EISHOCKEY IN DER NHL

BERND SCHWICKERATH VERLAG DIE WERKSTATT Bernd Schwickerath

Die stärkste Liga der Welt

Eishockey in der NHL

VERLAG DIE WERKSTATT Bernd Schwickerath

Um Bernd Schwickerath, Jahrgang 1980, war es geschehen, als er 1993 sein erstes NHL-Spiel sah. Seitdem fasziniert ihn die Liga. Heute schreibt er über Eishockey für die „Westdeutsche Zeitung“, die „Frank- furter Allgemeine Zeitung“, „Spiegel Online“ und die „Eishockey News“. Er ist Co-Autor des Buches „111 Gründe, die Düsseldorfer EG zu lieben“ (2017) und Teil des Eishockey-Podcasts „Short- handed News“.

Bibliografsche Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografe; detaillierte bibliografsche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufar.

Auch als E-Book erhältlich: ISBN 978-3-7307-0427-1

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ISBN 978-3-7307-0403-5 Inhalt

Vorwort ...... 6

Teil I: Die Geschichte der NHL ...... 9

1840 BIS 1917:Der lange Weg zur NHL ...... 10 1917 BIS 1942: Eine Liga kämpf ums Überleben ...... 28 1942 BIS 1967: Die Original Six ...... 57 1967 BIS 1988: Große Erweiterung – große Erwartungen ...... 90 1988 BIS 2004: Ab in den Süden ...... 109 2004 BIS 2018: NHL 2.0 ...... 134

Teil II: Das System NHL ...... 163 Geschlossene Gesellschaf ...... 164 Alles NHL oder was? ...... 171 Von Topstars und Verschiebemasse ...... 188 Spieler aller Klubs vereinigt euch ...... 194 Die Macht der Medien ...... 204 Weltreisen und ein Tor für die Ewigkeit ...... 220 „Wir verkaufen Hass“ ...... 232 „Jeder Dritte wirf etwas ein“ ...... 245 „Ein Sport für Weiße“ ...... 256

Teil III: Die Deutschen in der NHL ...... 271 Von der „Knüpplerliga“ zum Sehnsuchtsort ...... 272 Uli Hiemer ...... 279 Uwe Krupp ...... 284 Olaf Kölzig ...... 291 Marco Sturm ...... 298 ...... 313 Christian Ehrhof ...... 319 Dennis Seidenberg ...... 327 ...... 334 Tom Kühnhackl ...... 341

Anhang ...... 347 Vorwort

Wer sich heute über US-Sport informieren will, hat es vergleichsweise leicht. Ein paar Klicks im Internet und schon öfnet sich eine Welt mit Texten, Statistiken, Fotos, Videos und Podcasts. Früher war das anders, da bekam man im alten Europa so gut wie nichts mit, was in den weltweit besten Ligen für Football, Baseball, Basketball und Eishockey passierte. So ging es auch mir mit der NHL. Gehört davon hatte ich immer mal wieder, seitdem mich mein Vater 1990 zum ersten Mal mit ins alte Eisstadion an der Düsseldorfer Brehmstraße schleppte. Natürlich hielt ich die DEG damals für die beste Mannschaf der Welt, sie gewann ja immer. Aber irgendwie schien es da noch etwas Besseres zu geben. Wenn wir mal wieder knapp zwei Stunden vor dem Spiel auf den vollbesetzten Stehrängen waren und auf das Einspielen und Einsingen warteten, beobachtete ich gern die Fans mit ihren rot-gelben Strickpullovern und den ganzen Aufnähern. Und hin und wieder gab es dort Wappen, die anders aussahen als die aus der Bundes- liga. Moderner, cooler. Die seien aus der NHL, aus Amerika, erklärte mir jemand, den ich wohl zu aufällig angestarrt hatte. Da spielen die Besten der Besten, sagte er. Das beeindruckte mich irgendwie, auch wenn ich mir mit meinen neun Jahren nicht wirklich etwas darunter vorstellen konnte. Als ich zwölf Jahre alt war, sah ich zum ersten Mal mit eigenen Augen, was damit gemeint war. Ich war bei einem Freund, wir schalteten durchs TV-Programm und fanden einen Sportsender, den ich nicht kannte. Und so kam es, dass ich am Nachmittag des 2. Juni 1993 mein erstes komplettes NHL-Spiel sah, die Wiederholung des ersten Final- spiels zwischen den Montréal Canadiens und den aus der Nacht zuvor. Ich wusste zwar mittlerweile, was die NHL ist, ich kannte ein paar Namen wie Wayne Gretzky und Mario Lemieux, hatte die ersten Sammelkarten zu Hause und auf dem Game Boy „Blades of Steel“ gespielt, aber ein komplettes Spiel hatte ich noch nie gesehen. Nicht nur das Geschehen auf dem Eis, die Dynamik, das Tempo und die Härte hatten es mir angetan, es war vor allem die Präsentation. Die Halle, das Licht, die Trikots, die Reporter, das damals noch anders, irgendwie cremiger aussehende Bild im US-Fernsehen. Die NHL hat mich seitdem nicht losgelassen. Ich habe wie verrückt Tradingcards gesammelt, Namen, Rückennummern und Statistiken aus-

6 wendig gelernt, Wappen abgemalt. Mit Freunden habe ich stundenlang Tischeishockey (Stiga) oder Computerspiele gezockt. Hin und wieder habe ich all mein Taschengeld zusammengekratzt, bin zum Haupt- bahnhof gefahren, um mir neben dem damaligen „Eishockey Magazin“ eine „USA Today“ zu kaufen. Ich verstand zwar maximal die Hälfe, aber ich schaute einfach Bilder an und lernte Statistiken. Dazu verschlang ich die leider nur kurzen Kapitel zur NHL in meinen ersten Eishockey-Bü- chern. Ein ganzes Buch über die NHL auf Deutsch, das wäre es doch, dachte ich mir. Immer wieder ging ich in Buchhandlungen und fragte nach, aber es gab nichts. Bis Klaus Zaugg seine „Liga der Titanen“ ver- öfentlichte. Der Gedanke, dass ich selbst ein NHL-Buch schreiben möchte, reife immer weiter in mir. Aber irgendwie traute ich es mir nicht zu, also fng ich gar nicht erst an. Und auch, wenn ich immer mehr Bücher aus Nordamerika hatte und schon lange Texte und Links auf meinem Com- puter sammelte, konnte ich mich nicht dazu aufrafen. Stattdessen star- tete ich 2014 meinen eigenen NHL-Blog „hockeynight.de“. Ich hielt es knapp zwei Jahre durch, fast jeden Tag etwas zu schreiben: reine News, aber auch aufwändige Analysen und historische Stücke. In dieser Zeit erschienen mehr als 600 Artikel auf dem Blog. Das Problem war nur: Es las fast niemand. Weil ich mit ein paar Freunden parallel den Videoblog „Shorthanded News“ ins Leben rief, wurde das alles neben meiner regu- lären Arbeit als Journalist zu viel. Also entschieden wir uns, alles neu zu bündeln. Ich stellte hockeynight.de ein, wir begruben den alten Video- blog, vergrößerten den Kreis und gründeten etwas Neues: „Shorthanded News“ als Podcast und Blog für das gesamte Eishockey. Und seitdem funktioniert es. Zudem veröfentlichte ich mit Christoph Ullrich mein erstes Buch, eins über die DEG. Eines Tages schrieb mich unser Agent (ja, ich habe nun einen Agenten!) an, ob ich nicht noch eine Idee für ein Eishockey-Buch hätte. Natürlich hatte ich die. Das Ergebnis davon haltet ihr gerade in euren Händen. Also habe ich knapp zwei Jahre recherchiert, Bücher und Zeit- schrifen gekauf, sie und weitere Texte gelesen, Videos und Filme gesehen, Podcasts gehört, Hintergrundgespräche und Interviews geführt sowie Reisen organisiert. Ich habe NHL-Spiele in den USA, in Schweden sowie Deutschland besucht und bin zu Weltmeisterschafen gefogen, um Spieler, Funktionäre und andere Journalisten zu trefen. Und ich habe geschrieben. Tagelang. Nächtelang. Immer wieder neue Kapitel. Manche sind direkt im virtuellen Papierkorb gelandet, andere habe ich

