf das verweisen kann, was ich Parlament kontrolliert die Regierung. Die Regierungs- schon in der anderen Debatte gesagt habe, möchte ich fraktionen haben bezüglich der Personalauswahl einen nur kurz auf die Anträge der Urheber dieser Debatte, der besonderen Auftrag. Sie müssen prüfen, ob sie das rich- FDP und der Kopisten, der Grünen, eingehen, in denen tige Personal ausgewählt haben. Wenn eine Regierungs- die Entlassung des Ministers gefordert wird. Die Grund- fraktion, in diesem Fall die SPD, nicht in der Lage ist, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20021

Fritz Kuhn (A) diese Verantwortung wahrzunehmen, dann ist es, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) es um den Vorwurf schwerer Verfehlungen im Amt geht, sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- Aufgabe des Parlaments, die Frage zu stellen, ob ein Mi- KEN) nister eigentlich geeignet ist oder nicht. Schauen Sie in Ihren SMS nach, ob Sie jemand gelobt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat und, wenn ja, wer? Was veranstalten Sie dort eigent- sowie bei Abgeordneten der FDP) lich? Wir diskutieren jetzt nicht über die Frage: Bahn-Pri- Aus diesem Grund ziehen wir die Schlussfolgerung vatisierung – ja oder nein? Ich jedenfalls tue das nicht. – es tut mir leid, dass ich sie Ihnen nicht ersparen kann –, Das haben wir an anderer Stelle getan. Wir wollen jetzt dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder haben nur darüber diskutieren, ob Minister Tiefensee in der Sie gelogen, als es um die Frage ging, seit wann Sie den Lage ist, sein Amt ordnungsgemäß zu führen oder nicht. Börsenprospekt kennen und über die Bonuszahlungen Bescheid wissen, oder Sie sind so unverschämt ahnungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN los und unfähig, dass Sie nicht wissen, worauf es bei der sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- Amtsführung konkret ankommt. KEN) Minister Tiefensee hat uns in diesem Hause mehrfach (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, erklärt – auch Frau Merkel hat das in ihren Regierungs- bei der FDP und der LINKEN) erklärungen immer wieder betont –, dass der Börsen- Es soll übrigens auch welche geben, die eine Kombina- gang der Bahn eines der wichtigsten Verkehrsprojekte tion von beiden Möglichkeiten, also lügen und ahnungs- dieser Legislaturperiode ist. Das wurde uns erklärt. Nach los sein, nicht ausschließen. Darüber will ich aber nicht vielem Hin und Her hat man sich auf eine bestimmte richten. Form der Privatisierung geeinigt. Diese Einigung wurde allerdings nicht in Form eines Gesetzes festgehalten, Wir haben den Eindruck, dass Sie Ihr Amt nicht ein- sondern lediglich per Beschluss. fach nur fahrlässig führen, sondern dass Sie mit grobem Vorsatz lange gar nicht wissen wollten, was im Börsen- Jetzt fragen wir uns natürlich: Wird dieser Beschluss prospekt steht und was es mit den Bonuszahlungen auf ordentlich umgesetzt, wie von der Mehrheit des Parla- sich hat. ments gewünscht: ja oder nein? Ich sage Ihnen: Die Aus- einandersetzungen um den Börsengang der Bahn – ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nauer: um den Börsenprospekt und die darin erwähnten Bonuszahlungen – sind ein Beispiel dafür, dass Minister Herr Tiefensee, wir haben die These, dass Sie es (B) Tiefensee dieses Thema von Anfang an nicht beherrscht längst gewusst haben, dass es Sie aber nicht gestört hat. (D) hat. Dafür spricht übrigens auch, dass Sie Ihren Staatssekre- tär, Herrn von Randow, noch am 2. Oktober 2008 damit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beauftragt haben, Sie auf einer Reise in die Vereinigten sowie bei Abgeordneten der FDP) Arabischen Emirate zu vertreten, zu einem Zeitpunkt also, über den Sie uns später erzählt haben, dass das Ver- Ich beginne mit der Frage: Seit wann hat er davon ge- trauensverhältnis da schon komplett gestört war. Das ist wusst? Zuerst hörten wir: seit Anfang Oktober. Dann hat auch eine gute Story: Er schickt ihn als Vertretung von man sich korrigiert, und es hieß: seit Mitte September. sich selber auf eine Dienstreise, erklärt aber hinterher, Der entscheidende Punkt ist aber, dass am 27. August dass das Vertrauensverhältnis da schon zerstört gewesen dieses Jahres eine Abteilungsleiterkonferenz stattgefun- sei. den hat; Kollege Friedrich hat dies bereits erwähnt. An dieser Konferenz, in der der Entwurf des Börsenpro- Weil Sie so mit Staatssekretären umgehen, wie dies spektes Verhandlungsgegenstand war, hat auch Minister durch dieses Beispiel gelehrt wird, wundert sich in die- Tiefensee teilgenommen. Wie in der Ausschussdiskus- sem Hause niemand mehr darüber, welch schlechten Ruf sion deutlich wurde, gab es dazu keine Leitungsvorlage. Sie auch im Verkehrsministerium haben. Das muss man den Leuten erklären: Unter „Leitungsvor- lage“ ist zu verstehen, dass der Minister von seinen Mit- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN arbeitern, zum Beispiel von seinem Staatssekretär, vor und bei der FDP) der Sitzung aufgeschrieben bekommt, auf welche wich- Um zu wissen, dass das so ist, muss man ja nur einmal tigen Punkte er in der Abteilungsleiterbesprechung zu die Spitznamen recherchieren, die in Ihrem Hause für achten hat. Sie kreiert worden sind. Ich frage Sie, Herr Minister: Was sind Sie eigentlich Später haben Sie im Zuge der Finanzkrise gemerkt für ein Minister, wenn Sie an einer Abteilungsleiterbe- – das erklärt die ganze Show –, dass das Thema Bonus- sprechung, in der der Börsenprospekt Thema ist, teilneh- zahlungen und Gehälter eine große Rolle spielt, und Sie men und vorher nicht wissen, um was es dabei geht haben sich gedacht, dass Sie einen populistischen Nut- – noch letzte Woche waren Sie im Ausschuss regelrecht zen für Ihr ansonsten angeschlagenes Image daraus zie- stolz darauf, dass Sie den Börsenprospekt nicht kennen –, hen können. und wenn Sie dazu keine Leitungsvorlage haben? Was machen Sie eigentlich in Abteilungsleiterbesprechun- Vor lauter Aufregung haben Sie den Börsengang im gen, Herr Tiefensee? Ausschuss dann ganz versenkt: Er findet nicht statt, 20022 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Fritz Kuhn (A) hurra; ich fühle mich bestätigt, ich habe die Boni abge- Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): (C) schafft. Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- gen! Solche Anträge auf Rücktritt eines Ministers stellt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN man eigentlich erst dann, wenn es einem gelungen ist, sowie bei Abgeordneten der FDP) ihm ein Fehlverhalten nachzuweisen. Das kommt mir so vor, als ob jemand ein ganzes Haus (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: zusammenhaut, um irgendwie mit einer Maus zurechtzu- Sehr richtig!) kommen, die ihn stört. Herr Minister, das ist aber keine Der vorliegende FDP-Antrag wurde aber bereits im Amtsführung, sondern einfach kläglicher Populismus Vorfeld über die Presse angekündigt und ging schon am und nichts sonst. 4. November 2008, also einen Tag vor der Sondersitzung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN des Ausschusses, durch die FDP-Fraktion. und bei der FDP) (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Unerhört!) Herr Tiefensee, deswegen haben wir den Antrag der Die Grünen haben das hinterher abgeschrieben und sich FDP richtig gefunden und unterstützt. Dass es zwei gibt, drangehängt. sei dahingestellt. Sie meinen das Gleiche. Was Sie nicht (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: So ein nur in diesem Finale der letzten Wochen, sondern gene- schlechter Stil!) rell in den drei Jahren geliefert haben, ist nach unserer Überzeugung peinlicher Murks und Mist. Um mit Max Damit wird deutlich, dass die FDP mit der Sondersit- Weber zu sprechen: Sie werden nicht aus Leidenschaft in zung gar kein wirkliches Informationsinteresse verbun- der Sache getrieben – in der Verkehrspolitik –, sondern den hat. Denn wenn Ihr Antrag der Aufklärung voraus- was Sie kennzeichnet, ist das, was Max Weber „sterile eilte, dann kam es auf die Sitzung gar nicht mehr an. Aufgeregtheit“ genannt hat. Ansonsten könnten Sie Ihr (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wichtigstes Projekt dieser Legislaturperiode, den Bör- NEN]: Die Sondersitzung war von den Grünen sengang, nicht mir nichts, dir nichts in den Sand setzen beantragt!) und abräumen und müssten Sie wissen, wie die Lage in der Koalition bei diesem Thema tatsächlich ist. Ich bin in Sorge um das Rechtsstaatsverständnis der FDP. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Deswegen fordern wir Frau Merkel auf – der Antrag der SPD – Lachen bei der FDP) (B) geht ja an die Regierung –, dass sie Sie entlassen soll. Denn eigentlich gilt in unserem Lande: Erst kommt die (D) Ich verstehe die CDU/CSU, warum sie sich dabei so pas- Verhandlung und dann das Urteil. Die FDP ist aber auf siv verhält, liebe Genossinnen und Genossen, nämlich dem Wege, zuerst zu verurteilen und dann die Verhand- weil sie sich natürlich sagt: Ein dermaßen lausig schwa- lung zu führen. cher Minister ist im Wahljahr gut für uns. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Ich muss allerdings feststellen: Das ist doch unglaublich!) (Patrick Döring [FDP]: Sie sind doch der beste Ich kann aber nicht verstehen, mit welchem Grad der Zeuge der Anklage!) Selbstverachtung Sie als SPD nach den eklatanten Ver- fehlungen von Minister Tiefensee immer noch sagen, Die Ausschusssitzung ist zur Enttäuschung der Opposi- wie toll er ist. Die Reden, die ich vorhin dazu gehört tion jedenfalls nicht so verlaufen, dass damit Anträge habe, waren doch geradezu peinlich. Solange Sie nicht dieser Art legitimiert worden wären. Denn es ist der Op- bereit sind, einem Minister, der sein Amt nicht führen position nicht gelungen – ich verstehe Ihren Frust da- kann, zu sagen, dass Sie einen anderen und besseren ha- rüber –, Minister Tiefensee Widersprüche oder Fehlver- halten nachzuweisen. Das haben Sie nicht geschafft. ben, werden Sie aus dem Problem, in dem die SPD ge- rade steckt, nicht herauskommen. Das wollte ich Ihnen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zum Abschluss ins sozialdemokratische Stammbuch ge- schrieben haben. Vizepräsidentin Petra Pau: Vielen Dank. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Dr. [DIE LINKE]) Gleich. – Daher sind die vorliegenden Anträge unbe- gründet und nachher in namentlicher Abstimmung abzu- Vizepräsidentin Petra Pau: lehnen. Das Wort hat der Kollege Dirk Fischer für die CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – CSU-Fraktion. Christian Carstensen [SPD]: Herr Koppelin er- klärt uns jetzt das Rechtsstaatsverständnis der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) FDP!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20023

(A) Jürgen Koppelin (FDP): (Patrick Döring [FDP]: Jetzt kommen wir der (C) Herr Kollege Fischer, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu Sache näher!) nehmen, dass nicht nur Ihr Ausschuss, sondern auch der Denn auf ihn muss sich der Alleinkapitaleigner in sol- Haushaltsausschuss Minister Tiefensee fünf Stunden – mit chen Fragen verlassen können. einer Unterbrechung – angehört hat, dass wir uns sehr intensiv damit befasst haben und dass wir dann zusam- Ich teile die Auffassung von Minister Tiefensee aus- men mit unseren Verkehrspolitikern festgestellt haben, drücklich, dass die regulären Bonuszahlungen, die sich dass es mit diesem Verkehrsminister nicht mehr geht? Es am Unternehmenserfolg orientieren, ausreichend sind. hat also eine weitere Ausschusssitzung stattgefunden, Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, für Sie vielleicht bedauerlicherweise vor Ihrer Sitzung. wesentlicher als eine Debatte über überflüssige, weil in- Aber im Haushaltsausschuss hat der Minister, wie ge- haltlich nicht legitimierte Anträge sind doch die positi- sagt, fünf Stunden – mit einer Unterbrechung – Rede ven Entwicklungen für das deutsche und europäische Ei- und Antwort gestanden. Jeder dort hatte den Eindruck: senbahnwesen: die wechselseitige Netzöffnung für den Mit diesem Minister geht es wirklich nicht. Güterverkehr ab 2007 und für den Personenfernverkehr ab 2010 in Europa – wir kommen also aus einer rein na- Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): tionalen zu einer europäischen Landkarte des Eisenbahn- verkehrs – und die positive Umstrukturierung einer Das ändert aber nichts an der zeitlichen Abfolge Behördenbahn zu einer kunden- und wettbewerbsorien- (Patrick Döring [FDP]: Doch! – Jürgen tierten DB AG mit allen positiven Leistungen und Ver- Koppelin [FDP]: Es ist ein Tag vorher gewe- diensten, die sich Herr Mehdorn dort unzweifelhaft er- sen!) worben hat. Nur daraus ergab sich die Chance, den Börsengang – nämlich der Ankündigung in der Presse – und an der vorzubereiten, der bei einer besseren Lage der Finanz- Tatsache, dass unsere Verkehrspolitiker den Minister erst märkte jederzeit in die Wege geleitet werden kann. In am Mittwoch befragt haben. Es kann nur eine Sitzung diesem Zusammenhang ist eine Unternehmenskonfigu- beurteilt werden, an der man teilgenommen hat. Deshalb ration ordnungspolitisch richtig, in der Infrastruktur und hätten die Kollegen der FDP nach dem Verlauf der Ver- Betriebsgesellschaften sauber getrennt werden: Infra- kehrsausschusssitzung eigentlich fordern müssen, dass struktur, Netz, Bahnhöfe und Energieversorgung verblei- der Antrag zurückgezogen wird. Er ist völlig unbegrün- ben dauerhaft zu 100 Prozent beim Staat. det. Die Betriebe wurden schrittweise privatisiert, soweit (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Patrick es die Unternehmensentwicklung einschließlich der Si- (D) Döring [FDP]: Nein! Wahrlich nicht!) cherheit der Arbeitsplätze im Unternehmen und die Ent- wicklung des Wettbewerbsmarktes zulassen. In dieser Nach dem gesamten Geschehen wird Herr Minister Woche wurde eine Leistungs- und Finanzierungsverein- Tiefensee wissen, dass die Koordination und Kommuni- barung vorgelegt, mit der die Steuerung und die Quali- kation besonders wichtiger Fragen im Ministerium zu tätskontrolle bei der Verwendung öffentlicher Mittel ver- verbessern sind. Selbstverständlich stellen sich für uns bessert werden. Das ist seit Jahrzehnten ein wirklicher noch Fragen. Wenn der Bundesfinanzminister erklärt, er Durchbruch, ein großer Fortschritt. Bei dem, was vorge- habe aus den Medien von dem Sonderbonus erfahren, sie legt wurde, handelt es sich um erstklassige Arbeit. Ich seien bei der Festlegung der Privatisierungsregelungen erinnere zudem an die Erfolge der Bundesnetzagentur nicht vorgesehen gewesen und es werde eine solche Re- bei der Begleitung des Wandels von einer Monopolland- gelung nicht geben, wenn es zu einem Börsengang kom- schaft hin zu einer Wettbewerbslandschaft. men werde, dann stellt sich schon die Frage, ob Herr Mehdorn, der Aufsichtsratsvorsitzende Müller oder Herr Das alles sind große Erfolge. Die Große Koalition hat von Randow sich vorsätzlich über diese Privatisierungs- in ihrer Verantwortung ab 2005 großartige Leistungen regelungen, die ihnen bekannt gewesen sein müssen, erbracht. Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Oppo- hinweggesetzt haben. sition, darüber zu diskutieren, ist meines Erachtens alle- mal fruchtbarer, als über eigentlich überflüssige Show- Minister Tiefensee hat dem Staatssekretär von Ran- anträge zu debattieren. dow nicht nur vorgeworfen, ihn Mitte September viel zu spät informiert zu haben, sondern er hat ihm in einem In- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) terview in der Bild-Zeitung auch vorgeworfen, ihn nicht vor der entscheidenden Sitzung des Personalausschusses Vizepräsidentin Petra Pau: am 24. Juni – also spätestens am 23. Juni – in dieser Sa- Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Uwe che befragt und sie nicht mit ihm abgestimmt zu haben. Beckmeyer. Auch nach meiner Einschätzung war die Entlassung des (Beifall bei der SPD) Staatssekretärs deshalb unausweichlich. Aber selbstverständlich ist auch das Verhalten von Uwe Beckmeyer (SPD): Herrn Müller als Hauptvertrauensmann des Alleinaktio- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und närs Bund im Aufsichtsrat ein Stück weit aufklärungsbe- Herren! Es geht um die Amtsführung des Bundesver- dürftig. kehrsministers. Wenn man hört, was die gesamte Oppo- 20024 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Uwe Beckmeyer (A) sition dazu zu sagen hat, dann stellt man fest, dass sie erfolgreiche Politik in Deutschland in diesem Bereich (C) ihre Missbilligung daraus ableitet, dass der Minister ge- vorzuweisen hat. gen Bonuszahlungen bei der DB AG ist. Ich habe Sie im Ausschuss gefragt, ob Sie für Bonuszahlungen bei der (Beifall bei der SPD) DB AG sind. Ich habe festgestellt, dass auch Sie dage- Wir haben mit den Investitionen in die Verkehrswege gen sind. Missbilligen Sie sich nun selbst? und mit dem Beschluss über den Bundesverkehrswege- plan in der vergangenen Legislaturperiode einen Mark- Die Sozialdemokraten messen die Amtsführung eines stein gesetzt. An den Maßnahmen arbeiten wir intensiv Ministers daran, welchen Auftrag er hat, wie seine Ar- weiter. Das gilt für die Wasserstraßen, das gilt für die beit aussieht und welchen Erfolg er mit seiner Arbeit hat. Straßen, und das gilt für die Schiene. Ich glaube, dieses Das sind die Kriterien, an denen man die Amtsführung Ministerium ist auf gutem Wege, alle die von uns erwar- eines Bundesministers messen sollte, und nicht an den teten Maßnahmen umzusetzen. Das bedeutet, dass mit Dingen, die Sie vordergründig aufgezählt haben. Wie mehr Geld und mit einem klaren Konzept auch die Infra- sieht das Ergebnis, die Bilanz der Amtsführung des Bun- struktur in Deutschland noch weiter verbessert wird. Das desministers Wolfgang Tiefensee aus? Wir haben in den Ministerium ist dafür bestens aufgestellt, auch unter der vergangenen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland Führung von Wolfgang Tiefensee. festgestellt, dass die ökonomische Ausrichtung der Ver- kehrspolitik viel stärker in den Vordergrund gerückt ist (Beifall bei der SPD) als in der Zeit zuvor. Wir haben mit dem Masterplan Gü- terverkehr und Logistik Verantwortung für ein Feld Weitere Beispiele. Wir haben uns gerade im Zusam- übernommen – darum müssen wir uns besonders küm- menhang mit der Kontrolle der Deutschen Bahn AG in mern –, in dem 2,6 Millionen Arbeitnehmer in der Bun- den vergangenen Wochen und Monaten damit beschäf- desrepublik Deutschland beschäftigt sind und das der tigt, welche Form die Leistungs- und Finanzierungsver- Transmissionsriemen für die Ökonomie dieser Republik einbarung für die vom Bund jährlich zur Verfügung ge- ist. Hier geht es um die Verantwortung für Hunderttau- stellten 2,5 Milliarden Euro für die Schiene haben soll. sende, wenn nicht gar für Millionen von Arbeitsplätzen Es ist gelungen, dem Hause nach intensiven Beratungen insgesamt. eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung vorzule- gen. Wir werden sie im Ausschuss beraten. Wir haben Minister Tiefensee hat es geschafft, für 2009 einen die Hoffnung und die Zuversicht, dass wir sie mit Wir- Haushalt mit einem absoluten Rekordvolumen durchzu- kung vom 1. Januar 2009 in Kraft setzen. Zum ersten setzen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesre- Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland publik Deutschland werden 11 Milliarden Euro für die nach der Bahnreform von 1994 ist es gelungen, dass das (B) Verkehrsinfrastruktur ausgegeben. Wenn man sich die Parlament, also unser Haus mit seinen Ausschüssen, di- (D) Maßnahmen, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart ha- rekte Kontrollmöglichkeiten über das Geld bekommt, ben, anschaut, stellt man fest, dass in den vergangenen das wir der Bahn geben. Darüber hinaus ist es gelungen, Jahren Punkt für Punkt und kontinuierlich an der Umset- die Bahn zu verpflichten, eine zusätzliche Milliarde zung dieser Maßnahmen gearbeitet worden ist. Ich will Euro und weitere 500 Millionen Euro jährlich für den einige exemplarisch aufzählen. Nehmen wir als Beispiel Unterhalt der Schiene und für Investitionen bereitzustel- die Maut. Hier gab es heftige Kritik, aber es funktioniert. len. Wir haben eine intensive Diskussion über das Mauthar- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) monisierungsprogramm geführt. Inzwischen hat es ein Ergebnis gezeitigt, sodass selbst die Verbände, die es In der Summe gehören – das will ich deutlich sagen – bisher kritisiert haben, einvernehmlich akzeptieren, dass Auftrag, Arbeit und Erfolg zusammen. Herr Bundes- eine Mautharmonisierung mit einem Volumen von minister Wolfgang Tiefensee, ich kann Ihnen für die so- 600 Millionen Euro pro Jahr vereinbart wurde. Dies al- zialdemokratische Fraktion sagen: Wir haben volles les sind Punkte, die der Minister als Erfolge vorweisen Vertrauen in Ihre Amtsführung, und wir haben auch vol- kann. Ich denke, die kann man nicht einfach unbeachtet les Vertrauen in Ihre Arbeits- und Innovationskraft. lassen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Es ist vorhin davon gesprochen worden, dass wir bei

Ich möchte darüber hinaus sagen, dass wir das CO2- der Bahn aufpassen müssen. Natürlich müssen wir bei Gebäudesanierungsprogramm in diesem Ministerium der Bahn aufpassen. Mich ärgert natürlich auch die eine entwickelt haben. Die parlamentarische Unterstützung oder andere öffentliche Aussage, die man hin und wieder der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass dies ein Pro- lesen kann, so die vom 10. November in der Frankfurter gramm ist, auf das wir vertrauen können, das enorme Allgemeinen Zeitung, wonach der Bahnchef um Ölstaa- Impulse in der Bundesrepublik Deutschland gesetzt hat, ten buhlt. So hieß es in der Überschrift. Wenn man den das sich bewährt hat – ein Programm, von dem wir wis- Text liest, dann steigt einem manchmal die Zornesröte sen, dass es fortgesetzt werden muss, und das in einer ins Gesicht. ganz entscheidenden Art und Weise Impulse für die wirt- (Beifall der Abg. Heidi Wright [SPD]) schaftliche Entwicklung des deutschen Mittelstands ge- setzt hat. Dieses Programm hat sich bewährt, und ihm Dort wird geschrieben: Durch den Einstieg von privaten wird inzwischen in anderen Staaten Europas nachgeei- Geldgebern will der Bahnchef vor allem seinen ehrgeizi- fert. Ich denke, das ist ein weiterer Meilenstein, den die gen weltweiten Expansionskurs finanzieren und den Ein- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20025

Uwe Beckmeyer (A) fluss des Staates zurückdrängen. – Im zweiten Satz heißt Enak Ferlemann (CDU/CSU): (C) es: Vor allem Ölstaaten, Russlands Staatsbahn und Chi- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und nas Staatsfonds gelten in Konzernkreisen als erste Wahl Herren! Sehr verehrter Herr Minister Tiefensee, wer von für eine Beteiligung an der Bahn. uns beiden hätte gedacht, dass ich eines Tages der letzte Redner in einer Debatte sein werde, in der es um Ihre So kann es nicht gehen. Man kann nicht den deut- Entlassung gehen soll. Auch ich hätte mir das vor eini- schen Staat als den bösen Staat bezeichnen, aber die au- gen Jahren nicht träumen lassen; aber so kommt es tokratischen Systeme als die guten. Das passt irgendwie manchmal in der Politik. Man kann am Schluss dieser nicht zusammen. Darum Obacht auch an dieser Stelle. Debatte nur sagen: Die Anträge der Opposition sind eine (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Zumutung für die Große Koalition, für dieses Parlament. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) DIE GRÜNEN) Die verehrte Opposition konnte sich noch nicht einmal Wir werden hier genau aufpassen müssen. Wir haben einigen. Die Grünen konnten sich mit der FDP nicht auf im Deutschen Bundestag den Börsengang der Bahn be- einen gemeinsamen Antrag einigen. Deswegen hat die schlossen. Dieser Beschluss gilt auch für die Linksfrak- FDP einen eigenen Antrag eingebracht. Die Grünen ha- tion. Sie können ihn nicht ignorieren. Aber wir werden ben ebenfalls einen eigenen Antrag vorgelegt, der genau aufzupassen haben, unter welchen Kautelen, unter wel- das Gleiche beinhaltet. Deswegen werden wir in weni- chen Umständen, vor allem mit welchem Ergebnis die- gen Minuten wahrscheinlich zweimal über das Gleiche ser durchgesetzt wird. Das ist der entscheidende Punkt, abstimmen. an dem wir uns zu orientieren haben. (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das Thema Börsengang und natürlich auch das NEN]: Sie sind mal wieder nicht auf der Höhe Thema Börsenprospekt sind spezielle Themen. Ich darf der Zeit!) für die SPD-Fraktion die Erwartung ausdrücken – wir alle kennen den Börsenprospekt nicht; es ist auch auf- Da man die Linken nicht mit ins Boot genommen hat, grund der entsprechenden Vorbereitung eine lange ge- haben sie noch eine Aktuelle Stunde beantragt. Bei al- heim gehaltene und uns nicht zugängliche Schrift, die lem geht es um dasselbe. angeblich 600 Seiten umfasst –, Man muss sich vor Augen führen, dass wir am Vor- (Patrick Döring [FDP]: Ich habe daraus abend einer schweren Wirtschaftskrise stehen. Eine der zitiert!) Lösungen, da wieder herauszukommen und nicht noch tiefer hineinzurutschen, als wir es eh erwarten, sind In- (B) dass mit diesem Börsengang nicht die Bahnpolitik, die vestitionen – ich sage sogar: massive Investitionen – in (D) wir, der Deutsche Bundestag, durch Beschlüsse artiku- die Infrastruktur, insbesondere in die Verkehrsinfrastruk- liert und postuliert haben, untergraben wird. tur. Was hat die Große Koalition auf den Weg gebracht? (Patrick Döring [FDP]: Ich kann daraus 1 Milliarde Euro mehr aus dem Bundeshaushalt für zitieren, Herr Kollege!) 2009, 1 Milliarde Euro zusätzlich für den Bundeshaus- halt 2010, eine Erhöhung der Lkw-Maut, die noch ein- Dies ist nicht hinnehmbar. Die Ministerien, die darauf zu mal jedes Jahr 1 Milliarde Euro einspielt. Wir haben also achten haben, werden dies, bitte schön, genau beachten; innerhalb von zwei Jahren sage und schreibe 4 Milliar- denn das entspricht der Grundlage der Verkehrspolitik, den Euro, die wir im Rahmen eines Sonderinfrastruktur- der Bahnpolitik dieses Hauses. Darauf wird der Deut- programms ausgeben können. In dieser Situation ist es sche Bundestag mit Argusaugen schauen. die Stunde der Verkehrspolitiker. Wir können in die Straße, in Schienenwege, Wasserwege, Flughäfen und Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Häfen investieren. Mancher sagt: Endlich! Andere sa- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des gen: Das kommt zu spät. – Aber es kommt, und ich Abg. [CDU/CSU]) denke, es kommt zur rechten Zeit. Sie muten uns hier eine Debatte über Personen zu, Vizepräsidentin Petra Pau: eine Personaldebatte in einer Situation, in der wir zu- Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem Kol- sammenstehen müssen, um dieses Programm voranzu- legen Enak Ferlemann das Wort gebe, möchte ich Sie bringen, um hier in Deutschland Arbeitsplätze zu erhal- darüber informieren, dass auf der Tribüne Parlamen- ten und zu sichern. Meine Fraktion erwartet von Ihnen, tarierinnen und Parlamentarier aus Afghanistan, sehr verehrter Herr Minister, dass wir jetzt zügig über Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan, die Investitionsprojekte entscheiden. Wir erwarten auch Usbekistan und der Mongolei Platz genommen – das muten wir Ihnen wiederum zu –, dass Sie diese haben. – Wir begrüßen Sie recht herzlich. Projekte in enger Abstimmung auch mit meiner Frak- tion, der CDU/CSU, jetzt vorlegen und verankern. (Beifall) (Beifall bei der CDU/CSU) Für die CDU/CSU-Fraktion hat als letzter Redner in dieser Debatte der Kollege Enak Ferlemann das Wort. Es darf nicht sein, dass hier jeder eine Wunschliste vorlegt, sei es von den Bundesländern, sei es von Minis- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tern, sei es von Fraktionsvorsitzenden. Nein, das muss 20026 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Enak Ferlemann (A) eng mit den Verkehrspolitikern abgesprochen werden, a) – Beratung der Beschlussempfehlung und des (C) damit die Projekte zügig und schnell umsetzbar sind. Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Hier braucht es eine enge Kommunikation. Ich gehe da- schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung von aus, dass wir in dieser Liste auch PPP-Projekte fin- Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut- den, weil diese besonders schnell und zügig umzusetzen scher Streitkräfte bei der Unterstützung der sind. gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angesichts des Anlasses sind die Maßnahmen, die die Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Natio- FDP und die Grünen beantragt haben, geradezu lächer- nen und des Artikels 5 des Nordatlantikver- lich. Die Opposition ist heute leider wieder einmal trags sowie der Resolutionen 1368 (2001) substanzielle Kritik schuldig geblieben. Ob der Minister und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Ver- gut oder weniger gut ist, hat die SPD-Fraktion entschie- einten Nationen den; er bleibt im Amt. Das gilt damit auch für die Große Koalition. Letztlich hat der Wähler im September 2009 – Drucksachen 16/10720, 16/10824 – das Wort, weil dann auch über diese Dinge entschieden Berichterstattung: wird. Wir lehnen die Anträge der Opposition heute ab. Abgeordnete Eckart von Klaeden Herzlichen Dank. Gert Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Werner Hoyer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wolfgang Gehrcke neten der SPD) Kerstin Müller (Köln) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Vizepräsidentin Petra Pau: schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Ich schließe die Aussprache. – Drucksache 16/10915 – Die Kollegin Renate Blank von der CDU/CSU-Frak- Berichterstattung: tion hat eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unse- Abgeordnete rer Geschäftsordnung abgegeben. Diese nehmen wir zu Lothar Mark Protokoll.1) Jürgen Koppelin Roland Claus Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, (B) über die beiden gleichlautenden und inhaltsgleichen An- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (D) träge der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10782 richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Paul sache 16/10918 in einer gemeinsamen namentlichen Ab- Schäfer (Köln), Dr. Gregor Gysi, Oskar stimmung abzustimmen. – Ich höre dazu keinen Wider- Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE spruch. Dann verfahren wir so. Keine deutsche Beteiligung an der Operation Wir stimmen jetzt über die Anträge auf den Druck- Enduring Freedom in Afghanistan sachen 16/10782 und 16/10918 mit dem Titel „Missbilli- – Drucksachen 16/6098, 16/7908 – gung der Amtsführung und Entlassung von Bundes- minister Wolfgang Tiefensee“ ab. Die Fraktionen der Berichterstattung: FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen na- Abgeordnete mentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen Detlef Dzembritzki und Schriftführer, die dafür vorgesehenen Plätze einzu- Dr. Werner Hoyer nehmen. – Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer Monika Knoche an ihrem Platz? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Ab- Kerstin Müller (Köln) stimmung. c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin- Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- Fraktion DIE LINKE nen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Keine deutschen Soldaten für eine schnelle Ihnen später bekannt gegeben.2) Eingreiftruppe zur Verfügung stellen – Rechtswidrige Kriegshandlungen beenden Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe die Tagesord- nungspunkte 18 a bis 18 c auf: – Drucksachen 16/7890, 16/9710 – Berichterstattung: 1) Anlage 3 Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) 2) Ergebnis Seite 20028 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20027

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Dr. Werner Hoyer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) Dr. der CDU/CSU) Kerstin Müller (Köln) Ich denke, dass die Herausnahme der KSK-Kompo- Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir fortfah- nente auch im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes ren können, muss ich Sie bitten, hier die notwendige ist. Das Parlament will und kann ja in keiner Weise Vor- Aufmerksamkeit an den Tag zu legen oder, wenn Sie ratsbeschlüsse treffen. Wir Abgeordnete haben nicht nur sich an der folgenden Debatte nicht beteiligen können, das Recht, sondern auch die Pflicht, die Umstände zu den Saal zu verlassen. – Liebe Kolleginnen und Kolle- kennen, unter denen bewaffnete Einsätze unserer Streit- gen auf der – von mir aus gesehen – rechten Seite, bitte kräfte stattfinden sollen. schenken Sie den gleich folgenden Rednerinnen und Die Operationen Enduring Freedom und Active En- Rednern die notwendige Aufmerksamkeit. deavour haben weiterhin zum Ziel, Führungs- und Aus- Ich mache darauf aufmerksam, dass wir über die Be- bildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor dem Antrag der Bundesregierung später namentlich ab- Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unter- stimmen werden. stützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten. Zu dem Antrag der Bundesregierung liegen je ein Das inhaltlich veränderte Mandat, das wir bis Dezember Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der 2009 erteilen und dessen weitere Beratung dann aus- Fraktion Die Linke vor. schließlich in den Händen des neuen Deutschen Bundesta- ges liegen wird, hat auch, wie wir wissen, Konsequenzen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die für den Personalumfang. Die Reduzierung des Kontin- Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen gents von 1 400 auf 800 Soldatinnen und Soldaten ist an- Widerspruch. Dann ist so beschlossen. gesichts des Verzichts auf die Landkomponente mehr als Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege vertretbar. Es kann so auch von einer Unterteilung der Walter Kolbow für die SPD-Fraktion. mandatierten Personalobergrenze abgesehen werden. (Beifall bei der SPD) Ich füge hinzu, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass mit einer Personalobergrenze von 800 Soldatinnen und Walter Kolbow (SPD): Soldaten Deutschland weiterhin in der Lage ist, das er- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! forderliche Fähigkeitsprofil für den Antiterroreinsatz am Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem vorliegenden Horn von Afrika und im Mittelmeerraum abzubilden. Diese Obergrenze zeigt einerseits auf, wie viele Kräfte (B) Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung der Ope- (D) rationen Enduring Freedom und Active Endeavour mit notwendig sind, um hinreichend flexibel sowie ange- großer Mehrheit zustimmen. Wir haben auch diesen passt an die Lage und den Auftrag operieren zu können. Auslandseinsatz gründlich und verantwortungsbewusst Sie demonstriert aber auch andererseits unseren Partnern beraten, auch außerhalb von Routine, und verbinden mit das bündnisgerechte militärische Engagement Deutsch- dieser Zustimmung selbstverständlich unseren Dank an lands bei der Bekämpfung des internationalen Terroris- die Soldatinnen und Soldaten, hier insbesondere der Ma- mus. rine, die in den Operationsgebieten einen verantwor- Ich denke, es ist wichtig, weil in diesem Zusammen- tungsvollen, schweren, aber für uns wichtigen und er- hang auch Rechtsfragen aufgeworfen werden, deutlich folgreichen Dienst absolvieren. zu machen, dass durch den Einsatz von See-/Seeluft- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der streitkräften den Terroristen am Horn von Afrika der Zu- gang zu Rückzugs- und Aktionsräumen und die Nutzung FDP) potenzieller Verbindungswege zu terroristischen Struk- Das deutsche OEF-Mandat wird nur noch den mariti- turen auf der arabischen Halbinsel erschwert werden und men Einsatz im Seeraum am Horn von Afrika umfassen, dass gleichzeitig ein Beitrag zum Schutz dieser für den wobei „nur noch“ eine rhetorische, keine qualitative Ein- Welthandel strategisch so wichtigen Seepassage vor ter- schränkung ist; denn die Aufgabe bleibt schwierig. Das roristischen Angriffen geleistet wird. Die gleiche Wir- bedeutet, dass der mandatierte Einsatzraum den tatsäch- kung erzielen die NATO-See-/Seeluftstreitkräfte im Mit- lichen Erfordernissen angepasst und im Ergebnis erheb- telmeer im Rahmen der Operation Active Endeavour. lich eingegrenzt wird. Das bedeutet weiter, dass das Meine Damen und Herren, es wird teilweise kritisch deutsche militärische Engagement in Afghanistan nun- betrachtet, ob Art. 51 der UN-Charta, der das Recht auf mehr ausschließlich unter dem ISAF-Mandat stattfindet. individuelle und kollektive Selbstverteidigung ein- Für meine Fraktion begrüße ich ausdrücklich, dass dies räumt, eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Opera- die Bundesregierung so entschieden und so auch in den tion Enduring Freedom darstellt. Es wird die Frage ge- Antrag geschrieben hat. stellt, ob dieses Recht noch sieben Jahre nach dem (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auslösenden bewaffneten Angriff, der mit den Anschlä- gen in New York und Washington am 11. September Herr Außenminister, wir danken Ihnen für diese Initia- 2001 begonnen hat, anwendbar ist. tive und auch Ihnen, Herr Bundesverteidigungsminister, dafür, dass Sie in die Konzeption das aufgenommen ha- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben, was politisch wichtig und richtig für die Zukunft ist. NEN]: Ist nicht!) 20028 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Walter Kolbow (A) Bereits im letzten Jahr haben wir hier intensive Diskus- Auffassung, dass diese andauernde Gefahr präventiv und (C) sionen geführt. Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich durch Präsenz eingehegt werden muss, damit sie be- in ihrem Entschließungsantrag auch kurz damit ausein- herrscht werden kann. ander. Das Selbstverteidigungsrecht war und ist bis heute die Es gilt festzuhalten, dass den Anschlägen vom völkerrechtliche Grundlage für diese Operation. Diese 11. September 2001 weitere Terroranschläge in aller Beurteilung der Sach- und Rechtslage wird von der in- Welt bis in die jüngste Zeit folgten. Durch eine intensive ternationalen Gemeinschaft geteilt; in den letzten Reso- Zusammenarbeit unserer Sicherheitsbehörden konnte lutionen des UN-Sicherheitsrats zur ISAF-Mission wird glücklicherweise eine Reihe von weiteren Anschlägen die Operation Enduring Freedom ausdrücklich erwähnt. im Vorfeld verhindert werden. Die Gefahr des internatio- nalen Terrorismus und von terroristischen Anschlägen Ich denke, dies rechtfertigt, den Deutschen Bundestag ist von daher immer noch nicht gebannt. Der internatio- zu einer Zustimmung zu veranlassen, zur Zustimmung nale Terrorismus stellt leider nach wie vor eine andau- zur Fortsetzung des Mandates Operation Enduring Free- ernde Gefahr dar. dom. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich danke Ihnen. Wir teilen die herrschende Rechtsauffassung, dass der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Angriff so lange als andauernd betrachtet werden muss, bis eine nachhaltige Zerschlagung der al-Qaida-Struktu- Vizepräsidentin Petra Pau: ren erreicht wurde, sodass eine Wiederholung der An- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zurück schläge vom 11. September 2001 nach Möglichkeit aus- zu Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatzpunkt 7 und gebe geschlossen werden kann. das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- telte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die NEN]: Abenteuerlich!) Anträge der Fraktion der FDP und Bündnis 90/Die Grü- nen auf den Drucksachen 16/10782 und 16/10918 mit Wichtige Voraussetzung hierfür ist weiterhin, dass der dem Titel „Missbilligung der Amtsführung und Entlas- al-Qaida-Stützpunkte entzogen und Rückzugsgebiete sung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee“ bekannt: verwehrt werden. An der Abstimmung haben 572 Kolleginnen und Kolle- Schauen wir in den Jemen. Ich komme gerade aus Sy- gen teilgenommen. Mit Ja haben 156 gestimmt, mit Nein rien zurück und habe den Platz gesehen, wo haben 414 gestimmt, 2 Kolleginnen oder Kollegen haben 1) 17 Menschen auf tragische Weise durch einen Spreng- sich enthalten. Die Anträge sind damit abgelehnt. (B) (D) stoffanschlag ihr Leben verloren haben, wo also auch ein terroristisches Netzwerk tätig gewesen ist. Ich bin der 1) Anlagen 3 und 4

Endgültiges Ergebnis Horst Friedrich (Bayreuth) Hans-Joachim Otto Dr. Martina Bunge Abgegebene Stimmen: 572; Dr. Edmund Peter Geisen (Frankfurt) Roland Claus davon Dr. Detlef Parr Sevim Dağdelen Hans-Michael Goldmann Dr. Diether Dehm ja: 156 Miriam Gruß Gisela Piltz Dr. Dagmar Enkelmann nein: 414 Joachim Günther (Plauen) Frank Schäffler Klaus Ernst enthalten: 2 Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Wolfgang Gehrcke Marina Schuster Diana Golze Ja Birgit Homburger Dr. Hermann Otto Solms Dr. Gregor Gysi Dr. Werner Hoyer Dr. Rainer Stinner Lutz Heilmann SPD Carl-Ludwig Thiele Hans-Kurt Hill Dr. Heinrich L. Kolb Cornelia Hirsch Renate Gradistanac Florian Toncar Hellmut Königshaus Dr. Daniel Volk Inge Höger Gudrun Kopp Dr. Barbara Höll FDP Christoph Waitz Jürgen Koppelin Dr. Ulla Jelpke Heinz Lanfermann Dr. Claudia Winterstein Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Harald Leibrecht Dr. Volker Wissing Dr. Hakki Keskin Ina Lenke Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Katja Kipping (Münster) Sabine Leutheusser- Monika Knoche Schnarrenberger DIE LINKE Michael Link (Heilbronn) Katrin Kunert Markus Löning Hüseyin-Kenan Aydin Oskar Lafontaine Patrick Döring Dr. Erwin Lotter Dr. Dietmar Bartsch Ulla Lötzer Mechthild Dyckmans Horst Meierhofer Dr. Gesine Lötzsch Jörg van Essen Patrick Meinhardt Dr. Lothar Bisky Ulrich Maurer Ulrike Flach Burkhardt Müller-Sönksen Heidrun Bluhm Dorothée Menzner Paul K. Friedhoff Dirk Niebel Eva Bulling-Schröter Kornelia Möller Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20029

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Kersten Naumann Wolfgang Wieland Dr. (C) Wolfgang Nešković Josef Philip Winkler Ralf Göbel Dr. Dr. Norman Paech Peter Götz (Hamm) Petra Pau fraktionslose Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer Maria Michalk Ute Granold Dr. h. c. Hans Michelbach Henry Nitzsche Elke Reinke Philipp Mißfelder Gert Winkelmeier Paul Schäfer (Köln) Michael Grosse-Brömer Dr. Eva Möllring Volker Schneider Markus Grübel (Saarbrücken) Nein Manfred Grund Stefan Müller (Erlangen) Dr. Herbert Schui Monika Grütters Dr. Gerd Müller Dr. Petra Sitte CDU/CSU Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Bernd Neumann (Bremen) Frank Spieth Guttenberg Dr. Kirsten Tackmann Dr. Georg Nüßlein Dr. Axel Troost Peter Albach Holger Haibach Franz Obermeier Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Dorothee Bär Ursula Heinen Thomas Bareiß Uda Carmen Freia Heller Rita Pawelski BÜNDNIS 90/DIE Ulrich Petzold GRÜNEN Dr. Dr. Kerstin Andreae Günter Baumann Ernst Hinsken Sibylle Pfeiffer Marieluise Beck (Bremen) Ernst-Reinhard Beck Christian Hirte Volker Beck (Köln) (Reutlingen) Robert Hochbaum Cornelia Behm Veronika Bellmann Klaus Hofbauer Dr. Franz-Josef Holzenkamp Daniela Raab Joachim Hörster Ekin Deligöz Clemens Binninger Anette Hübinger Dr. Dr. Thea Dückert Renate Blank Hubert Hüppe Peter Rauen Dr. Uschi Eid Susanne Jaffke-Witt Eckhardt Rehberg Hans Josef Fell Dr. (Potsdam) Kai Gehring Dr. Maria Böhmer Dr. Hans-Heinrich Jordan Katrin Göring-Eckardt (Konstanz) Dr. Britta Haßelmann Wolfgang Börnsen Dr. Franz Romer (Bönstrup) Bartholomäus Kalb Johannes Röring Winfried Hermann Hans-Werner Kammer Kurt J. Rossmanith (B) Peter Hettlich Klaus Brähmig Steffen Kampeter Dr. Norbert Röttgen (D) Priska Hinz (Herborn) Dr. Christian Ruck Ulrike Höfken Dr. Bernhard Kaster (Weiden) Dr. Anton Hofreiter Monika Brüning Siegfried Kauder (Villingen- Peter Rzepka Bärbel Höhn Cajus Caesar Schwenningen) Anita Schäfer (Saalstadt) Thilo Hoppe Volker Kauder Hermann-Josef Scharf Ute Koczy Eckart von Klaeden Dr. Wolfgang Schäuble Sylvia Kotting-Uhl Jürgen Klimke Hartmut Schauerte Fritz Kuhn Julia Klöckner Dr. Renate Künast Thomas Dörflinger Dr. Andreas Scheuer Undine Kurth (Quedlinburg) Marie-Luise Dött Kristina Köhler (Wiesbaden) Karl Schiewerling Markus Kurth Maria Eichhorn Manfred Kolbe Norbert Schindler Monika Lazar Dr. Stephan Eisel Norbert Königshofen Georg Schirmbeck Anna Lührmann Anke Eymer (Lübeck) Dr. Bernd Schmidbauer Nicole Maisch Hartmut Koschyk Christian Schmidt (Fürth) Jerzy Montag Dr. Hans Georg Faust Thomas Kossendey Andreas Schmidt (Mülheim) Kerstin Müller (Köln) Enak Ferlemann (Berlin) Winfried Nachtwei Ingrid Fischbach Dr. Günter Krings Dr. Omid Nouripour Hartwig Fischer (Göttingen) Dr. Martina Krogmann Dr. Ole Schröder Brigitte Pothmer Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Hermann Kues Bernhard Schulte-Drüggelte (Augsburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Karl Lamers (Heidelberg) Land) Andreas G. Lämmel Wilhelm Josef Sebastian Manuel Sarrazin Dr. Dr. Norbert Lammert Kurt Segner Elisabeth Scharfenberg Klaus-Peter Flosbach Marion Seib Irmingard Schewe-Gerigk Herbert Frankenhauser Bernd Siebert Dr. Gerhard Schick Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Max Lehmer Grietje Staffelt (Hof) Paul Lehrieder Jens Spahn Rainder Steenblock Erich G. Fritz Silke Stokar von Neuforn Jochen-Konrad Fromme Eduard Lintner Christian Freiherr von Stetten Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Michael Fuchs Patricia Lips Gero Storjohann Kuhn Hans-Joachim Fuchtel Dr. Michael Luther Andreas Storm Hans-Christian Ströbele Dr. Jürgen Gehb Thomas Mahlberg Dr. Harald Terpe Stephan Mayer (Altötting) Matthäus Strebl Jürgen Trittin Wolfgang Meckelburg (Heilbronn) 20030 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Lena Strothmann Dr. Herta Däubler-Gmelin Karin Kortmann Heinz Schmitt (Landau) (C) Michael Stübgen Rolf Kramer (Erfurt) Hans Peter Thul Martin Dörmann Antje Tillmann Dr. Carl-Christian Dressel Ernst Kranz Reinhard Schultz Dr. Hans-Peter Uhl Elvira Drobinski-Weiß Volker Kröning (Everswinkel) Arnold Vaatz Garrelt Duin Angelika Krüger-Leißner Swen Schulz (Spandau) Volkm ar U we Voge l Detlef Dzembritzki Dr. Hans-Ulrich Krüger Andrea Astrid Voßhoff Helga Kühn-Mengel Dr. Angelica Schwall-Düren Gerhard Wächter Siegmund Ehrmann Ute Kumpf Dr. Martin Schwanholz Dr. Uwe Küster Petra Ernstberger Christine Lambrecht Rita Schwarzelühr-Sutter Elke Ferner Christian Lange (Backnang) Wolfgang Spanier Peter Weiß (Emmendingen) Waltraud Lehn Dr. Margrit Spielmann Gerald Weiß (Groß-Gerau) Rainer Fornahl Helga Lopez Jörg-Otto Spiller Gabriele Frechen Gabriele Lösekrug-Möller Dr. Ditmar Staffelt Karl-Georg Wellmann Dirk Manzewski Dieter Steinecke Anette Widmann-Mauz Peter Friedrich Lothar Mark Andreas Steppuhn Klaus-Peter Willsch Caren Marks Willy Wimmer (Neuss) Iris Gleicke Katja Mast Rolf Stöckel Elisabeth Winkelmeier- Günter Gloser Christoph Strässer Becker Angelika Graf (Rosenheim) Markus Meckel Dr. Peter Struck Dagmar Wöhrl Dieter Grasedieck Petra Merkel (Berlin) Joachim Stünker Wolfgang Zöller Monika Griefahn Ulrike Merten Dr. Rainer Tabillion Willi Zylajew Dr. Jörg Tauss Gabriele Groneberg Ursula Mogg Jella Teuchner SPD Achim Großmann Marko Mühlstein Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dr. Lale Akgün Wolfgang Grotthaus Detlef Müller (Chemnitz) Jörn Thießen Wolfgang Gunkel Michael Müller (Düsseldorf) Franz Thönnes Gerd Andres Hans-Joachim Hacker Franz Müntefering Rüdiger Veit Dr. Rolf Mützenich Simone Violka Ingrid Arndt-Brauer Klaus Hagemann Andrea Nahles Jörg Vogelsänger Alfred Hartenbach Dr. Marlies Volkmer Ernst Bahr (Neuruppin) Michael Hartmann Holger Ortel Hedi Wegener (Wackernheim) Heinz Paula Andreas Weigel Petra Weis (B) Dr. Hans-Peter Bartels Johannes Pflug (D) Dr. Reinhold Hemker Joachim Poß Gunter Weißgerber Sören Bartol Rolf Hempelmann Christoph Pries Gert Weisskirchen Sabine Bätzing Dr. Barbara Hendricks Dr. Wilhelm Priesmeier (Wiesloch) Gustav Herzog Dr. Uwe Beckmeyer Petra Heß Dr. Sascha Raabe Lydia Westrich Gabriele Hiller-Ohm Dr. Dr. Stephan Hilsberg Maik Reichel Andrea Wicklein (Essen) Gerold Reichenbach Heidemarie Wieczorek-Zeul Gerd Höfer Dr. Carola Reimann Dr. Dieter Wiefelspütz Lothar Binding (Heidelberg) (Wismar) Christel Riemann- Engelbert Wistuba Frank Hofmann (Volkach) Hanewinckel Waltraud Wolff Eike Hovermann Sönke Rix (Wolmirstedt) Klaas Hübner René Röspel Heidi Wright Gerd Bollmann Christel Humme Dr. Uta Zapf Dr. Brunhilde Irber Karin Roth (Esslingen) Manfred Zöllmer Klaus Brandner Johannes Jung (Karlsruhe) Michael Roth (Heringen) Johannes Kahrs Marlene Rupprecht Enthalten (Hildesheim) Ulrich Kasparick (Tuchenbach) Dr. h. c. Susanne Kastner Anton Schaaf CDU/CSU Marco Bülow Axel Schäfer (Bochum) Carsten Müller Bernd Scheelen (Braunschweig) Hans-Ulrich Klose Dr. Dr. Michael Bürsch Astrid Klug FDP Christian Carstensen Dr. Bärbel Kofler (Aachen) Marion Caspers-Merk Walter Kolbow Silvia Schmidt (Eisleben) Heinz-Peter Haustein Dr. Peter Danckert Fritz Rudolf Körper Dr. Frank Schmidt Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20031

Vizepräsidentin Petra Pau (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten im Hinblick auf die Bereitstellung von Bundeswehrsol- (C) der CDU/CSU) daten haben. Der Bundesverteidigungsminister beant- wortet nach meiner Auffassung ständig Fragen, die kei- Wir kehren nun zurück zu Tagesordnungspunkt 18. ner stellt – zumindest jetzt nicht und nicht so simpel. Das Wort hat der Kollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion. Ich fürchte, die Bundesregierung ist nicht wirklich vorbereitet auf die großen Veränderungen, die sich in (Beifall bei der FDP) Amerika und von Amerika ausgehend jetzt vollziehen werden. Die Zeitenwende, die wir in Amerika beobach- Dr. Werner Hoyer (FDP): ten, und die Paradigmenwechsel, die sich daraus für die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! amerikanische Außenpolitik und damit für die Weltpoli- Die FDP-Bundestagsfraktion wird dem Antrag der Bun- tik abzeichnen, sind in vielen Köpfen in Berlin noch desregierung zustimmen. Meine Kollegin Birgit nicht angekommen. Diese werden in ministerialer Rou- Homburger und mein Kollege Rainer Stinner haben dies tine sträflich unterschätzt. in der vergangenen Woche ausführlich begründet. Ich will das jetzt nicht wiederholen, sondern mich auf einige Für die Regierung Obama wird der Kampf gegen den wenige Punkte konzentrieren. internationalen Terrorismus und der Aufbau Afghanis- tans natürlich eine ganz große Bedeutung haben – übri- Sie haben auch unsere Bedenken vorgetragen; Herr gens auch für uns. Aber klug, wie Senator Obama, Sena- Kollege Kolbow ist darauf eingegangen. Auch wir sind tor Biden und ihre exzellenten Berater nun einmal sind, der Auffassung, dass die völkerrechtlichen und verfas- werden sie sehr sorgfältig analysieren, bevor sie neu jus- sungsrechtlichen Grundlagen ausreichend sind; aber tieren. Sie werden verhindern wollen, dass nach dem – für man wird sie nicht unendlich dehnen können. Man kann die USA übrigens auch ökonomischen – Desaster durch sich nicht ewig auf einen Ausnahmetatbestand berufen. den Irakkrieg in Afghanistan eine ähnliche Mission Im- Deshalb wird man an dieser Baustelle weiterarbeiten possible definiert wird, die sie von ihrer Hauptaufgabe, müssen. Ein Ausnahmetatbestand ist es nämlich, wenn die sie mit ihrer neuen Administration werden bewältigen wir uns auf Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen müssen, ablenkt und die sie politisch wie ökonomisch berufen. Es würde auch keinen Sinn machen, eine Über- überlastet. Amerika muss nämlich in den nächsten Jahren dehnung vorzunehmen, weil man damit das kollektive und Jahrzehnten gigantische Herausforderungen im In- Selbstverteidigungsrecht im Sinne der Charta der Ver- nern meistern. einten Nationen auf Dauer entwerten würde. Sie werden Afghanistan einordnen in den Gesamt- Wir sehen zudem die Schwierigkeit, dass es bislang kontext ihrer Neudefinition amerikanischer Außenpoli- (B) nicht gelungen ist, international eine verbindliche Defi- tik. Deshalb besteht für Deutschland und Europa jetzt (D) nition des Begriffs Terrorismus herbeizuführen. Das öff- die einmalige Chance, gemeinsam mit unserem amerika- net dem Missbrauch Tür und Tor. Es ist ein ziemlich un- nischen Partner die Ziele präzise zu definieren, die wir erträglicher Zustand, dass sich jedes Regime dieser Welt bei der Terrorismusbekämpfung und konkret beim Auf- auf das Argument der Terrorismusbekämpfung stützen bau Afghanistans haben. Daraus sind gegebenenfalls kann, nur um damit schlicht und ergreifend Rechtsver- veränderte Zielerreichungsstrategien abzuleiten. Es ist stöße kaschieren zu wollen. nach meiner Einschätzung ein gutes Zeichen, dass Ame- (Beifall bei der FDP) rika wegkommt von der Definition unrealistischer Ziele. Mein Kollege Stinner hat in der vergangenen Woche (Beifall bei der FDP) ausführlich dargestellt, dass wir Abgrenzungsprobleme Es ist zu begrüßen, dass sich die amerikanische Re- haben. Das betrifft insbesondere die bizarre Debatte über gierung keine Kontaktsperre auferlegen will, wenn aus die Rechtsgrundlagen der Pirateriebekämpfung. Wir dem Kreise der Taliban versöhnungsbereite Persönlich- müssen aufpassen, dass wir uns als Deutsche nicht vor keiten zum Dialog bereit sein sollten. Wir sollten sehr der Welt bis auf die Knochen blamieren, zum Beispiel begrüßen, dass die USA offenbar in den Dialog mit den dann, wenn wir nicht handlungsfähig sind, wenn es da- Nachbarn Afghanistans eintreten wollen; denn wir wer- rum geht, Lebensmitteltransporte der Vereinten Natio- den dieses Problem nur mithilfe regionaler Zusammen- nen in Länder der größten Not von uns aus nicht gegen arbeit in den Griff bekommen. Die Chance, China und Piraten schützen zu können. Russland, Indien und Pakistan und nicht zuletzt den Iran Wir stimmen übrigens auch deshalb zu, weil wir in in eine Problemlösung einzubeziehen, dürfte für die Re- dieser Zeit nicht ein falsches Signal aussenden wollen und gierung Obama größer sein als für die Regierungen da- weil dieses OEF-Mandat auch ein Übergangsmandat ist. vor. Das ist sehr ermutigend. Wir sind davon überzeugt, dass der Amtswechsel im In der NATO haben wir das präzise Setzen von Zielen Weißen Haus die Chance einer Bestandsaufnahme und einer kritischen Revision unserer gemeinsamen Anstren- und das Erarbeiten von Zielerreichungsstrategien sträf- lich vernachlässigt. Es wird zwar wie zuletzt auf der gungen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus ATA-Tagung diese Woche in Berlin gebetsmühlenhaft und beim Aufbau Afghanistans bringen wird. Diese Chance sollten wir entschlossen ergreifen. wiederholt, dass wir diese Ziele nicht allein militärisch erreichen können. Aber wenn es dann um die Verzah- Wir sollten nicht kleinmütig die Debatte darauf redu- nung der militärischen und der nichtmilitärischen An- zieren, welche Erwartungen die amerikanischen Freunde strengungen in der NATO geht, kommt nichts. Der 20032 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dr. Werner Hoyer (A) NATO-Generalsekretär wiederum wird nicht müde, zu – Ob Sie das als Drohung empfinden oder nicht, bleibt (C) betonen, dass die NATO keine Entwicklungsagentur ist. Ihnen überlassen. Ich hoffe jedenfalls, dass es Sie unter- Das behauptet auch keiner. Aber die Koordination unse- halten wird. rer militärischen und nichtmilitärischen Bemühungen ist Ich möchte zunächst die Gelegenheit nutzen, noch et- überfällig. was zur Rechtsfrage zu sagen, weil ja die Rechtsgrund- Amerika besinnt sich auf seine besten Tugenden. Es lage der Operation Enduring Freedom immer wieder di- knüpft bewusst an die Traditionen und Werte an, die uns rekt oder indirekt infrage gestellt wird und weil nach mit Amerika verbunden haben und die für uns in meinem Eindruck bei manchem die Vorstellung vor- Deutschland nach der Nazibarbarei den Leuchtturm der herrscht, dass die Legitimation aus der Charta der Ver- Freiheit, nämlich Amerika, so attraktiv gemacht haben: einten Nationen dann am höchsten ist, wenn es eine Re- Rechtsstaat, Toleranz, Demokratie und Würde des Men- solution des Sicherheitsrates gibt. Diese Rechtsansicht schen, Rückbesinnung auf die Aufklärung, Versöhnung ist falsch; denn die höchste Legitimation ergibt sich un- von Glauben und Vernunft, Respekt vor den Ergebnissen mittelbar aus der UN-Charta, nämlich aus Art. 51, in der naturwissenschaftlichen Forschung. Das sind doch dem es um das Recht auf Selbstverteidigung geht. Dass genau die Kernelemente, die das zusammenhalten, was dieses Recht zur kollektiven Selbstverteidigung im Hin- wir gemeinhin den Westen nennen – nicht eine geografi- blick auf OEF auch vom Sicherheitsrat anerkannt wird, sche Definition, sondern ein geistiges Fundament. ist in verschiedenen Resolutionen deutlich geworden. Dies sind zum einen aus dem Jahr 2001 die Resolution Die Terrorangriffe vom 11. September, die zu OEF 1368 vom 12. September und die Resolution 1373. Zum geführt haben, waren doch Angriffe auf dieses Funda- anderen hat der UN-Sicherheitsrat selbst in diesem Jahr ment, auf diese freiheitliche westliche Lebensform. Be- noch einmal ausdrücklich auf das kollektive Recht zur klagenswerterweise haben die Glaubwürdigkeit und die Selbstverteidigung im Rahmen der Operation Enduring Attraktivität dieses Wertefundamentes in der Folge des Freedom hingewiesen, nämlich in der Resolution 1833. 11. September schwer gelitten. Man denke an die Bilder von Abu Ghureib und Guantánamo Bay, die heute das Es ist eine paradoxe Situation: Die Arbeit unserer Si- Image Amerikas in der Welt vielleicht mehr prägen als cherheitsorgane hat dazu geführt – man muss hinzufü- die Freiheitsstatue. gen, dass uns auch das Glück hold gewesen ist –, dass wir in Deutschland erfreulicherweise keine großen Ter- Die neue amerikanische Regierung will offensichtlich roranschläge haben erleiden müssen. Das führt bei dem die Glaubwürdigkeit und Attraktivität der Fundamente einen oder anderen dazu, dass er glaubt, die Gefahr des Westens wiederherstellen. Daran müssen sich die durch den internationalen Terrorismus sei für uns nicht kritische Bestandsaufnahme und die kritische Revision mehr gegenwärtig. Das wiederum führt zu dem Trug- (B) (D) unserer Anstrengungen im Zusammenhang mit Afgha- schluss der Infragestellung der völkerrechtlichen Grund- nistan und der Bekämpfung des Terrorismus messen las- lagen. sen. Präsident Obama wird – da bin ich ganz sicher – seine Hand ausstrecken. Wir sollten sie beherzt ergrei- Aber wenn man sich einmal die Zahlen allein dieses fen. und des letzten Jahres vergegenwärtigt, dann muss man bedauerlicherweise feststellen, dass die Gefahr des inter- Vielen Dank. nationalen Terrorismus nichts von ihrer Intensität verlo- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der ren hat. Die Zahl der weltweiten Terroranschläge blieb SPD) 2007 mit 15 000 auf dem Niveau des Vorjahres 2006. Die Zahl der Todesopfer stieg noch einmal um 10 Pro- Vizepräsidentin Petra Pau: zent an. Wenn man Entführte und Verwundete hinzu- zählt, dann hat es allein im Jahr 2007 70 000 Opfer Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege durch den internationalen Terrorismus gegeben. Eckart von Klaeden das Wort. Es ist uns nach den Anschlägen in Schottland im Juni (Beifall bei der CDU/CSU) 2007 erfreulicherweise gelungen, die Zahl der An- schläge in Europa zu vermindern. Es ist auch gelungen, Eckart von Klaeden (CDU/CSU): dass Afghanistan heute keine Brutstätte und kein Rück- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle- zugsraum mehr für den internationalen Terrorismus ist. gen! Kollege Werner Hoyer hat die Debatte um die Ver- Aber wir wissen, dass sich die Gefahr verlagert hat und längerung des OEF-Mandates genutzt, grundlegend zu dass heute insbesondere die FATAs, die Grenzregion den Fragen der transatlantischen Beziehungen Stellung zwischen Pakistan und Afghanistan, dieser Rückzugs- zu nehmen. Ich möchte an das anknüpfen, was Kollege raum und diese Brutstätte sind. Kolbow ausgeführt hat, an Fragen des Mandates, will aber schon jetzt auf meine Rede in der Haushaltsdebatte Wenn wir heute über die Region des Mittelmeers und verweisen, des Horns von Afrika sprechen, so wenden wir uns einer anderen Weltregion zu, die nicht in der gleichen Intensi- (Walter Kolbow [SPD]: Sehr gut!) tät – aber fast genauso – ein solcher Rückzugsraum für in der ich die Aspekte aufgreifen werde, die Sie, Herr den internationalen Terrorismus ist, nämlich dem Opera- Kollege Hoyer, hier angesprochen haben. tionsgebiet der Operation Enduring Freedom. Aufgabe der Bundeswehr, der Marine, ist es, dort mit unseren (Zuruf: Ist das eine Drohung?) Partnern den Terrorismus und seine Verbindungslinien, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20033

Eckart von Klaeden (A) seine Kommunikations- und Nachschubwege an der Sicherheit unserer eigenen Bürger an der Wurzel zu be- (C) Quelle zu bekämpfen. An dieser Operation beteiligen kämpfen. Dazu leistet die Operation Enduring Freedom sich nicht nur westliche Länder; dazu gehören vielmehr einen unverzichtbaren Beitrag. auch Schiffe aus Australien und sogar aus Pakistan. Wer unterstellt, das sei eine Operation des Westens gegen den (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Mittleren Osten oder gar eine Operation der westlichen neten der SPD) gegen die islamische Welt, der ist schief gewickelt. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nahezu alle Staaten dieser Region haben ein großes Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Knoche für Terrorproblem. Laut der Datenbank des amerikanischen die Fraktion Die Linke. National Counterterrorism Center gab es 2007 in diesen Ländern nicht weniger als 512 terroristische Angriffe, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert bei denen 1 369 Menschen getötet, 1 897 verwundet und Winkelmeier [fraktionslos]) 151 entführt wurden. Zentrum des Terrorismus in dieser Region ist Somalia, ein Land, das de facto aufgehört hat, Monika Knoche (DIE LINKE): als Staat zu existieren, und seit langem das ist, was man Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und einen Failed State nennt. Damen! Die USA haben einen neuen Präsidenten. Es ist richtig, dass wir gemeinsam mit unseren Part- Barack Obama steht für eine große Hoffnung. Endlich nern in der Region alles tun müssen, um die Lebenssitua- haben die Vereinigten Staaten die Chance, einen Weg tion der Somalierinnen und Somalier zu verbessern, ins- aus dem Bush-Desaster zu finden. Vor allem den Afro- besondere durch den Aufbau staatlicher Strukturen. Das amerikanern und den Hispanos ist dafür zu danken, dass wird aber nicht gelingen, wenn man den Terror in der sie das demokratische System genutzt haben, um Region nicht bekämpft und nicht versucht, ihn einzu- Dummheit, Dreistigkeit und Demokratievergessenheit in dämmen. die Vergangenheit zu schicken. Wir gratulieren dem amerikanischen Volk. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Obama verspricht, das dunkelste Kapitel republikani- scher Rechtsbeugung zu beenden; denn er verspricht, Von den genannten 512 Terroranschlägen in der Re- das Gefangenenlager Guantánamo aufzulösen. Hatte die gion wurden 413 in Somalia und 45 im Nachbarland Ke- Bundesregierung bislang gegenüber Bush nicht den Mut, nia verübt, das seit dem Anschlag von al-Qaida auf die dieses Krebsgeschwür des weltweiten Antiterrorkampfes amerikanische Botschaft in Nairobi im August 1998 nur zu skandalisieren, muss Obama wenigstens jetzt bei sei- selten mit Terrorismus in Verbindung gebracht worden (B) nem Weg zurück zu rechtsstaatlichen Standards unter- (D) ist. Vor zwei Wochen drohte der Führer der somalischen stützt werden. Deshalb sagen wir Linke: Deutschland Al-Shabaab-Bewegung Kenia mit einem Dschihad, falls muss bereit sein, Häftlinge aufzunehmen. Aus China, Li- das Land nicht damit aufhöre, die Streitkräfte der soma- byen, Russland, Tunesien und Usbekistan kommen die lischen Übergangsregierung auszubilden. Das ist also Gefangenen. In 15 bis 20 Ländern wird nach Rumsfelds eine ähnliche Konfliktlage wie die, die wir in Afghanis- Befehl Jagd auf und die Tötung von vermeintlichen Ter- tan beobachten können, wo radikale Taliban versuchen, roristen betrieben. Damit muss jetzt Schluss sein. den Aufbau staatlicher Strukturen in Afghanistan zu ver- hindern. Ähnliche Drohungen wurden gegen Uganda (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert und gegen westliche Einrichtungen in der Region ausge- Winkelmeier [fraktionslos]) sprochen. Kenia und Uganda leisten einen konstruktiven Es liegt im deutschen Interesse, den Antiterrorkampf in Beitrag in dem mühseligen Prozess, die Lage in Somalia all seinen rechtswidrigen Ausmaßen zu beenden. Des- zu stabilisieren. halb fordern wir die Aufnahme von US-Gefangenen. Wenn wir in den Sudan schauen – wir haben unter an- Doch, meine Herren und Damen, ohne die völker- deren Vorzeichen häufig über die Lage in diesem Land rechtswidrige OEF-Mission – Herr von Klaeden, Sie gesprochen –, müssen wir feststellen, dass dort allein wissen, dass wir Ihre völkerrechtliche Interpretation da 2007 68 Terroranschläge verübt worden sind. nicht teilen; wir gehen von einer völkerrechtswidrigen Die Anrainerstaaten des Einsatzes der Marine, Äthio- OEF-Mission aus – wären diese Übergriffe, von denen pien, Eritrea, Jemen und Saudi-Arabien, sind ebenfalls ich sprach, so gar nicht geschehen. Wer zu OEF Ja ge- Opfer terroristischer Anschläge. Insbesondere das See- sagt hat, nahm Menschenrechtsverletzungen billigend in gebiet zwischen dem Jemen und Somalia ist von größter Kauf. Wer weiter Ja zu OEF sagt, nimmt weiterhin in Bedeutung für die Unterbindung der Kommunikation Kauf, dass das Völkerrecht gebrochen wird. zwischen den auf der arabischen Halbinsel und den auf (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert dem afrikanischen Kontinent operierenden Terroristen. Winkelmeier [fraktionslos]) Allein ein Blick auf die Karte – das ist mein letzter Die OEF hat nämlich nie ein Mandat der Vereinten Na- Satz, Frau Präsidentin – und die Gefahren, die unter an- tionen bekommen. derem in Algerien entstehen und auch uns drohen kön- nen, zeigen, dass die Gefahr des internationalen Terroris- Im Namen von OEF werden in Afghanistan und in mus nach wie vor gegenwärtig ist und es nicht nur Pakistan Dörfer bombardiert. Mit Drohnen aus dem unsere Aufgabe, sondern auch unsere Pflicht ist, ihn zur ISAF-Gebiet werden Frauen und Kinder getötet. Dieser 20034 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Monika Knoche (A) Krieg ist schmutzig, und dieser Krieg ist gescheitert. Pa- UN-Charta herangezogen werden. Man kann auch sa- (C) kistans Premier nennt ihn kontraproduktiv. Präsident gen: Spätestens seit der Regierungsübernahme durch Karzai sagt – ich zitiere –, er stärke Antiamerikanismus Karzai ist er hinfällig geworden. Überzeugen Sie, meine und führe dazu, dass einheimische Stammesmilizen mit Damen und Herren von der Regierung, den zukünftigen Taliban und al-Qaida kollaborieren. Darüber hinaus gibt Präsidenten Obama davon, dass die transatlantischen es keine staatliche Souveränität in Afghanistan. Wer also Beziehungen gedeihen, wenn der Krieg gegen Terror be- Staats- und Zivilaufbau stärken will, muss diesen Anti- endet wird. terrorkampf beenden. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Die Ausweitung von OEF auf Pakistan unterminiert Winkelmeier [fraktionslos]) die Grundlagen für einen Dialog mit der dortigen Regie- rung. Herr Außenminister Steinmeier will einen Dialog Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: führen. Wenn er Erfolg haben will, muss er sich gegen Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller für OEF aussprechen. Ein Verbleib Deutschlands in der die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. OEF macht seine diplomatische Mission politisch un- glaubwürdig. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert NEN): Winkelmeier [fraktionslos]) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn die Debatte scheinbar routinemäßig abläuft: Natürlich weiß ich, dass die USA nicht wollen, dass Wenn man sich die heutige Debatte und auch die Debat- das deutsche KSK an diesem Teil des Krieges teilhat. Sie ten der letzten Male genau anschaut, dann muss man wollen das lieber selber erledigen. Der deutschen Bevöl- feststellen, dass es im Gegensatz zu ISAF, dem Unter- kerung aber zu sagen – die Bundesregierung tut dies –, stützungsmandat in Afghanistan, für OEF eigentlich dass man das KSK aus der OEF abziehe, macht diese kaum noch eine Akzeptanz im Deutschen Bundestag Regierung weder zu Friedensstiftern noch entlässt es sie gibt. Zumindest kann festgestellt werden, dass diese Ak- aus der politischen Verantwortung für OEF. Darüber hi- zeptanz ziemlich bröckelt. naus weiß mittlerweile alle Welt, dass erstens das KSK und die Quick Reaction Force längst in Afghanistan mit Herr Kolbow, Ihre Argumentation hier und heute war, dass OEF im Grunde genommen eine Ermächtigungs- Kampfauftrag im Einsatz sind und dass zweitens die ge- grundlage ist – auf ewig und überall in der Welt. samte maritime Seite der OEF weitergeführt wird. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das hat er Wir Linke sagen auch zum maritimen Antiterror- doch gar nicht gesagt! – Jürgen Trittin (B) kampf entschieden Nein, nicht nur weil derzeit versucht [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], zur CDU/ (D) wird, die Pirateriebekämpfung mit dem Antiterrorkampf CSU gewandt: Doch, das hat er gesagt! – Ge- zu verbinden, sondern auch weil im Rahmen der ent- genruf des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/ grenzten Selbstmandatierung, also im Zuge einer militä- CSU]: Wo Staaten von Terror betroffen sind!) rischen Selbstermächtigung, schon heute de facto die Si- cherung von Handelswegen für Öl und Gas betrieben – Sie haben sogar von Uganda, Eritrea und Somalia ge- wird. Das Horn von Afrika und die Straße von Hormus sprochen. Sie meinen doch nicht wirklich, dass OEF eine sind die Lebensadern dieser begehrten fossilen Ressour- Ermächtigungsgrundlage ist, auf ewig in all diesen Staa- cen. Hier wird bereits Militär für die Energiesicherung ten einzugreifen. Genau das ist das Problem von OEF. – eingesetzt. Dies hat keine zeitliche Begrenzung. Mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Selbstverteidigung hat das nichts mehr zu tun. Auch das sowie bei Abgeordneten der LINKEN) lehnen wir ab. Das, Herr Kolbow, wird die Akzeptanz hier im Deut- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert schen Bundestag nicht stärken. Winkelmeier [fraktionslos]) Herr Hoyer hat hier für seine Fraktion und auch im Wir Linke kennen die politischen Koordinaten. Es ist Ausschuss sehr deutlich die Kritikpunkte vorgetragen. zweifellos richtig, dass sich Deutschland mit einem ge- Ich habe Sie so verstanden, dass auch Sie eine sehr kon- nerellen Ausstieg aus OEF in eine Konfliktstellung zum troverse Debatte darüber hatten. Sie haben angekündigt, transatlantischen Bündnis und den USA begeben würde. dass es auch wegen dieser schwierigen Grundlage mög- Zurück zum Völkerrecht ist denn auch eine außenpoliti- licherweise das letzte Mal ist, dass die FDP zustimmt. sche Orientierung, die wir positiv mit Barack Obama Die Linke und wir werden nicht zustimmen. verbinden. Das würde auch ihm neue Wege für eine Poli- tik des Dialogs und der Kooperation statt der Konfronta- Bei der SPD muss man ehrlich sagen: Wenn es dem Außenminister nicht gelungen wäre, den Abzug der so- tion öffnen. Es würde deutlich dokumentieren, dass er zusagen fiktiven KSK-Soldaten und die Reduzierung der eine Zäsur zur miserabelsten Politik will, die die Falken Marineeinheiten am Horn von Afrika durchzusetzen, in den USA jemals gemacht haben. dann hätten Sie hier kaum noch eine Zustimmung. Sogar Die Bilanz von sieben Jahren Krieg gegen Terror ist in der CDU gibt es Enthaltungen und Neinstimmen. vernichtend. Der Anschlag auf das World Trade Center (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die hat es am 11. September 2001 war ausschlaggebend für die mi- immer gegeben!) litärische Operation. Heute kann er nicht mehr für eine Begründung der Selbstverteidigung nach Art. 51 der Das muss man hier einmal ganz klar feststellen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20035

Kerstin Müller (Köln) (A) Deshalb meine ich: Dieser Einsatz ist im Grunde ge- Der Antiterrorkrieg der Bush-Regierung ist nicht nur (C) nommen heute nur noch reine Symbolpolitik. Er ist ein im Irak, sondern auch in Afghanistan gescheitert. Unsere verbliebener Solidaritätsbeweis gegenüber den USA. Argumente haben wir an verschiedenen Stellen darge- Aber – das will ich hier sehr deutlich erklären, Herr legt. Das haben übrigens nicht nur wir getan, sondern Nachtwei hat dies das letzte Mal gesagt – Soldaten aus auch Kollegen aus der SPD und andere Mitglieder dieses reiner Symbolpolitik in einen höchst fragwürdigen Ein- Hauses. Wir müssen genau hinschauen, was im Rahmen satz zu schicken, ist unverantwortlich. von OEF eigentlich getan wird. Man muss konstatieren, dass die Art und Weise der Kriegsführung im Süden und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Südosten die paschtunische Bevölkerung gegen die sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des internationale Gemeinschaft aufgebracht hat. Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Ein Grund dafür ist, dass OEF überproportional viele Vor dem Hintergrund der US-Wahlen wird das Ganze zivile Opfer fordert. Ich verweise auf die Zahlen von vollends absurd. Wenn irgendetwas für den gescheiterten UNAMA, der UN-Organisation vor Ort, die davon Antiterrorkrieg – die Bush-Regierung hat ja von Krieg spricht, dass die Zahl ziviler Opfer gegenüber 2007 um gesprochen – steht, dann ist das neben dem Irakkrieg der 40 Prozent zugenommen hat. 90 Prozent der zivilen Op- OEF-Einsatz. Wir können nicht einfach business as fer sind im Süden des Landes zu beklagen, und die usual machen und das OEF-Mandat verlängern. Wenn es Hälfte geht auf das Konto von OEF, also auf das Konto stimmt, dass die Wahl von Obama auch außenpolitisch einer Kriegsführung, die oft – zu diesem Ergebnis kam eine Zäsur ist, dann muss es jetzt darum gehen, diesen Human Rights Watch in einer sehr guten Analyse – auf Wechsel in den USA hin zu Obama für einen Neuanfang ungeplante Luftangriffe zurückzuführen ist. Das schürt in der internationalen Politik und – so möchte ich es so- den Hass, und das hat den Terrorismus dort gestärkt, statt gar sagen – für eine Neubegründung des transatlanti- ihn zu schwächen. schen Verhältnisses zu nutzen. Jetzt ist auch der Zeitpunkt, ganz ehrlich und ganz of- Noch etwas: Im Rahmen von OEF werden immer fen gerade vor dem Hintergrund der Ankündigungen, die wieder Tötungen auf Verdacht vorgenommen. Das ist Obama und seine Administration gemacht haben, ge- eindeutig völkerrechtswidrig. Das ist etwas, was man an- meinsam darüber zu sprechen, wie denn eine Erfolgs- sprechen und kritisieren muss. strategie in Afghanistan und eine Erfolgsstrategie im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kampf gegen den internationalen Terrorismus künftig und bei der LINKEN sowie des Abg. Gert aussehen muss. Dafür ist heute der Zeitpunkt gekom- Winkelmeier [fraktionslos]) men. (B) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen – im (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ISAF-Headquarter ist davon immer wieder die Rede –: Zur Bemerkung von Herrn Hoyer, dass in den Medien OEF kommt ISAF in die Quere, weil man unabgestimmt schon jetzt Fragen beantwortet werden, die noch gar nach eigenen Einsatzregeln vorgeht. Summa summarum nicht gestellt wurden, will ich sagen: Erst einmal sollten muss man sagen: Dieser Einsatz ist kontraproduktiv. Er wir genau hinschauen, was von der künftigen Adminis- gefährdet und untergräbt die Entwicklung einer Erfolgs- tration bzw. von den außenpolitischen Beratern Obamas strategie für ISAF in Afghanistan insgesamt. bisher geschrieben und gesagt wurde. Er selbst hat ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sagt: Es ist die Zeit für eine neue Ära der internationalen Kooperation. Es ist die Zeit für Amerika und Europa, un- Deshalb sind wir für die Beendigung des OEF-Mandats. sere gemeinsamen Vereinbarungen zu erneuern, um den Wir sind fest davon überzeugt, dass wir die Debatte da- Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gemeinsam zu rüber mit unseren amerikanischen Partnern jetzt führen begegnen. müssen. Das heißt, er will internationale Kooperation. Er will Diese Diskussion sollten wir führen, bevor diese Art gemeinsam beraten und entscheiden. An erster Stelle der Kriegsführung auch noch systematisch auf Pakistan steht für ihn – das betont er immer wieder –: gemeinsam ausgeweitet wird; ich hoffe, diesen Schritt haben Sie mit mit Europa, mit der Europäischen Union. Das ist ein gro- Ihrer Rede heute Morgen nicht rechtfertigen wollen, ßer Unterschied zur Politik der Alleingänge der Ära Herr Kolbow. An dieser Stelle verstehe ich die Bundes- Bush. Ich meine, genau dies ist der Ansatzpunkt, um das regierung überhaupt nicht. Sie, Herr Außenminister, ha- transatlantische Verhältnis neu zu begründen. Hier müs- ben Pakistan zu einem Schwerpunkt gemacht; so habe sen wir uns aktiv einbringen und diese Chance nutzen. ich Sie jedenfalls verstanden. Sie sind mehrfach dort ge- Wir dürfen nicht wie ein Kaninchen vor der Schlange wesen und haben hier berichtet: Dieses Land braucht stehen und erst einmal abwarten, welche Forderungen Unterstützung, damit es nicht weiter destabilisiert wird, die Amerikaner an uns richten. Vielmehr müssen wir nicht nur mit Blick auf Afghanistan, sondern auch, weil jetzt mit der neuen amerikanischen Administration eine es gefährlich ist, wenn eine Atommacht bzw. ein Atom- strategische Debatte darüber führen, wie es in der inter- land destabilisiert wird. nationalen Politik weitergeht und wie eine Erfolgsstrate- Ich verstehe aber nicht, warum man sich nicht öffent- gie nicht nur für Afghanistan, sondern insgesamt ausse- lich – wenn nicht öffentlich, dann zumindest gegenüber hen kann. den Amerikanern – glasklar äußert und sich gegen die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einsätze, die dort stattfinden, ausspricht. Die pakistani- 20036 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Kerstin Müller (Köln) (A) sche Regierung hat sich darüber beklagt. Wir wissen rung beschlossen worden ist und dass der grüne Außen- (C) zwar nicht, ob das wirklich ernst gemeint ist; aber sie hat minister Fischer für dieses Mandat die Federführung ge- sich öffentlich beklagt. Man kann objektiv festhalten: habt hat. Auch diese Einsätze sind kontraproduktiv. Auch diese Einsätze stärken die Taliban in den Tribal Areas. Das ist Wenn Sie jetzt in dieser Art und Weise sagen, dass der eine verfehlte Strategie, die auch in Pakistan zum Schei- Wechsel in der amerikanischen Regierung dazu führen tern und möglicherweise zu einer Destabilisierung des muss, dass man das Mandat und auch seine völkerrecht- Landes führen wird. Das können wir nicht wollen. liche Grundlage grundsätzlich infrage stellt, dann bestä- tigen Sie damit den Vorwurf der Linkspartei, dass Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dieses Mandat damals nicht aus eigenem Willen und in sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE eigener Souveränität, sondern auf fremde Veranlassung LINKE]) hin beschlossen haben. Ich glaube, die US-Wahlen und die neu gewählte (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) amerikanische Regierung markieren eine Zäsur. Diese Chance müssen wir nutzen: für eine neue Zeit in der in- Ich erwarte, dass Sie zu dem, was Sie in Ihrer Regie- ternationalen Politik, für mehr Multilateralismus, für rungszeit getan haben, weiter stehen und hier vernünf- eine Stärkung des Völkerrechts und für die Beachtung tige Gründe vortragen, wenn Sie glauben, davon abwei- der Menschenrechte, auch und gerade im Kampf gegen chen zu können. Wenn Sie die Dinge aber grundsätzlich den Terrorismus. infrage stellen, dann stellen Sie damit auch das infrage, was Sie in Ihrer Regierungszeit getan haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Walter Kolbow [SPD]) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin Müller, Sie haben vielleicht gemerkt, dass ich hinsichtlich der Redezeit etwas großzügiger war Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: als sonst. Das ist Ihrem heutigen Geburtstag geschuldet. Frau Kollegin Müller, bitte. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich. (Beifall) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Nun erteile ich dem Kollegen Eckart von Klaeden zu Es ist völlig klar, dass es trotz meines Geburtstags einer Kurzintervention das Wort. auch eine Kontroverse geben kann. (B) (D) Jetzt haben Sie Behauptungen aufgestellt, die so nicht Eckart von Klaeden (CDU/CSU): richtig sind. Ich habe das Mandat nicht grundsätzlich in- Frau Kollegin Müller, trotz Ihres Geburtstags kann frage gestellt. Ich habe vor allen Dingen politische Argu- ich Ihnen meinen Widerspruch zu dem, was Sie mir un- mente dagegen genannt. terstellt haben, leider nicht vorenthalten. Sie sagen, wir hätten dem Mandat zugestimmt. Natür- Zum Ersten. Sie haben behauptet – Ihr Kollege Trittin lich, aber ich bitte Sie: 2001 gab es eine völlig andere Si- hat das durch einen Zwischenruf noch unterstrichen –, tuation. dass ich durch die Tatsache, dass ich geschildert habe, welche Länder in Afrika von terroristischen Anschlägen (Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜND- betroffen sind, geradezu ein Interventionsrecht für uns NIS 90/DIE GRÜNEN] – Eckart von Klaeden konstruieren würde, um in diesen Staaten militärisch [CDU/CSU]: Und 2005?) eingreifen zu können. Das ist wirklich eine geradezu ab- surde Unterstellung, die ich hier mit aller Entschieden- – Ja, sie war völlig anders. – Damals gab es die ISAF heit zurückweise. noch nicht. Nicht nur unsere Fraktion, sondern auch die Fraktion der FDP und jede andere Fraktion muss sich die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Rechtsgrundlage dieses Mandates noch einmal genau neten der SPD) anschauen. Zum Zweiten haben Sie erneut behauptet, dass die Zu Art. 51 der UN-Charta, dem Selbstverteidigungs- Rechtsgrundlage nicht gegeben ist, und Sie sind mit kei- recht. Schauen wir einmal, was sich verändert hat. In- nem Wort auf die UN-Resolution eingegangen, die ich in zwischen hat es den Petersberger Prozess gegeben. Nach meiner Rede zitiert habe und durch die – das gilt auch für Abschluss des Petersberger Prozesses hat die afghani- dieses Jahr – das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 der sche Regierung die volle Souveränität über ihr Land UN-Charta hinsichtlich der Operation Enduring Free- übernommen. Das ist ein großer Unterschied. Die ISAF dom unterstützt wird. hat mit ihrer Arbeit angefangen, und ihre Tätigkeit wurde auf das ganze Land ausgedehnt. Dieser Prozess Sie haben aber nicht nur die Rechtsgrundlage hin- sollte spätestens im Jahre 2006 abgeschlossen sein. sichtlich des Zeitablaufs, sondern Sie haben das Mandat grundsätzlich infrage gestellt. Ich finde, es gehört zur Spätestens seitdem gibt es zumindest im Hinblick auf Redlichkeit dazu, dann auch zu erwähnen, dass dieses Afghanistan nur eine sehr fragwürdige Grundlage für Mandat zum ersten Mal von der rot-grünen Bundesregie- das OEF-Mandat. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20037

Kerstin Müller (Köln) (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber wie können wir Terrorismus und Aufständische (C) sowie der Abg. Monika Knoche [DIE bekämpfen, ohne in dem gesamten Bereich eine solche LINKE]) Strategieänderung und unangenehme Nebenwirkungen – wenn ich das etwas zynisch so formulieren darf – her- ISAF ist dazu befugt, in enger Abstimmung mit und zur beizuführen? Dafür haben wir noch keine endgültige Lö- Unterstützung der afghanischen Regierung für die Si- sung. Wir sind alle aufgefordert, an einer Lösung mitzu- cherheit der Afghanen zu sorgen. Zumindest das muss arbeiten. man sich sehr genau anschauen. Wir haben viel diskutiert und uns insbesondere – ich Ich frage Sie: Wollen Sie wirklich und ernsthaft be- denke, das hat das ganze Haus ausgezeichnet – auf die haupten, dass das richtige Selbstverteidigungsrecht der zivile Hilfe konzentriert und diese immer weiter ver- USA nach dem 11. September 2001 überall dort auf der stärkt. Wir wissen aber, dass dies auch heute noch nicht Welt, wo es Terrorismus gibt, auf ewig gelten soll? Ich ausreichend wirksam ist, um eine so schwierige Situa- sage: Das kann nicht sein. Herr Kolbow, Sie haben sogar tion wie in Afghanistan zu heilen. Es ist eine Illusion, gesagt: Dieses Selbstverteidigungsrecht steht über einem sozusagen aus dem Mittelalter und nach einem 30-jähri- Beschluss des Sicherheitsrates. – Das kann ja nun gar gen Krieg plötzlich in die Moderne übergehen zu kön- nicht sein. nen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hinzu kommt – das haben wir vielleicht ein bisschen sowie der Abg. Monika Knoche [DIE arg spät erkannt –, dass dasselbe Problem in Pakistan im LINKE]) Grenzgebiet zu Afghanistan virulent ist, weil sich dort Ruheräume für den Terrorismus aufgetan haben. Denn Der Sicherheitsrat muss als Souverän entscheiden kön- dort ist in den FATAs vonseiten der pakistanischen Re- nen, wann dieses Recht beendet ist und wann man den gierung überhaupt keine staatliche Souveränität mehr Kampf gegen den Terrorismus mit anderen Maßnahmen wirksam. Deshalb ist davon auszugehen – wie am ver- führt. Darum geht es uns, Herr von Klaeden. Wir sehen gangenen Mittwoch im Auswärtigen Ausschuss festge- das – anders als die Linke – ganz klar so. Selbstverständ- stellt wurde –, dass Pakistan auf der Kippe steht, ein lich müssen wir den Kampf gegen den internationalen Failed State zu werden. Terrorismus führen, aber so, dass er wirksam ist, statt den Terrorismus weiter zu stärken. Genau das passiert Insofern glaube ich nicht, dass es um die Neubegrün- aber durch OEF. dung der transatlantischen Zusammenarbeit oder Freundschaft – das ist eine große Nummer – durch einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Neuanfang in Afghanistan geht; vielmehr ist es eine in- (B) ternationale Aufgabe, endlich einmal über die virulenten (D) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Kriegsgebiete hinauszudenken. Wir müssen die gesamte Nun hat für die SPD-Fraktion die Kollegin Uta Zapf Region in den Blick nehmen und regionale Möglichkei- das Wort. ten entwickeln, um Pakistan zu stabilisieren. In diesem Zusammenhang möchte ich Frank-Walter Steinmeier (Beifall bei der SPD) herzlich danken, weil er durch seine Initiativen schon eine ganze Menge in die Wege geleitet hat. Uta Zapf (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! CDU/CSU) Ich denke, manchmal sollte man versuchen, eine Num- mer kleiner anzusetzen. Worum geht es? Ich denke, wir Wir müssen versuchen, die Situation in Pakistan mög- sind uns alle einig, dass es darum geht, den Terrorismus lichst schnell zu beeinflussen. Dabei haben wir immer zu bekämpfen. Wir sind uns uneinig darüber – manch- noch eine etwas bessere Ausgangsposition als in Afgha- mal gibt es nur kleine Unterschiede, manchmal etwas nistan. Das heißt aber auch, dass wir in diesen Gebieten größere –, mit welchen Mitteln man das macht. Deshalb nicht mit militärischen Mitteln vorgehen dürfen. Ich halte ich die Forderung für unsinnig, OEF zu beenden, glaube, jeder wird unterstreichen, dass die Angriffe der ohne zu sagen, wie es dann weitergehen soll, und zwar in US-Amerikaner auf pakistanisches Gebiet zur Terrorbe- ganz Afghanistan, aber auch in Bezug auf Pakistan, auf kämpfung kontraproduktiv sind. Wir müssen uns in die- das sich das OEF-Mandat nicht erstreckt. sen Regionen um Stabilisierung bemühen. Wir müssen eine Regionalstrategie unter Einschluss der Nachbarstaa- Wir haben als SPD schon darüber nachgedacht, dass ten entwickeln. Das bedeutet, dass natürlich Pakistan im die beiden Mandate im Prinzip zusammengeführt wer- Mittelpunkt steht, dass wir aber auch Indien einbeziehen den müssten. Aber das ist nur vor dem Hintergrund eines müssen, weil der pakistanisch-indische Konflikt seine Strategiewechsels möglich, den Sie, Frau Müller, mit Schatten auf diesen Bereich wirft. Ich möchte hinzufü- Recht einklagen und der auch in Bezug auf Pakistan gel- gen: Wir müssen auch den Iran einbeziehen. ten müsste. Denn wie wir alle immer wieder beklagt ha- (Beifall des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]) ben, ist es durch die Kriegsführung insbesondere der Amerikaner zu zivilen Opfern gekommen. Diese Kriegs- Das ist aufgrund unserer Beziehungen zum Iran relativ führung ist kontraproduktiv, weil sie – darauf haben Sie schwierig. Sicherlich hoffen wir, dass Obama einiges an- hingewiesen – Hass erzeugt und dadurch den Terroris- ders machen wird. Aber wir müssen auch unseren eige- mus fördert. nen Beitrag, zum Beispiel verstärkte Hilfe für Pakistan, 20038 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Uta Zapf (A) leisten. Das ist von den Friends of Pakistan auch zuge- Afghanistan stehen. Ich finde, das ist bisher viel zu we- (C) sagt worden. Es gibt eine weitere Initiative, die vor allem nig bekannt gewesen und uns bewusst geworden. von der Türkei ausgeht, um einen Versöhnungsprozess zwischen Afghanistan und Pakistan, die sonst feindliche (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gefühle füreinander hegen, zu bewirken. Wir müssen Würden wir dem Begehren, alles stehen und liegen zu darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, noch ein- lassen und uns sofort zurückzuziehen, nachgeben, wären mal Geld in die Hand zu nehmen und Aufbauhilfe in der die Folgen äußerst ernst. Wir würden uns der internatio- Region, in Pakistan und vor allem in den Gebieten zu nalen Solidarität im Kampf gegen den nach wie vor ge- leisten, in denen staatliche Strukturen nicht mehr wirken, fährlichen Terrorismus verweigern, obwohl Deutschland damit die jungen Menschen dort eine Perspektive haben. – das müssen wir uns vergegenwärtigen – genauso wie Sonst laufen sie zum Terrorismus über. Frankreich, Spanien, Großbritannien oder die USA un- Lassen Sie mich einen weiteren regionalen Punkt an- verändert ein relevantes Ziel der Terroristen ist. Die führen. Es gibt ein wenig beachtetes Flüchtlingsproblem Folge wäre eine tiefgreifende Isolierung in der Gemein- in der Region. Über 4 Millionen sind nach 2002 aus Pa- schaft demokratischer Staaten und Völker. Die Terroris- kistan und dem Iran zurückgekehrt. Zudem gibt es sehr ten würden in einer beispiellosen Art und Weise ermu- viele Binnenflüchtlinge, die zum Teil in Camps leben tigt, ihren Weg weiterzugehen, könnten sie unser und immer wieder vertrieben werden und daher humani- Ausscheiden doch als Erfolg ihres Tuns ansehen. Die täre Hilfe benötigen. Diese Menschen haben keine Jobs Verantwortung, die uns vom Verfassungsgeber auferlegt und vegetieren unter elenden Umständen. Ich denke, hier worden ist, zwingt uns, im Rahmen einer pflichtgemä- ist eine neue Quelle der Rekrutierung von Terroristen ßen Güterabwägung den Versuch aller – hier der Frak- auszumachen. Wir müssen daher die internationalen Be- tion Die Linke –, sich aus dieser Verantwortung davon- mühungen zur Befriedung einer ganzen Region, aber zustehlen, entschieden zurückzuweisen. auch die Unterstützung zum Wiederaufbau und die Dennoch dürfen unsere Debatten und Entscheidungen Hilfsmaßnahmen für Pakistan, Afghanistan und mögli- über die Teilnahme von Angehörigen unserer Bundes- cherweise andere Länder genauer aufeinander abstim- wehr an internationalen Einsätzen nie Routine werden. men. Jeder einzelne Schritt muss stets neu geprüft und wohl- Herzlichen Dank. überlegt werden. Deshalb sind in den zurückliegenden Jahren Umfang und Natur des Einsatzes immer wieder (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten angepasst und auch geändert worden. Nur so können wir der CDU/CSU) in der Tat der uns auferlegten Verantwortung gerecht werden. (B) (D) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Beifall des Abg. Erich G. Fritz [CDU/CSU]) Nächster Redner ist der Kollege Eduard Lintner für die CDU/CSU-Fraktion. Dieses Bemühen kommt auch im vorliegenden An- trag zum Ausdruck. Der Einsatz der Bundeswehr im (Beifall bei der CDU/CSU) Rahmen von OEF in Afghanistan wird deshalb beendet. Die 2001 unter den damaligen Gegebenheiten gerecht- Eduard Lintner (CDU/CSU): fertigte Obergrenze von 3 900 Soldatinnen und Soldaten wird auf nur noch 800 reduziert, und ihr Einsatzgebiet Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und wird entsprechend verkleinert und neu definiert, ebenso Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir müssen uns der Umfang und die Art ihres Einsatzes. Er beschränkt immer wieder bewusst machen, dass sich der Deutsche sich künftig auf die Überwachung und Sicherung von Bundestag als Parlament in der wohl einmaligen Situa- Seewegen. Das bedeutet natürlich nicht, dass unsere Ar- tion befindet, über Ziel, Art, Umfang und Zeit des Ein- beit in Afghanistan etwa erledigt ist; vielmehr eröffnet satzes der Bundeswehr im Ausland entscheiden zu kön- diese Neujustierung die Möglichkeit, dass wir uns noch nen. Das ist eine Entscheidung, wie sie normalerweise in stärker als bisher auf unsere Aufgaben im Rahmen von anderen Staaten nur die Exekutive, die Regierung, zu ISAF konzentrieren können. Dazu müssen wir unseren treffen hat. Deshalb müssen wir uns bei dieser Entschei- Verbündeten und unserer Bevölkerung deutlich machen, dung in besonderem Maße vergegenwärtigen, dass wir dass Terrorbekämpfung für uns nicht bloß eine rein mili- damit eine unmittelbare persönliche Verantwortung für tärische Aufgabe ist, sondern vor allem ein Instrument, die betroffenen Menschen übernehmen. Zugleich müs- um den zivilen Wiederaufbau in Afghanistan voranzu- sen wir aber bedenken, dass wir internationalen Ver- treiben. Nur so werden wir letztlich Zustände schaffen pflichtungen unterliegen und gemeinsam mit anderen können, die es uns eines Tages erlauben, uns guten Ge- Staaten betroffen sind. Leider ist diese Last der Verant- wissens aus Afghanistan zurückzuziehen. wortung offenbar nicht allen im Hause gegenwärtig, so- dass immer wieder dazu aufgerufen wird – möglicher- Die verbleibenden Kräfte werden im Sinne des An- weise schielen die Betreffenden auf eine bestimmte trags insbesondere zur Überwachung und Sicherung der Stimmungslage beim Wähler –, das Engagement zu be- Seewege am Horn von Afrika eingesetzt. Gerade die im- enden. An dieser Stelle möchte ich mich beim Verteidi- mer aggressiver werdenden Attacken von Piraten vor der gungsministerium bedanken, das durch eine heute veröf- somalischen Küste führen uns die Verletzlichkeit der fentlichte Umfrage klargestellt hat, dass in der Tat drei Seewege immer wieder deutlich vor Augen. Ich bin froh, von vier Wählern hinter dem Einsatz der Bundeswehr in dass sich jetzt ein Weg zu mehr konkretem Schutz der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20039

Eduard Lintner (A) Schiffe vor solchen Verbrechen abzeichnet und Deutsch- Frau Knoche von der Linkspartei hat hier die üblichen (C) land sich daran beteiligen wird. Wir müssen uns bewusst Dinge vorgetragen, die sich darin erschöpfen, dass wir sein, dass wir ein Land sind, das in ganz hohem Maße einen völkerrechtswidrigen Krieg führen, dass der von einem sicheren Zugang zu den Weltmärkten auf dem Antiterrorkampf beendet werden muss und dass wir Seeweg abhängig ist. Wir sind durch solche Angriffe menschenrechtswidrige Maßnahmen unterstützen. Frau deshalb höchst verletzlich. Der Einsatz der Bundeswehr Knoche, wenn wir nicht der Meinung wären, dass dieses zur Sicherung von Seewegen schützt daher auch unsere Mandat durch die Resolutionen 1368 und 1373 der Ver- ureigenen nationalen Interessen. Damit bestätigt Deutsch- einten Nationen gedeckt ist, dann würden wir dem nie land wiederum seinen Ruf als ein zuverlässiger Partner und nimmer zustimmen; denn wir legen sehr viel Wert seiner Freunde und Mitstreiter in einer insgesamt recht darauf, dass wir hier Mandate ausführen, die aufgrund unruhigen Welt. Das so erworbene Vertrauen ist ein Ka- eines Aufrufs der Vereinten Nationen entstanden sind. pital – so müssen wir es sehen –, auf das wir hoffentlich Wir sind nicht der Meinung, dass das völkerrechtswidrig nie zurückgreifen müssen; aber wir könnten doch im ist. Falle des Falles darauf angewiesen sein. Sie tragen immer das gleiche Argument – Völker- Ich halte daher den vorliegenden Antrag der Bundes- rechtswidrigkeit – vor. Ich finde, Sie sollten sich überle- regierung für richtig und unterstützenswert. Unsere Sol- gen, ob Sie nicht zum Bundesverfassungsgericht gehen, datinnen und Soldaten können sich bei diesem Einsatz um diese Angelegenheit endgültig zu klären. Es ist voll- auf unsere nachhaltige Unterstützung stets verlassen. kommen unangemessen, was Sie hier tun. Wir sprechen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- in jedem Jahr über die Verlängerung dieser Mandate, neten der SPD) und wir hören von Ihrer Seite immer das gleiche Argu- ment: völkerrechtswidrig. Ich meine, Sie sind jetzt in der Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bringschuld, das klären zu lassen. Dazu ist in Deutsch- Nächster Redner ist nun der Kollege Rolf Kramer für land das Bundesverfassungsgericht anzurufen. die SPD-Fraktion. Lassen Sie mich noch kurz aus verteidigungspoliti- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) scher Sicht folgende Dinge ausführen: Das Mandat, über das wir reden, existiert seit 2001. Rolf Kramer (SPD): Wir haben ursprünglich mit etwa 3 900 Soldatinnen und Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Soldaten angefangen. Dieses Mandat war teilweise auch Herren! Frau Müller, auch von dieser Stelle herzlichen für Afghanistan vorgesehen. Wir haben dank der Initia- Glückwunsch zum Geburtstag! Allerdings hätte ich mir tive der SPD-Fraktion seit etwa zwei Jahren eine Ar- (B) gewünscht, dass Sie sich bei Ihren Ausführungen auf das beitsgruppe – sie nennt sich Taskforce –, die sich mit un- (D) Thema besonnen hätten, das heute ansteht, nämlich die serem Einsatz in Afghanistan ganz intensiv beschäftigt. Verlängerung des im Antrag der Bundesregierung for- Wir haben im letzten Jahr vorgeschlagen, dass die mulierten Mandats. Ich lese noch einmal vor, wo wir tä- 100 KSK-Soldaten nicht mehr Gegenstand dieses Man- tig werden sollen: dats sind. Ich danke unserem Außenminister für seine Der deutsche Beitrag wird im Gebiet gemäß Arti- Zustimmung dazu, dass wir in diesen Antrag hineinge- kel 6 des Nordatlantikvertrages sowie am Horn von schrieben haben, dass wir nur noch am Horn von Afrika Afrika einschließlich angrenzender Seegebiete (das tätig sind. Rote Meer, der Babel-Mandeb, der Golf von Aden, Die Reduzierung umfasste aber nicht nur die Anzahl die Arabische See, der Golf von Oman mit der der Soldatinnen und Soldaten; wir haben darüber hinaus Straße von Hormus bis zum Längengrad 56° E so- mehrfach die Qualität des Mandats reduziert. Ich nenne wie das Nordarabische Meer und Teile des Indi- nur den Wegfall der ABC-Abwehrkräfte im Jahr 2003. schen Ozeans bis zum Breitengrad 11° S und bis Aktuell sind am Horn von Afrika 96 Bundeswehrange- zum Längengrad 68° E) geleistet. hörige im Einsatz. Im Mittelmeer beteiligen sich an der Sie haben hier fast ausschließlich über Afghanistan Operation Active Endeavour 23 bis 24 Soldaten, die auf berichtet. Das ist nicht Gegenstand des heute zu beraten- einem U-Boot tätig sind. Wir werden dort in Zukunft den Mandats. Wir entscheiden heute ausschließlich da- wieder mit einem etwas verstärkten Ansatz tätig sein. rüber, wo die deutsche Bundesmarine – es ist ausschließ- Das Orion-Aufklärungsflugzeug wird durch eine Fre- lich ein seegebundenes Mandat – in Zukunft tätig sein gatte abgelöst, und dann werden wir dort sicherlich wie- wird. Wenn Sie einfordern, dass zusammen mit den Ver- der etwas über 200 Soldaten im Einsatz haben. einigten Staaten – auch wir setzen große Hoffnung in den neuen amerikanischen Präsidenten – eine neue Tak- Man hört von Zeit zu Zeit folgende Argumente: Wenn tik, eine neue Strategie entwickelt wird, dann wäre es Schiffe im Einsatz sind, haben die deutschen Soldaten aus unserer Sicht der falsche Weg, jetzt aus diesem Man- eigentlich sehr wenig zu tun. Sie haben sehr wenige dat auszusteigen, um Fakten zu schaffen. Das kann, Boarding-Maßnahmen etc. durchzuführen. Eigentlich wenn es in Zukunft mehr multilaterale Vereinbarungen sollten wir sehr glücklich sein, dass es allein aufgrund gibt, nur gemeinsam mit der neuen amerikanischen Ad- der Anwesenheit der Soldatinnen und Soldaten der Bun- ministration gemacht werden. Auf diesen Weg sollten deswehr in diesem Bereich nicht nötig ist, stärkere ak- wir uns tatsächlich begeben. tive Maßnahmen zu ergreifen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 20040 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Rolf Kramer (A) Ich möchte mich ganz herzlich bei den Soldatinnen und (Beifall bei der CDU/CSU) (C) Soldaten der Bundesmarine bedanken, die dort im Ein- Darauf können sie und wir stolz sein, und deswegen soll- satz sind. Wir werden der Verlängerung dieses Mandates ten wir sie heute hier mit einer breiten Zustimmung un- zustimmen. terstützen. Vielen Dank. Weil im Zusammenhang mit dem OEF-Mandat immer (Beifall bei der SPD) wieder von angeblicher Rechtsunsicherheit gesprochen wird – da bin ich wie viele andere, auch der Sicherheitsrat, Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: anderer Meinung –, freut es mich ganz besonders, dass Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege auch die FDP die rechtlichen Grundlagen, nämlich Robert Hochbaum für die CDU/CSU-Fraktion. Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen und Art. 5 des Nordatlantikvertrages, in ihrem vorliegenden Entschlie- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ßungsantrag jedenfalls zurzeit klar als gegeben ansieht. In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, einmal posi- Robert Hochbaum (CDU/CSU): tiv festzustellen, wie verantwortungsvoll sich die FDP Danke schön, sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe als Oppositionspartei in diesem Fall verhält. Auch hier Kolleginnen und Kollegen! Der Name des Mandats, des- wurde meiner Meinung nach erkannt, dass es bei der sen Verlängerung heute beschlossen werden soll, geht heutigen Entscheidung letztendlich um die Sicherheit uns, auch wenn er nicht in deutscher Sprache ist, nach der Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande geht. siebenmaliger Verlängerung und breiter Diskussion recht Ich weiß, meine Damen und Herren von der FDP, einfach über die Lippen. Es scheint mir jedoch, als sei dass es für eine Oppositionspartei nicht selbstverständ- bei uns im Hause die innere Bedeutung der sogenannten lich ist, mit den Regierungsparteien zu stimmen. Ich Operation Enduring Freedom nicht immer präsent. Er- danke Ihnen, weil Sie das gerade bei einem für die Men- lauben Sie mir deshalb, speziell auch für Sie, Frau schen in unserem Land so wichtigen Thema tun, weil Sie Knoche, auf die Übersetzung einzugehen, die uns das Verantwortung und nicht Populismus in den Vorder- übergeordnete Ziel dieses Einsatzes in Erinnerung ruft. grund stellen. Frau Knoche, Operation Enduring Freedom heißt so viel wie Einsatz für nachhaltige Freiheit bzw. für dauerhaft (Beifall bei der CDU/CSU) zu erhaltende Freiheit. Es ist schon schlimm, wenn man Natürlich muss sich mittelfristig erst etwas ändern. den Antiterroreinsatz als „Krebsgeschwür“ bezeichnet. Natürlich gelten die Bedingungen und Voraussetzungen (Beifall des Abg. Karl-Georg Wellmann für das Mandat zwar noch heute, aber sicher nicht für (B) [CDU/CSU]) immer. Erfreulicherweise hat auch unsere Bundeskanz- (D) lerin vor einigen Tagen in ihrer Rede anlässlich einer Dauerhaft zu erhaltende Freiheit: Das ist es, worum es Veranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft e. V. im Kern geht, warum es wichtig ist, dass wir das Mandat von einer Überarbeitung des strategischen Konzeptes der verlängern, und warum sich Deutschland an der Be- NATO gesprochen. Ich kann ihr in dieser Hinsicht als kämpfung des Terrorismus aktiv beteiligen muss. Wir Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der können bei der gegenwärtigen asymmetrischen Bedro- NATO aus vollster Überzeugung zustimmen. In der Tat hungslage eben noch nicht von nachhaltiger Freiheit ist das derzeitige strategische Konzept der NATO vor der oder nachhaltiger Friedenssicherung sprechen; denn im- neuen internationalen Bedrohung des Terrorismus ent- mer wieder müssen wir leider schmerzlich erfahren, mit standen. Man hat sich damals kaum vorstellen können, welcher Menschenverachtung und Hinterhältigkeit Ter- dass Terroristen generalstabsmäßig geplante, militärisch roristen vorgehen, wobei sie weder Frauen noch Kinder durchgeführte Terroraktionen begehen, die Tausenden und andere verschonen. von unschuldigen Menschen das Leben kosten. Der Einsatz bleibt also notwendig, um der Bedro- hungslage entgegenzuwirken. Man kann es nicht oft ge- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nug sagen: Wir müssen den Gefahren dort begegnen, wo Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des sie auftreten, zum Beispiel auch am Horn von Afrika. Kollegen Nachtwei? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Robert Hochbaum (CDU/CSU): Wir müssen handeln, bevor die verheerenden Auswir- Gern. kungen und Folgen perfiden terroristischen Handelns auch das Leben der Bürgerinnen und Bürger unseres Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Landes bedrohen können. Lieber Kollege Hochbaum, ich habe allen Rednern An dieser Stelle – es wurde schon mehrfach getan, der Großen Koalition sehr sorgfältig zugehört, um eine aber man kann es gar nicht oft genug tun – möchte ich Antwort auf die entscheidende Frage nach der Wirksam- nicht versäumen, allen eingesetzten Soldatinnen und keit der Operation Enduring Freedom zu bekommen. Soldaten, aber auch den zivilen Kräften im Einsatz mei- Am letzten Montag gab es eine sehr interessante Veran- nen Dank auszusprechen. Sie leisten hoch motiviert eine staltung der Friedrich-Ebert-Stiftung, wo ein ehemaliger ausgezeichnete Arbeit und dienen dadurch direkt dem pakistanischer Botschafter in Kabul und jetziger Berater Sicherheitsinteresse unseres Landes und unserer Bürger. der Friedens-Jirga auf pakistanischer Seite zu Enduring Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20041

Winfried Nachtwei (A) Freedom sagte, dass sie mehr Militanz geschaffen und auf terroristische Angriffe gegen die USA. Dazu liegen (C) mehr Terrorismus hervorgebracht habe. Das sehe man von fünf Kolleginnen und Kollegen persönliche Erklä- jeden Tag. Es sei ein Paradigmenwechsel notwendig. rungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wir zu Protokoll nehmen.1) Meine erste Frage: Wie bewerten Sie diese Aussage zur kontraproduktiven Wirkung von Enduring Freedom? Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck- Zweitens. Sind Ihnen von der Bundesregierung irgend- sache 16/10720 anzunehmen. welche Informationen zugänglich gemacht worden, die Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die dieses harte Urteil widerlegen würden? Ich als Obmann Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen habe dazu keinerlei widerlegenden Argumente und In- Plätze einzunehmen. formationen von der Bundesregierung bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Robert Hochbaum (CDU/CSU): Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Danke für Ihre Frage. – Ich will zu dieser einzelnen Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich Stellungnahme nicht Stellung beziehen. Es gibt viele nicht der Fall. An allen Urnen sind die Stimmen abgege- Stellungnahmen. Wir alle können Papiere von vielen ben. klugen Menschen, die zu allem viel Kluges sagen, aus Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- der Tasche ziehen. rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- Aber auf einen Aspekt möchte ich eingehen. Es wird nen. Das Ergebnis der Abstimmung gebe ich Ihnen an- oft kritisiert, dass wenige Terroristen festgenommen schließend bekannt.2) worden oder wenige große Waffen gefunden worden Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich dieje- sind. Aber das heißt für mich nicht, dass wir dadurch, nigen, die den weiteren Abstimmungen und Beratungen dass wir dort präsent und aktiv sind, so etwas nicht ver- nicht folgen wollen, bitten, den Saal zu verlassen oder hindern. Sie können doch nicht beispielsweise die Poli- ihre Gespräche einzustellen. zei abschaffen, nur weil keine Straftäter gestellt werden. Das geht doch nicht. Wir sind dort auch präventiv tätig. Wir können jetzt die Abstimmungen fortsetzen. Wir sorgen dafür, dass keine terroristischen Aktivitäten Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- erfolgen, das heißt, wir verhindern terroristische Aktivi- tion der FDP auf Drucksache 16/10890? – Wer ist dage- täten. Das ist für mich ein deutliches Zeichen, dass wir gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist erfolgreich sind. (B) damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die der SPD) Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion abgelehnt. Doch unabhängig davon entscheiden wir heute über Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- die Verlängerung des OEF-Mandates. Das ist übrigens tion Die Linke auf Drucksache 16/10829? – Wer ist da- ein Einsatz, bei dem – es wurde eben genannt – nicht nur gegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist die USA, Großbritannien und Deutschland, sondern mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP- auch Länder wie Kanada, Tschechien, Italien, Frank- Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen reich, die Niederlande und Norwegen – auch Pakistan, die Stimmen der Linken ebenfalls abgelehnt. wie wir vorhin erfahren haben –, also viele Nationen der Tagesordnungspunkt 18 b. Beschlussempfehlung des freien Welt, beteiligt sind. Sie alle wollen nur eines, Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion Die nämlich Schaden von ihren Bürgerinnen und Bürgern Linke mit dem Titel „Keine deutsche Beteiligung an der abhalten und Sicherheit für ihre Länder gewährleisten. Operation Enduring Freedom in Afghanistan“. Der Aus- Deshalb sind sie mit uns gemeinsam gegen den inter- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf nationalen Terrorismus angetreten und aus keinem ande- Drucksache 16/7908, den Antrag der Fraktion Die Linke ren Grund, Frau Knoche. Weil es nicht um billigen auf Drucksache 16/6098 abzulehnen. Populismus, sondern um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land geht, bitte ich um Ihre Zu- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist stimmung zur Mandatsverlängerung. dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitions- Herzlichen Dank. fraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Tagesordnungspunkt 18 c. Beschlussempfehlung des Ich schließe die Aussprache. Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschluss- Die Linke mit dem Titel „Keine deutschen Soldaten für empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck- eine schnelle Eingreiftruppe zur Verfügung stellen – sache 16/10824 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit- 1) Anlage 5 kräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion 2) Ergebnis Seite 20044 C 20042 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) Rechtswidrige Kriegshandlungen beenden“. Der Aus- – Drucksachen 16/7015, 16/7014, 16/6500, (C) schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf 16/8865 – Drucksache 16/9710, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7890 abzulehnen. Berichterstattung: Abgeordnete Petra Weis Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist Jan Mücke dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitions- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- fraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bünd- richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag Linke. der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gesine Lötzsch, Roland Claus, weiterer Ab- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis c auf: geordneter und der Fraktion DIE LINKE a) Unterrichtung durch die Bundesregierung Erhöhung von Transparenz und Zielgenauig- Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand keit des Mitteleinsatzes für die ostdeutschen der deutschen Einheit 2008 Bundesländer – Drucksache 16/10454 – – Drucksachen 16/7567, 16/9120 – Überweisungsvorschlag: Berichterstattung: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Abgeordneter Joachim Günther (Plauen) Innenausschuss Sportausschuss Zum Jahresbericht 2008 liegen ein Entschließungs- Rechtsausschuss antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und DIE GRÜNEN und zwei Entschließungsanträge der Verbraucherschutz Fraktion DIE LINKE vor. Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich sehe, dass Sie Ausschuss für Gesundheit damit einverstanden sind. Dann können wir so verfah- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ren. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für (B) Ausschuss für Tourismus die Bundesregierung Herrn Bundesminister Wolfgang (D) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Tiefensee. Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- der CDU/CSU) richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und ten Arnold Vaatz, Ulrich Adam, Peter Albach, Herren Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Herren! Wir diskutieren über den Bericht zum Stand der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Klaas deutschen Einheit am 13. November, vier Tage nach Hübner, Andrea Wicklein, Ernst Bahr (Neurup- dem 9. November 2008. Ich bin jetzt mittlerweile fast pin), weiterer Abgeordneter und der Fraktion 19 Jahre im politischen Geschäft – in ganz unterschiedli- der SPD zu der Unterrichtung durch die Bun- chen verantwortungsvollen Funktionen, ausgehend vom desregierung runden Tisch der Stadt Leipzig, an dem ich im Jahresbericht der Bundesregierung zum März 1990 Platz genommen habe. Stand der deutschen Einheit 2007 Es erfüllt mich mit Blick auf den 9. Oktober, auf den – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne- 9. November oder auf den 3. Oktober immer wieder mit ten Joachim Günther (Plauen), Jan Mücke, Stolz, dass wir konstatieren können, dass unser Land Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeord- zusammengewachsen ist. Der Aufbau Ost hat an Fahrt neter und der Fraktion der FDP zu der Unter- gewonnen. Wir können mit großem Respekt vor der Le- richtung durch die Bundesregierung bensleistung insbesondere derjenigen, die in Ostdeutsch- land leben, feststellen, dass wir sehr gut vorankommen. Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2007 Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein paar einfache Wahrheiten am Anfang. Wenn wir in den – zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- Jahren 2009 und 2010 die großen Jubiläen vor uns ha- rung ben, dann bleibt daran zu erinnern, dass es die Menschen Jahresbericht der Bundesregierung zum in der ehemaligen DDR, die Menschen in Ostdeutsch- Stand der deutschen Einheit 2007 land gewesen sind, die die deutsche Einheit möglich ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20043

Bundesminister Wolfgang Tiefensee (A) macht haben. Wir können mit Stolz und Respekt vor die- das wir dem Bundestag und dem Bundesrat vorschlagen, (C) ser Leistung diese Jubiläen begehen. noch einmal Investitionsmittel aufstocken, was insbe- sondere Ostdeutschland zugute kommt. Das ist heute die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten positive Nachricht. der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Niemand in diesem Hause rüttelt am Solidarpakt II. der CDU/CSU) Das ist das große Versprechen der Solidarität. 156 Milliarden Euro stehen zur Verfügung, um den An- Darüber hinaus investieren wir in Forschung und Ent- gleichungsprozess zu beschleunigen. wicklung. Wir brauchen in der Industrie und im Mittel- stand mehr Forschungs- und Entwicklungskapazitäten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie Programme wie Inno-Watt und Inno-Regio, Innovations- den Bericht aufschlagen, dann werden Sie eine Fülle von wettbewerbe wie „Wirtschaft trifft Wissenschaft“ sowie Datenmaterial vorfinden. So wäre es für mich relativ das Bemühen um externe Forschungs-GmbHs führen einfach, jetzt wieder den Ost-West-Vergleich zu zitieren, dazu, dass wir bestehende Defizite beheben. Wenn wir in das Bruttoinlandsprodukt zu vergleichen, aber auch die Arbeitsplätze und in die Wirtschaftskraft Ostdeutsch- – negativ – die immer noch zu hohe Arbeitslosigkeit. Ich lands investieren, dann betreiben wir nachhaltigen Auf- möchte aber in diesem Jahr einen neuen Akzent setzen bau Ost. Die Bundesregierung steht dafür. und Ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt len- ken. Wir dürfen die deutsche Einheit nicht immer nur an In Richtung der Linken sei es noch einmal gesagt: diesen Vergleichszahlen messen. Damit würden wir nur Wer diese wirtschaftliche Entwicklung konterkariert, in- immer wieder auf die Frage zielen, ob Ostdeutschland dem er immer wieder nur schwarzmalt, wird die Kräfte, schon in jedem einzelnen Bereich so weit ist wie die al- die wir in Ostdeutschland brauchen, nicht wecken, son- ten Bundesländer oder Westeuropa. Wir brauchen eine dern erdrücken. Deshalb müssen wir eine Politik ma- andere Betrachtungsweise. Diese haben wir erstmals in chen, die die Kräfte in Ostdeutschland stärkt. diesem Bericht zum Stand der deutschen Einheit nieder- Ich komme zu einem weiteren Thema. Es geht darum, gelegt. die Langzeitarbeitslosigkeit erfolgreich zu bekämpfen und die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland, die immer Wir stehen in Ostdeutschland vor Herausforderungen, noch doppelt so hoch ist wie in Westdeutschland, abzu- vor denen gleichermaßen ganz Deutschland steht. Die- bauen. Es gab noch nie so wenige Arbeitslose wie im sen Herausforderungen wollen wir mit ostdeutschen Oktober 2008. Das ist die gute Nachricht. Aber immer Antworten begegnen. Dabei geht es um folgende noch gibt es eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit, Punkte: der wir zum Beispiel mit unserem Programm „Kommu- (B) Erstens. Wir müssen deutlich machen, dass ausge- nal-Kombi“ begegnen. Wir kombinieren Gelder der (D) hend von Ostdeutschland eine Innovationskraft in der Bundesregierung, der Länder und des Europäischen So- Wirtschaft wächst, die für ganz Deutschland gut ist. zialfonds. Mein Appell an die Länder ist: Tun Sie mehr in dieser Richtung! Zweitens. Ostdeutschland muss in der Lage sein, die großen sozialen Spannungen, die es überall in unserem Wir müssen uns aber auch den demografischen He- Land gibt – insbesondere was die Arbeitslosigkeit be- rausforderungen stellen. Mit unseren Programmen trifft –, zu meistern. „Stadtumbau Ost“ und „Soziale Stadt“ sorgen wir dafür, dass Wohnungen vom Markt genommen werden und da- Drittens. Wir stehen vor immensen demografischen durch Wohnungsunternehmen stabilisiert werden. Problemen. Es gilt, in Ostdeutschland für Gesamt- Gleichzeitig werten wir dadurch die Innenstädte und die deutschland die Antworten auf diese Probleme zu fin- innenstadtnahen Räume auf. Das sind Stadtentwick- den. lungspolitik und Sozialpolitik par excellence. Wir kom- Viertens. Ostdeutschland steht für eine intensive binieren das mit unserem CO2-Gebäudesanierungspro- Kooperation zwischen Deutschland und den neuen EU- gramm. Mitgliedstaaten. Ostdeutschland rennt also nicht West- (Beifall bei der SPD) europa hechelnd hinterher, Ostdeutschland versucht nicht, etwas zu kopieren, was andere Bundesländer ir- Licht und Schatten liegen nach wie vor dicht bei- gendwann vorgemacht haben, sondern Ostdeutschland einander. Lassen Sie uns auf der Basis dieses Berichtes hat die Antworten, um ganz Deutschland innerhalb der den Herausforderungen, vor denen ganz Deutschland Europäischen Gemeinschaft voranzubringen. steht, mit den ostdeutschen Antworten, mit unserer spe- ziellen Erfahrung und mit unserer Motivation begegnen. Ich gehe zunächst auf den Bereich der Wirtschaft ein. Wir haben eine hervorragende Entwicklung im indus- Meine Damen und Herren, der Osten ist auf gutem triellen Sektor bei den erneuerbaren Energien. Wege. Wir werden auch die nächste Distanz gut zurück- legen – mit vereinten Kräften, vor allen Dingen aber (Zustimmung bei der SPD) auch mit der Kraft der Bürgerinnen und Bürger in Ost- Wir stärken diese Entwicklung, indem wir die Maßnah- deutschland und mit einer großen Solidarität, die keine men im Zusammenhang mit der Investitionszulage fort- Himmelsrichtungen kennt. setzen, indem wir die Mittel für die Gemeinschaftsauf- Vielen Dank. gabe jetzt noch einmal aufstocken und indem wir im Rahmen des Maßnahmenpakets der Bundesregierung, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) 20044 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reak- (C) Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, würde tion auf terroristische Angriffe gegen die USA bekannt- ich Ihnen gerne das von den Schriftführerinnen und geben: abgegebene Stimmen 566. Mit Ja haben gestimmt Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen 428, mit Nein haben gestimmt 130. 8 Kolleginnen und Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- Kollegen haben sich enthalten. Die Beschlussempfeh- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie- lung und damit der Antrag der Bundesregierung sind rung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher also angenommen.

Endgültiges Ergebnis Dr. Hans-Peter Friedrich Hartmut Koschyk Dr. Christian Ruck Abgegebene Stimmen: 566; (Hof) Thomas Kossendey Albert Rupprecht (Weiden) davon Erich G. Fritz Michael Kretschmer Peter Rzepka Jochen-Konrad Fromme Gunther Krichbaum Anita Schäfer (Saalstadt) ja: 428 Dr. Michael Fuchs Dr. Günter Krings Hermann-Josef Scharf nein: 130 Hans-Joachim Fuchtel Dr. Martina Krogmann Dr. Wolfgang Schäuble enthalten: 8 Dr. Jürgen Gehb Dr. Hermann Kues Hartmut Schauerte Norbert Geis Dr. Karl Lamers (Heidelberg) Dr. Annette Schavan Ja Eberhard Gienger Andreas G. Lämmel Dr. Andreas Scheuer Ralf Göbel Dr. Norbert Lammert Karl Schiewerling CDU/CSU Peter Götz Helmut Lamp Norbert Schindler Dr. Wolfgang Götzer Katharina Landgraf Georg Schirmbeck Ulrich Adam Ute Granold Dr. Max Lehmer Bernd Schmidbauer Ilse Aigner Reinhard Grindel Paul Lehrieder Christian Schmidt (Fürth) Peter Albach Michael Grosse-Brömer Ingbert Liebing Andreas Schmidt (Mülheim) Peter Altmaier Markus Grübel Eduard Lintner Ingo Schmitt (Berlin) Dorothee Bär Manfred Grund Patricia Lips Dr. Andreas Schockenhoff Thomas Bareiß Monika Grütters Dr. Michael Luther Dr. Ole Schröder Norbert Barthle Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Thomas Mahlberg Bernhard Schulte-Drüggelte Günter Baumann Guttenberg Stephan Mayer (Altötting) Uwe Schummer Ernst-Reinhard Beck Olav Gutting Wolfgang Meckelburg Wilhelm Josef Sebastian (Reutlingen) Holger Haibach Dr. Michael Meister Kurt Segner Veronika Bellmann (B) Gerda Hasselfeldt Dr. Angela Merkel Marion Seib (D) Otto Bernhardt Ursula Heinen Laurenz Meyer (Hamm) Bernd Siebert Clemens Binninger Uda Carmen Freia Heller Maria Michalk Thomas Silberhorn Peter Bleser Jürgen Herrmann Philipp Mißfelder Jens Spahn Antje Blumenthal Bernd Heynemann Dr. Eva Möllring Erika Steinbach Dr. Maria Böhmer Ernst Hinsken Marlene Mortler Christian Freiherr von Stetten Jochen Borchert Christian Hirte Carsten Müller Gero Storjohann Wolfgang Bosbach Robert Hochbaum (Braunschweig) Andreas Storm Klaus Brähmig Klaus Hofbauer Stefan Müller (Erlangen) Max Straubinger Helmut Brandt Franz-Josef Holzenkamp Dr. Gerd Müller Matthäus Strebl Dr. Ralf Brauksiepe Joachim Hörster Bernd Neumann (Bremen) Thomas Strobl (Heilbronn) Monika Brüning Anette Hübinger Dr. Georg Nüßlein Lena Strothmann Georg Brunnhuber Hubert Hüppe Franz Obermeier Michael Stübgen Cajus Caesar Susanne Jaffke-Witt Eduard Oswald Hans Peter Thul Gitta Connemann Dr. Peter Jahr Henning Otte Antje Tillmann Leo Dautzenberg Dr. Hans-Heinrich Jordan Rita Pawelski Dr. Hans-Peter Uhl Hubert Deittert Andreas Jung (Konstanz) Ulrich Petzold Arnold Vaatz Alexander Dobrindt Dr. Franz Josef Jung Dr. Joachim Pfeiffer Volkmar Uwe Vogel Thomas Dörflinger Bartholomäus Kalb Sibylle Pfeiffer Andrea Astrid Voßhoff Marie-Luise Dött Hans-Werner Kammer Beatrix Philipp Gerhard Wächter Maria Eichhorn Steffen Kampeter Ronald Pofalla Marco Wanderwitz Dr. Stephan Eisel Alois Karl Ruprecht Polenz Kai Wegner Anke Eymer (Lübeck) Bernhard Kaster Daniela Raab Marcus Weinberg Ilse Falk Siegfried Kauder (Villingen- Thomas Rachel Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Hans Georg Faust Schwenningen) Dr. Peter Ramsauer Gerald Weiß (Groß-Gerau) Enak Ferlemann Volker Kauder Peter Rauen Ingo Wellenreuther Ingrid Fischbach Eckart von Klaeden Eckhardt Rehberg Karl-Georg Wellmann Hartwig Fischer (Göttingen) Jürgen Klimke Katherina Reiche (Potsdam) Anette Widmann-Mauz Dirk Fischer (Hamburg) Julia Klöckner Klaus Riegert Klaus-Peter Willsch Axel E. Fischer (Karlsruhe- Jens Koeppen Dr. Heinz Riesenhuber Elisabeth Winkelmeier- Land) Kristina Köhler (Wiesbaden) Franz Romer Becker Dr. Maria Flachsbarth Manfred Kolbe Johannes Röring Dagmar Wöhrl Klaus-Peter Flosbach Norbert Königshofen Kurt J. Rossmanith Wolfgang Zöller Herbert Frankenhauser Dr. Rolf Koschorrek Dr. Norbert Röttgen Willi Zylajew Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20045

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) SPD Stephan Hilsberg Marianne Schieder Dr. Werner Hoyer (C) Gerd Höfer Ulla Schmidt (Aachen) Hellmut Königshaus Gerd Andres Frank Hofmann (Volkach) Silvia Schmidt (Eisleben) Niels Annen Gudrun Kopp Eike Hovermann Dr. Frank Schmidt Ingrid Arndt-Brauer Heinz Lanfermann Klaas Hübner Heinz Schmitt (Landau) Rainer Arnold Harald Leibrecht Christel Humme Carsten Schneider (Erfurt) Ernst Bahr (Neuruppin) Ina Lenke Ottmar Schreiner Doris Barnett Brunhilde Irber Michael Link (Heilbronn) Reinhard Schultz Dr. Hans-Peter Bartels Johannes Jung (Karlsruhe) Markus Löning (Everswinkel) Sabine Bätzing Josip Juratovic Dr. Erwin Lotter Dr. Martin Schwanholz Dirk Becker Johannes Kahrs Horst Meierhofer Rolf Schwanitz Uwe Beckmeyer Ulrich Kasparick Patrick Meinhardt Rita Schwarzelühr-Sutter Klaus Uwe Benneter Dr. h. c. Susanne Kastner Burkhardt Müller-Sönksen Jörg-Otto Spiller Ute Berg Ulrich Kelber Dirk Niebel Dr. Ditmar Staffelt Petra Bierwirth Hans-Ulrich Klose Hans-Joachim Otto Dieter Steinecke Volker Blumentritt Astrid Klug (Frankfurt) Andreas Steppuhn Kurt Bodewig Dr. Bärbel Kofler Detlef Parr Rolf Stöckel Gerd Bollmann Walter Kolbow Cornelia Pieper Christoph Strässer Dr. Gerhard Botz Fritz Rudolf Körper Dr. Peter Struck Gisela Piltz Klaus Brandner Karin Kortmann Joachim Stünker Frank Schäffler Willi Brase Rolf Kramer Jörg Tauss Dr. Konrad Schily Bernhard Brinkmann Anette Kramme Jella Teuchner Marina Schuster (Hildesheim) Ernst Kranz Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dr. Hermann Otto Solms Edelgard Bulmahn Volker Kröning Jörn Thießen Dr. Rainer Stinner Ulla Burchardt Angelika Krüger-Leißner Franz Thönnes Carl-Ludwig Thiele Martin Burkert Dr. Hans-Ulrich Krüger Simone Violka Florian Toncar Dr. Michael Bürsch Helga Kühn-Mengel Jörg Vogelsänger Dr. Daniel Volk Christian Carstensen Ute Kumpf Hedi Wegener Christoph Waitz Marion Caspers-Merk Dr. Uwe Küster Andreas Weigel Dr. Claudia Winterstein Dr. Herta Däubler-Gmelin Christine Lambrecht Petra Weis Dr. Volker Wissing Karl Diller Christian Lange (Backnang) Gunter Weißgerber Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Martin Dörmann Waltraud Lehn Gert Weisskirchen Dr. Carl-Christian Dressel Gabriele Lösekrug-Möller (Wiesloch) Elvira Drobinski-Weiß Lothar Mark Nein Dr. Rainer Wend Garrelt Duin Caren Marks Dr. Margrit Wetzel Detlef Dzembritzki Katja Mast CDU/CSU (B) Andrea Wicklein (D) Sebastian Edathy Markus Meckel Heidemarie Wieczorek-Zeul Wolfgang Börnsen Siegmund Ehrmann Petra Merkel (Berlin) Dr. Dieter Wiefelspütz (Bönstrup) Hans Eichel Ulrike Merten Engelbert Wistuba Dr. Petra Ernstberger Dr. Matthias Miersch Waltraud Wolff Karin Evers-Meyer Ursula Mogg Willy Wimmer (Neuss) (Wolmirstedt) Elke Ferner Marko Mühlstein Heidi Wright Gabriele Fograscher Detlef Müller (Chemnitz) SPD Uta Zapf Rainer Fornahl Michael Müller (Düsseldorf) Manfred Zöllmer Dr. Lale Akgün Gabriele Frechen Franz Müntefering Brigitte Zypries Gregor Amann Peter Friedrich Dr. Rolf Mützenich Klaus Barthel Sigmar Gabriel Thomas Oppermann FDP Sören Bartol Iris Gleicke Holger Ortel Dr. Axel Berg Günter Gloser Heinz Paula Jens Ackermann Lothar Binding (Heidelberg) Johannes Pflug Angelika Graf (Rosenheim) Christian Ahrendt Clemens Bollen Joachim Poß Dieter Grasedieck Daniel Bahr (Münster) Marco Bülow Christoph Pries Monika Griefahn Uwe Barth Dr. Peter Danckert Kerstin Griese Dr. Wilhelm Priesmeier Angelika Brunkhorst Renate Gradistanac Gabriele Groneberg Florian Pronold Ernst Burgbacher Dr. Reinhold Hemker Achim Großmann Dr. Sascha Raabe Patrick Döring Gabriele Hiller-Ohm Wolfgang Grotthaus Mechthild Rawert Mechthild Dyckmans Wolfgang Gunkel Dr. Carola Reimann Jörg van Essen Petra Hinz (Essen) Hans-Joachim Hacker Christel Riemann- Ulrike Flach Christian Kleiminger Bettina Hagedorn Hanewinckel Paul K. Friedhoff Helga Lopez Klaus Hagemann René Röspel Horst Friedrich (Bayreuth) Hilde Mattheis Alfred Hartenbach Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Edmund Peter Geisen Maik Reichel Michael Hartmann Karin Roth (Esslingen) Dr. Wolfgang Gerhardt Gerold Reichenbach (Wackernheim) Michael Roth (Heringen) Hans-Michael Goldmann Sönke Rix Nina Hauer Ortwin Runde Miriam Gruß Swen Schulz (Spandau) Hubertus Heil Marlene Rupprecht Joachim Günther (Plauen) Wolfgang Spanier Rolf Hempelmann (Tuchenbach) Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Rainer Tabillion Dr. Barbara Hendricks Anton Schaaf Heinz-Peter Haustein Rüdiger Veit Gustav Herzog Axel Schäfer (Bochum) Elke Hoff Dr. Marlies Volkmer Petra Heß Bernd Scheelen Birgit Homburger Lydia Westrich 20046 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) FDP Ulla Lötzer Hans Josef Fell Rainder Steenblock (C) Dr. Gesine Lötzsch Kai Gehring Jürgen Koppelin Silke Stokar von Neuforn Ulrich Maurer Katrin Göring-Eckardt Sabine Leutheusser- Dr. Wolfgang Strengmann- Britta Haßelmann Schnarrenberger Dorothée Menzner Kuhn Kornelia Möller Bettina Herlitzius Hans-Christian Ströbele Winfried Hermann DIE LINKE Kersten Naumann Dr. Harald Terpe Wolfgang Nešković Peter Hettlich Jürgen Trittin Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Norman Paech Priska Hinz (Herborn) Wolfgang Wieland Dr. Dietmar Bartsch Ulrike Höfken Petra Pau Josef Philip Winkler Karin Binder Bodo Ramelow Dr. Anton Hofreiter Heidrun Bluhm Bärbel Höhn Elke Reinke fraktionslose Abgeordnete Eva Bulling-Schröter Paul Schäfer (Köln) Thilo Hoppe Dr. Martina Bunge Volker Schneider Ute Koczy Henry Nitzsche Roland Claus (Saarbrücken) Sylvia Kotting-Uhl Gert Winkelmeier Sevim Dağdelen Dr. Herbert Schui Fritz Kuhn Dr. Diether Dehm Renate Künast Dr. Petra Sitte Enthalten Dr. Dagmar Enkelmann Frank Spieth Undine Kurth (Quedlinburg) Klaus Ernst Markus Kurth Dr. Kirsten Tackmann CDU/CSU Wolfgang Gehrcke Dr. Axel Troost Monika Lazar Diana Golze Alexander Ulrich Anna Lührmann Dr. Wolf Bauer Dr. Gregor Gysi Jörn Wunderlich Nicole Maisch Renate Blank Lutz Heilmann Jerzy Montag Hans-Kurt Hill BÜNDNIS 90/DIE Kerstin Müller (Köln) SPD Cornelia Hirsch GRÜNEN Winfried Nachtwei Inge Höger Omid Nouripour Iris Hoffmann (Wismar) Dr. Barbara Höll Kerstin Andreae Brigitte Pothmer Dirk Manzewski Ulla Jelpke Marieluise Beck (Bremen) Claudia Roth (Augsburg) Ewald Schurer Dr. Lukrezia Jochimsen Volker Beck (Köln) Krista Sager Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Hakki Keskin Cornelia Behm Manuel Sarrazin Katja Kipping Birgitt Bender Elisabeth Scharfenberg FDP Monika Knoche Alexander Bonde Christine Scheel Jan Korte Ekin Deligöz Irmingard Schewe-Gerigk Michael Kauch Katrin Kunert Dr. Thea Dückert Dr. Gerhard Schick Dr. Heinrich L. Kolb Oskar Lafontaine Dr. Uschi Eid Grietje Staffelt (B) (D)

Nun hat als nächster Redner das Wort der Kollege dieses Berichts ein Handeln abgeleitet haben. Dieses Joachim Günther für die FDP-Fraktion. Handeln merken sie im tagtäglichen Leben. Wir werden noch so lange über einen Bericht zum Stand der deut- (Beifall bei der FDP) schen Einheit sprechen, solange es unterschiedliche Lohn- und Rentenberechnungen gibt, solange es unter- Joachim Günther (Plauen) (FDP): schiedliche Beitragssätze und unterschiedliche Beitrags- Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- bemessungsgrenzen gibt. Das sind Dinge, die die Men- legen! Wir sprechen heute zum wiederholten Male über schen täglich spüren. Die müssen wir auflösen. Deshalb den Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit. hatte ich, ehrlich gesagt, das Gefühl: Sie haben hier zwar Auch nach 19 Jahren halte ich es für etwas tragisch, dass ein hervorragendes Grußwort gehalten, aber auf die Fak- darüber immer am späten Nachmittag debattiert wird. ten keine Antwort gegeben. (Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Peter NEN]: Ja!) Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich glaube, die deutsche Einheit hätte einen besseren Zeitpunkt verdient, als das jetzt der Fall ist. Das müssen wir meines Erachtens ändern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Lassen Sie mich zum Jahresbericht zum Stand der der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- deutschen Einheit kommen. Es wurden wirklich alle Fel- SES 90/DIE GRÜNEN) der aufgenommen: von der Wirtschafts- bis zur Jugend- politik; ich will nicht jeden Punkt aufführen. Absolut be- Wir haben wieder einen Bericht vorliegen, der eine trachtet – auch Sie haben das gesagt – geht es auf dem Fleißaufgabe der Bundesregierung darstellt; das ist un- Arbeitsmarkt im Osten aufwärts; das bestreitet niemand. umstritten, Herr Minister. Wir haben einen Bericht vor- Aber der Beseitigung des Phänomens, das wir seit Jah- liegen, in dem einige Fakten klar aufgelistet werden. ren haben, nämlich dass die Arbeitslosigkeit, betrachtet Die Menschen wollen aber nicht nur die Vorlage eines man Gesamtdeutschland, im Osten doppelt so hoch ist, Berichts. Sie wollen im Endeffekt aus den Ergebnissen sind wir leider keinen Schritt nähergekommen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20047

Joachim Günther (Plauen) (A) Das gilt auch für das Wirtschaftswachstum. Sie haben nen Vorschlag: Sie bilden eine Koalition. Setzen Sie sich (C) zwar gesagt, man solle dies nicht immer in Zahlen aus- zusammen und reden Sie darüber. Sagen Sie den Men- drücken. Man muss so etwas aber in Zahlen ausdrücken. schen, wo es hingehen soll. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Nehmen wir das Bruttoinlandsprodukt: Es ist seit 1995 Herr Tiefensee, es gibt aber auch Projekte, die mit in Westdeutschland um 16,9 Prozent und im Osten nur überschaubaren Mitteln sofort eine ganze Region weiter- um 16,3 Prozent gestiegen. Das bedeutet, die Schere ist entwickeln können. Ich möchte hier die durchgehende selbst statistisch betrachtet nicht enger geworden. Das Elektrifizierung der Franken-Sachsen-Magistrale nen- muss uns in dieser Zeit wachrütteln. nen. Das ist ein Projekt, das die Freistaaten Sachsen und Bayern vorangetrieben haben. Alle Voruntersuchungen Das bedeutet, dass es ein gemeinsames Engagement sind abgeschlossen. Es geht nur noch um das Unterwerk von Bund, Ländern und Kommunen geben muss. Das für Energieeinspeisung in Hof. Das ist das Einzige, was bedeutet, dass es nicht immer nur darum geht, mehr Mit- bei diesem immensen Bauabschnitt noch offen ist. Sie tel zu fordern. Das wollen wir nicht. Es ist das Anliegen sagen, es gibt neue Investitionen in die Infrastruktur. der Linken, ständig mehr Geld zu fordern, ohne zu sa- Hier geht es um 30 Millionen. Durchschlagen Sie diesen gen, woher es kommen soll. Meines Erachtens ist es aber Knoten. Fangen Sie an dieser Stelle an. Es kann sofort sehr wichtig, das zur Verfügung stehende Geld zu ko- losgehen mit Investitionen, die den Menschen in der Re- ordinieren und in die richtigen Bahnen zu lenken, dort- gion nützen und Arbeitsplätze schaffen. hin, wo es die größten Effekte hat. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Arnold (Beifall bei der FDP) Vaatz [CDU/CSU]) Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, in funktio- Ein Wort zur Städtebauförderung. Der Stadtumbau nierende Wohnungsmärkte, lebenswerte Städte – all das Ost ist eine wichtige Voraussetzung, um wirtschaftliche sind Dinge, die die Standortbedingungen in Ostdeutsch- Kerne in einer Region aufzubauen. Die Städte haben in land erhalten und ausbauen können. Die Menschen wol- letzter Zeit zum Teil eine gute Entwicklung genommen. len das. Sie wissen, dass viel getan wurde; das streitet Nach wie vor gibt es aber 1 Million Wohnungen im Os- niemand ab. Aber es muss weitergehen; sonst setzt sich ten, die leer stehen. Das ist etwas, was der Attraktivität die Abwanderung aus dem Osten Deutschlands fort. Da- schadet. Das Programm Stadtumbau Ost ist eindeutig ein bei müssen in der heutigen Situation Infrastrukturinves- hervorragendes Programm und schafft gute Ansätze. Zu titionen als Konjunkturprogramm gesehen werden und dem, was gut ist, muss man stehen. Unsere Aufgabe einen besonderen Vorrang erhalten. wird es sein, die Attraktivität der Städte im Osten weiter (B) (D) Ich finde es auch gut, dass Sie den Investitionsanteil zu steigern. Es muss nach einer geschickten Verbindung im Bau- und Verkehrshaushalt erhöht haben. Das ist zwischen Rückbau und Stadtentwicklung gesucht wer- zweifelsohne richtig. Bloß, wer die Zahlen genauer be- den. Wenn man diese Synthese findet, werden hoffent- trachtet – dies jetzt zu tun, würde zu weit führen –, wird lich nicht mehr so viele alte Häuser, die ein Stadtbild sehen, dass mit dieser Erhöhung noch nicht einmal die prägen, abgerissen, dann werden diese alten Häuser hof- Inflationsrate und der Preisanstieg ausgeglichen wurden. fentlich stärker integriert. Dann muss man eben am Wir bauen also in der Relation weniger als 1998. Stadtrand zurückbauen. Weitere Wohnungen auf grünen Flächen brauchen wir nicht. Davon haben wir im Mo- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ment genügend. Ich möchte Ihnen zwei Beispiele nennen: Als ehema- Als Beispiel ist in diesem Zusammenhang das liger OB von Leipzig kennen Sie sicherlich die A 72. Sie Schloss Osterstein in Zwickau zu nennen. Hier hat man sollte zur Fußballweltmeisterschaft 2006 fertig sein. etwas geschaffen, was Stadtentwicklungs- und Stadtför- Heute reden wir über den letzten Planungsabschnitt. Sie dermittel verdient. Ein Renaissanceschloss, das dem kennen sicher die – scherzhaft gesagt – schnellste Eisen- Verfall preisgegeben war, aber für Sachsen in architekto- bahnverbindung Deutschlands von Dresden nach Berlin. nischer Hinsicht wertvoll ist, wurde umgebaut. In den Auf dieser Strecke sind wir vor 80 Jahren schneller ge- oberen Etagen befindet sich ein Pflegeheim, und in den fahren, als das heute der Fall ist. Da müsste man sich unteren Etagen gibt es Gemeinschaftsräume, Restau- einmal etwas einfallen lassen. rants, Arztpraxen und Ähnliches. Das heißt, mitten in der Stadt ist aus einer Ruine ein Begegnungszentrum (Beifall bei der FDP) entstanden. Das ist ein gutes Beispiel für richtige Stadt- Als ich gestern sächsische Zeitungen gelesen habe, entwicklung. habe ich gedacht, Sie haben die Koalition gekündigt. Zu- (Beifall bei der FDP) mindest kommt es einem so vor. Die Große Koalition gibt es ja in Dresden und hier. Der Kollege Kretschmer Gestatten Sie mir zum Schluss zwei Bemerkungen: – ich sehe ihn jetzt nicht – hat gesagt: Wir wollen die Über die Anträge der CDU/CSU werden wir im Aus- Bauanträge sofort schreiben. Wir wollen noch in diesem schuss beraten. Der Antrag der Grünen enthält Geldfor- Jahr damit beginnen. Die ersten Bagger müssen rollen. – derungen. Es muss in der gegenwärtigen Situation viel- Der Herr Minister hat darauf geantwortet – in gewisser leicht nicht sein, lieber Peter Hettlich, dass noch mehr Hinsicht kann ich das sogar verstehen –: Was der da Geld gefordert wird. Deswegen werden wir uns enthal- treibt, ist unsachlich und billige Polemik. – Ich habe ei- ten oder den Antrag ablehnen. 20048 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Joachim Günther (Plauen) (A) Eines erscheint mir ziemlich kurios. In der Leipziger dass wir das große Leid damit nicht tatsächlich entschä- (C) Volkszeitung habe ich gestern gelesen, dass die Herren digen können. Weißgerber, Fornahl und Vaatz – das sind ja nicht irgend- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- welche in der Fraktion – mit ihrem Anliegen gescheitert neten der SPD und der FDP) seien, die Gestaltung eines Freiheits- und Einheitsdenk- mals auf die Tagesordnung des Kulturausschusses zu set- Es ist und bleibt eine Verpflichtung für uns, die Aufar- zen. Damit bleibt Leipzig praktisch vor der Tür. Ich halte beitung unserer jüngeren Geschichte voranzutreiben und das 19 Jahre nach der Wende für ein fatales Zeichen. Wir dabei ganz besonders bei allen Gelegenheiten das Ge- reden stets über riesige Kosten der deutschen Einheit denken der Opfer in besonderer Art und Weise hervorzu- und darüber, wie die Anpassung vorangehen soll. Ich heben. bitte Sie, dabei nicht die Menschen zu vergessen, die die deutsche Einheit möglich gemacht haben. Dazu zählen Der Osten in unserem Land hat in den letzten Jahren die Menschen in Leipzig. Geben Sie sich einen Ruck. in allen gesellschaftlichen Bereichen enorme Umstruktu- Ich glaube, gemeinsam können wir einiges erreichen. rierungen durchgemacht. Dazu gehört natürlich auch der große Bereich der Infrastruktur. Mobilität ist Freiheit, In- Danke schön. frastruktur verbindet Menschen und sorgt für wirtschaft- lichen Aufschwung. Die Verkehrsprojekte „Deutsche (Beifall bei der FDP) Einheit“ waren Anfang der 90er-Jahre eine richtige Ent- scheidung. Alle Projekte sind entweder abgeschlossen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: oder befinden sich im Bau. Es kommt darauf an, diejeni- Nächster Redner ist der Kollege für gen, die noch im Bau sind, zielstrebig und planmäßig die CDU/CSU-Fraktion. zum Abschluss zu bringen. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU): Dazu gehören die ICE-Strecke der VDE 8.1 und 8.2 Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ebenso wie die Lückenschlüsse auf der A 9 zwischen Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Bayern und Thüringen oder auf der A 4 von Sachsen in Einheit ist volljährig. Volljährigkeit bedeutet Eigenver- Richtung Hessen. Ich weise ganz bewusst darauf hin, antwortung, selbstständiges Handeln, Chancen erkennen dass diese Projekte nicht nur den ostdeutschen Bundes- und Chancen nutzen. Genau das tun die Ostdeutschen ländern dienen, sondern auch entscheidend für die infra- seit 1990 immer besser. Ich denke, das ist die gemein- strukturelle Entwicklung in der gesamten Bundesrepu- same Quintessenz, die wir aus dem diesjährigen Bericht blik sind. (B) zum Stand der deutschen Einheit entnehmen können. (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 18 Jahre Einheit heißt auch 18 Jahre Abstand von ei- neten der SPD) nem durch die SED ruinierten Staat. Das Schild und Schwert dieser Partei, das Ministerium für Staatssicher- Ein anderer Aspekt spielt dabei noch eine wesentliche heit, kontrollierte alle Teile des täglichen Lebens im Os- Rolle. All diese wichtigen Fernverbindungen sind auch ten und vielleicht auch ein bisschen im Westen. Die ka- Teil der transeuropäischen Netze. Deswegen nenne ich tastrophale Lage wurde bis zuletzt verheimlicht und wird diese Projekte auch bewusst Teile der „Verkehrsprojekte leider auch heute noch von manchen Schönfärbern ver- Europäische Einheit“. Neue Korridore – auch durch Ost- harmlost. Millionen Menschen sind über die Jahre geflo- deutschland – von großer europäischer Bedeutung kom- hen, die Wirtschaft war am Boden, der Staat war hoff- men auf uns zu. Ich nenne den Viermeereskorridor, aber nungslos verschuldet, die Rentenkassen waren leer und auch Hinterlandanbindungen der Häfen in Deutschland eine Absenkung des ohnehin bescheidenen Lebensstan- in Richtung Süden und Südosten, die in den nächsten dards um mindestens 25 Prozent unabwendbar. Das ist Jahren und Jahrzehnten eine entscheidende Rolle spie- nicht in der Bild-Zeitung nachzulesen, sondern in einer len. Politbürovorlage, die „Analyse der ökonomischen Lage Infrastrukturmaßnahmen sind natürlich nur ein Mosaik- der DDR mit Schlussfolgerungen“ heißt. Sie war von der stein zur Beherrschung der demografischen Entwick- Staatlichen Plankommission in Auftrag gegeben worden. lung, die uns im Osten ganz besonders zu schaffen macht. Nach meiner Einschätzung wird es in den nächs- Das allein ist sicherlich schon schlimm. Aber für ten 30 Jahren besonders schwierig. Deswegen ist es un- mein Empfinden ist es noch schlimmer, wie das SED- sere Aufgabe, diesen Trend langfristig umzukehren und Regime mit den Kritikern, mit den Andersdenkenden im die Durststrecke bis dahin mit geeigneten Maßnahmen Land umgegangen ist. Es ist aus heutiger Sicht unbe- abzufedern. schreiblich, was den eigenen Landsleuten von der Stasi, vom Schild und Schwert der SED, auf Befehl dieser Par- Dafür haben wir heute schon geeignete Mittel, zum teiführung angetan wurde. Zum großen Glück gibt es die Beispiel und vor allen Dingen im Bereich der Stadtent- Stasi heute nicht mehr. Alle Demokraten in diesem Haus wicklung. Das Programm Stadtumbau Ost ist ein Erfolg. – ich denke, da sind wir uns einig – begrüßen die Rente Deswegen wird es unser Ziel sein, dieses Programm für SED-Opfer, ein Vorhaben, das von der Großen Koali- über 2009 hinaus fortzuschreiben. Wir werden es besser tion zum Abschluss gebracht worden ist, wenngleich wir mit anderen Programmen in diesem Bereich verzahnen. alle wissen, dass es am Ende nur eine symbolische Geste Wir müssen für Flexibilität bei der Anwendung der Mit- für diejenigen ist, die großes Leid erfahren haben, und tel sorgen: auf der einen Seite Abriss, auf der anderen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20049

