Deutschland JÜRGEN BINDRIM FDP-Grande Lambsdorff: „Auf dem falschen Bein hurra geschrien“

ganz so, wie Sie sie geschildert haben. LIBERALE Das Grundsatzprogramm, an dem die FDP- Programmkommission arbeitet, war seit längerer Zeit angekündigt. Etwas über- „Wir brauchen Aggressivität“ raschend kam das Papier von , das ich im Übrigen inhaltlich für Der FDP-Ehrenvorsitzende über völlig vertretbar halte … SPIEGEL: … und das in der Partei als das Gerangel zwischen Wolfgang Gerhardt und Guido Westerwelle Kampfansage an Westerwelle verstanden und die inhaltliche Leere seiner Partei wurde. Lambsdorff: Ich sehe keinen Machtkampf SPIEGEL: Graf Lambsdorff, die General- SPIEGEL: Mit anderen Worten: Sie halten um Positionen. Wolfgang Gerhardt will sekretärin wird wegen Überforderung ab- Guido Westerwelle für den eigentlich nicht Parteivorsitzender werden. Das war gelöst, der Parteivorsitzende liegt mit sei- Schuldigen an der liberalen Misere. er einmal, und so etwas versucht man nicht nem Vorgänger im Clinch, und in den Um- Lambsdorff: Nein. Ich halte ihn vielmehr ein zweites Mal. Dazu ist er klug genug. fragen kann die FDP von der rot-grünen für einen guten Vorsitzenden. Wahrschein- Westerwelle ist Parteivorsitzender und Schwäche nicht profitieren. Warum sind lich ist es zu viel verlangt für einen Einzel- bleibt es. Es ist ein Wettbewerb zwischen die Liberalen so in der Defensive? nen, die Öffentlichkeitsarbeit für eine ganze Ideen. Das steht einer liberalen Partei ja Lambsdorff: Der Liberalismus hat doch Partei zu machen. Aber es wird ja besser. nicht schlecht zu Gesicht. nicht nur in Deutschland Schwierigkeiten. Guido Westerwelle wird durch seinen künf- SPIEGEL: In der FDP sehnen sich viele nach Aber es stimmt schon: Die FDP kommt tigen Generalsekretär ver- Gerhardt, weil er im Gegensatz zu Wes- mit ihren Thesen einfach nicht so rüber, stärkt. Auch der Fraktionsvorsitzende Wolf- terwelle als seriös gilt. wie es notwendig und im Übrigen auch gang Gerhardt wird ihm in der Öffentlich- Lambsdorff: Ich bin auch der Meinung, dass gerechtfertigt wäre. keit stärker zur Seite stehen. Das hat man Gerhardt noch stärker zur Außendarstel- SPIEGEL: Dass alles nur ein Vermitt- in den vergangenen Wochen gemerkt. lung der FDP beitragen sollte. Und in der lungsproblem sei, haben Sie schon nach SPIEGEL: Sehr zum Kummer von Wester- Partei stehe ich mit dieser Einschätzung der verlorenen Bundestagswahl 2002 be- welle, dem Gerhardt mit der Vorstellung nicht allein. Das heißt aber doch nicht, dass hauptet. eines eigenen Regierungsprogramms die mit dem Gerhardt-Papier ein Kampf um Lambsdorff: Das macht meine Aussage ja Show gestohlen hat. Schließlich sollte die Machtpositionen eingeleitet werden soll- nicht falsch. Ein Vermittlungsproblem hat scheidende Generalsekretärin Cornelia te. Da haben einige wie der hessische Frak- auch mit Personen zu tun, die die Inhalte Pieper im Auftrag des Parteivorsitzenden tionschef Jörg-Uwe Hahn auf dem falschen schließlich in der Öffentlichkeit vertreten ein Grundsatzprogramm präsentieren. Bein hurra geschrien. Das hat er inzwi- müssen. Das war bei uns bislang sehr, sehr Lambsdorff: Es fehlt derzeit ein gewisses schen selbst gemerkt. stark auf den Parteivorsitzenden konzen- Maß an Koordinierung, das ist gar keine SPIEGEL: Aber Hahn hatte doch Recht: triert. Frage. Die Reihenfolge war allerdings nicht Unter Guido Westerwelle wird die FDP