7 mehrmals umgeschrieben, wieder andere funktionierten gleich beim ersten Mal, ein paar Ideen ließen sich leider nicht umsetzen. Herausgekommen ist nun ein dreiteiliges Buch. Es beginnt mit der Historie der NHL, von den ersten organisierten Eishockey-Spielen bis zum Sommer 2018, mit all den großen Namen, Vereinen und Geschichten. Und vor allem den Schwierigkeiten. Die NHL, wie wir sie heute kennen, gibt es erst seit knapp 30 Jahren, andere sagen: seit dem Lockout 2004. Im zweiten Teil folgen einzelne Kapitel zum „System NHL“: Wie funktioniert die Liga heute? Wie kommt man überhaupt rein? Wie laufen Trades ab? Welche anderen Ligen gibt es im nordame- rikanischen Eishockey? Wie berichten die Medien? Wie vermarktet sich die NHL international? Hier werden auch dunkle Seiten thematisiert: Gewalt, Doping, Rassismus. Zum Abschluss gibt es ein paar Kurzport- räts der berühmtesten deutschen Spieler. Die spielten zwar selten Haupt- rollen, haben aber ihre Spuren hinterlassen. Was macht man zum Abschluss eines Vorworts? Man dankt, also: Vielen Dank an all die Historiker, deren Bücher ich gelesen und Filme ich gesehen habe. Auch wenn ich diverse Reisen und Dutzende Gespräche selbst geführt habe, ohne die großartige Vorarbeit anderer hätte ich dieses Buch nicht schreiben können. Exemplarisch stehen dafür D’Arcy Jenish, Jonathan Gatehouse und Stan Fischler. Dann bedanke ich mich beim Literaturagenten Martin Brinkmann, der mich bestärkt hat, das Buch auch wirklich zu schreiben. Natürlich gebührt mein Dank auch dem Verlag Die Werkstatt, der das Risiko eingeht, ein NHL-Buch zu veröfentlichen, besonders Lektor Simon Kraßort, der den Text akri- bisch durchgearbeitet und verbessert hat. Ebenfalls möchte ich mich bei Craig Campbell von der Hall Of Fame in Toronto bedanken, der mir in Sachen Fotos geholfen hat, dasselbe gilt für all die Leute, die ihre Bilder zur freien Verwendung ins Netz gestellt haben. Nicht zu vergessen sind natürlich die Menschen in meinem Umfeld, die mich und meine Launen in den vergangenen Monaten ertragen haben. Ein Buch zu schreiben, gerade ein solches, bedeutet einen ungeheuren Aufwand. Und zu guter Letzt: Vielen Dank an euch, liebe Leserinnen und Leser, sorgt dafür, dass sich all die Mühen gelohnt haben. Kommt gern mit mir ins Gespräch, widersprecht, wenn euch etwas nicht passt. Ihr erreicht mich über die Kanäle der „Shorthanded News“. Und nun: Viel Spaß beim Lesen.

Bernd Schwickerath im September 2018 TEIL I: DIE GESCHICHTE DER NHL 1840 bis 1917 Der lange Weg zur NHL

Wo fand das erste Spiel statt? Wer hat die Sportart in ihren Anfangs- jahren geprägt? Die Eishockey-Geschichte beginnt Jahrzehnte vor dem ersten NHL-Spiel, der heutige Sehnsuchtsort aller Spieler war nicht mal die erste Profi-Liga. Und sie war auch alles andere als von langer Hand geplant, sie entstand eher zufällig.

Wenn die Frage nach den Ursprüngen einer Sportart gestellt wird, gehen mit der ein oder anderen Nation schon mal die patriotischen Pferde durch. Jeder würde gern der Erste sein. Der, der der Welt eine Sportart geschenkt hat. Das ist im Eishockey nicht anders. Auch da werden Ansprüche angemeldet und zur Beweisführung alte Texte oder Zeich- nungen hervorgekramt, auf denen Spiele mit Stöcken und Bällen auf Eis beschrieben sind. Da wird großzügig darüber hinweggesehen, dass das meiste eher eine Art Eisgolf darstellt und weder Tore mit Torhütern noch Zweikämpfe zu sehen sind, schreibt Horst Eckert in seiner „Eishockey Weltgeschichte“. Der seriöse Teil der Sporthistoriker ist sich spätestens seit der Veröf- fentlichung des McGill-Reports von 1943 einig, dass die Ursprünge des heutigen Eishockeys in Kanada zu fnden sind. Irgendwann zwischen 1840 und 1880. Irgendwo zwischen den alten Freizeitgewohnheiten der nordamerikanischen Ureinwohner und denen der europäischen Siedler. Doch selbst innerhalb Kanadas gab und gibt es Streitigkeiten. War das erste Spiel nun in Kingston, Halifax oder Montreal? Bis heute gehen die Meinungen auseinander. Weil die Sportart wie viele andere an diversen Orten gleichzeitig weiterentwickelt wurde. Besonders hervorgetan haben sich dabei die Studenten eben jener McGill-Universität in Montreal. Die schrieben die ersten Regeln auf und führten entscheidende Neuerungen ein: den Torhüter, den neutralen Schiedsrichter, die Anzahl der Spieler, die Zeitbegrenzung, die ersten Linien, die Schutzausrüstung, die Trikots und den Puck. Einiges über- nahmen sie vom Rugby wie das frühere Verbot, nach vorne zu passen,

10 1840 bis 1917 Der lange Weg zur NHL

Wo fand das erste Spiel statt? Wer hat die Sportart in ihren Anfangs- jahren geprägt? Die Eishockey-Geschichte beginnt Jahrzehnte vor dem ersten NHL-Spiel, der heutige Sehnsuchtsort aller Spieler war nicht mal die erste Profi-Liga. Und sie war auch alles andere als von langer Hand geplant, sie entstand eher zufällig. Das erste offizielle Eishockey-Spiel der Welt fand 1875 im Victoria Skating Rink in Montréal statt. (Quelle: William Notman & Son)