Volkmar Uwe Vogel (A) Seite Aufwertung. Wir müssen eine stärkere Fokussie- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C) rung auf die Innenstädte entwickeln und dies mit einem Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus für die geeigneten Denkmalschutz kombinieren, aber vor allen Fraktion Die Linke. Dingen mit der Stadtkernerhaltung und der Verbesserung (Beifall bei der LINKEN) der Attraktivität der Innenstädte. Flankierende Maßnah- men sind dabei ausgesprochen wichtig. So kann ich mir für die Bewältigung dieser auch in finanzieller Hinsicht Roland Claus (DIE LINKE): schwierigen Aufgabe durchaus vorstellen, dass wir mit Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und einer Investitionszulage und neu überdachten Sonderab- Herren! Der Jahresbericht zum Stand der deutschen Ein- schreibungen einiges mehr erreichen können. heit soll Antwort auf die Frage geben, wie viel Einheit zwischen Ost und West hergestellt ist. Es ist die einzige Eines liegt mir noch ganz besonders am Herzen; das Debatte im Deutschen Bundestag, die fast ausschließlich ist der ländliche Raum. Eine starke Stadt-Umland-Bezie- von ostdeutschen Abgeordneten geführt wird. hung sorgt für Stabilität auch in Krisenzeiten. Starke landwirtschaftliche Betriebe sorgen für attraktive Ar- (Petra Weis [SPD]: Aber nur fast!) beitsplätze; sie sind besonders in den strukturell schwa- Das sagt auch einiges über die Kultur der Einheit und chen Gebieten in allen Teilen der Bundesrepublik not- den Zustand, den wir erreicht haben. wendig, natürlich auch im Osten. Für uns steht fest: Wir halten an dem Ziel der Umsetzung des Solidarpakts bis Warum müssen wir eigentlich immer noch über den 2019 fest. Dafür setzen wir uns ein und werden Verein- Osten reden? Zunächst sei Folgendes klargestellt: Selbst- barungen zu einer Verstetigung der GA-Mittel treffen. verständlich, Herr Bundesminister Tiefensee, freut sich Dabei kommt es darauf an, dass man für Transparenz auch die Fraktion Die Linke über jeden wirklichen beim Mitteleinsatz sorgt und dass eine Zielorientierung Schritt nach vorn. Es war bekanntlich unsere Fraktion, vorgegeben wird, ohne Gefahr zu laufen, dass die Fläche die Ihnen vorgeschlagen hat, der aufgrund der Finanz- dabei verödet. krise drohenden Krise der Realwirtschaft mit einem Konjunkturprogramm zu begegnen. Jetzt haben Sie ein Die so oft gescholtene Gießkanne muss man differen- solches Programm aufgelegt, dürfen es aber nicht „Kon- ziert betrachten. Die Gießkanne statt des Gartenschlau- junkturprogramm“ nennen. ches sorgt richtig eingesetzt aus meiner Sicht für Wachs- (Heiterkeit bei der LINKEN) tum und blühende Flächen. Die Alternative heißt Wüste mit Oasen. Wüsten sind aus meiner Sicht etwas für Ka- Wenn Sie uns aber absprechen, dass wir uns über Fort- mele, aber nicht für verantwortungsvolle Politiker. Des- schritte freuen, muss ich Ihnen ausdrücklich widerspre- (B) halb – auch das ist ein Ergebnis des Aufbaus Ost in den chen. (D) vergangenen Jahren – sprechen wir zum Beispiel heute (Beifall bei der LINKEN) in Mikrofone, die aus Gefell im Vogtland kommen, des- wegen baut Opel in Eisenach im Wartburgkreis Fahr- Die Fakten kann man nicht leugnen. Wenn man einen zeuge, deswegen gibt es einen Airbuszulieferer im Al- Vergleich aller Landkreise der Bundesrepublik vor- tenburger Land, und deswegen können wir heute über nimmt und sich das Ende der Liste anschaut, stellt man Arbeitslosenquoten von 10 Prozent reden. Das ist ein Er- fest, dass sich unter den 50 letztplatzierten Landkreisen folg des Aufbaus Ost und vor allen Dingen ein Erfolg 49 ostdeutsche Landkreise befinden. der Union, die sich immer dafür eingesetzt hat. Ein anderer Fakt: Addiert man die Leistungskraft der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 100 größten ostdeutschen Unternehmen, kommt man neten der SPD) noch nicht einmal auf die Hälfte der Leistungskraft des Daimler-Konzerns. Deshalb sind wir der Meinung: Wir haben in Deutschland viele Probleme. Dazu gehört nach Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: wie vor das Problem der Ost-West-Teilung. Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit? Der Bericht, den uns die Bundesregierung vorlegt, ist bemerkenswert problembewusst. Wenn man allerdings Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU): nach Schlussfolgerungen und nach Konsequenzen für die Politik der Bundesregierung sucht, stellt man fest: Am Ende bleibt mir nur noch zu sagen: Ich freue Fehlanzeige. Deshalb muss man mit aller Deutlichkeit mich auf eine interessante Diskussion in den Ausschüs- sagen: Sie sind mit Ihrer Unlogik, den Aufbau Ost aus- sen. Ich bin mir sicher, die Menschen in Ostdeutschland, schließlich als Nachbau West zu gestalten, und zwar die ostdeutschen Bundesländer, gehen selbstbewusst ih- nach dem Motto „Wie im Westen, so auf Erden!“, ge- ren Weg in unserem vereinten Vaterland, auch wenn das scheitert. Das ist keine Basis für eine zukunftsfähige einigen Ewiggestrigen nicht passt. Das kann uns egal Entwicklung. sein. Es geht um unser Vaterland, um die Weiterentwick- lung aller Regionen. (Beifall bei der LINKEN) Danke schön. Man kann diese Frage auch einmal andersherum stel- len: Was kann der Westen vom Osten lernen? Ich möchte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- einige wenige Punkte aufzählen. Er kann lernen, der neten der SPD) Krise in schwierigen Situationen in die Augen zu sehen 20050 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Roland Claus (A) und besonnen zu handeln. Er kann lernen, keine Angst Ostdeutschen auf eine Angleichung von Ost- und (C) vor Systemfragen zu haben. Ich bin mir ganz sicher, dass Westrenten hat die Bundesregierung am Tag der Deut- der Osten bei der Bewältigung der aktuellen Krise ganz schen Einheit enttäuscht. eindeutig einen Kompetenzvorsprung hat. (Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Ja, ja! Wenn Die Abgeordneten der Koalition haben sich fürchter- Sie den Rentnern jeden Monat Geld wegneh- lich beklagt, als Umfrageergebnisse bekannt wurden, men wollen, dann müssen wir das so machen, nach denen nur noch 31 Prozent der Ostdeutschen Ver- wie Sie sagen! Sonst nicht!) trauen in die soziale Marktwirtschaft haben. Aber die Schlussfolgerung, die Sie daraus gezogen haben und die Die Bundeskanzlerin antwortete den Ostdeutschen ledig- Sie uns politisch anbieten – darauf zu warten, dass die lich mit der Formel: Die Höhe der Renten wird nicht sin- internationalen Finanzmärkte eines Tages wieder so ken. Ich muss Ihnen sagen: Damit haben Sie die Erwar- funktionieren, wie sie einmal funktioniert haben –, ist tungen der Ostdeutschen nicht erfüllt. völlig falsch. An dieser Stelle können Sie vom Osten in (Beifall bei der LINKEN) der Tat neues Denken lernen. Das halten wir auch für dringend geboten. Wir haben heute schon viel über die Bahn debattiert. Dass der Osten durch die am 14. Dezember 2008 erfol- (Beifall bei der LINKEN – Veronika Bellmann genden Preiserhöhungen stärker als das gesamte restli- [CDU/CSU]: Meinen Sie damit die zentralisti- che Bundesgebiet getroffen wird, halten wir ebenfalls sche Planwirtschaft?) für eine nicht hinzunehmende Diskriminierung. Außerdem kann man vom Osten lernen, Transforma- (Manfred Grund [CDU/CSU]: Dagegen muss tionserfahrungen einzubringen, will heißen: erfolgrei- man etwas tun!) ches Handeln unter völlig neuen gesellschaftlichen Situa- tionen. Wir stellen die Frage: Warum ist die Bundesregierung Nur zwei Beispiele: eigentlich so reformunfähig, und warum gibt es im Wes- ten so viel Beharrung? Ich glaube, das liegt auch daran, Die erfolgreiche Einführung erneuerbarer Energien, dass viele in den alten Bundesländern die deutsche Ein- beispielsweise in Brandenburg und Sachsen-Anhalt, be- heit nicht als einen Zugewinn in ihrem Lebensalltag er- deutet natürlich auch eine gesellschaftspolitische Um- fahren konnten. Nehmen wir dieses einfache Beispiel: wälzung; denn es muss gegen Bewährtes und Altes vor- Es gibt im Westen Arbeit und keine Kinderbetreuungs- gegangen werden. Das ist im Osten beispielhaft einrichtungen, im Osten gibt es Kitas und keine Arbeit. gelungen. (B) (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist (D) Ein anderes Beispiel ist die Etablierung und Ausbrei- Quatsch!) tung erfolgreich wirkender Sparkassen. Dies ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Ost-West-Einigung. Deshalb Man muss an dieser Stelle doch einmal die Erwartung an sagen wir: Sparkassen sind in Europa kein Auslauf-, die Politik ausdrücken dürfen, das jetzt einmal zusam- sondern ein Zukunftsmodell, menzubringen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) das wir uns durchaus auch als Ratgeber bei der Neuorga- Wir geben uns auch nicht damit zufrieden, dass noch nisation der Stromnetze vorstellen können. immer 54 Prozent der Beschäftigten der Bundesregie- rung in Bonn tätig sind. Ich sage es Ihnen gleich: Alle im Vom Osten kann man lernen, neue Wege zu gehen. Bonn-Berlin-Gesetz fixierten Ziele für die Bundesstadt Nur ein Beispiel: Viele, auch ostdeutsche Unternehmen Bonn sind mit der Jahrtausendwende erreicht worden. klagen inzwischen über den drohenden oder schon anzu- treffenden Fachkräftemangel. Sie haben die Hoffnung (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Überer- aufgegeben, Löhne oder Gehälter wie im Westen zahlen füllt!) zu können. Sie haben sich allerdings selbst geholfen, und Da Sie unsere entsprechenden Anträge seit Monaten im zwar mit einer typischen Erfahrung aus dem Osten. Sie Haushaltsausschuss blockieren, legen wir Ihnen heute haben Betriebskindergärten installiert, sodass die Arbeit- den Antrag „Wiedervereinigung der Bundesregierung in nehmer ideale Bedingungen vorfinden. Das ist ein As- Berlin“ vor. Das ist eine angemessene Aufgabe. pekt, der unserer Meinung nach viel stärker als bisher berücksichtigt werden sollte. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Die Linke wird deshalb im Westen und im Osten und Über Ostdeutschland zu reden, heißt nach wie vor immer wieder auch in diesem Parlament für die Anglei- aber auch, Diskriminierungen zu überwinden. Als wir chung der Lebensverhältnisse aller Bürger dieser Repu- dieser Tage eine breite Diskussion über die Angleichung blik eintreten. Deshalb gilt: Ohne eine starke Linke von Ost- und Westrenten geführt haben, warnte der säch- keine wirkliche deutsche Einheit. sische Ministerpräsident Tillich tatsächlich 18 Jahre Vielen Dank. nach der deutschen Einheit vor überhasteten Schritten. Ich frage Sie: Wo leben wir denn? Die Hoffnung der (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20051

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: dieser Großen Koalition, sondern auch des Ministers und (C) Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun seines Ministeriums. Hier erwarte ich einfach mehr. An der Kollege Peter Hettlich. dieser Stelle erwarten auch die Leute von uns ehrliche Analysen mit ehrlichen und vor allen Dingen auch nach- Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): vollziehbaren Lösungsvorschlägen mit der entsprechen- den Diskussion. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich finde, dass das (Beifall des Abg. Joachim Günther [Plauen] bis jetzt eine ausgesprochen müde Debatte ist. Das hat [FDP]) vielleicht etwas damit zu tun, dass wir heute Nachmittag Ich will das nicht immer wiederholen, weil die Zu- schon eine etwas längere und erhitzte Debatte über den sammenlegung der Debattentage mit den Jahrestagen gleichen Minister geführt haben, der auch für den Auf- 9. November und 9. Oktober natürlich immer wieder be- bau Ost zuständig ist. Es kann sein, dass die Energien et- schworen wird: Die Lebensleistung der Ostdeutschen ist, was verbraucht sind. das ist keine Frage, überragend – jeden Tag und auch in Ich weise darauf hin, dass dies heute die letzte De- schwierigen Situationen. Das muss man auch immer batte ist, die wir in dieser Legislaturperiode zum Stand wieder sagen. der deutschen Einheit führen. Ich erinnere daran, dass wir letztes Jahr hier eine ge- (Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Schauen Sie waltige Debatte über das Einheitsdenkmal geführt ha- einmal in unseren Entschließungsantrag!) ben. Ich stelle jetzt fest, dass ich vom Minister und auch aus den Reihen der Koalition nichts dazu höre. Was ist Insofern kann ich meinem Kollegen Joachim Günther denn jetzt eigentlich mit dem Einheitsdenkmal? Wenn nur ausdrücklich recht geben: Es ist außerordentlich ich der Presse jetzt einmal wirklich glauben kann, dann schwach, dass wir diese Debatte hier nachmittags um schaffen Sie es in dieser Legislaturperiode offensichtlich 16 Uhr und nicht morgens zur Primetime führen. Das nicht einmal, dass das Einheitsdenkmal zum 20. Jahres- wäre diesem Thema absolut angemessen. tag im nächsten Jahr steht. Das ist wirklich ein Armuts- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- zeugnis. SES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. An meine Kolleginnen und Kollegen aus Leipzig ge- Joachim Günther [Plauen] [FDP] und der Abg. richtet, die heute nicht anwesend sind, kann ich nur sa- Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) gen: Vermutlich werden es die Leipziger wieder selbst in Ich kann dazu nur sagen, dass wir uns hier einmal einen die Hand nehmen müssen und sich selbst ein Denkmal bauen müssen. Ich glaube nicht, dass die Große Koali- (B) Ruck geben müssen. (D) tion in der Lage sein wird, uns an dieser Stelle etwas (Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Sie haben unse- Positives zu liefern. ren Antrag nicht gelesen, Herr Hettlich!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich spreche zu diesem Thema hier vorne jetzt schon sowie bei Abgeordneten der FDP) zum sechsten oder siebten Mal und habe natürlich alle Berichte zum Stand der deutschen Einheit sehr aufmerk- Es gibt viele Themen. Wir werden heute Abend noch sam gelesen. Wenn man sich einmal die Berichte dieser eine Debatte zum Investitionszulagengesetz führen. Da- Legislaturperiode anschaut, dann muss man sagen: Der rauf werde ich noch eingehen. Bericht über das Jahr 2005 aus dem Jahre 2006 war Es ist interessant, wenn man Revue passieren lässt, wirklich positiv, weil er eine sehr ehrliche und relativ was die CDU/CSU und die SPD im letzten Jahr zum schonungslose Analyse der Situation in Ostdeutschland Aufbau Ost beigetragen haben. Da hat man sich über die enthielt. Der Bericht aus dem Jahre 2007 fiel schon wie- CDU/CSU schon arg gewundert. Ich erinnere beispiels- der in alte Stereotype zurück: viel erreicht, der Aufhol- weise an den Ost-Kongress in Dresden. Interessanter- prozess gewinnt an Fahrt, die Schere schließt sich. weise hat noch niemand in irgendeiner Weise darauf Bezug genommen, was ihr damals dort verzapft habt Wir haben uns damals gefragt, wie sich bei einem Un- – vielleicht gehen die nächsten Redner noch darauf ein – terschied von 0,3 Prozent beim Wirtschaftswachstum und was ihr auch groß diskutiert und verkündet habt. zwischen Ost und West eine Schere schließen kann. Selbst der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt Joachim Günther hat eben auch noch einmal darauf hin- hat dazu gesagt, dass man so keine Diskussion Ost füh- gewiesen, dass sich bei Betrachtung eines längeren Zeit- ren kann. raums ganz deutlich zeigt, dass es beim Aufholprozess seit etwa 12, 13 Jahren eine Stagnation gibt. Dabei kann Insofern erwarte ich von Ihnen auch an der Stelle et- man doch nicht von einer sich schließenden Schere spre- was mehr Konstruktivität. chen. Lieber Volkmar Vogel, ich schätze dich sehr, aber du Dieses Jahr gibt es eigentlich wieder einen Rückfall hast eher eine verkehrspolitische als eine aufbaupoliti- in das Jahr 2006. Es werden die industriellen Stärken sche Rede gehalten. Ich frage die beiden Kollegen, die und die strukturellen Defizite beschrieben. Wir sind ei- gleich zu dem Thema sprechen werden: Was enthält der gentlich wieder dort, wo wir schon vor drei Jahren wa- Entwurf der CDU/CSU für den Osten jenseits der Frage, ren, aber es werden keine Rückschlüsse aus der guten wo wir 1989 waren, ob auf der Straße oder in irgendwel- Analyse gezogen. Das genau ist das Dilemma nicht nur chen Ämtern? 20052 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Peter Hettlich (A) Zur SPD. Es war sehr interessant, als die CDU/CSU Jahren den Fehler gemacht haben, die Politikfelder Bil- (C) ihr Papier in der Bundesgeschäftsstelle vorgestellt hat. dung, Forschung und Innovation sträflich zu vernachläs- Die Kollegen von der SPD standen mit ihrem Gegenent- sigen. wurf vor dem Haus, um ihn dort zu verteilen. Wenn man beide Papiere gelesen hat, hat man gemerkt, dass sich die Zum Schluss komme ich zum Rentenwert Ost-West. Große Koalition nicht grün ist. Wenn sie sich nicht grün Lieber Kollege Claus, wir haben bereits im September ist, dann ist das nicht gut für die Menschen in Ost- hierzu einen Antrag vorgelegt. Die Kollegin Irmingard deutschland. Das hilft uns insgesamt nicht weiter. Schewe-Gerigk war dabei für uns federführend. Ich gebe Ihnen eine gute Empfehlung: Lesen Sie den Antrag! Das ist ein Armutszeugnis für die Große Koalition. Dann können wir demnächst darüber diskutieren. An dieser Stelle haben wir von Ihnen nicht viel zu erwar- ten. (Zuruf der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) Ich lade Sie alle ein, an unserem Ost-Kongress am 12. und 13. Dezember teilzunehmen. Wir werden nicht – Ja, genau das ist der Punkt. Sie versprechen den Leu- von großen Masterplänen schwadronieren, die sonst im- ten alles nach dem Motto „Wasch mich, aber mach mich mer gefordert werden. Wir werden grüne Impulse für nicht nass!“. – Ich habe schon vor fünf Jahren in diesem Ostdeutschland vorstellen. Es sind 15 an der Zahl. Ich Hause darauf hingewiesen, dass uns die dauerhafte werde noch erläutern, welche Impulse das konkret sind. Niedriglohnpolitik in Ostdeutschland noch einmal Es geht darum, den Menschen ehrliche Botschaften zu mordsmäßig auf die Füße fallen wird. Mit der jetzigen vermitteln, statt ihnen große Masterpläne und Worthül- Regelung der Rentenwerte werden wir nicht zurande sen zu verkaufen, die sie nicht voranbringen, wie es in kommen. Insofern brauchen wir andere Lösungen. Die den letzten Jahren oft genug der Fall war. Lösungen, die wir dazu vorgelegt haben, sind innovativ und intelligent. An dieser Stelle brauchen wir Ihre Un- Wir müssen die Wirtschaftsförderung viel stärker von terstützung von allen Seiten. der Investitionsförderung auf die Innovationsförderung verlagern. Neulich hat in Dresden der Bildungsgipfel Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. stattgefunden. Zumindest ist erkannt worden, dass das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Thema Bildung für uns sehr wichtig ist. Aber wir wer- den nicht an unseren Worten, sondern an unseren Taten Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: gemessen. Unsere Taten lassen etwas ganz anderes zu. Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Wicklein Ich denke in diesem Zusammenhang an die Verwendung für die SPD-Fraktion. der Mittel in Korb II. Das sind die überproportional ho- (B) hen Mittel, die der Bund im Rahmen des Solidarpakts an (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) die ostdeutschen Bundesländer gibt. Wir geben fünfmal der CDU/CSU) so viel Mittel für harte Infrastrukturmaßnahmen aus wie für Maßnahmen, die für den Standort Ostdeutschland Andrea Wicklein (SPD): wichtig sind, nämlich in den Bereichen Bildung, For- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und schung, Entwicklung und Innovation. An dieser Stelle Kollegen! Lieber Kollege Hettlich, ich empfehle Ihnen müssen wir unbedingt umsteuern. ein sehr spannendes Papier, nämlich den Entschlie- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ßungsantrag der Koalitionsfraktionen. Aus ihm geht her- SES 90/DIE GRÜNEN) vor, was wir in den nächsten Jahren vorhaben, um den Aufbau Ost weiter voranzubringen. Ich kann Sie beru- Daher fordern wir in unserem Entschließungsantrag für die higen: Dort steht auch, dass es im nächsten Jahr und da- letzten Jahre des Solidarpakts, 50 Prozent der Korb-II- rüber hinaus einen Bericht zum Stand der deutschen Ein- Mittel in diese Bereiche zu investieren. heit geben wird; das haben wir vereinbart. Wir schauen Was das Handlungsfeld Bildung angeht, konnte ich also auch im nächsten Jahr, was wir erreicht haben und kaum glauben, was ich heute im Tagesspiegel gelesen was in Ostdeutschland noch zu tun ist. habe: „Ost-Länder wollen neuen Soli“, und zwar den (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Bildungssoli. Das ist unsere Erfindung, die wir im Rah- men der Föderalismusreform II vorgestellt haben. Sei- Am 9. November wurde ich auf einer Veranstaltung nerzeit sind wir von allen anderen abgebügelt worden. zum Mauerfall gefragt, wie ich mir Ostdeutschland in Ich müsste eigentlich Urheberrechtsgebühren von den zehn Jahren vorstelle. Ich habe geantwortet: Ich wün- ostdeutschen Ministerpräsidenten verlangen, weil sie un- sche mir, dass dort alle eine hervorragende Schulbildung seren Bildungssoli eins zu eins als ihr Produkt verkau- bekommen, dass mehr Jugendliche als heute dort studie- fen. Sie glänzen wieder einmal durch Abwesenheit. Das ren, dass eine ausreichende Zahl an Studienplätzen vor- zeigt, wie wenig offensichtlich auch von dieser Seite im handen ist, dass genug Arbeit für alle da ist, dass jeder Bildungsbereich zu erwarten ist. dort eine Perspektive hat und dass es für diejenigen, die sich die Welt angeschaut haben, genügend Gründe gibt, Der Ansatz von Herrn Tillich, immer mehr Geld zu nach Hause zurückzukehren, weil sie dort für ihre Fami- fordern, ist der falsche Weg. Das Problem besteht nicht lien eine gute Zukunft sehen. darin, dass wir zu wenig Geld im System haben; wir richten aber mit dem zur Verfügung stehenden Geld zu Warum habe ich gerade diese Wünsche geäußert? Ge- wenig aus, vor allem deswegen, weil wir in den letzten hen wir zurück in die Gegenwart. Schauen wir uns die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20053

Andrea Wicklein (A) Situation in Ostdeutschland heute an, 19 Jahre nach dem von der Bundesregierung geförderte Clusterbildung ist (C) Fall der Mauer. Die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland der richtige Ansatz. Beispielsweise bestehen in Ost- ist auf dem niedrigsten Stand seit 1991. Die Verkehrsin- deutschland vielfältige Forschungskompetenzen, um frastruktur und die Kommunikationsnetze haben einen Erdöl in Kunststoffen durch Pflanzen zu ersetzen. Mit hervorragenden Ausbaustand erreicht. Seit dem Jahr der Schaffung eines Bioraffinerieclusters Mitteldeutsch- 2000 ist die industrielle Wertschöpfung um 54 Prozent land könnten diese Kompetenzen gebündelt werden. gestiegen. Im Osten entstehen Kompetenzzentren und Deshalb ist es wichtig, dass solche Initiativen weiterver- Exzellenzcluster für innovative Zukunftsfelder, wie in folgt und mit den notwendigen finanziellen Mitteln aus- Dresden, Jena und Potsdam, um nur einige Beispiele zu gestattet werden. nennen. Bei den erneuerbaren Energien ist der Osten Wir brauchen in den kommenden Jahren eine neue In- vorn. Das sind Erfolge, auf die wir gemeinsam stolz sein novations- und Gründungswelle in Ostdeutschland, um können. die immer noch vorhandenen Defizite zu überwinden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dafür brauchen wir ein noch größeres Engagement des der CDU/CSU) Bundes, der Länder, aber auch der Wirtschaft. Ost- deutschland hat das Zeug, sich in den kommenden zehn Wir haben in Ostdeutschland sehr viel erreicht. Aber Jahren zu dem Innovationslabor Deutschlands zu entwi- in der Tat gibt es noch viel zu tun. Die Arbeitslosigkeit ckeln, zu einem Zentrum für Zukunftstechnologien. Es in Ostdeutschland ist zwar auf dem niedrigsten Stand kann zu einem Zentrum für neue Ideen und Innovationen seit 1991, aber leider immer noch doppelt so hoch wie in sowie zum Ideengeber für die Bewältigung des demo- Westdeutschland. Seit 2000 ist die industrielle Wert- grafischen Wandels werden. Der Aufbau Ost kann zu schöpfung zwar um 54 Prozent gestiegen. Aber leider einem Gewinn für alle werden und den Standort beträgt der Produktivitätsrückstand zum Westen 22 Pro- Deutschland insgesamt stärken, so wie es im Entschlie- zent. Der Abstand der Löhne in der Industrie liegt bei ßungsantrag der Koalitionsfraktionen formuliert ist. knapp 32 Prozent; das wurde bereits angesprochen. Wa- rum weise ich ausdrücklich darauf hin? Gerade durch Wenn ich in zehn Jahren zu Ostdeutschland befragt den demografischen Wandel wirken sich diese Faktoren werde, dann möchte ich sagen können: Ostdeutschland auf Ostdeutschland besonders dramatisch aus. Zurzeit hat seine Chancen genutzt. Hier wollen die Menschen verlieren die ostdeutschen Bundesländer im Saldo jähr- studieren, arbeiten und leben. Es gibt keine nach Ost und lich circa 50 000 Menschen im Alter zwischen 18 und 30. West getrennten Statistiken mehr. Beschäftigung, Löhne Die anhaltende Abwanderung zeigt, dass wir die struktu- und Renten sind auf gleichem Niveau. Und vor allem: In rellen Probleme im Osten noch nicht überwunden haben. Ostdeutschland ist ein neues Selbstwertgefühl entstan- den. Die Menschen in Ost und West sind stolz auf das (B) Ein Grund dafür ist das Fehlen von kapitalstarken Unter- (D) nehmen. Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen wie Erreichte und geben ihre Erfahrungen weiter. die Verbundnetz Gas AG in Leipzig als eigenständiges, Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass unser wettbewerbsfähiges Unternehmen am ostdeutschen Land weiter zusammenwächst. Standort gehalten werden. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Die Wirtschaft Ostdeutschlands ist wesentlich stärker Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: durch kleine und mittlere Unternehmen geprägt. Das ist Nun hat das Wort die Kollegin Veronika Bellmann für ein weiterer Grund für die strukturellen Defizite; denn die CDU/CSU-Fraktion. diese Unternehmen sind oft nicht in der Lage, die erfor- derliche Finanz- und Wirtschaftskraft aufzubringen, um (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. sich eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen Heinz-Peter Haustein [FDP]) zu leisten. Deshalb liegt der ostdeutsche Anteil an den industriellen Forschungsaufwendungen unter 5 Prozent. Veronika Bellmann (CDU/CSU): Wir sind uns einig: Es liegt im Interesse des ganzen Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Landes, die teilungsbedingten strukturellen Unterschiede Damen und Herren! 18 Jahre deutsche Einheit, 18 Jahre zwischen Ost und West zu überwinden. Wir wollen, dass vereintes Deutschland, Gott sei Dank ohne Mauer und Ostdeutschland 2019 auf eigenen Füßen steht. Dieser Stacheldraht. Obgleich ich nicht verkenne, dass auch Prozess ist kein Selbstläufer. Hier ist trotz aller Erfolge ohne Finanzkrise noch jede Menge Aufgaben vor uns nach wie vor politisches Handeln erforderlich – und wir stehen, können die Menschen im Osten und Westen handeln. Deutschlands stolz sein, was sie bisher unter dem Motto „getrennt, vereint, gemeinsam“ geleistet haben. Wer mit Den entscheidenden Einfluss auf den weiteren An- offenen Augen durch die Welt geht, der wird beim Ver- gleichungsprozess werden die Bildungspolitik, die Aus- gleich der Abschlussbilanz DDR/Eröffnungsbilanz Bun- bildung sowie die Wirtschafts- und Forschungsförde- desrepublik und der jetzigen Situation zugeben müssen, rung haben. Der eingeschlagene Weg mit dem dass sich unheimlich viel zum Besseren verändert hat. Hochschulpakt, der Fortsetzung der Exzellenzinitiative Ich möchte nur den zentralen Punkt der Verkehrsinfra- oder dem Programm „Spitzenforschung und Innovation struktur herausgreifen. Ein altes chinesisches Sprichwort in den Neuen Ländern“ ist der richtige Weg. Auch die sagt: Wenn du reich werden willst, dann musst du Stra- 20054 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Veronika Bellmann (A) ßen bauen. – Auf unsere Zeit übertragen ergänze ich: dor hat das Potenzial eines wirtschaftlichen Kernraumes (C) Dann musst du moderne Infrastruktur bauen, und zwar in der EU, der Ostdeutschland mit seinen Wachstums- für alle Verkehrsträger: Schiene, Straße, Wasser, Luft. kernen einschließt. Das ist für den weiteren Aufbau Ost Dann kannst du nicht mehr nur in der Kategorie „Bun- unheimlich wichtig. desland“ planen, sondern dann musst du deutschland- Inzwischen haben sich alle ostdeutschen Ministerprä- weit und – mehr noch – europäisch planen. sidenten in nunmehr drei Regierungskonferenzen hinter Dem Aufbau einer modernen, dynamischen Wirt- diese Korridorinitiative gestellt, auch die Regional- und schaft und leistungsfähiger Wachstumskerne in einigen Raumentwicklungsminister sowie einige Nachbarstaaten ostdeutschen Regionen ging der Aufbau einer modernen – Tschechien, Österreich, Kroatien, Schweden – und so- Verkehrsinfrastruktur voraus, oder er ging parallel mit gar der EU-Koordinator Karel van Miert. Bundesminis- ihm einher. Das Tempo und die Intensität haben sich lei- ter Tiefensee hat in vielen Reden, auch hier im Plenum, der in den letzten Jahren etwas verringert. Ein Beispiel von seiner Unterstützung für diesen Korridor gespro- dafür ist die Bahnstrecke Hamburg–Stralsund. 2002 chen. Geschrieben hat er dann ein wenig anders; gehan- sollte sie ursprünglich fertig sein. Jetzt spricht Minister delt hat er diesbezüglich leider noch gar nicht. Aus sei- Tiefensee von einer Verschiebung bis 2011. Ähnliches nem Hause hört man gar, dass es stattdessen größere spielt sich – darauf wies Kollege Günther schon hin – Sympathien für die Konkurrenzstrecke einer Nord-Süd- bei der Bahnstrecke Berlin–Dresden ab. Fahrzeiten, die Verbindung auf polnischem Gebiet, von Stettin aus, ge- nicht einmal die von 1938 erreichen, entsprechen nun ben soll. Das halten wir ebenfalls für sehr fragwürdig. wirklich nicht modernen Standards. Ich hoffe nur, dass Bundesminister Tiefensee seit dem heutigen Tage in seinem Hause nicht nur Cello, sondern (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- die erste Geige spielt. wie der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) Fakt ist, dass wir keine Zeit zu verlieren haben; denn Vielleicht liegt das daran, dass man eben nicht mehr das entscheidende Weichen werden in den kommenden Mo- Prinzip anerkennt, dass der weitere Ausbau der Infra- naten auf EU-Ebene gestellt. Der Vier-Meeres-Schie- struktur eine zentrale Voraussetzung für mehr Wachstum nen-Korridor soll in der Revision der TEN-Leitlinien in Deutschland ist. Oder es liegt daran, dass sich die verankert werden, und das, meine Damen und Herren, ist Meinung breitmacht – so ist von der DB AG immer wie- ein wesentlicher Bestandteil unseres heutigen Entschlie- der zu vernehmen –, dass Infrastruktur schließlich keine ßungsantrags, für den ich ganz herzlich um Ihre Zustim- Entwicklungspolitik sei und deshalb im Osten nicht mung bitte. mehr investiert werde, da dort zu wenig Wertschöp- fungs- und zu geringe Bevölkerungspotenziale seien. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (B) Das halte ich für eine Unverschämtheit. neten der FDP) (D)

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ten der SPD, der FDP und der LINKEN) Das Wort hat nun Kollege Klaas Hübner, SPD-Frak- Wenn wir ab 1990 auch so gedacht hätten, hätten wir tion. das Buch gleich zugeklappt und der Osten wäre ein he- runtergekommener Landstrich geblieben. Stattdessen ha- Klaas Hübner (SPD): ben wir durch den Aufbau leistungsfähiger Verkehrsver- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- bindungen Standortvorteile geschaffen – wenn auch ren! Lieber Kollege Claus, Sie haben in Ihrer Rede eben noch zu wenige –, Industrieinvestitionen gefördert und angesprochen, dass diese Regierung und diese Koalition ein bescheidenes Wachstum erzeugt. Ganz Deutschland abwarten, bis sich die Finanzmärkte wieder beruhigt ha- profitiert davon, weil sich dort, wo sich Verkehrswege ben. Das steht in einem gewissen Widerspruch zu dem, kreuzen, immer auch wirtschaftliche Chancen ergeben. was Sie sonst immer sagen. Es ist diese Regierung, die Durch die EU-Erweiterung sind – teilweise auf alten einen Rettungsschirm für die Banken aufgespannt hat, Handelswegen – neue Warenströme entstanden. Bei den was notwendig war. Sie haben es kritisiert. Ich wieder- aufstrebenden Wirtschaftszentren in Mittel- und Ost- hole: Sie widersprechen sich an dieser Stelle. Sie haben europa haben wir es mit einer Perlenkette dynamisch das seinerzeit abgelehnt. Diese Regierung handelt hier. wachsender Metropolen zu tun. Mit besseren und Sie wartet im Hinblick auf die Finanzmärkte gar nicht schnelleren Anbindungen an diese Schrittmacherregion ab, sondern handelt, weil sie weiß, dass ein funktionie- kann und muss Ostdeutschland an dieser Dynamik teil- rendes Bankensystem ein öffentliches Gut ist. Ohne die- haben. Das transeuropäische Verkehrsnetz ist deshalb ses öffentliche Gut können wir keine erfolgreiche Wirt- ein Schlüsselelement für die Gewährleistung des schnel- schaftspolitik betreiben, auch nicht in Ostdeutschland. len und reibungslosen Personen- und Warenverkehrs Darum sind wir hier die Handelnden; für Sie gilt das we- zwischen den Mitgliedstaaten. niger. Gleiches gilt für den Aufbau von Wirtschaftsräumen Wir debattieren zum Herbst immer wieder den Stand und von Korridoren über Ländergrenzen hinweg. Der der deutschen Einheit. Das ist in meinen Augen auch gut wichtigste Korridor für uns ist dabei die Nord-Süd-Ver- so. Es ist recht und billig, dass die Bundesregierung Re- bindung von Skandinavien über die Nord- und Ostsee- chenschaft über die Verwendung der von uns zur Verfü- häfen bis an die Häfen der Adria und des Schwarzen gung gestellten Mittel ablegen muss. Wichtig ist auch, Meeres. Der sogenannte Vier-Meeres-Schienen-Korri- dass wir uns bei diesem Anlass Gedanken darüber ma- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20055

Klaas Hübner (A) chen, inwieweit die gesteckten Ziele erreicht sind und Insgesamt kann man jedoch sagen, dass das Wachs- (C) was dort noch zu tun ist. tum im industriellen Bereich in den neuen Bundeslän- dern deutlich stärker ist als im Westen. Die Bauwirt- Die aktuelle Lage der Weltwirtschaft macht diese De- schaft ist momentan einigermaßen stabilisiert. Ich finde batte nicht einfacher. Daher sollte jeder vernünftige Vor- den Weg, den wir gegangen sind, gut. Wir wollen unsere schlag ernsthaft diskutiert werden. Selbstverständlich ist Bemühungen weiter verstärken. mit dem Abschluss der heutigen Debatte kein Schluss- punkt gesetzt. Mir sind, offen gestanden, lieber Kollege Das Kabinett hat beschlossen, die GA-Mittel noch Hettlich, einige in Ihrem Entschließungsantrag enthalte- einmal aufzustocken. Damit wird eine Forderung erfüllt, nen Vorschläge nicht unsympathisch. Trotzdem werden die in diesem Hause oft erhoben wurde. Die GA-Mittel wir ihm heute wahrscheinlich nicht zustimmen können, sind das zielgenaueste Instrument für eine effektive weil die Finanzierung diejenige Seite ist, die wir als Ko- Wirtschaftsförderung. Darum bin ich sehr dankbar dafür, alition an dieser Stelle mit bedenken müssen. dass die Große Koalition, das Kabinett, beschlossen hat, Gleiches kann ich vom Entschließungsantrag der Lin- genau diese zielgenauen Mittel noch einmal um rund ken nicht unbedingt behaupten. Sie beklagen zwar im- 200 Millionen Euro für zwei Jahre aufzustocken. Ich mer wieder gerne das Gefühl der Zweitklassigkeit im glaube, damit kann man den neuen Bundesländern einen Osten, aber Sie machen in Ihrem Antrag zu wenig Mut. gewaltigen Schub geben. In meinen Augen kann man ermutigen, gerade auch im (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Osten, und zwar bei jeder passenden und jeder unpassen- den Gelegenheit. Meine Kollegin Wicklein hat gerade angesprochen, dass wir im Bereich der Innovationen im Osten zum Teil Der Aufbau, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Ost- noch zurückliegen. Das ist leider richtig. Ja, wir haben deutschland geleistet worden ist, ist eine genauso große heute im Osten zum Teil noch Firmen, die in der Wert- Leistung wie der Aufbau in Westdeutschland, nur unter schöpfungskette ziemlich weit hinten liegen, die noch ungleich schlechteren Bedingungen. Liebe Kollegen von nicht weit genug vorne sind. Wir müssen insgesamt der Linksfraktion, Ihre Vorgängerpartei hat einen nicht mehr tun, um das zu ändern. Das ist aber in meinen Au- unwesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass die Bedin- gen nicht nur eine Aufgabe des Bundes, der öffentlichen gungen für die Ostdeutschen so schlecht waren. Man Hand. Vielmehr müssen wir bei der Wirtschaft, bei den muss aber die Leistung anerkennen, die dort erbracht Unternehmen, einfordern, dass sie mehr tun. Wir haben wurde. im Osten sehr viele motivierte, junge Mitarbeiter. Wir (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) haben dort gute Hochschulen. In meinen Augen lohnt es sich für die Wirtschaft allemal – auch ohne staatliche (B) (D) Natürlich ist es ein Verdienst der Menschen in Ost- Subventionen –, im Osten die Innovationen voranzutrei- deutschland, dass man seit 1989 in der neuen Selbstbe- ben. stimmung, in der neuen Freiheit viel erreicht hat. Man kann vor dem, was erreicht worden ist, nur Respekt ha- ben. Man soll auch sagen: Das, was ihr erreicht habt, Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: muss euch Mut machen. Herr Kollege Hübner, gestatten Sie eine Zwischen- frage des Kollegen Hettlich? Wir sind in vielen Feldern sehr weit nach vorne ge- kommen. Wir sind in vielen Feldern sehr innovativ ge- wesen. Wir sind vielleicht noch nicht dort angelangt, wo Klaas Hübner (SPD): wir sein wollen; aber einige Beispiele – gerade im Be- Selbstverständlich, gern. reich der erneuerbaren Energien und der Wirtschaftsfel- der, die wir daraus entwickelt haben – geben doch Mut und Anlass, zu sagen: Jawohl, wir können aus eigener Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kraft eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Vielen Dank, Kollege Hübner. Sie sprachen eben die Ost und West erreichen. Gemeinschaftsaufgabe Ost an. Sie wissen, dass sie Be- standteil des Korbs II ist. Insofern wird der Betrag für Wirtschaft ist bei der Angleichung der Lebensverhält- die Aufstockung aus diesem gedeckelten Korb genom- nisse der entscheidende Punkt. Wenn wir die Zahlen be- men. Wenn Sie dies als großen Erfolg der Bundesregie- trachten, kann man zwar sagen – wie es der Kollege von rung verkaufen, stellt sich die Frage: Bedeutet das nicht, der FDP getan hat, –, dass das Wachstum im Osten mo- dass an anderer Stelle Mittel aus dem Korb II gestrichen mentan nicht ganz so groß wie im Westen ist; das ist werden müssen? nicht ganz falsch. Man muss dabei allerdings berück- sichtigen, dass das schwächere Wachstum im Osten vor Sie haben nichts zur I-Zulage gesagt. Gehe ich recht allen Dingen darauf beruht, dass im Sektor der öffentli- in der Annahme, dass Sie später in Ihrer Rede darauf chen Dienstleistungen ein Rückgang verbucht worden eingehen werden? Ich weise auf die heute Abend statt- ist, der gewollt war; es ist Teil der Konsolidierungsan- findende Debatte dazu hin, bei der ich übrigens als Ein- strengungen der ostdeutschen Landesregierungen, dafür ziger reden werde, obwohl das Instrument laut Minister zu sorgen, dass sich Länder und Kommunen zurückzie- Tiefensee so wichtig ist. Ist das für Sie kein Thema hen und Personal abbauen, um mehr Mittel für Innova- mehr? Das wundert mich eigentlich. Warum wird die tionen freizubekommen. Das hat den statistischen Ef- zweite und dritte Lesung quasi zu nachtschlafender und fekt, dass das Wachstum formal etwas geringer ist. nicht zu prominenter Zeit gehalten, wenn Sie doch sa- 20056 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Peter Hettlich (A) gen, dass die I-Zulage ein hervorragendes Instrument Wenn Sie sich die Dinge auf diese Weise schönrech- (C) ist? nen, dann ist Politik natürlich ganz einfach. Sie müssen sich aber auch um die Finanzierung kümmern. Da blei- (Iris Gleicke [SPD]: Das haben wir doch so ben Sie uns eine Antwort immer schuldig. Insofern ist vereinbart! Das ist ja wohl witzig!) das in meinen Augen ein deutliches Zeichen dafür, dass gerade die Rentenpolitik bei denjenigen in besseren Klaas Hübner (SPD): Händen ist, die verantwortungsvoll mit Finanzen umge- Vielen Dank, Herr Kollege Hettlich. Die Bundesre- hen können. gierung hat im Zusammenhang mit ihrem Konjunktur- programm gesagt, sie wolle die GA-Mittel um 200 Mil- Wie wollen Sie den Beitragszahlern und Beitragszah- lionen Euro aufstocken. Es handelt sich dabei in der Tat lerinnen erklären, dass wir die Beiträge erhöhen oder die um zusätzliche Mittel. Neuverschuldung um 6 Milliarden Euro erhöhen müs- sen, was dann andere Generationen bezahlen müssen? Was den späten Zeitpunkt der Debatte angeht: Ich Das wäre keine sozialgerechte Politik. gebe Ihnen Recht, dass die Debatte spät stattfinden wird. Ich muss Ihnen allerdings sagen: Wir hätten sie gerne Insgesamt glaube ich, dass wir im Hinblick auf den früher geführt; aber Sie von den Oppositionsparteien ha- Stand der deutschen Einheit auf einem guten und richti- ben uns heute zwei Stunden lang mit einer Debatte über gen Weg sind. Wir sind aber bei Weitem nicht am Ende. Herrn Tiefensee aufgehalten, die in dieser Form nicht Herr Kollege Hettlich, darum werden wir die Berichte notwendig war. Herr Kollege Hettlich, wir hätten das auch weiterhin hier im Parlament beraten; das ist wich- durchaus weglassen können, um diese Debatte im Ple- tig. Wir brauchen die Einheit für das Gesamtgefüge in num sehr viel prominenter, besser und früher führen zu Deutschland. Insofern freue ich mich auf die Debatte im können. Herbst nächsten Jahres und darauf, hier an gleicher Stelle reden zu können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank. Abschließend möchte ich aus aktuellem Anlass ein paar Worte zum Thema Rente sagen. Ich möchte vor al- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) lem mit einem Dank beginnen. Die faktische Entwick- lung der Renten in Ostdeutschland beruht in meinen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Augen auf einer grandiosen Solidarisierung der Bei- Das Wort hat nun Kollege Eckardt Rehberg, CDU/ tragszahler und Beitragszahlerinnen sowie des gesamt- CSU-Fraktion. deutschen Steuerbürgers. (B) (Beifall bei der CDU/CSU) (D) (Beifall bei der CDU/CSU)

Der nach 1990 eingeschlagene Weg war bisher erfolg- Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): reich. Wir sollten das an dieser Stelle nicht vergessen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Gestern hat sich die Bundeskanzlerin mit den Minis- Herren! Ich glaube, es ist gelegentlich wichtig, nicht terpräsidenten der ostdeutschen Länder und den Minis- ständig von Ost nach West zu schauen, sondern gerade tern Scholz und Tiefensee getroffen. Dabei wurde auch in diesen Tagen einmal zu überlegen, wo wir eigentlich zu dieser Frage Position bezogen. Wir unterstützen die herkommen. Absichtserklärung der Bundesregierung, zu einer Rege- Ich kann mich an die Zeit vor 19 Jahren, im Oktober lung zu kommen, ausdrücklich, auch unter den von ihr bzw. November 1989, erinnern, als man feststellte – das gesetzten Prämissen. war damals noch nicht so öffentlich –: Die DDR ist ei- Sie werden dazu von mir heute keine Zahlen hören. gentlich pleite. Das ging aus dem sogenannten Schürer- Immerhin hat der gestrige Tag zu einer erfreulichen Ver- Bericht hervor. Wenn ich weiter an 1990 und an die Un- sachlichung der Diskussion in der Presse beigetragen. Es tersuchungen im Zuge der Solidarpaktverhandlungen der gab allerdings eine Ausnahme des Pressebildes von fünf Wirtschaftsforschungsinstitute denke, erinnere ich heute: das Zentralorgan Ihrer Partei, nämlich das Neue mich, dass man sagte: 1990 waren im Gegensatz zu den Deutschland. Darin hat Frau Kollegin Enkelmann, die alten Bundesländern nur 40 Prozent der Infrastruktur eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt hatte, vor- und Produktivität in den neuen Bundesländern vorhan- gerechnet, was eine Angleichung der Rentenwerte kos- den. Wir haben heute einen Stand von 75 Prozent er- ten würde. 6 Milliarden Euro war die Antwort. Sie sagt: reicht. 6 Milliarden Euro in vier Jahren. Was Sie dort vorstel- len, sind doch bloß 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Herr Claus, wenn Sie in diesem Zusammenhang da- von reden, dass die Westdeutschen die deutsche Einheit So kann man es sich natürlich auch schönrechnen, nicht als Zugewinn betrachten, dann muss ich Ihnen Frau Enkelmann. Natürlich wären es 6 Milliarden Euro ganz deutlich widersprechen. Ihre Rede, so wie Sie sie pro Jahr. Das heißt: Es sind nicht nur 1,5 Milliarden hier vorgetragen haben, gräbt die Gräben tiefer und baut Euro pro Jahr, sondern 6 Milliarden Euro jedes Jahr. Sie neue Mauern auf. Wir müssen gerade im Jahr der Voll- können das beliebig mit einer Zahl von Jahren multipli- jährigkeit der deutschen Einheit dafür sorgen, dass die zieren und wissen dann, wie hoch die Haushaltsbelas- Mauer weg bleibt. Dies muss deutlich gemacht werden, tung ist. damit die Gräben nicht tiefer, sondern flacher werden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20057

Eckhardt Rehberg (A) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Liebe Freunde, das Thema Rente ist äußerst sensibel. (C) FDP) Wer den Eindruck erweckt, man könne hier von heute auf morgen eine Lösung präsentieren, dem muss man sa- Herr Kollege Hübner ist bereits auf meinen nächsten gen: Das ist nicht möglich. Ich rate jedem dringend, ver- Punkt eingegangen. Sie reden von Diskriminierungen antwortungsvoll in der Öffentlichkeit zu handeln und zu der Ostdeutschen und haben beim Thema „Rente Ost/ debattieren, damit nicht eine echte Neid- und Missgunst- West“ einen Scherbenhaufen sondergleichen hinterlas- debatte zwischen West und Ost entsteht. sen – einen Scherbenhaufen ohne Ende. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der neten der SPD) SPD und der FDP) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Minis- Ich denke, wir müssen wirklich einmal ein paar Fak- ter Tiefensee, auf uns wird in den nächsten Jahren ein ten und Daten nennen: eminentes Problem zukommen. Wir müssen uns fragen, Erstens. Das Niveau der Ostrenten lag 1990 bei wie wir eine bestimmte Gruppe von Langzeitarbeitslo- 40 Prozent der Westrenten, heute liegt es bei 88 Prozent. sen in Beschäftigung bekommen. Unter Punkt II. Nr. 3 Das, was wir in knapp zwei Jahrzehnten geschafft haben, unseres Entschließungsantrags haben wir zwei Modelle ist eine Riesenerfolgsgeschichte. gegenübergestellt: den Kommunal-Kombi und das Mo- dellprojekt Bürgerarbeit. Wir sollten hier sehr sachlich Zweitens. 14 Milliarden Euro der Renten im Osten und ohne Polemik abwarten, wie sich beides entwickelt. werden von den Beitragszahlern in Westdeutschland be- zahlt. Das sind fast zwei Rentenbeitragspunkte. Demje- (Frank Spieth [DIE LINKE]: Das ist ausge- nigen, der hier von Diskriminierung redet, muss ich sa- zeichnet, das stimmt!) gen: Das ist wirklich pure Solidarität Westdeutschlands Der Kommunal-Kombi ist jetzt ein Dreivierteljahr am gegenüber Ostdeutschland. Das sind die Fakten, nichts Netz. 5 400 Personen nehmen am Kommunal-Kombi anderes. teil, es gab knapp 8 000 Anträge. Die Modellprojekte (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Bürgerarbeit sind aber deutlich erfolgreicher. Diese Mo- FDP) dellprojekte gibt es mittlerweile nicht nur in Sachsen- Anhalt, sondern auch in Bayern, so zum Beispiel in Wei- Ein Weiteres: Wir müssen auch über den sogenannten den, Hof und Coburg. Man kann sagen, dass hier die Ar- Bewertungsfaktor reden. Sie, meine Damen und Herren beitslosigkeit in einem vierstufigen Prozess um durch- von der Linkspartei, haben in Ihrer Angleichungsdebatte schnittlich 50 Prozent gesunken ist. Dazu trug die (B) ja völlig verschwiegen, dass dieser Faktor mittlerweile Beschäftigung in Bürgerarbeit nicht einmal zur Hälfte, (D) viele Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern und sondern nur etwa zu einem Drittel bei. Der Abbau geht auch viele derjenigen, die heute Rente beziehen, bevor- vielmehr insbesondere darauf zurück, dass erstens jeder teilt. Einzelne gecheckt wird, zweitens jedem ein Weiterbil- dungsangebot gemacht wird und drittens die Vermittlung (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Genau so ist das!) in den ersten Arbeitsmarkt Vorrang vor der Bürgerarbeit Nehmen Sie allein einmal den Mindestlohn im Bauge- hat. werbe: In den alten Ländern sind es in der Lohngruppe 1 Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten wirklich 10,70 Euro und in den neuen Ländern 9 Euro. Durch die sehr sorgfältig in den nächsten Wochen und Monate bei- Aufwertung um 18 Prozent dank des Bewertungsfaktors des beobachten. Ich sage Ihnen, Herr Minister Tiefensee: sind diese beiden Lohngruppen bei der Rentenberech- Das Prä haben für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nung gleichgestellt. Es ergibt sich der gleiche Entgelt- ganz eindeutig die erfolgreichen Modellprojekte Bür- punkt. gerarbeit in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern. Sie haben auch verschwiegen – das macht es besonders Danke. schlimm, dass Sie hier von Diskriminierung reden –, dass der Bauarbeiter in Deutschland West auf der Basis von (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie 10,70 Euro Stundenlohn Rentenbeiträge bezahlt, dage- bei Abgeordneten der FDP) gen der Bauarbeiter in Deutschland Ost auf der Basis von 9 Euro Stundenlohn. Er ist hier deutlich im Vorteil, Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: denn er zahlt weniger Rentenbeiträge, aber er erhält die Das Wort für eine Erklärung zur Aussprache erhält gleichen Rentenentgeltpunkte. nun Kollege Arnold Vaatz. Wenn wir heute eine Angleichung vornehmen wür- den, gäbe es nicht nur das Problem, dass es 6 Milliarden Arnold Vaatz (CDU/CSU): Euro pro Jahr kosten würde – das entspräche ja knapp ei- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nem Rentenbeitragspunkt –, sondern es käme auch dazu, möchte kurz auf jeweils eine Bemerkung der Kollegen dass der Bauarbeiter Ost, der deutlich weniger Beiträge Günther und Hettlich eingehen. Ich kann zwar nicht für für einen Entgeltpunkt eingezahlt hat, in fünf oder zehn meine beiden Leipziger Kollegen Fornahl und Jahren gegenüber dem westdeutschen Bauarbeiter deut- Weißgerber sprechen. Ich glaube aber für mich und in ih- lich im Vorteil wäre, weil er bei einem gleichen Renten- rem Namen sagen zu können, dass es selbstverständlich wert in Ost und West die gleiche Rente beziehen würde. unser fester Vorsatz und unser fester Wille ist, den Ge- 20058 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Arnold Vaatz (A) danken zur Errichtung eines Denkmals, das an den Ein- Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die (C) satz der Leipziger für Freiheit und Einheit Deutschlands Grünen abgelehnt. erinnert, weiterzuverfolgen. Das muss klar sein. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Im Übrigen möchte ich hinzufügen: Ganz egal, wie Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10855? – einige das heute sehen, dieses Denkmal wird eines Tages Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent- stehen, und zwar ohne jeden Zweifel. Es wird auch dann schließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen stehen, wenn wir uns heute nicht dafür engagieren, und der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der zwar aus einem ganz einfachen Grund. Die historische Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Wahrheit wird sich durchsetzen. Die historische Wahr- Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke abgelehnt. heit lautet, dass der Einsatz der Leipziger, stellvertretend für den Einsatz von vielen, insbesondere im südlichen Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- Teil der damaligen DDR, die Voraussetzung für eine ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Druck- grundlegende Veränderung in Richtung Demokratisie- sache 16/8865. Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 1 rung in Deutschland und Europa geschaffen hat. Der Fall seiner Empfehlung, in Kenntnis des Jahresberichts der der Berliner Mauer ist nicht der Beginn, sondern das Re- Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2007 sultat dieser Initiative gewesen. auf Drucksache 16/6500, die Annahme des Entschlie- ßungsantrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Aus diesem Grunde möchte ich all diejenigen, die auf Drucksache 16/7015 zum genannten Jahresbericht. diesem Gedanken heute skeptisch gegenüberstehen, ein- dringlich darum bitten, sich zu vergegenwärtigen, dass Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer das letztendliche Resultat selbstverständlich eine Erinne- stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- rung an diese Tat der Leipziger sein wird, weil sie in der fehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/ Geschichte Deutschlands einer der positivsten, nachhal- CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die tigsten und wirkungsvollsten politischen Einsätze über- Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei haupt gewesen ist. Daran werden wir selbstverständlich Stimmenthaltung der Fraktion der FDP angenommen. erinnern. Unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung emp- Noch eine kurze Bemerkung an Herrn Kollegen fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Entschließungs- Hettlich. Herr Kollege Hettlich, Sie haben gesagt, wir antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7014 hätten oftmals das Geld nicht so effizient ausgegeben, zum Jahresbericht 2007. Wer stimmt für diese Be- wie wir es hätten ausgeben können. Dies ist unter ande- schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – rem der Tatsache geschuldet, dass eine Reihe von Infra- Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Frak- (B) strukturvorhaben im Wesentlichen durch die grünen Ba- tionen der CDU/CSU, der SPD und der Fraktion Die (D) taillone so verzögert und in die Länge gezogen worden Linke gegen die Stimmen der Fraktion der FDP bei ist, dass diese am Ende doppelt so teuer geworden sind. Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Vielen Dank. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- (Beifall bei der CDU/CSU) schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Erhöhung Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: von Transparenz und Zielgenauigkeit des Mitteleinsat- Das war hart am Rande des unter uns Erlaubten. Das zes für die ostdeutschen Bundesländer“. Der Ausschuss war eigentlich eine Kurzintervention, die sofort erfolgen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- und sich auf die Rede des Vorredners beziehen muss. Es sache 16/9120, den Antrag der Fraktion Die Linke auf war nicht unbedingt eine Erklärung zur Aussprache. Wir Drucksache 16/7567 abzulehnen. Wer stimmt für diese wollen die Diskussion aber nicht verlängern. Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent- haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- Ich schließe die Aussprache. men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Drucksache 16/10454 an die in der Tagesordnung aufge- Grünen angenommen. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungs- Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 20 auf: antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/10852 und der Entschließungsantrag der Beratung des Antrags der Abgeordneten Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10854 sollen an Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, Dr. Barbara Höll, dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie da- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die LINKE Überweisungen so beschlossen. Kindergelderhöhung sofort auch bei Hartz IV Wir stimmen nun über die weiteren Entschließungs- wirksam machen anträge ab. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der – Drucksache 16/10616 – Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10853? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/ Finanzausschuss CSU, der SPD und der FDP gegen die Stimmen der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20059

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die 10 Euro Kindergeld mehr bekommen. Aber Sie wollen (C) Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die diese 10 Euro gleich mit den 211 Euro wieder verrech- Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ich nen. Das ist wirklich nicht nachvollziehbar und grob un- höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. gerecht. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem (Beifall bei der LINKEN) Kollegen Gregor Gysi, Fraktion Die Linke. Wenn Sie argumentieren, dass das zu teuer ist, dann (Beifall bei der LINKEN) kann ich nur sagen: Das ist, nachdem 480 Milliarden Euro für die Sicherung der Banken und für die Stabilität Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): der Finanzmärkte beschlossen worden sind, kein zulässi- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und ges Argument. Dieses Argument ist erst recht nicht zu- Herren! Wir beschäftigen uns mit einer Angelegenheit, lässig, wenn Besserverdienende – ich hatte Ihnen zwei bei der ich die Regierungskoalition, also sowohl Union Beispiele genannt – diese 10 Euro real bekommen, aber als auch SPD, dringend bitte, hier Hilfe zu leisten. Wenn die Sozialhilfeempfängerin oder die Hartz-IV-Empfän- es so bleibt, wie es gegenwärtig geregelt ist, halte ich es gerin keinen Cent mehr bekommt. Es ist nicht vertretbar; für einen nicht zu rechtfertigenden und nicht zu verteidi- es ist nicht hinnehmbar. genden Skandal. (Zuruf des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der LINKEN) DIE GRÜNEN]) In Deutschland gibt es 2,5 Millionen arme Kinder. – Entschuldigen Sie, die Kosten für Kinder sind um min- Wegen der Kostensteigerung haben Sie eine Kindergeld- destens 10 Prozent gestiegen. erhöhung von 10 Euro für das erste und zweite Kind und (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von 16 Euro für die weiteren Kinder beschlossen. Das ist NEN]: Eben!) ein sehr geringer Betrag. Es ist die erste Kindergelderhö- hung nach 2002. Man muss hinzufügen, dass Bischof Das wird durch die Erhöhung um 10 Euro nicht ausge- Mixa – er ist sicherlich vieles, aber kein Linker – erklärt glichen. Das habe ich doch schon kritisiert. Aber darum hat, das Ganze sei ein Skandal, weil dadurch die Kosten- geht es hier nicht. Der Hartz-IV-Empfängerin zu sagen: steigerung bei den Ausgaben für Kinder überhaupt nicht „Du bekommst zwar die 10 Euro, aber sie werden dir ausgeglichen würden. Aber immerhin erhöhen Sie das gleich wieder weggenommen“, ist doch der Gipfel ange- Kindergeld um 10 bzw. 16 Euro. sichts von 2,5 Millionen armen Kindern. Das ist den Ärmsten in der Gesellschaft nicht zumutbar. Nun passiert etwas, was ich den Leuten nicht erklären (B) kann, (Beifall bei der LINKEN) (D) (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Ich auch nicht!) Ich möchte einmal wissen, ob Frau Merkel, Herr Steinmeier, Herr Steinbrück, Herr Scholz, Herr Kauder, nämlich dass Oskar Lafontaine für seinen elfjährigen Herr Ramsauer und Herr Struck es wirklich als gerecht Sohn und ich für meine zwölfjährige Tochter diese empfinden – Sie können das ja an die Betreffenden wei- 10 Euro mehr bekommen, dass wir aber der Hartz-IV- terleiten –, dass Oskar Lafontaine, ich und andere für Empfängerin und der Sozialhilfeempfängerin sagen: Du ihre Kinder ab 1. Januar real mehr Geld bekommen und bekommst zwar diese 10 Euro mehr, aber sie werden mit die Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger sowie dem Eckregelsatz für deine Kinder gleich wieder ver- die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger für ihre rechnet. – Real bekommt sie also keinen Cent mehr. Das Kinder real keinen Cent mehr bekommen. Wenn sie das ist nicht vermittelbar. Es geht hier um Kinder. wirklich als gerecht empfinden sollten, sehen sie die (Beifall bei der LINKEN) Welt so extrem anders als ich, dass es für mich über- haupt nicht nachvollziehbar ist. Man muss noch Folgendes hinzufügen. Wie hoch sind im Augenblick die Eckregelsätze für Kinder? Eine (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das Hartz-IV-Empfängerin oder eine Sozialhilfeempfängerin kann wohl sein!) bekommt für Kinder bis zum 14. Lebensjahr 211 Euro – Ja, es kann sein. Wenn Sie das als gerecht empfinden und für die 14- bis 17-jährigen Kinder 281 Euro. Das ist – das ist wirklich interessant –, dann sollte man aber deshalb interessant, weil die Bundesregierung das Exis- auch überall verbreiten, dass die Union es für richtig tenzminimum für Kinder gutachterlich hat ausrechnen hält, das Besserverdienende für ihre Kinder 10 Euro lassen. Das Ergebnis liegt seit September vor: Das Exis- mehr bekommen und Hartz-IV-Empfänger und Sozial- tenzminimum für ein Kind beträgt 3 864 Euro. hilfeempfänger nicht. Ich hatte gedacht, Sie zeigen an (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Im Monat?) dieser Stelle Vernunft und sagen: Das ist nicht in Ord- nung; wir werden das reparieren. – Es wäre nämlich – Im Jahr! Aufgeschlüsselt auf den Monat – das können höchste Zeit. Sie mir zutrauen – bedeutet das 322 Euro. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt bekommt aber die Hartz-IV-Empfängerin oder die Sozialhilfeempfängerin nur 211 bzw. 281 Euro pro Kommen Sie mir bitte jetzt nicht mit dem Schulgeld. Kind. Damit liegt sie deutlich unter dem Existenzmini- Das Schulgeld – 100 Euro – wird erst im August nächs- mum in Höhe von 322 Euro. Ab Januar könnte sie ten Jahres gezahlt. Das ist ja zunächst einmal okay. 20060 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dr. Gregor Gysi (A) (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Da soll- Darum geht es aber nicht. Jetzt geht es um das Kin- (C) ten Sie mal klatschen!) dergeld. Aber Sie gewähren es nur bis zur 10. Klasse und sagen: (Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Diejenigen, die in der 11., 12. oder 13. Klasse sind und – Hier, bei diesem Antrag. – Ich möchte, dass Sie erklä- Abitur machen, bekommen nichts. – Damit bringen Sie ren: Wir werden eine Regelung finden, damit den betrof- zum Ausdruck, dass Kinder von Hartz-IV-Empfängerin- fenen Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern so- nen und -Empfängern sowie von Sozialhilfeempfänge- wie den Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern rinnen und -empfängern kein Abitur machen sollen. Der zumindest diese 10 bzw. 16 Euro, also zumindest die Bundesrat – nicht die SPD-Fraktion im Bundestag – hat Kindergeldsteigerung, zugutekommen und nicht wieder dazu gesagt: Das geht zu weit. Das machen wir nicht abgezogen werden. Das ist das Mindeste, was wir errei- mit. – Da hat der Bundesrat übrigens recht. chen müssen. (Beifall bei der LINKEN – Jörg Tauss [SPD]: (Beifall bei der LINKEN) Jetzt lügen Sie aber wirklich!) – Wieso sind Sie so grob? Er hat es doch entschieden, Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: oder nicht? Er hat es doch kritisiert, oder nicht? Wenn Das Wort hat nun Kollege Franz Romer, CDU/CSU- Sie noch nicht einmal das zur Kenntnis nehmen, dann tut Fraktion. mir das leid. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Erlauben Sie eine Zwischenbemerkung des Kollegen Franz Romer (CDU/CSU): Tauss? Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war ja zu erwarten: Erhöht die Bundesregierung das Kindergeld, tritt sofort die Links- Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): partei auf den Plan, verurteilt diesen Schritt als Unge- Mal sehen, ob es eine Frage wird. rechtigkeit und sieht sofort, wo noch mehr Geld verteilt werden kann. Jörg Tauss (SPD): (Frank Spieth [DIE LINKE]: Sie haben nicht Lieber Kollege Gysi, würden Sie zur Kenntnis neh- kapiert, was Kollege Gysi gesagt hat!) men, dass die SPD dafür eintritt, das Schulgeld bis zum 13. Schuljahr zu zahlen – wir hatten nie eine andere Po- Wir lehnen den Antrag der Linkspartei ab. (B) sition –, dass im Rahmen von Koalitionsverhandlungen (D) (Beifall bei der CDU/CSU – Frank Spieth in der Tat der jetzige Zustand erzielt worden ist, wir wei- [DIE LINKE]: Das war uns klar!) terhin für die Verbesserung eintreten, es allerdings ein Fortschritt gegenüber der bisherigen Situation ist, in der Die Kindergelderhöhung wird bei Hartz-IV-Empfän- überhaupt kein Schulgeld gezahlt wurde? Ich stimme Ih- gern sinnvollerweise auf den Regelsatz der Grundsiche- nen in der Tat ausdrücklich zu. Würden Sie bitte zur rung, den Eltern für ihre Kinder erhalten, angerechnet. In Kenntnis nehmen, dass es zwischen der CDU und der Wahrheit streiten wir darum, ob eine generelle Anrech- CSU im Bundesrat und der CDU/CSU im Bundestag nung des Kindergeldes bei Hartz-IV-Empfängern sinn- Unterschiede gibt und die SPD nicht die Position vertre- voll ist oder nicht. Hier ist unsere Position klar: Kinder ten hat, die von Ihnen kritisiert wird? in ALG-II-Bedarfsgemeinschaften bekommen je nach Alter zwischen 60 und 80 Prozent des Regelsatzes. Ei- (Beifall bei der SPD – Zurufe von der nen Anspruch auf sogenannte Mehrbedarfe für Alleiner- LINKEN) ziehende gibt es ebenfalls. In vielen Kommunen gibt es zusätzliche Vergünstigungen bei Eintrittsgeldern oder Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): sonstigen Gebühren. Neben der Absicherung des gesam- Ich nehme das schon zur Kenntnis. Ich habe doch ten Lebensunterhalts der Kinder werden auch Wohn- auch heute früh zur Kenntnis genommen, dass Sie das und Heizkosten für die Kinder durch den Steuerzahler fi- korrigieren wollen. Das halte ich auch für richtig. nanziert. Ich will hier ausdrücklich sagen, dass das so (Jörg Tauss [SPD]: Es geht nicht um die Kor- sein muss. Das Kindergeld aber soll den Familien mit rektur! Es geht um die Positionierung und Ihre Kindern helfen, die sonst keine Unterstützung bei der Fi- Behauptung!) nanzierung des Lebensunterhalts ihrer Kinder bekom- men. Aber Sie haben der Zahlung eines Schulgeldes nur bis zur 10. Klasse erst einmal im Bundestag zugestimmt! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Widerspruch bei der SPD – Gabriele Hiller- Wir alle wissen, dass die Erziehung von Kindern in Ohm [SPD]: Das gibt es doch wohl nicht!) unserem Land immer noch mit starken Belastungen für Eine SPD-Fraktion hätte immer sagen können: Wir die Eltern verbunden ist. Mehr Teilzeitarbeitsplätze und schließen diese Leute nicht vom Abitur aus. – Wenn die eine bessere, flexiblere Kinderbetreuung sind Themen, Union das nicht mitgemacht hätte, dann hätten Sie die mit denen wir uns beschäftigen. Es ist richtig, das Kin- Auseinandersetzung öffentlich führen müssen. dergeld anzuheben und es gerade denen zu geben, die für Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20061

Franz Romer (A) den Lebensunterhalt ihrer Familie selbst aufkommen. Letztlich brauchen wir in unserem Land mehr Kinder- (C) Nun gibt es Kritiker, die meinen, dass mit dem Kinder- freundlichkeit. Die Große Koalition hat hierbei in kurzer geld und den Kinderfreibeträgen vor allem besserverdie- Zeit mehr erreicht, als in vielen Jahren vorher von ande- nende Familien unterstützt werden. Herr Gysi, Sie haben ren Parteien durchgesetzt werden konnte. Wir können das betont, indem Sie auf Herrn Lafontaine und sich aber nicht alles mit immer mehr Geld regeln. Wir brau- selbst verwiesen haben. Ich könnte Ihnen da andere Kür- chen abseits der finanziellen Unterstützung der Familien zungen vorschlagen. Tatsächlich ist es so, dass 120 Euro mit Kindern, von Elterngeld, besserer Kinderbetreuung je Kind und Jahr gerade für Normalverdiener eine nen- und Kindergelderhöhung eine kinderfreundliche Gesell- nenswerte Unterstützung sind. schaft. Meine Damen und Herren von der Linkspartei, die Arbeitgeber und Arbeitskollegen müssen genauso Bundesregierung wird die Grundsicherung auch in Zu- tolerant werden wie Nachbarn im Haus und Verkehrsteil- kunft regelmäßig anpassen. Wer hier weitere Erhöhun- nehmer in Wohngebieten. Wir brauchen mehr familienge- gen fordert, auch wenn sie noch so gut gemeint sind, rechte Wohnungen und Spielplätze in jedem Wohnge- muss immer berücksichtigen, dass sie auch von Familien biet. Es ist traurig, dass zahlreiche Kinder in unserem mit begrenztem Arbeitseinkommen über Steuern und Land auf Grundsicherung angewiesen sind. Unser Ziel Abgaben finanziert werden müssen. Dies wäre die wahre ist und bleibt, hier anzusetzen und diese Zahl zu verrin- Ungerechtigkeit. Sie stellen sich hierhin und wollen Ge- gern. Kinder gehören in unser Leben. Kinder sichern un- schenke verteilen, die Sie von Geringverdienern mitfi- sere Zukunft. nanzieren lassen wollen. Ich bedanke mich. Der Regelsatz für Kinder unter 14 Jahre beträgt im (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Moment 211 Euro plus anteilige Übernahme der Kosten neten der SPD) für Unterkunft und Heizung. Für Kinder über 14 Jahre sind es 281 Euro, Mehrbedarfe bei Alleinerziehenden nicht eingerechnet. Es sollte immer sichergestellt sein, Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: dass dieses Geld bei den Kindern ankommt und nicht Das Wort hat nun Kollege Heinz-Peter Haustein, FDP. durch die Eltern zweckentfremdet wird. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich kenne Beispiele, wo Kinder vernachlässigt werden Heinz-Peter Haustein (FDP): und zusätzliche Mittel in Alkohol, Zigaretten oder einen Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten neuen Flachbildfernseher fließen. Damen und Herren! Schon bei dieser Überschrift wird (B) mir ein bisschen mulmig im Bauch. Hier steht: Kinder (D) (Zuruf der Abg. Elke Reinke [DIE LINKE]) und Hartz IV. Hier finden wir „Kinder“ und „Sozial- hilfe“ in einem Satz. Das ist nicht gut. Ich weiß, dass man solche Nachrichten nicht verallge- meinern kann. (Elke Reinke [DIE LINKE]: Wer hat sie denn dahin gebracht?) (Elke Reinke [DIE LINKE]: Ach ne!) Kinder sind das Wichtigste, was wir haben. Sie sind et- Wir dürfen uns aber auch nicht abwenden und darüber was Wunderbares und Herrliches. Für Kinder müssen hinwegsehen. Wenn wir das Kindergeld zusätzlich zur wir alles tun. Dafür kämpfen wir als FDP. Grundsicherung an Eltern, die ALG II beziehen, auszah- len würden, wären die Anreize, eine Arbeit aufzuneh- (Beifall bei der FDP) men, entsprechend geringer. Solche möglichen Auswir- kungen müssen wir immer im Blick haben. Die Linke bezieht sich in ihrem Antrag darauf, dass das ALG II mit dem Kindergeld verrechnet wird. Auf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) den ersten Blick sieht es so aus, als sei das eine große Ungerechtigkeit. Nun ist dieser Begriff der relativen Ar- Ebenso müssen wir dafür sorgen, dass die Nettoeinkom- mut nicht ganz so einfach. Er wird wie folgt definiert: men der arbeitenden Bevölkerung über dem Hartz-IV- Wenn 60 Prozent des mittleren Einkommens unterschrit- Niveau liegen. Leistung muss sich lohnen. ten werden, ist man arm. Nun sage ich der Linken: Setzen (Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann wir uns einmal gedanklich – wirklich nur gedanklich – [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll das ganz kurz 25 Jahre zurück und betrachten dieses Thema denn?) bezogen auf die Altbundesrepublik und die DDR. Dann wären nach dieser Definition 99 Prozent der DDR-Be- Ich glaube, wir alle würden gerne mehr für Kinder völkerung arm gewesen. Auch das ist Fakt. tun. Natürlich sollen auch Kinder, die eine Grundsiche- rung erhalten, ständig bessere Lebensverhältnisse haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Aber Sie wissen, dass alle Leistungen von der Gemein- Zurufe von der LINKEN) schaft erbracht werden müssen. Oft sind es Familien mit Das ist die Definition. Das muss man bitte einmal zur Kindern und kleinen oder mittleren Familieneinkom- Kenntnis nehmen. men, die einen bedeutenden Teil ihres Geldes für Steuern und Abgaben aufwenden müssen. Deshalb müssen wir (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU], an die gerade sie in Zukunft mehr fördern. LINKE gewandt: Das hört ihr nicht gern! – 20062 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Heinz-Peter Haustein (A) Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: (Beifall bei der FDP – Markus Kurth [BÜND- (C) Manchmal tut Wahrheit weh!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit dem Thema zu tun?) In der Begründung Ihres Antrags, verehrte Linke, ge- hen Sie auf die gestiegenen Preise und Lebenshaltungs- Für unsere Kinder müssen wir alles tun. kosten ein. Es hat in verschiedenen Ländern großflächig Schul- (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: In der DDR schließungen gegeben. Dort verlangt man, dass die Kin- gab es nichts zu kaufen! Die brauchten kein der mit dem Bus weite Strecken zur Schule fahren und Geld!) dafür auch noch zahlen. Auch das kann nicht richtig sein. Kurze Wege für kurze Beine, so muss es sein. Alles Ich erinnere nur an die unselige Mehrwertsteuererhö- für unsere Kinder! hung, die vor allem Familien mit Kindern trifft. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Ebenso habe ich schon vor drei Jahren, damals im Wahl- Nun kann man – das machen auch wir – mit Blick auf kampf, kostenlose Kitas für alle gefordert. Warum ma- die CDU/CSU zugestehen, sie hat es vorher ja gesagt. chen wir es denn nicht? Wenn es darauf ankommt, dann Aber ihr von der SPD habt gesagt: Mit uns gibt es keine ist ja auch Geld für andere Sachen da. Ein Thema, das Mehrwertsteuererhöhung, keine Merkel-Steuer. mich ebenfalls wurmt, ist das Schulessen; es sollte für (Dirk Niebel [FDP]: Bei Ypsilanti war das alle Kinder kostenlos sein. auch so!) (Jörg Tauss [SPD]: Das haben Sie in Baden- Dann habt Ihr um 3 statt um 2 Prozentpunkte erhöht. Das Württemberg als FDP gerade abgelehnt!) war nicht in Ordnung, Kollegen. Jetzt merken wir, dass die Leute weniger in den Taschen haben, dass sie weni- Sie sehen also, wir als FDP sind eine sehr soziale Par- ger Netto vom Brutto haben. tei. Wir kämpfen für unsere Kinder, denn die Kinder sind unsere Zukunft. (Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Ihr habt das Kindergeld damals gekürzt! – Gegen- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ruf des Abg. Dirk Niebel [FDP]: Tauss, Mund Ich halte es mit unserem Fußballkaiser, Franz Beckenbauer, halten und schämen!) der gesagt hat: Gott liebt alle Kinder. – Machen wir es Die FDP hat weitergehende Anträge. Wir wollen – das auch so, tun wir alles für unsere Kinder! In diesem Sinne ist in der Diskussion vor wenigen Wochen schon ange- ein herzliches Glückauf für unsere Kinder! (B) (D) sprochen worden – ein Kindergeld in Höhe von (Beifall bei der FDP – Irmingard Schewe- 200 Euro pro Monat für jedes Kind. Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Ja, dagegen dem Erzgebirge!) haben wir nichts!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir möchten den Freibetrag auf 8 000 Euro anheben. Wir möchten mehr für unsere Kinder. Das ist eine Frage Das Wort hat nun Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller des Ansatzes. Es wäre besser, wenn wir die Kinder, un- für die SPD-Fraktion. sere Zukunft, in den Mittelpunkt stellen und an ihnen (Beifall bei der SPD) den Haushalt ausrichten würden. Jetzt sagen wir immer, für die Kinder sei kein Geld mehr da. Das kann so nicht Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): weitergehen. Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der FDP) Liebe Damen und Herren! Zunächst muss ich mich beim Kollegen Gysi dafür entschuldigen, dass ich seine Rede Wichtiger als Geld zu verteilen, ist, etwas dafür zu nur vor dem Fernseher verfolgen konnte. Es tut mir leid, tun, dass Arbeitsplätze und mit den Arbeitsplätzen die dass ich nicht im Plenarsaal war. Das ist aber auch das Lebensgrundlage für Familien und deren Kinder entste- Einzige, was ich dazu formell anmerken möchte. hen. Dort muss man ansetzen. Ansonsten kann ich nur sagen: Herr Gysi, ich würde (Zuruf von der LINKEN: Sagen Sie einmal et- Ihnen weder mein Auto noch das soziale System in was zum Antrag!) Deutschland zur Reparatur anvertrauen. Deshalb fordern wir eine Entlastung des Mittelstands. Man muss den Leuten mehr lassen, damit die Betriebe (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) investieren können. Wir fordern mehr Investitionen in Sie haben mit Ihrer Rede bewiesen, dass Sie dazu nicht Forschung und Bildung. Wir brauchen Bildung; denn sie in der Lage sind; denn ein solcher Antrag zeigt, dass Ih- ist unser Rohstoff. Dort müssen wir investieren. nen gar nicht klar ist, wie dieses System aufgebaut ist (Beifall bei der FDP) und mit welcher Logik es funktioniert. Zu jemandem, der meint, er könne es mal eben so reparieren, kann ich Wir möchten eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. nur sagen: Hände weg! Mit Verlaub, ich sage das auch Auch das ist ganz wichtig. aus eigener Erfahrung, Herr Kollege Gysi. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20063

Gabriele Lösekrug-Möller (A) Mehr will ich zu Ihrem Vortrag hier gar nicht sagen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) (C) Sie täten etwas Gutes für die Kinder in Deutschland, wenn Sie dazu beitrügen, dass es ein solides System Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): gibt, auf das sich Familien verlassen können, wenn es Vorab: Sie leisten immer einen Beitrag zu meinem Er- darum geht, eine gute Zukunft zu organisieren. kenntnisgewinn, egal in welcher Richtung. Wir haben heute Morgen hier in diesem Haus eine Meine Frage ist folgende: Das Land Rheinland-Pfalz ausführliche Debatte darüber geführt, wie wir den Fami- unter Ministerpräsident Beck, Mitglied der SPD, hat im lienleistungsausgleich voranbringen wollen. Das war Bundesrat – natürlich nach uns, aber immerhin am eine ausgesprochen gute Debatte, weil sie zeigte, wie 5. November – genau dasselbe beantragt wie wir. Halten viel wir in den letzten zehn Jahren für Familien und da- Sie ihn in jener Hinsicht für genauso daneben wie mich, mit auch für Kinder getan haben. Das kann sich im Ver- oder wie darf ich Sie interpretieren? gleich zu jenen Zeiten unbedingt sehen lassen, in denen Familie ein ausschließlich privater Bereich war. Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Wir sind uns wohl alle einig, dass wir für unsere Kin- Ich kann Ihnen nur sagen: Ich antworte Ihnen sehr der eine gute Zukunft wollen. Eine gute Zukunft für Kin- gerne, und Sie werden einen Erkenntnisgewinn erzielen; der umfasst etwas mehr als eine Kindergelderhöhung, daran habe ich gar keinen Zweifel, Herr Gysi. für die ich mich ausdrücklich ausspreche. Ich glaube, dass Herr Beck ein sehr guter Ministerprä- (Beifall bei der SPD) sident ist. Ich kann seinem Vorschlag etwas abgewinnen. Er hat ihn allerdings für sein Bundesland gemacht. Dort Wir als SPD setzen deshalb auf eine gute Betreuung, auf kann er auf eine gute Politik für Kinder zurückblicken. bessere Förderung, auf gute Schule und auf gute Ausbil- Sie haben hier im Bundestag eine völlig andere Verant- dung. Dennoch müssen wir, weil dazu auch Ehrlichkeit wortung. – Da ich noch bei der Beantwortung Ihrer gehört, festhalten: Kinder sind in Deutschland eher ein Frage bin, möchte ich Sie bitten, mir freundlicherweise Armutsrisiko als eine Reichtumschance. Auch das ist ein auch zuzuhören. Teil der Wahrheit. Wir Bundespolitiker haben guten Grund, zu sagen, Insofern ist es geradezu eine Verlockung, der die dass das nicht der richtige Weg ist. Ich zeige Ihnen an- Linke leider erlegen ist, die Erhöhung des Kindergeldes dere Vorschläge auf. Wenn Sie ein wenig Geduld haben so zu gestalten, dass sie bei Empfängern von Grundsi- – ich glaube, Sie werden sie haben –, können Sie erken- cherung nicht auf das Grundsicherungseinkommen an- nen, welche besseren Vorschläge wir machen. gerechnet wird, sondern zusätzlich gewährt wird. Das (B) wollen Sie ja mit Ihrem Antrag erreichen. Ich und mit (Frank Spieth [DIE LINKE]: Noch in dieser (D) mir meine Fraktion halten das für falsch, und ich will das Legislaturperiode?) gern begründen, weil mir daran liegt, dass ein wenig Deshalb fahre ich jetzt fort. Fachkenntnis in die Debatte kommt. Das ließen Sie, Herr Gysi, leider in jeder Hinsicht vermissen. Im Rahmen des Schulbedarfspakets, das wir heute auch andiskutiert haben, stellen wir zum Beginn jedes Ich nehme an, dass Ihnen das Prinzip der Nachrangig- neuen Schuljahres 100 Euro zur Verfügung. Damit wol- keit sehr wohl bekannt ist. Ich halte dieses Prinzip für ei- len wir genau jene Schüler und Schülerinnen unterstüt- nen zentralen Aspekt des sozialen Sicherungssystems, zen, die unsere Unterstützung verdammt nötig haben; und dies ist aus gutem Grund so. Im SGB II ist aus- das ist heute deutlich geworden. drücklich festgelegt, dass Kindergeld als anzurechnen- des Einkommen gilt. Das ist vom System her richtig und (Beifall der Abg. Andrea Nahles [SPD]) notwendig; deshalb trete ich nach wie vor dafür ein. Sie Die SPD tritt dafür ein, dass diese Unterstützung nicht haben in Ihrer Begründung darauf hingewiesen, dass wir bei Schülern der 10. Klasse aufhört. Vielmehr sagen wir: 1999 einmal versucht haben, es anders zu regeln. Wir Solange ein Kind zur Schule geht – in möglichst vielen haben damit keine guten Erfahrungen gemacht. Fällen hoffentlich bis zum Abitur –, gibt es am Beginn eines jeden Schuljahres 100 Euro. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Beifall bei der SPD) Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi? Ich denke, an dieser Stelle sollte einmal daran erinnert werden, wer diese Idee ins Gespräch gebracht hat. Mit Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Verlaub, Herr Gysi, das waren nicht Sie, sondern das war Franz Müntefering. Wenn es seinem Erkenntnisgewinn dient, den er nötig hat, gern. (Beifall bei der SPD) (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Völlig Er machte im letzten Jahr den Vorschlag, ein Schulstar- hoffnungslos!) terpaket auf den Weg zu bringen. (Jörg Tauss [SPD]: Genau! Zunächst ging es Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: nur um Schulstarter! Inzwischen geht es sogar Das könnte ja sein. um Zehntklässler! Das ist doch toll!) 20064 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Gabriele Lösekrug-Möller (A) Weil wir auch Gutes noch verbessern wollen, haben wir Abschließend: Das Wichtigste ist, dafür zu sorgen, (C) aus dem Schulstarterpaket ein Schulbedarfspaket ge- dass möglichst viele Menschen eine Arbeit haben, von macht. Das ist zielführend und richtig. Darüber freue ich der sie auskömmlich leben können. Noch besser wäre es, mich sehr. wenn ganze Familien in einem Verbund davon leben könnten. Deshalb behaupte ich: Sozialstaatspolitik und (Beifall bei der SPD) Sozialpolitik sind wichtig. Dafür braucht man aber auch Besser würde die Lage von Kindern im Übrigen auch, eine gute Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik. wenn Länder und Kommunen durch Lernmittelfreiheit, (Zurufe von der LINKEN) Ganztagsschulen, gebührenfreie Kitas und mehr ihren Teil dazu beitragen würden. Das Land Rheinland-Pfalz – Wir sind mittendrin. Aber ich merke, dass Sie das nicht ist hierfür wirklich modellhaft. so recht mitbekommen. (Lachen bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Das ist allerdings schon seit längerer Zeit der Fall. – In diesem Zusammenhang ist auch der von uns einge- Eine gute Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik ist der führte Kinderzuschlag unbedingt zu erwähnen. Wer das Schlüssel für eine gute Zukunft der Kinder. Ziel des Kinderzuschlags kennt, weiß, dass er ausgespro- chen positiv wirkt. Zum Jahreswechsel werden wir ihn (Beifall bei Abgeordneten der SPD) noch weiter verbessern. Denn unser Ziel ist, dafür zu Insofern glaube ich, dass unsere Schwerpunkte richtig sorgen, dass Kinder gar nicht erst in die Bedürftigkeit hi- sind und dass sich unsere Anstrengungen lohnen. Für neinkommen, sondern dass schon vorher ein Weg ge- Schnellschüsse sind mir die deutschen Kinder nämlich sucht wird, um dies zu verhindern. Das halte ich für ein- ein kleines bisschen zu schade. deutig besser. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) In der Begründung Ihres Antrags gehen Sie kluger- weise auf die wirklich wichtigen Aspekte ein. Um die Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: wünschenswerte Verbesserung der Leistungen für Kin- Das Wort hat nun Kollege Markus Kurth, Fraktion der zu erreichen, muss man Grundlagenarbeit machen. Die Grünen. Dem stellen wir uns. Wir fragen uns: Was ist der Bedarf eines Kindes im Sinne einer Grundsicherung? Ist ein aus (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Auch dem Erwachsenenbedarf unmittelbar abgeleiteter Regel- „Chamäleon“ genannt, weil er alles, was Rot- satz sinnvoll? Wie könnte man einen eigenen Kinder- Grün früher gemacht hat, heute für schlecht (B) regelsatz ausgestalten? Wir fragen uns auch, welche Al- hält!) (D) tersstufen sinnvollerweise gebildet werden sollten. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Daran zu arbeiten, ist ein bisschen anstrengender, als Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ganz flott einen Antrag aufs Papier zu bringen und sich 10 Euro Kindergelderhöhung nicht auf den Regelsatz für dann zu beschweren, dass er nicht angenommen wird. Kinder anzurechnen, klingt auf den ersten Blick gut und Wir arbeiten an diesen Fragen sehr lösungsorientiert. richtig, und dadurch werden auch die Herzen der Men- Damit haben wir uns viel vorgenommen. Wir sind uns schen gewärmt. Die 10 Euro, die hier zur Debatte stehen, aber sicher: Die Kinder, die wir damit erreichen wollen, liegen allerdings deutlich unter dem, was Kinder, die verdienen das. sich im Hartz-IV-Bezug befinden, wirklich brauchen. Zum Schluss möchte ich noch eine Anmerkung ma- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) chen, die ich für ziemlich wichtig halte. Es ist richtig, dass wir über unsere sozialen Sicherungssysteme disku- Das eigentliche Problem sind die viel zu niedrigen Re- tieren. Es ist richtig, dass wir sie verbessern wollen. Las- gelleistungen. sen Sie uns aber auch berücksichtigen, wie die Situation (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wäre, wenn wir sie nicht hätten. In dieser Debatte ver- gessen wir immer wieder, dass wir im europäischen Ver- Deshalb ist Ihr Antrag strategisch-politisch falsch, gleich und er ist auch systematisch falsch, weil Sie damit den Nachrangigkeitsgrundsatz bei den Sozialleistungen aus- (Zurufe von der LINKEN) hebeln. Frau Lösekrug-Möller, das ist einer der wenigen Punkte, bei denen ich Ihnen zustimme. Entscheidend ist: – das ist so, auch wenn Sie das nicht hören wollen; das Die politisch-gesellschaftlich wirklich wichtige Debatte weiß ich – gar nicht so schlecht dastehen. Ich denke, ist die um die höheren Regelsätze und nicht die um ir- dass wir ein Sozialstaatsmodell haben, über das sich an- gendwelche Trostpflästerchen. dere freuen würden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Mehr Geld CDU/CSU) für alle!) Das bedeutet allerdings nicht, dass nicht auch wir noch Mit der Trostpflasterdebatte haben wir unsere eigenen das eine oder andere verbessern könnten. Daran arbeiten Erfahrungen. Im Jahre 1999 – das ist ja ausdrücklich Ihr wir zurzeit. Vorbild; damals regierte Rot-Grün – haben wir Grüne Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20065

Markus Kurth (A) gefordert, die Kindergelderhöhung von damals noch Und dann: (C) 20 DM nicht auf die Sozialhilfe anzurechnen. Wegen der Für die dringend erforderliche Berücksichtigung verfassungsrechtlichen Probleme konnte das dann auch des kinderspezifischen Bedarfs bei der Neubemes- nur befristet für drei Jahre geschehen. sung der Regelleistungen und Regelsätze ist dies al- Was ist politisch passiert? Aus der Debatte um Regel- lerdings lediglich ein erster Schritt. sätze ist der Druck herausgenommen worden. Man Das ist Mahnung und Auftrag für uns alle. konnte sich erst einmal zurücklehnen und sich auf die Schultern klopfen – ich reflektiere das durchaus selbst- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – kritisch –, und man hat die gesamte Bedarfsdebatte nicht Franz Romer [CDU/CSU]: Die Regelleistun- angemessen geführt. gen!) – Herr Romer, die Regelleistungen sollen angehoben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden. Das ist hier festgehalten und Auftrag für uns Diesen politischen Fehler wollen Sie jetzt um des kurz- alle. Die politische Dynamik, die darin steckt, dass sogar fristigen populistischen Erfolges willen wiederholen, CDU-geführte Bundesländer dies tun, sollten wir auf- greifen. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Oh!) obwohl die Voraussetzungen in der gesellschaftlichen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Debatte um die Höhe der Kinderregelleistungen gar Herr Kollege Kurth, gestatten Sie eine Zwischenfrage nicht schlecht sind. des Kollegen Gysi?

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Warum haben Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie denn keinen Antrag dazu gestellt, Herr Sehr gerne. Kurth?) Im September dieses Jahres hat der Paritätische Wohl- Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): fahrtsverband in einer Studie festgestellt, dass die Regel- Ich habe nur eine Frage. Ich habe vorhin gesagt, dass leistungen für Kinder auf der Basis der Einkommens- das Existenzminimum eines Kindes – gutachterlich fest- und Verbrauchsstichprobe deutlich über dem jetzigen gestellt – jetzt bei 322 Euro monatlich liegt. Davon sind Stand liegen müssten, nämlich zwischen 276 und 358 Euro. wir meilenweit entfernt – sowohl bei den Sozialhilfe- Im Juni dieses Jahres haben wir im Ausschuss für Arbeit empfängerinnen und Sozialhilfeempfängern als auch bei Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfängern. (B) und Soziales eine Anhörung dazu geführt. Wir haben ei- (D) nen Antrag zu Kinderregelsätzen gestellt, und auch die Ich bin völlig damit einverstanden, dass wir das mit Fraktion Die Linke hat einen Antrag gestellt, mit dem sie dem Trostpflaster sein lassen, wenn Sie mir sagen, dass in eine ähnliche Richtung geht. Sie verfolgen ihn aber sie ab Januar eine solche Erhöhung erhalten. Sie sagen, gar nicht ernsthaft. dass Sie über etwas anderes reden. Sie bekommen im Ja- nuar nichts, und dann wollen Sie ihnen auch noch nicht (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Den haben einmal diese 10 Euro pro Monat geben. Das ist für mich die meisten Sachverständigen für schlecht be- nicht nachvollziehbar. funden!) (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Ich sage das jetzt einmal der Großen Koalition: Die Meckelburg [CDU/CSU]: Was Sie da machen, Bundesländer haben am 23. Mai dieses Jahres einstim- ist Mogelei!) mig eine Anhebung der Kinderregelleistungen gefordert. Die Bundesländer – auch Baden-Württemberg, Herr Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Romer – haben die Bundesregierung einstimmig aufge- Aus meiner Sicht müsste die Regelleistung ab sofort fordert, den Kinderbedarf auf der Basis der entwick- entsprechend angepasst werden. lungsspezifischen Bedarfe von Kindern neu zu berech- nen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich das noch sagen – Sie sind ja an Das hat Baden-Württemberg mitunterzeichnet, und die Erkenntnisgewinn interessiert, wie ich eben erfahren FDP war im Übrigen auch dabei. habe –: Ihr Vergleich der 322 Euro mit den heutigen Re- gelsätzen hinkt insofern, als Sie den Mietanteil an der Mehr noch: Am vergangenen Donnerstag hat der Bun- Stelle unterschlagen haben. Letzten Endes hilft Ihnen desrat anlässlich der Abstimmung zum Familienförder- der Verweis auf das steuerliche Existenzminimum dann gesetz noch eine allgemeine Bemerkung zu diesem Ge- auch nicht weiter. Da bewegen Sie sich auch fachlich auf setz beschlossen – „8. Zum Gesetzentwurf allgemein“ –, dünnem Eis. aus der ich hier jetzt noch einmal zitiere: In politischer Hinsicht bin ich dafür, den Schwer- Der Bundesrat begrüßt den Beschluss der Bundes- punkt insgesamt auf eine angemessene Regelleistung zu regierung, für hilfebedürftige Kinder einen geson- legen, statt ab dem 1. Januar 10 Euro mehr zu zahlen. Ich derten Schulbedarf … zu finanzieren. finde, man sollte in dieser Frage so redlich sein, die Sys- 20066 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Markus Kurth (A) tematik der nachrangigen Sozialleistungen an der Stelle (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- (C) nicht auszuhebeln. Wenn sich dafür in diesem Hause ten Dr. Lothar Bisky, Dr. Petra Sitte, Cornelia eine Mehrheit findet, dann kommen wir, glaube ich, Hirsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion auch politisch weiter. DIE LINKE Auch das Schulstarterpaket ist ein Trostpflaster, Frau Finanzierung zur Bewahrung des deutschen Lösekrug-Möller, das nicht annähernd an die Erhöhung Filmerbes sicherstellen des Kindergeldes um 10 Euro herankommt. – Drucksachen 16/10509, 16/10891 – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Berichterstattung: Es beläuft sich auf 8,33 Euro im Monat. Angesichts des- Abgeordnete Philipp Mißfelder sen, was sich an Expertise dazu geäußert hat, ist das, mit Angelika Krüger-Leißner Verlaub, mehr als kläglich. Diskutieren Sie nicht nur, Dr. Claudia Winterstein sondern fangen Sie möglichst bald an zu handeln! Dr. Lukrezia Jochimsen Claudia Roth (Augsburg) Danke schön. Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich Ich schließe die Aussprache. höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Staats- Drucksache 16/10616 an die in der Tagesordnung aufge- minister Bernd Neumann das Wort. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- so beschlossen. kanzlerin: Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 c Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und auf: Kollegen! Der deutsche Film hat seit der letzten Novel- lierung des Filmförderungsgesetzes deutlich an Bedeu- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- tung gewonnen. Er befindet sich auf Erfolgskurs. regierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Filmförderungs- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (B) gesetzes neten der SPD) (D) – Drucksachen 16/10294, 16/10495 – Gerade die aktuellen Kinobesucherzahlen für die deut- schen Filme können sich sehen lassen. Der Marktanteil Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- deutscher Filme betrug in den ersten neun Monaten ses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) 26,3 Prozent; die Erwartungen reichen sogar bis über 30 Prozent bis zum Jahresende. Noch vor wenigen Jah- – Drucksache 16/10833 – ren schwankte dieser Anteil zwischen 10 und 18 Pro- Berichterstattung: zent. Unter den 28 Kinofilmen, die in diesem Jahr in Abgeordnete Philipp Mißfelder Deutschland die 1-Million-Grenze durchbrochen haben, Angelika Krüger-Leißner waren immerhin zehn deutsche Filme. Das hat es lange Dr. Claudia Winterstein nicht gegeben. Dr. Lukrezia Jochimsen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Claudia Roth (Augsburg) Auch international wird der deutsche Film derzeit ge- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- würdigt und gefeiert wie schon lange nicht mehr. Auf al- richts des Ausschusses für Kultur und Medien len bedeutenden Festivals und Wettbewerben laufen (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen deutsche Filme mit großem Erfolg. CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Das deutsche Filmerbe sichern In den letzten beiden Jahren ging der Oscar für den bes- ten fremdsprachigen Film an von der Filmförderungs- – Drucksachen 16/8504, 16/10831 – anstalt geförderte Projekte. Berichterstattung: Der Deutsche Filmförderfonds hat in den letzten bei- Abgeordnete Philipp Mißfelder den Jahren – er besteht seit 2007 – unser Land auch als Angelika Krüger-Leißner Filmstandort attraktiv gemacht. Bisher wurden 116 Mil- Dr. Claudia Winterstein lionen Euro Fördermittel für 190 Projekte vergeben und Dr. Lukrezia Jochimsen dadurch in Deutschland fast 740 Millionen Euro inves- Claudia Roth (Augsburg) tiert. c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- richts des Ausschusses für Kultur und Medien neten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20067

Staatsminister Bernd NeumannNeumann: (A) Das ist ein Erfolg, und deshalb wollen wir diesen Fonds Das Filmförderungsgesetz zielt auf die Förderung des (C) um weitere drei Jahre verlängern. Kinofilms als besonderes ästhetisches Gut. Große Filme brauchen eine große Leinwand. Der Erhalt der Kinos als Der heute zur Beratung vorliegende Entwurf des kulturelle Begegnungsstätte ist das zentrale Anliegen Filmförderungsgesetzes ist der Schlüssel zum Erfolg des dieses Gesetzes. Deswegen hat das Gesetz es verdient, deutschen Films. Er unterstützt den gesamten Prozess insbesondere von den Kinobesitzern Beifall zu bekom- der Entstehung und Verwertung von Filmen: vom Dreh- men. buch über die Filmherstellung bis zur Vorführung im Kino und der Auswertung in weiteren Verwertungsstu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. fen. Monika Griefahn [SPD]) Der schwierigen Situation unserer Filmtheater haben Der Gesetzentwurf ist das Ergebnis langer Verhand- wir nach intensiven Gesprächen mit den Kinoverbänden lungen mit allen Beteiligten. Auf Grundlage der Ergeb- in vielerlei Hinsicht Rechnung getragen. Wir haben auf nisse des runden Tisches, zu dem ich im Dezember der einen Seite die Abgabenlast der Kinos um fast 8 Pro- letzten Jahres in Hamburg 100 Vertreter der Branche ein- zent verringert. Damit sinken deren Beiträge von geladen hatte, und nach sich anschließenden, zahlreichen 19,5 Millionen auf 18 Millionen Euro. Auf der anderen Einzelgesprächen wurde ein breiter Konsens erzielt. An Seite haben die Fernsehsender nach vertrauensvollen dieser Stelle möchte ich den Mitgliedern des Bundesta- Gesprächen ihre Leistungen noch einmal erhöht. Sie ges, insbesondere dem Kulturausschuss, für die kon- werden ihre sogenannten Medialeistungen in Form von struktive Zusammenarbeit danken. Ich bin überzeugt, Werbezeiten für Kinofilme um 5,5 Millionen Euro anhe- dass das neue FFG ein gelungener Wurf ist, und würde ben. mich freuen, wenn der Gesetzentwurf im Parlament eine breite Zustimmung erhielte. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Anerkennenswert!) Vielen Dank. Insgesamt steigen damit die Beiträge der Sender von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 23 Millionen auf 28,5 Millionen Euro. Das ist ein gutes neten der SPD) Ergebnis, insbesondere wenn man die prekäre finanzielle Lage mancher Privatsender sieht. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollegin Claudia Winterstein für (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. die FDP-Fraktion. Monika Griefahn [SPD]) (B) (Beifall bei der FDP) (D) Manche sind damit unzufrieden, dass wir mit den Fernsehsendern das alles in Verträgen vereinbart haben. Sie hätten gern einen gesetzlichen Abgabetatbestand. Dr. Claudia Winterstein (FDP): Das ist ein altes Thema. Meine Position dazu hat sich Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und nicht verändert. Mir kommt es auf das Ergebnis an. Wa- Herren! Der deutsche Film feiert ein erfolgreiches Kino- rum sollen wir denn ein verfassungsrechtliches Risiko jahr 2008. Der Staatsminister hat schon darauf hingewie- eingehen? Warum sollen wir einen Streit mit den Bun- sen: Der Marktanteil deutscher Produktionen liegt nach desländern vom Zaun brechen, weil sie ihre eigene Film- drei Quartalen bei über 25 Prozent. 20 Millionen Zu- förderung bedroht sehen? Warum sollen wir das machen, schauer haben in diesem Jahr einen Film aus deutscher wenn wir anders ein gutes Ergebnis erzielen können? Produktion gesehen. Das ist ein toller Erfolg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) der CDU/CSU und der SPD) Gerne werden diese Zahlen als Erfolg der deutschen Wir haben alle Fernsehsender als verlässliche Vertrags- Filmförderung gefeiert. Eines ist auf jeden Fall klar: partner kennengelernt. So soll es auch bleiben. Ohne die Filmförderung hätte der deutsche Film sicher- (Monika Griefahn [SPD]: Sehr gut!) lich einen sehr schweren Stand. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Schließlich haben 90 Prozent der Mit dem Gesetzentwurf nehmen wir auch die Heraus- Filme aus deutscher Produktion eine Förderung erhalten. forderungen der Digitalisierung unserer Kinos an. Aber in unserer Wirtschaftsordnung sind erst einmal die Un- Aufgrund der Ausweitung der Förderung ist die Zahl ternehmen selbst für Erneuerungsinvestitionen verant- deutscher Filme in den letzten Jahren deutlich angestie- wortlich. Deshalb erwarten wir hier endlich ein gemein- gen. Vor zehn Jahren startete pro Woche ein Film aus sames Konzept von Verleihern und Kinobesitzern, um deutscher Produktion in den Kinos. Heute sind es mehr dann mit allen, auch mit den Bundesländern, über Finan- als zwei pro Woche. Die Filmförderungsanstalt fördert zierungsmodalitäten zu reden. jährlich etwa 170 Filme. Allerdings sagt die große Zahl der deutschen Filme noch nichts über ihren Erfolg aus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Leider erreichen 40 Prozent der geförderten Werke nur Monika Griefahn [SPD] und des Abg. weniger als 10 000 Zuschauer. Den hohen Marktanteil in Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- diesem Jahr verdanken wir lediglich acht Produktionen, NEN]) die Besucherzahlen im Millionenbereich erreicht haben. 20068 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dr. Claudia Winterstein (A) Nun ist für die FDP der Marktanteil nur ein Erfolgs- zierung einbezieht, ohne einzelne Anbieter zu überfor- (C) maßstab für den deutschen Film. dern. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: (Beifall bei der FDP) Er ist auch ein Kulturgut!) Der dauernde Kuhhandel über die Beiträge muss endlich Natürlich zählt auch die künstlerische Bedeutung. Wir beendet werden. Die FDP hatte im Ausschuss einen An- halten aber den wirtschaftlichen Erfolg für ein sehr trag gestellt, um eine Verbesserung bei der Finanzierung wichtiges Kriterium der Filmförderung. Bei allem Jubel zu erreichen, aber leider hat die Koalition diesem Vor- über die aktuellen Zahlen muss man zugeben: Andere schlag nicht zugestimmt. Länder sind weitaus erfolgreicher als wir in Deutsch- (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: land. Frankreich zum Beispiel erreicht dauerhaft einen Aber schwer nachgedacht!) Marktanteil von über einem Drittel heimischer Produk- tionen. Das muss auch unser Ziel in Deutschland sein. Ich wünsche mir, dass wir die Evaluation des Deut- Deswegen brauchen wir eine effektive Filmförderung schen Filmförderfonds, die im Moment läuft, auf die Ar- nach dem Motto „mehr Klasse statt Masse“. beit der FFA ausdehnen, auch unter dem Aspekt, wie die einzelnen Förderinstrumente miteinander wirken. Dies Wird das neue Filmförderungsgesetz nun diesem An- ist neben der Frage nach der Archivierung des Filmerbes spruch gerecht? Zunächst möchte ich die Arbeit des Kul- die zentrale filmpolitische Aufgabe für das nächste Jahr. turstaatsministers loben, der hier insgesamt ein gutes Hier haben wir in einem gemeinsamen Antrag die wich- Gesetz vorgelegt hat. tigsten Forderungen an die Bundesregierung formuliert. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Der Kulturstaatsminister hat angekündigt, im nächsten SPD) Jahr ein Konzept vorzulegen, wie die Bewahrung dieses kulturellen Filmerbes organisiert werden kann. Jeder, der die Filmwirtschaft kennt, weiß, wie schwierig (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: es ist, die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Ak- Weitsichtig und weise!) teure auf einen einigermaßen gleichen Nenner zu brin- gen. Dies ist Ihnen, Herr Neumann, mit diesem Gesetz Für mich ist besonders wichtig, dass die Archivierung gelungen, und wir werden diesem Gesetz natürlich zu- nach klaren Kriterien erfolgt, welche filmischen Werke stimmen. verbindlich aufbewahrt werden sollen. Es ist übertrie- ben, jeden Werbespot, Videospiele oder Internetfilmchen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) aufzubewahren, wie die Linke es hier vorgeschlagen hat. Dies würde nur Bürokratie und hohe Kosten für den (B) Zwei positive Punkte möchte ich herausgreifen. Zum (D) einen halte ich die Ausweitung der Drehbuchförderung Steuerzahler und die Filmwirtschaft bedeuten. im neuen Filmförderungsgesetz für ein sinnvolles Mittel, (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: um die Stoffentwicklung zu stärken. Dies ist die grundle- 90 Millionen!) gende Voraussetzung, um gute Filme zu schaffen, die auch an der Kinokasse erfolgreich sind. Zum anderen Wir brauchen effektive Instrumente der Filmförde- dürfte die stärkere Absatzförderung dazu beitragen, rung, die gut aufeinander abgestimmt sind, um sowohl mehr Zuschauer für deutsche Filme zu begeistern. der künstlerisch-kreativen als auch der wirtschaftlichen Bedeutung des Filmes gerecht zu werden. Leider haben Sie das – zugegebenermaßen – schwie- rigste, aber auch wichtigste Problem ausgespart, nämlich (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die Finanzierung der Filmförderungsanstalt. Zahlungen unter Vorbehalt, Klagen bei der EU, Zahlungsverweige- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: rung einzelner Anbieter – das Finanzierungssystem ist Das Wort hat nun Kollegin Angelika Krüger-Leißner, und bleibt die Achillesferse der FFA. Dabei braucht die SPD-Fraktion. FFA eine verlässliche finanzielle Grundlage für die För- derung. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund ei- Angelika Krüger-Leißner (SPD): ner sich rasch verändernden Landschaft der Verwerter Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und von Filmen. Die Angebote sind vielfältiger und unüber- Kollegen! In diesem Jahr konnten wir ein erfreuliches Ju- sichtlicher geworden. IP-TV, Video-on-Demand, Pay- biläum feiern: 40 Jahre Filmförderungsanstalt. 40 Jahre per-Channel und wie sie alle heißen – die Abgrenzung FFA heißt auch vier Jahrzehnte erfolgreiche Filmförde- zwischen diesen Anbietern fällt oft schwer. rung auf der Grundlage des FFG. Heute wollen wir das Leider ist in der FFG-Novelle die Einbeziehung der zum fünften Mal fortschreiben. neuen Dienste in die Finanzierungsstruktur nicht befrie- Was uns nun zur Abstimmung vorliegt, ist wirklich digend. eine gute Novelle. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Aber ein erster guter Schritt!) bei Abgeordneten der FDP) Wir brauchen ein übersichtliches, faires Abgabensystem Aber alle wissen, dass dieses Ergebnis nur möglich ge- auf einer einheitlichen Grundlage, das alle Nutzer von worden ist, weil in diese Vorbereitungen immense Arbeit Kinofilmen nach ihrer Leistungsfähigkeit in die Finan- gesteckt wurde. Mit größtem Aufwand wurde in zahlrei- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20069

Angelika Krüger-Leißner (A) chen Abstimmungen, Gesprächsrunden und Anhörungen Bereich eine Menge getan haben. Dies war aus meiner (C) mit allen Beteiligten der Filmbranche nach Lösungen ge- Sicht auch nötig, weil es mit der wirtschaftlichen Lage sucht. Mit bewundernswerter Geduld und harter Arbeit der Kinos wirklich nicht zum Besten steht. Wir haben wurde um den Interessenausgleich gerungen. seit Jahren rückläufige Besucherzahlen. Während man in der Geburtsstunde des FFG, 1967, noch klagte, dass man An dieser Stelle möchte ich – das wird niemanden nur 290 Millionen Eintrittskarten im Jahr verkaufen wundern – ganz herzlich Herrn Kulturstaatsminister konnte, sind wir heute schon froh, wenn wir das Resultat Neumann danken und ihn bitten, diesen Dank auch an des letzten Jahres, nämlich 125 Millionen Besucher, er- seine Mitarbeiter weiterzugeben. reichen. Es gab 2005 einen regelrechten Einbruch. Da- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) von haben sich die Kinos noch nicht erholen können. Ich möchte an der Spitze Herrn Hanten und Frau Schauz Aber es kommt noch mehr zusammen. Viele Kinobe- nennen. triebe schleppen noch die Belastungen der Altdarlehen mit sich, weil sich die damaligen Prognosen, dass die (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Besucherzahlen steigen, nicht erfüllt hatten. Vor diesem Dem Dank schließen wir uns an! – Monika Hintergrund hat sich bei vielen Häusern ein Investitions- Griefahn [SPD]: Sie sind da! Sie nehmen den stau gebildet. Das heißt, viele Kinos können nicht mehr Dank gleich mit!) die Ausstattung und den Komfort bieten, den der Zu- Ich sage das nicht nur so dahin. Ich habe nämlich wirk- schauer erwartet. Für viele Kinos wird die anstehende lich großen Respekt vor diesem außergewöhnlichen Ein- Umrüstung auf die digitale Projektion zu einer Frage des satz. Mein Dank gilt auch den Koalitionsfraktionen für Überlebens werden. Auf all diese Herausforderungen die konstruktive Zusammenarbeit. Ich glaube auch, dass haben wir mit der neuen Kinoförderung reagiert. die Oppositionsfraktionen und wir ziemlich nahe bei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einander sind. der CDU/CSU) Ich finde, die Mühen haben sich insgesamt gelohnt, Ich will die Punkte einzeln benennen: weil wir jetzt ein gutes Gesetz auf den Weg bringen. Es ist uns gelungen, die Förderung und ihre Finanzierung Erstens stehen für besondere Werbemaßnahmen und an die veränderten Rahmenbedingungen für die Herstel- zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit künftig Zu- lung und die Auswertung des deutschen Kinofilms anzu- schüsse bis zu einer halben Million Euro zur Verfügung. passen. Wir haben die rasanten technischen und medien- Zweitens können Förderungshilfen für die Moderni- wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre sierung, die Verbesserung und die Neuerrichtung von (B) berücksichtigt. Ich freue mich ganz besonders, dass wir Filmtheatern, die bisher nur als Darlehen vergeben wor- (D) auch die kreative Seite des Filmemachens gestärkt ha- den sind, künftig bis zu 30 Prozent als Zuschuss gewährt ben. werden. Ich will einige Kernpunkte ansprechen: Wir haben die Drittens haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass neuen Anbieter, die Videoabrufdienste und Programm- alte Darlehensschulden gegenüber der FFA bis zu anbieter, in die Finanzierung der FFA einbezogen; jetzt 50 Prozent erlassen werden. haben wir eine breite Grundlage. Wir haben die Produ- zenten in der Rechtefrage gegenüber den Sendern ge- Viertens haben wir mit dem sogenannten Sondertopf stärkt. Wir haben die Drehbuchförderung verbessert und Digitalisierung die Voraussetzung dafür geschaffen, dass ausgebaut. Außerdem konnten wir die wichtige Absatz- die FFA einen beachtlichen Beitrag zur Finanzierung der förderung erhöhen. Darüber hinaus haben wir die Sperr- Digitalisierung leisten kann. fristen zeitgemäß ausgestaltet. Ich glaube, wesentlich Fünftens haben wir insgesamt den Anteil der Kinos war, dass wir die Kino- und die Abspielförderung ge- am Förderkuchen deutlich erhöht: Bisher waren es stärkt haben. Darauf möchte ich nachher besonders ein- 20 Prozent; jetzt sind es 25,5 Prozent. Ich will ganz deut- gehen. lich sagen: Kein anderer Bereich kann von dieser Novel- Ich finde, dass das FFG insgesamt solidarischer ge- lierung so stark profitieren wie die Kinobranche. worden ist und aus meiner Sicht auch gerechter. Ich bin (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) auch ein wenig stolz darauf; denn ich bin mir sicher, dass wir auf dieser Grundlage künftig auch in der Breite mehr Sechstens konnten wir, die Koalitionsfraktionen, nach Qualität in den deutschen Film bringen können. der Anhörung eine weitere Entlastung der Kinos durch- setzen – sie ist in das Gesetz aufgenommen worden –, (Beifall bei der SPD – Unruhe bei der CDU/ von der vor allen Dingen die größeren Kinos, bei denen CSU) die Lage besonders angespannt ist, profitieren werden; – Einige hören gar nicht zu. Das stört ganz schön, Herr denn die Kinos werden bei der Filmabgabe um rund Börnsen. 1,3 Millionen Euro entlastet. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich habe Ihnen diese sechs Maßnahmen nicht ohne NEN]: Der Koalitionspartner hört nicht zu!) Grund aufgezeigt. Ich finde, wir haben so ein Stück mehr Abgaben- und Fördergerechtigkeit geschaffen. Ich Lassen Sie mich aber zunächst auf die Verbesserun- bin sehr froh, dass wir das für die Kinos erreichen konn- gen für die Kinos eingehen. Ich finde, dass wir in diesem ten. Ich hoffe, dass das Ergebnis der Kinobranche Mut 20070 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Angelika Krüger-Leißner (A) macht und Zuversicht schafft, dass es ein gutes Zeichen winnen, eine weitere Veränderung einzubringen: die (C) für die Solidarität in der Branche ist. Wenn jetzt alle Ki- Veränderung der Rahmenfrist. Mir ist egal, wie das er- nos zusammenstehen, werden wir auch die nächste He- reicht wird. Wenn wir wirklich etwas für die Branche der rausforderung – die Phase der Digitalisierung – gemein- Filmschaffenden tun wollen, müssen wir auch an die sam bewältigen. Ich stehe jedenfalls fest an der Seite der Rahmenfrist herangehen. Kinos. Ein letzter Punkt, den ich herausgreifen will: die För- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten derung der Kreativen und die Beteiligung der Regisseure der CDU/CSU und des Abg. Wolfgang an der Referenzfilmförderung. Tomy Wigand hat es klar Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) zum Ausdruck gebracht: Die Regisseure sind darauf an- Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der mir gewiesen, dass wir ihnen bei der Projektentwicklung et- wichtig ist. Zu den guten Rahmenbedingungen für die was mehr den Rücken freihalten. Ich würde hier gern et- Filmwirtschaft gehören auch – das ist ganz wichtig – gut was mehr tun. Auch hier habe ich geprüft, ob das im qualifizierte und motivierte Beschäftigte. Was mir Sor- Rahmen des FFG möglich ist. Ich sage Ihnen: Das wäre gen macht, sind die Arbeitsbedingungen bei der Film- falsch. Wir brauchen einen Konsens in der Branche. Wir produktion, die sich in den letzten Jahren unter dem zu- können nicht einfach Geld hin- und herverteilen. nehmenden Kostendruck für die Unternehmen verschlechtert haben. Viele Filme, insbesondere Low- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Budget-Produktionen, könnten unter den Vorgaben star- Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. rer Arbeitszeitregelungen gar nicht entstehen. Deshalb haben wir die Möglichkeit, im Rahmen des Tarifvertra- Angelika Krüger-Leißner (SPD): ges besonders hohe Arbeitszeiten zuzulassen. Im Gegen- Vielen Dank, Herr Präsident, für den Hinweis. zug erwarten wir, dass Ruhezeiten, Arbeitszeitkonten und Vergütungen berücksichtigt werden. Ich komme zum Schluss. (Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD]) (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Aber dazu müssen die Tarifverträge angewendet werden. Schade!) Wir machen leider die Erfahrung, dass diese in der Bran- Wir sollten etwas mehr tun, aber an einer anderen Stelle: che mit Pauschalverträgen unterlaufen werden. im Rahmen des Deutschen Filmpreises. Ich bitte meine Ich habe lange geprüft, welche Auswirkungen es Kollegen, mich dabei zu unterstützen. hätte, wenn man – entsprechend dem Antrag der Linken – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) die Einhaltung sozialer Standards als Förderbedingung der CDU/CSU) (D) ins FFG aufnähme. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das mehr Schaden anrichten würde, als es weiter- Ich denke, dass wir mit dieser Novellierung eine helfen würde. Aus diesem Grunde lehnen wir den An- Menge für das Kulturgut und Wirtschaftsgut Film getan trag der Linken ab. Die Umsetzung würde große EU- haben. Ich bin mir ganz sicher, dass wir für die Kinos rechtliche Probleme bringen. Wahrscheinlich würde das und für die Verbesserung der Qualität und der Vielfalt Gesetz gestoppt. Dieses Risiko dürfen wir nicht einge- des deutschen Filmschaffens die Weichen gut gestellt hen. haben. Das ist, finde ich, ein gutes Fazit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- Danke. wie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) NIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben mit unserem Koalitionspartner einen Weg Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gefunden. Ich möchte mich ganz herzlich bei Herrn Das Wort hat nun Kollege Lothar Bisky, Fraktion Die Börnsen und bei Herrn Mißfelder bedanken, dass uns Linke. das gelungen ist. Die FFA hat sich künftig um die Be- lange der Filmwirtschaft einschließlich ihrer Beschäftig- (Beifall bei der LINKEN) ten zu kümmern. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE): NEN]: Das ist sicherlich schwierig!) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Zukunft der Filmförderung und der Sicherung des Film- Das haben wir in der Begründung deutlich ausgewiesen. erbes stehen heute zwei wichtige Themen für die Kultur In Zukunft können wir darauf Bezug nehmen. Die Film- unseres Landes zur Debatte. Bei der Sicherung des Film- schaffenden selber können sich darauf berufen. Das wird erbes sind wir uns einig, dass die Archivbestände vor der ihre Position nachhaltig stärken. Ich halte das für einen Zerstörung bewahrt werden müssen. So weit, so gut. Es großen Fortschritt. ist mir aber ein Rätsel, wie das ohne zusätzliche Haus- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der haltsmittel funktionieren soll. Wer das Filmerbe sichern CDU/CSU) will, muss auch darlegen, wie das finanziert werden kann. Zugleich bitte ich Herrn Börnsen, Frau Connemann und Herrn Mißfelder, die Kollegen Sozialpolitiker zu ge- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20071

Dr. Lothar Bisky (A) Wir haben mit vielen beteiligten Institutionen, dem (Beifall bei der LINKEN) (C) Bundesfilmarchiv, der Deutschen Kinemathek, der DEFA-Stiftung und vielen anderen Akteuren gespro- Das Filmförderungsgesetz ist dafür genau das richtige chen. Nach ersten Schätzungen wird die Sicherung des Instrument. Wir sagen Ja zur Förderung, aber nur bei gu- deutschen Filmerbes um die 90 Millionen Euro kosten. ter sozialer Absicherung und angemessener Bezahlung Deshalb schlagen wir erstens vor, dass die Filmwirt- der festen und freien Beschäftigten. Wir wissen, dass al- schaft und die Bundesregierung über einen Zeitraum von lein dadurch keine guten Filme entstehen. Ich hoffe, dass fünf Jahren jeweils 6 Millionen Euro jährlich für die wir nicht auf die Tradition zurückkommen, dass der Er- Sicherung des Filmerbes zur Verfügung stellen. Zwei- folg des deutschen Films vor allem der Politik zu danken tens sollen weitere 6 Millionen Euro im Jahr durch eine ist. Nein, das ist den Menschen, die diese Filme produ- zweckgebundene Abgabe auf jede Kinokarte in Höhe zieren, zu verdanken und den vielen anderen, die daran von 5 Cent erhoben werden. Drittens fordern wir eine beteiligt sind: von der Beleuchtung, über die Garderobe, gesetzlich verankerte Abgabepflicht für alle öffentlich die Maske usw. Auch sie sollten am Erfolg des deut- aufgeführten, neu produzierten Filme. schen Films beteiligt sein. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wer das deutsche Filmerbe ernsthaft schützen will, der Meine Damen und Herren, auch wir Linken wissen, muss dafür auch die nötigen Mittel aufbringen. Ich dass Filmförderung und gute soziale Absicherung keine meine, dass das Geld hier wirklich gut angelegt ist. hinreichenden, aber nach unserer Meinung doch erfor- derlichen Bedingungen für gute Produktionen sind. (Beifall bei der LINKEN) (Jörg Tauss [SPD]: Das wissen alle!) Die Sicherung des Filmerbes ist unser gemeinsames In- teresse. Nehmen Sie sich daher unsere Vorschläge ruhig – Herr Tauss, ich freue mich immer, wenn auch Sie das zu Herzen, und prüfen Sie sie ganz genau! wissen. Das ist ja gut so. Ich erwähne es trotzdem. Im Übrigen scheint die Große Koalition ja vor Wissen fast Auch bei der Novelle zum Filmförderungsgesetz geht zu platzen. – es um grundlegende Rahmenbedingungen der Filmpro- duktion in den kommenden fünf Jahren. Das Filmförde- (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) rungsgesetz ermöglicht es, dass weitere Kinofilme in Vieles andere wie Vertriebsförderung, stimulierende Deutschland produziert werden. Deshalb ist die Filmför- Filmpreise und Belohnungen für publikumswirksame derung in unserem Lande und in ganz Europa zu Recht Filme, die dank des Enthusiasmus und der Risikobereit- eine breit akzeptierte Praxis. Auch wir akzeptieren sie. schaft der Produzenten gedreht wurden, gehören ebenso (B) (D) Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Ände- dazu. Es gehört also viel mehr zur Filmförderung. rung des Filmförderungsgesetzes enthält gute Pläne zur Lassen Sie uns gemeinsam die Kreativschaffenden als Neujustierung der hiesigen Filmwirtschaft. Die Förder- die eigentlichen Leistungsträger der Filmwirtschaft in bedingungen des deutschen Films werden optimiert. Das den Mittelpunkt der Filmförderung stellen. ist zwar alles in Ordnung; aber uns fehlt ein wichtiger Aspekt: Die soziale Situation der beim Film Beschäftig- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ten muss Berücksichtigung finden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Die Linke fordert deshalb, dass die Vergabe von Film- fördermitteln verbindlich an die Einhaltung sozialer Das Wort hat nun Wolfgang Wieland für die Fraktion Mindeststandards für die in der Filmbranche Tätigen ge- Bündnis 90/Die Grünen. bunden ist. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gegenwärtig sonnen sich die Promis aus Politik und Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Gesellschaft im Glanz des roten Teppichs, Herren! Ich bin der Sprecher für innere Sicherheit mei- (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Herr Gysi!) ner Fraktion, und die große Zahl der nicht wenigen Filmschaffenden (Zuruf von der SPD: Das passt!) arbeitet in sehr schlecht bezahlten Jobs. Wenn Ihnen das aber keine falschen Schlüsse: Der deutsche Film ist für egal ist, dann bleiben Sie bei Ihrer Haltung. Wir werden uns kein Sicherheitsproblem geworden. das immer wieder thematisieren. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: (Beifall bei der LINKEN) Sicher ist sicher!) Dumpinglöhne und mangelnde soziale Absicherung Nein, die Kollegin Roth, die hier gerne geredet hätte, ist müssen nicht sein. Damit muss Schluss sein. So wie der schon auf dem Weg, nicht nach Hollywood, aber immer- deutsche Film gegenüber der Marktmacht der Holly- hin nach Erfurt zu unserem Bundesparteitag. wood-Produktionen konkurrenzfähig gehalten werden muss, so müssen auch die Filmschaffenden vor der (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Macht des Marktes geschützt und gestärkt werden. Das ist auch Hollywood!) 20072 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Wolfgang Wieland (A) Von daher habe ich die Ehre, hier zu Ihnen zur Filmför- werden soll. Nachdem Regisseure einen guten Film ge- (C) derung reden zu dürfen. Das ist schwierig für einen In- dreht haben, bleibt ja häufig der Anschlussfilm aus, so- nenpolitiker; denn so viel Lob für einen Minister wie in dass sie zum Teil gezwungen sind, sich anderweitig Be- dieser Debatte gibt es in innenpolitischen Debatten ei- schäftigung zu suchen. Um das zu verhindern, gibt es gentlich nie, noch nicht einmal vom Koalitionspartner. auch andere Möglichkeiten, zum Beispiel über den Bun- Deswegen muss ich mir – das gestehe ich zu – Mühe ge- desfilmpreis. Ich denke, an dieser Stelle muss noch ben, um mich hier nicht wie in einem falschen Film, son- nachgearbeitet werden. dern nur wie in einem ungewohnten Film zu fühlen. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Für uns hat die Novelle Licht und Schatten. Tucholsky Das tun wir auch!) fragt: Wo bleibt das Positive? Damit fangen wir also an. – Ja, ich hoffe, dass das kommt. Gut ist auf jeden Fall, dass die Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren mehr Fördermittel erhalten und Ich komme deswegen jetzt zu einem ganz versöhnli- diese nun auch selbstständig beantragen können. chen Schluss. Gut finden wir auch – Herr Neumann hat es angespro- (Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen chen –, dass die Frage der Digitalisierung der Kinos zum [Bönstrup] [CDU/CSU] – Dr. Stephan Eisel Thema geworden ist. Uns ist es wichtig, dass auch Pro- [CDU/CSU]: Das macht Frau Kollegin Roth grammkinos und mittelständische Kinos diesen Weg auch gern!) mitgehen können. – Ich sagte ja, dass ich die Anpassung übe. (Monika Griefahn [SPD]: Das ist für uns auch Es sind positive und negative Elemente darin enthal- wichtig!) ten. Hätte der Herr Kulturstaatsminister etwas zu der Angesichts dessen, was da auf uns zukommt, haben wir Frage gesagt, die ich als letztes angeschnitten habe, Grüne die Einrichtung eines runden Tisches Kino ange- (Zuruf von der CDU/CSU: Kommt noch!) regt, damit alle diesen Weg mitgehen können und es nicht zu einer weiteren Marktbereinigung und einem nämlich zur Stellung der Regisseurinnen und Regis- weiteren Sterben der kleinen Kinos kommt. seure, dann hätten wir zustimmen können. So wird sich unsere Fraktion der Stimme enthalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. [CDU/CSU]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Kritik üben wir daran, dass es nicht gelungen ist, die (D) Zusammensetzung des Präsidiums der Filmförderungs- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: anstalt zu verbessern. Wir hatten vorgeschlagen, auch Das Wort hat nun Kollege Philipp Mißfelder für die dort den Kreativen einen Sitz einzuräumen und nicht nur CDU/CSU-Fraktion. wie bisher im Verwaltungsrat. Dort wird dies ja prakti- ziert; aber auch im Präsidium sollten sich die Bereiche (Beifall bei der CDU/CSU) Drehbuch, Regie, Kurz- und Dokumentarfilm einen Sitz teilen. Das wurde von Ihnen mit Ihrer Mehrheit im Aus- Philipp Mißfelder (CDU/CSU): schuss abgelehnt. Das halten wir für misslich. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir natürlich eine breitere Zu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stimmung für diesen Gesetzentwurf gewünscht, nach- Es geht ja bei der Filmförderung nicht nur um wirt- dem wir schon die ganze Zeit konstruktiv diskutiert ha- schaftliche, sondern auch um kulturelle Fragen. ben. Offensichtlich haben sich die Grünen aber im falschen Film befunden – Sie haben es ja gerade gesagt, Ein anderes Anliegen von uns Grünen war die Einbe- Herr Kollege Wieland –, ziehung von Regisseurinnen und Regisseuren in die Re- ferenzmittelförderung. Sie sollten die Möglichkeit erhal- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten, auch für einen geplanten Film Fördermittel zu NEN]: Nicht im falschen! Im ungewohnten! beantragen. Das Geld wäre sozusagen in der Produktion Sie können noch nicht mal zuhören, Herr geblieben und nicht abgezogen worden. Meines Erach- Mißfelder!) tens ist das – das ist ja für mich Neuland; ich habe mir während sich die Linkspartei in einem ganz anderen das erklären lassen – ein durchaus originärer und guter Film befindet. Sie versucht zwar, davon abzulenken, in- Vorschlag. Auch in dieser Frage haben Sie es nicht für dem sie Tatort-Kommissare ins Rennen schickt. Wenn nötig gehalten, unser Anliegen aufzugreifen. ich Sie aber reden höre, Herr Dr. Bisky, dann denke ich Die Frage ist jetzt natürlich, was Sie sozusagen an eher an Das Leben der Anderen statt an alles andere. diese Stelle setzen wollen (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang (Angelika Krüger-Leißner [SPD]: Habe ich Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gesagt!) war ja mit dem Holzhammer!) – ja, ich hätte es gerne von Herrn Neumann gehört – und Ich möchte ausdrücklich das Zustandekommen des wie dieses Loch, in das Regisseure ja oft fallen, gefüllt Gesetzentwurfs hervorheben. Wir haben tatsächlich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20073

Philipp Mißfelder (A) lange und konstruktiv über die routinemäßig anstehende ses Thema in dieser Legislaturperiode hoffentlich noch (C) Novellierung diskutiert. Frau Krüger-Leißner, Sie haben weiter verfolgen können. Die Diskussion im Rahmen bereits gesagt, dass das nicht ohne Diskussionen vonstat- des Kulturausschusses macht mich sehr optimistisch. ten gegangen ist. Ich möchte mich aber ganz herzlich bei Ihnen als SPD-Berichterstatterin bedanken und hervor- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) heben, dass die Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterin- Mit diesem Gesetzentwurf würdigen wir nicht nur die nen und Mitarbeitern von Herrn Neumann so erfreulich Leistungen der Produzenten, die ich besonders hervorhe- war, dass ich mich schon jetzt auf die nächste Novellie- ben möchte, also die Leistung derjenigen, die Film vor rung freue, die ab dem Zeitpunkt der Verabschiedung an- allem als Wirtschaftsgut darstellen. Deshalb haben wir steht; denn Sie haben bereits ein breites Feld an Aufga- sie stärker in den Verwaltungsrat der FFA eingebunden, ben für die kommenden Jahre aufgezählt. was ich für eine sinnvolle Maßnahme erachte. Und so schaffen wir zumindest auch appellativ den Einstieg in Ich glaube, es ist notwendig, über das hinaus, was wir die Diskussion darüber, wie man eine Verbesserung der zu regeln versucht haben, noch weitere Themen aufzu- sozialen Situation der Menschen, die beim Film arbeiten, greifen. Wir reißen einen bestimmten Bereich an, bei- erreichen kann. Das ist auch ein Wert dieses Gesetzes an spielsweise die Frage der Digitalisierung, die Frage des sich. Erhalts des Filmerbes und die Frage der zukünftigen Einbeziehung anderer Medien. Dies betrifft ganz konkret (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) die Frage von Video-on-Demand, wo wir zum ersten Mal einsteigen. Dabei müssen wir aber auch die Frage Ich wünsche uns allen viele vergnügliche Kinoerleb- stellen, ob wir bei der nächsten Novellierung nicht noch nisse mit möglichst vielen deutschen Filmen. Ich wün- weitergehen können. sche mir auch, dass im Abspann oft der Hinweis zu se- hen ist, dass der Film mit von uns bewilligten Mitteln Im Laufe der Entwicklung des Medienbereichs in den produziert worden ist. Dann können wir zu Recht stolz kommenden Jahren wird der Weg des Films zum Zu- darauf sein, dass wir für das Kulturgut Film sehr viel ge- schauer eine größere Rolle spielen. Deshalb muss dieser tan haben. Weg einbezogen werden, auch wenn sich starke Interes- senvertretungen dagegen aussprechen. Bei der nächsten Vielen Dank. Novelle wollen wir das Thema noch deutlicher angehen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) als wir es bislang angegangen sind. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Richtig!) Ich erteile nun das Wort Kollegin Monika Griefahn, (B) SPD-Fraktion. (D) Der Film ist ein großes Kulturgut geworden und ist nicht nur wichtig für die deutsche Sprache, sondern auch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) für das Vermitteln von historischen und gesellschaftli- chen Zusammenhängen. Deshalb ist es gerade in unse- Monika Griefahn (SPD): rem Interesse, dass möglichst viele deutsche Produktio- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- nen in Deutschland erfolgreich sind und darüber hinaus gen! Wie sehr Filme Menschen bewegen und unser tägli- natürlich auch international eine Chance bekommen. ches Leben künstlerisch widerspiegeln, hat sich für mich (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gestern erneut gezeigt. Bei einer Sondervorführung des Films „Let’s make money“, die für die Mitglieder des Das hat sich in den vergangenen Jahren sehr stark be- Deutschen Bundestages veranstaltet wurde, konnten wir währt. Deshalb gilt ein ausdrücklicher Dank unserem mit dem Filmemacher Erwin Wagenhofer diskutieren. Kulturstaatsminister, der vielfach – dies nicht ganz zu Sein neuer Dokumentarfilm gibt einen sehr realen Ein- Unrecht – als Filmminister bezeichnet wird. Denn beim blick in die komplizierte Welt der Finanzströme. Vor Thema Film haben wir es mit einer Bündelung von Maß- dem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise fand ich die- nahmen, wie zum Beispiel mit dem DFFF und der heute sen Film auch deshalb so beeindruckend, weil er auf sehr zu beratenden FFG-Novelle, geschafft – auch gemein- plastische Weise die mit diesem globalen Geldkreislauf sam mit Herrn Steinbrück; das möchte ich gar nicht un- verbundenen Folgen verdeutlicht. Ich kann diesen Film terschlagen –, den Film finanziell so gut auszustatten, nur empfehlen. Bilder machen manchmal mehr deutlich dass ich mir um den deutschen Film in den kommenden als viele Worte und Tabellen. Deswegen ist es mir ein Jahren wenig Sorgen machen muss. besonderes Anliegen, den Dokumentarfilm zu unterstüt- zen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Was die Sicherung des Filmerbes angeht – dies war bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- auch ein wichtiger Punkt in der Diskussion –, so möchte NISSES 90/DIE GRÜNEN) ich zumindest darauf verweisen, dass wir im Rahmen der Neuregelung des Bundesarchivgesetzes auch noch in der leider – auch von den Fernsehanstalten – viel zu dieser Legislaturperiode die Möglichkeit haben, in die- schlecht bezahlt wird; das muss man deutlich sagen. Die sem Bereich Erfolge zu erzielen, sodass der Eindruck, Bezahlung pro Minute ist seit 20 Jahren gleich geblie- der aufgrund des Antrags der Linken entsteht, wir wür- ben. Das, finde ich, ist kein Zustand. Deshalb richte ich den hier zu wenig tun, einfach nur trügt. Wir werden die- den Appell an die Fernsehanstalten, das zu ändern. 20074 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Monika Griefahn (A) Bevor ein Film ins Kino kommt, müssen viele Men- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (C) schen – beispielsweise Schauspielerinnen und Schau- spieler, Kostümbildnerinnen und Kostümbildner sowie Ebenfalls kein Bestandteil der Novelle zum Filmför- Regisseurinnen und Regisseure – künstlerisch daran mit- derungsgesetz – das wurde hier mehrfach angesprochen – gewirkt haben. Diese Arbeit wollen wir hier wertschätzen ist das Thema Filmerbe. Wir haben dazu einen fraktions- und fördern. Aber wir müssen – das hat meine Kollegin übergreifenden Antrag eingebracht, weil wir die Not- sehr deutlich gemacht – auch die Arbeitsbedingungen wendigkeit sehen, dazu Regelungen zu treffen. Wir wol- der Filmschaffenden in besonderer Weise berücksichti- len, dass das Filmerbe als Teil unseres kulturellen gen. Das möchte ich hier noch einmal unterstreichen. Gedächtnisses erhalten bleibt. Filme müssen erhalten und gesehen werden, um ihre Wirkung zu entfalten. Wir (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) müssen sie aufbewahren. Wir haben mit der Durchfüh- rung eines öffentlichen Expertengespräches, das wir im Doch die Kunst des Filmemachens lässt sich nicht Ausschuss geführt haben, und dem vorliegenden Antrag ohne den Zusammenhang mit den technischen Mitteln deutlich gemacht, dass uns dieses Thema wichtig ist. Ich denken. Da spielt das Problem des Urheberrechts eine bin froh, dass wir uns Anfang des nächsten Jahres mit Rolle, das wir bis jetzt noch nicht vollständig gelöst ha- dem Bundesarchivgesetz beschäftigen werden und ganz ben. Die Novellierung des Filmförderungsgesetzes war konkrete und praktische Regelungen treffen und veran- auch deshalb notwendig geworden, weil die Förder- und kern können. Das braucht noch ein bisschen Zeit und Vergabebedingungen an die technischen und medien- kann nicht schon in dieser Novelle geregelt werden. wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre angepasst werden mussten. Denn heute gibt es DVD, In- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ternet, Fernsehen und andere Plattformen, von denen sich viele noch in der Erprobung befinden. Diese Ver- Die FFG-Novelle, die wir heute beschließen, ist – meine wertungsformen und die vielfältige Vermarktung von Kollegin hat das deutlich gemacht – intensiv geplant und Filmen spielen eine immer größere Rolle. Wir müssen zu vorbereitet worden. Ich denke, wir sind gemeinsam zu immer besseren Regeln kommen, nach denen die Künst- einem Ergebnis gekommen, das sich sehen lassen kann. ler entlohnt werden. Dieses Problem ist, wie gesagt, Dies ist für die Filmbranche ein wichtiger Schritt in die noch nicht vollständig gelöst. Zukunft. Ich stimme Herrn Mißfelder zu: Wir werden, wenn wir uns die Medienlandschaft anschauen, beim Wir haben allerdings – das freut mich sehr; Herr nächsten Mal sicherlich nicht über ein Filmförderungs- Staatsminister hat darauf aufmerksam gemacht – die gesetz diskutieren, sondern über ein Medienförderungs- Fernsehanstalten noch stärker in das Finanzierungssys- gesetz. Dazu brauchen wir ein bisschen mehr Vorberei- tem der FFA einbinden können. Sowohl private als auch tung. Ich danke für die Kooperation und hoffe, dass wir (B) öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten haben aktiv daran in dieser guten Koordination weitermachen. (D) mitgearbeitet, sodass eine gesetzliche Regelung, die wir vorgesehen hatten, entfallen konnte. Eine Vereinbarung Vielen Dank. über zusätzliche Medialeistungen konnte getroffen wer- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie den. Darüber bin ich sehr froh. Wenn die Kinofilme im des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ Fernsehen beworben werden, dann werden sie auch von DIE GRÜNEN] – Philipp Mißfelder [CDU/ mehr Menschen gesehen. Auf diese Weise haben diejeni- CSU]: In einer anderen Koalition! – Gegenruf gen, die die Filme gemacht haben, hinterher mehr davon. der Abg. Monika Griefahn [SPD]: Warten wir Ich glaube, das ist ein gutes Ergebnis. es einmal ab!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ein Problem bleibt ungelöst. Dabei geht es um Fragen Das Wort hat nun Kollegin Dorothee Bär, CDU/CSU- im Zusammenhang mit den Widerspruchsrechten, die Fraktion. wir im Urheberrecht noch lösen müssen. Das schaffen wir wahrscheinlich in dieser Legislaturperiode nicht (Beifall bei der CDU/CSU) mehr. Wenn zum Beispiel eine unangemessene Verwen- dung der Werke über neue Nutzungsarten erfolgt, bei- Dorothee Bär (CDU/CSU): spielsweise als Filmschnipsel über Handy, dann haben Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die Hersteller der Filme im Moment kaum Widerspruchs- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr möglichkeiten; denn der Verwerter muss den Urheber erst Staatsminister! Ein erfolgreicher Film in letzter Zeit hieß nachträglich informieren. Diesen Aspekt haben wir in un- Vier Minuten und trägt den Titel meiner Rede. serer Entschließung zum Filmförderungsgesetz aufge- nommen, und wir wollen, dass die Auswirkungen dieser (Heiterkeit und Beifall des Abg. Wolfgang Regelung mit Blick auf die unbekannten Nutzungsarten Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]) noch einmal sorgfältig geprüft werden. Ich bitte den – Jetzt sind schon wieder 10 Sekunden mehr weg, Staatsminister, dieses Problem in Zusammenarbeit mit Wolfgang. der Justizministerin aufzugreifen, damit wir es in der nächsten Legislaturperiode im Zuge einer Reform des Wir haben nur deswegen einen so erfolgreichen deut- Urheberrechtes lösen können. Das haben wir beim letz- schen Film, weil jeder Kinosaal in Deutschland meistens ten Mal nicht geschafft, aber es muss gemacht werden. bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Wenn die Kinosäle so Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20075

Dorothee Bär (A) voll wären wie unser Plenarsaal, würde es um den deut- Wenn ich mir jetzt die Produktionen 2008/2009 an- (C) schen Film nicht so gut stehen. schaue, sehe ich, dass wir in Deutschland auf einem noch besseren Weg sind. (Iris Gleicke [SPD]: Ich sitze schon seit 12 Uhr hier!) Ich brauche nicht alle Preise aufzuzählen, die der deutsche Film in den letzten Jahren gewonnen hat. Wir – Ein Sonderapplaus für Frau Gleicke: Sie sitzt schon haben es nicht nur geschafft, Filme zu machen, die in seit 12 Uhr im Plenum. – Deutschland erfolgreich sind. Auch bei den Filmfest- spielen in Cannes oder der Verleihung des Europäischen (Iris Gleicke [SPD]: Aber Sie waren nicht die Filmpreises müssen wir uns nicht verstecken, und bei ganze Zeit im Saal!) der Oscar-Verleihung ist regelmäßig ein deutscher Film Aufgrund der vielen Millionen, die zugeschaut haben, dabei. Liest man die Nominierungsliste für den diesjäh- hatten wir ein erfolgreiches Jahr. – Natürlich lohnt sich rigen Europäischen Filmpreis, dann begegnen einem vielleicht nicht jede einzelne Debatte, aber die Debatte sehr viele deutsche Namen. Deswegen ist es lohnens- zum deutschen Film ist doch sehr lohnenswert. wert, sich mit dem deutschen Film auseinanderzusetzen. Heute Abend ist vielen gedankt worden, ganz oft dem Noch besser, als heute Abend über den deutschen Herrn Staatsminister und seinem Team. Ich möchte die- Film zu reden, wäre es natürlich, wenn wir alle gemein- ses Lob wiederholen. Frau Schauz hat vorhin gequält ge- sam im Anschluss ins Kino gehen würden, um die deut- schaut, als Herr Mißfelder gesagt hat, dass er sich schon sche Filmwirtschaft weiterhin zu fördern. auf die sechste Novelle freut. Man sieht Ihnen gar nicht (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: an, dass die fünfte so anstrengend war. Deswegen glaube Ein guter Vorschlag!) ich, dass wir die nächste, sobald sie ansteht, frischen Mutes angehen können. Einige Probleme sind noch zu Wir haben sowohl seitens des gesamten Bundestages als lösen. Alles in allem haben wir das gut hinbekommen, auch seitens unserer Fraktion Initiativen ergriffen. Wir sowohl fraktionsübergreifend als auch mit dem BKM. bieten sehr viele Dinge an, um den Kollegen die Mög- lichkeit zu geben, sich mehr mit dem deutschen Film zu Frau Gleicke, ich hoffe sehr, dass wir, nachdem das beschäftigen. Plenum geschlossen ist, alle zusammen in die Spätvor- stellung gehen können. Ich möchte zwei Genres – auch Frau Griefahn hat ei- Vielen Dank. nes angesprochen – ganz besonders hervorheben. Es gibt in Deutschland nicht nur herausragende Spielfilme, son- (Beifall bei der CDU/CSU – Iris Gleicke (B) dern auch ganz herausragende Dokumentarfilme. Diese [SPD]: Kommen Sie doch auch öfter ins Ple- (D) haben in den letzten Jahren eine immer größere Bedeu- num! Dann sind wir sofort mehr!) tung gewonnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Ich möchte mich bei allen Dokumentarfilmern bedan- ken, die sich oft mit Themen beschäftigen, die auf den Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- ersten Blick vielleicht nicht spannend klingen und desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- schwierig sind. Man muss sich mit diesen Filmen we- rung des Filmförderungsgesetzes. Der Ausschuss für sentlich länger und teilweise auch kritischer auseinan- Kultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe a seiner dersetzen. Sie erzielen vielleicht nicht besonders hohe Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10833, den Einspielergebnisse. Aber sie lohnen sich wirklich, und Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck- deren Bedeutung ist in den letzten Jahren Gott sei Dank sachen 16/10294 und 16/10495 in der Ausschussfassung größer geworden. Bei diesen Filmen geben die Filmema- anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- cher oft sehr viel mehr von sich preis, als es bei manchen wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Spielfilmen der Fall ist. Ich konnte mich bei den Hofer das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- Filmtagen von einigen sehr guten Dokumentarfilmen gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung überzeugen. Ich würde mir wünschen, dass wir darauf in mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei den nächsten Jahren ein noch größeres Augenmerk rich- Stimmenthaltung der Linken und der Grünen angenom- ten. men. Ein anderes Genre, das wirklich sehr lohnenswert ist Dritte Beratung und das in den letzten Jahren in Deutschland zunehmend und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Bedeutung bekommen hat, ist der Kinder- und Jugend- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – film. Auch da haben wir sehr gute Filmemacher. Es gibt Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- ganz tolle Themen. Es sind in Deutschland vom Stoff her wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in sehr hochwertige Filme entstanden. Auch all denjenigen, der zweiten Beratung angenommen. die am Kinder- und Jugendfilm beteiligt sind, ein ganz herzliches Dankeschön. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10833 empfiehlt der Ausschuss, eine (Beifall bei der CDU/CSU) Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- 20076 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der (C) tungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FDP und der Grünen bei Stimmenthaltung der Linken ange- UN-Resolution 1325 – Frauen, Frieden und Si- nommen. cherheit – Nationaler Aktionsplan zur strate- gischen Umsetzung Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10889 ab. Wer – Drucksachen 16/4555, 16/8608 – stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt Berichterstattung: dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag Abgeordnete Holger Haibach ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP ge- Detlef Dzembritzki gen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen Marina Schuster abgelehnt. Monika Knoche Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- Kerstin Müller (Köln) schusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Frak- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die tionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich Grünen mit dem Titel „Das deutsche Filmerbe sichern“. höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10831, den Antrag auf Druck- Ich eröffne die Aussprache und erteile Kerstin Müller sache 16/8504 anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hau- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. NEN): Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die ses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktion heutige Debatte hat leider eine traurige Aktualität be- Die Linke mit dem Titel „Finanzierung zur Bewahrung kommen; denn die Lage im Osten des Kongos eskaliert des deutschen Filmerbes sicherstellen“. Der Ausschuss dramatisch. Ich glaube, landesweit gibt es seit August empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- dieses Jahres 1,6 Millionen Flüchtlinge, 250 000 allein sache 16/10891, den Antrag der Fraktion Die Linke auf in und um Goma. Es gibt Massaker an Zivilisten, Plün- Drucksache 16/10509 abzulehnen. Wer stimmt für diese derungen und Zerstörung und vor allem Vergewaltigun- (B) Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent- gen und sexualisierte Gewalt in einem unvorstellbaren (D) haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- Ausmaß. Vor allen Dingen sind viele Frauen und Mäd- men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen chen im Ostkongo betroffen. Ihre Lage ist katastrophal. der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Grünen ange- Wir haben vor einigen Wochen eine Anhörung durchge- nommen. führt. Daran nahmen auch Vertreterinnen anderer Frak- tionen gemeinsam mit medica mondiale teil. Dort sprach Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b man von 40 Frauen pro Tag. Das sind Schätzungen; die auf: Dunkelziffern sind unbekannt. Die UNO jedenfalls spricht von den schlimmsten Verbrechen weltweit. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Die Schilderungen sind schrecklich. Sie haben sich Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordne- das im Vorfeld sicherlich noch einmal angesehen. Hierzu ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hat medica mondiale Zitate und Erzählungen veröffent- NEN licht, zum Beispiel von einer 15-Jährigen, einem Opfer, die erzählt: Sie kidnappten und vergewaltigten mich drei Sexuelle Gewalt gegenüber Frauen in der De- Monate lang. Ich weiß nicht, wie viele es waren. Als ich mokratischen Republik Kongo unverzüglich immer mehr einnässte, ließen sie mich gehen. – Es gibt wirksam bekämpfen viele solche Schilderungen. Jetzt jüngst in Goma kam es wieder zu solchen Verbrechen. Man muss darauf hinwei- – Drucksache 16/9779 – sen, dass diese dort von marodierenden Regierungssol- Überweisungsvorschlag: daten ausgeübt wurden, und zwar in Anwesenheit der Auswärtiger Ausschuss (f) UNO, die in der Stadt ist und tatenlos zugeschaut hat. Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ich glaube, wenn nicht schnellstens etwas passiert Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und – das ist ein Punkt in dieser Debatte –, bekommt die Entwicklung UNO ein schweres Glaubwürdigkeitsproblem. Man Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union muss sich ernsthaft fragen, ob wir aus Ruanda nichts ge- lernt haben, ohne zu sagen, dass es sich hier jetzt schon b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- um einen Völkermord handelt. Die Tatsache, dass sich richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- nichts tut, erinnert daran. schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Irmingard (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20077

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Kollegin Schewe-Gerigk? SPD, der FDP und der LINKEN) Ich meine, das folgt nicht nur aus der Schutzverantwor- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tung, sondern eben auch aus den Resolutionen 1325 und NEN): 1820, die insbesondere die Rolle der Frauen als Opfer in Ja. solchen Krisen zum Thema haben. Die Bundesregierung hat jetzt gesagt, eine EU-Battle- Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE Group wolle sie nicht. Wenn man aber auf Diplomatie GRÜNEN): setzt, dann frage ich Sie: Wo sind die diplomatischen In- Liebe Frau Kollegin Kerstin Müller, Sie haben hier itiativen? Wieso wird nicht mehr Druck auf Kabila ge- ganz eindrucksvoll über die Situation im Kongo gespro- macht? Immerhin haben wir Kabila mit einer EU-Mis- chen. Wie empfinden Sie es, dass niemand auf der Re- sion unterstützt; er hat zugesagt, die Armee aufzubauen gierungsbank sitzt? Jetzt kommt gerade der Herr Staats- und die FDLR zu entwaffnen. All das ist nicht passiert; sekretär aus dem Familienministerium. Glauben Sie stattdessen hat sich die Regierungsarmee inzwischen mit nicht, dass es diesem Thema angemessen wäre, wenn die den Hutu-Milizen, also den Völkermördern aus Ruanda, Regierungsbank besetzt wäre? verbündet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Fischer, Frau Irber, ich schätze Ihr persönliches und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Engagement für Afrika. Aber ich verstehe nicht, warum der CDU/CSU und der SPD) angesichts einer solch dramatischen humanitären Lage nicht der Außenminister selber eine aktivere Vermitt- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lungsrolle in dieser Krisenregion einnimmt, zumindest NEN): eine diplomatische Vermittlungsrolle. Selbst zu dem Das finde ich in der Tat schlecht. Ich weiß nicht, ob Zeitpunkt, als die Franzosen und Briten dort waren, war man vonseiten der Fraktionen etwas in der Hinsicht ma- der Außenminister nicht präsent. Meines Erachtens geht chen kann. Es ist ein Thema, das mindestens das Ent- das nicht; dafür ist die Lage zu dramatisch. wicklungsministerium, das Auswärtige Amt, aber auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, das Verteidigungsministerium hochrangigst angeht. In- bei der FDP und der LINKEN) sofern wäre es gut, wenn Sie vielleicht dafür sorgen könnten, dass noch ein paar Vertreter kommen. Nun zur UNO: 17 000 Soldaten sind vor Ort, 900 al- (B) lein in der Region Goma, aber die Menschen sind der (D) Gewalt schutzlos ausgeliefert. Herr Fischer, ich kann mir Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: vorstellen, dass Sie das ähnlich sehen: Meiner Auffas- Werte Kolleginnen, mir wird gerade mitgeteilt, dass sung nach muss zumindest ein robusteres MONUC- Herr Staatsminister Gloser gleich erscheint. Er ist ir- Mandat her, eines, das die Zivilbevölkerung schützt, und gendwo aufgehalten worden. Ich wollte das auf die An- zwar auch gegen marodierende Regierungssoldaten. Es frage hin mitteilen. kann doch nicht sein, dass wir wieder erleben, dass die Menschen traktiert werden und die UNO-Soldaten dane- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- benstehen. Die UNO bekommt ein schwerwiegendes NEN): Glaubwürdigkeitsproblem. Wenn sich jetzt, weil die Gut. UNO nicht handelt, auch noch Ruanda und Angola ein- mischen, wir also möglicherweise vor einem zweiten Frauen und Mädchen werden von den Milizen der afrikanischen Weltkrieg stehen – das wird zum Teil FDLR, Mai-Mai-Milizen sowie Nkundas Milizen, aber schon geschrieben –, dann müssen wir zumindest eben auch von Regierungssoldaten systematisch als MONUC so robust ausstatten, dass sie in der Lage ist, Kriegswaffe missbraucht. Durch die Vergewaltigungen die Zivilbevölkerung zu schützen. sollen sie seelisch und körperlich vernichtet werden. Es geht darum, den jeweiligen Gegner zu demoralisieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Inzwischen spricht medica mondiale von einem Femi- und bei der SPD) zid, weil es sich um schwerste Menschenrechtsverlet- zungen begangen an Frauen und Mädchen handelt. Es Vizepräsidentin Petra Pau: wird auch nur vereinzelt von diesen Massakern, die an Kollegin Müller, achten Sie bitte auf die Zeit. der Zivilbevölkerung stattfinden, berichtet, etwa von dem in Kiwanja, bei dem mindestens 20 Zivilisten brutal Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ermordet wurden, indem nacheinander Nkundas Milizen NEN): und Mai-Mai-Milizen über das Dorf herfielen. Ich komme gleich zum Schluss. – Die Opfer sexuali- Ich glaube, es ist nicht nur ein Gebot der internationa- sierter Gewalt verlangen ebenfalls nach Gerechtigkeit. len Schutzverantwortung, der im Jahre 2005 alle zuge- Sie verlangen, dass den Vergewaltigern aus den Reihen stimmt haben, dass jetzt alle Hebel in der EU und UNO der eigenen Armee und der Miliz der Prozess gemacht in Bewegung gesetzt werden, um die Zivilbevölkerung wird. Wenn die kongolesische Justiz dies nicht macht, im Ostkongo zu schützen. gehören sie vor einen internationalen Strafgerichtshof. 20078 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Kerstin Müller (Köln) (A) Ich will noch eine letzte Forderung nennen, die sich chen, zu Stabilität und einer friedlichen Lösung bereit (C) ebenfalls in der Anhörung ergeben hat. Es gibt einen sind. Friedensfonds, den die Entwicklungshilfeministerin nach ihrer letzten Reise aufgelegt hat. Er wird leider nur Es ist richtig, dass Frauen und Kinder in diesem Kon- für den Wiederaufbau und eben nicht für die Opfer flikt und in den allermeisten anderen gewaltsamen Kon- sexualisierter Gewalt zur Verfügung gestellt. Es wäre flikten und Kriegen in besonderem Maße die Leittragen- aber sehr wichtig, Mittel für die Opfer sexualisierter Ge- den sind. Ich möchte allerdings bezweifeln, dass es walt und für die Hilfsorganisationen bereitzustellen. Da- sinnvoll ist, sich angesichts dieser bedrückenden Situa- von gibt es nur sehr wenige; sie kämpfen zum Teil um tion in einem Antrag auf die Lage der Frauen im Ost- ihr Leben und werden auch bedroht. Zumindest auf die- kongo zu beschränken. Eine Lösung für die gesamte Re- ser Ebene müssen wir von Deutschland aus wirklich et- gion und ein entschiedenes internationales Handeln sind was tun. unverzichtbar. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dazu müssen sich die Verantwortlichen an einen Tisch setzen, und Partikularinteressen müssen beiseite- Vizepräsidentin Petra Pau: geschoben werden. Das ist in dieser Region natürlich Nun hat die Kollegin Anke Eymer für die CDU/CSU- besonders schwierig. Hier bietet sich für unzählige Fraktion das Wort. Gruppen ein ungeheuer großes Feld der partikularen Be- reicherung. Dazu zählen insbesondere die Milizen, aber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auch die hinter ihnen stehenden Regierungen. Illegaler Rohstoffabbau und -handel sind das Feuer, das unter den Anke Eymer (Lübeck) (CDU/CSU): Kesseln der Kriegsherren brennt. Dadurch sichern sie Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten die Finanzierung. So werden ständig neue Begehrlich- Damen und Herren! Der erste hier heute vorliegende An- keiten geweckt. Eine Komponente ist der ungelöste trag bezieht sich auf sexuelle Gewalt gegen Frauen. Die Konflikt zwischen Hutu und Tutsi, der immer wieder eskalierenden Ereignisse im Ostkongo – davon sprach ideologischen Nährboden bietet und jede Gewalt gegen meine Vorrednerin bereits – scheinen in ihrer Geschwin- den anderen zu rechtfertigen scheint. digkeit unsere parlamentarische Debatte zu überholen. In Ihrem ersten Antrag beschreiben Sie die Tatsache, Die Situation ist vielschichtig und verworren. Ende dass sexualisierte Gewalt gegen Frauen im Ostkongo zu einem der abscheulichsten Mittel der Kriegsführenden (B) Januar dieses Jahres gab es bekanntlich in der Demokra- (D) tischen Republik Kongo das Friedensabkommen von geworden ist, im Kern richtig. Die Lage ist aber viel um- Goma. Es wurde dort unterzeichnet; es ist aber nicht das fassender, auch wenn bei der noch ausstehenden Lösung Papier wert, auf dem es steht. des Problems diese besondere Gefährdung der Frauen zu berücksichtigen ist. Daher ist Ihr Antrag in dieser Form (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) nicht zu unterstützen. Die Kämpfe im Ostkongo sind verantwortlich für Die Ausschreitungen im Ostkongo stehen auch im Massaker an Frauen, Kindern und Männern sowie für Zusammenhang mit dem zweiten vorliegenden Antrag, die Flucht von mittlerweile einer Viertelmillion Men- in dem es um die Umsetzung der UN-Resolution 1325 schen in dieser Region. Die Regierungen in Kongo und geht. Ich möchte darauf hinweisen, dass er nicht der in Ruanda bezichtigen sich wechselseitig, die gegneri- erste Antrag zu diesem Thema ist. Ein entsprechender schen Milizen auf der jeweils anderen Seite der Grenze Antrag, der von CDU/CSU und SPD eingebracht wor- zu unterstützen. den war, ist in diesem Hause längst beschlossen worden. Ende der 90er-Jahre forderte der sogenannte erste Natürlich geht es auch hier um Frauenrechte, den Schutz afrikanische Weltkrieg Millionen Opfer. Wie weit sind von Frauen und die gleichberechtigte Teilhabe von wir jetzt noch von solchen Verhältnissen entfernt, wenn Frauen auf den unterschiedlichsten Ebenen, also um ein ein Nachbarstaat wie Angola sich wieder mit eigenen Thema, das nicht neu ist und nicht erst mit der Truppen aktiv am Konflikt beteiligt? Was nützen eigent- Resolution 1325 begonnen hat. lich Diplomatie und Krisengipfel in Nairobi und in Jo- hannesburg, wenn verantwortliche Kombattanten wie Es ist unbestritten, dass mit der Resolution 1325 ein General Nkunda nicht erscheinen? Wie viel wirkliche weiterer wichtiger Schritt getan wurde. Es ist eine Tatsa- Bereitschaft ist vorhanden, wenn verfeindete Präsiden- che, dass die Gefährdung und Belastung von Frauen in ten sich für ein gemeinsames Gespräch nur knapp fünf Krisensituationen und in kriegerischen Auseinanderset- Minuten Zeit nehmen, wie von Präsident Kabila und zungen besonders groß ist. Von Verschleppung, Miss- Staatschef Kagame beim Treffen in Nairobi berichtet handlung und Vergewaltigung sind insbesondere Frauen wird? betroffen. Der Konflikt im Ostkongo ist ein besonders scheußliches Beispiel dafür, wie sexualisierte Gewalt als Die Lage ist katastrophal; darin sind wir uns einig. Mittel der Kriegsführung eingesetzt wird. Hinzu kom- Eine humanitäre Katastrophe droht nicht, sie ist bereits men die Gefahr einer HIV-Infektion der betroffenen eingetreten. Aber sie kann noch schlimmer werden, Frauen und die anschließende Stigmatisierung der wenn die Verantwortlichen nicht zu wirklichen Gesprä- Frauen in ihren Familien und in ihrem sozialen Umfeld. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20079