44 15/2005 ihr Image als substanzlose Spaßpartei nicht mehr los. Lambsdorff: Die Führung der FDP ist sich völlig einig, dass die Zeiten der Spaßpartei vorbei sind. Dieses Image klebt natürlich in erster Linie am Vorsitzenden. Er hat sich intensiv bemüht, das abzustreifen, aber das ist gar nicht einfach. Für Gerhardt ist das leichter. Er stand – wie ich auch – der „Spaßpartei“ immer skeptisch gegenüber. SPIEGEL: Westerwelle wird sein unseriöses Image nicht los, weil niemand inhaltliche Positionen mit ihm verbindet.

Lambsdorff: Stellen Sie sich mal vor, ich MARCO-URBAN.DE wollte versuchen, den Ruf des Marktgrafen Liberale Westerwelle, Niebel: „Ein Vermittlungsproblem hat auch mit Personen zu tun“ loszuwerden. Da müsste ich mich ver- dammt anstrengen, und es würde ziemlich SPIEGEL: Wer soll der FDP diesen Schwenk wahlkampf auch keine Koalitionsaussage lange dauern. Westerwelle hat sich große jetzt abnehmen? Alle Ihre Nachfolger, Wes- zugunsten der Union gemacht, trotz der Mühe gegeben. Aber es ist nicht einfach für terwelle eingeschlossen, haben das Thema Bitten von Edmund Stoiber. ihn, weil ihm der kleinste Rückfall sofort vernachlässigt. Lambsdorff: Ich habe immer gesagt, wir sind wieder angelastet wird. Lambsdorff: Der Eindruck ist in der Tat ent- zu einer Koalitionsaussage verpflichtet. Die SPIEGEL: Sie tun so, als ginge es nur um standen. Wir müssen ihn korrigieren. Auf Wähler wollen vor der Wahl von uns wis- Westerwelle. Auch die Generalsekretärin dem Bundesparteitag in Köln wird es mit sen, wo es mit ihren Stimmen hingeht, und Pieper war inhaltlich ein Totalausfall. Sicherheit eine Diskussion zum Thema geben uns keinen Blankoscheck. Lambsdorff: Ich glaube, dass Frau Pieper Menschen- und Bürgerrechte geben. SPIEGEL: Wozu das Versteckspiel? Sie ha- eine sehr positive Rolle in den neuen Bun- SPIEGEL: Das klingt nach einer rein takti- ben doch im Moment ohnehin nur einen desländern gespielt hat und weiter spielen schen Volte. Die Bürgerrechtsfraktion gibt Partner. wird. Ihre Stärke ist allerdings gewiss nicht es doch in der FDP gar nicht mehr. Lambsdorff: Das sehe ich auch so. In Nord- die inhaltliche, programmatische Arbeit. Lambsdorff: Oh doch. Es gibt junge Abge- rhein-Westfalen läuft es auf einen Lager- Ich glaube, das merkt sie inzwischen selbst. ordnete in der Bundestagsfraktion, die sich wahlkampf zwischen Rot-Grün und Die Partei weiß das auch. mit dem Thema beschäftigen. Der Bun- Schwarz-Gelb zu. Im Bund wird es genau- SPIEGEL: Ihr designierter Nachfolger Dirk destagsabgeordnete spielt eine so kommen. Niebel ist bislang ebenfalls noch nicht als gute Rolle. Auch der neue Generalsekretär SPIEGEL: Es stört Sie nicht, dass Herr Stoi- inhaltlicher Vordenker in Erscheinung ge- hat in diesen Fragen eine klare Position. ber Ihren Parteivorsitzenden als Leicht- treten. SPIEGEL: In der Union geht die begründete matrosen bezeichnet? Lambsdorff: Herr Niebel wird jetzt zeigen Sorge um, ein Wahlsieg 2006 könne wie Lambsdorff: Herr Stoiber weiß inzwischen, müssen, dass er mehr ist als ein Arbeits- schon bei der vorigen Bundestagswahl dass solche Äußerungen unangebracht marktexperte. Ich traue