Wenn die Frage nach den Ursprüngen einer Sportart gestellt wird, gehen oder Verhaltensregeln für Zweikämpfe. Zudem organisierten sie das mit der ein oder anderen Nation schon mal die patriotischen Pferde erste ofzielle Eishockey-Spiel in einer Halle – am 3. März 1875 im Vic- durch. Jeder würde gern der Erste sein. Der, der der Welt eine Sportart toria Skating Rink in Montreal. geschenkt hat. Das ist im Eishockey nicht anders. Auch da werden Dass es Soldaten und Studenten waren, die entscheidenden Anteil Ansprüche angemeldet und zur Beweisführung alte Texte oder Zeich- an der Weiterentwicklung und Verbreitung des Eishockeys hatten, ist nungen hervorgekramt, auf denen Spiele mit Stöcken und Bällen auf Eis kein Zufall. So war das bei den meisten modernen Sportarten, die beschrieben sind. Da wird großzügig darüber hinweggesehen, dass das ihre Wurzeln im damaligen britischen Weltreich hatten. Ursprüng- meiste eher eine Art Eisgolf darstellt und weder Tore mit Torhütern noch lich als Disziplinierungsmaßnahme für allzu draufgängerische Pri- Zweikämpfe zu sehen sind, schreibt Horst Eckert in seiner „Eishockey vatschüler oder als Training und Zeitvertreib für Soldaten konzipiert, Weltgeschichte“. trug die Kolonialmacht sie ab der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts Der seriöse Teil der Sporthistoriker ist sich spätestens seit der Veröf- nach Übersee. Dort wurden die Spiele von der oberen Mittelschicht fentlichung des McGill-Reports von 1943 einig, dass die Ursprünge des begeistert übernommen, abgeändert und zu eigenen Disziplinen wei- heutigen Eishockeys in Kanada zu fnden sind. Irgendwann zwischen terentwickelt. 1840 und 1880. Irgendwo zwischen den alten Freizeitgewohnheiten der Das soll in Nordamerika besonders intensiv verfolgt worden sein, um nordamerikanischen Ureinwohner und denen der europäischen Siedler. sich von den ungeliebten Kolonialherren abzugrenzen und die Sport- Doch selbst innerhalb Kanadas gab und gibt es Streitigkeiten. War das arten als etwas Amerikanisches zu verkaufen. Aus Rugby und Fußball erste Spiel nun in Kingston, Halifax oder Montreal? Bis heute gehen die wurde American Football, aus alten Schlagballspielen Baseball, das sehr Meinungen auseinander. Weil die Sportart wie viele andere an diversen schnell sehr viel populärer wurde als das urbritische Cricket. Eishockey Orten gleichzeitig weiterentwickelt wurde. entstand aus einer ganzen Reihe anderer Spiele: aus dem schottischen Besonders hervorgetan haben sich dabei die Studenten eben jener Shinty (später Shinney genannt), dem irischen Hurling und dem franzö- McGill-Universität in Montreal. Die schrieben die ersten Regeln auf und sischen Hoquet, aus alten Ureinwohner-Spielen, aus Lacrosse sowie aus führten entscheidende Neuerungen ein: den Torhüter, den neutralen Elementen von Rugby und Feldhockey. Schiedsrichter, die Anzahl der Spieler, die Zeitbegrenzung, die ersten Der vielleicht entscheidende Tag auf dem Weg dorthin kam im Linien, die Schutzausrüstung, die Trikots und den Puck. Einiges über- Winter 1856: Britische Soldaten, die zuvor im Krim-Krieg in Russland nahmen sie vom Rugby wie das frühere Verbot, nach vorne zu passen, gekämpf hatten, waren nach Kanada geschickt worden und hatten der

11 Legende nach Langeweile. Also lernten sie in den zugefrorenen Hafen- becken von Kingston und Halifax das Schlittschuhlaufen. Aber auch das soll sie nach einigen Wochen nicht mehr ausgefüllt haben. Bis sie sich ihre Shinney-Schläger und -Bälle schnappten und das ihnen bekannte Spiel aufs Eis übertrugen.

Eishallen tragen das neue Spiel in die Großstädte Der Anfang einer neuen Sportart war gemacht. Allerdings der einer zunächst regional und temporär begrenzten. Denn für Eishockey braucht es nun mal Eis. Das war im Winter kein Problem, gerade in ländlichen Gebieten oder weiter im Norden, wo Seen und Flüsse regel- mäßig zufroren. Im restlichen Land wurde das neue Spiel erst populär, als es ab etwa 1865 die ersten Eishallen gab. Die machten den Sport nicht nur unabhängig von Wetter und Jahreszeit, sie trugen ihn auch in die großen Städte und sorgten für eine Vereinheitlichung der Regeln. Zuvor spielten manche Teams mit Torhüter, manche ohne, es gab weder klare Größen der Tore noch einheitliche Zeitabschnitte oder eine feste Anzahl an Spielern. Meist konnte mitspielen, wer noch irgendwie auf den See passte. An den ersten Spielen in den 1850er Jahren sollen bis zu 200 Spieler beteiligt gewesen sein. 25 Jahre später, mit einer mehr oder weniger einheitlichen Eisgröße in den Hallen und klaren Eiszeiten, war das erstmals anders.

Vorreiter des neuen Sports: Die Studenten der McGill-Universität in Montréal im Jahr 1901. (Foto: William Notman & Son)

12 Beim berühmten Pre- mierenspiel im März 1875 in Montreal standen nur noch acht Spieler pro Team auf dem Eis, die Zeit wurde auf 60 Minuten begrenzt, und damit der (Holz-)Ball nicht mehr springt und ständig ins Publikum f iegt, wurde er an den Seiten abgeschnitten. Der Puck, wie wir ihn heute kennen, war geboren. Ebenso ein ganzer Sport, der nicht Der ursprüngliche Stanley nur Aktive, sondern vor allem in den rasant Cup – noch ohne seinen berühmten Sockel. wachsenden Großstädten auch Zuschauer und damit Sponsoren anlockte. Um die 500 Besucher sollen das erste Spiel, das sogar in der Zeitung angekündigt und hinterher besprochen wurde, gesehen haben. Noch im selben Jahr grün- deten sich allein in Montreal fünf Eishockey-Vereine, die regelmäßig in vollen Hallen spielten. Das neue Spiel erregte gar so viel Aufsehen, dass es sich binnen weniger Jahre zu einem Massenphänomen in ganz Kanada und im Norden der USA entwickelte. War es vorher meist ein lockerer Zeit- vertreib ohne feste Strukturen, gründeten sich nun Hunderte Mann- schaf en und Vereine. Zunächst an Schulen, Universitäten und in teu- reren Wohngegenden, in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts auch innerhalb der neuen städtischen Gesellschaf sschichten der Angestellten und der Arbeiter, die durch Gesetzesänderungen und Arbeitszeitverkür- zungen ein modernes Freizeitbewusstsein entwickelten. Und die davon prof tierten, dass vor allem in den Metropolen immer mehr Eishallen gebaut wurden und erste Firmen Schlittschuhe, Schläger oder Schutz- kleidung in Massenproduktion herstellten und entsprechend günstiger anbieten konnten. Bis dahin war Eishockey ein reiner Zeitvertreib für die Mittel- bis Oberschicht, die sich die Ausrüstung leisten konnte und auch entsprechend viel Freizeit für derlei Hobbys hatte, schreibt der Autor Daniel Mason. Trotzdem gab es bereits in den 1870er Jahren genügend Mannschaf en, um erste Verbände und Ligen zu gründen. In Québec City, Kingston, Halifax und natürlich Montreal sind erste Amateurligen nachweisbar. Auch die vorerst berühmteste Liga entstand 1886 in Montreal, die Ama- teur Hockey Association of Canada (AHAC). Bereits ab 1893, fast 25 Jahre vor der Gründung der NHL, stritten sich die Teams der AHAC sowie die

13 Mannschafen der Nachfolgeligen um die bis heute und wohl bis in alle Tage berühmteste Trophäe des Eishockeys: den . Den hatte Frederick Arthur Stanley (zwischen 1886 und 1893 als Lord Stanley of Preston bekannt), der britische Generalgouverneur von Kanada (1888 bis 1893), den Sportlern geschenkt. Lord Stanley hatte mit Eishockey zwar nichts am Hut, dafür seine Kinder umso mehr. Seine Tochter spielte selbst, seine Söhne waren mit dem ebenfalls aus England stammenden Lord Kilcoursie befreundet, der ein begeisterter Eisho- ckey-Spieler war und sich regelmäßig ärgerte, dass sein liebstes Hobby immer noch nicht mehr war. Im Gegensatz zu Fußball und Rugby, die in seiner englischen Heimat bereits in Profligen organisiert waren. Und erst recht im Vergleich zum Baseball, der in den USA schon seit 1869 professionell betrieben wurde, Hunderte Spieler und Funktionäre ernährte und Millionen Fans begeisterte. Also überredete er Lord Stanley, einen Pokal zu stifen, der unter den Siegern der Regionalmeisterschafen ausgespielt werden sollte. Das sollte dem Lord nicht nur Sympathien einbringen, das sollte auch die Professionalisierung und die Vermarktung des neuen Sports ankurbeln. Lord Stanley tat wie ihm geheißen, kaufe den Cup für 10 Guines (umgerechnet knapp 50 US-Dollar, was 2017 etwa 1.326 Dollar entspräche) in London und ebnete dem Eishockey damit den Weg in eine große Zukunf. Durch den ofziellen Pokal eines wich- tigen Politikers wurde nicht nur der Wettbewerb aufgewertet, von nun an berichteten auch die Medien immer häufger über den Sport. Am 22. März 1894 wurde das erste Finale um diese Trophäe ausge- spielt (1893 bekam sie der Gewinner der AHAC-Liga), von da an wurde der Pokal jedes Jahr vergeben, in den ersten Jahren ausschließ- lich an Amateurteams.