Anke Eymer (Lübeck) (A) Wenig beachtet wird, dass Gewalt gegen Frauen oft Marina Schuster (FDP): (C) von männlichen Familienangehörigen ausgeübt wird und Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und eine Strafverfolgung dann meist ausbleibt. Diese Über- Kollegen! Die dramatischen Schreckensbilder, die uns griffe werden gesellschaftlich tabuisiert. Auch hierfür aus dem Ostkongo erreichen, wurden von meinen Vor- bietet die Demokratische Republik Kongo zahlreiche er- rednerinnen bereits geschildert. Es sind wirklich erschre- schütternde Beispiele. ckende Bilder: Flüchtlingslager, die geplündert und nie- dergebrannt werden, Kinder, die zu Soldaten gemacht Solche Übergriffe stellen eine klare Verletzung der werden, Frauen, die systematisch durch sexuelle Gewalt Menschenrechte dar. Sie fordern uns alle zu konsequen- terrorisiert werden. Das Internationale Rote Kreuz attes- tem Handeln auf. Frauen brauchen aber nicht nur einen tiert unzählige Vergewaltigungen, und niemand kennt besonderen Schutz, sondern sie müssen darüber hinaus die Dunkelziffer. Doch damit ist es nicht genug: Es gibt auch an der Schaffung friedlicher Lebens- und Arbeits- Anzeichen für ethnisch motivierte Massaker an Zivilisten. bedingungen für sich und ihre Familien mitwirken. Frauen müssen als Mitgestalterinnen in friedenschaffen- Wer heute in die FA Z schaut, der kann den Schre- den und friedensichernden Prozessen eine wichtige ckensbericht lesen, den Thomas Scheen von seiner Ent- Rolle spielen. In der Resolution 1325 hat der Sicher- führung geschrieben hat. Ich glaube, wir alle hier sind heitsrat der Vereinten Nationen darauf hingewiesen und sehr froh und erleichtert, dass er wieder frei ist. Ich zum Handeln aufgefordert. denke, dieser Bericht gibt noch einmal Aufschluss da- rüber, wie dramatisch die Situation ist. Die vorgeschlagenen Maßnahmen konzentrieren sich auf drei Kernbereiche: auf die Stärkung der politischen Dies zeigt auch, wie gefährlich die Situation im Hin- Teilhabe von Frauen, die Konfliktprävention und den blick auf einen Flächenbrand ist. Es besteht die Gefahr, Schutz von Frauen vor Gewaltübergriffen. Die großen dass wir dort ein Déjà-vu-Erlebnis haben, dass sich näm- Erwartungen, die mit dieser Resolution verbunden wa- lich, wie beim letzten Kongo-Krieg, sieben afrikanische ren, haben sich nicht erfüllt. Allerdings hat der Prozess Nachbarstaaten in einen mörderischen Krieg verwickeln. der Umsetzung der Resolution in den vergangenen Jah- Bei diesem Problem dürfen wir eben nie die regionale ren mehr Dynamik erfahren. Dimension vergessen – und auch nicht, welche Eigen- interessen die jeweiligen Staaten haben. Deutschland gehört zur Freundesgruppe der Resolu- tion 1325. Wir unterstützen auch die Europäische Union Ruanda spielt noch heute eine äußerst zweifelhafte in besonderer Weise bei ihrer Umsetzung und beim Be- Rolle in dieser Region, und auch Angola hat gestern an- mühen um die Gleichstellung von Männern und Frauen. gekündigt, eigene Truppen in das Gebiet zu entsenden – Das der Verwirklichung der Gleichstellung zugrunde lie- natürlich ohne Blauhelmmandat. Auch die SADC hat ein (B) gende Prinzip, bekannt als Gender-Mainstreaming, ist in militärisches Vorauskommando losgeschickt. (D) der deutschen Politik mittlerweile gut verankert. Es bie- tet eine gute Grundlage für die nationale Umsetzung der Dabei fragt man sich natürlich, wohin das führen Resolution. Dennoch ist der Handlungsbedarf weiterhin wird. Ich sehe die Gefahr, dass man hier militärisch ver- groß. sucht, etwas zu lösen, was sehr komplexe Wurzeln hat. Meine Vorrednerinnen sind darauf schon eingegangen. Wie anfangs bereits erwähnt, haben wir auch über Die kongolesische Regierung und Nkundas Rebellen dieses Thema im Deutschen Bundestag schon diskutiert werden aus eigener Kraft kaum eine friedliche Lösung und dazu einen Beschluss gefasst. Ein entsprechender finden. Sie scheinen sie auch nicht anzustreben. Und was Antrag von uns, der CDU/CSU, und unserem Koali- machen die Vereinten Nationen? Das MONUC-Mandat tionspartner ist in diesem Hause längst angenommen ist mit über 17 000 Soldaten das größte derzeit existie- worden. rende Mandat. Wir hören schreckliche Nachrichten von Der vorliegende Antrag beruht in weiten Teilen auf überforderten UN-Soldaten, die sich auf die Seite der einer sehr vergleichbaren Einschätzung der Faktenlage. Rebellen schlagen oder Menschenrechtsverletzungen be- Die Arbeit der Bundesregierung wird allerdings nicht gehen. Das muss unverzüglich gestoppt werden. richtig bewertet und eingeschätzt. Insofern bietet der (Beifall der Abg. Sabine Leutheusser- Antrag auch keine sinnvolle Ergänzung. Schnarrenberger [FDP]) Daher halte ich die aus den Ausschüssen stammenden Welche weiteren Schlüsse ziehen wir aus dieser Situa- Beschlussempfehlungen, nämlich den Antrag abzuleh- tion? Heute rächt sich die mangelnde Aufmerksamkeit nen, für sinnvoll. der EU und der Bundesregierung gegenüber der Lage im Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ostkongo. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Als wir vor zwei Jahren deutsche Soldaten zur Sicherung Die Kollegin Marina Schuster spricht nun für die der freien Wahlen nach Kinshasa geschickt haben, haben FDP-Fraktion. wir immer darauf hingewiesen, dass demokratische Wahlen eben nur ein Schritt – ein wichtiger und erster (Beifall bei der FDP) Schritt – auf dem Weg zur Demokratie sind und dass da- 20080 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Marina Schuster (A) mit noch nicht die Stabilisierung des Landes erreicht (Beifall der Abg. Monika Knoche [DIE (C) wird. LINKE]) (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Was haben die Einrichtung eines Containerkrankenhau- GRÜNEN]: Richtig!) ses in Afghanistan, eine Schreibwerkstatt und die Konfe- renz einer finnischen Ministerin für Gleichstellungsan- Wir haben auch damals schon deutlich gemacht, dass wir gelegenheiten gemeinsam? Worin besteht die Strategie? dringend eine bessere Unterstützung der EU-Missionen EUPOL und EUSEC brauchen, damit dort ein funktio- (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem nierendes Justizsystem errichtet wird und Polizei und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Militär entsprechend ihrer Strukturen arbeiten können, Ich finde, die Bundesregierung bleibt weit hinter den (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Erwartungen zurück. Sie hätte Vorreiter sein können. Es GRÜNEN]: Aber da kam nichts!) braucht einen genauen Fahrplan bzw. eine Strategie, wie die UN-Resolution weiter umgesetzt werden soll. Denn und dass es dort eben keine rechtsfreien Räume und Frieden und Rechtsstaatlichkeit müssen hart erarbeitet keine Kultur der Straflosigkeit geben darf. werden, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern tat- Die Sicherheitslage ist schon lange fragil. Es gab sächlich. Dazu fordere ich Sie auf. viele Warnzeichen dafür, die die Bundesregierung nicht (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten aufgeweckt haben. Hier ist die Bundesregierung meines der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Erachtens viel zu spät tätig geworden, und sie hat die GRÜNEN) Krise aus den Augen verloren. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Petra Pau: DIE GRÜNEN) Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Brunhilde Wir müssen aber auch an die Konfliktparteien appel- Irber das Wort. lieren, die diesen Kreislauf der Gewalt endlich stoppen müssen. Die Friedensabkommen sind das Papier nicht Brunhilde Irber (SPD): wert, auf dem sie stehen. Das hat die Kollegin schon an- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und gesprochen. Auch die AU ist gefragt, den politischen Kollegen! Wir debattieren heute über den Antrag der Druck zu erhöhen. Aber auch die Bundesregierung muss Grünen vom Juni dieses Jahres. Schon damals war die die ihr zur Verfügung stehenden Kanäle aktiver nutzen. Situation der Frauen im Kongo schlimm genug. Seit Au- gust hat sich mit dem Wiederaufflammen der Kämpfe Die Bemühungen des UN-Generalsekretärs sind rich- (B) die Situation noch einmal dramatisch verschlimmert. (D) tig. Er hat gesagt: Politische Lösungsansätze müssen Frauen und Mädchen sind und waren Opfer beispielloser Vorrang haben. – Kabila und Kagame sind die Schlüssel- brutaler sexualisierter Gewalt. figuren für eine Lösung. Es müssen aber eben auch Ge- spräche mit dem Rebellenführer Nkunda und anderen Angehörige der Armee sowie aller bewaffneten Grup- Parteien stattfinden. Denn es zeigt sich, dass die Bemü- pen nehmen die körperliche und seelische Zerstörung hungen um einen tiefgreifenden Versöhnungsprozess der Frauen in Kauf. Es macht ihnen überhaupt nichts viel zu lange vernachlässigt worden sind. aus. Sie benutzen es als Kriegwaffe. Was die heillos überforderten UN-Truppen angeht, Es ist daher unsere Pflicht, zu helfen und dafür einzu- muss die personelle und finanzielle Ausstattung verbes- treten, die Gewalt im Kongo dauerhaft zu beenden. Des- sert werden. Denn selbst der Leiter von MONUC hat halb hege ich große Sympathie für den Antrag der Grü- verkündet, dass er die Zivilbevölkerung nicht mehr nen. Zugleich habe ich aber ernsthafte Zweifel an der schützen kann. Die Maßnahmen müssen aber von einer Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen. Warum? politischen Komponente begleitet werden. Sonst wird Der Antrag erweckt den Eindruck, dass es möglich sei, sich an der Krise nichts ändern, weil man nicht an die die Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, ohne in den Ursachen herangeht. Konflikt selbst einzugreifen. Ich glaube aber nicht, dass dies möglich ist. Lassen Sie mich zum Schluss noch auf die Umset- zung der UN-Resolution eingehen. Der Blick in den Die Gewalt gegen Frauen im Osten des Kongos ist Kongo zeigt, dass die körperliche und seelische Zerstö- eine Folge des fortwährenden Krieges. Solange es im rung von Frauen zum teuflischen Instrumentenkasten der Ostkongo so gut wie keine staatlichen Strukturen gibt, Konfliktparteien gehört. Gerade weil Frauen oft die sind unsere Einflussmöglichkeiten denkbar gering. Leidtragenden solcher Krisen sind, sind sie dann auch Natürlich ist es dringend geboten, auf die Einhaltung der Schlüssel, wenn es darum geht, dauerhaften Frieden der UN-Resolution 1325 zu pochen und sich für entspre- und Versöhnung zu erreichen. chende Schulungen der kongolesischen Soldaten und Der Bericht, den uns die Bundesregierung vorgelegt Polizisten einzusetzen. Denn Vergewaltigung ist im hat, führt zwar Projekte und Maßnahmen auf, aber er Kongo seit 2006 strafbar. Doch müssen wir der Tatsache lässt keine Strategie erkennen. Stattdessen hat man ver- ins Auge sehen, dass die Reform von EUSEC und EUPOL sucht, alles, was mit dem Thema Frauen zusammen- und der Aufbau der Justiz langfristige Aufgaben sind. hängt, in ein Schema zu pressen. Das führt zu einem ver- Beides kommt bedauerlicherweise nicht so schnell worrenen Flickwerk ohne roten Faden. voran, wie wir uns das wünschen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20081

Brunhilde Irber (A) Um die Lage der Frauen im Kongo zu verbessern, (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (C) gibt es nur einen Weg: eine politische Lösung des Kon- GRÜNEN]: Auch auf die Shopping-Liste? flikts. Dass Deutschland diesen Weg ernst nimmt, hat es Sonst frage ich noch einmal nach!) in den letzten Tagen bewiesen. Die Bundesregierung hat mit ihrem Engagement aktiv dazu beigetragen, dass es Ich fahre mit meiner Rede fort. Nach meiner Meinung am vergangenen Wochenende in Nairobi endlich zu ei- ist es wichtig, ein Zoll- und Grenzregime einzuführen. nem Gipfeltreffen zur Lage im Ostkongo gekommen ist. Zusammen mit der Initiative zur Zertifizierung von Roh- Am Unwillen des kongolesischen Präsidenten Kabila stoffen, EITI, besteht dann die Möglichkeit, die Erlöse und des ruandischen Präsidenten Kagame, von Ange- aus dem Rohstoffhandel endlich der breiten Bevölke- sicht zu Angesicht zu verhandeln, können wir allerdings rung zukommen zu lassen. Wir müssen den Konfliktpar- ermessen, wie steinig der Weg zum Frieden noch sein teien den Geldhahn zudrehen. Ich glaube, das ist das wird. Dennoch wird die Bundesregierung weiterhin für Wichtigste. Gespräche zur Umsetzung des 2002 in Pretoria und im (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Januar 2008 in Goma geschlossenen Abkommens wer- Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben. NEN]: Auch dem Präsidenten der FDLR, rich- Diese Bemühungen um eine politische Lösung wer- tig?) den von einem breiten Katalog von Hilfsmaßnahmen – Ja. flankiert. Er umfasst neben Maßnahmen zur Verbesse- rung der Lage der Zivilbevölkerung Hilfen zum Staats- Die Demokratische Republik Kongo ist bereits heute aufbau sowie die Finanzierung der VN-Mission MONUC. das Land, welches nach Afghanistan die umfassendste Schließlich sind wir uns bewusst, dass die jetzige Situa- Unterstützung von Deutschland erhält. Ich selbst habe tion für eine Vielzahl der Beteiligten sehr profitabel ist. mich im Juni mit meiner Kollegin Bärbel Kofler dafür Das Fehlen staatlicher Ordnungsstrukturen ermöglicht es eingesetzt, dass der 50 Millionen Euro umfassende Frie- den Konfliktparteien, die Schätze des Kongos außer densfonds ausgezahlt wird. Wir waren im Mai im Kongo Landes zu schmuggeln und mit dem Erlös die eigenen und haben uns selbst ein Bild von der Lage gemacht. Taschen zu füllen. Es ist daher dringend notwendig, dass Darüber hinaus hat die Bundesregierung für die nächsten die Bundesregierung den kongolesischen Provinzregie- zwei Jahre mehr als 50 Millionen Euro für die techni- rungen beim Aufbau eines wirksamen Zoll- und Grenz- sche und finanzielle Zusammenarbeit eingeplant. Noch regimes unter die Arme greift. umfangreicher sind die Beteiligungen an den zahlreichen internationalen Hilfsprogrammen. Allein von den Kos- Vizepräsidentin Petra Pau: ten des VN-Militäreinsatzes trägt Deutschland in diesem (B) (D) Kollegin Irber, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Jahr 67,5 Millionen Euro. Vielleicht kann man damit Kollegin Müller? auch die Einkaufsliste ein bisschen aufpeppen. Darüber hinaus fließen 2008 12 Millionen Euro an Brunhilde Irber (SPD): Nothilfe. Unterstützt werden damit rückkehrende Flücht- Ja, bitte. linge und die Opfer von sexuellen Gewalttaten. Außen- minister Frank-Walter Steinmeier hat zusätzlich Sofort- hilfen für den Wiederaufbau des Flughafens von Goma Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zugesagt. Damit wird ein dringend benötigter Versor- NEN): gungszugang für internationale Hilfsleistungen geschaf- Frau Irber, Sie haben die nicht unmaßgebliche finan- fen. Eine weitere Aufstockung der Hilfen ist nach Ein- zielle Beteiligung der Bundesregierung an MONUC an- schätzung von Fachleuten kaum möglich, da die gesprochen. Nun hat der Leiter von MONUC, Alan Aufnahmefähigkeit der staatlichen Strukturen weitge- Doss, eine sogenannte Shoppingliste vorgelegt. Ban hend erschöpft ist. Aufgrund dieser Tatsache bemühen Ki-moon hat gestern einen dringlichen Appell an die sich vor allem die Hilfsorganisationen nach Kräften um Staatengemeinschaft gerichtet, MONUC so auszurüsten die Opfer sexualisierter Gewalt. Dafür bedanke ich mich und die Mittel so aufzustocken, dass die Mission wirken besonders beim Evangelischen Entwicklungsdienst und kann. Doss hat 18 Transporthubschrauber, zwei Trans- bei seiner Durchführungsorganisation „Heal Africa“ in portflugzeuge, eine Pioniereinheit, zwei Militärtrainer Goma. und zwei zusätzliche Polizeieinheiten gefordert. Der Staatssekretär hatte sich im Ausschuss ebenfalls auf die (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- sogenannte Doss-Liste bezogen. Ich frage Sie: Was wird NIS 90/DIE GRÜNEN) Ihrer Meinung nach die Bundesregierung leisten, damit MONUC robust wird und die Zivilbevölkerung schützen Es ist unbefriedigend, von all diesen Initiativen zu hö- kann, also den Auftrag erfüllen kann, den sie von den ren und zugleich zu wissen, dass sie die humanitäre Ka- Vereinten Nationen erhalten hat? tastrophe im Ostkongo nicht verhindern können. Es ist mir daher umso wichtiger, Sie alle zu bitten, die Bundes- regierung bei der Suche nach einer politischen Lösung Brunhilde Irber (SPD): zu unterstützen. Frau Müller, ich komme im Laufe meiner Rede da- rauf zurück, was die Bundesregierung meiner Meinung (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE nach hier zu tun hat. GRÜNEN]: Zu drängen!) 20082 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Brunhilde Irber (A) Wir müssen die militärischen Einsatzkräfte der Verein- ziehen. Man muss sich auf die Seite der Opfer stellen. (C) ten Nationen vor Ort stärken. Das heißt, wir müssen die Eines erwarte ich: Ich erwarte, dass Frau Bundeskanzle- rechtlichen und technischen Möglichkeiten von MONUC rin Merkel sich als Frau mit Macht einmal explizit auf verbessern. MONUC verfügt zwar schon jetzt über ein die Seite der ohnmächtigen Frauen stellt. Ich erwarte robustes Mandat nach Art. 7 der VN-Charta, doch sind von der Bundeskanzlerin, dass sie sich in dieser Weise die konkreten Aufgaben und Kompetenzen der Mission zu dem Konflikt im Kongo verhält. eher zurückhaltend beschrieben. Ich bitte die Bundes- regierung daher, sich bei der bevorstehenden Mandats- Die UN-Resolution, um die es heute auch geht, würde verlängerung Ende des Jahres dafür einzusetzen, dass man als Völkerrechtsnorm nur unzulänglich verstehen, die Aufgaben und Kompetenzen von MONUC ausge- wenn man sie lediglich als Hilfe für Frauen, die Opfer weitet werden. MONUC muss rechtlich und ausrüs- von Krieg und Kriegsverbrechen geworden sind, inter- tungstechnisch in die Lage versetzt werden, die Frauen pretierte. Ich will deshalb als ein Handlungsfeld Afgha- im Kongo zu schützen. nistan nennen; denn in keiner Stellungnahme der Regie- rung zu Afghanistan hat die Bundesregierung bisher die Danke schön. Implementierung der UN-Resolution 1325 in ihr Kon- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zept aufgenommen. Wo bleibt zum Beispiel die offizielle Unterstützung für die mutigen und tapferen Frauen von RAWA? Sie repräsentieren antifundamentalistische Kräfte. Vizepräsidentin Petra Pau: Es gilt, sie zu stärken, wenn man den demokratischen Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche für die Aufbau voranbringen will. Wer einen zivilen Wiederauf- Fraktion Die Linke. bau will, muss auf solche Frauen bauen. Wer es mit (Beifall bei der LINKEN) Menschenrechten der Frauen in Afghanistan wirklich ernst meint, der darf überhaupt keine Kooperation mit Monika Knoche (DIE LINKE): Warlords und mit korrupten Politikern erlauben. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren Wer frauenverachtenden Fundamentalisten entgegen- und Damen! Meine Vorrednerinnen haben in großer Ein- wirken will, der muss nicht nur den Krieg beenden, der dringlichkeit geschildert, vor welcher Situation wir muss auch emanzipiatorischen Frauen Anerkennung und heute im Kongo stehen. Während wir hier reden, werden vor allen Dingen endlich einmal internationale Präsenz dort Frauen vergewaltigt. Auf jeder Seite der kriegfüh- geben. Mit der UN-Resolution 1325 ist eines beabsich- renden Parteien werden Frauen zum Objekt der Rache tigt: Frauen am Aufbau des Staatswesens zu beteiligen, und der Erniedrigungsrituale gemacht; denn sexuelle sie an prominente Stellen zu setzen, sie zu Entscheide- (B) Gewalt ist eine Waffe im Krieg, egal wer diesen Krieg rinnen zu machen. Wenn ich mir die Debatten im Aus- (D) führt. Frauen sind Mittel zum Zweck, um den Feind zu wärtigen Ausschuss ansehe, stelle ich fest: Es ist bei den treffen. Wer das versteht und durchdenkt, kann meiner Herren Kollegen Außenpolitikern noch überhaupt nicht Meinung nach nicht zu der Forderung kommen, dieser angekommen, dass die UN-Resolution 1325 eine Völ- Entkultivierung mit den Mitteln der militärischen Ge- kerrechtsnorm ist, die es in allen Bereichen der Politik walt Herr zu werden. Ich halte das für einen Irrtum. Es und der Außenpolitik umzusetzen gilt. Es ist nicht eine ist wahr: Auch Soldaten der MONUC sind Täter und Frage von Entwicklungspolitikerinnen und Menschen- üben sexuelle Gewalt aus, und die UN-Null-Toleranz- rechtlerinnen allein. Die UN-Resolution 1325 ist das Richtlinie wird nicht eingehalten. weltweite Recht der Frauen, und das muss in alle Berei- Dennoch sind wir aufgefordert, etwas zu tun. Ich sehe che der Politik aufgenommen werden. die Notwendigkeit, den Schutz der Frauen im Kongo zum zentralen Thema zu machen. Ich sehe die Notwen- Ich meine, Deutschland muss in Europa eine Initiative digkeit, zivile Konfliktintervention im Krieg zu leisten. starten, dass im Nahostkonflikt endlich die Frauen, die Wir müssen uns mit massiven zivilen Maßnahmen auf tagtäglich für Frieden arbeiten – israelische Frauen, die die Seite der Opfer stellen. Das ist meines Erachtens das die Besatzung ablehnen, palästinensische Frauen, die Gebot der Stunde. Der Antrag der Grünen benennt die sich von der Hamas absolut distanzieren –, als die kom- zivilen, die politischen und die sozialen Instrumente. Ich petenten Politikerinnen im Nahen Osten beim anstehen- kann mich sämtlichen Forderungen anschließen. Sie sind den Friedensprozess und bei den anstehenden Friedens- nahezu vollständig. Es gibt aber eine Ausnahme: Ich bin verhandlungen einbezogen werden, damit sie endlich nicht der Meinung, dass diese Gewalt mit militärischen Einfluss darauf nehmen können. Das sind Initiativen im Mitteln bekämpft werden kann; Sinne der UN-Resolution 1325, die ich mir von dieser Regierung wünsche. (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das steht da auch nicht drin!) (Beifall bei der LINKEN) denn sie wohnt dem Krieg inne, und sie wird in der mili- tärischen Auseinandersetzung immer wieder neu geboren. Vizepräsidentin Petra Pau: Das muss man verstehen. Daraus erklärt sich, warum Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege auch UN-Soldaten in diese erniedrigenden Handlungen Hartwig Fischer das Wort. involviert sind. Es gehört zu der Entzivilisierung, zur Entkultivierung im Krieg, dass sich dieser Machismus (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. ausbreitet. Das wissen wir, und daraus muss man Lehren Christel Riemann-Hanewinckel [SPD]) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20083

(A) Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Ich bin der festen Überzeugung, dass es richtig ist, die Kollegin Müller? Situation im Kongo – egal in welcher Form – immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Als ich 2002 ge- Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): wählt wurde, wurde ich von der Gesellschaft für be- Ja, bitte. drohte Völker auf das Thema Coltan angesprochen. Ich habe dann versucht, mich in die Situation im Kongo zu versetzen. In deutschen Medien gab es kaum Informatio- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen; die Neue Zürcher Zeitung und die taz haben damals NEN): berichtet. Herr Kollege Fischer, Sie haben soeben Artemis an- gesprochen. Auch ich meine, dass das eine zeitlich be- Als ich im Mai 2003 das erste Mal hier im Bundestag grenzte, aber sehr erfolgreiche Mission war, jedenfalls reden durfte, ging es um den Haushalt, und ich habe um die Zivilbevölkerung dort vor Gewalt zu schützen. mich nicht an das Thema gehalten, sondern über den Ich meine das wirklich ernst. Wir haben auch in unserer Kongo geredet, weil ich den Eindruck hatte, dass viel zu Fraktion darüber diskutiert. Sind Sie nicht der Meinung, wenige Kolleginnen und Kollegen die Situation dort dass es, um schnell zu handeln, um die schlimmste Ge- kennen. Inzwischen müsste sie jeder hier im Bundestag walt einzudämmen, erforderlich wäre, dass die EU doch kennen: ein Krieg, der bereits doppelt so lange dauert noch eine EU-Battle-Group zur Unterstützung von wie der Zweite Weltkrieg, ein Bürgerkrieg mit über MONUC – und nur Hand in Hand mit MONUC – 4 Millionen Toten, ein Bürgerkrieg, der auch aus einem schickt? Wenn das nicht möglich ist: Wie steht es um Genozid entstanden ist. eine Aufstockung? Was wird Deutschland bzw. was wer- den die Europäer dazu beitragen? Frau Müller, ich glaube, in einem einzigen Punkt ha- ben Sie nicht recht: dass die UN in eine schwere Glaub- Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): würdigkeitskrise kommen. Diese Krise existiert bereits. Die UN haben nicht mehr das Vertrauen der Menschen, Frau Müller, ich hatte das Glück, den Bundespräsi- und das ist auch das Problem mit MONUC. MONUC hat denten für eine Woche nach Nigeria zu begleiten. Dort ein Mandat, das immer wieder verlängert wird. hat er am Afrika-Forum teilgenommen. Man hatte dort die Gelegenheit, mit vielen prominenten Afrikanern zu Das ist toll. Man kann Sprüche lesen wie: sprechen. Ich habe den Eindruck, die Afrikaner würden das Problem am liebsten selbst im Rahmen der Afrikani- (B) … feststellend, dass die Situation in der Demokrati- schen Union lösen, mit einer eigenen Stand-by-Force, (D) schen Republik Kongo nach wie vor eine Bedro- über die sie aber zurzeit noch nicht verfügen. Ich habe in hung des Weltfriedens und der internationalen Si- den Gesprächen auch den Eindruck gewonnen, dass man cherheit in der Region darstellt … erwartet, dass wir uns mit dafür verwenden, dass MONUC – auch technisch – dazu in die Lage versetzt Wenn es eine Bedrohung für den Weltfrieden gibt, dann wird. frage ich, warum man ein Mandat immer nur verlängert und am Schluss des Antrags auf Mandatsverlängerung Damit komme ich auf die von Ihnen erwähnte Doss- festhält – zuletzt war das am 15. Februar 2008 –, dass Liste zu sprechen. Bevor man sich mit der Frage be- man das Mandat zum Jahresende noch einmal überprü- schäftigt, ob man dieser Doss-Liste zustimmen möchte fen will. Ein Satz wie dieser ist übrigens in den letzten und ob man dafür zusätzliche Mittel aus Deutschland ge- sieben Resolutionen enthalten gewesen; aber die Art des ben möchte, sollte das Mandat verändert werden. Wenn Mandats hat sich nicht verändert. es bei dem MONUC-Mandat bei der bisherigen Grund- lage bleibt – MONUC ist eigentlich nur eine kongolesi- Da bin ich absolut anderer Meinung als Sie, Frau sche Rumpfarmee, die nicht vernünftig ausgebildet ist, Knoche. Wir haben mit dem Mandat Artemis – zeitlich die keine Moral hat, aber die Entwaffnung der Milizen begrenzt – gezeigt: Ein Mandat ist robust auszustatten, unterstützt –, dann werden wir den Kampf gegen die Mi- und man muss genau wissen, in welcher Region man wie lizen und die Rebellen weiter auf kleiner Flamme kö- handeln muss. Bei dem Konflikt zwischen Hema und cheln lassen. Die Menschen in dieser Region werden Lendu haben wir MONUC in eine bestimmte Ausgangs- darunter leiden. lage versetzt. Wir waren natürlich nur am Stab und mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Medivac beteiligt. Darauf konnte MONUC aufbauen. neten der SPD) Danach wurden zwei Gerichte gebildet. Da wurde Poli- zei eingesetzt. In Ituri wurden Vergewaltiger verurteilt. Deshalb bin ich der festen Überzeugung: Es darf nur Das heißt, da ging es vorwärts. ein MONUC-Mandat geben, das von der Ausstattung bzw. von der rechtlichen Situation her aber Artemis äh- Dann haben wir aus Deutschland auch bei den Wah- nelt. Erst dann werden wir die Möglichkeit haben, in den len Unterstützung geleistet. Aber nach den Wahlen ist anderen Bereichen, die hier angesprochen wurden, etwa die öffentliche Diskussion wieder verstummt, und das bei der Frage der Rohstoffzertifizierung, voranzukom- Morden und das Vergewaltigen als Mittel der Kriegsfüh- men. Ich finde es gut, dass wir dort Initiativen ergriffen rung gehen auf allen Seiten weiter. haben, auch aus dem Ministerium heraus. Ich finde es 20084 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Hartwig Fischer (Göttingen) (A) wichtig, dass wir diese Maßnahmen ergriffen haben, um Wer wie ich und andere hier in Goma gewesen ist (C) den vergewaltigten Frauen dort zu helfen. – wir waren dort vor wenigen Wochen – und das Flücht- All das findet in einem Umfeld statt, in dem null Si- lingslager gesehen hat, hat mitbekommen, dass die Mais- cherheit gewährleistet ist, wo die Entwicklungshelfer mehlrationen für eine Familie von 12 Kilo auf 6 Kilo pro Furchtbares erleben und traumatisiert werden. Ich kann Monat reduziert wurden, weil kein Geld mehr zur Verfü- nur noch einmal an den Bericht von Frau Schuler- gung steht, und dass die Menschen nur noch dahinsie- Deschryver vor dem Menschenrechtsausschuss erinnern. chen. Wer solche Bilder von geschlachteten Kindern Sie hat eine Situation beschrieben, von der die Men- sieht – Sie können sie sich anschauen –, der muss sich schen in der Bundesrepublik Deutschland kaum wissen. einfach fragen: In welcher Gesellschaft leben wir eigent- Ich sage es hier noch einmal: Da werden seit über einem lich? Warum sind wir nicht in der Lage, gemeinsam als Jahr Dörfer überfallen. Da werden die Männer ge- Weltgemeinschaft menschlich zu handeln? schlachtet, die Mädchen und die Jungen vor den Augen der Mütter vergewaltigt. Dann verschwinden die Kinder (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP für wenige Tage. Danach wird den Müttern gesagt: Hier und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) habt ihr euer Kind. – Der Kopf ist im Jutebeutel, die Knochen sind abgekocht. – Dann wird ihnen gesagt: Ihr Vizepräsidentin Petra Pau: glaubt doch nicht, dass ihr unser wertvolles Ziegen- Zu einer Kurzintervention hat nun die Kollegin fleisch gegessen habt. Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort. Das ist die Realität in diesem Land. Da kann man ver- zweifeln. Die Menschen dort erwarten von uns, dass wir Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): handeln. Wir sind gewählt worden, um zu handeln. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In dieser Diskussion ist folgende Frage mehrfach ange- sprochen worden: Was können wir vor allen Dingen tun? Ich bin an einem Punkt angelangt, wo ich mich frage: Das ist ein Thema, das ich, seitdem ich politisch tätig Verzweifelst du? Es muss doch eine Möglichkeit geben, in der Gemeinschaft der Staaten, die ein Koordinaten- bin, auch als Ministerin, immer wieder verfolgt habe. system gemeinsamer Grundwerte haben, sich endlich Was können wir tun, um dazu beizutragen, dass den sys- auf UN-Ebene zu einigen. tematischen Vergewaltigungen und der Gewalt gegen Frauen in der Region, insbesondere der des Ostkongos, Dazu gehören die Rahmenbedingungen für die Hutus, entgegengearbeitet wird? die nach dem Völkermord dorthin geflohen sind. Inzwi- schen ist aber auch eine Generation von Kindern nachge- Wir, die Entwicklungsminister, haben dazu schon vor (B) wachsen, die eine gewisse Verantwortung für die Ge- vielen Monaten eine klare Position entwickelt. Ich will (D) schichte tragen, so wie wir Verantwortung für unsere an dieser Stelle ausdrücklich sagen – neben all dem, was Geschichte tragen. Es muss versucht werden, eine diplo- hier genannt worden ist und was ich in vielen Punkten matische Lösung zu finden. Man muss prüfen, ob man teile –: Es gibt ein Instrument, das von der internationa- ihnen irgendwo ein Refugium schaffen kann. In Ruanda len Gemeinschaft bisher noch nicht genutzt worden ist. ist das wahrscheinlich nicht möglich. Ich weiß, dass sich Ich bin dafür, dass es genutzt wird. diese Frage wie bei den Palästinensern entwickeln kann; aber wenn das Problem der Hutus nicht gelöst wird, wird Jede Regierung ist verpflichtet, nach den Regeln des Nkunda immer versuchen – er wird das als Rechtferti- internationalen Rechts dafür zu sorgen, dass die Verbre- gung für sich in Anspruch nehmen –, die kongolesischen chen gegen die Menschlichkeit entsprechend geahndet Tutsis vor ihnen zu schützen. werden. Ich fordere alle Beteiligten auf, sicherzustel- len, dass die Regierungen – das gilt auch für die kongo- Ich möchte auch Murwanashyaka ansprechen, der lesische Regierung – dafür sorgen, dass Verbrechen sich hier in Deutschland aufhält. Das ist für uns eine Elendsgeschichte. gegen die Menschlichkeit – systematische Vergewalti- gungen sind ein solches Verbrechen – im eigenen Land (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und geahndet werden. Wenn dies nicht geschieht, hat die in- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ternationale Gemeinschaft die Verpflichtung, dafür zu Ich muss sagen: Deutschland hat die Stabschefin sorgen, dass die Namen der Täter genannt werden und – oder wie man sie nennen will – von Herrn Kagame diese dann vor den Internationalen Strafgerichtshof ge- ausgeliefert. Wir haben ein europäisches Recht, nach bracht werden. dem dieses Land nach meiner Überzeugung verpflichtet Somit wird ein Signal gesetzt, das klarmacht, dass es gewesen ist, sie auszuliefern; aber ich frage mich vor nicht bloß um Gewalt oder dergleichen geht, sondern dem Hintergrund des deutschen Rechts wirklich, wie dass es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit dieser Mann, der Präsident der FDLR, über die Home- page und über alle Kanäle den Kampf in diesem Land, handelt. Das soll dann auch ein Signal an die entspre- im Kongo, ungestraft anheizen kann. chende Region sein. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (Beifall der Abg. Monika Knoche [DIE BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. LINKE]) Marina Schuster [FDP]) Deshalb fordere ich, dass es zu einer solchen Initia- Ich bin kein Jurist; das müssen andere beurteilen. tive kommt. Ich habe das an mehreren Stellen bereits ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20085

Heidemarie Wieczorek-Zeul (A) sagt, auch in meiner Funktion als Mitglied der Regie- ten, und in der Hoffnung auf bloßes Überleben alles hin- (C) rung. ter sich lassen müssen. Das wirkt nicht unmittelbar. Moreno-Ocampo, der Vor allem Frauen sind immer wieder Zielscheibe der entsprechende Chefankläger, hat aber gesagt, dass er be- Gewalt. Wir haben es heute schon mehrfach gehört und reit ist, die Täter vor den Internationalen Strafgerichts- kennen es auch aus anderen kriegerischen Auseinander- hof zu bringen, wenn ihm deren Namen genannt werden. setzungen, dass sexuelle Gewalt eine Kriegswaffe ist, Das ist eine Möglichkeit, zu agieren. die ganz gezielt eingesetzt wird. Das ist in vielen Regio- nen dieser Welt der Fall; und es ist noch gar nicht allzu Wir können nicht einfach zusehen. Ich habe Frauen lange her, dass wir über solche Vorfälle selbst in Europa getroffen, die Opfer schrecklichster Gewalttaten wurden. debattieren mussten. Im Nachgang mussten wir dann Unterschiedliche Gruppen vergewaltigen und massakrie- vieles unternehmen, um den Frauen und Mädchen zu ren Frauen. Das können wir nicht zulassen. Deshalb soll- helfen, diese Traumata wenigstens halbwegs zu über- ten wir, mit vielen anderen zusammen, eine gemeinsame winden. Keine Frau kann so etwas vollständig verarbei- Initiative auf den Weg bringen. ten oder irgendwann in ihrem Leben vergessen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Es gilt, darauf hinzuwirken, dass das militärische und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zivile Personal darin trainiert und geschult wird, wäh- rend kriegerischer Auseinandersetzungen und danach Vizepräsidentin Petra Pau: die Resolution 1325 zu beachten. Dazu muss es vor allen Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Christel Dingen wissen, dass diese Resolution eigentlich völker- Riemann-Hanewinckel das Wort. rechtlich bindend ist; denn sie ist damals einstimmig be- schlossen worden. Aber wenn wir bei Soldaten einmal nachfragen, wer eigentlich diese Resolution kennt, dann Christel Riemann-Hanewinckel (SPD): würden wir selbst dann, wenn wir nur deutsche Soldaten Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! befragten, feststellen, dass die Soldaten vor Ort die Re- Meine Damen und Herren! Als letzte Rednerin in dieser solution 1325 kaum kennen. Sie scheint vor allen Din- Debatte wende ich mich noch einmal den grundsätzli- gen für die obersten Heerführer gedacht zu sein. Aber es chen Fragen zu, da heute ein Antrag zur Resolution 1325 muss genau darum gehen, dass Soldaten lernen und trai- behandelt wird. Unter anderem spielt heute auch eine an- nieren müssen, was es bedeutet, im Notfall dazwischen- dere Resolution eine große Rolle. zugehen, und vor allen Dingen, was es bedeutet, selbst Zu Beginn möchte ich auf die Resolution 1325 zu nicht zu Tätern zu werden. (B) sprechen kommen. Seit acht Jahren gibt es diese Resolu- Das zweite „P“ in der Resolution 1325 steht für Parti- (D) tion des Sicherheitsrates. Sie macht sehr deutlich, dass zipation. Frauen muss auf allen Ebenen die gleichbe- Frauen von den Auswirkungen von Konflikten und Kri- rechtigte Teilhabe an der Friedenskonsolidierung und am sen und vor allen Dingen von kriegerischen Auseinan- Wiederaufbau ermöglicht werden. Aber wenn wir uns dersetzungen überproportional betroffen sind, vor allen die Bilder dieser Welt anschauen, stellen wir fest, dass Dingen – das haben wir hier schon mehrfach gehört – insbesondere die Außen- und Sicherheitspolitik eine durch sexuelle Gewalt. Männerdomäne ist. Die Fotos machen es deutlich. Mit Die Resolution 1325 macht aber auch noch etwas an- Ausnahme einiger weniger Frauen sehen wir dort nur deres deutlich. Sie macht sehr deutlich, dass Frauen eine Männer. Das heißt, alle Entscheidungen werden vorran- wichtige Rolle spielen müssen, wenn es darum geht, gig von Männern getroffen. Die Frauen dagegen tragen Konflikte zu verhindern oder aber nach Konflikten in ei- die soziale Verantwortung für die Gemeinschaft. nem Land für den Wiederaufbau bzw. für Lösungen zu sorgen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Hanewinckel, gestatten Sie eine Zwischen- Die Verabschiedung dieser Resolution vor acht Jahren frage der Kollegin Koczy? war ein sehr wichtiges Ereignis, das inzwischen viele in- ternationale Debatten ausgelöst hat. Wir haben hier im Deutschen Bundestag und in den Ausschüssen in diesem Christel Riemann-Hanewinckel (SPD): Jahr schon mehrfach darüber debattiert. Ja, bitte.

Ich möchte noch einmal die wichtigen Punkte in die- Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ser Resolution in Erinnerung rufen. Auf Deutsch könnte Frau Kollegin, Sie sprachen die Resolution 1325 an. man sagen: Es handelt sich um drei „P“, die hier wichtig Meine Frage lautet: Warum zögert die Bundesregierung, sind: Protektion, Partizipation und Prävention. einen Aktionsplan umzusetzen, nachdem Kofi Annan Protektion – bei diesem Punkt waren wir eben – wird das schon 2005, also vor drei Jahren, gefordert hat? Frauen in kriegerischen Auseinandersetzungen eigent- lich kaum gewährt. An Schutz von Frauen und Mädchen Christel Riemann-Hanewinckel (SPD): vor Not, Elend und Gewalt und davor, dass sie in kriege- Das ist für mich jetzt nicht einfach zu beantworten, rischen Auseinandersetzungen ermordet, vertrieben oder weil ich nicht Mitglied der jetzigen Bundesregierung ausgeplündert werden, mangelt es. Sie alle wissen, was bin. Ich kann nur für die Vergangenheit, als ich noch es bedeutet, wenn Menschen gezwungen sind, zu flüch- Mitglied der Bundesregierung war, feststellen, dass es 20086 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Christel Riemann-Hanewinckel (A) schon damals nicht einfach war bzw., im Klartext, nicht Wenn Soldaten der UN-Mission MONUC – wie be- (C) gelungen ist, einen Aktionsplan für Deutschland aufzu- richtet wurde – an Vergewaltigungen beteiligt gewesen stellen. Die Begründung war – diese wird, soweit ich sind und nicht klar ist, ob sie dafür bestraft werden, dann weiß, auch heute noch angeführt –, dass Deutschland ei- heißt das, dass die Umsetzung dieser beiden Resolutio- gentlich ganz gut dasteht und wir vieles von dem tun und nen nicht zur Genüge betrieben wird. Das heißt, dass bei erfüllen, was die Resolution 1325 fordert. Sie wissen allen internationalen Einsätzen der Vereinten Nationen das, Frau Kollegin Koczy. Wir haben im Ausschuss diese beiden Resolutionen zur Grundausstattung eines schon darüber debattiert, als es um einen entsprechenden jeden Soldaten und einer jeden Soldatin gehören müs- Antrag der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion ging. sen. Das heißt auch, dass wir im Hinblick auf die unter- schiedliche Herkunft der Soldaten daran arbeiten müs- Ein Aktionsplan hätte den Charme, dass eine jede Re- sen, dass ein Frauenbild entsteht, das Frauen nicht zu gierung sich daran messen lassen müsste, was sie davon Menschen zweiter Klasse macht. Es muss weltweit deut- tatsächlich abgearbeitet hat. An dieser Stelle stimme ich lich werden, dass Frauenrechte Menschenrechte sind, Ihnen zu. Ich muss Ihnen aber auch sagen, dass ich ei- dass sich niemand auf die Kultur oder aber auf die Tradi- gentlich keine Lust mehr habe, mir Gedanken darüber zu tion seines Herkunftslandes zurückziehen kann. Wir machen, wie ich eine Bundesregierung dazu bewegen müssen insgesamt darum kämpfen, dass diese Verbre- kann, einen Aktionsplan aufzustellen. chen gegen die Menschlichkeit – dies wurde hier bereits Deshalb bin ich sehr froh, dass es uns gelungen ist, angemahnt – vor den Internationalen Gerichtshof ge- die Bundesregierung dazu zu bewegen, dass sie im Aus- bracht werden, und wir müssen ernst nehmen, was der schuss für Menschenrechte versprochen hat, in zwei Jah- Sicherheitsrat als letzten Punkt in der Resolution 1820 ren, wenn wir über zehn Jahre Resolution 1325 debattie- beschlossen hat, nämlich sich weiterhin aktiv mit diesem ren werden, einen Bericht darüber vorzulegen, wie sich – das ist jetzt meine Formulierung – vorrangig männli- das in der Bundesrepublik weiterentwickelt hat. chen Problem zu beschäftigen. Vielen Dank. Wir haben in unseren Debatten im Ausschuss sehr deutlich gemacht, in welchen Bereichen wir Defizite se- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hen. Ein Defizit habe ich schon angesprochen, dass näm- der CDU/CSU) lich auch in der Bundeswehr die Kenntnis der Resolution 1325 so gut wie nicht vorhanden ist. Ich bin Vizepräsidentin Petra Pau: der Meinung, dass noch sehr viel getan werden muss; Ich schließe die Aussprache. denn dies wird auch von anderen Armeen dieser Welt gefordert. Dabei müsste Deutschland mit sehr gutem Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf (B) Beispiel vorangehen. Drucksache 16/9779 an die in der Tagesordnung aufge- (D) führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Das dritte „P“ steht für Prävention. Das heißt, wir verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung brauchen nachhaltigen Frieden und Entwicklung. Das so beschlossen. erreichen wir aber nicht – wie es bisher immer versucht wird – ohne die Beteiligung von Frauen. Ihr Beitrag zur Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 22 b: Be- Konfliktlösung, zur Versöhnung und zum Wiederaufbau, schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu ihr Fachwissen und ihre andere Sicht der Dinge sind ein dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit Potenzial, das nicht länger ignoriert werden darf. dem Titel „UN-Resolution 1325 – Frauen, Frieden und Sicherheit – Nationaler Aktionsplan zur strategischen Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat im Juni Umsetzung“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- dieses Jahres die Resolution 1820 verabschiedet und da- schlussempfehlung auf Drucksache 16/8608, den Antrag rin ein sofortiges Ende von sexueller Gewalt in bewaff- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache neten Konflikten gefordert. Auch diese Resolution 16/4555 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- macht noch einmal deutlich, dass sich die Mitglieder des empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Die Beschluss- Sicherheitsrates einig sind. Dies ist also ein klares Si- empfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak- gnal. tion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Außerdem wird nochmals deutlich – wie schon an an- Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. deren Stellen festgestellt –, dass sexualisierte Gewalt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist und – Zitat – Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b auf: „die Wiederherstellung des Weltfriedens und der interna- tionalen Sicherheit behindern kann“. Den betroffenen a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Frauen wird also höchste Priorität eingeräumt. richts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch den Wie wird diese Resolution aber umgesetzt? Wir haben Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und zwei wichtige und notwendige Resolutionen des Sicher- Medien heitsrates, zwei gute Instrumente, um Frauen zu schüt- Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption zen, aber auch zu fordern und zu fördern sowie zu stär- des Bundes Verantwortung wahrnehmen, Auf- ken. Wir wissen aber alle, dass Instrumente nur dann arbeitung verstärken, Gedenken vertiefen helfen, wenn man sie auch benutzt. Genau das passiert aber nicht oder zu wenig. – Drucksachen 16/9875, 16/10285 Nr. 6, 16/10565 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20087

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Berichterstattung: Dem systematischen Völkermord an den europäi- (C) Abgeordnete Wolfgang Börnsen (Bönstrup) schen Juden als Menschheitsverbrechen bisher nicht ge- Dr. h. c. Wolfgang Thierse kannten Ausmaßes kommt in der deutschen Erinne- Christoph Waitz rungskultur eine unvergleichlich hohe Bedeutung zu – Dr. Lukrezia Jochimsen jetzt und für alle Zeiten. Deshalb müssen wir die authen- Katrin Göring-Eckardt tischen Erinnerungsorte an die NS-Schreckensherrschaft pflegen und erhalten. Das neue Gedenkstättenkonzept b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- sieht daher vor, die Gedenkstätten in Bergen-Belsen, richts des Ausschusses für Kultur und Medien Dachau, Flossenbürg und Neuengamme neu in die insti- (22. Ausschuss) tutionelle Förderung aufzunehmen und darüber hinaus in – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia einem Stufenplan für die Sanierung einiger Gedenkstät- Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Sevim Dağdelen, ten, wo nötig, Sorge zu tragen. weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- LINKE neten der SPD) Konzepte der Vermittlung des Wissens zur Für die Bundesregierung bekräftige ich noch einmal NS-Zeit überprüfen und den veränderten die besondere Verantwortung für das Gedenken an die Bedingungen anpassen im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma. – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Sinti und Roma wurden Opfer eines Völkermordes, der Göring-Eckardt, Monika Lazar, Priska Hinz vom NS-Staat systematisch ins Werk gesetzt wurde und (Herborn), weiterer Abgeordneter und der der die vollständige Vernichtung dieser Minderheit zum Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ziel hatte. Das geplante „Denkmal für die Opfer des na- tionalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Systematische Weiterentwicklung der politi- Roma“ bringt den besonderen Stellenwert dieses Verbre- schen Bildung beim Thema Nationalsozialis- chens im Gedächtnis der Bundesrepublik Deutschland mus zum Ausdruck. Mit diesem zentralen Gedenkort zwi- – Drucksachen 16/8880, 16/8184, 16/10071 – schen Reichstag und Brandenburger Tor bekennt sich unser Land zu seiner historischen Verpflichtung gegen- Berichterstattung: über den Sinti und Roma. Abgeordnete Dorothee Bär Angelika Krüger-Leißner Wir gedenken im Rahmen unseres Konzeptes aber Christoph Waitz auch der nationalsozialistischen Morde an behinderten (B) Dr. Lukrezia Jochimsen Menschen sowie der Verfolgung Homosexueller und an- (D) Katrin Göring-Eckardt derer Opfergruppen. Wir vergessen nicht, was die Frauen und Männer erleiden mussten, die sich zum Wi- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die derstand gegen das Regime entschlossen. Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Zum Erbe des wiedervereinigten Deutschlands zählt auch die kommunistische Diktatur in der ehemaligen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staats- SBZ bzw. DDR. Ich sage ganz klar: Auch bei der Aufar- minister Bernd Neumann. beitung des SED-Unrechts müssen wir unsere Anstren- (Beifall bei der CDU/CSU) gungen verstärken. Wir müssen der Bagatellisierung und dem Verklären entgegenwirken. Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP kanzlerin: und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier leistet die Bundesstiftung Aufarbeitung ganz Am 18. Juni dieses Jahres hat das Bundeskabinett die hervorragende Arbeit, Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bun- des von 1999 beschlossen. Diese neue Konzeption stellt (Beifall bei der CDU/CSU) in meinen Augen einen Meilenstein für die Erinnerungs- gerade auch im Bereich der historisch-politischen Bil- kultur in Deutschland dar. Unser Ziel ist es, Verantwor- dung von Kindern und Jugendlichen. tung wahrzunehmen, die Aufarbeitung zu verstärken und das Gedenken zu vertiefen. Im Bereich der Gedenkstätten zur SED-Herrschaft werden wir drei weitere Einrichtungen in die institutio- Die Bundesregierung trägt mit dieser Fortschreibung nelle Förderung aufnehmen und die Unterstützung bei der historischen und moralischen Verpflichtung anderen, wie dem Jugendwerkhof Torgau und der Run- Deutschlands Rechnung. Die Geschichte Deutschlands den Ecke Leipzig, fortsetzen, gegebenenfalls auch stär- und Europas im 20. Jahrhundert wurde durch die Schre- ker. cken und Gräuel geprägt, die unter der nationalsozialisti- schen Terrorherrschaft in deutschem Namen geschehen Meine Damen und Herren, die Birthler-Behörde, also sind. Die historisch einzigartige Dimension des national- die Behörde, die die Stasiunterlagen verwaltet, bearbei- sozialistischen Terrorregimes wird durch das Wissen um tet und durchforstet, hat für die Aufarbeitung der SED- die Singularität des Holocaust bestimmt. Diktatur in ganz Europa Vorbildcharakter. Ich möchte an 20088 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Staatsminister Bernd Neumann (A) dieser Stelle sagen: Sie hat bei der Aufklärung wichtige (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (C) und gute Arbeit geleistet. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Christoph Diese Arbeit wird sie fortsetzen, obwohl diese Einrich- Waitz das Wort. tung nie als Dauereinrichtung vorgesehen war. In der nächsten Legislaturperiode wird der Deutsche Bundes- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang tag – so ist es von den Fraktionen vereinbart worden – Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]) eine unabhängige Expertenkommission einsetzen, die dann als Entscheidungshilfe Vorschläge zum langfristi- Christoph Waitz (FDP): gen Umgang und zur Aufbewahrung der Stasiakten ma- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und chen wird. Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Drei Jahre haben wir über das Gedenkstättenkonzept beraten. Für die Realisierung des Gedenkstättenkonzeptes ha- Dem Kulturstaatsminister, dem BKM, ist es zu verdan- ben wir die Mittel für die Jahre 2008 und 2009 um ken, dass es gelungen ist, ein konsensfähiges Konzept zu 50 Prozent auf insgesamt 35 Millionen Euro angehoben. entwickeln. Nachdem Sie vorhin so ausdrücklich gelobt Dies soll deutlich machen, welchen Stellenwert die Auf- worden sind, habe ich mir überlegt, ob ich mein Lob ein arbeitung dieser beiden Diktaturen hat. bisschen reduziere. Aber die Arbeit, die in Ihrem Amt geleistet worden ist, rechtfertigt ein ausdrückliches Lob. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Hinzugekommen zu diesem bisherigen Gedenken ist – das will ich an dieser Stelle sagen; denn dies spielte Der Bundestag steht hinter dem Gedenkstättenkonzept. auch in der Debatte über den Bericht zum Stand der Der vorliegende Entschließungsantrag fast aller Fraktio- deutschen Einheit eine Rolle – die Erinnerung an in nen belegt das. diesem Falle eher positive Momente der deutschen Ge- Es gibt wenige Möglichkeiten, sich im Deutschen schichte – dies geschieht auch auf der Basis eines Be- Bundestag mit der komplexen und wechselvollen deut- schlusses des Deutschen Bundestages –: an die Ereig- schen Geschichte im 20. Jahrhundert zu beschäftigen. Es nisse in den ostdeutschen Bundesländern sowie in Berlin ist traurig, dass diese Debatte auch in dieser Plenarwo- in den Jahren 1989 und 1990, in diesem Falle also mit che wieder etwas an den Rand gedrängt wurde, obwohl eher positiver Assoziation. (B) man uns dieses Mal eigentlich einen zentraleren Platz (D) (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: versprochen hatte. Aufgrund der aktuellen wirtschaftli- Sehr gut!) chen Situation gibt es aber sicherlich Gründe, warum diese Debatte zurückgedrängt worden ist. So schnell wie möglich soll das Einheits- und Freiheits- denkmal auf dem Schlossplatz in Berlin verwirklicht Das Gedenkstättenkonzept klärt Fördervoraussetzun- werden. Das ist die Grundlage eines Beschlusses des gen und formuliert Ziele und Schwerpunkte der Aufar- Deutschen Bundestages. Ich werde dazu beitragen, dies beitung der beiden Diktaturen, die wir im letzten Jahr- zügig umzusetzen. hundert auf deutschem Boden gesehen haben. Ich habe vor einigen Monaten mit einigem Entsetzen die Studie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Uni- neten der SPD) versität Berlin über die Kenntnisse von 15- und 16-jähri- gen Schülern gelesen, die mehr als nur schlaglichtartig Ich möchte abschließend sagen: Ich bin sehr dankbar, beleuchtet, welchen erstaunlichen Fehleinschätzungen dass die von mir vorgelegte Fortschreibung der Gedenk- diese Schülerinnen und Schüler unterliegen und welche stättenkonzeption nicht nur von der CDU/CSU-Fraktion Unkenntnis bei ihnen hinsichtlich der Realitäten in der und dem Koalitionspartner SPD, sondern in diesem Falle damaligen DDR vorherrscht. Ich befürchte, dass eine auch von der FDP und dem Bündnis 90/Die Grünen voll Studie über das Wissen von Schülern über die NS-Jahre unterstützt wird. ähnliche Befunde hätte und keine besseren Ergebnisse (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zutage treten würden. Das Gedenkstättenkonzept kann daher nicht nur als statischer Rahmen für Institutionen Für mich ist es ein wichtiges Signal für die politische verstanden werden. Vielmehr müssen gerade durch die Kultur dieses Hauses und für das Demokratieverständnis Förderung der Aufarbeitung und eine intensivierte Bil- in unserem Land, dass wir bei einem so schwierigen, dungsarbeit Impulse gesetzt werden. sensiblen und emotionalen Thema so große Einigkeit er- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zielen konnten. Dafür bedanke ich mich. Die Erinnerung der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- und das Gedenken in der Bundesrepublik erhalten mit SES 90/DIE GRÜNEN) dieser Fortschreibung des Gedenkstättenkonzeptes ein tragfähiges Fundament für die Zukunft. Es ist umso trag- Dem Bund sind im Feld der schulischen Bildung fähiger, je stärker die Unterstützung ist. Dafür noch ein- Schranken gesetzt. Wir appellieren daher insbesondere mal herzlichen Dank. an die Kultusministerkonferenz der Länder, sich dieses Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20089

Christoph Waitz (A) Themas anzunehmen und sich mit den Defiziten bei der sen, dass sich beide Diktaturen in ihren Zielen und Kon- (C) geschichtlichen Bildung von Schülern auseinanderzuset- sequenzen unterscheiden. Eine Auseinandersetzung um zen. die Frage, in welchem Umfang die beiden totalitären Systeme Parallelen aufweisen, muss aber weiterhin (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der möglich bleiben. SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Was der Bund leisten kann und leisten muss, ist insbe- Zwei Punkte zum Schluss. sondere der Erhalt der bedeutenden Erinnerungs- und Erstens. Das vorliegende Gedenkstättenkonzept darf Gedenkorte und die Gestaltung dieser Orte als Lernorte. nicht als abgeschlossen gelten. Die FDP-Fraktion geht (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: davon aus, dass zu einem späteren Zeitpunkt weitere Richtig!) Einrichtungen im Rahmen der institutionellen Förderung aufgenommen werden können. Es geht uns vor allem da- Durch die Aufnahme der KZ-Gedenkstätten in Dachau, rum, dass nicht nur Gedenkstätten in Berlin, sondern Bergen-Belsen, Neuengamme und Flossenbürg in die in- auch in den anderen Bundesländern erhalten und geför- stitutionelle Förderung leisten wir einen wichtigen Bei- dert werden. Ich freue mich, Herr Staatsminister, dass trag für die Vermittlung von geschichtlichem Wissen Sie neben der Runden Ecke in Leipzig insbesondere den über Aspekte der deutschen Geschichte, die mit Schuld, Jugendwerkhof in Torgau in Ihrer Rede erwähnt haben, Schmerz und Scham verbunden sind. weil Sie damit deutlich gemacht haben, dass es eine Besuchsfahrten, wie sie Schülerinnen und Schüler auf Vielzahl von weiteren Einrichtungen gibt, die ganz den Ettersberg, in das Konzentrationslager Buchenwald wichtig sind, um ein komplettes Bild dieser Art von Be- machen, sind durch keinen noch so gut gemachten Ge- drohung und Repression zu zeichnen. schichtsunterricht zu ersetzen. Die Erfahrung, auf die- Zweitens. Wir fordern, die pädagogische Arbeit aus- sem gewaltigen, leeren Lagerplatz zu stehen, der Gang zubauen. Im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wird durch das Krematorium und die Ausstellung schnüren richtig beschrieben, dass der Staffelstab der Erinnerung einem den Hals zu und machen die Geschichte dieses nach dem Verschwinden der Erfahrungsgeneration an Ortes geradezu körperlich spürbar. Bei diesen Besuchs- kommende Generationen weitergegeben werden muss. fahrten wird die Basis für weitergehende Fragen gelegt: Eine Bildungsoffensive zum Thema Nationalsozialismus Wie konnte es an dieser Stelle nahe Weimar, einer Stadt, ist notwendig. Darum stimmen wir Ihrem Antrag aus- die wir mit dem Humanismus, der deutschen Klassik, drücklich zu. mit Namen wie Wieland, Goethe und Schiller verbinden, (B) zu diesen Verbrechen im Namen Deutschlands kommen? Heinrich Heine schrieb in einem Gedicht: (D) Was machte die Weimarer Republik und ihre Verfassung Die alten, bösen Lieder, so verletzlich für die Attacken von Kommunisten, Natio- Die Träume schlimm und arg, nalsozialisten und weiteren antidemokratischen Parteien, Die laßt uns jetzt begraben, und was bereitete den Weg für den Aufstieg des Natio- Holt einen großen Sarg. nalsozialismus? Weshalb haben große Teile der deut- schen Bevölkerung der Entrechtung der jüdischen Mit- Die Opfer der beiden Diktaturen auf deutschem Bo- bürger und der späteren Deportation und Vernichtung den lassen nicht zu, dass wir diese Themen beerdigen. tatenlos zugesehen? (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das Konzentrationslager in Buchenwald ist aus einem Sehr richtig!) weiteren Grund bemerkenswert. Dort wurde im Au- Das Gedenkstättenkonzept ist eine wichtige Basis für die gust 1945 das NKWD-Speziallager 2 der sowjetischen weitere gemeinsame Auseinandersetzung mit unserer Besatzungstruppen eingerichtet. Während anfangs Funk- Geschichte. tionäre der Nationalsozialisten und mutmaßliche Kriegs- verbrecher in das Lager eingewiesen wurden, waren es (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) später auch Sozialdemokraten, Bauern, willkürlich Nur durch diese Auseinandersetzung können wir unsere Denunzierte und Personen, die im Verdacht standen, Kinder für die Gefahren für unsere offene Gesellschaft, Sympathie für den Westen zu haben. Auch wenn dieses für Demokratie und Menschenrechte sensibilisieren. Lager kein Vernichtungslager war, kamen von den 28 000 Insassen bis 1950 über 7 000 Menschen durch (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem Hunger und unbehandelte Krankheiten ums Leben. Die- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. ser Teil der Lagergeschichte war zu DDR-Zeiten tabui- Dr. h. c. Wolfgang Thierse [SPD]) siert. Heute existiert auf diesem Gelände eine Daueraus- stellung, die an das Speziallager und an die Insassen Vizepräsidentin Petra Pau: erinnert. Das Wort hat der Kollege Wolfgang Thierse für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Die Differenzierung zwischen den beiden Diktaturen, Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): die auch im Gedenkstättenkonzept vorgenommen wird, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ist dringend geboten. Es ist notwendig, darauf hinzuwei- Ein Jahr ist es her, dass wir im Kulturausschuss im Rah- 20090 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) men einer Anhörung über die Fortschreibung der Ge- weiht wurde. Auf das Denkmal für die ermordeten Sinti (C) denkstättenkonzeption intensiv mit Experten diskutiert und Roma bin ich sehr gespannt. haben. Seitdem hat es viele weitere Diskussionen gege- Auch bei der Erinnerung an die kommunistische Dik- ben. Die kritischen Anmerkungen der Experten wurden tatur hat der ursprünglich vorgelegte Entwurf deutliche zu einem großen Teil eingearbeitet. Die jetzt vorliegende Verbesserungen erfahren. Vier Punkte sind für mich von Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts hat deutliche besonderer Bedeutung. Verbesserungen erfahren. Es ist ein gutes Konzept, das wir voll unterstützen. Erstens wird die mittlerweile gegründete Stiftung „Berliner Mauer“ institutionell gefördert. Mit Axel (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Klausmeier, der in der letzten Woche vom Stiftungsrat Natürlich konnte nicht alles Wünschenswerte aufge- benannt wurde, hat die Stiftung einen kompetenten Di- nommen und nicht jede Einrichtung genannt werden. rektor erhalten und kann jetzt ihre Arbeit aufnehmen. Denn es handelt sich um eine Konzeption des Bundes, Zweitens. Die Stasiunterlagenbehörde erhält eine ver- die die Länder nicht ihrer Pflichten enthebt und Raum lässliche Zeitperspektive. Sie bleibt als wichtiger Be- für zivilgesellschaftliche Initiativen lässt, ohne die es im standteil der gesamtgesellschaftlichen Aufarbeitung der Übrigen die vielfältige Erinnerungs- und Gedenkstätten- kommunistischen Diktatur in vollem Umfang arbeits- landschaft in Deutschland nicht geben würde. und funktionsfähig. Eine unabhängige Expertenkommis- Grundlage für die Fortschreibung war das 1999 von sion wird in der nächsten Legislaturperiode ein Konzept der rot-grünen Bundesregierung vorgelegte Gedenkstät- erarbeiten, welche Aufgaben der Stasiunterlagenbehörde tenkonzept. Es wird nicht ersetzt, sondern sinnvoll er- künftig in welcher Form erfüllt werden, denn auch nach gänzt und dort fortentwickelt, wo nach fast zehn Jahren einem Ende der Behörde wird die Aufarbeitung der Praxis Verbesserungen möglich und notwendig sind. kommunistischen Diktatur nicht zu Ende sein. In der Anhörung vor einem Jahr wurde von mehreren (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Experten, insbesondere von Salomon Korn und und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Volkhard Knigge, deutliche Kritik an der historischen Drittens. Der Bundestag muss sich zur dringend not- Einordnung der NS-Diktatur und der SED-Diktatur ge- wendigen Sanierung von Haus 1 der ehemaligen Sta- äußert. Beide Diktaturen würden gleichgesetzt und eine sizentrale in der Normannenstraße bekennen und die Neugewichtung der Erinnerung vorgenommen. Die SPD notwendigen finanziellen Mittel dafür zur Verfügung hat mit dafür Sorge getragen, dass es keine Verschiebung stellen. Das wäre gerade im Hinblick auf den anstehen- und Neugewichtung in der Gedenk- und Erinnerungspo- den 20. Jahrestag des Mauerfalls ein wichtiges Signal. litik gibt. (B) Das Haus 1 muss als authentischer Ort der Täter erhalten (D) Die Debatte zum sichtbaren Zeichen gegen Vertrei- bleiben. Die Stasiunterlagenbehörde soll gemeinsam mit bung nährte die Befürchtung einer solchen Verschiebung dem ASTAK ein neues Ausstellungskonzept entwickeln in der Erinnerungspolitik. Bei der Umsetzung dieses und die ehemalige Stasizentrale zu einem Lernort der Projekts und in den politischen Debatten dazu muss alles Demokratie weiterentwickeln. Dabei handelt es sich üb- vermieden werden, was den Verdacht nährt, wir Deut- rigens nicht, wie von verschiedenen Seiten häufig kriti- schen wollten uns zu einem Opfervolk stilisieren und siert, um eine zusätzliche Aufgabe der Behörde. Ausstel- von Schuld reinwaschen. Wir dürfen niemals vergessen, lung und politische Bildung entsprechen dem im Stasi- dass die Expansions- und Vernichtungspolitik der Nazis, Unterlagengesetz festgeschriebenen Auftrag der Be- die damals von breiten Teilen der deutschen Bevölke- hörde. rung unterstützt wurde, die wesentliche Ursache der Ver- Viertens. Auch das Thema Alltag in der DDR, vor al- treibungen war. lem Widerstand im Alltag, findet sich in der Konzeption Erinnerung und Gedenken bleiben eine gesamtgesell- angemessen wieder. Der Schwerpunkt der Darstellung schaftliche Aufgabe. Das Gedenken an die Opfer der liegt hierbei vernünftigerweise in Leipzig und diesmal NS-Terrorherrschaft wird mit der Fortschreibung der nicht in Berlin. Gedenkstättenkonzeption deutlich gestärkt. Vier weitere Besonderes Augenmerk haben wir im Entschlie- Gedenkstätten werden aufgrund ihrer nationalen und in- ßungsantrag auf die politische Bildung und die Vermitt- ternationalen Bedeutung in die institutionelle Förderung lung der Geschichte der nationalsozialistischen Terror- des Bundes aufgenommen. herrschaft und der kommunistischen Diktatur gelegt. In der Gedenkstättenkonzeption haben alle Opfer- Damit haben wir auch Anliegen der Linken und der Grü- gruppen angemessene Berücksichtigung gefunden. Das nen, die in den beiden anderen Anträgen deutlich wer- Gedenken – wir wissen das – kann sich nicht an der An- den, aufgegriffen. zahl der ermittelten Opfer bemessen. Erlittenes Unrecht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wird nicht hierarchisiert, der Terror der Naziherrschaft nicht relativiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns in einem Zeitenwechsel in der Erinnerungskultur. Mit dem (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Tod der Zeitzeugen, sowohl der Opfer als auch der Täter Richtig!) wie der Mitläufer, ist ein historischer Einschnitt verbun- Es ist gut, dass in diesem Jahr das Denkmal für die im den, der besondere Herausforderungen an die pädagogi- Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen einge- sche Arbeit der Gedenkstätten und an die politische Bil- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20091

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) dung insgesamt, aber auch und besonders in den Schulen tung stärken, Gedenken vertiefen“. Das sind angesichts (C) stellt. unserer Geschichte schwierige Aufgaben. Wer sie ange- hen will, muss hohen Erwartungen gerecht werden. Wird Jetzt – das ist die eigentliche Herausforderung – muss die Konzeption in ihren inhaltlichen Positionen und in der Übergang vom individuellen Gedächtnis in das kol- ihrer konkreten Umsetzung diesen hohen Erwartungen lektive und kulturelle Gedächtnis gelingen. Das ist un- gerecht? Wir sagen: leider nein. Deshalb können wir den sere Aufgabe. Vorlagen auch nicht zustimmen. Wir sind zwar die Ein- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP zigen, die nicht zustimmen, aber da sind wir selbstbe- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie wusst. der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE Warum? Die inhaltliche Ausrichtung, die Sie in der LINKE]) Unterrichtung durch den Staatsminister und in der Be- Deshalb ist die politische Verantwortung für die authen- schlussempfehlung des Ausschusses festgeschrieben ha- tischen Orte und für die Bildungs- und Vermittlungspro- ben, ist widersprüchlich. Im Vorwort heißt es: zesse so groß. Diese, die authentischen Orte, und das Die Politik des Nationalsozialismus führte in der Angebot von Bildung und Vermittlung sind Einladungen Konsequenz zur Teilung Deutschlands. an die nachfolgenden Generationen; Einladungen, keine Vorschriften. Wohl wahr! Aber dieser Satz bleibt ohne Konsequenzen innerhalb der Umsetzung der Konzeption. Dort ist von Folgendes sage ich immer wieder: Wir haben nicht der gesamtstaatlichen Verantwortung für das Gedenken das Recht, zu unterstellen, dass nachfolgende Generatio- an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherr- nen moralisch weniger sensibel wären als wir. Sie müs- schaft und für die Folgen des Zweiten Weltkrieges die sen ihre eigenen Formen der Erinnerung, der Aneignung Rede. In einem Satzsprung heißt es dann aber: Außer- des Geschehenen gewinnen. Wir müssen ihnen dabei dem gelte es seit der Wiedervereinigung, das Unrecht helfen, und in diesem Sinne ist die Gedenkstättenkon- der kommunistischen Diktatur aufzuarbeiten. zeption auch ein Angebot an die kommenden Generatio- nen, diese deutsche Geschichte in ihren bitteren Seiten (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: sich anzueignen, so mühselig und so schmerzlich dies Das ist doch richtig!) auch gelegentlich sein mag. Ich habe schon in der Ausschussberatung darauf hin- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP gewiesen, dass dies auf eine Verzerrung der Geschichte und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hinausläuft. Es sind nämlich nicht zwei nebeneinander- stehende Geschichtskapitel, sondern es ist eine ursäch- (B) Liebe Kolleginnen und Kollegen, insgesamt handelt lich ineinander übergreifende und dadurch im Übrigen (D) es sich um eine sehr gelungene Konzeption, die jetzt mit gemeinsame Vergangenheit, mit der wir uns auseinan- Leben erfüllt werden muss. Ich freue mich, dass es ge- dersetzen müssen. lungen ist, mit vier Fraktionen einen gemeinsamen Ent- schließungstext zu erarbeiten. Das beweist bei allen Dif- (Beifall bei der LINKEN) ferenzen im Detail, dass es einen Grundkonsens über Wir haben nicht nur eine gesamtgesellschaftliche Ver- den Umgang mit der Geschichte und über die fortdau- antwortung gegenüber den Opfern des NS-Regimes, ernde Auseinandersetzung mit der nationalsozialisti- sondern auch die Pflicht und Schuldigkeit, die Terror- schen Terrorherrschaft und der kommunistischen Dikta- herrschaft insgesamt aufzuarbeiten, in diesem Zusam- tur gibt. Das ist sehr gut so; denn das ist der Konsens, menhang vor allem auch unsere Nachkriegszeit. der diese Republik trägt. Wer wie ich das Verschweigen und Leugnen der Ich möchte mich bei allen Beteiligten, vor allem bei Nachkriegsbundesrepublik, Nazis in hohen Positionen, den angehörten Experten, für die Zusammenarbeit be- die schmachvoll späten und angefeindeten KZ-Prozesse, danken. Jetzt geht die Arbeit zwar nicht los, aber sie geht die Gedenkstättenarbeit, die fast nur von den Betroffe- weiter – die schwierige, wichtige Erinnerungsarbeit. nen betrieben wurde, und die jahrzehntelang verschlepp- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP ten Fragen der Restitution erlebt hat, für den sind die und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NS-Geschichte und die Nachkriegsgeschichte in beiden Gesellschaften ein Komplex, dessen Aufarbeitung, in ih- ren Zusammenhängen wohlgemerkt, insgesamt aussteht. Vizepräsidentin Petra Pau: Diese Chance hätte man mit einer in vielfältiger, lang- Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin jähriger Arbeit entstandenen Gedenkstättenkonzeption Jochimsen das Wort. jetzt gehabt. Man hat sie aber nicht genutzt. (Beifall bei der LINKEN) Es reicht nicht, dass nun endlich vier KZ-Gedenkstät- ten im Westen institutionell gefördert werden. Wie ein Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Mantra wird ständig wiederholt und stets beschworen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dass es ein neues Gedenkstättenkonzept gibt und dass Meine Damen und Herren! Drei Postulate, die gar nicht wir jetzt auch vier Gedenkstätten im Westen institutio- ernst genug genommen werden können, überschreiben nell fördern. Das ist natürlich zu begrüßen. Aber was hat die Gedenkstättenkonzeption, über die wir heute abstim- die Lagergemeinschaft Ravensbrück in einem Schreiben men wollen: „Verantwortung wahrnehmen, Aufarbei- an uns Abgeordnete festgehalten? 20092 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dr. Lukrezia Jochimsen (A) Groß ist der Bedarf bei der Erforschung der Ge- Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) schichte der über ganz Deutschland verteilten KZ- NEN): Außenlager. Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ja, dem heutigen Tag ist eine lange Debatte im Kulturausschuss und vor An anderer Stelle wurde in aller Bescheidenheit darauf allem auch in der Öffentlichkeit vorausgegangen. Ich hingewiesen: finde, das war eine gute Debatte, die zu einem breiten Konsens geführt hat. Ich schließe mich ausdrücklich und Wenn man die Ausführung zu den Gedenkstätten sehr gern dem Dank auch an diejenigen an, die uns dabei und Erinnerungsorten zur NS-Herrschaft vergleicht mit klaren und oft auch unbequemen Urteilen unterstützt mit den Erläuterungen zum Geschichtsverbund zur haben. Herr Knigge und Herr Korn sind hier zu Recht er- Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in wähnt worden. Deutschland, so fällt vor allem auf, wie viel detail- lierter die letzteren Festlegungen ausgeführt wer- Auf die Problemstellen des ersten Entwurfs haben wir den. als Grüne ganz am Anfang – im Sommer letzten Jahres – schon hingewiesen. In dem ursprünglichen Entwurf des „Detaillierter“ ist das eine. Das andere sind die neuen Gedenkstättenkonzeptes wurde aus unserer Sicht schiere Zahl, der Umfang und die Gewichtung. Während in unverantwortlicher Weise eine Gleichsetzung zwi- sich im Konzept genau zwei Kapitel mit der NS-Ge- schen dem Nationalsozialismus und der DDR-Diktatur schichte befassen, werden neun Kapitel zur Aufarbei- vorgenommen, wodurch die Unterschiede verwischt tung der DDR-Geschichte aufgezählt und entsprechende wurden. Förderungsprojekte beschrieben. Frau Jochimsen, ich bin aber der Meinung, dass es (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: mit dem neuen Entwurf gelungen ist, deutlich zu ma- Das ist nicht richtig!) chen, dass es eben eine sehr klare Unterscheidung gibt. Innerhalb dieser geht es bis auf das Dokumentationszen- (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: trum in Eisenhüttenstadt nicht um den Alltag in der Genau richtig!) DDR, den Lauf der Geschichte und die Fragen: Wie kam Am Anfang heißt es wörtlich: es zur DDR, wer hat sie geformt und getragen, und wie hat sie sich schließlich selbst befreit? Darum geht es Es ist unverzichtbar, den Unterschieden zwischen nicht. NS-Herrschaft und SED-Diktatur Rechnung zu tra- gen. Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstär- (B) ken, Gedenken vertiefen: Das sind große Worte und Daran werden wir die Erinnerungspolitik der Großen (D) schwierige Aufgaben, gerade hinsichtlich der Zeit des Koalition messen. Dass das hier steht, ist auch ein Erfolg nationalsozialistischen Terrorregimes. Hier stehen wir an unserer gemeinsamen Diskussionen, den wir nicht klein- einer Wende – Kollege Thierse hat es beschrieben –: Die reden sollten. Zeitzeugen, die in den vergangenen Jahrzehnten durch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ihren persönlichen Einsatz so vieles für die Auseinander- bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) setzung und Vermittlung geleistet haben, werden uns fehlen. Wir brauchen dringend ein neues Gesamtkonzept Ganz besonders freut es mich natürlich, dass durch für die zukünftige Vermittlungsarbeit, das in der vorlie- dieses Konzept jetzt sehr deutlich wird, wie wichtig zi- genden Gedenkstättenkonzeption leider fehlt. vilgesellschaftliches Engagement und zivilgesellschaftli- che Initiativen sind. Erinnerung von oben funktioniert Die Fraktion Die Linke hat einen Antrag zu dieser eben nicht, sondern wir brauchen die Zivilgesellschaft, Problematik eingebracht. Wie Sie alle heute darauf rea- und wir müssen verhindern, dass wir uns allein in öffent- gieren, könnte eine Art Lackmustest dafür sein, wie lichen Ritualen und sogenannter Anlasserinnerung er- wichtig Ihnen der Satz in der Einleitung der Unterrich- schöpfen. Die zivilgesellschaftlichen Initiativen und tung ist, der da lautet: Projekte aus der Mitte der Gesellschaft sind lebendige Erinnerung und Aufarbeitung von unten. Es ist unverzichtbar, den Unterschieden zwischen NS-Herrschaft und SED-Diktatur Rechnung zu tra- Der „Zug der Erinnerung“ und das Projekt „Stolper- gen. steine“ stehen symbolisch dafür, und sie sind Zeichen dafür, dass sich gerade auch junge Menschen in unserem Es wäre gut, wenn Sie dieser Erklärung mit dem Ge- Land dafür interessieren und sich auf ganz wunderbare denkstättenkonzept tatsächlich nachkämen. Art und Weise und, wie ich finde – dies erfährt man, wenn man mit diesen Jugendlichen darüber redet –, sehr Vielen Dank. nachhaltig mit ihrer eigenen Geschichte beschäftigen und auseinandersetzen. (Beifall bei der LINKEN) Aus genau diesem Grund, weil zivilgesellschaftliches Erinnern eben auch mit Bildung und Wissen zu tun hat, Vizepräsidentin Petra Pau: haben wir heute einen Antrag eingebracht. Herr Waitz Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun hat darauf hingewiesen. Vielen Dank, dass Sie ihm zu- die Kollegin Katrin Göring-Eckardt. stimmen wollen. Ich glaube, damit wird auch der Über- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20093

Katrin Göring-Eckardt (A) gang zum nächsten Schritt der Erinnerungskultur be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (C) schrieben, der so wichtig ist; denn wir befinden uns am bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Übergang von der kommunikativen Erinnerung zum kul- turellen Erinnern. Das bedeutet mehr als einen Epochen- Vizepräsidentin Petra Pau: wechsel. Das Wort hat der Kollege Wolfgang Börnsen für die Paul Spiegel hat ja den Begriff „Staffelstab der Erin- CDU/CSU-Fraktion. nerung“ geprägt, der übergeben werden muss. Er hat ihn zu Recht geprägt. Wir brauchen jetzt eine systematische (Beifall bei der CDU/CSU) Verankerung in schulischen Lehrplänen und gleichzeitig in außerschulischen Bildungsangeboten. Ich glaube, dass Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): wir daran nicht vorbeikommen, nicht vorbeikommen Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- sollten und auch nicht vorbeikommen wollen. gen! Für jeden dritten Jugendlichen in der Bundesrepu- blik gilt: Erich Mielke war ein Schriftsteller, Helmut (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP) Kohl war Kanzler der DDR, Adenauer ein Ossi. Für je- den vierten Schüler unseres Landes war Willy Brandt Das gilt übrigens auch – es ist hier schon einmal zu Repräsentant des SED-Regimes. Auf einen Abgrund von Recht darauf hingewiesen worden – hinsichtlich des Fehl- und Falschwissen der jungen Generation weist Wissens über die Geschichte der DDR-Zeit. Auf der ei- eine aktuelle Studie der FU Berlin hin. nen Seite gibt es eine Art von Verklärung, die immer neue Blüten treibt und bei der häufig der Satz „Es war Es ist erschreckend. Auf die Feststellung „Wer die nicht alles schlecht“ geäußert wird. Auf der anderen DDR verlassen wollte, war selber schuld, wenn an der Seite gibt es diejenigen, die sich zu Recht für die Aner- Grenze auf ihn geschossen wurde!“ antwortete jeder kennung ihrer eigenen Biografie einsetzen. Beides wi- fünfte Jugendliche mit Ja. derspricht sich aber sehr stark. Die Anerkennung der ei- Fehlende Kenntnisse führen zu falschen Beurteilun- genen Biografie ist zentral und wichtig. Es geht aber gen. Nichtwissen schadet der Demokratie. Ahnungslo- auch darum, deutlich zu machen, was das Leben auch in sigkeit macht verführbar. Das Feld für Extremisten ist dieser Diktatur bedeutet hat, und sich damit auseinander- dann bestellt. zusetzen, was es bedeutet hat, Mitläufer zu sein und zu versuchen, in dieser Diktatur zurechtzukommen. In seiner Ballade des Vergessens formulierte der Die Eltern- und Lehrergeneration hat dabei eine große Dichter Klabund bereits vor 100 Jahren eine eindringli- Verantwortung. Wir als Politiker haben sie erst recht. che Mahnung: (B) Gerade bei der Bildung zum Thema Nationalsozialis- Vergaßt ihr die gute alte Zeit, (D) mus muss immer wieder deutlich gemacht werden, dass die schlechteste je im Lande? er nicht wie eine Naturkatastrophe von oben über Euer Herrscher hieß Narr, seine Tochter Leid, Deutschland kam, sondern tief in der Gesellschaft veran- die Hofherren Feigheit und Schande. kert war. Diesen Auftrag haben wir auch heute, wenn wir Es führte euch in den Untergang uns mit rechtsextremistischen und rechtsradikalen Ge- mit heitern Mienen, mit kessen. danken, Taten, Gruppierungen und Parteien auseinander- Längst habt ihr’s bei Wein, Weib und Gesang setzen. Dazu gehört übrigens auch, sich mit dem Antise- vergessen, vergessen, vergessen. mitismus in der DDR zu befassen. Dazu gehören Zwei Drittel aller Schüler – in einigen Bundesländern authentische Orte. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir sogar mehr – gaben an, das geteilte Deutschland sei im die KZ-Gedenkstätten auch als Lernorte stärken wollen. Unterricht kein Thema gewesen. Selbstverständlich Die authentischen Orte des Grauens der Naziverbrechen muss die Schule solche Defizite aufarbeiten. Auch und helfen, wenn wir heute über unsere Erinnerung reden, gerade das Wissen und das Gedenken an die eigene Ge- sehr viel weiter, als museale Erinnerung das jemals kann. schichte führt zu der Einstellung: Nie wieder! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) neten der SPD und der FDP) Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung; denn die Nie wieder Rechts- oder Linksdiktaturen! Nie wieder Frage der authentischen Orte betrifft auch die Erinne- Ausgrenzung von Menschen- und Bürgerrechten! Nie rung an die SED-Diktatur. Dass beim einzigen verblie- wieder ein Verlust an Freiheit! benen ehemaligen Grenzbahnhof in Probstzella jetzt die Das neue Gedenkstättenkonzept wird diesen Ansprü- Bagger für den Abriss bereitstehen, weil das Geld nicht chen gerecht. Es verstärkt die Aufarbeitung unserer reicht, um ihn winterfest zu machen, ist sehr bedauer- Diktaturgeschichte. Es ermöglicht, Opfer- wie Täter- lich. Noch ist er zu retten. Ich hoffe, dass das gelingt, geschichte unmittelbar wahrzunehmen. Die menschen- weil er einer der authentischen Orte ist, an denen man verachtende Zeit des NS-Staates wird ebenso konse- die Teilung Deutschlands auf ganz besondere Art und quent, schonungslos, aber auch differenziert Weise sehen, erleben und nachempfinden kann. Deswe- aufgearbeitet und dargestellt wie die DDR-Vergangen- gen hoffe ich sehr, dass der Abriss noch verhindert wer- heit. Dem Unterschied zwischen dem Naziterror und der den kann. SED-Diktatur wird Rechnung getragen. Eine verantwor- Vielen Dank. tungsbewusste Erinnerungspolitik darf weder die Ver- 20094 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (A) brechen der Nationalsozialisten relativieren noch das hat. Unabhängig davon bleibt festzuhalten – darin bin (C) SED-Unrecht bagatellisieren. ich mir mit vielen in diesem Saal einig –: Deren Mitar- beiter leisten eine notwendige und ambitionierte Aufar- Klabund appelliert in seiner Ballade des Vergessens beitungsarbeit. Die BStU hat Anerkennung verdient. Ihr an die Wegseher und Vereinfacher mit folgenden für un- Konzept hat europaweit Bedeutung. Das gilt auch für die sere Ohren heute ungewohnten Worten: Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und Wir haben Gott und Vaterland viele andere Häuser. mit geifernden Mäulern geschändet, Das Konzept zur geschilderten Erinnerungsland- wir haben mit unsrer dreckigen Hand schaft, über das wir heute befinden, wird von vier Frak- Hemd und Meinung gewendet. tionen getragen. Das ist eine ganz großartige Grundlage. Es galt kein Wort mehr ehrlich und klar, Es ist gut für unser Land und gut für die Demokratie, nur Lügen unermessen ... dass eine so starke parlamentarische Mehrheit sagt: Wir Wir hatten die Wahrheit so ganz und gar stehen zu diesem Konzept. – Trotzdem bleiben wir auf- vergessen, vergessen, vergessen. gefordert, weiter wachsam zu sein, im Sinne der Ballade Das neue Gedenkstättenkonzept stärkt die Erinne- des Vergessens: rungskultur, weil es eine zentrale Struktur vermeidet, die Habt ihr vergessen, was man euch tat, Eigenständigkeit der zeithistorischen Einrichtungen ga- des Mordes Dengeln und Mähen? rantiert, weil es Rücksicht auf die eindrucksvollen Leis- Es lässt sich bei Gott der Geschichte Rad, tungen der bürgerschaftlichen Aufarbeitungsinitiatoren beim Teufel nicht rückwärts drehen. nimmt, weil es auf der Authentizität der Gedenkstätten beruht, Geschichte am Ort des Geschehens erlebbar Danke schön. macht, weil es erstmals kooperative Vernetzungen zwi- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP schen den Trägern institutionalisiert – das gilt für die und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NS-Gedenkstätten ebenso wie für die DDR-Rudimente – und weil es die Geschichte der SED-Diktatur wie die Vizepräsidentin Petra Pau: Zeit des Dritten Reiches zu einer Herausforderung für Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn für die Ost- wie für Westdeutschland erklärt, es endlich eine ge- SPD-Fraktion. samtdeutsche Aufgabe wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir können aus unserer Geschichte nicht flüchten. Monika Griefahn (SPD): (B) (D) Wir müssen uns ihr stellen. Das gilt für die dunklen Ka- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen pitel unserer Vergangenheit wie für die glücklichen Mo- und Kollegen! Ich möchte mich dem Dank der Vorredne- mente. Leipzig gehört dazu, beispielgebend als Stadt des rinnen und Vorredner anschließen. Nachdem der Staats- unerschrockenen Bürgermutes. Es ist sachgerecht – da- minister im Juni 2007 einen doch umstrittenen Entwurf rin bin ich mir mit Wolfgang Thierse einig –, hier, in die- für die Fortschreibung des Gedenkstättenkonzeptes vor- ser Stadt, den Schwerpunkt für die Erinnerung an den gelegt hat, haben wir nun einen sehr konstruktiven Pro- Widerstand gegen die SED-Diktatur zu setzen. Es ver- zess durchlebt und die vorliegende Konzeption gemein- dient auch die Unterstützung des Bundes, wenn an dieser sam erarbeitet. Daran haben sowohl der Ausschuss mit Stelle der Freiheit und Einheit gedacht wird. Es ist rich- einer Anhörung als auch eine Reihe externer Experten tig und respektvoll, wenn vor Ort ein passendes Konzept mitgewirkt. Ich denke, diese Konzeption ist ein überzeu- dafür entwickelt wird. Was für Leipzig gilt, gilt auch für gendes Ergebnis dieser gemeinsamen Arbeit. Bonn. Es gilt auch den westdeutschen Beitrag zur Wie- dervereinigung dort zu dokumentieren. Dass ein nationa- Frau Jochimsen, es gibt schon ein Gedenkstättenkon- les Freiheits- und Einheitsdenkmal in die Mitte unserer zept von 1999, in dem die NS-Diktatur ausführlich be- Hauptstadt gehört, haben wir vor einem Jahr beschlos- handelt wurde. Es ist nicht durch dieses Gedenkstätten- sen. 200 Jahre couragierte Freiheits- und Parlamentsge- konzept aufgehoben, sondern fortgeführt, und ergänzt schichte dokumentieren den Teil unserer Vergangenheit, wurden jetzt die Punkte, die vorher noch nicht darin auf den wir stolz sein können. Eine historisch gerechte standen. Es gab vorher – das ist mehrfach gesagt worden – Erinnerungslandschaft kommt ohne ein solches Symbol eben keine institutionelle Förderung von Gedenkstätten der Freiheitsbekundung nicht aus. in den alten Bundesländern. Es gab sie in den neuen, aber nicht in den alten. Deswegen haben wir jetzt Ber- Der Bund wird mit dieser neuen Gedenkstätte seiner gen-Belsen in Niedersachsen, Neuengamme in Hamburg Verantwortung gerecht. Hier wird den Orten von natio- sowie Dachau und Flossenbürg in Bayern institutionell naler Bedeutung Zukunft gegeben. Die vier schon ge- gefördert. Das war notwendig. Wir alle haben immer schilderten NS-Gedenkstätten, die durch die institutio- wieder erlebt, dass Schulgruppen und andere Gruppen, nelle Förderung eine viel stärkere Möglichkeit als die sich informieren wollten, keine anständige Führung Lernorte erhalten, sind ein Teil dieser Zukunftsorientie- bekommen konnten, weil das Geld nicht da war, um rung. Die BStU, um deren Perspektiven wir lange gerun- Leute zu beschäftigen etc. Das ist jetzt möglich. Das ist gen haben, wird dann ihre Akten und Unterlagen in das auch notwendig; denn dann können die Gruppen, die Bundesarchiv überführen, wenn eine Kommission dafür dorthin kommen, qualifiziert informiert werden, und das dem Bundestag eine Entscheidungsgrundlage erarbeitet ist eine wichtige Grundlage für die Demokratie. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20095

Monika Griefahn (A) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP chung und Zersetzung, vom menschlichen Miteinander (C) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in einem unmenschlichen System, dann stelle ich fest: Das haben sie so noch nicht wahrgenommen. Ich glaube, Ich möchte an dieser Stelle auch dem Bundesfinanz- man kann das zusammen mit Zeitzeugen, mit Menschen, minister danken; denn üblicherweise gibt es keine neuen die so etwas direkt erlebt haben, viel besser nachvollzie- institutionellen Förderungen. Ich glaube, es ist ein ganz hen. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. wichtiger Aspekt, dass wir das hier machen. Zugleich führen wir die Projektförderung des Bundes für authenti- Wir haben heute Nachmittag den Bericht zur deut- sche und national bedeutsame Erinnerungsorte und Ge- schen Einheit diskutiert. Dabei sind viele Schritte, die denkstätten fort. Ich erinnere daran, dass wir in Sachsen zeigen, dass wir zusammenwachsen, aufgeführt worden. den Jugendwerkhof in Torgau jetzt mit Projektmitteln Das, was ich angesprochen habe, ist sehr notwendig, da- fördern. Der Herr Staatsminister hat ihn erwähnt. Die mit wir zu einem bestimmten Punkt kommen: Nie wie- Besucher können dort ein fragwürdiges Erziehungskon- der darf es uns passieren, dass wir durch Diktaturen be- zept, den menschenunwürdigen Alltag und das drakoni- stimmt werden. Wir haben im nächsten Jahr eine Menge sche Strafsystem im geschlossen Jugendwerkhof sehen, Gedenktage. Wir feiern 20 Jahre Fall der Mauer, wir fei- der dem Ministerium für Volksbildung der DDR direkt ern 60 Jahre Grundgesetz. Aber wir haben auch Erinne- unterstand. Viele hätten diese Möglichkeit nicht, wenn rungstage, die uns nachdenklich stimmen müssen, zum es eine solche Projektförderung nicht gäbe. Deswegen Beispiel den 70. Jahrestag des Überfalls Deutschlands glaube ich, dass einer der wesentlichen Aspekte, die wir auf Polen. Ich hoffe sehr, dass wir dieses Jahr mit seinen sehr ausführlich diskutiert haben, das zivilgesellschaftli- Gedenktagen zum Nachdenken und für die Erinnerung che Engagement von vielen Gruppen ist – dies wurde nutzen und dass wir mit dem Gedenkstättenkonzept als mehrfach erwähnt; auch Frau Göring-Eckardt hat darauf guter Grundlage für das gemeinsame Bewusstsein aktiv hingewiesen –, aber auch die politische Bildung. In der arbeiten, damit sich das Bewusstsein vor Ort so ändert, Diskussion über das Konzept ist deutlich geworden, wie dass die Demokratie erhalten bleibt und gestärkt wird wichtig Vermittlung und politische Bildung beim Um- und dass Geschehnisse wie Diktaturen, Gewalt und Bru- gang mit unserer Geschichte sind und wo es noch hapert. talität nicht mehr stattfinden können. Das wünsche ich Wir haben die Lücken alle aufgedeckt. Deswegen bin ich mir. Ich bin froh, dass wir gemeinsam daran gearbeitet froh, dass wir in der nächsten Sitzungswoche, wenn wir haben. den Haushalt diskutieren, die Mittel dafür entsprechend erhöhen werden und damit etwas tun. Vielen Dank. Im Umgang und bei der Vermittlung unserer Ge- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP (B) schichte, ob es nun die Geschichte des Nationalsozialis- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) mus ist oder die DDR-Geschichte, sind wir alle gefor- dert, nicht nur der Bund, sondern auch Elternhäuser, Vizepräsidentin Petra Pau: Schulen, Medien und Politik; denn viele Schüler – Herr Börnsen hat darauf hingewiesen –, aber leider auch viele Ich schließe die Aussprache. Erwachsene wissen nur wenig über unsere Vergangen- heit und wenig über die beiden Teile unserer Gesell- Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur schaft, wie sie vor dem Fall der Mauer tatsächlich waren. und Medien auf Drucksache 16/10565 zu der Unterrich- Hier wird besonders deutlich, dass sich unser Bemühen tung durch den Beauftragten der Bundesregierung für nicht nur auf die gute Ausgestaltung der Gedenkstätten Kultur und Medien auf Drucksache 16/9875 zur Fort- beschränken darf, sondern dass es auch einer umfassen- schreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes mit den Aufarbeitung bedarf. Dabei müssen wir weiterhin der Überschrift „Verantwortung wahrnehmen, Aufarbei- auf Zeitzeugen zurückgreifen, nicht nur auf die Zeitzeu- tung verstärken, Gedenken vertiefen“. Der Ausschuss gen aus der Zeit des Nationalsozialismus, die uns leider empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschlie- nach und nach nicht mehr zur Verfügung stehen, sondern ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- auch auf Zeitzeugen aus der ehemaligen DDR. Da haben fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – wir Menschen unter uns, die in beiden Teilen gelebt ha- Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der ben und die erzählen können, wie das eigentlich damals CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Frak- war. Es sind Menschen, deren Familien getrennt waren tion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die und die erlebt haben, wie es war, sich zu besuchen, und Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. die den jeweiligen Alltag erlebt haben. Diese persönli- Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur chen Erfahrungen sollten wir noch stärker einbringen, und Medien auf Drucksache 16/10071. Der Ausschuss gerade auch in der Schule. Das muss in allen Bundeslän- empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh- dern überhaupt erst einmal in den Schulplänen verankert lung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke werden; denn das findet in vielen Schulen leider noch auf Drucksache 16/8880 mit dem Titel „Konzepte der nicht statt. Vermittlung des Wissens zur NS-Zeit überprüfen und (Beifall bei der SPD und der FDP) den veränderten Bedingungen anpassen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wenn ich meine Kinder danach frage, ob sie in der Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Schule schon einmal etwas davon gehört haben, also Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion vom täglichen Leben in einem Konstrukt von Überwa- gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion 20096 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/ Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- (C) Die Grünen angenommen. schusses (6. Ausschuss) Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 25 b. Unter – Drucksache 16/10896 – Buchstabe b der Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 16/10071 empfiehlt der Ausschuss für Kultur und Berichterstattung: Medien die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bünd- Abgeordnete Michael Grosse-Brömer nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8184 mit dem Ti- Joachim Stünker tel „Systematische Weiterentwicklung der politischen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Bildung beim Thema Nationalsozialismus“. Wer stimmt Wolfgang Nešković für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Jerzy Montag Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an- genommen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla- mentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Beratung des Antrags der Abgeordneten Miriam der CDU/CSU) Gruß, Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Die Schaffung einer Individualbeschwerde im desministerin der Justiz: Rahmen des Übereinkommens über die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rechte des Kindes Frau Bundesministerin Zypries hat bereits bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs vor wenigen Wochen auf – Drucksache 16/9096 – die Bedeutung und Entstehung des VW-Gesetzes und Überweisungsvorschlag: auf die besondere Geschichte des größten deutschen Au- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Rechtsausschuss tobauers hingewiesen. Es ist eben aufgrund der Ge- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe schichte des Volkswagenwerkes gerechtfertigt, dass das VW-Gesetz gewisse Abweichungen vom allgemeinen Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- Aktienrecht vorsieht. Selbstverständlich ist, dass die Re- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich (B) gelungen des VW-Gesetzes dabei nicht gegen das EU- (D) sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um Recht verstoßen dürfen und dass wir, soweit das der Fall die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Thomas ist, Abhilfe schaffen müssen. Mahlberg für die CDU/CSU-Fraktion, Marlene Rupprecht für die SPD, Miriam Gruß für die FDP, Diana Golze für Damit bin ich schon beim Urteil des Europäischen die Fraktion Die Linke und Ekin Deligöz für die Frak- Gerichtshofs vom Oktober 2007. Der EuGH hat darin tion Bündnis 90/Die Grünen.1) entschieden, dass Deutschland mit einigen Vorschriften des VW-Gesetzes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit ver- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf stoße. Dieses Urteil setzen wir mit dem Gesetzentwurf, Drucksache 16/9096 an die in der Tagesordnung aufge- um den es heute geht, in nationales Recht um, und zwar führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- – das sage ich auch in Richtung Brüssel – zu verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung 100 Prozent. so beschlossen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf: Angesichts seiner besonderen Historie werden wir – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- aber am VW-Gesetz nicht mehr ändern, als es das Urteil regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes verlangt. Wie Sie wissen, gibt es unterschiedliche Mei- zur Änderung des Gesetzes über die Überfüh- nungen zu der Frage, was das Urteil genau verlangt. Se- rung der Anteilsrechte an der Volkswagen- hen wir uns daher noch einmal den Tenor der Entschei- werk Gesellschaft mit beschränkter Haftung dung an – ich darf zitieren, Frau Präsidentin –: in private Hand Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch, dass – Drucksache 16/10389 – sie § 4 Abs. 1 sowie § 2 Abs. 1 in Verbindung – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- – ich wiederhole: in Verbindung neten Dorothée Menzner, Dr. Diether Dehm, Dr. Barbara Höll, weiteren Abgeordneten und der – mit § 4 Abs. 3 des VW-Gesetzes beibehalten hat, Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei- gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 56 Abs. 1 EG nes Gesetzes zur Änderung des VW-Gesetzes verstoßen. – Drucksache 16/8449 – Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die genannten Bestimmungen betreffen das gesetzli- 1) Anlage 10 che Entsenderecht für den Bund und das Land Nieder- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20097

Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach (A) sachsen, die Stimmrechtsbeschränkung auf 20 Prozent (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (C) und das besondere Mehrheitserfordernis für Hauptver- sammlungsbeschlüsse von 80 Prozent plus einer Aktie, Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): also die Sperrminorität von 20 Prozent. Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- Der Europäische Gerichtshof hat das gesetzliche Ent- legen! Heute wollen wir das in einigen Punkten geän- senderecht für rechtswidrig erklärt, die beiden anderen derte VW-Gesetz in zweiter und dritter Beratung be- Bestimmungen aber nur „in Verbindung“ miteinander, schließen. Ich halte das für eine gute Idee. Wir haben in also nicht jede für sich. Im Übrigen – so sagt es das Ge- den letzten Wochen mehrfach über dieses Gesetz disku- richt; ich habe es schon zitiert – ist die Klage abgewie- tiert. Ich habe dabei stets die Gelegenheit genutzt, um sen worden. darauf hinzuweisen, dass VW für viele Deutsche, und nicht nur für Niedersachsen, eine Herzensangelegenheit Wenn zwei Paragrafen aber nur „in Verbindung“ mit- und ein Stück deutscher Identität darstellt. einander rechtswidrig sind, dann liegt es auf der Hand, dass man sie nicht beide aufheben muss. Es reicht aus, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) einen davon aufzuheben, wodurch der andere weiterbe- stehen kann, ohne gegen das Europarecht zu verstoßen. Das VW-Gesetz besteht seit dem 21. Juli 1960 und ist damit – wenn auch nur knapp – älter als ich selbst. Seit- Ich gehe davon aus, dass der Europäische Gerichtshof her ist das Gesetz eng mit der Erfolgsgeschichte von VW diese Formulierung sehr wohl mit Bedacht gewählt hat verknüpft. Der niedersächsische Ministerpräsident hat und genau das gemeint hat, was er gesagt hat. Es ist aus sich bei der letzten Debatte sogar persönlich die Ehre ge- meiner Sicht unverständlich und dem EuGH gegenüber geben, um die Bedeutung des Gesetzes noch einmal her- nicht gerade von Respekt getragen, wenn man darüber vorzuheben. Im September hat er im Bundesrat dazu hinweggeht und sagt, das habe der Gerichtshof nicht so ausgeführt, dass das VW-Gesetz kein Hindernis für eine gemeint, vielmehr seien alle drei Bestimmungen isoliert gute Entwicklung von VW ist. Im Gegenteil: Es war bis- rechtswidrig. her und wird auch in Zukunft eine Voraussetzung dafür Deshalb sieht der Regierungsentwurf genau das vor, sein. was der Urteilstenor verlangt: Wir schaffen das gesetzli- Es ist deshalb gut, dass wir heute im Bundestag den che Entsenderecht für den Bund und das Land Nieder- Erhalt des VW-Gesetzes bei zwei notwendigen Ände- sachsen ab, denn dies verlangt der EuGH. Der Gesetz- rungen beschließen wollen. Der Parlamentarische Staats- entwurf der Linken, der hier noch Abstufungen und sekretär hat darauf hingewiesen, dass wir so vorgehen, Winkelzüge macht, wird von uns nicht mitgetragen. In weil der Europäische Gerichtshof es verlangt hat, ob- Brüssel würden wir sofort auffliegen. Wir schaffen die (B) Stimmrechtsbeschränkung auf 20 Prozent ab. Die Sperr- wohl es eigentlich sinnvoll wäre, in ein Unternehmen, (D) minorität bei Hauptversammlungen, die im Übrigen vom das, wie Volkswagen, sehr erfolgreich arbeitet, am bes- allgemeinen Aktienrecht gar nicht so weit abweicht, ten gar nicht einzugreifen. Wir kommen den uns aufer- kann allerdings isoliert weiter bestehen. legten europarechtlichen Verpflichtungen nach. Der Rechtsprechung des EuGHs werden wir durch den heute Außerhalb des offiziellen Verfahrens kamen Presse- vorliegenden Gesetzentwurf gerecht. äußerungen aus Brüssel, dass wir alle drei Bestimmun- gen ersatzlos streichen müssten. Eine begründete Stel- Das Bundesjustizministerium hat das Urteil sorgfältig lungnahme der Kommission, durch die unserer analysiert. Das Ergebnis ist eben von Herrn Hartenbach Rechtsansicht widersprochen würde, gibt es bisher aber vorgetragen worden. Es geht um die Verbindung zwi- nicht. Sollte eine solche Stellungnahme kommen, hätte schen Höchststimmrecht und den besonderen Mehrheits- Deutschland zwei Monate Zeit, um darauf zu reagieren erfordernissen. Nur das wurde beanstandet, und nur das und gegenüber der Kommission seine Ansicht darzule- haben wir geändert. gen. Wir sind uns unserer Sache sehr sicher. Sie sehen, (Beifall der Abg. Rita Pawelski [CDU/CSU]) dass es keinen Anlass dafür gibt, dass die Bundesregie- rung von ihrem einstimmig gefassten Beschluss abrü- Letztlich ist das im Urteilstenor genau erkennbar. Der cken sollte, die Sperrminorität des VW-Gesetzes fortbe- EuGH spricht explizit von § 2 Abs. 1 in Verbindung mit stehen zu lassen und das Änderungsgesetz in der Form § 4 Abs. 3 des VW-Gesetzes. zu verabschieden, wie sie Ihnen vorliegt. Lassen Sie sich davon weder durch nicht korrektes Hochdeutsch noch Der zuständige EU-Kommissar Charlie McCreevy durch Briefe mit Goldprägung abhalten. hält die genannten Normen alternativ und nicht kumula- tiv für europarechtswidrig. Damit ignoriert er erstens Danke schön. den Urteilstenor, und zweitens überinterpretiert er die (Beifall bei der SPD) Reichweite der Grundfreiheiten. (Rita Pawelski [CDU/CSU]: So ist es!) Vizepräsidentin Petra Pau: Mit unserer Bundesjustizministerin bin ich hoff- Die Rede des Kollegen für die FDP- 1) nungsfroh, dass das Gesetz nach dem Passieren des Bun- Fraktion nehmen wir zu Protokoll. Das Wort hat der desrates, einschließlich Unterzeichnung und Verkün- Kollege Michael Grosse-Brömer für die Unionsfraktion. dung, zum 1. Januar 2009 in Kraft treten kann. Das wäre für die Beschäftigten – nach meiner Kenntnis sind es 1) Anlage 11 weltweit 364 000 – und auch für ihre Familien zu Be- 20098 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Michael Grosse-Brömer (A) ginn des neuen Jahres eine schöne Nachricht. In Krisen- sonderer Treue und Verantwortung zur Belegschaft und (C) zeiten sind solche Zeichen gut für die Menschen. Zwar zu den Standorten gerade in Deutschland beweist. Auch hat das Wort Krise gegenwärtig Hochkonjunktur. Es ist bei internationalen Beziehungen gab es nie rechtliche aber nicht mehr zu leugnen, dass die Krise auf dem Fi- Bedenken. Infolgedessen kann ich in einem Punkt Herrn nanzmarkt auf die sogenannte Realwirtschaft übergegrif- Wiedeking nicht zustimmen, nämlich seiner Behaup- fen hat. Anzeichen dafür sind vorhanden. Sie betreffen tung, dass dieses Gesetz europarechtswidrig sei. Auf- mittlerweile unstreitig auch die Automobilindustrie. Vor grund der genannten Erfolgsgeschichte wünsche ich mir diesem Hintergrund ist die Volkswagen-Gruppe offen- vielmehr, dass das VW-Gesetz weiterhin, wie die letzten sichtlich noch gut aufgestellt. Unter den aktuell schwie- 48 Jahre, als stabile Grundlage eines Traditionsunterneh- rigen Bedingungen wird VW von Fachleuten und auch mens, als Mittel der Standortsicherung und als Instru- in der Fachpresse häufig noch als „Fels in der Brandung“ ment der Beschäftigungssicherung erhalten bleibt. bezeichnet. Ich würde mich freuen – darauf ist vorhin schon Be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zug genommen worden –, wenn die Europäische Kom- mission das auch so sehen könnte. Sie sollte ihre Ankün- – Ich bin froh, dass doch einige Niedersachsen da sind. digung überdenken, eventuell wiederum zu klagen. Es Das zeigt sich ja jetzt am entsprechenden Applaus. gab leider schlechte Nachrichten. Ich habe heute in der (Garrelt Duin [SPD]: Wir sind diesmal mehr! Zeitung gelesen, dass Kommissar McCreevy gegenüber Das lasse ich mir nicht zweimal sagen!) dem Handelsblatt erklärte, noch vor Weihnachten die zweite Stufe des Verfahrens einleiten zu wollen. – Das finde ich auch anständig, dass die Sozialdemokra- ten dazugelernt haben. Im Vergleich zum letzten Mal (Zuruf des Parl. Staatssekretärs Alfred sind deutlich mehr Niedersachsen da, auch auf Ihrer Hartenbach) Seite. Ich halte das für ein überflüssiges Geschenk in der Vor- (Garrelt Duin [SPD]: Danke für die Anerken- weihnachtszeit. Es ist im Übrigen auch ein schlechtes Si- nung!) gnal für Hunderttausende von Menschen. Dazu kommt, dass dieses Signal auch noch in denkbar ungünstigen Die Politik sollte diese positive Entwicklung von VW Zeiten ausgesendet wird. honorieren und erfreut zur Kenntnis nehmen. Jedenfalls sollten wir sie nicht durch unnötige Veränderungen be- Ich halte dieses Vorgehen auch für bedenklich; denn lasten. im Rahmen der Ratifikation des Lissabon-Vertrages wurde immer wieder gefordert, Europa müsse endlich Ich habe gestern erfreulicherweise und fast auch ein bei den Menschen ankommen. Die EU-Bürger sollten (B) wenig überraschend ein Schreiben vom Vorstandsvorsit- (D) sich mit ihrer Union identifizieren können. Dazu gehört zenden der Porsche Holding, Herrn Wendelin Wiedeking, dann auch, ein Stück weit Rücksicht auf die Interessen erhalten. der Menschen zu nehmen. (Dorothée Menzner [DIE LINKE]: Wir alle!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Auch er ging auf die künftigen Herausforderungen ein, LINKEN) insbesondere die der Automobilbranche. Ich zitiere eine Passage aus seinem Brief. Damit einher muss dann auch Zurückhaltung in Berei- chen gehen, die nicht von Brüssel, sondern von den Mit- Die Automobilbranche steht vor gewaltigen He- gliedstaaten geregelt werden sollen. rausforderungen. Um vor dem Hintergrund der ak- tuellen Finanzmarktkrise zu bestehen und weiter zu Man kann zwar unterschiedlicher Auffassung sein, wachsen, wollen wir gemeinsam ein starkes Unter- aber die Kommission hat noch nicht so richtig nachvoll- nehmen schaffen, das mit Ideenreichtum und Inno- ziehbar begründet, warum sie immer wieder Klage ein- vationskraft auf der Basis weltweiter Erfolge Ar- reichen will. Sie behauptet immer pauschal, es liege ein beitsplätze erhält und neue Arbeitsplätze schafft. Verstoß gegen die Freiheit des Kapitalverkehrs vor. Am Standort Deutschland. Wenn sie das auf die gesetzlich verankerte Sperrminori- tät bezieht, muss man sich einmal die Frage stellen, ob (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) man nicht irgendwann auch gegen die Ausgabe von stimmrechtslosen Aktien gerichtlich vorgehen sollte. In- Mit diesen Worten von Herrn Wiedeking kann ich mich haber dieser Aktien haben ja auch keinen Einfluss auf voll und ganz einverstanden erklären. Ich schließe mich Entscheidungen eines Unternehmens. Es stellt sich also ihnen an. Unternehmen müssen leistungsstark und inno- die Frage: Wo beginnt der freie Kapitalverkehr, und wo vativ sein, um bestehen zu können. VW hat exakt dies in hört er auf? der Vergangenheit immer wieder eindrucksvoll bewie- sen – mit dem VW-Gesetz. Der EuGH wird sich im Streitfall mit den sorgfältigen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Überlegungen der Bundesregierung auseinandersetzen neten der SPD) müssen, die in den heute vorliegenden Entwurf einge- flossen sind. Ich denke, wir haben das gerügte Zusam- Das VW-Gesetz war auch deswegen eine wichtige menspiel aus Höchststimmrecht und Mehrheitserforder- Voraussetzung für den Erfolg dieses Unternehmens, weil nissen beendet. Wir haben auch bei den Regelungen zur es wohl in einmaliger Weise Zukunftsfähigkeit mit be- Entsendung in den Aufsichtsrat den Forderungen des Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20099

Michael Grosse-Brömer (A) EuGH Folge geleistet. Die Sperrminorität von 20 Pro- Worum geht es wirklich? Die Presseagentur Reuters (C) zent bleibt aber bestehen. Ich denke, dass sie auch unter schrieb gestern: europarechtlichen Gesichtspunkten zulässig sein dürfte. Der größte VW-Eigner Porsche dagegen will das Schließlich – auf diese Aussage lege ich gesteigerten Gesetz abgeschafft sehen. Nur wenn die Sperrmino- Wert – ist die Ausgestaltung des Gesellschaftsrechts rität auf 25 Prozent angehoben würde, hätte der keine europarechtliche Materie. Schauen Sie sich den Sportwagenbauer die Chance, einen Beherr- dritten Teil des EG-Vertrages, also „Die Politiken der schungsvertrag durchzusetzen. Gemeinschaft“, an. Dort sucht man vergebens nach ei- Weiter heißt es: nem Kompetenztitel „Gesellschaftsrecht“. Das Urteil des EuGH wird also schon denklogisch – da haben Sie Der volle Durchgriff des Porsche-Managements auf wiederum völlig recht, Herr Staatssekretär – vollständig VW wäre dann gesichert. beachtet und eins zu eins umgesetzt. In diesem Sinne wurden wir Abgeordneten von Wendelin Schauen wir jetzt einmal in unser nationales Aktien- Wiedeking angeschrieben. recht; darüber könnte man ja auch noch nachdenken. Der „volle Durchgriff“ bedeutet, dass der gesamte Dieses sieht keine feste Grenze für Sperrminoritäten vor. VW-Konzern dem Interesse der Eigentümer von Porsche (Rita Pawelski [CDU/CSU]: So ist es!) untergeordnet würde. Interessen der VW-Belegschaft, des Bundes oder des Landes Niedersachsen würden Zwar sind 25 Prozent der gesetzliche Regelfall. Aus- nicht mehr zählen. nahmen sind aber möglich, nach oben wie nach unten. Porsche zum Beispiel hat in seiner Satzung eine Sperr- Dabei geht es nicht nur abstrakt um Beherrschung, minorität von 33,3 Prozent festgeschrieben, VW hat die sondern es geht auch und vor allem um eine vertraglich 20-Prozent-Regelung. auferlegte Gewinnabführung an das beherrschende Unter- nehmen. Es geht um die Umwandlung von VW-Gewin- Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der heutigen nen in Profite der Porsche-Eigner. Mit der Ermöglichung Verabschiedung des Entwurfs, den die Bundesregierung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages vorgelegt hat, können wir ein klares Zeichen setzen, ein würde VW seine eigenständige Bedeutung verlieren. Zeichen erstens für die europäische Integration und ge- Die langfristige Zukunft dieses für die gesamte gen unzulässige Einmischung aus Brüssel unter Berück- Volkswirtschaft bedeutenden Unternehmens würde den sichtigung originärer Interessen der Mitgliedstaaten kurzfristigen Gewinninteressen einiger Kapitaleigner (Beifall bei der CDU/CSU) untergeordnet. Spekulative Interessen würden dem Ge- (B) meinwohlinteresse und den Interessen der Arbeitnehme- (D) und zweitens für ein weiterhin erfolgreiches Unterneh- rinnen und Arbeitnehmer vorgehen. men Volkswagen. Die Interessen der Eigentümer von Porsche an der Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Freiheit ihres Kapitals gelten Kommissar McCreevy mehr; sie gelten ihm als Kapitalverkehrsfreiheit, als eine (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) der Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes. All das können wir und kann die Bundesregierung so Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: nicht hinnehmen. Wir brauchen eine eindeutige Klarstel- Ich gebe das Wort der Kollegin Dorothée Menzner für lung im EU-Vertragsrecht, im Primärrecht. Dazu haben die Fraktion Die Linke. wir Vorschläge gemacht, die ich aus Zeitgründen hier nicht genau ausführen kann. (Beifall bei der LINKEN) Das Ratifizierungsverfahren zum Vertrag von Lissa- Dorothée Menzner (DIE LINKE): bon muss ausgesetzt werden. Es muss eine soziale Fort- schrittsklausel in das Primärrecht aufgenommen werden. Sehr geehrte Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Novellierungsvorschlag der Bundesregie- In diesem Sinne stellen wir fest, dass der Vorschlag rung zur Anpassung des VW-Gesetzes erscheint uns et- der Bundesregierung auch unter den Bedingungen des was halbherzig. Er nimmt Änderungen auch in den Be- EuGH-Urteils nicht optimal ist. Unser Vorschlag, den reichen vor, in denen sie nach unserer Auffassung durch wir vorgelegt haben, wäre besser. Dennoch werden wir das Urteil des Europäischen Gerichtshofes nicht geboten dem Vorschlag der Bundesregierung zustimmen, weil er sind. Das Entgegenkommen nützt aber nichts. immer noch besser ist, als wenn nichts passieren würde. Die EU-Kommission in ihrer neoliberalen Verblen- Mit der Novellierung des VW-Gesetzes aber sind die dung wird das nicht überzeugen. Kommissar McCreevy Probleme keineswegs bewältigt. Wir brauchen Regelun- hat schon jetzt angekündigt, noch vor Weihnachten wie- gen für die Wirtschaft insgesamt, nicht nur für ein Groß- der gegen das Gesetz vorzugehen. Auch das nach den unternehmen. Vorschlägen der Bundesregierung geänderte VW-Ge- (Beifall bei der LINKEN) setz entspreche den EU-Verträgen nicht, meint er. Nach seiner Auffassung würde auch unsere neue Fassung des Wir müssen das Europarecht so verändern, dass es Gesetzes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen. nicht weiter als Brechstange gegen den Sozialstaat ein- 20100 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dorothée Menzner (A) gesetzt werden kann. Meiner Ansicht nach sollte sich rückzugewinnen. Dieses Vertrauen ist erschüttert. Euro- (C) niemand folgender Einsicht – damit möchte ich meine päische Entscheidungen haben dazu ihren Teil beigetra- Rede beenden – verschließen: Europa wird sozial sein, gen. Aber wir haben die Chance, dieses Vertrauen neu zu oder es wird nicht sein. schaffen. Wir können unter Beweis stellen: Politik küm- mert sich, nimmt die Sorgen ernst und lässt sich auch (Beifall bei der LINKEN) durch wirtschaftliche Einzelinteressen – auch wenn sie 24 Stunden vor der Abstimmung noch einmal schriftlich Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: artikuliert werden – nicht beeindrucken. Politik lässt sich Die Kollegin Thea Dückert, Fraktion Bündnis 90/Die aber auch nicht durch die Drohung der EU-Kommission Grünen, hat ihre Rede zu Protokoll gegeben1). beeinflussen, dass ein neues Verfahren angestrengt wer- Jetzt gebe ich Herrn Kollegen Garrelt Duin, SPD- den soll. Wir halten den Kurs – gemeinsam mit der Bun- Fraktion, das Wort. desregierung und mit Zustimmung anderer. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Garrelt Duin (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir machen das VW-Gesetz EU-rechtskonform. Wir Man kann Frau Dückert nicht den Vorwurf machen, dass machen dies im Bewusstsein der Geschichte dieses Un- sie sich in der Vergangenheit nicht sehr intensiv mit die- ternehmens und im Bewusstsein, dass das Unternehmen sem Thema auseinandergesetzt hätte. Sie hat auch hier VW das geworden ist, was es heute ist – nicht trotz die- im Plenum immer wieder zu diesem Thema gesprochen. ses Gesetzes, sondern gerade wegen dieses Gesetzes. Anders liegt der Fall bei den Kolleginnen und Kolle- Der freie Kapitalverkehr wird auch in Zukunft nicht gen von der FDP – das finde ich sehr bedauerlich –, die gefährdet. Aber mit diesem Gesetz – das ist uns Sozial- nicht zum ersten Mal hier die direkte Auseinanderset- demokraten natürlich besonders wichtig – wird auch die zung scheuen. Ich gehe nicht davon aus, dass sie nachher Mitbestimmung in dem Unternehmen Volkswagen zu- bei der Abstimmung der Weisheit der Linkspartei folgen, künftig nicht gefährdet. Das sage ich an die Adresse der- die ja den Gesetzentwurf der Bundesregierung unter- jenigen, die versuchen, an dieser Stelle herumzuoperie- stützt. Darüber freue ich mich ausdrücklich. Es ist näm- ren. lich notwendig, dass wir dieses VW-Gesetz mit großer Wir haben nicht nur den Brief von Porsche bekommen, Mehrheit beschließen, wir haben heute auch einen Brief von Bernd Osterloh be- (Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD]) kommen. Darin schreibt er: Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Beschäftigten von Volkswa- damit auch in Brüssel registriert wird, dass wir uns hier gen sind in großer Sorge um ihre Mitbestimmungsrechte (B) (D) trotz unterschiedlicher Auffassungen in manchen Fragen und in der Folge um die langfristige Sicherheit ihrer Ar- nicht auseinanderdividieren lassen. Im Interesse dieses beitsplätze. Denn wer nichts Böses im Schilde führt, der Unternehmens und seiner Beschäftigten wollen wir die- muss sich vor Mitbestimmung und einem VW-Gesetz ses Gesetz gemeinsam auf den Weg bringen. nicht fürchten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bei Abgeordneten der LINKEN) der LINKEN) Um diese Zeit – jetzt ist es ungefähr 21.10 Uhr – läuft Ich finde, man kann diese Worte von Herrn Osterloh nur bei VW noch die Spätschicht. Was denkt ein Beschäftig- unterstreichen: Wer nichts Böses im Schilde führt, ter bei VW in diesem Moment? Denkt dieser Beschäf- braucht dieses Gesetz nicht zu fürchten. tigte: „Die Politik kümmert sich sowieso nicht um mich; denen ist doch sowieso egal, was mit uns passiert; die Wir sagen dies mit großem Nachdruck an die Adresse können auch nichts tun“? Denkt er, dass wir der Auffas- aller Anteilseigner, und wir sagen dies auch in Richtung sung sind, der Markt werde es schon richten? Was er der EU-Kommission: Dieses VW-Gesetz ist EU-rechts- zurzeit erlebt, könnte derartige Gedanken durchaus be- konform. Das ist unsere feste Überzeugung. Wir sind si- fördern: die gigantische Finanzmarktkrise, die Meldun- cher, dass wir gegebenenfalls einen Rechtsstreit darüber gen über eine drohende Konjunkturkrise mit besonderen gewinnen werden. Auswirkungen auf die Autobranche, Aktienkurse des ei- genen Unternehmens, die in den vergangenen Wochen Ich bin stolz darauf, dass es uns heute nach vielen völlig verrückt gespielt haben – wie wir jetzt wissen, aus Jahren der Auseinandersetzung gelingt, ein solches Ge- nachvollziehbaren Gründen –, eine Auseinandersetzung setz zu beschließen. Ich hoffe auf eine große Zustim- im Aufsichtsrat, angesichts derer der Beschäftigte nur mung des Hauses, damit dem Beschäftigten, von dem mit dem Kopf schütteln kann, weil dort offensichtlich ich vorhin gesprochen habe und der jetzt noch in der ganz persönliche Dinge eine größere Rolle spielen als Spätschicht ist, klar wird: Der Deutsche Bundestag ist an das Interesse des gesamten Unternehmens. seiner Seite und weiß seine Interessen zu schützen. Mit der Verabschiedung des VW-Gesetzes haben wir Herzlichen Dank. die Chance, ein Stück – allein wird es nicht ausreichen – (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vertrauen in die Politik und in staatliches Handeln zu- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: 1) Anlage 11 Ich schließe die Aussprache. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20101

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Peter Weiß, CDU/CSU, Rolf Stöckel, SPD, Heinz-Peter (C) Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes Haustein, FDP, Katja Kipping, Die Linke, Markus zur Änderung des Gesetzes über die Überführung der Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.2) Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand. Zu dieser Ab- Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für stimmung liegen mir einige Erklärungen nach § 31 un- Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp- serer Geschäftsordnung vor.1) fehlung auf Drucksache 16/4826, den Antrag der Frak- tion Die Linke auf Drucksache 16/3908 abzulehnen. Wer Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10896, den dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache ist mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, 16/10389 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Ge- Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – genstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei einigen Gegenstimmen Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf: in der CDU/CSU und Gegenstimmen der FDP mit den a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- restlichen Stimmen des Hauses angenommen. desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur arbeitsmarktadäquaten Steue- Dritte Beratung rung der Zuwanderung Hochqualifizierter und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem und zur Änderung weiterer aufenthalts- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – rechtlicher Regelungen (Arbeitsmigrations- Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- steuerungsgesetz) wurf ist damit in dritter Beratung bei Gegenstimmen der – Drucksachen 16/10288, 16/10722 – FDP und zwei Gegenstimmen aus der CDU/CSU mit den restlichen Stimmen des Hauses angenommen. – Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ordneten Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Gisela (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Piltz, Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordneten der CDU/CSU) und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge- Die Linke zur Änderung des VW-Gesetzes. Der Rechts- setzes zur Steuerung und Begrenzung der ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss- Zuwanderung und zur Regelung des Aufent- empfehlung auf Drucksache 16/10896, den Gesetzent- halts und der Integration von Unionsbür- (B) wurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/8449 gern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) (D) abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf – Drucksache 16/9091 – zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim- men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- zweiter Beratung bei Gegenstimmen der Fraktion Die ausschusses (4. Ausschuss) Linke mit den restlichen Stimmen des Hauses abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei- – Drucksache 16/10914 – tere Beratung. Berichterstattung: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Abgeordnete Reinhard Grindel Rüdiger Veit Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Dr. Michael Bürsch richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Josef Philip Winkler weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu Verdeckte Armut bekämpfen – Rechte wahr- dem Antrag der Abgeordneten Hartfrid Wolff nehmen, unabhängige Sozialberatung auswei- (Rems-Murr), Dr. Heinrich L. Kolb, Patrick ten und Selbsthilfeinitiativen unterstützen Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP – Drucksachen 16/3908, 16/4826 – Zuwanderung durch ein Punktesystem steu- Berichterstattung: ern – Fachkräftemangel wirksam bekämpfen Abgeordneter Markus Kurth – Drucksachen 16/8492, 16/10914 – Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich Berichterstattung: sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um Abgeordnete Reinhard Grindel die Reden folgender Kollegen und folgender Kollegin: Rüdiger Veit

1) Anlage 6 2) Anlage 12 20102 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Dr. Michael Bürsch Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: (C) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Sevim Dağdelen Haßelmann, Cornelia Behm, Kerstin Andreae, Josef Philip Winkler weiterer Abgeordneter und der Fraktion Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich Sicherung der interkommunalen Zusammen- sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um arbeit die Reden folgender Kollegen und folgender Kollegin: Stephan Mayer, CDU/CSU, Rüdiger Veit, SPD, Hartfrid – Drucksache 16/9443 – Wolff, FDP, Sevim Dağdelen, Die Linke, Josef Philip Überweisungsvorschlag: Winkler, Bündnis 90/Die Grünen.1) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Rechtsausschuss Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Finanzausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung desregierung eingebrachten Entwurf eines Arbeitsmigra- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union tionssteuerungsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- che 16/10914, den Gesetzentwurf der Bundesregierung sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich auf den Drucksachen 16/10288 und 16/10722 in der sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die folgende Kolleginnen und Kollegen: Dr. Georg Nüßlein, dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen CDU/CSU, Reinhard Schultz, SPD, Paul K. Friedhoff, wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent- FDP, Ulla Lötzer, Fraktion Die Linke, und Britta 2) haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen. ratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstim- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf men der Fraktion der FDP und Enthaltung der Fraktion Drucksache 16/9443 an die in der Tagesordnung aufge- Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke an- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- genommen. verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dritte Beratung Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 b auf: und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes (B) Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- (D) wurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stim- zur Modernisierung und Entbürokratisierung des Steuerverfahrens (Steuerbürokratieabbau- menergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. gesetz) Abstimmung über den von der Fraktion der FDP ein- – Drucksachen 16/10188, 16/10579 – gebrachten Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss- Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- empfehlung auf Drucksache 16/10914, den Gesetzent- schusses (7. Ausschuss) wurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9091 ab- – Drucksachen 16/10910, 16/10940 – zulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim- Berichterstattung: men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in Abgeordnete Antje Tillmann zweiter Beratung bei Gegenstimmen der FDP abgelehnt. Gabriele Frechen Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) tere Beratung. gemäß § 96 der Geschäftsordnung Tagesordnungspunkt 27 b. Wir setzen die Abstim- – Drucksache 16/10916 – mung zu der Beschlussempfehlung des Innenausschus- ses fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Be- Berichterstattung: schlussempfehlung auf Drucksache 16/10914 die Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf Carsten Schneider (Erfurt) Drucksache 16/8492 mit dem Titel „Zuwanderung durch Dr. Gesine Lötzsch Punktesystem steuern – Fachkräftemangel wirksam be- Alexander Bonde kämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- empfehlung ist mit den Stimmen der Fraktion Die Linke, sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich der SPD und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um und Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen ange- folgende Kolleginnen und Kollegen: Manfred Kolbe, nommen. CDU/CSU, Gabriele Frechen, SPD, Dr. Volker Wissing,

1) Anlage 13 2) Anlage 14 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20103

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) FDP, Dr. Barbara Höll, Fraktion Die Linke, und legt. Dabei ist ein Engagement bei der Kaupthing Bank. (C) Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.1) Hier dürfte eine Rückerstattung wohl mehr als kompli- ziert werden und fraglich sein. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung in Mein Ziel als Vorsitzender des Unterausschusses der Ausschussfassung anzunehmen, Drucksachen 16/10188, „ERP-Wirtschaftspläne“ ist es, die Substanz und Förder- 16/10579, 16/10910 und 16/10940. Ich bitte diejenigen, kraft des ERP-Sondervermögens in voller Höhe zu erhal- die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- ten. Trotz allem Vorgenannten halte ich jetzt eine Rolle men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – rückwärts für den falschen Weg, das ERP-Sondervermö- Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter gen wieder aus der KfW herauszulösen. Das würde in der Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung Finanzmarktkrise die Probleme verschärfen. Unser Ziel, der Opposition angenommen. die Finanzierungsbedingungen für den Mittelstand kon- kret und gerade jetzt zu verbessern, muss Priorität haben. Dritte Beratung Denn nach wie vor haben vor allem kleine und mittelstän- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem dische Unternehmen, aber auch Unternehmerpersönlich- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – keiten, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, ein Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf zu geringes Eigenkapitalpolster oder Probleme bei der ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koali- Fremdfinanzierung. Unser Mittelstand darf jetzt nicht tion bei Enthaltung der Opposition angenommen. durch unbesonnenes Handeln in die Kreditklemme kom- men. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Der Innovations- und Mittelstandsförderung kommt Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin nach wie vor große Bedeutung zu. Dazu werden Finanzie- Zeil, Rainer Brüderle, Ulrike Flach, weiterer Ab- rungen dringlich benötigt. Wenn ich mit Unternehmerin- geordneter und der Fraktion der FDP nen und Unternehmern gerade auch über Gründungen Mittelstandsförderung sichern – ERP-Vermö- von Unternehmen spreche, dann sagen sie mir: Das zen- gen aus der KfW Bankengruppe herauslösen trale Problem ist die Finanzierung. – Drucksache 16/8928 – Der Unterausschuss „ERP-Wirtschaftspläne“ hat sich Überweisungsvorschlag: in der letzten Zeit natürlich gerade aufgrund der Ge- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) schäftsvorgänge in der KfW und der allgemeinen Finanz- Finanzausschuss krise ausführlich mit der Frage befasst, welche Auswir- Haushaltsausschuss kungen die Vorgänge auf den Substanzerhalt des ERP- (B) Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Sondervermögens und die Förderfähigkeit haben werden. (D) Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um fol- In der letzten Sitzung des Unterausschusses „ERP-Wirt- gende Kolleginnen und Kollegen: Dr. Hans Michelbach, schaftspläne“ am 14. Oktober 2008 haben alle Vertreter, CDU/CSU, Garrelt Duin, SPD, Frank Schäffler, FDP, sowohl die der KfW, die des BMF als auch die des BMWi, Dr. Herbert Schui, Die Linke, Hans-Josef Fell, betont, dass das ERP-Vermögen in seiner Substanz und in Bündnis 90/Die Grünen. seiner Förderfähigkeit voll erhalten bleibt und die verein- barte faire Lastenverteilung eingehalten wird. Das BMWi hat in der Sitzung ausgeführt, dass der Bund aus seinen Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Sondergewinnrücklagen zeitnah in 2008 einen temporä- Niemand kann bestreiten, dass die KfW einige nicht ren Ausgleich in Höhe von 300 Millionen Euro zugunsten akzeptable Managerfehler zu verkraften hat und ein star- des Sonderrücklagenkontos des ERP-Sondervermögens ker Gewinneinbruch zu erwarten ist. Ich kann Ihnen ver- zur Verfügung stellt. Der Betrag dient als Abschlagszah- sichern, dass ich über die Geschäftsvorgänge der KfW lung und soll ein erstes Signal sein, dass man zu den Ver- aus Sorge um das ERP-Sondervermögen nicht glücklich einbarungen steht. bin. Ich kann Ihnen aus meiner Unternehmerpraxis je- doch auch sagen, dass man für das Krisenmanagement Sobald das ERP-Sondervermögen in einem Bilanzjahr Ruhe und Besonnenheit haben sollte. Dies sollten wir be- wieder Erträge erzielt, die den vereinbarten Benchmark herzigen, wollen wir insgesamt den Instituten nicht weiter zuzüglich Inflationsausgleich gewährleistet, wird man Schaden zufügen. Wir sollten eine klare Analyse treffen den den Benchmark übersteigenden Ertrag aus dem für und zukunftsgerechte Lösungen schaffen. das ERP-Sondervermögen geführten Sondergewinnrück- lagenkonto auf das für den Bund geführte Sonderrückla- Welcher Sachstand ist uns bekannt? Erstens. Am genkonto zurückbuchen. Die Rückbuchungen erfolgen so 15. September 2008 hat die KfW rund 300 Millionen lange, bis eine vollständige Kompensation des vom Bund Euro an die bereits insolvente US-Investmentbank geleisteten Umbuchungsbetrages erreicht ist. Dabei han- Lehman Brothers überwiesen. Die Summe war Bestand- delt es sich um eine Vorsorgemaßnahme, damit man die teil mehrerer vereinbarter Termingeschäfte. ERP-Förderung ungeschmälert fortführen kann. Zweitens. Die bislang letzte Hiobsbotschaft ereilte uns Die Höhe des wahrscheinlichen Verlusts für die KfW am 6. November: Die KfW-Bankengruppe hat rund ist eine Frage, die sich in Zukunft stellen wird. Entschei- 288 Millionen Euro bei mehreren Banken in Island ange- dend ist, dass man für die Gegenwart ein klares Signal ge- schaffen hat, nämlich belastbare Verhältnisse. Das BMF 1) Anlage 15 hat seine Zusage, die Förderfähigkeit des ERP-Sonder- 20104 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) vermögens sicherzustellen, eingehalten. Das findet auch Vermögen. Um das ERP-Vermögen effektiv für die Wirt- (C) Ausdruck im Wirtschaftsplan, der dem Ausschuss zur Be- schaft zu nutzen, werden für das Fördergeschäft 300 Mil- ratung vorliegt. lionen Euro, für den Substanzerhalt 290 Millionen plus Inflationsausgleich benötigt. 459 Millionen Euro der Man kann sicher erwarten, dass die Geschäftsbilanz 590 Millionen Euro sind dabei völlig unabhängig von der der KfW in diesem Jahr und unter Umständen auch im Bilanzierung und der Gewinnentwicklung der KfW. Die nächsten Jahr negativ ausfallen wird. Aber die restlichen 130 Millionen können mangels Gewinn der 300 Millionen Euro des BMF sind geeignet, die Förder- KfW nicht bereitgestellt werden. fähigkeit sicherzustellen. In der Frage der Verzinsung ha- ben sich BMWi und BMF allerdings noch nicht verstän- Das Bundesfinanzministerium hat vor, eine Umbu- digt. Diese Vereinbarung muss jetzt dringlich erfolgen. chung in Höhe von 300 Millionen Euro zugunsten des Für weitere Verzögerungen gibt es kein Verständnis. Es ERP-Vermögens vorzunehmen, um dessen Fördervolu- braucht Vertrauen. Die KfW stellt 460 Millionen Euro un- men „ungeschmälert“ sicherzustellen. Dabei handelt es abhängig vom Jahresergebnis bereit. Das stärkt das Ver- sich um ein Darlehen, das zurückgebucht werden soll, so- trauen, dass man die Festlegungen für die Erhaltung des bald das ERP-Vermögen wieder Erträge erzielt. ERP-Sondervermögens einhalten wird. Aus Sicht der KfW wäre diese Situation auch eingetre- Der Bundesrechnungshof überprüft die jeweilige Ent- ten, wenn es im vergangenen Jahr die Neuordnung des wicklung und wird den Sachverhalt im Auge behalten. ERP-Vermögens nicht gegeben hätte. Der KfW-Sprecher Der Bundesrechnungshof ist vom Unterausschuss „ERP- sagte, er gehe davon aus, dass die Gesamtförderfähigkeit Wirtschaftspläne“ mit der Erstellung eines Gutachtens auf dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre beibe- beauftragt worden. Gegenstand des Berichts des Bundes- halten werden könne. rechnungshofs sollen mögliche Risiken für die ERP-Wirt- Der Bundesrechnungshof teilte mit, dass die Förderfä- schaftsförderung und den Substanzerhalt des ERP-Son- higkeit des ERP-Vermögens mit fester Verzinsung sicher- dervermögens sein. gestellt sei, in der Frage des Substanzerhalts jedoch Ich kann Ihnen heute versichern, dass ich mich weiter 130 Millionen Euro fehlten. Dass nun 300 Millionen Euro dafür einsetzen werde, dass dem Mittelstand weiterhin so bereitgestellt würden, stelle noch keine „Substanzstär- viel Förderung wie möglich zugute kommt. Denn eines kung“ dar, sondern sei lediglich ein Liquiditätszufluss. weiß ich als Unternehmer nur zu gut: Die Gründung und Die Alternative zu dem Darlehen sei eine „tatsächliche der Erhalt eines Unternehmens und damit die Schaffung Kapitalübertragung“ zum Ausgleich von Substanzverlus- von Arbeitsplätzen stehen und fallen mit der Finanzie- ten. Wir müssen an dieser Stelle überlegen, ob es nicht ein rung. sinnvollerer Weg wäre, das Kapital an das ERP-Sonder- (B) vermögen zu übertragen und es dort auch zu belassen. (D) Garrelt Duin (SPD): Der Vorstandsvorsitzende der KfW Bankengruppe Dr. Angefangen vom Wiederaufbau über die Unterstüt- Ulrich Schröder erklärte: zung exportintensiver Industrien und Investitionen sowie Die KfW hat trotz der weiter verschlechterten Lage den Umweltschutz bis hin zu Beteiligungskapital für tech- an den Kapitalmärkten und der verstärkten kon- nische Innovationen – die Geschichte der ERP-Förde- junkturellen Abschwächung ihre Förderaktivitäten rung liest sich wie die Erfolgsgeschichte des Wirtschafts- auf hohem Niveau weitergeführt. Wir werden auch standortes Deutschland. Anhand dieser Entwicklung weiterhin als wichtiger Finanzierungspartner be- wird ganz klar, welche Bedeutung das ERP-Vermögen für reitstehen und gerade im Rahmen der Finanzkrise zahlreiche Wirtschaftsunternehmen, aber auch für die unseren Aufgaben als größte deutsche Förderbank wirtschaftliche Position Deutschlands weltweit hat. nachkommen. So wollen wir mithelfen, möglichen Wir haben das ERP-Sondervermögen im vergangenen negativen Auswirkungen zum Beispiel bei der Kre- Jahr in die Obhut der KfW-Bankengruppe übertragen. ditvergabe entgegenzuwirken. Mit der KfW wurde ein im Bereich Mittelstandsförderung Und genau das ist es, was wir in der Zeit unsicherer Fi- kompetenter Partner mit ins Boot genommen. Durch nanzmärkte brauchen: eine verlässliche Zusammenarbeit diese Zusammenarbeit haben wir Effizienzsteigerung und und eine breite Förderung. Denn unser vorrangiges Ziel Bürokratieabbau erreicht. Es war trotz der jetzigen Pro- ist und bleibt es, die Investitionsfähigkeit mittelständi- bleme eine richtige Entscheidung. Man darf Manage- scher Unternehmen langfristig zu sichern und die Grün- mentfehler – die ich an dieser Stelle sicherlich nicht dung neuer Unternehmen zu unterstützen. Das Fördervo- schönreden will – nicht mit grundsätzlicher Inkompetenz lumen und die Förderintensität des ERP bleiben dabei seitens der KfW gleichsetzen. Die Herausnahme des bestehen. Das in der KfW angelegte Sondervermögen ERP-Vermögens aus der KfW, wie sie im FDP-Antrag ge- bleibt ausdrücklich weiterhin der Wirtschaftsförderung fordert wird, wäre die endgültige Bankrotterklärung für erhalten. Wir wollen mit der Wirtschaftsförderung weiter- die KfW. Das kann und darf nicht unser Ziel sein. hin zukunftsorientierte Akzente setzen. Unsere Politik setzt eindeutige Zeichen für nachhaltige Belebung und Die Auswirkungen des Verkaufs der IKB-Bank an den Stützung der wirtschaftlichen Dynamik im Mittelstand. US-Finanzinvestor Lone Star und der Vorgänge um die insolvente Investmentbank Lehman Brothers führen dazu, Die ERP-Förderung von Existenzgründern sowie klei- dass die KfW im Geschäftsjahr 2008 einen Verlust aus- nen und mittleren Unternehmen stärkt den Standort weisen wird. Dies hat auch Auswirkungen auf das ERP- Deutschland und damit die Position im Rahmen des eu-

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20105

Garrelt Duin (A) ropäischen und des globalen Standortwettbewerbs. Nicht rechnungshof in einer Stellungnahme ausdrücklich an- (C) zuletzt stellt sie einen wichtigen Beitrag zur Lösung der merkt und kritisiert. Der Bund war davon ausgegangen, Beschäftigungsprobleme dar. Denn neue Betriebe und die dass die KfW die entsprechenden Beträge für das ERP- Ausweitung mittelständischer Unternehmen wirken sich Sondervermögen erwirtschaften könne, ein Traum, der positiv und nachhaltig auf den Arbeitsmarkt aus. Die Fi- aufgrund der Finanzkrise und vor allem wegen des En- nanzierung von betrieblichen Umweltprojekten und gagements der KfW bei der Krisenbank IKB wie eine Sei- neuen Energiequellen leistet einen wichtigen Beitrag für fenblase geplatzt ist. unsere ökologischen Zielsetzungen. Gerade in struktur- schwachen Regionen ist das ERP ein wichtiges Förder- Eine Bedingung für die im Juli 2007 in Kraft getretene mittel, besonders für die kleinen und mittelständischen Neuordnung des ERP-Sondervermögens war, dass sich Unternehmen. seine Substanz und Förderkraft nicht verschlechtern dür- fen. Genau dies ist aber eingetreten. Das widerspricht Diese Ziele haben wir mit dem vereinbarten Konjunk- eindeutig dem ERP-Gesetz und ist nicht hinnehmbar. Die turpaket nachdrücklich unterstrichen. Hier haben wir die FDP-Bundestagsfraktion hat eine solche Entwicklung Mittel für die KfW ausgeweitet. Um die Kreditversorgung von Anfang an befürchtet. Deshalb haben wir die Neuord- der Wirtschaft und insbesondere des Mittelstands auch nung des ERP-Sondervermögens immer entschieden ab- bei Engpässen im Bankenbereich zu sichern, wird bei der gelehnt. Wir haben kritisiert, dass ohne ersichtlichen KfW zeitlich befristet bis Ende 2009 ein zusätzliches Fi- Mehrwert mit einer 53 Jahre alten bewährten Praxis ge- nanzierungsinstrument mit einem Volumen von bis zu brochen und die Mittelstandsgelder aus der Verfügungs- 15 Milliarden Euro geschaffen, mit dem das Kreditange- gewalt des Bundeswirtschaftsministeriums gelöst und bot der privaten Bankwirtschaft verstärkt wird. In diesem dem KfW-Vorstand unterstellt wurden. Aus unserer Sicht Zusammenhang sind auch Haftungsübernahmen durch bestand der wichtigste Grund dafür darin, dass das Bun- die KfW von bis zu 80 Prozent und eine Abdeckung des desfinanzministerium seinen Einflussbereich ausweiten Bankenrisikos der KfW vorgesehen, die durch eine ent- und über seine „Hausbank“ KfW die Mittelstandsförde- sprechende Bundesgarantie unterlegt werden. Die EU- rung stärker an sich binden wollte. Kommission wird in das Vorhaben eingebunden. Auch erlaubte es dieser Coup dem Finanzministerium, Das ist doch genau das, was wir mit unserer Politik er- die Herauslösung von 2 Milliarden Euro aus dem ERP- reichen wollen: Wir wollen den Mittelstand stärken und Sondervermögen und deren Einstellung in den Haushalt die Menschen in Deutschland am Aufschwung teilhaben relativ geräuschlos über die Bühne zu bringen. Ein bei- lassen. spielloser Vorgang, der deutlich machte, dass die Bundes- regierung keine Hemmungen hat, den bislang immer ri- gide gehüteten Bestand des ERP-Sondervermögens als (B) Frank Schäffler (FDP): (D) Wenn es unseren Antrag noch nicht geben würde, dann Steinbruch zu benutzen, um ihre Haushaltslöcher zu stop- müsste man ihn jetzt einbringen, denn er war niemals ak- fen. tueller und dringlicher als zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Nun muss der Mittelstand die Suppe auslöffeln, die die Warum? Weil Substanz und Förderkraft des ERP-Sonder- Bundesregierung ihm ohne Not versalzen hat. Zwar war vermögens aufgrund der negativen Geschäftsbilanz der das Bundesfinanzministerium sehr eifrig, als es darum Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in diesem und aller ging, dem Bundeswirtschaftsministerium die Oberhoheit Voraussicht nach auch in den nächsten Jahren akut ge- über das ERP-Sondervermögen zu entwinden, aber jetzt, fährdet sind. wo es gilt, die entstandenen Finanzlöcher zu stopfen, hält Rekapitulieren wir noch einmal: Seit der Neuordnung sich das Ministerium äußerst bedeckt. Da ist bestenfalls des ERP-Sondervermögens im Juli 2007 wird die Wirt- ein Kredit drin, für den wahrscheinlich auch noch saftige schaftsförderung nicht mehr durch Darlehen, sondern Zinsen anfallen. Wie das ERP-Sondervermögen diese aus den Erträgen des Sondervermögens finanziert. Für Schulden angesichts der eklatanten Ertragsschwäche der die Mittelstandsförderung wurde eine jährliche Zielgröße KfW wieder loswerden soll, das interessiert Herrn von 300 Millionen Euro angesetzt, für den Substanzerhalt Steinbrück offenbar weit weniger. Wir erwarten vom Fi- jährliche (Zins-)Erträge von 290 Millionen Euro als not- nanzminister, dass er nicht wortbrüchig wird und eine wendig berechnet. Um das vorgesehene Fördervolumen Zerschlagung des ERP-Vermögens verhindert. Dazu wird zu sichern, ist der Bund jetzt allerdings gezwungen, dem er notfalls auch Kapital an das Sondervermögen übertra- ERP-Sondervermögen ein Darlehen in Höhe von 300 Mil- gen müssen. lionen Euro zu gewähren; denn es gibt 2008 eine Unter- Wir unterstreichen noch einmal, was wir in unserem deckung von 130 Millionen Euro. Im nächsten Jahr ist Antrag gefordert haben: dass die Neuordnung der ERP- Ähnliches zu erwarten. Für diesen Kredit wird das ERP- Wirtschaftsförderung, die sich bereits nach kurzer Zeit er- Sondervermögen Zinsen in noch unbekannter Höhe zah- kennbar nicht bewährt hat, wieder rückgängig gemacht len müssen, die zusätzlich an seiner Substanz zehren wer- wird. den. Dass die Situation brenzlig ist, spiegelt sich auch im Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): ERP-Wirtschaftsplan 2009 wider, in dem die Bundesre- Das ERP-Sondervermögen erfüllt eine wichtige Funk- gierung sich bewusst nebulös bzw. gar nicht zu den in tion. Es ermöglicht die Ausgabe von zinsgünstigen Kredi- künftigen Jahren entstehenden Risiken und Belastungen ten an kleine Unternehmen. Die Bundesregierung hat im des ERP-Sondervermögens äußert, was auch der Bundes- letzten Jahr dieses Sondervermögen des Bundes auf die