ihm das zu. auch an der FDP scheitern. sind. Vergessen Sie es. So etwas wird mal SPIEGEL: Wie kritisch die Lage der FDP ist, Lambsdorff: Die Union soll sich darum küm- gesagt, das zieht vorbei. zeigt sich doch daran, dass es ihr in den mern, ihren Teil zum Wahlerfolg beizutra- SPIEGEL: Machen Sie es sich nicht zu ein- Umfragen nicht gelingt, von der Schwäche gen. Bei CDU und CSU lief in den ver- fach? Die Union führt der FDP ihre Be- der Regierung zu profitieren. gangenen Monaten auch nicht immer alles deutungslosigkeit doch demonstrativ vor. Lambsdorff: Ich weiß, diese Frage treibt ideal. Stoiber und CDU-Chefin mich auch um. SPIEGEL: In Schleswig-Holstein hat Ihr Spit- sind ohne Westerwelle zum Job-Gipfel ge- SPIEGEL: Und? Haben Sie eine Antwort? zenkandidat öffentlich gangen. Lambsdorff: Wir brauchen ein angemesse- mit einem sozial-liberalen Bündnis gelieb- Lambsdorff: Eigentlich dachte ich, es wäre nes, aber gehöriges Maß an Aggressivität. äugelt – und dadurch die Wahl verloren. aus Sicht von Frau Merkel ratsam, auf der Ich habe in meinen 26 Jahren im Parla- Lambsdorff: In Schleswig-Holstein haben Teilnahme der FDP zu bestehen. Nachdem ment immer die deutliche Aussprache ge- wir überflüssigerweise Stimmen verloren. ich das magere Ergebnis gesehen habe, bin pflegt. Das ist notwendig. Zudem müssen Herr Kubicki weiß selbst, dass er einen ich heilfroh, dass die FDP nicht dabei war. wir selbstverständlich Antworten auf die Fehler gemacht hat. SPIEGEL: Ist gegenseitige Geringschätzung Fragen geben, die uns im Lande be- SPIEGEL: Er kann sich auf große Vorbilder eine gute Basis für eine Koalition? drücken. Das betrifft die Arbeitslosigkeit, berufen. Westerwelle hat im Bundestags- Lambsdorff: So ist es ja nicht. Wir sind uns die Bildungspolitik und nicht zuletzt die inhaltlich in vielem nahe. Ich habe aber Gefährdung der Bürgerrechte. meine Zweifel, dass es mit den wirtschafts- SPIEGEL: Das müssen Sie uns erklären. Sie politischen Vorschlägen aus der CSU-Ecke selbst waren es doch als Parteivorsitzender, bei uns besser werden kann. Es wird nicht der das Thema Menschen- und Bürgerrech- ganz einfach werden, unsere ordnungs- te immer weiter an den Rand gedrängt hat. politischen Vorstellungen gegen die Union Lambsdorff: Das stimmt nicht. Aber ich wur- durchzusetzen. Das war allerdings auch de immer als Wirtschaftspolitiker wahrge- schon so, als ich Wirtschaftsminister war. nommen. Wenn ich mich zu Menschen- SPIEGEL: Wer wäre in der Union Ihr rechtsfragen äußerte, wurde nicht zugehört. Wunsch-Kanzlerkandidat? Aber es ist ein wichtiges, zentrales Thema. Lambsdorff: Das müssen die entscheiden. Das betrifft die Aufhebung des Waffenem- Ich glaube aber, Herr Stoiber hat begriffen, bargos gegen China – die ich ablehne – ge- dass es für ihn keinen zweiten Versuch nauso wie die Anti-Terror-Gesetze der Re- geben wird. Ich rechne damit, dass Frau

gierung, die zum Teil zu weit in die Frei- SCHUERING WALTER Merkel Kanzlerkandidatin wird. heitsrechte der Bürger eingreifen. Fraktionschef Gerhardt: „Kein Machtkampf“ Interview: Petra Bornhöft, Ralf Neukirch

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