Die ersten Profiligen Das änderte sich erst nach der Jahrhundertwende, als durch Zuschauer sowie Sponsoren immer mehr Geld in den Sport kam und die ersten Aktiven und Funktionäre von ihm leben konnten. Zumindest über die Wintermonate. Zunächst galt das lediglich für die Betreiber der Eis- hallen und manche Spieler, die unter der Hand bezahlt wurden. 1904 änderte sich aber auch das, als die International Professional Hockey League (IPHL) an den Start ging, die erste Eishockey-Profliga der Welt. Das passierte aber nicht im Epizentrum des neuen Sports in Montreal, wo nahezu alle wichtigen Fortschritte erzielt wurden, das passierte nicht

14 mal in Kanada, sondern im US-Bundesstaat Michigan. Dorthin hatte es Jack „Doc“ Gibson verschlagen, einen kanadischen Zahnarzt, der in seiner alten Heimat Ontario ein ebenso begeisterter wie begnadeter Eis- hockey-Spieler war. Und der sich nichts mehr wünschte, als seinen Sport als bezahlter Prof ausüben zu können, wie er es von anderen Sportarten her kannte. Doch die Chance dazu gab es in Kanada nicht. Der Verband in seiner alten Heimat, die konservative Ontario Hockey Association (OHA), war strikt dagegen. Weil er sich als Teil des viktorianischen Britannien ver- stand und die auch in Deutschland bestens bekannten Ideale des „edlen Amateurs“ hochhielt. Und weil er sich „nach unten“ abgrenzen wollte. Nur wer sich den Sport selbst leisten könne, solle mitspielen. Wer nicht, der hat eben Pech gehabt. Eine „Elite, die ihren eigenen exklusiven Club betreibt“, sei die OHA gewesen, schreibt der Historiker Alan Metcalfe. Notfalls sperrte der Verband auch ganze Teams. So geschehen 1902, als die Mannschaf von „Doc“ Gibson die Regionalmeisterschaf gewann und jeder Spieler von der Stadt dafür einen Silberdollar bekam. Für den Verband war das bereits zu viel. Fortan durfen Gibson und seine Mitspieler nicht mehr in Ontario Eishockey spielen. Die Professionalisierung konnte das Verbandsveto gegen Gehaltszahlungen dennoch nicht aufalten. Denn das Geld kam nun automatisch in den neuen Sport – und es musste irgendwo hin.

Neue Fans – neues Geld Das lag am neuen Publikum. Wenn auch eher selten als Aktive auf dem Eis, so strömten nach der Jahrhundertwende immer mehr Arbeiter als Zuschauer in die Hallen. Die wollten sich im Gegensatz zum Bürgertum oder den Studenten zuvor eben nicht nur die Zeit auf den Tribünen ver- treiben, um persönlich Bekannten beim Spielen zuzusehen. Die Men- schen aus den industrialisierten Ballungszentren und Bergbaugebieten suchten nach einem Ausgleich vom harten Berufsalltag, nach einem Ventil. Dazu passte die harte und emotionale Gangart beim Eishockey. Und weil ihnen die meisten Aktiven unbekannt waren, wurde das Team wichtiger als der einzelne Spieler. Folglich stieg die Identifkation mit den Mannschafen, was wiederum die Ergebnisse der Spiele wichtiger werden ließ. Man wollte die Fans ja bei Laune halten. Was durch die höheren Zuschauerzahlen und die dadurch steigenden Einnahmen kein

15 Problem war. Plötzlich hatten die Vereine Geld, um der Konkurrenz die besten Spieler abzujagen. Mittlerweile waren Spielerwechsel und geheime Zahlungen längst an der Tagesordnung. Daran änderten auch Strafen, Sperren und öfentli- ches Wehklagen des Verbands nichts. Je weiter der Sport in die Arbeiter- klasse vordrang, desto weniger verband Spieler und Zuschauer mit den Gepfogenheiten und Moralvorstellungen der britisch geprägten Mittel- bis Oberschicht. In den USA war das ohnehin längst der Fall. Prof-Baseball war seit Jahrzehnten ein gut funktionierendes Business, das im Alltag vieler US-Bürger eine wichtige Rolle spielte. Auch in anderen Sportarten wurde ofen gezahlt. Kurz nach der Jahrhundertwende galt das nun auch fürs Eishockey, als sich in der Arbeiterstadt Pittsburgh die erste semi- professionelle Liga gründete, die Western Pennsylvania Hockey League (WPHL). Die bot vor allem den Spielern ein Zuhause, die in ihrer kana- dischen Heimat gesperrt worden waren. Und weil es zu der Zeit noch zu wenige talentierte US-Spieler gab, machten sich Dutzende Kanadier auf den Weg nach Pittsburgh, um bei einem der vier Teams der WPHL ganz legal Geld zu verdienen. „Doc“ Gibson wiederum tat das im Portage Lake Hockey Club. Er selbst hatte den Klub aus der Minenstadt Houghton in Michigan unweit der kanadischen Grenze als ersten Vollprofverein aufgebaut und sollte sich nun an den Funktionären in der alten Heimat rächen. Gibson holte immer mehr Kanadier nach Michigan, wo sie unter professio- nellen Bedingungen trainierten. Irgendwann spielten in Portage Lake so viele talentierte Kanadier, dass der Klub als der beste in den gesamten USA galt. Sogar besser als der Meister der WPHL aus Pittsburgh, der am Ende der Saison immer auf Portage Lake traf, um den US-Meister auszuspielen. Irgendwann konnten die semiprofessionellen Teams aus Pittsburgh nicht mehr mithalten. Und weil es den kanadischen Klubs von ihren Verbänden verboten wurde, gegen die Profs aus den USA zu spielen, gingen Gibson und seinem Klub die Gegner aus. Es musste etwas geschehen. Und es geschah etwas. Möglich machte das die Hilfe von James R. Dee, einem erfolgreichen Geschäfsmann aus Houghton, der seit Jahren als Fan zu den Spielen des Portage Lake Hockey Clubs ging. Dee wollte aber nicht mehr nur gutes Eishockey in seiner Heimatstadt sehen, er wollte auch daran verdienen. Also ließ er die größte und modernste Eishalle Amerikas errichten, das Amphidrome, ein protziger Bau, der mit seinen Türmen nicht zufällig

16 an ein Schloss erinnerte. 5.000 Zuschauer fanden dort rund um die Eis- fäche Platz.

Dee und Gibson – die „Väter des professionellen Eis hockeys“ Was noch fehlte, waren die passenden Gegner in einer reinen Prof- liga. Also verhandelte Dee mit den Teams der WPHL aus Pittsburgh sowie mit potenziellen Mitstreitern aus anderen Städten, die durch ihre Kupferminen zu Reichtum gekommen waren. Zunächst standen sogar Teams aus Montreal, Detroit, Chicago und anderen Großstädten zur Diskussion, doch daraus wurde nichts. Dee fand trotzdem genügend Mitstreiter für seine ehrgeizigen Pläne. 1904 war er am Ziel, als neben seiner Lieblingsmannschaf aus Portage Lake auch welche aus den Kup- ferstädten Calumet und Sault Ste. Marie in Kanada sowie aus Pittsburgh und Sault Ste. Marie in Michigan einstiegen. Sie gründeten die Interna- tional Hockey League, die erste reine Eishockey-Profliga der Welt. Bis heute gelten Dee und Gibson deswegen als „Väter des professionellen Eishockeys“. Nun fehlten nur noch die passenden Spieler für die fünf Teams. Immerhin wollte der Geschäfsmann dem Publikum „das beste Eis- hockey bieten, das man für Geld bekommen kann“, erzählt Laine Dre- wery in einer CBC-Dokumentation im Jahr 2006. Also beaufragte Dee seinen alten Bekannten „Doc“ Gibson. Der Zahnarzt sollte nach Kanada reisen und die besten Spieler des Landes davon überzeugen, in Michigan für Geld zu spielen. Schwer war das nicht. Denn die IPHL war die Chance, auf die viele Spieler seit Jahren gewartet hatten. In den Wochen vor dem Saisonstart entschied sich fast täglich ein wei- terer Topspieler für einen Wechsel in den Süden, was die örtlichen Zeitungen immer euphorischer ver- kündeten. Die neue Liga wurde schnell ein Erfolg. Die Fans kamen in Strömen

Cyclone Taylor, der erste Eishockey- Superstar, verdiente bereits mehr Geld als der Premierminister.