Zu Protokoll gegebene Reden 20106 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dr. Herbert Schui (A) KfW übertragen mit dem Argument, dass es dort beson- bemüßigt, den Hauptteil der IKB-Lasten zu übernehmen. (C) ders gut angelegt sei. Damit hat das BMF gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Vordergründig hat das BMF selbst Geld ge- Die Operation war mit großen Vorteilen für den Bun- spart, da ja die KfW statt des Bundes einsprang. deshaushalt verbunden. Da lag die Vermutung nahe, dass den Vorteilen für den Bundeshaushalt entsprechende Vor allem aber hat das BMF mit dieser Aktion so gut es Nachteile für das Sondervermögen gegenüberstehen ging das eigene Versagen in der IKB-Aufsicht übertüncht. würden. Schließlich ist nicht zu erwarten, dass sich durch Zuständig für die mangelnde Aufsicht war der damalige das Umsortieren von Vermögenswerten das Gesamtver- BMF-Abteilungsleiter Asmussen. Zum Dank für sein Ver- mögen steigern lässt. sagen wurde er mittlerweile zum Staatssekretär befördert. Und so kam es dann auch. Die Bewertung des Forde- Doch zurück zum ERP-Sondervermögen. Dieses hatte rungsvermögens wurde, wie der Bundesrechnungshof das Pech, dass es mittlerweile den größten Teil seines feststellte, „politischen Zielsetzungen unterworfen“. Das Vermögens in die KfW investiert hatte. Folglich muss es Bundesfinanzministerium hob stille Reserven in der Bi- auch einen großen Teil der Verluste tragen. Der Schaden lanz des Sondervermögens und eignete sie sich an, laut für das ERP-Sondervermögen dürfte zwischen 4 und Rechnungshof in Höhe von 373 Millionen Euro. Im Zuge 4,5 Milliarden Euro betragen. Die Bundesregierung und der Auflösung von Rückstellungen übernahm der Bund die KfW tun alles, um diesen Substanzverlust zu übertün- tatsächliche Risiken in Höhe von 437 Millionen Euro und chen. Dass dies immer schwerer fällt, zeigen die jüngsten bekam zum Ausgleich 1 Milliarde Euro in bar aus dem Berichte des Bundesrechnungshofes. Die Berichte zeigen ERP-Vermögen. Die Lasten aus der gebündelten Über- auf, dass die Substanz des ERP-Sondervermögens infrage tragung von Forderungen und Verbindlichkeiten auf den gestellt ist und dass in den nächsten Jahren ein Rückgang Bund sollten, so war vereinbart, fair geteilt werden. Tat- der Förderung zu befürchten ist. sächlich trägt das Sondervermögen mit 976 Millionen Euro deutlich mehr als der Bund. Die Tragik für den Mittelstand liegt darin, dass genau dann, wenn die KfW und das ERP-Sondervermögen be- Die Bundesregierung sagte dennoch verbindlich zu, sonders gebraucht werden, diese staatlichen Geldgeber dass die Substanz des Sondervermögens und seine För- ausgedörrt sind. Jetzt, zu Beginn der Wirtschaftskrise, derleistungen erhalten bleiben sollen. Ausgerechnet die sind die wichtigsten Finanzierungsinstrumente weitge- Anlage in der KfW sollte die notwendigen Erträge si- hend lahmgelegt. Die Politik des Bundesfinanzministe- chern. Daraus wird nun nichts, nachdem die Bundesre- riums verursacht große Schäden im deutschen Mittel- gierung der KfW erst die Verluste der IKB zugeschoben stand, der gerade jetzt auf eine finanzkräftige KfW und hat und sie dann dazu bewegt hat, ihre Anteile an der sa- (B) ein finanzkräftiges ERP-Sondervermögen angewiesen (D) nierten IKB an einen Finanzinvestor praktisch zu ver- wäre. schenken. Die KfW macht bis auf Weiteres Verlust. Also fehlen Hätten die verantwortlichen Akteure im Bundesfinanz- dem ERP-Sondervermögen jährlich 130 Millionen Euro. ministerium Charakter, würden sie die Verantwortung für Das Bundesfinanzministerium möchte nun mit einem Kre- den Schaden übernehmen, den sie zu verantworten ha- dit über 300 Millionen Euro aushelfen, den das Sonder- ben. Aber gerade das wollen sie nicht. Es kommt sogar vermögen zurückzahlen soll, wenn die KfW-Anteile ein- noch schlimmer: Um von den Fehlern und den Schäden mal mehr Ertrag abwerfen als erwartet. Worauf das abzulenken, hat das BMF zwar vor einem Dreivierteljahr hinausläuft, ist völlig klar: Die Verbindlichkeiten des zugesagt, dass die Schäden, die das ERP-Sondervermö- Sondervermögens gegenüber dem Bund werden wachsen, gen aus den IKB-Verlusten erleidet, ausgeglichen werden bis die Förderleistung zurückgefahren wird. Da trifft es sollen. Selbstverständlich hat man im BMF aber keine Se- sich gut, dass dies für die nächsten Jahre ohnehin geplant kunde daran gedacht, dieses Versprechen zu halten. ist: Nach 300 Millionen Euro Förderleistung im Jahr Bis heute liegt dazu noch keine Einigung in der Bun- 2009 soll sie auf 228 Millionen im Jahr 2010 sinken. desregierung vor. Es gibt keinen Grund für das Bundes- Es ist genau das eingetreten, was wir befürchtet haben. wirtschaftsministerium, dem BMF bei dessen Wortbruch Wer das ERP-Sondervermögen als Mittel der Wirtschafts- auch noch Hilfestellung zu geben. Das BMF will doch tat- politik erhalten wollte, konnte der Übertragung auf die sächlich für den Verlustausgleich nur einen Kredit zur KfW nicht zustimmen. Er muss nach den vorliegenden Verfügung stellen, den das ERP-Sondervermögen danach Zahlen dafür sein, die Übertragung rückgängig zu ma- brav verzinst zurückzahlen darf. Alle reden im Zusam- chen. Die Kosten für die komplizierten Finanztransaktio- menhang mit der Finanzmarktkrise von einer Vertrauens- nen, die dafür notwendig waren, lassen sich dadurch al- krise, und der Bundesfinanzminister weigert sich, sein lerdings nicht wieder hereinholen. Wort zu halten, das er auch gegenüber dem Parlament ge- geben hat. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als Folge des Wortbruchs sind wir in der absurden Si- Das Bundesfinanzministerium hat ganze Arbeit geleis- tuation, dass die Unternehmen des Mittelstandes mit ver- tet. Zuerst hat es große Teile des ERP-Sondervermögens schlechterten Kreditkonditionen und Kreditzugängen ei- gegen den Widerstand des Parlaments in die KfW ge- nen Großteil der Last der IKB-Verluste tragen müssen. drückt. Nur wenige Wochen nachdem das Geld bei der Dies wurde bis heute von keinem politischen Gremium so KfW auf den Konten einging, hat es dann die KfW dazu beschlossen. Aber das sind die Fakten, auch wenn das

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20107

Hans-Josef Fell (A) Bundesfinanzministerium sehr darum bemüht ist, die Tat- delt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: (C) sachen unter den Tisch zu kehren. Wolfgang Meckelburg, CDU/CSU, Wolfgang Grotthaus, SPD, Dr. Heinrich Kolb, FDP, Dr. Barbara Höll, Die Was muss getan werden? Hier muss das Verursacher- Linke, Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen, und prinzip gelten. Die verursachten Schäden sind durch das den Parlamentarischen Staatssekretär Klaus Brandner.1) Bundesfinanzministerium zu tragen. Das heißt: Zum ei- nen muss die verloren gegangene Vermögenssubstanz in Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Höhe von mindestens 4 Milliarden Euro vom Bundesfi- Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp- nanzministerium an das ERP-Sondervermögen übertra- fehlung auf Drucksache 16/10901, den Gesetzentwurf gen werden. Ein Teil dieser Mittel kann von BMF-Betei- der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/10289 ligungen an der KfW auf das ERP-Sondervermögen und 16/10693 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich übertragen werden. bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Darüber hinaus muss das BMF im Rahmen des ERP- Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist Gesetzes gesetzlich dazu verpflichtet werden, einen Aus- damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali- gleich für die Mittel zu leisten, die jährlich weniger zur tion bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen Verfügung stehen, als dies in der Benchmark, inklusive und Enthaltung der FDP und der Fraktion Die Linke an- Inflationsausgleich, vorgesehen war. Nur so kann die genommen. Substanz und die Förderung erhalten bleiben. Die Bun- desregierung will Hunderte Milliarden für die Finanz- Dritte Beratung märkte zur Verfügung stellen. Die Stärkung des ERP-Son- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem dervermögens und der KfW hat sie in all der Eile Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – übersehen. Dies muss jetzt korrigiert werden. Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist Das ERP-Sondervermögen wieder aus der KfW he- damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergeb- rauszulösen, ist zwar im Grundsatz richtig, würde aber nis wie in der zweiten Beratung angenommen. angesichts der veränderten Verhältnisse die KfW quasi Abstimmung über den Entschließungsantrag der pleite machen, was auch nicht im Sinne der Mittelstands- Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10907. Wer förderung sein kann. Die Herauslösung des ERP-Sonder- stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt vermögens aus der KfW hätte eine drastische Verringe- dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag rung des Eigenkapitals der KfW zur Folge. Wie die KfW ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei im Falle der ERP-Herauslösung handlungsfähig gehal- Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstim- ten werden kann, sagt uns der FDP-Antrag leider nicht. men der Fraktion Die Linke abgelehnt. (B) Für die Mittelstandsförderung brauchen wir aber sowohl (D) ein starkes ERP-Sondervermögen als auch eine hand- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: lungsfähige KfW. Darauf hat die FDP in ihrem Antrag Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- keine Antwort gegeben. richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Drucksache 16/8928 an die in der Tagesordnung aufge- LINKE führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Wohnungslosigkeit vermeiden – Wohnungs- so beschlossen. lose unterstützen – SGB II überarbeiten Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: – Drucksachen 16/9487, 16/10906 – Berichterstattung: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die für die Absicherung flexibler Arbeitszeitrege- Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um fol- lungen gende Kolleginnen und Kollegen: Maria Michalk, CDU/ CSU, Gabriele Lösekrug-Möller, SPD, Heinz-Peter – Drucksachen 16/10289, 16/10693 – Haustein, FDP, Katja Kipping, Die Linke, Markus Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Kurth, Bündnis 90/Die Grünen. ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – Drucksache 16/10901 – Maria Michalk (CDU/CSU): Heute steht der Antrag der Fraktion Die Linke zur ab- Berichterstattung: schließenden Beratung an. Seit der ersten Lesung am Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb 16. Oktober 2008 können wir keinen Erkenntnisgewinn Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion verzeichnen, der etwa die Berechtigung dieses Antrages Die Linke vor. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die im Nachhinein verdeutlicht. Die Zahl der wohnungslosen Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es han- 1) Anlage 16 20108 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Maria Michalk (A) Personen hat einen rückläufigen Trend. Unter anderem che Haushalte außerhalb des Sozialgesetzbuches. Und (C) hat das in einer verbesserten Beratungsleistung vor Ort wie immer ignorieren die Linken den Beschluss der Ko- seine Begründung. Damit ist eine der Forderungen aus alition, die Wohngeldnovelle rückwirkend auf den 1. Ok- dem Antrag gegenstandslos. Selbstverständlich ist, dass tober 2008 in Kraft zu setzen, damit die Vorteile schon in von den handelnden Verantwortlichen in den Städten und dieser Heizperiode genutzt werden können. Gemeinden immer und immer wieder hinterfragt wird, ob die Beratungsleistungen quantitativ und qualitativ opti- Wohnungslosigkeit ist nicht eine Frage des Angebotes mal organisiert sind. Dieser Prozess liegt allein im Hand- von Wohnungen, sondern oft auch Ergebnis von persön- lungsspielraum dort und nicht beim Bundesgesetzgeber. lichen Entscheidungen von Wohnungslosen. Sie haben sich aus unterschiedlichen Gründen zu diesem Leben ent- Dass diese Beraterarbeit immer besser organisiert schieden. Hier gibt es viele Lebensschicksale. Auch die- wird, belegt die prognostizierte Zahl von wohnungslosen sen Menschen zu helfen, damit sie Anlaufpunkte haben Kindern und Jugendlichen. Die 2003 prognostizierte und Versorgung bekommen, ist eine öffentliche Aufgabe, Zahl ist nicht eingetreten. Sie hat sich dankenswerter- die in Deutschland sehr ernst genommen wird. Ich weise halbiert. Dazu hat ein Bündel von Maßnahmen vor möchte diese Debatte dafür nutzen, den vielen sozialen allem im SGB-II-Bereich beigetragen, das ich noch ein- Einrichtungen vor Ort und den ehrenamtlichen Helfern mal zusammenfassen möchte. für ihr Engagement zu danken. Erstens. Durch die Übernahme der Kosten für Unter- Um Wohnungslosigkeit zu vermeiden, werden wir auch kunft und Heizung sowie Erstausstattungen für die Woh- weiterhin die Arbeit der Bundesarbeitsgemeinschaft nung einschließlich Haushaltgeräte ist sichergestellt, Wohnungslosenhilfe unterstützen, die dieses Jahr rund dass es einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nicht an 240 000 Euro erhält. den erforderlichen Mitteln fehlen muss, damit er mit den Zusammenfassend kann man feststellen, dass wir in zu seiner Bedarfsgemeinschaft gehörenden Personen in unserem Land eine Fülle von sozialen Leistungen einge- einer angemessenen und mit den notwendigen Einrich- führt haben, die genutzt werden, Menschen in schwieri- tungsgegenständen ausgestatteten Wohnung leben kann. gen Situationen zu helfen. Die beste Hilfsmöglichkeit ist Zweitens. Wohnbeschaffungs- und Umzugskosten so- aber in jedem Fall das Angebot bzw. die Aufnahme einer wie eine Mietkaution können bei entsprechender Zusiche- Arbeit. Auch die Vielfalt der Beschäftigungsmöglichkei- rung des Grundsicherungsträgers übernommen werden. ten in den Kommunen ist zu würdigen und muss weiter ge- Dabei wird die Mietkaution in der Regel in Form eines nutzt werden. Darlehens erbracht. Dies so umzuwandeln, dass statt ei- Sein Dach über dem Kopf zu haben, ist ein Grundbe- nes Darlehens in der Regel Beihilfe gezahlt wird, wie im (B) dürfnis eines jeden Menschen, dem sich unser Staat in der (D) Antrag gefordert, ist allein aus dem Gleichheitsgrundsatz Verantwortungszuständigkeit unserer föderalen Struktur unmöglich. Denn Arbeitnehmer mit geringem Einkom- ausgesprochen intensiv widmet. Deshalb betrachten wir men, denen auch keine Aufstockung zusteht, wären un- den vorliegenden Antrag als gegenstandslos. Wir werden proportional belastet. ihn ablehnen. Drittens. Die Unterstützung für die Unterkunft wird grundsätzlich in Form von Geldleistungen ausgezahlt. Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Um trotz dieser Regelung das Mietverhältnis durch aus- Leider ist der Antrag der Linken von der ersten Lesung bleibende Mietzahlungen nicht zu gefährden, soll jedoch bis heute nicht besser geworden. Wie auch? Er erweckt der zuständige Träger die Kosten für Unterkunft und Hei- nach wie vor den Eindruck, dass das ALG II die Vorstufe zung ausnahmsweise direkt an den Vermieter oder andere zur Wohnungslosigkeit ist. Derartige Ängste zu schüren, Empfangsberechtigte zahlen. Damit ist die zweckentspre- ist vollkommen fehl am Platz. Insofern wäre es durchaus chende Verwendung der Leistungen für Unterkunft und angemessen, die Rede vom 16. Oktober 2008 zu wieder- Heizung durch den Hilfebedürftigen gesichert, wenn er es holen. Ich will davon absehen und die Zeit nutzen, einiges selbst nicht gewährleisten kann. Auch das ist eine soziale noch einmal klar zu stellen, was in Ihrem Antrag tenden- Leistung und mit Verwaltungsaufwand auf Kosten des ziös bis unzutreffend formuliert ist. Steuerzahlers verbunden. Ich erinnere auch an die Mög- lichkeit der Schuldenübernahme. Wir sorgen dafür, dass Menschen nicht wohnungslos werden. Deswegen heißt es im Sozialgesetzbuch, SGB II, Soweit zum Bereich der Grundsicherung. § 22 (1): „Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, Verweisen will ich des Weiteren auf die Regelungen soweit diese angemessen sind. Das heißt, der Staat wird zum Wohngeld. Es leistet einen wichtigen Beitrag zur so- in dieser Vorschrift seiner Fürsorgepflicht gerecht. Die zialen Absicherung des angemessenen und familienge- Kosten der Unterkunft werden vom Staat getragen, und rechten Wohnens. Zum 1. Januar 2009 tritt die Wohngeld- zwar vollumfänglich in der Höhe der tatsächlich entstan- novelle in Kraft. Die Wohngeldtabellenwerte werden um denen Kosten, sofern diese angemessen sind. 8 Prozent und die Miethöchstpreise um 10 Prozent er- höht. Dafür werden insgesamt 520 Millionen Euro aufge- Sie verlangen Mietschuldenübernahme als Regelfall wandt. Zukünftig werden erstmals die Heizkosten in pau- im SGB II. Für die Sicherung der Unterkunft ist eine schalierter Form einbezogen. Damit erreichen wir in Übernahme von Mietschulden im Rahmen des Ermessens Verbindung mit dem reformierten Kinderzuschlag eine möglich, ein Darlehen ebenso. Damit kann sehr wohl spürbare Entlastung für etwa 70 000 einkommensschwa- Wohnungslosigkeit abgewendet werden.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20109

Gabriele Lösekrug-Möller (A) Sie verlangen die komplette Streichung des § 7 Abs. 4, dir die Wohnung, und dann kämpft nur noch die Linke für (C) SGB II, und – das sagte ich bereits im Oktober – damit deine Rechte. – Armes Deutschland – wenn das so wäre. schießen sie weit über ein möglicherweise sinnvolles Ziel hinaus. Ich halte davon ebenso wenig wie von rosa Brillen. Man muss auf das, was ist, schauen, das Gute erkennen Das Versagen von Leistungen zur Grundsicherung von bzw. anerkennen, Schwächen oder Fehler erkennen und Arbeitssuchenden nach einem Aufenthalt in einer vollsta- besser werden. Das ist mühsamer, das ist schwieriger, tionären Einrichtung von länger als sechs Monaten ist aber ehrlicher und am Ende die bessere Politik. sinnvoll geregelt. Gesetzesbegründung und Kommentie- rung belegen dies. Die besondere Situation wohnungslo- Heinz-Peter Haustein (FDP): ser Erwerbsfähiger in stationären Einrichtungen ist nicht Niemand möchte, dass Menschen wohnungslos wer- der Regelfall. Deshalb ist diese jeweils zu prüfen. Sie kön- den. Wir müssen alles dafür tun, dass den Betroffenen die nen davon ausgehen, dass eine entsprechende Rechtspre- notwendige Unterstützung zuteil wird. Deswegen heißt es chung ganz sicher weder von Parlament noch Bundesre- auch in § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch III: gierung missachtet wird. Daraus jedoch eine komplette Streichung des § 7 Abs. 4 SGB II abzuleiten, ist unange- Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in messen. der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen er- bracht, soweit diese angemessen sind. Sie wollen einen Rechtsanspruch auf Kostenüber- nahme für alle unter 25-Jährigen, die umziehen – wir ha- Das gilt es zu allererst festzustellen, wenn wir hier ben ihn aus guten Gründen eingeschränkt. Die Zustim- über das Problem der Wohnungslosigkeit reden. Das mung des Leistungsträgers ist erforderlich, und sie heißt, dass es Wohnungslosigkeit, wie die Fraktion Die erfolgt bei Bedarf. Diese Einzelfallentscheidungen im Linke sie mit dem vorliegenden Antrag thematisiert, ei- Rahmen des Ermessens sind nötig und durch Sozialge- gentlich gar nicht geben dürfte. Denn der Staat trägt ja richte überprüfbar. Zu den Sanktionen im Rahmen der über diese Vorschrift bereits heute die Kosten der Unter- Leistungen Kosten zur Unterkunft habe ich in meiner kunft, und zwar nicht in begrenzter Höhe in Form be- Rede am 16. Oktober 2008 ausführlich den SGB-II-Kom- stimmter Sätze, sondern vollumfänglich in der Höhe der mentar zu § 31 Abs. 5 SBG II zitiert. Dem ist nichts mehr tatsächlich entstandenen Kosten, sofern diese angemes- hinzuzufügen. Dies gilt auch für Ihre Forderung, von Ge- sen sind. Der Staat wird in dieser Vorschrift des SGB II walt betroffene Frauen präventiv vor Wohnungsverlust zu seiner Fürsorgepflicht gerecht. Dass damit auch Pflich- schützen. Vielleicht haben Sie die Zwischenzeit genutzt ten des Leistungsempfängers verbunden sind, muss und dazu den Aktionsplan II der Bundesregierung zur Be- selbstverständlich sein. (B) kämpfung von Gewalt gegen Frauen gelesen und sich Die Linke fordert in ihrem Antrag eine Reihe von Maß- (D) über das breite Spektrum an Maßnahmen informieren nahmen, auf die ich gerne im Einzelnen eingehen möchte: können. Erstens. Zunächst soll im SGB II die Möglichkeit ge- Nun zum Wohngeld: Das Wohngeld leistet einen wich- schaffen werden, dass der Staat bestehende Mietschulden tigen Beitrag zur sozialen Absicherung des angemesse- eines Leistungsbeziehers übernimmt. Dies soll künftig als nen und familiengerechten Wohnens. Die Wohngeld- Beihilfe geschehen. Der Antrag argumentiert, Mietschul- Tabellenwerte werden um 8 Prozent und die Miethöchst- den seien der dominierende Grund für den Wohnungsver- beträge um 10 Prozent erhöht. Nicht nur das: Erstmals lust. Die Vermeidung von Wohnungslosigkeit sei nicht nur werden die Heizkosten in pauschalierter Form einbezo- sozialer und effektiver, sondern auch günstiger als die Re- gen. Mit dem Wohngeld wird in Verbindung mit dem re- integration von Wohnungslosen. Es ist richtig, dass Miet- formierten Kinderzuschlag eine spürbare Entlastung für schulden die Hauptursache für den Verlust der Wohnung etwa 70 000 einkommensschwache Haushalte außerhalb und für Wohnungslosigkeit sind. Ebenso richtig ist, dass des Sozialgesetzbuches erreicht. es ökonomisch sinnvoll ist, Wohnungslosigkeit von Anbe- ginn zu vermeiden, anstatt die Folgen zu bekämpfen. Na- Zurück zum Anfang Ihres Antrages. Die rückläufigen türlich ist Prävention günstiger als Heilung. Zahlen der Wohnungslosigkeit belegen, dass die ver- stärkte Präventionsarbeit der Kommunen zur Verhinde- Richtig ist aber auch, dass Mietschulden bereits nach rung von Wohnungsverlust sowie die Integrationsarbeit heutiger Rechtslage keine Auslöser für Wohnungslosig- der Wohnungslosenhilfe ihre Wirkung zeigen. Um Woh- keit sein müssen. Laut § 23 Abs. 5 Satz 3 sollen Miet- nungslosigkeit zu vermeiden – auch drauf habe ich be- schulden sogar explizit vom Leistungsträger übernom- reits hingewiesen – werden wir auch weiterhin die Arbeit men werden, um drohende Wohnungslosigkeit zu der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe un- vermeiden. Dass dies als Darlehen geschieht, schmälert terstützen. nicht die Wirksamkeit dieses Instruments zur Vermeidung des Wohnungsverlustes. Fassen wir zusammen: Die Linke schreibt also ganz richtig, dass die Zahl der Wohnungslosen in den letzten Zweitens. Der Antrag greift die Regelung des § 7 Jahren erfreulicherweise zurückgegangen ist. Diese Abs. 4 SGB II auf, nach der Personen von der Leistung wirklich erfreulichen Nachrichten versuchen Sie umzu- ausgeschlossen sind, die sich länger als sechs Monate in münzen, um bei Arbeitsuchenden Ängste vor Wohnungs- einem stationären Aufenthalt befinden. Die Regelung soll verlust zu schüren. Was Sie den Menschen suggerieren ist gestrichen werden. Tatsächlich sind für den Leistungs- doch: Erst verlierst du die Arbeit, dann nimmt der Staat ausschluss des § 7 die Art der Einrichtung und der Um-

Zu Protokoll gegebene Reden 20110 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Heinz-Peter Haustein (A) fang der Unterbringung entscheidend. Das Bundessozial- also selbst in der Hand, die Wohnungslosigkeit abzuwen- (C) gericht hat in seiner Entscheidung vom 6. September den. 2007, auf die sich die Antragsteller hier beziehen, neue Kriterien für die Prüfung aufgestellt, ob es sich im Ein- Allerdings muss darüber hinaus auch gesehen werden, zelfall um eine stationäre Einrichtung handelt. Eine sta- dass die Ultima Ratio der Leistungsstreichung ihre Be- rechtigung hat. Der Staat kann nicht jemanden, der wie- tionäre Einrichtung im Sinne des SGB II liegt nach Hin- derholt gezeigt hat, dass er nicht mit dem Leistungsträger weisen der Bundesagentur für Arbeit vor, wenn diese so kooperiert, dauerhaft weiterhin unterstützen. Das kann strukturiert und gestaltet ist, dass es dem dort Unterge- nicht die Lösung sein. Es muss doch jedem verständlich brachten nicht möglich ist, aus der Einrichtung heraus und klar sein, dass auch der größtmögliche Unterstüt- mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Der zungswille irgendwann seine Grenzen findet, wenn nicht Untergebrachte, so die Argumentation, ist dann derart ein Minimum an Kooperation erfolgt. Dass mit fehlender zeitlich und räumlich fremdbestimmt, dass er der Integra- Kooperation die Wohnungslosigkeit quasi in Kauf ge- tion in den Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht, wie es nommen wird, ist eine traurige Erkenntnis. Aber den das SGB II verlangt. Staat hier der Sanktionsmöglichkeit zu berauben, ihn Drittens. Ferner thematisiert der Antrag die Woh- gleichsam wehrlos zu machen, ist der falsche Weg. nungslosigkeit junger Menschen, die droht, wenn unter Fünftens. Schließlich erklärt die Linke, dass für Woh- 25-jährige Leistungsbezieher von zu Hause ausziehen. In nungslose spezielle Beschäftigungs-, Aus- und Fortbil- diesem Fall ist laut § 22 Abs. 2 a SGB II zuvor eine Ge- dungsangebote vorzuhalten seien. Das ist richtig, inso- nehmigung des Trägers einzuholen, sofern weiterhin fern man hierbei oftmals mit komplexen Problem- und Leistungen bezogen werden wollen. Dass die Linke hier Härtefällen zu tun hat, die einer maßgeschneiderten und abermals erklärt, die Einholung der Genehmigung sei persönlichen Hilfe bedürfen. Allerdings zieht der Antrag- den betroffenen jungen Menschen nicht zuzumuten und es steller hieraus die Folgerung, es müsse auf Sanktions- sei abzulehnen, dass erwachsene Menschen nicht aus maßnahmen und repressive Angebote verzichtet werden. freien Stücken einen eigenen Hausstand gründen dürfen, Die FDP hält dies für falsch, wie ich oben bereits ausge- ist nichts Neues. Diese Haltung ist jedoch gleichermaßen führt habe. Wo der Staat Leistungen erbringt, muss er in bekannt und falsch. Denn worüber reden wir hier? letzter Konsequenz auch das Recht haben, diese zu kür- zen, wenn der Betroffene nicht kooperiert. Diejenigen unter 25-Jährigen, die eine eigene Woh- nung brauchen und die Entsprechendes rechtzeitig bean- Es bleibt die zentrale Aufgabe des Sozialstaates, sich tragen, werden selbstverständlich Unterstützung erfah- um die Bedürftigen zu kümmern. Dieser Aufgabe werden ren. Dass sie dies zuvor beantragen müssen, ist eine die bestehenden Regelungen gerecht. Mit der Übernahme (B) Selbstverständlichkeit. Vom dem Minimum an Eigenver- der Mietkosten durch den Leistungsträger ist eine Absi- (D) antwortung dürfen wir die Menschen nicht entbinden. cherung ausreichend gegeben. Auch darf nicht vergessen Sich als unter 25-Jähriger ohne Einkommen vor dem Ab- werden, dass das Hauptaugenmerk auf dem Ziel der Inte- schluss eines Mietvertrages zu fragen, wer die Kosten für gration in den Arbeitsmarkt liegen muss. die neue Wohnung trägt, ist eine Selbstverständlichkeit. Falls schwerwiegende soziale Gründe oder aber die Ein- Katja Kipping (DIE LINKE): gliederung in den Arbeitsmarkt eine eigene Wohnung er- Kurz vor Weihnachten werden die Medien wieder über forderlich machen, wird der Träger auf Antrag selbstver- sie berichten und dabei viel Mitleid erregen. Kurz vor ständlich die Kostenübernahme erklären. Dies zuvor zu Weihnachten wird so mancher in den eigenen Geldbeutel beantragen, ist allerdings nicht nur zumutbar. Es ent- greifen, um mit einer Spende ihre Not etwas zu lindern. In spricht dem Maß an Eigenverantwortung, das unerläss- der kalten Jahreszeit wird es für sie besonders hart. Die lich ist, nämlich sich rechtzeitig um seine finanziellen An- Rede ist von den rund 250 000 Menschen in diesem Land, gelegenheiten selbst zu kümmern, wenn Bedürftigkeit die wohnungslos sind. Doch Wohnungslosigkeit ist nicht droht oder naht. nur um die Weihnachtszeit für diejenigen, die davon be- troffen sind, ein Problem. Ursprünglich hatte ich gehofft Viertens. Auch wendet sich die Linke gegen die beste- bei einem Thema, welches existenzielle Not betrifft, sei hende Regelung des § 31 Abs. 5 SGB II, der die Möglich- eine fraktionsübergeifende Zusammenarbeit möglich, keit vorsieht, auch die Kosten der Unterkunft vollständig und hatte versucht, Vertreter und Vertreterinnen der Ko- zu streichen, weil dies zu Wohnungslosigkeit führe. Es ist alition für einen gemeinsamen Antrag zu gewinnen. Lei- klar, dass Wohnungslosigkeit droht, wenn die Kosten der bisher erfolglos. Die Linksfraktion im Bundestag hat nicht länger getragen werden. Doch über die Ursache für deswegen nun einen eigenständigen Antrag zum Thema die Kürzung der Leistungen geht man leichtfüßig hinweg. Wohnungslosigkeit in den Bundestag eingebracht. Darin Denn erstens gilt die Möglichkeit, die Leistungen einzu- geht es um zweierlei: erstens um die Vermeidung von schränken, als Ultima Ratio. Und sie gilt nur für den Fall, Wohnungslosigkeit und zweitens um bessere Teilhabe für dass der Betroffene mehrfach seine Pflichten gegenüber Menschen, die bereits wohnungslos sind. dem Leistungsträger verletzt hat. Des Weiteren erlauben auch dann noch die Durchführungsbestimmungen der Meist bedürfte es gar nicht viel, um Wohnungslosigkeit Bundesagentur für Arbeit, nach Ermessen zu entscheiden zu verhindern. So sieht das Gesetz bereits heute die Mög- und die Leistungen wieder zu gewähren, wenn der Betrof- lichkeit vor, dass Mietschulden von Menschen übernom- fene sich nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten men werden, denen aufgrund dieser Schulden die Woh- nachzukommen. Bis hierhin hat es der Leistungsbezieher nungslosigkeit droht.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20111

Katja Kipping (A) Trotzdem sind 13 Prozent der Wohnungslosen durch Zum Schluss eine alarmierende Zahl aus dem Statistik- (C) Mietschulden wohnungslos geworden. Auch kann bisher bericht der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosen- nach Gesetz die Übernahme der Mietschulden nur als hilfe vom Oktober 2008: Über 42 Prozent der Wohnungs- Darlehen erfolgen, nicht als Beihilfe. Das Problem be- losen klagen über einen schlechten Gesundheitszustand. steht jedoch darin, dass die betroffenen Personen meist Die Praxisgebühr und Zuzahlung für Medikamente und schon verschuldet sind; im Jahre 2006 waren es circa medizinische Leistungen gehören abgeschafft; denn sie 65,2 Prozent der Wohnungslosen. Eine zusätzliche Ver- verursachen in nicht geringem Maße eine mangelnde Ge- schuldung konterkariert das Ziel der sozialen Stabilisie- sundheitsversorgung der Wohnungslosen, weil die Befrei- rung. Insofern ist auch eine spätere Rückzahlung des ung von der Praxisgebühr und der Zuzahlungspflicht erst Darlehens nur selten möglich. Deswegen sollte im Notfall nach großen bürokratischen Hürden, die für Wohnungs- die Übernahme der Mietschulden auch als Beihilfe erfol- lose schwer überwindbar sind, gewährt wird. Die Linke gen können. hat diese Praxisgebühr als auch die Zuzahlungspflicht schon immer wegen ihrer ungerechten und selektierenden Das herrschende Sozialgesetzbuch II scheint eher auf Wirkung heftig kritisiert. Die Einschätzung des Gesund- die Schaffung als auf die Vermeidung von Wohnungslo- heitszustandes der Wohnungslosen bestätigt uns in dieser sigkeit geeicht. So sieht das Sozialgesetzbuch II vor, dass fundamentalen Kritik. Es besteht also ein massiver poli- bei Sanktionen gegen Erwerbslose auch die Kosten der tischer Handlungsbedarf, wohnungslosen Menschen Unterkunft gekürzt werden können. Hier sind Mietschul- Teilhabe und eine Gesundheitsversorgung zu ermögli- den vorprogrammiert. Diese Sanktionsmöglichkeit ge- chen sowie prinzipiell Wohnungslosigkeit zu überwinden hört also sofort abgeschafft, da sie dem Ziel der Vermei- und präventiv zu vermeiden; denn Wohnungslose haben dung von Wohnungslosigkeit zuwiderläuft. einen großen Wunsch nach den eigenen vier Wänden. Über 70 Prozent wünschen sich eine eigene Wohnung, für Zentrale Auslöser des Wohnungsverlustes bei Frauen sich und für ihre Partner. lauten „Trennung vom Partner“ – 25 Prozent – sowie akute Gewalt des Partners – 14 Prozent –; diese spezifi- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schen Gründe müssen beachtet werden. Deswegen ist Von Obdachlosigkeit Betroffene sind in vielfacher Hin- eine ausreichende Infrastruktur an Hilfeangeboten und sicht vom gesellschaftlichen Leben und den Leistungen hilfeleistenden Einrichtungen wie Frauenhäuser zur Ver- des Sozialstaats ausgeschlossen. Nicht wenige müssen ihr fügung zu stellen. Leben dafür lassen. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Auch Menschen, die wohnungslos sind, können Ar- Grünen gilt deshalb: Jeder Obdachlose ist einer zu viel. beitsangebote unterbreitet werden. Entscheidend ist je- Verglichen mit dem Wohnungslosen-Hoch von (B) doch, dass diese Tätigkeitsangebote freiwillig sind und 530 000 Personen im Jahr 1998, fällt der Rückgang von (D) den konkreten Lebensumständen der Betroffenen ange- 254 000 Personen im Jahr 2006 zwar deutlich aus. Der passt werden. Wo Sanktionen drohen, ist eine soziale Sta- Trend abnehmender Obdachlosigkeit geht aber nicht bilisierung nur schwer möglich. Sanktionen für die – wie es der Kollege Schiewerling von der CDU/CSU- Gruppe der Wohnungslosen sind in besonderer Weise Fraktion meint – auf politisches Engagement und die be- kontraproduktiv und daher abzuschaffen. sonders für diese Zielgruppe geeigneten Regelungen im SGB II zurück. Weiterhin hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Woh- nungslosenhilfe beobachtet, dass das Personal bei den Im Gegenteil: Der Rückgang von Obdachlosigkeit ist Trägern des SGB II bislang nicht auf die besonderen Be- vielmehr auf eine deutlich spürbare Entspannung am dürfnisse von Wohnungslosen bzw. von Wohnungslosig- Wohnungsmarkt zurückzuführen, für die wiederum der keit bedrohten Personen vorbereitet ist. Die Erfahrungen, demografische Wandel und eine verringerte Zuwande- die in den Kommunen seit den späten 80er-Jahren mit rung ursächlich sind. Der Rückgang ist außerdem der ge- dem Konzept der „Zentralen Fachstelle“ gemacht wur- zielten präventiven Arbeit durch soziale Träger und be- den, müssen in eine analoge Praxis in die Strukturen des sonders engagierter Großstädte – wie zum Beispiel der SGB II integriert werden. In diesem Zusammenhang ist Stadt Köln – zu verdanken, die trotz der Widrigkeiten in auch sicherzustellen, dass Meldungen der Amtsgerichte der Sozialgesetzgebung des Bundes, Obdachlosigkeit über Räumungsklagen unverzüglich bei den zuständigen verhindern oder beenden konnten. Stellen ankommen und Wohnungslosigkeit vermeidende Nach wie vor besorgniserregend ist die Zahl der von Aktivitäten auslösen. Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen. Die Bundesar- Dies ist nur eine kleine Auswahl von sinnvollen Schrit- beitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe geht davon aus, ten zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit bzw. zur Ver- dass weitere 235 000 Menschen im Arbeitslosengeld-II- Bezug akut von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Diese besserung der Situation von Wohnungslosen. Diese und latente Bedrohung für viele Arbeitslosengeld-II-Bezie- weitere Schritte umzusetzen, ist sowohl ein Gebot der hende ist zu einem großen Teil auf neue, verschärfende Menschlichkeit als auch der Wirtschaftlichkeit. Ist ein Regelungen der schwarz-roten Koalition zurückzuführen. Mensch erst einmal wohnungslos geworden, bedarf es so viel mehr an Energie und Mittel, um diesen Zustand zu Bereits in der ersten Lesung des hier zur Debatte ste- verbessern. Christdemokraten und Sozialdemokraten wä- henden Antrages haben Bündnis 90/Die Grünen deutlich ren also gut beraten, sich dieses Problems anzunehmen, gemacht, dass sie besonderen Handlungsbedarf bei den nicht nur in der Weihnachtszeit. jungen Erwachsenen im Arbeitslosengeld-II-Bezug se-

Zu Protokoll gegebene Reden 20112 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Markus Kurth (A) hen. Der Anteil junger von Wohnungslosigkeit bedrohter beitslosengeld II vorgesehen – einen Anspruch darauf ha- (C) Erwachsener nimmt überproportional zu. ben, einen eigenen Haushalt zu gründen. Deshalb ist diese Regelung zu streichen. Dieser Trend wurde durch das SGB-II-Fortentwick- lungsgesetz der Bundesregierung mit verursacht, denn Um den besonderen Bedürfnissen von Obdachlosen mit diesem Gesetz wurden nicht nur die Sanktionsrege- gerecht zu werden, muss die organisatorische Schnitt- lungen im Arbeitslosengeld II, sondern auch die Möglich- stelle zwischen Jobcenter und Kommune verbessert wer- keiten für unter 25-Jährige zur Gründung eines eigenen den: Die Jobcenter müssen sich fachlich und organisato- Haushalts deutlich eingeschränkt. Es gibt also keinen risch auf die besonderen Bedürfnisse von Obdachlosen Grund, sich beim Thema Obdachlosigkeit zurückzuleh- einstellen. nen, wie es offenbar die Koalitionsfraktionen und Bun- desarbeitsminister Scholz tun. Richtig ist der Vorschlag der Linken, „zentrale Fach- stellen“ für die Belange von Wohnungslosen einzurich- Leider leben viele der obdachlosen jungen Menschen ten. Anders als Die Linke es fordert, sollten diese jedoch in so zerrütteten Familien, dass sie das Leben auf der nicht nur für Arbeitslosengeld-II-, sondern auch für So- Straße oder in ungesicherten Wohnverhältnissen dem Le- zialhilfe-Beziehende rechtskreisübergreifend eingerichtet ben in der Familie vorziehen. Die Beiträge der Kollegen werden. von der CDU/CSU und der FDP zu diesem Antrag lassen jedes Gespür für die Lebenswirklichkeit der von Obdach- Insbesondere in Großstädten ist eine besondere Orga- losigkeit betroffenen Jugendlichen vermissen. Statt junge nisationsform erforderlich, die auch präventiv gegen Erwerbslose zu qualifizieren und in den Arbeitsmarkt zu Obdachlosigkeit agiert. Es wird in der Regel nicht aus- integrieren, treiben Sie mit Ihrer Sanktionspolitik die jun- reichen, Obdachlose von einem speziell geschulten Sach- gen Menschen in Kriminalität und Obdachlosigkeit. bearbeiter zu betreuen. Wir Grüne schlagen vor, nach dem Vorbild des Kölner Modells der Obdachlosenhilfe Die Fraktion Die Linke schlägt sinnvolle Maßnahmen eine besonders spezialisierte Organisationseinheit für vor, die Bündnis 90/Die Grünen zu großen Teilen bereits das Fallmanagement von Obdachlosen und von Obdach- in ihrem Antrag vom 4. April 2006 „Hartz IV weiterent- losigkeit bedrohter Menschen in Großstädten zur Pflicht wickeln – existenzsichernd, individuell, passgenau“ zu machen. Diese speziellen trägerübergreifenden Ein- – Drucksache 16/1124 – gefordert haben. Die Vorschläge heiten für Wohnungslose sollten sowohl für präventive der Linken sind allerdings in einigen Punkten änderungs- Maßnahmen gegen Obdachlosigkeit als auch für die bzw. ergänzungsbedürftig: akute Hilfe zuständig sein. Dies gilt insbesondere für die Sanktionsbestimmungen Um nachhaltig Obdachlosigkeit zu vermeiden, sollte nach dem SGB II für Jugendliche und junge Erwachsene (B) die Begleichung von Mietschulden als Beihilfeleistung (D) bis 25 Jahre, die unbedingt flexibilisiert und entschärft des Jobcenters – wie die Linken es vorschlagen – an die werden müssen. Die entsprechende Regelung im SGB II Einschaltung einer Schuldnerberatung gekoppelt sein. ist in eine Ermessensvorschrift umzuwandeln, die die Rücknahme der Sanktion bei einer Verhaltensänderung Unabhängig von diesen Verbesserungen im Detail ermöglicht, denn um eine Verhaltensänderung bei einem weist der Vorschlag der Linken in die richtige Richtung. jungen Erwachsenen bewirken zu können, muss dieser In jedem Falle besteht dringender Handlungsbedarf mit die Gewissheit haben, dass ein Wohlverhalten zu einer so- Blick auf eine Anpassung der Bestimmungen für das Ar- fortigen Rücknahme der Sanktion führt. beitslosengeld II und die Sozialhilfe auf die besonderen Die jetzige von der Großen Koalition eingeführte Bedürfnisse von Obdachlosen und von Obdachlosigkeit Sanktionsregelung wird zu Recht von den Betroffenen als bedrohter Menschen. Auch um diesen Handlungsbedarf reine Schikane empfunden. Außerdem müssen von Sank- zu unterstreichen, stimmt meine Fraktion diesem Antrag tionen nicht nur – wie Die Linke es fordert – die Kosten zu. der Unterkunft unberührt bleiben. Keinesfalls darf der Grundbedarf, der zum Leben notwendig ist, angetastet Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: werden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Das Zustimmungserfordernis des kommunalen Trä- Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp- gers für alle Umzüge von Jugendlichen und jungen Er- fehlung auf Drucksache 16/10906, den Antrag der Frak- wachsenen bis 25 Jahre, das von der Großen Koalition tion Die Linke auf Drucksache 16/9487 abzulehnen. Wer mit dem sogenannten SGB-II-Fortentwicklungsgesetz stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt eingeführt wurde, bedeutet ebenfalls einen Rückschritt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung gegenüber der von Rot-Grün auf den Weg gebrachten ist damit mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und Hartz-IV-Reform. FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Auch hier gehen wir Grüne über die Forderung der Fraktion Die Linke hinaus, die diese Regelung lediglich Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: modifizieren möchte: Wir fordern, dass junge Erwach- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- sene, auf eigenen Beinen stehen können müssen und bei gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Hilfebedürftigkeit grundsätzlich nicht wieder auf ihr zur Einführung Unterstützter Beschäftigung Elternhaus zurückverwiesen werden dürfen. Sie müssen – wie im ursprünglich von Rot-Grün eingeführten Ar- – Drucksache 16/10487 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20113

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- werbeanmeldung unterstütze. Allerdings teile ich die Zu- (C) ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) standsbeschreibung durch die FDP, wonach gewerbe- rechtliche Anmelde- und Zulassungsverfahren „in der – Drucksache 16/10905 – Regel durch einen hohen Verwaltungsaufwand, unüber- Berichterstattung: schaubare Verfahrensstrukturen, unterschiedliche Kom- Abgeordneter Hubert Hüppe petenzen und zum Teil Doppelzuständigkeiten sowie ei- nen unverhältnismäßigen Zeitaufwand gekennzeichnet“ Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- seien, in dieser Allgemeinheit nicht. sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um Für den weit überwiegenden Teil aller Gewerbe ist le- folgende Kolleginnen und Kollegen: Hubert Hüppe, diglich die Gewerbeanzeige nach § 14 Gewerbeordnung CDU/CSU, Gabriele Lösekrug-Möller, SPD, Dr. Erwin erforderlich; eine spezielle gewerberechtliche Prüfung Lotter, FDP, Dr. Ilja Seifert, Die Linke, Markus Kurth, erfolgt nicht. Für diese Gewerbeanzeige ist nur ein Vor- Bündnis 90/Die Grünen, und den Parlamentarischen druck auszufüllen, der vom kommunalen Gewerbeamt be- Staatssekretär Klaus Brandner.1) stätigt wird und danach behördenintern anderen Behör- den ganz oder teilweise zugänglich gemacht wird. Bei Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für persönlichem Erscheinen ist die Anzeige in fünf Minuten Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp- erledigt; elektronische oder schriftliche Anzeigen dauern fehlung auf Drucksache 16/10905, den Gesetzentwurf etwas länger. Die Behörde ist darüber hinaus verpflichtet, der Bundesregierung auf Drucksache 16/10487 in der innerhalb von höchstens drei Tagen den Empfang der An- Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zeige zu bestätigen. Nach meiner Kenntnis ist dies die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen kürzeste Frist, die in Verfahren für den Beginn eines Be- wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent- rufes gesetzlich vorgegeben wird. haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- ratung mit den Stimmen von der Fraktion Die Linke, der Natürlich gibt es auch Gewerbe, die wegen einer be- SPD, der CDU/CSU bei Gegenstimmen von Bündnis 90/ sonderen Überwachungsbedürftigkeit und aufgrund so- Die Grünen und Enthaltung der Fraktion der FDP ange- zialpolitischer Notwendigkeiten weiteren Zulassungs- nommen. schranken, insbesondere Erlaubnissen, unterworfen sind. Dritte Beratung Dies betrifft bestimmte Betriebe, die sich auf den Handel mit Gebrauchtwaren spezialisiert haben, sowie zum Bei- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem spiel Detekteien, Partnervermittlungen, Betrieb von Rei- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – sebüros und Schlüsseldienste. Das Bundeswirtschaftsmi- (B) Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf nisterium achtet aber darauf, dass diese zusätzlichen (D) ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmen- Zulassungsschranken nur für möglichst wenige Gewerbe ergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. gelten. Ich rufe Tagesordnungspunkt 34 auf: Meine Damen und Herren von der FDP, Sie erwähnen Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer in dem Antrag das Beispiel eines reisenden Gewerbetrei- Brüderle, Martin Zeil, Birgit Homburger, weiterer benden, der in einer Fußgängerzone Waren von einem vo- Abgeordneter und der Fraktion der FDP rübergehend ortsfesten Verkaufsstand anbieten will. Diese reisegewerbliche Tätigkeit setzt nach § 55 Gewer- Wirtschaftliche Dynamik fördern – Gewerbe- beordnung die Erteilung einer bundesrechtlichen Erlaub- anmeldungen entbürokratisieren nis in Form der Reisegewerbekarte voraus. Eine solche – Drucksache 16/9338 – Reisegewerbekarte, einmal ausgestellt, gilt dann aber bundesweit und nicht nur für den speziellen Ort X, wo Überweisungsvorschlag: sich die Fußgängerzone befindet. Dass für diese Fußgän- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie gerzone noch eine straßenrechtliche Genehmigung nach Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die dem jeweiligen Landesstraßen- und Wegegesetz erforder- Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um fol- lich ist, liegt schlicht an der verfassungsrechtlichen Kom- gende Kolleginnen und Kollegen: Andreas Lämmel, petenzaufteilung zwischen Bund und Ländern für unter- CDU/CSU, Dr. Rainer Tabillion, SPD, Rainer Brüderle, schiedliche Sachverhalte. FDP, Sabine Zimmermann, Die Linke, Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen. Bei der straßenrechtlichen Genehmigung geht es näm- lich nicht um die grundsätzliche Eignung des Gewerbe- treibenden für eine reisegewerbliche Tätigkeit sondern Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): um die Frage, ob er seinen Stand zum Beispiel in einer Wir beraten heute in erster Lesung den FDP-Antrag Fußgängerzone, wo auch Busverkehr herrscht, tatsäch- „Wirtschaftliche Dynamik fördern – Gewerbeanmeldun- lich aufstellen darf oder nicht. Auf eine Erlaubnis dafür gen entbürokratisieren“. Für meine Fraktion und als Vor- kann leider nicht verzichtet werden, denn diese besonde- sitzender der Mittelstandsvereinigung der sächsischen ren Umstände kann die Reisegewerbekarte nicht vorher- Union möchte ich betonen, dass ich das grundsätzliche sehen. Der Bundesgesetzgeber könnte hier außerdem, Ziel einer möglichst bürokratiearmen und schnellen Ge- selbst wenn er wollte, wegen der erwähnten Aufteilung der Gesetzgebungskompetenzen auch keine Aufgaben- 1) Anlage 17 konzentration bei der Genehmigung festlegen. Insofern 20114 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Andreas G. Lämmel (A) taugt das von Ihnen angeführte Beispiel nicht besonders erfolgen bereits. Ich gebe aber zu, in dieser Angelegen- (C) gut, um generell einen hohen Verwaltungsaufwand bei heit müssen wir noch weiter kommen. Bislang scheiterte Gewerbeanmeldungen zu belegen. dies jedoch an dem Bestehen anderer Ressorts auf ihrer jeweiligen Vollzugskompetenz. Gleichwohl wird in Zu- Lassen Sie mich nun die fünf Forderungen, die die sammenhang mit der Einführung des „Einheitlichen An- FDP in ihrem Antrag stellt, der Reihe nach durchgehen. sprechpartners“ geprüft, inwieweit die im Vergleich zu Zuerst zur Nummer eins, die Bundesregierung solle die anderen Anzeigeverfahren sehr einfache und schnelle Bürokratiebelastung der Wirtschaft durch die Gewerbe- Gewerbeanzeige vermehrt auch für andere Verwaltungs- ordnung evaluieren, und zur Forderung Nummer zwei, sie aufgaben genutzt werden kann. Notwendig hierfür ist eine solle in diesem Bereich weitere Maßnahmen zum Büro- verbesserte Vernetzung der Kommunen untereinander kratieabbau umsetzen. Dies ist längst geschehen. Die und mit anderen Verwaltungsträgern. Ein solches Vorha- Informationspflichten der Wirtschaft, die in der Gewerbe- ben eines übergreifenden Gewerberegisters könnte auch ordnung enthalten sind, wurden im Rahmen der Stan- zu einer Verschlankung von Verwaltungsabläufen genutzt dardkostenmessung vollständig ermittelt. werden. Als Ergebnis dieser Prüfung sind mit dem Zweiten Mit- Insofern nehmen wir die FDP-Vorschläge als Anre- telstandsentlastungsgesetz unter anderem Erleichterun- gung und Motivation, weiter an dem Thema Bürokratie- gen bei der Reisegewerbekartenpflicht und beim automa- abbau – auch im Bereich der Gewerbeordnung – dranzu- tisierten Datenabruf von Daten aus der Gewerbeanzeige bleiben. Wir stellen aber gleichzeitig fest, dass sich die umgesetzt worden. Im Dritten Mittelstandsentlastungsge- meisten der hier genannten FDP-Forderungen zeitlich setz, welches sich momentan im parlamentarischen Ver- überholt haben, weil sie entweder schon umgesetzt wor- fahren befindet, sind weitere Erleichterungen enthalten. den sind oder sich in Umsetzung befinden. Ich freue mich So soll zum Beispiel die Anzeigepflicht bei der Aufstel- auf die bevorstehende Diskussion des Antrags in den Aus- lung von Automaten zurückgeführt werden und Bestim- schüssen. mungen zur Anbringung des Namens von Gewerbetrei- benden an offenen Betriebsstätten entfallen. Dies hört sich vielleicht etwas kleinteilig an. Aber Bürokratieabbau Dr. Rainer Tabillion (SPD): fängt genau bei diesen Kleinigkeiten an, denn in der Mit ihrem hier zu Debatte stehenden Antrag fordert die Summe sind viele Kleinigkeiten eben keine Kleinigkeit FDP, Gewerbeanmeldungen zu entbürokratisieren um die mehr. wirtschaftliche Dynamik zu fördern. Sicherlich, wir sind in unserem täglichen Leben von einer Vielzahl von Rege- Unter Nummer drei fordert die FDP die Bundesregie- lungen und Vorschriften umgeben, sodass der Eindruck rung auf, die gewerberechtlichen Anmeldeverfahren von Einschränkungen, Beschränkungen oder gar Behin- (B) (D) durch Konzentration von Zuständigkeiten zu vereinfa- derungen entsteht. Ebenso ist es auch erwiesen, dass eine chen und zu beschleunigen. Hierzu ist zu sagen: Eine Vielzahl bestehender Regelungen hohe Kosten für die Konzentration von Zuständigkeiten, das heißt Entschei- Volkswirtschaft verursacht und so die wirtschaftliche dungskompetenz bei einer einzigen Behörde, ist nur mög- Entwicklung behindert. Insoweit möchte ich nicht von der lich, wenn ein gewisser Sachzusammenhang zwischen Hand weisen, dass Bürokratieabbau oder Entbürokrati- den zu entscheidenden Fragen besteht. In vielen Fällen, sierung wichtige Aufgaben für unsere politische Arbeit zum Beispiel bei Normen des speziellen Ordnungsrechts sind. Nicht zuletzt hat sich die Große Koalition ja auch oder des Gesundheitsrechts, werden die Gewerbebehör- zum Ziel gesetzt, die Entbürokratisierung weiter voranzu- den in der Regel nicht in der Lage sein, diese Fragen zu treiben. Doch nicht jede Vorschrift ist auch wirklich über- prüfen. Ob eine Kommune die Verfahren so gestaltet, dass flüssig. Nicht jede Meldung oder jeder Gang zu einer Be- faktisch eine Konzentration erreicht wird, hängt entschei- hörde ist erlässlich. Vielmehr müssen mit Sorgfalt und dend davon ab, wie wirtschaftsorientiert sich die Kom- Bedacht alle Auswirkungen und Folgen, die eine rechtli- mune aufstellt. che oder administrative Erleichterung bringen kann, be- Im Rahmen der Umsetzung der EU-Dienstleistungs- rücksichtigt werden. richtlinie werden auch Kontaktstellen eingerichtet, über Das Gewerberecht steht normalerweise nicht unbe- die Dienstleistungserbringer künftig alle zur Aufnahme dingt im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, ist ihrer Tätigkeit notwendigen Verfahren und Formalitäten aber in der Praxis von hoher Bedeutung, da es erhebli- abwickeln können. Die Zuständigkeit für die Einrichtung chen Einfluss auf das Wirtschaftsleben hat. Aus dem und Ausgestaltung dieser „Einheitlichen Ansprechpart- Polizeirecht heraus hat es sich zu einem selbstständigen ner“ liegt bei den Ländern. Gebiet innerhalb des Wirtschaftsverwaltungsrechts ent- Zum Punkt Nummer vier: Eine elektronische Gewer- wickelt und unterliegt der konkurrierenden Gesetzgebung beanmeldung, wie sie die FDP fordert, ist bereits jetzt des Bundes. Grundlage ist die hier zur Debatte stehende rechtlich zulässig. Hierfür ist – wie auch zum Beispiel Gewerbeordnung (GewO), die vom Grundsatz der Ge- beim Einwohnermeldeverfahren – eine elektronische Si- werbefreiheit ausgeht und deren Beschränkungen zur Ge- gnatur erforderlich. Die hierfür notwendigen gesetzli- währleistung der öffentlichen Sicherheit unter Berück- chen Änderungen wurden bereits vor einigen Jahren vor- sichtigung des Arbeitschutzes dienen. Letzte Änderungen genommen. hat es durch das Zweite Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirt- Bleibt noch die Forderung Nummer fünf, alle gewerb- schaft (MEG II) vom 7. September 2007 erfahren, was ein lichen Anzeigepflichten zu bündeln. Solche Bündelungen Beispiel für die fortlaufende Überarbeitung und Bearbei-

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20115

Dr. Rainer Tabillion (A) tung der bestehenden Regelungen unter dem Gesichts- Die vielfach kritisierten Barrieren in Form von Sach- (C) punkt des Bürokratieabbaues ist. kundeprüfung und Unterrichtung betreffen nur das Bewa- chungsgewerbe und sind, da es sich hier um einen sensib- Um zu zeigen, dass die Forderungen der FDP nicht be- len Bereich handelt, auch angesichts der grundrechtlich rechtigt sind, möchte ich im Folgenden kurz verschiedene garantierten Gewerbefreiheit, vertretbar. Auch die ande- Fallkonstellationen im Rahmen der Gewerbeanmeldung ren in der GewO formulierten Berufsausübungsregelun- erläutern. § 14 der GewO verpflichtet jeden, der ein Ge- gen dienen dem Schutz der anderen bereits am Markt be- werbe betreiben will, zu einer Anzeige desselben bei der stehenden Anbieter, der Sicherung der Qualität sowie zuständigen Behörde. Zur Bearbeitung der Gewerbe- dem Schutz des Kunden und sind nicht einem freien Spiel anmeldung wird in den meisten Fällen nur der Personal- der Kräfte am Markt zu opfern. ausweis benötigt, bei Ausländern außerdem die Aufent- haltsgenehmigung. In den Fällen, in denen es sich um Eine Bündelung verschiedener mit einer Gewerbeaus- juristische Personen handelt, sind noch Gesellschaftsver- übung verbundener Verfahren, wie zum Beispiel die even- träge vorzulegen, deren Erfordernis aber mit den Beson- tuelle Notwendigkeit einer baurechtlichen Genehmigung, derheiten des Gesellschaftsrechts zusammenhängt. Bei erscheint mir nicht sinnvoll, da sichergestellt sein müsste, erlaubnis- oder handwerkskartenpflichtigen Gewerben dass die zuständigen Bearbeiter die Sachkunde besitzen, muss natürlich noch die entsprechende Erlaubnis oder über all die unterschiedlichen Fälle zu entscheiden. Handwerkskarte vorgelegt werden. Mit der Gewerbeanmeldung sind die Anzeigepflichten Zweck der Vorschrift des § 14 GewO ist, der zuständi- gegenüber dem Finanzamt und der zuständigen IHK er- gen Behörde Aufschluss über die Zahl und Art der in füllt. Zusätzlich muss nur noch eine Meldung bei der ihrem Bezirk vorhandenen Betriebe zu geben und eine Berufsgenossenschaft erfolgen und, wenn ein zulassungs- wirksame Überwachung der Gewerbeausübung zu er- pflichtiges Handwerk betrieben wird, eine Meldung bei möglichen. Durch die Gewerbeanzeigen werden die zu- der Handwerkskammer. Nicht zuletzt die Zahl von ständigen Behörden insbesondere in die Lage versetzt, 850 000 Gewerbeanmeldungen im Jahr 2007 ist Beweis bei Bedenken gegen die Zuverlässigkeit oder auch bei genug, dass kein potentieller Gewerbetreibender wegen Nichterfüllung von sonstigen gesetzlichen Voraussetzun- einer zusätzlichen Meldung oder eines Behördenganges gen gegen den Gewerbetreibenden einzuschreiten. Sie von der Gründung einer ihm lohnenden Existenz absieht. dient einerseits zur Überwachung der Gewerbeausübung Vielmehr verhindern oder bremsen wirtschaftliche Verun- und andererseits dem Schutz des Kunden, also den Men- sicherung oder restriktive Kreditvergabe an Selbststän- schen, mit denen der Gewerbetreibende später zu tun ha- dige oder bestimmte Berufsgruppen die wirtschaftliche ben wird. Betätigung. (B) (D) Die Gewerbeanmeldung ist in vielen Städten und Ge- Aus den eben genannten Gründen ist der Antrag der meinden heute online möglich, das heißt, der Bürger kann FDP abzulehnen. seine Unterlagen elektronisch zur Behörde schicken, muss allerdings meistens noch einmal persönlich erschei- nen, um eine Unterschrift zu leisten. Da die Frist zur An- Rainer Brüderle (FDP): zeige, Veränderung oder Beendigung eines Gewerbes In Deutschland herrscht Gewerbefreiheit – jedenfalls sechs Wochen beträgt, denke ich, dass jeder Gewerbetrei- im Prinzip. Jeder hat das Recht, ein Gewerbe zu betreiben bende die Möglichkeit haben müsste, ohne allzu großen und Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu Aufwand zu seiner zuständigen Behörde zu gehen. Viel- wählen. Ein Gewerbe zu betreiben, ist wirtschafts- fach kann man in den Ämtern auch Termine vereinbaren, politisch erwünscht. Das sollte der Staat nach Kräften un- sodass die Wartezeit eingeschränkt sein wird. Die Online- terstützen. Selbstverständlich muss beim Betrieb eines anmeldung soll richtigerweise weiter vorangetrieben Gewerbes bestimmten technischen Anforderungen Rech- werden. Sie hat aber auch Schwächen, nämlich dann, nung getragen werden. Auch soziale Schutzanliegen darf wenn es zum Beispiel um Rückfragen der Behörde geht. ein Staat verfolgen. Gewerberechtliche Anmelde- und Zu- Hier erhöht sich der Aufwand einer vollständigen elektro- lassungsverfahren sind jedoch in der Regel durch einen nischen Bearbeitung gegenüber der Konstellation, dass hohen Verwaltungsaufwand, unüberschaubare Verfah- der Gewerbetreibende persönlich erscheint und mögliche rensstrukturen, unterschiedliche Kompetenzen und zum Probleme besprochen und zeitnah gelöst werden können. Teil Doppelzuständigkeiten und einen unverhältnismäßigen Auch muss im Fall der elektronischen Anmeldung sicher- Zeitaufwand gekennzeichnet. Das trägt weder berechtig- gestellt sein, dass die Dokumente wirklich vom Unter- ten sozialpolitischen Schutzanliegen wie dem Gesund- zeichner stammen. Das kann zwar die elektronische Si- heitsschutz von Mitarbeitern Rechnung, noch dient es der gnatur gewährleisten, deren Verbreitung ist aber noch Vermeidung von Gefahren und dem Schutz des Gemein- nicht ausreichend, weil die Kosten zur Anschaffung der wesens. Verschlüsselungstechnik noch sehr hoch sind. Über Bürokratieabbau, Entschlackung von Vorschrif- Auch dauert der Vorgang einer Gewerbeanmeldung ten und Mittelstandsentlastung wird viel geredet, aller- nicht so lange, wie gerne behauptet. Innerhalb von drei dings mehr geredet als gehandelt. Die Bürokratie ist nicht Tagen nach Eingang der Gewerbeanzeige wird deren nur außerordentlich lästig, sie ist zu einem richtigen Pro- Empfang von der Behörde durch einen Durchschlag be- blem geworden. Mit geschätzten 50 Milliarden Euro an stätigt, und der Gewerbetreibende erhält eine Empfangs- Bürokratiekosten werden die Unternehmen in Deutsch- bestätigung. Diese ist der Gewerbeschein. land jährlich belastet. Das macht deutlich, dass Bürokra-

Zu Protokoll gegebene Reden 20116 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Rainer Brüderle (A) tieabbau auch ein Standortfaktor ist, vor allem für kleine ein? Sie will die wirtschaftliche Dynamik fördern, indem (C) und mittlere Unternehmen. – ich zitiere – die Gewerbeanmeldungen „entbürokrati- siert“ werden. Das ist wirklich ein ganz besonderes Kon- Die erste Begegnung mit der Bürokratie hat ein Ge- junkturpaket, was Sie da vorlegen, liebe Kolleginnen und werbetreibender, wenn er seinen Betrieb eröffnen will, Kollegen von der FDP. Zur wirtschaftlichen Dynamik wenn er das Gewerbe anmeldet oder die Erlaubnis bean- würde das mit Sicherheit noch weit weniger beitragen als tragt. Das Gewerberecht, die Gewerbeordnung muss des- das wirre Paket von Kleinigkeiten, mit dem die Bundes- halb entrümpelt werden. Die Bundesregierung rühmt regierung angeblich die Konjunktur stützen will. sich, einiges dafür zu tun. Die Reisegewerbekartenpflicht ist mittlerweile etwas eingeschränkt und für bestimmte Aber Ironie beiseite! Natürlich ist es zu begrüßen, Gewerbe vereinfacht worden. Trotzdem bleibt der Auf- wenn neue Unternehmen gegründet werden, insbeson- wand bei der Beantragung einer Gewerbeerlaubnis für dere wenn das nicht aus der Not heraus geschieht, etwa in viele Gewerbetreibende unverhältnismäßig hoch. Wirt- Form von prekärer Selbstständigkeit. Denn – machen wir schaftliche Dynamik kann sich nur entfalten, wenn die uns nichts vor – ein gehöriger Anteil des Wachstums der staatlichen Betätigungsbarrieren, wenn gewerbliche An- Selbstständigkeit in den vergangenen Jahren ist genau melde- und Zulassungsverfahren auf das wirtschaftlich darauf zurückzuführen, dass Menschen gezwungen wur- sinnvolle und sozialpolitisch notwendige Maß zurück- den, sich als Ich-AG oder Scheinselbstständiger selbst geführt werden. Hier schafft auch der von der Bundes- auszubeuten, weil keine vernünftigen Arbeitsplätze ange- regierung inzwischen beschlossene Entwurf eines dritten boten wurden. Solch eine prekäre Selbstständigkeit will Mittelstandsentlastungsgesetzes noch keine Abhilfe. Wir die Linke ausdrücklich nicht fördern, liebe Kolleginnen wollen die Barrieren weiter abbauen. Die Gewerbeord- und Kollegen. nung muss weiter entrümpelt werden. Deshalb fordern Was die Linke will, ist, dass mehr sinnvolle, gute Ar- wir die Bundesregierung auf, die bürokratischen Belas- beitsplätze entstehen. Und wenn eine Unternehmerin tungen der Wirtschaft, die sich aus der Gewerbeordnung oder ein Unternehmer eine gute Geschäftsidee hat und ergeben, zu überprüfen und auf das wirklich notwendige das Wagnis einer Unternehmensgründung auf sich Maß zu reduzieren. nimmt, dann begrüßen wir das sehr. Wir sind auch der Zum Beispiel sollten die Zuständigkeiten für die gewer- Auffassung, dass die Probleme, die eine Entstehung neuer berechtlichen Erlaubnisverfahren vereinfacht werden. Es Unternehmen und neuer Arbeitsplätze erschweren oder muss ausreichen, wenn sich ein Gewerbetreibender mit verhindern, analysiert und gegebenenfalls beseitigt wer- der Anmeldung an eine einzige Behörde wendet, bei der den müssen. die Zuständigkeiten und die Entscheidungskompetenz ge- Aber um welche Probleme handelt es sich dabei? Was (B) bündelt sind. Diese Behörde muss dann zügig entscheiden hält potenzielle Unternehmer von der Gründung ab? Die (D) und die benötigten Dokumente ausstellen. FDP behauptet, Gewerbeanmeldungen seien zu kompli- Die Europäische Dienstleistungsrichtlinie fordert schon ziert. Auch andere „bürokratische Lasten“ hat sie in ih- einheitliche Ansprechpartner für in- und ausländische ren regelmäßigen Schaufensteranträgen immer wieder Dienstleistungsunternehmen. Sie sollen sicherstellen, dass kritisiert. Es ist sogar durchaus möglich, dass sich der jeder Erbringer von Dienstleistungen alle Verfahren und eine oder andere Gründer über die Formalitäten ärgert, Formalitäten über eine einzige Kontaktstelle abwickeln die er zu berücksichtigen hat. Das Hauptproblem ist die kann. Solche kurzen Verwaltungswege sollte es für alle Bürokratie allerdings in keinem Fall. In der Regel gibt es Gewerbetreibenden geben. für Auflagen und Melderegeln gute Gründe. Sie dienen dem Umweltschutz, der Sicherheit oder anderen gesamt- Elektronische Gewerbeanmeldungen sollten Standard gesellschaftlichen Zielen. werden. Dann müssten Gewerbetreibende nicht mehr persönlich bei der Anmeldung erscheinen oder einen Die KfW hat sich im Rahmen ihrer Gründungsmoni- Stellvertreter schicken. Stattdessen könnten sie sich online torstudie vor einiger Zeit intensiv mit der Frage ausei- anmelden. Die Entwicklung von Signatur- oder Authentifi- nandergesetzt, welche Faktoren Unternehmensgründun- zierungsverfahren ist weit genug fortgeschritten, sodass gen in Deutschland behindern. Danach werden – ich eine eindeutige Identifizierung gewährleistet werden zitiere – „als Hauptprobleme bei der Existenzgründung kann. Mit der Anmeldung sollten gleichzeitig auch alle die schlechte konjunkturelle Lage, das hohe finanzielle Informationspflichten erfüllt werden. Risiko sowie die individuell schlechten Erfolgsaussichten auf Grund mangelnder Nachfrage gewertet“. Auch die Solche Änderungen würden es vor allem Existenzgrün- Angst vor einem sozialen Abstieg bei Scheitern des Un- dern schon deutlich erleichtern, ihr Gewerbe starten zu ternehmens spielt eine wichtige Rolle. Bürokratische können. Bürokratieabbau ist und bleibt aber darüber hi- Hürden sind hingegen für zwei Drittel der befragten naus weiter eine ordnungspolitische Daueraufgabe. Gründer wenig bis überhaupt nicht relevant. Die mangelnde Nachfrage ist hierzulande das Pro- Sabine Zimmermann (DIE LINKE): blem, liebe Kollegen von der FDP. Schreiben Sie doch Um uns herum wird die Finanzkrise immer mehr zur einmal einen Antrag mit dem Titel „Wirtschaftliche Dy- Weltwirtschaftskrise. Das Statistische Bundesamt meldet namik fördern – Binnennachfrage stärken“. Oder noch heute für das dritte Quartal 2008 zum zweiten Mal in besser: Schließen Sie sich der Linken an, die genau das Folge einen Rückgang der Wirtschaftsleistung. Wir ste- schon immer gefordert hat. Kämpfen Sie für höhere cken mitten in der Rezession. Und was fällt der FDP dazu Löhne, für eine sozial gerechte Grundsicherung, für an-

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20117

Sabine Zimmermann (A) ständige Renten! Dann haben die Menschen mehr Geld in kratieabbau dagegen ein Schattendasein. Dieser Stand- (C) der Tasche, die Binnennachfrage wächst und damit auch ortnachteil wird, wie bereits an den Bemühungen in den die Wirtschaft. Gerade in der aktuellen konjunkturellen Niederlanden beschrieben, immer mehr wachsen. Situation ist ein solches Umsteuern dringend nötig. Darum muss der Normenkontrollrat endlich umfas- sende Kompetenzen bekommen. Wir brauchen eine ehrli- Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): che Durchsicht aller geltenden gesetzlichen Regelungen Der Bundesregierung fehlt ein umfassendes Konzept auf ihre Bürokratielasten hin. Bei der Prüfung durch den zum Bürokratieabbau. Zwar hat die Große Koalition mit Normenkontrollrat muss in Zukunft das Ergebnis eines je- den zwei beschlossenen und dem in dieser Woche einge- den Gesetzgebungsverfahrens Prüfungsgegenstand sein. brachten dritten Mittelstandsentlastungsgesetz viele Heute ist es nur der Regierungsentwurf, der ins Parla- kleinteilige Regelungen auf den Prüfstand gestellt, die je- ment geht. Entwürfe, die über die Fraktionen eingebracht weils an sich entlastend wirken, ohne einen positiven Ef- werden, bleiben bei der Bürokratieprüfung sogar ganz fekt oder Nutzen zu haben. Es ist richtig, wenn die Hand- außen vor. werkszählung durch den Rückgriff auf vorhandene Der Normenkontrollrat hat bei der Vorstellung seines Verwaltungsdaten vereinfacht wird, Schausteller in Zu- diesjährigen Jahresberichtes selbst in deutlichen Worten kunft kein Umsatzsteuerheft mehr führen müssen oder die darauf hingewiesen, dass die Bemühungen der Bundesre- Anzeigepflicht bei der Aufstellung von Automaten abge- gierung beim Bürokratieabbau nicht reichen, und ein Ge- schafft wird. samtkonzept eingefordert, das die Abbaumaßnahmen der Das Maßnahmenpaket der Regierung krankt aber ins- einzelnen Bundesministerien inhaltlich und zeitlich fest- gesamt an der viel zu niedrigen Zielmarke, die sich die legt. Solange es ein solches Gesamtkonzept nicht gibt, Bundesregierung gesetzt hat. Der Normenkontrollrat er- werden Einzelmaßnahmen zum Bürokratieabbau immer fasst allein bundesseitig um die 45 Milliarden Euro Büro- nur Stückwerk bleiben. kratielasten in Deutschland. Die Belastungen durch Re- gelungen der Länder oder der Sozialversicherungsträger Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: kommen noch dazu. Mit dem dritten Mittelstandsentlas- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf tungspaket will die Große Koalition jetzt eine weitere Drucksache 16/9338 an den Ausschuss für Wirtschaft Entlastung um 76 Millionen Euro schaffen. Das ist deut- und Technologie vorgeschlagen. Sind Sie damit einver- lich zu wenig. Zum Vergleich: Die Niederlande haben in standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so einer Legislaturperiode die Bürokratielasten um 25 Pro- beschlossen. zent abgebaut und diesen Prozess bereits 2006 abge- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf: (B) schlossen. Die deutsche Bundesregierung will dasselbe (D) Ziel bis 2011 erreichen. Die Niederlande sind dagegen – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- bereits im Anschlussprozess, die Bürokratielasten noch- gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten mals um 25 Prozent zu senken. Das heißt im Klartext: Gesetzes zur Änderung des Autobahnmautge- Deutschland hinkt im Vergleich um eine Legislaturperio- setzes für schwere Nutzfahrzeuge de hinterher. – Drucksache 16/10388 – Selbst die Zielerreichung bis 2011 ist mit den kleinen Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Schritten, die die Bundesregierung vorschlägt, unsicher. ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Nach den Erfahrungen in der EU hochgerechnet ist eine (15. Ausschuss) Gesamtentlastung, die unter 20 Milliarden Euro liegt, für Deutschland zu klein. Und die wird auch mit dem dritten – Drucksache 16/10897 – Mittelstandsentlastungsgesetz sowie den beiden schon Berichterstattung: beschlossenen Maßnahmenpaketen bei weitem nicht er- Abgeordneter Jan Mücke reicht. – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Vor diesem Hintergrund weist der FDP-Antrag zwar in gemäß § 96 der Geschäftsordnung die richtige Richtung. Zentrale Bürokratieprobleme wie die Gewerbeanmeldungen drängen und müssten zuvör- – Drucksache 16/10898 – derst angegangen werden. Eine Bündelung der Zuständig- Berichterstattung: keiten bei der Gewerbeanmeldung, die Schaffung eines Abgeordnete Bartholomäus Kalb einheitlichen Ansprechpartners oder die elektronische Carsten Schneider (Erfurt) Gewerbeanmeldung machen Sinn. Aber die Problematik Dr. Claudia Winterstein des Bürokratieabbaus geht noch weit über das hinaus, Roland Claus was die FDP hier thematisiert. Anna Lührmann Wir brauchen ein umfassendes Konzept für den Büro- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- kratieabbau, das Ressort für Ressort umgesetzt wird. In sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich den Niederlanden und in Österreich berichten die Fach- sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um minister jährlich zu den Haushaltsberatungen über die folgende Kolleginnen und Kollegen: Wilhelm Josef Erreichung der Bürokratieabbauziele und über neue Sebastian, CDU/CSU, Uwe Beckmeyer, SPD, Jan Ziele, die sie sich setzen. In Deutschland führt der Büro- Mücke, FDP, Lutz Heilmann, Die Linke, Winfried 20118 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Hermann, Bündnis 90/Die Grünen, und des Parlamenta- Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein (C) rischen Staatssekretärs Achim Großmann.1) Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Ich weise darauf hin, dass uns zu diesem Tagesord- Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die nungspunkt einige Erklärungen nach § 31 unserer Ge- Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die schäftsordnung vorliegen.2) Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Peter Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ver- Rauen, CDU/CSU, Andreas Steppuhn, SPD, Dr. Heinrich kehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Be- Kolb, FDP, Werner Dreibus, Die Linke, Brigitte schlussempfehlung auf Drucksache 16/10897, den Gesetz- Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen, sowie des Parlamen- entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10388 tarischen Staatssekretärs Klaus Brandner. in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu- Peter Rauen (CDU/CSU): stimmen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent- Ein wirksames und durchgreifendes Gesetz mit klaren haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Regelungen zur Eindämmung der Schwarzarbeit in Beratung bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP mit Deutschland wollen wir heute beschließen. Wir haben den restlichen Stimmen des Hauses angenommen. dies im Koalitionsvertrag angekündigt, und es ist nun Dritte Beratung auch höchste Zeit, dies umzusetzen. Denn die wieder an- steigenden Zahlen der Schattenwirtschaft sprechen eine und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem bedenklich deutliche Sprache. Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Das Volumen der gesamten Schattenwirtschaft in ist damit in dritter Beratung bei Gegenstimmen der FDP Deutschland – so Friedrich Schneider von der Universi- mit den restlichen Stimmen des Hauses angenommen. tät Linz – umfasste 2007 etwa 349 Milliarden Euro. 2006 Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf: waren es noch etwa 345,5 Milliarden Euro. Das sind knapp 15 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- und entspricht ungefähr der Wirtschaftsleistung von Ba- regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten den-Württemberg. Rein rechnerisch stellt das circa Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches So- 3 Millionen Vollzeitstellen dar. Ein Drittel davon wäre zialgesetzbuch und anderer Gesetze laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in die legale – Drucksache 16/10488 – Wirtschaft als reguläre sozialversicherungspflichtige Be- schäftigung überführbar. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (B) ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Schwarzarbeit verhindert aber nicht nur sozialversi- (D) cherungspflichtige Arbeitsplätze, Schwarzarbeit unter- – Drucksache 16/10903 – gräbt den Wettbewerb und ist Steuerhinziehung und Ver- Berichterstattung: sicherungsbetrug zulasten aller ehrlichen Angestellten Abgeordneter Andreas Steppuhn und Unternehmer. Doch leider ist Schwarzarbeit ein – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Massenphänomen, moralisch teilweise sogar schon ak- gemäß § 96 der Geschäftsordnung zeptiert und bis in den letzten Winkel der Republik ver- breitet. Viele betrachten Schwarzarbeit als die Notwehr – Drucksache 16/10904 – des kleinen Mannes gegen zu hohe Steuern und Sozialab- Berichterstattung: gaben. Grund hierfür: Das steile Brutto-Netto-Gefälle. Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel Zwei Drittel der Schwarzarbeiter führen überdies im Waltraud Lehn Hauptjob regulär ihre Steuern ab und werkeln erst nach Dr. Claudia Winterstein Feierabend im arbeitsrechtlichen Schattenreich. Dazu Dr. Gesine Lötzsch kommt noch ein psychologischer Effekt: Je mehr Alexander Bonde Schwarzarbeiter ein Mensch persönlich kennt, desto we- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- niger verurteilt er Schwarzarbeit als unrechtmäßig. Die richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales vermeintliche Entschuldigung ist so einfach wie falsch: (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Es mache ja schließlich jeder. Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Um dieses Phänomen gezielt einzudämmen, wurde LINKE 2004 die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) gegrün- det. Sie sollte durch die Erfolge ihrer Ermittlungen neben Verstöße gegen den Mindestlohn im Bauge- den Präventionseffekten auch 1 Milliarde Euro jährlich werbe wirksam bekämpfen der Staatskasse direkt einbringen. Doch der Behörde ge- – Drucksachen 16/9594, 16/10902 – lang es nicht einmal, ihre eigenen Kosten wieder reinzu- holen. Der Grund ist offensichtlich: Bei den derzeitig be- Berichterstattung: stehenden gesetzlichen Möglichkeiten ist es abwegig, mit Abgeordnete Gitta Connemann dieser 7 000 Mann starken Einheit den rund 13 Millionen Schwarzarbeitern das Handwerk legen zu wollen. Das 1) Anlage 18 Urteil des Bundesrechnungshofes Anfang des Jahres fiel 2) Anlage 7 hierzu dann auch eindeutig aus: „Der Gesetzgeber kann Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20119

Peter Rauen (A) nicht davon ausgehen, dass Schwarzarbeit an Attraktivi- Person gewährleisten kann. Dieser Umstand verzögerte (C) tät verloren hat.“ die Arbeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit enorm und verhinderte eine schnelle und sachgerechte Feststellung Schwarzarbeit – da sind sich alle einig – wird niemals legaler bzw. illegaler Beschäftigung. Da auch hier trotz ganz verschwinden. Denn, wo der Anreiz da ist, unter der der einzusehenden Notwendigkeit zu Beginn praktische Hand zu arbeiten und arbeiten zu lassen, wird es auch im- Probleme zu erwarten sind, appelliere ich an den Verord- mer schwarze Schafe geben. Doch gerade das Volumen nungsgeber, die Bußgeldbewehrung in diesem Zusam- der Schattenwirtschaft ist ein deutliches Anzeichen dafür, menhang moderat und der Situation angemessen auszu- inwieweit staatliches Handeln gerade in Bezug auf Abga- gestalten. In Berufsfeldern mit ständig wechselnden ben und Regulierungen noch angemessen ist. Denn redu- Arbeitsorten, bei Tätigkeiten im Freien bei Wind und Wet- zierte man die Bürokratiedichte und damit die Kosten für ter wird es insbesondere Beschäftigten aus Nicht-EU- hiesige Unternehmen auf angelsächsisches Niveau, könn- Staaten schwer fallen, ihre Ausweispapiere, deren Wie- ten 500 000 neue Jobs mit einer Wertschöpfung von bis zu derbeschaffung äußerst umständlich ist, fortwährend pa- 40 Milliarden Euro entstehen. So zumindest folgert das rat zu halten. Gleichwohl ist die schnelle und genaue Institut der deutschen Wirtschaft. Auch ermutigt die Tat- Feststellung der Personalien für einen effizienten Einsatz sache, dass ein Handwerker heutzutage fünf Stunden ar- der Kontrolleure unabdingbar. beiten gehen muss, um sich eine reguläre Stunde seines Kollegen leisten zu können, zu vorgeschichtlich anmuten- Um zudem das Abgleichen der erforderlichen Daten dem Tauschhandel nach dem Motto: Du reparierst mein zur Kontrolle fortwährend aktuell zu halten, werden in Auto, und ich pflastere Dir Deine Auffahrt. Zukunft die Einwohnermeldedaten durch die entspre- Aus all den genannten Gründen haben wir infolgedes- chenden Meldebehörden direkt und zentral an die Deut- sen diesen Gesetzentwurf formuliert, vor allem aber um sche Rentenversicherung übertragen. die Arbeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit leichter Dennoch sind alles in allem die Beratungen zu diesem und effizienter zu gestalten. Gerade für die von Schwarz- Gesetzentwurf leider nicht optimal gelaufen. Die Kürze arbeit besonders betroffenen Branchen sollen klare Rege- der parlamentarischen Beratung erscheint mir in Bezug lungen eingeführt werden, die spätere Ausreden bezüg- auf die Tragweite der Entscheidung nicht angemessen. lich des Arbeitsbeginns und Unklarheiten bei der Meiner Auffassung nach wäre auch ein noch besseres Identifikation unmöglich machen. Einbinden der Spitzenverbände der betroffenen Wirt- Mit dem heute zur Debatte stehenden Gesetzentwurf schaftszweige mit ihren Erfahrungen sinnvoll gewesen. werden wir erreichen, dass künftig jeder neu eingestellte Die Bereitschaft der Verbände jedenfalls war und ist – im Arbeitnehmer sofort zum Beginn des ersten Arbeitstages eigenen Interesse, gegen Schwarzarbeit vorzugehen – (B) bei der Sozialversicherung angemeldet sein wird. Die So- vorhanden. (D) fortmeldung benötigt lediglich vier Angaben: erstens Fa- milien- und die Vornamen, zweitens Versicherungsnum- Schließlich wird sich in den kommenden Jahren zei- mer, soweit bekannt, ansonsten Tag und Ort der Geburt, gen, inwieweit sich das Gesetz in seiner praktischen Anschrift, drittens Betriebsnummer des Arbeitgebers und Umsetzung als zielführend erweist. Hierauf müssen wir viertens Tag der Beschäftigungsaufnahme. besonderes Augenmerk legen. Immerhin sind die im Ge- setzentwurf genannten Maßnahmen Ergebnis einer vo- Dass dies für einige Branchen nicht einfach werden rangegangenen Diskussion, die auch zu verschiedenen wird, möchte ich nicht verhehlen. Gerade in denjenigen Kompromissen geführt hat. So wurde auf die geplante Arbeitsfeldern, in denen viel an Wochenenden und auf die elektronische Überwachung von Registrierkassen gene- Schnelle Personal akquiriert werden muss – im Gaststät- rell verzichtet. Die Anzahl der Wirtschaftszweige, die als tengewerbe, bei Messeaufbauten und natürlich auch bei von Schwarzarbeit besonders betroffen gelten, wurde von den Gebäudereinigern – entstehen Probleme, die nicht 16 auf 9 reduziert. Auch wurde die zuerst vorgesehene einfach zu lösen sein werden. Hier baue ich darauf, dass tägliche Überprüfungspflicht der Mitführung von Perso- bei der Formulierung der „Gemeinsamen Grundsätze“ naldokumenten durch den Arbeitgeber durch eine einma- zu diesem Gesetz zwischen den beteiligten Ministerien lige Aufforderung ersetzt. und den Spitzenverbänden der betroffenen Branchen gangbare Lösungen gefunden werden. Jedenfalls macht Um jegliche Möglichkeit einer späteren Ausrede bei ein Gesetz nur dann Sinn, wenn es auch praktisch umsetz- eventuellen Kontrollen zu vermeiden, wurde die Formu- bar ist. Dies betrifft vor allem die Ausgestaltung der So- lierung bei der Sofortmeldepflicht auf die Formel „spä- fortmeldung auf elektronischem Wege und womöglich die testens bei Beschäftigungsaufnahme“ konkretisiert. Einrichtung einer Anlaufstelle zur telefonischen An- Fazit: Mit diesem Gesetzentwurf wollen wird den circa nahme und Umsetzung der Sofortmeldungen. Die bisher 7 000 Mitarbeitern der Finanzkontrolle Schwarzarbeit häufigste Ausrede bei Kontrollen jedenfalls, man habe konkrete Mittel in die Hand geben, um schnell und sicht- eben erst mit der Tätigkeit begonnen und die Meldung er- bar Missbräuche auf dem Arbeitsmarkt zu bekämpfen. folge noch, zieht dann nicht mehr. Dennoch wird uns eine generelle Eindämmung der Weiterhin soll das ständige Mitführen von ausreichen- Schwarzarbeit erst dann gelingen, wenn wir zuvor die den Ausweispapieren in den von Schwarzarbeit beson- grundlegenden Ursachen dieses Missbrauches bekämp- ders betroffenen Wirtschaftsbranchen Pflicht werden. Es fen. Dies kann als positiver Anreiz für Arbeitgeber und hat sich nämlich gezeigt, dass der Sozialversicherungs- Arbeitnehmer nur bedeuten: Runter mit den Kosten der ausweis keine sichere Identifizierung der entsprechenden Arbeit und mehr Netto vom Brutto!

Zu Protokoll gegebene Reden 20120 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) Andreas Steppuhn (SPD): bindlich mit sich führen und sich auf Verlangen auch aus- (C) Mit der heutigen Verabschiedung des Zweiten Geset- weisen können. zes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch Wir nehmen aber nicht nur die Arbeitnehmer in die und anderer Gesetze sagen wir Schwarzarbeit und illega- Pflicht, sondern auch die Arbeitgeber. Sie müssen künftig ler Beschäftigung in Deutschland den Kampf an. Wir be- ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eben über die schließen heute sehr wichtige Maßnahmen, um gegen Ausweispflicht nachweislich belehren und diese Unter- Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung noch stärker weisung auch schriftlich belegen können. und effektiver als bisher vorzugehen. Neben dieser Problematik hat sich in der Vergangen- Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt, das man so heit ein zweiter wesentlicher Punkt als schwierig darge- eben unter den Tisch kehren kann. Im Gegenteil: stellt: die Meldung zur Sozialversicherung. Wie Ihnen si- Schwarzarbeit ist – um es sehr deutlich zu sagen – hand- cherlich bekannt ist, muss diese bisher nicht vor oder mit feste Wirtschaftskriminalität. Sie schadet dem Allgemein- Beginn der Beschäftigungsaufnahme erfolgen, sondern wohl. erst mit der ersten Lohn- oder Gehaltszahlung. Dies kann bis zu sechs Wochen dauern. Das Problem, das hierbei Was mich daran am meisten ärgert, ist, dass Schwarz- bestand, war, dass Beamte der FKS oftmals bei Kontrol- arbeit selbst in einem so wirtschaftlich gut aufgestellten len zu hören bekamen: Ich habe erst heute mit der Arbeit Land wie Deutschland bei vielen Unternehmen, egal wel- begonnen oder eine Meldung musste noch nicht erfolgen. cher Größenordnung, auf der Tagesordnung steht. Ge- Damit konnte die Kontrollbehörde sehr oft nicht feststel- rade die größeren Unternehmen ärgern mich dabei len, ob eine Meldung bei der Deutschen Rentenversiche- besonders. Denn durch Schwarzarbeit und illegale Be- rung vorlag bzw. noch erfolgt ist oder ob es sich um einen schäftigung werden legale Arbeitsplätze zerstört, werden illegal Beschäftigten handelte. ehrliche Unternehmen geschädigt, und es wird unserer Gesellschaft erheblicher Schaden zugefügt. Wir reden Die im Gesetz enthalte Neuregelung zur Sofortmelde- hierbei über volkswirtschaftliche Schäden in Milliarden- pflicht bei Beschäftigungsaufnahme setzt eine klare Rege- höhe, die durch Schwarzarbeit und illegale Beschäfti- lung. Die Kontrollbehörde kann mittels eines elektroni- gung entstehen – Geld, das nicht nur den Sozialversiche- schen Datenabgleichs zukünftig sofort überprüfen, ob es rungen fehlt, sondern auch Geld, das für die Schaffung sich um einen ehrlichen Arbeitgeber handelt, der ord- von neuen Arbeitsplätzen, für neue Investitionen in Bil- nungsgemäß seine Arbeitnehmer sozialversichert, oder dung und Forschung oder für Familien nicht zur Verfü- nicht. gung steht. Darum bin ich stolz darauf, dass wir uns als Zu dem Argument, so etwas kann gar nicht von den SPD durchsetzen konnten und mit dem vorliegenden Ge- Firmen geleistet werden bzw. was geschieht in dem Mo- (B) setz dazu beitragen, dass Schwarzarbeit sowie illegale (D) ment, in dem die Beschäftigungsaufnahme an einem Beschäftigung in Deutschland weiter eingedämmt und Sonntag oder Feiertag erfolgt: Dieses Argument kann ich die Bekämpfung von Schwarzarbeit deutlich erleichtert beim besten Willen und in Zeiten eines modernen Kom- werden. munikationszeitalters nicht nachvollziehen. Denn ange- Für uns als SPD-Fraktion war es seit Beginn dieser sichts dessen, dass es heute in fast allen Unternehmen Wahlperiode ein entscheidendes Ziel, den Kampf gegen möglich ist, Sofortmeldungen auch elektronisch vor- die Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung weiter vo- zunehmen, und zum anderen den Unternehmen eine ranzutreiben, die Instrumente zu verbessern und vor al- automatische Ausfüllhilfe vonseiten der Einzugsstelle lem die Finanzkontrolle Schwarzarbeit in ihrer Arbeit zu kostenlos zur Verfügung gestellt wird, dürfte es für die Be- stärken. Mit dem vorliegenden Gesetz lösen wir unser auftragten vor Ort, die Arbeitsverträge abschließen, kein Versprechen ein. Sicherlich ist das Gesetz noch nicht der Problem darstellen, dies ebenso einfach zu tun. Zudem letzte Schritt im Kampf gegen Schwarzarbeit, aber es ist belasten sie den Arbeitgeber nicht über Gebühr. Im Ge- ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung. genteil: Durch die Möglichkeit einer zügigen Kontrolle werden auch sie entlastet. Zumal die umfangreiche An- Die Praxis hat uns die derzeitigen Defizite aufgezeigt, meldung, das heißt die Meldung aller Daten, wie bisher in und wir haben sie aufgegriffen. Beispielsweise bei dem einem zweiten Schritt erfolgt: mit der ersten Lohn- und Punkt der „Feststellung von Personalien bei Kontrolle“ Gehaltsrechnung nach Beschäftigungsbeginn. vor Ort. Hier gab es bislang erhebliche Probleme. Die Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang – das eindeutige Identifizierung der angetroffenen Personen dürfte auch im Interesse der Beschäftigten sein – ist die durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit konnte nicht Tatsache, dass mit dieser Sofortmeldung zugleich ein Zu- immer vorgenommen werden, sei es aufgrund der Aktua- griff der Leistungsträger, zum Beispiel der Unfallversi- lität der Daten oder der Nichtmitführung von Dokumen- cherungsträger, auf diese Daten ermöglicht wird, um so ten. Dass eine wirkungsvolle Aufdeckung von Schwarz- eventuelle Ansprüche etwa bei Arbeitsunfällen geltend arbeit aber nur erfolgen kann, wenn sich die machen zu können. Kontrollierten auch ausweisen können, darüber besteht sicherlich kein Zweifel. Daher wird mit dem Gesetz eine Ein weiterer Punkt ist die Verbesserung der Übermitt- Mitführungs- und Vorlagepflicht von Ausweisdokumen- lung von Meldedaten durch die Meldebehörden an die ten eingeführt. Beschäftigten in Branchen, in denen ein Deutsche Rentenversicherung. Dieser Punkt ist ebenso erhöhtes Risiko zu illegaler Beschäftigung und Schwarz- wichtig für die Kontrolle vor Ort. Denn nur wer mit arbeit besteht, müssen künftig Ausweisdokumente ver- aktuellen Angaben arbeiten kann, kann eine effektive und

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20121

Andreas Steppuhn (A) schnelle Kontrolle sicherstellen. Dies wird aber nicht nur schäftigten Lehrer in Anspruch genommenen Altersein- (C) die Arbeit der Beamten vor Ort erleichtern, sondern dies richtungen. Gerade auch, weil diese für das Fortbestehen wird auch den Unternehmen zugutekommen. auf einen Neuzugang an Mitgliedern angewiesen sind. Das bedeutet konkret, dass auch zukünftig Personen von Diese von mir genannten Punkte waren für uns als der Versicherungspflicht befreit werden können, die SPD-Fraktion von hoher Priorität: die sofortige Identi- durch solche Einrichtungen abgesichert werden: Perso- tätsfeststellung durch die Mitführungspflicht von nen, die zwar nicht die verschärften Voraussetzungen für Ausweisdokumenten, die Sofortmeldung sowie die Ver- eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in der neuen besserung der Übermittlung von Meldedaten. Zudem er- Fassung ab 1. Januar 2009 erfüllen, wohl aber die bishe- möglichen diese Maßnahmen auch eine effektivere Kon- rigen Voraussetzungen für die Antragsbefreiung erfüllen. trolle von Mindestlöhnen in den Branchen nach dem Ich denke, hier haben wir einen sehr guten Kompromiss Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Dazu gehört, meine Da- im Sinne der Lehrerinnen und Lehrer, aber auch der men und Herren von den Linken, natürlich auch der Bau- Schulen gefunden. bereich. Denn was nützt es, Mindestlöhne in den Bran- chen einzuführen, wenn diese nicht wirksam überprüft Ihre Anmerkung, man würde diese Lehrerinnen und werden können? Lehrer nichtöffentlicher Schulen schlechter stellen, kann Nicht zuletzt deshalb sehen wir als SPD-Fraktion in ich ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen. Denn wir diesen Maßnahmen einen ersten wichtigen Schritt, ge- sorgen jetzt dafür, dass sie auch im Krankheitsfall abge- rade auch in einer von Schwarzarbeit stark betroffenen sichert sein müssen und ebenso einen Anspruch auf Bei- Branche wie der Baubranche die Einhaltung von Min- hilfe haben. Wo, meine Damen und Herren von der FDP, destlöhnen durchzusetzen und zugleich auch Schwarz- stellen wir an dieser Stelle diese Lehrerinnen und Lehrer arbeit zu bekämpfen. Denn die Kontrollinstanzen werden schlechter? Das kann nur im Interesse der betroffenen in die Lage versetzt werden, die Kontrolle über die Ein- Lehrerinnen und Lehrer sein, um die es im Endeffekt hier haltung der Mindestarbeitsbedingungen, wie sie das Ar- ja wohl geht: die soziale Absicherung von Beschäftigten. beitnehmer-Entsendegesetz der Branche vorsieht, auch Mit der Verabschiedung des Gesetzes und den darin effektiv und wirksam durchzuführen. enthaltenen Maßnahmen sind wir aber im Kampf gegen Abschließend möchte ich aber noch auf eine weitere die Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung noch nicht Regelung in diesem Gesetzentwurf eingehen. Damit am Ende der Fahnenstange angekommen. Uns als SPD- komme ich zu Ihnen, meine Damen und Herren von der Fraktion ist bewusst: Dies ist ein erster Schritt. Dies ist FDP-Fraktion. Sie haben einen Entschließungsantrag aber auch ein wesentlicher Schritt in die richtige Rich- formuliert, in dem Sie fordern, die im Gesetz vorgesehene tung. Wir stärken die Kontrolle vor Ort. Für eine noch (B) Neufassung der Befreiungsmöglichkeiten von der gesetz- bessere Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Be- (D) lichen Rentenversicherung in § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV schäftigung müssen wir aber alle mit ins Boot holen. durch das vorliegende zweite SGB-IV-Änderungsgesetz Dazu gehören auch die Länder. Darum richte ich meinen abzulehnen. Hier möchte ich mir doch eine Bemerkung Appell an dieser Stelle insbesondere nochmals an die gestatten: Ich freue mich, dass Ihnen das so kurzfristig Länder. Steigen Sie mit ein ins Boot und ermöglichen Sie eingefallen ist und Sie sich in Ihrer Fraktion so gut ab- mehr Transparenz bei vereinnahmten Geldern und eine stimmen. Nicht nur, dass wir diesen Punkt im Ausschuss bessere Verfolgung und Ahndung von aufgedeckten Straf- für Arbeit und Soziales ausführlich beraten und diskutiert taten. Unsere Vorschläge haben wir den Ländern bereits haben, nein, Sie haben selbst dem Änderungsantrag und mehrfach an anderer Stelle unterbreitet. Nun liegt es an dem geänderten und jetzt vorliegenden Gesetzentwurf im ihnen, dass wir gemeinsam noch besser und noch effekti- Ausschuss für Arbeit und Soziales am 3. November 2008 ver gegen Schwarzarbeit vorgehen können. zugestimmt. Sie können dies gern nachlesen im 100. Pro- tokoll des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Tagesord- Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): nungspunkt 3. Erstens. Die FDP verurteilt Schwarzarbeit ohne Wenn Nichtsdestotrotz möchte ich auf Ihre Forderung im und Aber. Denn Schwarzarbeit schadet nicht nur der Entschließungsantrag nochmals eingehen. Meine Damen Volkswirtschaft insgesamt, sondern benachteiligt ehrli- und Herren von der FDP, Sie fordern eine Beibehaltung che Arbeitnehmer und ehrliche Unternehmer gleicher- der jetzigen Regelungen der Befreiungsmöglichkeiten maßen. Allein im letzten Jahr, 2007, sind in Deutschland von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für Leh- 348 Milliarden Euro schwarz erwirtschaftet worden. Das rer an nichtöffentlichen Schulen. Wir als SPD-Fraktion war ein Plus von 1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der teilen diese Auffassung nicht. Wie bereits gesagt, nicht Linzer Wissenschaftler Friedrich Schneider führt diesen nur, dass wir uns im Vorfeld intensiv mit diesem wichtigen Anstieg übrigens auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer Punkt und dem Anliegen der privaten Schulen auseinan- zurück. dergesetzt haben. Wir haben uns auch dafür eingesetzt, Zweitens. Zur effektiven Bekämpfung der Schwarz- dass über die ursprünglich im Gesetz geplante personen- arbeit muss man deren Ursachen kennen und bekämpfen. bezogene Vertrauensschutzbestimmung eine darüber hin- Ebenso entscheidend ist es, die Anreize zur Aufnahme ausgehende Vertrauens- bzw. Bestandsschutzregelung legaler Beschäftigung zu stärken. Und hier hat die Bun- aufgenommen wird. desregierung schlicht kontraproduktiv agiert: Steuer- Uns war es wichtig, Rücksicht zu nehmen auf die be- erhöhung, Beitragssatzerhöhung in allen Bereichen der reits seit längerem von bestimmten Schulen für ihre be- Sozialversicherung außer bei der Arbeitslosenversiche-

Zu Protokoll gegebene Reden 20122 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dr. Heinrich L. Kolb (A) rung und die geplante Einführung von Mindestlöhnen Hinzu kommt, dass es die Finanzsituation den Schulen oft (C) verstärken nicht die Anreize zur Aufnahme einer legalen nicht erlaubt, neue Vergütungsstrukturen einzuführen. Tätigkeit, sondern befördern die Schwarzarbeit. Die aus- ufernde Bürokratie tut ein Übriges dazu. Die FDP fordert, auch künftig Lehrern den Eintritt in solche Versorgungswerke ohne unüberwindbare Hinder- Drittens. Die FDP-Fraktion wird effektive Maßnah- nisse zu ermöglichen. Diese Hürden sind nicht geeignet, men zur Verhinderung von Schwarzarbeit unterstützen. In die Altersversorgung der betroffenen Lehrer und Erzieher der ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf habe ich für zu verbessern. Denn Versorgungswerke an nichtöffentli- die FDP-Fraktion deutlich gemacht, dass wir die Maß- chen Schulen bieten bereits heute eine ausreichende bzw. nahmen Sofortmeldung und Mitführungspflicht von Aus- sehr gute Absicherung ihrer Lehrer. Durch das Entfallen weisdokumenten in schwarzarbeitgefährdeten Branchen eigener Versorgungswerke und den Verweis auf die ge- ausdrücklich begrüßen. Dies hat die FDP im Übrigen setzliche Rentenversicherung ist zu befürchten, dass schon länger gefordert. Im FDP-Antrag „Mehr Wett- Schulen in privater Trägerschaft gegenüber staatlichen bewerb und Kapitaldeckung in der Unfallversiche- Schulen benachteiligt werden, die eine Absicherung nach rung“ vom Oktober letzten Jahres – Bundestagsdruck- Beamtenrecht vorsehen. sache 16/6645 – haben wir uns allerdings darauf festgelegt, dass die Sofortmeldung an die jeweils zustän- Bei den Beratungen im zuständigen Ausschuss am ver- dige Meldestelle, die Krankenversicherung, und nicht die gangenen Mittwoch wurde in diesem Zusammenhang sei- Rentenversicherung zu erfolgen hat. Dies hat den Vorteil, tens des Ministeriums darauf verwiesen, dass es seit 1995 dass den Arbeitgebern nicht noch eine zweite Melde- die sogenannte Friedensgrenze zwischen gesetzlicher adresse für die Mitarbeiter vorgegeben wird und somit Rentenversicherung einerseits und den Versorgungswer- zusätzliche bürokratische Strukturen geschaffen werden. ken andererseits gebe und hier nur eine Fortschreibung Sinnvoll ist auch die vorgesehene Aufbewahrungspflicht erfolge. Dem ist entgegenzuhalten: Die im Gesetzentwurf des Arbeitgebers betreffend die einmalige schriftliche Be- enthaltene Regelung ist nicht mit der sogenannten Frie- lehrung der Arbeitnehmer über die Mitführungspflicht densgrenze aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI vergleichbar, mit der Personaldokumente. der festgelegt wurde, wer sich in berufsständischen Ver- sorgungswerken statt in der gesetzlichen Rentenversiche- Erwägenswert erscheinen mir auch die Hinweise des rung versichern lassen kann. Denn der Kammerzwang Deutschen Anwaltvereins. Dies gilt insbesondere für Prä- der jeweiligen Berufsgruppe zum 1. Januar 1995, der in zisierungen zur Vermeidung von Unsicherheiten. Zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 a SGB VI als Voraussetzung für eine Be- Recht hat der Deutsche Anwaltverein darauf hingewie- freiung von der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Ren- sen, dass, wenn es bezüglich der Einführung der Sofort- tenversicherung verankert ist, umfasste tatsächlich be- (B) meldepflicht Unklarheiten gibt, dies zu erheblichen Be- reits vor 1994 alle Berufsgruppen der freien Berufe. (D) lastungen aller Beteiligten – Justiz, Unternehmen und Durch diese Regelung sollte nur ausgeschlossen werden, Verwaltung – führen kann. dass sich noch weitere Berufsgruppen zusätzlich zu den bereits befreiten Berufsgruppen von der Pflicht zur Versi- Viertens. Zur Benachteiligung von freien Schulen ge- cherung in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien genüber konfessionellen und staatlichen Schulen bei der lassen. Es gilt aber, dass auch nach 1995 beispielsweise Gründung von Versorgungswerken: Die FDP hat zu den von Ärzten, Anwälten und Architekten noch Versorgungs- im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen zu den Versor- werke gegründet werden können. Entsprechend muss gungswerken von Schulen in privater Trägerschaft einen auch weiterhin an nichtöffentlichen Schulen die Grün- Entschließungsantrag eingebracht. Wir sehen keinen An- dung von Versorgungswerken möglich sein. lass, weshalb es Lehrern an nichtöffentlichen Schulen und Anstalten künftig nur noch dann möglich sein soll, Zum Antrag der Linken: Die in ihrem Antrag vorge- sich von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Ren- schlagenen Maßnahmen taugen nicht zur Bekämpfung tenversicherung befreien zu lassen, wenn sie entweder an der Schwarzarbeit. Die Maßnahmen sind ineffektiv, zu nichtöffentlichen Schulen beschäftigt sind, die vor der ab- bürokratisch, zu teuer. Und für mich der entscheidende schließenden Lesung des Gesetzentwurfs Mitglied einer Punkt: Sie sind zum Teil schädlich und dazu angetan, Versorgungseinrichtung geworden sind, oder die den ver- auch reguläre Arbeitsplätze zu vernichten. Es ist nicht schärften Bedingungen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI neuer zielführend, ehrlichen Unternehmen zusätzliche bürokra- Fassung genügen. Der vorliegende Gesetzentwurf schränkt tische Belastungen aufzuerlegen, um die schwarzen die Befreiungsmöglichkeit einer Vielzahl von Lehrern an Schafe zu bekämpfen. Dadurch werden die seriösen Fir- nichtöffentlichen Schulen unzulässig ein. Es sollen künf- men mit zusätzlichen Kosten belastet. Wir brauchen effek- tig nur solche Lehrer sich von der Pflicht zur Versiche- tive, unbürokratische und realistische Maßnahmen, um rung in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien las- illegale Beschäftigung, Schwarzarbeit und Lohndumping sen können – Antragsbefreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 zu bekämpfen. Die Bauwirtschaft braucht keine neuen Nr. 2 SGB VI für Lehrer und Erzieher an Privatschulen –, Belastungen durch bürokratische Hürden. die über eine beamtenähnliche Absicherung verfügen. Dies ist aber bei Versorgungseinrichtungen privater Zur wirksamen Bekämpfung der Schwarzarbeit ge- Schulen gerade nicht gegeben. hört, nach den Ursachen und Gründen dafür zu suchen. Ein nicht unwesentlicher Grund ist die zu hohe Steuer- Hier sei auch darauf hingewiesen, dass Schulen in pri- und Abgabenlast, die mit dafür verantwortlich ist, dass vater Trägerschaft, wie beispielsweise die Waldorfschu- Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung nicht zurück- len, andere gewachsene Vergütungsstrukturen aufweisen. gehen, sondern eher noch zunehmen. Die Kosten für le-

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20123

Dr. Heinrich L. Kolb (A) gale Arbeit sind um ein Vielfaches höher als die für ille- nen. Und dazu gehört auch, dass die Sanktionen bei Ver- (C) gale Arbeit. Die Senkung der Lohnzusatzkosten ist stößen so gestaltet und angewendet werden, dass sie auf sicherlich das wirksamste Mittel zur Bekämpfung von die Unternehmen eine deutlich abschreckendere Wirkung Schwarzarbeit, illegaler Beschäftigung und Dumpinglöh- entfalten. In diesem Sinn erwarten wir von der Verschär- nen. Darüber hinaus ist ein flexibles Tarifrecht, damit fung der Generalunternehmerhaftung und dem sofortigen sich die Löhne an der Produktivität orientieren können, Ausschluss der Unternehmen, bei denen Verstöße gegen dringend geboten. Mindestlohnvorschriften oder der Einsatz von Schwarz- arbeit oder illegaler Beschäftigung festgestellt werden, Ideologisch motivierter Populismus ist der falsche deutliche präventive Effekte. Gehen Sie die weiteren Weg und überaus schädlich. Deshalb lehnt die FDP- Schritte, die im Kampf gegen Schwarzarbeit und illegale Fraktion den Antrag der Linken ab. Beschäftigung notwendig sind! Sichern Sie den Mindest- lohn im Baugewerbe! Stimmen Sie für unseren Antrag! Werner Dreibus (DIE LINKE): Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind kein Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kavaliersdelikt, sondern ein absolut ernst zu nehmendes Schwarzarbeit bedeutet Steuerhinterziehung, So- Problem. Es kann nicht angehen, dass Unternehmen so- zialversicherungsbetrug und Arbeitsplatzklau. Da, wo genannte Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung als Schwarzarbeit blüht, wird reguläre Beschäftigung ver- Lohndumpingstrategie einsetzen, um die Zahlung von Ta- drängt. Deshalb muss Schwarzarbeit ein Riegel vorge- rif- und Mindestlöhnen zu umgehen. Diese Unternehmen schoben werden. Das hat auch etwas mit fairem Wettbe- gefährden zigtausende reguläre Arbeitsplätze und schwä- werb zu tun. Um Schwarzarbeit deutlich einzudämmen, chen die Sozialversicherungskassen. So zahlen wir am muss es vorbeugende Maßnahmen, effektive Kontrollen Ende alle für den Extraprofit, den diese skrupellosen Un- und wirksame Strafen geben. ternehmen durch den Einsatz von Schwarzarbeit und ille- galer Beschäftigung herausholen. Das ist nicht hinnehm- Im Ziel sind sich alle Fraktionen im Bundestag einig. bar! Wir begrüßen deshalb, dass die Bundesregierung In der Frage, wie diese Ziele erreicht werden können, endlich zwei wichtige Maßnahmen ergreift, die meine liegen die Differenzen. Den Gesetzentwurf der Bundesre- Fraktion bereits vor der Sommerpause in dem Antrag gierung halten wir auch nach den vorgenommenen Modi- „Für eine wirksame Bekämpfung von Verstößen gegen fizierungen in wesentlichen Punkten nicht für praxistaug- den Mindestlohn im Baugewerbe“ gefordert hat. Die Ver- lich. Darüber hinaus bleiben wichtige Bereiche, die zum pflichtung zur Sofortmeldung zur Sozialversicherung und Abbau von Schwarzarbeit beitragen können, weiterhin die Mitführungspflicht von Personaldokumenten am Ar- außen vor und werden von der Bundesregierung bisher nicht in Angriff genommen oder sogar abgelehnt. Ich (B) beitsplatz sind zwei wichtige Schritte, um die Kontrollen (D) zu vereinfachen und den Kampf gegen den Einsatz von möchte das an wenigen Beispielen erläutern: Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung zu effektivie- Ja, eine Meldefrist von sechs Wochen bei der Sozial- ren. Diese Maßnahmen reichen jedoch noch nicht aus. versicherung lädt geradezu zum Missbrauch ein. Die jetzt Meine Fraktion stellt deshalb heute den Antrag „Für eine vorgesehene Sofortmeldung bei der Sozialversicherung wirksame Bekämpfung von Verstößen gegen den Mindest- ignoriert aber die Gegebenheiten in vielen Arbeitsberei- lohn im Baugewerbe“ ebenfalls zur Abstimmung. chen, in denen kurzfristig an den Wochenenden und am Abend eingestellt wird. Die betroffenen Unternehmen ha- In der Baubranche gelten bereits seit Jahren Mindest- ben deshalb den Vorschlag gemacht, die Meldepflicht auf löhne. Und der Mindestlohn ist ein Erfolg! Er sorgt nicht den Beginn des ersten Werktages nach Beschäftigungs- nur dafür, dass die Beschäftigten im Baugewerbe im Ge- aufnahme zu legen. Das ist vernünftig. Die Union hat dies gensatz zu Millionen Arbeitnehmern und Arbeitnehme- bei der ersten Beratung auch so gesehen, aber es wurde rinnen in anderen Branchen ein auskömmliches Einkom- keine praxistaugliche Modifizierung des Gesetzentwurfes men haben. Er hat auch zehntausende Arbeitsplätze vorgenommen. erhalten. Da sind sich die Spitzenverbände der Bauwirt- schaft und die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) einig. Ja, die kontrollierten Personen auf den Baustellen, im Trotzdem gibt es immer wieder Verstöße gegen den Min- Gastgewerbe oder in Reinigungsfirmen müssen für die destlohn, oftmals durch den Einsatz von Schwarzarbeit Prüfer identifizierbar sein. Aber die Mitführung von Per- oder illegaler Beschäftigung. sonaldokumenten bedeutet für viele Menschen, die in den betroffenen Branchen beschäftigt sind, ein unzumutbares Aber es gibt auch konkrete Vorstellungen zu wirksa- Risiko. Ausländerinnen und Ausländer haben leider zu men Gegenmaßnahmen. Meine Fraktion hat in Gesprä- Recht große Angst vor dem Verlust ihrer Papiere. Manch- chen mit Vertretern der Arbeitgeber und der IG BAU eine mal ist die Wiederbeschaffung schlicht unmöglich, und Reihe praktikabler und wirksamer Maßnahmen für den aufenthaltsrechtliche Probleme sind die Folge. Auch hier Schutz des Mindestlohns in der Baubranche identifiziert, hatte die Union in der ersten Beratung angekündigt, die Sie alle begründet in unserem Antrag wiederfinden. brauchbare Alternativen zu erarbeiten. Das ist aber nicht Dazu gehört, dass die zuständige Kontrollbehörde „Fi- geschehen. nanzkontrolle Schwarzarbeit“ eine deutlich bessere Sachmittelausstattung erhält und ihr Personal umgehend Damit Schwarzarbeit wirksam unterbunden werden auf 8 000 Stellen aufgestockt wird. Nur so wird sie in die kann, muss nicht nur die Kontrolle einfacher und besser Lage versetzt, ihren umfassenden Kontroll- und Ahn- werden. Auch die Folgen für die Unternehmen, denen dungsaufgaben tatsächlich auch gerecht werden zu kön- Schwarzarbeit nachgewiesen wird, müssen spürbar und

Zu Protokoll gegebene Reden 20124 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Brigitte Pothmer (A) abschreckend sein. Geldstrafen, die verhängt werden, Sie ermöglicht es den Behörden, vor Ort schnell und zwei- (C) müssen auch gezahlt werden, und Unternehmen, die bei felsfrei festzustellen, ob das Beschäftigungsverhältnis der Schwarzarbeit erwischt werden, müssen zukünftig von öf- Sozialversicherung gemeldet wurde. Liegt in den neun fentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden können. Wir Branchen, in denen ein erhöhtes Risiko für Schwarzarbeit haben gestern über den Gesetzentwurf der Grünen zur und illegale Beschäftigung besteht, für einen Beschäftig- Einführung eines bundesweiten Korruptionsregisters de- ten keine Meldung in der Stammsatzdatei der Rentenver- battiert. Ein solches Korruptionsregister brauchen wir sicherung vor, ist das als ein klarer Hinweis auf Schwarz- auch, um zu verhindern, dass Unternehmen, die auf arbeit zu werten. Auch die Berufsgenossenschaften der Schwarzarbeit setzen und so fairen Wettbewerb untergra- Unfallversicherung erhalten im Leistungsfall Zugriff auf ben, bei der nächsten öffentlichen Auftragsvergabe wie- die Stammsatzdatei, um bei Schwarzarbeit den Arbeitge- der berücksichtigt werden. Die Einrichtung eines bundes- ber in Regress nehmen zu können. weiten Korruptionsregisters ist auch dafür ein wirksames Instrument, wurde aber von der Union bisher immer blo- Maßnahme Nummer zwei ist die Einführung einer Mit- ckiert. führungs- und Vorlagepflicht von Personaldokumenten bei der Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen in Insgesamt müssen die Rahmenbedingungen auf dem den neun betroffenen Branchen. Schon heute müssen bei Arbeitsmarkt so gesetzt werden, dass faire Löhne gezahlt der Überprüfung insbesondere ausländischer Arbeitneh- werden und dass legales Arbeiten attraktiv ist. Auch da- mer Personaldokumente vorgelegt werden, um die betref- rum schlagen wir Mindestlohnregelungen vor, die die Be- fende Person eindeutig identifizieren zu können. In sonderheiten in den einzelnen Branchen und Regionen Zukunft werden auch die Arbeitgeber mit in die Verant- berücksichtigen, und auch darum fordern wir eine ge- wortung genommen. Sie müssen ihre Beschäftigten zielte und deutliche Entlastung der unteren Einkommen schriftlich über die Mitführungs- und Vorlagepflicht von bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Letzteres bedeutet Personaldokumenten belehren. Diese Belehrung wie- für die Unternehmen eine deutliche Entlastung bei den derum muss aufbewahrt und gegebenenfalls vorgelegt Lohnnebenkosten und für die Beschäftigten mehr Netto werden können – andernfalls drohen Bußgelder. vom Brutto. Damit wird Schwarzarbeit vorgebeugt. Maßnahme Nummer drei zielt auf eine bessere Quali- Insgesamt ist das, was die Bundesregierung zur Be- tät der Anschriftendaten, die im Verdachtsfall einen ein- kämpfung der Schwarzarbeit vorgelegt hat, weder praxis- deutigen Abgleich der Personendaten mit den Daten der tauglich noch ausreichend. Darum lehnen wir den Ge- Versichertenkonten bei der Rentenversicherung ermögli- setzentwurf ab. chen. Aus diesem Grund erhalten die Träger der Deut- schen Rentenversicherung über ihre Datenstelle zu- (B) Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- künftig aktualisierte Anschriftendaten, die von den (D) minister für Arbeit und Soziales: Meldebehörden bei Geburt, Anschriftenänderung oder Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind in im Sterbefall übermittelt werden. Mit dieser zentralen Deutschland nach wie vor verbreitet und fügen dem Ge- Übermittlung der Anschriftendaten können die besonde- meinwesen schweren Schaden zu. Die Bekämpfung der ren Meldungen der Arbeitgeber in den Fällen einer An- Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung hat daher schriftenänderung entfallen. – da weiß ich mich mit Ihnen allen einig – weiterhin hohe Das vorgesehene Verfahren senkt die Bürokratiekosten Priorität. erheblich: Die Meldebehörden der Kommunen wie auch Mit dem Aktionsprogramm „Recht und Ordnung auf die Rentenversicherungsträger werden um geschätzt dem Arbeitsmarkt“ hat die Bundesregierung ein umfang- rund 180 Millionen Euro im Jahr entlastet – vor allem, reiches Maßnahmenpaket beschlossen. Mit dem heute weil nach der Umstellung die bisher notwendigen, aber zu beschließenden Gesetzentwurf werden wesentliche kostspieligen Einzelaufklärungen entfallen. Punkte des Pakets umgesetzt. In der Prüfungspraxis hatte Neben den skizzierten Maßnahmen zur Bekämpfung sich gezeigt, dass sich bei der Meldung zur Sozialversi- der Schwarzarbeit sieht der vorliegende Gesetzentwurf cherung Unklarheiten ergeben können, da die Meldungen zwei Neuregelungen vor, die den Bereich der Altersvor- bisher nicht vor oder mit Beginn der Beschäftigung abzu- sorge betreffen. Punkt eins betrifft die staatliche Förde- geben sind, sondern mit der ersten Lohn- und Gehaltsab- rung privater Altersvorsorge. Durch eine Ergänzung im rechnung. So ist bisher eine abschließende Klärung des SGB XII unterstützen wir hilfebedürftige und dauerhaft Sachverhalts durch die Kontrollbehörden vor Ort vor al- voll erwerbsgeminderte Personen beim Aufbau einer lem dann nicht möglich, wenn eine Meldung bei der Deut- Riester-Rente. Die Beiträge für eine solche Altersvor- schen Rentenversicherung Bund nicht oder noch nicht sorge werden durch die Sozialhilfe übernommen. vorliegt. Ein weiteres Problem stellt bislang die Schwierigkeit Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf eine Rege- dar, Personalien festzustellen, um Personen, die über- lung zur Begrenzung der Versorgungswerke für Lehrerin- prüft werden sollen, eindeutig zu identifizieren. Mit den nen und Lehrer an Privatschulen. Eine Bestandsschutzre- Maßnahmen des vorliegenden Gesetzentwurfes werden gelung nimmt hier Rücksicht auf Einrichtungen, die diese Probleme angepackt: bereits seit längerem in Anspruch genommen werden und für ihr Fortbestehen auf Neuzugänge angewiesen sind. Maßnahme Nummer eins ist die Einführung der So- Durch diese Regelung sind auch die Ansprüche der Ver- fortmeldepflicht spätestens bei Beschäftigungsaufnahme. sicherten in diesen Versorgungswerken geschützt.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20125

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (C) Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungs- keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. punkt 36 a. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- che 16/10903, den Gesetzentwurf der Bundesregierung gin Simone Violka, SPD-Fraktion. auf Drucksache 16/10488 in der Ausschussfassung anzu- nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in (Beifall bei der SPD) der Ausschussfassung zustimmen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist Simone Violka (SPD): damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/ Kollegen! Wir sprechen heute über ein Förderinstru- Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke an- ment, das eigentlich Erfolgsinstrument heißen müsste. In genommen. 19 Jahren gab es so manchen Versuch der Förderung. Vieles war erfolgreich, anderes nicht. Aber das Investi- Dritte Beratung tionszulagengesetz gehört auf jeden Fall zu den gelunge- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem nen Versuchen. Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Auch wenn es spät ist – ich hoffe, dass viele vor den ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmener- Fernsehern sitzen –, möchte ich die Gelegenheit nutzen, gebnis wie in der zweiten Beratung angenommen. mich bei den Unternehmerinnen und Unternehmern, aber auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs- Gewerkschaft und ebenso bei den vielen zumeist ehren- antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10908. amtlich arbeitenden Kommunalpolitikerinnen und Kom- Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer munalpolitikern zu bedanken, die in den vergangenen stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs- 19 Jahren neben den finanziellen Mitteln das meiste zum antrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltun- Aufbau Ost beigetragen haben. gen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke bei Gegenstimmen der FDP abgelehnt. Wir sprechen in dieser Zeit, so auch heute, über den Aufbau Ost und den Stand der deutschen Einheit, und es Tagesordnungspunkt 36 b. Der Ausschuss für Arbeit wird viel darüber geredet, was noch nicht so funktio- und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung niert. Aber ich halte es auch für wichtig, zu sagen, dass auf Drucksache 16/10902, den Antrag der Fraktion Die vieles geschaffen wurde. (B) Linke auf Drucksache 16/9594 abzulehnen. Wer stimmt (D) für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Ich will als Sächsin in diesem Zusammenhang auf Fol- Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der gendes hinweisen: In den neuen Ländern haben wir ins- CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion besondere im Hinblick auf alternative Energien aus den Die Linke angenommen. Chancen, die uns gegeben wurden, unglaublich viel ge- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf: macht. Ich erinnere nur an Solarworld in Freiberg und an Roth & Rau in Hohenstein. Inzwischen sind in Ost- – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- deutschland viele gute und neue Unternehmen ansässig, gierung eingebrachten Entwurfs eines Investi- bei denen viele Menschen in Lohn und Brot stehen und tionszulagengesetzes 2010 (InvZulG 2010) die den Menschen in der Region eine Perspektive geben. – Drucksachen 16/10291, 16/10496 – Wer sich Gedanken darüber macht, ob es überhaupt Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- einen idealen Zustand gibt bzw. wann er erreicht ist, schusses (7. Ausschuss) muss ehrlich sein und sagen: Einen idealen Zustand gibt es in Deutschland nirgendwo, weder im Osten noch im – Drucksache 16/10886 – Westen noch im Norden noch im Süden. Das hat etwas mit Entwicklung zu tun. Natürlich hatten wir im Osten Berichterstattung: des Landes erst einmal viel nachzuholen; das ist nach Abgeordnete Manfred Kolbe wie vor so. Allerdings ist bei uns auch viel passiert. Ich Simone Violka möchte nicht darüber nachdenken, in welchem Zustand – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) sich zum Beispiel unsere Kanalisation heute befinden gemäß § 96 der Geschäftsordnung würde, hätte es die Wende und die folgenden Investitio- nen nicht gegeben. – Drucksache 16/10917 – (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Als ich ein Kind war, gehörten massive Rohrbrüche vor Carsten Schneider (Erfurt) allen Dingen im Winter zum täglichen Bild. Wenn Otto Fricke manch einer einwendet, dass das vielleicht etwas mit Dr. Gesine Lötzsch dem Klimawandel zu tun hat, und darauf hinweist, dass Alexander Bonde die Winter heute nicht mehr so hart wie früher sind, 20126 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Simone Violka (A) muss ich sagen: Ich glaube nicht, dass dies die Gründe zulagengesetz 2007, welches Ende des Jahres 2009 aus- (C) sind; denn damals lag vieles im Argen. Es fand ein un- läuft, gibt, welches die Förderung auch nach 2009 mög- glaublicher Raubbau an der Substanz statt, dessen Fol- lich macht und die geförderten Maßnahmen bis 2013 si- gen erst einmal bewältigt werden mussten. Wer glaubt, cherstellt. 19 Jahre hätten ausreichen müssen oder können, um die- sen Rückstand wettzumachen, der sollte einmal intensiv Trotz aller Freude will ich nicht verschweigen, dass darüber nachdenken, dass dieser Rückstand sozusagen das nicht selbstverständlich war, nicht wegen der Ein- 40 Jahre Zeit hatte, sich aufzubauen. stellung der Bundesrepublik zu diesem Gesetz, sondern wegen Brüssel. Schon als es um das Investitionszulagen- Zu den Ursachen dieses Rückstands gehören nicht nur gesetz 2007 ging, waren intensive Verhandlungen in den der Raubbau an Material und zum Teil am Menschen, zuständigen Brüsseler Stellen, die diesem Förderinstru- sondern auch, dass bewusst kein Mittelstand zugelassen ment eher skeptisch gegenüberstanden und ihm nach wie wurde, dass innovativen Betrieben, die sich hätten er- vor skeptisch gegenüberstehen, notwendig. Mein Dank weitern können, die Verstaatlichung drohte, sobald sie gilt an dieser Stelle all jenen, die das jetzt zur Abstim- eine gewisse Mitarbeiterzahl überschritten, sodass in mung stehende Gesetz durch intensive Gespräche und diesem Bereich praktisch keine Entwicklung stattfand. durch Überzeugungsarbeit in den Verhandlungen in Man kann nicht davon ausgehen, dass Menschen, die Brüssel ermöglicht haben. 40 Jahre lang unter solchen Rahmenbedingungen einen Betrieb führen mussten, von heute auf morgen zu her- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der vorragenden Unternehmern werden, die sich darüber CDU/CSU) hinaus – das kommt noch hinzu – in einem neuen Sys- tem zurechtfinden mussten, was sie schlicht und ergrei- Das war natürlich nicht ohne Kompromisse machbar. fend nicht konnten, weil ihre Lebensbedingungen dies Eine Forderung aus Brüssel war die Festschreibung ei- nicht hergaben. In Anbetracht dessen muss man wirklich nes Endpunktes der Förderung und eines degressiven sagen: Es ist super, was die Leute aus dieser Situation Verlaufs der Fördersätze. Dieser Forderung wird durch gemacht haben. die Ausgestaltung des vorliegenden Investitionszulagen- gesetzes 2010 Rechnung getragen. Allerdings haben wir (Beifall bei der CDU/CSU) im Ausschuss deutlich gemacht, dass für uns in dieser Ich möchte noch einmal auf den Faktor Zeit zu spre- Angelegenheit noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. chen kommen. Ich sage immer: Das ist wie beim Abneh- Sollte 2011 festgestellt werden, dass die Wirtschaftskraft im Fördergebiet noch immer weit unter dem Bundes- men. Zu viele Kilos hat man schnell drauf. Will man aber nachhaltig und vor allen Dingen auf gesunde Art durchschnitt liegt, muss die Degression noch einmal auf den parlamentarischen Tisch und auf ihre Notwendigkeit (B) und Weise wieder schlank werden, dauert das seine Zeit. – (D) hin überprüft werden. Wie beim Abnehmen muss man auch beim Aufbau Ost von Zeit zu Zeit überprüfen, welche Maßnahmen gut (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) sind und deshalb fortgesetzt werden sollten und welche inzwischen nicht mehr zeitgemäß und somit „ungesund“ Dadurch haben wir für den Osten viel gewonnen. Anstatt sind. den Zugeständnissen nachzuweinen, sollten wir bis 2013 das Beste daraus machen. Die Investitionszulage, die wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, hat sich als gutes Instrument er- Dank dem Entgegenkommen Brüssels wird mit dem wiesen und sich bewährt. Deshalb ist es gut und richtig, Investitionszulagengesetz 2010 auch die Förderlücke ab- dass sie auch nach 2009 weiterhin zur Verfügung steht. geschafft werden können. Das wird möglich, weil die Natürlich hat auch dieses Gesetz Schwächen. Wenn Europäische Kommission am 6. August 2008 eine All- man ehrlich ist, muss man sich allerdings fragen: Wel- gemeine Gruppenfreistellungsverordnung verabschiedet ches Gesetz hat denn keine Schwächen? Ich bin politisch hat, wonach eine Förderung von kleinen und mittleren nicht bereit, ein Gesetz, von dem Menschen profitieren, Unternehmen im D-Fördergebiet, also in Berlin, weiter- wegen ein paar Schwächen, die in keinem Verhältnis zu hin möglich ist. Vorher war eine Förderung in diesem seinen Stärken stehen, preiszugeben. Gebiet auf bis Ende 2008 begonnene Investitionsvorha- ben beschränkt. Dadurch wurde ein nahtloser Übergang (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Förderung für alle Gebiete ermöglicht. Zu den Schwächen dieses Gesetzes gehören nach wie Neu ist auch, dass kleine Unternehmen jetzt stärker vor die Mitnahmeeffekte. Mitnahmeeffekte gibt es aller- gefördert werden. Für Erstinvestitionen bei kleinen Un- dings überall, wo gefördert wird. Man kann sie nicht ver- ternehmen beträgt die Investitionszulage 20 Prozent der hindern, ohne die Menschen, die auf das Gesetz ange- Bemessungsgrundlage, und für mittlere Unternehmen wiesen sind, ihrer Existenz zu berauben. Dem gegenüber beträgt sie zukünftig 10 Prozent. Auch damit wird einer stehen Rechtssicherheit, Schnelligkeit und vor allen Din- Forderung aus Brüssel Rechnung getragen. gen eine unbürokratische Abwicklung. Diese Aspekte haben dieses Förderinstrument so beliebt gemacht. Das Aufgrund der Fördersummen haben wir alle Chancen sind Stärken, die wahrlich nicht jedes Förderinstrument auf weitere gute Ergebnisse. Neben anderen Förderin- vorweisen kann. Daher ist sehr zu begrüßen, dass es mit strumenten wollen wir auch mit diesem Gesetz weiter dem jetzt zu verabschiedenden Investitionszulagen- Unterstützung leisten. Durch die Beträge wird deutlich, gesetz 2010 ein Nachfolgegesetz für das Investitions- dass es sich bei dieser Unterstützung um ganz schöne Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20127

Simone Violka (A) Brocken handelt und nicht um kleine Möhrchen, von de- und kalkulierbarer Faktor, der gerade jetzt, da man ange- (C) nen heute früh schon gesprochen wurde. sichts der Finanzmarktkrise, in der wir uns befinden, über den wirtschaftlichen Abschwung nachdenken muss, Durch die Umsetzung des vorliegenden Gesetzent- im Osten stabilisierend wirken und dadurch weiterhin wurfes wird es zu folgenden Förderungen kommen: Im dazu beitragen kann, dass Investitionen im Mittelstand Jahre 2011 sind es über 550 Millionen Euro, im getätigt werden. Jahr 2012 über 770 Millionen Euro, im Jahr 2013 über 540 Millionen Euro, im Jahr 2014 über 315 Millionen Gleichwohl – das muss man an dieser Stelle auch sa- Euro, und im Jahr 2015 sind es wegen der degressiven gen – könnte man die Rede auch mit den Worten „Alle Ausgestaltung, die 2011 aber noch einmal überprüft wer- Jahre wieder“ beginnen; denn das Investitionszulagenge- den soll, noch einmal 90 Millionen Euro. setz ist ein Gesetz, dessen Gültigkeit alle zwei Jahre ver- längert wird. Damit wird ein Stück weit auch gezeigt, Das Investitionszulagengesetz 2010 ist ein gutes Ge- wie schwierig es ist, eine einmal gewährte Subvention setz. Es ist eine gute Nachricht für die Unternehmer wieder abzubauen. – vor allem aus Mittelstand und Handwerk –, die diese Förderung bereits in der Vergangenheit gern und oft in Der Kollege Hettlich hat es in seiner letzten Rede ge- Anspruch genommen haben. Es werden natürlich noch sagt: Es gibt keine wirklich sinnvolle Untersuchung da- weitere Mittel freigesetzt, weil mit jedem Euro Förder- rüber, ob die Investitionszulage zu den Effekten und Er- geld natürlich auch Eigeninvestitionen verbunden sind, folgen geführt hat, die wir alle konstatieren. was gerade in dem Bereich der mittelständischen und (Simone Violka [SPD]: Das wirkliche Leben kleinen Betriebe zu unglaublich großen Kräften für die beweist es!) heimische Wirtschaft führt. Zu einem Erfolg hat sie geführt: Sie hat zumindest dazu Wir haben uns im Verfahren aber nicht nur mit der geführt – das habe ich schon in der letzten Rede zu Degression, der Förderlücke und den Fördersummen be- diesem Thema angeführt –, dass das Finanzministerium schäftigt, sondern auch die Forderungen und Wünsche in Mecklenburg-Vorpommern staatsanwaltschaftlich durch- der verschiedenen Verbände und Unternehmerinnen und sucht wurde, weil dort jahrelang Missbrauch mit Kernge- Unternehmer angehört und sie, wenn es ging, auch be- bietsbescheinigungen betrieben wurde, was zu einem rücksichtigt. Soweit es möglich und politisch gewollt entsprechenden Abfluss von Investitionszulagen auf war, ist es gelungen, dementsprechende praxisnahe Ver- durchaus unberechtigter Weise geführt hat. Insofern änderungen herbeizuführen. Beispielhaft möchte ich die muss man sich – wenn man das Gesetz alle zwei Jahre konstruktiven Vorschläge des Zentralverbands des Deut- verlängert – die Frage stellen, ob es langfristig so weiter- schen Handwerks nennen. Einigen der zentralen Punkte gehen kann. Auch wenn man nicht an den Solidarpakt II, (B) ihres Wunsches auf Veränderung konnten wir folgen, (D) zu dem das Gesetz gehört, herangehen möchte, ist es und ich bin mir sicher, dass diese Veränderungen in un- fraglich, ob die Investitionszulage letzten Endes das er- ser aller Interesse sind. reicht, was wir uns davon versprechen. Wir stimmen heute über ein gutes Gesetz ab, das hilft, Gleichwohl käme die Diskussion jetzt zum falschen Deutschland in Gänze und damit die ostdeutschen Län- Zeitpunkt. Sie wird zu einem späteren Zeitpunkt geführt der im Besonderen weiter nach vorne zu bringen. Des- werden müssen, wenn wir die wirtschaftlichen Krisen- halb fordere ich Sie auf: Machen Sie mit, stimmen Sie zeiten, die jetzt auf uns zukommen, hoffentlich erfolg- zu, und schaffen Sie in den neuen Bundesländern bis reich überstanden haben. Die mittelständischen Unter- 2013 weitere Chancen, damit wir die deutsche Einheit nehmer in den neuen Bundesländern brauchen die endlich auch auf wirtschaftlichem Sektor vollenden kön- Investitionszulage. Vor diesem Hintergrund stimmt die nen! FDP dem Gesetzentwurf zu. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das Wort hat der Kollege Christian Ahrendt, FDP- der SPD) Fraktion. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei der FDP) Nächster Redner ist der Kollege Manfred Kolbe, CDU/CSU-Fraktion. Christian Ahrendt (FDP): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, (Beifall bei der CDU/CSU) die Sie zu so später Stunde noch hiergeblieben sind! Die FDP wird dem Investitionszulagengesetz 2010 zustim- Manfred Kolbe (CDU/CSU): men. Wir halten dies nach wie vor für wichtig. Der Auf- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! holprozess in den neuen Bundesländern ist nicht abge- Die Große Koalition arbeitet auf vielen Gebieten rei- schlossen. Es gibt nach wie vor die Situation, dass vor bungslos zusammen, so auch auf dem Gebiet der Investi- allem die kleinen und Kleinstunternehmen in den neuen tionszulage. Das zeigt sich auch daran, dass die Kollegin Bundesländern Schwierigkeiten haben, über ihre Eigen- Violka mehr oder weniger meine Rede vorgetragen hat. kapitalausstattung Investitionen zu finanzieren. Hier war Wir haben unabhängig voneinander mehr oder weniger die Investitionszulage in den letzten Jahren ein sicherer denselben Text verfasst. Ich kann mich deshalb auf ei- 20128 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Manfred Kolbe (A) nige zusätzliche Anmerkungen beschränken und darf im gramm wie die Investitionszulage zurückzufahren und (C) Interesse der anwesenden Kollegen verkünden, dass ich damit möglicherweise 200 Millionen Euro im Jahr ein- keineswegs gedenke, die Redezeit voll auszuschöpfen. zusparen. Das sollte man vielleicht bedenken. Wir sind deshalb froh, dass die Koalitionsfraktionen – Simone Ich möchte mit dem Dank an die Bundesregierung be- Violka hat das schon vorgetragen – in ihrem Bericht Fol- ginnen. Wir beschließen die Nachfolgeregelung für das gendes formuliert haben – ich darf das zitieren –: Investitionszulagengesetz 2007. Die Bundesregierung hat frühzeitig auf der Kabinettsklausur im letzten August Die Koalitionsfraktionen fordern die Bundesregie- in Meseberg das Investitionszulagengesetz bis 2013 auf rung auf, dem Finanzausschuss im Jahre 2011 über den Weg gebracht. Herr Schauerte, Herr Diller, vielen die wirtschaftliche Situation im Fördergebiet zu be- Dank namens meiner Fraktion. richten, damit bewertet werden kann, ob die Inves- titionszulage tatsächlich 2013 auslaufen oder doch (Beifall bei der CDU/CSU) darüber hinaus verlängert werden soll. Die Kollegin Violka hat ausgeführt, dass wir im Osten So lautet die Beschlussempfehlung des Finanzausschus- viele Erfolge erzielt haben. Wer vor 20 Jahren in der ses. ehemaligen DDR war und heute dieselben Städte und Landschaften besucht, wird diese in jeder Hinsicht nicht Ich möchte bereits auf den letzten Redner in dieser wiedererkennen. Wir haben teilweise den Westen in eini- Debatte eingehen, obwohl ich deine Rede noch gar nicht gen Bereichen nicht nur eingeholt, sondern auch über- kenne, lieber Kollege Peter Hettlich. holt. Wenn man auf der A 4 von Dresden nach Frankfurt fährt, dann wird man feststellen, dass in Thüringen die (Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Autobahn sechsspurig ist. In Hessen verengt sie sich auf NEN]: Du ahnst es!) einmal auf vier Spuren, obwohl es dort nicht weniger Du hast vorhin in der Debatte zur deutschen Einheit ge- Verkehr gibt. Wir haben auch die Pflegeheime, Kranken- äußert, dass den Koalitionsfraktionen dieser Punkt offen- häuser und den gesamten Bereich der öffentlichen Infra- bar nicht so wichtig sei, weil sie nicht redeten. Das war struktur ganz wesentlich auf Vordermann gebracht. falsch. Wir haben geredet. Du siehst mich doch hier am Nichtsdestotrotz gibt es noch Schwachpunkte beim Rednerpult stehen. Du wirst gleich möglicherweise be- Aufbau Ost. Ein Schwachpunkt ist sicherlich die ge- klagen, dass wir diese Debatte zu so später Stunde füh- werbliche Wirtschaft. Uns fehlen noch nach wie vor ren. Das liegt aber an eurem morgigen Parteitag, auf den selbstständige Unternehmen. Wir haben nur einen größe- wir Rücksicht nehmen. Sicherlich hätte man morgen zu ren Unternehmenssitz im Osten Deutschlands. Das ist einer besseren Zeit über diesen Punkt diskutieren kön- ein Defizit. Deshalb sind – das ist auch durch Zahlen be- nen. Du wirst möglicherweise auch beklagen, dass die (B) (D) legt – die Wachstumsraten im Osten Deutschlands leider Investitionszulage durch andere Instrumente ersetzt wer- seit einigen Jahren wieder niedriger als im Westen. Auch den soll. Ich meine aber – darin stimmen wir mit der die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor doppelt so hoch. SPD überein –, dass das ein unbürokratisches Förderin- Der Abwanderungstrend setzt sich leider weiter fort. strument ist. Es wird angenommen. Wenn du mit den Deshalb halten wir von der CDU/CSU-Fraktion das In- Vertretern der Wirtschaft vor Ort sprichst – wir beide ha- vestitionszulagengesetz 2010 für notwendig. ben denselben Wahlkreis –, dann wirst du feststellen, dass das nach wie vor das beliebteste Förderinstrument Das Fördergebiet umfasst die östlichen Länder. Be- ist. günstigte Wirtschaftszweige sind das verarbeitende Ge- werbe, produktionsnahe Dienstleistungen und das Be- Abschließend darf ich mich bei allen Beteiligten, der herbergungsgewerbe. Der Investitionszeitraum umfasst Bundesregierung, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Zeit bis zum 31. Dezember 2013. Der Fördersatz ist im Finanzausschuss sowie den Kollegen, bedanken, die degressiv, von 12,5 Prozent im Jahr 2010 bis 2,5 Prozent dieses Gesetz auf den Weg gebracht haben. Wir haben im Jahr 2013. Das Investitionsvolumen beträgt 550 Mil- damit einen kleinen weiteren Baustein zur inneren Ein- lionen Euro im Jahr 2011, 770 Millionen Euro in 2012, heit gelegt und wünschen diesem Gesetz viel Erfolg. 540 Millionen Euro in 2013, 315 Millionen Euro in 2014 Vielen Dank. und weitere 90 Millionen Euro in 2015. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Damit komme ich zu der scharfen Degression, die das Investitionszulagengesetz 2010 enthält. Auch darin sind Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: wir uns einig, liebe Simone Violka: Wir sind froh über die Fortführung des Investitionszulagengesetzes, aber Nächste Rednerin ist die Kollegin Dorothée Menzner, wir bedauern etwas die scharfe Degression, die im Wi- Fraktion Die Linke. derspruch zu der Tatsache steht, dass der Osten noch (Beifall bei der LINKEN) nicht so richtig aufholt und wir dieses Instrument des- halb weiter brauchen. Dorothée Menzner (DIE LINKE): Aus aktuellem Anlass möchte ich noch auf Folgendes Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- hinweisen: Wir machen uns dieser Tage Gedanken über gen! Der vorliegende Gesetzentwurf ist angesichts der ein Konjunkturprogramm, das einen zweistelligen Mil- aktuellen Entwicklungen auf den internationalen Finanz- liardenbetrag kosten soll. Es macht angesichts dessen märkten und deren Auswirkungen auf die Realwirtschaft wenig Sinn, die Mittel für ein bewährtes Konjunkturpro- leider anachronistisch. So empfinde ich im Übrigen viele Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20129

Dorothée Menzner (A) von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwürfe, kommen. Dass Sie dann noch versuchen, diesen von Ih- (C) gerade mit ihren Konsequenzen für die ostdeutschen rer Politik mehrfach benachteiligten Menschen ein X für Bundesländer. In diesem Fall aber und angesichts eines ein U vorzumachen, zeugt schlichtweg von schlechtem parallel durch die Bundesregierung geplanten Konjunk- politischem Stil. turprogramms zur Abfederung der Wirtschaftskrise stellt sich die Frage nach der inhaltlichen Ausgestaltung des Da wir als Fraktion Die Linke eine Förderung von In- Gesetzesvorhabens noch dringlicher. vestitionen in den neuen Bundesländern nicht ablehnen, das vorliegende Gesetz aber für unzureichend halten, Warum? Das Gesetz selbst regelt eine Fortführung der werden wir uns enthalten. Investitionsförderung in den neuen Bundesländern über das Jahr 2009 hinaus. Das begrüßen wir, ebenso wie der Ich danke. Bundesrat. Der vorliegende Entwurf verstetigt einerseits (Beifall bei der LINKEN) die Trennung zwischen Ost und West, ignoriert jedoch andererseits die aktuelle Entwicklung in Richtung einer Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: schweren und wahrscheinlich lang anhaltenden Phase Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Peter ökonomischer Rezession. Angesichts dessen – und so- Hettlich, Bündnis 90/Die Grünen. lange im Grundgesetz die Gleichwertigkeit der Lebens- verhältnisse postuliert wird – ist es politisch geradezu (Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Oh! Er fahrlässig, die Investitionszulage für die neuen Bundes- ist ganz alleine!) länder ab 2009 kontinuierlich abzusenken, um sie dann nach 2013 auslaufen zu lassen. Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal muss ich sagen: Lieber Manfred Um es ganz deutlich zu sagen: Natürlich unterstützt Kolbe, ich freue mich ausdrücklich, dass wir diese De- die Linke die weitere Förderung. Gleichzeitig setzt sie batte führen; ich werde mich nicht beklagen. Wir waren sich jedoch gegen die Einstellung der Investitionszulage uns darin einig, dass wir in der letzten Legislaturperiode nach 2013 ein, weil man sich damit eines Instruments öfter auch um ein oder zwei Uhr hier geredet haben. Das zur Förderung des Mittelstandes in den neuen Bundes- hat sich ein bisschen verändert. Neue Jahre, neue Sitten. ländern beraubt; denn aktuell ist dieses Mittel umso Wie gesagt, ich freue mich ausdrücklich und bedanke dringlicher und kann von den im Rahmen des Konjunk- mich bei den Kollegen, dass sie noch zu so später Stunde turprogramms der Bundesregierung geplanten Förde- hier im Saal sind. rungsmaßnahmen für den Mittelstand nur flankiert wer- (B) den. Niemand wird bezweifeln, dass die besondere (Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN) (D) Förderung des ostdeutschen Mittelstandes notwendig ist, Ich finde, das ist ein wichtiges Thema. Deswegen um den neuen Bundesländern zu dem selbsttragenden habe ich auch gesagt, wir sollten darüber diskutieren; Aufschwung zu verhelfen, von dem die Große Koalition denn die Investitionszulage, die Frage der Verlängerung immer redet. Eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit, und die Frage, wie es nach 2013 weitergeht, sind Dinge, kaum Forschung und Entwicklung, die Verfestigung pre- die meine Fraktion schon sehr lange bewegen. Ich bin kärer Arbeitsverhältnisse sowie ein geringeres Lohn- seit sechs Jahren Sprecher der AG Ost. Das Thema Wirt- und Rentenniveau sprechen eine deutliche Sprache. schaftsförderung stand natürlich von Anfang an bei uns Nun trifft es ja zu, dass aufgrund des ökonomischen im Zentrum. Wir haben uns im Rahmen dieses Themas Wandels auch in den alten Bundesländern struktur- auch länger mit der Frage auseinandergesetzt, wie es ei- schwache Regionen mit ähnlichen Problemen entstanden gentlich weitergehen soll. Ich glaube, wir sind uns in der sind, die auch staatlicher Hilfe bedürfen. Diese aber zu- Analyse des Aufholprozesses in Ostdeutschland einig. lasten der ostdeutschen strukturschwachen Regionen zu Wir wissen, dass wir eine ganze Menge erreicht haben, gewähren, spricht einer nachhaltigen Politik Hohn. Hier und das wird, so glaube ich, von keinem hier im Haus wird offensichtlich Ost gegen West bei der Wirtschafts- negiert. Aber wir wissen natürlich auch, dass wir von ei- förderung ausgespielt. nem Erfolg dieses Aufholprozesses, den wir eigentlich mit dem Solidarpakt gestalten wollten, und von der An- Apropos sozial: Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass gleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West noch durch die Kürzung der Investitionszulage und die Neu- ein Stück entfernt sind. Wenn wir uns die Zahlen anse- aufteilung der Gelder zwischen Ost und West irgendei- hen – die haben wir heute Nachmittag bei der Debatte ner strukturschwachen Region wirklich geholfen werden zum Stand der deutschen Einheit genannt –, dann sehen kann. Die bestehenden und anwachsenden Probleme las- wir, dass wir noch einen Riesenweg vor uns haben. Wir sen sich durch die allgemeine Ausdünnung des Förderni- müssen einfach konstatieren, dass uns die letzten zehn veaus ganz bestimmt nicht sinnvoll und nachhaltig lö- Jahre da nicht unbedingt weitergebracht haben. sen. Dass die Bundesregierung statt eines langfristigen und finanzpolitisch nachhaltigen Engagements jeden fi- Insofern muss man sich über die Sinnhaftigkeit der nanzökonomischen Unsinn mitmacht, ist die Steuerzah- Förderinstrumente Gedanken machen. Ich finde, dass ler leider schon mehr als teuer zu stehen gekommen. man das Recht haben muss, auch ein Instrument wie die Dass diese Regierung die schwächeren Regionen, gleich I-Zulage von einer anderen Seite zu beleuchten und teil- ob in Ost oder West, perspektivisch ihrem Schicksal weise auch infrage zu stellen. Lieber Kollege Ahrendt, in überlässt, wird die Menschen auch noch teuer zu stehen der ersten Rede – die zu Protokoll ging – haben wir auf 20130 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Peter Hettlich (A) die Probleme der Fehlverwendung und auf die Rückfor- (Christian Ahrendt [FDP]: In Mecklenburg- (C) derungen in einigen Bundesländern hingewiesen. Ich Vorpommern ist aber evaluiert worden!) habe eben von Ihnen sehr interessante Aspekte über Mecklenburg-Vorpommern erfahren. – Ja. Ich wollte nur sagen: Das ist aber das Problem. Inso- Für mich ist es wichtig, die Botschaft zu senden. Wir fern begrüße ich ausdrücklich den Vorschlag des Finanz- haben den Solidarpakt II, der aus zwei Körben besteht, ausschusses, sich 2011 über das Thema Instrumente zu nämlich dem Korb I und dem Korb II. Der Korb I um- unterhalten. fasst quasi die Barmittel für die Bundesländer, die Sonder- bedarfs-Bundesergänzungszuweisungen, und der Korb II, Ich muss jetzt nicht mehr sagen. Meine Redezeit ist aus dem die Investitionszulage und auch die Gemein- auch abgelaufen. schaftsaufgabe Ost letztendlich gespeist werden, ist ge- (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Genau!) deckelt. Er hat ein Volumen von 51 Milliarden Euro, von denen wir laut den Statistiken des Finanzministeriums Sie kennen unsere Position – wir haben sie auch in der bis heute etwa 16 Milliarden Euro ausgegeben haben. ersten Beratung dargelegt; da hat sich bei uns nichts ge- Somit bleiben 35 Milliarden Euro für die letzten zehn ändert –: Wir werden dieses Gesetz ablehnen. Ich bitte Jahre des Solidarpakts II übrig. Wir müssen uns also ver- um Verständnis dafür, dass wir es für sinnvoller halten, gegenwärtigen, dass wir das Geld, das wir dem Korb II die Mittel an anderen Stellen einzusetzen, beispielsweise entnehmen – dazu gehört auch die I-Zulage –, möglichst bei Innovationen, Bildung und Forschung. Wir sähen es effizient einsetzen müssen. Deswegen kann man nicht lieber, wenn die Gelder aus Korb II dort verwendet wür- einfach so mit Jubelfanfaren auftreten, sondern man den. Damit könnten wir gut leben. muss überlegen, ob das an der Stelle wirklich sinnvoll ist. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wün- sche Ihnen noch einen schönen Abend. Wenn wir die Probleme in Ostdeutschland betrach- (Beifall bei der LINKEN) ten, dann müssen wir feststellen, dass wir einen Teil unserer Klientel eigentlich nicht erreichen, auch nicht mit der I-Zulage; denn die I-Zulage bekommt nur derje- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: nige, der Kapital hat, um Investitionen zu tätigen. Der Ich schließe die Aussprache. bekommt dann über die I-Zulage einen Zuschuss. Es gibt Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- aber viele kleine, mittelständische und Kleinstunterneh- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines Investi- men in Ostdeutschland, die ganz andere Probleme ha- tionszulagengesetzes 2010. Der Finanzausschuss emp- (B) ben. Ich nenne als Beispiel das klassische Problem der fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- (D) Mittelstandsfinanzierung, also die Frage der Liquidität. sache 16/10886, den Gesetzentwurf der Bundesregie- Das ist eine eminent wichtige Frage, die sich gerade in rung auf Drucksache 16/10291 und 16/10496 in der Zeiten der Finanzmarktkrise stellt. Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die Wir sind der Meinung, dass uns die I-Zulage an dieser dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen Stelle nicht weiterhilft. Unabhängig von den Fragen der wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent- Fehlverwendungen haben wir immer gesagt, dass die haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung Gemeinschaftsaufgabe Ost aus unserer Sicht sinnvoller mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, FDP bei Gegen- ist. Das bedeutet natürlich mehr Bürokratie und mehr stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Arbeit. Deswegen ist sie auch nicht so beliebt. Aber wir Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. wissen uns auf der Seite der wirtschaftswissenschaftli- Dritte Beratung chen Institute und der Sachverständigen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ich kann mich noch an die letzte Debatte in diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Hause vor etwa drei Jahren erinnern. Damals hat mir die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Kollegin Antje Tillmann von der CDU/CSU zugestan- ist in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis den, dass dieses Instrument nicht so toll ist, wie es auf wie in zweiter Beratung angenommen. den ersten Blick immer erscheint. Der Diskussionspro- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf: zess ist in allen Fraktionen offensichtlich vorangeschrit- ten; insofern hat sich die Position der CDU/CSU hin zur – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- Zustimmung entwickelt. nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung Ich erinnere mich auch an das, was Jan Mücke im des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes Ausschuss zur Frage des Beherbergungsgewerbes gesagt hat. Aufgrund seiner Erfahrungen in Dresden hat er be- – Drucksache 16/9415 – richtet: Liebe Leute, die Förderung des Beherbergungs- – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- gewerbes in Dresden über die I-Zulage führt zu einer regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Fehlallokation. Dann haben wir eine Kleine Anfrage an Gesetzes zur Änderung des Bundeselterngeld- die Bundesregierung gerichtet. Die Bundesregierung hat und Elternzeitgesetzes uns geantwortet: Wir können Ihnen dazu nichts sagen, weil wir das nicht evaluieren. – Drucksache 16/10118 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20131