17 und fuhren sogar zu Auswärtsspielen ihrer Teams, die Bahn setzte erste Sonderzüge ein. Die Zeitungen waren voll von Spielberichten und Geschichten über die Teams und ihre Spieler. Und in den Salons wurde feißig auf die Spiele gewettet. Obwohl die Vereine fast ausschließlich in kleinen und eher wenig attraktiven Arbeiterstädten zu Hause waren, verließen selbst absolute Topspieler ihre kanadische Heimat, um in der neuen Liga Geld zu ver- dienen. 15 bis 40 Dollar gab es mindestens pro Woche. In nur zehn Wochen konnte ein Eishockey-Spieler das verdienen, was ein Indust- riearbeiter im ganzen Jahr bekam (knapp 375 Dollar). Selbst Gehälter von mehr als 1000 Dollar waren keine Seltenheit. Das bekam man im normalen Berufsleben nicht mal als Vorarbeiter oder gehobene Büro- kraf. Nicht selten gab es darüber hinaus gutbezahlte Jobs für die spiel- freie Zeit. Möglich machten das die lokalen Minenbesitzer. Als in der zweiten Saison auch Frederick „Cyclone“ Taylor, der beste Spieler seiner Zeit und ein Superstar in Kanada, in die IPHL wechselte, wähnten sich die Macher am Ziel. Taylor verdiente stolze 3000 Dollar für die Saison, mehr als der kanadische Premierminister. In Kanada wurden sie derweil zunehmend nervös. So gut wie jeder Topspieler wollte nun weg, was den heimischen Fans und den Kommen- tatoren in den Zeitungen gar nicht gefel. Doch anstatt dem Problem mit einer Öfnung zu begegnen und selbst Prof-Eishockey zuzulassen, ver- suchte es der Verband aus Ontario mit Härte: Er erließ eine neue Regel, nach der jeder Spieler, der in der IPHL spielte, für sämtliche Vereine in Kanada gesperrt wurde. Es blieb beim Versuch. Jeder Spieler, der etwas auf sich hielt, wollte nun einen Platz in der neuen US-Liga haben. Der Traum vom dauerhafen Reichtum war trotzdem schnell vorbei, nach nur drei Jahren war Schluss mit der IPHL, die von sich aus stets funktioniert hatte. Doch die Wirtschafskrise hatte den Kupfermarkt im Norden Michigans hart getrofen. Zahlreiche Minen mussten schließen, die Arbeiter zogen weiter, so taten es auch die Eishockey-Spieler. Aus den eben noch boomenden Bergarbeiter- wurden binnen weniger Monate Geisterstädte. Investor James Dee wandte sich dem Filmgeschäf zu. Und als hätte es noch eines Symbols für das Ende des Prof-Eishockeys in Michigans Kleinstädten bedurf, brannte das mächtige Amphidrome nur wenige Jahre später bis auf die Grundmauern nieder. Für das professionelle Eishockey war das Aus der ersten Liga aller- dings weniger dramatisch. Im Gegenteil: Die IPHL hatte bewiesen, dass die Zeit der reinen Amateurligen vorbei war. Auch die konserva-

18 tiven Kanadier konnten sich nicht mehr gegen die Professionalisierung wehren, wie der Historiker Jack Falla sagt: „Die Liga war wichtig, denn zum ersten Mal war der Sport ofen für Professionalität. Nun gab es keine Heuchelei mehr wie: ,Oh nein, wir sind nur Amateure, ignoriere bitte, dass du nach dem Spiel einen 20-Dollar-Schein in deinem Schlitt- schuh fnden wirst.‘ Jetzt hieß es: ,Es ist Showbusiness, es ist Unterhal- tung, lasst sie uns bezahlen und die Show genießen.‘“ Ein Showbusiness, beste Unterhaltung lieferten fortan diverse Ligen, auch in Kanada. Die Teams waren nun längst keine Ansammlungen sportbegeisterter Freunde mehr. Wer in den immer neuen Profligen mitspielte, der verstand sich auch nicht mehr als gemeinnütziger Klub mit Jugendteams, Vereinsleben und sozialen Projekten. Die Vereine ver- standen sich als das, was Profsport-Teams bis heute sind: proftorien- tierte Unternehmen der Unterhaltungsindustrie. Mit Besitzern, profes- sionellen Managern, hauptamtlichen Trainern und bezahlten Spielern. Wollte ein neues Team in eine Liga, musste es sich nicht etwa sportlich qualifzieren, sondern sich schlicht einkaufen. Einen Auf- und Abstieg kannten die Ligen ebenso wenig wie heute. Wer drin war, war drin, wer nicht, der nicht. Und wer Geld verdiente, blieb auch drin. Wer nicht, der suchte schnell das Weite, versuchte sich in einer anderen Liga oder stieg aus dem neuen Business wieder aus. Weil es weltweit mittlerweile Dutzende professionelle Sportligen gab, die Millionen Fans anlockten und viele reiche Männer noch rei- cher machten, versuchten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auch diverse Eishockey-Ligen ihr Glück. Doch nichts war von Dauer, sie alle scheiterten recht schnell. Immer wieder zogen windige Geschäfsleute mit übergroßen Egos die Fäden und gingen im Streit auseinander. Meis- tens ging es ums Geld. Das foss nun in Strömen. Vor allem in den Ballungszentren Toronto, Ottawa und Montreal. Kleinstädte oder ländliche Regionen konnten kaum oder gar nicht mehr mithalten, das Zeitalter der Metropolen war angebrochen. Die hatten auch gern mal zwei oder drei Teams in einer Liga und bildeten erste regionale Rivalitäten, die die Begeisterung für die Liga noch weiter anheizte. Das galt vor allem für Montreal, wo es für die englisch- und fran- zösischsprachigen Bevölkerungsteile jeweils eigene Teams gab. Das galt aber auch für Toronto, das mit seinen Vororten bereits um 1900 fast eine halbe Million Einwohner hatte. Mit ihren großen Hallen, ihren vielen potenziellen Zuschauern und Sponsoren, mit ihrem Medienaufommen

19 sowie ihren Verdienstmöglichkeiten für die spielfreie Zeit hatten die Großstädte unschlagbare Vorteile gegenüber der Provinz.