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses über den Zugang zu digitalen Geodaten (Geo- (C) für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Aus- datenzugangsgesetz – GeoZG) schuss) – Drucksachen 16/10530, 16/10580 – – Drucksache 16/10689 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Berichterstattung: ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Abgeordnete Ingrid Fischbach heit (16. Ausschuss) Caren Marks – Drucksache 16/10892 – Ina Lenke Jörn Wunderlich Berichterstattung: Ekin Deligöz Abgeordnete Ulrich Petzold Gerd Bollmann Hierzu liegt uns ein Entschließungsantrag der Frak- Horst Meierhofer tion Die Linke vor. Lutz Heilmann Sylvia Kotting-Uhl Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Hierzu liegt uns ein Entschließungsantrag der Frak- Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich tion der FDP vor. um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Ingrid Fischbach, CDU/CSU, Dieter Steinecke, SPD, Ina Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Lenke, FDP, Jörn Wunderlich, Die Linke, Ekin Deligöz, Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Ulrich Bündnis 90/Die Grünen.1) Petzold, CDU/CSU, Gerd Bollmann, SPD, Horst Meierhofer, FDP, Lutz Heilmann, Die Linke, Sylvia Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Fa- Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen. milie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10689, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und Ulrich Petzold (CDU/CSU): SPD auf Drucksache 16/9415 anzunehmen. Ich bitte die- Wissen ist Macht. Wenn alle Macht vom Volke ausgehen jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um soll, ist es zwingend notwendig, den Zugang zu Wissen so ihr Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der demokratisch wie nur irgend möglich auszugestalten. Es Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den wird allerhöchste Zeit, dass wir im Informationsbereich Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen von mehr Demokratie einführen. (B) (D) Bündnis 90/Die Grünen und FDP und bei Enthaltung der Lassen Sie mich von einem Gespräch berichten, das Fraktion Die Linke angenommen. ich vor wenigen Tagen in Vorbereitung auf die heutige Le- Dritte Beratung sung in einem Landesamt für Geoinformationen geführt habe. Ein leitender Mitarbeiter erzählte mir, dass ihn sein und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Nachbar vor kurzem gebeten hatte, Informationen zur Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Größe und Bebauung eines Grundstückes zu besorgen, Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf das er zu kaufen beabsichtigte. Dieser leitende Mitarbei- ist in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis ter des früher als Katasteramt benannten Amtes setzte wie in zweiter Beratung angenommen. auch alle Hebel in Bewegung, um die Informationen zu erhalten. Er holte Genehmigungen ein, sah Akten ein. Als Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt er schließlich nach einigen Tagen freudestrahlend ob sei- der Ausschuss, den Gesetzentwurf der Bundesregierung nes Ergebnisses bei seinem Nachbarn erschien, zuckte auf Drucksache 16/10118 für erledigt zu erklären. Wer der nur mit den Schultern und entgegnete: Das, was ich stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt brauchte, habe ich mir schon längst über Google besorgt. dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung Werkzeuge und Daten sind dort alle vorhanden, und es ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. hat mich nichts gekostet. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Nun will ich nicht behaupten, dass wirklich alle Daten Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10830. Wer so leicht erreichbar wären, doch vieles von dem, was ei- stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenprobe! – nige Ämter nur mit großem Aufwand herausrücken, Infor- Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den mationen, um die man ewig kämpfen muss, sind längst Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung aus dem Internet beziehbar. So wäre es dann gar nicht von Bündnis 90/Die Grünen und bei Gegenstimmen der notwendig, diese Daten von Amts wegen in das Netz zu Fraktion Die Linke abgelehnt. stellen? Doch. Amtliche Daten sind nun einmal amtliche Daten mit einer großen Zuverlässigkeit, und amtliche Da- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf: ten gehören nun einmal auch auf die Datenplattform, auf die sie hingehören. Es kann nicht sein, dass nur der an Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Daten herankommt, der entweder ein Ratefuchs ist oder gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes aber hoch versiert am Computer arbeiten kann. Zur De- mokratie gehört auch ein einfacher Zugang zu Daten. Ge- 1) Anlage 19 rade wir als Abgeordnete müssten das nachvollziehen 20132 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Ulrich Petzold (A) können, werden wir doch auch manchmal regelrecht mit Wie soll gemäß § 10 ein nationales Lenkungsgremium (C) Daten zugeschüttet. Ich habe den Eindruck, dass das hin des Bundes und der Länder Verantwortung für die Orga- und wieder mit Absicht geschieht. nisation der nationalen Geodateninfrastruktur tragen, wenn nach § 14 die Bundesländer bei der Verordnungs- Also könnte man sagen voll und ganz rundum zufrie- ermächtigung zum Beispiel zu Zugangsbeschränkungen den? Ein paar Sorgen bleiben schon noch. In § 12 des nach Art. 13 der Richtlinie und damit bei einem wesent- heute zu beratenden Gesetzes sind auch Zugangsbeschrän- lichen Teil der Organisation außen vor sind? Wenn es um kungen zu Daten geregelt. Dazu wird auf die §§ 8 und 9 des die Organisation der nationalen Geodateninfrastruktur Umweltinformationsgesetzes verwiesen. Jedoch bleibt die geht, macht eine alleinige Verordnungskompetenz des Frage, ob das geistige Eigentum an Geodaten richtig ge- Bundes bei Verantwortung eines gemeinsamen Lenkungs- schützt ist. Selbstverständlich wird auch immer ein Inte- gremiums des Bundes und der Länder keinen Sinn. Wer resse der Öffentlichkeit an Geodaten vorhanden sein, an haftet für fehlerhafte, unvollständige oder falsche Geo- denen geistiges Eigentum besteht. Die datenverwaltenden daten, wer haftet für unberechtigt herausgegebenes Behörden werden dann in der Zwickmühle des öffentlichen geistiges Eigentum? Alles das lässt mich zu dem Schluss Interesses stehen. Geht dann im Einzelfall das öffentliche kommen, dass hier endlich Kooperation statt Konfronta- Interesse über das Interesse des Schutze am geistigen Ei- tion zwischen Bund und Ländern angesagt ist. gentum? Hier stehen Urheberrecht und Umweltinforma- tionsgesetz meiner Auffassung nach unberührt nebenein- Die von anderen Fraktionen gestellte Frage nach dem ander, sodass ich die Mitarbeiter der Behörden nur ausreichenden Schutz von personenbezogenen Daten er- bedauern kann. ledigt sich dadurch, dass auch der in vielen Fragen sehr kritische Bundesbeauftragte für den Datenschutz das Geo- Diese Zwickmühle wäre dann einfacher zu lösen, wenn datenzugangsgesetz geprüft und für zulässig in dieser eine Einvernehmensregelung des jeweiligen Amtes mit Frage befunden hat. Deshalb können wir den Antrag der dem Dateneigentümer, in welcher Form auch immer, ge- FDP ohne weitere Bedenken ablehnen. geben wäre. Die Bundesregierung hat sich eine breite Verordnungsermächtigung im Gesetz gegeben. Da in § 14 Zusammenfassend darf ich für meine Fraktion ausfüh- des GeoZG auch eine Verordnungsermächtigung zu ren, dass es höchste Zeit für die Umsetzung der Richtlinie Durchführungsbestimmungen nach Art. 5 Abs. 4 der war und dass wir trotz einiger Bedenken dem Gesetz Richtlinie enthalten ist, die die Durchführung der Zu- zustimmen werden. Wir erwarten jedoch, dass sich die gangsbeschränkung regeln kann, kann meine Sorge noch Bundesregierung gegenüber den Bundesländern koope- behoben werden. Es muss jedoch dann in einer Verordnung rativ verhält, und gleichzeitig erwarten wir natürlich das klar zum Ausdruck kommen, dass Geodaten, an denen gleiche kooperative Verhalten der Länder, wenn es um die (B) Dritte Rechte des geistigen Eigentums haben, der Öffent- Zulieferung von Geodaten und die Organisation dieser (D) lichkeit nur mit Zustimmung dieses Dritten zugänglich Zulieferung geht. gemacht werden dürfen. Die Aufhebung der Zugangs- beschränkung zu geistigem Eigentum Dritter sollte nicht Gerd Bollmann (SPD): im freien Ermessen von Behörden liegen. Geschätzte 80 Prozent der Entscheidungen, die wir im § 13 spricht Geldleistungen und Lizenzen für Geoda- öffentlichen wie auch im privaten Leben treffen, haben ei- ten an. So grundsätzlich richtig solche Gebühren sind, nen räumlichen Bezug. Sei es der Ausflug am Wochen- dürfen sie doch auch nicht dazu führen, dass Personen- ende, die Wahl eines Firmenstandortes oder Wohnsitzes, gruppen aus finanziellen Gründen von Informationen aus- die Überlegung, ob eine Geothermieanlage rentabel ist geschlossen werden, die für sie wichtig sind. Ich erwarte oder welche Energieeffizienzmaßnahmen sinnvoll sind, hier eine klare Abgrenzung zur kommerziellen Nutzung. allen diesen Fragen liegen räumliche Überlegungen zu- Auch wenn wir der juristischen Argumentation der Bun- grunde. Doch bisher war es nicht immer möglich oder zu- desregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme mindest mit Aufwand und Kosten verbunden, Zugang zu des Bundesrates folgen, sehe ich vom Rechtsgefühl her diesen entscheidenden Daten zu erlangen. Mit der soge- den Streit des Bundesrates mit der Bundesregierung in nannten INSPIRE-Richtlinie, die das Europäische Parla- der Frage der Zustimmungsbedürftigkeit der zu erlassen- ment und der Rat im März des vergangenen Jahres erlas- den Verordnungen nach § 14 durch den Bundesrat als un- sen habe wurde dem Problem auf europäischer Ebene befriedigend. begegnet. Die Richtlinie sieht die Schaffung einer Geo- dateninfrastruktur in der Europäischen Gemeinschaft Nicht von der Hand zu weisen ist, dass von dem vorlie- vor. genden Gesetz in großem Umfang auch Geodaten betrof- fen sein werden, die bei Länderbehörden gespeichert Mit der heutigen Beratung über den Entwurf eines sind. Wie Geodaten haltende Stellen des Bundes ohne Gesetzes über den Zugang zu digitalen Geodaten setzen beständige Mitarbeit von Länderverwaltungen ihrer In- wir die europäische Richtlinie in nationales Recht um. formationspflicht nachkommen wollen, erschließt sich Das Geodatenzugangsgesetz regelt den Zugang zu und mir noch nicht vollständig. Auch wenn die Geobasisdaten die Nutzung von Geodaten der öffentlichen Verwaltung. als Kernkompetenz der Länder ausdrücklich auf Wunsch Zukünftig müssen harmonisierte Geodaten und Metada- der Länder in § 5 Abs. 1 aufgenommen wurden, sehe ich ten der öffentlichen Verwaltung aus dem Themenbereich doch auch eine nationale Geodateninfrastruktur immer der europäischen Umweltpolitik über entsprechende vor unserem föderalen Hintergrund und damit eine Invol- Geodatendienste für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft vierung der Länder. und Verwaltung öffentlich verfügbar bereitgestellt wer-

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20133

Gerd Bollmann (A) den. Dritten wird die Möglichkeit eingeräumt, ihre Da- sonderen Stellenwert einzuräumen. Ohne einen sinnvol- (C) ten freiwillig in das System einzupflegen. Durch die Ver- len Datenschutz ist der öffentliche, europaweite Zugang einfachung des Zugangs zu und der Nutzung dieser zu Geodaten für uns deshalb indiskutabel. Daten werden wir endlich in der Lage sein, das Wert- schöpfungspotenzial dieser Daten zu erschließen. Wir sind der Meinung, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung muss auch in diesem Gesetz angemes- Die Daten müssen dabei interoperabel sein. Um diese sen berücksichtigt werden. Aber genau da haben wir noch Interoperabilität – sowohl auf lokaler, regionaler wie unsere Zweifel. Den Behörden die Entscheidung aufzu- auch auf nationaler Ebene – zu gewährleisten, wurde eine halsen, wann und in welchem Umfang die angefragten enge Verbindung zu der im Aufbau befindlichen Geo- Daten herausgegeben werden dürfen, halten wir weder dateninfrastruktur hergestellt. Die europäische für sachgerecht noch für tatsächlich praktikabel. Immer- INSPIRE-Richtlinie berücksichtigt und unterstützt sogar hin geht es jetzt nicht mehr nur um gelegentliche Einzel- die seit 2004 in Deutschland unternommenen Aktivitäten anfragen, wie das beim Umweltinformationsgesetz der zum Aufbau einer Geodateninfrastruktur. Fall war und auf das das Geodatenzugangsgesetz ver- weist, sondern um den Massenabruf, und das europaweit. Ob die Suche nach Rohstoffen oder die Planung von Rettungseinsätzen, ob Daten für Navigationssysteme Wir Liberale sind deshalb der Meinung: Hier ist der oder den Verkehr im Allgemeinen, das vorliegende Gesetz Gesetzgeber gefragt. Eine gewisse Vorfestlegung durch wird all dies wirtschaftlicher und einfacher machen. den Gesetzgeber, ob und in welchem Ausmaß personen- bezogene Daten betroffen sein können, erleichtert den Vollzug und macht das Gesetz für die Betroffenen nicht Horst Meierhofer (FDP): ganz so willkürlich. In diesem Zusammenhang halten wir Geodaten kommt eine immense Bedeutung zu: Dies vor allem ein Ampelsystem, das die Geodaten je nach gilt auch und gerade für den Umweltbereich. Ohne eine Personenbezug in die Kategorien Rot, Gelb und Grün seriöse Datengrundlage kann man weder sagen, ob sich einteilt, und je nach Kategorie unterschiedliche Zugangs- die Gewässerqualität verbessert oder verschlechtert hat, bedingungen bereithält, für sinnvoll. In unserem Ent- noch, ob der Biotopschutz wirkt oder wie es um die bio- schließungsantrag haben wir deshalb die Bundesregie- logische Vielfalt steht. rung aufgefordert, das jetzige Gesetz zurückzuziehen und Als jemand, der aus seinem Wohnzimmerfenster direkt ein neues, das vor allem dem Grundrecht auf informatio- auf die Donau schauen kann, weiß ich zudem, wie wichtig nelle Selbstbestimmung angemessen Rechnung trägt, zu es ist, bei Hochwasser schnell europaweit abgestimmte erarbeiten. Reaktionen treffen zu können. Je einfacher die hierfür re- Ich bitte Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen. Zu (B) levanten Geodaten über die nationalen Grenzen hinweg dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzesent- (D) verfügbar sind, umso besser. Die Brüssler INSPIRE- wurf enthalten wir uns. Richtlinie setzt genau hier an. Geoinformationen, die für die Umwelt bedeutsam sind, sollen Behörden und Öffent- Lutz Heilmann (DIE LINKE): lichkeit europaweit zugänglich gemacht werden. Das ist konsequent, und auch wir Liberale finden das prinzipiell Vermutlich wissen nur wenige, was genau Geodaten gut. eigentlich sind. Man könnte sie als digitale Karten be- zeichnen. Dadurch wird der große Unterschied zu echten Was macht die Bundesregierung aus den Brüssler Vor- Karten aber eher verschleiert als erhellt. So können Geo- gaben? Anders als Brüssel beschränkt sich das deutsche daten in mehr als zwei Dimensionen dargestellt werden. Gesetz nicht auf die umweltrelevanten Geodaten. Das Und Sie können zeitliche Entwicklungen abbilden. Kon- kann man machen. Die deutsche „Geodatenlandschaft“ kreten Gebieten lassen sich durch die digitale Verfügbar- ist schließlich verwirrend und zersplittert genug. Aber: keit auch viel mehr Informationen zuordnen, als man auf Gerade dann, wenn man sich für diese „große“ – weil einer einzelnen Karte darstellen könnte. Und Geodaten über umweltrelevante Daten hinausgehende – Lösung kann man in Geoinformationssystemen bearbeiten. entscheidet, darf der Datenschutz nicht so stiefmütterlich Die EU hat in der INSPIRE-Richtlinie nun festgelegt, behandelt werden, wie es beim Entwurf des BMU den An- dass Geodaten europaweit zentral verfügbar gemacht schein hat. Auch Geodaten können schließlich personen- werden sollen und dass die Daten dafür bestimmten Stan- bezogene Daten sein, auch in diesem Gesetz. dards unterliegen müssen, damit sie europaweit einheit- An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal klarstel- lich nutzbar sind. Das ist zu begrüßen. len: Anders als die Bundesregierung gestern im Aus- Geodaten an sich sind genauso neutral wie alle ande- schuss sind wir Liberale sehr wohl der Meinung, dass ren Daten auch. Die Frage ist hier wie dort, wer was mit auch die von dem Gesetz erfassten Geodaten Personen- den Daten machen kann, bzw.: Wie sieht es mit dem Da- bezug haben können. Oder was bitteschön – wenn nicht tenschutz aus? personenbezogen – ist die „Lokalisierung von Grundstü- cken anhand von Adressdaten“? Auch bei der sogenann- Warum ist der Datenschutz bei Geodaten überhaupt ten Orthofotografie sehe ich ab einem gewissen Maßstab wichtig? Dazu muss man sich vor Augen halten, dass und Auflösungsgrad Personenbezug. Wir wissen sehr Geodaten eben nicht immer „irgendwas mit Umwelt“ zu wohl, dass private Unternehmen zum Teil noch sehr viel tun haben, wie viele vielleicht denken. Geodaten liefern detaillierter solche Daten erheben. Aber das entbindet Informationen über die räumliche Verteilung aller mögli- den Gesetzgeber nicht davon, dem Datenschutz einen be- chen Aspekte. Das sind natürlich auch umweltbezogene

Zu Protokoll gegebene Reden 20134 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Lutz Heilmann (A) Informationen wie die Verteilung landwirtschaftlicher nenbezogener Daten nur dann eingeschränkt wird, wenn (C) Flächen, der Bodenbeschaffenheit, der Verteilung und die schützwürdigen Interessen Betroffener „erheblich be- Anzahl des Vorkommens geschützter Arten und Biotop- einträchtigt“ werden. Der Leiter des schleswig-holsteini- typen. All das kann gespeichert werden. Wie gesagt, mit schen Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Geodaten kann man viele sinnvolle Sachen machen. schlägt für das Landesgesetz ganz andere Formulierun- gen vor. Danach sollte bereits dann der Antrag auf Zu- Da es in Deutschland leider keine bundesweite und gang zu Geodaten abgelehnt werden, wenn die Interessen einheitliche Erfassung aller Flächen mit rechtlichen Bin- Betroffener „beeinträchtigt“ würden. Vor allem aber sol- dungen zugunsten des Naturschutzes und der Land- len die Betroffenen vor der Freigabe der Daten informiert schaftspflege gibt, ist es aus dieser Sichtweise mehr als oder angehört werden. All das sieht der Gesetzentwurf wünschenswert, Geodaten zentral verfügbar zu machen der Bundesregierung eben nicht vor. und einheitliche Standards einzuführen. Eine solche „Da- tenbank der Natur“ könnte für Deutschland und Europa Die Anwendung des Umweltinformationsgesetzes ist sehr große Dienste dabei leisten, den Anforderungen im zudem auch unpassend. Es regelt den Zugang Einzelner Naturschutz durch den Klimawandel und den dadurch be- zu Informationen von allgemeinem Interesse. Der Zugang dingten Lebensraumveränderungen für Pflanzen und zu Geodaten meint auch das. Er kann aber auch das ge- Tiere besser gerecht werden zu können. naue Gegenteil bedeuten, dass nämlich staatliche Stellen und sogar die Wirtschaft Informationen über Einzelne er- Geodaten sind aber weit mehr als das. Geodaten sind halten. auch Informationen über die Verteilung von Krankheiten, Armut, Arbeitslosigkeit, den Anteil von Migrantinnen und Auch nach der INSPIRE-Richtlinie soll die Zugangs- Migranten. Wenn man solche Daten wissenschaftlich möglichkeit eingeschränkt werden, wenn dies nachteilige nutzt, können auch die sehr nützlich sein. Auswirkungen auf die Vertraulichkeit personenbezogener Daten haben kann. Das leistet der Gesetzentwurf der Im Umweltausschuss haben wir direkt im Anschluss an Bundesregierung aber nicht. Deswegen lehnen wir dieses die Beratung dieses Gesetzes über die auffällige Häufung Gesetz ab. Die Risiken überwiegen bei diesem Gesetz lei- von Kinderkrebsfällen in der Umgebung von Atomkraft- der die vielfältigen Chancen. Es eröffnet dem Missbrauch werken gesprochen. Wenn alle Kinderkrebsfälle als Geo- durch die Wirtschaft Tür und Tor. Und es bietet keinen daten vorliegen würden, könnte man die mit den Informa- ausreichenden Schutz davor, dass Daten über einzelne tionen über die Standorte von Atomanlagen kombinieren, Personen in Hände gelangen, in die sie nicht gehören. die Wahrscheinlichkeit der zufälligen räumlichen Über- Die FDP zeigt eine praktikable Lösung auf, wie der Da- einstimmung berechnen – und so sehr leicht wichtige In- tenschutz gewährleistet werden kann. Wenn die Bundes- formationen gewinnen. regierung einen vernünftigen Gesetzentwurf vorlegt (B) hätte, dann hätten wir dem mit Freude zugestimmt. (D) Die räumliche Verteilung von Krebs, Lungenentzün- dungen und anderen Krankheiten kann aber auch für ganz andere Zwecke genutzt werden. Ich sage dabei be- Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wusst „kann“ und nicht „wird“. Es „kann“ aber sein, Dieses Gesetz ist ein beredtes Beispiel dafür, wie man dass Krankenkassen ein großes Interesse an solchen Da- ein wichtiges und berechtigtes Anliegen so blamieren ten entwickeln. Das „könnte“ dann dazu führen, dass kann, dass auch Befürwortern der öffentlichen Zugäng- Menschen, die da wohnen, wo viele Menschen bestimmte lichkeit von Geodaten eine Unterstützung nicht möglich Krankheiten haben, nicht mehr in eine Krankenkasse auf- ist. Blamiert haben Sie das Anliegen durch Ihr völliges genommen werden oder zumindest einen Risikoaufschlag Unverständnis für das Bedürfnis nach informeller Selbst- zahlen müssten. Und es „kann“ auch sein – in den USA ist bestimmung. Die Große Koalition hat schon viele Bei- das durchaus üblich –, dass sich Banken dafür interessie- spiele geliefert, dass sie kein Gespür für das Bedürfnis ren, wo man wohnt. Wohnt man in einer Gegend, in der der Bevölkerung nach dem Schutz der eigenen Daten hat, viele Menschen arm oder arbeitslos sind oder einen Mi- zuletzt beim BKA-Gesetz, aber auch bei den Terrorismus- grantionshintergrund haben, dann bekommt man viel- gesetzen. leicht keinen Kredit mehr oder nur mit einem Zinsauf- schlag. Wollen wir das? Die Linke will das nicht. Wir Beim vorliegenden Entwurf des Geodatenzugangs- gesetzes geht es darum, digitale räumliche Daten der Öf- wollen nicht, dass man aufgrund seines Wohnortes diskri- fentlichkeit zugänglich zu machen. Mit der an dieser miniert werden kann. Das ist ein Grund, warum wir die- Stelle ausdrücklich von uns begrüßten stärkeren Einmi- ses Gesetz ablehnen. schung des Staates in die Informationswelt des Internet Der andere ist, dass sich viele Daten direkt personen- werden Standards für die Qualität und Nutzbarkeit von bezogen zuordnen lassen. Die Schranken für den Zugang verschiedensten geografisch abbildbaren Daten gesetzt. zu diesen Daten sind unzureichend. Für die Bereitstellung Damit werden die ohnehin in den Verwaltungen vorhan- amtlicher Geodaten sowohl nach der europäischen Richt- denen und mit Steuergeldern erhobenen und archivierten linie als auch nach deutschem Verfassungsrecht ist der Informationen nun auch miteinander verknüpft der brei- Schutz personenbezogener Daten angemessen zu ge- ten Bevölkerung zur Verfügung gestellt. In Form von da- währleisten. tenunterlegten Karten können sie allen für eine bessere Planung von Maßnahmen und Vorhaben dienen. Der Zu- Der Gesetzentwurf leistet das aber nicht. Er sieht eine griff auf flurstücksgenaue und zuverlässige Daten durch Anwendung der Schutzvorschriften des Umweltinforma- den Aufbau der Geodateninfrastruktur in Deutschland tionsgesetzes vor. Darin heißt es, dass die Abgabe perso- – und nicht nur durch die bisher marktführenden privaten

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20135

Sylvia Kotting-Uhl (A) Anbieter – wird aus grüner Umweltsicht ausdrücklich be- Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- (C) grüßt. wurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stim- menergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. Ein grünes Kernanliegen ist es aber auch, die Persön- lichkeitssphäre zu schützen und den „gläsernen Bürger“ Abstimmung über den Entschließungsantrag der zu verhindern. Würde der Gesetzentwurf nur halb so viel Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10909. Wer stimmt zur Datensicherheit wie zur Frage der Kostenregelung für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dage- und angemessenen Geldleistungsforderungen beinhalten gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit oder wenigstens Aussagen im Umfang des europaweit un- den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Op- terschiedlich gehandhabten geistigen Eigentumsrechts position abgelehnt. umfassen, wären unsere Bedenken kleiner. Stattdessen wird der Datenschutz nicht geregelt und unter Verweis Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 auf: auf das Umweltinformationsgesetz (UIG) abgetan. Wäh- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- rend die Entscheidung nach dem UIG auf eine Einzelfall- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes abwägung zugeschnitten ist, richtet sich dieser Entwurf über das Personal der Bundesagentur für Au- zur Umsetzung der europäischen INSPIRE-Richtlinie nun ßenwirtschaft (BfAI-Personalgesetz – BfAIPG) auf einen Massenabruf von Daten. – Drucksachen 16/10293, 16/10664 – Auch beim UIG ist der Schutz personenbezogener Da- ten nur dann vorgesehen, wenn die Interessen der Betrof- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- fenen „erheblich“ beeinträchtigt werden. Beim UIG wird ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus- aber wenigstens im Einzelfall durch die Behörden abge- schuss) wogen. Im Ergebnis senkt das Geodatenzugangsgesetz – Drucksache 16/10883 – das Schutzniveau der Daten stark ab. Damit haben es die Teile der Wirtschaft, die schon in der Vergangenheit gro- Berichterstattung: ßes Interesse an Geodaten hatten, wesentlich leichter, das Abgeordnete Ulrike Flach von den Grünen kritisierte Geoscoring noch schneller durchzuführen und auch zielgenauer zu nutzen. Wer also Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die beispielsweise im „falschen“ Viertel wohnt, bekommt Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die künftig zum Beispiel vielleicht keinen Kredit mehr, weil Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Erich Fritz, sich die Einzelfallprüfung für die Kreditinstitute nicht CDU/CSU, Rolf Hempelmann, SPD, Ulrike Flach, FDP, lohnt. Ulla Lötzer, Die Linke, Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen. Folglich unterstützen wir den Entschließungsantrag (B) der FDP mit der Forderung nach Überarbeitung und (D) Neuvorlage des Gesetzes bis April nächsten Jahres. Der Erich G. Fritz (CDU/CSU): Entschließungsantrag stützt sich auf die Argumentations- Die Bundesrepublik Deutschland besitzt ein anerkannt linie der Grünen, die Datenfreigabe zu differenzieren. gutes Außenwirtschaftsinstrumentarium. Der verschärfte Dazu sollen die Ergebnisse der sogenannten Ampelstudie globale Wettbewerb aber fordert eine bessere Vernetzung berücksichtigt werden. Die vom Unabhängigen Landes- der Aktivitäten. Deshalb setzt die Bundesregierung auf zentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein im Auftrag ein neues Konzept zur effizienteren Gestaltung der Instru- der Kommission für Geoinformationswirtschaft am mente der Außenwirtschaftsförderung. Aus dem uns heute 22. September 2008 vorgelegte Studie wurde bisher von hier vorliegenden Gesetz über das Personal der Bundes- der Koalition ignoriert. Wir lehnen folglich den vorgeleg- agentur für Außenwirtschaft (BfAI) geht hervor, dass die ten Entwurf des Gesetzes aus Datenschutzgründen ab, für die Bereitstellung von außenwirtschaftlichen Infor- hoffen aber, dass eine längst überfällige Regelung noch mationen für das In- und Ausland zuständige BfAI und die vor der Umsetzungsfrist der EU die staatlichen Umwelt- für das Standortmarketing zuständige Invest in datendienste befördert. GmbH ab 1. Januar 2009 zu einer neuen, privatrechtlich organisierten Gesellschaft zusammengelegt werden sol- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: len. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Aufgabe der neuen Gesellschaft mit dem Namen „Ger- Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in many – Trade and Invest – Gesellschaft für Außenwirt- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10892, schaft und Standortmarketing mbH“ (GTaI) ist der den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- Aufbau eines schlagkräftigen Netzwerkes aus Außenwirt- sachen 16/10530 und 16/10580 anzunehmen. Ich bitte schaftsförderung und Standortmarketing auf Bundes- diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, ebene. Die neue Gesellschaft wird künftig nicht nur um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dienstleistungen für deutsche Exporteure erbringen, in- Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den dem sie Informationen über ausländische Märkte zur Ver- Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktio- fügung stellt, sondern auch ausländische Unternehmen nen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sowie Ent- als Investoren in Deutschland anwerben und beraten. haltung der Fraktion der FDP angenommen. Warum ist das nötig? Wir erhoffen uns von dem neuen Dritte Beratung Konzept mehr Schlagkraft in der Außenwirtschaftsförde- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem rungs- und Standortpolitik. Mit beispielsweise mehr als Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – 140 unterschiedlichen Förderprogrammen auf Bundes- 20136 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Erich G. Fritz (A) und Länderebene zur Unterstützung allein des Mittelstan- vest in Germany GmbH (Invest), die dem BMWi nachge- (C) des im Ausland sind Zweifel erlaubt, ob das derzeitige ordnete Bundesagentur für Außenwirtschaft (BfAI) und Konzept seine Ziele auch wirklich erreicht. die mit der Bundesagentur verbundene Gesellschaft für Außenhandelsinformationen (GfAI). Aufgrund einer Mit der bevorstehenden Zusammenführung wird keine Empfehlung des Haushaltsausschusses des Deutschen Änderung in der Außenwirtschaftsförderpolitik des Bundestages vom 10. Mai 2006 sieht die Bundesregie- Bundes bezweckt. Auch die Unabhängigkeit des BfAI- rung nun eine organisatorische Zusammenführung vor. Korrespondentennetzes wird nicht angetastet. Die Kor- Ab dem Jahr 2009 soll eine neu zu gründende Gesell- respondenten sollen weiterhin neutrale und objektive In- schaft, die „Germany – rade and Invest – Gesellschaft für formationen über Marktchancen für die mittelständische Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH“ – kurz: Wirtschaft liefern. Zugleich können sie von den Bran- GTI – die Aufgaben der Investorenanwerbung und der chenkenntnissen und Kontakten der bisherigen Invest in Exportförderung wahrnehmen. Die GTI wird nach Auflö- Germany als zusätzlichem Input profitieren. sung der BfAI formal dem Bundesamt für Wirtschaft und Noch sind nicht alle Konflikte ausgeräumt. Der Pro- Ausfuhrkontrolle – kurz: Bafa – zugeordnet. zess der Integration der verschiedenen Instrumente unter Über die Verknüpfung der verschiedenen Kompeten- ein Dach wird kompliziert. Dies gilt auch hinsichtlich der zen sollen nicht nur Kosten gespart werden, sondern vor Beschäftigten der BfAI, deren Beamtinnen, Beamten, Ar- allem Synergieeffekte erzielt werden. So erlaubt eine Bün- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer laut vorliegendem delung des Standortmarketings und der Exportförderung Gesetzentwurf dem Bundesamt für Wirtschaft und Aus- trotz der sehr unterschiedlichen Aufgaben, die die Invest, fuhrkontrolle (BAFA) zugeordnet werden und gleichzeitig BfAI und GfAI bislang wahrgenommen haben, eine ge- Tätigkeiten bei der neuen Germany – Trade and Invest genseitige Stärkung von Länder-, Fach- und Branchen- zugewiesen bekommen sollen. wissen. Am wichtigsten erscheint mir jedoch, dass die Vieles konnte aber schon im Interesse des Personals Bundesrepublik künftig einheitlicher nach außen auftritt. geregelt werden. Statusfragen des Auslandskorrespon- Die Auslandsaktivitäten der GTI sollen inhaltlich und or- dentennetzes – Kassenstaatsprinzip, Status- und Akkredi- ganisatorisch unter dem Dach der Außenhandelskam- tierungsfragen, Sozialversicherung – sind ebenso geklärt mern gebündelt werden. Damit schaffen wir einen An- wie die Standortfrage. laufpunkt für die unterschiedlichen Zielgruppen der in- und ausländischen Unternehmen sowie Verbände und be- Große Anerkennung verdient die Arbeit der Mitarbei- seitigen die Zersplitterung der aus dem BMWi geförder- tervertretungen, die mit voller Kraft dafür gesorgt haben, ten Instrumente. dass die Gespräche zwischen der Belegschaft und dem (B) BMWi zu befriedigenden bis guten Ergebnissen geführt Kritiker haben an dieser Stelle Bedenken geäußert, (D) haben. Ich bin zuversichtlich, dass noch verbleibende dass es zu einer ungleichen Schwerpunktsetzung zuguns- Unsicherheiten bis Januar 2009 geklärt werden können. ten des Standortmarketings in der neuen GTI kommen Dies gilt etwa für den Kooperations- bzw. Gestellungs- könnte. Ich denke, dass hierfür kein Anlass besteht. vertrag zwischen dem BAFA und der künftigen Geschäfts- Gleichwohl werden die erhofften Vorteile der Zusammen- führung der GTaI, der zwar vorliegt, aber einer Über- legung erst im Laufe der Zeit greifen können. Deshalb gilt arbeitung und Erweiterung bedarf. Dies gilt aber auch es auch weiterhin, den Prozess der organisatorischen Zu- insbesondere hinsichtlich der Frage der beruflichen sammenführung zu begleiten. Chancen und Perspektiven der Beamten und Tarifbe- Bei der Zusammenlegung wird im Übrigen Wert da- schäftigten der BfAI und der in diesem Zusammenhang rauf gelegt, dass keine Arbeitsplätze abgebaut und die be- durch das BMWi zugesagten Beförderungen und Höher- stehenden Standorte Berlin und Rheinland erhalten blei- gruppierungen. Die verantwortungsvolle Lösung dieser ben. Dienstsitz der GTI wird Berlin sein. Daneben wird es personellen Fragen ist unerlässlich für das Gelingen der jedoch eine dauerhafte zweite Betriebsstätte im Rhein- Verschmelzung und eine erfolgreiche Arbeit der neuen land geben. Derzeit sitzen etwa 100 Mitarbeiter in Berlin Bundesgesellschaft. und an die 250 Mitarbeiter in Köln. An diesen Größen- Das neue Konzept bietet die Chance, durch die Fusion ordnungen sollte sich durch die Zusammenlegung der von BfAI und Invest in Germany über einen höheren Wir- beiden Einrichtungen nichts ändern. Auch müssen unnö- kungsgrad und eine deutlichere Sichtbarkeit des Stand- tige Härten für die Mitarbeiter, wie ein Hin- und Herzie- orts Deutschland im Ausland zu verfügen als dies bislang hen, nach Möglichkeit vermieden werden. der Fall ist. Solche Synergieeffekte sind angesichts der im Von den organisatorischen Details einmal abgesehen, Bundeshaushalt 2009 für Maßnahmen der Außenwirt- denke ich, dass Deutschlands ausgeprägte Exportorien- schaftsförderung zur Verfügung stehenden 203 Millionen tierung von einem integrierten und gut funktionierenden Euro und der internationalen Konkurrenz – UK Trade & Auslandsnetz sowie einer gemeinsamen Außendarstel- Investment verfügt über einen Jahresetat von 350 Millio- lung nur profitieren kann. Ausländische Investitionen tra- nen Euro – sinnvoll und notwendig. gen in Deutschland in erheblichem Maße zur Wertschöp- fung bei. Gut zwei Millionen Arbeitsplätze können Rolf Hempelmann (SPD): Unternehmen in ausländischer Hand direkt zugeordnet Die Außenwirtschaftsförderung und das Standortmar- werden, und die indirekten Arbeitsmarkteffekte liegen keting des Bundes werden derzeit über drei verschiedene noch weit höher. Angesichts dessen bitte ich Sie, liebe Organisationen abgewickelt: die Bundesgesellschaft In- Kolleginnen und Kollegen, die Stärkung des Wirtschafts-

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20137

Rolf Hempelmann (A) standortes Deutschland durch eine enge Vernetzung von ja auch Büros im Ausland – zum Beispiel in USA – haben, (C) Standortmarketing, Investorenanwerbung, Exportförde- noch viel stärker eingebunden werden. Wirtschaftlicher rung und Außenwirtschaftsinformation mit dem vorlie- Erfolg hängt immer mehr von Innovationen ab. Die deut- genden Gesetzentwurf zu unterstützen. schen Forschungsorganisationen haben international ei- nen ausgezeichneten Ruf, aber unser Land leidet darunter, Ulrike Flach (FDP): dass der Weg von der Idee zum Produkt zu lang und zu Die organisatorische Bündelung des Standortmarke- hindernisreich ist. Auch hier könnte eine engere Verzah- tings des Bundes ist lange überfällig. Die FDP mahnt dies nung von Forschung und Außenhandelsmarketing gute schon seit vielen Jahren an und begrüßt, dass nun nach Dienste leisten. äußerst zähen Verhandlungen ein Durchbruch erzielt Ebenso würden wir uns wünschen, dass eine Organi- werden konnte. Das gilt sowohl für die Zusammenfüh- sation wie die Dena als Multiplikator deutscher Energie- rung im Haushalt als auch für das heute zu beratende politik im Ausland stärker auftritt, beispielsweise auf BfAI-Personalgesetz. Auslandsmessen. Die Bundesagentur für Außenwirtschaft, die Bundes- Wir meinen, das heutige Gesetzesvorhaben ist ein rich- gesellschaft Invest in Germany und die Gesellschaft für tiger und guter Schritt auf einem Weg, der noch lange Außenhandelsinformationen, das sogenannte Korrespon- nicht abgeschlossen ist. dentennetz, werden zum 1. Januar 2009 zu einer neuen Bundesgesellschaft Germany Trade and Invest verbun- den werden. Das ist richtig so. Ich habe es nie für richtig Ulla Lötzer (DIE LINKE): gehalten, dass der Bund eine Organisation für die Wer- Die operativen Aufgaben des Standortmarketings des bung für deutsche Investoren im Ausland hat und eine für Bundes und die Bereitstellung von außenwirtschaftlichen ausländische Investoren bei uns, die miteinander nichts Informationen für das In- und Ausland werden derzeit im zu tun haben. Es hat leider auch viel zu lange gedauert, Verantwortungsbereich des BMWi getrennt voneinander ehe Vertreter der beiden Organisationen mal miteinander wahrgenommen. Diese Aufgaben sind aufgeteilt auf die gesprochen haben. Diese lange Jahre falsche Aufstellung Bundesgesellschaft Invest in Germany GmbH, die nach- hat uns im harten internationalen Wettbewerb geschadet. geordnete Bundesoberbehörde Bundesagentur für Au- Es hat auch erhebliche Fehler aufseiten der Regierung ßenwirtschaft und die mit der Bundesagentur verbundene und bei der BfAI gegeben: Ich will hier gar nicht ausbrei- Gesellschaft für Außenhandelsinformationen mbH. Die ten, welche Eifersüchteleien, welche Probleme mit Ge- Fusion dieser verschiedenen Stellen ist differenziert zu schäftsführern es hier gegeben hat. Gut gemanagt worden bewerten. Einerseits ist es sicherlich sinnvoll, die Aufga- ist der Integrationsprozess wirklich nicht. ben von Standortmarketing und außenwirtschaftlichem (B) Informationsdienst in einer einzigen Stelle zusammenzu- (D) Mit dem Gesetz werden die Mitarbeiter in die neue führen. Dies birgt die Chance zu größerer Effzienz und Gesellschaft überführt, und zwar zu sehr günstigen Kon- Kohärenz bei der Erledigung der Aufgaben und zu einem ditionen. Sie werden ihrer Qualifikation entsprechend einheitlicheren Erscheinungsbild. eingesetzt. Wo das nicht geht, werden sie in der Entgelt- gruppe vergütet, die ihrer vorigen Tätigkeit entspricht, Andererseits ist es fragwürdig, dass diese Fusion mit auch wenn die Tätigkeit geringerwertig ist. Es müsste einer Ausgliederung der Aufgaben der Bundesagentur für also möglich sein, sich hier auch gegen die Beharrungs- Außenwirtschaft in eine privatrechtliche GmbH und einer kräfte durchzusetzen. Auflösung der Bundesagentur einhergehen muss. Dies ist ein Rechtsformwechsel zugunsten einer privaten Rechts- Ich sage allerdings für die FDP: Wir würden gern wei- form, der nicht notwendig ist. Eine Verbesserungen des ter gehen. Wir würden auch die Außenhandelskammern Standortmarketings kann eine Chance insbesondere auch einbeziehen. In einigen Ländern klappt diese Integration für die ostdeutschen Bundesländer sein. Aber nur, wenn schon ganz hervorragend, hin zu einem „Deutschen in Zukunft darauf geachtet wird, mit welchen Argumenten Haus“, in dem sich verschiedene Institutionen nicht nur Investoren für Deutschland angelockt werden sollen. unter einem Dach befinden, sondern auch wirklich gemein- sam den Standort Deutschland bewerben. In anderen Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass die Invest Ländern aber sehen wir, dass verschiedene deutsche In- in Germany in verschiedenen Werbebroschüren aus- stitutionen miteinander noch nicht mal reden! Vieles ist zu drücklich damit geworben hat, dass in Deutschland ein stark von den handelnden Personen vor Ort abhängig. „niedriger gewerkschaftlicher Organisationsgrad“ herr- Wir brauchen stattdessen eine wirklich schlagkräftige sche, was zusammen mit „flexiblen Arbeitskräften“ und Organisation, die den Standort Deutschland im Ausland anderen Merkmalen einen Vorteil für ausländische Inves- vertritt. Ein ausländischer Investor muss an einem Ort toren darstelle. In Bezug auf Ostdeutschland wird als wei- und auf einer Internetseite alle Kontakte finden, die er terer Vorteil genannt, dass die Löhne dort bis zu braucht, wenn er sich für Investitionen in oder aus 30 Prozent unter dem westdeutschen Niveau lägen. Das Deutschland interessiert, wenn er Arbeitskräfte sucht, ist schon ein dreistes Stück, die prekäre finanzielle Situa- wenn er Innovationsallianzen eingehen oder Forschung tion der ostdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- mit deutschen Partnern betreiben will. mer auch noch als Vorteil darzustellen, und das ist nicht frei von Zynismus. Aus meinem Vorleben als Forschungspolitikerin liegt mir deshalb am Herzen, dass die Forschungsorganisatio- Die Bundesregierung hat auf eine Anfrage von uns nen, wie die DFG oder die Max-Planck-Gesellschaft, die darauf hingewiesen, dass diese Aussagen von ihr nicht

Zu Protokoll gegebene Reden 20138 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Ulla Lötzer (A) autorisiert gewesen wären und nicht mehr verwendet setzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung (C) werden würden. Bleibt zu hoffen, dass das Wirtschaftsmi- der Fraktion Die Linke mit den restlichen Stimmen des nisterium auch künftig in diesem Sinne Aufsicht über die Hauses angenommen. privatrechtliche Invest in Germany GmbH führt. Dritte Beratung Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem DIE GRÜNEN): Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Bisher werden verschiedene Aufgaben der Beratung Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist von Unternehmen in der Außenwirtschaft getrennt von- damit mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiter einander vorgenommen. Die Invest in Germany GmbH ist Beratung angenommen. vor allem für Marketing zuständig und berät ausländi- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf: sche Unternehmen, die in Deutschland investieren wol- len. Umgekehrt stellen die Bundesagentur für Außenwirt- – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- schaft und Gesellschaft für Außenhandelsinformation, nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten die ein weltweites Korrespondentennetz organisiert, In- Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Ände- formationen zu ausländischen Märkten für deutsche Un- rung des Urheberrechtsgesetzes ternehmen zur Verfügung. – Drucksache 16/10569 – Bündnis 90/Die Grünen begrüßen die Bündelung – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- dieser verschiedenen außenwirtschaftspolitischen Aufga- neten Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), Kai ben, die bisher von drei unterschiedlichen Organisatio- Gehring, weiteren Abgeordneten und der Frak- nen wahrgenommen wurden. Es macht Sinn, diese Aufga- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ben in einer Gesellschaft zusammenzufassen. Dazu soll ten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung eine neue Gesellschaft mit dem Titel „Germany – Trade des Urheberrechtsgesetzes and Invest – Gesellschaft für Außenwirtschaft und Stand- ortmarketing mbH“ ins Leben gerufen werden. – Drucksache 16/10566 – Das unterstützen wir, weil wir uns davon erstens Sy- Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- nergieeffekte erhoffen, zweitens können die unterschied- schusses (6. Ausschuss) lichen Aufgabenbereiche – Bereitstellung von Informa- – Drucksache 16/10894 – tionen für potenzielle ausländische Investoren im Inland auf der einen Seite und Bereitstellung von Informationen Berichterstattung: (B) zu ausländischen Märkten für deutsche Investoren auf der Abgeordnete Dr. Günter Krings (D) anderen Seite – voneinander lernen. Schließlich können Dirk Manzewski die bisher getrennt aufgebauten Netzwerke im Ausland in Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Zukunft gemeinsam genutzt werden. Wolfgang Nešković Jerzy Montag Zu dem Vorschlag gehört auch, dass die Beamtinnen und Beamten, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die in den zusammenzufassenden Organisationen tätig sind, Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zu- Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. Günter geordnet und der neu entstehenden Gesellschaft zugewie- Krings, CDU/CSU, Dirk Manzewski, SPD, Sabine sen werden, die aus der Verschmelzung von Invest in Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, Dr. Petra Sitte, Die Germany GmbH und der Gesellschaft für Außenhandels- Linke, Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen, sowie des information entstehen wird. Auch diese Konstruktion hal- Parlamentarischen Staatssekretärs Alfred Hartenbach. ten wir für sinnvoll. Natürlich entstehen durch den Vollzugsaufwand kurz- Dr. Günter Krings (CDU/CSU): fristig Kosten, die nicht zu vermeiden sind und im Bun- „Rückfall in die Steinzeit“ betitelten laut Evaluie- deshaushalt berücksichtigt werden. Insgesamt besteht rungsbericht des Bundesjustizministeriums zum § 52 a aber die Chance, dass die außenwirtschaftlichen Dienst- UrhG einige Länder die mögliche Aufhebung des Para- leistungen, insbesondere für kleine und mittlere Unter- grafen im Urheberrechtsgesetz. Und andere Länder wie- nehmen, transparenter, effektiver und effizienter gestaltet derum sahen, zumindest schon einige tausend Jahre fort- werden können. Deswegen unterstützen wir den Geset- geschritten, mit dem Wegfall der Regelung das zesentwurf. „Mittelalter“ heraufschreiten. Ob derartige – eher un- wissenschaftlich anmutende – Kraftausdrücke der Reali- tät entsprechen, muss allerdings bezweifelt werden. Die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: von den Ländern gegebenen Antworten können qualitativ Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für nicht befriedigen, wobei man den Ländern noch zugeste- Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschluss- hen kann, dass die Fragen teilweise auch nicht viel besser empfehlung auf Drucksache 16/10883, den Gesetzent- sind. wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/10293 und 16/10664 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ich will dies an ein paar Beispielen illustrieren. Das Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand- Zahlenmaterial der Länder ist ungenau.Ich finde es skan- zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge- dalös, dass die Länder es ihren Universitäten durchgehen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20139

Dr. Günter Krings (A) lassen, derart ungenaues Zahlenmaterial zu liefern. So Verlage noch nicht die Vorzüge der Digitalisierung von (C) kann ich mir kaum vorstellen, dass es keinen Unterschied Inhalten erkannt hatten. Zur damaligen Zeit mag es viel- machen soll, ob Werke für die Veranschaulichung im Un- leicht noch einen Sinn gegeben haben, eine Vorschrift terricht oder für die wissenschaftliche Forschung genutzt einzuführen, die es den Schulen und Hochschulen ermög- werden. Denn die prozentuale Verteilung ist in beiden lichte, das Intranet der jeweiligen Einrichtung zur Veran- Fällen identisch. 75 Prozent fallen jeweils in den Verwer- schaulichung von Bildungsinhalten zu nutzen. Inzwischen tungsbereich der VG Wort, und 25 Prozent nehmen die halten die Verlage jedoch entsprechende Angebote vor übrigen Verwertungsgesellschaften ein. Da wurde wohl und investieren viel Geld, um den Bildungsinstitutionen eher der Daumen als der Taschenrechner zurate gezogen. attraktiv aufbereitete Inhalte anzubieten. Anstatt auf der- Beim nächsten Bericht werden wir eine derartige Verwei- artige Angebote zuzugreifen, kämpft man auf der anderen gerung von genauer Datenerhebung nicht mehr durchge- Seite einen Kampf, der antiquiert anmutet. hen lassen. Die Verlage haben ja ein großes Interesse, derartige Die FH des Bundes macht unvollständige Angaben, Angebote mittels Lizenzen den wissenschaftlichen Ein- wobei die Kritik fairerweise nicht nur an die Länder zu richtungen bereitzustellen, und es wäre aus meiner Sicht richten ist, sondern auch den Bund betrifft. Mit seiner angebracht, dass sich beide Seiten einmal an einen Tisch Fachhochschule verfügt er über eine eigene, recht über- setzen, um nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Der sichtliche Einrichtung und lässt es dort zu, dass bei Wille, eine Lösung zu finden, die für alle Seiten befriedi- 29 Prozent der Nutzungen keine Angaben darüber ge- gend ist, liegt auf der Seite der Verlage ganz offensicht- macht werden, in welche Gruppe, also Büchern oder lich vor. Und auf der Länderseite müsste diese Bereit- Bildmaterialien etc., sie einzuordnen sind. schaft eigentlich auch gegeben sein, wenn es ihnen um ein wirklich attraktives Angebot für ihre Schüler, Studenten Bei der wissenschaftlichen Forschung sieht es noch und Forscher geht. Diese Einigungsbereitschaft fehlt al- verheerender aus. Über die Nutzung von zwei Dritteln der lerdings, wenn es den Ländern nur darum geht, den Ver- Werke liegen bei der FH des Bundes gar keine Erkennt- lagen und Autoren ihre gerechte Entlohnung zu verwei- nisse vor. Wenn eine Hochschule schon selbst nicht weiß, gern und es nur billig haben zu wollen. wie und welche urheberrechtlich geschützten Inhalte sie nutzt, dann kann ich die Verlage und Autoren gut verste- Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu dem immer hen, die Sorge haben, dass sie am Ende leer ausgehen. wieder herbeigeredeten Antagonismus zwischen den Ver- lagen und dem Wissenschaftsbetrieb machen. Mir ist es Wie wir gerade gesehen haben, entfällt der größte Teil wichtig zu betonen, dass die Verlage einen integralen Be- der Nutzungen an Hochschulen in den Vergütungsbereich standteil dieses Wissenschaftsbetriebes ausmachen. Die der VG Wort. Bis zum heutigen Tage ist für diesen größten Tausenden von Wissenschaftlern, die ihre Arbeit eben (B) und wichtigsten Bereich der Nutzung des § 52 a nicht ein (D) nicht einfach so ins Internet stellen, sondern eine Verlags- einziger Cent geflossen. Die VG Wort hat ihren Teil getan, veröffentlichung vorziehen, bestätigen das Tag für Tag. als sie im Mai 2005 einen Tarif aufgestellt und ihn sogar Nur Verlage können durch kritische Prüfung von einge- mit einer Musterkalkulation versehen hat, die erklärt, wie reichten Beiträgen eine Qualitätskontrolle erreichen, die sie auf die angesetzte Vergütung kommt. Mir scheint diese ein hohes wissenschaftliches Niveau gewährleistet. Wis- Musterkalkulation durchaus leistungsgerecht zu sein, senschaftsverlage sind auf das Renommee ihrer Veröf- sodass ich die mehrjährige Totalverweigerung der Län- fentlichung angewiesen, da sie ansonsten ihren Ruf ver- der in diesem Bereich nicht nachvollziehen kann. Über lieren und damit in der Wissenschaftsfamilie nicht mehr drei Jahre haben sich die Länder Zeit gelassen, um vor ernst genommen werden. der Schiedsstelle diesen Tarif anzugreifen. Und erst durch den Druck der Bundesjustizministerin und unserer Frak- Zumal mit einem weiteren Mythos aufgeräumt werden tion haben sich die Länder endlich dazu bewegen lassen, sollte: dass es sich bei den Wissenschaftsverlagen nur um das Schiedsverfahren einzuleiten. große Verlagshäuser handelt, die mit ihren Publikationen riesige Gewinne einfahren. Der weitaus größte Teil der Wenn ich eben namentlich die FH des Bundes kritisiert deutschen Wissenschaftsverlage sind mittelständische habe, so verdient sie aber auch ein Lob, nämlich für ihre Unternehmen, die zum Teil nur deshalb in dem Geschäft Offenheit und Ehrlichkeit; denn zwei Drittel der dortigen bleiben, weil ihre Eigentümer und ihre Mitarbeiter ihre Professoren erklärten, dass der Wegfall des § 52 a UrhG Arbeit aus innerer Überzeugung und mit viel Herzblut be- im Bereich „Veranschaulichung des Unterrichts“ keiner- treiben. lei Auswirkungen auf ihre Arbeit habe. Die Forschungs- einrichtungen, vertreten durch die Allianz der deutschen Aus den Gesprächen mit vielen Verlagen weiß ich: Die Wissenschaftsorganisationen, sehen dies genauso, wobei Absatzzahlen von Lehrbüchern sind teilweise eingebro- der Wert wohl noch deutlich höher anzusetzen ist als bei chen. Das bezieht sich insbesondere auf Nischenpro- der FH des Bundes. Und sie liefern allerdings auch die dukte, die in der Anschaffung entsprechend teuer sind. entscheidende Begründung dafür: Der überwiegende Teil Studenten nutzen für ihre Arbeit zunehmend lieber das, der Nutzungen laufe inzwischen eh über Lizenzvereinba- was im Intranet eingestellt ist, als sich das entsprechende rungen. Das Vertragsrecht hat sich also hier erwartungs- Lehrbuch anzuschaffen. Bei manchen dieser Verlage geht gemäß als praktischer und effektiver erwiesen als das Ge- der § 52 a UrhG an die Substanz. setzesrecht. Daher ist es auch traurig zu sehen, dass der Antrag der Und eben hier liegt der richtige Ansatzpunkt. An sich Grünen in seiner Begründung auf die Interessen der Ur- ist der § 52 a UrhG ein Relikt aus alten Zeiten, als die heber und ihrer Verlage gar nicht weiter eingeht, sondern

Zu Protokoll gegebene Reden 20140 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dr. Günter Krings (A) einfach nur von den positiven Auswirkungen der Wissen- Eigentum. Und beiden Seiten haben damals gewichtige (C) schafts- und Ausbildungsschranke in der Praxis spricht, Argumente für ihre jeweilige Position vorgetragen. die eine Aufhebung der Befristung rechtfertigen würden. Sie weisen zwar zu Recht darauf hin, dass das BMJ in sei- Nach langen Beratungen haben wir gleichwohl die im- nem Evaluierungsbericht in der Zusammenfassung zu mer noch Streit befangene Vorschrift erlassen. Wir haben dem Ergebnis kommt, die Befristung sei aufzuheben. aber diese Vorschrift allerdings unter eine Befristung ge- Wenn Sie allerdings den ganzen Bericht genau gelesen stellt um eben festzustellen, ob insbesondere die Befürch- hätten, müssten Sie eigentlich zu einem anderen Ergebnis tungen der wissenschaftlichen Verleger vor unzumutba- kommen. Derartige Regierungsgläubigkeit von einer Op- ren Beeinträchtigungen wirklich berechtigt sind. positionspartei hätte ich nicht erwartet. Ich werde an an- Diese Befristung lief zunächst bis zum 31. Dezember derer Stelle gerne noch einmal darauf zurückkommen. 2006 und wurde von uns dann bis zum 31. Dezember 2008 verlängert. Dementsprechend stellt sich uns nun die Die nun gefundene Kompromisslösung halte ich insge- Frage, wie wir mit dieser auslaufenden Befristung weiter samt für vertretbar. Die beiden vorgelegten Evaluie- umgehen. rungsberichte haben uns leider nur ein sehr rudimentäres Bild von der Anwendung des § 52 a UrhG in der Praxis Die unterschiedlichen Gruppierungen haben sich wie- geliefert. Für den nächsten Bericht sollte man den Fra- der zu Wort gemeldet und interpretieren – oh, Wunder – genkatalog unbedingt überarbeiten und hinterfragen, ob die Resultate dieser Vorschrift höchst unterschiedlich. er wirklich zielgerichtet die Informationen abfragt, die Die Koalition hat sich darauf verständigt, die Evaluie- für eine vernünftige Beurteilung der wirtschaftlichen rungsphase dieser Vorschrift noch einmal zu verlängern Lage der Verlage notwendig ist. Denn das war das eigent- und zwar bis zum 31. Dezember 2012. Die Gewichtung liche Ziel der Befristung: zu sehen, wie stark § 52 a in das der Gründe sind hierfür innerhalb der Koalition durch- Eigentumsrecht der Verlage eingreift. Dies ist bislang nur aus unterschiedlich – das will ich nicht verhehlen. unzureichend möglich. Für mich reicht der entsprechende Bericht des BMJ für Übrigens verpflichtet uns niemand, die Vierjahresfrist eine abschließende Entscheidung jedenfalls noch nicht voll auszuschöpfen. Wir sollten uns schon zu Beginn der aus. Wir hätten wohl den Hinweis, die vorgegebene Zeit- nächsten Wahlperiode mit der Evaluierung dieses The- spanne sei für eine vernünftige Evaluierung viel zu kurz, mas beschäftigen. Geeignete Vorschläge zur Verbes- ernster nehmen sollen. Ich sage das ganz selbstkritisch. serung dieser Bestimmung, unter denen wir auch den berechtigten Bedenken der Verlage Rechnung tragen, Bildung ist ein hohes Gut – keine Frage – aber eine können wir als Unionsfraktion jederzeit vorlegen. vernünftige Abwägung hat auch die Interessen der Rechte- inhaber mit zu berücksichtigen. (B) Wir geben mit dieser Verlängerung vor allen den Län- (D) Deshalb fand ich es schon ganz interessant, in dem Be- dern noch eine – aus meiner Sicht letzte – Chance, mit richt zu lesen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Hoch- dieser problematischen Urheberrechtsschutzschranke so schulen, gar nicht an einer intensiveren Nutzung von verantwortlich umzugehen, dass auch die Autoren und § 52 a UrhG interessiert ist, da der Bedarf unter anderem Verlage zu ihrem Recht kommen. Da es ohne Original be- über Campus-Lizenzen etc. völlig ausreichend abgedeckt kanntlich auch keine Kopien mehr gibt, müssen endlich sei. angemessene Honorare für die Nutzung fremden Eigen- tums gezahlt werden. Es gibt auch noch kein System für die Registrierung, Meldung und Abrechnung der einzelnen Nutzungen durch Dirk Manzewski (SPD): die Hochschulen. Das wäre aber Voraussetzung um von Als wir seinerzeit den § 52 a des Urhebergesetzes neu den bisher gültigen pauschalen Nutzungsentgelten auf geschaffen haben, haben wir es im Interesse der Bildung eine gerechtere werksbezogene Einzelabrechnung zu unter anderem erlaubt, das kleine Teile eines Werkes, kommen. Werke geringen Umfangs oder auch einzelne Beiträge Hinzu kommt, dass in dem Gesamtvertrag „Hochschu- aus Zeitungen oder Zeitschriften zum Beispiel zur Veran- len“, der zwischen den Ländern und den Verwertungsge- schaulichung im Unterricht an Schulen oder Hochschu- sellschaften geschlossen wurde, die Verwertungsgesell- len zugänglich gemacht werden können. Dem ist damals schaft mit dem höchsten Anteil der Nutzungen – die VG eine kontroverse Diskussion vorangegangen. Mit Urhe- Wort – noch nicht eingebunden ist. Der VG Wort ist ein- bern und Rechteinhabern, die diese Regelung strikt ab- fach das Entgelt, das für die Nutzungen an Hochschulen lehnten und mit Vertretern aus dem Bereich Bildung, de- gezahlt werden soll, zu niedrig. nen diese Öffnungsklausel noch nicht weit genug ging. Bislang sind die Länder nur bereit, für die Nutzung Auch innerhalb der Fraktionen gab es unterschiedli- durch ihre sämtlichen Hochschulen einen relativ gerin- che Meinungsbilder. Die Rechts- und Kulturpolitiker, die gen Betrag zu zahlen. Dass die VG Wort das nicht akzep- eher auf der Seite der Urheber und Rechteinhaber stan- tiert und nun wohl vor die Schiedsstelle gehen wird, ist für den und die Bildungs- und Verbraucherpolitiker, die diese mich mehr als verständlich. neue Vorschrift noch viel zu einengend empfanden. Die Befristung ist seinerzeit aber eben auch eingeführt Wir haben uns damals deshalb sehr intensiv mit dieser worden, um zu sehen, ob die Interessen der Rechteinha- einzelnen Vorschrift befasst, weil eben zwei immanent ber hinreichend gewahrt werden. Da dieses zumindest wichtige Bereiche betroffen waren: Bildung und geistiges derzeit offenbar nicht der Fall ist, sollte die Befristung

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20141

Dirk Manzewski (A) nicht einfach aufgehoben, sondern noch einmal verlän- es dann doch mit einer Entfristung zu tun. Wenn die Koali- (C) gert werden. tion das will, dann soll sie es auch so nennen. Ich würde mich freuen, wenn Sie uns hierbei unterstüt- Es ist noch immer nicht geklärt, welche Auswirkungen zen würden. § 52 a tatsächlich hat. Vor allem ist nicht akzeptabel, dass die begünstigten Einrichtungen offenbar noch immer Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): keine Vorkehrungen für eine werkbezogene Abrechnung der Nutzungen getroffen haben. Es ist keineswegs auszu- Zu Recht betont die Bundesregierung immer wieder schließen, dass § 52 a UrhG die Verlage beim Ausbau ihres die gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Bedeutung, die der wirksame Schutz des geistigen Eigentums gerade digitalen Geschäfts nicht nur unerheblich beeinträchtigt. Und dabei geht es keineswegs nur um einige wenige do- im digitalen Umfeld hat. In der praktischen Umsetzung minierende Großverlage, wie gelegentlich behauptet wird. wird die Bundesregierung ihren eigenen Maßstäben aber oft nicht gerecht. Das konnten wir in letzter Zeit vor allem Auch und gerade mittlere und kleinere deutsche Fachver- lage sehen § 52 a UrhG unverändert mit Sorge. Diese am Beispiel des Urheberrechts beobachten. Sorgen muss der Bundestag ernst nehmen, wenn er seine Mit § 52 a UrhG wurde im Jahr 2003 ein neue Ausnah- urheberrechtspolitische Glaubwürdigkeit nicht verlieren mevorschrift in das Urheberrechtsgesetz eingefügt. Sie möchte. erlaubt die öffentliche Zugänglichmachung urheber- rechtlich geschützter Werke in Intranets zur Veranschau- Dass es auch anders geht, zeigt ja der „Zweite Korb“. lichung im Unterricht und in der Forschung. Die FDP hat Da haben wir Regelungen geschaffen, die sehr wohl die § 52 a abgelehnt, weil diese Vorschrift über das Ziel hi- Interessen der Nutzer und der Rechteinhaber zum Aus- nausschießt und weil nicht absehbar war, in welchem gleich bringen. Die Nutzerbedürfnisse sind hier berück- Maß die Vorschrift die Entwicklung digitaler Verlagsan- sichtigt worden, ohne zugleich die berechtigten Interessen gebote beeinträchtigt. Auch der Rechtsausschuss hat die der Rechteinhaber über Bord zu werfen. Befürchtungen der Verlage vor unzumutbaren Beein- Das Ziel, das hinter § 52 a steht, ist grundsätzlich richtig. trächtigungen damals immerhin insoweit anerkannt, als Das stelle ich hier ausdrücklich fest, damit keine Missver- er durchgesetzt hat, dass § 52 a UrhG zunächst auf zwei ständnisse entstehen. Natürlich ist es richtig, Lehre und Jahre bis zum 31. Dezember 2006 befristet wird. Forschung durch sinnvolle Rahmenbedingungen den Zu- Die Bundesregierung war nicht in der Lage, dem Bun- gang zu digitalen Inhalten zu erleichtern. Aber das darf destag rechtzeitig eine aussagekräftige Evaluation der nicht zu Lasten der Rechteinhaber gehen. Es ist Aufgabe Auswirkungen von § 52 a UrhG vorzulegen. Die Über- der Träger der Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen, diese mit den notwendigen Mitteln auszustatten. Es kann (B) gangsfrist ist deshalb 2006 um weitere zwei Jahre bis zum (D) 31. Dezember 2008 verlängert worden. Um die Chance nicht sein, dass wir das Urheberrecht zurückdrängen, um auf eine dauerhafte und tragfähige Regelung zu wahren, auf diese Weise die Bildungs- und Wissenschaftshaus- hat meine Partei diese Verlängerung gebilligt. halte auf Kosten der Rechteinhaber zu entlasten. Genau diese Gefahr besteht aber bei § 52 a in seiner geltenden Obwohl lange bekannt war, dass der Bundestag in die- Form unverändert. sem Jahr über § 52 a entscheiden muss, weil die Norm an- dernfalls am 31. Dezember 2008 außer Kraft tritt, hat die Der Bundestag hat § 52 a UrhG im Jahr 2003 bewusst Koalition das Thema vor sich hergeschoben. Jetzt will sie mit einer knapp bemessenen Frist versehen, damit zeitnah im Eilverfahren eine erneute Übergangsregelung durch eine Bewertung erfolgt. Der Gesetzentwurf der Koalition den Bundestag peitschen und sich wieder einer inhaltli- führt das Konzept der befristeten Geltung ad absurdum. chen Entscheidung entziehen. Die FDP wird dem Gesetz deshalb nicht zustimmen.

Der Evaluationsbericht des Bundsjustizministeriums Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): liegt seit Frühjahr vor. Auch dieser Bericht ist unzurei- chend und lässt eine positive Bewertung, die eine Entfris- Allenthalben werden in der Debatte über qualitative tung von § 52 a UrhG rechtfertigen würde, weiterhin Veränderungen unserer Gesellschaft und ihrer ökonomi- nicht zu. Das sieht ausdrücklich auch die Koalition so. schen Grundlagen Schlagworte wie „Wissensgesell- Das ist der kleinste gemeinsame Nenner innerhalb der schaft“, „Informationsgesellschaft“ oder neuerdings Koalition; denn darüber, wie es mit § 52 a UrhG weiter- auch „Bildungsrepublik“ gebraucht. Abgesehen davon, gehen soll, konnte in der Koalition keine Einigkeit erzielt dass diese Begriffe eher interessengeleitet als objektiv be- werden. schreibend verwendet werden, enthalten sie doch auch Wahres: Die Bedeutung von Wissen und Kreativität, aber § 52 a soll deshalb erneut verlängert werden – dieses auch von Kommunikation und Information steigt weiter Mal gleich um weitere vier Jahre. Sollte der Entwurf der stark an. Diese Kompetenzen werden immer mehr zu Koalition Gesetz werden, würden bis zur endgültigen Ent- wichtigen Produktionsfaktoren im gesellschaftlichen wie scheidung des Gesetzgebers seit dem Inkrafttreten von wirtschaftlichen Bereich. Wenn unsere Gesellschaft sich § 52 a also neun Jahre vergehen. Damit wird die Befris- also in umfassendem Sinne weiterentwickeln will, muss tung, die nach einem überschaubaren Zeitraum eine seriöse sie die Verbreitung des Wissens fördern und die kreativen Überprüfung ermöglichen sollte, zur Farce. Kompetenzen der Menschen herausfordern. Es kann nicht sein, dass der Gesetzgeber sich auf diese Mit dem Bedeutungszuwachs des Wissens stiegen auch Weise seiner Verantwortung entzieht. Faktisch haben wir dessen Verwertungsmöglichkeiten als lukrative Handels-

Zu Protokoll gegebene Reden 20142 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dr. Petra Sitte (A) ware. Dieser schlichte Bezug zur „Wissensgesellschaft“ Ich bin erstaunt, dass Sie, liebe Koalitionäre, nach die- (C) meint, dass sich heute mit wissensintensiven Gütern mehr sem eindeutigen und gut belegten Plädoyer aus dem Be- Geld verdienen lässt als früher, und das auch im Bil- richt nun trotzdem eine Befristung beantragen. Trauen dungs- und Forschungsbereich. Sowohl Schulbuch- wie Sie Ihrem Ministerium nicht? Oder hat hier die Lobby- auch Wissenschaftsverlage konnten ihre Umsätze und arbeit von Verlagen und Verbänden Wirkung gezeigt? Gewinne in den vergangenen Jahren stark steigern. Der Eine nochmalige Befristung um vier Jahre hilft doch nie- Zugang zu Wissen wird dadurch jedoch verknappt. Hoch- mandem! Sie behindert den Auf- und Ausbau von Intra- schulen müssen Zeitschriften abbestellen, Schulen sparen nets in Schulen und Hochschulen durch mangelnde am Lehrmaterial und Familien an Kinderbüchern, um die Nutzungsperspektiven, führt dennoch nicht zu mehr Er- steigenden Beschaffungskosten abzufangen. Dabei profi- kenntnissen in der Folgenabschätzung. tieren weniger die Kreativen und Wissenschaftler von die- Und zur FDP: Sie haben sich in der Sitzung des Bil- ser Entwicklung, denn sie schließen zumeist Abtretungs- dungsausschusses als Partei des Eigentums dargestellt verträge mit den Verwertern ab. Die Digitalisierung von und wollten den § 52 a am liebsten ganz abschaffen. Das Inhalten erweist sich in diesem Prozess als zweischneidi- ist konsequent. Wie verträgt sich diese restriktive Haltung ges Schwert: Zum einen ist prinzipiell die Verbreitung auf jedoch mit Ihrer Rhetorik von Wissenschaftsfreiheit und Basis des Internets fast ohne Kosten möglich, zum ande- Bildungsaufschwung? Der FDP steht die genannte Gü- ren sind jedoch Möglichkeiten des Rechtemanagements terabwägung offensichtlich noch bevor. durch die Verlage und Firmen im Vergleich zur Papier- form stark angestiegen. Mit einem Wort: Die technischen Meine Fraktion wird dem Gesetzentwurf der Grünen Möglichkeiten sind den gesellschaftlichen Regularien bei zustimmen, der eine Entfristung des § 52 a vorschlägt. der Schaffung von Gemeinnutzen weit voraus. Es leuchtet Kompromisse zwischen widerstreitenden Interessen, die ein, dass hier zwischen kommerziellen Verwertern des sich nachweislich in der Praxis bewährt haben, sollte Wissens und den Nutzern ein Interessenwiderspruch be- man um der Planungssicherheit der Beteiligten willen steht. Die Gesellschaft muss infolgedessen eine Güterab- beibehalten. Trotzdem, das darf ich hier anfügen, kann wägung vornehmen, wobei die beiden genannten Berei- diese Regelung nicht der letzte Schritt auf dem Weg zu ei- che Bildung und Wissenschaft als Schlüsselsektoren einer nem bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urheber- wissensbasierten Gesellschaft besonderer staatlicher recht gewesen sein. Die Linke fordert, wie der Bildungs- Förderung bedürfen. ausschuss, eine dritte Novelle des Urheberrechtsgesetzes, in dem der „Open Access“-Gedanke umfassend eingear- Der Gesetzgeber hat im Jahr 2003 daher als vorsichti- beitet ist und dem Recht auf Bildung und Informations- gen, aber richtigen Schritt eine Regelung im Urheber- freiheit Vorrang vor der kommerziellen Verwertung ein- (B) rechtsgesetz verankert, die es Bildungs- und Wissenschafts- geräumt wird. (D) einrichtungen ermöglicht, urheberrechtlich geschützte, sogenannte kleine Werke und Teile von Werken in inter- Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nen Netzwerken in digitaler Form einem begrenzten Per- sonenkreis zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise Mit der Einführung des § 52 a in das Urheberrechts- dienen sie fördernswerten Zwecken, ohne die Verwer- gesetz hat der Gesetzgeber im September 2003 einen tungskreisläufe zu boykottieren. Denn für diese Nutzung wichtigen Beitrag zur Förderung von Bildung und zahlen die Einrichtungen bzw. ihre Träger pauschale Nut- Forschung in einer digitalen Informationsgesellschaft zungsgebühren. Die Vorbehalte gegen eine solch leichte geleistet. Durch die dort festgelegte Ausbildungs- und Öffnung des Urheber- und Verwerterschutzes, mithin die Wissenschaftsschranke ist es zulässig unter bestimmten Angst vor Kontrollverlust durch Verlage und Produk- einschränkenden Voraussetzungen, Werke für Unter- tionsfirmen war und ist groß. Zudem ist die Verteilung der richtszwecke oder für Forschungszwecke in kleine Intra- gezahlten Pauschalen durch die Verwertungsgesellschaf- nets von Schulen oder Universitäten einzustellen. Um die ten noch ein Problem. Daher ist diese Regelung zuerst bis Auswirkungen dieser Norm in der Praxis evaluieren zu 2006 und dann – aufgrund unzureichender Evaluierungs- können, wurde § 52 a UrhG zunächst bis zum 31. Dezem- ergebnisse – bis zum Jahr 2008 befristet worden. Die er- ber 2006 befristet. Dann folgte mangels abschließender Evaluation wiederum eine Befristung bis zum 31. Dezem- neute Evaluierung durch das Bundesministerium der Jus- ber 2008. Nun wird im zweiten Evaluierungsbericht des tiz in den letzten zwei Jahren bezieht Befragungen aller Bundesjustizministeriums vom 2. Mai diesen Jahres eine Beteiligten ein und kommt zu einem eindeutigen Ergeb- Aufhebung der Befristung empfohlen. Dies halte ich für nis: Die genannte Regelung hat sich bewährt. Sie trägt richtig. dazu bei, das Lehrangebot in Schulen und Hochschulen aktuell zu halten und qualitativ zu verbessern. In For- Die neue Regelung des § 52 a UrhG hat sich in der schungseinrichtungen werden vor allem Kooperationen Praxis bewährt und muss – unbefristet – bleiben. For- und Kollektivarbeiten befördert. Zudem habe selbst der schung und Lehre müssen auch weiterhin einen einfachen Börsenverein des deutschen Buchhandels bisher keine Zugriff auf urheberrechtlich geschützte Informationen er- nennenswerten Umsatzeinbußen infolge der Ausnahme- halten. Laut der begünstigten Institutionen hat sie beson- regelungen feststellen können. Eine Erweiterung des ders im Bereich der Lehre zu einer gesteigerten Aktualität § 52 a Urheberrechtsgesetz, wie Schulen und Forschung und einer besseren Vermittlung von Lehrinhalten sowie zu forderten, könne das BMJ zwar nicht empfehlen, eine einer Verbesserung der Medienkompetenz der Studieren- nochmalige Befristung sei jedoch in keinem Fall be- den geführt. Besonders im Bereich der Hochschulen hat gründbar. die Regelung sehr große Akzeptanz gefunden – nahezu

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20143

Jerzy Montag (A) 900 000 Nutzungen – davon circa 600 000 im Bereich grundsätzliche Richtigkeit und den Erfolg des § 52 a (C) Lehre und zirka 300 000 im Bereich Forschung – haben UrhG in Frage stellen – ich meine, eine weitere Befris- dort allein im Sommersemester auf der Grundlage der tung würde genau das Gegenteil bewirken. neuen Schranke des § 52 a UrhG stattgefunden. Die Länder gaben übereinstimmend an, dass ein Weg- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der fall der Vorschrift erhebliche negative Konsequenzen Bundesministerin der Justiz: hätte. Hamburg bezeichnete den Wegfall als „absolute „Zum 10. Mal wiederholt, wird es gefallen“. Dies hat Katastrophe“, Bayern und Baden-Württemberg als einmal der berühmte Dichter Horaz gesagt. Ich hoffe „Rückfall in die Steinzeit“ und Nordrhein-Westfalen als nicht, dass es einer zehnten Befristung von § 52 a Urhe- „Rückfall ins Mittelalter“. Dies zeigt, wie wichtig es für berrechtsgesetz bedarf, bis uns die Norm gefällt. den Bildungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland ist, innovative gesetzliche Neuerungen zu schaffen, die § 52 a des Urheberrechtsgesetzes wurde durch das Forschung und Lehre den Zugriff auf Informationen auch Erste Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der In- im digitalen Bereich schnell und einfach ermöglichen. formationsgesellschaft vom 10. September 2003 erstma- lig in das deutsche Urheberrechtsgesetz eingeführt. Diese Dass dabei die Rechte der Urheber und Verwertungs- Regelung erklärt es unter bestimmten, einschränkenden gesellschaften nicht außer Acht gelassen werden dürfen, Voraussetzungen für zulässig, Werke für Unterrichts- steht für mich völlig außer Frage. Wir brauchen ein funk- oder Forschungszwecke in Intranets von Schulen und tionierendes Vergütungssystem. Der grundsätzliche Rah- Hochschulen einzustellen. Die Regelung wurde damals men dafür ist durch den § 52 Abs. 4 UrhG und die Ver- bis zum 31. Dezember 2006 befristet. Hiermit wollte man handlungen zu den Gesamtverträgen „Hochschulen“ den Befürchtungen wissenschaftlicher Verleger vor unzu- und „Schulen“ zwischen den Verwertungsgesellschaften mutbaren Beeinträchtigungen ihres Kerngeschäfts Rech- und den Ländern geschaffen. Die Länder haben die Zah- nung tragen. lungen aufgrund der Pauschalvergütungen nach den Ge- samtverträgen „Schule“ und „Hochschulen“ aufgenom- Nach einer ersten Evaluierung über die Auswirkung men. Dass dabei mit der VG Wort, die die Rechte der bei der Norm in der Praxis im Jahr 2006 war eine abschlie- ihr zusammengeschlossenen Rechteinhaber vertritt, auch ßende Bewertung nicht möglich. Mit dem Fünften Gesetz nach mehreren Jahren noch keine Einigung auf einen Ge- zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes vom 10. No- samtvertrag „Hochschulen“, an dem auch sie beteiligt vember 2006 wurde die Befristung daher um zwei Jahre ist, erzielt worden ist, ist sicherlich ärgerlich. Doch ge- verlängert. In diesem Jahr hat das Bundesministerium rade dieser Tage findet zwischen den beteiligten Kreisen der Justiz eine erneute Evaluierung durchgeführt. Wir vor der Schiedsstelle des Patent- und Markenamts in sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Befristung der (B) (D) München ein erneutes Treffen zur Einigung statt. Diese Norm aufgehoben werden sollte. In den nachfolgenden Einigung kann nur ein Kompromiss zwischen den Par- Beratungen mit den Berichterstattern der Regierungsko- teien sein. Eine weitere Befristung würde das durch die alition sind jedoch erneut Bedenken im Hinblick auf die Einführung von § 52 a UrhG bezweckte Ziel „Förderung Belange der wissenschaftlichen Verlage geäußert wor- des Bildungs- und Wissenschaftsstandorts Deutschland den. Das Ergebnis der Beratungen war eine erneute Be- in einer digitalen Informationsgesellschaft bei Achtung fristung um weitere vier Jahre. der Urheberrechte“ gefährden. Zum einen würde der Ich hoffe nunmehr sehr, dass aller guten Dinge nicht Ausbau der Infrastruktur für die Nutzungen, die § 52 a zehn, sondern drei sind und die im Jahr 2012 anstehende UrhG ermöglicht, empfindlich gehemmt werden – beson- dritte Evaluierung ausreichende Erkenntnisse für eine ders im schulischen Bereich ist dies evident. Nur circa endgültige Entscheidung über den Fortbestand der Rege- zehn Prozent der befragten Schulen haben die Möglich- lung und eventuelle Modifizierungen bringen wird. keiten des § 52 a UrhG genutzt. 50 Prozent der Schulen der Sekundarstufe I und II, die noch kein Intranet nutzen, Die in diesem Jahr durchgeführte Evaluierung hat in gaben an, in Zukunft schulische Intranets nur dann nut- jedem Fall gezeigt, dass die Norm für den Bildungs- und zen zu wollen, wenn die Norm unbefristet fortgelte. Wissenschaftsstandort Deutschland eine positive Rolle spielt. Von § 52 a Urheberrechtsgesetz wurde an den Zum anderen wird eine weitere Befristung auch die Hochschulen im großen Umfang Gebrauch gemacht. Die Probleme bei der Einigung auf eine angemessene Vergü- Hochschulen haben angegeben, dass die Norm es ihnen tung im Bereich „Hochschulen“ nicht herbeiführen kön- ermögliche, die Lehre besser und aktueller zu gestalten; nen. Im Gegenteil – die Befristung der Norm war doch außerdem steige durch den erleichterten Austausch von gerade ein Grund dafür, dass im Gesamtvertrag der Inhalten unter den Wissenschaftlern die Qualität der For- Hochschulen nur pauschale Nutzungsentgelte vereinbart schung. wurden. Die Verwertungsgesellschaften gaben an, dass die bestehende Befristung der Norm die Gesamtvertrags- Aber auch im Bereich der Schulen gewinnt die Norm verhandlungen erschwert hätten. Um eine für alle Seiten zunehmend an Bedeutung. Sicherlich verfügen bislang zufriedenstellende Einigung über die Vergütung und an- nicht alle Schulen über die technischen und personellen statt einer Pauschal-, auch eine Einzelabrechnung er- Ressourcen, um den Schülern Werke in Intranets öffent- möglichen zu können, muss hier eine langfristige Per- lich zugänglich zu machen. Ich denke aber, dass hier wei- spektive und Rechtssicherheit für die Nutzer sowie die tere Investitionen folgen werden. Denn die Erfahrungen Rechteinhaber geschaffen werden. Deshalb dürfen noch der Schulen mit der Nutzung des Intranets waren durch- ausstehende Einigungen im Vergütungsbereich nicht die gehend positiv. Ich freue mich daher sehr, dass wir – die

Zu Protokoll gegebene Reden 20144 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach (A) Regierungskoalition – zu dem Ergebnis gekommen sind, Linke, Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen, und des (C) die Norm fortgelten zu lassen. Ich bin auch davon über- Parlamentarischen Staatssekretärs Klaus Brandner. zeugt, dass uns bei der erneuten Evaluierung im Jahr 2012 – nach immerhin neun Jahren – genügend Daten für Karl Schiewerling (CDU/CSU): eine abschließende Bewertung vorliegen werden. Bis da- Mit dem vorliegenden Regierungsentwurf setzen wir hin wird sich der Zahlungsmechanismus so eingespielt die Beteiligung des Bundes an den kommunalen Leistun- haben, dass wir noch genauer absehen können, inwieweit gen für Unterkunft und Heizung für das Jahr 2009 neu Urheber und Verleger von den Ausschüttungen der Ver- fest. Das geschieht auf der Grundlage des SGB II. Der wertungsgesellschaften profitieren. Bund beteiligt sich nach § 46 Abs. 5 des Zweiten Buches In jedem Fall kann ich Ihnen bereits jetzt versichern, Sozialgesetzbuch – SGB II – zweckgebunden an den Leis- dass das Bundesministerium der Justiz bei der im Jahr tungen der kommunalen Träger für Unterkunft und Hei- 2012 – hoffentlich letzten – Evaluierung von § 52 a Urhe- zung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsu- berrechtsgesetz sowohl die Belange von Wissenschaft und chende. Damit wird sichergestellt, dass die Kommunen Forschung als auch die Interessen der Rechtsinhaber durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am ausreichend berücksichtigen wird. Arbeitsmarkt – unter Berücksichtigung der sich aus die- sem Gesetz ergebenden Einsparungen der Länder – um Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: jährlich 2,5 Milliarden entlastet werden – und das aus gu- Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss ten Grund, denn die Kommunen sollen dieses Geld für empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung den Ausbau der Kinderbetreuung aufwenden. auf Drucksache 16/10894, den Gesetzentwurf der Frak- Um die Entlastung der Kommunen um jährlich tionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/10569 2,5 Milliarden Euro sicherzustellen, wurde im Rahmen anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- des Ersten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches wurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegen- Sozialgesetzbuch für die Jahre 2005 und 2006 ein Bun- stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist da- desbeteiligungssatz von 29,1 Prozent festgeschrieben. mit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Da sich das Verfahren regelmäßiger Anpassungen der Höhe der Bundesbeteiligung auf der Grundlage einer Dritte Beratung jährlichen Be- und Entlastungsrechnung für die Kommu- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem nen als nicht zweckmäßig erwiesen hatte, gleichwohl Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – aber nicht auf eine jährliche Anpassung der erforderli- Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf chen Höhe der Bundesbeteiligung verzichtet werden (B) ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koali- sollte, wurde im Einvernehmen mit den Ländern durch (D) tion bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialge- setzbuch und des Finanzausgleichsgesetzes bestimmt, Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf dass die Höhe der Beteiligung des Bundes an den Leis- Drucksache 16/10894 empfiehlt der Rechtsausschuss, tungen für Unterkunft und Heizung gemäß der gesetzlich den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verankerten Anpassungsformel zu bestimmen ist. Inner- auf Drucksache 16/10566 abzulehnen. Ich bitte diejeni- halb der Anpassungsformel spielt die Entwicklung der gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Zahl der Bedarfsgemeinschaften eine wesentliche Rolle. Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzent- Um es kurz zu fassen: Mehr Bedarfsgemeinschaften be- wurf ist damit in zweiter Beratung mit Stimmen der deuten mehr Bundeszuschuss. Weniger Bedarfsgemein- SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Frak- schaften bedeuten weniger Bundeszuschuss. tionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei- Für das Jahr 2008 hatte das folgende Konsequenz: Da tere Beratung. sich die jahresdurchschnittliche Zahl der Bedarfsgemein- schaften im maßgeblichen Zeitraum von Juli 2005 bis Ich rufe den Tagesordnungspunkt 42 auf: Juni 2006 im Vergleich zu dem Zeitraum von Juli 2006 bis Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Juni 2007 um mehr als 0,5 Prozent verändert hatte – sie gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur war nämlich um 3,7 Prozent gesunken –, musste laut An- Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetz- passungsgesetz die Bundesbeteiligung für das Jahr 2008 buch um 2,6 Prozentpunkte auf bundesdurchschnittliche 29,2 Prozent gesenkt werden. An den Leistungen für Un- – Drucksache 16/10811 – terkunft und Heizung in Baden-Württemberg beteiligt Überweisungsvorschlag: sich der Bund für das Jahr 2008 mit 32,6 Prozent, in Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Rheinland-Pfalz mit 38,6 Prozent und in den übrigen Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 14 Ländern mit 28,6 Prozent. Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Auch für das Jahr 2009 muss die Höhe der Bundesbe- Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die teiligung erneut angepasst werden. Die jahresdurch- Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die schnittliche Zahl der Bedarfsgemeinschaften hat sich im Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Karl Zeitraum von Juli 2006 bis Juni 2007 im Vergleich zu dem Schiewerling, CDU/CSU, Angelika Krüger-Leißner, Zeitraum von Juli 2007 bis Juni 2008 von 3 827 934 auf SPD, Heinz-Peter Haustein, FDP, Katrin Kunert, Die 3 653 757 verringert. Das entspricht 4,6 Prozent. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20145

Karl Schiewerling (A) In der Anpassungsformel heißt es, dass bei einer Ver- zuweisungen bis 2010 verlängert wurde. Damit wurde der (C) änderung der Bedarfsgemeinschaften um plus oder minus – bis heute immer noch – schwierigen Arbeitsmarkt- 1 Prozent eine Anpassung des Beteiligungssatzes um plus situation in den neuen Bundesländern Rechnung getragen. oder minus 0,7 Prozentpunkte zu erfolgen hat. Dement- sprechend verringert sich die Bundesbeteiligung um Drittens. Die Anpassung der Bundesbeteiligung ab den 3,2 Prozentpunkte; 4,6 mal 0,7 gleich 3,22. Hieraus er- Jahren 2008 bis 2010 soll anhand der Entwicklung der gibt sich eine Bundesbeteiligung in Höhe von bundeswei- Anzahl der Bedarfsgemeinschaften erfolgen. Vereinfacht ten 26,0 Prozent. Die Sonderquoten für Baden-Württem- ausgedrückt: Steigt die Zahl der Bedarfsgemeinschaften, berg werden folglich auf 29,4 Prozent, die für Rheinland- steigt auch die Beteiligung des Bundes, und umgekehrt. In Pfalz auf 35,4 Prozent und für die übrigen Länder auf je- beiden Fällen erfolgt die Beteiligung unterproportional. weils 25,4 Prozent festgelegt. Auf eine detaillierte Darstellung der Anpassungsformel verzichte ich an dieser Stelle. Die Interessierten unter Ihnen Die teilweise von kommunaler Seite beanstandete an- können das im Gesetz genau nachlesen. gebliche Benachteiligung beim Anpassungsgesetz ist nicht nachvollziehbar. Schließlich wurde die Anpas- In diesem Punkt konnte aber der Bund dem Vorschlag sungsformel nach langen Verhandlungen mit den Län- der Länder, nämlich die Höhe der Ausgaben für die Kosten dern vereinbart und im Bundesrat einmütig beschlossen. der Unterkunft als Maßstab für die Bundesbeteiligung zu Grunde zu legen, nicht folgen. Ich halte die Entwicklung Mit dem hier vorliegenden Regierungsentwurf wenden der Bedarfsgemeinschaften als Berechnungsgrundlage wir schlicht die gesetzlich festgelegte Anpassungsformel nach wie vor für richtig. Denn das primäre Ziel im SGB II an. Aus diesem Grund sehe ich keine Bedenken, dieses ist es, die Zahl der Hilfebedürftigen und damit die Anzahl Gesetz im Bundestag in naher Zukunft zu verabschieden. der Bedarfsgemeinschaften zu reduzieren. Somit geht das Ziel Senkung der Bedarfsgemeinschaften einher mit der Angelika Krüger-Leißner (SPD): Verringerung der Kosten der Unterkunft. Für die Kommu- Diejenigen unter uns, die sich seit Jahren intensiv mit der nen besteht somit ein Anreiz, die Wohnkosten regelmäßig Arbeitsmarktpolitik und insbesondere mit der Hartz-IV-Ge- auf Ihre Angemessenheit zu prüfen. setzgebung beschäftigen, wissen, von welcher Brisanz das Thema Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unter- Darüber hinaus haben wir mit dieser Berechnungs- kunft und Heizung (KdU) ist. Jedes Jahr aufs Neue hatten methode Transparenz geschaffen. Denn jeder kann die wir bei der Festsetzung der Höhe der Bundesbeteiligung die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften den entsprechenden Auseinandersetzungen mit den Ländern, den Kommunen Statistiken entnehmen. Somit ist der Anpassungsmecha- und ihren Spitzenverbänden. nismus eindeutig und nachvollziehbar. (B) (D) Schon mit Einführung von Hartz IV musste der Ver- Nicht sonderlich überrascht war ich, dass Ende 2007 mittlungsausschuss eine Lösung zwischen Bundestag und das Feilschen der Länder, als wir mit dem dritten Ände- Bundesrat herbeiführen. Beide Seiten haben sich darauf rungsgesetz des SGB II den Bundeszuschuss für 2008 verständigt, die Kommunen im Zuge der Umsetzung von nach eben diesem Verfahren festlegen wollten, erneut Hartz IV um 2,5 Milliarden Euro jährlich zu entlasten. begann. Dabei hatten wir doch in dieser Frage einen Die Entlastung – das wurde ebenfalls im Vermittlungs- Konsens erreicht. Die Position der Länder und kommuna- ausschuss verabredet – erfolgt über die Beteiligung des len Spitzenverbände und der Kommunen war eindeutig: Bundes an den KdU für Hartz-IV-Empfänger. Bei der Berechnung sollten auch die enorm gestiegenen Energiekosten berücksichtigt werden. In der Anhörung Mit dem ersten SGB-II-Änderungsgesetz haben wir dazu konnten die Sachverständigen die aktuellen Kosten- für die Jahre 2005 und 2006 die Bundesbeteiligung auf steigerungen jedoch nicht seriös nachweisen. Es konnte 29,1 Prozent festgelegt. Für die Jahre ab 2007 musste je- vor allem nicht dargelegt werden, ob und wie die Länder doch eine gesetzliche Neuregelung gefunden werden. ihre Einsparungen beim Wohngeld an die Kommunen Denn die Idee, die Höhe der Bundesbeteiligung anhand weitergegeben haben. Insofern blieb es bei der verabre- einer aufwendigen Berechnung regelmäßig neu zu be- deten Berechnung. rechnen, hat sich als nicht praxistauglich erwiesen. Im Juni dieses Jahres haben wir mit dem vierten Ände- Nach auch hier langen Verhandlungen mit den Län- rungsgesetz des SGB II beschlossen, die zeitliche Befristung dern konnte eine Vereinbarung getroffen werden, die im der Anpassungsformel aufzuheben. Dem Gesetzentwurf Wesentlichen drei Punkte umfasst: ging ein intensives Beratungsverfahren mit den Ländern Erstens. Die durchschnittliche Beteiligung des Bundes voraus, dem die Länder letztendlich in Zusammenhang wurde auf 31,8 Prozent festgesetzt. Damit ist der Bund mit der Wohngeldnovelle im SGB XII zustimmten. dem Votum des Bundesrates gefolgt und stellte 450 Millio- nen Euro mehr zur Verfügung als aus seiner Sicht notwen- Wenn man die Entwicklung der Bedarfsgemeinschaften dig gewesen wäre. Für 14 Länder wurde die Bundesbetei- verfolgt, so ist festzustellen, dass es einen kontinuierlichen ligung auf 31,2 festgelegt, für Baden-Württemberg auf Rückgang – auch bedingt durch gesetzliche Änderungen – 35,2 Prozent und für Rheinland-Pfalz auf 41,2 Prozent. gibt. Der Bundesanteil in 2008 an den KdU hat sich ge- Diese Regelung wurde einmütig mitgetragen. genüber 2007 erheblich verringert. Das ist auch dadurch bedingt, dass der Bund in 2007 einen höheren Anteil aus- Zweitens. Es war mir besonders wichtig, dass der „Aus- gegeben hat, als seiner Auffassung nach nötig gewesen gleich Ost“ über die Sonderbedarfsbundesergänzungs- wäre. Ich habe bereits darauf hingewiesen.

Zu Protokoll gegebene Reden 20146 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Angelika Krüger-Leißner (A) Für 2008 sind Gesamtkosten von 13,4 Milliarden Euro mehreren Personen haben das Nachsehen. Das ist nicht (C) vorgesehen. Davon entfallen gemäß der Beteiligung des im Sinne einer gerechten Entlastung aller Kommunen. Bundes von durchschnittlich 29,2 Prozent 3,9 Milliarden Euro auf den Bund und 9,5 Milliarden Euro auf die Kom- Die FDP hat immer deutlich gemacht, dass hier nur munen. Für 2008 sind bereits 83,5 Prozent der bereitge- ein Weg richtig sein kann: Wir müssen wegkommen vom stellten Mittel abgerufen. Es ist also anzunehmen, dass die der Bezugsgröße der Bedarfsgemeinschaften. Wir müssen geplanten Kosten auch den tatsächlichen entsprechen. dahin kommen, dass die tatsächlich entstandenen Kosten der Maßstab für die Bundesbeteiligung sind. Anders wer- Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Anzahl den wir die Angelegenheit nicht lösen können. Planungs- der Bedarfsgemeinschaften in 2009 weiter rückläufig ist. sicherheit und finanzielle Entlastung für die Kommunen Sie veranschlagt Gesamtkosten für die Kosten der Unter- sind ja schön und gut – aber dann auch bitte entsprechend kunft von 12,3 Milliarden Euro. Daraus ergibt sich eine den tatsächlich entstandenen Kosten. Beteiligung des Bundes von 26,0 Prozent. Das führt zu Ausgaben in Höhe von rund 3,2 Milliarden Euro. Gegen- Katrin Kunert (DIE LINKE): über 2007 ergibt sich eine Entlastung des Bundes um Während der Bund das Risiko für die Banken über- rund 0,7 Milliarden Euro. Die Kommunen tragen gemäß nimmt, bürdet er den Kommunen weitere Risiken auf. Für ihrem Anteil rund 9,1 Milliarden Euro. Das entspricht einer das Funktionieren des Finanzmarktes werden förmlich Entlastung von 0,4 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr. über Nacht 480 Milliarden Euro durch die Bundesregie- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf bestimmen wir rung bereitgestellt. Zeitgleich erhalten Länder und nur das Ergebnis für 2009 gemäß der verabredeten Kommunen 700 Millionen Euro weniger Mittel zur Fi- Anpassungsformel. Trotz rückläufiger Bundesbeteiligung nanzierung der Kosten der Unterkunft. Ich finde es unge- steht der Bund weiterhin dazu, die Kommunen in ihrer heuerlich, dass diese Entscheidung im selben Atemzug mit Gesamtheit um jährlich 2,5 Milliarden Euro zu entlasten. der Entscheidung zum Finanzmarktpaket getroffen Damit bleibt der Bund wie in den letzten Jahren ein verläss- wurde. licher Partner der Kommunen. Jedoch kann der Bund nicht Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf zur Änderung die Entlastung jeder einzelnen Kommune garantieren. Das des SGB II – Zweites Buch Sozialgesetzbuch – will die lässt unsere Finanzverfassung nicht zu. An dieser Stelle Bundesregierung eine erneute Absenkung des Bundesan- sind die Länder gefordert, über den Finanzausgleich für teils an der Finanzierung der Leistungen für Unterkunft einen Ausgleich zu sorgen. und Heizung für Hartz-IV-Beziehende vornehmen. Der Bundesanteil soll von 29,2 Prozent auf 26 Prozent abge- Heinz-Peter Haustein (FDP): senkt werden Das entspricht 700 Millionen Euro. Nach (B) (D) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll – entspre- Schätzung der Bundesregierung werden sich die Gesamt- chend den Regelungen der Vorjahre – die Höhe der Bun- ausgaben für die Kosten der Unterkunft im Jahr 2009 auf desbeteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung rund 13 Milliarden Euro belaufen. Davon müssen die für das kommende Jahr angepasst werden. Damit soll die Kommunen 9,1 Milliarden Euro an Kosten tragen. Zusage erfüllt werden, die den Kommunen im Rahmen Berücksichtigt man die bereits für das Jahr 2008 vor- der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozial- genommene Reduzierung des Bundesanteils, kommt es hilfe gemacht worden ist. Es geht um eine Entlastung der für die Folgejahre zu einer dauerhaften Zusatzbelastung Kommunen in einer Größenordnung von 2,5 Milliarden der Kommunen von insgesamt über 1,5 Milliarden Euro. Euro. Das war von Anfang an das entscheidende Ziel: die Hinzu kommen zusätzliche Ausgaberisiken infolge der Entlastung der Kommunen. Steigerungen des Ölpreises oder Anhebungen des Miet- spiegels, und es ist zu befürchten, dass die Kommunen Die FDP hat bereits in vergangenen Jahren auf den diesen finanziellen Druck an die Betroffenen weiterrei- Fehler hingewiesen, den Bundeszuschuss ausschließlich chen. An dieser Stelle will ich abermals bundesweit ein- nach der Zahl der Bedarfsgemeinschaften zu bemessen. heitliche Mindeststandards für die Berechnung der KdU Wir haben das Ziel unterstützt, im Interesse der Kommu- einfordern. nen eine gewisse Planungssicherheit zu schaffen. Doch die Ausrichtung an der Zahl der Bedarfsgemeinschaften Der Bundesrat hat sich am 7. November 2008 mit dem hielten wir für falsch. Wir halten es nach wie vor für Gesetzesentwurf befasst. Wie nicht anders zu erwarten falsch. Daran hat sich nach den Jahren nichts geändert. war, haben die Länder mehrheitlich zugestimmt. Warum? Denn die Bedarfsgemeinschaften sind als Bezugsgröße Die Antwort darauf finden Sie – stellvertretend für alle ungeeignet, die tatsächlichen Verhältnisse abzubilden. anderen Länder – in einer Anmerkung des Landes Sach- sen-Anhalt zu diesem Gesetzesentwurf. Ich zitiere: Ein Singlehaushalt verursacht geringere Miet- und Heizkosten als eine Großfamilie. Arbeitet man hier mit Der Haushalt des Landes Sachsen-Anhalt selbst einem Mittelwert über alle Größen von Bedarfsgemein- wird durch die Verringerung des Bundesanteils schaften hinweg, dann sind automatisch diejenigen Kom- nicht belastet. Wohl aber sind die Haushalte der munen benachteiligt, in denen strukturell bedingt mehr Landkreise und kreisfreien Städte betroffen. Deren kinderreiche Familien leben. Die Ballungsräume mit der Ausgaben für Unterkunft und Heizung dürften in Vielzahl an Singlehaushalten werden dann begünstigt. diesem Jahr (nach gegenwärtigem Stand) um rund Die Kommunen im ländlichen Raum mit einer strukturell 3,75 Prozent sinken, so dass landesweit die Sen- bedingt höheren Zahl an Bedarfsgemeinschaften mit kung in 2008 kompensiert werden könnte.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20147

Katrin Kunert (A) Auf Antrag der Fraktion Die Linke im Bundestag müs- Der Bund zieht sich mit dem Gesetzesentwurf aus der (C) sen sich nun auch in erster Lesung zum Entwurf eines Finanzierung der Leistungen für Unterkunft und Heizung Fünften Gesetzes zur Änderung des SGB II alle Fraktio- weiter zurück und meint, dass er aufgrund der Gesetzes- nen erneut zum Vorgehen des Bundes in dieser Frage po- lage dabei im Recht ist. Vollkommen in Vergessenheit ge- sitionieren. Eine einfache Überweisung, das heißt ohne rät dabei, dass die Kommunen und die kommunalen Spit- Aussprache, an die entsprechenden Ausschüsse – wie es zenverbände, die Oppositionsparteien im Bundestag und von den Koalitionsfraktionen geplant war – konnte somit anfangs auch die Länder ihre Zustimmung zu dieser verhindert werden. Rechtsgrundlage versagt hatten. Die Fraktion Die Linke will damit signalisieren, dass 2007 betrug die Bundesbeteiligung 31,8 Prozent. 2008 wir an diesem Thema dranbleiben, auch weil wir meinen, wurde die Bundesbeteiligung auf 29,2 Prozent abgesenkt. dass schlechte Gesetze wieder geändert werden müssen Hintergrund hierfür ist die Einführung einer neuen Be- und können. Wenn es zu Korrekturen in der Politik kommt, rechnungsformel, mit der sich der Bund quasi aus der um die Finanzmarktkrise zu bewältigen, warum sollte Verantwortung rechnen kann. Für die Berechnung des- eine Korrektur hinsichtlich der Beteiligung des Bundes sen, was der Bund zahlen will, werden nicht die Istzahlen an der Finanzierung der Kosten der Unterkunft nicht – also die realen Kosten, die den Kommunen entstehen – möglich sein? Ich meine, der Bundesanteil muss erhöht zugrunde gelegt, sondern die Anzahl der Bedarfsgemein- werden. Grundlage für die Berechnung müssen die realen schaften. Da die Zahl der Bedarfsgemeinschaften auf- Kosten für Unterkunft und Heizung sein. Das wäre ein grund der Politik der großen Koalition rückläufig ist, die Schritt in die richtige Richtung. realen Kosten aber weiter steigen, geht dies erneut zulas- ten der Kommunen. Der Gesetzentwurf ist als besonders eilbedürftig ge- kennzeichnet, da die Gesetzesänderung zum 1. Januar Die Berechnungsformel ist ein Deal zwischen Bund 2009 in Kraft treten soll. Die Eilbedürftigkeit hat zur und Ländern, der im Ergebnis eines Vermittlungsverfah- Konsequenz, dass ein anderes Verfahren angewandt wird; rens erzielt wurde. Man wollte auf diesem Weg künftigen Art. 76 Abs. 3 Grundgesetz. Der Gesetzentwurf kann be- Auseinandersetzungen aus dem Weg gehen. Die Kommu- reits nach drei Wochen – auch schon ohne Stellungnahme nen waren daran nicht beteiligt. des Bundesrates – an den Bundestag weitergeleitet wer- den. Das heißt hätte der Bundesrat am 7. November 2008 Die neue Berechnungsformel ist 2008 erstmalig ange- keine Entscheidung dazu getroffen, hätte sich der Bun- wandt worden. Dabei ergab sich eine eklatante Differenz destag trotzdem damit befassen können. zwischen den realen Kosten für Unterkunft und Heizung, die um 8 Prozent gestiegen waren, und der als Maßstab Den kommunalen Spitzenverbänden wurde nicht die für die Anpassung herangezogenen Zahl der Bedarfsge- (B) Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt. Die Bundes- meinschaftszahlen, die um 4 Prozent gesunken war. Dass (D) regierung hat die kommunalen Spitzenverbände erst mit es hier eine Differenz gibt, hatte selbst die Bundesregie- Schreiben vom 20. Oktober 2008 über den Gesetzesentwurf rung im Rahmen der Debatte zum Bundeshaushalt 2008 in Kenntnis gesetzt. Der Gesetzesentwurf selbst datiert zugeben müssen. vom 16. Oktober 2008. Laut GGO der Bundesministerien, § 47 GGO, sind aber die kommunalen Spitzenverbände bei Auf die Frage der Fraktion Die Linke, in welchem Ver- allen Gesetzesvorhaben, die ihre Belange berühren, hältnis die Entwicklung der Zahl der Bedarfsgemein- grundsätzlich zu beteiligen. Auch Änderungsgesetze fal- schaften zu der Entwicklung der Gesamtkosten für KdU len darunter. im SGB II steht, antwortete die Bundesregierung im Haushaltsausschuss: Die jeweils federführenden Bundesministerien müssen laut GGO bei den kommunalen Spitzenverbänden recht- Die Leistungen für Unterkunft sind von 12,1 Milliar- zeitig Angaben zu den Ausgaben einholen. In der Antwort den Euro im Jahr 2005 auf 13,9 Milliarden Euro im der Bundesregierung auf meine schriftliche Anfrage heißt Jahr 2006 gestiegen. Im gleichen Zeitraum ist die es hierzu: durchschnittliche Zahl der Bedarfsgemeinschaften von 3,7 Millionen Euro in 2005 auf 3,9 Millionen Mit dem Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Ände- Euro in 2006 gestiegen. Die Zahlen machen deut- rung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuches, das lich, dass sich die durchschnittlichen LfU pro Be- am 15. Oktober 2008 im Bundeskabinett beschlos- darfsgemeinschaft und die Zahl der Bedarfsgemein- sen wurde, wird die Höhe der Bundesbeteiligung an schaften in den letzten Jahren unterschiedlich den Leistungen für Unterkunft und Heizung im entwickelt haben. SGB II im Jahr 2009 festgelegt. Die gesetzlichen Vorgaben zur Bestimmung und Festlegung der Das führte allerdings nicht dazu, die Berechnungsfor- Höhe der Bundesbeteiligung sind in § 46 Abs. 7 und mel infrage zu stellen, da der Bund dann eine Erhöhung Abs. 8 SGB II eindeutig festgeschrieben und für die der Bundesbeteiligung hätte vornehmen müssen. Die Ab- Öffentlichkeit transparent nachvollziehbar. Bei dem senkung der Bundesbeteiligung führte im Jahr 2008 bei Gesetzentwurf handelt es sich daher um ein reines den Kommunen im Saldo zu einer Belastung der Kommu- Feststellungsgesetz, mit dem die gesetzlichen Vor- nen von 1,15 Milliarden Euro. gaben zur Bestimmung der Höhe der Bundesbeteili- In dem vorliegenden Gesetzesentwurf heißt es: gung umgesetzt werden. Den kommunalen Spitzen- verbänden wurde der Gesetzentwurf nach Für das Jahr 2009 werden Gesamtausgaben für Kabinettsbeschluss zur Kenntnis übersandt. Leistungen für Unterkunft und Heizung von rd.

Zu Protokoll gegebene Reden 20148 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Katrin Kunert (A) 12,3 Mrd. Euro erwartet. Bei einer Bundesbeteili- Kommunalebene durch Inkrafttreten des SGB-II- (C) gung in Höhe von 26,0 Prozent führt dies zu Ausga- Gesetzes um 2,5 Milliarden Euro sicherzustellen, ben des Bundes in Höhe von rd. 3,2 Mrd. Euro. Für von allen Verantwortlichen völlig aus dem Auge das Jahr 2009 ist daher mit einer Entlastung für verloren worden. Diese bedenkliche, kommunalun- den Bund in Höhe von rund 0,7 Mrd. Euro … zu re- freundliche Entwicklung wird besonders dadurch chen … deutlich, dass neuerdings die Höhe der Bundesbe- Die Kommunen tragen … einen Betrag in Höhe von teiligung an den KdU-Kosten des SGB II nicht rd. 9,1 Mrd. Euro. mehr von der tatsächlichen KdU-Belastung der Kommunen abhängig gemacht wird, sondern viel- Was heißt das konkret für die Kommunen? Welche mehr nur noch von der – davon völlig abweichen- Mehrbelastungen kommen auf sie zu? Wir haben in den den – Entwicklung der Anzahl der SGB II Bedarfs- Städten und Landkreisen nachgefragt; hier nur einige gemeinschaften. Beispiele. In folgenden Kommunen kommt es zu Mehrbe- lastungen: Erfurt: circa 2 Millionen Euro, Berlin: 45 Mil- Sicher verfügen die Kommunen in den letzten beiden lionen Euro, Landkreis Märkisch-Oderland: 1,5 Mil- Jahren insgesamt über höhere Gewerbesteuereinnahmen. lionen Euro, Landkreis Nordwestmecklenburg: 740 800 Aber es sind nicht alle Kommunen, die davon profitieren. Euro, Freiburg: 1,3 Millionen Euro, Würzburg: 570 000 Auch hier wird die Schere zwischen Arm und Reich immer Euro, Landkreis Ostvorpommern: 1 Millionen Euro, größer. Die Kommunen haben ein strukturelles Defizit, Landkreis Ilm: 660 000 Euro, Landkreis Rügen :567 000 das insbesondere infolge der Aufgabenübertragung Euro, Kassel: 1 689 216 Euro, Landkreis Offenbach: durch Bund und Länder ohne die dafür erforderlichen Fi- 1,6 Millionen Euro, München: rund 6,7 Millionen Euro, nanzen im sozialen Bereich entstanden ist. Es beträgt Landkreis Oberhavel: rund 1,44 Millionen Euro, Wup- mehr als 10 Milliarden Euro. Sie schieben es seit fast zwei pertal: 3,2 Millionen Euro, Landkreis Stendal 1,08 Mil- Jahrzehnten vor sich her. Die Gesamtverschuldung der lionen Euro, Oberhausen: rund 1,64 Millionen Euro, Kommunen beträgt aktuell 110 Milliarden Euro, darunter Landkreis Nordsachsen: rund 1,47 Millionen Euro, Dres- 30 Milliarden Euro Kassenkredite, die zur Finanzierung den rund 3,7 Millionen Euro. der laufenden Aufgaben benötigt werden. Die erneute Absenkung der Bundesbeteiligung um Fazit: Es ist mehr als makaber, dass die Entscheidung 3,2 Prozentpunkte entlastet den Bund um 700 Millionen zur weiteren Absenkung des Bundesanteils zur Finanzie- Euro und belastet die Kommunen erneut – diesmal um rung der Kosten der Unterkunft zum gleichen Zeitpunkt circa 400 Millionen Euro. Das führt insgesamt zu einer erfolgte wie die Bewilligung von 480 Milliarden Euro für Dauerbelastung der Kommunen von über 1,5 Milliarden die Banken. Diese Entscheidung hätte ausgesetzt werden Euro nur im Bereich der Kosten der Unterkunft, also müssen. (B) Leistungen für Unterkunft und Heizung. (D) Während man etliche „Schutzschirme“ aufspannt, Im Zuge der Hartz-IV-Gesetzgebung hatte man den lässt die Bundesregierung zum wiederholten Mal die Kommunen versprochen, sie um 2,5 Milliarden Euro zu Kommunen im Regen stehen. Der Bund hat in den letzten entlasten. Tatsächlich hatten die Länder und Kommunen Jahren die Kommunen finanziell immer mehr belastet. 2006 eine detaillierte Berechnung vorgelegt, die hierfür Deshalb muss endlich eine Gemeindefinanzreform auf die eine Bundesbeteiligung im Jahr 2007 von über Tagesordnung. 34 Prozent erfordert hätte. Letztendlich zeigt dieser Vorgang auch, dass ein ver- Lassen Sie mich an dieser Stelle stellvertretend für bindliches, im Grundgesetz verankertes Mitwirkungs- viele andere Städte und Landkreise den Oberbürgermeis- recht der kommunalen Spitzenverbände im Gesetzge- ter der Stadt Erlangen zitieren, der seine Empörung über bungsverfahren des Bundes längst überfällig ist. die erneute Absenkung des Bundesanteils zur Finanzie- Österreich hat dieses Recht seinen kommunalen Spitzen- rung der KdU wie folgt zum Ausdruck bringt: verbänden vor mehr als 15 Jahren in der Verfassung zu- Im Ergebnis ist festzustellen, dass gestanden. Seitdem gibt es eine andere politische Kultur des Austragens von Interessenkonflikten. Die österreichi- – der große Gewinner der Gesetzesänderungen sche Bundesregierung würde es niemals wagen, Gesetze, der letzten Jahre im Sozialbereich die Länder die die Belange ihrer Kommunen berühren, ohne frühzei- sind, tige Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände und – der Bund seine Haushaltsbelastung zur Finan- Kommunen zu verabschieden. zierung der Unterkunftskosten bedürftiger Be- völkerungskreise in erheblichem Umfang senken konnte und Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Scheinbar ist die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf – die großen Verlierer die Kommunen sind, die für eingeleitete Kürzung des Bundesanteils an den Kosten die Finanzierung der Unterkunftskosten bedürf- der Unterkunft nach dem SGB II von ursprünglich tiger Bevölkerungskreise Haushaltsmittel in 29,1 Prozent in 2005 auf 26 Prozent in 2009 nur noch ganz erheblichem Umfang zur Verfügung stellen eine Formalie. Auch die Bundesländer erheben in ihrem müssen. Bundesratsbeschluss vom 7. November 2008 keine Ein- Offensichtlich ist die gesetzliche Verpflichtung des wände, ist doch die Festlegung des Bundesanteils eine Bundes aus § 46 Abs. 5 SGB II, wonach der Bund logische Konsequenz des im Vermittlungsausschuss noch verpflichtet ist, eine finanzielle Entlastung der vor der Sommerpause getroffenen Formelkompromisses,

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20149

Markus Kurth (A) wonach der Bund sich künftig an den Kosten der Grund- ter vorsieht, wird als Kompensationsleistung an die Kom- (C) sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung mit einer munen nicht lange Bestand haben; denn schon in den gestaffelten Quote beteiligt, die von 13 Prozent im Jahr vergangenen Jahren stiegen die Ausgaben für die Grund- 2009 auf einen Anteil von 16 Prozent im Jahr 2012 steigt. sicherung im Alter kontinuierlich, zuletzt im Jahr 2007 Im Gegenzug wurde die umstrittene und von den kommu- um 7,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In wenigen Jah- nalen Spitzenverbänden bis heute kritisierte Anpassungs- ren wird sich herausstellen, dass die kompensatorisch formel für die Ermittlung des Bundesanteils an den eingeführte Bundesbeteiligung an diesen Kosten von der Kosten der Unterkunft für SGB-II-Beziehende festge- Entwicklung der Altersarmut überflügelt wird. schrieben. Bedingt durch den konjunkturellen Auf- schwung ist die jahresdurchschnittliche Zahl der Be- Ein Blick in die Zukunft lässt ebenfalls nichts Gutes er- darfsgemeinschaften gesunken. Entsprechend sinkt der warten. Angesichts des bevorstehenden konjunkturellen Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft. Auf den ers- Abschwunges geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Be- ten Blick scheint also alles in bester Ordnung zu sein. rufsforschung der Bundesagentur für Arbeit in seiner zu- letzt veröffentlichten Prognose vom 24. Oktober 2008 von Jedoch nur auf den ersten Blick: Die mit dem genann- einer Zunahme der Arbeitslosigkeit in 2009 aus, die vor- ten Formelkompromiss festgeschriebene Anpassungsfor- wiegend aufseiten der Langzeitarbeitslosen, also im Ar- mel für den Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft beitslosengeld II zu verbuchen sein wird. benachteiligt strukturell die Kommunen. Dies wirkt sich wiederum zulasten der Menschen aus, die am Ende dieses So werden wir im nächsten Jahr mit deutlich steigen- Verteilungsprozesses stehen, die Langzeitarbeitslosen; den Kosten der Unterkunft bei einem gleichzeitig sinken- denn faktisch sind die tatsächlichen Kosten für Unter- den Bundesanteil konfrontiert sein. Es braucht nicht viel kunft und Heizung je Bedarfsgemeinschaft nicht gesun- Fantasie, um sich auszumalen, auf wessen Schultern die- ken, sondern deutlich gestiegen. Trotz rückläufiger Ent- ser Verteilungskampf letztlich ausgetragen wird: Auf den wicklung der Zahl der Hilfeempfänger blieben daher die Schultern der Arbeitslosengeld-II-Beziehenden. Diese Ausgaben der Kommunen für Unterkunft und Heizung mit werden von den Job Centern verstärkt unter Druck ge- 13,65 Milliarden Euro in 2007 unverändert hoch. In die- setzt werden, sich eine kostengünstigere Wohnung zu su- sem Jahr drohen den Kommunen nach meinen Schätzun- chen. Schon jetzt versuchen einige Kommunen mit recht- gen allein wegen der Heizkosten, die im Vergleich zum lich fragwürdigen Tricks die Heizkosten zu deckeln. Statt Vorjahr um fast 60 Prozent gestiegen sind, Mehrausga- Langzeitarbeitlose in Arbeit zu vermitteln, werden sie, ben von 1 Milliarde Euro. In der Folge ist zu erwarten, etwa durch Zahlung von begrenzten Pauschalbeträgen, in dass in 2008 trotz der weiter rückläufigen Entwicklung Unsicherheit bezüglich ihrer Wohnsituation gehalten. der Bedarfsgemeinschaften die Gesamtausgaben der Dies ist kein Beitrag zur Förderung der Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Der Impuls für (B) Kommunen für Unterkunft und Heizung nicht sinken. (D) Diese Kostensteigerung wird in der Anpassungsformel, diese Fehlsteuerung geht auf das Konto der Bundesregie- die sich ausschließlich an der Zahl der Bedarfsgemein- rung. schaften, nicht jedoch an den tatsächlichen Kosten der Unterkunft orientiert, nicht abgebildet. Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Arbeit und Soziales: Ebenfalls unberücksichtigt bleibt die beängstigende Mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf ist vorge- Zunahme des Niedriglohnsektors auf mehr als 20 Pro- sehen, die Bundesbeteiligung an den Leistungen der zent. Dies schlägt sich in der Zahl der Aufstocker nieder, Kommunen für Unterkunft und Heizung anzupassen. das heißt der Personen, die ergänzend zum Erwerbsein- Diese Anpassung steht am Ende einer mehrjährigen, kommen Arbeitslosengeld II beziehen. Auch die Zahl der nicht immer einfachen und von allen Beteiligten mit gro- Aufstocker ist trotz des konjunkturellen Aufschwunges ßem Engagement geführten Diskussion. seit 2006 kontinuierlich gestiegen. Diese Bedarfsgemein- schaften beziehen oftmals ausschließlich Kosten der Un- Kurz zum Hintergrund: Bundestag und Bundesrat ha- terkunft, da das Einkommen zunächst auf die vom Bund ben sich im Vermittlungsausschuss 2004 grundsätzlich finanzierte Regelleistung angerechnet wird. Die Unfähig- über die Verteilung der finanziellen Belastungen aus der keit der Bundesregierung, Niedriglöhne durch die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe flächendeckende Einführung von Mindestlöhnen zu verständigt. Danach werden die Kommunen im Zuge der bekämpfen, trifft nicht nur die betroffenen Arbeiterneh- Umsetzung des Vierten Gesetzes für Moderne Dienstleis- merinnen und Arbeitnehmer, sondern auch die Kommu- tungen am Arbeitsmarkt um insgesamt 2,5 Milliarden nen, die diese Fehlentwicklung finanziell primär abfe- Euro entlastet – unter anderem, um Spielraum für den dern. Ausbau von Kinderbetreuungsmaßnahmen zu schaffen. In § 46 Abs. 5 SGB II wurde dies gesetzlich verankert. Um Die strukturelle Veränderung des Arbeitsmarktes trifft diese Entlastung zu erreichen, soll sich der Bund entspre- die Kommunen doppelt hart; denn der Anstieg des Nied- chend der Vereinbarung aus dem Vermittlungsausschuss riglohnsektors trägt auch in besonderem Maße zur Ent- 2004 an den Leistungen für Unterkunft und Heizung von wicklung von Altersarmut bei. So wird die Untätigkeit der SGB-II-Beziehern beteiligen. So weit die ursprüngliche Bundesregierung im Kampf gegen Armut trotz Arbeit mit- Vereinbarung. tel- bis langfristig zu einer drastischen Zunahme der Empfänger von Grundsicherung im Alter führen. Der In den ersten beiden Jahren wurde diese Bundesbetei- oben genannte Formelkompromiss, der eine Bundes- ligung anhand einer in 2004 vereinbarten, sehr aufwen- beteiligung an den Kosten für die Grundsicherung im Al- digen Berechnung durchgeführt. Dabei mussten wir unter

Zu Protokoll gegebene Reden 20150 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Parl. Staatssekretär Klaus Brandner (A) anderem auf eine fiktive Fortschreibung der Entlastung rung des Zugewinnausgleichs- und Vormund- (C) der Kommunen zurückgreifen. Diese Methode war natur- schaftsrechts gemäß streitanfällig und hat zu vielen Auseinanderset- zungen zwischen Bund und Ländern geführt. Ende 2006 – Drucksache 16/10798 – haben sich Bund und Länder daher nach schwierigen Überweisungsvorschlag: Verhandlungsrunden darauf verständigt, die Berechnung Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der erforderlichen Höhe der Bundesbeteiligung auf eine andere Basis zu stellen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich Anstelle der bis dahin gesetzlich verankerten Berech- sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um nung zur Be- und Entlastung der Gesamtheit der Kommu- die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Ute nen trat auf Vorschlag der Länder ein neuer Mechanis- Granold, CDU/CSU, Christine Lambrecht, SPD, Sabine mus, der Streit vermeiden soll und dies augenscheinlich Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, Jörn Wunderlich, nun auch tut. Wir haben vereinbart, dass die weitere An- Die Linke, Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die passung der Bundesbeteiligung von der Entwicklung der Grünen, und des Parlamentarischen Staatssekretärs Zahl der Bedarfsgemeinschaften im SGB II abhängen Alfred Hartenbach.1) sollte – ausgehend von der Situation in 2006. Auf diese Weise war keine fiktive Berechnung der Entlastungen der Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Kommunen mehr notwendig. wurfs auf Drucksache 16/10798 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es Schon die Höhe der Bundesbeteiligung für das Jahr dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. 2008 wurde anhand dieser damals noch neuen Formel Dann ist die Überweisung so beschlossen. berechnet und gesetzlich festgelegt. Das geschieht nun auch für das Jahr 2009. Die gesetzlich verankerte Anpas- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 44 auf: sungsformel gibt uns dabei genau vor, wie wir zu rechnen Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- haben. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird damit le- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes diglich die gemeinsam vereinbarte Regelung umgesetzt. zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes Die Berechnungen haben einen durchschnittlichen und zur Änderung anderer Vorschriften Rückgang der Zahl der Bedarfsgemeinschaften in Höhe (GeROG) von 4,6 Prozent und damit eine erforderliche Senkung der – Drucksachen 16/10292, 16/10332 – Bundesbeteiligung in Höhe von 3,2 Prozentpunkten erge- ben. Dementsprechend muss – das ist der Auftrag des Ge- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (B) (D) setzes – die Bundesbeteiligung für Rheinland-Pfalz auf ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung eine Höhe von 35,4 Prozent, jene für Baden-Württemberg (15. Ausschuss) auf eine Höhe von 29,4 Prozent und jene für die anderen – Drucksache 16/10900 – 14 Länder auf eine Höhe von 25,4 Prozent festgelegt wer- den. Dies entspricht einer bundesdurchschnittlichen Bun- Berichterstattung: desbeteiligung in Höhe von 26 Prozent. Abgeordneter Patrick Döring Die neue Anpassungsformel hat sich bewährt. Ich Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- denke, ich spreche hier für den Bund und die Länder. Im sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich Sommer dieses Jahres haben sich Bund und Länder des- sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um halb im Vermittlungsausschuss darauf verständigt, diese die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Enak Anpassungsformel über das ursprünglich vereinbarte Ferlemann, CDU/CSU, Petra Weiß, SPD, Patrick Jahr 2010 hinaus unbefristet anzuwenden. Döring, FDP, Heidrun Bluhm, Die Linke, Peter Hettlich, Bündnis 90/Die Grünen, und des Parlamentarischen Das ist eine gute Entscheidung für alle Beteiligten, Staatssekretärs Ulrich Kasparick.2) weil sie langfristig für Transparenz und Planungssicher- heit sorgt. Deshalb freue ich mich auch, dass der Bundes- Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für rat keine Einwendungen gegen das vorliegende Gesetz Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner erhoben hat. Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10900, den Ge- setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10292 und 16/10332 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- wurfs auf Drucksache 16/10811 an die in der Tagesord- chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. von SPD, CDU/CSU, FDP bei Enthaltung von Bünd- Dann ist die Überweisung so beschlossen. nis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 43 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- 1) Anlage 20 gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- 2) Anlage 21 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20151

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Dritte Beratung – Drucksachen 16/1770, 16/9165, 16/9654, 16/ (C) 10913 – und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Berichterstattung: Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist Abgeordnete Reinhard Grindel damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergeb- Dr. Michael Bürsch nis wie in zweiter Beratung angenommen. Rüdiger Veit Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 45 a und 45 b auf. Sevim Dağdelen a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Josef Philip Winkler regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgeset- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich zes sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um – Drucksachen 16/10528, 16/10695 – die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Günter Baumann, CDU/CSU, Rüdiger Veit, SPD, Hartfrid – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat Wolff, FDP, Sevim Da_delen, Die Linke, Josef Philip eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Winkler, Bündnis 90/Die Grünen.1) Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur – Drucksache 16/5107 – Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Der Innen- – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh- neten Josef Philip Winkler, Hans-Christian lung auf Drucksache 16/10913, den Gesetzentwurf der Ströbele, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten Bundesregierung auf Drucksachen 16/10528 und 16/10695 und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu- derung des Staatsangehörigkeitsrechtes stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da- gegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit – Drucksache 16/2650 – in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- schusses (4. Ausschuss) Dritte Beratung (B) – Drucksache 16/10913 – und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (D) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Berichterstattung: Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- Abgeordnete Reinhard Grindel wurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Dr. Michael Bürsch Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenom- Rüdiger Veit men. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Sevim Dağdelen Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesra- Josef Philip Winkler tes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- empfehlung auf Drucksache 16/10913, den Gesetzent- richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) wurf des Bundesrates auf Drucksache 16/5107 abzuleh- – zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, nen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt und der Fraktion DIE LINKE dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion der FDP Einbürgerungen erleichtern – Ausgrenzungen mit den restlichen Stimmen des Hauses abgelehnt. Da- ausschließen mit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere – zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Beratung. Wolfgang Nešković, Ulla Jelpke, weiterer Abge- Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion ordneter und der Fraktion DIE LINKE Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Staatsangehö- Für die Abschaffung der Optionspflicht im rigkeitsrechtes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 3 Staatsangehörigkeitsgesetz seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10913, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, auf Drucksache 16/2650 abzulehnen. Ich bitte diejeni- Ulla Jelpke, Dr. Hakki Keskin, Petra Pau und der gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Fraktion DIE LINKE Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Klare Grenzen für die Rücknahme und den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zie- hen 1) Anlage 22 20152 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstim- Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion (C) men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Frak- Bündnis 90/Die Grünen vor. tion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussempfeh- sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um lungen des Innenausschusses auf Drucksache 16/10913 die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: zu den Anträgen der Fraktion Die Linke fort. Johannes Röring, CDU/CSU, Gustav Herzog, SPD, Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Be- Dr. Edmund Peter Geisen, FDP, Dr. Kirsten Tackmann, schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags auf Die Linke, Cornelia Behm, Bündnis 90/Die Grünen.1) Drucksache 16/1770 mit dem Titel „Einbürgerungen er- Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für leichtern – Ausgrenzungen ausschließen“. Wer stimmt Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den che 16/10874, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung auf Drucksache 16/10032 in der Ausschussfassung anzu- von Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in Fraktion Die Linke angenommen. der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- Unter Nr. 5 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der des Antrags auf Drucksache 16/9165 mit dem Titel „Für Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den die Abschaffung der Optionspflicht im Staatsangehörig- Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD und CDU/CSU keitsgesetz“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- bei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung von Bünd- lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be- nis 90/Die Grünen angenommen. schlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/ CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Dritte Beratung Grünen und Die Linke angenommen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 6 sei- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- auf Drucksache 16/9654 mit dem Titel „Klare Grenzen wurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stim- für die Rücknahme und den Verlust der deutschen menergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. Staatsangehörigkeit ziehen“. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- (D) (B) tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10888. men von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs- angenommen. antrag ist bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen mit den restlichen Stimmen des Hauses ab- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 46 auf: gelehnt. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- gierung eingebrachten Entwurfs eines Düngege- ordnung. setzes – Drucksache 16/10032 – Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf Dienstag, den 25. November 2008, 10 Uhr, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ein. ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz (10. Ausschuss) Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch einen schönen – Drucksache 16/10874 – Abend. Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Röring Die Sitzung ist geschlossen. Gustav Herzog (Schluss: 22.19 Uhr) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Kirsten Tackmann Cornelia Behm 1) Anlage 22 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20153

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Berichtigung (C) 186. Sitzung, Seite 19897 (A), erster Absatz: Der letzte Satz ist wie folgt zu lesen: „Auch die Themen ge- meinsame Bilanzierungsrichtlinien und IFRS, die in der Zwischenzeit von den USA und in Europa anerkannt wer- den, werden dazu führen, dass wir uns gegenseitig besser verstehen und dass zukünftig in den Märkten mehr Ver- trauen vorhanden sein wird.“

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20155

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 2005 stellt die SPD die Leitung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und hat das Vor- Liste der entschuldigten Abgeordneten schlagsrecht. Deshalb muss unser Koalitionspartner eine Ablösung in eigener Hoheit beschließen bzw. muss der Minister von sich aus zurücktreten. entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Der Deutsche Bundestag ist hier aus meiner Sicht nicht gefragt. Dreibus, Werner DIE LINKE 13.11.2008

Faße, Annette SPD 13.11.2008 Anlage 3

Gerster, Martin SPD 13.11.2008 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Renate Gradistanac (SPD) Göppel, Josef CDU/CSU 13.11.2008 zur namentlichen Abstimmung über die An- träge: Missbilligung der Amtsführung und Ent- Gröhe, Hermann CDU/CSU 13.11.2008 lassung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord- Hänsel, Heike DIE LINKE 13.11.2008 nungspunkt 7) Hintze, Peter CDU/CSU 13.11.2008 In der Ergebnisliste erscheint mein Name unter „Ja“. Mein Votum lautet „Nein“. Kucharczyk, Jürgen SPD 13.11.2008

Dr. Lauterbach, Karl SPD 13.11.2008 Anlage 4 Leutert, Michael DIE LINKE 13.11.2008 Erklärung nach § 31 GO

Mücke, Jan FDP 13.11.2008 des Abgeordneten Georg Brunnhuber (CDU/ CSU) zur namentlichen Abstimmung über die (B) Raidel, Hans CDU/CSU 13.11.2008 Anträge: Missbilligung der Amtsführung und (D) Entlassung von Bundesminister Wolfgang Dr. Scheer, Hermann SPD 13.11.2008 Tiefensee (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatz- tagesordnungspunkt 7) Schily, Otto SPD 13.11.2008 In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt. Schmidt (Nürnberg), SPD 13.11.2008 Mein Votum lautet „Nein“. Renate

Staffelt, Grietje BÜNDNIS 90/ 13.11.2008 Anlage 5 DIE GRÜNEN Erklärungen nach § 31 GO Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 13.11.2008 zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung zu dem Antrag der Bundes- Zimmermann, Sabine DIE LINKE 13.11.2008 regierung: Fortsetzung des Einsatzes bewaffne- ter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Arti- Anlage 2 kels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie Erklärung nach § 31 GO der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Ta- der Abgeordneten Renate Blank (CDU/CSU) gesordnungspunkt 18 a) zur namentlichen Abstimmung über die An- träge: Missbilligung der Amtsführung und Ent- lassung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): In den letzten (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord- Jahren habe ich dem oben genannten Mandat zu OEF, nungspunkt 7) Operation Enduring Freedom, nicht zugestimmt. Ich habe – wie viele nationale und internationale Menschen- Ich stimme dem Antrag der FDP und dem Antrag von rechtsorganisationen – stets kritisiert, dass die internatio- Bündnis 90/Die Grünen nicht zu, denn laut Koalitions- nale OEF-Operation in Afghanistan massiv zivile Opfer vereinbarung der Großen Koalition vom 18. November gefordert hat. Dazu kommt, dass die am deutschen Kon- 20156 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) tingent beteiligten KSK-Kräfte seit mehreren Jahren mokraten auch Protagonisten aus der Bürgerkriegszeit (C) nicht eingesetzt wurden, wobei die Transparenz über ih- und Drogenbarone tummeln? ren Einsatz auch nicht zufriedenstellend gewährleistet war. Deshalb begrüße ich die im veränderten Mandat Auf diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten. neu zu erkennende Haltung der Bundesregierung, die Doch ich finde, über eines sollten wir uns stärker be- diese Punkte im Wesentlichen aufnimmt. wusst werden: Die Entwicklung von Frieden, Armutsbe- kämpfung und der Aufbau von Rechtstaatlichkeit und Erstens hat die Bundesregierung die Kritik an der Demokratie können nur unzureichend von oben nach un- Mandatsumsetzung im Hinblick auf die vielen zivilen ten aufgebaut werden. Deshalb plädiere ich dafür, dass Opfer, die der Kampf für die „Operation dauerhafte Frei- wir in unsere Bemühungen die afghanische Bevölkerung heit“ kostet, ernst genommen und dies in ihre Ein- stärker einbeziehen. Wir müssen sie zu aktiven Partnern satzauflagen einbezogen. Dies muss weiterhin und ver- und Mitentscheidern beim Wiederaufbau ihres Landes stärkt geschehen. Die Bundesregierung muss zudem machen. Ich hoffe, die Bundesregierung wird diese Ein- weiter auf die USA einwirken, dass diese die Vermei- sicht in ihrem zukünftigen Engagement noch stärker be- dung von zivilen Opfern zur obersten Priorität in ihren rücksichtigen. Dafür werde ich mich weiterhin einset- Einsätzen machen. zen. Zweitens hat die Bundesregierung die langjährige Ich stimme aus den oben angeführten Gründen der Kritik bezüglich der 100 in Afghanistan stationierten Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit- KSK-Soldaten anerkannt und zieht diese zugunsten ei- kräfte zu. An meinen generellen Bedenken bezüglich der nes verstärkten ISAF-Engagements – das einer starken Verfassungs- und Völkerrechtsmäßigkeit des OEF-Man- parlamentarischen und damit öffentlichen Kontrolle un- dates halte ich allerdings fest. terliegt – zurück. Dies unterstütze ich ausdrücklich. Die militärische Option der Bekämpfung von Terroristen kann nur eine von vielen sein. Im Sinne der Nachhaltig- Lothar Mark (SPD): Nachdem das Bundeskabinett keit sind die Bekämpfung der existenziellen Not und der auf Vorschlag des Außenministers die Beteiligung der Defizite in der Sicherheit im täglichen Leben und der bisherigen 100 Spezialkräfte (KSK-Truppen) in Afgha- menschenrechtlichen Situation in Afghanistan mindes- nistan zurückgezogen hat, stimme ich, wenn auch tens genauso wichtig. Deshalb freue ich mich über den schweren Herzens, der Verlängerung des Mandats für Abzug der KSK-Soldaten aus Afghanistan und begrüße die deutsche Beteiligung am OEF-Mandat zu. Damit be- ausdrücklich den Richtungswechsel zu einer Verstär- schränkt sich die deutsche Beteiligung an der internatio- kung des ISAF-Engagements und die Aufstockung des nalen Terrorbekämpfung gegenwärtig auf eine Beteili- (B) Entwicklungs- und Nothilfebudgets. gung an der maritimen Komponente am Horn von (D) Die Bundesregierung, die deutschen Hilfsorganisatio- Afrika. Im Rahmen des ISAF-Mandats wurden dagegen nen und viele internationale Organisationen leisten in zusätzliche militärische Aufgaben übernommen, wes- Afghanistan gute Arbeit. Mit unserem Engagement in halb ich diesem nicht zustimmen konnte. Beide Mandate Afghanistan haben wir uns selbst in die Verantwortung lassen sich nach wie vor schwer voneinander trennen, genommen, in Afghanistan gemeinsam mit den Afgha- auch wenn sich die Operationen nach Inhalt und Auftrag ninnen und Afghanen und der internationalen Gemein- des Mandats unterscheiden. schaft ein funktionierendes demokratisches Staatswesen Trotz unseres Rückzugs der KSK-Truppen appelliere zu etablieren und daran zu arbeiten, dass Afghanistan in ich an die Bundesregierung, die am OEF-Einsatz betei- der Zukunft in der Lage ist, die Bedürfnisse der afghani- ligten europäischen Partner dazu aufzufordern, sich ver- schen Bevölkerung selbst zu sichern. Dies ist ein lang- wieriger Prozess, und trotz einiger Erfolge ist dieser bis- stärkt an der Aufbauarbeit in Afghanistan zu beteiligen, her nicht frei von Enttäuschungen und Rückschlägen. In und auch die Vereinigten Staaten unter der neuen Regie- vielen Regionen leben die Menschen weiterhin in abso- rung Obama dazu zu bringen, künftig hier den Schwer- luter Armut, die Sicherheitssituation verschlechtert sich punkt zu setzen. seit vielen Jahren, und die in der Verfassung erklärten Nach wie vor bin ich der Meinung, dass kein glaub- Menschenrechte sind in den größten Teilen des Landes würdiges und schlüssiges Gesamtkonzept für den Einsatz noch nicht zur Geltung gebracht worden. in Afghanistan mit Chancen auf einen stufenweisen Aus- Ich bin der Überzeugung, dass Deutschland genau in stieg und einen sich selbst tragenden Friedensprozess er- diesem Bereich noch mehr tun muss. Frieden und Si- kennbar ist. Erst kürzlich hat der frühere Außenminister cherheit müssen entwickelt werden, denn sonst lassen eine „klare Strategie“ der Vereinigten sich Hunger und Armut nicht nachhaltig bekämpfen. Staaten und der NATO angemahnt. Auch Altkanzler Wie kann es sein, dass nach sieben Jahren des internatio- Gerhard Schröder hat sich für die Festlegung eines Zeit- nalen Engagements Afghanistan immer noch zu den punkts zum Rückzug der ausländischen Truppen aus Af- ärmsten Ländern der Welt gehört und jeden Winter Hun- ghanistan ausgesprochen. Er dürfe nicht in 20 bis 30 Jah- gerkatastrophen drohen? Wir müssen die neuen politi- ren liegen, sondern müsse in der kommenden Dekade schen Institutionen unterstützen und helfen, ihrem de- umgesetzt werden, so Schröder bei einem Podiumsge- mokratischen und menschenrechtspolitischen Gehalt zur spräch mit dem ehemaligen österreichischen Bundes- Realität zu verhelfen. Denn wie kann es sein, dass sich kanzler Franz Vranitzky. Schröder geht davon aus, dass in den neuen politischen Institutionen neben einigen De- man mit dem künftigen US-Präsidenten Barack Obama Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20157

(A) besser über dieses Thema sprechen könne als mit Ich verbinde mit dieser Zustimmung die feste Erwar- (C) George W. Bush. tung, dass die Bundesregierung bei der Ausführung des Mandates nicht gegen das Völkerrecht verstößt, indem Das OEF-Mandat des Bundestages umfasst auch die sie die Verpflichtung zur Nothilfe unangemessen und deutsche Beteiligung an dem bündnisgemeinsamen Bei- sachfremd einengt. trag zur Unterstützung der USA im Rahmen des Art. 5 NATO-Vertrag, der Operation Active Endeavour (OAE). Dies ist in der Vergangenheit dadurch geschehen, dass OAE besteht aus Überwachungs- und Präsenzoperatio- Vertreter der Bundesregierung die Ansicht geäußert ha- nen im gesamten Mittelmeer. Die deutsche Beteiligung ben, die deutsche Marine dürfe dann nicht mehr eingrei- an OAE wurde erstmals im Jahr 2003 durch den Bundes- fen, wenn Piraten nach einem erfolgten Überfall mit dem tag mandatiert. Hintergrund hierfür waren Entscheidun- gekaperten Schiff und auf dem Schiff festgehaltenen gen des NATO-Rats, die den Einsatz fortentwickelten Geiseln davonführen, da die Bedingung der Nothilfe und mit einem „robusteren“ Charakter versahen, wo- dann nicht mehr gegeben seien. So ist auch die Befehls- durch die Schwelle zu einer Einbeziehung in eine be- lage der deutschen Marine. Diese Einschränkung ist für waffnete Unternehmung überschritten wurde. Gegen- mich sachlich unzumutbar und rechtlich falsch. Die Ver- wärtig ist Deutschland an dem Einsatz mit einem U-Boot pflichtung zur Nothilfe besteht selbstverständlich so beteiligt. lange, wie Personen in Not sind. Die Operation Enduring Freedom wurde im An- Ich werde bei der Umsetzung des Mandates sehr ge- schluss an die Terrorangriffe des 11. September 2001 be- nau beobachten, ob die Einsatzregeln sicherstellen, dass gonnen, nachdem der VN-Sicherheitsrat in seiner Reso- Bundeswehrsoldaten nicht durch sachfremde Befehle lution 1368 (2001) vom 12. September 2001 das des Bundesministeriums der Verteidigung gezwungen Vorliegen einer Selbstverteidigungssituation bestätigt werden, in Extremfällen gegen das Völkerrecht zu ver- und die NATO den Bündnisfall gemäß Art. 5 des NATO- stoßen. Vertrages festgestellt hatte. Nach mehr als sieben Jahren frage nicht nur ich, sondern fragen auch Rechtsexperten, ob die UN den Selbstverteidigungsfall der USA weiter- Lydia Westrich (SPD): Ich stimme – wie bereits im hin feststellen darf und der Bündnisfall nach wie vor ge- vergangenen Jahr – gegen die weitere Verlängerung des geben ist. Mandates der Operation Enduring Freedom (OEF). Als Antwort auf die schrecklichen Ereignisse des 11. Sep- tember 2001 war der OEF-Einsatz von großer Bedeu- Wolfgang Spanier (SPD): Ich begrüße ausdrück- tung. Seiner Zielsetzung, „Führungs- und Ausbildungs- lich, dass sich Deutschland zukünftig nicht mehr an der einrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen (B) (D) OEF-Mission auf afghanischem Boden beteiligt. Auf die zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu Bereitstellung von 100 KSK-Spezialkräften wird ver- stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung ter- zichtet. roristischer Aktivitäten abzuhalten“ (Bundestagsdruck- Ich begrüße auch, dass die Obergrenze der einzuset- sache 14/7296, 7. November 2001), ist er bis 2006 auch zenden Soldatinnen und Soldaten von 1 400 auf 800 be- zu einem guten Teil gerecht geworden. So wurden die grenzt wird. Rückzugsgebiete der Taliban- und al-Qaida-Kämpfer erfolgreich eingeschränkt, ihre Ausbildungslager ausge- Nachdrücklich unterstütze ich die grundsätzliche Ein- hoben und damit Afghanistan wesentlich sicherer ge- stellung der Bundesregierung zur Bekämpfung des inter- macht. nationalen Terrorismus: „Die Bekämpfung des inter- nationalen Terrorismus ist nicht primär eine militärische Völkerrechtliche Grundlage für diesen Einsatz war Aufgabe. Die internationale Gemeinschaft darf in ihren das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstvertei- umfassenden Anstrengungen zur wirksamen Beseitigung digung nach Art. 51 der UN-Charta. Nach Art. 51 der der gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Um- UN-Charta darf dieses Selbstverteidigungsrecht aber nur stände, die das Entstehen von Terrorismus begünstigen, so lange dauern, „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung nicht nachlassen.“ des Weitfriedens und der internationalen Sicherheit er- forderlichen Maßnahmen getroffen hat.“ Ob das Selbst- Nach wie vor bleibt aber ein wesentlicher Kritikpunkt verteidigungsrecht, welches ohne UN-Mandat angewen- bestehen. Ich zweifle daran, dass der NATO-Bündnisfall, det werden kann, auch nach nunmehr sieben Jahren auf dem der Einsatz beruht, noch gegeben ist. Ich bin taugliche Grundlage für den OEF-Einsatz sein kann, ist überzeugt, dass nach sieben Jahren eine Prüfung der völ- mehr denn je fragwürdig. Ein dauerndes Berufen auf das kerrechtlichen Einsatzgrundlagen notwendig ist. In die- Selbstverteidigungsrecht würde bedeuten, das zentrale ser entscheidenden Frage gibt es leider keinen Fort- Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen zu ent- schritt. werten – ein Vorgang, der von anderen Staaten dann zu- Aus diesem Grund lehne ich nach wie vor die Fortset- künftig als Präzedenzfall genutzt werden könnte. Dies zung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte im darf uns nicht Recht sein! Rahmen von OEF ab. Erschwerend kommt hinzu, auch hieran hat sich im vergangenen Jahr nichts geändert, dass mit der Interna- Dr. Rainer Stinner (FDP): Ich stimme dem Antrag tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) seit der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes zu. 2001 eine von den Vereinten Nationen mandatierte Ope- 20158 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) ration besteht, deren Einsatzgebiet im Laufe der Jahre Clemens Binninger (CDU/CSU): Mit Urteil vom (C) immer weiter ausgeweitet wurde. Mittlerweile umfasst 23. Oktober 2007 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) das Einsatzgebiet von ISAF ganz Afghanistan, sodass drei wesentliche Elemente des bisherigen VW-Gesetzes sich die Operationsgebiete von ISAF und OEF über- für unvereinbar mit Art. 56 EGV (Kapitalverkehrsfrei- schneiden. Dies wiederum führt dazu, dass militärische heit) erklärt. Das nun vorliegende Änderungsgesetz hebt Handlungen der OEF innerhalb der afghanischen Bevöl- zwar die Vorschriften zum Entsenderecht in den Auf- kerung vermehrt der ISAF zugeschrieben werden. Da sichtsrat und zur Stimmrechtsbeschränkung auf; die das Auftreten und die Operationsweisen der OEF oft- ebenfalls als Kapitalverkehr beschränkend beurteilte mals – gelinde gesagt – wenig gedeihlich sind, um für Sperrminorität soll jedoch weiter Bestand haben. Die Vertrauen in der afghanischen Bevölkerung zu werben, Sichtweise, der EuGH habe alle drei Bestandteile des werden deshalb auch immer häufiger beide Operationen VW-Gesetzes nur im Zusammenwirken mit Art. 56 EGV als Besatzungstruppen wahrgenommen. Die unbestreit- als unvereinbar erklärt, findet meiner Auffassung nach baren Erfolge von ISAF werden damit zunichte gemacht keine Stütze in dem Urteil. Eine erneute Niederlage der und die deutschen Truppenkontingente innerhalb des Bundesrepublik Deutschland vor dem EuGH ist viel- ISAF unnötig in Gefahr gebracht. Dies zeigen nicht zu- mehr – ohne dem Europäischen Gerichtshof vorgreifen letzt die zahlreichen Anschläge auch gegen deutsche ISAF-Truppen im vergangenen Jahr. zu wollen – angesichts der umfangreichen Spruchpraxis des EuGH zu den sogenannten goldenen Aktien der öf- All diese Gründe führen mich zu der Erkenntnis, dass fentlichen Hand absehbar. wir uns auf unser ISAF-Engagement konzentrieren soll- ten und uns dafür stark machen müssen, dass OEF ent- Die soziale Marktwirtschaft – unsere bewährte Wirt- weder beendet oder zumindest in die ISAF eingegliedert schaftsordnung – gründet auf fairem Wettbewerb. Dieser wird. Damit wäre letztlich auch die Gefahr der miss- Wettbewerb beruht auch darauf, dass für alle Wettbewer- bräuchlichen Verwendung der Erkenntnisse aus Tor- ber dieselben Rahmenbedingungen gelten. Vor diesem nado-Aufklärungsflügen gebannt. Denn derzeit ist es Hintergrund ist es für mich nicht nachvollziehbar, wa- nicht auszuschließen, dass die Daten mandatswidrig rum für Volkswagen nicht dieselben rechtlichen Rege- auch für OEF-Einsätze genutzt werden. lungen gelten sollten, an die sich auch alle anderen Mit- bewerber zu halten haben. Meines Erachtens ist es ordnungspolitisch verfehlt und wirtschaftspolitisch frag- Anlage 6 würdig, an Sonderregelungen für Volkswagen noch län- ger festzuhalten. Daher lehne ich den Gesetzentwurf der Erklärungen nach § 31 GO (B) Bundesregierung zur Änderung des VW-Gesetzes ab (D) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- und stimme mit Nein. zes zur Änderung des Gesetzes über die Über- führung der Anteilsrechte an der Volkswagen- werk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Dem Gesetzent- private Hand (Tagesordnungspunkt 29) wurf der Bundesregierung zur Änderung des VW-Geset- zes stimme ich nur unter schwersten europarechtlichen und europapolitischen Bedenken zu. Gleichzeitig stelle Thomas Bareiß (CDU/CSU): Dem vorliegenden ich mein Votum unter die Maßgabe, dass die Bundesre- Gesetzentwurf zur Änderung des VW-Gesetzes stimme gierung im Falle einer erneuten Klageerhebung seitens ich aufgrund europarechtlicher und grundsätzlich ord- der Europäischen Kommission vor dem EuGH zur Ab- nungspolitischer Bedenken nicht zu. Mit dem Urteil vom wendung der dann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit 23. Oktober 2007 hat der EuGH das bisherige VW-Ge- setz für unvereinbar mit dem Grundsatz der Kapitalver- zu erwartenden Strafzahlungen erneut gesetzgeberisch kehrsfreiheit (Art. 56 EGV) erklärt. Das nun vorliegende initiativ wird. Gesetz geht zwar in Teilbereichen auf das EuGH-Urteil Mit Urteil vom 23. Oktober 2007 hat der EuGH drei ein, räumt aber die grundsätzlichen Bedenken nicht aus. wesentliche Elemente des bisherigen VW-Gesetzes für Die Beibehaltung der Sperrminorität von 20 Prozent soll unvereinbar mit Art. 56 EGV (Kapitalverkehrsfreiheit) gezielt einem bestehenden Anteilseigner Sonderrechte erklärt. Das nun vorliegende Änderungsgesetz hebt zwar einräumen. Dies ist meiner Auffassung nach weder mit die Vorschriften zum Entsenderecht in den Aufsichtsrat dem EuGH-Urteil vereinbar noch ist es wirtschafts- und ordnungspolitisch zu begründen. und zur Stimmrechtsbeschränkung auf; die ebenfalls als Kapitalverkehr beschränkend beurteilte Sperrminorität Eine erneute Niederlage der Bundesrepublik Deutsch- soll jedoch weiter Bestand haben. Die Sichtweise, der land vor dem EuGH und damit einhergehende Strafzah- EuGH habe alle drei Bestandteile des VW-Gesetzes nur lungen der EU sind zwangsläufig zu erwarten und wür- im Zusammenwirken als mit Art. 56 EGV unvereinbar den Deutschland nachhaltig schaden. Darüber hinaus ist erklärt, findet meiner Auffassung nach keine Stütze in es nicht nachzuvollziehen, warum die Volkswagen AG dem Urteil. Eine erneute Niederlage der Bundesrepublik weiterhin einen gesetzlichen Sonderstatus erhalten soll. Deutschland vor dem EuGH ist vielmehr angesichts der Aufgrund meiner Bedenken lehne ich den Gesetzent- umfangreichen Spruchpraxis des EuGH zu den soge- wurf der Bundesregierung zur Änderung des VW-Geset- nannten „goldenen Aktien“ der öffentlichen Hand abseh- zes daher ab und stimme mit Nein. bar. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20159

(A) Anlage 7 Interesse, günstige Rahmenbedingungen für ausländi- (C) sche Investoren zu schaffen. Dies ist ein traditioneller Erklärung nach § 31 GO Grundsatz unserer Wirtschaftspolitik. Der wirtschaftli- der Abgeordneten Peter Albach, Manfred che Aufstieg Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg Grund, Christian Hirte, Antje Tillmann und ist nicht zuletzt der Offenheit unseres Investitionsstand- Volkmar Uwe Vogel (alle CDU/CSU) zur Ab- orts zu verdanken. Wir haben deshalb zusammen mit den stimmung über den Entwurf eines Zweiten Ge- anderen G-8-Staaten auf dem Heiligendamm-Gipfel setzes zur Änderung des Autobahnmautgesetzes nochmals die Bedeutung eines offenen Investitionskli- für schwere Nutzfahrzeuge (Tagesordnungs- mas unterstrichen. Dieser Grundsatz ist und bleibt Richt- punkt 35) schnur für das Handeln der Bundesregierung. Vor diesem Hintergrund wird häufig die Frage ge- Die Lkw-Mauterhöhung darf nicht mit einer zusätzli- stellt: Wie sind diese Grundsätze mit der geplanten No- chen und damit wettbewerbsverzerrenden Belastung vellierung des Außenwirtschaftsrechts vereinbar? Und oder gar Insolvenzgefährdung für das Straßengüterver- wie ist die Gesetzesinitiative mit der aktuellen Finanz- kehrsgewerbe verbunden sein. Die gestiegenen Energie- krise vereinbar, in der Unternehmen mehr denn je auf preise sowie verschärfte Sozialvorschriften bedeuten Kapital angewiesen sind? Wir bewegen uns in der Tat eine enorme Belastung für die Transportunternehmen. hier in einem gewissen Spannungsverhältnis zwischen Hinzu kommt die unsichere wirtschaftliche Gesamtlage. unserem Interesse an einem liberalen Investitionsregime Es gilt jetzt, die rechtlichen Möglichkeiten von Steu- und der Pflicht des Staates, die öffentliche Ordnung und ersenkungen und anderen Kostenerleichterungen für das Sicherheit zu schützen. Diese Pflicht besteht auch mit Transport- und Verkehrsgewerbe zu prüfen. Blick auf ausländische Direktinvestitionen. Aufgabe des Staates ist es, eine angemessene Balance zwischen die- Darüber hinaus sind die Investitionen des Bundes in sen Interessen zu finden. Wenn die öffentliche Ordnung die Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraßen zu und Sicherheit zu schützen sind, dann muss der Staat erhöhen. Entsprechend den Regelungen des Auto- auch mögliche Risiken identifizieren und ein Schutz- bahnmautgesetzes sind die Mauteinnahmen für die Ver- instrument bereithalten, um darauf reagieren zu können. kehrsinfrastruktur sowie für Harmonisierungsleistungen Daran ändert auch die Finanzkrise nichts. zugunsten des Güterkraftverkehrsgewerbes einzusetzen. Mit Blick auf die Finanzkrise ist es aber unser aller Aufgabe, gegenüber ausländischen Investoren den be- schränkten Anwendungsbereich des Gesetzes zu ver- (B) Anlage 8 deutlichen: Das Kriterium für eine Prüfung, die Gefähr- (D) dung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, ist an Erklärung strenge Voraussetzungen geknüpft: Notwendig ist, dass des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND- die Investition ein Grundinteresse der Gesellschaft als NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über Ganzes gefährden könnte. Dies ist bei Investitionen in den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des einzelne Unternehmen nur in seltenen Einzelfällen denk- Bundesbesoldungsgesetzes (186. Sitzung, Tages- bar. Wir haben uns bewusst für diesen zurückhaltenden ordnungspunkt 8 c) Ansatz entschieden, um die gebotene Ausgewogenheit zwischen notwendigen staatlichen Interventionen und Ich erkläre im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die den freien Kräften der Wirtschaft herzustellen. Grünen, dass unser Votum „Nein“ lautet. Ich möchte zudem klarstellen: Die Möglichkeit, aus- ländische Investitionen zu prüfen, bildet kein Instrument der Industriepolitik. Dies ist uns durch die europarechtli- Anlage 9 chen Vorgaben zu Recht untersagt. Der Europäische Ge- Zu Protokoll gegebene Rede richtshof hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass wirtschaftspolitische Ziele, etwa die Stärkung des natio- zur Beratung: nalen Unternehmertums, nicht unter dem Vorwand des – Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Schutzes der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit be- Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes gründet werden können. Hinzu kommt: Die europarecht- und der Außenwirtschaftsverordnung lichen Anforderungen an das Verfahren für Prüfungen sind – zu Recht – hoch. Der Bundesregierung waren da- – Antrag: Rückbesinnung auf die soziale her bei der Ausgestaltung des Gesetzentwurfs enge Marktwirtschaft – Die europäische Alterna- Grenzen gesetzt. tive zu Wirtschaftsprotektionismus und Ausländerdiskriminierung Im Einzelnen sieht unser Gesetzentwurf Folgendes vor. Einer Prüfung unterliegen grundsätzlich nur Inves- (186. Sitzung, Tagesordnungspunkt 12 a und b) toren mit Sitz außerhalb der EU. Voraussetzung für jede Prüfung ist, dass der ausländische Erwerber durch den Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun- Erwerb mindestens 25 Prozent der Stimmrechte des desminister für Wirtschaft und Technologie: Deutsch- deutschen Unternehmens erlangt. Um Umgehungsge- land profitiert von offenen Märkten und hat ein großes schäfte zu vermeiden, können Investoren mit Sitz in der 20160 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) EU dann geprüft werden, wenn ein Anteilseigner mit Anlage 10 (C) Sitz außerhalb der EU 25 Prozent der Stimmrechte an Zu Protokoll gegebene Reden dem EU-Investor hält. Investoren aus den Mitgliedstaa- ten der EFTA werden wie Investoren aus den EU-Mit- zur Beratung des Antrags: Die Schaffung einer gliedstaaten behandelt. Individualbeschwerde im Rahmen des Überein- kommens über die Rechte des Kindes (Tages- Das Erfordernis, dass 25 Prozent der Anteile an dem ordnungspunkt 24) deutschen Unternehmen erworben werden müssen, stellt eine hohe Hürde für eine Prüfung dar. Marktwirtschaft- Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Ein Meilenstein in lich agierende Investoren diversifizieren ihr Portfolio. der Geschichte der Kinderrechte war es, als vor über So zeigt etwa die Praxis großer Staatsfonds, dass diese in 16 Jahren am 5. April 1992 das Übereinkommen über der Regel in geringem Umfang in einzelne Unternehmen die Rechte des Kindes, die UN-Kinderrechtskonvention, investieren. Staatsfonds sind und bleiben in Deutschland vom 20. November 1989 in Kraft trat. Erstmals wurden hochwillkommen. Wir haben über Jahrzehnte gute Er- damals verschiedene völkerrechtlich verbindliche fahrungen mit Staatsfonds gemacht. Rechte formuliert. Sie beziehen sich auf das persönliche, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben Weil der Anwendungsbereich des Gesetzentwurfs der Kinder. Ausdruck finden sie in der Festschreibung hinsichtlich der erfassten Investoren und des Schwellen- von Mindestanforderungen an die Versorgung, den werts für die zu prüfenden Investitionen beschränkt ist, Schutz und die Beteiligung von Kindern am gesell- haben wir auf die Benennung bestimmter Sektoren ver- schaftlichen Leben. zichtet. Sicherheitsrelevante Transaktionen sind nicht auf bestimmte Wirtschaftszweige begrenzt. Zudem Die Bedeutung dieser UN-Kinderrechtskonvention müsste ein sektorbezogenes Gesetz häufig an technolo- steht außer Frage und ist allen bekannt. Auch in gische Weiterentwicklungen angepasst werden. Die Zu- Deutschland wurde die Kinderpolitik dadurch wesent- kunftsbranchen von heute, etwa die Gen- und Biotech- lich gestärkt. Die Ratifizierung durch die Bundesrepu- nologie, steckten vor 20 Jahren zum Teil noch in den blik im Jahr 1992 geschah mit der Hinterlegung einer Kinderschuhen oder existierten noch gar nicht, wie zum Erklärung, die unter anderem besagt, dass keine Bestim- Beispiel die Internetwirtschaft. mung der UN-Kinderrechtskonvention so ausgelegt wer- den kann, dass sie das Recht der Bundesrepublik Das Gesetz vermeidet bürokratische Belastungen für Deutschland beschränkt, Gesetze über die Einreise von Investoren. Eine Genehmigungs- oder Anmeldepflicht Ausländern und die Bedingung ihres Aufenthaltes zu er- lassen. Die Länder waren damals nur unter der Bedin- (B) ist nicht vorgesehen. Vielmehr können Investitionen nur (D) innerhalb kurzer Fristen auf Initiative des Bundesminis- gung, dass die deutsche Erklärung zur UN-Kinderrechts- teriums für Wirtschaft und Technologie geprüft werden. konvention abgegeben wurde, mit der Ratifizierung Wenn das Bundesministerium für Wirtschaft und Tech- einverstanden. nologie innerhalb von drei Monaten nach dem Erwerb Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP- keine Prüfung einleitet, hat der Erwerb Bestand. Wenn Fraktion, Sie haben einen Antrag gestellt zur Schaffung das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie eines Individualbeschwerderechts im Rahmen der Kin- den Erwerb prüft, muss es binnen zwei Monaten nach derrechtskonvention. In gleicher Weise wird dies auch Übermittlung der relevanten Unterlagen über eine Unter- von nationalen und internationalen Menschenrechts- und sagung oder Anordnung entscheiden, die der Zustim- Kinderrechtsorganisationen gefordert. Durch ein Indivi- mung des gesamten Kabinetts bedarf. Eine Untersagung dualbeschwerderecht soll Kindern und Jugendlichen die kommt nur in Betracht, wenn die Gefährdung nicht Möglichkeit gegeben werden, sich direkt beim UN-Aus- durch Auflagen zum Erwerb beseitigt werden kann. schuss zu beschweren, wenn ihre Rechte verletzt wurden Nach Ablauf der Fristen ist eine Prüfung der Investition oder werden. Zweifelsohne würde die Einrichtung eines ausgeschlossen. Durch die kurzen Fristen wird ein hohes Individualbeschwerdeverfahrens die Durchsetzbarkeit Maß an Rechts- und Planungssicherheit für Unterneh- der persönlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozia- men und Investoren erreicht. len Rechte Minderjähriger stärken. Klingt gut, zumin- dest rein theoretisch. Investoren sind aber nicht darauf angewiesen, abzu- Die Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskon- warten, ob ein Prüfverfahren eröffnet wird. Sie können vention, die in den vergangenen Jahren mehrfach Gegen- sich vielmehr bereits im Vorfeld des Erwerbs vom Bun- stand parlamentarischer Beratungen sowie Kleiner und desministerium für Wirtschaft und Technologie eine ver- Großer Anfragen war, besteht nach wie vor. Die Länder bindliche Stellungnahme zur Unbedenklichkeit des Er- sind mit einer Rücknahme nach wie vor nicht einverstan- werbs geben lassen. den. Dieser Aspekt darf nicht übergangen werden. Eine Rücknahme der Erklärung gegen den Willen der Länder Der Gesetzentwurf enthält mithin hohe inhaltliche ist in keiner Weise ratsam und sinnvoll. und verfahrensmäßige Hürden für die Überprüfung von Investitionsentscheidungen. Darüber hinaus werden wir Ich weiß, dass das Argument des Widerstandes der bei der Anwendung der Bestimmungen sicherstellen, Länder von Kolleginnen und Kollegen anderer Parteien dass die Investitionsfreiheit gewahrt wird und Deutsch- vielfach als Ausrede interpretiert wird. Es ist jedoch land ein hervorragender Investitionsstandort bleibt. Fakt, dass die Bundesländer mehrheitlich gegen eine Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20161

(A) Rücknahme der Erklärung sind. Die Länder sehen die Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Recht ha- (C) Gefahr, dass eine Rücknahme zu Rechtsunsicherheiten ben alleine reicht nicht aus – Rechte müssen auch durch- bei der Anwendung des nationalen Aufenthalts- und setzbar sein. Um die Kinderrechte weiter zu stärken, Asylrechts führen würde. Darüber hinaus bestehen Be- wäre die Einführung eines Individualbeschwerderechtes denken, dass es zu einem Anstieg der Einreise unbeglei- für die UN-Kinderrechtskonvention ein wichtiger Bau- teter minderjähriger Ausländer nach Deutschland kom- stein. men könnte. Im Unterschied zu fünf anderen Menschenrechtsab- Im Übrigen sollte die Sachlage mit weniger Dramatik kommen verfügt die UN-Kinderrechtskonvention bis- behaftet werden, als dies bisweilen geschieht. Das Bun- lang nicht über ein Individualbeschwerdeverfahren. Was desamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geht genau ist das Individualbeschwererecht? In einem sol- nicht leichtfertig mit Asylanträgen unbegleiteter Minder- chen Beschwerdeverfahren könnte sich im Falle einer Menschenrechtsverletzung ein Kind selbst oder eine Per- jähriger um. Sonderbeauftragte Asylsachbearbeiter mit son in seinem Namen an den Ausschuss für die Rechte besonderen rechtlichen und psychologischen Schulun- des Kindes der Vereinten Nationen wenden, der diese gen berücksichtigen unter anderem die speziellen Be- dann untersucht. Die Entscheidung des Ausschusses dürfnisse der Minderjährigen, ihren Entwicklungsstand wäre rechtlich zwar nicht bindend. Dennoch könnte er sowie die kulturellen Hintergründe. Die asylverfahrens- auf Abhilfe drängen und für den Kläger gegebenenfalls rechtliche Anhörung Minderjähriger wird weniger for- eine Entschädigung fordern. Wie bei allen internationa- mal durchgeführt als bei Volljährigen. Die Mitarbeiter len Beschwerdemechanismen muss vorher der inner- und Mitarbeiterinnen sind dabei sehr um Einfühlsamkeit staatliche Rechtsweg ausgeschöpft sein. bemüht. Unbegleiteten Minderjährigen unter 16 Jahren wird zur Durchführung des Asyl- und des aufenthalts- Die Einführung dieses Instrumentes wäre weltweit rechtlichen Verfahrens vom Vormundschaftsgericht ein ein wichtiges Signal für starke Kinderrechte. Ein Be- Pfleger bestimmt, der die Interessen des Minderjährigen schwerderecht würde dazu führen, dass die Vertragsstaa- und die Stelle der abwesenden Eltern wahrnimmt. Über ten ihr Rechtssystem konsequenter den in der Konven- das Asyl- und aufenthaltsrechtliche Verfahren hinaus tion anerkannten Kinderrechten anpassen und auf deren trifft das Jugendamt bei unbegleiteten Minderjährigen Einhaltung achten. Die Überwachungsmechanismen geeignete erziehungsrechtliche Maßnahmen. Dabei orien- sind derzeit zu schwach, sodass die Verletzung der Kin- tiert es sich an dem deutschen Kinder- und Jugendhilfe- derrechte in vielen Vertragsstaaten folgenlos bleibt. recht. Dies sind nur einige Beispiele. Das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das Ministerium der Justiz und das Auswärtige (B) An dieser Stelle muss ganz klar hervorgehoben wer- (D) Amt sind derzeit in einem Abstimmungsprozess, wie den, dass sich das deutsche Recht im Einklang mit der dem Anliegen am sinnvollsten entsprochen werden UN-Kinderrechtskonvention befindet. Aus diesem kann. Ich bin jedoch zuversichtlich, was die weitere Ent- Grund werden Verstöße bereits in den Verfahren vor den wicklung angeht, heißt es doch bereits 2005 im vom Mi- deutschen Gerichten geahndet. Dies macht ein weiteres nisterium publizierten Nationalen Aktionsplan „Für ein Verfahren vor den UN-Gremien nicht zwingend notwen- kindergerechtes Deutschland 2005 bis 2010“: dig. Ein Individualbeschwerderecht ist grundsätzlich Grundsätzlich halte ich – und dies ist auch Meinung geeignet, Rechtsstellung und Rechtsbewusstsein der Bundesregierung – ein Individualbeschwerderecht der betroffenen zu stärken und die Bereitschaft der für geeignet, Rechtsstellungen und Rechtsbewusstsein Vertragsstaaten zur Implementierung ihrer Ver- der Betroffenen zu stärken und die Bereitschaft der Ver- pflichtungen zu fördern. Die Bundesregierung wird tragsstaaten zur Umsetzung ihrer Vertragspflicht zu för- die mögliche Einführung eingehend prüfen. dern. Ohne Zweifel ist ein derartiges Beschwerdeverfah- Zudem gibt es bereits ein Individualbeschwerderecht ren ein wichtiges Instrument des internationalen in fünf anderen Menschenrechtsabkommen, nämlich in Menschenrechtsschutzes. Die Rechte der Kinder sind zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische stärken, darin sind wir uns alle einig. Da jedoch das Rechte – UN-Zivilpakt, Pakt II –; dem Übereinkommen deutsche Recht in Einklang mit der Kinderrechtskonven- gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder tion steht, besteht meines Erachtens keine Dringlichkeit, erniedrigende Behandlung oder Strafe; dem Internatio- sich über die Position der Bundesländer hinwegzusetzen. nalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Die aktuelle Arbeit, die vor Ort in den Ländern und Rassendiskriminierung, in der Internationalen Konven- Kommunen geleistet wird, zeigt eine gute Umsetzung tion zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer der Grundsätze sowie der Ideale der UN-Kinderrechts- und ihren Familienangehörigen; dem Übereinkommen konvention. zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau sowie in der Konvention über die Rechte von Men- Ich halte es dennoch für ratsam, bezüglich der Schaf- schen mit Behinderungen – dies teilweise über ein Fa- fung einer Individualbeschwerde in Kontakt mit den kultativprotokoll. Ländern zu bleiben. Ich spreche mich deshalb für eine Überweisung federführend an den Ausschuss für Fami- Für die Einführung eines Beschwerdeverfahrens ist lie, Senioren, Frauen und Jugend aus. der Beschluss der UN-Vollversammlung über einen zu- 20162 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) sätzlichen Vertrag zu der Kinderrechtskonvention erfor- schaffen werden. Denn Kinder müssen und sollen ernst (C) derlich. Das Verfahren kann durch Einbringen eines Ent- genommen werden. wurfes von einer Staatengruppe auf den Weg gebracht Am 5. April 1992 trat für die Bundesrepublik werden. Der Entwurf müsste die zuständigen Gremien Deutschland das Übereinkommen über die Rechte des durchlaufen und wäre dann der UN-Vollversammlung Kindes in Kraft. Das Übereinkommen, die UN-Kinder- vorzulegen. Diese würde gegebenenfalls ein Zusatzpro- rechtskonvention, gilt als ein Wegweiser für die Schaf- tokoll beschließen, das daraufhin von den Mitgliedstaa- fung einer kinderfreundlichen Gesellschaft. Mit diesem ten ratifiziert werden müsste. Es tritt in Kraft, wenn 20 Übereinkommen wurden erstmals völkerrechtlich ver- – manchmal 30 – Staaten ihre Ratifikationsurkunde hin- bindlich persönliche, politische, wirtschaftliche und kul- terlegt haben. turelle Rechte von Kindern formuliert, die ihren Aus- Ein erster Schritt wäre die Einsetzung einer Arbeits- druck in der Festschreibung von Mindestanforderungen gruppe bei dem UN-Menschenrechtsrat, die den Text zu an die Versorgung, den Schutz und die Beteiligung von einem Individualbeschwerdeverfahren zur Kinderrechts- Kindern am gesellschaftlichen Leben finden. konvention in einem Zusatzprotokoll ausarbeiten würde. Mit dieser Konvention sind Kinder Inhaber von Rech- Um das Beschwerderecht auf den Weg zu bringen, muss ten und Freiheiten, das heißt nicht mehr Objekte des in- also diese Arbeitsgruppe beim UN-Menschenrechtsrat ternationalen Rechts, sondern Rechtssubjekte, deren be- eingesetzt werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, sondere Schutzbedürftigkeit betont wird; das in Art. 3 sich für eine solche Arbeitsgruppe einzusetzen. der Konvention niedergelegte Prinzip des Kindeswohls durchzieht das gesamte Abkommen. 193 Staaten haben Die SPD-Bundestagsfraktion engagiert sich seit lan- dieses Übereinkommen ratifiziert. gem für die Stärkung der Kinderrechte. So fordert sie die Rücknahme der Vorbehaltserklärung zur UN-Kinder- Eine Kontrolle hinsichtlich der Einhaltung der in den rechtskonvention sowie die Verankerung der Kinder- Menschenrechtsverträgen eingegangenen Verpflichtun- rechte im Grundgesetz. Unsere Bemühungen sind leider gen erfolgt zunächst über die anlassunabhängige Kon- bislang am Widerstand der Union gescheitert. Zum Jah- trolle im Rahmen von Staatenberichtsverfahren. Die restag der UN-Kinderrechtskonvention am 20. Novem- Staaten reichen nach der UN-Kinderrechtskonvention ber, die Deutschland 1992 ratifiziert hat, stünde es uns beim Ausschuss über die Rechte des Kindes Berichte allen parteiübergreifend gut zu Gesicht, alles in unserer über Maßnahmen ein, die sie zur Verwirklichung der im Macht Stehende zu tun, um die Kinderrechte in unserem Übereinkommen genannten Rechte getroffen haben, so- Land und weltweit zu stärken. Ein Individualbeschwer- wie über Fortschritte, die dabei erzielt wurden. Die Staa- ten sorgen für eine Verbreitung der Berichte im eigenen (B) deverfahren zur UN-Kinderrechtskonvention ist hier für (D) mich neben der Rücknahme der Vorbehalte zur Konven- Staat. tion sowie der Verankerung der Kinderrechte im Grund- Erweitert wurde das System der Staatenberichte bei gesetz ein weiterer Baustein einer Politik, die Kinder anderen Menschenrechtsinstrumenten vielfach durch In- und ihre Rechte ernst nimmt. dividualbeschwerdeverfahren. Diese sorgen dafür, dass eine Menschenrechtsverletzung im Einzelfall erkannt, benannt, beseitigt und wiedergutgemacht wird. Darüber Miriam Gruß (FDP): Kinderpolitik muss als ein ei- hinaus dienen sie als Orientierungspunkte für eine men- genständiger Bereich der Politik und nicht nur als Teil schenrechtskonforme Ausgestaltung nationaler Rechts- der Familienpolitik verstanden werden. Die Kinder- und ordnungen. Sie können als Instrument des internationa- Jugendpolitik berührt den Aufgabenbereich der ver- len Menschenrechtsschutzes einen wichtigen Beitrag zur schiedensten Entscheidungsträger auf regionaler, überre- Verwirklichung der Menschenrechte leisten. gionaler, europäischer und internationaler Perspektive. Wir müssen uns bei allen Entscheidungen fragen, welche Nach der UN-Kinderrechtskonvention haben einzelne Wirkungen sie für die jungen Menschen von heute und Personen bislang keine Möglichkeit, sich im Rahmen ei- morgen haben. Kinder und Jugendliche sind ein wichti- nes Individualbeschwerdeverfahrens direkt an diesen ger Teil der Gegenwart, und sie sind die Zukunft der Ge- Ausschuss zu wenden, obwohl andere Menschenrechts- sellschaft. Es ist daher im Interesse der Staaten, kinder- instrumente wie etwa der Internationale Pakt über bür- freundliche Strukturen zu schaffen und zu fördern und gerliche und politische Rechte, das Übereinkommen ge- damit den Bedürfnissen von Kindern in allen Lebensbe- gen Folter und andere grausame unmenschliche oder reichen besondere Bedeutung und Beachtung beizumes- erniedrigende Behandlung oder Strafe, das Internatio- sen. nale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, die Internationale Konvention Mehr und mehr begreifen wir, dass Kinder keine klei- zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und nen Erwachsenen sind, sondern ureigenste Bedürfnisse, ihrer Familienangehörigen und das Übereinkommen zur Rechte und Pflichten haben und auch einer besonderen Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau Förderung bedürfen, um sich zu einer eigenständigen wie auch die Konvention über die Rechte von Menschen Persönlichkeit zu entwickeln. Eine stärkere Beachtung mit Behinderungen bzw. deren Fakultativprotokolle dies von Kinderrechten könnte dazu führen, dass in allen Be- durchaus vorsehen und im Rahmen der Europäischen reichen – insbesondere bei Schutz-, Förder- und Partizi- Menschenrechtskonvention (EMRK) sogar ein echtes pationsrechten – kindgerechte Lebensverhältnisse ge- gerichtliches Verfahren geschaffen wurde. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20163

(A) Die Individualbeschwerde würde zu mehr Kinder- zu erzeugen, wenn es um die Verwirklichung und die (C) freundlichkeit beitragen. Mehr als drei Viertel aller El- Einhaltung der Kinderrechte geht. tern in Deutschland wünschen sich nach einer Umfrage eine kinderfreundlichere Gesellschaft. Eine Individual- Gerade in den vergangenen Wochen wurde durch den beschwerde würde dazu beitragen, die Umsetzbarkeit Bildungsgipfel oder auch durch die Vorstöße einiger der UN-Kinderrechtskonvention zu verbessern, und Verbände zur Bekämpfung der Kinderarmut sehr oft her- wäre damit eine Ergänzung der existierenden Berichts- vorgehoben, dass Kinder eine Gruppe in unserer Gesell- pflicht. schaft bilden, deren besondere Ansprüche auch beson- dere Aufmerksamkeit im politischen Handeln benötigen. Eine Individualbeschwerde würde ferner dazu beitra- In solchen Debatten höre ich oft auch von Kolleginnen gen, die Kinder als vollberechtigte Inhaber von Rechten und Kollegen aus anderen Parteien, dass Kinder eine ei- anzuerkennen und zu stärken. Mit der Individualbe- genständige Bevölkerungsgruppe sind. Indem Sie, sehr schwerde hätten Kinder das Recht, sich gegen eine Ver- geehrte Kolleginnen und Kollegen, sich für ein Indivi- letzung ihrer Rechte zu wehren. Die Vertragsstaaten dualbeschwerderecht einsetzen und die Bundesregierung würden stärker als bisher in die Rechenschaftspflicht ge- auffordern, ein solches Fakultativprotokoll mitzuzeich- nommen. nen, könnten Sie dieser Feststellung einen greifbaren und realen Hintergrund geben und somit dazu beitragen, Im Nationalen Aktionsplan „Für ein kindgerechtes dass Kinder in ihrer Stellung als vollberechtigte Inhaber Deutschland 2005 – 2010“ der Bundesregierung wird von Rechten anerkannt sind. ausgeführt, dass ein Individualbeschwerderecht grund- sätzlich geeignet ist, Rechtsstellung und Rechtsbewusst- Auch wenn die Bundesrepublik auf internationalem sein der Betroffenen zu stärken und die Bereitschaft zur Parkett zur Umsetzung von Kinderrechten beiträgt, Implementierung ihrer Verpflichtungen zu fördern. Die bleibt bei dieser Debatte, deren Beginn ich nochmals Bundesregierung werde die mögliche Einführung einge- nachdrücklich gutheißen möchte, ein fader Beige- hend prüfen. Das Bundesministerium für Familie, Senio- schmack: Obwohl die Bundesregierung seit 1992 zu den ren, Frauen und Jugend hat darüber hinaus eine Reihe 193 Staaten gehört, die die UN-Kinderrechtskonvention verschiedener Initiativen ergriffen, um Kinder und Ju- ratifiziert haben, sind diese Kinderrechte in einem Land gendliche, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und mitten in Europa, das für sich beansprucht, zu den wich- Lehrer sowie die Eltern über Kinderrechte zu informie- tigsten Industrieländern zu gehören, immer noch nicht ren. vollständig anerkannt. Auch 16 Jahre später sind die bei Der bevorstehende Weltkindertag am 20. November der Ratifizierung formulierten Vorbehalte nicht vollstän- dig aufgehoben. Sowohl in der 14. als auch in der (B) – Deutschland entschied sich für den 20. September als (D) deutschen Kindertag – wie auch das Internationale Jahr 15. Wahlperiode gab es parlamentarische Initiativen, de- des Menschenrechtslernens wären ein guter Zeitpunkt, ren Ziel es war, diese Vorbehalte endlich zurückzuneh- um einen Schritt in Richtung einer Individualbe- men. Seit drei Jahren nun haben wir eine Große Koali- schwerde voranzugehen. Ich plädiere deshalb dafür, dass tion mit einer breiten Mehrheit in Bundestag und wir uns gemeinsam für ein Individualbeschwerderecht Bundesrat. Auf die Rücknahme der Vorbehalte zur UN- im Rahmen der UN-Kinderrechtskonvention einsetzen – Kinderrechtskonvention warten wir trotzdem bis heute. ein längst überfälliger Schritt auf dem Weg zu Stärkung Da mit diesem Antrag endlich deutlich wird, dass sich der Kinderfreundlichkeit in Deutschland. auch die FDP für die Rechtsstellung von Kindern stark- macht, müssen sich die Koalitionsfraktionen und die Diana Golze (DIE LINKE): Vor 16 Jahren hat die Bundesregierung also nicht mehr um die Zustimmung Bundesrepublik Deutschland die UN-Kinderrechtskon- der Opposition sorgen. Sie können sich einer überwälti- vention ratifiziert und damit einen wichtigen und zu- genden Mehrheit im Parlament sicher sein und gemein- gleich besonderen Menschenrechtsvertrag mitgezeich- sam mit der Unterzeichnung des Fakultativprotokolls net. Das Besondere an der Kinderrechtskonvention ist, endlich auch die Kinderrechte in Gänze anerkennen und dass sie der einzige Menschenrechtsvertrag mit einer Be- somit alle in Deutschland lebenden Kinder gleichstellen. richtspflicht ohne ergänzendes Beschwerdeverfahren ist. Dass das nun geändert werden soll, erscheint auch der Wenn wir dann schon beim Punkt Durchsetzung von Linken folgerichtig. Kinderrechten sind, könnte dieses Parlament auch mit einer breiten Mehrheit eine weitere längst überfällige Denn glaubt man den Grußworten außerhalb des Par- Entscheidung treffen. Oder gibt es für die Festschrei- lamentes und den großen Reden hier im Plenum, so ist es bung von Kinderrechten im Grundgesetz der Bundesre- hier allseits anerkannt, dass Kinder und Jugendliche als publik Deutschland doch keine so breite Mehrheit, ob- eine Bevölkerungsgruppe angesehen werden, die zu den wohl zum Beispiel die Bekämpfung der Kinderarmut schutzbedürftigsten Menschengruppen der Gesellschaft nun seit längerem schon von der Kanzlerin zur Chef- gezählt werden. Auch aus diesem Grund unterstützen sache erklärt wurde? Denn der Schutz von Kindern vor wir das Vorhaben, die Kinderrechte durch die Möglich- Armut ist ein wichtiger Bestandteil der UN-Kinder- keit der individuellen Beschwerde mit anderen Men- rechtskonvention. Seit dem April des Jahres 1992 ist schenrechten gleichzustellen. Auch teilen wir die Auf- diese Konvention geltendes Recht in Deutschland. Da- fassung vieler Kinderrechtsorganisationen, dass dieses mit einher geht auch eine Verpflichtung, alle geeigneten Instrument ein wichtiges ist, um internationalen Druck Gesetzgebungs- und Verwaltungsverfahren sowie sons- 20164 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) tige Maßnahmen zur Realisierung der damit anerkannten nach den Vorbehalten wieder nur die gleichen Antworten (C) Rechte einzuleiten. An vielen Stellen ist die Gesetzge- geben. Unser Antrag wird seit zweieinhalb Jahren nicht bung bereits so geändert worden, dass sie zur Rück- behandelt. nahme einiger Vorbehalte führte. Ein entscheidender Zweitens. Nach den positiven Äußerungen der ehe- politischer Schritt fehlt: die Verankerung der Rechte von maligen Jugendministerin und heutigen Bundeskanzlerin Kindern und Jugendlichen im Grundgesetz. Kinder wer- Merkel, nach der Positionierung von Frau von der Leyen den hier immer noch einzig und allein in Abhängigkeit und vieler anderer zugunsten einer Stärkung der Kinder- zur Erziehungspflicht ihrer Eltern gesehen. Das ist eine rechte in der Verfassung ist die Union dann wieder Rechtslage, die weder dem Geist des 21. Jahrhunderts zurückgerudert. Von Einigkeit innerhalb der Koalition entspricht noch der Umsetzung der Kinderrechtscharta wieder keine Spur. Allen Bestrebungen der Kinderkom- gerecht wird. mission des Deutschen Bundestages zum Trotz will die Sosehr die Bemühungen, die mit der Einrichtung ei- Union keine Diskussion über das Thema. Auch hier hat ner Individualbeschwerde verbunden sind, von uns auch die SPD-Fraktion spät die Kurve gekriegt. Jetzt stellt sie begrüßt werden, sie dürfen uns nicht über eines hinweg- sich hin, als wären sie die Erfinder der Initiative. Dabei täuschen: Der umfassende Schutz von Kindern und ihrer kam der erste Antrag und der letzte „Wiederbelebungs- Rechte muss vor allem durch unsere Gesetzgebung hier versuch“ von meiner Fraktion. Ausgebremst wird dieser in Deutschland gewährleistet sein. Antrag seit eineinhalb Jahren. Auch als derzeit amtierende Vorsitzende der Kommis- Nun haben wir in Deutschland zwar ausgesprochen sion des Deutschen Bundestages für die Belange der engagierte Bemühungen, ein Monitoring zur UN-Kin- Kinder (Kinderkommission) möchte ich mich hinter die derrechtskonvention zu schaffen. Bis zur Etablierung ist Forderungen der vielen Kinderrechtsorganisationen nach es aber noch ein weiter Weg. Schwere Kinderrechtsver- dem Recht auf Anhörung stellen. Die Einführung einer letzungen können dem UN-Ausschuss nur über die vier- Individualbeschwerde käme damit Art. 12 der UN-Kin- jährige Berichterstattung bekannt werden. Das ist sehr derrechtskonvention entgegen. umwegig, oft zeitversetzt und wenig partizipativ. Kinder sind vollberechtigte Inhaber von Rechten. Wir Die Möglichkeit einer Individualbeschwerde ist daher sollten beginnen, sie ihnen auch einzuräumen. ein wichtiger Baustein in einem Monitoringkonzept. Sie stärkt zudem die Kinder als Träger eigener Rechte und Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich erhöht die Kontrolle seitens der UN, wenn es um die denke, ich muss Ihnen nicht erläutern, dass die Kinder- Einhaltung der Kinderrechte geht. Damit sind die Kin- derrechte zwar nicht international einklagbar, es sollte (B) rechte ein Markenzeichen der Grünen sind. Wir werden (D) daher diesem Antrag zustimmen, weil er richtig ist – aber gewährleistet werden, das Kinderrechtsverletzun- auch wenn wir das von FDP-Anträgen eher selten den- gen – wenn überhaupt – Einzelfälle bleiben. Praktisch ken. alle und vor allem neuere Menschenrechtsabkommen se- hen ein Individualbeschwerderecht vor. Es spricht also Die Kinderrechte stützen sich heute auf einen breiten rein gar nichts dagegen, sich für einen solchen Mecha- gesellschaftlichen und überparteilichen Konsens – aller- nismus starkzumachen. dings nur bei einer oberflächlichen Betrachtung. Guckt man genauer hin, zeigt sich, wie dringend die Kinder- Wer jetzt ernsthaft ins Feld führt, Kinder könnten al- rechte eine Stärkung benötigen. Von der Großen Koali- tersbedingt von einer solchen Möglichkeit gar keinen tion können wir in Sachen Kinderrechte nicht mehr viel Gebrauch machen, hat ein defizitäres Bild vom Kind und erwarten. Allen Ankündigungen folgte bisher lediglich wenig Ahnung von modernen Partizipationsmöglichkei- ein großes Schweigen. Von Einigkeit keine Spur. Die ten. Gerade Kinder haben ein ausgesprochen ausgepräg- Große Koalition hat auch nicht den Mut, sich zu den vor- tes Unrechtsempfinden und sind die Altersgruppe, die liegenden Kinderrechtsanträgen zu positionieren. Ich be- sich am stärksten engagiert. Vielen Kindern und Jugend- fürchte, so wird es auch diesem Antrag ergehen. Er wird lichen ist die UN-Kinderrechtskonvention zwar bekannt, in den Ausschüssen nicht auf die Tagesordnung gesetzt aber bisher ist sie für sie „weit weg“ und „wenig greif- und nicht mehr ins Plenum zurückfinden. bar“. Die reale Lebenssituation jedoch mit den Vorgaben der Konvention abgleichen zu können und sich gegebe- Unsere Fraktion hat hierfür bekanntermaßen zwei Pa- nenfalls beschweren zu können, macht die Konvention radebeispiele. für sie erst „anfassbar“. Das Individualbeschwerderecht erhöht somit den Gebrauchswert der UN-Kinderrechts- Erstens. Bis heute gibt es der Kinderrechtskonvention konvention. gegenüber Vorbehalte, wegen derer beispielsweise unbe- gleitete minderjährige Flüchtlinge nicht die gleichen Gerade einem menschenrechtlich und demokratisch Rechte wie deutsche Kinder genießen. Wir fordern seit fortschrittlichen Land wie Deutschland, das sich aktuell Jahren die Rücknahme dieser Vorbehalte. Es ist kein Ge- intensiv mit der Kinder- und Familienfreundlichkeit be- heimnis, dass wir hier unter Rot-Grün an der SPD ge- schäftigt, würde es gut zu Gesicht stehen, sich bei der scheitert sind. Nun hat auch die SPD die Kurve gekriegt, UN für eine Beschwerdemöglichkeit starkzumachen. kann sich aber gegenüber der CDU/CSU nicht durch- Das allerdings erfordert in der Großen Koalition erst- setzten. Wenn am 20. November die Kinderrechtskon- mals Einigkeit, Mut und Engagement in Sachen Kinder. vention wieder ihren Jahrestag hat, wird es auf die Frage Woran ich allerdings meine Zweifel habe. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20165

(A) Anlage 11 den VW-Aufsichtsrat zu entsenden, sobald Bund oder (C) Land auch nur zwei Aktien besitzen. Die Stimmrechts- Zu Protokoll gegebene Reden beschränkung verbietet es einem Aktionär unabhängig zur Beratung von seinem tatsächlichen Kapitalanteil, mehr als 20 Pro- zent der Gesamtstimmrechte auszuüben. Die Regelung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des zur geminderten Sperrminorität erlaubt es einem Aktio- Gesetzes über die Überführung der Anteils- när, Satzungsänderungen bereits mit einem Kapitalanteil rechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft von 20 Prozent statt der im deutschen Aktienrecht übli- mit beschränkter Haftung in privater Hand chen 25 Prozent zu blockieren. – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Die Kombination dieser Regelungen im geltenden VW-Gesetzes VW-Gesetz führt dazu, dass Grundsatzentscheidungen (Tagesordnungspunkt 29) ohne die Stimmen des Landes Niedersachsen nicht mög- lich sind und der Staatseinfluss fixiert ist. Die Privilegie- rung des staatlichen Aktionärs gegenüber den übrigen Paul K. Friedhoff (FDP): Vor gut einem Monat habe privaten beschränkt die Kapitalverkehrsfreiheit und ist ich hier schon einmal zum VW-Gesetz gesprochen und als Investitionshürde mit dem Europäischen Gemein- klargemacht, dass die FDP-Bundestagsfraktion markt- schaftsrecht nicht vereinbar. Diese Kapitalverkehrsbe- ferne und europarechtswidrige Gesetze wie dieses ab- schränkung ist auch nicht etwa zur Sicherung des Allge- lehnt. Nun steht heute neben der Schlussabstimmung meinwohls notwendig, wie oft behauptet. Die von der über den Regierungsentwurf noch ein Gesetzesentwurf Bundesregierung dafür angeführten sozialpolitischen zu der Thematik von der Linken aus dem März dieses oder gar industriepolitischen Gründe reichen nicht aus. Jahres zur Debatte. Lassen Sie mich einmal mehr die Auch ein Schutz vor feindlichen Übernahmen kann liberale Position in dieser Thematik deutlich zu machen. keine Rechtfertigung dafür bieten, VW nicht als norma- Die Linke meint, die den derzeitigen Gesetzesinitiati- les Unternehmen zu behandeln. Dies hat der EuGH ven zugrundeliegende Entscheidung des Europäischen mehrfach deutlich gemacht. Die Bundesregierung meint Gerichtshofes verstoße ihrerseits gegen den EG-Vertrag. dennoch, die Auffassung des Europäischen Gerichtsho- Diese Sicht teilt die FDP-Bundestagsfraktion nicht. Der fes beharrlich ignorieren zu können. Die Justizministerin EuGH greift nicht etwa – wie im Entwurf behauptet – in probiert einfach weiter am Gesetz herum, ohne eine die deutsche Eigentumsordnung ein. Er stellt dagegen klare Lösung zu schaffen. Der EuGH wird das VW-Ge- klar, dass vielmehr das auf einen Einzelfall bezogene setz aber zu Recht erst akzeptieren, wenn seine Kritik- VW-Gesetz gegen die deutsche Eigentumsordnung ver- punkte ausgeräumt sind. Die Bundesregierung wird dies (B) stößt. Es wird mit der Entscheidung gerade auf eine Wie- wissen. Dennoch ist sie nicht lernwillig, sondern provo- (D) derherstellung der Eigentumsordnung hingewirkt. ziert ein Vertragsverletzungsverfahren nach dem nächs- Ebenso wie den von der Bundesregierung vorgelegten ten. Es kann und darf jedoch nicht sein, dass die deut- Entwurf lehnen wir auch den Gesetzesvorschlag der Lin- schen Steuerzahler am Ende von Brüssel verhängte ken ab, weil beide Entwürfe auf halber Strecke stecken Strafgelder bezahlen müssen, nur weil die Bundesregie- bleiben. Zwar werden im Entwurf der Linken mancher rung dem Land Niedersachsen eine europarechtswidrige der auf Europa-Ebene kritisierten Punkte beseitigt, aber Sonderrolle länger sichern will. diese Teillösung des Problems wird nicht konsequent zu Nach Ansicht der FDP sind Vetorechte für den Staat Ende geführt. Das Entsenderecht von Bund und Land bei einem im Wettbewerb stehenden Unternehmen sys- wird lediglich begrenzt. Dabei gibt es keine ökonomi- temfremd. Wenn in Unternehmenspolitik vom Staat hi- schen Gründe, im Fall von Volkswagen vom üblichen neinregiert werden kann, so ist dies für das Unternehmen deutschen Entsenderecht abzuweichen. Aus unserer keinesfalls förderlich. Hat ein Aktionär Sonderrechte, so Sicht einzig konsequent wäre die komplette Aufhebung liegt in dieser Begünstigung klar die Gefahr, dass er sie dieses Einzelfallgesetzes von 1960. Es ist schlicht nicht im Eigeninteresse und zulasten der normalen Aktionäre mehr zeitgemäß, wenn ein Bundesland bei einem voll im ausnutzt. Ein Wegfall von Sonderrechten und Goldenen Wettbewerb stehenden Automobilkonzern hineinregiert. Aktien ist daher zur Stärkung der Hauptversammlung als Mit den dem Bundesland Niedersachsen als Teil- legitimem Eigentümergremium geboten. eigentümer gewährten Sonderrechten hält das Gesetz po- Ein besonderer gesetzlicher Schutzwall ist nach unse- tentielle Investoren davon ab, Anteile zu kaufen um Ein- rer Meinung für das Unternehmen Volkswagen nicht nö- fluss zu gewinnen; der Anteilskauf erscheint durch die tig. Der Schutz der Eigentümerinteressen wird ebenso feste Stellung des Sonderaktionärs weniger attraktiv. wie die Durchsetzung der Hauptversammlungsbe- Diese Sicht des Europäischen Gerichtshofes ist für jeden schlüsse durch Aktiengesetz und Handelsgesetzbuch für verständigen Teilnehmer des Wirtschaftslebens nach- VW – wie für alle anderen Aktiengesellschaften – ge- vollziehbar. währleistet. Das Beibehalten eines Einzelfallgesetzes ist Ich zähle ihnen noch einmal kurz die Hauptkritik- unnötig. Nötig dagegen ist, die Volkswagen Aktienge- punkte der europäischen Rechtsprechung im geltenden sellschaft als ein normales Unternehmen zu betrachten. VW-Gesetz auf: Da Volkswagen nicht gleicher oder ungleicher ist als an- dere Autobauer, muss der Staatseinfluss konsequent zu- Das Entsenderecht erlaubt es sowohl dem Bund als rückgefahren werden. Die Verfechter einer starken Be- auch dem Land Niedersachsen, jeweils zwei Vertreter in teiligung der öffentlichen Hand an diesem Unternehmen 20166 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) sollten bedenken, dass das VW-Gesetz früher einmal Ich möchte an dieser Stelle aber auch noch einmal an (C) VW-Privatisierungsgesetz genannt wurde. Wenn die die Kommission appellieren, sich davon nicht beeindru- Bundesregierung im Fall Volkswagen auf Protektionis- cken zu lassen, sondern vielmehr das novellierte VW- mus setzt, so torpediert sie damit vor allem die Förde- Gesetz, welches wir heute beschließen, zu akzeptieren. rung des europäischen Binnenmarktes. Mitgliedsländer Die erneute Klage gegen das VW-Gesetz sollte zurück- mit protektionistischen Tendenzen in ihrer Industriepoli- gezogen werden. Die Kommission muss meines Erach- tik wie Frankreich, wo häufig auch deutsche Mittel- tens aufpassen, nicht die gleichen Fehler wie damals bei ständler diskriminiert werden, dürften sich durch eine der Dienstleistungsrichtlinie zu machen. Kluge Ord- Beibehaltung des VW-Gesetzes bestätigt sehen. nungspolitik darf nicht mit blinder Prinzipienreiterei ver- wechselt werden. Auch bei der Setzung eines wirtschaft- Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich dafür einset- lichen Ordnungsrahmens gilt es, die Menschen zen, dass bei Volkswagen in Zukunft das Verhältnis zwi- mitzunehmen. schen Kapitalanteil und Kontrolle wieder proportional und europarechtskonform nach dem Prinzip „eine Aktie, Die Besonderheiten des VW-Gesetzes sind in der Ge- eine Stimme“ ausgestaltet wird. Einen Dauerstreit der schichte des Unternehmens begründet. Die Nazis bauten Bundesjustizministerin mit der EU-Kommission auf das Volkswagenwerk mit beschlagnahmtem Gewerk- Kosten der Steuerzahler gilt es zu vermeiden. Das schaftsvermögen auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg Zwangsgeldverfahren der EU-Kommission steht in den wollte niemand die Reste dieses Werkes haben. Darauf- Startlöchern. Das Bundeswirtschaftsministerium geht hin bauten die Arbeitnehmer das Werk eigenverantwort- von einem zu zahlenden Tagessatz von 90 000 Euro aus. lich wieder auf. Das VW-Gesetz würdigte diese Ge- Wenn die Bundesregierung durch ihre Sturheit tatsäch- schichte durch besondere Mitentscheidungsrechte der lich riskieren mag, dass Steuergelder derart sinnlos Arbeitnehmerschaft. Wir Grüne stehen zu dieser Ge- durch den Auspuff gejagt werden, werden wir ihr das im schichte und wollen das VW-Gesetz deshalb erhalten. kommenden Wahljahr nicht vergessen vorzuhalten. Anders übrigens als die FDP, die mit ihren Ände- Meine Damen und Herren Kollegen, ich appelliere rungsanträgen im Wirtschaftsausschuss diese besonde- noch einmal dringend an Sie: Nutzen Sie in der heutigen ren Mitentscheidungsrechte der Arbeitnehmerinnen und letzten Lesung dieses Gesetzes die Chance, die ord- Arbeitnehmer abschaffen wollte – obwohl diese über- nungspolitisch gebotene Normalität auch bei dem gro- haupt nicht vom EuGH moniert worden waren. Ich kann ßen Konzern Volkswagen AG einkehren zu lassen. Die mir nicht vorstellen, dass die Menschen dieses doppelte FDP-Bundestagsfraktion jedenfalls streitet auch in Sa- Spiel der FDP gutheißen: Als Teil der niedersächsischen chen Volkswagen für die Rückkehr zu den Regeln der Landesregierung angeblich für das VW-Gesetz zu strei- (B) sozialen Marktwirtschaft. ten und in Berlin, wenn es darauf ankommt, dagegen zu (D) stimmen – das ist unredlich.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe bereits bei der Einbringung des Gesetzent- Wir Grünen unterstützen den Gesetzentwurf der Bundes- wurfes betont, dass es für VW jetzt wichtig ist, Ruhe in regierung. Er sichert den Kern des VW-Gesetzes und den Konzern zu bekommen. Gerade angesichts der Krise passt dieses an die Vorgaben des EuGH an. Die Sonder- in der Automobilindustrie kann sich VW keinen dauer- rechte der Beschäftigten hinsichtlich der Schließung und haften internen Machtkampf erlauben. Es ist deshalb Verlagerung von Produktionsstätten bleiben erhalten. entscheidend, mit dem VW-Gesetz einen klaren Rahmen Nach Vorgängen wie bei Nokia in Bochum wäre die Ab- zu setzen, auf den sich alle Beteiligten – Volkswagen, schaffung dieser Arbeitnehmerrechte zu Recht auf völli- das Land Niedersachsen, Porsche und die Beschäftigten – ges Unverständnis gestoßen. Ebenso bleibt der Einfluss einstellen können. Dann kann sich Volkswagen endlich Niedersachsens gewahrt, was für die Beschäftigten und auf das konzentrieren, was letztlich über die Zukunftsfä- die Werke in Niedersachsen von zentraler Bedeutung ist. higkeit des Konzerns entscheidet: auf das Bauen von in- novativen und umweltfreundlichen Autos. Doch auch wenn wir mit dem Inhalt des Gesetzent- wurfes einverstanden sind, so sind wir Grüne doch äu- ßerst unzufrieden mit dem Agieren der Bundesregierung Anlage 12 in dieser Frage. Insbesondere die Unionsseite hat ständig quergeschossen. Mal lässt der Wirtschaftsminister sei- Zu Protokoll gegebene Reden nen Widerwillen in einer Protokollnotiz zum Kabinetts- zur Beratung der Beschlussempfehlung und des beschluss dokumentieren. Mal kündigt Oettinger eine Berichts: Verdeckte Armut bekämpfen – Rechte Bundesratsinitiative gegen das VW-Gesetz an. wahrnehmen, unabhängige Sozialberatung aus- Im Ergebnis werden dadurch diejenigen in Brüssel weiten und Selbsthilfeinitiativen unterstützen bestärkt, die das VW-Gesetz ganz abschaffen wollen. (Tagesordnungspunkt 26) Wie soll denn die Europäische Kommission von der Rechtmäßigkeit des VW-Gesetzes überzeugt werden, Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Zu den wenn offensichtlich noch nicht einmal der deutsche grundlegenden Leistungen unseres Sozialstaates gehört Wirtschaftsminister davon überzeugt ist? Das ganze Hin die Zusage an jede Mitbürgerin und jeden Mitbürger: und Her hat der deutschen Position in Brüssel schwer ge- Wer aus eigenem Einkommen und eigener Leistung sei- schadet. nen Lebensunterhalt und den seiner Familie nicht be- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20167

(A) streiten kann, der hat Anspruch auf eine gesetzlich klar dienen auch unsere politische Unterstützung. Wir von (C) definierte staatliche Leistung. Diese staatliche Leistung der CDU/CSU wollen, dass die Beratung weiter verbes- ist kein Almosen, vielmehr besteht ein Rechtsanspruch sert wird. Deshalb begrüßen wir es, dass 3 000 zusätzli- darauf. Zu den tragenden Prinzipien dieser staatlichen che Stellen in der Arbeitsvermittlung bis zum Jahr 2010 Hilfe gehört aber auch, dass jeder zuerst sein eigenes geschaffen werden, um speziell für Empfänger von Einkommen und Vermögen einsetzen muss, bevor er die Arbeitslosengeld II die Beratung nochmals auszubauen. von allen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern mitfinan- zierte staatliche Hilfe in Anspruch nimmt. Darüber hinaus haben wir in Deutschland ein flächen- deckendes Angebot sozialer Dienste der Wohlfahrtsver- Diese staatliche Hilfe, die wir früher Sozialhilfe ge- bände: Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz, Paritätischer nannt haben, wurde und wird von etlichen Berechtigten, Wohlfahrtsverband, Arbeiterwohlfahrt und Zentralwohl- vor allem aus der älteren Generation, nicht in Anspruch fahrtsstelle der Juden. Sie sind gerade dort tätig, wo sozia- genommen – aus Scham oder aus einer falsch verstande- le Brennpunkte sind, und sie engagieren sich zusätzlich nen Bescheidenheit, man wolle niemand anderem zur mit einer Reihe von Beschäftigungsgesellschaften für Last fallen. Die alte Sozialhilfe ist jedoch in den letzten die Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen. Deshalb Jahren durch neue Gesetze abgelöst worden a) für die werden die Wohlfahrtsverbände in ihrer Arbeit auch Seniorinnen und Senioren durch die Grundsicherung im durch öffentliche Mittel auf der Bundes-, Landes- und Alter und b) für alle, die zumindest wenige Stunden er- kommunalen Ebene unterstützt. Der Staat unterstützt werbsfähig sind, durch die Grundsicherung für Arbeitsu- also schon heute die unabhängige Beratung in großem chende, das Arbeitslosengeld II. Umfang. Beide Grundsicherungssysteme haben dazu geführt, Hinzu kommt, dass die großen Sozialverbände VdK dass viele, die bislang keinen Sozialhilfeantrag gestellt und SoVD ebenfalls flächendeckend mit regelmäßigen haben, jetzt die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen. Sprechstunden Beratung in Sozialrechtsfragen anbieten. Die „verdeckte Armut“ ist durch die neuen Grundsiche- rungssysteme nicht zum neuen Problem geworden, viel- Ich will all denen, die sich in dieser Beratungstätig- mehr wird „verdeckte Armut“ jetzt entschiedener aufge- keit engagieren, heute ein herzliches Dankeschön sagen. deckt und bekämpft als je zuvor. Das ist ein guter Erfolg. Sie leisten hervorragende Arbeit. Deshalb brauchen wir Die gesetzlichen Regelungen für die Grundsicherung im kein neues zusätzliches Beratungssystem, wie es die Alter und für die Grundsicherung für Arbeitsuchende Linkspartei fordert. sind nicht die Ursache für „verdeckte Armut“, sondern sie helfen zusätzlich im Kampf gegen Armut. Das hat Das Entscheidende ist jedoch: Armut bekämpft man nicht mit einem aufgeblähten Apparat zusätzlicher Bera- (B) eine Reihe sachlicher Gründe, die es den Betroffenen er- (D) leichtern, einen Antrag zu stellen: tungsinstitutionen, mit mehr Klagen und Gerichtsverfah- ren. Armut bekämpft man mit Arbeit, damit Menschen Erstens. Die Grundsicherung im Alter wird gewährt, nicht weiter von staatlicher Unterstützung abhängig ohne dass Rückgriff auf unterhaltspflichtige Kinder ge- sind. Es gibt einen großen politischen Unterschied: Die nommen wird. Das ist ein großer Unterschied zur alten Linke will die Armut verwalten. Wir wollen die Armut Sozialhilfe. Diese Regelung führt dazu, dass heute ältere bekämpfen. Die Linke will einen rundum versorgenden Menschen nicht mehr darauf verzichten, einen Grundsi- Staat. Sie will die Menschen entmündigen. Wir wollen, cherungsantrag zu stellen, weil man niemand „zur Last dass Menschen aus der Abhängigkeit herauskommen fallen“ wolle. und möglichst schnell durch eigenes Einkommen wieder auf eigenen Füßen stehen. Zweitens. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende, das Arbeitslosengeld II, hat für die einstigen Empfänger Um die Wege raus aus der Arbeitslosigkeit und rein in von Sozialhilfe bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten Arbeit und selbst erarbeitetes Einkommen weiter zu ver- und höhere Beträge für das Schonvermögen gebracht. bessern, haben die Bundesregierung und die Koalitions- Beide Verbesserungen sind für etliche Antragsteller, die fraktionen von CDU/CSU und SPD heute im Deutschen in der Vergangenheit vielleicht auf einen Sozialhilfean- Bundestag das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeits- trag verzichtet haben, jetzt doch ein Anreiz, Grundsiche- marktpolitischen Instrumente eingebracht. Zur Qualifi- rung für sich zu beantragen. zierung und Vermittlung in Arbeit werden jetzt die Maß- nahmen noch individueller eingesetzt werden können. Zu Recht wird gefordert, dass Leistungsberechtigte Vermittlungsbudget und Experimentierbudget führen als eine gute und unabhängige Beratung erhalten. Beratung neue Instrumente zu einem flexibleren und der örtlichen ist selbstverständlich auch Aufgabe der Sozialbehörden. Situation angepassterem Einsatz der Eingliederungsmit- Es ist eine Unverschämtheit sondergleichen, dass in ei- tel. Sie verbessern die Leistungen für benachteiligte nem Antrag der Linken die Sozialbehörden in Deutsch- junge Menschen. Unsere aktive Arbeitsmarktpolitik land unter den Generalverdacht gestellt werden, sie wür- wird effektiver und zielgenauer. Arbeitslose können den Leistungsberechtigte von einer Antragstellung schneller in Erwerbstätigkeit integriert werden. geradezu abschrecken. Ich stelle fest: Es mag Ausnah- men geben, aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Nicht Arbeitslosigkeit verwalten, Arbeitslose noch den örtlichen Sozialämtern, in den Arbeitsgemeinschaf- besser qualifizieren und fördern, damit sie wieder in ei- ten für Empfänger von Arbeitslosengeld II und in den nen Job kommen können – das ist die richtige Antwort, Agenturen für Arbeit machen gute Arbeit. Und sie ver- um Armut effektiv zu bekämpfen. 20168 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) Rolf Stöckel (SPD): Das Thema „verdeckte Armut“ der wir nur durch Aufklärung und Beratung entgegen- (C) ist heute nicht zum ersten Mal auf der Tagesordnung des wirken können, auch den Verzicht auf oftmals geringe Hauses. Der hier diskutierte Antrag ist allerdings eher ergänzende Leistungen – aus Scham, aber auch aus Stolz ein Dokument ideologischer Blindheit und fachlicher In- oder weil die Bürokratie und die Überprüfung von Ver- kompetenz als ein konstruktiver Vorschlag, wie man ver- mögen oder Partnereinkommen gescheut wird. Aber es deckte Armut noch besser bekämpfen könnte. Um es mit gibt natürlich auch die Fakten des illegalen Aufenthaltes anderen Worten zu sagen: Die Linke ignoriert die realen und der Schattenwirtschaft, die Menschen davon abhal- Erfolge der Reformen in der Arbeitsmarkt-, Sozial- und ten, Rechtsansprüche durch Antragstellung und Mitwir- Familienpolitik. Der Antrag ist ein erneuter Versuch, po- kung einzulösen. Das hat überhaupt nichts mit einem pulistischen Honig aus dem Paradigmenwechsel hin zum „Missbrauchsvorwurf“ zu tun. Manchmal geht es in der vorsorgenden, aktivierenden Sozialstaat zu saugen. Praxis nur darum, die größere Wohnung, das Auto oder die offizielle Bedarfsgemeinschaft mit verdienenden Wir sind uns einig, dass es verdeckte Armut immer Partnern, Kindern oder Eltern zu erhalten. Die Betroffe- noch gibt und dass sie – soweit der Staat dazu in der nen müssen auch in Zukunft selbstständig entscheiden Lage ist – konsequent bekämpft werden muss. Damit be- können, auf eine Beantragung von Leistungen zu ver- ginnen wir nicht heute, und wir müssen auch nicht von zichten. Wer Mitwirkungspflichten, Sanktionen und Ar- der Linken dazu aufgefordert werden. Sozialdemokraten beitsgelegenheiten bei der Grundsicherung für Arbeit- haben seit 1998 in den Regierungen Schröder und suchende als Folter- und Abschreckungsinstrumente Merkel dafür gesorgt, dass Ausmaß und Gründe von darstellt, die zu einer erhöhten Nichtinanspruchnahme Armutslagen untersucht werden, regelmäßig darüber be- führen, hat von der Gerechtigkeit, der Stabilität und der richtet wird und wirksame Maßnahmen eingeleitet werden. Finanzierung unseres Sozialstaates entweder nichts ver- Wir haben dafür gesorgt, dass gerade die benachteiligten standen oder ignoriert seine Legitimationsbasis bewusst und ausgegrenzten Menschen neue Rechtsansprüche auf aus demagogischen Gründen. Teilhabe am Arbeitsmarkt und bessere Leistungen der Grundsicherungen und Familienförderung erhalten. Das Prinzip der Nachrangigkeit der staatlichen Grundsicherungen, die Mitwirkungspflichten, die Prinzi- Es bleibt richtig: Der beste Schutz vor Armutsrisiken pien der Hilfe zur Selbsthilfe und der individuellen Be- ist eine Beschäftigung, die den Lebensunterhalt und eine darfsabhängigkeit stellen die notwendigen Vorausset- menschenwürdige Existenz sicherstellt. Heute ist die Ar- zungen dafür dar, dass die Beitrags- und Steuerzahler, beitslosigkeit auf den tiefsten Stand seit 16 Jahren ge- die mit ihrem Einkommen oftmals selbst nur knapp über sunken; im Vergleich zu 1998 hat sie sich fast halbiert. der Bedarfsgrenze liegen, bereit sind, unsere sozialen Si- Das DIW stellt fest, dass in Fortschreibung des letzten cherungssysteme auch zu tragen. Wir sprechen ja nicht (B) Armuts- und Reichtumsberichtes, dessen Daten bis zum mehr von Armenhilfe, Fürsorge oder Sozialhilfeempfän- (D) Jahre 2005 reichen, in den Jahren 2006 und folgende gern, die in ihrem Dasein mehr oder weniger schlecht über 1 Million Menschen weniger unterhalb der Armuts- versorgt und kaum persönlich gefördert werden. Wir risikoschwelle leben muss. Bei allen Mängeln und Defi- sprechen zu Recht von Menschen, die einen Anspruch ziten, die es natürlich auch noch gibt und an denen wir auf Grundsicherung, Beratung und Teilhabe auf dem Ar- im Zuge der Weiterentwicklung der Arbeitsmarktrefor- beitsmarkt und in der Gesellschaft haben. men zielgenau arbeiten müssen: Die Behauptung, es hätte keine Leistungsverbesserungen und keine Förde- Im SGB I, in den §§ 13 und 14, ist der Anspruch aller rung der von Langzeitarbeitslosigkeit Betroffenen und Bürgerinnen und Bürger auf Aufklärung und Beratung ihrer Familien gegeben, ist schlicht gesagt demagogi- über ihre Rechte und Pflichten durch die zuständigen scher Unsinn. Neben den vielen Maßnahmen der Ver- Leistungsträger, Verbände und öffentlich-rechtlichen gangenheit wurden erst vor kurzem der Kinderzuschlag Vereinigungen geregelt. Es wäre ein Armutszeugnis, und das Wohngeld von der Koalition nochmals erhöht. wenn wir uns damit abfinden würden, dass diese Aufklä- Die Regelsätze der Grundsicherungen werden wie die rungs- und Beratungspflicht unzureichend umgesetzt Rente angepasst, das Kindergeld erhöht und eine neue wird oder von einer restriktiven Ausgabenpolitik geprägt einmalige Leistung bei Bedarf, das Schulstarterpaket, ist und deshalb unabhängige Beratungsstellen flächende- eingeführt. ckend eingerichtet und vom Staat finanziert werden müssten. Nicht nur, dass diese Beratungsstellen ihre Un- Es gibt verdeckte Armut in Deutschland, aber sie abhängigkeit verlieren würden. Die öffentliche Aufklä- nimmt ab, wie sie in Ihrer Begründung selbst schreiben. rung und Beratung muss durch ausreichendes und quali- Sie selbst führen die Untersuchungen von Hauser und fiziertes Personal, durch ein besseres Fallmanagement Becker zur verdeckten Armut vor und nach der Zusam- und persönliche Hilfen sichergestellt werden. menlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe im Jahre 2005 an. Danach liegen die Schätzungen für die Nicht- Was noch zu oft fehlt und was wir dringend brauchen, inanspruchnahme von Leistungsansprüchen vor 2005 bei ist eine Kultur des Staates als „Partner der Bürger“, sind fast 50 Prozent der Berechtigten und heute – das ist engagierte Verwaltungen und die aktive Bürgergesell- wirklich bemerkenswert – unter 20 Prozent. schaft, die sich vernetzen und Armuts- und Benachteili- gungslagen nicht nur verwalten und alimentieren, son- Für die Nichtinanspruchnahme gibt es natürlich ver- dern tatsächlich verändern wollen. Wir brauchen eine schiedenste Gründe. Die Welt ist eben nicht, wie die Zusammenarbeit der Arbeits- und Sozialverwaltung mit Linke uns mit ihrem Antrag suggerieren will, nur den Beratungsstellen der freien Verbände und Selbsthil- schwarz und weiß. Da gibt es neben der Unwissenheit, fegruppen, gesellschaftliche Beiräte, Ombudsleute, die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20169

(A) ihre spezifischen Beiträge zur Bekämpfung der Armut Ausschussempfehlung zustimmen und den Antrag der (C) und Ausgrenzung koordinieren und über die besten An- Linken ablehnen. gebote und Instrumente öffentlich streiten. Die Praxis der Jobcenter und Argen entwickelt sich längst in diese Heinz-Peter Haustein (FDP): Der Antrag, den wir Richtung, und das ist gut so. hier in zweiter Lesung beraten, trägt den Titel „Ver- Wir stellen mit dem Gesetz, das wir heute in den Bun- deckte Armut bekämpfen …“ Darin kritisiert Die Linke destag eingebracht haben, neue Arbeitsmarktinstru- das hohe Maß an verdeckter Armut. Die Rede ist von mente, insbesondere für Arbeitsuchende mit besonderen 5 Millionen Bedarfsgemeinschaften, die eine Berechti- Vermittlungshemmnissen, und Fallpauschalen zur Verfü- gung haben, Leistungen zu beziehen, und von lediglich gung, die helfen, auch die vorhandenen Arbeitslosenzen- 4,1 Millionen Bedarfsgemeinschaften, die tatsächlich tren der freien Träger und Selbsthilfegruppen zu unter- Leistungen erhalten. Man rechnet demnach richtiger- stützen. weise, es gebe 900 000 Bedarfsgemeinschaften, die ei- nen Anspruch auf staatliche Leistungen haben, aber Wir beklagen, dass die Landesregierung in Nord- keine Leistungen beziehen. Mit dem Rechenergebnis ist rhein-Westfalen mit Billigung des Arbeits- und Sozial- aber auch schon alles, was an dem Antrag richtig ist, er- ministers Laumann und des Ministerpräsidenten schöpfend genannt. Rüttgers sich aus der Finanzierung dieser Beratungsstel- len und subsidiären Dienstleister zurückzieht und damit Die Linke schlägt Maßnahmen vor, die die 900 000 Be- eine gute Praxis der sozialen Integration, der Bewer- darfsgemeinschaften dazu bringen sollen, staatliche bungshilfen und Sprachförderung gefährdet, wenn nicht Leistungen zu erhalten. Aber: Dadurch, dass Menschen kaputt macht. Dort, wo die Argen und Kommunen mit in größerem Umfang staatlich alimentiert werden, ist dem Instrumentenkasten des SGB II helfen können, noch nicht die Ursache von Armut bekämpft. Damit be- sinnvolle Angebote zu stützen, werden wir ihnen dabei kämpfen Sie die Verdeckung der Armut, nicht aber die helfen. Eine Politik, bei der der Bundeshaushalt immer „verdeckte Armut“! Der Titel führt also in die Irre. mehr zum Ausfallbürgen verfehlter und falscher Landes- Die FDP hat das Fortentwicklungsgesetz aus guten politik, zum Beispiel bei der Beratung und Unterstüt- Gründen abgelehnt. Aber wenn Die Linke in ihrer An- zung von Arbeitslosen und in einer mangelhaften Bil- tragsbegründung implizit unterstellt, die derzeitige dungs- und Qualifizierungspolitik der Länder und Rechtslage hätte die Funktion, Leistungsberechtigte von Kommunen, werden soll, ist ein Irrweg; den werden wir der Beantragung staatlicher Leistungen abzuschrecken, sicher nicht mitgehen. muss dem deutlich widersprochen werden. So wird der Die Rechtswege müssen barrierefrei, auch in Hinsicht Klassenkampf beschworen. Eine Hilfe für die Menschen (B) auf die Prozesskostenhilfe, jedem offenstehen. Wenn im ist das nicht. Im Antrag heißt es, das Fortentwicklungs- (D) Antrag der Linken beklagt wird, dass es 60 000 Verfah- gesetz habe „offensichtlich die Funktion, Leistungsbe- ren vor den Sozialgerichten gibt, dann sind das ganze rechtigte abzuschrecken“. Die Linke zitiert aus der 1,1 Prozent von der gesamten Fallzahl. Das ist, wenn Begründung des Fortentwicklungsgesetzes: „Die früh- man die Widerspruchsverfahren und Klagen vor Verwal- zeitige Unterbreitung von Eingliederungsangeboten ist tungs- und Sozialgerichten in der Vergangenheit sieht, ein geeignetes Mittel, um … die Bereitschaft des Hilfesu- keine wesentliche Steigerung. Das ist im Rechtsstaat nun chenden zur Arbeitsaufnahme zu überprüfen.“ Im Inte- mal so gewollt. resse aller Menschen, die redlich ihrer Arbeit nachgehen und mit Steuern und Beiträgen staatliche Sozialleistun- So wie das Grundsicherungsrecht individuelle An- gen erst ermöglichen, muss es verantwortungsvolle Pra- sprüche und Leistungen garantiert, bleibt auch das Kla- xis sein, die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme auch ein- gerecht individuell. Wir sehen deshalb keinen Bedarf zufordern, wo Angebote dazu vorliegen. nach einem Verbandsklagerecht, das den Verbänden nützt, die Zahl der Klagen noch ausweitet, aber den Be- Der Antrag übersieht, dass die Möglichkeit der Ge- troffenen kaum hilft. Armutsbekämpfung stellen wir uns währung von Prozesskostenhilfe besteht, dass es ein gu- anders vor. Wir brauchen einen ressortübergreifenden tes Netz unabhängiger Beratungsstellen der Wohlfahrts- Ansatz der sozialen Integration und Teilhabe. Das gilt verbände gibt und dass die über 100 000 Klagen vor für Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die bessere Kinderbe- Sozialgerichten in Deutschland nicht unbedingt dafür treuung benötigen, für Kinder, die eine qualitativ bessere sprechen, dass die Menschen ihre Rechte nicht kennen. Bildung im Ganztagsschulbereich benötigen. Das gilt Es ist eine Selbstverständlichkeit, zu betonen, dass es auch für Migranten, die nicht nur bessere Sprachkennt- nicht sein darf, dass sich Armut negativ auf die Möglich- nisse, sondern auch die beidseitige Bereitschaft zur In- keiten der Menschen auswirkt, den Rechtsweg zu be- tegration brauchen. Für Langzeitarbeitslose ist die Job- schreiten. Rechtsprechung nach dem Geldbeutel ist nicht perspektive wichtig, für Ältere, Pflegebedürftige und nur rechtsstaatlich bedenklich. Sie wird es mit der Behinderte das Persönliche Budget und die Bereitschaft, Rechtsstaatspartei FDP auch nicht geben. Inklusion und Barrierefreiheit konsequent umzusetzen. Die Linken zitieren eine Studie, die als einen Faktor Den sozialen Zusammenhang und die Hilfsbereit- für die Nichtinanspruchnahme von Leistungen man- schaft der Zivilgesellschaft können wir fördern, aber gelnde Kenntnisse der Rechtslage angibt. Daraus leiten nicht gesetzlich verordnen. Aus all diesen Gründen – vor Sie die Notwendigkeit ab, eine vom Träger der Leistun- allem, weil es bessere, sachgerechtere und erfolgreichere gen unabhängige Rechtsberatung einzurichten. Sie ver- Konzepte der Armutsbekämpfung gibt – werden wir der mitteln damit den falschen Eindruck, die Mitarbeiter der 20170 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) Argen würden die Anspruchsberechtigten nicht ausrei- dringend umzusetzen wie die notwendigen Flexibilisie- (C) chend oder sogar falsch beraten. Auch das kann man so rungen im Tarif- und Arbeitsrecht. nicht stehen lassen. Vielmehr ist eine völlige Unkenntnis über die Berechtigung zu einer Leistung die Ursache der Geben wir den Menschen den Freiraum zurück, ei- Nichtinanspruchnahme, nicht eine falsche Beratung. So genverantwortlich für ihr Leben zu sorgen! Dann tun wir heißt es auch in der von Ihnen zitierten Studie von Irene das Beste zur Bekämpfung der Armut. Becker: „… möglicherweise ist die Differenz auf Teil- zeit- oder geringfügig Beschäftigte zurückzuführen, die Katja Kipping (DIE LINKE): In Deutschland leben ihren … Anspruch auf ergänzende Leistungen nach dem mehr Menschen in Armut als gemeinhin angenommen SGB II nicht kennen.“ (Irene Becker: Armut in Deutsch- und zugegeben. Das erlebe ich natürlich zum einen im- land. Bevölkerungsgruppen unterhalb der ALG-II- mer wieder im Rahmen meiner täglichen Arbeit, aber Grenze, Seite 38) Das heißt, die Menschen wissen auch Sozialverbände, wie beispielsweise die Caritas, be- schlicht nichts von ihrem Anspruch. Daraus abzuleiten, richten von einer großen Anzahl an verdeckt armen Per- sie seien falsch oder unzureichend beraten worden, ist sonen und nennen dort besonders Familien mit Kindern nicht hinnehmbar. Vieles in den Argen funktioniert und Alleinerziehende. In der Antwort auf unsere Kleine nicht, läuft schlecht. Die FDP will die Struktur ja mit gu- Anfrage zum Ausmaß der verdeckten Armut im Rechts- tem Grund ändern. Aber die Mitarbeiter der Argen, die bereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, Druck- nach ihren Möglichkeiten handeln und beraten, muss sache 16/3551, gibt die Bundesregierung zu, dass sie die man gegen den Vorwurf der Linken in Schutz nehmen. in der Studie von Irene Becker, die 2006 eine umfas- Andersherum wird „ein Schuh daraus“: Eigeninitiative sende Untersuchung zu diesem Thema durchgeführt hat, der Betroffenen ist durch nichts zu ersetzen. Den Gang getroffenen Aussagen für grundsätzlich zutreffend hält. zu einer Arge zur Anspruchsprüfung kann den Betroffe- Ich rufe Ihnen gern noch einmal die wesentlichen Ergeb- nen keiner abnehmen, auch nicht unabhängige Rechtsbe- nisse der Forschungen von Irene Becker ins Gedächtnis: rater. Statt der circa 10 Millionen potenziell Berechtigten auf Das Schreckgespenst, das in dem Antrag beschrieben Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch wird, gibt es nicht. Weder beraten die Mitarbeiter der Ar- (SGB II) bezogen im Juli 2005 nur circa 6,8 Millionen gen falsch und machen eine unabhängige Beratung not- und im Mai 2006 circa 7,4 Millionen Berechtigte die ih- wendig, noch ist die Intention des Gesetzes die Abschre- nen zustehenden Leistungen. Bei den Bedarfsgemein- ckung von der Beantragung von Leistungen. schaften (BG) bezogen statt circa 5 Millionen anspruchs- berechtigter Bedarfsgemeinschaften im Juli 2005 nur Zur Deckung der Kosten, die durch die neue „unab- circa 3,8 Millionen Bedarfsgemeinschaften und im Mai hängige Rechtsberatung“ entstehen, sagt der Antragstel- (B) 2006 nur circa 4,1 Millionen Bedarfsgemeinschaften die (D) ler auch gar nichts. ihnen zustehenden Leistungen nach dem SGB II. Lassen Sie uns auf das zu sprechen kommen, was der Demnach nahmen im Untersuchungszeitraum meh- Antrag verspricht, jedoch nicht hält: Es muss um die Be- rere Millionen Bedürftige ihren Rechtsanspruch auf kämpfung der verdeckten Armut gehen, nicht nur um de- staatliche Unterstützung nicht wahr. Es handelt sich da- ren Offenlegung. Denn: Dass es verdeckte Armut gibt, bei häufig um Personen, die zwar laut Gesetz einen An- bestreitet ja niemand ernsthaft. Dazu brauchen wir keine spruch auf Sozialleistungen hätten, aber keinen Antrag Studie, wie Sie es fordern. Es gibt Menschen in diesem auf deren Erhalt gestellt haben. Die Gründe für diese Land, die vollzeitbeschäftigt sind und dennoch so wenig Nichtinanspruchnahme können dabei recht verschieden verdienen, dass sie leistungsberechtigt sind. Ich habe sein. Häufig besteht Angst vor Stigmatisierung, Diskri- schon oft an dieser Stelle berichtet, dass in meinem minierung oder Repressionen, wie Arbeitszwang oder Wahlkreis der Anteil der vollbeschäftigten ALG-II- Verfolgungsbetreuung. Viele dieser Personen geben an, Empfänger mit über 25 Prozent so groß ist wie sonst nir- dass sie schlechte Erfahrungen mit Ämtern und Behör- gends in Deutschland. Schon bei diesen offiziellen Zah- den gemacht hätten und diese nun meiden. Teilweise be- len brauche ich weder eine Studie noch eine Offenle- steht auch schlichte Unkenntnis über Ansprüche. Irene gung, um das Problem zu erkennen. Das Problem liegt Becker hat sich zudem auch bestimmte Personengruppen längst offen vor uns. Nur die notwendige Konsequenz ganz genau angeschaut und festgestellt: „Das Problem aus dieser Erkenntnis bleibt der Antrag schuldig. Damit der verdeckten Armut betrifft insbesondere Erwerbstä- befindet sich die Linke in seltener Eintracht mit der Bun- tige; die Zahl der Bedürftigen (etwa 2,8 Millionen) be- desregierung. läuft sich hier auf etwa das Dreifache der Zahl der soge- Bei uns stimmt das gesamte Gleichgewicht nicht nannten Aufstocker (0,9 Millionen).“ (Becker, Irene mehr. Dem Lohnabstandsgebot muss wieder zum Durch- (2006): Armut in Deutschland: Bevölkerungsgruppen bruch verholfen werden. Es darf nicht sein, dass jemand, unterhalb der ALG-II-Grenze, Seite 36 ff.) der arbeitet und sich redlich bemüht, seine Familie zu er- Somit lassen mehrere Millionen Erwerbstätige ihren nähren, am Ende weniger übrig behält als jemand, der zu geringen Verdienst nicht auf den ihnen eigentlich zuste- Hause ist und sich auf die Solidargemeinschaft verlässt. henden Geldbetrag „aufstocken“. Der Bezug eines Wir brauchen eine konsequente Entlastung. Den Men- Arbeitseinkommens schützt demnach nicht vor Bedürf- schen muss von dem Erarbeiteten mehr übrig bleiben. tigkeit. An diesen Zahlen lässt sich übrigens auch erken- Wir brauchen eine konsequent mittelstandsorientierte nen, dass sich die von interessierter Seite immer gern Politik. Unser Bürgergeldkonzept wäre daher genauso propagierte These über negative Arbeitsanreize der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20171

(A) staatlichen Grundsicherungszahlungen nicht aufrecht- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der (C) erhalten lässt. Antrag der Linken greift ein wenig bekanntes, aber den- noch zentrales Phänomen der unzureichenden Organisa- Auch die Gruppe der Alleinerziehenden hat sich Irene tion unseres Sozialstaates auf: die verdeckte Armut. Aus Becker genauer angeschaut und kommt zum Ergebnis: Unwissenheit oder aus Angst vor Stigmatisierung und „Bei Alleinerziehenden ergibt sich dagegen eine gegen- vor aufwendigen wie unangenehmen behördlichen Ver- über denjenigen mit faktischem ALG-II-Bezug etwa fahren nehmen zu viele Menschen, leider auch Familien doppelt so hohe Zahl der bedürftigen Bedarfsgemein- mit Kindern, nicht ihre Ansprüche auf Sozialleistungen schaften“ (Becker, Irene (2006): a. a. O.) wahr. Ausweislich der Studie der Armutsforscherin Irene Nun kann man darauf verweisen, dass die Studie etli- Becker „Armut in Deutschland“ vom Februar 2007 über- che Änderungen im Bereich der Sozialgesetzgebung, steigt die Zahl der bedürftigen Bedarfsgemeinschaften wie beispielsweise die Einführung der Grundsicherung die Zahl der Bedarfsgemeinschaften mit tatsächlichem für Ältere und Erwerbsgeminderte, nicht berücksichtigt. Leistungsbezug erheblich – im Jahr 2005 waren dies Allerdings gibt es sowohl nach Kenntnis der Bundes- 1,2 Millionen, im Jahr 2006 rund 0,9 Millionen Haus- regierung als auch nach meinem Wissen keine aktuelle- halte. Das ist entschieden zu viel und Ausdruck einer un- ren Untersuchungen zu verdeckter Armut. Im Gegenteil: zureichenden Organisation bzw. Ausführung der sozia- Die Bundesregierung hat die Erkenntnisse aus der len Leistungen in diesem Lande. Becker-Studie im 3. Nationalen Armuts- und Reichtums- Mehr als bedenklich sollte auch die nicht abebbende bericht nicht aufgegriffen. Warum wohl? Soll verdeckte Klageflut im Rechtskreis des SGB II stimmen. Wenn in Armut etwa verdrängt werden, frei nach dem Motto manchen Bundesländern 60 Prozent der Widersprüche „Was ich nicht kenne, das gibt es auch nicht“? und bis zu 50 Prozent der sich anschließenden Klagen Ich fordere im Namen meiner Fraktion die Bundes- erfolgreich sind, dann besteht dringender Handlungsbe- regierung auf, eine Nachfolgestudie in Auftrag zu geben, darf. Der Bundesregierung und den für das Justizwesen um das tatsächliche Ausmaß der Nichtinanspruchnahme zuständigen Bundesländern fällt jedoch nichts weiter von Leistungsansprüchen zum heutigen Zeitpunkt aufzu- ein, als Rechte der Betroffenen vor den Behörden und decken und in der Folge entsprechende passgenaue Maß- den Gerichten zu schwächen. Das ist offenkundig der nahmen zu deren Bekämpfung sowie zu einer Entstig- falsche Weg. Wesentlich effektiver ist es, erst gar keine matisierung des Bezuges von sozialen Leistungen in die Gründe für Widerspruchs- und Gerichtsverfahren entste- Wege leiten zu können. Dazu möchten wir aber schon hen zu lassen. Deshalb müssen die Qualität der Arbeit in heute ganz konkrete Vorschläge unterbreiten. Zum einen den Job-Centern verbessert und die Rechte der Betroffe- (B) müssen alle zuständigen Leistungsstellen zu einer sach- nen gestärkt werden. Die Vorschläge der Bundesländer, (D) gerechten Aufklärung über die Rechtslage der Unterstüt- die hohe Hürden für einkommensschwache Rechtsu- zung suchenden Personen sowie zu einer Unterlassung chende durch die Einführung von Sozialgerichtsgebüh- sämtlicher Maßnahmen, die zur Abschreckung von Leis- ren und eine Einschränkung der Beratungs- und Prozess- tungsberechtigten führen, verpflichtet werden. Wir for- kostenhilfe vorsehen, würden nicht nur in unakzeptabler dern darüber hinaus einen Rechtsanspruch für jeden und Weise den Rechtsschutz der Betroffenen einschränken. jede auf ergänzende Beratung, persönliche Hilfe und Un- Sie vermindern auch den Druck auf die Sozialleistungs- terstützung bei einer unabhängigen geeigneten Stelle. träger, rechtsförmig zu bescheiden. Das können zum Beispiel Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege oder auch Beratungsstellen von be- Gleiches gilt für die aktuellen Planungen der Koali- rufsständischen Vereinigungen und Verbänden auf dem tionsfraktionen und der Bundesregierung im Rahmen der Gebiet des Sozialrechts sein. In diesem Zusammenhang Reform der Arbeitsmarktinstrumente. Die Instrumen- fordern wir die Bundesregierung ebenfalls auf, den Auf- tenreform sieht vor, dass Rechtsmittel von ALG-II-Be- bau und Erhalt der notwendigen Infrastruktur für unab- rechtigten gegen Entscheidungen der Grundsicherungs- hängige Beratung und Unterstützung organisatorisch träger des SGB II keine aufschiebende Wirkung mehr und finanziell zu unterstützen und die Organisationen haben. Das galt bereits vorher für alle Leistungs- und bzw. Vereinigungen von Betroffenen entsprechend anzu- Überleitungsbescheide der Grundsicherungsträger und erkennen. Des Weiteren fordern wir einen strikten Ver- soll nunmehr auch für alle Bescheide gelten, mit denen zicht auf alle Maßnahmen, welche die Gewährleistung Leistungen zurückgenommen, widerrufen, herabge- und faktische Einklagbarkeit von sozialen Rechten wei- setzt, Pflichten aufgegeben und zur Beantragung einer ter einschränken. Ich nenne dazu nur die Bundesratsini- vorrangigen Leistung oder persönlichen Meldung aufge- tiative zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, die die fordert wird. Mit diesen Plänen zur Einschränkung von Einführung von Gebühren vorsieht, um Leute von einem Rechtsstaatlichkeit machen SPD und Union in Bund und Gang zum Gericht abzuhalten. Land Sozialleistungsbeziehende zu Bürgern zweiter Klasse. Für ALG-II-Berechtigte werden damit die Wir- Und nicht zu vergessen unsere wichtigste Forderung kung von Rechtsmitteln und die allen Bürgern der Bun- und Erkenntnis: Grundsätzlich ist zur Vermeidung von desrepublik Deutschland zustehenden Bürgerrechte mas- verdeckter Armut die Einführung einer sozialen und re- siv eingeschränkt. Das Gebot der Stunde ist jedoch – wie pressionsfreien Grundsicherung die beste Maßnahme. Bündnis 90/Die Grünen es fordern –, die aufschiebende Zudem schiebt sie Stigmatisierungen und Diskriminie- Wirkung von Widersprüchen und weitere Verfahrens- rungen einen wirksamen Riegel vor. rechte auszuweiten. 20172 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) Keine der von CDU und SPD in Bund und Ländern Eines muss jedoch klar sein: Auch eine gut ausge- (C) favorisierten Maßnahmen zur Eindämmung von Sozial- baute und unabhängige Beratungsinfrastruktur kann im gerichtsverfahren ist geeignet, eine verbesserte Qualität Kampf gegen verdeckte Armut wenig ausrichten, wenn der Entscheidungen und der Beratungen in den Jobcen- die Betroffenen in ihren Rechten und Rechtsschutzmög- tern zu gewährleisten und damit verdeckte Armut zu re- lichkeiten eingeschränkt werden. Bündnis 90/Die Grü- duzieren. Wir Grüne fordern organisatorische Innovatio- nen wollen die Rechte der Betroffenen im Verfahren nen in den Jobcentern durch Mitarbeiterschulung, stärken sowie die Qualität behördlicher Entscheidungen Planungssicherheit durch unbefristete Beschäftigungs- und der Eingliederungsleistungen verbessern. Wir wol- verhältnisse und effiziente dezentrale Organisations- len Wunsch- und Wahlrechte bei den Leistungen zur strukturen. Dagegen sind die Vorschläge von Bundesar- Eingliederung einführen, damit die Instrumente indivi- beitsminister Scholz zur Reorganisation der Trägerschaft duell und passgenau genutzt werden können, statt die der Jobcenter, bei denen nur das Etikett „Zentren für Ar- Betroffenen in sinnlosen Qualifizierungs- und Beschäfti- beit und Grundsicherung (ZAG)“ neu ist, nicht geeignet, gungsmaßnahmen kreisen zu lassen. In unserem Antrag die organisierte Unverantwortlichkeit und das konflikt- „Rechte von Arbeitssuchenden stärken – Kompetentes reiche Nebeneinander von Kommunen und Bundesagen- Fallmanagement sicherstellen“ – Drucksache 16/9599 – tur für Arbeit in den Argen zu beseitigen. haben wir ausführlich dargelegt, wie wir uns dies im Einzelnen für die Arbeitslosengeld-II-Beziehenden vor- Auch die Forderungen der Linken zur Bekämpfung stellen. von verdeckter Armut sind nur begrenzt tauglich. Der Vorschlag, ein Verbandsklagerecht einzuführen, ergibt Die Linke fordert in ihrem Antrag, mit ungeeigneten keinen Sinn, da es beim Arbeitslosengeld II um die Mitteln die Beratungsinfrastruktur, nicht jedoch die Ver- Wahrnehmung subjektiver Ansprüche geht. Sinn und fahrensrechte der Betroffenen zu stärken. Wir stimmen Zweck eines Verbandsklagerechtes ist es, Dritten durch deshalb dem Antrag nicht zu. Verbände ein Klagerecht einzuräumen, wenn sie selbst kein subjektives Recht in Anspruch nehmen können, so zum Beispiel im Umweltrecht. Dies ist im Falle des Anlage 13 SGB II erkennbar nicht der Fall. Die Leistungsansprüche Zu Protokoll gegebene Reden sind subjektiv herleitbar und individuell klagefähig, so- dass es einer Verbandsklage nicht bedarf. zur Beratung: Die Linke spricht zu Recht die unzulängliche Bera- – Entwurf eines Gesetzes zur arbeitsmarkt- tung von Sozialleistungsbeziehenden in den Behörden adäquaten Steuerung der Zuwanderung (B) an. Doch liegt dies nicht an unzureichenden Gesetzes- Hochqualifizierter und zur Änderung weite- (D) vorgaben, sondern an der mangelnden Umsetzung des rer aufenthaltsrechtlicher Regelung (Ar- bestehenden Rechts. Deshalb sind Bund und Länder in beitsmigrationssteuerungsgesetz) der Pflicht, via Rechtsaufsicht ein korrektes Verwal- – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des tungshandeln, insbesondere die Einhaltung der Bera- Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der tungspflicht durchzusetzen und gleichzeitig die Rechts- Zuwanderung und zur Regelung des Aufent- schutzmöglichkeiten der Betroffenen auszubauen. Auch halts und der Integration von Unionsbür- die zentralstaatlichen Lösungen der Fraktion Die Linke, gern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) die eine Finanzierung des Bundes für Beratungseinrich- tungen vorsehen, sind der falsche Weg. Denn dies würde – Beschlussempfehlung und des Bericht: Zu- empfindlich die Unabhängigkeit der Beratungseinrich- wanderung durch ein Punktesystem steuern – tungen treffen. Grundsätzlich ist für uns Grüne eine un- Fachkräftemangel wirksam bekämpfen abhängige Beratung der richtige Weg. Unabhängige Be- ratungsstellen können zeitaufwendige Beratungen besser (Tagesordnungspunkt 27 a und b) durchführen als eine Behörde, und als Gegengewicht zur Verwaltung dienen. Bündnis 90/Die Grünen setzen auf Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Das Ar- Subsidiarität, auf die bereits bestehende unabhängige beitsmigrationssteuerungsgesetz setzt einen Teil der Beratungsstruktur und die Kompetenz vor Ort. Kommu- Maßnahmen um, die die Bundesregierung am 16. Juli nen verstehen es besser, zu organisieren und festzustel- 2008 im „Aktionsprogramm – Beitrag der Arbeitsmigra- len, welcher Beratungsbedarf besteht. Es ist Aufgabe der tion zur Sicherung der Fachkräftebasis in Deutschland“ Kommunalpolitik, in den Arbeitsgemeinschaften darauf beschlossen hat. Es geht im Wesentlichen um Änderun- hinzuwirken, dass eine Infrastruktur an Initiativen und gen des Aufenthaltsgesetzes. Die Bundesregierung will Beratungsstellen zur Verfügung steht und die entspre- mit diesem Gesetzentwurf einen Teil dazu beitragen, den chenden Mittel eingesetzt werden. Wir fordern in diesem Fachkräftebedarf in der deutschen Wirtschaft besser ab- Zusammenhang ausdrücklich die Finanzierungsverant- zudecken. Vor diesem Hintergrund hat sie vorgeschla- wortung der Länder und Kommunen für unabhängige gen, den Blick auch auf solche Ausländer zu richten, die Beratungsstellen ein und kritisieren den Rückzug der sich mit dem Status der Duldung im Inland aufhalten, Länder aus der Finanzierung. Ein besonders schlechtes ein gewisses Qualifikationsniveau besitzen und bereits Beispiel ist die CDU/FDP-Landesregierung in Nord- nachweislich gut in den Arbeitsmarkt integriert sind. rhein-Westfalen, die Ende September 2008 vollständig Solche Personen sollen, wenn sie bestimmte Vorausset- die Landesförderung der Arbeitslosenzentren abschaffte. zungen erfüllen, eine Aufenthaltsperspektive in Deutsch- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20173

(A) land erhalten können. Um es gleich vorweg ganz klar zu verantwortbar ist. Aus Sicht der Innenpolitiker der (C) sagen: Dieser Schritt ist ausländerrechtlich betrachtet al- Union ist das ein Schritt, den wir uns nicht leicht ge- les andere als eine Selbstverständlichkeit. Wir müssen macht haben. Wir glauben aber, dass mit der Beschäfti- uns bewusst sein, dass es sich bei diesem Personenkreis gungsdauer von drei Jahren, zu der noch das erste Jahr um Ausländer handelt, die an sich ausreisepflichtig sind hinzukommt, das verstreichen muss, bis ein Ausländer und die lediglich aus bestimmten rechtlichen oder tat- mit Duldungsstatus überhaupt einen Zugang zum Ar- sächlichen Gründen, die sie teilweise nicht selbst zu ver- beitsmarkt erhält, somit also mit einer Voraufenthaltszeit treten haben, nicht abgeschoben werden. Wir als CDU/ von vier Jahren, im Wesentlichen nur solche Personen CSU-Fraktion möchten dies an dieser Stelle ganz klar erfasst sind, bei denen eine Rückkehr in ihr Herkunfts- festhalten. land faktisch in den meisten Fällen ohnehin sehr un- wahrscheinlich ist. Die Tatsache, dass einige dieser Personen unter be- stimmten Voraussetzungen nun eine Aufenthaltserlaub- Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass die nis erhalten sollen, ist eine Neuerung und als wirkliche Ausländerbehörden und die Arbeitsagenturen die gesetz- Ausnahmeregelung zu verstehen. Es handelt sich dabei lichen Voraussetzungen, unter denen die Erteilung einer nicht um eine Bleiberechtsregelung aufgrund humanitä- Aufenthaltserlaubnis an einen Geduldeten in Betracht rer Erwägungen, sondern um eine Regelung im Interesse kommt, sehr genau im Blick haben. Die Verwaltung wird solcher Unternehmen, die seit längerer Zeit eine qualifi- vor allem prüfen müssen, ob der betroffene Arbeitneh- zierte und bewährte ausländische Fachkraft mit Dul- mer in dem Betrieb, in dem er tätig ist, tatsächlich eine dungsstatus beschäftigen und auf diese Fachkraft ange- seinem Abschluss angemessene, qualifizierte Beschäfti- wiesen sind. Diese Unternehmen – die gibt es in gung ausübt. Wir gehen davon aus, dass die Verwaltung München, Hamburg, Düsseldorf, aber auch in Altötting hier insbesondere auch konsequent überprüft, ob die und Burghausen – sollen eine bessere Planungssicherheit Entlohnung des Arbeitsnehmers derjenigen einer qualifi- erhalten, indem den betroffenen Arbeitnehmern eine zierten Fachkraft entspricht, und zwar während der ge- Aufenthaltsperspektive gegeben wird – nicht mehr und samten vorausgesetzten Vorbeschäftigungszeiten. Wir nicht weniger. Damit tragen wir der Tatsache Rechnung, denken, dass wir gerade mit der Erhöhung der notwendi- dass es zumindest in Teilen der deutschen Wirtschaft ei- gen Vorbeschäftigungsdauer bei den Fachkräften mit nen Bedarf an Fachkräften gibt, der nicht immer zeitnah qualifizierter Berufsausübung von zwei auf drei Jahre mit deutschen Arbeitnehmern oder EU-Bürgern gedeckt noch stärker betonen, dass wirklich nur qualifizierte werden kann. Hintergrund ist die positive wirtschaftliche Fachkräfte von der Regelung erfasst werden. Entwicklung, die wir in Deutschland zumindest in den Wir stellen außerdem konsequent sicher, dass von letzten Jahren hatten. diesen Regelungen keine Fehlanreize für einen Zuzug in (B) (D) Allerdings müssen wir die Konjunkturentwicklung die sozialen Sicherungssysteme ausgehen. Aus diesem der letzten Wochen und Monate selbstverständlich zur Grund verlangen wir mit unserem Änderungsantrag, Kenntnis nehmen. Möglicherweise wird die Debatte dass eine Fachkraft mit qualifizierter Berufsausbildung über den Fachkräftemangel in wenigen Monaten vor und Duldungsstatus zusätzlich zu der ununterbrochenen diesem Hintergrund ganz anders als noch vor kurzem Beschäftigungsdauer von drei Jahren innerhalb des letz- geführt werden. Wenn mit diesem Gesetz trotzdem be- ten Jahres zumindest weitgehend – das heißt nach dem stimmten Ausländern mit Duldungsstatus eine Aufent- Änderungsantrag: abgesehen von Zuschüssen für Unter- haltsperspektive eröffnet wird, dann muss man festhal- kunft und Heizung – nicht auf ergänzende Sozialleistun- ten: Wir stellen durch entsprechende Definition des gen angewiesen war. Personenkreises sicher, dass daraus keine Zuwanderung Abschließend halte ich zum Themenbereich der Ge- in die Sozialsysteme wird. Es geht nur um Fachkräfte, duldeten fest: Unter Abwägung des Für und Wider und also qualifizierte Arbeitnehmer mit Duldungsstatus, die insbesondere vor dem Hintergrund, dass nur solche Ge- bereits über einen längeren Zeitraum ununterbrochen im duldeten erfasst werden, die als Fachkräfte seit mehreren Inland beschäftigt waren. Diese Personen wurden somit Jahren in ihren Betrieben gebraucht werden, ist es ver- bereits über mehrere Jahre in ihrem Unternehmen ge- tretbar, unter den hier eng definierten Voraussetzungen braucht und werden auch weiterhin gebraucht. Das Inte- eine Aufenthaltsperspektive zu eröffnen. resse des Unternehmens, solche Leute weiterzubeschäf- tigen, ist verständlich. Nur deshalb ist es verantwortbar, Ich betone es noch einmal: Uns als Union geht es bei diesen an sich ausreisepflichtigen Personen einen gefes- dieser Regelung darum, den Unternehmen in Deutsch- tigteren Aufenthalt im Inland zu ermöglichen. land in Fällen eines konkreten Bedarfs an Fachkräften zu helfen. Es geht nicht um eine Aufenthaltsregelung mit Wir haben uns in der Großen Koalition im parlamen- einem wie auch immer gearteten humanitären Hinter- tarischen Verfahren verständigt, bei den Fachkräften mit grund. Daran sollte niemand – auch nicht bei den Kolle- qualifizierter Berufsausbildung die notwendige Dauer gen von der SPD – zweifeln. der ununterbrochenen Vorbeschäftigung noch einmal von zwei auf drei Jahre anzuheben. Wir wollen damit Ein weiterer Schritt, zu dem wir uns in diesem Gesetz noch besser sicherstellen, dass Missbrauchspotenzialen entschlossen haben, ist die Absenkung der Mindestver- und Pull-Effekten ein Riegel vorgeschoben wird. Dies ist dienstschwelle für die Erteilung einer Niederlassungser- für uns als CDU/CSU eine entscheidende Vorausset- laubnis an einen hoch qualifizierten Ausländer. Ich er- zung, die erfüllt werden muss, damit die Gewährung ei- laube mir an dieser Stelle – wie schon bei der ersten ner Aufenthaltserlaubnis an einen Geduldeten überhaupt Lesung dieses Gesetzentwurfs – wieder den Hinweis, 20174 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) dass ich die Heftigkeit der öffentlichen Diskussion über tragen, dass Missbrauch bekämpft wird. Durch die Er- (C) die Verdienstschwelle für überzogen halte. Ich glaube gänzung des § 55 Aufenthaltsgesetz wird ein zusätzli- nicht, dass diese Verdienstschwelle von bislang cher Ausweisungstatbestand eingeführt, der mit der Ab- 86 400 Euro bislang eine unüberwindbare Hürde für die senkung des Mindestverdienstes für die Erteilung einer Gewinnung von hoch qualifizierten Kräften aus dem Niederlassungserlaubnis an Hochqualifizierte zusam- Ausland war. Denn es gab und es gibt auch unterhalb menhängt. Denn diese Absenkung birgt natürlich auch dieser Schwelle eine Reihe von Möglichkeiten, eine of- ein Missbrauchspotenzial. Wenn ein Ausländer seinen fene Stelle auch mit einer Fachkraft aus dem Ausland zu Arbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsvertrages über besetzen. Gleichwohl mag eine Absenkung dieser seine Qualifikation oder seine Berufserfahrung täuscht Schwelle auf derzeit 63 600 Euro vertretbar sein. Ich bin und dieser Arbeitsvertrag die Grundlage dafür ist, dass aber davon überzeugt: Wichtiger als diese oder jene Ge- er ein Einreisevisum oder eine Niederlassungserlaubnis haltsschwelle ist die Frage, was deutsche Unternehmen erhält, dann muss die Ausländerbehörde darauf zumin- für wirkliche Spitzenkräfte zu bezahlen bereit sind. dest reagieren können. Deshalb erhält die Ausländerbe- Wenn ein Unternehmen einen Arbeitsplatz, für den ganz hörde die Möglichkeit, im Wege einer Ermessensent- spezielle Kenntnisse notwendig sind, mit einem Bewer- scheidung darüber zu befinden, ob der Aufenthalt zu ber aus dem Inland nicht besetzen kann und deshalb ei- beenden ist. Durch die Gestaltung als Ermessensauswei- nen Spezialisten aus dem Ausland benötigt, dann sollte sungstatbestand können auch etwaige Interessen des Ar- es diesen auch anständig bezahlen. Es sind nicht zuletzt beitgebers berücksichtigt werden. Denn es ist – wenn die Verdienstmöglichkeiten, die viele Hochqualifizierte auch meines Erachtens nicht unbedingt wahrscheinlich – in den letzten Jahren motiviert haben, vielleicht eher in jedenfalls nicht ganz undenkbar, dass der Arbeitgeber die USA oder auch in eines unserer Nachbarländer als zu trotz einer solchen Täuschung so überzeugt von seinem einem Unternehmen nach Deutschland zu gehen. Des- Arbeitnehmer ist, dass er bereit ist, diesem auch weiter- halb denke ich: Nur wer einer Spitzenkraft auch attrak- hin ein Gehalt in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze tive Arbeitsbedingungen und eine angemessene Entloh- der gesetzlichen Rentenversicherung zu bezahlen. nung anbietet, wird im globalisierten Wettstreit um die sogenannten High Potentials eine Chance haben. Der Zu dem Antrag der FDP-Fraktion, die Zuwanderung Gesetzgeber kann in dieser Frage nur begrenzt Einfluss durch ein Punktesystem zu regeln, haben der Kollege nehmen. Deshalb greifen die weitgehend eindimensio- Reinhard Grindel und ich schon am 29. Mai bei der ers- nale Ausrichtung der Diskussion auf die Verdienstschwelle ten Beratung dieses Antrags das Nötige gesagt. Sie ken- oder der Ruf mancher Unternehmen nach pauschalen, nen deshalb die Position der CDU/CSU-Fraktion. Das möglichst starken Lockerungen des Arbeitsmarktzu- Kernargument der FDP ist, dass man mit einem Punkte- gangs für Ausländer zu kurz. system gewissermaßen punktgenau eine Zuwanderung (B) ermöglichen könnte, die den Bedürfnissen des Arbeits- (D) Aus Sicht der Union müssen oberste Priorität – in je- marktes gerecht wird. Das halte ich für einen Irrglauben. der konjunkturellen Entwicklung – die gute Ausbildung Aus Sicht der Union muss es dabei bleiben: Eine Zuwan- und Qualifizierung der Menschen im Inland haben. Das derung auf den Arbeitsmarkt kommt nur in Betracht, bleibt auch mit diesem Gesetz so. Wir müssen das Fach- wenn im konkreten Fall ein Arbeitsplatzangebot vor- kräftepotenzial im Inland erschließen, bevor wir nach liegt. Jedes andere – wie auch immer im Detail gearte- Zuwanderung rufen. Ich bin davon überzeugt, dass weite te – System, das auf diese Voraussetzung verzichtet, pro- Teile des inländischen Fachkräftebedarfs durch das Ar- voziert Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme. beitskräftepotenzial im Inland gedeckt werden können. Auch das Argument, wonach der Zugang für Auslän- Wer dagegen bei guten Auftragslagen nur nach aus- der zum Arbeitsmarkt unterhalb der Gehaltsschwelle für ländischen Arbeitskräften ruft, muss die Frage beant- die Niederlassungserlaubnis weitgehend versperrt wäre, worten, was mit diesen Menschen geschehen soll, wenn stimmt eindeutig nicht. Allein im Jahr 2007 wurden rund einmal die Auftragsbücher nicht so voll sind. Diese 63 000 Arbeitserlaubnisse für ausländische Arbeitneh- Frage haben wir als CDU/CSU-Fraktion an allererster mer erteilt. Es stimmt auch nicht, dass nach geltendem Stelle im Blick. Deshalb gilt für uns: Qualifizierung geht Recht immer und stets die Vorrangprüfung zur Anwen- vor Zuwanderung. Der Gesetzgeber darf bei der Frage dung kommen müsste. Richtig ist stattdessen: Die Bun- des Fachkräftebedarfs nicht nur kurzfristig denken, son- desagentur für Arbeit kann schon auf Grundlage des gel- dern muss die gesamtwirtschaftlichen mittel- und lang- tenden Rechts den Zugang zum Arbeitsmarkt für fristigen Auswirkungen eines Zuzugs ausländischer einzelne Berufsgruppen und regionale Wirtschaftszweige Arbeitskräfte im Blick haben. Die konjunkturelle Ent- auch ohne die sogenannte Vorrangprüfung ermöglichen, wicklung hat sich in den letzten Monaten sehr deutlich wenn es im konkreten Fall arbeitsmarkt- und integra- eingetrübt. Dehalb gilt bei allen Schritten, die auf einen tionspolitisch verantwortbar ist. Bei diesem Rahmen Zugang zum Arbeitsmarkt aus dem Ausland gerichtet müssen wir bleiben. sind: Es darf daraus kein Zuzug in die sozialen Siche- rungssysteme werden. Aus diesem Grunde haben wir ge- Aus diesem Grunde lehnen wir die Vorschläge der rade auch den vorliegenden Gesetzentwurf im Bereich FDP ab. der Geduldeten noch einmal so nachjustiert, wie ich es beschrieben habe. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält im Übrigen auch eine Regelung zur Entfristung des § 23 a Ich lege weiter Wert darauf, dass wir auch im Bereich Aufenthaltsgesetz. Damit können die Bundesländer auch der Erteilung der Niederlassungserlaubnis Sorge dafür weiterhin Härtefallkommissionen für das Aufenthalts- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20175

(A) recht bilden. Der entsprechende Gesetzentwurf der FDP, die gemeinsam zum 1. Januar 2009 in Kraft treten sollen. (C) der hier noch zur Abstimmung steht, hat sich deshalb da- Das vorliegende Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz de- mit erledigt. finiert die maßgeblichen Neuerungen: Abschließend möchte ich betonen: Mit dem heute zur Erstens. Wir senken die Einkommensgrenze für Abstimmung stehenden Gesetz wollen wir die Unterneh- Hochqualifizierte. Wie ich ja bereits in der ersten Lesung men in Deutschland unterstützen, die Fachkräfte benöti- ausführen konnte, wird die Mindesteinkommensgrenze gen. Es enthält verantwortbare Schritte mit Augenmaß für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis an Hoch- und für konkrete Fälle, in denen qualifizierte ausländi- qualifizierte von dem Doppelten der Beitragsbemes- sche Arbeitnehmer mit Duldungsstatus gut in den deut- sungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung (der- schen Arbeitsmarkt integriert sind. Es handelt sich um zeit 43 200 Euro mal zwei = 86 400 Euro) auf die eine speziell zugeschnittene Lösung für Unternehmen, Beitragsbemessungsgrenze (West) der allgemeinen Ren- die auf diese Arbeitnehmer angewiesen sind. Deshalb tenversicherung in Höhe von derzeit 63 600 Euro ge- und nur deshalb ist es vertretbar, einem Geduldeten in senkt. Neben der Frage, wie wir die Zuwanderung von diesem speziellen Fall eine Aufenthaltserlaubnis zu er- derart Hochqualifizierten stimulieren und Anreize setzen teilen. Analogien zu diesem Fall oder Rufe nach weiter- können, richtet sich der Blick des AMSG richtigerweise gehenden Bleiberechten für Personen mit Duldungssta- aber auch auf das im Bundesgebiet ruhende Potenzial: tus kommen für uns nicht in Betracht. auf diejenigen, die noch keinen verfestigten Aufenthalts- status innehaben, aber aufgrund der Situation in ihrem Dieses Gesetz setzt deshalb auf punktgenaue, bedarfs- Herkunftsstaat, nicht zwangsweise aus Deutschland ab- gerechte Lösungen und vermeidet pauschale Schritte zur geschoben werden können. Öffnung des Arbeitsmarkzugangs nach dem Motto „Öff- net die Schranken“. Es bleibt abzuwarten, inwieweit bei Wir führen daher zweitens eine Statusverbesserung einer sich offenbar abkühlenden Konjunktur die Diskus- für sogenannte Bildungsinländer und Bildungsinlände- sion über den Fachkräftemangel, vor allem vonseiten der rinnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus ein. Mit dem Wirtschaft, auch weiterhin mit dem gleichen Eifer wie AMSG können wir beruflich gut qualifizierten Gedulde- noch vor wenigen Monaten weitergeführt werden wird. ten, die ihre Ausbildung in Deutschland erfolgreich ab- Ich denke aber, das vorliegende Gesetz gibt der Wirt- geschlossen haben, und Geduldeten, die sich aufgrund schaft ein klares Signal, dass wir als Große Koalition ihrer bereits im Herkunftsland erworbenen Qualifika- dort, wo es einen legitimen Bedarf für die Beschäftigung tionen am Arbeitsmarkt bewährt haben, eine Aufent- einer ausländischen Fachkraft gibt, offen für pragmati- haltsperspektive bieten und damit das durch die Bleibe- sche Lösungen sind, die die legitimen Interessen der rechtsregelung der IMK vom 17. November 2006 und die gesetzliche Altfallregelung in §§ 104 a, 104 b AufenthG (B) Wirtschaft berücksichtigen. (D) entstandene Bild komplettieren. Wir erfassen dabei drei Personengruppen: zunächst Geduldete, die erfolgreich in Rüdiger Veit (SPD): Den Rahmen für die heutige Debatte gibt das Aktionsprogramm der Bundesregierung Deutschland eine Berufsausbildung absolviert oder stu- diert haben, sodann geduldete Hochschulabsolventen zur Sicherung der Fachkräftebasis in Deutschland vom und -absolventinnen, deren ausländischer Studienab- 16. Juli 2008 vor. Im wiederum hierfür den Vorlauf dar- stellenden Beschluss, der anlässlich der Kabinettklausur schluss in Deutschland anerkannt ist oder mit einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbar ist, und die in Meseberg im Juli 2007 gefasst wurde, heißt es: „Wir zwei Jahre lang eine dem Abschluss angemessene Be- wollen eine arbeitsmarktadäquate Steuerung der Zuwan- derung hochqualifizierter Fachkräfte vorsehen und die schäftigung ausgeübt haben und schließlich geduldete Fachkräfte, die drei Jahre lang in einer qualifizierten Be- Position unseres Landes im Wettbewerb um die Besten schäftigung tätig waren und die im letzten Jahr vor der stärken.“ Antragstellung nicht auf öffentliche Mittel für die Siche- Und nun haben wir das Arbeitsmigrationssteuerungs- rung des Lebensunterhalts angewiesen waren. gesetz. Der Titel vermittelt hehre Ziele, aber auch her- Für die letztgenannte Gruppe ist von Beachtung, dass metische Zwecke. Die Regelung der arbeitsbedingten der Bezug von Mitteln zur Deckung der notwendigen Zuwanderung und die zielgenaue Öffnung des heimi- Kosten für die Unterkunft beziehungsweise Wohngeld schen Arbeitsmarkts sind wichtige Aspekte für unser unschädlich ist. Auch wird hinsichtlich der dreijährigen wirtschaftliches Wohlergehen. Wer etwas steuern will, Vorbeschäftigung in den Verwaltungsvorschriften klar- muss sich auch im Klaren darüber sein, wie kurz die gestellt, dass kurzfristige Unterbrechungen der Erwerbs- Leine gefasst wird. Ich möchte daher das ambitionierte tätigkeit von bis zu drei Monaten irrelevant sind. Ziel des vorgenannten Arbeitsprogramms zu Beginn meiner Rede hervorheben: eine Öffnung und Verbesse- Hinsichtlich der zweiten Gruppe ist angesichts der rung des Arbeitsmarktzugangs für Hochqualifizierte und Problematik, die zunehmend unter dem Gesichtspunkt Fachkräfte in Deutschland. Dabei ist mir klar, dass wir der Verschwendung von geistigen Ressourcen diskutiert noch nicht am optimalen Ende des Weges sind; aller- wird, die Öffnung für Geduldete mit einem dem deut- dings haben wir mit den Schritten, die wir nun im schen Abschluss vergleichbaren ausländischen Hoch- ASMG unternehmen, einen guten Teil der Strecke ge- schulabschluss von einiger Bedeutung. macht. Ergänzend möchte ich darauf hinweisen, dass weitere Im Einzelnen: Das zuwanderungspolitische Paket des maßgebliche Maßnahmen durch Verordnung geregelt Aktionsprogramms enthält ein Bündel von Maßnahmen, werden; von Interesse ist dabei insbesondere die Rege- 20176 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) lung eines erleichterten Zugangs zu einer Ausbildung für Einkommensgrenzen sind Hürden, die dem Hochtechno- (C) Geduldete, die nach den allgemeinen Regelungen noch logiestandort Deutschland insgesamt und unserem Mit- keinen gleichrangigen Arbeitsmarktzugang besitzen. telstand schaden. Vor allem aber werden die wenigen Eine Veränderung des Status als Geduldete ist hiermit und unzureichenden Verbesserungen konterkariert durch während der Ausbildung noch nicht verbunden. Die Ver- eine geradezu reaktionäre Politik im Bereich der Arbeit- ordnungsregelung verbessert aber die Stellung auf dem nehmerfreizügigkeit in der EU. Ausbildungsmarkt erheblich. Nach erfolgreicher Ausbil- dung erfolgt diese jedoch über den neuen § 18 a Abs. 1 Eine weitere Beschränkung der EU-Arbeitnehmer- Nr. 1 a) AufenthG. freizügigkeit für Arbeitnehmer aus neu beigetretenen Mitgliedstaaten in der Bundesrepublik Deutschland ist Daran anknüpfend möchte ich noch einen Aspekt her- kontraproduktiv. Die Bundesregierung muss von ihrem vorheben, der mir am AMSG neben der Einbettung in Vorhaben dringend ablassen, bei der EU-Kommission das Aktionsprogramm wichtig war: Im parlamentari- eine erneute Verlängerung der Einschränkung bis 2011 schen Verfahren haben wir den ursprünglichen Gesetzent- anzumelden. Wieso differenzieren Sie für diesen kurzen wurf durch die Einbeziehung von Änderungen der für die Zeitraum von zwei Jahren nochmals nach Akademikern Ausbildungsförderung maßgeblichen Gesetze SGB III und anderen? Das schafft Bürokratie bei Unternehmen, und BAföG sinnvoll ergänzt. Die durch das Aktionspro- Unsicherheit bei den Arbeitnehmern, das schafft Unver- gramm initiierten Verbesserungen des Ausbildungszu- ständnis bei unseren Nachbarn. Vielmehr ist die Öffnung gangs für Geduldete werden nun im Ausbildungsförde- des deutschen Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer aus den rungsrecht gespiegelt, so dass Geduldete, die eine neuen EU-Staaten erforderlich. Ausbildungsstelle bekommen und damit allein nicht ih- ren Lebensunterhalt sichern können, nicht auf die Aus- Die Zukunft unseres Landes hängt davon ab, dass wir bildung verzichten müssen. Sie können nunmehr, wenn uns weiterentwickeln können und die entsprechenden sie einen vierjährigen ununterbrochenen Aufenthalt in Kapazitäten hierfür haben. Gerade dann, wenn es kon- Deutschland nachweisen, die Förderung beantragen. junkturelle Schwierigkeiten gibt, brauchen wir Innova- Ohne die Möglichkeit der Ausbildungsförderung wäre tionen, Forschung und Entwicklung, und das geht nur der verbesserte Zugang für Geduldete in betriebliche mit Hochqualifizierten und Fachkräften. Dazu müssen Ausbildung oder Studium eine leere Hülse geblieben. wir das Problem des Fachkräftemangels dringend behe- Mit der Aufnahme der Regelungen zur Ausbildungsför- ben. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind sich derung von Geduldeten beweist das AMSG jedoch, dass einig, dass der stärkere Zuzug von Fachkräften nach hinsichtlich des Angebots zur Statusverbesserung keine Deutschland über ein Punktesystem ein Beitrag zur Be- halben Sachen gemacht werden. kämpfung der Arbeitslosigkeit bei uns ist. Denn der Ein- (B) satz jeder weiteren Fachkraft zieht weitere Arbeitsplätze (D) Schließlich ist hier die Entfristung der Härtefallrege- nach sich. Jede neue Entwicklung stärkt die Unterneh- lung zu nennen, die zu den eindeutigen Pluspunkten men in Deutschland. dieses Gesetzes zählt. Denn mittlerweile haben alle Bun- desländer Härtefallkommissionen geschaffen, die natür- Gebraucht werden nicht nur Hochqualifizierte, wie es lich nicht alle gleich arbeiten. Im Großens und Ganzen die Bundesregierung teilweise vorsieht, sondern auch wird jedoch das gute Wirken der Härtefallkommissionen Facharbeiter und Saisonarbeitskräfte. In der Landwirt- nicht bestritten. Und daran sollten wir festhalten. schaft beispielsweise trifft die weitere bürokratische Ver- schiebung der Geltung der Arbeitnehmerfreizügigkeit Insgesamt kann man das AMSG also als den berühm- auf komplettes Unverständnis. Die Bundesregierung be- ten Schritt in die richtige Richtung bewerten. In diesem dient hier lediglich ungerechtfertigte Ängste. Die Erfah- Sinne steht die SPD-Bundestagsfraktion weiteren aus- rungen aus den anderen EU-Staaten zeigen, dass eine länderrechtlichen Gesetzgebungsvorhaben im Bereich überbordende Zuwanderung auf den deutschen Arbeits- der Arbeitsmigration aufgeschlossen gegenüber. markt nicht erfolgen wird. Hier wäre die Bundesregie- rung in der Pflicht, die Bevölkerung wahrheitsgetreu Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Der vorliegende aufzuklären, anstatt die Angstmache durch Verlängerung Gesetzentwurf zur Steuerung der Arbeitsmigration bleibt der Dauer der Übergangsregelungen zu verstärken. auch nach Ausschussberatungen und in letzter Minute gestrickten Änderungen der Koalition weit hinter sachli- Ohne ein einheitliches System droht Deutschland, den chen Erfordernissen und dem Diskussionsstand zurück. Wettbewerb um die klügsten Köpfe zu verlieren. Aber Die vorgesehene Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes anstatt die bewusste Gestaltung dieser Politik beherzt in für Akademiker aus allen EU-Staaten, die Senkung der die eigenen Hände zu nehmen, wird der Schwarze Peter Mindesteinkommensgrenze und der vereinzelte Verzicht der EU zugeschoben: Die grundsätzliche Idee mit der auf die Vorrangprüfung sind Minimalschritte. Sie sind Blue Card entbindet uns jedoch nicht davon, unsere entschieden zu kurz gesprungen. Die Absenkung der Hausaufgaben zu machen. Die nationalen Arbeitsmärkte Mindesteinkommen geht nicht weit genug. divergieren stark. Die deutsche Regierung muss sich selbst an die Arbeit machen. Die grundsätzliche Beibehaltung der bürokratischen Vorrangprüfung für Hochqualifizierte bleibt eine Belas- Die FDP hat die Aufhebung der Befristung der Härte- tung besonders für den Mittelstand. Wie sollen gerade fallkommissionen gefordert. Ich begrüße es nachdrück- klein- und mittelständische Unternehmen so ihre Perso- lich, dass sich die Bundesregierung diesen Vorschlag nalplanung betreiben? Auch die nach wie vor zu hohen jetzt zu eigen gemacht hat. Die Kommissionen sind ein Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20177

(A) erfolgreiches Instrument für kritische Prüfung migra- Messlatte angelegt, als bei der Erteilung einer Aufent- (C) tionspolitischer Maßnahmen. haltserlaubnis nach der Altfallregelung. Die demografische Entwicklung lässt erwarten, dass Die Linke hat die gesetzliche Altfallregelung gerade wir mittelfristig den wirtschaftlichen Standard nicht auch wegen deren Ausschlussgründe kritisiert. Die Er- mehr werden halten können, wenn wir uns nicht für qua- fahrungen haben diese Kritik bestätigt. Die Handhabung lifizierte Zuwanderung öffnen. Das Gegenmodell zur res- der Altfallregelung erfolgt in den einzelnen Bundeslän- triktiven Politik von CDU/CSU und SPD hat die FDP dern teilweise sehr unterschiedlich. Dies gilt etwa für die vorgelegt: Wir brauchen ein Punktesystem, das die Zu- Anwendung der Kriterien „ausreichender Wohnraum“ wanderung nach klaren Kriterien steuert und auch unsere und “eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes“. Interessen und Erwartungen an die Zuwanderer klar de- Nun sind aber genau diese von uns abgelehnten Aus- finiert. Dabei spielen vor allem die Qualifikation, die be- schussgründe nahezu identisch in die Regelung zur Ar- rufliche Erfahrung, das Alter und die Kenntnisse der beitsmarktsteuerung übernommen worden. Auch hier deutschen Sprache eine große Rolle. wird soziale Selektion groß geschrieben. Ziel der Rege- lungen – so die Begründung im Änderungsantrag der Entscheidend ist: Wen wollen wir nach Deutschland Regierungsfraktionen – ist, dass kein „Anreiz für einen einladen? Wer kann unsere Gesellschaft weiterbringen? gezielten Zuzug von Ausländern nach Deutschland“ ge- Für diese brauchen wir eine Willkommenskultur, die es schaffen wird, um „hier geduldet zu werden“. Was hier für Hochqualifizierte und Fachkräfte aus dem Ausland also als großer humanitärer Akt der Bundesregierung leichter macht, sich für Deutschland zu entscheiden. propagiert wird, wird praktisch kaum Auswirkungen ha- ben. Insgesamt wird die Anzahl der Geduldeten, die von Die Bundesregierung will steuern, aber sie steuert mit dem neuen Aufenthaltstitel profitierten können, sehr ge- stotterndem Motor auf Zickzackkurs. Deutschland ring sein. braucht nicht das angstgeleitete zuwanderungspolitische Stückwerk von CDU/CSU und SPD, sondern eine mo- Und genau darum geht es im Grundsatz in der Migra- derne, klare, nachvollziehbare Zuwanderungssteuerung tions- und Flüchtlingspolitik der Bundesregeierung im aus einem Guss. Allgemeinen und im Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz im Konkreten. Es geht um Auslese und rassistischen Hierarchisierung. Migrantinnen und Migranten werden Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Die Zeit der parla- jeweils abgestuft soziale und politische Rechte verwei- mentarischen Beratung hat die Bundesregierung leider gert bzw. zugestanden. Und dies erfolgt entlang der Be- nicht genutzt, die Kritik – nicht nur der Opposition, son- dürfnisse der deutschen Wirtschaft, des Standortnationa- dern auch von verschiedenen Verbänden – zu nutzen, um lismus und der Arbeitsmärkte. Die Linke hat diesen (B) substantielle Verbesserungen für Migrantinnen und Mi- (D) Nützlichkeitsrassismus der bundesdeutschen Zuwande- granten sowie in der BRD lebende Menschen mit Dul- rungsgesetzgebung und -politik immer kritisiert. dung zu schaffen. Das Arbeitsmigrationssteuerungsge- setz hätte anstelle seiner einseitigen Konzentration auf „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“. So oder die Interessenlage der deutschen Wirtschaft unter ande- ähnlich muss wohl die Migrationspolitik der Bundesre- rem die Gelegenheit geboten, die Härten der Bleibe- gierung zu beschreiben. Allerdings geht es dabei weni- rechtsregelung abzumildern. Das tut es aber nicht. Für ger um eine Zerreißprobe zwischen hellen und dunklen die hier lebenden geduldeten Menschen wird zwar mit Mächten. Vielmehr kann sich die Bundesregierung nicht § 18 a ein neuer Aufenthaltstitel in das Aufenthaltsge- zwischen den Forderungen der deutschen Wirtschaft und setz, AufenthG, eingeführt. Doch selbst hier hat sich die deren Profitstreben einerseits und ihrem deutschnationa- Bundesregierung nicht durchringen können, ihren groß- len und völkischen Homogenisierungsnostalgie anderer- spurigen Worten von Integration auch mal Taten folgen seits entscheiden. Deutlich wird dies nicht nur darin, zu lassen. Die Zeit ihres Asylverfahrens soll nicht ange- dass sie gegenüber den aus ihrer Sicht nützlichen Hoch- rechnet werden. Ihnen wird sogar im Vergleich zu Inha- qualifizierten kulanter ist als gegenüber den lange in der berinnen und Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis aus BRD lebenden Geduldeten, denen mit zahlreichen Res- humanitären Gründen die Verfestigung des Aufenthalts triktionen das Leben erschwert wird. erschwert. Hinzu kommt, dass selbst diese Regelung le- diglich eine Ermessensregelung ist. Denn auch sonst Deutlich wird dies eben auch in ihrer Politik gegen- bleibt sich die Bundesregierung hinsichtlich ihrer Diskri- über den Interessen der deutschen Wirtschaft. So wird minierungspolitik treu. Es bleibt bei den arbeitserlaubnis- zwar die Mindestgehaltsgrenze in § 19 AufenthG Abs. 2 rechtlichen, leistungsrechtlichen sowie gegebenenfalls Nr. 3 von 86 400 auf 63 600 Euro Jahresgehalt gesenkt. auch residenzpflichttechnischen faktischen Arbeits-, Aus- Natürlich wurden gleichzeitig neue Widerrufsmöglich- bildungs- und Studierverboten. Die im Heimatland er- keiten innerhalb der ersten fünf Jahre eingeführt. Dem worbenen Qualifikationen werden nach wie vor nicht Bundesrat geht die Absenkung der Mindestgehalts- oder nur teilweise anerkannt. grenze nicht weit genug, wie der Presseerklärung „Deut- lichere Akzente bei der Arbeitsmigration“ vom 10. Ok- In § 18 a AufenthG sind die Ausschlussgründe der tober 2008 zu entnehmen ist. Aus seiner Sicht bleibt Altfallregelung nach § 104 a AufenthG übernommen Fachkräften aus mittelständischen Unternehmen der Zu- bzw. hinsichtlich notwendiger Kenntnisse der deutschen gang zum Arbeitsmarkt verschlossen. Kritisiert wird Sprache gar verschärft worden. Gefordert wird Sprach- vom Bundesrat auch, dass keine Absenkung der Mindest- niveau B 1. Damit wird in diesen Fällen eine höhere investitionssumme für Selbstständige vorgesehen ist. 20178 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) Um dies noch einmal ganz deutlich zu sagen: Die tefallregelung geheilt werden. Das betrifft vor allem (C) Linke befürwortet sehr wohl, dass Menschen in die Bun- auch die mehr als dürftige Bleiberechtsregelung. desrepublik kommen können. Auch, um hier zu arbeiten. Wir lassen aber nicht zu, dass hoch qualifizierte gegen Schlimm genug also, dass es überhaupt einer Härte- gering qualifizierte Arbeitsmigrantinnen und -migranten, fallregelung bedarf. Aber diese stellt eben kein sonderli- Arbeitsmigrantinnen und -migranten gegen Flüchtlinge, ches Ruhmesblatt dar. Nicht nur, weil es nicht einmal Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge gegen eine verbindliche Verpflichtung zur Einrichtung einer „Deutsche“, Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger Härtefallkommission auf Länderebene gibt. Nein, es gegen Arbeitslose, Frauen gegen Männer, Ossis gegen bleibt letztlich der obersten Landesbehörde überlassen, Wessis, Kinderlose gegen Eltern bzw. Familien, Alt ge- ob sie dem Votum der Kommission folgt und einen Auf- gen Jung ausgespielt wurden. Doch die Bundesregierung enthaltstitel erteilt. Auch die Entfristung ist letztlich will genau dies. Sie tut alles, um im Interesse der deut- nicht bindend. Die Möglichkeit, die eingerichteten Här- schen Wirtschaft billige, flexible und vor allem fügsame tefallkommissionen wieder abzuschaffen bleibt unbe- Arbeitsmigrantinnen und -migranten zu sichern. Sie tut rührt. alles, um im kapitalistischen Interesse, Niedriglohnjobs Die Linke hat immer gefordert, dass es bundesrecht- auszuweiten und die Konkurrenz zwischen Migrantinnen lich verbindliche Vorgaben geben muss. Die Linke lehnt und Migranten mit den ansässigen Einwohnerinnen und das vorgelegte Arbeitsmigratiossteuerungsgesetz ab. Wir Einwohnern zu verschärfen. können keinen Regelungen zustimmen, die einem Kon- Sie nimmt wissentlich und gezielt in Kauf, dass quali- zept Rechnung zu tragen, in der BRD lebende Dritt- fizierte Migrantinnen und Migranten in der Regel unqua- staatsangehörige gegenüber erwünschten Hochqualifi- lifizierten Tätigkeiten nachgehen müssen. Die Integra- zierten weiterhin zu diskriminieren. Die Linke fordert, tionsbeauftragte Böhmer lamentiert zwar im Focus vom dass das Aufenthaltsrecht vom konkreten Arbeitsplatz unabhängig sein muss. Tatsächliche Verbesserungen in 28. Oktober 2008 von „dringendstem Handlungsbedarf“ der Migrationspolitik wären die Ratifizierung der Inter- und sie wolle den „Anerkennungsdschungel lichten“. nationalen Konvention der Vereinten Nationen zum Gleiches in ihrer Presseerklärung vom 8. Mai 2008 zur Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Vorstellung der Studie „Brain Waste“. Da stellt sie fest: Familienangehörigen und die Einführung von Mindest- „Notwendig seien transparente, bundesweit vergleich- standards für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ob bare und zügige Verfahren zur Anerkennung von im sie nun aus Deutschland kommen oder aus anderen EU- Ausland erworbenen Qualifikationen. Darauf sollten Ländern oder Drittstaaten. Die Bundesregierung muss künftig alle Zugewanderten einen Anspruch haben.“ endlich dafür sorgen, dass unter gleichen Arbeitsbedin- (B) Wir haben mit unserem Antrag „Für eine erleichterte gungen am gleichen Ort und für die gleiche Arbeit auch (D) Anerkennung von im Ausland erworbenen Schul-, Bil- der gleiche Lohn gezahlt wird. Es muss endlich ein ge- dungs- und Berufsabschlüssen“, Drucksache 16/7109, setzlicher Mindestlohn eingeführt werden, damit Be- die Situation der circa eine halbe Million eingewander- schäftigte nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden ten Akademikerinnen und Akademiker verbessern wol- können. Das Arbeitserlaubnisrechts muss endlich abge- len. Wir fordern die Entwicklung und Finanzierung eines schafft, Fortbildungsmaßnahmen für arbeitslose Akade- Konzepts für eine bundeseinheitliche, vereinfachte und mikerinnen und Akademiker gewährleistet und ausländi- beschleunigte Anerkennung von im Ausland erworbenen sche Bildungsabschlüsse anerkannt werden, wie das Die Schul-, Berufs- und Hochschulabschlüssen und machen Linke in den Anträgen auf den Drucksachen 16/4907, zahlreiche konkrete Vorschläge, etwa zur Teilanerken- 16/3912, 16/7109 und im Gesetzentwurf 16/369 gefor- nung und Ergänzungsqualifizierung, zu vereinfachten dert hat. Solchen gesetzlichen Regelungen kann dann praktischen Anerkennungsverfahren, zu vereinfachten auch Die Linke zustimmen. Abschlussprüfungen usw. Doch Frau Böhmer und die Bundesregierung lehnen unseren Antrag aber ab. Ge- Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nauso haben sie einen uneingeschränkten Arbeitsmarkt- NEN): Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche zugang für Asylsuchenden und Geduldeten, wie wir ihn Zusammenarbeit und Entwicklung, gelangte im Septem- in unserem Antrag Drucksache 16/4907 forderten, abge- ber dieses Jahres in ihrem „International Migration Out- lehnt. look“ zu ernüchternden Feststellungen. Erstens. Nach Deutschland wandern immer weniger Ausländer ein – Die Linke ist für Arbeit, die ein Auskommen garan- ein maßgeblicher Grund, weswegen hierzulande die Er- tiert, und für gleiche Rechte für alle; sie ist gegen Lohn- werbsbevölkerung besonders stark abnimmt. Zweitens. dumping, das die Bundesregierung zu verschärfen ver- Auf Grundlage der Hochqualifiziertenregelung des Zu- sucht. Dass bei der Bundesregierung Humanität unter wanderungsgesetzes kamen in den letzten beiden Jahren Nützlichkeitserwägungen bzw. -vorbehalt steht, zeigt gerade einmal 900 Fachkräfte nach Deutschland. Drit- auch, dass sie sich hinsichtlich der Härtefallregelung le- tens. Und schließlich ist gerade bei der Gruppe der Hoch- diglich zu einer Entfristung durchringen konnte. Grund- qualifizierten die Abwanderungsquote aus Deutschland sätzlich ist diese natürlich ersteinmal zu begrüßen. Ich besonders hoch. will es aber der Bundesregierung nicht ersparen, hier eines noch mal klar zu stellen: Die Bundesregierung ist Die Maßnahmen der Großen Koalition gegen diesen es, die mit ihrer restriktiven Migrations- und Flücht- Trend sind halbherzig. Dies gilt zum Beispiel im Hin- lingspolitik erst die Härtefälle schafft, die über die Här- blick auf die Mindesteinkommensgrenze für Hochquali- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20179

(A) fizierte oder die Mindestinvestitionssumme für Selbst- Deutschland hat bereits viel Zeit verloren. Rot-Grün (C) ständige. In beiden Fällen wurden zum Beispiel die hat schon 2002 hierfür eine gesetzliche Regelung vorge- Vorschläge des Bundesrates zum „Abbau unnötiger Zu- schlagen. Und obwohl sowohl die Zuwanderungskom- wanderungshürden“ mit kleingeistigen Argumenten vom mission der CDU als auch die Kommission von Roman Tisch gewischt. Herzog „Zur Reform der sozialen Sicherungssysteme“ festgestellt haben, dass „Zuwanderung einen Beitrag zur Und dennoch: Meine Fraktion wird dieses Gesetz Abmilderung des Alterungsprozesses leisten kann“, nicht ablehnen, sondern sich der Stimme enthalten. Denn stemmen sich die Konservativen gegen diese gesell- dieses Gesetzespaket enthält auch positive Aspekte. Be- schaftliche Notwendigkeit. sonders begrüßen wir die Entfristung der Härtefallrege- lung in § 23 a des Aufenthaltsgesetzes. Ohne diesen Neben uns Grünen fordert nicht nur die EU-Kommis- Schritt wäre die nach unserem Ermessen erfolgreiche sion und das Europäische Parlament, fordert nicht nur Arbeit der Härtefallkommissionen der Länder Ende das Institut der deutschen Wirtschaft und die Vereini- 2009 ausgelaufen. Weiterhin begrüßen wir es, dass be- gung der Bayerischen Wirtschaft, sondern fordert nun- ruflich qualifizierte Geduldete nun zum Zwecke der Be- mehr selbst der Bundesrat in seinem Beschluss zum Ar- schäftigung eine Aufenthaltserlaubnis erhalten sollen beitsmigrationssteuerungsgesetz die Große Koalition bzw. dass die Große Koalition – christdemokratischen auf, „umgehend mit der Vorbereitung eines Punktesys- Bedenkenträgern zum Trotz – die Ausbildungsförderung tems zur demografischen Zuwanderung zu beginnen“. nun auch von Geduldeten verbessern will. Wir meinen Aber zu einer solch grundlegenden Modernisierung des aber, dass der Kreis derjenigen, die nach diesem Gesetz deutschen Zuwanderungsrechts hat Schwarz-Rot nicht ein Bleiberecht erhalten sollen, viel zu eng gefasst ist. Es mehr die Kraft. Es ist Zeit für einen grünen Neuanfang. ist für uns zum Beispiel nicht nachvollziehbar, warum nicht auch das Durchlaufen des Schulsystems ein Zei- chen für eine Verwurzelung in der hiesigen Gesellschaft Anlage 14 sein soll. Zu Protokoll gegebene Reden Wir meinen: Soll die neue Regelung wirksam sein, so zur Beratung des Antrags: Sicherung der inter- dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt kommunalen Zusammenarbeit (Tagesord- werden. Die Große Koalition stellt in ihrer Begründung nungspunkt 28) des Gesetzentwurfs ja selbst fest: „Sowohl die Bleibe- rechtsregelung der IMK vom 17. November 2006 als Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Auch ich halte Ver- auch die gesetzliche Altfallregelung in §§ 104 a, 104 b waltungszusammenarbeit zwischen kommunalen Ge- (D) (B) AufenthG stellen für die Erlangung eines sicheren Auf- bietskörperschaften für ein geeignetes und vielfach enthaltsstatus für zahlreiche, insbesondere jüngere Ge- erforderliches Mittel interner Staatsorganisation, um duldete hohe Hürden auf.“ kosteneffizient und im Interesse des Gemeinwohls Leis- tungen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu erbringen. Die Bleiberechtsregelung der Großen Koalition bleibt Die interkommunale Zusammenarbeit ist ein wesentli- in vielfältiger Weise weit hinter den eigenen hochge- cher Bestandteil der Organisationshoheit unseres Staa- steckten Zielen zurück. Wer dies ändern will, muss die tes. erkannten Hürden für die Inanspruchnahme dieser Rege- lung systematisch beseitigen. Bleibt es jedoch bei dem Ich habe jedoch drei Einwände gegen den hier von restriktiven Ansatz der Großen Koalition, könnte es sein, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten An- dass die Ziele dieses Gesetzes nicht erreicht werden, trag: nämlich aus der Gruppe der Geduldeten zumindest die Erstens. Bei der Frage der innerstaatlichen Organisa- qualifizierten Fachkräfte mit einem Aufenthaltstitel aus- tion verfügt der Bundesgesetzgeber nur über sehr einge- zustatten. schränkte Kompetenz. Ganz im Sinne unseres Bestre- Das Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz ist und bens nach Subsidiarität ist jede Instanz unterhalb des bleibt Stückwerk. Zum einen wehrt sich die Große Ko- Bundesstaats auch wieder für die eigene Organisation alition – allen guten Erfahrungen anderer westeuropäi- zuständig. Demnach sind bei staatlich zu lösenden Auf- scher Volkswirtschaften zum Trotz – partout gegen die gaben – wie der Einrichtung von Förderprogrammen für Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- interkommunale Kooperationen – zuerst und im Zweifel mern aus den Beitrittsländern, obwohl dies gerade von die Länder für eine Umsetzung zuständig, während über- geordnete Glieder zurücktreten. denjenigen Bundesländern gefordert wird, von denen immer behauptet wird, man müsse sie davor schützen. Die Aktivitäten des Bundesamtes für Bauordnung Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg und Raumwesen können den Ländern hier als Orientie- wissen, dass sie von dieser Freizügigkeit, die ja 2011 oh- rung dienen. Es führt zahlreiche Modellvorhaben zu er- nehin kommen wird, schon jetzt profitieren könnten. folgreicher interkommunaler Kooperation durch. Die Zum anderen traut sich Schwarz-Rot nicht, ein Punkte- Bundesländer Hessen und Nordrhein-Westfalen haben system zur Zuwanderung vorzuschlagen, das die abseh- bereits Förderprogramme aufgelegt, die sich eng an die bar gravierenden Probleme des Alterungsprozesses un- Empfehlungen des Bundesamtes halten und sich guter serer Gesellschaft zumindest ein Stück weit abmildern Resonanz erfreuen. Bayern und das Saarland befinden könnte. sich derzeit in der Planungsphase. Im Gespräch mit Ver- 20180 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) tretern der zuständigen Landesbehörden wurde mir ver- cherlich problematisch, wenn es öffentlichen Auftragge- (C) mittelt, dass es nicht erwünscht sei, wenn der Bund hier bern durch Inhouse-Vergaben oder interkommunale in Konkurrenz mit den Ländern treten und die Förderung Kooperation möglich ist, Aufträge vom Vergaberecht im kommunalen Bereich an sich ziehen würde. Für mich insgesamt auszunehmen. Deshalb sollte tatsächlich im- ist dies nachvollziehbar: Die Landesregierungen kennen mer sorgfältig geprüft werden, ob nicht eine Vergabe an die lokalen Bedürfnisse, ein bundeseinheitliches Pro- private Unternehmen unter dem Aspekt der Kosten- gramm würde der Komplexität des Themas gewiss nicht ersparnis und Entlastung der öffentlichen Haushalte vor- gerecht. teilhafter ist, als die Aufträge selbst auszuführen. Zweitens. Für den Antrag besteht kein Bedarf. Der Als Kommunalpolitiker kann ich aber auch die Be- derzeit verhandelte Regierungsentwurf zur Novellierung denken der anderen Seite verstehen. Würde die inter- des Vergaberechts regelt die interkommunale Zusam- kommunale Kooperation dem Vergaberecht unterwor- menarbeit bereits in § 99 Abs. 1 Satz 2 GWB-E neu. Er fen, würde das de facto auf eine Privatisierungspflicht wird gegenwärtig zwischen den Berichterstattern bera- hinauslaufen. So weit entmündigen können und wollen ten. Gemäß Entwurf liegt bei interkommunaler Zusam- wir unsere Kommunen nicht. Die Entscheidung, ob eine menarbeit nur dann keine ausschreibungspflichtige Ver- Leistung am Markt eingekauft oder selbst ausgeführt gabe vor, wenn kein privates Kapital am Auftragnehmer wird, obliegt alleine den betroffenen staatlichen Einhei- beteiligt ist und dieser nicht am Markt agiert oder im ten. So geht es hier in erster Linie darum, Kommunen zu Wesentlichen für öffentliche Auftraggeber tätig ist. Das ermöglichen, miteinander interkommunale Kooperatio- heißt: Ist privates Kapital am Auftragnehmer beteiligt, nen einzugehen, und nicht darum, sich dem Wettbewerb muss ausgeschrieben werden. zu verschließen und aus der Verantwortung zu stehlen. Unter diesem Gesichtspunkt werden wir noch einmal Diese Negativdefinition des öffentlichen Auftrages ist über die entsprechenden Regelungen diskutieren. Es ist nicht ganz unproblematisch. Im Berichterstattergespräch richtig und wichtig, dass wir das im Verlauf der Beratun- haben wir heute erörtert, wie wir den Regierungsentwurf gen zur Vergaberechtsnovelle tun. Die Garantie der kom- so fortentwickeln, dass einerseits das Interesse des Staa- munalen Selbstverwaltung ist ein hohes Gut im Selbst- tes an einer möglichst freien Ausübung seiner Organisa- verständnis des deutschen Staates und gehört geschützt. tionshoheit gesichert ist, andererseits verhindert wird, dass unter dem Deckmantel der Organisationshoheit öf- Es ist also sowieso schon ein schwieriges Thema, das fentliche Aufträge gezielt am Vergaberecht vorbeidiri- Sie hier mit Ihrem Antrag anschneiden. Stellen Sie sich giert und ganze Wirtschaftszweige gegenüber der Staats- die Diskussionen vor, die wir auf Bundesebene mit der wirtschaft benachteiligt werden. Wirtschaft – zu Recht – provozieren würden, wenn wir jetzt zusätzlich zu unseren Bestrebungen in der Novelle (B) Und damit bin ich bei drittens. Natürlich dürfen wir (D) die Auswirkungen einer Stärkung der interkommunalen des Vergaberechts, die Vergabe öffentlicher Aufträge ab- zusichern, noch Förderprogramme für die Kooperatio- Zusammenarbeit auf mittelständische Unternehmen der nen auflegen. Privatwirtschaft nicht aus den Augen lassen. Der Ver- such, hier einen Ausgleich der Interessen zwischen öf- Werte Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, insge- fentlichen Auftraggebern, Bürgern und Unternehmern zu samt ist es ein schwer erkämpfter, ausgewogener Vor- finden, hat uns in unseren Beratungen zur Novelle des schlag, der uns mit der Vergaberechtsnovelle vorliegt. Vergaberechts immer wieder vor dasselbe Problem ge- Wir werden mit angemessenen Nachbesserungen im par- stellt: lamentarischen Verfahren als Große Koalition – neben Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirt- der Absicherung der staatlichen Organisationshoheit ge- schaft, der Zentralverband des Deutschen Handwerks genüber der EU-Kommission – auch und gerade für den und der Bundesverband für Informationswirtschaft – un- Mittelstand, der es in diesem Land bitter nötig hat, etwas terstützt von einer Reihe von weiteren Wirtschaftsunter- voranbringen. Ihr Antrag ist also nicht nur überflüssig, nehmen – sprechen sich mit Nachdruck gegen die Rege- sondern schlägt Wogen, die wir gerade mühsam versu- lung in § 99 GWB aus. Wenn der Gesetzgeber die chen zu glätten. Kooperation unter rechtlich selbstständigen staatlichen Darauf können wir derzeit dankend verzichten, wir Einheiten in Zukunft ausdrücklich von der Ausschrei- haben andere Probleme. bungspflicht freistelle, schließe er mittelständische Un- ternehmen der Privatwirtschaft von einem großen Teil Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Die inter- des Marktes aus. kommunale Zusammenarbeit sorgt in schöner Regelmä- Für die Position der Wirtschaftsverbände sprechen ßigkeit und das seit Jahrzehnten für heftige Diskussionen wirtschaftspolitische Überlegungen, mit denen ich mich zwischen Befürwortern der öffentlichen Wirtschaftstä- als CSUler durchaus identifizieren kann: Die Ausschrei- tigkeit und deren Gegnern. Aufgeheizt hat sich die Dis- bung bestimmter Dienstleistungen der Daseinsvorsorge, kussion in jüngster Zeit jedoch vor allem durch die Viel- etwa im Bereich der Abwasserentsorgung, könnte die zahl der Vertragsverletzungsverfahren, mit denen uns die Marktzugangschancen von Privatunternehmen und ge- Europäische Kommission im Bereich der interkommu- rade auch von Mittelständlern verbessern. Dies ist poli- nalen Zusammenarbeit überzieht. Das ist in hohem tisch von unserer Fraktion zunächst einmal gewollt. Maße ärgerlich und nicht hinnehmbar. Dahinter steht Auch politisch gewollt ist es, im Bereich der öffentli- zum einen die grundsätzlich tendenziöse Haltung der chen Aufträge kosteneffizient zu wirtschaften. Es ist si- Kommission, dass der freie Wettbewerb durch die kom- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20181

(A) munale Wirtschaftstätigkeit beeinträchtigt werde. Zum Gerade von den Grünen, die doch das Gebot der (C) anderen stehen dahinter natürlich auch Interessenver- Transparenz angeblich so hoch halten, hätte ich erwartet, bände der Wirtschaft. Diese wollen mit der Kommission dass sie für größtmögliche Transparenz auch in deut- als Speerspitze ihren privaten Unternehmen neue Märkte schen Vergabeverfahren sind. Stattdessen wollen sie die auf Kosten der kommunalen Wirtschaftstätigkeit er- interkommunale Zusammenarbeit fördern, in der sie eine schließen. Zu beiden Punkten haben wir eine klare Mei- „verwaltungsinterne Lösung“ sehen, für die das Verga- nung: Für uns ist die kommunale Zusammenarbeit ein berecht nicht gelten solle. Erfolgsmodell, das wir gegen jegliche ungerechtfertigten Die Begründung hierfür ist absurd: Die Anwendung Angriffe verteidigen. Das tut die Bundesregierung im des Vergaberechts würde einen faktischen Privatisie- Übrigen auch, und zwar mit großem Nachdruck gegen- rungszwang auslösen. Dies ist schlichter Unsinn. Es über der Kommission. Denn die Maßnahmen der EU- fordert nämlich niemand, dass sich kommunale, also öf- Kommission sind und bleiben ein unzulässiger Eingriff fentliche Auftragnehmer, an Ausschreibungen von öf- in unser Staatsorganisationsrecht. Sie richten sich ein- fentlichen Auftraggebern nicht mehr beteiligen dürfen. deutig gegen unsere föderale Struktur. Die Kommission Es wird nur gefordert, dass für alle potenziellen Auftrag- ignoriert dabei völlig, dass es in einem föderalen Staat nehmer die gleichen Bedingungen eines fairen Wettbe- zusätzlicher Regelungen zwischen den Hoheitsträgern werbs um den zu erlangenden Auftrag gelten. Wenn die bedarf, um die Zusammenarbeit sicherzustellen. Bei die- öffentlichen Bewerber gut und effizient sind, brauchen sen Regelungen geht es um Verwaltungsorganisation sie den Wettbewerb mit den privaten nicht zu fürchten. und nicht um Beschaffung. Aber auch das versucht die Wenn sie ineffizient und zu teuer sind, sollten sie ihr Ge- Bundesregierung der Kommission bereits ein ums an- schäftsmodell überprüfen. Die Vergabe an zu teure oder dere Mal klarzumachen. Abgesehen davon haben wir im zu schlechte Auftragnehmer kann jedoch niemals im Rahmen der laufenden Vergaberechtsreform eine Rege- Sinne der vergebenden Kommune sein; denn diese muss lung zur Vergaberechtsfreiheit der interkommunalen Zu- stets wirtschaftlich haushalten und beschaffen. Wenn die sammenarbeit aufgenommen. Damit schaffen wir nun Grünen in ihrem Antrag denn auch schreiben, dass die eindeutig Rechtssicherheit. von ihnen so geschätzte Art des Zusammenwirkens von Gemeinden ein erforderliches Mittel ist, um kosteneffi- Eines bleibt abschließend noch festzuhalten: Die in- zient Leistungen zu erbringen, haben sie dabei scheinbar terkommunale Zusammenarbeit unterliegt bereits heute den Grundgedanken des Vergaberechts völlig aus den grundsätzlich weder dem europäischen Vergaberecht Augen verloren. Dieser liegt darin, für die öffentliche noch dem deutschen Vergaberecht im GWB. Mit dem Hand einen wirtschaftlichen Einkauf von Leistungen zu Antrag werden also wieder einmal Eulen nach Athen ge- gewährleisten. Diese Wirtschaftlichkeit lässt sich ohne (B) tragen. Bleibt nur noch die Frage, warum Bäume unnütz Wettbewerb nicht erreichen. (D) sterben mussten, um diesen Antrag auf Papier zu brin- Die Möglichkeit einer vom Grünen-Antrag favorisier- gen. Nachhaltig ist das nicht. ten Auftragsvergabe nach Gutdünken an befreundete kommunale Betriebe klingt für Bürgermeister sicherlich Paul K. Friedhoff (FDP): Wir debattieren hier einen attraktiv, aber sie gefährdet den Wettbewerb bei öffentli- Antrag der Grünen aus dem Juni dieses Jahres zur inter- chen Aufträgen: Während sich Kommunen zur Auslas- kommunalen Zusammenarbeit. Mit dieser sollen Kom- tung ihrer Eigenbetriebe Aufträge hin- und herschanzen munen die Möglichkeit erhalten, mit Beschaffungen können, bleiben die privaten Unternehmer außen vor. Die Transparenz sinkt, und die Wirtschaftlichkeit dieser oder Dienstleistungen eine andere Kommune direkt zu Art der Beschaffung ist nicht gewährleistet. Daher weise beauftragen. Problematisch ist, dass es bei dieser Art öf- ich hier auch noch einmal darauf hin, dass der in diesem fentlicher Auftragsvergabe den Kommunen möglich ist, Zusammenhang von der Bundesregierung geplante neue ein Vergabeverfahren zu umgehen. Ich glaube kaum, § 99 Abs. 2 im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkun- dass die Fraktion der Grünen einen Antrag wie den vor- gen dem Ziel wirtschaftlicher Vergabe widerspricht. liegenden heute noch so stellen würde. Denn die Stel- lungnahmen der überwiegenden Mehrheit der Sachver- Eine Wirtschaftlichkeitskontrolle würde bei verstärk- ständigen im Rahmen der Anhörung zum Vergaberecht ter kommunaler Verflechtung immer weniger stattfin- im Oktober dieses Jahres sprachen deutlich gegen die den. Unter dem Leitbild einer transparenten Auftrags- aus dem Antrag sprechende Sichtweise. Sie bestätigten vergabe der öffentlichen Hand verbietet sich geradezu vielmehr die von meiner Fraktion vorgebrachten Hin- die Schaffung der Möglichkeit, Betriebe anderer Kom- weise auf die Gefahren, die in der interkommunalen Zu- munen ohne Ausschreibung zu beauftragen. Das Verga- sammenarbeit liegen. Die mittelständische Wirtschaft berecht soll fairen Wettbewerb sicherstellen und es nicht dieses Landes kann kaum verstehen, warum ihre Unter- etwa den Kommunen einfach machen, unerwünschten nehmen als private Auftragnehmer sich den hohen Wettbewerb auszuschalten. Anforderungen der Vergabeverfahren stellen sollen, Lassen sie mich eines nochmals klarstellen: Wenn während öffentlichen Auftragnehmern der bequeme Weg kommunale Unternehmen gut wirtschaften, brauchen sie ohne jede Ausschreibung, also ohne Wettbewerb, offen- den Wettbewerb mit der Privatwirtschaft nicht zu fürch- stünde. Eine krasse Wettbewerbsverzerrung zulasten der ten. Es gibt deshalb auch keinen Grund, die städtischen regionalen Unternehmen wäre unausweichlich die Folge Betriebe von den Vergabevorschriften auszunehmen und einer Ausweitung interkommunaler Zusammenarbeit. so vor Wettbewerb zu schützen. 20182 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) Ulla Lötzer (DIE LINKE): Wir als Linke unterstützen vielen Regionen gibt es hierzu bereits langjährige Erfah- (C) den Antrag der Grünen, die interkommunale Zusammen- rungen. Man denke nur an den öffentlichen Personen- arbeit zu sichern. Der Gesetzentwurf der Bundesregie- nahverkehr. rung zur Modernisierung des Vergaberechts, der viele Schwächen hat, ist wenigstens in dieser Hinsicht positiv. Es wird jedoch auch immer Bereiche geben, in denen Er nimmt die interkommunale Zusammenarbeit von der kommunale Kooperation schwierig ist. Insbesondere Vergabe aus. Bleibt zu hoffen, dass die Koalition stand- dort, wo die Kommunen miteinander im Wettbewerb ste- haft bleibt und nicht angesichts der massiven Lobby- hen, bei der Einwohnerzahl und bei der Gewerbeansied- arbeit von BDI und Konsorten doch noch umfällt. Da lung. Zumindest bei Letzterem würde der Vorschlag der diese Lobby auch in Brüssel massiv tätig ist und bei Tei- Grünen, im Falle gemeinsamer grenzüberschreitender len der EU-Kommission auf ein offenes Ohr trifft, ist das Gewerbegebiete einen Verteilungsmodus für die Gewer- Anliegen, die interkommunale Zusammenarbeit auch besteuer einzuführen, einen positiven Effekt haben kön- europarechtlich abzusichern, sinnvoll. nen.