Der Westen wacht auf Die Welle der Professionalisierung schwappte langsam auch in den Westen Kanadas, der in der bisherigen Entwicklung des neuen Natio- nalsports eine eher untergeordnete Rolle einnahm. Möglich machten das Joe Patrick und seine Söhne Lester und Frank, die selbst seit Jahren als Profspieler unterwegs waren. Ursprünglich kamen auch die Pat- ricks aus dem östlichen Bundesstaat Québec, doch 1907 brachen sie ihre Zelte in der alten Heimat ab, verkaufen ihr kleines Geschäf und nutzten das Geld, um in den weitestgehend unberührten Wäldern von eine Holzfabrik zu gründen. Die entwickelte sich schnell zur Goldgrube, nur vier Jahre später verkaufen sie die Firma, angeblich für eine Million Dollar, so jedenfalls berichtete es Laine Drewery. Doch zur Ruhe setzen wollten sie sich nicht. Jetzt ging es erst richtig los, denn nun hatten die Eishockey-verrückten Söhne endlich das Geld, um sich ihren Traum zu erfüllen: ihre eigene Profliga. Was allerdings eine riskante Idee war. Erstens regnet es an der Pazifkküste weitaus häu- fger, als es schneit, zweitens lebten dort Anfang des 20. Jahrhunderts längst nicht so viele Menschen wie im Osten. Selbst in , dem wirtschaflichen und kulturellen Zentrum British Columbias, waren es nach der Jahrhundertwende nur knapp 150.000. Lester und Frank ließen sich trotzdem nicht von ihren Plänen abbringen und steckten das Geld ihres Vaters in den Bau zweier Eishallen in Vancouver und Victoria, die ersten mit Kunsteis in ganz Kanada. Nur einen Monat nach der Fertigstellung der beiden Hallen im Dezember 1911 gründeten sie die Pacifc Coast Hockey Association (PCHA) und lockten zahlreiche Spieler aus Ontario und Québec mit dicken Gehalts- checks an. Darunter auch Superstar „Fred“ „Cyclone“ Taylor, der sich wieder mal fürstlich entlohnen ließ. Nicht ganz zufällig nannte sich sein Team . Die PCHA entwickelte sich zu einer der wichtigsten Ligen der Eis- hockey-Geschichte. Und das nicht nur, weil sie den Westen sowie Teile der USA (Seattle, Portland) eroberte, sondern weil sie das Spiel auf dem Eis für immer verändern sollte. Den Patrick-Brüdern – Spieler, Manager, Trainer, Ligabesitzer in einem – war eins bewusst: Zwei schicke Hallen und mehrere Topspieler würden langfristig nicht reichen, um Prof-Eis-

20 hockey im Westen zu einer Erfolgsgeschichte zu machen. Also trafen sie sich immer wieder mit „Cyclone“ Taylor, um Regeländerungen zu besprechen, die den Sport für die Zuschauer attraktiver machen sollten. Solche hatten sie bereits früher im Kopf, aber erst jetzt, als Besitzer ihrer eigenen Liga, konnten sie sie auch umsetzen. So führten sie Rückennummern ein, damit die Fans immer wussten, welcher ihrer Lieblingsspieler gerade den Puck hat. In ihrer Liga durfen sich Torhüter zum ersten Mal auf den Boden fallen lassen, um Schüsse abzuwehren, was deutlich mehr spektakuläre Paraden zur Folge hatte. Sie erfanden den Penaltyshot, weil sie wussten, dass die Zuschauer ein episches Eins-gegen-eins-Duell lieben würden. Sie führten Reihenwechsel und das dritte Drittel ein, damit die Spieler mehr Pausen haben, ftter sind und das Spiel am Ende nicht verfacht. Sie waren die ersten, die den Spielern Scorerpunkte für Assists gaben, und führten detaillierte Statistiken. Sie kamen auf die Idee, dass jedes Team ein Farmteam haben sollte. Sie erfanden die Play-ofs, um am Ende der Saison ein paar Entscheidungsspiele mehr zu haben. Und, als wichtigste Neuerung überhaupt, sie erlaubten den Spielern, den Puck nach vorne zu passen, und machten Eishockey damit zum schnellsten Mannschafssport der Welt. Von einem Tag auf den anderen wurde der Pass zur wichtigsten Wafe im ofensiven Eishockey. Vorher durfe der Puck wie beim Rugby immer nur nach hinten oder zur Seite gespielt werden. Erst diese entscheidende Regeländerung habe spätere Größen wie „Howie“ Morenz, Guy Lafeur oder Wayne Gretzky möglich gemacht, sagen Historiker. All diese Maß- nahmen wurden schnell so populär, dass andere Ligen sie übernahmen. Und trotzdem war auch die Zeit der ersten Profliga im Westen begrenzt. Zwar hielt die PCHA länger durch als die meisten anderen Profligen ihrer Zeit, nach etwa zwölf Jahren war aber auch für sie Schluss. 1924 stellte die PCHA ihren Betrieb ein.

Die Ligen kommen und gehen Im Osten lief es ähnlich unbeständig. Dort hatte sich die Eastern Canada Hockey Association (ECHA) aufgeschwungen, die Massen zu begeistern. 1905 ursprünglich für Amateure gestartet, wurde sie ab 1908 zur Profliga und zur populärsten Liga ihrer Zeit, weil sie prominente Teams aus Montreal, Ottawa und Québec vereinte, die sich um den Stanley Cup stritten. Doch trotz der guten Voraussetzungen existierte auch die ECHA gerade mal vier Jahre. 1909 zerstritten sich die Team-

21 Gefahr aus dem Westen: 1915 gewannen die Vancouver Millionaires den Stanley Cup.

besitzer, lösten die Liga gleich wieder auf und gründeten zwei neue, die sich als erbitterte Rivalen verstanden: die Canadian Hockey Association (CHA) sowie die National Hockey Association (NHA), der direkte Vor- gänger der NHL. Der Wettstreit der beiden neuen Profligen im Osten dauerte aber nicht mal acht Wochen, dann gab die CHA auch schon wieder auf, weil sie kaum Zuschauer anlockte und drei ihrer fünf Teams nun doch bei der eben noch so verhassten Konkurrenz mitspielen wollten. Die NHA nahm das Angebot dankend an und entwickelte sich in der Folge zur populärsten Profliga Kanadas. Vor allem, weil sie im Vergleich zur par- allel existierenden Ontario Professional Hockey League oder der Ligen im Westen den Vorteil hatte, Teams aus Großstädten zu beheimaten. Darunter so prominente wie die , die damals noch größeren , die alten oder bekannte Teams aus Toronto wie die Shamrocks oder Blueshirts, die als Vorgänger der Maple Leafs gelten – auch wenn das nicht ganz stimmt (mehr dazu in Kapitel 3). All diese Teams stritten sich zudem um den Stanley Cup. Lange behielt die NHA die begehrteste Trophäe in der Geschichte des Eisho- ckeys aber nicht für sich. Ab 1914 musste sich der Meister der NHA mit dem der neuen Pacifc Coast Hockey Association der Patrick-Brüder um den Stanley Cup messen. Und nicht immer gewannen die großen Teams aus dem Osten, es dauerte nicht lange, da konnten die neuen aus dem Westen mithalten. Bereits 1915 gewannen die Vancouver Millio- naires den Stanley Cup, 1917 waren die als erstes US-Team dran.