Es muss in der Entscheidungshoheit der demokratisch Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): legitimierten Kommunen verbleiben, ob sie eine Auf- Die Möglichkeit, das eigene Lebensumfeld direkt zu ge- gabe an einen privaten Dritten vergeben möchten oder stalten, macht den besonderen Reiz kommunalpoliti- ob sie diese vergaberechtsfrei in Eigenregie ausführen. schen Engagements aus. Gerade deshalb ist es problema- Dabei muss es unerheblich sein, ob dies eine Kommune tisch, dass der Bezugsrahmen für kommunalpolitische alleine oder in Zusammenarbeit mit anderen Kommunen Arbeit immer unübersichtlicher wird: durch die privatisie- erledigt. rungsbedingte Intransparenz, die gestiegene Regelungs- Wohlgemerkt geht es uns dabei um regionale Zusam- dichte seitens Bund und Land und vor allem – darum geht menarbeit und um regionale Wirtschaftskreisläufe. Es es hier heute – das Hineinregeln der EG-Wettbewerbs- geht um die Zusammenarbeit mit Nachbarkommunen politik in die kommunale Selbstverwaltung. oder innerhalb einer Region auch über die Grenzen von Ein besonders dringlicher Konflikt zwischen EG-Ver- Bundesländern oder Staaten hinweg. Interkommunale gaberecht und kommunaler Selbstverwaltung betrifft die Zusammenarbeit darf nicht dazu führen, die Kommunen interkommunale Zusammenarbeit. Vor dem Hintergrund miteinander in den bundesweiten Wettbewerb zu treiben. des demografischen Wandels ist die gemeinsame Aufga- Wenn eine Kommune am einen Ende der Republik sich benwahrnehmung verschiedener kommunaler Gebiets- die Versorgung der Menschen in einer Kommune am an- körperschaften unverzichtbar, um Daseinsvorsorge in deren Ende oder gar im Ausland unter den Nagel reißt, wirtschaftlich tragfähigen Einheiten zu sichern. Die zu- (B) würde sie sich von ihrer Aufgabe, der Sicherstellung von künftige Bedeutung verschiedener Kooperationsformen (D) öffentlichen Gütern und Dienstleistungen für die Bürge- nimmt dabei gerade auch in Schlüsselbereichen wie der rinnen und Bürger im eigenen Gebiet, zu weit entfernen. Bildungsinfrastruktur zu. In solchen Fällen agieren die Kommunen nicht anders als Private und haben dafür keinen besonderen Schutz Die EU-Kommission war in der Vergangenheit be- verdient. Anders gesagt: Wenn die Stadtwerke München strebt, unter Berufung auf einschlägige Rechtsprechung mit der Gemeinde Sauerlach kooperieren, um ein geo- des Europäischen Gerichtshofs interkommunale Zusam- thermisches Kraftwerk zu errichten, so macht das Sinn. menarbeit in die europaweite Ausschreibungspflicht ein- Eine europaweite Ausschreibung wäre hier irrwitzig. zubeziehen. Und genau hier setzt unsere Kritik an. Denn Wenn die Mannheimer Stadtwerke die Köthener Stadt- durch diese Ausschreibungspflicht versucht die EU- werke aufkaufen, spielen sie nur das Spiel der großen Kommission, einen faktischen Privatisierungszwang zu EVU mit. erzeugen. In dem Moment, da eine Gebietskörperschaft die Leistungserbringung aus der Hand gibt, ist der Markt Interkommunale Zusammenarbeit nimmt angesichts eröffnet. So die Position der Kommission. Ein solcher der prekären finanziellen Situation von Kommunen ei- Privatisierungszwang kann und darf aber nicht hinge- nen immer größeren Stellenwert ein. Insbesondere für nommen werden; denn bei interkommunaler Zusammen- kleinere und strukturschwächere Gemeinden ist die Zu- arbeit – da sind wir uns hier wohl alle einig – handelt es sammenarbeit mit anderen Kommunen ein wichtiges sich um einen Vorgang interner Staatsorganisation. Mittel, ihre Selbstständigkeit und Handlungsfähigkeit zu erhalten. Wer diese Zusammenarbeit jedoch als reines Die Bundesregierung ist deshalb aufgerufen, sich für Instrument von Rationalisierung versteht, greift zu kurz. die Freistellung interkommunaler Zusammenarbeit vom Dann erreicht er keine Verbesserung der öffentlichen Vergaberecht auf EU-Ebene einzusetzen. Entscheidend Leistungen. Im Gegenteil, die Wege der Bürgerinnen dabei ist allerdings, dass sich die Freistellung nur auf und Bürger zu den Einrichtungen ihrer Gemeinde wer- solche Formen der Zusammenarbeit bezieht, die ohne den immer länger und umständlicher. Beteiligung Privater stattfindet. Denn sobald Private ins Spiel kommen, greift das EG-Vergaberecht. Und das ist Uns muss es darum gehen, im Sinne der öffentlichen auch richtig so, denn europäisches und nationales Verga- Daseinsvorsorge, der Bereitstellung öffentlicher Infra- berecht bleiben notwendige Schwerter gegen Korruption struktur und des Ausbaus sozialer und kultureller Ange- auf einem milliardenschweren Markt. bote die Kommunen in die Lage zu versetzen, durch Zusammenarbeit mit ihren Nachbarkommunen Syner- Gleichzeitig machen wir in unserem Antrag auch gieeffekte im Sinne der Bevölkerung zu nutzen. In deutlich, dass es noch andere Hausaufgaben zu machen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20183

(A) gilt, um die interkommunale Zusammenarbeit zu si- nisse zu geben, soll künftig auf elektronischem Wege er- (C) chern. Es reicht nicht, auf die EU zu zeigen. So muss die füllt werden. Steuerpflichtige sollen bestimmte, dem Fi- Unterscheidung zwischen mandatierender und delegie- nanzamt bisher auf Papierbasis vorzulegende Belege und render Vereinbarung im deutschen Vergaberecht abge- Unterlagen künftig elektronisch bereitstellen. schafft werden. Die Europäische Union kennt diese Un- terscheidung nicht. Ein weiterer erforderlicher Beitrag Die Grundsatzfrage, die sich durch das ganze Gesetz- der Länder besteht darin, in ihren eigenen Rechtsvor- gebungsverfahren hingezogen hat, war die, ob wir die schriften klarzustellen, dass interkommunale Zusam- Steuerpflichtigen künftig verpflichten, ihre Steuererklä- menarbeit aus den genannten Gründen nur ohne private rungen in elektronischer Form abzugeben, oder ob wir Beteiligung stattfinden kann. Leider ist das noch nicht ihnen nicht die grundsätzliche Wahlfreiheit lassen, ent- überall der Fall. weder in Papierform oder elektronisch ihre Erklärung abzugeben. In unserem Antrag haben wir Ihnen aufgelistet, was auf europäischer, Bundes- und Landesebene zu tun ist, Außerhalb der staatlichen Verwaltung haben wir um die interkommunale Zusammenarbeit abzusichern Wahlfreiheit. Auch wenn immer mehr Bürgerinnen und und auszubauen. Ich denke, es wäre ein gutes Zeichen, Bürger per E-Mail kommunizieren, so ist dennoch noch wenn wir uns als Deutscher Bundestag in dieser Frage niemand auf die Idee gekommen, die Postkarte abzu- mit breiter Mehrheit zu unserer politischen Verantwor- schaffen oder gar zu verbieten. Auch das Onlinebanking tung für die kommunale Ebene bekennen würden. muss freiwillig bleiben, da es durchaus berechtigte Sor- gen hinsichtlich dessen Stör- und Betrugsanfälligkeit gibt. Anlage 15 Die bisher für einzelne Steuererklärungen wie etwa Zu Protokoll gegebene Reden die Umsatzsteuervoranmeldung geltende Pflicht zur elektronischen Abgabe mit lediglich der Möglichkeit, zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur dass die Finanzverwaltung im Gnadenwege bei Härtefäl- Modernisierung und Entbürokratisierung des len davon Ausnahmen zulässt, ist unbefriedigend. Viele Steuerverfahrens (Steuerbürokratieabbauge- Klein- und Kleinstunternehmen sind aus wirtschaftli- setz) (Tagesordnungspunkt 21 b) chen Gründen nicht in der Lage, die Voraussetzungen für die elektronische Abgabe zu schaffen. Der Aufwand Manfred Kolbe (CDU/CSU): Die Gesetzesbezeich- wäre für sie zu hoch, und gerade dies kann nicht Sinn nung „Steuerbürokratieabbaugesetz“ ist meines Erach- und Zweck eines Steuerbürokratieabbaugesetzes sein. (B) tens etwas irreführend, da mit dem uns vorliegenden Ge- Auch ist es eines Rechtsstaates unwürdig, den Bürger, (D) setz im Wesentlichen die Umstellung von der papiernen der die Voraussetzungen der elektronischen Abgabe auf die elektronische Steuererklärung eingeführt wird. nicht erfüllen kann, als Bittsteller auf eine Härtefall- Ausnahmeregelung zum Finanzamt zu schicken. Im Jahr 1997 nutzten 6,5 Prozent der Deutschen das Internet. Zehn Jahre später waren es bereits 62,7 Prozent Aus diesen Gründen schafft dieses Steuerbürokratie- der Gesamtbevölkerung, die einen Zugang zum Internet abbaugesetz einen neuen § 150 Abs. 8 Abgabenordnung, hatten. Dies sind 40,8 Millionen Menschen in Deutsch- der einmal generell für alle Steuererklärungen den Be- land. Dies ist ein offensichtliches Zeichen, dass die Digi- griff des Härtefalls definiert und somit gegebenenfalls talisierung unseres Lebens nach und nach fortschreitet. einen entsprechenden Anspruch des Bürgers auf die wei- Statt Briefe werden E-Mails geschrieben, statt an den tere Abgabe der Steuererklärung in Papierform begrün- Bankschalter zu gehen, erledigen die Menschen ihre Fi- det. Dieser neue § 150 Abs. 8 Abgabenordnung lautet nanzgeschäfte online, und Bücher werden häufiger bei wie folgt: Onlineanbietern anstatt im Bücherladen um die Ecke ge- kauft. Auch der Trödelmarkt ist mit Ebay online zu fin- Ordnen die Steuergesetze an, dass die Finanzbe- den. hörde auf Antrag zur Vermeidung unbilliger Härten auf eine Übermittlung der Steuerklärung nach amt- Das uns heute zur abschließenden Beratung vorlie- lich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfern- gende Steuerbürokratieabbaugesetz setzt diese digitale übertragung verzichten kann, ist einem solchen An- Entwicklung fort. „Elektronik statt Papier“ könnte das trag zu entsprechen, wenn eine Erklärungsabgabe Leitmotto dieses Gesetzes sein. Mit diesem Gesetzent- nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch wurf soll die Strategie, papierbasierte Verfahrensabläufe Datenfernübertragung für den Steuerpflichtigen durch elektronische Kommunikation zu ersetzen, fortge- wirtschaftlich oder persönlich unzumutbar ist. Dies setzt und vertieft werden. Folgende Maßnahmen seien ist insbesondere der Fall, wenn die Schaffung der hier exemplarisch erwähnt: standardmäßige elektroni- technischen Möglichkeiten für eine Datenfernüber- sche Übermittlung von Steuererklärungen der Unterneh- tragung des amtlich vorgeschriebenen Datensatzes men, standardisierte und elektronische Übermittlung der nur mit einem nicht unerheblichen finanziellen Inhalte der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung Aufwand möglich wäre oder wenn der Steuer- für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2010 pflichtige nach seinen individuellen Kenntnissen beginnen. Die Verpflichtung, anlässlich der Aufnahme und Fähigkeiten nicht oder nur eingeschränkt in der der beruflichen und gewerblichen Tätigkeit Auskunft Lage ist, die Möglichkeiten der Datenfernübertra- über steuerrelevante rechtliche und tatsächliche Verhält- gung zu nutzen. 20184 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) In der Begründung heißt es dazu: weise die Möglichkeit von gemeinsamen Außenprüfun- (C) gen der Finanzverwaltung und der Rentenversicherung Einem Steuerpflichtigen ist die Erklärungsabgabe in Unternehmen. Außerdem haben wir die Schwellen- nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch werte insbesondere für die monatlich abzugebende Um- Datenfernübertragung insbesondere nicht zuzumu- satzsteuervoranmeldung und Lohnsteueranmeldungen ten, wenn er nicht über die erforderliche technische angehoben. Ausstattung verfügt und es für ihn nur mit nicht un- erheblichem finanziellen Aufwand möglich wäre, Abschließend möchte ich mich für die zügigen Bera- die für eine elektronische Übermittlung der Steuer- tungen zu diesem Gesetz bei Ihnen, sehr verehrte Kolle- erklärungen nach amtlich vorgeschriebenem Daten- ginnen und Kollegen, sowie den Mitarbeiterinnen und satz mittels Datenfernübertragung erforderlichen Mitarbeitern des Ausschussekretariats recht herzlich technischen Möglichkeiten zu schaffen. Eine unbil- bedanken. Hoffen wir, dass es bei der weiteren Realisie- lige Härte ist darüber hinaus anzunehmen, wenn der rung dieses Gesetzes zu einem wirklichen Steuerbürokra- Steuerpflichtige nach seinen individuellen Kennt- tieabbau für alle kommt und es keine Benachteiligungen nissen und Fähigkeiten nicht oder nur einge- zwischen den Steuerpflichtigen gibt – egal ob die Unter- schränkt in der Lage ist, die Möglichkeiten einer lagen elektronisch oder postalisch übersandt wurden. Datenfernübertragung zu nutzen. In der Praxis dürf- ten diese Voraussetzungen insbesondere bei Gabriele Frechen (SPD): Wir verabschieden heute Kleinstbetrieben gegeben sein. Der Härtefall-An- das Gesetz zur Modernisierung und Entbürokratisierung trag kann auch konkludent (z. B. in Gestalt der Ab- des Steuerverfahrens. Hauptgegenstand des Gesetzes ist gabe einer herkömmlichen Feststellungserklärung die Nutzung der elektronischen Medien. Künftig sollen auf Papier) gestellt werden. In diesem Fall sind unter anderem Steuererklärungen und Bilanzen von Un- Sachverhaltsermittlungen der Finanzbehörde nur ternehmen nicht mehr auf Papier, sondern auf elektroni- geboten, wenn das Vorliegen eines Härtefalls nicht schem Wege an die Finanzbehörden übermittelt werden. als glaubhaft angesehen werden kann. Wir haben uns entschieden, die Umstellung ab dem Im Ergebnis bedeutet diese neue Regelung in § 150 1. Januar 2010 verpflichtend zu machen. Der Ausbau der Abs. 8 Abgabenordnung sowie die dazu gehörige Geset- Infrastruktur in den Finanzbehörden ist aufwendig und zesbegründung, dass die Bürgerinnen und Bürger eine arbeitsintensiv. Diese Investitionen sind nur dann wir- weitgehende Wahlfreiheit haben, ob sie künftig ihre kungs- und sinnvoll zu vertreten, wenn das Verfahren Steuererklärung weiterhin in Papierform oder elektro- umfassend genutzt wird. nisch abgeben. Dies liegt auch im Interesse der Finanz- Außerdem ist es unsere Aufgabe, für gleiche Lebens- (B) verwaltung, da naturgemäß die Einführung der elektroni- verhältnisse zu sorgen. Dazu gehört auch, dass die Steuer- (D) schen Steuererklärung in vielen Bereichen mit erhebung und der Steuervollzug in allen Ländern und für Startschwierigkeiten verbunden ist und eine generelle alle Steuerpflichtigen gleichmäßig erfolgen. Das geht Verpflichtung diese Startschwierigkeiten deutlich ver- nur mit einem wirkungsvollen Risikomanagement. Das größern würde. geht wiederum mit einem vertretbaren Aufwand an Bü- Weiter enthält ein neuer § 50 Abs. 1 Einkommen- rokratie nur, wenn alle Daten auf elektronischem Wege steuer-Durchführungsverordnung die Bestimmung, dass vorliegen. künftig Spender den Spendenempfänger bevollmächti- Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme darauf gen können, die Spendenbestätigung der Finanzbehörde hingewiesen, dass angesichts des Umfangs des Projekts nach amtlich vorgeschriebenen Datensatz durch Daten- zeitliche Verschiebungen nicht ausgeschlossen werden fernübertragung nach Maßgabe der Steuerdaten-Über- können und bat um eine flexiblere Lösung. Dieser Bitte mittlungsverordnung zu übermitteln. Diese Regelung hat des Bundesrats sind wir nachgekommen. Wir werden zu großer Verunsicherung geführt, da viele kleinere Ver- prüfen, ob zum 31. Dezember 2010 die Voraussetzungen eine, Kirchengemeinden und sonstige Spendenempfän- vorliegen. Ist dies nicht der Fall, wird der erstmalige An- ger das Problem haben, dass sich die notwendigen Inves- wendungszeitpunkt verschoben. titionen in Soft- und Hardware im Verhältnis zu ihrem Spendenaufkommen wirtschaftlich nicht rechnen. Sie Die Frage, ob eine freiwillige Umstellung nicht aus- haben deshalb im Gesetzgebungsverfahren klargestellt, reichend wäre, haben wir in der Anhörung mit den Sach- dass § 50 Abs. 1 Einkommensteuer-Durchführungsver- verständigen ausführlich diskutiert. Herr Ondracek von ordnung nur eine Bevollmächtigung enthält, diese aber der Deutschen Steuer-Gewerkschaft sagte dazu: „Ohne keine Verpflichtung für den Spendenempfänger beinhal- verpflichtende Erklärung wird es nicht funktionieren. tet. Der Spendenempfänger ist danach frei, eine solche Vielleicht kriegen wir 20 Prozent, aber das ist nicht das Bevollmächtigung auch nicht auszunutzen, wenn er Ziel, das man erreichen will, sondern die 70 bis nicht über die entsprechende technischen Voraussetzun- 80 Prozent-Marke sollte schon die Folge sein.“ Herr gen verfügt. Dies ist eine wichtige Klarstellung für klei- Schwab von der Bundessteuerberaterkammer stimmte nere Vereine und Kirchengemeinden, die die aufgetrete- ihm in diesem Punkt ausdrücklich zu: nen Irritationen beseitigt. „Leider muss ich im Kern Herrn Ondracek Recht Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf weitere geben. Deswegen bin ich mit meinen Kollegen in Maßnahmen zur Entbürokratisierung und Vereinfa- der Bundessteuerberaterkammer der Meinung, dass chung und Verbesserung des Steuerrechts, beispiels- man das langfristig durchaus verpflichtend machen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20185

(A) kann. Aber man muss natürlich Härtefallregelungen und gehört einfach zur elektronischen Übermittlung (C) vorsehen – das haben wir auch in unserer Stellung- dazu.“ nahme noch einmal geschrieben –, dass die Perso- nen, die das tatsächlich nicht machen können, aus- Unser Ziel ist die vorausgefüllte Steuerklärung des Fi- genommen werden.“ nanzamts, die von den Steuerpflichtigen elektronisch übermittelt wird, beim Finanzamt das Risikomanage- Genau das haben wir im Laufe des parlamentarischen ment durchläuft und mit einem detaillierten Bescheid, Verfahrens beschlossen: Wenn es dem Steuerpflichtigen der elektronisch übermittelt wird, endet. Damit stellen aus persönlichen oder aus wirtschaftlichen Gründen wir die gleichmäßige Besteuerung sicher und schaffen nicht zugemutet werden kann, ist seinem Antrag, die Personalkapazitäten, die wir für die wirklich bedeuten- Steuererklärungen weiter auf Papier abzugeben, stattzu- den Fälle in der Betriebsprüfung nutzen können. geben. Das heißt: Wenn der oder die Steuerpflichtige nicht mit dem Umgang eines Computers vertraut ist oder Dr. Volker Wissing (FDP): Während die Bundes- wenn die technischen Voraussetzungen nicht vorliegen regierung über ein zusammengeflicktes 50-Milliarden- oder nur mit erheblichem finanziellen Aufwand herzu- Konjunkturpaket berät, fallen in Deutschland jährlich stellen wären, kann die Abgabe der Erklärung weiterhin 50 Milliarden Bürokratiekosten an. Unternehmen müs- auf Papier erfolgen. Dieser Antrag wird keinen zusätzli- sen diese gigantische Summe in wirtschaftlich äußerst chen bürokratischen Aufwand erfordern, da die Abgabe schwierigen Zeiten aufbringen, um von der Politik zu selbst als Antrag gewertet wird. verantwortende bürokratische Pflichten zu erfüllen. Mil- Auch Spenden und Mitgliedsbeiträge können künftig liardensummen fehlen damit für Investitionen. Das kos- papierlos übermittelt werden, wenn der Spender das tet Arbeitsplätze und ist in diesen Zeiten schwer zu ver- wünscht. Durch diese Regelung werden allerdings weder kraften. der Zuwendende noch der Zuwendungsempfänger ver- Angesichts der gegenwärtigen Rezession ist es wich- pflichtet, die Spendenbestätigung der Finanzverwaltung tiger denn je, Steuerbürokratie abzubauen. Man ist auf elektronischem Weg zu übermitteln. Als weiteren deshalb fast geneigt, sich zu freuen, dass die Bundesre- Beitrag zum Bürokratieabbau werden mit diesem Gesetz gierung ein Steuerbürokratieabbaugesetz vorlegt. Aber die Grenzen für die Verpflichtung zur monatlichen Ab- wenn man genau hinsieht, vergeht einem das Lachen gabe der Umsatzsteuervoranmeldung und der Lohnsteu- ganz schnell wieder. eranmeldung angehoben. Das ist gerade für kleine Be- triebe eine wesentliche Erleichterung. In Ihrer Gesetzesbegründung schreiben Sie hochtra- bend, die Bundesregierung sei entschlossen – ich zitie- Auch die Möglichkeit der gemeinsamen Prüfung der re –, „einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zum (B) Finanzbehörden und der Rentenversicherung wird die (D) vollständigen Abbau überflüssiger Steuerbürokratie zu Betriebe deutlich entlasten. Es stellt für Betriebe und Be- erreichen“. Ich frage Sie: Wo ist denn dieser Meilen- rater oftmals eine Belastung dar, wenn die Lohnsteuer- stein? Es wäre ja schön, wenn Sie die Steuerzahlerinnen prüfung gerade abgeschlossen ist und alle Ordner wieder und Steuerzahler endlich von Ihrem Steuerdschungel be- an ihrem Platz stehen und dann kurz darauf der Sozial- freien würden. Aber wenn Sie Steuerbürokratie abbauen, versicherungsprüfer kommt und die gleichen Ordner und stellen Sie sich immer zuerst die Frage: Was können wir Unterlagen wieder herausgegeben werden müssen. Das denn Gutes für die Verwaltung tun? Sie denken nur an kommt heute leider sehr häufig vor und bindet in der die Finanzverwaltung. Die Interessen der Privaten igno- Praxis nicht nur räumliche sondern auch personelle Res- rieren Sie einfach. Die Bundesregierung kümmert sich sourcen. um die Verwaltung. Alle anderen müssen sich um sich Es ist unbestritten, dass allein die Umstellung auf selbst kümmern. elektronische Übermittlung nicht der einzige Schritt beim Bürokratieabbau sein kann. Aber wer behauptet, Das Steuerrecht wird mit Ihrem Gesetz nicht entbüro- das wäre so gut wie nichts, der weiß nicht, wovon er kratisiert, es wird nur digitalisiert. Sie denken offenbar, spricht. Es ist ein Heidenaufwand, die Daten, die man wenn man den deutschen Steuerwahnsinn in elektroni- elektronisch besitzt, auf Papier auszudrucken, postfertig scher Form verwaltet, sei alles schon viel einfacher. Mit zu verpacken und zu versenden, damit sie dort, wo sie Ihrem Motto „Elektronik statt Papier“ sollen alle Unter- ankommen, dann den umkehrten Weg gehen, bis sie wie- nehmen ihre Steuerdaten auf elektronischem Wege an der in elektronischer Form vorliegen. die Finanzbehörde übermitteln. Aber die elektronische Übermittlung ist eine Einbahnstraße. Eine elektronische Herr Schaub von der Bundessteuerberaterkammer Rückübertragung des Steuerbescheides von der Finanz- sagte dazu in der Anhörung: verwaltung zum Unternehmen mit entsprechender Ab- weichungsanalyse findet nicht statt. Sie verpflichten „Die elektronische Übermittlung von Daten darf Steuerzahler, bei staatlichen Behörden alles elektronisch keine Einbahnstraße sein, das heißt, auch der Steu- einzureichen und schicken dann einfach Papier zurück. erpflichtige muss einen Anspruch darauf haben, Daten elektronisch zurückübertragen zu bekom- Damit liegt der Vorteil wieder einmal alleine bei der men. Ganz besonders der Steuerberater sollte einen Finanzverwaltung. Sie vereinfachen den Beamten die Anspruch auf Bescheid-Rückübertragung haben Arbeit und denken, damit sei den Unternehmen gehol- und eine Abweichungsanalyse bekommen. Das fen. Das ist doch absurd. Sie haben es wieder einmal ge- würde die Akzeptanz auf beiden Seiten erhöhen schafft, einseitig der Verwaltung etwas Gutes zu tun. Sie 20186 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) sollten deshalb aufhören, das Ganze als großen Wurf für muss. Daher sollten notwendige individuelle Aufwen- (C) die Unternehmen zu verkaufen. Ihr Bürokratieabbauge- dungen im Steuerrecht berücksichtigt werden. „Einfach“ setz ist kein Meilenstein. Aus Sicht der Steuerzahler ist und „leistungsgerecht“ stehen so in einem gewissen es eher ein Armutszeugnis. Machen Sie doch endlich Widerspruch zueinander. einmal ein Steuergesetz für die Bürgerinnen und Bürger. Der Bundesfinanzminister kann sich das vielleicht nicht Dennoch gibt es Ansatzpunkte für Vereinfachungen. mehr vorstellen, aber in Deutschland leben nicht nur Be- Viele Sonderregelungen und Ausnahmetatbestände sind amte. überholt oder das Ergebnis von durchgesetzten Sonder- interessen. Ein prominentes Beispiel ist das Ehegatten- Eigentlich hätte heute gemeinsam mit Ihrem Steuer- splitting, das aus gleichstellungs-, familien- und sozial- bürokratieabbaugesetz das Jahressteuergesetz 2009 bera- politischen Gründen nicht mehr zeitgemäß ist. Die ten werden sollen. Das hätte einen Überblick über das ausschließliche Berücksichtigung von Ehegatten privile- ermöglicht, was Sie auf der einen Seite für die Verwal- giert diese ungerechtfertigt gegenüber anderen Lebens- tung alles vereinfachen, und über die vielen neuen Son- weisen. Die Streichung von ungerechtfertigten Sonderre- derregeln auf der anderen Seite, mit denen Sie die Steu- gelungen und die Einführung von realistischen erzahler weiter quälen. Pauschalbeträgen wäre ein gangbarer Weg zur Steuer- vereinfachung. Während wir hier debattieren, planen Sie Änderungen in 22 verschiedenen Steuergesetzen und haben kurz vor Doch wer solches im vorliegenden Gesetzentwurf Abschluss der Beratungen rund 70 Änderungsanträge sucht, wird herbe enttäuscht. Leider geht der Entwurf dazu vorgelegt. Weil Sie mit den vielen Änderungsanträ- über verfahrensrechtliche Regelungen nicht hinaus – gen am Ende selbst überfordert waren, musste die Bera- materiellrechtliche Steuervereinfachungen sind ausge- tung ausgesetzt werden. Das ist der wahre Kern Ihrer sprochen dünn gesät. Es werden vielmehr Fragen des Finanzpolitik. Sie betreiben einen Bürokratieaufbau Datenaustauschs behandelt und die Neufestsetzung von nach dem anderen. bestimmten Betragsgrenzen vorgenommen. Insofern wurde dieses eher an technischen Fragen orientierte Ge- Die FDP macht dieses Steuerchaos nicht mit. Wir setzeswerk mit einem ausgesprochen großspurigen Titel wollen kein Steuerrecht für die Verwaltung. Wir wollen versehen. ein Steuerrecht für die Bürgerinnen und Bürger. Es muss dringend einfacher werden. Und genau das schaffen Sie Trotzdem meint die Bundesregierung, mit dem Ge- nicht. Deshalb sollten Sie aufhören mit Ihrer Flickschus- setz Steuerverwaltung und Wirtschaft um viele Millio- terei. Sie sprechen von Steuerbürokratieabbau und ma- nen Euro zu entlasten. So sollen damit alle Unternehmen chen ständig das genaue Gegenteil. verpflichtet werden, ab 2011 ihre Steuererklärungen auf (B) elektronischem Wege an die Finanzbehörde zu übermit- (D) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): „Gesetz zur Moder- teln. Aufseiten der Finanzämter soll die elektronische nisierung und Entbürokratisierung des Steuerverfahrens Übermittlung eine computergestützte Vorabprüfung er- (Steuerbürokratieabbaugesetz)“ – schon dieser Titel möglichen und somit die Finanzbeamtinnen und -beam- weckt irreführende Erwartungen, die im Eingangstext ten entlasten. Zugleich wird dies als ein effektiverer des Entwurfs auch noch bestätigt werden. Das Bundes- Steuervollzug verkauft, der dauerhaft und verlässlich finanzministerium verbreitet damit den Anschein, einen staatliche Einnahmen sicherstellen soll. Aber ob das so entscheidenden Durchbruch zu mehr Steuervereinfa- funktioniert, darf bezweifelt werden. Die Vielzahl an chung erreicht zu haben. Diesem Anschein wird das vor- Steuerrechtsänderungen konnte oftmals nicht rechtzeitig liegende Gesetz nicht gerecht. in die elektronischen Programme eingearbeitet werden. In den vergangenen Jahren waren Neuerungen durch das Das Ziel der Steuervereinfachung steht mit dem der Bundesfinanzministerium lausig vorbereitet, sodass sie Steuergerechtigkeit zum Teil in Einklang, zum Teil in viel Nacharbeit und Kosten verursacht haben – nicht zu- Widerspruch. Grundsätzlich gilt festzuhalten, dass dort, letzt bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fi- wo ein Überborden an Steuerbürokratie festzustellen ist, nanzverwaltung. dies im Steuerrecht selbst mit seinen unzähligen Sonder- regelungen und Ausnahmetatbeständen begründet ist. Im Detail kann festgehalten werden: Trotz der Neu- Diese überbordende Komplexität des Steuerrechts führt formulierung von § 150 Abs. 8 AO sind die Ausnahme- dazu, dass viele Menschen mangels Zeit oder Einblick tatbestände, um auf eine elektronische Übermittlung ver- ihnen zustehende Vergünstigungen nicht wahrnehmen zichten zu können, zu unpräzise formuliert und damit und somit zu viel Steuern bezahlen. Das betrifft insbe- weitgehend ins Ermessen der Finanzverwaltung gestellt. sondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Mit der klaren Benennung von Gewinn-, Umsatz- und/ kleine Selbstständige, die sich keine Steuerberatung leis- oder Betriebsgrößen hätte zumindest geregelt werden ten können oder wollen. Insofern trägt die Komplexität können, wann die Finanzverwaltung einem Antrag auf zur Steuerungerechtigkeit bei. Ausnahme unbedingt stattzugeben hat. Damit ist ein we- sentlicher Kritikpunkt aus der Sachverständigenanhö- Andererseits spiegelt die Komplexität des Steuer- rung nicht ausgeräumt. An den vorliegenden Änderungs- rechts auch die zunehmende Komplexität des Lebens anträgen ist zu begrüßen, dass mit der erstmaligen und die Vielfalt der Lebensformen wider. Steuergerech- Anwendung der elektronischen Übermittlung der Bilan- tigkeit im Sinne von steuerlicher Gleichbehandlung zen sowie der Gewinn- und Verlustrechnung mehr Flexi- heißt auch, dass Ungleiches ungleich behandelt werden bilität ermöglicht wird. Erfreulich ist auch, dass das Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20187

(A) Unterschriftenprozedere für unmittelbar bei der Alters- ren muss deshalb nach einiger Zeit überprüft werden, ob (C) vorsorge zulageberechtigte Ehegatten vereinfacht wurde. es für die Steuerpflichtigen einfach zu handhaben ist und In der Gegenäußerung der Regierung zur Stellungnahme die Steuerbehörden tatsächlich im Sinne der Antragstel- des Bundesrates war zu lesen, dass man die Möglichkeit lenden entscheiden. zur Selbstveranlagung – § 150 Abs. 8 AO – prüfen wolle. Ich stelle mit Erleichterung fest, dass dieses An- Bürokratieabbau kann keine Einbahnstraße sein. Die sinnen – im Gegensatz zum Referentenentwurf – keinen Steuererhebung müsste viel bürgernäher werden. Es Eingang in das Gesetz gefunden hat. Insbesondere vor wäre viel besser, auf den Zwang zu verzichten und die dem Hintergrund der ungenügenden Personalausstattung Steuerpflichtigen für die elektronische Übermittlung zu bei den Finanzbehörden hätte eine Steuerumgehung in „belohnen“, zum Beispiel durch einen Bonus bei der größerem Ausmaß nicht ausgeschlossen werden können. letztendlich fälligen Steuerschuld, denn schließlich er- sparen die Bürgerinnen und Bürger, die ihre Steuererklä- Summa summarum bringt der Gesetzentwurf eine rung elektronisch übermitteln, der Finanzverwaltung leichte Vereinfachung für die Finanzverwaltung und viel Arbeit. kaum nennenswerte Verbesserungen für die Steuer- Kritik am Gesetz kommt auch von den Datenschüt- pflichtigen. Geringfügige Verbesserungen und die nicht zern. Das Verfahren der qualifizierten elektronischen Si- aufgegriffene berechtigte Kritik am Ermessensspielraum gnatur sei derzeit alternativlos. Deshalb sehen sie die im der Finanzverwaltung sowie der großspurige und damit Gesetz geschaffene Möglichkeit, anstelle der elektroni- irreführende Gesetzestitel sind letztlich Grund für die schen Signatur auf andere sichere Verfahren beim elek- Fraktion Die Linke, sich der Stimme zu enthalten. tronischen Besteuerungsverfahren zurückzugreifen oder auf beides ganz zu verzichten, mit Besorgnis. Die Daten- Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schützer sehen es deshalb als notwendig an, dass diese Dieses Gesetz hält nicht, was der Titel verspricht. Ich anderen Verfahren von unabhängigen Gutachtern, bei- muss ganz klar betonen: Für die Bürgerinnen und Bürger spielsweise der Bundesnetzagentur, beurteilt werden. bringt dieses Gesetz kaum Erleichterungen. Bürokratie- Außerdem muss es für die Steuerpflichtigen auch immer abbau im Sinne dieses Gesetzes bedeutet weniger Arbeit möglich sein, bei der elektronischen Kommunikation für die Finanzverwaltung, aber neue Pflichten für die mit dem Fisku, die qualifizierte elektronische Signatur Steuerpflichtigen. zu nutzen. Diese ernsthaften Bedenken und Forderungen der Datenschützer müssen bei der Umsetzung des Geset- Die Bürgerinnen und Bürger warten seit Jahren auf zes berücksichtigt werden. die versprochene durchgreifende Steuervereinfachung. Statt Vereinfachung hat die große Koalition das Steuer- Weitere Änderungen im Gesetz, wie höhere Schwel- (B) recht deutlich komplizierter gemacht. Zum Beispiel lenwerte für monatliche bzw. vierteljährliche Umsatz- (D) durch die Streichung der ersten 20 Kilometer bei der steuer- und Lohnsteuervoranmeldungen, sind durchaus Entfernungspauschale, durch die völlig unsystematische sinnvoll, denn dies entlastet kleinere Unternehmen und Ausgestaltung der Abgeltungssteuer – zu der wir jetzt im Verwaltung. Ebenso zu begrüßen ist es, dass die Verwal- Jahressteuergesetz schon wieder ein Dutzend Ände- tung bei offenen BFH-Verfahren die Steuer vorläufig rungsanträge beraten mussten – oder auch durch die Be- festsetzen kann, denn damit bleiben den Bürgern grenzung des Abzugs von Steuerberatungskosten, um „rechtswahrende“ Einsprüche erspart und der Verwal- nur einige zu nennen. Auch mit dem Steuerbürokratieab- tung natürlich deren Bearbeitung. baugesetz wird es für die Bürgerinnen und Bürger nicht Insgesamt bringt der Gesetzentwurf einige kleine einfacher werden, ihrer Steuerpflicht nachzukommen. Fortschritte, die Pflicht zur Abgabe einer elektronischen Im Kern des Gesetzes geht es darum, bisher papierba- Steuererklärung und das bürokratische Verfahren, dies sierte Steuererhebungsverfahren auf elektronische Ver- zu vermeiden, sind aber problematisch. Meine Fraktion fahren umzustellen. Nicht nur die Grünen, sondern auch wird sich deshalb bei der Abstimmung zu diesem Gesetz die Sachverständigen in der öffentlichen Expertenanhö- enthalten. rung haben grundsätzlich kritisiert, dass hier eine neue Pflicht für die Steuerpflichtigen eingeführt wird.

Die große Koalition hat darauf reagiert und eine Es- Anlage 16 cape-Regelung geschaffen. Die ist aber wiederum büro- kratisch. Die Steuerpflichtigen müssen einen Antrag Zu Protokoll gegebene Reden stellen, dass sie an dem neuen elektronischen Verfahren nicht teilnehmen können, aus wirtschaftlichen oder per- zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur sönlichen Gründen. Die Finanzverwaltung muss dann Verbesserung der Rahmenbedingungen für die auf die elektronische Abgabe verzichten. Der Schriftver- Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen kehr hat sich damit also verdoppelt. Statt wie bisher die (Tagesordnungspunkt 31) Steuererklärung in den Briefumschlag zu stecken und abzuschicken, müssen die Steuerpflichtigen jetzt einen Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Mit der heuti- Antrag stellen und dann dürfen sie wie vorher auch die gen Verabschiedung des Entwurfs eines Gesetzes zur Steuererklärung per Post abschicken. Es ist wirklich Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absiche- schon fraglich, worin hier die Erleichterungen für die rung flexibler Arbeitszeitregelungen, auch Flexi II ge- Bürgerinnen und Bürger bestehen sollen. Dieses Verfah- nannt, erfolgt eine konsequente Umsetzung des Koali- 20188 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) tionsvertrages von 2005. Damit wird das Flexi-I-Gesetz guthaben ab. Die sichere Anlage von Wertguthaben ist (C) aus dem Jahre 1998 weiterentwickelt. Unser Hauptziel: ein weiterer Punkt. Hoch spekulative Anlagen sollen Wir wollen Langzeitkonten attraktiver machen. – Wa- ausgeschlossen werden. Bei Wertguthaben soll der Akti- rum? Wir wollen, dass die Menschen ihre Lebensarbeits- enanteil auf 20 Prozent beschränkt werden. Außerdem zeit flexibler gestalten können. Langzeitkonten gewin- wird Werterhaltgarantie zum Zeitpunkt der Entnahme nen auch an Bedeutung im Hinblick darauf, dass die gefordert, die dem Arbeitnehmer die Auszahlung der gesetzliche Förderung der Altersteilzeit auslaufen wird mindestens eingebrachten Summe garantiert. Ausnah- und wir Ende der 20er-Jahre dieses Jahrhunderts ein men in Bezug auf einen höheren Aktienanteil sind aber Renteneintrittsalter von 67 Jahren haben werden. Mit durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarungen sowie Langzeitarbeitskonten sind Arbeitnehmer auch für be- bei Verwendung des Wertguthabens vor Bezug der Al- sondere Lebensphasen vorbereitet. Zum Beispiel bei Fa- tersrente möglich. milien- und Pflegezeiten. Darum geben wir den Beschäf- tigten mit diesem Gesetz ein Steuerungsinstrument an Des Weiteren ist die Portabilität von Wertguthaben die Hand, mit dem sie ihre Lebensarbeitszeiten in Zu- verbessert worden. Neben der Auszahlung des Wertgut- kunft besser lenken können. habens beim Arbeitgeberwechsel bestehen nun zwei neue Möglichkeiten. Durch die Neuerung ist es jetzt Wie macht man das? Erstens durch die deutliche Un- möglich, bei einem Arbeitgeberwechsel das Wertgutha- terscheidung von Langzeitkonten gegenüber Kurzzeit- ben auf den neuen Arbeitgeber oder die Deutsche Ren- oder Flexikonten. Sie haben unterschiedliche Funktio- tenversicherung Bund zu übertragen, die in diesem Fall nen. Zweitens durch die Absicherung der Langzeitar- das Konto führt und verwaltet. beitskonten gegen Risiken. Drittens durch eine flexible Ausgestaltung über Tariföffnungsklauseln, Ausnahme- Während der Beratungen war es Notwendigkeit, den und Übergangsregelungen. Und genau dies haben wir Gesetzesentwurf an der einen oder anderen Stelle nach- gemacht. zujustieren. So wurde der Schwellenwert für den Insol- venzschutz gesenkt. Im Gesetzentwurf war noch das Erstens ist es wichtig, Langzeitkonten gegenüber dreifache der monatlichen Bezugsgröße vorgesehen, ab Flexi- oder Kurzzeitkonten abzugrenzen. Kurzzeitkon- dem das Guthaben gegen Insolvenz gesichert ist. Der In- ten dienen nur der Arbeitszeitflexibilisierung und haben solvenzschutz soll früher beginnen. Deshalb haben wir nicht den Anspruch, größere Guthaben anzusparen. Sie den Schwellenwert auf eine monatliche Bezugsgröße re- dienen zum Beispiel dazu, kurzfristig die werktägliche duziert. Dies entspricht einem Betrag von 2 485 Euro in wöchentliche Arbeitszeit mit angesammelten Überstun- den alten und 2 100 Euro in den neuen Bundesländern. den abzubauen. Bei Langzeitkonten geht es um eine (B) Auch den Schwellenwert zur Übertragung von Wert- (D) langfristige Ansammlung von Arbeitszeiten, Überstun- guthaben auf die Deutsche Rentenversicherung Bund ha- den oder auch Urlaubszeiten inklusive Sozialversiche- ben wir von der 12-fachen Bezugsgröße auf die 6-fache rungsbeiträgen und Steuern. Diese angesparte Arbeits- Bezugsgröße abgesenkt. Das bedeutet in den alten Bun- zeit soll zu gesetzlich begründeten Anlässen wie desländern ein Volumen von 14 900 Euro und in den Kinderbetreuung, Pflege, Zeiten der Qualifizierung oder neuen Bundesländern von 12 600 Euro. Damit kommen Weiterbildung oder auch zur Verwendung vor Bezug der wir einer Forderung des Bundesrates entgegen und er- Altersrente genutzt werden. Steuern und Sozialversiche- möglichen die Führung von Wertguthaben bei der Deut- rungsbeiträge fallen hier erst an, wenn es zur Auszah- schen Rentenversicherung Bund schon ab einer geringe- lung aus dem Langzeitkonto kommt. Damit der Arbeit- ren Höhe. nehmer Wertguthaben wirklich als Steuerungsinstrument nutzen kann, muss er eine Übersicht seiner angesparten In der Praxis ist die Umwandlung von Wertguthaben Arbeitszeit haben. Deshalb wird der Arbeitgeber ver- in die betriebliche Altersvorsorge teilweise sehr exzessiv pflichtet, jährlich einen Kontoauszug zu erstellen, damit ausgenutzt worden. Dadurch konnte die Sozialversiche- der Arbeitnehmer weiß, wie viel er auf seinem Konto an- rungspflicht bei der Entgeltumwandlung oberhalb von gespart hat. 4 Prozent umgangen werden. Dies entspricht aber nicht der Intention von Wertguthaben. Zukünftig – Stichtag ist Zweitens sichern wir mit diesem Gesetz Wertgutha- der 13. November 2008 – wird dies nicht mehr möglich ben gegen Risiken ab. Wir haben zunächst den Insolvenz- sein. Hiermit werden betriebliche Altersvorsorge und schutz von Wertguthaben – ein Kernpunkt dieses Wertguthaben genauer voneinander abgegrenzt. Gesetzes – optimiert. Generell ist die Frist zur Informa- tionspflicht über den Insolvenzschutz auf zwei Monate Eine weitere Änderung bezieht sich auf die in § 7 c verkürzt worden. Unsichere Insolvenzschutzmaßnahmen SGB IV genannten Freistellungszwecke. Freistellungen wie Patronatserklärungen und konzerninterne Bürg- zum Zwecke pflegebedürftiger Angehöriger, Elternzeit, schaften sind nicht mehr zulässig. Arbeitnehmer erhalten Qualifizierungszeiten oder Verwendung des Guthabens die Möglichkeit zur Kündigung der Wertguthabenver- vor Bezug der Rente sind bei Bezug von Kurzarbeiter- einbarung bei fehlendem Insolvenzschutz und haben geld künftig gleich zu behandeln. Die Regelungen zu der einen Schadensersatzanspruch bei ungenügendem Insol- Übertragung von Wertguthaben treten zum 1. Juli 2009 venzschutz. Eine Prüfung des Insolvenzschutzes durch in Kraft. So ist hier die Möglichkeit gegeben, dass sich die Deutsche Rentenversicherung Bund rundet hier das die Deutsche Rentenversicherung Bund optimal auf die Bündel der Maßnahmen zum Insolvenzschutz von Wert- Neuerungen einstellen und vorbereiten kann. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20189

(A) Während der Beratungen des Gesetzentwurfs ist über konten in das Schonvermögen von ALG-II-Empfängern. (C) eine ganze Reihe von Fragen diskutiert worden, die aus Nach unserer Vorstellung haben Wertguthaben, für die meiner Sicht für die Verabschiedung des Gesetzentwurfs eine unwiderrufliche Festlegung auf eine ausschließliche nur vorläufig beendet worden sind oder noch ungeklärt Altersbindung besteht, den Charakter einer Altersvorsor- geblieben sind. Dazu gehört die Frage des Aktienanteils geleistung wie zum Beispiel die Riester-Rente; so hätten und der Werterhaltungsgarantie, weiterhin die Frage, ob diese Wertguthaben ebenso wie die als Schonvermögen die Portabilität auch auf andere als die Deutsche Renten- bei Bezug von ALG II behandelt werden können. Hier versicherung Bund möglich ist oder die Rückübertra- kündigen wir heute schon an, dass wir diese zwei The- gung auch auf neue Arbeitgeber zugelassen werden kann. men im Rahmen der Evaluierung des Gesetzes wieder Auch die Frage, ob Wertguthaben ins Schonvermögen auf die Tagesordnung setzen werden. übertragen werden sollen, konnte nicht endgültig geklärt werden. Also ein gutes Gesetz, das nicht alle unsere Wünsche erfüllt, das aber für die Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Trotzdem bin ich mir sicher, dass wir mit dem Gesetz nehmer eine größere Zeitsouveränität und Sicherheit bei eine gute Grundlage für die Gestaltung von Arbeitszeit- ihrer Lebensarbeitszeitgestaltung ermöglicht. konten legen. Die Bundesregierung wird bis zum 31. März 2012 einen Bericht zu den Auswirkungen der Den zu diesem Gesetz eingebrachten Antrag der Lin- Änderungen vorlegen. Bis dahin gilt es, Erfahrungen mit ken lehnen wir ab. Langzeitkonten zu sammeln, vor diesem Hintergrund eine Überprüfung der jetzigen Regelung vorzunehmen Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die Bundesregierung und die noch offenen Fragen zu klären. Während des legt heute einen Gesetzentwurf zur Schlussberatung vor, Gesetzgebungsverfahrens hat sich der Gesetzentwurf zu mit dem die Arbeitswelt durch Flexibilisierung der Ar- einem sogenannten Omnibus entwickelt, das heißt, es beitszeiten im Interesse der Arbeitnehmer und Arbeitge- sind Artikel mit Änderungen von anderen Gesetzen an- ber verbessert werden soll. Arbeitszeitkonten sollen gehängt worden, die nicht direkt mit Langzeitarbeitskon- künftig noch besser als bisher für eine selbstbestimmte ten zu tun haben. Zur Erläuterung dieser Vorhaben ver- Gestaltung des Arbeitslebens eingesetzt werden können. weise ich auf den Ausschussbericht. Über insolvenzrechtlich geschützte und portable Ar- beitszeitkonten sollen Arbeitnehmer Unterbrechungen des Erwerbslebens (zum Beispiel für Erziehungs- und Wolfgang Grotthaus (SPD): Das uns vorliegende Pflegezeiten) ermöglichen können. Auch soll durch Ar- Gesetz ist ein gutes Gesetz, denn es macht die Langzeit- beitszeitkonten die Flexibilität beim Übergang vom Er- konten von angesparter Arbeit sicherer, es schafft Klar- werbsleben in den Ruhestand verbessert werden. Im (B) heit, um welche Konten – hier Wertguthabenkonten ge- (D) Vordergrund des vorliegenden Gesetzentwurfs steht das nannt – es sich handelt. Es schafft die Möglichkeit einer Bemühen, einerseits die Portabilität der Wertguthaben zu eingeschränkten Portabilität, und mit dem Gesetz wird stärken, andererseits den Insolvenzschutz der Wertgutha- dafür gesorgt, dass das von den Arbeitnehmern ange- ben von Langzeitkonten zu verbessern. sparte Kapital nicht spekulativ angelegt werden kann. Gleichzeitig eröffnet es aber auch den Tarifvertragspar- Dabei baut der vorgelegte Gesetzentwurf auf dem un- teien, bei dem letztgenannten Punkt in Eigenverantwor- ter liberaler Mitwirkung im April 1998 erlassenen tung im Rahmen eines Tarifvertrages andere als im Ge- Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Ar- setz formulierte Vorgaben zu vereinbaren. beitszeitregelungen (BGBl. 1998 I Seite 688) auf, das die Grundlage für die Flexibilisierung der Arbeitszeit Die Zusammenarbeit in den Koalitionsfraktionen lief bildete. Die FDP-Bundestagsfraktion hat den Gedanken gut. Verbesserungen zum Wohle derjenigen, die Wert- eines selbstbestimmten Arbeitslebens seitdem, unter an- guthabenkonten ansparen wollen, wurden zügig abge- derem mit dem Konzept eines flexiblen Renteneintritts schlossen. Die Koalitionsfraktionen konnten Forderun- ab dem 60. Lebensjahr bei Wegfall aller Zuverdienst- gen, die ich nachfolgend aufzeigen möchte, durchsetzen. grenzen und mit Vorschlägen zur Stärkung der betriebli- Im Änderungsantrag wurden diese Verbesserungen in chen und privaten Vorsorge, konsequent weiterentwi- das Gesetz aufgenommen. Im Einzelnen: die Herabset- ckelt. Arbeitszeitkonten, welche die Arbeitnehmer im zung des Schwellenwertes, ab dem der Insolvenzschutz Übergang von der vollen Erwerbstätigkeit in den Ruhe- greift; die Herabsetzung der Wertgrenze für die Übertra- stand einsetzen können, ergänzen dieses Modell eines gung von Wertguthaben auf die DRV; die Verhinderung flexiblen Rentenzugangs in geradezu idealer Weise. der beitragsfreien Übertragung von Wertguthaben in die betriebliche Altersversorgung; die genaue Formulierung, Allerdings wurden in der Anhörung und in den zu welchem Zweck Zeit aus dem Wertguthaben genom- schriftlichen Stellungnahmen von den Sachverständigen men werden kann; schließlich die Gültigkeit der Freistel- zum Teil erhebliche Zweifel an den Regelungen des Ge- lungszwecke auch bei Kurzarbeit. setzentwurfs geäußert, sodass die FDP-Fraktion dem vorliegenden Gesetzentwurf am Ende nicht zustimmen Gerne hätten wir noch in das Gesetz mit aufgenom- kann. Ich will dies im Folgenden begründen: men, dass auch Kurzzeitkonten – Gleitzeit – dem Insol- venzschutz unterliegen. Dies war aber aufgrund des Ko- Erstens: Mangels einer Bestandsschutzregelung für alitionsvertrages nicht möglich. Auch war keine den Rechtsrahmen bereits bestehender Arbeitszeitkonten Einigkeit zu erzielen bei der Hereinnahme der Langzeit- führt der Gesetzentwurf die Gefahr herbei, dass viele Ar- 20190 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) beitgeber kurzfristig bestehende Arbeitszeitkonten auf- Drittens: Mit dem Gesetz sollen Wertguthaben wäh- (C) lösen. Denn der Gesetzentwurf sieht vor, dass auch für rend der Ansparphase besser als bisher geschützt wer- bereits existierende Arbeitszeitkonten das neue Recht den. Dafür sollen die Vermögensanlagevorschriften des gilt. Daraus ergibt sich, dass für bestehende Arbeitszeit- § 80 ff. SGB IV, die für öffentlich-rechtliche Sozialversi- konten die neu eingeführte Werterhaltungsgarantie cherungsträger gelten, künftig auf Arbeitszeitkonten an- greift. Arbeitgeber, deren Arbeitszeitkonten im Zusam- gewendet werden. In der Anhörung wurde aber mehr- menhang mit der Finanzmarktkrise in den letzten Mona- fach darauf hingewiesen, dass für die Versicherungen ten starke Einbußen erlitten haben, könnten daher ein In- der Verweis auch auf die Anlagevorschriften des § 80 ff. teresse daran haben, die bestehenden Arbeitszeitkonten SGB IV problematisch ist. Denn die Versicherungen vor Inkrafttreten der Werterhaltsgarantie aufzulösen. Da- könnten dann gezwungen sein, die Mittel aus Wertgutha- bei ist davon auszugehen, dass auch die Wertguthaben ben gesondert zu verwalten, neben den Geldern, die nach seriöser Arbeitgeber, die keine spekulative Anlagestrate- den Bestimmungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes gien verfolgten und beispielsweise in Aktienfonds mit angelegt werden. Dabei bieten bereits das Versiche- deutschen Unternehmenswerten investierten, in den letz- rungsaufsichtsgesetz und die darauf basierende Anlage- ten Monaten hohe Verluste aufweisen. verordnung einen sehr hohen Sicherungsstandard. Zweitens: Der im Gesetzentwurf vorgesehene Weg Viertens werden bei dem Versuch, Arbeitszeitkonten zur Verbesserung der Portabilität über die gesetzliche besser gegen Insolvenz zu schützen, Regelungen einge- Rentenversicherung ist in der gegenwärtigen Fassung führt, die der weiteren Verbreitung von Arbeitszeitkon- aus mehreren Gründen insbesondere für die Arbeitneh- ten im Wege stehen werden. Zwar wird damit auf die mer unattraktiv. Zum einen wird ein Rückübertragungs- Tatsache reagiert, dass in der Praxis bisher viele Arbeits- anspruch des Kontos eines Beschäftigten von der zeitkonten nicht wirksam insolvenzgesichert waren und Rentenversicherung auf einen neuen Arbeitgeber ausge- es dadurch zu Ausfällen von Arbeitszeitkonten bei Insol- schlossen. Er muss dann bei einem neuen Arbeitgeber venzen kam. ein neues Wertkonto bilden, wenn er einmal ein beste- hendes Konto auf die Rentenversicherung übertragen Kontraproduktiv für die weitere Verbreitung von Ar- hat. Das kann dazu führen, dass er am Ende über meh- beitszeitkonten ist aber der im Gesetzentwurf vorgese- rere Konten verfügt. Diese Regelung ist insbesondere hene Schadensersatzanspruch gegen den Vorstand oder deswegen ärgerlich, weil der Vertreter der Deutschen die Geschäftsführer eines Unternehmens, wenn sich der Rentenversicherung in der Anhörung geäußert hat, dass Insolvenzschutz nachträglich als nicht wirksam erweist. eine Rückübertragung durchaus denkbar sei, wenn die In der Anhörung wurde darauf hingewiesen, dass bereits entsprechenden Vorschriften zur Werterhaltsgarantie an- heute ein Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitge- (B) (D) gepasst würden. Die im Gesetzentwurf abstrakt genann- ber besteht, wenn er eine Insolvenzabsicherung unter ten „Gründe der Verwaltungssicherheit und Finanzie- Vortäuschung falscher Tatsachen unterlassen hat. rung“ sind also gar nicht der wirkliche Grund für die Darüber hinaus soll das Wertguthaben des Kontos mangelnde Portabilität, sondern die fehlende Ausarbei- künftig durch Dritte, insbesondere Treuhänder, geführt tung durch die Bundesregierung. werden. Es stellt sich die Frage, ob das nicht gerade für Zum anderen blieb in der Anhörung unklar, ob die kleinere Betriebe einen zu hohen Abfluss an Kapital be- Anlage der Arbeitszeitkonten bei der Rentenversiche- deutet. In der Anhörung wurde angemahnt, auch andere rung überhaupt attraktiv ist. Der Arbeitnehmer muss die als die im Gesetzentwurf vorgesehenen Sicherungs- Verwaltungskosten für das Wertguthaben tragen. Zu- instrumente, beispielsweise schuldrechtliche, gegen In- gleich gelten die konservativen Anlagevorschriften für solvenzfälle zuzulassen. öffentlich-rechtliche Sozialversicherungsträger. Man Unklar bleibt schließlich auch, warum Arbeitszeit- könnte und sollte darüber nachdenken, den Arbeitneh- konten künftig nur noch in Geldform und nicht mehr als mern ein Wahlrecht zuzugestehen, welchen Risikograd Zeitkonten geführt werden können. Eine wirkliche Be- sie bei der Anlage ihres Wertkontos haben möchten, was gründung liefert der Gesetzentwurf hier nicht. So wird sich natürlich auch auf die Garantiesumme auswirkt. lediglich die Vertrags- und Tarifautonomie beschnitten. Wenn die Anlage zu unattraktiv ist, wird dieser Weg der Portabilität nicht genutzt werden. Im Ergebnis enthält der heute zu beratende Gesetzent- Aus den Stellungnahmen zur Anhörung ergab sich wurf zu viele undurchdachte Regelungen, bei deren In- auch, dass eine treuhänderische Übernahme von Arbeits- krafttreten zu befürchten ist, dass sich Arbeitszeitkonten zeitkonten durch private Institutionen durchaus möglich nicht weiter verbreiten, sondern die Verbreitung sogar ist. Im Gesetzentwurf werden dagegen viele Gründe auf- behindert wird. Damit ist das Gesetz nicht zustimmungs- gezählt, warum eine treuhänderische Übernahme der Ar- fähig. Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich – weil sie beitszeitkonten durch private Anbieter nicht zulässig sich zu dem grundsätzlichen Ziel weiterhin bekennt – sein soll. Dabei steht vor allem der Schutz der Sozialver- der Stimme enthalten. sicherungsbeiträge im Vordergrund, also weniger die In- teressen der Arbeitnehmer als die Interessen der Sozial- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Wie stellte das Han- versicherungsträger. Mit dieser Interessengewichtung delsblatt am 9. November treffsicher fest: „Für die Ar- wird die Attraktivität des Gesetzes für Arbeitnehmer beitgeber ist derweil einer der erfreulichsten Aspekte des aber beschnitten. Gesetzes, dass die Koalition nicht alle Arbeitszeitkonten Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20191

(A) einschränken will: Kurzfristige Gleitzeitkonten und ähn- nicht die Frage, warum diese Portabilität eine Einbahn- (C) liche Modelle sollen weitgehend verschont bleiben.“ Es straße sein muss. Weshalb soll es nicht möglich sein, ein wird Sie sicherlich nicht verwundern, dass dies auch un- auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenes ser Hauptkritikpunkt ist. Ausgerechnet die große Masse Wertguthaben auf einen neuen Arbeitgeber zu übertra- der Arbeitszeitkonten, mit denen die Arbeitnehmerinnen gen? Diese Frage konnte auch in der Sachverständigen- und Arbeitnehmer zudem wesentlich zum Ausgleich anhörung nicht beantwortet werden. wirtschaftlicher Schwankungen beitragen, nämlich die Gleit- und Kurzzeitkonten, sind ausdrücklich von einem Ein Problem ist nach wie vor ausgespart: Die beste- Insolvenzschutz ausgenommen. Insbesondere die Sach- hende Gesetzeslage verhindert nicht, dass Wertkonten, verständigenanhörung hat deutlich gemacht, dass es da- die auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertra- für keinen sachlichen Grund und keine Notwendigkeit gen wurden, bei einem zwischenzeitlichen Bezug von gibt: Modelle zur Sicherung von Gleit- und Kurzzeitkon- Arbeitslosengeld II aufgelöst werden müssen. Damit ten befinden sich längst auf dem Markt. wird besonders bei jungen Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmern die Hemmschwelle für den Eintritt in die Begrüßenswert ist, dass sich die Koalition völlig un- Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit besonders hoch erwartet als lernfähig erwiesen hat, indem sie im Ände- sein. Doch gerade für diese Generation wäre dies wich- rungsantrag auf die Zeitgrenzen beim Insolvenzschutz tig, weil sie von der Heraufsetzung des Renteneintritts- verzichtet. Unklar bleibt allerdings, warum Wertkonten alters besonders betroffen sind. nicht vom ersten Cent an gesichert werden können, sind sie doch von den übrigen Arbeitszeitkonten funktionell Unbestritten ist die Insolvenzsicherung der Langzeit- getrennt. arbeitskonten gegenüber der bisherigen Gesetzeslage durch den vorliegenden geänderten Gesetzentwurf ein Einem selbstgestellten Anspruch wird auch der geän- Schritt in die richtige Richtung. Leider bleibt aber vieles derte Gesetzentwurf nicht gerecht: Er stellt keine Alter- unausgegoren – wie es ein Experte so schön formuliert native zur auslaufenden Förderung der Altersteilzeit hat –: „Das Flexi-II-Gesetz in seiner Unausgereiftheit durch die Bundesagentur für Arbeit und zur Anhebung weckt insgesamt Assoziationen an ein Montagsauto.“ der Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung Würden Sie sich, meine Damen und Herren, bewusst für auf 67 Jahre dar. Zum einen ist der Adressatenkreis des einen solchen Wagen entscheiden? Gesetzes auf relativ wenige Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer begrenzt. Zum anderen muss selbst dieser Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kleine Kreis den vorzeitigen Austritt aus dem Erwerbsle- Flexibilität ist keine Einbahnstraße, die wir nur von Ar- ben erst herausarbeiten. beitnehmern verlangen können. Immer mehr Menschen (B) (D) Langzeitarbeitszeitkonten sollen die Zeitsouveränität wollen und müssen ihre Erwerbsbiografien an ihre indi- der Beschäftigten erhöhen. Sie sollen insbesondere für viduellen Bedürfnisse und Erfordernisse anpassen, und Familienzeiten und Weiterbildung genutzt werden. Dies hierfür sind Langzeitarbeitszeitkonten ein wichtiges In- setzt aber voraus, dass diese Konten durch nicht vergü- strument. Familienphasen, Weiterbildung, Auszeiten, ein tete Arbeitszeit gespeist werden, was wiederum bedeu- individueller Ausstieg aus dem Erwerbsleben – für diese tet, dass zunächst länger gearbeitet werden muss. Diese Zwecke eignen sich im Idealfall Langzeitkonten. Verdichtung der Arbeit geht ausschließlich auf Kosten In der konkreten Ausgestaltung von Langzeitkonten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sie geht zu- lag bislang aber einiges im Argen. Die Koalition wollte lasten der Gesundheit und der Familienplanung. Dies das mit ihrem Gesetzentwurf ändern, aber aus grüner legt den Verdacht nahe, dass die Bundesregierung dieses Sicht ist sie dabei – trotz einiger Verbesserungen im Be- Instrument vorrangig für Besserverdienende gedacht hat, ratungsverfahren – viel zu kurz gesprungen. Deswegen die durch das Ansparen hoher Einmalzahlungen oder werden wir den Entwurf ablehnen. Die Gründe dafür lie- Prämien eher in der Lage sein werden, von dieser Form gen auf der Hand: der Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit Gebrauch zu machen. Erstens. Der Insolvenzschutz von Langzeitarbeitskon- ten bleibt lückenhaft. Nach wie vor bleiben generell Gut- Bereits bei der Einführung des Gesetzes habe ich da- haben ungesichert, die weniger als 2 485 Euro betragen. rauf aufmerksam gemacht, dass die im § 7 c vorhandene Bis zu dieser Grenze ist bei einer Insolvenz das Risiko Öffnungsklausel nicht geeignet ist zu verhindern, dass von Beschäftigten, ihr bereits erarbeitetes Entgelt zu ver- die nunmehrigen Wertkonten auch zum Ausgleich kon- lieren, sehr groß. Unsere Forderung bleibt, dass Lang- junktureller Schwankungen herangezogen werden kön- zeitkonten ab dem ersten Euro geschützt sein müssen. nen. Angesichts der stärkeren Verhandlungsposition des Aber selbst wenn ein Beschäftigter auf seinem Konto Arbeitgebers wird sich diese Möglichkeit der Inan- mehr als 2 485 Euro angespart hat, trägt er weiter einsei- spruchnahme des Wertkontos in den Verträgen zuhauf tig Risiken: Denn hat sein Arbeitgeber nicht für ausrei- wiederfinden. chenden Versicherungsschutz gesorgt, bekommt er zu- Die Übertragbarkeit von Wertkonten auf die Deutsche künftig zwar einen Schadenersatzanspruch eingeräumt – Rentenversicherung Bund trägt der wachsenden Anzahl ob er den gegenüber seinem insolventen Arbeitgeber gebrochener Erwerbsbiografien Rechnung. Doch auch aber auch durchsetzen kann, muss bezweifelt werden. diese Regelung, sowohl im ersten Entwurf als auch in Am Ende bleibt dasselbe Ergebnis: Das Guthaben ist der zur Abstimmung vorliegenden Fassung, beantwortet futsch. 20192 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) Zweitens. Die Übertragbarkeit von Langzeitarbeits- Elternzeit hinausgehende Familienzeiten und sogenannte (C) konten ist weiterhin unzureichend. Arbeitgeberwechsel Sabbaticals gewinnen in der betrieblichen Praxis immer sind heute die Regel und nicht mehr die Ausnahme. mehr an Bedeutung. Trotzdem ermöglicht die Neuregelung nicht die konti- nuierliche Kontoführung über mehrere Beschäftigungs- Durch Langzeitkonten kann der Beschäftigte über das verhältnisse hinweg. Die Konsequnez: Will ein neuer ganze Arbeitsleben hinweg souverän über die eigene Ar- Arbeitgeber das zuvor erarbeitete Konto nicht überneh- beitszeit verfügen. Diese vor zehn Jahren eingeführte men, bleibt nur, es aufzulösen. Damit sind aber auch die Grundidee attraktiver zu gestalten, dazu dient das Ge- Pläne, die mithilfe des Langzeitkontos realisiert werden setz. Arbeitszeit kann angespart, ja sogar vorgespart sollten, hinfällig geworden, werden, und sie wird erst verbeitragt und versteuert, wenn der Beschäftigte tatsächlich einen Freistellungs- Lediglich für Beschäftigte, die bereits ein hohes Gut- zeitraum nutzt. haben von mindestens 14 900 Euro angespart haben, hat die Bundesregierung eine weitere Option geschaffen: Sie Allerdings weisen die derzeit bestehenden Regelun- können ihr Guthaben auf die Deutsche Rentenversiche- gen Lücken auf, insbesondere, weil sich viele in der Pra- rung übertragen. Dann ist es jedoch nur noch für be- xis nicht an die gesetzlichen Verpflichtungen halten, stimmte gesetzlich normierte Zwecke nutzbar, wie zum wenn es um den Schutz der Langzeitkonten geht. Wir Beispiel die Eltern- oder die Pflegezeit. Diese Lösung setzen uns mit dem vorliegenden Gesetz engagiert für hat einen weiteren Haken: Unakzeptabel ist aus grüner diese Verbesserungen ein, weil wir wissen, dass die jetzi- Sicht, dass ein Beschäftigter ein bestehendes Guthaben gen Regelungen zum Insolvenzschutz nicht richtig grei- nicht wieder von der Rentenversicherung auf einen spä- fen oder nicht beachtet werden. teren Arbeitgeber übertragen kann, selbst wenn dieser das Konto übernehmen würde. Für diese Beschränkung Man darf nicht vergessen, dass Wertguthaben neben gibt es keinen nachvollziehbaren Grund. Auch die Ver- Arbeitsentgelt noch Sozialversicherungsbeiträge und treter der Rentenversicherung haben bestätigt, dass eine Lohnsteuer beinhalten. Diese Entgelte und die Einnah- Rückübertragung grundsätzlich möglich wäre. men der öffentlichen Kassen müssen wirksam geschützt und verlässlich sein. Wenn der Insolvenzschutz nicht ge- Drittens. Die Rechte der Arbeitnehmer werden bezo- währleistet ist, gilt die Vereinbarung zukünftig bei feh- gen auf die Nutzung ihrer Langzeitkonten nicht gestärkt. lender Heilung nicht, und Steuern und Abgaben werden Der Arbeitnehmer, der ein Langzeitarbeitskonto aufge- sofort fällig. Das ist ein deutlicher Anreiz, diese leicht- baut hat, kann nach den Plänen der Bundesregierung fertig ungeschützte Situation zu vermeiden. auch weiterhin nicht weitgehend frei über sein Guthaben (B) verfügen. Einen Anspruch auf Entnahme oder Freistel- Erstmals wird auch das Anlagerisiko für Wertgutha- (D) lung gegenüber dem aktuellen Arbeitgeber wird es auch ben geregelt. Langzeitkonten sind kein Privatvermögen zukünftig nicht geben. Diese Regelung wäre aus unserer und keine private Kapitalanlage, sondern ein Instrument Sicht aber notwendig, auch wenn wir im Normalfall ein zur Ermöglichung von Freistellungszeiten im Lauf der einvernehmliches Arrangement erwarten. Erwerbsbiografie. Dieses hart erarbeitete Arbeitsentgelt ist kein Spielgeld von irgendwelchen Schnellverspre- Viertens. Langzeitkonten gelten nicht als Schonver- chern und Finanzjongleuren. Bei der Erarbeitung des mögen im SGB II. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer ge- Gesetzentwurfes war von der Finanzkrise noch keine zwungen werden können, ihre Wertguthaben zur Siche- Rede. Wir haben jedoch von Anfang an die richtigen Re- rung ihres Lebensunterhalts wegen Arbeitslosigkeit zu geln vorgesehen, die einen optimalen Ausgleich zwi- verbrauchen. Auch das entspricht nicht unserer Vorstel- schen Sicherheit und Renditechance schaffen. lung. Angesichts solcher konkreten Gefahren werden viele Arbeitnehmer zögern, Zeit und Geld in ein Lang- Der Gesetzesentwurf greift Anregungen der Tarifpart- zeitkonto zu investieren. Selbstgestecktes Ziel der Bun- ner auf und enthält erstmals Vorschriften zur Portabilität desregierung war es, Langzeitkonten attraktiver und si- von Wertguthaben. Wer keinen neuen Arbeitgeber fin- cherer zu machen. Aber auch nach den Beratungen ist det, auf den er bei Wechsel des Arbeitsplatzes sein Wert- die Mängelliste lang geblieben, zu lang, als dass wir guthaben übertragen kann, der kann dies in Zukunft auf Grünen dem Gesetzentwurf zustimmen könnten. die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragen und bei gesetzlichen oder mit dem aktuellen Arbeitgeber ver- einbarten Freistellungszeiten darauf zugreifen. Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Arbeit und Soziales: Die eigene Lebensar- Diese Regelungen werden durch den Änderungsan- beitszeit planen, eine ganze Erwerbsbiografie lang trag der Regierungsfraktionen weiter verbessert: Durch selbstbestimmt gestalten – das sind berechtigte Wünsche die deutliche Absenkung des Schwellenwertes können vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Ihnen mehr Menschen von dieser Regelung profitieren und vorliegende Gesetzentwurf wird diesen Wünschen mit müssen ihre Guthaben nicht mehr auflösen. Damit schaf- klareren Regelungen und besserer Absicherung gerecht. fen wir es, die Funktion von Wertguthaben als Lebensar- Schon heute können Beschäftigte durch viele gesetzliche beitszeitkonten zu sichern. Ich bin mir sicher: Auf der Ansprüche ihre Zeit selbstbestimmt planen. Dies gilt Grundlage dieses Gesetzes werden derartige Konten etwa bei der Pflege, bei der Teilzeitarbeit, bei der Kin- schon in wenigen Jahren eine weite Verbreitung gefun- dererziehung und bei der Bildung. Aber auch über die den haben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20193

(A) Anlage 17 Unser Ziel bleibt es, Menschen mit und ohne Behin- (C) derung im Arbeitsleben zusammenzubringen, auch über Zu Protokoll gegebene Reden die Möglichkeiten der Unterstützten Beschäftigung hi- zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur naus. Ausgelagerte Werkstattplätze, ob im Berufsbil- Einführung Unterstützter Beschäftigung (Ta- dungsbereich oder auf Dauer angelegt im Arbeitsbe- gesordnungspunkt 33) reich, geben diesen Menschen mit Behinderungen Teilhabechancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt au- ßerhalb des Werkstattgebäudes. Wir wollen erreichen, Hubert Hüppe (CDU/CSU): Die CDU/CSU-Bun- dass sich Menschen mit und ohne Behinderungen auch destagsfraktion will für mehr Menschen mit Behinderun- in der Arbeitswelt begegnen. Die Klarstellung verdeut- gen Teilhabechancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt licht, dass ausgelagerte Werkstattplätze zum Leistungs- ermöglichen. Die Bundesregierung geht mit dem vorlie- angebot der Werkstätten gehören, auch wenn sie auf genden Gesetzentwurf zur Unterstützten Beschäftigung Dauer eingerichtet sind. Wir wollen Werkstätten für be- einen weiteren Schritt in diese richtige Richtung. hinderte Menschen mit der Klarstellung unterstützen, Der Gesetzentwurf sieht die Unterstützte Beschäfti- zukünftig noch mehr auf ausgelagerte Werkstattplätze gung als eine neue Leistung zur Teilhabe am Arbeitsle- als Teilhabeangebot zu setzen. Natürlich bleibt das Ziel, ben als Alternative zu einer Werkstatt für behinderte dass ausgelagerte Werkstattplätze letztendlich zu sozial- Menschen vor. Ziel der Unterstützten Beschäftigung ist versicherungspflichtigen Arbeitsplätzen werden. Wir ein regulärer, sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatz wollen aber nicht, dass die Betroffenen zurückgeholt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die neue Maßnahme werden, wenn dies nicht gelingt. Ebenso soll es mehr ist insbesondere für behinderte Menschen gedacht, die ausgelagerte Werkstattplätze für Menschen mit Behinde- vor der Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Men- rungen geben, bei denen aller Wahrscheinlichkeit nach schen stehen. Hierzu zählen vor allem junge Menschen ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis mit Behinderung, denen eine berufsvorbereitende Maß- nicht in Betracht kommen wird. Auch diese Menschen nahme oder eine Berufsausbildung wegen Art oder haben ein Recht auf gemeinsame Lebenswelten im Be- Schwere ihrer Behinderung nicht möglich ist. Daneben reich der Arbeit. richtet sich die Unterstützte Beschäftigung an Men- schen, bei denen sich im Laufe ihres Erwerbslebens eine Deutlich sage ich aber an dieser Stelle auch, dass die Behinderung eingestellt hat, beispielsweise aufgrund ei- Klarstellung alleine nicht ausreichen wird, wesentlich nes Unfalls oder einer psychischen Erkrankung. mehr Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am all- gemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Es muss zu- Die neue Leistung Unterstützte Beschäftigung glie- künftig für Menschen mit Behinderungen möglich sein, (B) dert sich in zwei Phasen. Die erste Phase ist die „indivi- Unterstützungsleistungen auch ohne Anbindung an eine (D) duelle betriebliche Qualifizierung“. Sie dauert in der Werkstatt für behinderte Menschen zu wählen. Regel zwei Jahre und soll mit einem regulären Arbeits- verhältnis enden. In der zweiten Phase wird „Berufsbe- Der zweite Punkt, die erhöhten Mittel der Integra- gleitung“ so lange geleistet, wie weitere Unterstützung tionsämter aus dem Aufkommen der Ausgleichsabgabe, nötig ist, um den Arbeitsplatz zu sichern. ist ebenfalls bedeutsam. Die Integrationsämter bekom- men durch die Unterstützte Beschäftigung eine neue Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht im Gesetz- Aufgabe, die Berufsbegleitung. Uns ist nicht nur wichtig, entwurf einen weiteren Baustein für verbesserte Teilha- dass die Integrationsämter diese neue Aufgabe gut be- bechancen von Menschen mit Behinderungen in der Ge- wältigen. Sie sollen auch ausreichende finanzielle Mittel sellschaft. Für uns ist entscheidend, dass es sich bei der für ihre aktuellen Aufgaben, beispielsweise für die För- Unterstützten Beschäftigung um eine Maßnahme handelt, derung von Integrationsprojekten, sogenannte Minder- in der die Menschen mit Behinderungen neu erworbenes leistungsausgleiche – auch wenn ich diesen Begriff nicht Wissen sofort praktisch im Betrieb anwenden können. mag –, und für Arbeitsassistenzen haben. Die Mittel, die Träger der neuen Maßnahme suchen einen geeigneten den Integrationsämtern zusätzlich zur Verfügung gestellt Betrieb aus und vermitteln dem Menschen mit Behinde- werden, sollen deshalb nicht für Werkstätten- oder rungen die nötigen Kenntnisse. Wir wissen, dass dieses Wohnheimförderung verwendet werden. Obwohl dieser Prinzip „Erst platzieren, dann qualifizieren“ in der Praxis Nachrang der Werkstätten- oder Wohnheimförderung in funktioniert. Erfolge von Leistungsanbietern, die bereits der Schwerbehindertenausgleichsabgabe-Verordnung ein- jetzt im Bereich Unterstützter Beschäftigung tätig sind, deutig geregelt ist, habe ich manchmal den Eindruck, bestätigen dies. dass man gerne auf die Mittel aus der Ausgleichsabgabe zurückgreift, wenn es um den Bau von Werkstätten- oder Gegenüber dem Gesetzentwurf haben die Koalitions- Wohnheimen geht. fraktionen in der gestrigen Ausschusssitzung einen Ände- rungsantrag beschlossen. Aus Sicht der CDU/CSU-Bun- Auch die weiteren Änderungen im Gesetzentwurf der destagsfraktion ist zum einen die Klarstellung wichtig, Bundesregierung will ich hier nicht unter den Tisch fal- dass ausgelagerte Werkstattplätze im Berufsbildungsbe- len lassen, weil sie vielen Menschen mit Behinderungen reich und dauerhaft ausgelagerte Werkstattplätze im Ar- bessere Teilhabechancen ermöglichen. Zu diesen Ände- beitsbereich zum Leistungsangebot der Werkstätten für rungen gehört, dass die individuelle betriebliche Qualifi- behinderte Menschen gehören. Zum weiteren ist es gut, zierung für Menschen mit Behinderungen zukünftig von dass die Integrationsämter in Zukunft einen höheren An- zwei auf drei Jahre verlängert werden kann, wenn dies teil am Aufkommen aus der Ausgleichsabgabe erhalten. nach Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist. 20194 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) Zeiten der Unterstützten Beschäftigung werden nur noch Von selbst kommt diese Inklusion nicht. Das ist die (C) zur Hälfte auf die Dauer des Berufsbildungsbereichs an- Erkenntnis über Jahrzehnte hinweg. Deshalb danke ich gerechnet und nicht voll, wie noch im Gesetzentwurf ausdrücklich dem Ministerium für Arbeit und Soziales vorgesehen. Menschen mit Behinderungen können so für den Entwurf und die fachliche Begleitung der parla- besser auf einen Werkstattplatz im Arbeitsbereich, zum mentarischen Beratung. Ebenso danke ich meinen Kolle- Beispiel auch auf ausgelagerten Werkstattplätzen, vorbe- ginnen und Kollegen im Ausschuss für die sachorien- reitet werden. tierte Debatte und denen, die dem Gesetz zustimmen, für ihre Unterstützung. Rehabilitationsträger können nach unserem Ände- rungsantrag in den Gemeinsamen Empfehlungen zur Eingliederung in eine sozialversicherungspflichtige Unterstützten Beschäftigung nicht nur Empfehlungen zu Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist das Qualitätsanforderungen der Maßnahmeträger, sondern Ziel. Welche flankierenden Maßnahmen sind erforder- auch zu Leistungsinhalten abgeben. Schließlich sind In- lich? Welche Mosaiksteine sind notwendig? In welcher tegrationsfachdienste als mögliche Leistungsanbieter im Größe und in welcher Farbe? Zunächst gilt es festzustel- Gesetz ausdrücklich genannt, was eine ausreichende len, dass nur mehr „Werkstatt-Steine“ den Potenzialen Leistungsanbietervielfalt gewährt. vieler Menschen mit Behinderungen nicht gerecht wür- den. Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sind Zusammenfassend ist zu sagen: Die CDU/CSU-Bun- ein wesentlicher Teil des Mosaiks. Mit unserem Gesetz destagsfraktion sieht die Unterstützte Beschäftigung mit fügen wir hier sogar noch einen neuen Teil hinzu, indem den von uns beschlossenen Änderungen als weitere gute wir rechtliche Klarheit für ausgelagerte Arbeitsplätze Möglichkeit, mehr Teilhabechancen am allgemeinen Ar- schaffen. beitsmarkt zu eröffnen. Der Erfolg der neuen Maßnahme Mit der Unterstützten Beschäftigung kommen neue wird maßgeblich zum einen davon abhängen, wie inten- Steine in einer neuen Farbe zum Mosaik hinzu. Unter- siv die Unterstützung der Menschen mit Behinderungen stützte Beschäftigung zielt auf den Arbeitsmarkt außer- ausfällt. Zum anderen wird es darauf ankommen, dass halb von Werkstätten. Unterstützte Beschäftigung setzt Unternehmen am allgemeinen Arbeitsmarkt die neue bei den Stärken der Menschen mit Behinderungen an Maßnahme annehmen. Deshalb hoffen wir bei der Um- und „assistiert“ dort, wo Unterstützungsbedarf ist. Ge- setzung natürlich auch auf die Unterstützung durch Ar- nau deshalb folgt das Vorgehen der Regel: Erst platzie- beitgeber. ren, dann qualifizieren – und dann, wenn nötig, beglei- Der von uns heute zu beschließende Gesetzentwurf ist ten. nicht der Schlusspunkt unserer Bemühungen. Auch für Ich habe im Vorfeld dieser Gesetzgebung mit zahlrei- (B) diejenigen Menschen mit Behinderungen, für die die chen Menschen mit Behinderungen gesprochen. Sie (D) neue Maßnahme nicht in Betracht kommt, müssen mehr wollen mittendrin sein und hätten sich diese Chance Teilhabechancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als schon früher gewünscht. Ich bin froh, dass auch die An- Alternative zu einer Tätigkeit in Werkstätten für behin- hörung ergeben hat, dass die Verbände der Unterstützten derte Menschen ermöglicht werden. Hieran werden wir Beschäftigung umfassend zustimmen. weiter arbeiten. Ich habe noch einmal Yvonne vor Augen, die junge Frau, die trotz ihrer Behinderung eine leistungsfähige, Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Heute ist ein gu- motivierte Arbeitnehmerin sein will – und mit unserem ter Tag für – hoffentlich viele – junge Menschen mit Be- Gesetz auch werden kann. Ihre Sichtweise habe ich Ih- hinderungen. Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur nen zur ersten Lesung vorgestellt. Was heißt das für Unterstützten Beschäftigung öffnet sich eine neue Per- Yvonne? Mehr als einen Platz im Leben, nein, auch ei- spektive, ein neuer Weg für Teilhabe am Arbeitsleben. nen Platz im Arbeitsleben – mittendrin eben. Sie will „voll dabei sein und die Ärmel hochkrempeln“. Sie wird Heute erfüllen wir nicht nur eine Selbstverpflichtung auch ein Gewinn sein für das Unternehmen. Denn plat- aus dem Koalitionsvertrag. Es ist uns von der SPD eine ziert am Arbeitsplatz können nun für sie die optimale Herzensangelegenheit, Menschen mit Behinderungen Qualifizierung erfolgen und die notwendige berufliche ein „Mittendrin“ und damit mehr Wahlmöglichkeiten, Begleitung genau an ihrem Arbeitsplatz. auch im Arbeitsleben, zu eröffnen. Denn Arbeit ist mehr als Broterwerb. Deswegen kommt dem Bereich der Teil- Mit den Änderungsanträgen haben wir für nötige Klar- habe am Arbeitsleben eine besondere Bedeutung zu. stellungen gesorgt. Ich will drei herausgreifen. Zur Finan- zierung kommen den Ländern weitere 10 Prozent der Wie ein Mosaik füllen wir Stück für Stück den Rah- Ausgleichsabgabe zu. Wir haben die klare Erwartung, men für ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit dass diese Mittel genau für Unterstützte Beschäftigung Behinderung. Das persönliche Budget ist Teil des großen verwendet werden. Wir stärken die Integrationsfach- Rahmens, die Unterstützte Beschäftigung kommt heute dienste: Bei Wechsel von Unterstützter Beschäftigung in dazu. Unterstützte Beschäftigung hat das Ziel, jungen eine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen hälftige Menschen mit Behinderung in Unternehmen einen Ar- Anrechnung der individuellen Qualifizierung auf den Be- beitsplatz zu ermöglichen, den sie ohne dieses Gesetz rufsbildungsbereich. Somit besteht Klarheit, dass die nicht bekommen. Es strebt also nach dem Maximum an Nutzer und Nutzerinnen der Unterstützten Beschäftigung Normalität und Teilhabe für Menschen mit Behinderun- die Sicherheit haben, auch in oder wieder zurück in die gen. „Werkstatt“ gehen zu können, wenn sie sich zu viel zuge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20195

(A) traut haben. Die Auffangsituation „Werkstattarbeit“ gierungsfraktionen –, das nur von einem relativ geringen (C) bleibt. Personenkreis erreicht werden kann. Eingliederung in eine sozialversicherungspflichtige Zudem wurde in der Anhörung hervorgehoben, dass Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist das mit dem Gesetzentwurf ein, so wörtlich, „neues Mosaik- Ziel dieses Gesetzentwurfs. Unterstützte Beschäftigung steinchen voneinander abgegrenzter Leistungen“ ge- ist der Weg, der neue Teil unseres Mosaiks. Wir schät- schaffen wird. Das Wunsch- und Wahlrecht der Men- zen, dass es bis zu fünf Jahre dauern wird, bis dieser von schen mit Behinderung droht dabei nicht ausreichend möglichst vielen genutzt wird. Um den Weg gut auszu- beachtet zu werden. Der Wechsel zwischen verschiede- bauen, muss nun begonnen werden, gemeinsame Emp- nen Ausbildungswegen, etwa der Werkstatt und der fehlungen zu den Qualitätsanforderungen zu erarbeiten. Maßnahme „unterstützte Beschäftigung“, scheint pro- blematisch. Ob Personen, die bereits im Arbeitsbereich Ich bin zuversichtlich, dass sich eine Trägerlandschaft einer Werkstatt tätig sind, auch von der neuen Förder- entwickeln wird, die dafür sorgt, dass sich der Rahmen maßnahme profitieren könnten, bleibt nach wie vor un- unserer Politik für und mit Menschen mit Behinderun- geklärt. gen weiter füllt – mit mehr Farben und mehr Möglich- keiten, sich zu entscheiden. Und das führt zum Mitten- In der Anhörung wurde darüber hinaus betont, dass drin-Sein – auch für Yvonne. die volle Anrechnung der Dauer der unterstützten Be- schäftigung auf eine sich möglicherweise ergebende Dr. Erwin Lotter (FDP): Die FDP-Bundestagsfrak- Notwendigkeit, doch in die Werkstatt zu wechseln, und tion begrüßt, dass Menschen mit Behinderung mit dem die im Berufsbildungsbereich zu erbringende Ausbil- vorliegenden Gesetzentwurf die Chance und entspre- dungsdauer problematisch ist. Die Fachleute betonten, chende Hilfen an die Hand gegeben werden sollen, um dass eben die Ausbildungsinhalte nicht unbedingt de- auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem sozialversi- ckungsgleich seien. Die im Ausschuss beschlossenen cherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis Fuß zu fas- Änderungsanträge bieten hinsichtlich der zeitlichen An- sen. Wie auch für Menschen ohne eine Behinderung ist rechnung zwar eine Verbesserung. Eine individuelle, auf der Arbeitsplatz ein entscheidender Beitrag für ein die jeweilige Ausbildungssituation bezogene Regelung selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Anerken- wäre hier sicherlich sinnvoller und eher im Sinne der Be- nung. troffenen gewesen. So gut auch die Intention des Gesetzentwurfes ist, er Es bleibt festzuhalten, dass die unterstützte Beschäfti- gibt dennoch Anlass zu einigen kritischen Anmerkun- gung eine weitere Maßnahme im bestehenden Sachleis- (B) gen, die auch in der Anhörung des Ausschusses für Ar- tungsprinzip darstellt. Die FDP-Bundestagsfraktion hätte (D) beit und Soziales zum vorliegenden Gesetzentwurf the- sich eine weitergehende, das Wunsch- und Wahlrecht der matisiert wurden: Betroffenen stärkende Lösung vorstellen können, wie etwa die Werkstattleistungen grundsätzlich budgetfähig Der Adressatenkreis der neuen Fördermaßnahme ist zu machen. Dieses wäre sicherlich eine Maßnahme, die unklar definiert. Für die Betroffenen ist es aber natürlich auf diesen ersten Schritt – so bezeichnen Vertreter der von entscheidender Bedeutung, ob sie, und auch nach Regierungsfraktionen ja gerne den Gesetzentwurf – zeit- Absolvierung welchen Zugangsverfahrens, in den Ge- nah folgen müsste. nuss der neuen Fördermaßnahme kommen können. Die Aussagen der Anhörung, insbesondere seitens der Prak- Dennoch – so wurde es in der Anhörung deutlich – tiker, lassen ohnehin erwarten, dass die Maßnahme letzt- scheint der vorliegende Entwurf zumindest einem klei- lich nur für einen relativ geringen Personenkreis Anwen- nen Teil der Menschen mit Behinderung Chancen zu er- dung finden kann. Die Praktiker sprachen hier von etwa öffnen, dem wir uns auch nicht entgegenstellen möchten. 5 Prozent der Werkstattberechtigten, die möglicherweise Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich dementspre- infrage kommen. chend zu dem vorliegenden Gesetzentwurf enthalten. Hinsichtlich der Zielrichtung des Gesetzentwurfes ist die Argumentation der Befürworter ohnehin wider- Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Die Linke unterstützt sprüchlich: Die Zielsetzung des Gesetzentwurfes der das Ziel, behinderten Menschen mit besonderem Unter- Bundesregierung ist die dauerhafte Sicherung des Ar- stützungsbedarf eine angemessene, geeignete und sozial- beitsverhältnisses ohne weitere Unterstützung, was ja als versicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen sehr optimistisch bezeichnet werden muss. Ohne Einglie- und zu erhalten. Wir haben die Hoffnung, dass einige derungszuschüsse und einen Minderleistungsausgleich, Menschen mit Behinderungen mit diesem Instrument so stellten es die Praktiker in der Anhörung eindringlich Arbeit auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt finden. dar, wird das Beschäftigungsverhältnis langfristig nicht Ergänzend möchte ich anmerken, dass wir hier Arbeit haltbar sein. Das wurde auch durch Abgeordnete der Re- meinen, von der man auch leben kann. Menschen mit gierungskoalition im Ausschuss vertreten, mit dem Hin- Behinderungen sollen ihren gesamten Lohn für ihren Le- weis, dass derartige Unterstützungsleistungen auch wei- bensunterhalt wie alle anderen auch behalten können terhin möglich seien. Die dauerhafte Sicherung des und nicht bis auf den gering bemessenen Selbstbehalt Arbeitsverhältnisses ohne weitere Unterstützung ist so- nach SGB XII für die behinderungsbedingten Mehrbe- mit ein Ziel – und das wissen auch die Kollegen der Re- darfe wieder abführen müssen. 20196 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) Der Ansatz – erst platzieren, dann qualifizieren – ist Arbeit für Menschen mit Behinderungen ist dann nicht (C) grundsätzlich sinnvoll. Menschen mit Behinderungen mehr möglich. brauchen mehr Chancen, Arbeit auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt zu erlangen. Es ist nicht hinnehm- Ein weiteres offenes Problem ist die Entwicklung der bar, dass Menschen mit Behinderungen lebenslänglich in Ausgleichsabgabe. Laut Antwort der Bundesregierung Aussonderungseinrichtungen geparkt werden: von der vom 31. Oktober 2008 auf meine Anfrage ist das Auf- kommen der Ausgleichsabgabe rückläufig. Damit san- Sonderschule zur Sonderberufsschule und dann zur Be- ken zwangsläufig auch die Ausgaben der Integrations- schäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behin- ämter und des Ausgleichsfonds – von circa 690 Mil- derungen. lionen Euro im Jahr 2002 auf knapp 500 Millionen Euro Die Linke teilt aber nicht die Euphorie der Koalition. im Jahr 2007. Es ist ein Trugschluss, zu meinen, dass die An der Situation, dass die Arbeitslosenquote bei Men- zusätzlichen aus dem Instrument der Unterstützten Be- schen mit Behinderungen doppelt so hoch ist wie bei schäftigung resultierenden Aktivitäten auch noch aus der Nichtbehinderten, wird sich mit dem Instrument der Un- Ausgleichsabgabe finanziert werden können. terstützten Beschäftigung kaum etwas ändern. Hier sind Es gibt also aus Sicht der Linken neben dem Für viel mehr und wirksamere Aktivitäten des Bundes, der Län- Wider zu diesem Gesetz. Insofern ist die Zustimmung der und Kommunen, aber auch der Wirtschaft erforder- verbunden mit der Erwartung und Forderung an die Bun- lich. desregierung, mehr zu tun, um Menschen mit Behinde- rungen im Geist der UN-Behindertenrechtskonvention in Gefragt sind aber auch die Gewerkschaften, die Be- Arbeit zu bringen und in den nächsten Wochen und Mo- triebsräte, die nicht behinderten Kolleginnen und Kolle- naten die benannten Mängel des Gesetzes auszuräumen. gen. Mein Appell an Sie und an euch: Sorgt dafür, dass Menschen mit Behinderungen ausreichend Platz auf dem ersten Arbeitsmarkt finden. Seid kollegial und solida- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Um risch! Schaut nicht weg, wenn Kolleginnen und Kolle- es vorweg zu nehmen: An unserer grundsätzlichen Zu- gen wegen ihrer Behinderung ausgegrenzt oder gemobbt stimmung für eine Unterstützte Beschäftigung gibt es werden! Ohne euch bleiben alle Gesetze und Förderpro- keinen Zweifel. Auch der nun zu beschließende Gesetz- gramme wirkungslos. Hier seid ihr gefragt. entwurf ist für einige Menschen mit Behinderungen hilf- reich, weil er die Teilhabe am Arbeitsleben bedarfsge- Viele der Fragen und Probleme aus den zu Protokoll recht und personenzentriert verbessern kann. gegebenen Reden in der ersten Lesung im Bundestag am Leider lässt der Entwurf allerdings zu viele Fragen of- 16. Oktober und aus der sechzigminütigen Anhörung am (B) fen, sodass nach unserer Einschätzung die neue Maß- (D) 5. November sind bis heute nicht gelöst. Ich begrüße, nahme mit zu vielen Risiken für die Betroffenen verbun- wenn der Bund Menschen mit Behinderungen, die nicht den ist. im Sinne des Gesetzes als schwerbehindert gelten, bei der Beschaffung von Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt Zwar – und das ist anzuerkennen – haben die Aus- helfen will. Gerade diese Menschen fallen allzu oft schussverhandlungen zu einigen Verbesserungen ge- durch jedes Raster. Die maximal zweijährige arbeits- führt. So gibt es eine Änderung der Anrechnungsforma- platzbegleitende Ausbildung ist gut. Aber was dann? litäten der Unterstützten Beschäftigung auf die Zeiten im Wie wird danach die notwendige dauerhafte Förderung Berufsbildungsbereich der Werkstatt für behinderte bzw. Assistenz zum Erhalt des Arbeitsplatzes gesichert? Menschen. Auch die Änderungen der Ausgleichsabga- Hier steht die Antwort der Bundesregierung aus. benverordnung ist – auch wenn nicht hinreichend – so doch zumindest anzuerkennen. Erst gestern fand im Bundestag die erste Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur Ratifizierung Nichtsdestotrotz werden Bündnis 90/Die Grünen ge- der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit gen den vorliegenden Gesetzentwurf stimmen. Wir sind Behinderungen statt. Besonders der Artikel 27 – Arbeit uns darüber im Klaren, dass der Gesetzentwurf bewusst und Beschäftigung – der Konvention ist Grundlage und nicht der große Wurf sein soll, sondern nur einen „Mosa- Maßstab für dieses Gesetz, aber auch Artikel 31 – Statis- ikstein“ im Gesamttableau der beruflichen Teilhabe be- tik und Datensammlung – spielt bei diesem Gesetz eine hinderter Menschen darstellen soll. Auf das Gesamtta- wichtige Rolle. Deswegen bleibt nicht akzeptabel die bleau warten wir weiterhin, wahrscheinlich vergeblich. – von mir schon in der ersten Lesung kritisierte – Ab- Aber eines möchte ich ganz klar sagen: Auch ein schaffung der Informationspflicht der Bundesagentur für „Mosaikstein“ kann bei fahrlässiger Ausgestaltung sei- Arbeit über die Beschäftigungsquote schwerbehinderter ner Bedingungen die ursprünglichen Absichten, ein Menschen bei öffentlichen Arbeitgebern. Ist das die Art, Mehr an Alternativen der beruflichen Teilhabe herzustel- wie die Bundesregierung die UN-Konvention über die len, in ihr Gegenteil umkehren. Das Gegenteil hieße in Rechte von Menschen mit Behinderungen umsetzen diesem Fall die Einschränkung der Wunsch- und Wahl- will? Wem nützt die Abschaffung der Informations- rechte sowie die drohende Perspektivlosigkeit auf dem pflicht? Wenn der Überblick fehlt, werden auch die An- Arbeitsmarkt. Denn weder die offenen Fragen der Rück- strengungen im öffentlichen Dienst, Menschen mit Be- kehrmöglichkeiten, noch die Überwachung der Quali- hinderungen zu beschäftigen, geringer. Auch ein tätsstandards bei Ausschreibungen noch die nachhaltige effizienter Einsatz von Mitteln für die Förderung von Finanzierung wurden abschließend geklärt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20197

(A) Hierzu im Einzelnen: noch 20 Prozent sein. Die Bundesagentur für Arbeit er- (C) hält bislang 26 Prozent aus den Mitteln des Ausgleichs- Rückkehrmöglichkeiten. Schon im Vorfeld haben wir fonds. Nach den Änderungen am Entwurf werden es nur kritisiert, dass die neue Maßnahme der Unterstützten Be- noch 16 Prozent sein. Die Bundesländer forderten in ih- schäftigung keine Rückkehrmöglichkeit in die Werkstatt rer Stellungnahme, über den Bundesrat nur 10 Prozent für behinderte Menschen beinhaltet. Damit bestehen zu zahlen und nur 14 Prozent an die Bundesagentur zu weiterhin zwei wesentliche Probleme: Erstens werden überweisen. keine behinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – die sogenannten Werkstattbeschäftigten – einer Werkstatt Insgesamt scheint das ein Kompromiss zu sein, den die neue Leistung in Anspruch nehmen, wenn keine man wohl begrüßen kann. Ob die Finanzierung damit je- Rückkehrmöglichkeit besteht. Zweitens ist weiterhin un- doch dauerhaft gewährleistet und ob nicht am Ende an geklärt, was mit Menschen passiert, die trotz Berufsbe- anderen Instrumenten wie dem Lohnkostenzuschuss gleitung keine dauerhaften Chancen auf dem allgemei- oder den Integrationsprojekten gespart wird, darf weiter- nen Arbeitsmarkt haben. hin bezweifelt werden. Ausschreibungen. Generell muss bezweifelt werden, Bündnis 90/Die Grünen stehen für einen umfassende- ob Ausschreibungen das richtige Mittel sind, um die ho- ren Ansatz zur beruflichen Teilhabe behinderter Men- hen Qualitätsstandards bei der Maßnahme durchzuset- schen. Im Sinne einer Stärkung des Wunsch- und Wahl- zen. Die Anhörung hat gezeigt, dass enorme Zweifel rechtes müssen nach unserer Auffassung alle Menschen darüber bestehen. Qualitätsstandards können einfach aus mit Behinderungen – unabhängig von der Art oder dem Internet abgeschrieben werden. Dies berichteten zu- Schwere ihrer Behinderung – in die Lage versetzt wer- mindest die Sachverständigen des Deutschen Gewerk- den, selbst entscheiden zu können, in welcher Form sie schaftsbundes und der Aktion Psychisch Kranke e. V. am Arbeitsleben teilhaben möchten. Entscheidend ist, sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte dass sie individuell gefördert und bei Bedarf nach dem Beschäftigung. Prinzip des Nachteilsausgleichs dauerhaft unterstützt Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband betont in werden. seiner Informationen an den Ausschuss Arbeit und So- ziales, dass die Erfahrungen in der Frühförderung ge- Die Finanzierung so wichtiger Instrumente wie des zeigt hätten, „dass die Verständigung zu Rahmenemp- Lohnkostenzuschusses, der Arbeitsplatzausstattung oder fehlungen ein sehr langwieriger Prozess sein kann und der Integrationsfirmen muss nachhaltig gesichert wer- im Ergebnis die Empfehlungen von den jeweiligen Re- den. Darum müssen sich mittelfristig neue Finanzie- habilitationsträgern nur bedingt umgesetzt werden“. In- rungsformen zur Ermöglichung dauerhafter Minderleis- sofern sei es bedauerlich, dass die Bundesregierung sich tungsausgleiche entwickeln. (B) (D) im Rahmen des geplanten Gesetzes nur bedingt für eine Nach unserer Auffassung sollten Kostenträger sowohl Konkretisierung zur Qualität der Leistung entschieden des Minderleistungsausgleichs als auch der Formen der hat. Unterstützten Beschäftigung sowohl die Träger für Leis- Um die Wahlmöglichkeiten nicht weiter einzuschrän- tungen in Werkstätten für behinderte Menschen als auch ken, kommen Bündnis 90/Die Grünen zu dem Ergebnis, die Integrationsämter sein. Auch die Bundesagentur für dass vergaberechtliche Ausschreibungen hier abzuleh- Arbeit, die nach dem Übergang des behinderten Men- nen sind. Diese schränken die Anzahl der Anbieter ein schen vom Berufsbildungsbereich in den Arbeitsbereich und somit letztendlich auch das Wunsch- und Wahlrecht bislang ihre „Trägerschaft verliert“, sollte Finanzverant- behinderter Menschen. Zudem besteht die Gefahr, dass wortung übernehmen. Nur so fällt für die Bundesagentur der billigste Anbieter ausgewählt wird. Die Qualität für Arbeit der negative Anreiz beim Übergang von dem bliebe auf der Strecke. Berufsbildungs- in den Arbeitsbereich weg. Durch einen fest vereinbarten Finanzschlüssel und eine klare Struk- Finanzierung. Für die Berufsbegleitung sollen die In- turverantwortung eines Trägers kann diese Zwischenlö- tegrationsämter, die sich hauptsächlich aus Mitteln der sung so gestaltet werden, dass sie dem oder der Betroffe- Ausgleichsabgabe finanzieren, verantwortlich sein. Die nen nicht zum Negativen gereicht. Optimal und als allermeisten Integrationsämter haben schon jetzt erhebli- mittelfristige Perspektive ist jedoch eine Zusammenfüh- che finanzielle Schwierigkeiten, ihren gesetzlichen Auf- rung leistungsrechtlicher Vorschriften der Teilhabe am gaben nachzukommen. Die Unterstützte Beschäftigung Arbeitsleben in einem Gesetz vonnöten. bedeutet für sie eine zusätzliche Belastung.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- und Hauptfürsorgestellen erklärt in ihrer Stellungnahme, ministerium für Arbeit und Soziales: Nach den Beratun- dass Modellrechnungen von einzelnen Integrationsäm- gen in den Ausschüssen liegt heute der Gesetzentwurf tern zeigen, dass die Finanzierung der Berufsbegleitung zur Einführung Unterstützter Beschäftigung zur Abstim- – zum Beispiel Kosten der Betreuung der schwerbehin- mung vor. Die Verabschiedung und Umsetzung dieses derten Menschen am Arbeitsplatz und Lohnkostenzu- Gesetzes ist neben der Ratifikation der VN-Konvention schüsse an Arbeitgeber – bundesweit rasch zweistellige über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zur- Millionenbeträge erreichen wird. zeit das wichtigste Vorhaben, an dem wir im Bereich der Bisher leiten die Integrationsämter 30 Prozent der Behindertenpolitik arbeiten. Denn, Arbeit zu haben, das Ausgleichsabgabe an den Ausgleichsfonds weiter. Nach kann man kaum oft genug betonen, ist eben mehr als nur Änderungen am Gesetzentwurf werden es zukünftig nur Lebensunterhalt sichern. Arbeit zu haben, das heißt auch 20198 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) Selbstbestätigung, stolz auf das Geleistete sein zu kön- Zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung Unter- (C) nen, anderen zu erzählen, was man macht, dazu zu gehö- stützter Beschäftigung hat am vergangenen Mittwoch ren. Wer Arbeit hat, kann sein Leben selbst in die Hand die Anhörung stattgefunden. Diese hat bestätigt, dass wir nehmen und gestalten. Das gilt grundsätzlich für uns alle mit dem Gesetzentwurf ein gutes, praxistaugliches Kon- und doch für Menschen mit Behinderungen in ganz be- zept vorgelegt haben. Das zeigten insbesondere die Äu- sonderer Weise. Aus diesem Grund führen wir mit der ßerungen der Sachverständigen, die bereits heute nach Unterstützten Beschäftigung einen neuen Fördertatbe- dem Konzept der Unterstützten Beschäftigung arbeiten. stand ein.

Er soll behinderten Menschen mit einem besonderen Anlage 18 Unterstützungsbedarf bei der Eingliederung in eine so- zialversicherungspflichtige Beschäftigung helfen. Es geht Zu Protokoll gegebene Reden um Personen, die von einer Ausbildung oder auch einer berufsvorbereitenden Maßnahme aus behinderungsbe- zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge- dingten Gründen überfordert, gleichwohl in einer Werk- setzes zur Änderung des Autobahnmautgesetzes statt für behinderte Menschen unterfordert wären. Für für schwere Nutzfahrzeuge (Tagesordnungs- diesen Personenkreis wird es künftig die Unterstützte punkt 35) Beschäftigung geben. Wilhelm Josef Sebastian (CDU/CSU): Endlich Bereits heute können regionale Anbieter langjährige wird nun umgesetzt, was dem Transportgewerbe schon und gute Erfahrungen mit Unterstützter Beschäftigung 2003 bei der Beschlussfassung über die Einführung der vorweisen. Sie zeigen, dass auch behinderte Beschäftigte Maut versprochen wurde. Es ist höchste Zeit für diese mit einem hohen Unterstützungsbedarf dauerhaft in Be- Gesetzesänderung. Die deutschen Spediteure kämpfen trieben des allgemeinen Arbeitsmarkts tätig sein können, momentan besonders hart ums Überleben. Mit der Zu- wenn sie von allen Beteiligten die dafür erforderliche stimmung zu diesem Gesetz gewähren wir ihnen das Unterstützung bekommen. Diese Erfolge sind für uns volle Harmonisierungsvolumen von 600 Millionen Euro, Ansporn und Motivation genug, die Unterstützte Be- das wir ihnen 2003 versprochen haben. schäftigung mit Beginn des kommenden Jahres bundes- weit anzubieten. Wir haben damit auch die Chance, in- Warum erst jetzt? Das Verkehrsministerium hätte den nerhalb Europas Schrittmacher zu werden; denn auch die ganzen Vorgang beschleunigen müssen. Es hätte intensi- Europäische Kommission beabsichtigt, Ideen zu sam- ver daran arbeiten müssen. Jedoch ganz mutwillig ge- meln, wie Unterstützte Beschäftigung in Europa geför- schah diese Verzögerung nicht. Die Verzögerung ist auch (B) dert werden kann. der Tatsache geschuldet, dass die Harmonisierung in ei- (D) ner Form geschehen musste, die die EU-Kommission to- Wir wollen damit auch erreichen, dass mehr behin- lerieren konnte. derte Menschen als bislang ihren Lebensunterhalt außer- halb von Werkstätten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Der erste Versuch bestand darin, dass die Mautgebüh- verdienen können – gemeinsam mit nicht behinderten ren den deutschen Spediteuren teilweise erstattet werden Menschen. Die Vorarbeiten sind in enger Zusammenar- sollten. Die EU-Kommission lehnte jedoch diese teil- beit mit den Verbänden behinderter Menschen erfolgt. weise Erstattung der Mautgebühren als Diskriminierung Ich bin deshalb davon überzeugt, dass wir ein praxis- ab. Alternativ entwickelte die Bundesregierung zusam- taugliches Instrument entwickelt haben, das Menschen men mit den Verbänden ein sogenanntes Mautbonussys- mit Behinderung und Arbeitgeber konkret an ihren tem mit einem Volumen von 350 Millionen Euro. Auch Bedürfnissen abholt. Wir wollen und wir werden einen dieses lehnte die EU-Kommission ab, genauso wie sie realistischen und Erfolg versprechenden Weg in den all- Steuersparmodelle und günstige Abschreibungsmodelle gemeinen Arbeitsmarkt und in sozialversicherungs- ablehnte. pflichtige Beschäftigung weisen. Wir von der CDU/CSU-Fraktion haben immer und zu Auch die Zusammenarbeit mit den Ländern war eng jeder Zeit auf der vollen Harmonisierung bestanden. Weil und konstruktiv, nicht zuletzt die Einigung bei der Neu- aber eine volle Harmonisierung aus den verschiedensten verteilung der Ausgleichsabgabe zeigt das. Künftig wer- Gründen scheiterte, haben wir seinerzeit dem ursprüng- den die Integrationsämter der Länder 80 statt wie bisher lich versprochenen Mautsatz von 15 Cent nicht zuge- 70 Prozent des Aufkommens an der Ausgleichsabgabe stimmt und auf einem reduzierten Satz von 12,4 Cent be- erhalten. Der Anteil der Bundesagentur für Arbeit sinkt standen. Dieser verminderte Mautsatz war immer unser daher von bisher 26 auf künftig 16 Prozent. Das ist sinn- Faustpfand. Und für uns war immer klar, nur bei einer voll, weil die Bundesagentur für Arbeit seit Einführung vollen Harmonisierung in Höhe von 600 Millionen Euro des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nicht mehr für werden wir erst einer Mauterhöhung zustimmen. Bei alle arbeitslosen schwerbehinderten Menschen zuständig dieser Absenkung des Mautsatzes von 15 auf 12,4 Cent ist. Den Integrationsämtern der Länder hingegen werden konnte man aus europarechtlichen Gründen die ausländi- durch die Berufsbegleitung im Rahmen der Unterstütz- schen Transportunternehmer leider nicht ausnehmen, so- ten Beschäftigung Mehrkosten entstehen. Die Neuvertei- dass diese auch von der Absenkung profitierten. Das lung stellt also sicher, dass die Unterstützte Beschäfti- mussten wir in Kauf nehmen. Erst 2007 konnte schließ- gung von Anfang an auch finanziell auf einem festen lich die Kfz-Steuer gesenkt und ein Innovationspro- Fundament steht. gramm aufgelegt werden. Beide Maßnahmen bedeuteten Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20199

(A) für das Gewerbe eine Unterstützung von 250 Millionen für Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen – Gebrauch (C) Euro pro Jahr. machen, sind die konkreten Harmonisierungsvolumina pro Jahr nicht exakt vorhersehbar. Das wird berücksich- Es fehlten noch 350 Millionen Euro. Heute wollen tigt, indem die Beträge zwischen den einzelnen Maßnah- wir diesem Gesetz zustimmen und damit die versproche- men flexibel gestaltet werden. Das Gesetz sagt also, dass nen 600 Millionen Euro pro Jahr für das Gewerbe voll- 450 Millionen Euro von den Mauteinnahmen für diese machen. Endlich ist ein Weg gefunden, den die EU- Maßnahmen verwendet werden dürfen, aber nicht, wie Kommission nicht mehr beanstanden kann. viel für die einzelne Maßnahme. Diese Flexibilität macht Die Bundesregierung wird das „Harmonisierungspa- Sinn. ket“ mit Kleinbeihilfen, sogenannten De-minimis-Beihil- Aber lassen wir uns nicht täuschen: Mit dem heutigen fen, und einem Förderprogramm für Aus- und Weiterbil- Gesetz bestimmen wir nur, dass die Mauteinnahmen für dung ergänzen. Die Verbände hatten deutlich gemacht, die eben beschriebenen Harmonisierungsmaßnahmen dass die Unternehmen nicht nur für Investitionen Unter- verwendet werden dürfen. Das Gesetz sagt also, wir dür- stützung benötigen, sondern vor allem auch bei den lau- fen das Geld für Kleinbeihilfen sowie Aus- und Weiter- fenden Ausgaben. Wir haben dann also vier Säulen, auf bildung verwenden. Das Gesetz sagt aber nicht, wie dies denen die Harmonisierung ruht: die Kfz-Absenkung, das genau geschehen soll. Was also unbedingt ausgearbeitet Innovationsprogramm bis Ende September 2009, die werden muss, ist ein verbindlicher Katalog, aus dem her- Kleinbeihilfen und das Förderprogramm für Aus- und vorgeht, wie diese Mauteinnahmen konkret verwendet Weiterbildung. werden sollen. Für die Kleinbeihilfen ist keine Anzeige und keine Auch hatte der ursprüngliche Gesetzentwurf nicht Genehmigung der Europäischen Kommission erforder- festgelegt, welche Institution die Harmonisierungsmaß- lich. Europarechtlich bedeutet es also kein Risiko. Ge- nahmen durchführen soll. Dies ändern wir mit unserem fördert werden die Bereiche Qualifizierung, Beschäfti- Änderungsantrag. Das Bundesamt für Güterverkehr, gung, Sicherheit und Umwelt. Wenn also ein Fahrer eine welches auch schon das Innovationsprogramm sehr er- Fortbildung zum Gabelstaplerfahrer macht oder wenn er folgreich koordiniert, ist hierfür der ideale Partner. Mit mit der neuesten Sicherheitstechnik umzugehen lernt, dem Änderungsantrag geben wir dem Bundesamt für wird dies zu 100 Prozent bezuschusst werden, genauso Güterverkehr die gesetzliche Ermächtigung hierfür an wie der Einbau der erwähnten Sicherheitstechnik bezu- die Hand. schusst wird. Aber dies ist nur bis zu einer Höchstgrenze von 33 000 Euro pro Unternehmen und Jahr möglich. Nun klingt das alles sehr gut und so, als ob sich das Mehr lässt die EU nicht zu. Für große Unternehmen mit Transportgewerbe nun auf die volle Harmonisierung (B) einem großen Fuhrpark ist diese Höchstgrenze von freuen könnte. Das ist auch so; aber das ist nur die eine (D) 33 000 Euro pro Unternehmen und Jahr natürlich nicht Seite der Medaille. Denn diese Ausgaben müssen auch ausreichend. Deshalb wurde nach einem Ausgleich ge- finanziert werden. Womit ich zur Erhöhung der Lkw- sucht, und man hat ihn in der zusätzlichen Förderung Maut komme. von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen gefunden. Die Dies ist nicht das Thema der heutigen Entscheidung, Förderung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen ist aber es hängt unmittelbar damit zusammen. Ich will damit die vierte Harmonisierungssäule neben abgesenk- auch nicht noch einmal die Diskussion eröffnen. Aber ter Kfz-Steuer, dem Innovationsprogramm und den wir dürfen nicht übersehen, welcher Belastung das Kleinbeihilfen. Transportgewerbe mit der Erhöhung der Maut ausgesetzt Für diese Art der Förderung ist eine Anzeige bei der wird. Wir als Bundestag waren formell bei der Erhöhung Europäischen Kommission erforderlich, aber keine Ge- der Maut nicht unmittelbar beteiligt, da die Maut im nehmigung. Im Gegensatz zu den Kleinbeihilfen sind Rahmen einer Regierungsverordnung erhöht wird. nach der Verordnung für Ausbildungsbeihilfe nur be- Nichtsdestotrotz haben wir in unserer Fraktion die Maut- stimmte Kosten förderfähig, und diese auch nur mit ei- erhöhung stets kritisch gesehen und dies natürlich auch nem bestimmten Prozentsatz. geäußert, und zwar in einer Reihe von Gesprächen, die auf informeller Arbeitsebene stattgefunden haben. Zu- Vorstellbar ist, dass neben diesem Fördergeld für mindest konnten wir auf diese Art und Weise noch wei- Aus- und Weiterbildung im De-minimis-Katalog ein zu- ter führende Erhöhungen, wie zum Beispiel die Staffe- sätzliches Förderungsprogramm für Aus- und Weiterbil- lung der Mauthöhe nach Strecke, verhindern. dung aufgelegt wird. Die Unternehmen könnten dann wählen, welche Art der Förderung sie wählen. Kleinere Und wir haben erreicht – darüber bin ich sehr froh –, Unternehmen würden voraussichtlich die Aus- und Wei- dass die Mehreinnahmen durch die Erhöhung voll und terbildungskosten über De-minimis fördern lassen. Un- ganz in die Verkehrsinfrastruktur fließen. Ich persönlich ternehmen, die die Förderhöchstbeträge bei De-minimis bin der Ansicht, dass der bisherige Schlüssel bzw. die erreicht haben, könnten für Aus- und Weiterbildungskos- Festlegung, dass die Einnahmen aus der Maut nur über- ten zusätzlich Zuschüsse über ein gesondertes Fortbil- wiegend – 51 Prozent sind dann überwiegend – in die dungsbeihilfeprogramm erhalten. Straßeninfrastruktur fließt, geändert werden sollte. Diese Festlegung ist bei der Einführung der Maut im Vermitt- Da die Unternehmen individuell entscheiden können, lungsverfahren mit den Ländern von diesen durchgesetzt ob und in welchem Maße sie von den drei Maßnahmen worden. Denn ich bin überzeugt, dass die Maut und be- – Innovationsprogramm, Kleinbeihilfen, Förderprogramm sonders die Erhöhung der Maut leichter akzeptiert wür- 20200 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) den, wenn wir den Unternehmern sagen könnten: Ja, ihr tur kann Deutschland den Titel des Exportweltmeisters (C) müsst mehr bezahlen, und ja, es ist belastend. Aber, auch weiterhin erfolgreich verteidigen. schaut her, das Geld fließt voll und ganz in die Straße zu- rück. Es wird nicht für die Wasserstraße oder die Schiene Daran nahtlos anschließend darf ich als maritimer verwendet, sondern es wird für mehr Parkplätze verwen- Verkehrspolitiker auf den dringenden Ausbaubedarf der det und für intelligente Verkehrsleitsysteme, die Stau Hafenhinterlandanbindungen hinweisen, die nicht zu ei- vermeiden helfen. Und vor allem wird es für den Ausbau nem Flaschenhals des Im- und Exporthandels werden und den Erhalt der Straße verwendet. – Wir müssen da- dürfen. rauf hinarbeiten, dass das Geld ausschließlich denen zu- Als umweltbewusster Verkehrspolitiker begrüße ich gute kommt, die auch zahlen müssen. die weitere Spreizung der Mautsätze je nach den unter- Heute geht es aber nicht um diese Frage, sondern aus- schiedlichen Schadstoffklassen der Fahrzeuge. Mit der schließlich um die bisher bestehende Lücke von zukünftig 100-prozentigen Spreizung – statt bisher 50-pro- 350 Millionen Euro bei den Harmonisierungsmaßnah- zentig – werden schadstoffarme Lkw dann noch stärker men. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben uns immer da- begünstigt und schadstoffintensivere stärker belastet. Wie für eingesetzt und nie diesen Weg aufgegeben. Es hat wirkungsvoll dieses Instrumentarium ist, hat schon die lange gedauert, aber heute sind nun die 600 Millionen Reaktion des Transportgewerbes bis heute bewiesen. Das Euro, wie versprochen, erreicht. Nur unter dieser Bedin- von uns aufgelegte Innovationsprogramm zur Anschaf- gung waren wir, wenn auch schweren Herzens wegen fung von Euro-5-Fahrzeugen war in Windeseile ausge- der schwierigen Situation des Transportgewerbes, bereit, bucht, sodass wir die ursprünglichen 100 Millionen Euro eine Mauterhöhung zu akzeptieren. um weitere 78 Millionen aufstocken mussten. Der Ein- satz emissionsarmer Fahrzeuge wird sich durch die stär- Wir, die CDU/CSU-Fraktion, bitten um Zustimmung kere Spreizung zukünftig noch dynamischer entwickeln. zu unserem Änderungsantrag und stimmen natürlich Nur so kann es uns gelingen, beim Güterverkehr – trotz dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Autobahnmaut- erheblicher Wachstumsquoten jedes Jahr – auch den not- gesetzes für schwere Nutzfahrzeuge in der dann geän- wendigen Klimaschutzbeitrag zu leisten. derten Form zu. Als ein den Wettbewerb befürwortender Verkehrspo- litiker freut es mich besonders, dass es uns gelungen ist, Uwe Beckmeyer (SPD): Selten hat der Bundestag der Festlegung des Koalitionsvertrages entsprechend, die Gelegenheit, bei einem Gesetzesvorhaben Hand an- Wettbewerbsnachteile des deutschen Transportgewerbes zulegen, mit dem gleich so viele vorrangige Ziele dieser gegenüber seinen internationalen Konkurrenten mit dem Koalition in so vorbildlicher Weise umgesetzt werden. zugesagten Volumen von 600 Millionen Euro pro Jahr (B) Und angesichts der breiten Zustimmung gestern im Ver- auszugleichen. Welche Schwierigkeiten dabei in Brüssel (D) kehrsausschuss des Hauses kann ich wohl auch behaup- zu überwinden waren, ist allen Beteiligten schmerzhaft ten, dass dies der Bundestag offensichtlich in seiner gro- in Erinnerung. ßen Mehrheit auch so sieht. Als ordnungspolitischer Verkehrspolitiker halte ich Lassen Sie mich kurz darlegen, warum wir für uns in die sachgerechte Anlastung der Wegekosten und die da- Anspruch nehmen können, mit diesem Zweiten Gesetz mit verbundene angemessen nutzerfinanzierte Verkehrs- zur Änderung des Autobahnmautgesetzes die berühmten infrastruktur für wünschenswert. Deshalb war es not- „Sieben auf einen Streich“ erreicht zu haben. Als Ver- wendig, das Wegekostengutachten aus dem Jahr 2002 kehrspolitiker muss ich natürlich die herausragende Be- jetzt aktuell fortzuschreiben. Nur mit dieser Anpassung deutung der hier vorliegenden Weiterentwicklung der der Maut und der Mautsätze ist es möglich, dem schwe- Lkw-Maut für das A und O von Verkehr – nämlich der ren Lkw auch zukünftig die von ihm verursachten tat- Verkehrsinfrastruktur – hervorheben. Für 2009 steht uns sächlichen Wegekosten anzulasten. damit fast 1 Milliarde Euro aus der Lkw-Maut zusätzlich für notwendige Investitionen zur Verfügung. Für den Dem dramaturgisch weit über das Ziel hinausschießen- Finanzplanungszeitraum bis 2012 werden es immer noch den „Aufschrei“ des betroffenen Gewerbes darf ich ent- durchschnittlich circa 700 Millionen pro Jahr sein. Wie gegenhalten, dass für einen Euro-5-Lkw eine Kostenstei- dringend dieses Geld benötigt wird, kann sicher jeder gerung von 14 Cent oder 7 Prozent nächstes Jahr ansteht. Wahlkreisabgeordnete leicht nachvollziehen. Diese 7 Prozent müssen in Relation zu einen Kostenan- teil von 6,8 Prozent der kilometerbezogenen Straßenbe- Als sozialdemokratischer Verkehrspolitiker liegt mir nutzungsgebühren bei der Kostenstruktur im Güterkraft- die damit verbundene Schaffung und Sicherung von Ar- verkehr insgesamt gesetzt werden. Also eine sehr beitsplätzen besonders am Herzen; denn der Logistik- moderate Anhebung von unter 0,5 Prozent und nicht die sektor bildet mit heute 2,6 Millionen unmittelbar in die- kolportierten 40 Prozent! sem Bereich Beschäftigten einen der größten und sich am dynamischsten entwickelnden Arbeitsmärkte Deutsch- Außerdem wurde bei aller Kritik am neuen Wegekos- lands. tengutachten 2007, das beim hier vorliegenden Gesetz- entwurf Berücksichtigung fand, einfach ignoriert, dass Als wirtschaftspolitisch orientierter Verkehrspolitiker darin diverse Besserstellungen für den schweren Lkw weiß ich, welche Bedeutung die Transportwege für den – gegenüber den bisherigen Annahmen – eingearbeitet exportorientierten Wirtschaftsstandort Deutschland ha- wurden. So kommt die Veränderung des Verhältnisses ben. Nur mit einer gut ausgebauten Verkehrsinfrastruk- von höheren Zinsen zu niedrigeren Abschreibungen dem Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20201

(A) Lkw genauso zugute wie die Erkenntnis, dass der Ein- straft sich mit diesem Schritt ein weiteres Mal selbst Lü- (C) fluss schwerer Achsübergänge einen geringeren Ver- gen, wenn er behauptet, die Mauteinnahmen würden zu schleiß von Deck- und Binderschichten der Autobahnen 100 Prozent Infrastrukturprojekten zugutekommen. hat. Auch die Ausdifferenzierung in mittlere und schwere Lkw mit der entsprechenden Kostenanlastung beim mitt- Nach dem Änderungsantrag wird das Bundesamt für leren Lkw und die nach oben korrigierte Schätzung der Güterverkehr mit der Bearbeitung der Beihilfeanträge Fahrleistung von Pkw senken die spezifischen Mautkos- betraut. Es ist erfreulich, dass die Koalition damit einen ten der Lkw. Diese Liste ließe sich noch fortsetzen und ersten Schritt macht, das Bewilligungsverfahren näher gehört der Redlichkeit halber mit erwähnt. auszugestalten. Aber es ist eben nur der erste Schritt. Ansonsten besteht momentan noch allerorts Unklarheit. Abschließend möchte ich noch eine kurze Bemerkung Über den Inhalt der zu erarbeitenden Förderrichtlinien zum Verhandlungsverlauf zwischen Bund und den Län- ist ebenso noch nichts Greifbares bekannt wie über den dern machen. Es entbehrt nicht einer gewissen Schizo- Starttermin. Der 1. Januar 2009 ist angesichts der Viel- phrenie, wenn einzelne Länder einen hohen Ausgabestau zahl noch offener Fragen jedenfalls äußerst unwahr- bei den Verkehrsinvestitionen beklagen, eine Mittelauf- scheinlich. stockung durch den Bund vehement fordern und gleich- Ebenso unverantwortlich wie durchsichtig ist die Ent- zeitig dem Bund aber die entsprechenden Einnahmen scheidung der Koalition, die für die Bewältigung dieser verweigern wollen. In unserem gemeinsamen Interesse für das Bundesamt für Güterverkehr zusätzlichen Auf- an einer zukunftsfähigen Verkehrsinfrastruktur wurde gabe notwendigen Stellen erst in den Haushalt 2010 ein- diese Widersprüchlichkeit letztendlich doch überwun- zustellen. Diese werden ebenfalls aus den Mauteinnah- den. men bezahlt. Das heißt aber zugleich, dass auch diese Mittel für Investitionen fehlen. Der Minister könnte sich Jan Mücke (FDP): Das deutsche Transportgewerbe noch seltener mit dem Spaten in der Hand vor die Kame- kann im europäischen Wettbewerb nur schwer bestehen. ras stellen und müsste stattdessen erklären, warum trotz Dies liegt mitnichten an seiner mangelnden Leistungsfä- immenser Mauterhöhung und existenzgefährdenden higkeit. Vielmehr ist es im Vergleich zu Unternehmen Mehrbelastungen kein spürbarer Anstieg der Investitio- aus dem europäischen Ausland deutlich stärker von der nen zu verzeichnen ist, ein Umstand, den es im Wahljahr hiesigen hohen Steuer- und Abgabenlast betroffen. Diese 2009 unbedingt zu verhindern gilt. setzt sich aus der absurden Mineralölsteuer ebenso zu- Stattdessen sollen nach Aussage des Bundesministe- sammen wie aus den enormen Sozialabgaben für die Be- riums im Jahr 2009 die Anträge von 79 befristet Be- schäftigten. Die Einführung einer Lkw-Maut auf Bun- schäftigten bearbeitet werden. Deren Finanzierung er- desautobahnen würde diese Situation noch zusätzlich (B) folgt im Haushalt an versteckter Stelle und wird keine (D) verschärfen. Um dies abzuwenden, hat die damalige Auswirkungen auf die Höhe der zur Verfügung stehen- Bundesregierung im Jahre 2003 dem Gewerbe zugesagt, den Investitionsmittel haben. Jedoch bringt sie zweifa- einen Ausgleich in Form eines jährlichen Harmonisie- che Einarbeitungszeiten und eine deutliche Reduzierung rungsvolumens in Höhe von 600 Millionen Euro zu der Effektivität der Verwaltung mit sich. Zudem er- schaffen. Ende 2008 – ganze fünf Jahre später – vermag scheint angesichts der 100 000 erwarteten Anträge jähr- die Bundesregierung endlich ein Programm vorzulegen, lich die Zahl der Bearbeiter äußerst gering. Auf jeden das den Ausgleich in voller Höhe bringen soll. Bezahlen einzelnen entfallen 1 266 Anträge. Es steht konkret zu soll es das Gewerbe jedoch ganz überwiegend selbst. befürchten, dass sich die Anträge beim Bundesamt sta- Der debattierte Gesetzentwurf sieht vor, dass die in die- peln werden – ein Vorgang, der der Bundesregierung sem Rahmen geplanten Beihilfeprogramme ausschließ- nicht unbekannt ist. Auch beim Luftfahrt-Bundesamt lich aus Mauteinnahmen gespeist werden. Mit anderen war und ist eine deutlich zu dünne Personaldecke Ursa- Worten: Die Spediteure finanzieren die Harmonisierung che für anhaltend lange Bearbeitungszeiten von Flug- selbst: eine Entlastung nach Machart der Großen Koali- gastbeschwerden. Noch 2008 wurden Beschwerden aus tion. den Jahren 2005 und 2006 bearbeitet. Die Koalition Mit der Einführung der Lkw-Maut sollten zusätzliche macht gerade den gleichen Fehler noch einmal und wird Mittel akquiriert werden, um mehr der vielerorts drin- das gleiche Resultat erzielen. Leidtragende wären die gend notwendigen Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen Transportunternehmer. realisieren zu können. Mit Zunahme der Mauteinnahmen Für die FDP sind gleiche Wettbewerbsbedingungen hat die Koalition jedoch kontinuierlich die allgemeinen auf dem europäischen Binnenmarkt entscheidend. Aus Haushaltmittel gekürzt. Dies führte dazu, dass unter diesem Grund begrüßt sie die Harmonisierungsmaßnah- Schwarz-Rot – trotz Maut – weniger in Bundesfernstra- men zugunsten des deutschen Gewerbes. Dass es diese ßen investiert wurde als zuvor unter Rot-Grün. Von zu- Maßnahmen letztlich dann doch selbst bezahlen soll, sätzlichem Geld für zusätzliche Projekte kann daher seit konterkariert diese Absicht. Wir werden daher den vor- langem keine Rede mehr sein. Der Bund stiehlt sich seit liegenden Gesetzentwurf ablehnen. Jahren zunehmend aus seiner Verantwortung. Hinzukommen soll eine weitere Kürzung der für In- Lutz Heilmann (DIE LINKE): Die Lkw-Maut für ei- vestitionen zur Verfügung stehenden Mittel, wenn der nen 40-Tonner kostet zwischen 60 und 82 Cent pro Kilo- Bund sich nun auch zur Finanzierung der Beihilfepro- meter. Sie gilt auf dem gesamten Straßennetz. Und sie gramme aus dem Mauttopf bedient. Minister Tiefensee gilt für alle Lkw ab 3,5 Tonnen. Dass ist weder eine öko- 20202 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) logische Wunschvorstellung noch eine Horrorvision. Mauthöhe um 1,5 Cent unter den 15 Cent, die das alte (C) Das ist schlicht Realität. Natürlich nicht in Deutschland, Wegekostengutachten errechnet hatte. sondern in der Schweiz. In Deutschland kostet die Lkw- Maut für große Lkw derzeit zwischen 11 und 15,5 Cent Die nun beschlossene Mauterhöhung geht zu mehr als pro Kilometer. Nach langem Hickhack haben sich Bund der Hälfte auf den Mautkompromiss zurück. Dieser Teil und Länder nun zum Glück darauf geeinigt, dass die der Mauterhöhung bedeutet deswegen nicht nur keinen Maut nächstes Jahr erhöht werden kann. Sie kostet dann Nachteil, sondern sogar einen Vorteil für die nationalen für große Lkw zwischen 15,5 und 28,7 Euro. Spediteure, wie ich eben ausgeführt habe. Das Niveau der deutschen Lkw-Maut liegt dann nicht Nur die weiteren 1,3 Cent gehen auf das neue Wege- mehr nur bei einem Sechstel, sondern bei einem Viertel kostengutachten zurück. Und da hat die Bundesregie- der Schweizer Lkw-Maut. Trotzdem wurde und wird so rung schon 0,7 Cent herausgerechnet, damit der Mautan- getan, als ob Deutschland deswegen kurz vor dem wirt- stieg nicht ganz so abrupt ausfällt. Der Anstieg der schaftlichen Kollaps steht. Die Schweiz ist aber nun Mauthöhe ist allerdings immer noch recht drastisch. Ich wahrlich kein wirtschaftliches Krisenland. Ich glaube, begrüße zwar, dass die Maut für EURO-III-Lkw nun in das werden auch diejenigen nicht behaupten, die gegen zwei Stufen erhöht wird. Besser wäre allerdings gewe- die Mauterhöhung sind. sen, die Maut für alle Emissionsklassen in zwei oder drei Stufen anzuheben. Das wäre umweltpolitisch vertretbar Natürlich freut sich die verladende Wirtschaft nicht, gewesen, hätte die abrupte Preissteigerung aber etwas wenn die Transportkosten steigen. Auf die Endpreise abgemildert. Das wollte der Bund anscheinend nicht, wirkt sich aber selbst die Schweizer Maut nur minimal weil er die Einnahmen bereits verplant hat. aus. Um ganze 0,5 Prozent ist das Preisniveau dort ge- stiegen. Das ist verkraftbar, meine ich. Apropos Einnahmen: Mit den Rechenkünsten der Re- gierung ist es nicht weit her. Der Bund-Länder-Kompro- Bei all dem geht es ja nicht darum, ohne Sinn und miss zur Mauthöhe soll angeblich nicht zu niedrigeren Verstand die Spediteure zu schikanieren. Es geht doch Einnahmen führen. Nun ja. Für etwa 50 Prozent der Lkw darum, dass die Wegekosten angelastet werden. Das, – die EURO-III-Lkw – wird die Maut um 2 Cent ge- was der Bau der Straßen gekostet hat, und das, was Lkw senkt. Für die anderen 50 Prozent soll die Maut 0,1 Cent zu deren Abnutzung beitragen, sollen Lkw auch bezah- mehr betragen. Dass die Einnahmen da gleich bleiben len. Dass der Widerstand gegen die Mauterhöhung und sollen, können Sie nicht einmal einem Grundschüler ein- damit gegen dieses Prinzip ausgerechnet aus der Wirt- reden. schaft und ihrem Sprachrohr, der FDP, kommt, verwun- dert doch sehr. Das klingt mir doch sehr nach Autobahn- 2009 und 2010 hätte man auf einen Teil der Einnah- (B) sozialismus. Dabei war die Tatsache, dass ausländische men verzichten können. Dafür hätte man ab 2012 die (D) Lkw früher umsonst die Autobahnen befahren durften Maut und damit die Einnahmen weiter erhöhen können, und nicht in Deutschland tankten, ein Grund dafür, dass als es nun vorgesehen ist. Das hätte auch einen relativ die Einführung der Lkw-Maut eine breite gesellschaftli- konstanten Einnahmefluss zur Folge. Nun kommt es zur che Zustimmung erfahren hat. Nun müssen sich auch merkwürdigen Entwicklung, dass die Maut 2009 und ausländische Lkw an den Wegekosten im „Transitland 2011 die höchsten Einnahmen bringen wird, diese ab Nr. 1“ beteiligen. Mit der Mauterhöhung steigt der Bei- 2012 kontinuierlich sinken werden. Dabei sagt das We- trag ausländischer Lkw zur Finanzierung deutscher Ver- gekostengutachten klar, dass die Maut 2012 von 17 auf kehrsinvestitionen. 18 Cent steigen müsste. Jetzt werden es 2009 eher 18 bis 19 Cent, die erst in einigen Jahren auf die von der Regie- Zusammen mit der Mautkompensation – und nur um rung genannten 16,3 Cent absinken werden, wenn es ei- die geht es bei diesem Gesetz ja – wird aus der Lkw- gentlich 18 sein müssten. Das macht keinen Sinn. Maut ein Wettbewerbsvorteil für deutsche Spediteure oder vielmehr ein Abbau bestehender Wettbewerbsnach- Umweltpolitisch wäre ein etwas langsamerer Anstieg teile. Deswegen stimmen wir diesem Gesetz zu. Dieser der Maut zu verkraften gewesen. Die Anreize zur Um- Abbau bestehender Wettbewerbsnachteile lässt sich ge- rüstung älterer Lkw wären ausreichend gewesen. Aber nau beziffern. Er beträgt ab nächstem Jahr 600 Millionen 50 Prozent der Lkw-Flotte kann man nicht mal eben in Euro im Jahr, bislang sind es nur 250 Millionen Euro. zwei Monaten alle mit einem Partikelfilter ausstatten, Dieser Zusammenhang ist natürlich allen bekannt, die zumal es auch noch nicht für alle Fahrzeugmodelle sol- sich mit der Lkw-Maut befassen. Umso erstaunlicher che Filter gibt; zum Glück aber für die meisten. Ich be- finde ich es, dass dies in der öffentlichen Diskussion um grüße, dass der Einbau eines Partikelfilters aus dem De- die Mauterhöhung so gut wie keine Rolle gespielt hat. minimus-Programm gefördert werden soll. Dafür schafft Und umso ärgerlicher finde ich es, dass die 350 Millio- dieses Gesetz die rechtliche Grundlage. Ein Grund mehr, nen Euro mehr von der Spediteurslobby nicht gewürdigt diesem zuzustimmen. werden. Die Forderung, diese nicht aus der Lkw-Maut, sondern aus dem Haushalt zu finanzieren, halte ich für Winfried Herrmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): unverschämt. Das kommt einer Aufkündigung des Ich begrüße, dass der Bundesrat am Freitag die Mauthö- Mautkompromisses gleich. Denn nur weil die Bundesre- heverordnung beschlossen und damit den Weg frei ge- gierung unsägliche fünf Jahre für eine EU-konforme Re- macht hat für eine stärkere Mautspreizung und eine Er- gelung zur Kompensation der nationalen Spediteure ge- höhung der Einnahmen, die der Verkehrsinfrastruktur braucht hat, nur deswegen lag doch die durchschnittliche zugutekommen werden. Es freut mich besonders, dass in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20203

(A) letzter Minute auch Roland Koch für die Mauterhöhung entsprechende Infrastrukturinvestitionen zum Bau und (C) gestimmt hat, denn die Haltung vieler Bundesländer Erhalt der Autobahnen vorgenommen werden können. habe ich als unehrlich empfunden. Da wird immer wie- Allein die schweren Lkw verursachen rund 45 Prozent der eine Erhöhung der Verkehrsinvestitionen eingefor- der gesamten Wegekosten der Bundesautobahnen. dert und gleichzeitig gegen die Mauterhöhung gewettert. Das ging logisch nicht zusammen, und Roland Koch hat Unsere Ziele bei der Anpassung der Mauthöheverord- das am Ende auch noch gemerkt. nung und der Änderung des Autobahnmautgesetzes sind klar: Wir wollen eine Verstetigung und deutliche Verstär- Das vorliegende Gesetz schafft die Möglichkeit, deut- kung der erforderlichen Investitionen in die Verkehrsin- sche Lkw-Spediteure im Vergleich zur ausländischen frastruktur erreichen. Gerade in der gegenwärtigen kon- Konkurrenz um 600 Millionen Euro zu entlasten. Damit junkturellen Ausgangslage werden solche ergänzenden wird der Mautkompromiss von 2003 eingelöst. Die För- Impulse dringend benötigt zur Stützung der Konjunktur derung von Umweltschutz und Sicherheit, die darüber und zur Sicherung vieler Arbeitsplätze in Deutschland. möglich wird, ist sinnvoll und sehr zu begrüßen. So ist Wir sollten zudem nicht aus dem Blick verlieren, dass es zum Beispiel mit den De-minimis-Beihilfen auch wir mit den Änderungen auch dazu beitragen, die in der möglich, die Nachrüstung mit Rußpartikelfiltern geför- Bundesregierung vereinbarten Klimaziele zu erreichen. dert zu bekommen. Leider hat der Bundesrat den Anreiz für die Nachrüstung von Euro-III-Lkw gerade gesenkt. Mehr Maut bedeutet vor allem mehr Investitionen; Aber – das sage ich auch an die Adresse der Spediteure – Durch die Neufestsetzung der Maut werden im Jahr die nächste Mauterhöhung kommt bestimmt. Es wäre 2009 rund 1 Milliarde Euro mehr an Mauteinnahmen er- daher falsch, auf die Nachrüstung zu verzichten, mit der zielt, die zusätzlich für Investitionen in die Verkehrsin- Lkw in die Euro-IV-Mautstufe aufsteigen. Dies trägt frastruktur, insbesondere für die Straße, zur Verfügung zum Werterhalt der Lkw bei und zum Umweltschutz. stehen. Über den Finanzplanungszeitraum von 2009 bis 2012 werden es durchschnittlich 740 Millionen Euro pro Es ist bekannt, dass uns die Mauterhöhung nicht weit Jahr an Mehreinnahmen für die Verkehrsinvestitionen genug geht. Wir sind für eine Ausweitung der Maut in sein. einem ersten Schritt auf alle fernverkehrsrelevanten Bundesstraßen und auf Lkw ab 3,5 Tonnen, wie es in Öster- Angesichts des prognostizierten Verkehrswachstums reich und in vielen anderen Ländern längst Standard ist. sind diese Mittel unverzichtbar. Wir müssen mit einer Zunahme des Lkw-Verkehrs auf unseren Fernstraßen bis Im Rahmen der Verhandlungen über die neue Euro- 2025 um über 80 Prozent rechnen. vignettenrichtlinie sollte sich die Bundesregierung für eine vollständige Anrechnung der externen Kosten ein- Um Mobilität angesichts dieses enormen Verkehrs- (B) setzen. Es kann nicht sein, dass Klimaschäden und Un- wachstums langfristig zu sichern, brauchen wir einen (D) fallfolgekosten nicht in die Berechnung der externen weiteren Ausbau unserer Verkehrsinfrastruktur. Sonst Kosten aufgenommen werden. Außerdem müssen die stehen die deutsche Wirtschaft und die Bürgerinnen und Klimakosten deutlich höher bewertet werden, als es das Bürger, die auf das Auto angewiesen sind, im Stau. Methodenhandbuch vorgibt. Statt einer Vielzahl kompli- Die genannten durchschnittlich rund 740 Millionen zierter Auf- und Abschläge sind wir für eine pauschale Euro Mehreinnahmen pro Jahr ergeben für die nächsten Anlastung der externen Kosten mit 60 Prozent auf die vier Jahre rund 3 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln Infrastrukturkosten. Wir sind auch dafür, dass statt einer für Infrastrukturmaßnahmen. Gerade in der gegenwärti- Festlegung von Maximalbegrenzungen für die Lkw- gen konjunkturellen Ausgangslage sind derartige ergän- Maut in der Richtlinie ein Mindestmautsatz definiert zende Impulse ein wichtiger Beitrag zur Stützung der wird, der in allen Mitgliedstaaten verpflichtend einge- Konjunktur und zur Sicherung vieler Arbeitsplätze. Wer führt wird. Denn es kann nicht sein, dass der Schienen- auf rund 3 Milliarden Euro für zusätzliche Infrastruktur- güterverkehr verpflichtend Trassenpreise entrichten maßnahmen verzichtet, der gefährdet damit letztlich viele muss, während Lkw gerade in den neuen Mitgliedstaaten Arbeitsplätze. auf vielen Autobahnen, die mit Mitteln der EU kofinan- ziert worden sind, mautfrei fahren. Mit der stärkeren Spreizung der Mautsätze sowie der Begünstigung von mit Partikelfiltern nachgerüsteten Lkw bei der Maut, werden wir einen wichtigen Beitrag zur Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- Erreichung der nationalen Klima- und Umweltziele leis- desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: ten, und wir werden einen deutlichen Investitionsanreiz Am vergangenen Freitag hat der Bundesrat der Verord- für den Einsatz emissionsarmer Lkw geben. nung zur Änderung autobahnmautrechtlicher Vorschrif- ten und der Fahrzeug-Zulassungsverordnung zuge- Heute steht die Änderung des Autobahnmautgesetzes stimmt und damit die Weichen dafür gestellt, dass wir auf der Tagesordnung, das in direktem Zusammenhang die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur verstetigen zur Änderung der Mauthöheverordnung zu sehen ist. Es und deutlich erhöhen können. regelt unter anderem die Verwendung von Mauteinnah- men für Maßnahmen zur Förderung deutscher Unterneh- Die Lkw-Maut leistet einen wesentlichen Beitrag zur men im Straßengüterverkehr. Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und zum Sub- stanzerhalt der Bundesautobahnen. Wir stellen für die Von Beginn an war klar, dass die Erhöhung der Maut Zukunft sicher, dass die von den Lkw verursachten In- untrennbar mit der Umsetzung weiterer Harmonisie- frastrukturkosten von diesen auch getragen werden und rungsmaßnahmen verbunden sein wird. Der bislang ab- 20204 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) gesenkte Mautsatz wird zur vollen Finanzierung der im für nahezu für ein Drittel – 57,2 Prozent – der potenziel- (C) Jahr 2003 gegebenen Harmonisierungszusage von jähr- len Väter klar, ein Kind solle erst dann kommen, wenn lich 600 Millionen Euro eingesetzt werden. Er wird da- es die finanzielle Seite zulässt. mit zu einer Entlastung des deutschen Straßengüterver- kehrs durch konkrete Fördermaßnahmen führen. Zweitens. Die Bertelsmann-Studie hat aber auch ge- zeigt, dass neben einer finanziellen Grundlage für viele Neben den bereits bestehenden Entlastungsmaßnah- Väter auch wichtig ist, später Zeit für das Kind zu haben men wie der Kfz-Steuer-Absenkung und dem Förderpro- und sich an der Betreuung zu beteiligen. gramm für emissionsarme Lkw – Innovationsprogramm – sollen außerdem ein Klein-Beihilfe-Programm – soge- Durch das Engagement der Väter bei der Betreuung nannte De-minimis-Förderung – sowie ein Förderpro- der Kinder profitieren sowohl Kind als auch Vater; denn gramm für Aus- und Weiterbildung aufgelegt werden. nur so kann eine echte Bindung entstehen. Aber auch Unter diese De-minimis-Förderung fällt ein Programm Mütter profitieren davon, weil die Väter endlich ihren mit Maßnahmen zur Qualifizierung, Beschäftigung, Si- Beitrag dazu leisten, den Müttern den Rücken freizuhal- cherheit und Umweltschutz. Daneben wollen wir die ten, in das Berufsleben zurückkehren zu können. Die Er- Aus- und Weiterbildung in einem gesonderten Pro- gebnisse der Evaluation zum Elterngeld zeigen es ganz gramm fördern. deutlich: Fast jede zweite Mutter gab bei den Befragun- gen an, nach weniger als anderthalb Jahren wieder er- Das gesamte Maßnahmenpaket liegt im Interesse der werbstätig zu sein. Auch sind viele Mütter – 39 Prozent – Zukunftsvorsorge für den Standort Deutschland. Wir mit ihrer beruflichen Planung zufrieden. sorgen damit für mehr Investitionen in die Infrastruktur, für einen verbesserten Klimaschutz und eine Stützung Um die positiven Effekte des Elterngeldes jedoch der Konjunktur. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung. noch weiter zu stärken, nimmt der aktuelle Gesetzent- wurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes- elterngeld- und Elternzeitgesetzes vor der Debatte des Evaluationsberichtes Änderungen vor, deren Notwen- Anlage 19 digkeit bereits jetzt deutlich wurde. Neben der Einfüh- Zu Protokoll gegebene Reden rung einer Mindestbezugsdauer von zwei Monaten und der Einführung einer sogenannten Elternzeit für Großel- zur Beratung der Entwürfe eines Ersten Geset- tern bei minderjährigen Eltern beinhaltet der Gesetzent- zes zur Änderung des Bundeselterngeld- und wurf auch die Möglichkeit für Eltern, den ursprünglich Elternzeitgesetzes (Tagesordnungspunkt 38) gestellten Elterngeldantrag – auch ohne Begründung – einmalig zu ändern. Außerdem wird für Wehr- und Zivil- (B) Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Ohne Wenn und dienstleistende eine Erweiterung des maßgeblichen Be- (D) Aber: das Elterngeld ist ein Erfolgsmodell. Das sagt messungszeitraums vorgesehen. nicht nur der Bericht über die Auswirkungen des Bun- deselterngeld- und Elternzeitgesetzes, den das Parlament Die Änderungen, auf die ich im Folgenden näher ein- nun vorliegen hat, nein, die Eltern sagen es selber. Und gehen möchte, können nach der Zustimmung des Bun- wer ist besser geeignet, das zu beurteilen, als die Betrof- desrates zum 1. Januar 2009 in Kraft treten. fenen? Besonders am Herzen lag uns die noch ausstehende Das Elterngeld hat annähernd 100 Prozent der Fami- Regelung für Großeltern, die ihre Enkelkinder betreuen lien in Deutschland erreicht, deren Kinder im ersten und erziehen. Die Neuregelung sieht vor, dass Groß- Quartal 2007 geboren wurden. Damit stärken wir die eltern in diesen besonderen Fällen auch Elternzeit bean- Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Durch die Inan- spruchen können. Für den Anspruch auf Freistellung von spruchnahme der Partnermonate ermöglichen wir insbe- der Arbeit müssen bei diesen Arbeitnehmerinnen und sondere Vätern, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbrin- Arbeitnehmern auch die grundsätzlich für den Eltern- gen. Haben vor Einführung des Elterngeldes lediglich zeitanspruch geltenden Voraussetzungen – zum Beispiel 3,5 Prozent der Väter Elternzeit in Anspruch genommen, Leben in einem Haushalt – vorliegen. Sinn und Zweck liegt der Anteil der Väter, deren Elterngeldanträge für der Regelung ist die mögliche Unterstützung von Eltern Kinder bewilligt wurden, die von Anfang Januar 2007 bei der Betreuung und Erziehung ihres Kindes durch die bis Ende März 2007 geboren wurden, bei knapp 16 Pro- Großeltern, wenn ein Elternteil minderjährig ist oder als zent. junger Volljähriger die Schule besucht bzw. eine Ausbil- dung absolviert und noch höchstens zwei Jahre bis zum Die aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung „Wege regulären Abschluss braucht. in die Vaterschaft“ macht zudem deutlich: Da Eltern nach dem Grundgesetz bis zur Volljährig- Erstens. Junge Männer wollen Familie. Sie wollen keit ihres Kindes das Recht und die Pflicht haben, sich Kinder. Mehr als neun von zehn der befragten kinderlo- um das Wohl ihres Kindes zu sorgen und ihr Kind zu un- sen Männer sagen Ja zu Kindern. Allerdings – und das terstützen, knüpft die Vorschrift in der ersten Variante an spricht für das verantwortungsbewusste Denken junger die Minderjährigkeit der Eltern bzw. eines Elternteils des Männer – 95,5 Prozent der befragten Männer sehen es neugeborenen Kindes an. Minderjährige Eltern sind in als ihre Aufgabe an, der Familie ein Heim bieten zu kön- der Regel noch schulpflichtig bzw. befinden sich in der nen. Dabei ist die wichtigste Voraussetzung für die Va- Ausbildung. Die Regelung soll es ihnen ermöglichen, terschaft, eine Familie ernähren zu können. Deshalb war die aktuell angestrebte schulische oder berufliche Aus- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20205

(A) bildung abzuschließen. Die Großeltern können den jun- mens gebunden ist, eröffnet die bisherige Regelung in (C) gen Eltern und ihrem Enkelkind helfen, die zunächst oft § 4 BEEG unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten je schwierige Situation im Anschluss an eine „Teenager- nachdem, ob vor der Geburt beide Eltern oder nur ein Schwangerschaft“ zu bewältigen. Auswirkungen dieser Elternteil Erwerbseinkommen erzielt haben. Waren beide in der Lebenswirklichkeit üblichen familiären Unterstüt- Elternteile vor der Geburt erwerbstätig, erfüllt schon die zung können so abgemildert werden. Mutter die Voraussetzung der Partnermonate und der Va- ter könnte auch einen einzelnen Elterngeldmonat in An- Obwohl junge volljährige Eltern selbst nicht mehr un- spruch nehmen. ter elterlicher Sorge stehen, sind ihre Lebensumstände oft mit denen minderjähriger Eltern vergleichbar. Daher Der vorliegende Gesetzentwurf sieht hier eine Ände- soll in der zweiten Variante jungen Volljährigen die rung insofern vor, als dass wir nun eine einheitliche Min- Möglichkeit eröffnet werden, ihre vor Vollendung des destbezugsdauer von zwei Monaten für alle Eltern vorse- 18. Lebensjahres begonnene schulische oder berufliche hen, die Elterngeld in Anspruch nehmen möchten. Mit Ausbildung ohne erhebliche Verzögerung fortzusetzen dieser Änderung wird eine intensivere Bindung auch des und abzuschließen. Hiermit kann eine wesentliche Vo- zweiten Elternteils zum Kind unterstützt. Vätern wird raussetzung für den Einstieg in das Berufsleben geschaf- gegenüber Dritten die Entscheidung erleichtert, sich fen werden, damit die Eltern ihre wirtschaftliche Exis- mehr Zeit für ihr Kind zu nehmen. Die Flexibilität des tenz in den Folgejahren sichern können. Um die Elterngelds bleibt bestehen, da die Elterngeldmonate Interessen der jungen Eltern bzw. der Großeltern und die auch weiterhin nicht am Stück genommen werden müs- der Arbeitgeber angemessen zu berücksichtigen, wird sen, sondern frei auf den Zeitraum der ersten 14 Lebens- der für die Elternzeit der Großeltern nutzbare Zeitraum monate des Kindes verteilt werden können. auf die letzten beiden Ausbildungsjahre des anspruchs- vermittelnden Elternteils bezogen. Andernfalls würde Gesetzlich geregelt war bisher, dass der Antragsteller auch der besonderen Konstellation bei „Teenager- einmal – in besonderen Härtefällen – den Antrag auf El- Schwangerschaften“ sachlich nicht mehr hinreichend terngeld ändern kann. Die Praxis hat jedoch zeigt, dass Rechnung getragen. Allen Beteiligten wird in dieser Si- es weitere Fälle gibt, in denen eine Änderung des Eltern- tuation so eine reale Chance geboten, im Hinblick auf geldantrags für die Familie wichtig sein kann, zum Bei- die Absicherung der Lebenssituation der jungen Familie spiel der plötzliche Erhalt eines Arbeitsplatzes. Zukünf- zusammenzuwirken. tig soll deshalb der Antrag auf Elterngeld auch ohne Angabe von Gründen einmal geändert werden können. Im Interesse eines zügigen Ausbildungsabschlusses Der Verzicht auf eine Begründung erhöht die Flexibilität wird aber durch die Erweiterung des Kreises der An- für die Eltern und entlastet die Verwaltung von einer Be- (B) spruchsberechtigten alternativ den Auszubildenden die gründungsprüfung. Die Möglichkeit einer einmaligen (D) Möglichkeit eröffnet, den Großeltern einen Anspruch weiteren Änderung im besonderen Härtefall, wie zum auf Elternzeit zu vermitteln, wenn keiner der Elternteile Beispiel bei Tod eines Elternteils oder einer plötzlich selbst Elternzeit in Anspruch nimmt. In diesem Fall kön- auftretenden schweren Krankheit, bleibt unberührt. Die nen die Großeltern die Rolle des minderjährigen Eltern- Änderung ist wie die erste Antragstellung für drei Mo- teils oder wegen seiner fortgesetzten Ausbildung einge- nate rückwirkend möglich. schränkten Elternteils übernehmen. Insgesamt gesehen bleibt es aber bei dem mit dem Bundeselterngeld- und Eine weitere Änderung, die wir mit dem vorliegenden Elternzeitgesetz intendierten Grundsatz, dass Eltern sich Gesetzentwurf vornehmen werden, betrifft die Arbeitge- der Betreuung ihrer Kinder vorrangig selbst widmen sol- berbescheinigung. Durch die Änderung wird die Rege- len. Dem entspricht auch, dass die Eltern, nicht aber die lung zur Arbeitgeberbescheinigung den entsprechenden Großeltern, Elterngeld in Anspruch nehmen können. Regelungen im Unterhaltsvorschussgesetz und im Bun- Auszubildende, die ihre Ausbildung fortsetzen, gelten deskindergeldgesetz angepasst. Die Änderung sieht vor, nach § 1 Abs. 6 BEEG als nicht voll erwerbstätig und dass der Arbeitgeber – soweit erforderlich – der zustän- können bei Vorliegen der weiteren Anspruchsvorausset- digen Behörde eine Bescheinigung über Arbeitslohn, zungen Elterngeld beanspruchen. Steuern und Sozialabgaben auszustellen hat und nicht, wie bisher, diese dem Arbeitnehmer ausstellen muss. Der Anspruch der Großeltern auf Elternzeit setzt wie bei allen anderen Elternzeitberechtigten nach § 15 Eine letzte Änderung, auf die ich gerne eingehen Abs. 1 BEEG voraus, dass die oder der Anspruchsbe- möchte, betrifft die Wehr- und Zivildienstleistenden. Der rechtigte mit dem Kind in einem Haushalt lebt und das Wehrdienst nach dem Wehrpflichtgesetz und dem Vier- Kind selbst betreut und erzieht. Es wird nicht vorausge- ten Abschnitt des Soldatengesetzes sowie der Zivildienst setzt, dass der anspruchsvermittelnde Elternteil ebenfalls nach dem Zivildienstgesetz haben ihre besondere rechtli- mit im Haushalt der Großeltern lebt. Die Großelternteile che Grundlage im Wehrverfassungsrecht. Sie sind mit haben bei Vorliegen aller entsprechend erforderlichen besonderen Einschränkungen auch hinsichtlich der Be- Voraussetzungen die Möglichkeit, sich die Betreuung ih- rufsausübungsfreiheit verbunden. Wehr- und Zivildienst- res Enkelkindes zu teilen und gleichzeitig ihrer Beschäf- zeiten sollen und dürfen natürlich daher nicht zu einem tigung in Teilzeit nachzugehen und so die Bindung an Nachteil bei der Berechnung des einkommensabhängi- das Unternehmen aufrechtzuerhalten. gen Elterngelds führen. Da sich die Höhe des Eltern- gelds, soweit es 300 Euro überschreitet, nach der Höhe Weil die Nutzung der Partnermonate an den Wegfall des im Bemessungszeitraum vor der Geburt des Kindes des vor der Geburt des Kindes erzielten Erwerbseinkom- erzielten steuerpflichtigen Erwerbseinkommens berech- 20206 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) net, kann das nach der Geburt des Kindes zustehende El- ligten Anträge 7 Prozent. Dieser Anteil wuchs in der (C) terngeld durch im Bemessungszeitraum liegenden Wehr- Folge deutlich und wird weiter ansteigen. Bezieht man und Zivildienstzeiten ohne entsprechendes Erwerbsein- zusätzlich die Geburtenzahlen in die Betrachtung ein, so kommen verringert werden. Diesen Nachteil wollen wir kommt man zu einer erstaunlichen Zahl: 15 Prozent aller nun ausgleichen, indem die betroffenen Monate – wie in im Jahre 2007 geborenen Kinder haben einen Vater, der den Fällen schwangerschaftsbedingter Erkrankung – aus Elternzeit genommen hat. dem Bemessungszeitraum herausgenommen und durch weiter in der Vergangenheit liegende Monate ersetzt Vielfach ist zu hören, dass diese Zahl noch zu niedrig werden. sei. Ich kann und will da keine Zielgröße vorschlagen. Aber ich stelle fest, dass diese Zahl einen grundlegenden Das Elterngeld ist und bleibt ein Erfolg. Das zeigen gesellschaftlichen Wandel widerspiegelt. Viele junge die Umfragen der Evaluation, und das zeigt die anstei- Männer nehmen die Gelegenheit dankbar an, intensiver gende Geburtenrate. Im vergangenen Jahr sind laut Sta- und aktiver als ihre Väter am Familienleben, an der tistischem Bundesamt 12 000 Kinder mehr geboren wor- Pflege und Erziehung ihrer Kinder teilzuhaben. Das ist den als im Vorjahr 2006. Dies zeigt, dass die von der eine positive gesellschaftliche Entwicklung. Drauf kön- Bundesregierung getroffenen familienpolitischen Maß- nen wir als Urheberinnen und Urheber des Gesetzes nahmen einen wichtigen Beitrag zur Vereinbarkeit von stolz sein, besonders wir Sozialdemokraten. Familie und Beruf leisten und somit Maßnahmen sind, die den Wünschen und Bedürfnissen vieler Familien ent- Ich betone hier meine Fraktionszugehörigkeit aus be- sprechen. sonderem Grund. Denn dass eine moderne Familienpoli- tik auch die Männer aktiver in ihre Familien einbinden sollte, war uns Sozialdemokraten schon lange klar, als Dieter Steinecke (SPD): Das Bessere, so lautet ein uns und übrigens auch der zuständigen Bundesministerin altes Sprichwort, ist der Feind des Guten. Und so beraten aus reaktionären Kreisen der Union noch diffamierende wir heute über Änderungen an einem ausgesprochen gu- Kampfbegriffe wie „Windelpraktikum“ oder „Wickelvo- ten und gelungenen Gesetz. lontariat“ entgegenschallten. Diese Erkenntnis ist für mich als Vater nicht neu: Ich hätte mich seinerzeit sehr Das Elterngeld- und Elternzeitgesetz, in Kraft getre- über die Möglichkeit gefreut, mich intensiver um meine ten am 1. Januar 2007, stellt einen wahrhaftigen Meilen- damals neugeborene, mittlerweile erwachsene Tochter stein in der bundesdeutschen Familienpolitik dar. Wir kümmern zu können. Ich bin halt fünfundzwanzig Jahre haben gerade in dieser Woche intensiv über die bisheri- zu früh zur Welt gekommen. gen Erfahrungen beraten. Und in der Grundlage waren sich die Vertreterinnen und Vertreter der meisten Frak- Das Umdenken hinsichtlich der gesellschaftlichen (B) tionen einig: Es ist ein gutes Gesetz, das seine Zielset- Rolle junger Väter ist inzwischen auch in der Wirtschaft (D) zungen weitgehend erreicht. Das Elterngeld- und Eltern- angekommen. Eine repräsentative Umfrage unter Perso- zeitgesetz wirkt. nalverantwortlichen hat ergeben, dass es mehr als 60 Prozent begrüßen, wenn auch Väter Elternzeit neh- Diese Wirkungen sind durchaus vielfältig. Ich habe men. Auch hier zähle ich mich dazu, diesmal in meiner nicht die Zeit, alle Auswirkungen detailliert darzustellen Eigenschaft als Arbeitgeber: Gerade vor wenigen Mona- und zu bewerten. Daher beschränke ich mich auf zwei in ten hat einer meiner männlichen Mitarbeiter Elternzeit meinen Augen grundlegende Aspekte. genommen, und ich durfte mitbekommen, wie gut ihm Das Elterngeld ist ein wesentlicher Beitrag zur Be- und seiner jungen Familie diese Zeit getan hat. kämpfung von Kinder- und Elternarmut in unserem Ich fasse kurz zusammen: Wir Sozialdemokraten ha- Lande. Junge Eltern müssen nicht mehr erhebliche Ein- ben im Wahlkampf 2005 ein Elterngeld versprochen. kommenseinbußen durch die Geburt ihres Kindes oder Wir haben dieses Versprechen zum Jahresbeginn 2007 ihrer Kinder befürchten. Paare, in denen beide Partner eingelöst und das Erziehungsgeld durch ein Elterngeld erwerbstätig sind, bekommen das wegfallende Einkom- nach skandinavischem Vorbild abgelöst. Der Erfolg gibt men zu 67 Prozent ersetzt. Für die Bezieherinnen und uns Recht: Leistungen nach dem Elterngeld- und Eltern- Bezieher geringer Einkommen gilt sogar ein noch höhe- zeitgesetz werden von fast 100 Prozent der Familien an- rer Satz. Paare mit nur einem Verdiener bekommen eine genommen. Nahezu 75 Prozent der Gesamtbevölkerung Zusatzleistung, ebenso Bezieher von Grundsicherungs- halten die Regelung für gut. leistungen. Das Elterngeld wird nämlich nicht auf Leis- tungen nach SGB II angerechnet. Dies ist sozial ausge- Ich sagte es bereits eingangs: Nichts ist so gut, dass es wogen, ist sozial gerecht. nicht noch besser gemacht werden könnte. In diesem Be- wusstsein sind die Folgen des Elterngeld- und Elternzeit- Doch die Wirkung des Gesetzes ist nicht nur rein gesetzes seit seinem Inkrafttreten sorgfältig beobachtet wirtschaftlicher Natur. Es hat vielmehr tiefgreifende worden. Sie werden auch in Zukunft einem wissen- Auswirkungen auf das Leben innerhalb der jungen Fa- schaftlichen Monitoring unterliegen. Das gibt Bundesre- milien in unserem Land. Ich spiele hier vor allem auf die gierung und Parlament die Möglichkeit, Gesetzesfolgen Rolle der Väter an. Im letzten Quartal 2006 gab es das frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls rasch zu han- Elterngeld noch nicht, wohl aber das Erziehungsgeld. deln. Genau das tun wir gerade. Selbiges wurde damals zu 3,5 Prozent von Männern in Anspruch genommen. Bereits im ersten Quartal des El- Wir reagieren auf vier Erkenntnisse. Erstens. Vielfach terngeldes betrug der Väteranteil bezogen auf die bewil- werden in unserem Lande sehr junge Menschen Eltern, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20207

(A) die sich noch in der Schul- oder Berufsausbildung befin- und Zivildienstzeiten sollen künftig die Höhe des Eltern- (C) den. Um diese zu beenden, nehmen sie die Hilfe ihrer El- geldes nicht verringern. tern in Anspruch, also der Großeltern des Kindes. Diese Großeltern, obwohl quasi „Doppeleltern“, konnten bis- In der Anhörung des Ausschusses für Familie, Senio- her keine Elternzeit beanspruchen. ren, Frauen und Jugend am 16. September 2008 wurde deutlich, dass sich das Konzept der Partnermonate von Zweitens. Vereinzelt musste Elterngeld für weniger dem eines Mindestelterngeldbezugs unterscheidet. Bei als zwei Monate bewilligt werden. einer Mindestelterngeldbezugszeit verfällt der Gesamtan- spruch von 14 Monaten, wenn diese Mindestzeit nicht in Drittens. Wehr- und Zivildienstleistende hatten mitun- Anspruch genommen wird. Flexible Gestaltungsmög- ter nicht zu rechtfertigende Nachteile bei der Berech- lichkeiten der Eltern etwa durch die Zusammenlegung nung des Elterngeldes. mit Urlaubszeiten oder einer Überstundenabgeltung sind also nicht mehr möglich. Ich befürchte, dass die Min- Viertens. Nach der derzeitigen Gesetzeslage kann ein destbezugszeit bei beruflich stark engagierten Vätern einmal gestellter und bewilligter Antrag nur in Härtefäl- dazu führt, dass keine Elternzeit beantragt wird. Diese len geändert werden. Dadurch konnten junge Mütter und Vorschrift ist nicht erforderlich, da jetzt mehr als Väter nicht immer flexibel genug auf sich ändernde Er- 89 Prozent aller Männer Elterngeld für zwei oder mehr werbssituationen reagieren. Monate in Anspruch nehmen. In all diesen Punkten schaffen wir mit dem vorliegen- Der Deutsche Juristinnenbund hat eindringlich davor den Entwurf Abhilfe und machen ein gutes, gelungenes gewarnt, ohne ein umfassendes Konzept von Verlänge- und wirkungsvolles Gesetz noch besser. rungstatbeständen bereits jetzt singuläre Tatbestände wie die Wehrpflicht- und Zivildienstzeiten in das BEEG auf- Es ist, je nach Sichtweise und Situation, ein altes so- zunehmen, ohne auch die Einbeziehung anderer mögli- zialdemokratisches Problem wie eine alte sozialdemo- cher Privilegierungstatbestände wie etwa Zeiten eines kratische Tugend: Selbstzufriedenheit ist unsere Sache Freiwilligen Sozialen Jahres zu prüfen. Also wieder mit nicht. Wir begnügen uns nicht mit dem Erreichten, wir heißer Nadel gestrickt. legen nie die Hände in den Schoß. So muss ich denn auch abschließend feststellen, dass das Bessere seinen Bei der Großelternregelung wird erwerbstätigen Feind findet im noch viel Besseren. So wird auch in Zu- Großeltern das Fernbleiben vom Arbeitgeber ohne Be- kunft noch über die eine oder andere Frage im Zusam- zahlung offeriert, das kaum jemand so in Anspruch neh- menhang mit dem Elterngeld- und Elternzeitgesetz zu men wird. reden sein. Beispielweise ist es für die SPD weder ge- In der Anhörung wurde deutlich, dass ein über diesen (B) recht noch der Sache dienlich, dass Paare, die gleichzei- (D) Gesetzentwurf hinausgehender Reformbedarf beim El- tig in Elternteilzeit sind, ihre Anspruchsmonate gleich- terngeld besteht. Aus Sicht der Selbstständigen steht die sam doppelt verbrauchen. Das muss geändert werden. bestehende Teilzeitregelung oftmals einem Elterngeld- Eine weitere offene Frage sehe ich hinsichtlich der Ein- bezug entgegen. Wenn Vater und Mutter nach der Geburt kommens- und damit Anspruchsermittlung bei Selbst- des Kindes beide halbtags arbeiten und Teilzeiteltern- ständigen. geld beziehen, wird der zeitliche Anspruch halbiert und Doch der bisherige Gang der Gesetzgebung wie der schrumpft auf nur 7 Monate. Folgenbeobachtung und -bewertung gibt mir die tiefe Im Bundeselterngeldgesetz haben Sie selbst in § 25 Zuversicht, dass es uns auch in Zukunft gelingen wird, festgeschrieben – ich zitiere –: „Die Bundesregierung das Elterngeld- und Elternzeitgesetz immer wieder den legt dem Deutschen Bundestag bis zum 1. Oktober 2008 gesellschaftlichen Entwicklungen und den daraus resul- einen Bericht über die Auswirkungen dieses Gesetzes tierenden Anforderungen anzupassen. Eines zeigt sich sowie über die gegebenenfalls notwendige Weiterent- ganz deutlich: Die Belange von Kindern und Eltern in wicklung dieser Vorschriften vor.“ Ich fordere Sie auf: Deutschland sind bei uns in guten Händen. Das gilt auch Legen Sie endlich einen Bericht vor, der kein Märchen- in Zukunft. buch ist, sondern neben den Stärken des Elterngeldes auch die notwendige Weiterentwicklung aufzeigt! Ina Lenke (FDP): Um es gleich vorweg zu sagen: Wir lehnen dieses unzureichende Änderungsgesetz Diese Änderung des Bundeselterngeldgesetzes ist nicht ab. auf der Grundlage einer notwendigen Evaluation des jetzt fast zwei Jahre bestehenden Elterngeldgesetzes konzipiert worden. Das Familienministerium hat die Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Ich nenne die we- Evaluation seit Monaten angekündigt. Sie hat diese Zu- sentlichen Punkte des Gesetzentwurfs der Koalition: sagen nicht eingehalten. Herausgekommen ist lediglich Einheitliche Mindestbezugszeit von zwei Monaten, Fle- ein Bericht mit Daten und Fakten. Das kritisiere ich für xibilisierung des Antrags auf Elterngeld und Unterstüt- die FDP heftigst. zung von Großeltern bei sogenannten Teenieeltern. Am vergangenen Mittwoch wurde im Ausschuss der Evalua- Nun soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine tionsbericht zum Elterngeld von Frau von der Leyen vor- Mindestbezugszeit des Elterngeldes von zwei Monaten gestellt. Im Ergebnis frage ich mich schon: Warum hat eingeführt werden, die Antragstellung auf Elterngeld fle- man mit einer Änderung des Gesetzes nicht bis dahin ge- xibilisiert, eine „Großelternzeit“ eingeführt, und Wehr- wartet und die Ergebnisse der Evaluation in den Entwurf 20208 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) einfließen lassen? Oder ist es, wie von der FDP im Aus- Das Elterngeld bleibt auch nach dem vorliegenden (C) schuss dargelegt, keine wirkliche Evaluation, sondern Gesetzentwurf eine sozialpolitische Mogelpackung, die eine Schönrechnung der Regierung unter Ausblendung für die Mehrheit der Eltern nicht hält, was sie verspricht. wesentlicher Probleme? Das Elterngeld benachteiligt Eltern mit niedrigem oder gar keinem Einkommen. Im Wissen darum, dass jedes Warum wird die Mindestbezugsdauer des Elterngel- siebte Kind in Deutschland auf einem Einkommensni- des auf zwei Monate angehoben, obwohl dies nach An- veau lebt, das es von einer angemessenen sozialen und sicht von Experten eher kontraproduktiv ist hinsichtlich gesellschaftlichen Teilhabe ausschließt, verschärfen Sie der Inanspruchnahme von Elternzeit durch Väter? Dies die Kinderarmut weiter. Und ich kann nur wiederholen: bestätigt sich letztlich durch den Evaluierungsbericht der Die Auswirkungen auf Alleinerziehende sind statistisch Regierung. Lediglich 2 Prozent der elterngeldberechtig- gar nicht zu ermitteln, weil das Gesetz diesbezügliche ten Väter nehmen die vollen zwölf Monate Elternzeit. Erhebungen nicht vorsieht. Solche Problemlagen werden Die meisten nehmen nur einen Monat. Soll diese Zahl ausgeblendet. jetzt reduziert werden, da diese Möglichkeit verwehrt wird? Mit der Einführung des Elterngeldes ist prinzipiell eine positive Entwicklung in der Familienpolitik einge- Zur Großelternzeit: Löblich, dass die Regierung end- leitet worden. Das findet unsere Unterstützung. Aber lich einmal ein Problem erkannt hat und auch gleich ver- diese Gesetzesänderung bietet keine Lösung der beste- sucht, eine Lösung zu finden. Schade, dass die vorge- henden Probleme. Die Lösung wird durch unseren An- schlagene Lösung der Regierungskoalition nicht zum trag aufgezeigt, weshalb ich daher dringend um Zustim- gewünschten Ergebnis führt, sondern in der Praxis kaum mung ersuche. Niederschlag findet. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Es geht um die Förderung von Teeniemüttern, um Einführung eines neuen Instrumentes wie das Elterngeld Mütter im Alter von bis zu 18 Jahren oder noch in Aus- führt fast zwangsläufig dazu, dass schon schnell in De- bildung befindliche volljährige Mütter. In dieser Alters- tailfragen Korrektur- oder Verbesserungsbedarf ansteht. gruppe dürften die Großeltern, also die Eltern der Müt- So verhält es sich beim vorliegenden Gesetzentwurf. ter, in aller Regel noch im Erwerbsleben stehen. Die Das Anliegen, hier erste Änderungen vorzunehmen, ist Möglichkeit, in dieser Situation Elternzeit zu nehmen, nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar allerdings ist das um sich um das Enkelkind zu kümmern, dürfte von da- Verhalten der Bundesregierung: Erst hieß es, wir machen her kaum in Anspruch genommen werden, da nach dem keine Änderungen, solange wir über die Wirkung des Willen der Regierungskoalition ein Elterngeld nicht ge- Gesetzes nichts wissen; dann kam dieses Änderungsge- (B) zahlt werden soll. Wer ersetzt den Verdienstausfall, wie setz, über das wir heute sprechen, ohne dass der Bericht (D) es beim Elterngeld grundsätzlich vorgesehen ist? Oder über die Wirkung des Elterngeldes vorlag. Dann endlich sollen – der Not gehorchend – wieder vermehrt Groß- war der Bericht erarbeitet, doch das Ministerium verzö- mütter aus dem Berufsleben ausscheiden, da sie in der gert die Herausgabe um mehrere Wochen. Und bevor wir Regel weniger verdienen als die entsprechenden Groß- uns mit diesem Bericht parlamentarisch befassen konn- väter? Das nenne ich konsequente Gleichstellungspolitik ten, sollen wir zu nachtschlafender Zeit Änderungen am der Regierung. Elterngeld beschließen, die sachlich zum Teil nicht ge- rechtfertigt und wissenschaftlich nicht fundiert sind. Das Die Kosten, welche durch entsprechende Zahlung ei- finde ich eine Zumutung. nes Elterngeldes an die Großeltern entstehen würden, halten sich im überschaubaren Rahmen, da von dieser Wenn die Wirkungsuntersuchung sowieso keine Aus- Lösung nur wenige Familien betroffen sind und mit der wirkungen auf Ihre Vorschläge hat, dann hätten Sie ja Möglichkeit des Bezugs auch keine Lebensentwürfe ge- auch gleich eine große Reform machen können und die fördert werden, wie es von der Union unterstellt wird. wirklich wichtigen Themen wie den doppelten An- Frei nach dem Motto: Geh’, mein Kind, werd’ schwan- spruchsverbrauch bei gleichzeitiger Teilzeit oder die Be- ger, ich möchte Großelterngeld beziehen. Da ist die rechnung des Elterngeldes neu regeln können. Koalition, allen voran ihre Ministerin, mal wieder völlig Gut gedacht ist nicht gleich gut gemacht – so sehe ich realitätsfremd. Da, wo Änderungsbedarf besteht – einer ihre Änderungsvorschläge, und deshalb werden wir sie Erhöhung des Mindestelterngeldes bei gleichzeitigem auch ablehnen. Teilelterngeldbezug –, wird nichts gemacht. Grundsätzlich ist die Intention zu begrüßen, den Be- Hier bietet der Antrag der Linken die Lösung. Wie in messungszeitraum bei Wehr- und Zivildienst zu verän- unserem Antrag aufgezeigt, sollen Eltern, welche gleich- dern. Es gibt allerdings auch andere, vergleichbare Tat- zeitig Elternzeit nehmen und die Erwerbstätigkeit redu- bestände. Ich möchte nur das Freiwillige Soziale Jahr, zieren, auch nur „reduzierte“ Elternzeit verbrauchen, das Freiwillige Ökologische Jahr oder § 17 c Zivildienst- also die Möglichkeit haben, ihr Kind bzw. ihre Kinder gesetz ansprechen, die als gleichwertige Ersatzdienstzei- über den vollen Zeitraum der Elternmonate zu betreuen. ten gelten und die aus meiner Sicht Berücksichtigung Dies kommt auch dem erklärten Willen, die partner- finden müssten. Schauen wir ins wahre Leben: Ein schaftliche Erziehung zu fördern, entgegen. Der Ansatz Mann und eine Frau arbeiten im Krankenhaus. Er macht der Regierungskoalition ist insoweit kontraproduktiv – Zivildienst, sie ein Freiwilliges Soziales Jahr. Mit wel- aber immerhin konsequent kontraproduktiv. cher Begründung machen Sie hier Unterschiede? Vor Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20209

(A) Gericht hält diese Regelung nicht stand. Das haben ih- zunächst ihr gemeinsames Vermögen auseinandersetzen. (C) nen die Experten in der Anhörung ganz klar bescheinigt. Jeder Ehepartner erhält zudem die Hälfte des Vermö- genszuwachses, der während der Ehezeit erzielt wurde. Zur Großelternzeit: Auch hier sehe ich die gute Idee. Dieser Grundentscheidung des Gesetzgebers liegt die Doch was nutzt eine Großelternzeit ohne finanzielle Ab- Annahme zugrunde, dass beide Ehegatten während der sicherung? Hier profitieren vor allem Menschen, die die- Ehe ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten gemeinsam ein- ser Absicherung nicht bedürfen oder die sowieso keine setzen und damit das während der Ehe erwirtschaftete Arbeit haben. Für alle anderen greift die Regelung nicht. Vermögen grundsätzlich gemeinsam erarbeiten. Es erschließt sich mir auch nicht, warum die Regelung ausschließlich für Großeltern und nicht für andere nahe- Das deutsche Güterrecht hat sich weitestgehend be- stehenden Personen gelten sollte. währt. Wir wollen daher mit dem vorliegenden Entwurf Ich bin mit meinen Kritikpunkten noch nicht am lediglich punktuelle Änderungen vornehmen. Die zen- Ende, möchte jedoch gern noch etwas zum Entschlie- trale Neuregelung des Entwurfs sieht vor, dass künftig ßungsantrag der Linken sagen. Wir befinden uns in vie- auch Schulden, die bereits zum Zeitpunkt der Eheschlie- len Bereichen bei der Beurteilung des Elterngeldes und ßung vorhanden waren und während der Ehe getilgt wur- den hier notwendigen Reformen im Konsens. Was ich al- den, beim Zugewinnausgleich berücksichtigt werden. lerdings nicht teile, ist die Idee, die sozialpolitische Nach geltendem Recht bleiben diese Schulden bei der Funktion des Elterngeldes auszuweiten. Das Elterngeld Ermittlung des Zugewinns unberücksichtigt. Ob die entspricht einer Lohnersatzleistung. Wenn wir wollen, Ehepartner während der Ehe voreheliche Verbindlichkei- dass das Elterngeld höher ausfällt, dann müssen wir da- ten eines Partners getilgt haben, ist demnach für die Be- ran mit Mindestlohn, Progressivmodell und geschlech- rechnung des Zugewinns ohne Belang. So muss der Ehe- tergerechter Entlohnung etwas ändern. gatte, der während der Ehe anfänglich vorhandene Schulden tilgt, diesen Vermögenszuwachs derzeit nicht Nicht vergessen wollen wir auch, dass die Bundesre- ausgleichen. gierung mit dem Elterngeld den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht hat: Die Kinderbetreuung in Deutschland Besonders negativ wirkt sich diese Regelung auf jene ist immer noch Mangelware. Und da kann sich die Mi- Ehegatten aus, die die Verbindlichkeiten des Partners til- nisterin hinstellen und sagen, das sei geklärt, der Ausbau gen und zugleich eigenes Vermögen erwerben. In diesen laufe. Das ist mitnichten so einfach. Die Finanzierung ist Fällen entsteht eine doppelte Ungerechtigkeit: Hier immer noch nicht geklärt, denn die 8 Milliarden Euro bleibt nicht nur die Schuldentilgung und der damit ver- von Ländern und Kommunen stehen eben noch nicht zur bundene Vermögenszuwachs beim anderen Ehepartner Verfügung. Und wer ein wenig Ahnung von der Finanz- unberücksichtigt. Der Ehepartner, der die Schulden des (B) situation der Kommunen hat, der weiß auch, wie schwie- anderen getilgt hat, muss darüber hinaus auch seinen ei- (D) rig die Lage ist. Hier hätten wir von Bundesseite mehr genen Vermögenszuwachs zur Hälfte dem anderen Ehe- auf die Kommunen zugehen müssen und zudem die Län- partner ausgleichen. Diese Ergebnisse sind sachlich der deutlich verpflichten müssen, ihren Anteil zu leisten. nicht gerechtfertigt und werden von den Menschen zu Das ist nicht geschehen. So ein handwerklicher Fehler Recht als äußerst ungerecht empfunden. Der Gesetzent- darf einer Regierung nicht passieren. wurf sieht deshalb vor, dass auch ein sogenanntes negati- ves Anfangsvermögen zu berücksichtigen ist. Im Ergeb- nis stellen wir damit sicher, dass beim Ausgleich alleine Anlage 20 der Betrag maßgeblich ist, um den das Vermögen des Ehepartners während der Ehe wirtschaftlich gewachsen Zu Protokoll gegebene Reden ist. zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Des Weiteren wollen wir die Ehepartner künftig bes- Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vor- ser vor Vermögensmanipulationen schützen. Für die Be- mundschaftsrechts (Tagesordnungspunkt 43) rechnung des Zugewinnausgleichs kommt es auf die Rechtshängigkeit der Scheidung an. Stichtag für das Ute Granold (CDU/CSU): Wir befassen uns heute Endvermögen ist demnach also die Zustellung des erneut mit dem Familienrecht, und zwar dieses Mal ins- Scheidungsantrages. Die endgültige Höhe der Aus- besondere mit dem ehelichen Güterrecht. In Deutschland gleichsforderung wird aber durch den Wert begrenzt, den wird derzeit jede dritte Ehe geschieden. Vor diesem Hin- das Vermögen zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Schei- tergrund ist die Bedeutung der Ausgleichsansprüche aus dung hat. Es besteht somit die Gefahr, dass in der Zeit der Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft der betroffe- zwischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft der Schei- nen Eheleute von großer Relevanz. Dies ist neben dem dung Vermögen zulasten des ausgleichsberechtigten Unterhalt, den wir gerade umfassend neu geregelt haben, Ehegatten beiseitegeschafft wird. Damit läuft die Stich- und dem Versorgungsausgleich, der sich derzeit im Ge- tagsregelung regelmäßig ins Leere. setzgebungsverfahren befindet, nun noch der güterrecht- liche Ausgleich. Dieser ist heute, 50 Jahre nach seinem Wir wollen deshalb den ausgleichsberechtigten Ehe- Inkrafttreten, besonders aktuell. Bei der Zugewinnge- gatten künftig besser vor solchen Manipulationen schüt- meinschaft handelt es sich um den gesetzlichen Güter- zen. Der Gesetzentwurf sieht hierfür vor, dass der Zeit- stand, in dem die überwiegende Mehrzahl der Ehepart- punkt der Rechtshängigkeit nicht nur für die Berechnung ner lebt. Bei der Scheidung müssen die Ehegatten des in diesem Fall rein theoretischen Zugewinnaus- 20210 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) gleichs, sondern auch für die endgültige Höhe der Aus- chend Schutz vor Missbrauch geben. Der Betreuer muss (C) gleichsforderung maßgeblich ist. wie bisher Einnahmen und Ausgaben des Betreuten ge- nau abrechnen und die Kontobelege einreichen. Im Übri- Eine weitere Regelung betrifft die Zeit vor Zustellung gen werden bedeutsame Rechtsgeschäfte auch in des Scheidungsantrages. Der Schutz des ausgleichsbe- Zukunft unter dem Vorbehalt stehen, dass das Vormund- rechtigten Ehegatten ist in dieser Phase nach geltendem schaftsgericht sie genehmigt hat. Insgesamt handelt es Recht völlig unzureichend. Insbesondere gibt es für ihn sich also um einen sehr ausgewogenen Entwurf, der le- keinerlei Möglichkeit, sich in dieser Phase gegen Ver- diglich moderate Änderungen im Bereich des Familien- mögensverschiebungen zur Wehr zu setzen. Künftig er- rechts vorsieht. Insofern bin ich zuversichtlich, dass wir hält er daher die Möglichkeit, seine Ansprüche im Wege in diesem Haus eine breite Zustimmung finden werden. eines vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzverfahrens zu sichern. Mit dieser Neuregelung verhindern wir, dass Es hat bereits im Vorfeld eine Vielzahl von Stellung- der andere Ehepartner wie bisher sein Vermögen ganz nahmen der Verbände und Betroffenen gegeben, die den oder teilweise beiseiteschafft. Entwurf überwiegend positiv bewerten. Die Kritik be- Wir wollen zudem wie im Unterhaltsrecht eine Pflicht zieht sich hier in erster Linie auf Detailfragen. Die Anre- zur Vorlage von Belegen einführen. Damit greifen wir gungen enthalten eine Reihe von Vorschlägen, die wir eine allgemeine Forderung aus der Praxis auf. Darüber im weiteren Verfahren genau prüfen müssen und die hinaus sieht der Entwurf vor, eine Auskunftspflicht über durchaus noch zu der einen oder anderen Ergänzung des das Anfangsvermögen einzuführen und die Auskunfts- Entwurfs führen können. Beispielhaft möchte ich in die- pflicht auch auf die Fälle einer vorzeitigen Aufhebung sem Zusammenhang den Vorschlag nennen, wonach sich der Zugewinngemeinschaft oder eines vorzeitigen Aus- der Auskunftsanspruch auch auf Bestandsveränderungen gleichs des Zugewinns zu erstrecken. Jeder Ehegatte er- in der Zeit seit der Trennung erstrecken sollte. Eine wei- hält so die Möglichkeit, sicher abzuschätzen, ob ihm ein tere Anregung, die es zu prüfen gilt, betrifft die güter- Anspruch auf Zugewinn zusteht oder nicht. rechtliche Behandlung von Wertsteigerungen bei Vermö- gensgegenständen aus dem Anfangsvermögen – etwa Der Entwurf enthält noch eine Reihe von weiteren Immobilien –, die nicht auf der Lebensleistung der Ehe- Änderungen, die nicht mit dem Güterrecht zusammen- leute beruhen. hängen. Der Entwurf bietet jedoch eine gute Gelegen- heit, um diese Neuregelungen jetzt zu realisieren: Die Die Reform soll zum 1. September 2009 in Kraft tre- Regelungen zur Auseinandersetzung der ehelichen Woh- ten, zeitgleich mit dem neuen Familienverfahrensgesetz nung und des Hausrates, bisher in der sogenannten und der Strukturreform des Versorgungsausgleichs. Ich Hausratsverordnung geregelt, sollen nunmehr aus hoffe auf konstruktive Beratungen. (B) rechtssystematischen Gründen in das Bürgerliche Ge- (D) setzbuch integriert und als Anspruchsgrundlagen ausge- Christine Lambrecht (SPD): Wir beraten heute in staltet werden. Die Kernvorschriften der Hausratsver- erster Lesung den von der Bundesregierung vorgelegten ordnung werden dabei im Wesentlichen übernommen, Gesetzentwurf zur Reform des Zugewinnausgleichs und sodass die Auseinandersetzung auch weiterhin in einem des Vormundschaftsrechts. eigenen Verfahren erfolgt, das sich nicht an den von der Parteiherrschaft bestimmten Grundsätzen der Zivilpro- Was den Zugewinnausgleich betrifft, beschäftigen wir zessordnung orientiert und das schnell, zweckmäßig und uns mit einem Rechtsinstitut, das heute, fast 50 Jahre einfach durchgeführt werden kann. nach seinem Inkrafttreten, so aktuell und bedeutsam ist wie nie, da heute etwa jede dritte Ehe geschieden wird. Schließlich sollen mit dem Gesetz die vormund- Zugleich lebt die Mehrzahl der Ehepaare im gesetzlichen schaftsrechtlichen Genehmigungspflichten an den mo- Güterstand, das heißt, bei einer Scheidung müssen sich dernen Zahlungsverkehr angepasst werden. Ein Vormund die Eheleute auch über den Zugewinnausgleich auseinan- oder Betreuer, der für sein Mündel oder seinen Betreuten dersetzen. einen Geldbetrag vom Girokonto abheben oder überwei- sen will, braucht dafür nach geltendem Recht die Geneh- Das Recht des Zugewinnausgleichs bestimmt, dass migung des Vormundschaftsgerichts, wenn auf dem die Eheleute je zur Hälfte an den Vermögenszuwächsen Konto mehr als 3 000 Euro Guthaben sind. Dies gilt un- aus ihrer Ehe, also dem Zugewinn, beteiligt werden. Er abhängig vom jeweiligen Betrag. Ferner gibt es eine ist Folge der während der Ehedauer bestehenden Zuge- Reihe von Banken, die dem Betreuer die Teilnahme am winngemeinschaft, dem gesetzlichen Güterstand. Dies automatisierten Zahlungsverkehr verweigern. Mit diesen hat sich bewährt und soll vom Grundsatz her auch so Beschränkungen ist für den Betreuer ein nicht unerhebli- bleiben. Das neue Recht hält daran fest, denn ein Güter- cher bürokratischer Aufwand verbunden. Wir wollen stand muss einfach, klar und praktisch leicht handhabbar deshalb, dass Betreuer und Vormund künftig über das Gi- sein. Denn klar ist: Auch in Zukunft muss ein fairer und rokonto, das sie treuhänderisch verwalten, ohne gericht- praxistauglicher Ausgleich möglich sein. liche Genehmigung verfügen können. Da Eltern, Ehegat- Der Reformentwurf soll aber künftig zu mehr Gerech- ten, Lebenspartner und Abkömmlinge schon heute von tigkeit bei der Verteilung des Zugewinns nach der Tren- der Genehmigungspflicht befreit sind, werden hierdurch nung führen. Damit steigen wir in die Beratung ein, wie in erster Linie die Betreuer entlastet. der wirtschaftliche Erfolg aus der Ehezeit tatsächlich zur Für den Betreuten wird es angesichts der Aufsicht Hälfte auf die Ehepartner verteilt wird. Wie immer wer- durch das Vormundschaftsgericht auch künftig hinrei- den wir uns hierbei wieder mit den Wünschen und Be- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20211

(A) dürfnissen der Menschen zu beschäftigen haben. Der einreicht und einen hohen Zugewinn hat, während seine (C) rechtliche Rahmen für Ehe, Lebenspartnerschaften und Frau kein eigenes Vermögen hat und der Mann für eine Familie muss zeitgemäß sein und den Bedürfnissen der Urlaubsreise mit seiner neuen Freundin einen großen Menschen entsprechen. An dieser Richtschnur werden Betrag ausgibt. Zudem könnte er behaupten, weiteres wir uns bei den Beratungen wie immer orientieren. Geld an der Börse verloren zu haben. Wenn das Schei- dungsurteil rechtskräftig wird, könnte dem Ehemann Der Reformentwurf sieht zum einen vor, dass künftig möglicherweise kein Vermögen nachzuweisen sein. Die bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs zu berück- Ehefrau hat dann keinen Anspruch mehr. Vor solchen sichtigen ist, ob ein Ehepartner bereits mit Schulden in Manipulationen soll der Ehegatte, der einen Ausgleich die Ehe gegangen ist. Die Tilgung dieser Schulden soll bekommt, künftig geschützt werden. Der Reformentwurf mit dem Reformentwurf berücksichtigt werden. Bislang sieht daher vor, dass schon zum Zeitpunkt, wenn der werden Schulden, die ein Ehegatte bei der Eheschlie- Scheidungsantrag dem Partner zugestellt wird, der Zuge- ßung hat, bei der Ermittlung des Zugewinns überhaupt winn berechnet wird und die konkrete Höhe der Aus- nicht berücksichtigt. Der Ehegatte, der im Laufe der Ehe gleichsforderung dann schon feststeht, nicht erst dann, mit seinem dazu erworbenen Vermögen nur seine an- wenn das Scheidungsurteil viel später rechtskräftig ist. fänglich vorhandenen Schulden zurückzahlt, musste die- Dann bleiben Ansprüche wie der von der Ehefrau im sen Vermögenszuwachs bisher nicht ausgleichen. Viele Beispielfall bestehen. Menschen finden das ungerecht. Dies gilt umso mehr, wenn der Ehegatte für die Verbindlichkeiten des anderen Mit dem Reformentwurf soll zudem der einstweilige Ehegatten aufkommt und zusätzlich eigenes Vermögen Rechtsschutz verbessert werden. Der Schutz des Ehegat- erwirbt. Nicht allein, dass die Begleichung der Schulden ten, der einen Ausgleich bekommt, ist vor der Zustellung und der damit verbundene Vermögenszuwachs beim des Scheidungsantrags an den Partner nur gering ausge- Partner gar nicht mit einberechnet wird, der Ehegatte prägt. Dies zeigt folgendes Beispiel. Ein Ehegatte, der muss auch noch das eigene Vermögen bei Beendigung sich scheiden lassen will, ist Alleineigentümer einer ver- des Güterstandes teilen. mieteten Eigentumswohnung, die als Kapitalanlage einen Dies zeigt sich deutlich an einem Beispiel: Ein Ehepaar nicht unerheblich Teil seines Vermögens darstellt. Nach lässt sich nach 20-jähriger Ehe scheiden, der Ehemann der Ankündigung „Du bekommst von mir nichts“ wird die Fritz hatte bei Eheschließung gerade ein Unternehmen Wohnung unmittelbar nach der Trennung zum Verkauf in- gegründet und 30 000 Euro Schulden gemacht. Wenn er seriert, obwohl dies wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Der dadurch im Verlauf der Ehe einen Vermögenszuwachs andere befürchtet nun, dass der Verkauf nur dazu dienen von 50 000 Euro erzielte, betrug sein Endvermögen soll, den Erlös beiseitezuschaffen, um keinen Zugewinn- ausgleich zahlen zu müssen. Nach geltender Rechtslage (B) 20 000 Euro. In dem Fall, dass seine Ehefrau Lisa bei (D) Eheschließung keine Schulden hatte und während der kann der Ehegatte nichts dagegen unternehmen. Künftig Ehe ein Vermögen von 50 000 Euro erzielte, da sie wäh- könnte er aber seine Ansprüche in einem vorläufigen rend der Ehezeit berufstätig war, müsste Lisa ihrem Rechtsschutzverfahren vor Gericht sichern. Damit soll Mann Fritz einen Ausgleich in Höhe von 15 000 Euro verhindert werden, dass der andere Ehepartner sein Ver- zahlen. Dabei hat sich Lisa eventuell neben dem Beruf mögen ganz oder in Teilen beiseiteschafft. noch um die Kinder gekümmert; nur so war ihr Mann in Wir werden über diese Änderungen im Güterrecht zu der Lage, sich seinem Geschäft zu widmen, und im- diskutieren haben, und ich freue mich in diesem Sinne stande, seine Schulden zu bezahlen und Gewinn zu ma- auf die anstehenden Beratungen. In dem Reformgesetz chen. Das soll mit dem Reformentwurf geändert werden. sind auch Änderungen des Betreuungsrechts enthalten. Künftig würden dann die Schulden als Negativbetrag zu Auch hier müssen wir die Rechtswirklichkeit den Be- Beginn der Ehe berücksichtigt. Beide Ehegatten hätten dürfnissen der Menschen anpassen. Ein Vormund oder dann jeweils einen Zugewinn von 50 000 Euro erzielt. Betreuer, der für sein Mündel oder seinen Betreuten einen Deshalb müsste Ehefrau Lisa künftig keinen Zugewinn- nur kleinen Geldbetrag vom Girokonto abheben oder ausgleich an ihren Mann Fritz zahlen. überweisen will, braucht derzeit die Genehmigung des Des Weiteren soll mit dem Reformentwurf in Zukunft Vormundschaftsgerichts, sobald das Guthaben auf dem besser verhindert werden, dass ein Ehepartner zulasten Konto 3 000 Euro überschreitet. Dies erfordert einen enor- des anderen Ehegatten Vermögenswerte beiseiteschafft. men bürokratischen Aufwand. Wegen dieser Regelung Für die Berechnung des Zugewinns kommt es nach noch wird Berufsbetreuern sogar die Teilnahme am automati- geltendem Recht auf den Zeitpunkt der förmlichen Zustel- sierten Zahlungsverkehr an Geldautomaten oder Online- lung des Scheidungsantrags an. Die endgültige Höhe der banking usw. von einigen Kreditinstituten verwehrt. Die Ausgleichsforderung wird aber durch den Wert begrenzt, Banken geben an, im automatisierten Kontoverkehr nicht den das Vermögen zu einem regelmäßig deutlich späteren ausreichend kontrollieren zu können, ob das Kontogut- Zeitpunkt hat, nämlich dem der rechtskräftigen Scheidung haben die Grenze von 3 000 Euro jeweils einhält. Das durch das Gericht. In der Zwischenzeit besteht die Gefahr, soll durch den Gesetzentwurf geändert werden, indem dass der ausgleichspflichtige Ehegatte sein Vermögen der begrenzte Betrag wegfällt. zulasten des ausgleichsberechtigten Ehegatten beiseite- schafft. Beispielsweise könnte einer 70-jährigen, an einem Hirntumor erkrankten Dame, die aus ihrer Altersversor- Es liegt beispielsweise eine Vermögensmanipulation gung monatlich 2 000 Euro erhält, ein Berufsbetreuer vor, wenn der gut verdienende Ehemann die Scheidung bestellt werden. Da sie für ärztliche Behandlungen nicht 20212 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) selten Vorschüsse ihrer Krankenkasse erhält, liegt ihr 50 Jahre bewährt, sodass an diesem Verfahren grund- (C) Kontoguthaben häufig über 3 000 Euro. sätzlich festgehalten werden sollte. Bei diesem Guthabenstand benötigt ihr Betreuer für Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt es nun jede alltägliche Überweisung/Auszahlung von ihrem auch nicht zu einer radikalen Reform des Güterrechts, Konto eine vormundschaftliche Genehmigung. Zur Ver- vielmehr sollen die bekannten Probleme des geltenden meidung dieses unnötigen Verwaltungsaufwands soll er Rechts behoben werden. Eine solche Reform des Güter- künftig ohne gerichtliche Genehmigung verfügen kön- rechts ist schon seit langem überfällig. Bereits 2003 rich- nen. In erster Linie werden dadurch die Betreuer entlas- tete die FDP-Bundestagsfraktion an die damalige tet, die nicht in einem engen familiären Verhältnis zum Bundesregierung die Frage (Kleine Anfrage, Bundes- Betreuten stehen. Eltern, Ehegatten, Lebenspartner und tagsdrucksache 15/1435), ob nicht auch vonseiten der Abkömmlinge sind schon heute von der Genehmigungs- Regierung ein Bedarf zur Novellierung des ehelichen pflicht befreit. Vor einem Missbrauch ist der Betreute Güterrechts gesehen werde. Die Antwort fiel sehr auch weiterhin durch die Aufsicht des Vormundschafts- schlicht aus: Man prüfe, ob ein Überarbeitungsbedarf gerichts gut geschützt. Der Betreuer muss über Einnah- bestehe. – Nun bedurfte es fünf Jahre der Prüfung, bis men und Ausgaben des Betreuten genau abrechnen und endlich ein entsprechender Gesetzentwurf vorliegt. die Kontobelege einreichen. Geld, das nicht für die lau- fenden Ausgaben benötigt wird, muss der Betreuer für Die größte Änderung dürfte die Berücksichtigung ei- den Betreuten verzinslich anlegen. nes negativen Anfangsvermögens bei der Ermittlung des Zugewinns sein. Nach der geltenden Rechtslage können Die Vorsorgevollmacht hat sich bewährt. Viele Men- Verbindlichkeiten niemals zu einem negativen Anfangs- schen haben bereits die Möglichkeit in Anspruch genom- vermögen führen. Dies hat zur Folge, dass die für die men, beim Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotar- Schuldentilgung verwandte Summe nicht in die Aus- kammer Vorsorgevollmachten registrieren zu lassen. Per gleichsberechnungen mit einbezogen wird und so zu ei- Vorsorgevollmacht können Menschen bestimmen, wer ner Verkürzung des Zugewinns führt. Dies bedeutet, dass für sie wirtschaftliche und medizinische Entscheidungen der Ehegatte mit Schulden vor der Ehe massiv begüns- trifft, wenn sie dazu nicht mehr in der Lage sind. Die tigt wird; das Prinzip der gleichmäßigen Vermögensteil- Registrierung im Vorsorgeregister hilft, den Bevoll- habe ist nicht mehr gewahrt. Die im Gesetzentwurf ent- mächtigten im Bedarfsfall zuverlässig aufzufinden. Vor- haltene Regelung führt dazu, dass diese anfänglichen sorgevollmachten beinhalten häufig auch eine Betreu- Schulden berücksichtigt werden und es damit letztend- ungsverfügung, das heißt die Festlegung, wer Betreuer lich zu einem gerechteren Ergebnis kommt. werden soll, falls wegen unvorhergesehener Umstände Problematischer erscheint jedoch bereits die Frage, (B) trotz der Vorsorgevollmacht ein Betreuer bestellt werden (D) muss. Die Vorteile der Registrierung sollen jetzt auch für was Gegenstand des Zugewinnausgleiches sein sollte. reine Betreuungsverfügungen gelten, die nicht mit einer Der Gesetzentwurf greift diese in der juristischen Fach- Vorsorgevollmacht verbunden sind. Auch diese können welt vieldiskutierte Frage überhaupt nicht auf. Grundge- in Zukunft gegen Gebühr ins Zentrale Vorsorgeregister danke des Zugewinnausgleiches ist es aber doch vor al- eingetragen werden. lem, dass nur solche Vermögensmehrungen in den Zugewinn einfließen, die auf einer gemeinsamen Leis- Wir werden auf diese Änderungen im Betreuungs- tung der Partner beruhen. Aus diesem Grunde werden recht nochmals ausführlich eingehen. Auch auf die an- Erbschaften oder Schenkungen schon nach geltender stehenden Beratungen bin ich hier sehr gespannt. Rechtslage nicht in den Zugewinn einbezogen. Fraglich erscheint deshalb, warum nicht auch eheneutraler Vermö- genserwerb wie zum Beispiel der Lottogewinn oder aber Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): auch das erhaltene Schmerzensgeld nicht vom Zugewinn 368 922 Eheschließungen waren im Jahr 2007 bundes- ausgeschlossen sein sollten. Auch der 67. Deutsche Juris- weit zu verzeichnen. In den meisten Fällen lag der Ehe tentag hat sich dafür ausgesprochen, eheneutralen Erwerb der sogenannte gesetzliche Güterstand der Zugewinnge- von der Teilung auszunehmen. Im Rahmen einer Anhö- meinschaft zugrunde. Im Gegensatz zu einer weit ver- rung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages breiteten Annahme in der Bevölkerung bedeutet dies muss auf diese Problematik eingegangen werden. nicht, dass alle während der Ehe erworbenen Gegen- stände gemeinschaftliches Vermögen beider Ehegatten Ebenfalls einer kritischen Prüfung bedarf die Frage, werden. Grundsätzlich bleibt jeder der Eheleute Allein- warum Wertsteigerungen von bereits bei Beginn des Gü- eigentümer seines vor und während der Ehe erworbenen terstandes vorhandenen Vermögensgegenständen das Vermögens. Ein Ausgleich der Vermögen, der soge- Endvermögen mehren und damit letztendlich den Zuge- nannte Zugewinnausgleich, findet erst mit dem Ende der winn vergrößern sollen. Zu denken ist hier insbesondere Ehe statt. Allein im Jahr 2007 kam es bundesweit zu an Fälle, in denen zum Beispiel Grundbesitz in Form 187 072 Ehescheidungen, und dabei wurde in der großen von landwirtschaftlichen Flächen mit in die Ehe einge- Mehrzahl der Fälle ein Zugewinnausgleich vorgenom- bracht wird. Werden diese landwirtschaftlichen Flächen men. Anhand allein dieser Zahlen lässt sich die Bedeu- während der Ehe in Bauland umgewandelt, findet eine tung des Zugewinnausgleichs, vor allem auch für ge- Vermögensmehrung statt, die nach geltendem Recht in schiedene Frauen, erahnen. Dieser Zugewinnausgleich, den Zugewinnausgleich einzubeziehen ist. An einer die der zu einem Ausgleich des während der Ehe erworbe- Beteiligung rechtfertigenden gemeinsamen Wertschöp- nen Vermögens führt, hat sich in der Praxis der letzten fung fehlt es bei einer derartigen Wertsteigerung jedoch. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20213

(A) Neben der Frage des Gegenstandes, der der Teilung Schulden stellen tatsächliche Vermögenswerte dar, die (C) unterliegen soll, ist auch der Teilungszeitraum von ent- bei der Berechnung des Zugewinns einfließen sollten. scheidender Bedeutung. Für den Beginn des Teilungs- zeitraums ist nach geltendem Recht auf den Zeitpunkt Das Auseinanderfallen der Stichtage von Trennung der Eheschließung abzustellen. Forderungen aus dem und Scheidung bei der Berechnung des erwirtschafteten Bereich der Rechtswissenschaft, auf den Beginn der tat- Vermögens soll künftig dergestalt entfallen, dass maß- sächlichen Lebensgemeinschaft abzustellen, sind äußerst geblicher Zeitpunkt für die Vermögensberechnung die kritisch zu betrachten, da durch die bloße Eingehung ei- Zustellung des Scheidungsantrags an den Antragsgegner ner unverbindlichen Lebensgemeinschaft solch weitrei- sein soll (Rechtshängigkeit der Scheidung). Damit kann chende Folgen wie der Beginn der Zugewinngemein- verhindert werden, dass bis zum rechtskräftigen Schei- schaft nicht ausgelöst werden sollten. Bezüglich des dungsurteil das Vermögen durch einen Ehegatten unred- Endzeitpunktes wird nach geltender Rechtslage für den lich noch derart manipuliert wird, dass an Vermögen Berechnungszeitpunkt des Zugewinnausgleichs bei der nichts mehr vorhanden ist und infolgedessen auch keine Scheidung auf den Zeitpunkt der Zustellung des Schei- Ausgleichspflicht besteht. Die Vorverlagerung des Stich- dungsantrages abgestellt. Die Höhe der Ausgleichsfor- tags auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Schei- derung ist jedoch durch den Wert des Vermögens be- dung scheint gut zu sein. Ob eine weitere Vorverlage- grenzt, das bei Beendigung des Güterstandes, also rung, zum Beispiel auf den Zeitpunkt des Beginns des wesentlich später, noch vorhanden ist. In dem dazwi- Trennungsjahres, sinnvoll ist, um möglichen Vermö- schenliegenden Zeitraum sind Manipulationen zulasten gensverschiebungen während dieser Zeit vorzubeugen, des ausgleichberechtigten Gläubigers nicht selten. Be- muss in den Beratungen geklärt werden. züglich des Endzeitpunkts sieht der Gesetzentwurf des- Die geplanten Änderungen hinsichtlich der genehmi- halb sowohl für die Berechnung des Zugewinns als auch gungsfreien Geschäfte in § 1813 BGB passen sich für die Höhe der Ausgleichsforderung nun den Zeitpunkt schließlich dem modernen Zahlungsverkehr an, wobei der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags vor. Dies eine Gefährdung des Vermögens des Mündels nicht er- stellt eine Besserung der geltenden Rechtslage dar. Oft höht werden dürfte. kommt es jedoch auch zu Vermögensverschiebungen schon vor der Zustellung des Scheidungsantrages. Um Die geplante Neuregelung in Nr. 3 verzichtet zwar bei einen möglichst effektiven Schutz vor Vermögensmani- Verfügungen über das Guthaben eines Girokontos auf pulationen zu gewährleisten, sollte auch überlegt wer- die Festsetzung einer Betragsgrenze im Sinne des § 1813 den, ob bei der Berechnung grundsätzlich auf den Zeit- Abs. 1 Nr. 2 BGB (3 000 Euro) mit der Folge, dass eine punkt der tatsächlichen Trennung abzustellen ist. In zusätzliche Kontrolle bei Überschreitung der Betrags- (B) einer Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen grenze durch den Genehmigenden wegfällt. Aber das (D) Bundestages sollte auch darauf eingegangen werden. Betreutenvermögen wird auf der einen Seite bereits Insbesondere sind Einzelheiten zur Feststellung des durch bestehende vormundschaftsrechtliche Vorschriften Trennungszeitpunktes zu klären. grundsätzlich hinreichend geschützt – zum Beispiel § 1802 BGB Vermögensverzeichnis, § 1806 BGB Anle- Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Der Zugewinnaus- gen von Mündelgeld, § 1812 BGB Genehmigung des gleich hat sich in der Praxis als Mittel des gerechten Gegenvormunds oder Gerichts usw. –, und auf der ande- Ausgleichs des in der Ehe erwirtschafteten Vermögens ren Seite bestehen bereits jetzt Befreiungen von be- bewährt. Jedoch sind im Laufe der Zeit – immerhin gut stimmten Pflichten bei der Vermögensverwaltung, insbe- 50 Jahre – Schwächen oder besser gesagt Schwachstel- sondere auch von der Genehmigungspflicht gemäß len des Güterrechts offensichtlich geworden, welche es § 1813 BGB und der Rechnungslegungspflicht, zum ermöglichten, missbräuchlich wirtschaftliche Vorteile Beispiel für nahe Familienangehörige als Betreuerinnen zulasten des schwächeren Ehepartners zu erlangen. Ins- und Betreuer. besondere die Möglichkeit der nachträglichen Vermö- Von daher ist der Entwurf grundsätzlich positiv einzu- gensmanipulation, eine fehlende Belegpflicht und die schätzen. Wir werden sehen, was am Ende nach den Re- fehlende Berücksichtigung des negativen Anfangsver- geln des Struckschen Gesetzes davon noch bleibt. mögens von Ehepartnern sind in der Praxis bemängelt worden. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE Bislang war es nicht möglich, die Schulden eines GRÜNEN): Jede dritte Ehe in Deutschland wird heute Ehegatten, welche dieser mit in die Ehe brachte, zu be- geschieden. Dass dies nicht immer reibungslos verläuft, rücksichtigen, da Anfangsvermögen nicht negativ sein erklärt sich von selbst. Darum muss es im Falle einer konnte. Das heißt, bei der Berechnung des Zugewinns Trennung zukünftig fairer und transparenter zugehen. blieben die möglicherweise im Laufe der Ehe getilgten Schulden des einen Ehepartners unberücksichtigt. Im Bisher konnten gut verdienende Ehemänner seelenru- Klartext heißt das, dass es Fälle gab, in denen die Frau hig gemeinsam in der Ehe erarbeitete Vermögenswerte nicht nur die Schulden des Mannes gezahlt hat, sondern beiseiteschaffen, bis die Scheidung rechtskräftig wurde, ihm nach der Scheidung auch noch ausgleichsverpflich- oder falsche Auskunft über das Vermögen geben, um tet war, ihm also auch noch Geld „nachzahlen“ musste. den Rest für ein Leben mit der neuen Partnerin durchzu- Dieser Missstand soll mit der vorgelegten Gesetzes- bringen. Zukünftig ist Schluss mit dem Schummeln bei reform beseitigt werden. Und das ist auch gut so, denn der Scheidung. 20214 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) Das Justizministerium hat sich mit dieser Reform, die Im Extremfall stehen beide bei der Scheidung vermö- (C) bereits unter Rot-Grün geplant war, leider viel Zeit ge- gensmäßig bei null. Dann gibt es überhaupt keine Teil- lassen. Es wird Zeit, dass sie nun zum Abschluss ge- habe des mitarbeitenden Ehepartners, obwohl mögli- bracht wird. Die Reform kommt den – leider immer cherweise erhebliche Schulden des anderen gemeinsam noch – meist finanziell schwächer gestellten Frauen zu- abgebaut wurden. Nun mag man darüber diskutieren, gute. Gemeinsam erworbenes Vermögen muss auch bei- dass ein schuldenfreier Start in ein neues Leben möglich den Partnern zu gleichen Teilen zukommen. Soviel Ge- sein soll, obwohl auch hier der Teilhabegedanke durch- rechtigkeit sollte eigentlich selbstverständlich sein. brochen würde. Wir haben auch bei der Unterhalts- reform die Gründung einer Zweitfamilie erleichtert. Der neue Entwurf geht in die richtige Richtung. Wir Aber ich finde, wir müssen bei der Reform des Zuge- unterstützen die Erstreckung der Auskunftspflicht auf das winnausgleichs nicht noch einen Startbonus auf Kosten Anfangsvermögen und die Verpflichtung, auf Verlangen des anderen Partners geben. Ich plädiere also dafür, dass Belege für das Anfangs- und Endvermögen vorzulegen. wir in den Ausschussberatungen darüber reden, die Kap- Das erleichtert die Feststellung und Durchsetzung des Zu- pungsgrenze zumindest auf das gesamte vorhandene gewinnausgleichsanspruchs. Schließlich zählt nicht nur Vermögen zurückzuführen. So sieht es auch schon das das Plus auf dem Konto, sondern auch das Minus. geltende Recht vor. Bislang wird es aber nur in wenigen Doch auch hier sind noch Verbesserungen möglich. Konstellationen relevant, weil die anfangs bestehenden Die gleichen Rechte, wie sie am Ende der Ehe bestehen, Schulden noch nicht berücksichtigt werden. sollten auch während der Ehe eingeräumt werden. Das ist zwar zum Teil, aber nicht in vollem Umfang gegeben. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Wir haben darüber schon in vergangenen Legislatur- Bundesministerin der Justiz: Auch wenn die Schei- perioden mehrfach diskutiert. Dem Bundesrat ist zugute- dungsrate in den letzten Jahren erfreulicherweise gesun- zuhalten, dass er die Debatte mit seiner Stellungnahme ken ist, lassen sich Scheidungen weder in schlechten zu dem Gesetzentwurf nochmals anstößt. Ihm ist aber noch in guten wirtschaftlichen Zeiten vermeiden. Es ist auch nichts Besseres eingefallen, als seinen alten Vor- daher die Aufgabe des Gesetzgebers, die Folgen der schlag noch einmal aufzuwärmen. Der Bundesrat macht Trennung für die Beteiligten durch ein möglichst gerech- hier aber nur halbe Sachen. Außerdem stellt er nicht klar, tes Recht zu regeln. Ich bin deshalb froh, dass der Bun- dass der Auskunftsanspruch ein höchstpersönliches destag heute die Beratungen über die Reform des Zuge- Recht ist, das nicht von Gläubigern gepfändet werden winnausgleichs aufnimmt. kann. Auch wenn es schwierig ist, es würde sich lohnen, weiter nach einer Lösung zu suchen. Der Gesetzentwurf soll für mehr Gerechtigkeit vor al- (B) lem nach einer Scheidung sorgen. Die meisten Ehepaare (D) Es ist zu begrüßen, dass der Gesetzentwurf die Schul- leben im gesetzlichen Güterstand. In diesem Güterstand den aus der Zeit vor der Ehe berücksichtigt und damit wird der sogenannte Zugewinn bei Ende der Ehe ausge- deren – oft gemeinsam erwirtschaftete – Tilgung grund- glichen. Das bedeutet: Bei der Scheidung kann der Ehe- sätzlich einem Ausgleich bei Scheidung zugänglich gatte, dessen Vermögen während der Ehe einen geringe- macht. Zum Beispiel startet ein Partner nach der Ausbil- ren Zuwachs hatte als das Vermögen des anderen dung in die Selbstständigkeit, verschuldet sich und Ehegatten, von diesem Ausgleich in Geld verlangen. Der bringt diese Schulden mit in die Ehe. Nicht selten wird Reformentwurf will Schwachstellen in der Praxis besei- es die Ehefrau sein, die ihrem Mann den Rücken frei- tigen und damit noch besser gewährleisten, dass es bei hält, durch Mitarbeit im Betrieb oder durch eigene finan- dem Ausgleich wirklich gerecht zugeht. Vor allem un- zielle Leistungen oder Verzicht dazu beiträgt, die Schul- redliche Vermögensverschiebungen zulasten des Ehegat- den abzubauen. Das Vermögen des Mannes, das am ten, der einen Ausgleichsanspruch hat, sollen in Zukunft Ende der Ehe vorhanden ist, wird also gerechter aufge- besser verhindert werden. Der Gesetzentwurf sieht hier- teilt. für folgende Neuerungen vor: Aber, Frau Bundesministerin, hier muss ich doch et- Künftig soll für die Berechnung der konkreten Höhe was Wasser in den Wein gießen. Denn der Gesetzent- der Ausgleichsforderung bereits der Zeitpunkt der Zu- wurf relativiert dieses Ergebnis erheblich. Er sieht vor, stellung des Scheidungsantrags maßgeblich sein. Bisher dass der ausgleichspflichtige Partner zumindest die war dafür erst der spätere Zeitpunkt der Rechtskraft der Hälfte seines Vermögens behalten darf. Diese Kap- Scheidung maßgeblich. In der Zwischenzeit bestand in pungsgrenze bewirkt neue Ungerechtigkeiten. Die bes- der Praxis die Gefahr, dass der ausgleichspflichtige Ehe- sere Partizipation und ihre Höhe hängen davon ab, ob gatte Vermögen beiseiteschafft. und wie viel Vermögenszuwachs der mitarbeitende Part- ner selbst erreichen konnte. Bleiben wir in dem Beispiel: Weiter soll künftig auch berücksichtigt werden, wenn Gelang es dem Ehemann, von 100 000 Euro Schulden auf ein Ehepartner bei der Eheschließung mehr Schulden als ein Vermögen von 100 000 Euro zu kommen, während Vermögen hat. Nach der Neuregelung wird auch das so- die Ehefrau rollenverteilungsbedingt von null auf nur genannte negative Anfangsvermögen berücksichtigt und 10 000 Euro kam, wird der ihr bei gleicher Teilhabe zuste- bei der Berechnung des späteren Ausgleichsanspruchs in hende Ausgleichsanspruch von 95 000 auf 50 000 Euro die Bilanz der Ehe eingestellt. Heute übernimmt der gekürzt. Auch wenn wir nicht das Alleinernährermodell Ehepartner, der sein Vermögen im Lauf der Ehe um den propagieren, muss in solchen Fällen für mehr Gerechtig- Betrag mehrt, der den Schulden des anderen entspricht, keit gesorgt werden. im Zugewinnausgleich praktisch die Hälfte dieser Schul- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20215

(A) den. Die Neuregelung schließt damit eine Gerechtig- Anlage 21 (C) keitslücke im ehelichen Güterrecht. Dennoch bleibt die sehr einfache und klare Struktur des Zugewinnaus- Zu Protokoll gegebene Reden gleichs erhalten. zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes und zur Schließlich wird es für beide Ehegatten einfacher, die Änderung anderer Vorschriften (GeROG) (Ta- Zugewinngemeinschaft ohne Auflösung der Ehe zu be- gesordnungspunkt 44) enden. Vermögensmanipulationen zulasten des aus- gleichsberechtigten Ehegatten sollen darüber hinaus durch Verbesserungen des vorläufigen Rechtsschutzes Enak Ferlemann (CDU/CSU): Die Raumordnung in verhindert werden. Der ausgleichsberechtigte Ehegatte Deutschland zukunftsfähig zu machen, ist das Ziel, das soll künftig seinen Anspruch auf vorzeitigen Zugewinn- wir mit der Neufassung des Raumordnungsgesetzes ver- ausgleich unmittelbar geltend machen und damit seinen folgen. Wir brauchen die Neufassung als eine moderne Geldanspruch im vorläufigen Rechtsschutz durch Arrest Grundlage für eine effiziente, zukunftsfähige und koor- direkt sichern können. Damit kann der Ehepartner, dem dinierende Raumentwicklung in Deutschland. Schaden droht, mithilfe des Gerichts verhindern, dass Um es vorweg zu nehmen, ich bin überzeugt, dass wir der andere sein Vermögen ganz oder in Teilen beiseite- dieses Ziel mit den Ergebnissen aus den parlamentari- schafft. schen Beratungen, die in zwei Änderungsanträge gegos- sen sind, auch erreicht haben. Der Entwurf führt ergänzend die Pflicht ein, Belege über das Vermögen vorzulegen. Gleichzeitig wird die Gesetzestechnisch haben wir Neuland betreten. Denn Auskunftspflicht auf das Anfangsvermögen und auf die aufgrund der verfassungsrechtlichen Lage nach der Fö- Fälle des vorzeitigen Ausgleichs des Zugewinns und der deralismusreform I haben wir es mit einem neu geschaf- vorzeitigen Aufhebung der Zugewinngemeinschaft er- fenen Kompetenztyp zu tun. Neu ist die Kompetenz des streckt. Bundes, die Raumordnung in den Ländern umfassend zu regeln. Wenn es um neue Kompetenzverteilung zwi- Außerdem wird die Hausratsverordnung von 1944 schen dem Bund und den Ländern geht, können, wie wir aufgehoben. Deren notwendige materiell-rechtliche Re- alle wissen, Verhandlungen schwierig werden und zu gelungen werden in das Bürgerliche Gesetzbuch inte- Kontroversen führen. Deshalb war es wichtig, eine neue griert. Dabei werden die Kernstrukturen der Hausrats- Systematik zu finden, die einerseits bundesrechtliche verordnung in ein Recht umgestaltet, das modernen Vollregelungen schafft, wo dies aus fachlichen Gründen Anforderungen genügt. angezeigt ist, die sich andererseits aber gesetzgeberisch (B) zugunsten des Landesrechts da zurückhält, wo landes- (D) Die vorgeschlagenen Regelungen haben bisher im spezifische Besonderheiten ihren Raum brauchen. Diese Wesentlichen Zustimmung gefunden. Bei den vorliegen- Systematik zu finden, ist gelungen. den Änderungsvorschlägen und Prüfbitten des Bundes- rates zum Regierungsentwurf geht es um Detailänderun- Den Beteiligten aufseiten des Bundes und den Vertre- gen, die den Grundansatz der Reform nicht infrage tern der Länder gilt deshalb mein Dank für die gute Zu- stellen. sammenarbeit bei der Aufstellung des Entwurfs und den Konsens, gemeinsam an einer zukunftsfähigen Raum- Der Gesetzentwurf sieht eine weitere wichtige Neue- ordnungsgesetzgebung mitzuwirken. rung vor, die allerdings nicht den Zugewinnausgleich Bedanken möchte ich mich im Besonderen bei Dr. betrifft, sondern die Verfügung eines Vormunds oder Be- Arno Bunzel vom Deutschen Institut für Urbanistik. Er treuers über das Guthaben auf einem Giro- oder Konto- hat den Koalitionsfraktionen mit dem Planspiel „Neu- korrentkonto. Das geltende Recht führt zu erheblichen ordnung des Rechts der Raumordnung“ wertvolle Ergeb- Problemen bei der Teilnahme von Vormündern und Be- nisse geliefert. Das Planspiel diente der prospektiven treuern am automatisierten Giroverkehr. Das Bürgerliche Prüfung des Gesetzentwurfs zum ROG. Wie schon beim Gesetzbuch von 1900 sieht Genehmigungspflichten vor, Baugesetzbuch hat sich die Durchführung eines Plan- wenn das Guthaben auf dem Konto heute mehr als spiels als sehr zweckdienlich erwiesen. Die Einschätzun- 3 000 Euro beträgt. Mit dem Entwurf werden die vor- gen und Empfehlungen, die wir bekommen haben, beru- mundschaftsgerichtlichen Genehmigungspflichten an hen in hohem Maße auf den Erfahrungen der beteiligten den modernen Zahlungsverkehr angepasst. Die Schutz- Praktiker. Sie stellen wertvolle Anregungen und Hin- vorschriften des Vormundschaftsrechts sind auch ohne weise dafür dar, wo der Gesetzentwurf der Bundesregie- diese besondere Genehmigungspflicht ausreichend, um rung gut ist oder noch verbesserbar und für die Praxis das Vermögen von Mündeln und Betreuten vor unge- tauglicher gemacht werden sollte. Deshalb gilt mein rechtfertigen Abflüssen zu bewahren. Dank zugleich auch allen Mitwirkenden der am Plan- spiel beteiligten Planungsträgern und Raumordnungsbe- Ich bin zuversichtlich, dass auch die Beratungen im hörden aus den verschiedenen Regionen. Bundestag zügig verlaufen werden. Dann können die Regelungen für einen gerechten und effektiven Zuge- Erfreulich war insbesondere die grundsätzlich zustim- winnausgleich schon gleichzeitig mit der Reform des Fa- mende Bewertung des Regierungsentwurfs zur Neufas- milienverfahrensrechts zum 1. September 2009 in Kraft sung des Raumordnungsgesetzes. Übereinstimmend von treten. den am Planspiel Beteiligten begrüßt wurde die einheitli- 20216 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) che Regelung der Raumordnung in einem Bundesgesetz, nem Ganzen zusammengebracht und einer gemeinsamen (C) wie auch das Konzept, die Neuregelung des Rechts der Lösung zugeführt werden müssen, um im nationalen, eu- Raumordnung im Wesentlichen an der alten rahmen- ropäischen und globalen Kontext zukunftsfähig zu sein. rechtlichen Rechtsstruktur auszurichten. Auch die Ziel- setzung, den Ländern trotz Wahrnehmung der konkurrie- Das Raumordnungsgesetz bietet so, wie wir es jetzt renden Gesetzgebung Spielräume für ergänzende fassen, die Gewähr, unsere Zukunft den Veränderungen Regelungen im Landesrecht zu belassen, hat Zustim- anzupassen. Damit ist das Gesetz, wie ich finde, hervor- mung gefunden. Anregungen zur Änderung oder Ergän- ragend gelungen. Die Koalitionsfraktionen werden des- zung des Gesetzentwurfs betrafen überwiegend nur Teil- halb das Gesetz zur Neufassung des Raumordnungsge- aspekte der jeweiligen Regelungen und wurden auch setzes und zur Änderung anderer Vorschriften in der sich nicht in jedem Falle übereinstimmend geäußert. Die aus den Änderungsanträgen ergebenden Fassung mit übereinstimmend oder zumindest mehrheitlich getrage- großer Überzeugung beschließen. Ich lade die Opposi- nen Anregungen hat die Bundesregierung zu einem Teil tionsfraktionen herzlich ein, gemeinsam mit uns dem mit der Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundes- Gesetzentwurf in der veränderten Fassung zuzustimmen. rates aufgegriffen. Die Koalitionsfraktionen haben sich in der parlamen- Petra Weis (SPD): Zum wiederholten Male müssen tarischen Beratung mit den Ergebnissen der von den wir uns zu später, in diesem Fall sogar zu nächtlicher Mitwirkenden am Planspiel gemachten Erfahrungen Stunde mit einem Thema aus dem Bereich Bau und ebenso wie mit den von den beteiligten Verbänden abge- Stadtentwicklung beschäftigen, das wie viele andere grö- gebenen Stellungnahmen auseinandergesetzt. Im Ergeb- ßere Aufmerksamkeit in Form einer prominenteren De- nis hat dies dazu geführt, dass auch noch Änderungen, battenzeit durchaus verdient hätte. Die Raumordnung ist mit denen wir zu weiteren Verbesserungen des Gesetzes vielleicht nicht auf den ersten, aber spätestens auf den beitragen werden, über den Antrag der Koalitionsfrak- zweiten Blick von ganz erheblicher Bedeutung für die tionen aufgenommen worden sind. zukünftige Entwicklung unseres Landes. Ich denke, dass wir auch einen guten Weg gefunden Seit der ersten Lesung des Gesetzentwurfes der Bun- haben, verbliebene Gegensätzlichkeiten zwischen dem desregierung am 24. September haben wir einen ausge- Bund und den Ländern im Hinblick auf die zukünftige sprochen intensiven, dialogorientierten und stets zielfüh- Koordinationsfunktion des Bundes auszugleichen. Diese renden Beratungsprozess hinter uns, der – wenn ich mir Gegensätzlichkeiten richteten sich unter anderem auf die diese Bemerkung erlauben darf – auch anderen Gesetz- übergeordnete Koordinierungsfunktion des Bundes zum gebungsvorhaben durchaus gut anstehen würde. Es ist (B) Beispiel für die zukünftig einer gesamtdeutschen Sicht gelungen, sowohl Änderungsvorschläge des Bundesrates (D) unterliegenden Konzepte für Flug- und Seehäfen, die da- als auch solche, die aus den Ergebnissen des Planspiels mit im Zusammenhang stehende Bundesverkehrswege- resultieren, in den Entwurf, der heute zur Abstimmung planung und Rohstofflagerstätten. steht, mit einzubeziehen. Es spricht also viel dafür, dass Meine Fraktion hat Verständnis für die Sorgen, und die Bestimmungen des Gesetzes von denen, die es um- wir haben ihnen mit dem Änderungsantrag der Koali- setzen müssen, in der Praxis reibungslos angewandt wer- tionsfraktionen zu Artikel 1 Rechnung getragen. Das den können. Dafür möchte ich mich bei allen am Prozess war auch im Sinne der FDP, die sich diesem Änderungs- Beteiligten auch im Namen meiner Fraktion ganz herz- antrag angeschlossen hat. Im Paragraf 17 wird ein Abs. 6 lich bedanken – die Beteiligten des Deutschen Instituts angefügt, in dem geregelt ist, dass bei Aufstellung von für Urbanistik als Ausrichter des Planspiels ausdrücklich Plänen nach den Abs. 2 und 3 dem Bundesverkehrsmi- eingeschlossen. nisterium eine Verpflichtung zur Unterrichtung des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aufge- Wir beschreiten in der Raumordnung gesetzgeberi- geben ist. Damit wird dem Fachausschuss eine sches Neuland. Der Handlungsbedarf ergibt sich aus den Mitwirkungsmöglichkeit über die entsprechende Raum- Ergebnissen der Förderalismusreform. Wir wenden hier ordnung, die als Rechtsverordnung ergeht, eingeräumt. den neuen Typ einer konkurrierenden Gesetzgebung an, Die Pläne nach Abs. 2 und 3 betreffen die übergeordne- der den Ländern ausdrücklich abweichende Regelungen ten Konzeptionen wie zum Beispiel für Flug- und Seehä- erlaubt. Um eine größtmögliche Einheit der Raumord- fen. Die parlamentarische Mitwirkung ist damit sicher- nung in der Bundesrepublik auch zukünftig zu gewähr- gestellt. Das ist vor allen Dingen auch im Sinne der leisten, kommt es nun darauf an, eine vernünftige Ba- Länder, der Verbände und Unternehmen. lance zwischen bundeseinheitlichen Standards und den landesspezifischen Besonderheiten herzustellen. Ich ziehe mein Fazit: Ich bin froh, dass wir heute die Neufassung des Raumordnungsgesetzes beschließen Der Koalition ist es mit diesem Gesetzentwurf für ein können. Wir stehen vor großen Herausforderungen, für neues Raumordnungsrecht gelungen, den Anforderungen die wir Lösungen erarbeiten müssen. Demografischer an eine zukunftsgerichtete Raumordnung in Deutschland Wandel, Bevölkerungsrückgang, Klimawandel, Ressour- gerecht zu werden. Diese positive Bewertung beziehe censchonung, Förderung von Entwicklungspotential, ich nicht nur auf den gerade beschriebenen vorbildlichen Unterstützung für zukunftsweisende Wirtschaft, Siche- Prozess im Zuge der Erarbeitung und Beratung des Ge- rung der Daseinsvorsorge. Das sind Stichworte, die für setzentwurfes, sondern selbstverständlich auch auf die bedeutende Aspekte stehen, die raumordnerisch zu ei- inhaltlichen Weichenstellungen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20217

(A) Das Gesetz orientiert sich an der Zielsetzung einer Patrick Döring (FDP): Zu Beginn möchte ich mich (C) einheitlichen Gesetzgebung, die von allen Beteiligten als an dieser Stelle herzlich bei den Kolleginnen und Kolle- grundsätzlich richtig anerkannt worden ist. Es verspricht gen aus den übrigen Fraktionen bedanken. Wir haben, so darüber hinaus eine nachhaltige Planung und Koordinie- denke ich, bei der Beratung dieses Gesetzes sehr kolle- rung vor allem mit Bezug auf die neu entstandenen gial zusammen gearbeitet und so im Ausschuss noch ei- Herausforderungen an die Raumordnung in einer globa- nige wertvolle Änderungen der Regierungsvorlage er- lisierten Welt. Dem Klimawandel und dem Bevölke- reicht. In dem einen oder anderen Punkt hätte man sich rungsrückgang kommt dabei auch in diesem Zusammen- vielleicht noch mehr vorstellen können – doch insgesamt hang eine ganz besondere Bedeutung zu. haben auch die Koalitionäre sich hier sehr offen gezeigt. So ist es nur folgerichtig, dass die „Grundsätze der Die in meinen Augen mit Abstand bedeutsamste Er- Raumordnung“ und die aktuellen Leitbilder und Hand- gänzung ist sicherlich die Parlamentsbeteiligung bei der lungsstrategien für die Raumentwicklung in der Bundes- Aufstellung von Raumordnungsplänen des Bundes. Ur- republik angepasst werden. sprünglich war bisher von der Regierung nur vorgesehen gewesen, den zuständigen Ausschuss nach Fertigstel- Es ist ebenso folgerichtig, dass neben dem Klima- lung dieser Rechtsverordnung zu informieren. Wir hät- schutz und der Sicherung der Daseinsvorsorge vor dem ten in diesem Hause also im Zweifelsfall erst viel zu spät Hintergrund einer rückläufigen Bevölkerungsentwick- von Entwicklungen erfahren. Wohin das führen kann, er- lung vor allem die Entwicklung der Innenstädte und da- leben wir ja just beim Raumordnungsplan für die Aus- mit einhergehend die Reduzierung der Flächeninan- schließliche Wirtschaftszone: Die Auswirkungen des spruchnahme hervorgehoben werden. Planes sind zum Teil immens – vor allem für die Off- Die interkommunale Zusammenarbeit – insbeson- shore-Windenergie! Durch den Raumordnungsplan wer- den die Wachstumsmöglichkeiten dieses umwelt- und dere zwischen Städten und dem sie umgebenden ländli- chen Raum – und die grenzüberschreitende Zusammen- klimafreundlichen Energieträgers empfindlich einge- arbeit sind ebenso zu nennen wie die vollständige schränkt und damit nicht zuletzt sogar die deutschen Klima- und Nachhaltigkeitsziele gefährdet. Und unser Umsetzung der EU-Richtlinie zur strategischen Umwelt- prüfung. Damit wird wie schon beim Baugesetzbuch die Haus wird an einem solchen bedeutsamen Verfahren bis- Rechtsanwendung erleichtert. her nicht beteiligt! Nachdem in Zukunft der Bund auch Raumordnungs- Ich habe schon im Rahmen der ersten Lesung darauf pläne mit Festlegungen zu länderübergreifenden Stand- hingewiesen und will es an dieser Stelle gern wiederho- ortkonzepten für See-, Binnen- und Flughäfen als len: Die Raumordnung hat die Aufgabe, für einen nach- Rechtsverordnung erlassen kann, bin ich froh, dass wir (B) (D) haltigen Ausgleich der vielfältigen ökonomischen, öko- in diesem Verfahren eine frühzeitige Parlamentsbeteili- logischen und sozialen Ansprüche an den Raum zu gung erreicht haben. Es wäre doch geradezu abenteuer- sorgen. Sie ist damit die Basis einer nachhaltigen Infra- lich, wenn jeder Kreis- oder Landtag in die Diskussion strukturpolitik und damit gleichzeitig unverzichtbare Vo- über ihn betreffende Raumordnungspläne einbezogen raussetzung für eine moderne Wirtschafts- und Gesell- würde, aber ausgerechnet der Deutsche Bundestag bei schaftspolitik. den Raumordnungsplänen des Bundes außen vor bliebe. Sie ermöglicht darüber hinaus die Entwicklung länder- Ich freue mich, dass die Koalitionsfraktionen diese An- übergreifender Standortkonzepte von nationaler und in- regung aufgenommen und wir in einem gemeinsamen ternationaler Bedeutung vor dem Hintergrund der öko- Antrag den Gesetzentwurf entsprechend ergänzt haben. nomischen Entwicklung und der nachhaltigen Mobilität Auch an anderer Stelle konnten wir den Gesetzent- gleichermaßen. Sie fördert die koordinierte Zusammen- wurf noch durch eine kleine, aber wichtige Änderung arbeit zwischen Bund und Ländern mit dem Ziel, den entscheidend verbessern: Die wirtschaftsnahe Infrastruk- Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken und die am- tur ist in der nun vorliegenden Fassung wieder als Be- bitionierten Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Sie ist da- lang in den Grundsätzen der Raumordnung erfasst. Ich mit eine gesellschaftliche und politische Gemeinschafts- hatte hierzu ja bereits in der ersten Lesung zu diesem aufgabe, und sie gelingt auch nur als solche. Gesetzentwurf meine Bedenken vorgetragen. Durch die Es wird in Zukunft nötig sein, die Entwicklungen in Streichung dieses Aspektes auf der einen und die deutli- regelmäßigen Abständen zu evaluieren. Die Ergebnisse che Aufwertung der Belange des Umwelt- und Klima- werden Aufschluss über den Grad der Zielerreichung ge- schutzes auf der anderen Seite, war der Gesetzentwurf in ben und Grundlage für weitere Handlungsschritte sein. meinen Augen nicht ausgewogen. Die Argumentation des Ministeriums, dass die Erwähnung der wirtschafts- Mit diesem Gesetz führen wir die lange Tradition der nahen Infrastruktur überflüssig sei, weil die Belange der Raumordnung in der Bundesrepublik verantwortungsbe- Wirtschaft im bisherigen Gesetz ausführlicher berück- wusst weiter. Die Bedeutung der Raumordnung wird an- sichtigt waren und daher von den zuständigen Behörden gesichts der beschriebenen Herausforderungen weiter verinnerlicht worden seien, hat offenbar auch bei den zunehmen. Ziel der Raumordnungspolitik ist und bleibt Regierungsfraktionen nicht verfangen. Es wäre ja auch es, den einzelnen Räumen und Regionen optimale Ent- in der Tat ein reichlich merkwürdiger Vorgang, wenn wicklungschancen zu ermöglichen. Ich bin überzeugt, Behörden sich bei ihren Entscheidungen auf Gesetze be- dass das neue Gesetz der Zielerreichung in besonderer rufen würden, die ihre Gültigkeit verloren haben. Spätes- Weise dienlich sein kann. tens vor den Gerichten wäre eine solche Argumentation 20218 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) wohl in sich zusammengebrochen. Ungültige Gesetze Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Es gibt in der Politik (C) sind ungültig – es mutet schon etwas merkwürdig an, immer wieder Momente, in denen manche denken, mit wenn man das an dieser Stelle nochmals feststellen der Verabschiedung oder Neufassung eines Gesetzes muss. Gültig geworden wäre hingegen ein Gesetz, dass hätte sich das Thema für längere Zeit oder gar für eine die Umweltbelange deutlich höher bewertete als die kleine Ewigkeit erledigt. Das hier zur Debatte stehende Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen. Der nun Raumordnungsgesetz, die Neufassung des seit 1997 gel- vorliegende Vorschlag ist in dieser Hinsicht – und auch tenden Raumordnungsgesetzes, scheint zumindest aus zum Beispiel im Hinblick auf die Rohstoffförderung in Sicht der Koalitionsfraktionen ein solcher Fall zu sein. Deutschland – bei weitem ausgewogener. Wie man hört, rechnet man auf der Regierungsbank nach der Verabschiedung dieser Neuregelung wohl mit einer Darüber hinaus hat die Koalition noch einige Verän- langen Phase der Ruhe – gewissermaßen Ruhe im Raum, derungsvorschläge aus dem Expertenplanspiel übernom- Ruhe in der Raumordnung. Dies scheint mir jedoch eine men. Dieses Verfahren möchte ich an dieser Stelle aus- gewagte Prognose zu sein. drücklich loben; auch wenn dieses Lob natürlich ein Diese abweichende Einschätzung der Bundestags- wenig zwiespältig ist, denn an sich sollte es selbstver- fraktion Die Linke hat vor allem mit dem Grund zu tun, ständlich sein, dass externe Experten offen und unvor- der eine Neufassung dieses Raumordnungsgesetzes eingenommen in einen Gesetzgebungsprozess eingebun- überhaupt notwendig macht, und dieser Grund ist die den werden. Dieses iterative Verfahren dürfte von mir Föderalismusreform, in welcher der Bund nicht zuletzt aus gerne Schule machen. Denn wie man auch im vorlie- beim Thema Raumordnung erhebliche Kompetenzen an genden Fall sieht, trägt dies zu einer merklichen qualita- die Länder abgegeben hat. Wir haben es seitdem mit ei- tiven Verbesserung der Gesetzgebung bei: Die Experten ner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zu tun, haben eine ganze Reihe an Vorschlägen gemacht, die in die den Ländern ein verfassungsrechtlich verbürgtes dem vorliegenden Gesetzesvorschlag jetzt auch umge- Recht auf Abweichung zugesteht. Die Neuregelung setzt wurden und die Anwendbarkeit des Raumord- muss und soll daher versuchen, einen Weg zwischen nungsgesetzes merklich verbessern werden. dem Regelanspruch des Bundes und den gesetzgeberi- schen Möglichkeiten der Länder zu finden. Genau dieser Von daher gibt meine Fraktion dem hier zur Beratung Weg aber dürfte nicht einfach zu finden sein, da in wich- vorliegenden Gesetzentwurf in dieser Fassung gerne ihre tigen Bereichen der Raumordnung klare Regelungen zu Zustimmung. Es ist ein gutes und ein schlankes Gesetz, den jeweiligen Kompetenzen fehlen. Wer hat denn nun das den Anforderungen der Zukunft deutlich besser ge- bei gesamtstaatlichen und länderübergreifenden Zielen recht zu werden verspricht. Dabei denke ich nicht nur an das Sagen, der Bund mit seinem übergreifenden An- (B) die politischen Herausforderungen – etwa an den demo- spruch oder die Länder mit ihrem verfassungsrechtlich (D) grafischen Wandel, dessen Bedeutung in vielfacher verbürgten Abweichungsrecht? Weise seinen Niederschlag in dieser Vorlage gefunden Um es nur an zwei, drei Beispielen deutlich zu ma- hat. Auch den Bedingungen unseres neu justierten föde- chen: Wer setzt sich beispielsweise beim Thema Um- ralen Systems wird Rechnung getragen. Wir werden al- welt- und Naturschutz, beim Thema Rohstoffnutzung lerdings sehen müssen, wie das neue Raumordnungsge- oder auch beim Thema CO2-Einlagerung durch? Das setz sich dann auch in der Praxis bewehrt, schließlich ist Fehlen einer klaren Regelung dürfte das Erreichen ge- es das erste Mal nach Abschluss der ersten Stufe der Fö- samtstaatlicher, länderübergreifender Raumordnungs- deralismusreform, dass wir in die konkurrierende Ge- ziele erheblich erschweren, wenn nicht gänzlich unmög- setzgebung mit den Ländern eintreten. Ich bin gespannt, lich machen – da die Raumordnungspläne des Bundes wie sich unser Gesetz behaupten wird! keine Bindungswirkung für die Länder haben. Eine di- rekte Mitwirkung des Bundestages beim Aufstellen von Das neue Raumordnungsrecht hier und heute mit ei- Raumordnungsplänen des Bundes ist überhaupt nicht ner breiten Mehrheit zu verabschieden, kann daher aller- vorgesehen. Ein solches Recht würde sich wohl keine dings auch nur der erste Schritt sein. Wir werden auch in Kommune und kein Bundesland nehmen lassen. Da ist Zukunft ein wachsames Auge darauf haben müssen, wie im Raumordnungsgesetz erst noch einiges in Ordnung das Gesetz sich in der Praxis und im Zusammenspiel mit zu bringen, ehe es die Zustimmung der Bundestagsfrak- den Ländern bewehrt. Ich habe deshalb bereits in den tion Die Linke finden kann. Ausschussberatungen angeregt, dass zur Mitte der nächs- ten Legislaturperiode eine Evaluierung des Gesetzes und Aus Sicht der Linken wirft die vorliegende Neufas- seiner Bestimmungen vorgenommen werden sollte, ein sung wesentlich mehr Fragen auf, als sie Antworten lie- Petitum, das ich an dieser Stelle gerne noch einmal wie- fert. Aus unserer Sicht geht es im Interesse des gesamten derholen möchte. Denn kein Gesetz ist so gut, dass es Landes und einer bundesweiten Raumordnung vor allem nicht noch besser gemacht werden könnte – und das gilt um drei wesentliche Fragen: natürlich ganz besonders im vorliegenden Fall. Denn die Erste Frage: Wer entscheidet wann wo und wie künf- tatsächlichen Konsequenzen und Wechselwirkungen tig über den Umgang mit unseren natürlichen Ressour- vieler der Bestimmungen dieses Gesetzes werden sich cen? Das ist eine Frage, die wir nicht erst dann beant- erst in der Praxis erkennen lassen. Für den Anfang aber worten sollten, wenn die „Quellen“ versiegen, wie eine haben wir hier ein paar gute erste Schritte in die richtige der Übersetzungen dieses ursprünglich aus dem Franzö- Richtung gemacht. sischen kommenden Wortes lautet. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20219

(A) Zweite Frage. Gerade das Thema Raumplanung kann Das scheint auch für die Bundesregierung zu gelten. Vor (C) als ein sehr feinfühliger Seismograf für den Grad demo- kurzem habe ich noch im Parlament gesagt, dass man kratischer Mitwirkung an weit über lokale und regionale den Stellenwert der Raumplanung bei der Bundesregie- Grenzen hinaus und weit in die Zukunft reichende Ent- rung daran ablesen kann, dass sie die Novellierung des scheidungen dienen. Vor diesem Hintergrund ist zu fra- Raumordnungsgesetzes erst kurz vor dem Ende der Legis- gen, welche realen Möglichkeiten zum Beispiel Vereine laturperiode angeschoben hat. und Verbände, aber auch engagierte und nicht zuletzt be- troffene Bürgerinnen und Bürger haben, sich viel früher Heute muss ich noch einen obendrauf setzen; sie hätte und rechtzeitiger als bisher an den Überlegungen von die Terminplanung für das Inkrafttreten des Gesetzes Politik und Verwaltung zu beteiligen. Wie kann künftig noch vor der Bundestagswahl um ein Haar verschwitzt. verhindert werden, dass Vereine und Verbände, enga- Daher musste das Gesetz in dieser Woche so hastig im gierte Bürgerinnen und Bürger immer erst dann einbezo- Ausschuss behandelt und im Plenum mitten in der Nacht gen werden, wenn schon alle Messen gelesen sind? gelesen werden. Ich finde es übrigens beschämend, dass der Bundestag dieses Gesetz zu dieser Tageszeit aufsetzt. Dritte Frage. Politik und erst recht Raumordnungspo- litik finden nicht irgendwie und irgendwo im luftleeren Heute Abend muss ich resümieren, im Ausschuss wie Raum statt, sondern in diesem Falle mitten in Europa. auch in einer fraktionsübergreifenden Beratung haben Daher ist natürlich auch nach der Europatauglichkeit sich keine Neuigkeiten ergeben, und ich sehe das Gesetz dieser Neufassung des Raumordnungsgesetzes zu fra- weiterhin mit gemischten Gefühlen. gen. Besteht sie den Europa-Check, oder muss das Ge- Es greift wichtige Forderungen unserer Zeit auf. Es setz schon bald nach seinem Inkrafttreten wieder nach- reagiert auf die aktuellen Diskussionen zu Klima- und gebessert und erst europafest gemacht werden? Auch ein Ressourcenschutz, demografischer Entwicklung und solches Reparaturunternehmen würde die – wie bereits Flächenschutz. Ich begrüße ausdrücklich, dass Raum- eingangs erwähnt – von den Koalitionsfraktionen offen- ordnungspläne des Bundes erstellt werden können. Ge- bar angestrebte Ruhe in der Raumordnung empfindlich rade hier besteht Handlungsbedarf, denn viele Fach- stören. Und nicht zuletzt möchte ich an dieser Stelle als planungen müssen über Landesgrenzen hinaus erfolgen. einen weiteren Kritikpunkt den mangelhaften Abgleich Dabei denke ich als Bau- und Verkehrspolitiker in erster des Gesetzentwurfes mit dem Umweltgesetzbuch an- Linie an die Infrastruktur, aber natürlich gilt das auch für sprechen, das derzeit ebenfalls überarbeitet wird. Eine Naturschutzfragen, Rohstoffsicherung und anderes. sachliche und begriffliche Anpassung scheint dringend Noch immer scheitert eine sinnvolle vorausschauende geboten. Raumplanung an den Egoismen der Länder. Aus diesem (B) Immerhin finden sich in der Neufassung auch einige Grund vermisse ich eine Bindungswirkung für die Län- (D) Passagen, die aus unserer Sicht als bemerkenswert bis der an die Raumordnungspläne des Bundes. durchaus positiv zu bewerten sind. Dazu gehört die neue Ich muss daher der Bundesregierung ins Stammbuch Formulierung von der Konzentration der Siedlungstätig- schreiben: Auch das künftige Raumordnungsrecht bleibt keit auf „vorhandene Siedlungen“ – ein neuer Begriff im hinter seinen Möglichkeiten zurück. Schuld daran ist nicht Gesetzestext. Allerdings lässt der Gesetzentwurf leider nur die Lustlosigkeit der Bundesregierung, sondern auch offen, wie das ohnehin nicht besonders anspruchsvolle die Möglichkeit der abweichenden Gesetzgebung durch Ziel der Bundesregierung erreicht werden soll, bis zum die Länder. Dadurch sind leider die Möglichkeiten des Jahre 2020 die Flächeninanspruchnahme auf 30 Hektar Bundes als Gesetzgeber de facto eingeschränkt. Gute An- täglich zu reduzieren. Auch in diesem Falle hätten wir sätze des Gesetzes werden verwässert. Vor allem ist das uns eine klarere und abrechenbarere Regelung im Gesetz Gesetz zu inkonkret. Dabei denke ich zum Beispiel an gewünscht. Und im Übrigen erscheint es „öko-logisch“, Planungsgrundsätze, wie die Bündelung von linienhafter den Flächenverbrauch nicht nur zu reduzieren, sondern Infrastruktur. Ich denke dabei an konkrete Planungsziele, in einen Flächengewinn umzuwandeln. beispielsweise zum Flächenschutz. Als Verkehrspolitiker Insgesamt gesehen kann die Bundestagsfraktion Die denke ich an klare verkehrspolitische Zielsetzungen, bei- Linke diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Wir wer- spielsweise zu Verkehrsverlagerungen. Aus meiner Sicht den uns auch nicht enthalten, sondern die Neufassung spräche auch nichts dagegen, Potenziale zur Energieein- des Raumordnungsgesetzes ablehnen. Außerdem gebe sparung, also Maßnahmen der Kraft-Wärme-Kopplung ich den Koalitionsfraktionen Brief und Siegel, dass wir zum Beispiel, zu benennen. Last not least – Raumord- uns hier in diesem Hause schon bald erneut mit dieser nungspläne sind nicht zuletzt Umweltplanungen. Da sollte Thematik beschäftigen müssen. Dafür werden, so glaube es nahe liegen, Biotopverbundsysteme wie das Natura- ich, die Länder schon sorgen. Ich denke, wir sprechen 2000-Netz, Naturparke, Regionalparke, Areale mit Kli- uns spätestens Mitte der nächsten Legislaturperiode wie- mafunktionen und Ähnliches in diesen Planwerken obli- der. Ich frage mich nur, ob ein solcher Umgang mit dem gatorisch zu berücksichtigen. so wichtigen Thema Raumordnung in Ordnung ist. Auch die Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten für die Öffentlichkeit und Umweltverbände sind nicht Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die optimal. Das beginnt bei der Frage, warum abweichen- Raumplanung wird als Möglichkeit, wichtige Fachpla- des Recht gegenüber dem Umweltrecht zur Regelung nungen aufeinander abzustimmen und eine zukunfts- der Strategischen Umweltprüfung für Raumordnungs- fähige Entwicklung zu sichern, zumeist unterschätzt. pläne geschaffen wurde. Naturschutz- und Umweltver- 20220 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) bände sollten zwingend bei der Aufstellung dieser Pläne Beispiel Factory Outlet Centern oder Windenergieanla- (C) beteiligt werden. Sinnvoll wäre die Festlegung, dass gen einschließlich des Repowerings. Raumordnungspläne im Internet abrufbar sein müssen. Zweitens. Das neue Gesetz zielt auf Rechtsvereinfa- Auch bei Aussagen zu Raumordnungsverfahren wün- chung und Deregulierung ab. sche ich mir mehr Transparenz. Sie sollten grundsätzlich mit Öffentlichkeitsbeteiligung und mit Beteiligung der Drittens. Die gesetzlichen Grundsätze der Raumord- Natur- und Umweltschutzverbände analog der soge- nung werden aktualisiert; insbesondere werden als nannten Trägerbeteiligung erfolgen. Grundsatz erstmals geregelt die Berücksichtigung der Erfordernisse des Klimaschutzes, die Berücksichtigung Der Änderungsantrag zur Information des Bundestages des demografischen Wandels, die Stärkung der inter- über Planaufstellungen ist wertlos. Das Spektakulärste kommunalen Zusammenarbeit, die Erhaltung und Ent- an dieser Initiative ist wohl der Schulterschluss von wicklung der Innenstädte und die Reduzierung der Flä- Schwarz, Rot und Blau-Gelb. Der Antrag ist unnötig, da cheninanspruchnahme. eine Information des Ausschusses über einen Raumord- nungsplan des Bundes eine Selbstverständlichkeit sein Viertens. Die Regelungen über die Planerhaltung wer- sollte. Wichtiger wäre die Gestaltungsmöglichkeit durch den präzisiert. Dies ist ein Beitrag zur Rechtssicherheit das Parlament. Aber von einer Einvernehmensregelung von Raumordnungsplänen. ist im Änderungsantrag nichts zu finden. Fünftens. Die informelle Planung und das raumordne- Ich kann der Bundesregierung bescheinigen, dass sie rische Zusammenwirken werden gestärkt. Diese praxis- den Handlungsbedarf im Wesentlichen erkennt und teil- nahen, auf konsensuale Lösungen abzielenden Steue- weise in das neue Raumordnungsgesetz einfließen lässt. rungsinstrumente setzen auf „Koordination durch Allerdings sieht sie sich offenbar durch die Länder ge- Kooperation“. Private und Behörden sollen auf gleicher bremst und bleibt auf halbem Weg stehen. Aus diesem Augenhöhe zusammenwirken und gemeinsam vertragli- Grund werden meine Fraktion und ich den Gesetzent- che Vereinbarungen, regionale Entwicklungskonzepte wurf weder ablehnen noch befürworten, sondern wir sowie regionale oder interkommunale Kooperations- werden uns enthalten. strukturen erarbeiten und umsetzen. Sechstens. Die Regelungen über den Planungs- und Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Koordinierungsauftrag des Bundes werden ergänzt. Da- minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das mit kann den neuen Herausforderungen an die Raumord- neue Raumordnungsgesetz entsteht vor dem Hintergrund nung begegnet werden, die sich aus länderübergreifen- der derzeitigen strukturverändernden Herausforderun- den und europäischen Entwicklungen ergeben. (B) gen. Es soll insbesondere auf den demografischen Wan- (D) del und den Klimawandel antworten. Zugleich ist das Der Gesetzentwurf wurde in enger Abstimmung mit neue Gesetz eine Folge der Föderalismusreform I im den für die Raumordnung zuständigen Länderministe- Jahre 2006. Im Zuge der Föderalismusreform wurde die rien und den kommunalen Spitzenverbänden entwickelt. Raumordnung in den neu geschaffenen Kompetenztyp Zudem wurde der Gesetzentwurf im Rahmen eines das einer konkurrierenden Gesetzgebung mit Abweichungs- Gesetzgebungsverfahren begleitenden Planspiels von möglichkeit der Länder überführt. sieben Landes- und Regionalplanungen aus allen Teilen Deutschlands auf seine Praxistauglichkeit, insbesondere Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zum Raumord- auf die Verzahnung mit dem bestehenden Raumord- nungsrecht macht der Bund erstmals von dieser neuen nungsrecht der Länder, überprüft. Über das Planspiel be- Gesetzgebungskompetenz Gebrauch. Er betritt somit ge- stand auch noch während des Gesetzgebungsverfahrens setzgeberisches Neuland. Um trotz des Abweichungs- Kontakt zu den Ländern. Die Ergebnisse des Planspiels rechts der Länder die Rechtseinheit möglichst zu erhal- bestätigen grundsätzlich das neue Raumordnungsgesetz; ten, zielt der Gesetzentwurf auf eine Balance zwischen sie wurden inzwischen dem Bundestagsausschuss für der Wahrung weitgehender bundeseinheitlicher Stan- Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vorgestellt. Zu den dards einerseits und der gesetzgeberischen Zurückhal- Ergebnissen des Planspiels gehören mehrere Verbesse- tung des Bundes hinsichtlich landesspezifischer Beson- rungsvorschläge. Eine Reihe davon sind schon im Re- derheiten andererseits. Ein wichtiges Anliegen des gierungsentwurf umgesetzt worden. Weitere Vorschläge Gesetzentwurfs ist, auf diese Weise den Ländern mög- greift das Votum des federführenden Ausschusses auf. lichst wenig Anlass zu geben, abweichendes Recht zu setzen. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 19. September 2008 keine grundsätzlichen Bedenken Lassen Sie mich noch einmal die inhaltlichen Schwer- gegen den Gesetzentwurf erhoben. Die Stellungnahme punkte und Zielsetzungen der Gesetzesnovellierung kurz betrifft vor allem Ergänzungen und Klarstellungen zu anreißen. Erstens. Die nach übereinstimmender Ansicht den Grundsätzen der Raumordnung sowie die Raumord- von Bund und Ländern bewährten Regelungen des gel- nung des Bundes. Die Bundesregierung begrüßt die tenden Raumordnungsgesetzes werden übernommen. weitgehende Übereinstimmung mit dem Bundesrat. Sie Dies gilt insbesondere für das klassische Instrument der hat sich einigen Vorschlägen des Bundesrates ange- Raumordnung, den Raumordnungsplan. Damit besteht schlossen. Diese Vorschläge hat gleichermaßen der fe- auch weiterhin die rechtliche Grundlage für eine effi- derführende Bundesstagsausschuss für Verkehr, Bau und ziente raumordnerische Steuerung von aktuell und zu- Stadtentwicklung beschlossen; sie liegen Ihnen nunmehr künftig sensiblen raumwirksamen Projekten wie zum zur Abstimmung vor. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20221

(A) Im Übrigen hält die Bundesregierung an dem von ihr rung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vier Problem- (C) vorgeschlagenen behutsamen Ausbau der Bundesraum- komplexe geregelt: erstens eine klare Definition, unter ordnung fest, namentlich an der Möglichkeit des Bun- welchen Gesichtspunkten eine deutsche Staatsbürger- des, Raumordnungspläne nach § 17 Abs. 2 des neuen schaft aberkannt werden kann; zweitens die Befristung Raumordnungsgesetzes aufzustellen. Diese Raumord- der Rücknahmeentscheidung; drittens die Frage der Wir- nungspläne – das sei nochmals betont – greifen nicht in kung auf schutzbedürftige Belange unbeteiligter Dritter Länderkompetenzen ein, sondern ermöglichen eine früh- infolge der Rücknahme einer Einbürgerung und viertens zeitige Abstimmung von Bundes- und Landesplanungen; die Auswirkung auf die Staatsbürgerschaft von Kindern sie unterstützen eine fachübergreifende, integrierte Ver- bei erfolgreicher Anfechtung der Vaterschaft. kehrsplanung und dienen damit letztlich dem Wirt- schaftsstandort Deutschland. Die Rücknahme der deutschen Staatsbürgerschaft droht nur, wenn einer oder mehrere der folgenden Tatbe- Ich bin sicher, dass wir mit dem neuen Raumord- stände vorliegen: arglistige Täuschung, Drohung oder nungsgesetz eine von Bund und Ländern gemeinsam ge- Bestechung, ferner auf Entscheidungen, die durch be- tragene moderne Grundlage für eine effiziente und zu- wusst unrichtige oder unvollständige, für den Antrag je- kunftsfähige, koordinierende Raumentwicklung in doch wesentliche Angaben erwirkt wurden. Dies ist für Deutschland schaffen. Damit können wichtige Aspekte mich eine folgerichtige Entscheidung. Denn wer den und Ziele in Einklang gebracht werden. Das gilt insbe- Staat und damit unsere Rechtsordnung wissentlich sondere für die Unterstützung von zukunftsweisender täuscht, verdient nicht noch als Belohnung die deutsche Wirtschaft und von Entwicklungspotenzialen, die Siche- Staatsbürgerschaft. Somit ist für mich auch die vorge- rung der Daseinsvorsorge sowie den Ressourcenschutz. schlagene Regelung der Linkspartei entschieden abzu- lehnen, in der sie fordert, dass auch derjenige die deut- sche Staatsbürgerschaft behalten soll, der sich diese Anlage 22 durch Täuschung erschlichen hat. Dies verdeutlicht wie- der einmal die konträre Haltung der Linkspartei zu unse- Zu Protokoll gegebene Reden ren freiheitlich demokratischen Grundsätzen. zur Beratung: Auch bei der Befristung von Rücknahmeentscheiden – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des sind wir, denke ich, zu einer guten Lösung gekommen. Staatsangehörigkeitsgesetzes Dieser Gesetzentwurf beschränkt die Möglichkeit der Rücknahme einer deutschen Staatsbürgerschaft auf eine – Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Zeitspanne von fünf Jahren nach der Einbürgerung. So- Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) gar Bündnis 90/Die Grünen haben an dieser getroffenen (B) (D) – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Regelung nichts auszusetzen. Ich nutze hier die Gele- Staatsangehörigkeitsrechtes genheit, gleich auf den Gesetzentwurf von Bündnis 90/ Die Grünen etwas näher einzugehen. Wieder einmal er- – Beschlussempfehlung und Bericht: liegt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Annahme, – Antrag: Einbürgerungen erleichtern – dass Migranten, die dauerhaft in Deutschland leben, au- Ausgrenzungen ausschließen tomatisch integriert wären. Deshalb fordern sie auch, die Prüfung der Sprachkenntnisse, die eine Voraussetzung – Antrag: Für die Abschaffung der Op- für die Einbürgerung darstellt, für über 54-Jährige, die tionspflicht im Staatsangehörigkeitsgesetz seit mindestens 15 Jahren in Deutschland leben, und für – Antrag: Klare Grenzen für die Rück- unter 14-Jährige, die hier zur Schule gehen, abzuschaf- nahme und den Verlust der deutschen fen. Ich fürchte, ich muss mich auch hier wiederholen: Staatsangehörigkeit ziehen Ein 15-jähriger Aufenthalt in Deutschland ist nicht auto- matisch mit genügend deutschen Sprachkenntnissen (Tagesordnungspunkt 45 a und b) gleichzusetzen. Schon allein der Integrationsgipfel hat gezeigt, dass eben ein großer Teil der Kinder und Ju- Günter Baumann (CDU/CSU): Wir beraten in der gendlichen mit Migrationshintergrund nicht über ausrei- zweiten und dritten Lesung abschließend die Gesetzent- chende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen und würfe der Bundesregierung, des Bundesrates, der Frak- damit weniger Chancen auf gute Bildung und Lehrstel- tion Bündnis 90/Die Grünen und die drei Anträge der len haben. Werte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Linksfraktion zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge- Bündnis 90/Die Grünen, es sollte bei all Ihren Forderun- setzes. gen auch bedacht werden, dass die Einbürgerung den Abschluss einer erfolgreichen Integration darstellt und Der vorliegende Entwurf der Koalition setzt im We- nicht vorab wahllos verteilt wird. sentlichen die höchstrichterliche Rechtsprechung um. Dabei ist zu bemerken, dass das Bundesverfassungsge- Ein zentraler Punkt, bei dem Handlungsbedarf be- richt die Verfassungsmäßigkeit von Rücknahmeentschei- steht, ist die Frage, wie sich eine Rücknahme einer den grundsätzlich bejaht, auch wenn dem Betroffenen Staatsbürgerschaft auf Dritte auswirkt, die nicht selbst die Staatenlosigkeit droht. Für den Gesetzgeber hatte getäuscht haben, aber im Zusammenhang mit der er- sich jedoch Regelungsbedarf bei bestimmten Fallkon- schlichenen Staatsbürgerschaft ebenfalls die deutsche stellationen herauskristallisiert. Entscheidend werden Staatsbürgerschaft erworben haben. Ich denke, hier wur- mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ände- den tragfähige Regelungen in das Gesetz eingebracht. 20222 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) Für miteingebürgerte Dritte, deren Einbürgerung als zuletzt: Wie wirkt sich eine erfolgreiche Vaterschaftsan- (C) Ehepartner oder Kind akzessorisch zur Einbürgerung der fechtung aus, wenn ein Kind die deutsche Staatsangehö- antragstellenden Person ist, ist bei der Rücknahme der rigkeit nur aufgrund der Abstammung vom vermeintlich Einbürgerung eine eigene Ermessensentscheidung vor- deutschen Vater erworben hat? gesehen. Es ist dabei zu prüfen, ob die miteingebürgerte Person an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Be- Es war an uns, diese Fragen durch klare Regelungen stechung oder an den wissentlich unrichtigen oder un- im Gesetz zu beantworten. Das haben wir getan. Dass vollständigen Angaben beteiligt war. Darüber hinaus ist wir die verfassungsrechtlichen Grenzen geachtet haben, zu prüfen, ob diese Person sich inzwischen einen eige- die uns die Rechtsprechung vorgegeben hat, ist eine nen Einbürgerungsanspruch erworben hat oder ob sich Selbstverständlichkeit. Dass wir dabei aber auch politi- die Person gut integriert hat. Somit werden die schutz- sche Gestaltungsräume genutzt haben, ist ebenso selbst- würdigen Belange Dritter mit der Herstellung gesetzmä- verständlich. Diesbezüglich möchte ich auf eines hin- ßiger Zustände abgewogen. weisen: Wenn ein Ausländer oder eine Ausländerin aufgrund von Täuschung eingebürgert wird, so hat er Eine weitere Fallkonstellation stellen Kinder dar, die oder sie sich die Rücknahme der Einbürgerung selbst zu- durch eine erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft eines zuschreiben. Wenn aber ein Kind auf dieser Grundlage deutschen Staatsbürgers ihre deutsche Staatsangehörig- erleichtert eingebürgert worden ist, so geht die Einbürge- keit verlieren können. In Anlehnung an ein Verfassungs- rung auf das schuldhafte Handeln des Vaters oder der gerichtsurteil werden diese Fälle so geregelt, dass ein Mutter zurück. Das Kind hat nicht getäuscht. Umso Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft nicht eintreten wichtiger ist es, dass die Interessen des Kindes im Vor- soll, wenn das Kind nicht älter als fünf Jahre ist. Denn es dergrund stehen, wenn es darum geht, das Ermessen da- wird davon ausgegangen, dass ein Kind unter fünf Le- rüber auszuüben, ob seine erleichterte Einbürgerung bensjahren noch kein Bewusstsein von seiner Staatsan- ebenfalls zurückgenommen wird. Deshalb haben wir die gehörigkeit hat und somit auch nicht Art. 16 Abs. 1 Satz Beachtung des Kindeswohls im vorliegenden Gesetzent- 1 GG berührt wird. wurf ausdrücklich in die Ermessensausübung aufgenom- men. Über die Regelung dieser Problemkomplexe hinaus halte ich die Einführung einer Strafvorschrift, wie sie der So weit zu den Details unseres Gesetzentwurfes. Die Bundesrat gefordert hat, für sachgerecht. Hierbei kann Regelung der genannten Fragen war aus Gründen der der Betroffene mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf rechtsstaatlichen Klarheit geboten. Ich halte es aber Jahren oder mit einer Geldstrafe belegt werden, wenn er ebenso für geboten, nicht nur über Detailaspekte, son- unrichtige oder unvollständige Angaben zu wesentlichen dern auch über Grundsatzfragen des Staatsangehörig- (B) Voraussetzungen der Einbürgerung macht oder benutzt, keitsrechtes zu debattieren. Eine solche Debatte haben (D) um für sich oder andere eine Einbürgerung zu erschlei- wir zwar aus dem vorliegenden Gesetzgebungsverfahren chen. Diese Regelung, Täuschungsverhalten strafrecht- bewusst ausgeklammert – zu unterschiedlich sind die lich zu ahnden, knüpft an bereits bestehende Regelungen diesbezüglichen Auffassungen innerhalb der Großen des Bundesvertriebenengesetzes und des Asylverfahrens Koalition –, das soll mich aber nicht daran hindern, an. Denn laut Bundesrat sind Fälschungen von Identi- heute ein weiteres Mal den Blick darauf zu lenken, was tätspapieren für die Erlangung der deutschen Staatsbür- wir Sozialdemokraten langfristig anstreben: die doppelte gerschaft keine Einzelfälle. Um diesen Täuschungen Staatsangehörigkeit für in Deutschland geborene Kinder. vorzubeugen, unterstütze ich voll und ganz eine straf- rechtliche Verfolgung. Denn auch hierbei ist dem Aspekt Dieses Ziel ist bislang bekanntlich noch nicht ver- der inneren Sicherheit Deutschlands und der Gefahr des wirklicht worden. Vielmehr haben wir mit der Reform internationalen Terrorismus Rechnung zu tragen. Denn des Staatsangehörigkeitsrechts 2000 nur einen Kompro- gerade die Einbürgerung könnte auch von Extremisten miss erreicht. Nach der sogenannten Optionslösung er- als Mittel zur Vorbereitung und Ausübung von Terror- werben Kinder, die in Deutschland geboren werden und anschlägen genutzt werden. Infolgedessen kann das Ple- deren Eltern ein langfristiges Aufenthaltsrecht haben, num des Deutschen Bundestages nur zu einem Votum zwei Staatsbürgerschaften. Wenn sie volljährig sind, kommen: den Gesetzentwurf der Bundesregierung in ge- müssen sie sich zwischen der deutschen Staatsangehö- änderter Fassung anzunehmen und die weiteren Gesetzes- rigkeit und der ihrer Eltern entscheiden. Haben sie sich entwürfe und Anträge abzulehnen. bis zum 23. Lebensjahr nicht entschieden, so verlieren sie die deutsche Staatsangehörigkeit. Rüdiger Veit (SPD): Der Gesetzentwurf der Bundes- Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass regierung, den wir heute beraten, stellt eine Reaktion auf doppelte Staatsbürgerschaft vermieden werden soll. die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- Doch warum eigentlich? Ich darf Sie daran erinnern, richts und des Bundesverwaltungsgerichts dar. In insge- dass bereits jetzt mehr als die Hälfte derer, die eingebür- samt drei Urteilen haben sie folgende Fragen behandelt: gert werden, ihre alte Staatsbürgerschaft aufgrund der Welches ist die zeitliche Grenze, bis zu der eine Einbür- gesetzlichen Regelungen beibehalten können. Diese gerung zurückgenommen werden kann, wenn der Einge- vielfache Hinnahme von Doppelstaatigkeit hat bislang bürgerte die deutsche Staatsangehörigkeit durch arglis- nicht zu integrationspolitischen Problemen geführt. Ein tige Täuschung erhalten hat? Welche Auswirkungen hat Problem entsteht vielmehr dadurch, dass wir Doppel- das auf seine durch Geburt eingebürgerten Kinder oder staatigkeit gerade bei den hier geborenen Menschen jen- auf seine erleichtert eingebürgerten Angehörigen? Und seits des 18. Lebensjahrs nicht hinnehmen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20223

(A) Sie sind in Deutschland groß geworden, und ihre Le- wichtige Thema Staatsangehörigkeit muss verlässlich (C) benswirklichkeit liegt hier. Das ändert aber nichts daran, und durchschaubar ausgestaltet sein. dass sich viele von ihnen ihrer Familie und deren Tradi- tionen ebenso verbunden wie verpflichtet fühlen. Ent- Das Staatsbewusstsein von nicht schulpflichtigen scheiden sie sich gegen die deutsche Staatsangehörig- Kindern scheint mir nicht geeignet, darauf wesentliche keit, erhalten sie eine Niederlassungserlaubnis. Zwar Rechtsfolgen zu gründen. Die Begründung, sie hätten können sie damit in Deutschland bleiben, gleichwohl ein eigenes Bewusstsein ihrer Staatsangehörigkeit entwi- finden sie sich hier als Ausländer im eigenen Land wie- ckelt, ist meines Erachtens fragwürdig. Es ist dennoch der – und dies nach 18 Jahren als gleichberechtigte Mit- sinnvoll, Kindern ab fünf Jahren einen eigenen Staatsan- bürger. Entscheiden sie sich gegen die Staatsangehörig- gehörigkeitsrechtsschutz zu gewähren. Für diese Rege- keit ihrer Eltern, kann das als Abkehr von der Familie lung spricht, dass die betroffenen Kinder nicht unter den und deren Traditionen verstanden werden. Das bringt sie Rechtsvergehen ihrer Eltern leiden sollten. in persönliche Konflikte. Warum ersparen wir ihnen das Die Frist von fünf Jahren, die die Bundesregierung nicht? Nähmen wir ihre doppelte Staatsangehörigkeit den Behörden zum Nachweis der unrechtmäßig erwor- hin, würden wir nicht nur ihre individuellen Loyalitäts- benen Staatsangehörigkeit setzen will und die das Ver- konflikte beseitigen. Wir würden ihnen auch, unter Bei- fassungsgericht vorgeben zu müssen glaubt, scheint mir behaltung eigener Traditionen, die Möglichkeit geben; reichlich kurz zu sein. So kann vermutlich kaum wirk- sich als Deutsche aktiv an Wahlen zu beteiligen und zu sam verhindert werden, dass eine verlockende Ziellinie Wahlen anzutreten. Das wäre ein ebenso einfacher wie in Aussicht gestellt wird, die Betrügern oder Bestechern konsequenter Beitrag zur Integration von Menschen aus Erfolg garantiert. Doch die Vorgaben des obersten Ge- Einwandererfamilien. richts sind umzusetzen. Bevor ich schließe, möchte ich noch knapp auf die Dass, wie die Bundesregierung vorschlägt, die Rege- verbleibenden Anträge eingehen. Der Antrag des Bun- lung auch rückwirkend geltend soll, erscheint nach den desrates enthält mehrere Verschärfungen, die wir nicht stattgehabten Beratungen als weniger schlüssig. Da das mittragen können. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grü- Bundesverfassungsgericht für zurückliegende Fälle durch- nen weist mit der Streichung des Optionsmodells in die aus zur Bestätigung von Rücknahmeentscheidungen ge- richtige Richtung. Leider stammt er jedoch von 2006 kommen ist, scheint es mir rechtsstaatlich sauberer, die und bezieht sich damit auf eine veraltete Fassung des Wirkung des Gesetzes sich nur ex nunc entfalten zu las- Staatsangehörigkeitsgesetzes, das 2007 geändert worden sen. ist. Deshalb kann ihm bereits aus formalen Gründen nicht zugestimmt werden. Ich komme schließlich zu den Eine eigenständige Strafbarkeit für die Erschleichung (B) Anträgen der Fraktion Die Linke: Drucksache 16/9654 der Einbürgerung ist sinnvoll – aber die Strafbewehrung (D) fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf des Sachverhaltes ist bereits ausreichend gegeben. Zu- vorzulegen, mit dem die Rücknahme und der Verlust der dem lässt der Regierungsentwurf die notwendige Präzi- deutschen Staatsangehörigkeit geregelt werden. Diese sion vermissen. Der Verweis auf das Bundesvertriebe- Aufforderung betrachte ich durch unseren Gesetzent- nengesetz ist in diesem Zusammenhang sachlich nicht wurf als erledigt. Der Antrag auf Drucksache 16/1770 nachvollziehbar. schließlich fordert die erleichterte Einbürgerung. Auch Grüne und Linke ergehen sich in ihren Anträgen in er ist formal veraltet. Deshalb fehlt in dem Antrag ein Vorschlägen, wie die deutsche Staatsangehörigkeit leich- Hinweis darauf, dass wir 2007 eine Erleichterung mit ter erworben werden können soll. Das soll sozusagen dem Richtlinienumsetzungsgesetz geschaffen haben. billiger gemacht werden, mit anderen Worten: Die deut- Wir konnten die Verkürzung der Einbürgerungsfrist von sche Staatsangehörigkeit soll entwertet werden. Beson- acht bzw. sieben Jahre auf sechs Jahre für Migranten er- ders die Linke ist ja stets bemüht, den Erwerb der deut- wirken, die besondere Integrationsleistungen, also vor schen Staatsangehörigkeit möglichst zu verramschen. allem Deutschkenntnisse, vorweisen können. Linke und Grüne fordern einträchtig die Abschaffung Deshalb plädiere ich dafür, die Anträge des Bundesra- des Optionsmodells. Die FDP hat dieses Modell seiner- tes und der Opposition abzulehnen. Unseren Antrag hin- zeit vorgeschlagen. Aber nicht nur deshalb lehnen wir gegen bitte ich anzunehmen – im Wissen darum, dass diese Vorstöße ab. Vielmehr hat es überhaupt keinen dies nicht die letzte Reform des Staatsangehörigkeits- Sinn, ein Gesetz zu ändern, für dessen Wirkung es noch rechts gewesen sein kann. keinerlei verwertbare Daten gibt. Wir sollten erst einmal die Wirkung des bestehenden Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die Rücknahme Rechts hinreichend lange beobachten, statt ideologisch der deutschen Staatsangehörigkeit, wenn sie durch arg- an der Gesetzgebung herumzuschrauben. Es ist einfach listige Täuschung, Drohung oder Bestechung erworben sinnvoll, erst einmal Erfahrungsberichte abzuwarten, wurde, bedarf nach jüngstem Entscheid des Bundesver- wie sich diese Regelung auswirkt. fassungsgerichtes eines eigenen Gesetzes. Die Verwal- tungsvorschriften, die seit Gründung der Bundesrepublik Für in Deutschland aufgewachsene junge Menschen dazu angewandt wurden, reichen demnach nicht mehr ist es nach Auffassung der Linken nicht zumutbar, sich aus. Eine eigengesetzliche Regelung dient der Rechtssi- bei Volljährigkeit für die deutsche Staatsangehörigkeit cherheit. So weit begrüßt die FDP ausdrücklich die Ge- zu entscheiden. Sie halten auch die Mehrstaatigkeit für setzesinitiative der Bundesregierung. Das sensible und hinnehmbar. Ausgerechnet in Form der Staatsangehörig- 20224 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) keit sollen emotionale Bindungen ans Herkunftsland ei- den Niederlanden und anderswo die Integrationspro- (C) nes Migranten beibehalten werden können und deshalb bleme verursacht hat. Die FDP lehnt solche Anträge ab. die deutsche Staatsangehörigkeit zusätzlich möglich sein. Diese Stärkung von emotionalen Herkunftsbindungen Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Wer sich auf Dauer durch doppelte Staatsangehörigkeit ist kontraproduktiv. in einem Staat niederlässt – zumal wenn sich dieser als Es ist bezeichnend, dass die Linke die emotionalen Bin- Demokratie versteht –, hat Anspruch auf politische und dungen an das Zielland konsequent vernachlässigt. soziale Rechte. Dieser Anspruch kann im Prinzip auf Tatsächlich ist das Umgekehrte notwendig: Migranten zwei Arten erfüllt werden: über einen unkomplizierten müssen sich der Realität stellen. Integration in die deut- Zugang zur Staatsbürgerschaft oder über das Wahlrecht sche Gesellschaft kann nur gelingen, wenn man sich zu auch für im Land lebende Menschen ohne deutschen gleichen Rechten und Pflichten wie die anderen Staats- Pass. bürger in die deutsche Gesellschaft integriert, dazu steht Das, was wir von der Bundesregierung erleben, ist ge- und auch emotional daran bindet. nau das Gegenteil. Weder schafft sie die Möglichkeit ei- Doppelstaatsangehörigkeit verhindert die Klärung der nes entsprechenden Wahlrechts – nicht mal auf kommu- eigenen Loyalität und damit Identität, die für eine erfolg- naler Ebene – noch versucht sie, Einbürgerungen reiche Integration Voraussetzung ist. Deshalb sind die tatsächlich zu ermöglichen. Sie erschwert und verhindert Probleme der doppelten Staatsangehörigkeit, außer in stattdessen Einbürgerungen. Sonderfällen, zum Beispiel bei Kindern aus binationalen Die geltende Rechtslage und Einbürgerungspraxis Ehen, nicht so einfach vom Tisch zu wischen. Sie behin- stellen zu hohe Hürden auf. Zu kritisieren sind unter an- dert die Integration, wenn Migranten mit Doppelstaats- derem die hohen Einbürgerungsgebühren, zu langwie- angehörigkeit dem Irrtum verfallen, man könne gleich- rige Verfahren, da grundsätzlich die vorherige Aufgabe zeitig politisch und kulturell zwei Nationen angehören. der bisherigen Staatsangehörigkeit verlangt wird, und Migrantenschicksale zeigen oft, dass dies eben nicht der Ausschluss von Personen, die Sozialleistungen in möglich ist: Wer weder ganz hier sein, noch ganz dort Anspruch nehmen. bleiben will, ist nirgendwo als gleichberechtigter Mit- bürger akzeptiert – ganz unabhängig vom formalrechtli- Für Die Linke ist es demokratiepolitisch bedenklich, chen Status. wenn die Einbürgerung von der sozialen Integration von Migrantinnen und Migranten abhängig gemacht wird. Es Die Staatsangehörigkeit sollte für Migranten genauso ist für uns ein demokratiepolitisches Problem, wenn eindeutig entschieden sein wie für geborene Mitbürger. Menschen der Zugang zur Staatbürgerschaft ihres Wohn- Es ist schon zu fragen, warum Migranten diesbezüglich landes erschwert wird bzw. weitgehend verschlossen (B) gegenüber den geborenen Deutschen privilegiert werden bleibt. (D) sollen. Dass Grüne und Linke diese Frage nicht stellen, heißt nicht, dass die Menschen in diesem Land sie nicht Genau dies ist in der Bundesrepublik aber der Fall, stellen. Grüne und vor allem Linke ignorieren vorsätzlich, wie die rückläufigen Einbürgerungszahlen zeigen. So dass erfolgreiche Zuwanderungsländer wie die USA sehr wurde im Jahr 2000 mit 186 688 Einbürgerungen zwar wohl von ihren Neubürgern ein klares und ausschließli- ein Höchststand erreicht, doch lässt sich dieser im We- ches Bekenntnis zu ihrem neuen Staat fordern. Die USA sentlichen mit Sonderfaktoren der damaligen Gesetzes- verlangen beispielsweise in ihrem Einbürgerungseid einen änderung erklären. Seitdem sank die Zahl der jährlichen unmissverständlichen und nachdrücklichen Loyalitäts- Einbürgerungen kontinuierlich auf bis zu 127 153 im schwur der Neubürger und zugleich eine explizite Ab- Jahr 2004 und nur noch 113 030 im Jahr 2007 ab. Der sage an bisherige staatsbürgerschaftliche Loyalitäten. Rückgang von 2000 bis 2007 beträgt zwischen 32 und Nur so kann nach US-Auffassung sowohl dem Neubür- 40 Prozent. ger als auch den Alteingesessenen das Gefühl vermittelt Im europäischen Vergleich schneidet die Bundesrepu- werden, jetzt zur neuen Staatsgesellschaft wirklich dazu- blik Deutschland ohnehin schlecht ab. Auch die sehr zugehören. niedrige Einbürgerungsquote ist ein absolutes Desaster. Eine Einbürgerungsregelung, die von weiten Teilen Von den Menschen ohne deutschen Pass haben sich ge- der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, stärkt keinesfalls rade mal 1,56 Prozent im Jahr 2007 einbürgern lassen. die Akzeptanz von Migranten. Das allerdings wäre kon- Doch daran will die Bundesregierung nichts ändern. traproduktiv und hilft auf dem Weg zu wirklicher Inte- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schafft es die Bun- gration von Migranten in unsere Gesellschaft nicht wei- desregierung gerade mal, auf Urteile des Bundesverfas- ter. sungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zu Die Vorschläge der Linken würden den bisherigen reagieren. Darin wurde die Bundesregierung aufgefor- Grundfehler deutscher Zuwanderungs- und Integrations- dert, eine klare spezialgesetzliche Regelung zur Rück- politik verschärfen. Dieser Fehler ist, so zu tun, als gäbe nahme der Staatsangehörigkeit zu erlassen. Doch die es keine Anforderungen und keine Werte in der deut- Bundesregierung belässt es nicht einfach dabei, die schen Gesellschaft, die zu bewältigen, zu beherzigen Rücknahme bzw. den Entzug der Staatsangehörigkeit zu oder abzuverlangen sind. Die Linken haben die Diskus- regeln. Nein, wie so oft im Ausländerrecht wird eine sion der letzten fünf Jahre zum Thema „Toleranz durch Doppelbestrafung eingeführt. Damit diese Regelung Wegschauen“ verschlafen und wollen blind den Weg for- nicht auch nur ansatzweise einen positiven Beige- cieren, der überhaupt erst in Deutschland, Frankreich, schmack erhält, wird noch zusätzlich eine Strafvorschrift Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20225

(A) eingeführt. Für unrichtige oder unvollständige Angaben schaffung des Optionsmodells und die generelle Mög- (C) zur Erschleichung der Staatsangehörigkeit soll eine Frei- lichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft eintreten.“ Es heitsstrafe von bis zu fünf Jahren verhängt werden kön- bleibt bei der SPD dabei: Seit 15 Jahren – davon übri- nen. So sieht das Rechtsstaatsverständnis der Bundesre- gens zehn Jahre an der Regierung – nur Gerede. Ver- gierung und insbesondere der CDU/CSU aus. schärfungen der Gesetzeslage werden unterstützt und mit der CDU/CSU durch das Parlament getrieben, und Das ist nicht nur völlig unverhältnismäßig, sondern wenn es mal um Verbesserungen für Migrantinnen und sichert den Drang der Bundesregierung nach sozialer Se- Migranten geht, kommt nur heiße Luft. lektion zusätzlich ab. Denn unrichtige Angaben werden vermutlich am ehesten noch zu den Fragen der Lebens- Mit unserem Antrag „Einbürgerung erleichtern – Aus- unterhaltssicherung gemacht. Da spielt es dann keine grenzungen ausschließen“ soll die Einbürgerung bundes- Rolle, ob lediglich ein Anspruch auf Sozialleistungen weit erleichtert und hierdurch das Signal an die in bestand, der aber nicht angegeben wurde, da dieser nicht Deutschland lebende Bevölkerung vermittelt werden, wahrgenommen wird. Wir lehnen nicht nur die Strafvor- dass Menschen mit Migrationshintergrund als gleichbe- schrift ab. Die Linke lehnt auch das Erfordernis der Le- rechtigter Teil dieser Gesellschaft angesehen werden. bensunterhaltssicherung ab. Die Staatszugehörigkeit und Einbürgerungen sollen nach fünfjährigem tatsächlichen politische Gleichberechtigung dürfen nicht vom Ein- Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik möglich sein. kommen abhängig sein. Dazu sind nach unserer Auffassung mündliche Sprach- kenntnisse ausreichend. Wir wollen die Staatsangehörig- Genauso wenig dürfen in einem Land geborene Kin- keit per Geburt – ius soli – und die grundsätzliche der ungleich behandelt werden. Für uns ist das eine Ermöglichung der Mehrfachstaatsangehörigkeit. Außer- Frage der Gerechtigkeit. Für alle Kinder müssen die dem müssen Einbürgerungen unabhängig vom Einkom- gleichen Grundvoraussetzungen für ihre Entwicklung men sein. Das bedeutet auch, dass die Einbürgerungsge- geschaffen werden. Dies kann nur über die automatische bühren radikal gesenkt werden müssen. Einbürgerung bei Geburt im Inland geschehen. Diese bei Volljährigkeit der Kinder dann wieder infrage zu stellen Leider will eine Mehrheit in diesem Parlament keine und sie zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit oder erleichterte Einbürgerung und vereinfachte Einbürge- der ihrer Eltern entscheiden zu lassen, ist absurd. Dieser rungsverfahren. Entscheidungszwang wird der Lebenssituation der mit Nun, das sagt einiges über dass Demokratieverständ- mehreren Staatsangehörigkeiten aufgewachsenen jungen nis der Parlamentsmehrheit aus. Erwachsenen nicht gerecht.

Herr Wolff von der FDP hat der Linken in seiner Rede Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) (D) zur ersten Lesung unseres Antrags zur Optionspflicht NEN): Die Einbürgerungszahlen in Deutschland liegen – siehe Plenarprotokoll 16/183 auf Seite 19573 – vorge- nach drei schwarz-roten Jahren im Keller. Im Jahr 2007 worfen, wir wollten durch die Abschaffung der Options- sind sie nochmals um 9,5 Prozent zurückgegangen und pflicht den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit so liegen nunmehr auf dem Niveau von vor 1991. Und die billig wie möglich machen und wir würden damit ideolo- Große Koalition? Ihnen fällt außer warmen Worten und gisch an der Gesetzgebung herumschrauben. Doch ha- einer reichlich schlichten Werbekampagne anscheinend ben wir nichts anderes gefordert als der Sachverständige gar nichts ein, wie Sie diesen negativen Trend umkehren der FDP in der Anhörung zum Staatsangehörigkeits- könnten. Im Gegenteil: Sie haben das Thema Einbürge- recht. Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann hat sich – wie übri- rung komplett aus dem Nationalen Integrationsplan aus- gens auch alle anderen Sachverständigen – eindeutig geklammert; Sie haben die Einbürgerungsmöglichkeiten gegen die Optionspflicht ausgesprochen. Dies ist nach- für junge Migrantinnen und Migranten verschärft; Sie zulesen in seiner Stellungnahme Ausschussdrucksache haben einen absurd unintelligenten Einbürgerungstest 16(4)311 C. In dieser plädiert er dann auch entsprechend eingeführt, der – im deutlichen Unterschied zu der Will- für eine ersatzlose Abschaffung. kommenskultur der USA – Ausdruck kleinkarierten Misstrauens und des Willens zur Abschreckung gegen- Viel Schaumschlägerei veranstaltet ja auch die SPD über einbürgerungswilligen Personen ist; schließlich hal- immer wieder gerne; so auch bezogen auf die Forderung ten Sie – entgegen des Rats von sieben der acht Sachver- nach der Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit. ständigen in der diesbezüglichen Innenausschussanhö- Herr Wiefelspütz hat Initiativen der SPD zur Ermögli- rung – an dem unsäglichen Optionszwang fest. chung der doppelten Staatsangehörigkeit im Deutschen Bundestag bereits am 26. Mai 1993 angekündigt; nach- Wir Grünen stellen heute unseren Gesetzentwurf zur zulesen im Plenarprotokoll 12/160 auf Seite 13575. Da- Liberalisierung des deutschen Staatsangehörigkeits- mals noch, um die Zustimmung der SPD zum sogenann- rechts zur Abstimmung. Wir schlagen darin unter ande- ten Asylkompromiss zu rechtfertigen. Sein Kollege rem vor, die Fristen für eine Anspruchseinbürgerung von Rudolf Körper tat selbiges in der Debatte vom 14. Juni acht auf sechs Jahre zu verkürzen; die Einbürgerung von 2007 zur Rechtfertigung der Zustimmung der SPD zum Migrantinnen und Migranten der ersten Zuwandererge- Richtlinienumsetzungsgesetz – Plenarprotokoll 16/103, neration zum Beispiel beim Nachweis von Deutsch- Seite 10591. Herr Bürsch von der SPD-Fraktion hat kenntnissen zu erleichtern; Mehrstaatigkeit nicht nur bei seine Rede in der Plenarsitzung vom 16. Oktober 2008 Unionsbürgern und Schweizern, sondern auch bei Ange- mit dem Satz beendet: „Daher wird die SPD über das hörigen besonders eng assoziierter Staaten wie der Tür- hier zu beschließende Gesetz hinaus weiter für die Ab- kei hinzunehmen; schließlich das sogenannte Options- 20226 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) modell auf dem Müllhaufen der Rechtsgeschichte zu zeichnung und die Anwendung von Düngemitteln zu re- (C) entsorgen, wo es dringend hingehört. geln, um die Versorgung mit Lebens- und Futtermitteln, pflanzlichen Rohstoffen sowie den Schutz der Anwender Diese Vorschläge entsprechen dem Grünen Integra- von Düngemitteln und der Gesundheit von Verbrauchern tionskonzept aus dem Jahr 2006, das den programmati- sowie von Tieren und des Naturhaushalts sicherzustellen. schen Titel „Perspektive Staatsbürgerschaft“ trägt. Un- Doch zeigt die aktuelle Praxis, dass es den Anforderun- sere Gesellschaft sollte es sich zur ureigensten Aufgabe gen, die an ein modernes Gesetz gestellt werden müssen, machen, alles zu tun, damit unsere künftigen Staatsbür- nicht mehr entspricht und aktuellen Entwicklungen nicht gerinnen und Staatsbürger so bald wie möglich die Vo- gerecht wird. Denn es hat sich gezeigt, dass neben den raussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen. bisherigen Regelungen zu Düngemitteln verstärkt auch Wir werden uns bei dem Gesetzentwurf der Bundes- Aspekte der Anwendung in der Praxis in das Gesetz auf- regierung der Stimme enthalten. Im Grunde werden hier genommen werden sollten. Aus diesem Grund ist ein die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Rück- Hauptaspekt des Gesetzes, dass es die Flexibilisierung nahme einer Einbürgerung bei arglistiger Täuschung der Zulassung von Düngemitteln, um teilweise lange weitgehend umgesetzt. Wir Grünen hatten in unserem Wartezeiten und damit einhergehende Rechtsunsicherheit oben genannten Gesetzentwurf vorgeschlagen, dass eine bei der Aufbringung neuer Düngemittel zu vermeiden, solche Rücknahme nur innerhalb eines Zeitraums von ermöglicht. fünf Jahren nach der Einbürgerung bzw. nicht rückwir- Des Weiteren war und ist das Gesetz die Grundlage kend, sondern nur mit Wirkung für die Zukunft vorge- für verschiedene Verordnungen, beispielhaft zu nennen nommen werden dürfte. sind hier die Düngeverordnung und die Düngemittelver- Wir kritisieren, dass die Bundesregierung vom Votum ordnung, die ja auch erst vor kurzem novelliert wurde. des Bundesrates nur einen restriktiven Punkt, nämlich die Einführung einer neuen Strafvorschrift, übernommen Diese gesetzgeberischen Aktivitäten zeigen, welche hat und nicht dessen – ja ohnehin äußerst seltenen – Vor- Notwendigkeit aktuell besteht, sich verstärkt mit der Be- schläge zur Liberalisierung staatsangehörigkeitsrechtli- deutung des Düngens von Nutzpflanzen im Rahmen der cher Vorschriften aufgegriffen hat. Wir Grünen halten Pflanzenproduktion der Land- und Forstwirtschaft in zum Beispiel – im Einklang mit dem Europäischen Über- Deutschland, aber auch im globalen Maßstab zu be- einkommen über die Staatsangehörigkeit vom 6. Novem- schäftigen. ber 1997, auf das das Bundesverfassungsgerichtsurteil Wir wissen alle, dass eine gezielte und auf den Nähr- 2 BvR 96/04 in RZ 25 ja auch Bezug nimmt – eine Al- stoffbedarf ausgerichtete Pflanzenernährung und Dün- tersgrenze für die Kinder der bzw. desjenigen, der bzw. gung unverzichtbarer Bestandteil einer nachhaltigen und (B) dem der deutsche Pass wieder entzogen werden soll, von zukunftsorientierten Landwirtschaft ist. Die ziel- und (D) 18 Jahren für rechtlich möglich und angemessen. Aber zweckgerichtete Düngung der Nutzpflanzen ist dabei mit Vorschlägen zur Liberalisierung und Humanisierung eine der entscheidenden Komponenten, denn nur mit des Staatsangehörigkeitsrechts ist diese Koalition allen ihrem Einsatz kann der steigende Bedarf an qualitativ Sonntagsreden zum Trotz offenkundig überfordert. hochwertigen Nahrungsmitteln auch in Zukunft gedeckt Aber Schlafmützigkeit ist augenscheinlich kein Privi- werden und können die Erträge der Kulturpflanzen auf leg der Regierungskoalition. Die FDP hat zum Beispiel hohem Niveau stabilisiert werden. gestern im Innenausschuss vorgeschlagen, im Hinblick Wir sind uns auch bewusst, dass eine langfristig tragfä- auf das sogenannte Optionsmodell erst einmal eine lang- hige Landwirtschaft neben der ökonomischen Entwick- wierige Evaluierung durchzuführen, ganz nach dem lung, der Forderung nach ausreichender Versorgung mit Motto: Wer nicht mehr weiter weiß, der gründet einen Nahrungsmitteln sowie ihren sozialen Aspekten auch die Arbeitskreis. Ein solcher Vorschlag ist aus meiner Sicht Belange des Umweltschutzes berücksichtigen muss. Wir reine Zeitverschwendung und geht einseitig zulasten brauchen daher Rahmenbedingungen, die eine hohe derjenigen Heranwachsenden, die schon heute gezwun- Nährstoffeffizienz ermöglichen. Die Nährstoffe können gen sind, sich zwischen der Staatsangehörigkeit ihrer El- dadurch besonders gezielt eingesetzt werden. Denn auf tern und derjenigen des Landes zu entscheiden, in dem diese Weise können wir die gezielte Nährstoffversor- sie leben und aufgewachsen sind. gung von Pflanzen mit den Forderungen des Umwelt- schutzes bestmöglich kombinieren. Anlage 23 Im Rahmen dieser Debatte muss aber auch die Effizienz eine besondere Rolle spielen, denn das Thema der Nähr- Zu Protokoll gegebene Reden stoffversorgung von Pflanzen hat nicht nur eine natio- zur Beratung des Entwurfs eines Düngegesetzes nale, sondern eine mehr als globale Dimension. (Tagesordnungspunkt 46) Im Jahr 2030 werden rund 8 Milliarden Menschen auf der Erde leben, also bis zu 40 Prozent mehr als heute. Johannes Röring (CDU/CSU): Mit dem heute zu Durch eine Verschiebung der Essgewohnheiten in vielen verabschiedenden Düngegesetz soll das Düngemittel- Teilen der Welt, durch verringerte Niederschlagsmengen gesetz von 1977 ersetzt werden. Dies derzeit geltende in Verbindung mit einem weltweiten Temperaturanstieg Düngemittelgesetz hat die Aufgabe, die grundsätzlichen ist des Weiteren von verstärkter Wasserknappheit auszu- Anforderungen an die Zusammensetzung, die Kenn- gehen, die unmittelbar zum Verknappen von Flächen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20227

(A) und zu absinkender Produktivität führt. Demzufolge eine gesunde und funktionierende Einheit darstellen. (C) wird die Versorgungsproblematik noch größer, da wir Eine Vernachlässigung führt schnell zu kaum reversiblen auch erkennen müssen, dass das weltweit verfügbare Schäden durch Wasser- oder Winderosion, Verdichtun- Ackerland wenig bis gar nicht ausgedehnt werden kann. gen oder Verschlämmungen mangels organischer Sub- Wir leben also in einer Welt, in der sich das Bevölke- stanz oder Umsetzung durch Klein- oder Kleinstlebewe- rungswachstum in besorgniserregender Weise erhöht, sen. Die Funktionsfähigkeit des Bodens lässt sich nicht wir folglich auf den vorhandenen Flächen mehr an- auf die Bereitstellung von Nährstoffen reduzieren; sie bauen, mehr Erträge erreichen müssen, um immer mehr umfasst sämtliche Bereiche der Bodenfruchtbarkeit. Da- Menschen satt machen zu können. her begrüße ich klare und auch strenge Vorgaben für die Anwendung und auch verbesserte Kontrollmöglichkei- Dazu ist es notwendig, eine hoch ertragreiche Land- ten für die Behörden der Länder. wirtschaft zu fördern, die besonders auch in Deutschland und Europa, mit den vielen sehr fruchtbaren Böden, ei- Organische Substanz und der Humusgehalt eines Bo- nen hohen Grad an Eigenversorgung sicherstellt, aber dens sind sein Aushängeschild. Sie geben Auskunft auch als Möglichkeit dient, den Weltmarkt zu beliefern, nicht nur über Standort und Klima, Bewuchs und Nähr- und die Anschauungsobjekt für zukunftsfähige Land- stoffaustauschvermögen, sondern auch über seine Be- wirtschaft auch in anderen Teilen der Welt ist. wirtschaftung und Lebendigkeit. Wir brauchen leben- dige Böden, um auch langfristig die Fruchtbarkeit zu Abschließend möchte ich noch einmal konkret auf das sichern. Nicht zuletzt stellen unsere Böden wichtige zu beschließende Düngegesetz Bezug nehmen und zusam- Senken für Kohlenstoff dar. Ein Hektar Ackerkrume mit menfassen, dass die Ablösung des Düngemittelgesetzes einem Humusgehalt von 2 Prozent beinhaltet allein in durch das Düngegesetz die Grundlage für regionalspezifi- den oberen 10 Zentimetern etwa 17 Tonnen Kohlenstoff. sche Vorgaben für die Düngung, die Flexibilisierung der Umgerechnet wären dies über 60 Tonnen Kohlendioxid Düngemittelzulassung, verbesserte Kontrollmöglichkeiten pro Hektar. Grünland hat einen durchschnittlichen Hu- und eine klarere Kennzeichnung von Düngemitteln schafft. musgehalt von 6,5 Prozent. Rechnen Sie sich das hoch Dadurch schaffen wir Rahmenbedingungen, die eine ge- auf 17 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, zielte und auf den Nährstoffbedarf ausgerichtete Pflanzen- und Sie werden den Stellenwert des Humusgehaltes in ernährung und Düngung in Deutschland sicherstellen. unseren Böden auch in unseren Bemühungen zur Treib- hausgasreduktion unschwer erkennen! Die Wertigkeit Gustav Herzog (SPD): Wir beraten heute in ab- unserer Böden ist eine wichtige Stellschraube, die unse- schließender Lesung ein neues Gesetz. Das Düngegesetz rer Aufmerksamkeit bedarf. wird das aus dem Jahr 1977 stammende und heute in (B) verschiedenen Punkten nicht mehr zeitgemäße Dünge- Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): Die Versorgung (D) mittelgesetz ablösen. Mit einem neuen Gesetz machen der Nutzpflanzen mit Pflanzennährstoffen ist eine we- wir bereits durch den Namen deutlich, dass wir neben sentliche Grundlage für eine nachhaltige Pflanzenpro- den Regelungen für die Zusammensetzung von Dünge- duktion. Nur mit einer ausgewogenen Nährstoffzufuhr mitteln, deren Kennzeichnung und Inverkehrbringen können das Ertragspotenzial der Pflanzen genutzt und einen stärkeren Akzent auch auf die Anwendung und die Bodenfruchtbarkeit erhalten werden, und das wie- Ausbringung setzen. So schaffen wir ein straffes, umfas- derum ist die Voraussetzung für die Versorgung der sendes und zugleich modernes, an die Bedürfnisse des Menschen mit preiswerten und qualitativ hochwertigen Marktes und des Bodenschutzes angepasstes Gesetz. Lebensmitteln. Gleichzeitig können unsachgemäße An- Wer sich das Gesetz anschaut, wird unschwer erken- wendung und ungeeignete Zusammensetzungen von nen, dass ein Großteil der Absätze mit dem Satz beginnt: Düngemitteln mögliche Gefahren für Gesundheit und „Das Bundesministerium wird ermächtigt …“ Das ist ei- Umwelt bergen. Hier gilt es, bestimmte Anforderungen nerseits notwendig; denn es stellt sicher, dass wir schnel- an Herstellung, Inverkehrbringen und Anwendung zu ler auf Veränderungen reagieren können als zuvor. Es ist stellen. jedoch andererseits auch ein erheblicher Vertrauensvor- Von daher ist es richtig, ein neues, modernisiertes Ge- schuss, den wir der Bundesregierung mit diesem Gesetz setz zu verabschieden, das die Grundlagen der Anwen- geben. Ich bin davon überzeugt, dass sie dem gerecht dung, des Inverkehrbringens, des Verbringens und der wird und auch zukünftig die Interessen des Ressourcen- Kennzeichnung von Düngemitteln regelt. Es ist damit schutzes wie auch die der Anbieter und Anwender von von zentraler Bedeutung für die deutsche Landwirtschaft Düngemitteln vertritt. und die Düngemittelindustrie. Boden, Wasser und Luft gehören zu unseren wichtigs- Hingegen ist es aus Sicht der FDP nicht richtig, durch ten Ressourcen. Sie sind Grundlage für die Zukunft un- diverse Doppelregelungen zusätzliche Bürokratie für die serer Ernährungssicherheit, und ihre Unversehrtheit mittelständische Landwirtschaft zu schaffen. Überregu- muss auch für alle zukünftigen Generationen gewähr- lierungen sind nicht zielführend, nicht praxis- und nicht leistet werden. Daher bedarf es unser aller Aufmerksam- umweltgerecht. Ein Düngegesetz darf niemals Details keit, die Fruchtbarkeit unserer Böden langfristig zu si- regeln wollen. Hier wird es scheitern. chern und, wenn möglich, zu verbessern. Dabei ist der Boden nicht als bloßes Nährmedium zu betrachten, son- Jede Fläche am jeweiligen Standort – mit der spezifi- dern als hochkomplexes System und als Lebensraum für schen Bodenart, dem Bodentyp, der Nährstoffversorgung, unzählige Lebensformen, die nur in ihrer Gesamtheit der Bodenbearbeitung, der Fruchtfolge, den Witterungs- 20228 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) und Anbauverhältnissen und Betriebsausrichtungen – Deshalb unterstützt Die Linke ausdrücklich die Forderung (C) hat spezielle Ansprüche an die Düngung. Deshalb ist ein des Weltagrarrates nach Landreformen. Aber Boden- zu eng gefasstes Gesetz ein schlechtes Gesetz. eigentum allein sichert keine Existenz. In vielen Regio- nen der Erde sind es ausgerechnet die Bäuerinnen und Stattdessen kommt dem Grundsatz der guten fachli- Bauern, die chronisch Hunger leiden. Fehlende Infra- chen Praxis eine entscheidende Rolle in der Landwirt- struktur, fehlende finanzielle Mittel, zum Beispiel für schaft zu. Die gute fachliche Praxis wird der Produktion notwendigen Dünger und Pflanzenschutzmittel, man- – dem Pflanzenbau, dem Boden, dem Wasser, dem Kli- gelnde Ausbildung oder Kriege, die die Landwirtschaft maschutz, der Umwelt – immer gerechter als die Einhal- zerstören, tragen zu mangelnder Versorgung bei. tung starrer theoretischer Vorschriften. Zudem ist sie im- mer von Nachhaltigkeit geprägt. Um 80 Millionen Menschen wächst die Bevölkerung Von daher lehnt die FDP-Bundestagsfraktion den vor- pro Jahr, dazu kommt steigendes Einkommen für viele liegenden Entwurf ab. Die Landwirte brauchen weniger Menschen in den Schwellenländern. Beide Faktoren füh- und nicht mehr Bürokratie. ren zu steigender Nachfrage nach Nahrungsmitteln und damit zu weltweit steigender Nahrungsmittelproduktion. Lassen Sie mich meine Kritik an zwei Beispielen ver- Die größten produktionstechnisch zu erschließenden Re- deutlichen: serven zur Steigerung der Weltnahrungsmittelproduktion liegen dabei nicht in den deutschen und (west-)europäi- § 4 des vorliegenden Gesetzentwurfs als Ermächti- schen Agrarregionen, sondern in vielen osteuropäischen, gung zum Erlass einer Verordnung zum Verbringen von asiatischen, südamerikanischen und afrikanischen Re- Düngemitteln ist überflüssig, da seine Inhalte auch in § 5 gionen. Die Mobilisierung dieser Reserven durch eine – Inverkehrbringen – mit geregelt werden können. Da- gerechte Verteilung des Zugangs zu den nötigen Res- mit hätte man eine schlankere Regelung, die weniger sourcen ist also der Schlüssel zur Erfüllung des Millen- praxisfern wäre und statt zu Bürokratieaufbau auch zu Bürokratieabbau führte. Beispielhaft möchte ich das niumsziels der Halbierung der Hungernden bis 2015. Verbringen von Gülle vom väterlichen Milchviehbetrieb Der Bedarf nach weltweit wachsender Nahrungsmittel- zum Ackerbaubetrieb des Sohnes anführen. Reichen hier produktion führt also auch zu steigendem Düngebedarf die Kriterien für das Inverkehrbringen nicht aus? gerade in vielen nichteuropäischen Ländern. Angesichts Ebenso bürokratisch ist die vorgesehene Schaffung der aber zum Teil begrenzten Reserven der dafür not- eines schlagspezifischen Düngekatasters. Die Aufzeich- wendigen Rohstoffe, zum Beispiel Phosphat, bedeutet nungspflichten sind auch jetzt schon umfassend geregelt. das, den in Deutschland und Europa eingesetzten Dünger effizient und umweltschonend wie rohstoffsparend ein- (B) Abschließend noch ein Wort zum Entschließungsan- zusetzen. Mal davon abgesehen, dass auch aus ökologi- (D) trag von Bündnis 90/Die Grünen zu dem Düngegesetz- schen Gründen im eigenen Land ein sinnvoller Umgang entwurf. Dieser wird den Anforderungen an die Praxis mit Düngung selbstverständlich sein sollte, schon allein nicht gerecht, denn er macht die Düngegesetzgebung an aus Kostengründen im betriebswirtschaftlichen Sinn. einem einzigen Bodenbestandteil – dem Humus – fest. Das wird allerdings den vielfältigen natürlichen Boden- Im Düngegesetz wird das zum einen durch die stär- verhältnissen nicht gerecht. Ein Sandboden zum Beispiel kere Berücksichtigung von Wirtschaftsdüngern erreicht wird niemals ein Humusboden, ein Ackerboden ist beim und zum Zweiten durch die einfacheren Verfahren, neue Humusgehalt niemals vergleichbar mit einem Dauer- Düngemittel und Düngeverfahren in die landwirtschaft- grünlandboden. Es gibt unzählige Varianten von Böden liche Praxis zu bringen. In den vergangenen Jahrzehnten – vergleichbar mit Individuen. Deshalb mein Fazit: Die- waren die Industrieländer Vorreiter in der Entwicklung ser Vielzahl natürlicher Verhältnisse gerecht zu werden, landwirtschaftlicher Verfahrenstechnik, und diese Rolle geht am sinnvollsten über die gute fachliche Praxis. ist gerade in Bezug auf die Effizienz und Umweltver- träglichkeit der Düngung von existenzieller Bedeutung. Aktuelle technische Entwicklungen, wie sie im Präzisions- Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Die Neufas- ackerbau schon angelegt sind, zeigen die Möglichkeiten sung des Düngegesetzes ist überfällig, auch die Linke umwelt- und ressourcenschonender Fortschritte. stimmt dem Gesetzentwurf der Bundesregierung und den Änderungsvorschlägen des Bundesrates zu, die sich Deutschland und Europa haben nach Ansicht der Lin- im Änderungsantrag der Koalition wiederfinden. ken nach wie vor die Verantwortung, aber auch die Die Düngung gehört neben Sortenwahl und Pflan- Potenziale zur Entwicklung innovativer und nachhaltiger zenschutz zu den wichtigsten landwirtschaftlichen Pro- Verfahren. Die Ressourcen dazu sind vorhanden, sie duktionsmitteln im Ackerbau. Sie bringt für Erträge, müssen verantwortlich genutzt werden. In Bezug auf die Ertragssicherheit und Qualität im Anbau von Kultur- Entwicklung der Agrarwissenschaften gibt es dabei An- pflanzen die größten Effekte. Allerdings ist bei ihrer lass zu Sorge. Der Stellenabbau in der Ressortforschung Verwendung durchaus Augenmaß geboten. und in den universitären und außeruniversitären Einrich- tungen geht weiter, die finanzielle und materielle Aus- Der Zugang zu landwirtschaftlichen Produktionsmit- stattung der Agrarwissenschaften wird im Vergleich zur teln hat eine herausragende Bedeutung beim Kampf um jüngeren Vergangenheit dürftiger. Wenn Wissenschaft die Durchsetzung des Rechts auf Nahrung. Die Grund- nur noch in Exzellenz-Dimensionen gedacht wird, hat lage bildet zunächst der Zugang zum Bodeneigentum. angewandte Forschung keine Chance auf Anerkennung. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20229

(A) Trotzdem oder gerade deshalb gilt es, jetzt nicht noch immer wieder betonen. Laut Cross-Compliance ist eine (C) mehr Grundlagen für eine leistungsfähige Agrarwissen- Humusbilanzierung nicht erforderlich, wenn ein Anbau- schaft in Deutschland zu zerstören, sondern die Krise der verhältnis von drei Kulturen mit mindestens 15 Prozent Agrarwissenschaften, die der Wissenschaftsrat attestiert der Bedeckung der Ackerfläche eingehalten wird. Das hat, zu beenden. Die Bedeutung unserer Rolle als reiche bekommen Sie mit drei humuszehrenden Kulturen wie Industrie- und Dienstleistungsnation muss ernst genom- Mais, Raps und Kartoffeln locker hin, obwohl sie den men werden, um Ressourcen für die Agrarforschung im Humusgehalt dabei ruinieren können. Selbst wenn Sie Dienst weltweit notwendiger Fortschritte aufbringen zu nur noch Mais anbauen, dann sind die Maßnahmen, die können. gemäß Cross-Compliance nach Anwendung der Humus- bilanzierung zu ergreifen sind, eher schwach. Auch die Im Entschließungsantrag der Grünen findet sich ins- Vorschrift des Bodenschutzgesetzes in § 17, „den stand- besondere eine Kritik an einer zu geringen Berücksichti- orttypischen Humusgehalt des Bodens insbesondere gung des Humus im Düngegesetz. Humus ist natürlich durch eine ausreichende Zufuhr an organischer Substanz ein wichtiger Faktor der Bodenfruchtbarkeit. Für den zu erhalten“, spielt in der Praxis wohl kaum eine Rolle, Humuserhalt im Acker zu sorgen, ist per se ein Interesse da das Bodenschutzrecht zur Art der Umsetzung nir- des Pflanzenbauers. Dabei kann man allerdings auch gendwo eine nähere Aussage macht. Von Kontrollierbar- über das Ziel hinausschießen: Allein die Höhe des Ge- keit und von Kontrolle kann so keine Rede sein. halts an organischer Substanz im Boden sagt noch nichts über die Humusqualität und Nachhaltigkeit des Acker- Eine größere Bedeutung für die landwirtschaftliche baus aus. Gerade in den sehr viehintensiven Regionen Praxis als das Bodenschutzgesetz hat sicherlich das Dün- im Nordwesten und Westen Deutschlands ist in den ver- gerecht. Deswegen war es Bündnis 90/Die Grünen ein gangenen Jahrzehnten der Humusgehalt gestiegen, was zentrales Anliegen, bisher humusfreie Düngemittel mit im Prinzip ja positiv ist. Bei dieser Debatte bleibt aller- organischer Substanz anzureichern. Es ist ein Versäum- dings unberücksichtigt, dass dieser Effekt nur aufgrund nis des Düngerechts, dass bisher weder der Humusgehalt des gewaltigen Futterimports aus aller Welt und des da- der Böden noch Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder mit sehr hohen Düngeniveaus organischer Wirtschafts- Wiederherstellung eines standort- und nutzungstypi- dünger wie Gülle oder Hühnertrockenkot möglich war. schen Humusgehaltes dort eine Rolle spielen. Dabei ist Aus Sicht des Humusgehaltes in den Böden mag das po- es Zweck des Gesetzes, die Bodenfruchtbarkeit zu erhal- sitiv sein, nachhaltig ist es nicht. ten und zu verbessern. Die Humusversorgung der Böden hat anerkanntermaßen einen erheblichen Einfluss auf die Noch immer liegt in der Gesamtbilanz Deutschlands ein Bodenfruchtbarkeit. Wie kann man im Düngemittelrecht durchschnittlicher Stickstoffüberschuss von über 70 kg N (B) die Düngung dann auf die Mineralstoffzufuhr reduzieren? (D) pro ha und Jahr vor. Das ist ein Wert, der nicht aus der Und warum regelt das Düngerecht die Mineralstoffzufuhr „mineralischen“ Düngung des reinen Ackerbaubetriebs bis ins kleinste Detail, während die ebenso wichtige Hu- stammt, sondern mit der hohen Nährstoffsättigung an musreproduktion völlig den Landwirten überlassen viehreichen Standorten zusammenhängt. Die Forderung der bleibt? Grünen, „Maßnahmen zum Erhalt oder zur Verbesserung des Humusgehalts“ in das Düngegesetz aufzunehmen, Aus diesem Grund sind wir Grüne froh, dass sich die schießt daher über das Ziel hinaus und lässt die vielen und Große Koalition immerhin dazu durchringen konnte, den wichtigen anderen Kennwerte der Bodenfruchtbarkeit un- Erhalt und die nachhaltige Verbesserung des standort- berücksichtigt. Die Linke wird daher dem Entschlie- und nutzungstypischen Humusgehaltes in den Gesetzes- ßungsantrag der Grünen nicht zustimmen. text aufzunehmen. Auch ist es ein Fortschritt, dass es zu- künftig zulässig sein soll, Düngemittel in Verkehr zu bringen, die den standort- und nutzungstypischen Hu- Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In musgehalt erhalten oder nachhaltig verbessern. Damit Sachsen enthalten laut Sächsischer Landesanstalt für wird Schluss damit sein, dass organische Substanz nur Landwirtschaft etwa 40 Prozent der Ackerböden zu we- zugeführt werden darf, wenn sie gleichzeitig auch einen nig Phosphor und Humus. Selbst wenn die Lage in ande- Beitrag zur Mineralstoffversorgung leistet. ren Bundesländern besser sein sollte, so zeigt diese Zahl doch eins: Es kann keine Rede davon sein, dass die Aber dies kann nur der erste Schritt sein. Es ist nötig, Landwirtschaft bereits heute flächendeckend für eine die Berücksichtigung des Humusgehaltes auch in den ausreichende Humusreproduktion auf Deutschlands weiteren Vorgaben des Düngerechts durchzubuchstabie- Äckern sorgt. Da hilft auch das ganze Gerede nichts, ren. Dies betrifft etwa die Kennzeichnungsvorgaben und dass die Landwirte schon aus Eigeninteresse für eine die Überwachung. Wichtiger noch sind aber Verord- ausreichende Humuszufuhr zum Boden sorgen würden. nungsermächtigungen bzw. die Einarbeitung in die Dün- Die Praxis sieht anders aus – und eigentlich weiß es auch geverordnung und die Düngemittelverordnung; denn vor jeder. allem diese sind in der Praxis relevant. Hier muss die Bundesregierung noch nacharbeiten. Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass die Auf- rechterhaltung und Herstellung eines standort- und nut- Um geeignete Maßnahmen zur Sicherung einer opti- zungstypischen Humusgehaltes bereits hinreichend in der malen Humusversorgung der Böden festlegen zu kön- guten fachlichen Praxis und in Cross-Compliance geregelt nen, wäre aus unserer Sicht die Humusbilanzierung ge- sei, wie es Vertreter des Bauernverbandes und der Union mäß VDLUFA-Standpunkt vorzugeben. Dies würde 20230 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) jedem Landwirt vor Augen führen, ob er tatsächlich ge- derung ist, wenn man weiter hohe Erträge ermöglichen (C) nug für die Humusreproduktion tut. Der Gewinn würde will, ist uns Bündnisgrünen bewusst. Aber gerade dies den Aufwand für einen großen Teil der Betriebe sicher macht die Größe der Herausforderung an das Dünge- überwiegen, auch wenn es im übrigen Bundesgebiet recht deutlich. Denn es ist durchaus möglich, die Effi- nicht annähernd so viele humusunterversorgte Böden ge- zienz der Stickstoffdüngung zu erhöhen, ohne die Er- ben sollte wie in Sachsen. träge erheblich zu vermindern. Der vorliegende Gesetzesentwurf reicht auch aus Nachdem ich nun gesagt habe, was uns am vorliegen- wasserpolitischer Sicht nicht aus. Die Gewässerbelas- den Gesetzentwurf noch fehlt, möchte ich doch noch tung mit Nitraten stammt zu einem großen Teil aus der einmal festhalten, dass das neue Düngegesetz im Ver- Landwirtschaft. Sie ist eine der Hauptursachen dafür, gleich zum bisherigen Düngemittelgesetz an vielen Stel- dass die Bundesrepublik die Ziele zum Erhalt der Biodi- len durchaus in die richtige Richtung geht und Fort- versität sowie die Qualitätsanforderungen der Wasser- schritte bringt. Begrüßenswert ist unter anderem, dass er Rahmenrichtlinie und auch des Meeresschutzes voraus- für die Ausbringung von Wirtschaftsdüngern strengere sichtlich nicht erreichen wird. Die Verminderung der Regeln schafft. Dennoch hätten wir, was die Humusre- Stickstoffüberschüsse in der Landwirtschaft muss des- produktion und die Stickstoffüberschüsse betrifft, noch halb vom Düngerecht stärker forciert werden. Dass die deutlichere Fortschritte erwartet. Deswegen werden wir Verminderung der Stickstoffüberschüsse eine Gratwan- uns in der Abstimmung zum Gesetzentwurf enthalten.

(B) (D)

Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44 ISSN 0722-7980