22 Der Anfang vom Ende: Der Streit mit Eddie Livingstone Die beliebteste Liga blieb dennoch die NHA mit all ihren Groß- stadt-Teams aus dem Osten. Doch trotz guter Finanzen und des großen öfentlichen Interesses – nicht selten kamen 6000 oder mehr Zuschauer zu den Spielen – lief auch in der NHA nicht alles rund. Diverse Streitig- keiten, Intrigen und Kleinkriege zwischen den Teambesitzern gaben der Liga manchmal den Charakter einer Seifenoper. Besonders ein Mann tat sich dabei hervor: Edward „Eddie“ Living- stone, den Eishockey-Historiker D’Arcy Jenish wie folgt beschreibt: „Ein schmächtiger, bebrillter Mann, der das sanfe Benehmen eines Pfarrers hat, aber die penible Persönlichkeit eines Steuerfahnders oder eines Zöllners. Er war stets von der unweigerlichen Richtigkeit seiner Position überzeugt und bereit, bis zu seinem letzten Atemzug zu kämpfen, um sie zu verteidigen.“ Von Beginn an war der Sohn eines schwerreichen Unternehmers für immer neue Schlammschlachten und Kleinkriege verantwortlich. Es gab kaum einen Teambesitzer, mit dem Livingstone nicht ständig anei- nandergeriet, kaum eine Saison, in der er keine Absprachen brach oder halbseidene Tricks bei Spielerverpfichtungen ausprobierte. Das machte die Konkurrenz regelmäßig rasend, erst recht, wenn Livingstone mal wieder drohte, mit seinen Teams in die USA zu gehen, wenn er nicht das bekam, was er wollte. Hatte er sich für einen Spieler entschieden, scheiterte aber, beschimpfe er ihn über die Presse und stellte öfentlich dessen Charakter in Frage. Auch seine Zahlungsmoral soll nicht immer die beste gewesen sein. Das Problem war allerdings: Es gab keine recht- liche Handhabe, ihn aus der Liga zu werfen. Er musste freiwillig gehen, aber daran verschwendete er keinerlei Gedanken. Für den vorläufgen Tiefpunkt im Verhältnis zwischen ihm und dem Rest der Liga sorgte er kurz vor der Saison 1915/16. Livingstone besaß bereits die Toronto Shamrocks, als er auch den Lokalrivalen Blueshirts kaufe. Das sorgte schnell für Kritik: Eine Person solle nicht über zwei Teams in derselben Liga bestimmen können, hieß es. Und es dauerte nicht lange, da zeigte sich, warum: Im Westen hatten die Patrick-Brüder gerade ein neues Team in Seattle gegründet, um den US-Markt zu erobern. Dafür warben sie zahlreiche Spieler der Blueshirts ab, was Livingstone aber nicht störte. Er transferierte einfach sämtliche Spieler von den Shamrocks zu den Blueshirts. Irgendwann standen die Shamrocks fast ohne Spieler da, und Livingstone machte keine Anstalten, das noch zu ändern. Stattdessen

23 versuchte er nun, das Team zu verkaufen. Was so kurz vor der Saison und ohne Spieler aber natürlich nicht klappte. So mussten die Sham- rocks die Saison absagen, die NHA ging mit nur noch fünf Teams an den Start. Folglich musste an jedem Spieltag eine andere Mannschaf aus- setzen und konnte kein Geld verdienen. Die anderen Besitzer schäumten vor Wut, doch Livingstone war sich keiner Schuld bewusst und prof- tierte nebenbei: Statt wie in der Vorsaison einen lokalen Konkurrenten zu haben, konzentrierte sich die komplette Aufmerksamkeit Torontos nun auf ein Team. Sein Team. Vor der nächsten Saison kam die Diskussion aber erneut ins Rollen. Ein sechstes Team sollte her. Und es kam eins: Im Sommer kaufe nie- mand geringeres als die kanadische Armee die Rechte der pausierenden Shamrocks und gründete ihr eigenes Team. Das Militär hatte mittler- weile so viele Eishockey-Spieler in seinen Reihen, dass es in diversen Amateurligen eigene Teams stellte. Nun wagte es sich unter dem Namen „228. Battalion“ auch in den Profbereich. Was in der nationalistisch-auf- geheizten Kriegsatmosphäre begeistert von den Fans aufgenommen wurde. Sofort wurde das 228., das sein Zuhause ebenfalls in Toronto hatte, das beliebteste der Liga. Livingstone gefel das natürlich weniger – und er brauchte nicht lange, um sich mit der Armee anzulegen. Der Anfang vom Ende für die NHA. Die Liga war seit Jahren ins Visier der Armee geraten. Wie in vielen Ländern interessierten sich auch die kanadischen Streitkräfe für die heimischen Sportler. Junge Männer mit Teamgeist und körperlich guter Verfassung standen ganz oben auf der Wunschliste. Zu Beginn des „Großen Krieges“ warben hochrangige Militärs gezielt bei den Eis- hockey-Klubs. „Das größte Spiel eures Lebens“ sei der Weltkrieg, lau- tete der Spruch. Und zahlreiche Spieler folgten dem patriotischen Ruf, weil sie davon überzeugt waren, nach wenigen Monaten wieder zurück zu sein. Selbst der damals erst 14-jährige „Howie“ Morenz meldete sich freiwillig, allerdings fel auf, dass er bei seinem Alter gelogen hatte, und er wurde heimgeschickt. Andere wie Conn Smythe, damaliger Top- spieler und später Manager der Maple Leafs, lernten die Schrecken des Krieges hautnah kennen. Die Schlacht im fernen Europa wurde ein grausames Gemetzel mit Millionen Toten und einem in Teilen zerstörten Kontinent. Smythe selbst wurde in seinem Flugzeug abge- schossen und blieb 14 Monate in Kriegsgefangenschaf. Niemand rech- nete damit, dass er dort lebend rauskommt, aber er hatte im Gegensatz zu vielen anderen Glück.

24 Daheim in Kanada wurde derweil weiter Eishockey gespielt. Und es standen mal wieder große Veränderungen an. Dass die Saison 1916/17 die letzte der NHA sein würde, konnte zu Beginn der Spielzeit jedoch nie- mand ahnen. Zu gefestigt wirkte die Liga, der selbst die aggressive Trans- ferpolitik der PCHL im Westen sowie der seit zwei Jahren tobende Welt- krieg nichts anhaben konnten. Trotz der fehlenden Spieler schafen es die NHA-Teambesitzer jedes Jahr, konkurrenzfähige Mannschafen aufs Eis zu stellen und einen spannenden Wettbewerb zu garantieren. Und mehr noch: Wenn nun selbst die Armee mit einem eigenen Team dabei ist, dann handelt es sich wahrlich um ein seriöses Business, hieß es allerorten. Endlich schien die Zeit der ständig wechselnden Ligen vorbei zu sein, endlich kam so etwas wie Konstanz in den professionellen Eis- hockey-Betrieb. Da störte es auch nicht, dass die Blueshirts gleich am ersten Spieltag in Montreal ohne ihren Stammtorhüter Claude Wilson auskommen mussten, weil der den Zug verpasst hatte. Insgesamt war die NHA gesund, der Sport hatte ein gutes Niveau, die Fans kamen, das Geld foss.

Der Streit mit dem Militär eskaliert Doch es gab ja immer noch Eddie Livingstone, der bereits während der Saisonvorbereitung Streit mit dem neuen Lokalrivalen suchte. Der Besitzer der Blueshirts hatte dem 228. Battalion seinen Goalie Percy LeSueur im Tausch für Topstürmer Gordon Keats gegeben. Nur wei- gerte sich LeSueur, für das Armeeteam zu spielen, weil er dann par- allel auch seinen Militärdienst hätte antreten müssen. Also verlangte das 228. Battalion, dass der Wechsel rückgängig gemacht wird. Doch Livingstone dachte gar nicht daran. Es sei nicht sein Problem, ließ er verlauten. Prompt drohte die Armee, die Liga gleich wieder zu verlassen. Erst nachdem die Liga-Verantwortlichen zwischen den beiden Parteien vermittelten, beruhigten sie sich. Es dauerte nicht lange, da gerieten die Teams allerdings erneut anei- nander. Zunächst nach einem Derby im Januar, in dem beide Seiten überhart zu Werke gingen. Zweieinhalb Wochen später, kurz vor dem nächsten direkten Duell der Teams aus Toronto, forderte das Armee- team, Livingstone müsse Keats zumindest für dieses Spiel draußen lassen. Wenig überraschend kümmerte das den streitbaren Besitzer nicht. Er lasse gar keinen Spieler draußen, tönte er, eher lasse er das ganze Spiel ausfallen. Tagelang war das Teater Gesprächsthema in Toronto. Beide Seiten befeuerten den Streit immer weiter mit neuen Vorwürfen und

25 Drohungen. Die Zeitungen berichteten aufgeregt, was die NHA-Bosse erneut veranlasste, zur Mäßigung aufrufen. Man schade doch nur dem Ansehen der Liga und damit dem Proft. Den Bossen der Armee reichte es nun endgültig. Die Idee hinter dem Engagement im Prof-Eishockey war es, die Truppe in Zeiten des Welt- kriegs bei Laune zu halten und das Ansehen des Militärs in der Bevölke- rung weiter zu steigern. Stattdessen verstrickte es sich nun in öfentliche Schlammschlachten mit einem selbstsüchtigen Teambesitzer. Das sei der Armee nicht würdig, sagte ein hoher Ofzier in einem Zeitungsinter- view: „Wir sind gründlich angewidert von dem schlechten Ruf, den uns die Verbindung mit dem Eishockey eingebracht hat. Ich bin der Mei- nung, dass es für jeden im 228. besser gewesen wäre, wenn wir uns über- haupt nicht mit Profsport beschäfigt hätten“, sagte er den „Daily News“. Nur einen Tag später wurde das 228. Battalion aus der Liga genommen, nach Halifax gebracht und auf seinen Einsatz an der Front in Europa vorbereitet. Die Nachricht verbreitete sich wie eine Schockwelle durch die Eis- hockey-Welt. Statt langfristig von der Zusammenarbeit mit der Armee zu proftieren, war daraus binnen weniger Monate ein PR-Desaster geworden. „Der Zustand der National Hockey Association lässt sich als chaotisch beschreiben“, kommentierte der „Ottawa Citizen“. Zudem stand die NHA erneut nur mit fünf Teams da. Und wieder war es Eddie Livingstone, der mit seinen Spielchen und Machtkämpfen dafür gesorgt hatte. Diesmal war es aber noch schlimmer als in der Vor- saison, nun zog sich ein Team während der Saison zurück. Wie sollte es also weitergehen? Was passiert mit den 13 bereits absolvierten Partien? Spätestens jetzt waren die Besitzer der übrigen Teams mit ihrer Geduld am Ende. Ständig aussetzen zu müssen, koste zu viel Geld. Außerdem lohne sich die weite Reise nach Toronto nicht, wenn ihre Klubs dort nur ein Spiel machen könnten, schreibt Andrew Ross in „Joining the Clubs“.

Komplott gegen Livingstone Die Zukunf sollte in einem eilig einberufenen Not-Meeting besprochen werden. Und das wurde sie auch – ohne Livingstone, der nicht erschienen war. Ergebnis der Zusammenkunf: Für eine passende Anzahl an Mann- schafen mussten nun auch die Toronto Blueshirts die Liga verlassen. Der andere Grund für den Ausschluss: So konnte man auch endlich den ungeliebten Livingstone loswerden. Das Problem war allerdings, dass die Liga langfristig ein Team aus Toronto brauchte. Nur wie sollte man

26 das hinbekommen, ohne bald wieder mit dem Querulanten zusammen- arbeiten zu müssen? Für den Rest der Saison sollte es erst mal ohne ihn gehen, hatten die Blueshirts doch ohnehin keine Chance mehr, das Finale zu erreichen. Also teilten sie die Spieler unter den anderen Teams auf. Livingstone pro- testierte zunächst nicht mal. Man munkelte, dass es ihm so spät in der Saison egal gewesen sei, da sein Team ohnehin nur noch zwei Heim- und fünf Auswärtsspiele hatte. So konnte er die Gehälter sowie die Reise- kosten für die letzten Wochen der Saison sparen. Er ging ja davon aus, zur neuen Saison wieder dabei zu sein. Doch das wollten die anderen Teambesitzer verhindern und stellten ihm ein Ultimatum: Entweder verkauf er seine Anteile an den Blue- shirts oder das Team wird auch für die nächste Saison gesperrt. Living- stone war außer sich, weil ihm langsam dämmerte, was der wahre Plan der Konkurrenz war: Man wollte ihn dauerhaf ausschließen. Als er her- ausfand, dass die anderen Vereine seinen Spielern bereits Jobs für die spielfreien Sommermonate in ihren Städten besorgt hatten, verklagte er die Liga sowie die restlichen Teambesitzer – das Tischtuch war endgültig zerschnitten. Niemand wollte noch länger mit Livingstone zusammen in einer Liga spielen. Nur war da immer noch der Umstand, dass sie keine Möglichkeit hatten, ihn auf legalem Wege aus der NHA zu werfen. Also heckten sie einen rafnierten Plan aus, der bis heute der Grün- dungsmythos der NHL ist. Am 26. November 1917 trafen sich die übrigen vier Teambesitzer im Windsor Hotel in Montreal und fassten einen weitreichenden Beschluss: Anstatt ihren Widersacher dazu zu bringen, die NHA zu verlassen, verabschiedeten sie sich selbst und gründeten eine neue Liga. Was Livingstones Intimfeind, Sam Lichten- stein, Besitzer der Montreal Wanderers, gegenüber einem Reporter süf- sant zusammenfasste: „Wir haben Livingstone nicht rausgeworfen, er hat immer noch sein Franchise in der alten National Hockey Association, er hat sein Team, und wir wünschen ihm alles Gute. Das einzige Problem ist, dass er jetzt in einer Ein-Team-Liga spielt.“ Der Rest startete derweil in einer neuen Liga: Die war geboren.

27 1917 bis 1942 Eine Liga kämpft ums Überleben

Die NHL war mitnichten von Beginn an eine Erfolgsgeschichte. Nach wenigen Wochen waren nur drei Teams übrig, die neue Liga stand gleich wieder vor dem Aus. Auch danach gab es trotz zwischenzeit- licher Erfolgsphasen und neuen Teams in den USA immer wieder Probleme. Wirtschaftskrisen und Weltkriege brachten sie mehrmals an den Rand ihrer Existenz.

Ganze 16 Tage war die National Hockey League (NHL) alt, da standen die Zeichen bereits auf Abschied. Hätten die Funktionäre die neue Liga gleich wieder begraben, es hätte ihnen wohl niemand verübelt. Nicht nur, weil es damals ohnehin an der Tagesordnung war, dass professio- nelle Eishockey-Ligen kamen, gingen und schnell von der nächsten abgelöst wurden, sondern weil eine Liga wohl selten unter so schlechten Vorzeichen gestartet ist wie die NHL. Die neue Eliteliga war ja alles andere als von langer Hand geplant und in Ruhe vorbereitet worden, sie war aus der Not geboren, um nach dem Ausscheiden des Armeeteams aus der alten National Hockey Association (NHA) neu anzufangen. Und natürlich um den verhassten Teambesitzer Eddie Livingstone loszuwerden. Ein erfolgreiches Unterfangen, denn in der NHL hatte der streitbare Mann aus Toronto nichts zu melden. Was allerdings nicht bedeutete, dass er sich geschlagen gab. Nachdem ihn die übrigen Teambesitzer aus der NHA ausgetrickst und ihre eigene Liga ohne ihn gegründet hatten, zog sich Livingstone nicht etwa zurück, er begann eine Klagewelle, die die NHL über Jahre beschäfigen und an den Rande des Ruins treiben sollte. Und das alles, während die Funktionäre darum bemüht waren, die neue Liga zu etab- lieren. Was schwieriger war als gedacht, die ersten Bewährungsproben für Frank Calder, den Boss der neuen Liga, ließen nicht lange auf sich warten.

28 Eishockey-Liga der Welt. der Eishockey-Liga stärksten zur Lesebuch starkes Ein Rassismus. und Doping Suizide, und Gewalt Pleiten, und Wirtschaftskrisen auch nicht vor denProblemen derNHL: Augen die es verschließt Dabei Draisaitl. Leon bis Sturm Marco von deutschen: die auch – Stars größten die porträtiert und Sportsystems nordamerikanischen Feinheitendes die erklärt NHL, der Geschichte die erzählt Buch Dieses steinig. war Wegdahin der Doch Anekdoten. und Legenden unzähligen mit Mythos ein geworden, Welt aller aus Stars hunderten und Klubs 31 mit Business Milliarden- ein Jahrhunderts eines innerhalb ist Jungs kanadische Teamswenige für Eishockeys. Aus einerkleinenLigamitvier internationalen des Namen größten die Jahren vereint dieNationalHockey League 100 als mehr Seit Rangers: und Leafs Maple Canadiens, – Gretzky, Crosby und Howe VERLAG DIE WERKSTATT 978-3-7307-0403-5 ISBN

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